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German Pages 330 Year 2023
Yvonne Hardt Tanz und kulturelle Bildung erforschen
TanzScripte | Band 69
Editorial Tanzwissenschaft ist ein junges akademisches Fach, das sich interdisziplinär im Feld von Sozial- und Kulturwissenschaft, Medien- und Kunstwissenschaften positioniert. Die Reihe TanzScripte verfolgt das Ziel, die Entfaltung dieser neuen Disziplin zu begleiten und zu dokumentieren: Sie will ein Forum bereitstellen für Schriften zum Tanz – ob Bühnentanz, klassisches Ballett, populäre oder ethnische Tänze – und damit einen Diskussionsraum öffnen für Beiträge zur theoretischen und methodischen Fundierung der Tanz- und Bewegungsforschung. Mit der Reihe TanzScripte wird der gesellschaftlichen Bedeutung des Tanzes als einer performativen Kunst und Kulturpraxis Rechnung getragen. Sie will Tanz ins Verhältnis zu Medien wie Film und elektronische Medien und zu Körperpraktiken wie dem Sport stellen, die im 20. Jahrhundert in starkem Maße die Wahrnehmung von Bewegung und Dynamik geprägt haben. Tanz wird als eine Bewegungskultur vorgestellt, in der sich Praktiken der Formung des Körpers, seiner Inszenierung und seiner Repräsentation in besonderer Weise zeigen. Die Reihe TanzScripte will diese Besonderheit des Tanzes dokumentieren: mit Beiträgen zur historischen Erforschung und zur theoretischen Reflexion der sozialen, der ästhetischen und der medialen Dimension des Tanzes. Zugleich wird der Horizont für Publikationen geöffnet, die sich mit dem Tanz als einem Feld gesellschaftlicher und künstlerischer Transformationen befassen. Die Reihe wird herausgegeben von Gabriele Brandstetter und Gabriele Klein.
Yvonne Hardt (Dr. phil.) ist Professorin für Tanzwissenschaft und Choreographie an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Ihr Forschungsinteresse gilt u.a. der methodischen Weiterentwicklung der Tanzwissenschaft, kritischer Historiographie und praxeologischer Forschung zu Vermittlungs- und Aneignungspraktiken im Tanz.
Yvonne Hardt
Tanz und kulturelle Bildung erforschen Eine Einführung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Marisa Berg und Pauline Michel Satz: Corina Hofner Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-6971-8 PDF-ISBN 978-3-8394-6971-2 https://doi.org/10.14361/9783839469712 Buchreihen-ISSN: 2747-3120 Buchreihen-eISSN: 2747-3139 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.
Inhalt
Vorwort | 9
Dank | 13 Einleitung | 15
Was wird erforscht? | 18 Methodenreflexion? – Forschungsstände | 20 Ziele | 23 Schwerpunkte der Forschungsheuristik | 25 Fragen, Formen, Formate | 32 Begriffsdiskussion: Kulturelle Bildung – Ein Problemaufriss | 33 Aufbau des Buchs | 43 1
Tanzgeschichte(n) schreiben: Fragen und Materialien für eine historische Forschung | 47
Eine Geschichtsschreibung für kulturelle Bildung im Tanz | 50 Pädagogische Diskurse, künstlerisches Selbstverständnis und soziale (Voraus-)Setzungen moderner Tanzvermittlung | 54 Jenny Gertz: Dokumente für einen kreativen Tanz mit Kindern | 66 Martin Gleisner: Dokumente für eine biografische, institutionelle und politische Geschichte kultureller Bildungsarbeit im Tanz | 73 Für eine politische Tanzgeschichte | 79 Fazit | 83 Weiterführende Lesetipps | 84 2
Sich im Forschungsfeld positionieren: Gegenstandsverständnisse und Begriffe | 85
Alles ›kritisch‹ oder was? Was ist eine kritische Forschung(-shaltung)? | 86 Empirie und Theorie | 89 Wissenschaftliche Selbstreflexion und Gegenstandsverständnisse offenlegen | 91 Begriffe in ihrer Bedeutungsbandbreite öffnen: Am Beispiel des Übens | 102
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Praxeologische Forschung und Entwicklung von Kategorien | 107
Methodische Grundannahmen | 108 Methodische Überlegungen an Vollzugswirklichkeiten schärfen | 115 Entwicklung eines Analysemodells und Matrix | 120 Analysemodell als mögliche Perspektivierung von Vermittlungskonstellationen | 127 Weiterführende Lesetipps | 134 4
Körper, Körperlichkeit und das Lernen der Sinne | 135
Körpertheoretischer (Problem-)Aufriss | 137 Körper und kulturelle Bildung | 144 Exkurs: Sinnlichkeit erlernen | 146 Zur Pluralität von Körpern in der Praxis | 153 Fazit: Der bildsame Körper im Tanz | 167 Weiterführende Lesetipps | 168 5
Bewegung vermitteln, aneignen, beobachten und analysieren | 169
Bewegung ins Blickfeld rücken | 170 Bewegungen differenzieren | 173 Verweisungszusammenhänge von Bewegung erforschen | 184 6
Aneignung und Teilhabe: Begriffe und Konstellationen aufschlüsseln | 191
Aneignung: Von Theorien der Tätigkeit zu erfahrungsbasierter Problembewältigung | 193 Aneignung und Vermittlung | 195 Kulturelle Aneignung und die Konstruktion des ›Anderen‹ | 198 Exkurs: Vom Teilnehmen über das Teilhaben zum Teilgeben | 203 Gemeinschaftliches Lernen in historischer Perspektive und die Idee des Leadfollowing | 214 Vermittlung und Aneignung in der Verschränkung aufschlüsseln | 217 Weiterführende Lesetipps | 223
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Sprache, Reflexion und Feedback: Den Mythos des nonverbalen Tanzes dekonstruieren | 225
Doing Sprache | 228 Vorstellungen und Praktiken des Reflektierens | 237 Vom Feedbackgeben zum Doing Feedback | 240 Ethik, Hierarchie und Ökonomie von Reflexionsund Feedbackpraktiken | 246 Vielseitigkeit, Komplexität, Kollektivität von Feedback- und Reflexionspraktiken | 248 Fazit | 253 Weiterführende Lesetipps | 254 8
Der Umgang mit Irritation und Scheitern: Zwischen Bildungschance und neoliberaler Strategie | 255
Irritation und Scheitern in bildungstheoretischen Perspektiven | 257 Scheitern als ästhetische Strategie | 262 Gesellschaftspolitische Dimensionen des Scheiterns | 264 Die Praxis des Scheiterns | 266 An der Vermittlung und der Forschung scheitern | 277 9
Fragen | 283
Gegenstandsverständnis | 283 Wissenschaftliche (Selbst-)Reflexion | 284 Methoden und Empirie | 284 Geschichte(n) kultureller Bildung | 285 Körper/lichkeit | 287 Bewegung | 290 Aneignung und Teilhabe | 291 Sprache, Reflexion und Feedback | 295 Irritation und Scheitern | 298 Literatur | 301
Vorwort
Dies ist ein Buch über Forschung zu Tanz und kultureller Bildung, über methodische Reflexion und darüber, wie Forschung seine Gegenstände hervorbringt und wie dies reflektiert und produktiv gemacht werden kann. Es ist auch ein Buch mit vielen Beispielen aus der tänzerischen Vermittlungspraxis, die Ausgangspunkt für die Entwicklung methodischer und theoretischer Überlegungen sind. Doch weder Praxis noch deren Reflexion sind zeitlos. Viele der ethnografischen Erhebungen, welche die hier entworfene Forschungsmatrix mit fundieren, haben in der Zeit vor der CoronaPandemie zwischen 2016 und 2019 stattgefunden. Geschrieben wurde dieses Buch mit zahlreichen Unterbrechungen in der Pandemie und fertiggestellt wurde es, nachdem Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begann. Die Welt scheint eine andere zu sein. Daher ist es nicht selbstevident, dass zum heutigen Zeitpunkt eine ›Forschungsanleitung‹ für den Bereich kultureller Bildung mit einem Fokus auf Tanz noch die gleiche Relevanz hat. In welcher Form werden jene Praktiken des kulturellen Lebens wie der künstlerische Veranstaltungsbetrieb in Zukunft aussehen und funktionieren? Was passiert, wenn Förderungen aus der Corona-Zeit wegbrechen? Welchen Einfluss hat der mit der Pandemie einhergehende Digitalisierungsschub auf kulturelle Bildung im Tanz? All diese Fragen können an den empirischen Beobachtungen nun nicht mehr diskutiert werden. Sie bedürfen weiterer Erhebungen, Analysen und Diskussionen. Und weil sich das Feld verändert und im mehrfachen Sinne in Bewegung ist, scheint es mir dann doch wichtig, eine etwas andere Form von Forschungsanleitung zu publizieren. Eine kritische und nicht affirmative Forschung wird in Krisenzeiten leicht zur Disposition gestellt, denn sie liefert selten die einfachen Lösungen und Realitäten, nach denen in solchen
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Krisen gefragt wird. Eine kritische Forschung bedarf der Abwägung, Differenzierung und Zeit für mehrperspektivische Analysen. Wie betreffen welche Entscheidungen wen und in welchem Maße? Wie verändern sich Einund Ansichten über die Zeit, die Kontexte und die Zielsetzungen? Solche Fragen sind es, die dieses Buch beispielhaft am Tanz aufwirft und die deshalb explizit auch für andere Bereiche kultureller Bildung oder der Methodenreflexion (zur Erforschung von Tanz und darüber hinaus) relevant sein können. Während existentielle Ängste um tänzerische Praktiken und kulturelle Bildung oder ein erstarkender Pragmatismus einen Fokus auf spezifische Wirkungen und Bedeutungen kultureller Bildung in der Forschung befördern können, so möchte diese Publikation dazu beitragen, die Vielschichtigkeit und Komplexität von Tanz und kultureller Bildung zu verdeutlichen. Es gilt, das kritische Nachfragen als Teil einer produktiven Methodik zu verstehen, die mit beeinflussen kann, wie differenziert diese Welt in Forschung und Praxis entsteht. Wie stellen wir1 kritische Fragen? Wie generieren wir diese aus der Vielfalt der Praxis? Wie diskutieren wir Forschungsfragen zirkulär im Austausch mit Theorien? Wie revidieren wir die Fragen und unsere Befunde? Wie können wir immer wieder neu begeistert und befremdet feststellen, dass sich die Bedeutung von Fragen und Beobachtungen verschoben haben? Das sind Fragen, die diese Publikation aufwirft und für die Analyse fruchtbar machen möchte. Damit hat diese Publikation eine grundlegende Erweiterung und Verschiebung der ursprünglichen Zielsetzung erfahren, die im Rahmen des vom BMBF geförderten Verbund-Forschungsvorhabens »Kulturelle Bildungsforschung im Tanz – Entwicklung eines domainspezifischen Analy-
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Wenn ich vereinzelt ein ›wir‹ benutze, so bezeichne ich damit nicht eine einheitliche Gruppe, sondern möchte deutlich machen, dass Forschung keine solitäre Praxis ist. Indem ich uns als Forschende in ihrer Pluralität anspreche, möchte ich hervorheben, welche Bedeutung wir in diesem Prozess haben und dadurch Passivkonstruktion vermeiden, die Objektivität und Distanznahme suggerieren können. Dieses ›wir‹ möchte Forschung als etwas kollektiv Hervorgebrachtes kenntlich machen.
Vorwort | 11
semodells sowie domainspezifischer Erhebungsmethoden« (Kubi-Tanz)2 gesteckt wurde. Übergeordnetes Ziel dieses interdisziplinären Verbundprojektes war es, eine differenzierte Grundlage und methodische Basis für die Erforschung von Tanzvermittlungskonstellationen sowie Instrumente zur Erfassung der Wirkung von kulturellen Bildungsdimensionen zu entwickeln. Dabei ging es darum, eine empirisch fundierte und reflektierte Forschung zu Tanz in Hinblick auf seine Potentiale zur kulturellen Bildung zu fördern und Tanz langfristig in seiner Vielfalt in schulischen und außerschulischen Kontexten als wichtiges Medium solcher Bildungsbestrebungen zu unterstützen. Dafür wurde in einer ersten gemeinsamen Phase aller Projektpartner*innen eine qualitative empirische Erfassung des Feldes durchgeführt und in der systematischen Auswertung zentrale Kategorien in einem Analysemodell erarbeitet (Hardt et al. 2020).3 Wie sieht das Feld nicht idealtypisch, sondern im jeweiligen Detailreichtum aus? Was machen die Einzelnen, die Gruppen, die Institutionen genau, wenn sie unter dem Label ›kulturelle Bildung‹ arbeiten, sich ausprobieren, sich und andere erfahren? Welches Wissen oder auch Nicht-Wissen, welche Probleme, welche Diskurse und Rahmungen sind im Feld in seiner Vielfalt zu erkennen? Solche Fragen wurden nicht gestellt, um das Feld zu evaluieren. Vielmehr ging es darum, aus dessen Dynamiken und diversen Konstellationen, Kategorien und Systematiken für die Erforschung von kultureller Bildung zu entwickeln, um sie wiederum mit bildungstheoretischen Positionen und Konzepten des Feldes (gegen-)lesen zu können. Das am Zentrum für Zeitgenössischen Tanz der Hochschule für Musik und Tanz Köln verortete und von mir geleitete Teilprojekt machte es sich dezidiert zur Aufgabe, diese Kategorien anhand einer vertiefenden Analyse, Auswertung und Diskussion in einen Forschungsfragebogen zu überführen.
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Das vom BMBF geförderte Forschungsprojekt wurde gemeinsam von der Autorin dieses Buches (Hochschule für Musik und Tanz Köln), Nils Neuber (Westfälischen Wilhelms-Universität Münster), Claudia Steinberg (Deutsche Sporthochschule Köln), Martin Stern (Philipps-Universität Marburg) geleitet. Es war interdisziplinär angelegt und führte tanzkünstlerische, -pädagogische, und bildungssoziologische Perspektiven zusammen.
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Siehe für eine differenzierte Darstellung der Methoden und empirischen Erfassung die Einleitung sowie Kapitel 2 u. 3.
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Nun ist dieses Buch mehr als ein annotierter Fragenkatalog geworden. Es zielt auch nicht auf eine standardisierte Forschungsrichtlinie, wie sie mit einem Forschungsfragebogen assoziiert werden könnte. Vielmehr hat sowohl die Auseinandersetzung mit der Praxis als auch die Auswertung einschlägiger Literatur dazu geführt, eine andere Form der Forschungsheuristik zu erarbeiten. Diese wird zwar immer noch von Fragen geleitet und gerahmt, doch ist es ebenso Anliegen der Publikation, eine historische und interdisziplinäre Forschung von Tanz und kultureller Bildung zu fördern. Dies tut sie nicht in einer geschlossenen Form. Vielmehr stehen Fragen, Kategorien und Begriffe im Zentrum, die in und mit der Auseinandersetzung der Praxis entstanden sind. Sie sollen es erleichtern, immer wieder neue Perspektiven zu finden, ohne dass sie suggerieren wollen, dass dies der einzige Weg zur Forschung in diesem Feld wäre. Das Buch versucht unterschiedlichen Stimmen und Forschungsanliegen einen Raum zu geben. Demnach variiert die Fokussierung und sprachliche Dichte des Buches. So hat es sich als Teil des Prozesses ergeben, dass manche Textabschnitte eher theoretisch dicht sind, andere eher durch Beispiele zugänglich sind. Dementsprechend kann nach Interessenlage im Buch gesprungen werden. Einzelne Argumente und Diskussionen des Buchs sind bereits in anderen Zusammenhängen publiziert und für dieses Buch bearbeitet worden. Dies hat sich als produktiv erwiesen und verdeutlicht einmal mehr, wie andere Rahmungen, Kontexte und die Zeit Perspektiven beeinflussen und verändern. Das Buch soll daher weder methodisch noch inhaltlich als ›die‹ Einführung in das Feld der Forschung zu Tanz und kultureller Bildung verstanden werden. Es geht in seiner Form weniger darum, Regeln der Forschung als vielmehr eine Haltung zu dieser zu vermitteln, und – wie es Breidenstein und Hirschauer in ihrer Einführung in die Ethnographie nennen – ein »Orientierungswissen« zu offerieren (2015: 9), das sich zur Bearbeitung und Weiterentwicklung anbietet und dazu aufruft. Bei aller Theorie und methodischen Reflexion ist der Bezugspunkt immer die vermittelnde Praxis in ihrer Diversität und Komplexität. Diese zu erfassen und daraus ein Buch zu entwickeln, wäre nicht ohne das Team des Verbund-Forschungsprojekts möglich gewesen.
Vorwort | 13
DANK Mein Dank richtet sich daher als erstes an die damaligen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen der Teilprojekte Miriam Leysner, Esther Pürgstaller, Helena Rudi und Lea Spahn für ihre umfangreichen empirischen Erhebungen im Feld und die Bereitschaft, ihre Beobachtungen und Aufzeichnungen selbstkritisch vergleichend und zusammenführend zu diskutieren. Der Dank gilt auch Miriam Leysner für das Zusammenstellen von Materialien sowie Lena Kunz und Jana Winterhalter für die unterstützenden Recherchen. Nils Neuber und Claudia Steinberg danke ich für die anregende Projektkooperation und die gemeinsamen Diskussionen und Präsentationen. Mein besonderer Dank gilt Martin Stern. Er leitete die Teil-Forschungsgruppe unseres Projekts an der Universität Marburg. Der von ihm und Lea Spahn entwickelte Reflexionsbogen für Tanzpädagog*innen (Stern/Spahn 2020) wurde in enger Verzahnung mit dem auf wissenschaftliche Methodik angelegten Kölner Projekt entwickelt. Darüber hinaus hat er in unzähligen Gesprächen und Kommentaren dieses Buchprojekt gefördert. Michael Rappe danke ich herzlich für die vielen interdisziplinären Hinweise zum HipHop und sein ermutigendes Feedback. Darüber hinaus möchte ich nachdrücklich Marisa Berg, Pauline Michel und Corina Milena Hofner für das kritische und inspirierende Lektorat danken. Ihr wart großartig! Und dann gilt nicht zuletzt mein ausgesprochener Dank jenen, die uns ihre Praxis haben beobachten lassen und so bereitwillig darüber sprachen. All jenen, die Tanz vermitteln, sich begeistert aneignen und die Verfahren dafür immer wieder neu reflektieren und weiterentwickeln, ist dieses Buch gewidmet. Yvonne Hardt Köln, April 2023
Einleitung
Eine Schar Schüler*innen ist in einer großen Turnhalle zu sehen. Der Choreograf und eine Tänzerin ermahnen die Schüler*innen leise zu sein, sich zu konzentrieren, den Anweisungen zu folgen: Sie sollen darauf achten, wie sie sich im Raum aufstellen, sich auf genaue Zählzeiten und Schritte konzentrieren oder die Arme mit einem spezifischen Gefühl nach oben strecken. Es folgt ein Schnitt auf die Berliner Philharmoniker. Immer wieder wechseln die Orte, vom gut etablierten Tanzstudio zu Jugendlichen, die vor dem Hintergrund von Plattenbauten gezeigt werden und darüber sprechen, wie sie hoffen, vielleicht doch mehr als den Hauptschulabschluss zu schaffen. Charismatisch treten der Choreograf und der bekannte Dirigent in den Blickpunkt, um die Arbeit der Kinder zu loben, sie als Herausforderung, als Potential, als wunderbare, nicht immer konfliktfreie aber hoch inspirierende Zusammenarbeit zu beschreiben und ihre jeweilige Kunst – das Tanzen und die Musik – als das zu beschreiben, was sie in der eigenen Kindheit und Jugend aus ihrer Außenseiterposition gerettet hat. Zum Schluss folgt der große Auftritt: Die in den Probeaufnahmen scheinbar einfach anmutenden Bewegungsfolgen, wie sich gestaffelt auf den Boden legen, mit ›Pfoten‹ wild in der Luft fuchtelnd oder in Reihen raus und rein rennen, werden nun in der Gesamtschau mit Musik und Licht zu einem beeindruckenden Gefüge. Einzelne sind kaum zu erkennen, Dynamik und Energie werden zu den hämmernden Rhythmen der Musik vermittelt. Tobender Applaus!1
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Siehe den Dokumentarfilm Rhythm is it! You can change your life in a dance class (2004) von Thomas Grube und Enrique Sánchez Lansch zum gleichnamigen Projekt. Über sechs Wochen studierten Maldoom und Rattle Le Sacre du
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Kein anderes Projekt wie die von Royston Maldoom und Simon Rattle mit mehr als 250 Kindern, Jugendlichen und den Berliner Philharmonikern realisierte Le Sacre du Printemps-Aufführung (2003/4) hat so eine mediale Aufmerksamkeit erfahren und dient als vielzitierte Referenz, wenn es um Tanz und kulturelle Bildung geht. Der dazu entstandene Film Rhythm is it (Grube 2004) ist weltweit bekannt geworden. Es ist in vielerlei Hinsicht ein pathetischer Film, der einen Weg zeigen möchte, wie durch das Erlernen von Disziplin, den Glauben an sich selbst und vor allem die Hingabe und Leidenschaft für Musik und Tanz Vieles im Leben bewegt werden kann. Es gibt mittlerweile viele weitere Dokumentationen aus dem Bereich, die ähnliche Themen, Narrative und Interpretationen zu Tanz als kulturellem Bildungsfaktor präsentieren.2 Sie zeigen das Besondere dieses Feldes kultureller Bildung, in dem über körperliche Nähe, das Wagen an den Grenzen der Körper, Berührungen und Emotionen neue sinnliche Erfahrungen und persönliche Entwicklungen ermöglicht werden. Andere fokussieren noch mehr das eigenständige Arbeiten und die Gestaltungsprozesse von Schüler*innen. Schulen machen mit professionellen Filmen Werbung und in den sozialen Netzwerken posten Großeltern die Auftritte ihrer Enkel. Diese Filme zeigen und überformen das Bild von Tanz im Kontext kultureller Bildung und seinen Potentialen: Das reicht vom Erwerb physischer und künstlerischer Fähigkeiten über das Erlernen sozialer und emotionaler Kompetenzen und Anerkennung bis hin zur Förderung von Inklusion und Diversität. Trotz aller Euphorie für solche Projekte werden die dahinterstehenden Produktionsformen nicht immer einhellig positiv gewertet. So gibt es vereinzelt Kritik an den Arbeitsmethoden von Maldoom und den Vertreter*innen einer als zu ›autoritär‹ verstandenen Methodik (Klinge 2010: 82, Seitz 2011: 24), seltener jedoch an den dort artikulierten Potentialen und
Printemps ein, das in der Arena Berlin präsentiert wurde (Premiere: 28.01.2003) https://www.berliner-philarmoniker.de/fileadmin/assets/b0eba4d5-8fae-46dc958 4-36fc7d870708.pdf. 2
Siehe auch Tanzträume. Jugendliche tanzen Kontakthof von Pina Bausch (2009) von Anne Linsel und Rainer Hoffmann dokumentiert das Projekt, für das rund 40 Schüler*innen Wuppertaler Schulen unter der Leitung der ehemaligen Bausch-Tänzerinnen Jo Ann Endicott und Bénédicte Billiet das Stück Kontakthof im wöchentlichen Rhythmus über ein Jahr (2007-2008) hinweg einstudieren.
Einleitung | 17
Wirkungsdimensionen von Tanz, und noch seltener an den medial inszenierten Differenzen und Modi, in denen Wissen um Tanz im Bereich kultureller Bildung vermittelt und dargestellt wird. Denn eines steht fest: Seit Rhythm is it konnte Tanz im Kontext kultureller Bildung an Bedeutung gewinnen. Zahlreiche Verbände und Weiterbildungsorganisationen, Fördertöpfe für Praxis und Forschung haben dem heterogenen und einstmalig unorganisierten Feld tänzerischer Vermittlungspraktiken eine wachsende institutionelle Rahmung gegeben.3 Immer mehr Menschen, vor allem Jugendliche und Kinder, sind in den letzten 15 Jahren mit (zeitgenössischen) Formen des Tanzes in Kontakt gekommen. Dabei sind die Arbeitsbedingungen im Feld keinesfalls immer ideal: Künstler*innen und Tanzvermittler*innen befinden sich oftmals in einer finanziell prekären Lage, (auch aufgrund einer fehlenden Anerkennung von Tanz als Schulfach und den damit fehlenden Karrierechancen). Abseits dieser institutionellen und finanziellen Probleme scheint Tanz jedoch als körperlich-sinnliche Praxis geradezu für kulturelle Bildungsarbeit prädestiniert zu sein (Bischof/Nyffeler 2014; Klinge 2019). Insofern Tanz über alltägliche Routinen und Normierungen hinausweist, werden ihm vielfältige Gelegenheiten für den Bruch mit bestehenden Ordnungen und der Erprobung neuer, individueller Möglichkeitsräume und der Erkundung neuer Themen zugesprochen (Westphal 2009; Klinge 2010; Stern 2011). In der Forschung wird dabei von mehrdimensionalen Prozessen ausgegangen, die auf motorischer, sozial-emotionaler und kognitiver Ebene stattfinden (Behrens 2012; Bonbright et al. 2013; Konowalczyk et al. 2018). Tanzen macht Spaß, kreativ und ist ein Alleskönner, so könnte die teils euphorische Forschung zusammengefasst werden. Doch auf welcher Basis und mit welchen Methoden lässt sich das genau erforschen? Mit welchen Begrifflichkeiten und theoretischen Grundannahmen operiert welche Forschung? Welche Aspekte von Tanz und kultureller Bildung geraten damit ins Blickfeld und welche nicht? Diese Fragen zielen auf die theore-
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Hier wären u.a. zu nennen: »Tanztreffen der Jugend« (Berliner Festspiele); »chancetanz« (»Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung« und »Aktion Tanz – Bundesverband Tanz in Bildung und Gesellschaft e. V.«); »Take-off: Junger Tanz« (Düsseldorf); »TanzZeit« (Berlin). Zudem ist Tanz stärker in etablierte Programme wie »JeKits – jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen« integriert.
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tischen und inhaltlichen Setzungen der mittlerweile etablierten Forschung zu Tanz im Kontext kultureller Bildung. Eine Reflexion dieser Setzungen und methodischen Vorgehensweisen bildet hier den Ausgangspunkt, Forschung kritisch in den Blick zu nehmen und darauf aufbauend eine Forschungsheuristik bzw. eine Forschungsmatrix zu entwickeln. Von einer Forschungsmatrix, eher als einem methodischen Katalog zu sprechen, bietet sich an, da es um die Verflechtungen, Überlappungen und unterschiedlichen Positionierungen innerhalb der Forschung geht. Diese Matrix fragt also: Welche Stränge werden in der Forschung mehr betont als andere? Wie lassen sich neue Wege bahnen oder altbekannte neu verschränken?
WAS WIRD ERFORSCHT? Im Zentrum der Publikation stehen Fragen und die methodische Reflexion von Forschung, die sich von den Begriffen, Themen, Praktiken des Tanzes nicht trennen lassen. Fragen nach Begriffen führen nicht weg von der tänzerischen Praxis, sondern mitten in sie hinein. Begriffe sind zentraler Teil von Praxis und wichtig, um die Vielfalt und Differenzen wahrnehmen zu können. Begriffsklärungen und -diskussionen sollten dabei auf der grundlegendsten Ebene der Verständigung über den ›Gegenstand‹ beginnen: Was ist genau gemeint, wenn von ›dem‹ Tanz und ›seiner‹ Bildungsrelevanz die Rede ist? In einer bildungstheoretisch fundierten Forschung gibt es mittlerweile eine dezidierte Reflexion der Bildungspotentiale von Tanz. Es wird nicht mehr von ›der‹ generellen Bildungsrelevanz des Tanzes ausgegangen. So fragt Antje Klinge pointiert »Alles Bildung oder was?« und zeigt auf, dass es Kriterien methodischer, begrifflicher und bewegungsgenerierter Form zu beachten gibt, die bestimmen, ob etwas als bildsam zu verstehen sei (Klinge 2010: 79). Allerdings ist solch eine Diskussion weit weniger ausgeprägt in Bezug auf das Gegenstandsverständnis von Tanz. Vielmehr gibt es eine Tendenz, Tanz indirekt als Phänomen leiblichsinnlicher Welterfahrung (Fleischle-Braun 2000; 2009; Westphal 2018; Klepacki/Liebau 2008) oder in Bezug auf künstlerische Verfahren und Definitionen zu essentialisieren, auch dann, wenn sie als grundlegend recherchebetont und offen verstanden werden (Barthel 2018: 21). Was solch ein Tanzverständnis für die Forschung konkret bedeutet, welche Praktiken, Er-
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fahrungen und Deutungen damit ins Blickfeld rücken und welche nicht, wird später zur Reflexion gestellt (Kapitel 2). Hier sei nur angemerkt, dass übergreifende Definitionen meist nicht der Komplexität der Praxis gerecht werden und nicht erklären, welche tänzerischen Praktiken in Bezug auf kulturelle Bildung analysiert werden und welche nicht. Was hat beispielsweise die adrenalingesättigte Erfahrung eines großen Bühnenauftritts einer Schüler*innengruppe mit einer ebenso aufgeregten Formation zu tun, die gerade kommerziell für einen Fernsehauftritt gecastet wurde, und diese wiederum mit einer langjährigen Tanzgemeinschaft, die seit Jahren Volkstanz praktiziert und nun neuerdings an Schulen eine AG anbietet? Wieso und wann werden diese Praktiken dem Feld kultureller Bildung zugeordnet, wann nicht und wovon hängt das ab? Welche kleinen, größeren oder ungewollten Ausschlüsse werden praktiziert? Wer nimmt an den untersuchten Angeboten teil, in welchen Kontexten und wie bestimmt das, ob eine Praxis unter dem Label kultureller Bildung verstanden wird? Für wen eröffnen diese Praktiken ›neue‹ Perspektiven, Erfahrungen, Kenntnisse, Reflexionsräume und für wen nicht oder auf andere Weise? Wieso steht das ›Neue‹ und ›Andere‹ so hoch im Kurs (um Bildungsrelevanz oder interessante Arbeitsverfahren aufzuzeigen)? Und was sagen und machen Kinder mit solchen Tanzangeboten, die aus ›defizitär‹ definierten Kontexten stammen? Inwiefern lassen diese sich als ›Zielgruppe‹ überhaupt erfassen? Die Fragen zielen sowohl darauf, die Uneinheitlichkeit des Feldes als auch die Kategorienbildung der Forschung zu analysieren. Um sie bearbeiten zu können, bedarf es einer Methodenreflexion, die Differenzen und Vollzugswirklichkeiten tänzerischer Vermittlungs- und Aneignungspraxis ins Blickfeld rückt. Was tun Menschen also, wenn sie unter dem Label ›Tanz in Schulen‹ oder ›Community Dance‹ oder allgemein dem der kulturellen Bildung im Tanz arbeiten? Dabei gilt es zugleich zu fragen, wie diese Differenzen und Vollzugswirklichkeiten erforscht werden können. Welche Fragen können also zu einer deutlichen Begriffs- und Methodendiskussion anregen? (Wie es kritisch gefordert wird u.a. bei Rat für Kulturelle Bildung e.V. 2015; Fink 2015; Zirfas 2017). Wie kann der Nutzen solch einer Forschung auch für die Praxis deutlich gemacht werden? Dass solch eine begriffliche und methodische Diskussion zielführend ist, lässt sich vor dem Hintergrund der Forschungsliteratur im Feld zeigen.
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METHODENREFLEXION? – FORSCHUNGSSTÄNDE Die Forschung zu kultureller Bildung und Tanz ist mittlerweile ausdifferenziert. Die Beschreibungen und Systematisierungen von unterschiedlichen Best-Practice-Modellen geben einen Einblick in die Diversität von tänzerischen (Vermittlungs-)Praktiken (u.a. Arbeitsgruppe Evaluation und Forschung des Bundesverbandes Tanz in Schulen e.V. 2009; Eger 2014; Klinge 2010; Westphal 2018). Phänomenologische und bildungstheoretische Studien zeigen auf, wie sich über die tänzerische Praxis Wahrnehmung von Selbst- und Weltverhältnissen verändern kann (Klinge 2019). Sportwissenschaftliche oder psychologische Studien sind daran interessiert, wie sich das Selbst-Bild oder die Kreativität durch tänzerische Interventionen positiv beeinflussen lässt (Pürgstaller 2020; Freytag 2019; Rudi 2019; Steinberg et al. 2017). Didaktisch, bildungstheoretisch oder psychologisch orientierte Studien verschränken sich hier unter anderem mit zahlreichen theoretischen Referenzen (die von leib-phänomenologischen, symboltheoretischen über gender- und identitätskritischen Theorien hin zu solchen der Intersektionalität reichen) und auf die im Verlauf des Buchs noch im Detail eingegangen wird. Was diese Forschung jedoch übergreifend teilt – trotz aller theoretischer und methodischer Differenzen – ist, dass sie primär darauf zielt, entweder die Bedeutung und idealtypische Verfahren tänzerischer Vermittlungspraxis oder die Wirkungen dieser im Kontext kultureller Bildung darzustellen. Eine kritische Diskussionskultur in Bezug darauf, was die einzelnen Forschungsperspektiven leisten können, ist daher nicht vom vorrangigen Interesse. Das bedeutet nicht, dass es im Feld der Tanzvermittlung und der dazugehörigen Praxis keine kritische Reflexion gibt. Es lässt sich ein (selbst)reflexiver Gestus feststellen: Allerdings wird diese Reflexion zumeist im Kontext von Debatten um ›Qualitätssicherung‹ oder als Teil von Evaluationen geleistet (Arbeitsgruppe Evaluation und Forschung des Bundesverbandes Tanz in Schulen e.V. 2009; Eger 2014).4 In diesem Rahmen wird versucht, sowohl verbindliche als auch teils implizite Normen und Standards in der Tanzvermittlung zu setzen (Fleischle-Braun/Kessel 2019; Bamford
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Eine Ausnahme ist der Stern und Spahn entwickelte Selbst-Reflexionsbogen für Tanzvermittler*innen (2020).
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2006; Eger 2014). Ziel solcher Reflexionsverständnisse ist es somit, eine für die institutionelle Rahmung, Weiterbildung und Förderung nutzbare Engführung zu leisten (Unterberg 2018), jedoch weniger, die Komplexität tänzerischer Vermittlung zu analysieren oder eine Bandbreite von Forschungsperspektiven zu eröffnen. Eine, die immer wieder eine dezidierte Kritik der Forschung geleistet hat, ist Klinge. Sie hat bereits 2012 in einem Vortrag nicht nur einen systematischen Überblick über die Forschung gegeben, sondern auch die normativen Setzungen einer hermeneutischen tanzpädagogischen Forschung und die gegenstandskonstituierenden Dimensionen einer von ihr als ›positivistisch‹ erachteten quantitativen-empirischen Forschung herausgearbeitet (Klinge 2012). So zielführend ihre Kritik ist, so gilt es auch zu fragen: Gibt es eine Forschung, die frei von normativen Setzungen ist und die ihre Gegenstände nicht konstruiert? Geht es nicht vielmehr darum, in einer methodischen Reflexion zu erfragen, welche Normen die eigene Forschung leiten, und wie Gegenstände jeweils konstituiert werden. Welches Verhältnis hat welche Forschung zu welchen theoretischen Referenzen? Wie können die eigenen Setzungen und Normen transparent gemacht oder bearbeitet werden? Mit welchen Normen und Setzungen wollen wir operieren, mit welchen nicht, und warum? Die Forschungsliteratur zu Tanz im Feld kultureller Bildung unterscheidet sich dabei wenig vom allgemeinen Trend im Feld kultureller Bildung. Methodenreflexion geschieht für kulturelle Bildung allgemein meist anhand einer spezifischen (theoretischen) Rahmung und wird dann an einzelnen Fallbeispielen verdeutlicht (Fink et al. 2012; Fink 2015; Arbeitsgruppe Evaluation und Forschung des Bundesverbandes Tanz in Schulen e.V. 2009). Eine Ausnahme bietet Rittelmeyer, der in Bildende Wirkungen ästhetischer Erfahrungen. Wie kann man sie erforschen? (2016) eine umfassende Rahmentheorie anhand zahlreicher künstlerischer Felder vorstellt, die einerseits dezidiert nach der Spezifik künstlerischer Tätigkeiten fragt und andererseits körperliche Resonanzen und Prozesse, Erfahrungen und biographische Kontexte als Bausteine einer übergreifenden Analysestrategie aufzeigt. Allerdings ist diese Rahmentheorie im Bereich des Tanzes wenig rezipiert worden. Auch lässt sie bewusst soziale Kontextualisierungen außen vor, die jedoch in dieser Forschungsmatrix als wichtig erachtet werden. So fehlt es mit wenigen Ausnahmen an Studien, die körperliche
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Praktiken und ihre Diskurse zugleich in ihren sozialen Verortungen miteinander verschränkt betrachten. Praxeologische Forschungsansätze bieten hier eine Möglichkeit solche Parameter zu erfassen (Reckwitz 2003; Hillebrandt 2015). Im Rahmen eines sozialwissenschaftlichen Turns bzw. eines sogenannten Turn to Practice in den Kulturwissenschaften hat sich eine praxeologische Perspektive mittlerweile auch in den Tanz- und Theaterwissenschaften etabliert (Klein 2014; 2015; Kleinschmidt 2018; Wihstutz/Hoesch 2020; Husel 2020). Wie produktiv ein praxeologischer Zugang für die Erforschung von kultureller Bildung sein kann, macht Barthel (2017) an der detaillierten ethnografischen Erfassung und Auswertung von zwei größer angelegten Tanzprojekten deutlich. Sie entwickelt daraus Fragen und Kategorien, wie künstlerische vermittelnde Projekte zu verstehen sind. Sie wird daher noch eingehender im Kapitel 3 vorgestellt. Wie Viele ist jedoch auch sie daran interessiert, eine möglichst ›ideale‹ Form kultureller Bildungsarbeit in einer »relationalen Vermittlungspraxis« (ebd.) zu entdecken. So werden zwar Hierarchien und Machtdifferenzen innerhalb der Projekte thematisiert, diese werden jedoch weder an Diskurse, Normen, Setzungen – also Ein- und Ausschlusspraktiken des Feldes – angebunden, noch werden die Unvereinbarkeiten und Widersprüchlichkeiten als Teil des Feldes transparent gemacht. Dies ist einerseits vor dem Hintergrund einer enorm konstruktiven und konsensorientierten tanzpädagogischen Haltung und andererseits vor dem starken Begründungs- und Rechtfertigungsdrang der Forschung zu erklären. Genau an dieser Stelle setzt die vorliegende Publikation an. Denn so zielführend der Fokus auf Wirkungsdimensionen und Best-PracticeModelle des Tanzes kulturpolitisch und in der Vermittlung an Laien sein mag, so gilt es doch auch, einen kritischeren Blick auf die Forschung im Kontext kultureller Bildung im Tanz zu werfen und einen methodischen Rahmen anzubieten, um genauer nach dem Wie von Tanzvermittlung und deren Erforschung zu fragen. Dafür schlägt diese Forschungsmatrix kein einheitliches Vorgehen vor. Sie ist in großen Teilen von einem praxeologischen Forschungsverständnis geleitet, in dem qualitativ-empirische Methoden mit diskursanalytischen Verfahren und kritischer historischer Analyse verbunden werden können. Damit sollen die Komplexität von Tanzvermittlung und -aneignung sowie aktuelle Dynamiken des Feldes (z.B. der derzeitige Einfluss somatischer Praktiken) zugleich an Vollzugswirklichkeiten der Praxis erforschbar als auch historisch und machttheoretisch reflektiert
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werden. So nehmen institutionelle Rahmungen von (Hoch)-Schulen, Förderrichtlinien ebenso wie Formate von Tanzvermittlung auf die Konstruktion von Gegenstandsverständnissen von Tanz Einfluss (Hardt/Stern 2011). Sie sind Teil dynamischer Verteilungskämpfe (z.B. Ressourcen der Produktion, Sichtbarkeit) und (re-)formieren ästhetische und pädagogische Orientierungen des Feldes. All diese Aspekte lassen sich nur bedingt isoliert untersuchen als vielmehr erst in ihrer Wechselbezüglichkeit und Abgrenzung voneinander verstehen. Diese Forschungsheuristik ist also ein Plädoyer für eine kritische Wissenschaft zu kultureller Bildung, die ihre Anknüpfungspunkte in einer methodisch reflektierten kultur- und kunstwissenschaftlichen sowie qualitativen empirisch-sozialwissenschaftlichen Perspektive findet (Klepacki 2014; Breidenstein et al. 2015).
ZIELE Diese Publikation möchte auf eine theoretische und methodologische Schärfung hinwirken, die der Komplexität und Widersprüchlichkeit der Praxis (tänzerischer Vermittlungs- und Aneignungspraktiken in ihren diversen Kontexten und Konstellationen) Rechnung trägt. Viele der aufgeworfenen Fragen und Kategorien ergeben sich einerseits auf der Grundlage einer umfassenden mehrperspektivischen, ethnographischen Erfassung des Feldes, die im Rahmen des Verbundforschungsprojekts »Kulturelle Bildungsforschung im Tanz: Entwicklung eines domainspezifischen Analysemodells sowie domainspezifischer Erhebungsmethoden«5 (Kubi-Tanz) sowie anderer kleinerer Forschungsprojekte erfolgte. Andererseits wird eine vergleichende Auswertung von Forschungsliteratur immer wieder zum Anlass genommen, Referenzpunkt zu setzen und historische Quellen als Material der Analyse und des Vergleichs zu diskutieren. Damit möchte diese Publikation sowohl dazu anregen, theoretische und methodische Überlegungen zu schärfen, als auch domänenspezifisch zu sein. Es gilt also zu fragen: Welche besonderen Herausforderungen und Setzungen gehen mit dem Feld kultureller Bildung und Tanz einher?
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Für eine Beschreibung siehe Fußnote 2 (Vorwort). Eine eingehende Diskussion zu Material und Erhebung findet sich in Kapitel 2.
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Wieso kann eine Reflexion dieser Spezifik auch für andere Forschungsbereiche von Relevanz sein? Welche postulierten Unterschiede zu anderen Feldern gilt es als Mythen zu dekonstruieren? Welche Begrifflichkeiten gibt es in tanzvermittelnden Konstellationen für Verfahren, Strukturen und Prinzipien? Wie lassen sich diese Begrifflichkeiten historisch perspektivieren? Welche interdisziplinären Perspektiven sind gefragt, um Kontextualisierungen leisten zu können? Solche Fragen zu stellen und sie an der Diskussion einzelner Begriffe und zahlreicher Beispiele zu erörtern, dient einer detaillierten, informierten und kritischen Blickschulung auf das Feld und auf die eigene Forschung. Gleichzeitig möchte diese Forschungsheuristik demonstrieren, dass es eines Wissens um das Feld und dessen Praktiken und Diskurse für eine differenzierte Forschung bedarf, da es sich durchaus von anderen Feldern kultureller Bildung unterscheidet. Die Publikation richtet sich somit sowohl an Expert*innen, Forschende oder Studierende aus dem Feld des Tanzes als auch an jene, die sich ohne weiteres Fachwissen ein domänenspezifisches Wissen und methodische Problemstellungen, die mit tänzerischen (Vermittlungs-)Praktiken einhergehen, aneignen möchten. Nicht alle im Feld kultureller Bildungsforschung müssen praktische Erfahrung im Tanz haben. Und dies kann sehr gewinnbringend sein, denn die impliziten Regeln, die unausgesprochenen Selbstverständnisse können hier idealerweise sehr viel deutlicher werden. Hingegen können (sprachliche) Differenzen innerhalb des Feldes, fachliches Know-How und historisch gewordene Figurationen eher weniger schnell erkannt werden. Diese ›Einführung‹ versucht daher beides: Sie möchte Tanz für jene, die ihn praktizieren und erforschen, wieder befremden und jenen, die mit einem domainspezifischen Vokabular und Wissen des Feldes noch nicht vertraut sind, durch die Fragen und Beispiele dahingehend Begriffe und Wahrnehmungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Ergebnis einer auf solche Art und Weise reflektierten Forschung wäre, dass weniger von ›dem‹ Tanz gesprochen wird, dass er also weder in seiner Konstitution noch in seiner Wirkung verallgemeinert oder mystifiziert wird. Vielmehr geht es darum, das differenzierte Wissen der Praktik, die Bedeutungszuschreibungen und Erfahrungsdimensionen Einzelner wie auch Gruppen in den Blickpunkt zu rücken. Dazu gehören auch die institutionellen und diskursiven Setzungen, die konstitutiver Teil dieser Praktiken und Erfahrungen sind.
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Solch eine wissenschaftliche Perspektivierung möchte auch darauf hinwirken, die (›unsichtbaren‹) Grenzen und Abgrenzungen zwischen dem (tanz-)pädagogischen Forschungsfeld einerseits und der als eher theorieaffin erachteten Forschung im Kontext von (kultureller) Bildung oder den jeweiligen Kunstwissenschaften andererseits weiter durchlässig zu machen. Die Auseinandersetzung mit kultureller Bildung im Tanz kann so zu methodischen Reflexionen über das Feld von Tanz und kultureller Bildung hinaus beitragen.
SCHWERPUNKTE DER FORSCHUNGSHEURISTIK Der hier vorgestellte Fragenkatalog ist nicht als festgelegter Leitfaden, sondern als Teil einer flexiblen Forschungsmatrix zu verstehen, die drei spezifische Schwerpunktsetzungen vornimmt, die sich aus Beobachtung des Feldes, der Auswertung der Literatur ebenso wie aus meinen spezifischen Interessen und disziplinären Kontexten als Tanzwissenschaftlerin und Historikerin mit einem ausgeprägten Interesse für Methodologie sowie den Erfahrungen als Choreografin und Tanzvermittelnde ergeben. Dabei operieren diese Schwerpunkte quer und übergreifend zu den jeweiligen Fragen, Begriffen, Kategorien und den sie erläuternden Beispielen. 1. Die Reflexion von Begrifflichkeiten, theoretischen Setzungen, Gegenstandsverständnissen und der jeweiligen Forschungsperspektive. Ziel ist es, unabhängig von der thematischen und methodischen Ausrichtung eine Selbstreflexion der Forschenden unter anderem in Bezug auf das Tanzverständnis, die Konstruktion des Feldes durch Vorannahmen, Konzeptionen, tänzerische Erfahrung, wissenschaftliche Verortung und Ausbildung, Grenzen der eigenen Perspektive, Fragestellung und Kategorienbildung zu fördern. Welche theoretischen Prämissen sind mit der jeweiligen Forschung implizit oder explizit verbunden? Hierfür ist es auch von Bedeutung, eine systematisch vergleichende Forschung zu Tanz und kultureller Bildung anzuleiten, die eine eigene Positionierung im Wissen um bisherige Forschung ermöglicht. Ein Anliegen ist es, darauf hinzuwirken, dass Fachliteratur nicht nur auf ihre Ergebnisse, sondern auch auf Meta-Ebenen und methodische Prämissen hin rezipiert oder diskutiert wird, um so Möglichkeiten zur eigenen Positionierung im Feld konkreter zu erfassen. Eine solche Lektüre würde dazu führen, nicht
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nur in den Blick zu nehmen, was der jeweilige Text inhaltlich darstellt, sondern wie und unter welchen Fragestellungen und Annahmen, in Bezug auf welche impliziten oder expliziten theoretischen Referenzen er das tut. Dazu gehört auch aufzuzeigen, wie (differente) Begrifflichkeiten des Feldes und der Forschenden unterschiedliche Gegenstands- und Leistungsverständnisse hervorbringen bzw. mit diesen verwoben sind: Wird beispielsweise das, was Teilnehmende tun, als »Schritte-Machen« oder »Bewegung(sphrase)« beschrieben, »üben« sie oder »eignen« sie sich die Bewegung »an«, sind sie dabei »präzise« oder »differenziert«? Für solche Differenzen in der Beobachtungsbeschreibung zu sensibilisieren und die damit verbundenen Wertesysteme, die gleichermaßen Praxis wie Theorie tangieren, offen zu legen, ist ein Ziel dieser Publikation. Anhand von empirischen Daten, die multiperspektivisch erhoben wurden, wird in der Heuristik nachvollziehbar, welche Differenzen bei den Beobachtungen von gleichen Situationen auftreten können (Kapitel 2). Diese Differenzen gilt es nicht per se zu vermeiden, sondern analytisch fruchtbar zu machen. Dazu gehört auch für eine theoretische Sensibilisierung zu plädieren, um sinnvolle »Wahrnehmungseinheiten« zu entwickeln (Krinninger/Müller 2012: 64; Kelle 2007: 36). Der Fokus auf feldspezifische Sprache erweist sich dabei als hoch bedeutsam vor dem Hintergrund immer noch weit verbreiteter Postulate, die Tanz (pauschal) als eine nonverbale Praxis fassen und dieser dadurch vermeintlich geringere Zugangsbarrieren zuschreiben (Klepacki/Liebau 2008; Fleischle-Braun 2009; Zirfas/Westphal 2014). Ein Blick in die Empirie zeigt, dass Sprache bzw. verbale Kommunikation ein zentraler Teil der meisten Vermittlungsprojekte und informeller Tanzvermittlung ist. Der Sprachanteil nimmt dabei proportional zu, umso mehr die positiv besetzen, ›selbstbestimmten‹ und eher als alternativ betrachteten und zeitgenössischen Arbeitsformen praktiziert werden (Kapitel 7). Die Frage nach den Begrifflichkeiten stellt dabei ein zentrales Bindeglied zwischen Theorie und Praxis dar. Vor diesem Hintergrund bilden Begriffsdiskussionen eine wesentliche Aufgabe der Forschungsheuristik. 2. Blickschulung für die Komplexität der Vollzugswirklichkeiten tänzerischer Vermittlungspraktiken. Die Forschungsheuristik plädiert zweitens für Forschungsdesigns, die sich an den Vollzugswirklichkeiten tänzerischer Vermittlung orientieren und nicht nur Konzepte der Vermittlung oder Schlagworte (entlang von im Feld typischen Abgrenzungen) fo-
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kussieren: Oft stehen Vermittlungskonzepte und die Funktion der Vermittelnden/Künstler*innen im Fokus der Forschung als würden sie die Praxis der Vermittlung verkörpern (Diehl/Lampert 2011; Neuber 2002; Behrens 2014). Das ist selbst dann der Fall, wenn von offenen, selbstbestimmten Lehrkonzepten ausgegangen wird, in denen allen Beteiligten Wissensproduktion zugesprochen wird (DeLahunta/Hoerster 2007; Diehl/Lampert 2011). Ein Blick auf die komplexen Konstellationen zu werfen und zu betrachten, wer wie wo alles an Vermittlungs- und Aneignungsprozessen mitwirkt, kann dazu beitragen, dass in der Forschung positiv aufgeladene Begriffe hinterfragt oder differenzierter betrachtet werden: Beispielsweise werden Begriffe wie Selbstbestimmung, Improvisation, Prozesshaftigkeit gegen solche wie ästhetische Vorgaben, Vormachen oder Produktorientierung ausgespielt (kritisch hierzu Klinge 2004). Nicht nur, dass dabei die Diskussion oft dichotom – also sich gegenseitig ausschließend – geführt wird, sondern es bleiben auch Fragen offen: Welches Verständnis von ›Ästhetik‹ wird hier verwendet? Welche Formen der Improvisation sind gemeint, wie werden sie umgesetzt, wozu führen sie? Um zumeist ungewollte dichotome Konstruktionen und ›ideologisierte‹ Begriffe aufzubrechen, gilt es, die praxisimmanenten Erfahrungen und (körperlichen) Wissenskulturen aller Teilnehmenden in den Blick zu rücken und diese analytisch mit im Feld aufgerufenen Diskursen, Setzungen, Ausschlusspraktiken und impliziten Regeln gegenzulesen. Unter anderem wird die Frage, wie Teilnehmende die Regeln des Feldes erlernen, adaptieren, bearbeiten oder sogar ablehnen, anhand von Auswertungen von teilnehmenden Beobachtungen und unterschiedlichen Gruppengesprächen möglich. Dabei wird nachvollziehbar, dass es nicht zu einer Übereinstimmung von Vermittlungskonzept und Erfahrungen der Teilnehmenden kommen muss: So sollten Vermittlungs- und Aneignungspraktiken in ihren trans-sequenziellen – also über die Zeit sich ereignenden Prozessen – (re)-konstruiert und dabei Differenzerfahrungen der Aneignung aufgezeigt werden (Stern et al. 2020). Dieser Zugang schließt zwar die Analyse von Aufgabenkulturen (z.B. von Übungen, Tasks, Lehrsettings) sowie Konzepten (u.a. von Tanzvermittler*innen und Institutionen) ein, reduziert jedoch tänzerische Vermittlung, Aneignung oder gar kulturelle Bildung im Tanz nicht allein darauf. Um die Komplexität tänzerischer Vermittlungs- und Aneignungskonstellationen als ein Zusammenwirken multipler Faktoren aufzuschlüsseln und hierüber Beobachtungs- und Frageperspektiven zu spezifizieren, ist ei-
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ne ›domainspezifische‹ Blickschulung hilfreich. Dabei zielen die begleitenden Beispielanalysen darauf, unter anderem eine detailliertere Beschreibungskompetenz für Bewegungsgeschehen, Gruppengefüge, choreografische Prozesse und Körperlichkeiten zu fördern. Spannenderweise geraten gerade Bewegungen und Körper in empirischen Beobachtungen und Veröffentlichungen zu Tanz im Bereich kultureller Bildung in ihrer Spezifizität aus dem Blick (außer sie sind selbst Thema). Es wird dann auf die Inhalte, die Themen, die Förderung von Kreativität und Eigenständigkeit oder das Gesagte fokussiert. Die Beispielanalysen in diesem Buch zeigen auf, wie sich unterschiedliche bewegungsanalytische Ebenen (z.B. der Initiation, des Tonus, der Adressierung bestimmter Körperpartien), Generierung von Material und Struktur, Formen der Beteiligung, entstehende Atmosphären und Gruppengefüge in jeweils unterschiedlichen Konstellationen differenzieren lassen und quer gelesen werden können zu den im Projekt oder von Lehrpersonen avisierten Tanz-, Körper- oder Leistungsverständnissen. Dazu gehört auch eine Sensibilität für die Historizität von Bewegungsansätzen, für Prinzipien der Vermittlung sowie Wissen um choreografische und syntaktisch-dramaturgische Strategien. Solch eine Perspektivierung möchte zur kritischen Befragung eines dominanten Tanzverständnisses beitragen, das Tanz oft als »Ausdrucks«Medium versteht, in dem primär emotionale und individuelle Formen von Bedeutung sind (Fleischle-Braun 2012/2013; Neuber 2000). Dass solch ein Verständnis praktiziert und von Teilnehmenden als bedeutsam erfahren wird, soll dabei nicht bestritten werden. Es gilt allerdings, dieses Verständnis zu historisieren und die damit einhergehende Essentialisierung von Tanz und eine Fokussierung auf das individuelle Spüren oder Erleben zugunsten einer Mehrperspektivität zu erweitern. 3. Anbindungs- und Adaptionsmöglichkeiten für interdisziplinäre Forschung und den Transfer in andere Kontexte. Quer zu diesen Beobachtungsparametern gilt es körpertheoretische Fundierungen, institutionskritische und soziologische Perspektiven sowie solche der Inklusion oder Disability Studies einzubeziehen, um damit Anschlüsse an übergreifende aktuelle Forschungsdebatten zu suchen. Damit zielt die Heuristik auf eine Förderung interdisziplinärer Forschung, welche die Auseinandersetzung mit tänzerischer Vermittlungs- und Aneignungspraxis als relevante Dimension im weiteren Feld der Forschung zu (kultureller) Bildung aufzeigt. Beispielhaft ist hier eine Sensibilisierung für die Differenz und Rei-
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bung zwischen tanzästhetischen und tanzvermittelnden Diskursen. So unterstützt die Forschungsheuristik dabei, Bezüge und Konflikte herauszuarbeiten; beispielsweise zwischen institutionskritischen Forschungsperspektiven und solchen, die sich für das Erlernen von sozialen Kompetenzen interessieren (Jackson 2011; Hardt 2014). So werden in zeitgenössischen künstlerischen Praktiken die Subjekte ›dezentriert‹ oder choreografische Entscheidungen an Regelsysteme übertragen, um Vorstellungen von konventioneller Autor*innenenschaft aufzulösen. Hingegen möchten Projekte kultureller Bildung gerade Teilnehmende als autarke und selbstermächtigende Kunstschaffende fördern. Welche Verständnisse von Autor*innenschaft und Subjekt werden dabei jeweils artikuliert? Wie wird jeweils das Verhältnis zwischen Struktur und Agency bzw. Selbstermächtigung verstanden? Ebenso lassen sich mit einer Diskussion von Körperlichkeit Anschlüsse an körpersoziologische Perspektiven aufzeigen (Stern 2012; 2014) und Bezüge zu gendertheoretischen Forschungen suchen: Die Fragen regen z.B. dazu an, Kategorien wie ›Rolle‹ oder ›Stereotyp‹ von Gender, mit denen in der Praxis kultureller Bildung oftmals noch operiert wird, für Perspektiven zu eröffnen, die nicht nur Repräsentation von Gender, sondern auch ein (Un)Doing Gender und Fragen von Ermächtigungsstrategien in diversen Kontexten in den Blick nehmen (Hardt/Weber 2013; Foellmer 2013), die mithin quer zu eigenen ›emanzipierten‹ Wertvorstellungen und Normen verlaufen. Beispielsweise wenn eine Schülerin mit Migrationshintergrund es als eine besondere Aneignung und Emanzipation empfindet, einmal die Prinzessin verkörpern zu dürfen; eine Figur, die sonst – so sagt sie – den »blonden Mädchen« in solchen Projekten vorbehalten sei. Was für den einen stereotyp erscheinen mag, ist für die andere das Erschließen eines Zugangs und neuer Aktionsräume. Mit Fragen danach, welche Gendervorstellungen hier repräsentiert werden, können solche komplexen Aneignungsprozesse nur partiell diskutiert werden. Welche Themenfelder, theoretischen Referenzrahmen bedarf es also, um diese heterogene Praxis zu erforschen? Wie werden Fragen nach der Inklusion erforschbar und in welchem Spannungsverhältnis stehen dazu Autonomie- und Selbstbestimmungsdiskurse, die zeitgenössische Kunst und kulturelle Bildung jeweils anders konturieren? Dabei geben diese Fragen keinesfalls vor, für welche Ziele und thematische Schwerpunktsetzung die Forschungsheuristik zu nutzen ist. Idealerweise kann sie je nach Fragestellung angepasst werden. Viele der hier auf-
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geworfenen Fragen können den Forschungskontext der angeführten Beispiele verlassen, um Möglichkeiten für die Reflexion und Bearbeitung der eigenen Forschungs- oder Vermittlungspraxis zu entwickeln. Allgemein zielt sie darauf ab, eine Offenheit und Neugier für die Vielfalt tänzerischer Vermittlungs- und Aneignungskonstellationen zu generieren, die im Austausch und Aufzeigen des Zusammenspiels von Theorie und Praxis einen ausdrücklichen Mehrwert erkennt und die sich anderseits nicht davor scheut, durch einen kritischen Blick Konflikt, Auseinandersetzung und Widerstreit zu provozieren. Geisteswissenschaftliche und empirische (auch quantitative) Forschungen müssen sich so keinesfalls ausschließen, sondern können gewinnbringend verschränkt werden, ja sie dürfen und sollen sich reiben (Neuber et al. 2020). Ein einseitiges Ablehnen quantitativer Forschungszugänge wäre hier ebenso unangebracht wie eine abwertende Perspektive auf empirischen Case-Studies, die oft auf Erfahrungen und sehr persönlichen Verstrickungen mit dem Feld beruhen. Ebenso gilt es jedoch, die oft artikulierte Ablehnung von Theorie, allen voran bildungstheoretischer oder ästhetischer Perspektiven, als praxisfern abzubauen. Dieses Buch entwirft also eine Forschungsmatrix, die das Material (im weiteren Sinne die Vollzugwirklichkeiten tänzerischer Vermittlungs- und Aneignungspraktiken) immer wieder als Bezugspunkt wählt, aber keinesfalls darauf beschränkt ist, wie die theoretischen Anknüpfungspunkte in den Bereichen der Gender-, Körper-, Bildungs- und dekolonialen Theorien deutlich machen. Damit leistet dieses Buch keine methodische Einführung in dem Sinne, dass konkrete Forschungsmethoden (d.h. methodisches Handwerk) im Detail erklärt werden. Mittlerweile ist die Auswahl an Methoden und Publikationen dazu riesig, sodass gar von einer Qual der Wahl für methodisches Vorgehen gesprochen wird (Denzin/Lincoln 2005). Die hier vorgeschlagene Heuristik versteht Methodenreflexion dahingehend, dass es sicherlich ein Know-How spezifischer Forschungsmethoden bedarf. Im Vordergrund steht jedoch, in welchem Umfang und wie sie für welches Forschungssetting und -interesse von Relevanz sind. Methodenreflexion bedeutet so auch, Methoden für das Forschungsinteresse jeweils neu zu figurieren und sich anzueignen. Für eine qualitative Forschung sind Kenntnisse im Bereich teilnehmender Beobachtung, Interviewverfahren, (auto-)ethnographischer oder videographischer Verfahren und Prozesse der Codierung und Auswertung von Bedeutung. Hierfür steht gute einführende Literatur zu Verfügung
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(z.B. Breidenstein et al. 2015; Hinnink et al. 2011; Ezzy 2002). Ebenso können Situations- und Diskursanalyse oder aus den spezifischen Feldern stammende Bild-, Bewegungs- und Textanalyseverfahren je nach Fragestellung relevant sein. Es gilt diese mithin für die spezifischen Kontexte des Tanzes anzupassen, wie es Matthias Warstat beispielsweise für Formen des Applied Theatre verdeutlicht, indem er für die Verschränkung von empirischen Methoden und jener der Aufführungsanalyse plädiert (Warstat 2020). In den folgenden Kapiteln werden die Probleme und Herausforderungen, die unterschiedliche Erhebungs- und Auswertungsmethoden mit sich bringen, stetig mit thematisiert, sind doch die ausführlichen empirischen Erhebungen zentraler Angelpunkt für die Entwicklung dieser Heuristik. Daher gilt es diese in ihrem Entstehungsprozess offenzulegen. Zugleich bedarf es manch komplexer und paradoxer Manöver, um theoretische Annahmen und Thesen des Feldes mit empirischen Untersuchungen zu verknüpfen (Miethe et al. 2012). Der Band möchte dafür ein Problembewusstsein schaffen. Nach dem Motto: Es lässt sich nichts besser teilen und verallgemeinern als die Probleme, die die Forschung mit sich bringt (Bourdieu/Wacquant 1997: 251). Kontroversen, Konflikte und gut begründete Auseinandersetzungen sind für das Feld und die Forschung wichtig, gerade vor dem Hintergrund der Disposition zur Konfliktfreiheit, die im Feld der kulturellen Bildung und Tanz zu finden ist. Der teils enorm positive und konstruktive Gestus vieler Tanzpädagog*innen und -vermittler*innen und auch jener, die Vermittlungspraktiken erforschen, ist bemerkenswert. Bei einem Zusammentreffen von mehr als 20 Tanzvermittler*innen und solchen, die institutionell im dem Bereich arbeiten, fielen bei einem Brainstorming zu »Reflexion im Tanz« beispielsweise nicht ein einziges Mal Begriffe wie Konflikt, Widerstand oder Scheitern. Diese sind jedoch zentrale Begriffe bildungstheoretischer Diskussionen (Ahrens 2011; Kokemohr 2007; Koller 2011; Stern 2012; und Kapitel 8). Es gilt also mit diesem Buch, ein wenig Diskussion, vielleicht sogar Gegenpositionen und weitere Perspektiven zu provozieren. Um es mit Bruno Latour zu sagen: »I want more words, more controversies, more artificial settings, more instruments, so as to become sensitive to even more differences« (Latour 2004: 211).
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FRAGEN, FORMEN, FORMATE Solch eine kritische Diskussion möchte diese Forschungsheuristik durch Fragen und deren Rahmungen und (Re-)Kontextualisierungen fördern. Dieser ›Fragenkatalog‹ wird begleitet von theoretischen Problemaufrissen und Beispiel(analys)en, die die Bandbreite und Bedeutungsspektren dieser Fragen und den damit aufgeworfenen Begriffen darlegen möchten. Die Fragen sind einzelnen Abschnitten voran- oder nebengestellt, sie sind Teil von Fließtexten, die sie aufwerfen und erklären. Sie werden so in unterschiedlichen Kontexten wiederholt, aufgegriffen und variiert. Die Fragen – im Anhang gekürzt und systematisiert zusammengestellt – können auch ohne die weiteren Erläuterungen für die eigene Forschung genutzt werden. Fragen sind dabei niemals neutral, sie sind immer schon Ergebnis von Forschungsprozessen, Zielsetzungen, theoretischen Referenzrahmen und den impliziten und expliziten Normen und Epistemen, das heißt, den wissenschaftlichen Grundannahmen, die sie mitformen. Sie konstituieren Forschungsfelder und Inhalte. Und sie werden keinesfalls von allen gleich verstanden. Was sich hinter einer Frage verbirgt, bedarf daher der Erklärung. Fragen können umgedeutet, de-kontextualisiert, auf eigene Kontexte angepasst werden. Sie sind Impulse, um sich Felder spielerisch anzueignen und sind ernst gemeintes kritisches Feedback auf die eigenen Wert- und Forschungsmaßstäbe. Sie öffnen Perspektiven, lassen Neues erkennen oder Altbekanntes neu sehen. Sie schränken Perspektiven aber auch ein und dominieren Forschungs- oder Lernphasen. Oder sie lassen einen kalt und wirken uninteressant. Die Methode, mit Fragen eine Forschungsheuristik – im Sinne eines etwas anderen ›Forschungsleitfadens‹ – zu entwickeln, ist vom eigenen Forschungshorizont geprägt. Doch Fragen helfen auch, genau diese Situiertheit (Haraway 1988) und die Konstruktion von Wissen reflexiv aufzuschlüsseln. Daher werden diese Fragen immer wieder neu gerahmt und relativiert. Das Querlesen von empirisch fundierten Beispielen und theoretischen Referenzen durchzieht so diese Publikation. Um der Vielperspektivität und multiplen Formen der Forschung Raum zu geben, changiert diese Publikationen auch in ihrer Form Forschung aufzuarbeiten, also in Texte zu überführen, z.B. in ihrer ›Tonalität‹ und ihrem Stil. Mal ist sie offener, experimenteller und versucht komplexe Verstrickungen kenntlich zu machen, mal ist sie systematisierender, engführender und erklärender mit den damit verbundenen Vereinfachungen.
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BEGRIFFSDISKUSSION: KULTURELLE BILDUNG – EIN PROBLEMAUFRISS Eine Forschungsheuristik, die es sich zur Aufgabe macht, Begriffsschärfungen im Feld zu fördern, kann nicht umhin, auch den hier verwendeten Begriff der kulturellen Bildung bzw. affine Begriffe wie jenen der ästhetischen Bildung oder Bildung im Allgemeinen zu diskutieren. Es geht hier genau darum: diese Begriffe zu diskutieren, in ihren Verweisungszusammenhängen, ihrer Anwendungsvielfalt in Praxis und Forschung und in Bezug auf ihre zugrundeliegenden (impliziten) Konzepte und Theorien in Ansätzen aufzuschlüsseln. Es wird also nicht darum gehen, den Begriff der kulturellen Bildung in ›einer‹ Definition still zu stellen, sondern vorgeschlagene Definitionen zu besprechen und Unterschiede, Potentiale und Probleme solcher Definitionen zu erörtern. Definitionen und Kategorien, die kulturelle Bildung oder auch ästhetische Bildung tangieren, sind weit mehr als theoretische Konstrukte, sie sind vielmehr in die Forschungshierarchien, Bedürfnisse und Fragestellungen der je unterschiedlichen Forschungsvorhaben eingebunden. Wie auch für alle anderen Kategorien der hier vorgeschlagenen Forschungsmatrix dient der Begriff der kulturellen Bildung als ein Suchbegriff, um Fragen und epistemologische ebenso wie empirische Referenzen zu fokussieren. Im Sinne von Mike Bals »travelling concepts« (Bal 2002) können ausgewählte Begriffe dazu fungieren, Forschung über disziplinäre Grenzen hinweg aufeinander zu beziehen. Damit sind keinesfalls Beliebigkeit und prinzipielle Offenheit der Begriffe gemeint. Stattdessen gilt es herauszuarbeiten, wie Konzepte – die Bal in ausgewählten Begriffen erkennt – von einem Ort (ob nun in der Praxis oder der Forschung) zum anderen ihre Bedeutungsbandbreite, ihre Referenzrahmen und sozialen und kontextuellen Bezüge verändern. Somit gilt es auch das Verständnis von kultureller Bildung im Sinne der jeweiligen ›Situiertheit‹ von Wissen zu befragen (Haraway 1988; Slaby/von Scheve 2019). An Übersichtsdarstellung zur Genese und zu Verständnissen des Begriffs kultureller Bildung mangelt es nicht (Bilstein/Zirfas 2017; Liebau 2008/09; Rittelmeyer 2016; Zürner 2015 u.v.m.). Um einen ersten Aufriss zu wagen, wird hier zunächst die Begriffsdiskussion entlang von drei in der Literatur immer wieder auffälligen Kategorien sortiert: 1. die historische Entwicklung und anthropologische Ausdeutung kultureller Bildung, 2. die Unterscheidung von Zielsetzung, Funktionen und den jeweiligen Anwen-
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dungskontexten und 3. die Besprechung der Abgrenzungsstrategien, mit denen das jeweilige Verständnis von kultureller Bildung profiliert wird. Diese Diskussionen erlauben es, die dem Feld der kulturellen Bildung affinen Begriffsfelder der ästhetischen Bildung oder Bildung im Allgemeinen mit zu perspektivieren (Althans/Audehm 2019). Im weiteren Verlauf dieses Buchs wird dann immer wieder aufgegriffen, wie im Forschungsfeld diese Verständnisse von kultureller Bildung implizit oder explizit artikuliert und begründet werden. 1. Kulturelle Bildung und die damit assoziierten Phänomene lassen sich in einem möglichen Erzählstrang historisch auf die sogenannte ›Kulturpädagogik‹ zurückführen, die sich bereits in der Jugendbewegung und Reformpädagogik zu Ende des 19. Jahrhunderts beginnt abzuzeichnen, dann in der Weimarer Republik in der Vereinskultur florierte (Kapitel 1) und sich in den 1960/70er Jahren übergreifend etablierte. Kulturelle Bildung ist demnach mit dem emanzipatorischen Verständnis verbunden, Bildung und Kultur für alle zugänglich zu machen und möchte zugleich das Verständnis von Kultur als Hochkultur unterlaufen (Liebau 2014). Trotz einer Weitung des Kulturbegriffs ist kulturelle Bildung dabei eng mit den jeweiligen künstlerischen Fachdidaktiken, allen voran der Musikpädagogik, verbunden. Die Entwicklung einer Elementaren Musikpädagogik (EMP) oder die Bestrebungen, dass jedes Kind Zugang zu einem Instrument erhält (JeKits – Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen), stehen im engen Zusammenhang mit diesem Verständnis kultureller Bildung. Wird die Geschichte weniger entlang einer Bildungspraxis definiert, die allen zugänglich sein soll, sondern philosophisch oder anthropologisch im Sinne einer persönlichkeitsbildenden Wirkung von Kunst verstanden, so lässt sich die historische Entwicklung bis in die Antike zurückverfolgen (Bilstein 2018; Rittelmeyer 2016: 18). In diesem Falle verwendet die Forschung eher den Begriff der ästhetischen Bildung, der wiederum Schnittstellen zu einer philosophischen Tradition der Ästhetik aufweist. Während ästhetische Erfahrung sich idealtypisch mittelst Kunst ergeben, weist die ästhetische Philosophie bereits frühzeitig darauf hin, dass auch andere sehr weltliche Erfahrungen, allen voran die mit der Natur, ästhetische Dimensionen haben können (Zürner 2015). Philosophische und phänomenologische Perspektiven gehen hier zusammen in der Annahme, dass sinnliche Erfahrungen grundlegend für eine ästhetische Bildung sind. Zirfas und Bilstein
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argumentieren hier zudem, dass sich zwischen solchen Verständnissen unterscheiden lässt, die ästhetische Bildung in Hinblick auf die Entwicklung der Zukunft verstehen und solchen, die sich auf Traditionen beziehen. Ästhetische Bildung sei damit einerseits mit dem Topos der Freiheit verbunden (Schiller). Dafür bedürfe der Mensch – laut Schiller – die Auseinandersetzung mit dem ›Schönen‹, um Welt (auch im revolutionären Sinne) verändern zu können (Bilstein/Zirfas 2017: 29; Rittelmeyer 2005: 147-149). Anderseits entwickelt sich um 1900 zunehmend die Vorstellung einer musischen Erziehung, die nicht auf Freiheit, sondern auf ›Ganzheitlichkeit‹ und ›Einheitlichkeit‹ setzt, um den Auswirkungen einer durch die Moderne provozierten Differenzierung der Lebenswelt entgegenzuwirken (Bilstein/ Zirfas 2017: 30). Dabei wird auf ein vermeintlich antikes Verständnis von ›musiké‹ rekurriert, welches das Zusammenspiel und die Einheit von Sprache, Dichtung und Tanz meint (ebd.). Diese historischen Positionen fundieren auch heute noch unterschiedliche Interpretationen ästhetischer Bildung, die die Förderung der Künste und des Sinnlichen als eine spezifische, eigenständige Form menschlicher Weltaneignung und Erkenntnis begreifen (Rittelmeyer 2016). In den letzten zwei Dekaden ist es in Erweiterung oder auch in Ablehnung dieses oftmals als ›elitär‹ verstandenen ästhetischen Bildungsverständnisses zu jener begrifflichen und konzeptionellen Verschiebung gekommen, indem nun primär von ›kultureller Bildung‹ sowohl in Praxis, Kulturpolitik als auch Forschung gesprochen wird (Klepacki/Liebau 2014; Rittelmeyer 2016). Mit dieser Verschiebung geht ein Bildungsbegriff einher, der nicht allein auf künstlerische Bildungspraktiken bezogen ist, sondern eng verwoben mit anthropologischen Dimensionen und Transferfunktionen kultureller Bildung. So steht ein weiter kultureller Bildungsbegriff in Zusammenhang mit einem Verständnis von Bildung, das in der deutschen bildungstheoretischen Tradition seit Humboldt Bildung deutlich von anderen Formen eines (formellen) Lernens unterschiedet. Bildung ist demnach als Selbstbildung oder gar als eine transformative Bildung zu verstehen, die den Schwerpunkt auf Formen der Veränderung oder Erweiterung des eigenen Selbst- und Weltverhältnis legt (Kokemoor 2007; Koller 2012; Stern 2012;
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Zirfas 2014; Bilstein 2018).6 Diese Bildung entstehe in der Reibung und Auseinandersetzung mit Kultur und Sozialität. Es bedarf also eines durch die Umwelt gegebenen Anlasses für solche Bildungsprozesse. Kulturelle Bildung und Bildung verschwimmen hier tendenziell definitorisch miteinander. In einer weiteren anthropologischen Diskussion kultureller Bildung haben Bilstein und Zirfas (2017) die unterschiedlichen Verständnisse entlang ihrer Funktionen systematisiert. Sie fragen also: Wieso bedarf es der kulturellen Bildung? Hierbei wird deutlich, dass die Transferfunktion kultureller Bildung subtil immer mit verhandelt wird, wenn sie diese unterschiedlichen Funktionen wie folgt aufschlüsseln: a.) Kompensation: Im Zuge einer Kompensationstheorie der kulturellen Bildung wird dieser die Funktion zugesprochen, anthropologische Mängel des Menschen (pädagogisch) auszugleichen (ebd.: 34). Hierbei unterscheiden Bilstein und Zirfas zwischen einer pessimistischen Anthropologie, in der kulturelle Bildung als Disziplinierung und Kanalisierung von Antriebsüberschüssen verstanden wird (Gehlen), und einer optimistischen, wonach kulturelle Bildung als Humanisierung der Menschheit gedacht wird (Herder); b.) Reproduktion, wonach kulturelle Bildung den Fortbestand an kulturellem Wissen ermöglicht; c.) Reflexivität: Als Lust an der Reflexion vermittelt kulturelle Bildung demnach Bildung im Sinne des Vergnügens und nicht des Verstehens. Dabei vermittelt kulturelle Bildung idealerweise ein ästhetisches, historisches, kulturelles, soziales und kritisches Bewusstsein (Hegel). Dieses wird von Bilstein und Zirfas zu einem kosmopolitischen Bewusstsein erweitert, im Sinne einer Öffnung mit Blick auf andere Kulturen. Kulturelle Bildung erscheint so als kritisch historische Bildung (Bilstein/Zirfas 2017: 38); d.) Expression: Kulturelle Bildung wird als die Förderung einer ästhetischexpressive Welterschließung verstanden. Die Hervorhebung der Expression als besonderes Merkmal des Ästhetischen, sowie die »Bindung des Ästheti-
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Dabei ist sicherlich zu erwähnen, dass sich transformative Bildungskonzepte wie sie Marotzki (1990) oder Koller (2011) entwickelt haben, dahingehend von einem humboldtschen Bildungsideal deutlich unterscheiden, dass sie nicht davon ausgehen, dass das Subjekt selbst eigenständig und rational solche Bildungsprozesse forciert oder sucht, sondern dass es Problemstellungen, Konflikt und Scheitern sind, die Anlass zu Bildung geben (Koller 2016).
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schen an die Expressivität« verleiten Bilstein und Zirfas zu einer sehr kritischen Positionierung: Ein Verständnis von kultureller Bildung, das auf die Befähigung eines Ausdrucks zielt, sei kunsttheoretisch und kunstphilosophisch höchst problematisch. Denn so fragen sie: Wer soll denn da was ausdrücken?« (ebd.: 39); e.) Qualifikation: Kulturelle Bildung wird als Erwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Auseinandersetzung mit Kunst verstanden, die über diese hinausgehen. Damit wird auch auf die anglo-amerikanische Diskussion verwiesen, die diesbezüglich von MetaQualifikationen spricht, die in modernisierenden, post-industriellen Gesellschaften zunehmend wichtiger werden (ebd. 41); f.) Irritation: Im Kontext moderner säkularer Zeiten steht Kunst zunehmend für Kontingenz (des Anderssein können), für Erfahrungen des Unerwarteten und Unvorhersehbaren. Kunstwerke werden als eine »Instanz der existenziellen Infragestellung« gesehen, die früher der Auseinandersetzung mit Religion galt (ebd.: 42) und können Beunruhigungen und Fragen zum Ausdruck bringen, die im Zuge der Säkularisierung ihren institutionellen Ort verloren haben (ebd.). In der Forschung im Kontext der Tanzvermittlung werden vor allem jene Aspekte, die Bildstein und Zirfas mit Begriffen wie Expression, Reflexion und Irritation fassen, als zentrale Parameter und oft in Verschränkung miteinander aufgerufen. Exemplarisch hat bereits Ursula Fritsch konstatiert, dass Tanz dann bildsam sein kann, wenn er sich nicht an Schritten und Technik orientiere, sondern zur Reflexion anleite, also zu Fragen vordringt, »die allererst ein Suchen, Entdecken, Entstehen-Lassen von Gestalten auslösen« (Fritsch 1990: 112). Tanz könne so Bewegungsgewohnheiten befragen und der Körper als »empfindungsdurchlässiges Medium« Erfahrungen in und mit der Welt bearbeiten und symbolisieren (ebd.). Diese Perspektive der Bildsamkeit durch körperlich-sinnliche und vor allem Gewohnheiten brechende Dimensionen tänzerischer Praktiken werden dann auch von zahlreichen zeitgenössischen Positionen, allen voran von Klinge (2014; 2017), Barthel (2019), Stern (2010; 2011) aufgegriffen. Tänzerische Praktiken sind demnach als Anlass oder Agens kultureller Bildung zu begreifen, wenn bislang gültige Erfahrungsmuster aufgemischt werden und Um- oder Neudeutungen notwendig machen. Dies geschieht, wenn bestehende Erfahrungen in Frage gestellt werden, »weil sie an Grenzen stoßen, die Widerstand auslösen und Differenzerfahrungen hervorrufen« (Klinge 2010: 90). Doch nicht alle teilen ein eher auf ästhetisch-sinnliche Dimensionen fokussierendes Verständnis kultureller Bildung. Vielmehr sind zahlreiche
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Studien eher Transfergedanken verpflichtet. In diesem Sinne bedeutet kulturelle Bildung, konkrete Formen der Selbstermächtigung, der Teilhabe und des Zugangs zu kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten praktisch zu fördern (Hübner et al. 2017). Auch wenn hier kulturelle Bildung im weitesten Sinne als Teil einer Bildung des Menschen für die Kultur verstanden wird, so steht doch hier die Anwendung (Transfer) und Wirkung im Vordergrund der Definitionen (ebd.). 2. Dieser weitere und auf Transferwirkungen fokussierte Ansatz in der Diskussion um kulturelle Bildung spiegelt sich auch in der internationalen Perspektive wider, wobei zwischen unterschiedlichen Ebenen und Funktionen differenziert werden kann. In einer Systematisierung von Liebau unterscheidet dieser beispielsweise zwischen jenen Modellen, die a.) ökonomisch orientiert sind, d.h. darauf zielen, durch kulturelle Bildung Kreativität und Produktivität für das Erwerbs- und Marktleben zu fördern. Kulturelle Bildung bedeutet demnach, die Produktivität in Bezug auf Problemlösungen in kreativer Weise steigern zu können, b.) einen kulturellen Erbschaftsansatz vertreten, der vor allem im Kontext der UNESCO im Sinne von kulturellem Erbe und dessen Schutz entstanden ist. Kulturelle Bildung wird hier also in Bezug auf die Auseinandersetzung mit einem materiellen und immateriellen Kulturgut verstanden, das eng an Tradition, Hochkultur und Artefakte gebunden ist; dann c.) die einen Fokus auf gesellschaftspolitische-therapeutische Ansätze haben und davon ausgehen, dass kulturelle Bildung allgemein Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe fördern kann. Kulturelle Bildung wird somit als Befähigung zur Selbstermächtigung verstanden, d.) die übergreifend Bildung und Erziehung beeinflussen, hin zu e.) kunstorientiert sind und Bildung durch, mit und in den Künsten in den Blickpunkt rücken (Liebau 2014: 21ff). Die für diesen Kontext oft zitierte Unterteilung in »durch, mit und in den Künsten« aus der Studie von Bamford (2006), auf die sich zahlreiche Publikationen der Forschung zu Tanz beziehen (Klinge 2010; Behrens 2012; Eger 2015), entspricht jenem Definitionsrahmen, der in der kulturellen Bildung in Deutschland besonders bildungstheoretisch und in der Forschung bearbeitet wird. Hierbei werden die definitorischen Abgrenzungsmanöver besonders auffällig, die im Folgenden dezidierter in den Blick genommen werden.
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3. Auf den ersten Blick scheint dabei ein Wust an Definitionen und Debatten für die deutsche Diskussion prägend, die von Referenzen zu ästhetischen Erfahrungsbegriffen, Teilhabezielsetzungen und von weiteren bildungstheoretischen Positionen (Bildung als Selbstbildung, Vorstellungen des unwissenden Lehrenden etc.) beeinflusst sind. So merkt denn auch Klepacki pointiert an: »Der Heterogenität und Pluralität des Feldes entsprechend, hat man es im Diskurs über Kulturelle Bildung über weite Strecken [...] mit Setzungen, Legitimationen und Standortbestimmungen bzw. Zielerklärungen zu tun, woraus ein vielschichtiges begriffliches Konglomerat resultiert, das zwar eine gewisse – latente – Übereinkunft erkennen lässt, das aber zugleich auch vielfältige Konnotationen aufweist und dadurch dynamisch, wandelbar und verhandelbar erscheint. Differenziertes Verstehen, systematische Auslegung, reflexive Interpretation und kritisch-konstruktive Begriffsentwicklung erscheinen daher als konstitutive Mechanismen für die Fundierung und Weiterentwicklung sowohl des wissenschaftlichen als auch des praktischen Feldes der Kulturellen Bildung« (Klepacki 2014: 45).
Wird die Diskussion etwas dezidierter auf Gemeinsamkeiten hin gelesen, so lässt sich durchaus konstatieren, dass trotz einer Weitung des Begriffs im Rahmen der Debatte um kulturelle Bildung der Schwerpunkt auf den Künsten liegt. »Kulturelle Bildung verstehen wir – etwa in Abgrenzung zu Politischer Bildung, Bildung für Nachhaltige Entwicklung, Sportbildung oder anderen – als Bildung, in der der Zusammenhang von Wahrnehmung, Ausdruck, Darstellung und Gestaltung der Welt vorrangig unter ästhetischen Gesichtspunkten in Rezeption und Produktion zum Gegenstand wird« (Liebau et al. 2014: 26).
Es wird spezifischer ausgeführt, dass dieser Begriff weiter sei als der einer musisch-ästhetischen Bildung, die ausschließlich die Vermittlung der Künste im Blick habe, und zugleich enger als jenes Verständnis von kultureller Bildung, welches kulturelle und subjektive Aneignungsformen fokussiere (ebd.). Solche Abgrenzungen zwischen kultureller Bildung und politischer Bildung bzw. des Sportes würden sicherlich für viele tänzerische Vermittlungsprojekte, die im Kontext politischen Protests stehen (siehe hier auch Beispiele in Kapitel 4 und 6.) nicht standhalten. Auch mit der Abgrenzung
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zum Sport geht ein ebenso spezifisches Sportverständnis einher, das dieses primär auf eine wettkampforientierte, normative Leistungsebene bezieht und die zahlreichen kreativen Freizeit-, Laien-, Lifestyleformen des Sportmachens (Stern 2010), zu denen auch Tanzen gehört, nicht einbezieht bzw. den Tanz abseits solcher Leistungsparadigmen in einer bestimmten Weise eng führen würde. Wie viele Definitionen ruft auch diese weitere Fragen auf: Welche Verständnisse des Politischen, Ästhetischen, Sports liegen hier zugrunde? Welche Funktion haben diese Abgrenzungen, ggf. auch in Bezug auf Förderung und Institutionalisierung kultureller Bildung? Wie sinnvoll sind sie für das tänzerische Feld? Es geht hier also nicht darum, einzelne Definitionen nur kritisch zu dekonstruieren, sondern auch danach zu fragen, was sie begründet und welche Funktionen diese Abgrenzungen im Feld der kulturellen Bildung haben und welches für welchen Forschungszusammenhang zielführend sein kann. Der Trend hin zum Begriff der kulturellen Bildung wird jedoch keinesfalls von allen akzeptiert. Eine partielle Ablehnung des Begriffs kultureller Bildung geschieht mit einem warnenden Gestus, dass es hier zu einer Verdinglichung von Kunst komme (Zürner 2015). So wird ein Fokus auf Transferwirkungen als Verlustgeschichte interpretiert. Beispielsweise geht für Zürner mit der Verschiebung von ästhetischer zu kultureller Bildung der Verlust einer kritischen Haltung eben gegenüber dieser »Kultur« verloren (ebd.). Obwohl ein Kulturbegriff, der nicht nur die Künste als Erfahrungsund Reflexionsort des Sinnlichen begreift, auch Vorteile bringe, diagnostiziert Zürner, dass mit dieser Verschiebung von ästhetischer zu kultureller Bildung ein Forschungs- und Begründungsgestus einherginge, der auf allgemeine Kompetenzen abziele und in der kulturellen Bildung ein Heilmittel für jegliche kulturelle Probleme sehe. Damit verbunden sei ein Fokus in der empirischen Forschung, primär nach Wirkungen von kultureller Bildung zu fragen. In einer Fokussierung auf kurzfristige Wirkungen, bleibe – so nicht nur Zürner, sondern auch Steinfeld – kein Platz für die zeitraubende Tätigkeit kultureller Bildung und des Lernens, die sich in der Auseinandersetzung mit widerständigen Praktiken (wie dem Lernen eines Instruments, oder einer fremden Sprache) ereignet und demnach selten demokratisch sei (Steinfeld 2019: 17). Allerdings hat bereits Rittelmeyer darauf hingewiesen, dass eine Trennung von künstlerischen Praktiken und ihren sozialen Auswirkungen und
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Bezugsystemen den künstlerischen Praktiken selbst nicht gerecht wird (Rittelmeyer 2016). Auch in ihrem Selbstverständnis sind künstlerische Praktiken an theoretische Reflexion, gesellschaftsübergreifende Dimensionen und Bedeutungszusammenhänge und Begründungsdiskurse geknüpft. Praktiken wie das Musizieren weisen beispielsweise Fähigkeiten des AufeinanderEinstimmens aus, die sich bereits in der Vermittlung und Aneignung keinesfalls nur als künstlerisch verstehen. So sieht Rittelmeyer nicht das Problem in einer Wirkungsforschung in Bezug auf kulturelle Bildung, sondern in den fehlerhaften und problematischen Setzungen und Kategorienbildung, die dieser Forschung teilweise zugrunde liegen (ebd.). Kritik äußerst sich nicht nur am Begriff der kulturellen Bildung, sondern an einem als ›bürgerlich‹ oder ›elitär‹ verstandenen kulturellen Bildungsverständnis. Demnach wird die Auseinandersetzung mit Kunst im weiteren Sinne bereits als zutiefst distinguierend betrachtet. Beispielsweise sehen Bilstein und Zirfas »habituelle Defizite« in der kulturellen Bildung, die in der Schule im Zuge unterrichtlicher Gleichbehandlung die soziale Mittelschicht fördere. Das heißt, es werden diejenigen unterrichtet, die schon gelernt haben, kulturell zu partizipieren (Bilstein/Zirfas 2017: 46). Ausgehend davon stellen sie die kritische Frage, ob »Kulturelle Bildung in diesem Sinne nicht nur ein kulturelles oder soziales, sondern auch ein anthropologisches Placebo« sei (ebd.), weil kulturelle Bildung außerhalb der sozialen Mittelschicht kaum zur Kompensation, Tradierung, Reflexion, Qualifikation, Expressivität und Irritation beitrage. Als offene Frage und zugleich implizite Antwort auf die Frage nach dem Sinn und Zweck kultureller Bildung formulieren Bilstein und Zirfas ihre Ausgangsfrage um: Statt zu fragen, warum der Mensch kulturelle Bildung braucht, fragen sie: »Brauchen wir andere Inhalte und Formen Kultureller Bildung?« (ebd.) Doch auch hier lässt sich nachfragen: Woher wissen sie, wen wie und in welcher Form kulturelle Bildung erreicht? Auf der Grundlage welcher Forschung werden solch verallgemeinernde Feststellungen gemacht? Welche Zuschreibungen fundieren solche Annahmen? Bilstein und Zirfas weisen jedoch auf die Problematik des Begriffs und Feldes hin, und dass es dringend notwendig ist, die sozialen Kontexte nicht nur Form von ›Zielgruppen‹ in den Blick zu nehmen, sondern auch in der Definition und im Zuschnitt der Forschung von kultureller Bildung.
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Aus mehrfacher Hinsicht scheint es daher problematisch mit dem Begriff der kulturellen Bildung zu operieren, da er einerseits unscharf mit dem der Bildung oder ästhetischer Bildung verschwimmt, andererseits eng verwoben ist mit bürgerlichen Idealen und sozialen Hierarchien. Wieso ist es dennoch sinnvoll, gerade im Bereich des Tanzes weiterhin von kultureller Bildung und nicht von ästhetischer zu sprechen? Wieso nutzt diese Publikation diesen Begriff? Einerseits scheint die Nutzung des Begriffs weiterhin sinnvoll, weil er ein zentraler ›Diskursplayer‹ des Feldes ist. Teilnehmende, Vermittelnde und Forschende teilen diesen begrifflichen Bezugspunkt. Andererseits könnte ein engerer Begriff im Sinne eines ästhetischen Bildungsverständnisses mit seinem Schwerpunkt auf sinnliche Wahrnehmung tendenziell dazu führen, einige Dimensionen tänzerischer Praktiken unbeachtet zu lassen – zum Beispiel die soziale Konstruktion des Körpers und seiner Sinne, systematisches Wissen und Theorie des Tanzes oder das Gestalten und performative Hervorbringen von Gruppenzusammenhängen, die beispielsweise für politische Aktionen von Interesse sind. Somit versteht diese Forschungsheuristik ästhetische Bildung als einen Aspekt kultureller Bildung. Mit dem domainspezifischen Fokus dieser Publikation im Feld des Tanzes birgt sie viele Anschlüsse an ästhetische Bildungskonzepte, allen voran in seinen körperlich-sinnlichen Dimensionen. Zugleich werden durch eine praxeologische Forschung die Prozesse und die Hervorbringung von tänzerischen Praktiken und Bildungsmöglichkeiten als Teil einer sozialen Welt fokussiert. Beiden Perspektiven ist dabei gemein, dass sie sich von einem primär kognitiven und handlungstheoretischen Bildungsverständnis abgrenzen. Dennoch lassen sich mit der Heuristik auch Fragen für eine Forschung generieren, die nach kognitiven Leistungen oder deren Veränderung durch tänzerische Praxis sucht. In diesem Sinne weist Klepacki darauf hin, dass es nicht darum gehen kann, kulturelle Bildung rein bildungstheoretisch zu verstehen, sondern dass das Verständnis im Abgleich mit der Praxis rekursiv erschlossen werden sollte. Während es Klepacki darum geht »in der Verbindung sozialwissenschaftlicher Empirie mit texthermeneutischen Analysen zu einer mehrdimensionalen Form systematischer (selbst-)reflexiv-kritischer Vergewisserung von Sinn- und Bedeutungsstrukturen im wissenschaftlichen und praktischen Feld Kultureller Bildung« zu gelangen (Klepacki 2014: 51f.), so wird diese Publikation solch ein Verfahren vor einem praxeologischen und performativen Verständnis kultureller Praktiken weiterentwickeln. Es geht
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also darum, im stärkeren Maße die körperlich-materiellen Vollzüge mit in den Mittelpunkt der Analyse zu stellen. Machttheoretisch fundierte diskursund situationsanalytische Perspektiven, wollen nicht per se an etwas ›Dahinterliegendes‹ gelangen, sondern fragen danach, was mit Bewegung oder Sprache in Vollzügen geschieht, wie sie Dinge hervorbringen. Diese zu erforschen möchte das Buch erleichtern, anleiten, verändern und befördern.
AUFBAU DES BUCHS Das Buch teilt sich in zwei Bereiche: Im ersten Teil werden methodische und methodologischen Aspekte explizit diskutiert. In der zweiten Hälfte stehen die aus Beobachtungen entwickelten Kategorien und ihre Diskussion im Mittelpunkt. Die Kapitel folgen dabei jeweils einer Struktur, die zunächst mit einem Problemaufriss und theoretischer Fundierung von Begriffen beginnt. Anhand von Beispielen werden diese dann aufgeschlüsselt und deren Bedeutung und Grenzen gleichermaßen angesichts der Komplexität der Praxis verdeutlicht. Dabei werden zahlreiche Beispiele immer wieder aufgegriffen und in den Kapiteln jeweils neu perspektiviert. Die Kapitel können somit einzeln aber auch als aufeinander aufbauend gelesen werden. Im 1. Kapitel wird die bisher noch vernachlässigte Tanzhistoriographie im Bereich Tanz und kultureller Bildung behandelt. Wie kann Tanzgeschichte für diesen Bereich geschrieben werden? Welche Aspekte werden bisher diskutiert? Welche Beispiele historischer Forschung in diesem Bereich gibt es? Welche Materialien können wie für die historische Forschung herangezogen werden? Und wie sind diese auszuwerten? Solche Fragen dienen dazu, die teils essentialisierenden und ahistorischen Positionen zu Tanz und seiner Wirkung kritisch zu befragen. Dies wird exemplarisch an den Dokumenten von Jenny Gertz und Martin Gleisner aufgezeigt. Beide waren in der politischen Jungendarbeit und im Kontext der Labanschen Bewegungschöre in den 1920/30er Jahren tätig. Eine kritische Diskussion sowohl ihrer Dokumente als auch der Art und Weise wie ihre Nachlässe bestimmte Dinge ins Zentrum rücken und andere nicht, erlaubt zu verdeutlichen, wie die Auswahl von Dokumenten, Tanzgeschichtsschreibung beeinflusst und welche politischen Bezüge dabei erkennbar werden.
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Im 2. Kapitel geht es um die wissenschaftliche (Selbst-)Reflexion und die jeweiligen Gegenstandsverständnisse. Welche Begriffe, Konzepte, Wertungs- und Leistungsmaßstäbe werden an die Praxis herangeführt oder ergeben sich (reflektiert oder unreflektiert) aus dieser? Wie können diese Begrifflichkeiten eingeordnet und einer Reflexion unterzogen werden? Wie können neue Begriffe und Perspektiven entwickelt werden? Das Kapitel geht diesen Fragen anhand der vergleichenden Auswertung von teilnehmenden Beobachtungen sowie der Analyse von einzelnen Begriffen wie dem des ›Übens‹ nach. Im 3. Kapitel werden Fragestellungen und Forschungsperspektiven einer Forschungsmatrix herausgearbeitet, die auf transsituative und prozesshafte Vollzugswirklichkeiten gerichtet ist. Zentraler Bezugspunkt bildet dabei eine vergleichende Analyse von ähnlichen ›Aufgabenstellungen‹, die in ihren jeweiligen Kontexten und Vollzügen sich sehr anders ausspielen. Welche Aspekte, Ebenen, Kategorien kann eine Forschung zu kultureller Bildung befördern? Was ist unter einem praxeologischen Forschungsverständnis zu verstehen? Dies sind die übergreifenden Fragen dieses Kapitels. Durch empirische Erhebungen und theoretische Perspektivierungen werden Kategorien wie: Körper/lichkeit, Bewegung, Aneignung, Verlauf, Reflexion- und Feedbackpraktiken, Aktanten, Irritation und Scheitern entwickelt und in eine Analysemodell überführt, das diese zugleich mit unterschiedlichen Forschungsperspektivierungen und anderen in der Forschung etablierten Begriffen querliest. Auch wenn diese nicht als solitäre Kategorien zu verstehen sind, sondern vielmehr erst ihre Bedeutung in ihrer Verflechtung und im jeweiligen Zusammenspiel erlangen, so dient eine Auswahl der Begriffe als exemplarische Perspektivierungen der folgenden Kapitel. So lässt sich aufzeigen, wie sich gleiche Beispiele jeweils anders darstellen, je nachdem welche Kategorie in den Mittelpunkt gerückt wird. Da Fragen von Körper und Körperlichkeit besonders ins Auge fallen, widmet sich das 4. Kapitel dieser Kategorie. Welche Verständnisse von Körper sind in der Forschung und Praxis erkennbar? Wie werden Körper adressiert, bearbeitet, wahrgenommen? Welche Verständnisse von Identität und Gender werden dabei aufgerufen? Wie werden Körper in ihrer spezifischen Sinnlichkeit mit hervorgebracht? Um diese Fragen aufzuschlüsseln, wird nicht nur ein körpertheoretischer Aufriss angeboten, sondern in einem Exkurs auch genauer fokussiert, wie Sinnlichkeit in tänzerischen Praktiken erlernt wird.
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Im 5. Kapitel wird mit der Fokussierung auf Bewegungen verdeutlicht, wieso bewegungsanalytische Momente von zentraler Bedeutung sind, um Differenzen innerhalb der Ausführung und Aneignung tänzerischer Praktiken beschreibbar zu machen. Dazu gehört auch in Ansätzen darzustellen, welche Systeme und Begriffe es für die Beschreibung gibt und wie diese immer schon mit ästhetischen und Leistungsdimensionen der Praxis verwoben sind. Welches Handwerkzeug gibt es für die Beschreibung von Bewegung? Welche Bewegungsdetails und Differenzen können gesehen werden? Welche Bewegungsqualitäten werden bevorzugt? Welche Begrifflichkeiten und Reflexionspraktiken prägen Bewegungsvermittlung und -aneignung? In welchem Verhältnis steht dieses zu den ästhetischen Normen der jeweiligen Praxis? Dabei geraten Bewegungen in ihrer Vermittlung und Aneignung in den Fokus. Was unter Aneignung zu verstehen ist, und wieso sich dies als Kategorie besonders eignet, um komplexe Verfahren und Verschränkungen von Vermittlung, Lernen und Bildung zu erfassen, diskutiert dann das 6. Kapitel. Mit einer Fokussierung auf Aneignung gilt es den oft didaktischen Schwerpunkt der Forschung, der dazu führt, dass primär Konzepte der Vermittlung und Aufgabenstellungen im Fokus stehen, dahingehend zu erweitern, dass verstärkt das Zusammenspiel aller fokussiert werden kann. Was machen Einzelne mit den Aufgabenstellungen, wie wirken die Settings darauf ein? Wie hat das, was mit den Aufgaben gemacht wird, Rückwirkungen auf dieselben und auf das Gesamtgeschehen? Fragen danach, wie sich Einzelne tänzerische Praktiken aneignen und mitgestalten können, tangieren auch die weitere Diskussion um Teilhabe. Dementsprechend eröffnet dieses Kapitel eine kritische theorie- und beispielgeleitete Diskussion um den Begriff der Teilhabe. Diese Diskussion ruft weitere Fragen nach mittlerweile gut institutionalisierten Diskursen, wie jenen der Inklusion und Dis/Ability aber auch nach kultureller Aneignung und Machtstrukturen und Hierarchie in der kulturellen Bildung auf. Welche Bedeutung dabei Sprache und Formen der Reflexion und des Feedbacks für tänzerischer Vermittlungs- und Aneignungspraktiken haben, beschäftigt das 7. Kapitel. Hier wird an zahlreichen Beispielen deutlich, dass Tanz(-vermittlung) keinesfalls als nonverbale Praxis zu beschreiben ist. Es gilt also genauer zu fragen: Welche Formen der Sprache, Reflexion und Feedback lassen sich in der Praxis erkennen? Welche Referenzrahmen, auch theoretischer und naturwissenschaftlicher Art, las-
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sen sich darin und in welchen Zusammenhängen erkennen? Welche normativen Setzungen erfolgen damit? Fragen nach den Normen und Setzungen rufen dabei auch immer Fragen nach Irritationen und Scheitern auf. Dies wird abschließend im 8. Kapitel näher unter die Lupe genommen wird. Wer operiert mit Begriffen des Scheiterns und der Irritation? Wer lehnt sie ab, und auf der Grundlage welches Verständnisses dieser Begriffe? Welche Formen des Scheiterns und der Irritation lassen sich in den Praktiken erkennen und wie wird damit umgegangen? Wie lassen sich daraus Thesen über mögliche bildungsrelevante Momente ableiten? Da Scheitern immer mit Referenzsystemen verbunden ist, die bestimmen, was als Scheitern verstanden wird, geht es in diesem Kapitel neben einem Überblick über differente Verständnisse von Irritation und Scheitern auch noch einmal darum, die sozialen, materiellen und institutionellen Rahmenbedingungen der Praxis spezifischer zu fokussieren. Gleichzeitig wird deutlich, dass so manche hochtrabende bildungstheoretische Position in Bezug auf Irritation und Scheitern, kritisch befragt werden kann. Und so gilt es dann, auch das Scheitern der Forschung im Blick zu behalten. Was können und wollen wir mit der Forschung machen? Diese Frage möchte dann der abschließende und zusammenfassende Fragekatalog noch einmal aufwerfen. Ich wünsche mir, dass diese Fragen so als wiederkehrende und sich verändernde Inspiration dienen können. Was geschieht, wenn die Fragen zuerst gelesen werden, was wenn nur zu bestimmten Themen? Wie lässt sich mit Fragen umgehen?
1 Tanzgeschichte(n) schreiben Fragen und Materialien für eine historische Forschung
• Wie wird Tanzgeschichte im Bereich Tanz und kultureller Bildung geschrieben? • Welche Prämissen und Geschichtsverständnisse leiten die historische Forschung zu Tanz und kultureller Bildung? • Welche Quellen und Methoden der historischen Forschung zu Tanz und kulturelle Bildung gibt es? • Was bedeutet es, dass Quellen von sozialen und ästhetischen Codes geprägt sind? Wie kann dementsprechend mit ihnen gearbeitet werden? • Was wird historisch als kulturelle Bildung verstanden? Was waren die Orte, Kontexte, Diskurse von Bildung, die dem heutigen Verständnis kultureller Bildung nahekommen? • Welche Protagonist*innen, welche Inhalte und Formen werden in der Geschichte besonders hervorgehoben? Welche Ein- und Ausschlüsse werden dabei praktiziert? • Welche pädagogischen Diskurse wurden rezipiert oder abgelehnt? Welche lokalen Kontexte und Bedürfnisse fördern welche tänzerische Entwicklung? Durch welche Netzwerke und Verbindungen wurde Tanz mit dem Ziel kultureller Bildung gefördert? Welche Praktiken des Tanzes sind als bildsam eingestuft worden? • Welche politischen Dimensionen lassen sich in der Tanzgeschichte zu kultureller Bildung erkennen? • Wie kann historische Forschung heutige Praktiken und ihre Erforschung bereichern? Welche Bezüge und Differenzen lassen sich erkennen?
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Bereits zum Beginn des 20. Jahrhunderts entstand eine Bildungs- und Bewegungskultur, die mit heutigen Bestrebungen der kulturellen Bildung vergleichbar ist. Dazu zählte auch eine Laientanzbewegung, die in Volksschulen, in Jugendverbänden, Vereinen oder in Masseninszenierungen Elemente und Prinzipien des sich entwickelnden modernen Tanzes aufgriff. Übergreifendes Ziel dieser heterogenen Bewegung war es, Menschen (vor allem jene aus der Arbeiterschaft) kulturell wie körperlich zu bilden. Zeitgenössische Publikationen wie Martin Gleisners Tanz für alle (1928) wurden nicht müde zu erklären, was die Vorzüge des modernen Tanzes in Abgrenzung zu anderen Formen des Tanzens (allen voran den neuen Modetänzen aus den USA, klassischen Bühnen- oder Gesellschaftstänzen) für die avisierte Herausbildung eines ›Neuen‹, emanzipierten Menschen seien (ebd.). Unzählige tanzpädagogische Schriften adressierten nicht nur angehende Tänzer*innen, sondern explizit auch Laien- und Kindertanzpädagog*innen (Gertz 1924; Loesch 1932; Knust 1932). Trotz solch spannender Indizien für eine rege Laientanzbewegung, steckt die historische Forschung zu kultureller Bildung im Tanz im deutschsprachigen Raum noch in den Kinderschuhen. Bisher werden in historischen Darstellungen von Tanz im Kontext kultureller Bildung zumeist die zentralen Protagonist*innen der tänzerischen Moderne wie Mary Wigman, Rudolf Laban oder Kurt Jooss und die grundlegenden Figuren einer modernen tanzpädagogischen Ausrichtung wie Rosalia Chladek, Dorothee Günther oder Maja Lex in den Blick genommen (Postuwka 1999; Barthel/Artus 2013; Fleischle-Braun 2017). Diese haben zu Beginn des 20. Jahrhunderts Verständnis, Praxis und Pädagogik des Tanzes revolutioniert. Doch sie waren nur selten direkt in das involviert, was heute unter dem Begriff der kulturellen Bildung(sarbeit) verstanden wird. Sie spielen für die historische Forschung im Bereich kulturelle Bildung insofern eine Rolle, als dass ihre Bewegungs- und Vermittlungsprinzipien auch von jenen rezipiert wurden, die modernen Tanz an Laien und in nicht-künstlerischen Kontexten vermittelten. Doch lässt sich Tanzgeschichte in der kulturellen Bildung anhand dieser Protagonist*innen schreiben? Welche Einschlüsse und Ausschlüsse werden in solch einer Tanzgeschichte produziert? Welch ein Verständnis von Geschichte wird in diesen Erzählungen aufgerufen? Wer schreibt die Geschichte des Tanzes in der kulturellen Bildung aus welcher Perspektive und vor welchem Hintergrund? Wie ließe sich ei-
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ne andere Form der Tanzgeschichte schreiben? Und welche Methoden, Fragen und Kompetenzen bedarf es für solch eine alternative Tanzgeschichtsschreibung? Solche Fragen möchte dieses Kapitel aufwerfen und zugleich Möglichkeiten für die Vielfalt und Komplexität historischer Forschung aufzeigen. Fragen zu den Verfahren einer historischen Forschung an den Anfang dieser Publikation zu stellen, möchte das Bewusstsein dafür schärfen, dass die Praktiken, Begriffe und Prinzipien kultureller Bildungsarbeit im Tanz eine variable und komplexe Geschichte haben und keinesfalls universell sind. Zugleich möchte dieses Kapitel zu einer übergeordneten Reflexion von Geschichtsschreibung anregen, die diese nicht als etwas Gefundenes, sondern als etwas von Forschenden Hervorgebrachtes begreift. Es wird in diesem Kapitel zwar auch darum gehen, Protagonist*innen und Kontexte ins Visier zu nehmen, die bisher weniger Raum in der Tanzhistoriographie gefunden haben. Primär gilt es jedoch aus einem Geschichtsverständnis heraus, das weniger auf Künstler*innen und Kunstwerke ausgerichtet ist, Praktiken, Diskurse, Konstellationen und Institutionen in ihrer Verflechtung und Überlappung in den Blick zu nehmen. Dafür werden Perspektiven einer kritischen (Tanz-)Historiographie aufgegriffen, die unter anderem lineare Erzählungen vom Ballett über die Moderne zu zeitgenössischen Tanzformen dekonstruiert haben (Hammergren 2004; Schulze 2005; Thurner 2008; Hardt 2012). Dies ist von Bedeutung, da dieses Narrativ (also die Form, in der Geschichte erzählt und strukturiert wird) noch öfter in der kurzen Darstellung tanzhistorischer Entwicklung in der kulturellen Bildung verfolgt wird (Postuwka 1999; Barthel/Artus 2013; Fleischle-Braun 2017). Doch auch eine kritische Tanzhistoriographie, die nicht primär Werke und einzelne Künstler*innen fokussiert, hat bisher selten Phänomene wie Laientanz oder kulturelle Bildungsarbeit in den Mittelpunkt einer theoriegeleiteten Historiographie gestellt. Solch eine Geschichtsschreibung zu fördern, ist Anliegen dieses Kapitels. Dafür gilt es zu fragen: Welche methodischen und theoretischen Überlegungen könnten Tanzgeschichte leiten? Welche Quellen und Literatur gibt es in diesem Bereich? Welche Diskurse prägen das historische Feld bzw. bringen es in spezifischer Weise mit hervor? Wie lassen sich diese mit anderen sozialen Fragen der jeweiligen Zeit verbinden? Solche Fragen behandelt dieses Kapitel, indem zuerst ein Beispiel internationaler Forschung (Tomko 1996) eingehender besprochen wird. Daran soll verdeutlicht werden, welche Dimensionen historisch erfasst werden kön-
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nen. Zweitens soll an einem Vergleich theoretischer Positionen zur Tanzpädagogik von Isadora Duncan und Mary Wigman aufgezeigt werden, wie voraussetzungsvoll und widersprüchlich auch eine moderne und freiheitlich verstandene Pädagogik sein kann. Es wird hier deutlich, dass Verständnisse von Tanzvermittlung mit solchen von Kunst und Gesellschaft eng verwoben sind. Schließlich wird drittens an einer Auswertung von Materialien zu Bewegungschören und Arbeiterfestkultur, wie sie sich in den Nachlässen von Jenny Gertz und Martin Gleisner auffinden lassen, beispielhaft ausgeführt, wie historische Quellen ausgewertet werden können. Obwohl Gertz und Gleisner in der Forschung bisher kaum bekannt sind, prägten sie auf unterschiedliche Art und Weise nicht nur die Entwicklung einer grundständigen Laienarbeit im Feld des modernen Tanzes, sondern arbeiteten in ihren theoretischen Schriften auch das Besondere dieses Feldes kultureller und politischer Bildungsarbeit im Tanz in den 1920/30ern heraus. Die Arbeit mit historischen Quellen und mit diesen Nachlässen kann hier nur exemplarisch erfolgen. Sie dient vielmehr dazu, Vorgehensweisen und Kontroversen vorzustellen, um Optionen für eine komplexe und politische Geschichte von Tanz und kultureller Bildung zu entwerfen.
EINE GESCHICHTSSCHREIBUNG FÜR KULTURELLE BILDUNG IM TANZ Doch wie lässt sich nun solch eine Tanzgeschichte entwerfen? Welche Vorbilder für eine kritische Tanzgeschichte im Feld kultureller Bildung gibt es? Einer der wenigen (und leider selten rezipierten) Texte, der solch eine ›andere‹ Form von historischer Forschung im Bereich Tanz und kultureller Bildung leistet, ist der nun schon mehr als 25 Jahre alte Beitrag von Linda Tomko »Fete Accompli: gender, ›folk-dance‹ and Progressiveera political ideals in New York City« (1996). Daher lohnt es sich, diesen ausführlicher und als ein inspirierendes Forschungsbeispiel zu besprechen. In diesem Beitrag schlüsselt Tomko die jährlichen Auftritte von tausenden tanzenden Mädchen während der sogenannten Park Fetes im New Yorker Central Park multiperspektivisch auf. Tomko verdeutlicht, wie bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts in New York City ein umfangreiches Sportund Tanzprogramm in Schulen realisiert wurde. Als stetig wiederkehrender Höhepunkt dieser Arbeit wurde über den Zeitraum von zehn Jahren im
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New Yorker Central Park eine Massentanzaufführung realisiert, bei der schließlich im Jahr 1916 sogar 50.000 Mädchen aus rund 270 New Yorker Schulen mittanzten (ebd.: 157). Tomko arbeitet heraus, welche pädagogischen, demographischen, sozialen und gegenderten Dimensionen für diese Entwicklung von Bedeutung waren bzw. sich als Folie eignen, um die unterschiedlichsten historischen Quellen auszuwerten (u.a. die Lehrbücher, Zeitungsrezensionen, Schulberichte, Protokolle von Organisationsmeetings der Schulen, ebenso wie pädagogische und psychologische Schriften zur Körperbildung und Entwicklung von Kindern). Die Vielfalt an Quellen, mit welchen Tomko arbeitet, ist besonders hervorzuheben und kann dazu anregen genauer zu fragen: Was für Quellen werden für die Forschung herangezogen? Welche Aspekte betonen diese Quellen, über was geben sie Auskunft, über was nicht? Tomko nutz die diversen Quellen, um das stadtweite Tanz-Phänomen vor dem Hintergrund migrationsbedingter, ökonomischer und städtebaulicher, aber ebenso sozialtheoretischer und pädagogischer Diskurse und Bedingungen der Zeit zu analysieren. Auch detaillierte Beschreibungen der tänzerischen Praxis aus der Perspektive von Schüler*innen, Eltern, Organisator*innen und Rezipient*innen werden einbezogen. Tomko kann z.B. nachzeichnen, wieso es gerade (Volks-)Tänze waren, die Mädchen und deren Eltern unter der Auswahl unterschiedlicher Physical Eduction-Angebote besonders ansprechend fanden (ebd.: 161). Sport- und Bewegungsangebote wurden damals in New Yorker Schulen übergreifend etabliert, um den beengten und prekären Lebensbedingungen vieler Kinder, insbesondere von den zahlreichen Einwander*innen, etwas entgegenzusetzen. Volkstänze hatten dabei scheinbar den Vorteil, dass sie sich in übergreifende gegenderte Vorstellungen einfügten, galten Tänze doch als weniger kompetitiv als andere Sportarten und somit als ›weiblicher‹. Zudem waren sie für Eltern nostalgisch konnotiert und konnten auf relativ kleinem Raum überall ohne technische Vorrichtungen realisiert werden. Sie lassen sich aber auch als Einbindung europäisch-imigrantischer Kulturen verstehen, denn sie nahmen explizit Anleihen bei europäischen Volkstänzen. Allerdings wurden sie in der konkreten Umsetzung vereinheitlicht und ›amerikanisiert‹; dazu gehörte beispielsweise der Verzicht auf differenzierte Kostüme und der Zuschnitt der Musik auf amerikanische Blaskapellen. Tomko zeigt auch auf, wie es dabei zu rassistisch und eurozentristisch motivierten Ausgrenzungen kam. Denn obwohl ein Großteil der Schüler*innen
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Kinder südeuropäischer Einwander*innen war, wurden weder afro-amerikanische Tänze noch jene der Native Americans berücksichtigt, sondern fast ausschließlich Anleihen bei nord- und zentraleuropäischen Tänzen gesucht. So kann Tomko kritisch konstatieren, dass die amerikanische Identität zwar als Melting Pot der vielen Kulturen idealisiert wurde, doch in der kulturellen Bildungspraktik wie anderenorts dennoch der angelsächsische (WASP) Einfluss herrschte (Tomko 1996: 170). Zudem zeigt Tomko auf, dass es zum einen die sozialen Konstellationen und Diskurse der sogenannten Progressive Era in den USA waren, die diese Bildungsangebote im Tanz ermöglichten. Zum anderen bedurfte es auch des Zusammentreffens kompetenter, reflektierter und hoch engagierter Personen, die innerhalb der aufkommenden Körperkultur und Sozialpolitik solch ein übergreifendes Angebot von Tanz etablieren und fördern konnten. Hierzu gehörte Luther Gulick, der seit 1903 für die Entwicklung eines Sportprogramms an New Yorker Schulen zuständig war, und der mit dem damals einflussreichen Kinderpsychologen und Entwickler einer Bewegungspädagogik, Stanley Hall, befreundet war. Hall hatte in seinem zweibändigen Werk Adolescence bereits 1904 argumentiert, dass motorische und kognitive Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen Hand in Hand gingen, und dass deshalb eine rege Bewegungskultur, am besten im freien Spiel, idealtypisch sogar im Tanz realisiert werden sollte. Gulick machte sich daran, Halls Prämissen in die Praxis umzusetzen und engagierte unter anderem Elizabeth Burchenal. Diese bestimmte nicht nur organisatorisch und argumentativ versiert das Wachstum der Girls’ Branch der Public Schools Athletic League der New Yorker Schulen, sondern sie besaß auch ein ausgeprägtes Interesse an Pädagogik und der Spezifik von Tanzformen. So war sie mit Halls Schriften vertraut, reiste quer durch Europa und notierte Volkstänze, passte sie für amerikanische Schulkontexte an und publizierte sie inklusive Musik und Anleitungen für unterschiedliche Kontexte als Manuals für Lehrer*innen (ebd.). All das kann Tomko darstellen, weil sie eine große Bandbreite von Quellen für die historische Forschung im Tanz heranzieht und sie zugleich kritisch liest. Beispielhaft ist hier ihr Umgang mit zwei sich in der Auswertung diametral gegenüberstehenden Fotoquellen: Zum einen jene Bilder der Park fetes in Close-ups, die lachende Kindergesichter und in sich verschwommene Bewegungsfigurationen zeigen. Auf der anderen Seite fotografisch erfasste Totalen, die nie die ganze Parkfläche ablichteten, aber das,
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was sie ›einfingen‹, als gut geordnete, disziplinierte Kreis- oder Linienformationen zeigen, die wenig mit Individualität gemeinsam haben. Perspektiven lassen sich nicht immer vereinen und geben kein einheitliches Bild. Tomko macht also deutlich, wie komplex solch ein Phänomen kultureller Bildungsarbeit analysiert werden kann. Verständnis von Notationen und bewegungsanalytische Dimensionen spielen dabei ebenso eine Rolle wie Auswertung historischer pädagogischer Konzepte, kritische Quellenkritik oder der Einbezug von Gender-Theorien. Zugleich kommt sie zu keiner ›endgültigen‹ Auswertung oder Beurteilung – vielmehr gelingt es ihr, die ambivalenten, vielschichtigen und widersprüchlichen Dimensionen dieser kulturellen Bildungsarbeit herauszuarbeiten. Fragen für eine historische Forschung generieren Was können wir über den Inhalt hinaus aus solchen Texten für die eigene Forschung ziehen? Auch wenn das spezifische Phänomen sich so nicht im deutschen Kontext wiederfindet, so lassen sich daraus jedoch zentrale Fragen generieren, die auch für eine Geschichte der kulturellen Bildung im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus wichtig wären: Welche sozialen und pädagogischen Diskurse wurden zu welcher Zeit rezipiert oder abgelehnt? Welche lokalen Kontexte und Bedürfnisse förderten welche tänzerische Entwicklung? Durch welche Netzwerke und Verbindungen werden Entwicklungen mitgeprägt? Welche Methoden und Formen des Tanzes sind wann und wie vertreten? Wie werden sie argumentativ und inhaltlich als zielführend begründet und von anderen Bewegungspraktiken abgegrenzt? Welche Ausschlüsse werden aus welchen Gründen praktiziert (z.B. institutionelle oder aufgrund von Räumen, aufgrund rassistischer oder kultureller Hegemonien)? Welche Quellen und Materialien lassen sich für die Forschung finden und unter welchen Perspektiven und Fragestellungen wie auswerten? Insbesondere die Frage nach den Quellen erweist sich für die historische Erforschung von Tanz und kultureller Bildung noch einmal problematischer als für den Bühnentanz. Vor dem Hintergrund eines Geschichtsverständnisses, das sich zumeist auf sogenannte herausragende künstlerische ›Werke‹ oder Entwicklungen fokussierte, wurden Laienpraktiken selten bewusst dokumentiert. Was wurde also in den Archiven, Sammlungen, Tagebü-
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chern, Schulen als bewahrenswert erfasst? Die Frage nach den damit verbundenen Ein- und Ausschlüssen historischer Sammlungen möchte das Kapitel aufwerfen und zugleich aufzeigen, dass es durchaus Quellen gibt. Dazu ist es notwendig, auch abseits der tänzerischen Kontexte und Archive zu suchen. Zudem gibt es eine Reihe von bekannten Quellen, die bisher selten in Bezug auf Pädagogik oder Laienarbeit historisch analysiert wurden. Insofern mit historischen Texten zur kulturellen Bildungsarbeit gearbeitet wird, dienen sie eher als Anleitung oder Inspiration für die Tanzdidaktik und weniger für ein kritische historische Auswertung. Unter dem Diktat der Anwendbarkeit können solche historischen Quellen jedoch altbacken oder sprachlich befremdlich wirken. Werden sie jedoch auf Prinzipien, Diskurse und soziale Bezüge hin gelesen, können sie diverse Perspektiven oder Interpretationen eröffnen. Dies wird nun im Folgenden zunächst am Beispiel pädagogischer Diskurse und anschließend in Bezug auf Umsetzung, Strukturen und soziale und politische Dimensionen bespielhaft diskutiert.
PÄDAGOGISCHE DISKURSE, KÜNSTLERISCHES SELBSTVERSTÄNDNIS UND SOZIALE (VORAUS-) SETZUNGEN MODERNER TANZVERMITTLUNG Um diese Fragen für den deutschsprachigen Kontext aufzuschlüsseln, geht es im Folgenden zunächst darum zu betrachten, welche pädagogischen Konzepte in der tänzerischen Moderne in Deutschland vertreten wurden. Dies ist auch von Bedeutung, da auf die Entwicklung und Prinzipien als Grundlage pädagogischer Arbeit im Bereich kultureller Bildung noch heute verwiesen wird (Fleischle-Braun et al. 2017). Bisher ist die Darstellung pädagogischer Prinzipien in einer historischen Perspektive recht homogen. So werden freiheitliche, nicht primär an Formen orientierte Bewegungen, die vorrangig auf Improvisation fußen, als zentrales Merkmal des historischen ›Neuen Tanzes‹ und seiner Pädagogik gesehen (Postuwka 1999; Fleischle-Braun 2017). Damit einher geht die Ablehnung von genauen Bewegungsvorgaben und bestimmten Körperidealen. Dies geschieht vor allem in Abgrenzung zum als starr, körperdisziplinierend und instrumentalisierend verstandenen Ballett. Der historischen Moderne liegt vielmehr ein Befreiungsgestus und ein ›Zurück-zur-Natur‹ zugrunde. Der ›Neue‹ oder ›Freie‹ Tanz soll es demnach Menschen ermögli-
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chen, eine eigenständige Ausdruckskraft in ihren Bewegungen zu finden und zu gestalten. Diese Perspektive prägt auch heute noch tanzpädagogische Schriften (Neuber 2009; Behrens 2014). Das kann für die konkrete Anwendung und Vermittlung in der Ausbildung von (Tanz-)Pädagog*innen durchaus zielführend sein, vor allem im Kontext sportpädagogischer und sportwissenschaftlicher Arbeitsbereiche, wo diese als alternative und kreativere Bewegungsformen einerseits gelten, aber anderseits unter Begründungs- und Rechtfertigungsdruck stehen (Behrens 2014). Mit dem Glauben an die Förderung einer eigenständigen und ›freien‹ Ausdruckskraft gehen Vorstellung von universellen Verfahren der Improvisation bzw. Prinzipien des modernen Tanzes einher, die historisch beispielsweise auf die Bewegungslehre von Laban zurückgehen (Laban/Ullmann 2003). Doch welche anderen Parameter sollten in die Diskussion solcher historischen Positionen von moderner Tanzpädagogik mit einbezogen werden? Ziel des folgenden Abschnitts ist es, anhand von zwei (autobiografischen) Publikationen von Isadora Duncan und Mary Wigman einmal die Differenzen, Überschneidungen, Komplexität und auch Widersprüchlichkeiten von tänzerischen und pädagogischen Visionen, Praktiken und Diskursen ansatzweise aufzuzeigen und für deren historischen Details zu sensibilisieren. Dem methodologischen Fokus des Kapitels entsprechend, geht es an dieser Stelle nicht um eine umfangreiche quellenkritische Analyse dieser Texte in ihrer Gänze. Vielmehr geht es darum, exemplarisch die Lektüre von pädagogischen Ideen, wie sie Duncan in ihrer Schrift Zurück zur Natur1 (Duncan [1929] 1977) und Wigman in Sprache des Tanzes (Wigman [1963] 1977) artikulieren, sowohl in Bezug auf die Form und Sprache als auch daraus hervorgehende Thesen zu diskutieren. Dabei lässt sich zeigen, dass Fragen von sozialer Herkunft, Kunstverständnis und Kontext deutlichen Einfluss auf divergierende pädagogische Verständnisse und
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Es gibt zwar eine Debatte, inwiefern dieses Buch tatsächlich und in welchem Ausmaß von Duncan verfasst wurde (Stüdemann 2008), da Duncan allerdings der Publikation dieses Textes unter ihrem Namen zugestimmt hat, ist davon auszugehen, dass sie mit der Darstellung ihrer pädagogischen Ziele und Arbeit einverstanden gewesen ist. Es folgt hier also nicht eine genauso detaillierte Auswertung der Sprache wie bei Wigman, da diese tatsächlich angesichts der Debatte nicht nur oder primär Duncan zugeschrieben werden kann.
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Praktiken haben und sich diese auch innerhalb der Schriften keinesfalls einheitlich und frei von Widersprüchen zeigen. Duncan und Wigman gelten auf sehr unterschiedliche Weise als Gründerinnen einer freiheitlichen und neuen Tanzform zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Beide teilen in ihren Publikationen einerseits den Gestus der (Selbst-)Überzeugung, wählen klassische Topoi künstlerischer Biografien von Frauen dieser Zeit (das Herausstellen der eigenen Berufung, das Erwähnen vom Zusammentreffen herausragender und beeinflussender Persönlichkeiten) (Postleweit 1991: 253f.) und andererseits das Anliegen, ihre Kunst als eigenständige Kunst herauszuheben und zu validieren. Vor dem Hintergrund, dass Tanz lange Zeit entweder als ein Anhängsel anderer Kunstformen galt oder zur Unterhaltung diente, wollen beide die Ernsthaftigkeit und Bedeutung ihres künstlerischen Schaffens darlegen. Gleichzeitig unterscheiden sie sich in ihrem Schreibgestus: hier die anekdotenhaft erzählende Duncan, dort die in der Wortwahl eher erhaben klingende Wigman. Wie lassen sich diese Texte nun in Bezug auf pädagogische Verständnisse oder Diskurse lesen? Welche Referenzrahmen und sozialen Bezüge stellen beide her? Welche Begriffe geben hier Indizien bzw. sollten diesbezüglich analysiert werden? Duncan inszeniert sich als eine libertäre, emanzipierte, politisch ›sozialistische‹ und provozierende Künstlerin und artikuliert ihre Vorstellungen einer demnach egalitären Pädagogik explizit. Sie postuliert, dass sich ihre Vision von tänzerischer Bildung an alle richte und von allen verwirklicht werden könne, unabhängig von Herkunft und Vorbildung. Ihr sogenanntes Institut (auch Waisenhaus bzw. Internat genannt), das sie in Berlin Grunewald in einer Villa gründete, zeugt von ihrem übergreifenden politischen wie ästhetischen Interesse (Schmidt 2000). Hier nahm sie – nach eigener Darstellung – junge Mädchen aus Waisenhäusern bzw. ärmlichen Familien auf, um sie künstlerisch umfassend zu bilden. Sie entwirft in ihrem Text ein über den Tanz hinausgehendes Erziehungskonzept der jungen Mädchen, die von ›schönen Dingen‹ umgeben sein sollen. Wie andere Zeitgenoss*innen der Zeit findet sie dabei ihre Vorbilder in einer Antikenrezeption (Brandstetter 1995: 60). Bilder, Vasen, Musik sollen ständig auch in den Schlafsälen präsent sein: »Umgeben von soviel künstlerischer Schönheit würden meine Zöglinge, so hoffte ich, den idealen Vorbildern in der kindlichen Grazie der Bewegung ähnlich werden und einiges von deren Lebensfreude annehmen« (Duncan [1929] 1977: 24).
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Die Mädchen sollen lernen, Bewegungen aus ihren »Seelen« heraus zu füllen (ebd.). Allerdings herrscht dabei das übergreifende Ideal einer harmonischen, wohl proportionierten Körperbewegung in Anlehnung an eine als antik versandende Bewegungskultur. Dafür begriff Duncan eine gymnastische Durcharbeitung des Körpers als grundlegend. Allerdings sollte solch eine Gymnastik derart sein, dass sie die »jungen Triebe« nicht störe oder aber als »Selbstzweck« diene (ebd.). Alles zielte darauf hin, sich schließlich im Tanz frei ausdrücken zu können. Bis heute lebt diese Form einer »beseelten«, frei schwingenden Bewegungskultur in den Schulen der sogenannten »Duncaness«2 weiter. Form, Ziel und Inhalte dieser Pädagogik sind bei Duncan in einer klaren Vision und Pragmatik artikuliert und werden mit ästhetischen Referenzen der Zeit und ihrer politischen Vision verbunden. Dem gegenüber steht Wigman, die nicht nur versucht, alles Private oder Politische aus ihrer Vision der modernen Tanzkunst in ihrer Schrift außen vor zu lassen, sondern Tanz als eine Berufung begreift – trotz aller modernen und gegen das Ballett gerichteten innovativen Entwicklungen. Wie bei Duncan stehen Improvisation und das Individuum im Zentrum der Bewegung. Allerdings sei Tanzkunst – so Wigman – in ihrer schöpferischen Kraft nicht allen gegeben. In ihrem in den späten 1920er Jahren begonnenen (Sorell 1986), aber erst später veröffentlichten Werk Sprache des Tanzes (Wigman [1963] 1977) konstatiert sie, dass es nur Einzelne, Berufene gebe, die zur Tanzkunst auserkoren seien. Allerdings genüge die Berufung zur Kunst nicht allein: Immer wieder betont Wigman in ihrer Schrift, dass es harte Arbeit sei, in die göttlichen Sphären des reinen Ausdrucks, der Kunst oder gar Perfektion vorzudringen, an deren Pforten ein »Engel mit feurigem Schwert« den Weg versperre (ebd.: 212). Wigman manifestiert hier ihr Genieverständnis von Kunst und verwendet zugleich eine religiöse Metaphorik. So verweben sich ästhetische mit biografischen Einflüssen: Sehr wahrscheinlich ist Wigman als Tochter eines Pastors frühzeitig mit dieser religiösen Metaphorik in Kontakt gekommen und deutet sie in einer bedrohlichen Weise auf ihr Kunstverständnis hin aus. Es ist kein wohlwollender Gott, der hier die künstlerische Praxis begleitet. In der Verbindung
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Diese Form wurde auch performativ aufgegriffen. Siehe dazu auch Jérôme Bels Stück Isadora Duncan (Deutsches Theater Berlin 2019).
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mit den wiederholten Verweisen auf harte Arbeit, lässt sich ein ausgeprägtes protestantisches Arbeitsethos konstatieren. Die Berufung zur Kunst befreie einen demnach nicht davon, sich durch Prozesse zu quälen und hart zu arbeiten – um letztlich doch nicht ›vollkommen‹ in seiner Kunst sein zu können. Welche Leistungsverständnisse gehen also mit der Praxis einher? Was für Referenzsysteme und soziale Verankerungen haben diese? Abseits solcher übergreifenden Fragen, die sich an solchen Quellen diskutieren oder aufwerfen lassen, kann das Herausarbeiten eines spezifischen Verständnisses des Religiösen und seiner Metaphorik von Bedeutung sein, weil sich hier abermals Differenzen zu Duncan aufzeigen lassen. Auch bei Duncan finden sich religiöse Anklänge – allerdings zeigt sich das Religiöse hier nicht in einem kämpferischen und ausschließenden Gestus, sondern lokalisiert sich eher diffus in einer Bewegungserfahrung, die ihren Ausgang um den Solarplexus herum nimmt. Bei Duncan geht es um Sphären des Göttlichen. Doch nicht nur das Göttliche, sondern auch das Pädagogische der Tanzkunst stellt sich bei Wigman grundlegend anders dar als bei Duncan. Trotz eines elitären Kunstverständnisses war Wigman keinesfalls weniger pädagogisch innovativ. Sie gilt nicht ohne Grund als eine Vorreiterin einer auf Prinzipien basierenden Tanzkunst (Gitelmann 2001). Wie sich prinzipienbasiertes Arbeiten mit ihrem Genieverständnis von Kunst und Pädagogik verbinden ließ, wird anhand eines in Briefform publizierten Textteils in Sprache des Tanzes deutlich. Dieser Brief ist so geschrieben, dass er auf Fragen eines potenziellen Tanzlehrers eingeht, der sie um Hilfe bittet, da er wissen möchte, ob er als Tanzlehrer tätig werden solle (Wigman [1963] 1977: 220). Wigman stellt klar, dass allein die Frage danach, ob man Tanz unterrichten solle oder nicht, bereits die Antwort beinhalte. Demnach wisse man es, weil man dazu berufen sei. Sie führt weiter aus, dass einem das Unterrichten nicht unbedingt Anerkennung einbringe, aber es sei durchaus lustvoll. Sie spricht sogar vom »Eros der Pädagogik« (ebd.: 222). Zugleich lassen sich die pädagogischen Ideen, die sie artikuliert, mit einem kompetenzbasierten Lehrverständnis in Verbindung bringen. Anders als bei Duncan stehen nicht konkrete Inhalte (antike Kunst, ›Schönheit‹, freies Schwingen) im Fokus (auch wenn Wigman ähnlich wie Duncan von einer körperlich gymnastischen Grundschulung ausgeht), sondern die angehenden Tänzer*innen sollten lernen, hart zu arbeiten, zu reflektieren und über ihre eigene Kunst hinaus zu denken. So schreibt sie:
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»Lehren Sie sie, in weiträumigen Begriffen zu denken. Die räumlichen Bezugnahmen des Tanzes vertragen keine engstirnigen Begrenzungen. Sie verlangen nach geistiger Ausweitung in dem gleichen Maße, wie die tänzerische Gebärde in die Weite strebt. Lehren Sie Ihre Schüler zu arbeiten, konzentriert und unermüdlich [...] und vergessen Sie auch den Humor nicht« (ebd.: 224).
Wenn Wigman also ein elitäres Kunstverständnis und die Aufforderung zum »Kampf mit sich selbst« (ebd.) in der Kunst mit Vorstellungen kompetenzbasierten Lehrens und Lernens sowie Humor verbinden konnte, wirft dies Fragen danach auf, welche pädagogischen Praktiken sich mit welchen sozialen Bedingungen verbinden lassen. Konkreter gilt es zu fragen, ob Kunstform und deren Prinzipien gleichzusetzen sind mit deren sozialen Bildungspotentialen. So stellt sich dieses Gefüge von Kunst- und Vermittlungsverständnis durchaus komplex dar: Denn Wigmans auf einem Geniekult basierendes modernes Tanzverständnis geht nicht zwangsläufig mit starren pädagogischen Inhalten einher. Im Gegensatz dazu kann aber eine politisch und sozial engagierte ›Tanz-Erziehung‹ wie bei Duncan idealisierte und kanonisierte Formen der (Bewegungs-)Freiheit hervorbringen. Welche Wirkung und Bedeutung das für wen in der Praxis hatte, kann anhand dieser Quellen nicht diskutiert werden. Der Vergleich macht aber deutlich, wie sehr kompetenzbasiertes Lernen (die Fähigkeit voraussetzt und fördert, hart und ausdauernd zu arbeiten, zu reflektieren, über sich selbst zu lachen) einem bürgerlichen Ideal entspricht, das kompatibel mit Leistungsgedanken und Vorstellungen der künstlerischen Berufung ist. Kompetenzbasiertes Lehren und Lernen zeigt sich hier nicht als prinzipiell egalitär. Tanzpädagogik und Zugänglichkeit historisch erforschen Solche Diskussionen an den Schriften von Duncan und Wigman aufzuwerfen, ist deshalb von Bedeutung, da sie dazu auffordern, deren pädagogische Prinzipien auf ihre sozialen und kulturellen (Voraus-)Setzungen hin zu analysieren. Dies ist wiederum relevant angesichts einer dominanten Vorstellung, die auf universelle, nicht an Bewegungsformen gebundene Prinzipien in der Tanzbildung setzt – und dazu von geringeren Zugangsbarrieren im Tanz ausgeht (Behrens 2012; Westphal 2018; Klepacki/Liebau 2008a). Für die historische sowie die Forschung zu aktuellen Phänomenen und Diskursen kultureller Bildung lässt sich also fragen: Welche Anforderungsprofi-
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le und Voraussetzungen lassen sich in pädagogischen Konzepten, Arbeitsweisen, Beispielen erkennen? Wie lassen sich diese vor den historischen und sozialen Kontexten analysieren? Welche Kunst- oder pädagogische Verständnisse werden artikuliert? Wie durchdringen diese die jeweiligen Praktiken des Feldes? Aus welchen Quellen lassen sich solche Verständnisse, mit dem Fokus auf welche Begriffe, eruieren? Eine historische Forschung muss und kann keinesfalls all diese Fragen einzeln beantworten, vielmehr eröffnet sie unterschiedliche Forschungsrichtungen. Wird beispielsweise der Fokus auf die Zugänglichkeit gerichtet, lässt sich herausfinden, dass dies auch bereits vor ungefähr 100 Jahren thematisiert wurde, wenn davon die Rede war, dass es zumeist einer »geistigen Offenheit« bedürfe, um Menschen für die neue Bewegungskultur zu begeistern (Lichtenstädter 1926: 16). Zugänglichkeit ließe sich aber auch in Bezug auf finanzielle und institutionelle Dimensionen diskutieren. Ein Vergleich von Wigmans Honorar für eine Privatstunde mit den Beiträgen für die Teilnahme an Bewegungschören, kann hier erhellend sein. So stellte Wigman zu Ende der 1920er Jahre 25 Reichsmark für eine Einzelstunde in Rechnung (Werbeflyer, Sammlung Wigman Akademie der Künste). Sicherlich waren Gruppenkurse in ihrer Schule preiswerter, aber der Vergleich mit den 5-10 Pfennig, die die Teilnahme an einem modernen Bewegungschor kostete (Flyer Gleisner, Privatsammlung), zeigt doch, dass erstere wenig an der Bildung der breiten Masse interessiert war, sondern von der Grundanlage ihres pädagogischen Tuns eher auf eine künstlerische Avantgarde oder bürgerliche Elite abzielte.3 Wann sprechen wir also von Geld in der historischen Forschung zu Tanz? Welche Quellen gibt es dafür? Auch bei Wigman gibt es Schnittstellen sowohl auf diskursiver als auch pragmatischer Ebene zu einer allgemeinen Reformbewegung der Zeit, die durch einen tänzerischen befreiten Umgang mit Körperlichkeit und Körperbildung zu einer Veränderung der Gesellschaft beitragen wollten (Baxmann 2000; Hardt 2004). Wigman sprach in einem Radiointerview 1930 davon,
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Hier soll keine Kritik an Wigmans Preispolitik geübt werden. Tänzer*innen waren und sind darauf angewiesen, auf unterschiedlichen Wegen Geld zu verdienen. Es verdeutlicht nur, dass Wigman ihr Standing nutzen konnte, um ein gut situiertes Publikum, anzulocken, das wenig mit den Kontexten zu tun hatte, in denen kulturelle oder soziale Bildungsarbeit geleistet wurde.
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dass sie die Tänzer*innen als »Vorkämpfer« einer neuen Gemeinschaftskultur begreife (Wigman 1930: 10). Um solche Überlappungen und Differenzen sowohl in Bezug auf Prinzipien, Diskurse, Kontexte als auch konkreter finanzielle und strukturelle Zugänglichkeiten zu erforschen, ist eine Ausweitung der Materialien, die für die historische Auseinandersetzung mit der Tanzpädagogik der Moderne herangezogen werden, notwendig. Es bedarf also eines Quellenmaterials, das über die künstlerischen und pädagogischen Schriften und Dokumente hinausgeht, Kontexte und übergreifende Diskurse erfassen lässt und Aufschlüsse über organisatorische, finanzielle und allgemein strukturelle Aspekte tänzerischer Bildungsarbeit geben kann. Gleichzeitig bedarf es einer multiperspektiven und selbstkritischen Analyse dieser Materialen. Welche Begriffe, Verfahren, Diskurse, Organisationsformen lassen sich darin finden? Wie beeinflussen die gewählten Materialien Perspektiven und wie formen die eigenen Forschungsperspektiven die Auswahl und die Inhalte? Wie konturieren die eigenen Fragen die Schwerpunkte der Materialien? Um wiederum die Bandbreite dieser Fragen zu veranschaulichen, wird im Folgenden nun zunächst der Versuch einer historischen Rahmung und Kontextualisierung des Felds der kulturellen Bildung zum Beginn des 20. Jahrhunderts unternommen. Institutionelle und theoretische Dimensionen einer kulturellen Bildungsarbeit in der Weimarer Republik Es ist bereits eingängig erforscht worden, dass die moderne Tanzentwicklung zu Beginn des 20. Jahrhunderts eng verwoben ist mit gesellschaftlichen Reformbewegungen, die körperliche Bewegung und ›Befreiung‹ ins Zentrum stellten. (Baxmann 2000; Hardt 2004; Kolb 2009). Doch welche Rolle spielte darin der Laientanz, oder wie lässt sich ein Feld identifizieren, das mit dem heutigen kultureller Bildungsarbeit verglichen werden kann? Welche Adressat*innen gab es? Welche Voraussetzungen und Diskurse beeinflussten die tänzerische Reformbewegung auch abseits des künstlerischen Feldes? Insofern von einem Feld kultureller Bildungsarbeit historisch gesprochen werden kann, adressierte dies primär ein aufsteigendes Arbeitertum und ein bürgerlich jugendbewegtes Publikum, das sich in Vereinen zu organisieren begann. Anders als in den USA, wo es teils gelang, Tanz an
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Schulen zu institutionalisieren, ist die kulturelle Bildungsarbeit in Deutschland, nicht nur mit den Diskursen der Körper- und Sozialreformbewegung eng verbunden, sondern auch mit der zeitgleich expandierenden Vereinskultur. Dies hat einerseits mit der Versammlungsfreiheit zu tun, die durch Vereine historisch zu einer Zeit gewährt wurde, in der sie nicht selbstverständlich war, anderseits steht diese Entwicklung auch in Zusammenhang mit einem gesteigerten Interesse an Freizeitgestaltung. Nachdem Reformen zur Arbeitszeitregelung und zur sozialen Absicherung griffen, wurde erstmals ein größeres Maß an Freizeitgestaltung auch für Arbeiter*innen möglich. Es gilt also zu fragen: Was sind die Kontexte, in denen Entwicklungen möglich waren? Und für wen? Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts wurden zahlreiche Arbeiterkulturvereine gegründet, zu deren erfolgreichsten Gruppierungen die »Arbeiterchorsänger« und Volksbühnenbewegung gehörten sowie die Sportvereine (Wesp 1998: 9; Klenke/Lilje/Walter 1992; Stiller 1995). Ihre Blütezeit erlebten diese Kulturorganisationen allerdings in der Weimarer Republik. Die Mitgliederzahl der organisierten Arbeiter*innenschaft in Sport-, Turnund Freizeitorganisationen stieg nach dem 1. Weltkrieg sprunghaft über die Millionengrenze an (Jahrbuch der SPD 1928). Sie wurden hauptsächlich als Freizeitorganisationen gewertet, die es den Arbeiter*innen ermöglichen sollten, der Diskriminierung oder Bevormundung in den bürgerlichen Bildungs- und Sportkontexten zu entgehen und Solidarität untereinander zu stiften. Während für manche Politfunktionäre die Vereine überflüssige Ablenkung darstellten, weil sie den Fokus vom Klassenkampf abzogen, entstand gleichzeitig eine kulturelle Interpretation vom Sozialismus (Kultursozialismus), dessen Ziel die Aufwertung oder gar »Veredelung des Arbeiters« im Jetzt durch kulturelle Lebenswerte war (Hartig 1924: 1). Die kultursozialistische Bewegung entstand im Kontext eines Paradigmenwechsels zu einem sich erweiternden Kulturverständnis, das nicht mehr nur Kunst und Bildungsgüter einschloss. Kultur bezog sich nunmehr allgemein auf die Lebensweise oder Lebensbedingungen der Menschen. Die Kultursozialist*innen distanzierten sich damit von einer rein materiellen Interpretation des Sozialismus. Vielmehr sahen sie in der Kultur die dritte Säule der sozialistischen Bewegung, auch wenn diese nur unter besseren ökonomischen Bedingungen und der Erhaltung des nach dem Krieg erkämpften Acht-Stunden-Tages realisierbar schien. So postulierte Valtin Hartig, Herausgeber des Kulturwillens und jahrelanger Leiter des Arbeiter-
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Bildungs-Institutes Leipzig: »Die Arbeiterbewegung ist eine politische, eine wirtschaftliche und eine Kulturbewegung« (ebd.: 1). Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Kulturwille, das offizielle Organ des ArbeiterBildungs-Instituts, neben der häufigen Sportberichterstattung mehrere Hefte zum Thema Körperkultur und Tanz herausbrachte (Themenhefte Kulturwille 1926 und 1928). Aus diesen sozialen Bewegungen heraus entstanden nun Projekte und Möglichkeiten, in denen sich Tänzer*innen engagieren konnten und die sie mitprägten. Exemplarisch für solche eine Einbindung der Tänzer*innenschaft im Rahmen kultur- und sozialpolitischer Reformen ist deren Teilnahme an einer Tagung auf der »GeSoLei« (Ausstellung für Gesundheit Soziale Führsorge Leibesübungen) vom 27. bis 29. Mai 1926 in Düsseldorf. Diese größte Ausstellungsveranstaltung der Weimarer Republik mit insgesamt fast acht Millionen Besucher*innen, für die riesige Bauten, Parks und Zeltanlagen neu errichtet wurden, lässt erahnen, wie sehr die Utopien zur Erlangung einer neuen Gesellschaft sowohl von Architekt*innen, Künstler*innen, Tänzer*innen, Wirtschafts- und Arbeiterorganisationen getragen wurden (Gesolei 1926). Alle bekannten Gymnastik- und Tanzschulen zeigten Trainingsbeispiele und Vorführungen auf dieser Tagung. Bereits ein Jahr vor dem tanzhistorisch oft besprochenem ersten Tänzerkongress in Magdeburg 1927 (Müller/Stöckemann 1993) traten hier unter anderem Mary Wigman, Rudolf Laban, Kurt Jooss, Hertha Feist und Vera Skoronel, also bekannte Vertreter*innen des modernen Tanzes, unter einer sozialen Schirmherrschaft auf.4 Sie teilten die Utopie, dass über den Körper und Kultur ein ›neuer Mensch‹ zu schaffen sei. Doch wie wurde diese neue Körper- und Gemeinschaftskultur nun konkret in die Pädagogik des Tanzes überführt? Welche Visionen, Prinzipien und Diskurse, aber auch welche Strukturen und Konstellationen lassen sich in diesem Kontext ermitteln? Wie solche Fragen bearbeitet werden können, möchte ich nun anhand einer ersten, kurzen Auswertung der Nachlässe von Jenny Gertz und Martin Gleisner aufzeigen. Beide waren zentrale Protagonist*innen einer Laien- und chorischen Tanzarbeit,
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Die Ausstellung der »GeSoLei« und das dafür geschaffene Gelände von Planetarium und Festhallen war eines der größten Projekte dieser Art in der Weimarer Republik (Körner/Stercken 2002).
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die von Labans Bewegungskonzepten geprägt waren, und veröffentlichten grundlegende pädagogische Schriften für die Arbeit mit Kindern und Laien im Tanz. Zudem geben beide Biografien eindrückliche Beispiele dafür, wie sich tänzerisches, pädagogisches und parteipolitisches Engagement verbinden ließen. Gertz lehrte nach ihrer Zeit an der Schule von Laban in Hamburg und dem Erwerb der Lehrerlizenz ab ca. 1927 an einer ›weltlichen Schule‹ in Halle, die von Arbeiterbünden gefördert wurden (Loesch 1990: 81). Zudem unterrichtete sie in der Weimarer Republik in Ferien- und Zeltlagern der Arbeiterkulturbewegung, den sogenannten ›Kinderrepubliken‹. Als Mitglied der kommunistischen Partei musste Gertz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten fliehen. Später setzte sie ihre Lehrtätigkeit im Kindertanz in der DDR fort, ohne allerdings Anklang bei den politischen Funktionär*innen dafür zu finden (Loesch 1990). Gleisner studierte zunächst Schauspiel am Max Reinhardt Seminar, bevor er bei Hertha Feist in Berlin und dann bei Laban in Hamburg Tanzunterricht nahm. Schließlich erwarb er alle drei möglichen Zertifikate der Labanschule und damit die Berechtigung zu unterrichten und andere Tanzlehrer*innen auszubilden. Er gehörte mit Albrecht Knust zusammen zu jenen organisatorischen ›Händen‹, die zahlreiche der von Laban entworfenen Festinszenierungen und theoretischen Anliegen in die Praxis umsetzten (Hardt 2004). Zudem lehrte er in zahlreichen Volkshochschulen, schrieb und publizierte über den Laientanz und wirkte an der Gestaltung und Choreografie sozialistischer Feiern mit. Auch nach seiner Flucht 1933 in die Niederlande inszenierte er diese zunächst weiter, bis er schließlich vor den Nationalsozialisten über Paris nach New York fliehen musste. In den USA wurde er Sozialpädagoge. Beide haben zudem zahlreiche für die Tanzgeschichte kultureller Bildung relevante Dokumente und Arbeitsbeispiele hinterlassen, die bei weiten noch nicht ausgewertet wurden. Gertz Nachlass ist heute in der tanzwissenschaftlichen Sammlung der Universität Leipzig untergebracht (vormals eigenständig im Tanzarchiv Leipzig, wo ich sie vor mehr als 20 Jahren erstmals einsah) sowie eine größere Dokumentenmappe im deutschen Tanzarchiv Köln zu finden. Zahllose Fotos und Schriften und die wenigen filmischen Aufnahmen (aus den 1930/50er Jahren) lassen vor allem auf die Arbeit mit Kindern, ästhetische und pädagogische Prinzipien und Verfahren des Arbeitens schließen. Im Gegenzug dazu bieten der Nachlass und die
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Publikationen von Gleisner, der mehrere Kisten umfasst und heute im Deutschen Tanzarchiv in Köln ist, neben zahlreichen Entwürfen von Lebensläufen, theoretischen Schriften auch einen historischen Fundus, der die abgrenzenden Diskurse und die institutionellen Rahmungen des Feldes der Laienarbeit im Tanz und im Rahmen einer ›neuen Festkultur‹ konturiert. Würde man die Nachlässe nur einzeln betrachten, ergäbe sich anhand von Gertz Materialien – trotz ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten und der später geringen Wertschätzung ihrer Arbeit in der DDR – eine harmonische, auf das friedliche und soziale Miteinander, die Kreativität einzelner Kinder fokussierte Version kultureller Bildungsarbeit. Gleisners Nachlass entwirft hingegen – trotz aller konstruktiver und tänzerisch-pädagogischer Hingabe und unzähliger pädagogischer Anleitungen – vielmehr ein Bild des Konflikts, der Abgrenzung (u.a. vom Gymnastikbund) und der Sorge um ein Feld, dessen Potentiale als nicht ausgeschöpft gelten und das durch gute Qualität bestechen sollte, um nicht diskreditiert zu werden. In den zahllosen Dokumenten zeigt sich die vielschichtige Verflechtung der Tanzszene mit den sozialen und politischen Diskursen sowie die Mitarbeit an teils politischen Festinszenierungen und Massenkultur. Es wäre allerdings zu einfach, zu schlussfolgern, dass diese Differenz in den Nachlässen dadurch begründet ist, dass Gertz eher die Pädagogin, Gleisner eher der Funktionär war. Solche Demarkationslinien würden den beiden nicht gerecht werden. Zudem waren beide miteinander bekannt und es finden sich pädagogische Schriften von Gertz im Nachlass von Gleisner. Ihre Materialien hier zunächst getrennt und entlang unterschiedlicher Schwerpunkte zu diskutieren, erfolgt primär aus heuristischen Gründen. Es gilt dabei zu verdeutlichen, wie bestimmte Sammlungen historische Narrative prägen und wie unterschiedliche Nachlässe demnach unterschiedliche Geschichtsschreibungen nach sich ziehen können. Bevor eine Geschichtsschreibung möglich ist, sollten daher übergreifende Fragen bezüglich der Quellen und Nachlässe gestellt werden: Wie bestimmt die Auswahl der Quellen und Nachlässe mit, welche Aspekte in den Vordergrund der Forschung rücken? Welchen Schwerpunkt setzen die Sammlungen? Was für Quellentypen (Rezensionen, Briefe, Verträge, Fotos, Filmmaterialien, Werbeflyer) finden sich in den Sammlungen? Welche Materialien nicht? Worüber geben die Quellen Auskunft? Zeugen die Quellen primär von ästhetischen und pädagogischen Visionen? Erzeugen sie ein spezifisches Bild, und von wem und in welcher Weise wird diese
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Bildlichkeit evoziert? Geben diese Quellen Einblick in Diskurse des Feldes? Welche Begriffe und Referenzen werden aufgerufen? Geben sie eine Vielfalt von Perspektiven wieder, oder primär die Sichtweise einzelner? Geben die Quellen etwas über den Kontext preis? Und schließlich, wie überführen wir das, was wir in den Quellen zu erkennen meinen, in ein Narrativ? Solche Fragen entstammen einer kritischen historischen Forschung, die davon ausgeht, dass auch Quellen nicht einfach gefundene Relikte der Vergangenheit sind. In ihrer Hervorbringung als Dokumente, ob in Text-, Bildoder anderer Form werden bereits soziale und ästhetische Codes wirkmächtig, wie Lena Hammergren sehr einschlägig in ihrem Beitrag »Many Sources, Many Voices« aufzeigt (2004). Die Praktik des Tanzes wird in der Übertragung in andere Medien nicht nur schon immer verändert, sondern greift dabei auf die für das jeweilige Medium etablierten Diskurse, Topoi oder technischen Verfahren zu. Aber nicht nur wie die Quellen entstehen, sondern auch wie sie gesammelt werden (von Archivar*innen, Tänzer*innen etc.), stellt eine für die Forschung bestimmende Auswahl dar (Schulze 2005; Hardt 2012). Historische Archive haben sich Tanz lange Zeit primär im Sinne von Kunst(produktion) gewidmet. Materialien zu künstlerischen ›Werken‹ und ästhetischen Prinzipien finden sich daher öfter als solche zur Pädagogik oder den institutionellen Dimensionen. Auch Künstler*innen haben solch eine Auswahl befördert, wenn sie beispielsweise primär Fotos oder Kritiken hinterlassen, die sie in ›idealen‹ Positionen und Bewegungen, beeindruckenden Sprüngen oder Gesten festhielten. Das betrifft auch die Nachlässe von Jenny Gertz und Martin Gleisner.
JENNY GERTZ: DOKUMENTE FÜR EINEN KREATIVEN TANZ MIT KINDERN Die Dokumente von Gertz entwerfen die Vorstellung einer freiheitlichen, für und mit Kindern entwickelten (Tanz-)Pädagogik. Anfang der 1920er Jahre publizierte sie im Eigenverlag eine kurze Schrift, die ihre Version einer Pädagogik für Kinder aus allen sozialen Kontexten entwirft (Gertz ca. [1920] 1924). Dabei ist der Tanz zunächst nur ein Pfeiler in einer übergeordneten Vision einer freiheitlichen Schulung, die von den Kindern und ihren Interessen auszugehen habe und so unterschiedliche Themen wie Reli-
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gion, sexuelle Aufklärung und freie Selbstentfaltung aufwarf (Gertz 1924: 7). Aus diesen Erfahrungen heraus begründet sie die Hinwendung zum modernen künstlerischen Tanz, wie er von Laban entworfen wurde. In der Gesamtschau ihrer Dokumente und weiterer Schriften über ihre Arbeit ergibt sich das Bild einer von ihrer Arbeit überzeugten, an Kreativität sowie am Gemeinschaftswohl interessierten Tanzpädagogin. Dabei standen drei Dinge im Fokus: Zum einen ging es – wie auch in anderen Texten zur kulturellen Förderung von Arbeiter*innen – darum, einen gesunden Körper zu fördern, angesichts teils prekärer Lebensbedingungen. So durchzieht das Material ein Spannungsverhältnis, denn es wird zugleich auf die Notwendigkeit einer körperlichen Schulung und Heilung von körperlichen Beschränkungen verwiesen als auch immer wieder betont wird, dass es der spielerische Umgang mit dem Körper sei, der dazu führe, dass die Kinder »all ihre Gliedmaßen« in Bewegung bringen (Gertz 1926: 53). Der spielerische Aspekt dieser Körperschulung ist mit dem zweiten Interesse von Gertz verbunden. Demnach sollten die Kinder all ihre Erfahrungen und Ideen selbstwirksam in ihren tänzerischen Ausdruck und die Gestaltung von Tänzen einbringen. Es ging Gertz eher um »Begleitung« anstatt »Anleitung« der Kinder (Gertz, Nachlass Gleisner, D 435). Sie vertrat eine moderne Pädagogik, die davon ausging, dass jede Idee, jedes Material, das die Kinder mitbrachten, für den Tanz genutzt werden konnte. Trotz aller Individualität und möglicher Selbstwirksamkeit der Kinder geschah dies nie einzeln, sondern in Gruppengefügen. So galt dann auch Gertz drittes und vorrangiges Interesse der Arbeit in Bewegungschören bzw. den Kinderbewegungschören (ebd.). Kein anderes Mittel begriff Gertz als so geeignet, um Kindern eine konstruktive Arbeit in der Gruppe zu vermitteln (Gertz 1926). Ilse Loesch schrieb begeistert über Gertz Arbeit: »Nun waren sie aber in einen Bewegungschor gekommen und hatten dabei erfahren, daß es unmöglich ist, in einer Gruppe zu tanzen, überhaupt etwas gemeinsam zu tun, wenn jeder auf seinen Willen bestand« (Loesch 1932: 4). Gertz war euphorisiert, wenn ihre teils noch jungen und anfangs schüchternen Kinder »führen« wollten und jene, die sie anfangs als »rücksichtslos« beschrieb, sich nun »unterordneten«. Ihre Begriffswahl mag für heutige Leser*innen teils befremdlich klingen. Wie sie dies allerdings ausführt und wie andere ihre Arbeit beschreiben, wird deutlich, dass es um das Lernen von Kompetenzen ging, die sowohl das Führen als auch das Folgen ermöglichen, z.B. dass auf »Kleine« und »Schwache« Rücksicht genommen wurde (ebd.; Gleisner
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1928). Aus heutiger Sicht würde davon gesprochen, dass auf heterogene Gruppengefüge einzugehen war und dass Kinder dazu ermuntert wurden, sich empathisch in andere hineinzuversetzen und die Belange anderer für das Gruppenwohl mitzuberücksichtigen. So ähneln denn auch Gertz pädagogische Beobachtungen heutigen Position, Zielen und Wirkungsdimensionen kultureller Bildung durch Tanz (Neuber et al. 2020). Oder sind es gerade jene Perspektiven des Tanzpädagogischen in diesen Dokumenten, die für die historische Forschung heute ins Auge stechen? Wie alle Geschichte wird auch jene der kulturellen Bildung von der Gegenwart geprägt, ist in Bezug auf sie geschrieben (Hardt 2012). Diese Frage aufzuwerfen, soll nicht die jeweilige Interpretation diskreditieren, aber es fordert dazu auf, die Grenzen und Fokussierungen der eigenen Forschung offenzulegen. Zudem ermöglicht es, die Geschichte bewusst für die Gegenwart relevant und fruchtbar zu machen. Beispielsweise begreift Gertz sowohl das Führen als auch das Folgen als zentrale Elemente einer tänzerisch gestaltenden Arbeit. Damit ist für sie das Folgen nicht etwas Passives, sondern etwas, das gelernt wird, das eine notwendige Kompetenz und den Einsatz des Einzelnen für die Gruppe bedurfte. Dies ist angesichts heutiger Diskussionen um Teilhabe, die vor allem die aktiven selbstgestalterischen Dimensionen als bildungsrelevant hervorheben, durchaus bedenkenswert und kann dabei helfen, bestimmte Dichotomien und Setzungen kritisch zu befragen. Daher werde ich darauf wieder in Kapitel 6 zurückkommen. Gleichzeitig gilt es solche Interpretationen als von genau solchen zeitgenössischen Perspektiven geprägt auszuweisen. Dies gilt auch für die folgende Auseinandersetzung mit den zahlreichen Fotos im Nachlass von Gertz. Die zahlreichen Schwarz-Weiß-Bilder zeigen einerseits gymnastische Übungen mit kleinen lachenden Kindern, die springen und hüpfen (teils mit Beinen angezogen) oder sich auf dem Boden zusammenkauern. Oft sind sie dabei in Kreisformationen und nicht in frontaler Ausrichtung abgebildet. Andererseits ist der Einfluss der Labanschen Raum- und Bewegungslehre auffällig. Die Fotos von größeren Kindern und Jugendlichen lassen erkennen, dass die gemeinsamen Bewegungen durch verschiedenste Arten des Sich-aufeinander-Beziehens geprägt sind (auch davon, sich abzuwenden und auf unterschiedlichen Höhenlevels zu arbeiten) und nicht lediglich durch das Kopieren der Bewegung von Anderen (wie es bei einem einfachen Verständnis von Führen und Folgen der Fall sein könnte). Gebeugt,
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streckend, knieend, die Hände zu Fäusten geballt im Kreis oder auch ineinander verschränkt auf Wiesen im Freien stehend, gleicht hier keine Bewegung des einen der des anderen und doch lässt sich eine gemeinsame Bewegungsweise erkennen. Abbildung 1: Bewegungschor Jenny Gertz, ca. 1925
Quelle: Privatsammlung
Auf den Gruppenfotos sind auch teils unterschiedliche Zusammenstellungen bezüglich des Geschlechts, Alters und tänzerischen Könnens erkennbar. Bemerkenswert ist dabei, dass zahlreiche der Mädchen und Jungen sowie ältere Jugendliche nackt zusammentanzend abgebildet sind. So lassen sich diese Fotoquellen sowohl ästhetisch als auch körpersoziologisch als revolutionär interpretieren. Diese Fotos hinterließen bei mir einen sehr wohlwollenden Blick auf die Arbeit von Gertz, entsprechen sie doch scheinbar genau jenen Gedanken einer freiheitlichen und lustvollen Bewegungsvermittlung und -aneignung, die Gertz auch schriftlich immer wieder betont. Welchen Einfluss haben Bilder? Was nehmen wir an ihnen wahr? Bei einer genaueren Analyse der Bildersammlungen im Vergleich zu jenen, die 1926 in einem Artikel von Gertz zu Kindertanz in Die Schönheit publiziert wurden, ist zu erkennen, dass viele von ihnen aus dem gleichen Zusammenhang stammen und sich der ›Dokumentation‹ des Bewe-
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gungschorspiel Frühlingseinsatz (ca. 1925) zuordnen lassen. Sie zeigen ähnliche Bewegungsstudien, in den die Kinder und Jugendlichen zum einen in frei schwingenden Gewändern und dann in ähnliche Bewegungskonfigurationen nackt abgebildet sind. Dass sie ein ähnliches Geschehen abbilden, wird in den Sammlungen in den Archiven nicht sofort offensichtlich, da sie dort zum einen teils nicht beschriftet und datiert sind und zum anderen nicht vergleichend sortiert. In Die Schönheit sind einige von ihnen jedoch nebeneinander abgebildet und der Zusammenhang wird sichtbar. Welchen Einfluss haben also nicht nur die Auswahl der Sammlungen, sondern auch wie sie sortiert werden, in Bezug auf das, was wir sehen? Wie kann das Umsortieren von Quellen andere Bezüge deutlich machen? Im Vergleich der Bilder wird auch deutlich, dass hier nicht frei improvisiert wurde, sondern Bewegungsmotive aus dem Chorspiel bewusst abgelichtet wurden. Dennoch sind improvisatorische Momente im Vergleich zwischen nackten und bekleideten Varianten zu erkennen. Während beispielsweise eine zentrale Figur mit dem Arm hochgestreckt in beiden Bildversionen fast identisch ist, zeigen sich Variationen darin, wie sich die Einzelnen darum formierten. Lediglich Ebene und Ausrichtung ähneln sich. Auch andere Bilder deuten darauf hin, dass freie Bewegungsimprovisation mit thematischen und eher figurativen Bewegungsformen verbunden wurde. Während einige Bilder in sich verwobene Gruppenfigurationen zeigen, gibt es auch solche, auf denen die Kinder nach Größe gestaffelt sind, wenn sie den sogenannten ›Trauermarsch‹ verkörpern und mit gesenktem Kopf eine Person tragen (Gertz 1926). Solch eine Interpretation ist auch dann möglich, wenn mit eingerechnet wird, dass die Kostümierung durchaus Einfluss auf die Lesart der Bilder hat. So provozieren die Bilder mit nackten Körpern, dass ich beispielsweise eher die Körper, ihre Formen und ihr Miteinander in den Blick nehme, während mich jene mit Kostümen auf den historischen Kontext (für Labansche Bewegungschöre übliche freischwingende Gewänder) und die Inhalte (Trauermarsch, Kampf) stoßen. Unabhängig von den möglichen Geschichten, die mit diesen Bewegungen verkörpert werden, wird deutlich, dass das ästhetische Erlebnis des Tanzes nicht darauf zielte, ›schöne‹ Bewegungen auszuführen. Vielmehr sind die Bewegungen einerseits von Bewegungsübungen, Qualitäten und Prinzipien Labanscher Bewegungslehre geprägt, anderseits auch von Bewegungen, die das Raue, das Herbe der Arbeitswelt verkörpern. Dunkel geschminkte Gesichter und das Stehen in Kolonnen sowie das Heben der Beine mit ange-
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winkelten Füßen untermauern das teils düstere Gesamtbild. Hier geht es nicht um klassische tänzerische Bewegungen, vielmehr handelt es sich um die Inszenierung eines Spannungsverhältnisses zwischen ›befreiten‹ Körpern einerseits und dem kantigen, harten Lebensalltag der Arbeiterschaft andererseits. Während einige Bilder moderne tänzerische Prinzipien zeigen, greifen die Bewegungen auch typische Motive der Arbeitswelt auf, sind Teil einer Ikonographie der des ›Arbeiterkampfs‹. In diesem Sinne könnte Gertz Bewegungschorarbeit als eine körperlichästhetische Vermittlung gesehen werden, in der es galt, Raumdimensionen, Gruppenanordnung und andere abstrakte tänzerische Elemente zu meistern und zugleich an politische Positionen und eigene Erfahrungen anzubinden. Auch solche Interpretationen gehen mit der jeweiligen – in diesem Fall meiner – wissenschaftlichen Positionierung einher, wie sie auch in anderen Kapiteln immer wieder thematisiert wird. Es gilt also, einen Zwischenschritt einzulegen, um die methodischen Implikationen hier noch einmal deutlicher zu machen, wie sowohl mein Wissen als auch mein Interesse für diese Hervorbringung von Geschichte von Bedeutung ist. Wie bedingt mein ›Wissen‹ in Bezug auf die Kontexte, z.B. über die Arbeiterkulturbewegung und die sozialistische Arbeiterjugend (SAJ), solch eine Interpretation? Wie wirkt hier (m)ein Kunstverständnis mit, dass von zeitgenössischen Arbeitsweisen geprägt ist? So interpretiere ich die Bilder von Gertz derart, dass sie ein Bewegungspotential aus bekannten Darstellungen der Arbeiter*innen aufgriffen, wie es auch im Volkstheater und in Agitprop-Formen jener Zeit Verwendung fand. Dabei wurde damit gespielt und die Bewegungen so adaptiert, dass sie für die künstlerische und pädagogische Arbeit im Tanz dienlich waren. Der spielerische Ansatz und die Koedukation lassen sich mit weiteren sozialpädagogischen Diskursen der Zeit verbinden, die im Kontext kultursozialistischer Bestrebungen aufgegriffen wurden. Die gemeinsame Schulung von Jungen und Mädchen war an freiheitlichen Schulen und teils auch in Arbeitervereinen avisiertes Ziel. Gertz setzte dies in die Praxis um. Zudem lassen die zahlreichen Nacktfotos Gertz Arbeit mit Kindern im Kontext jener Freikörperkultur verorten, die die Enterotisierung des nackten Körpers anstrebte. Zwar war die Nacktkörperkultur ebenso wie andere reformerische Bestrebungen der Zeit vorrangig ein Produkt der bürgerlichen Jugendbewegung, doch konnte sie auch für die Sozialisten sinnvoll ausgedeutet werden. Dabei gibt es Fotos, die die Jugendlichen und Kinder
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sowohl nackt als auch bekleidet in den gleichen Szenen zeigen (z.B. Fotos zum Trauermarsch, Sammlung Gertz, DTK). Gertz’ Dokumenten zu Folge beeinflussten auch die Anlässe und räumlichen Kontexte, ob nackt oder bekleidet geprobt wurde. Insofern sie sich in Turnhallen oder Gebäuden aufhielten, hatten alle ein »Höschen« zu tragen, im Freien konnten sie jedoch vollständig nackt tanzen (Gertz, Nachlass Gleisner 435). In einer sozialistischen Interpretation war Nacktheit dem Arbeiterkampf dienlich, denn demnach sei das Schamgefühl als bürgerliches Herrschaftsinstrument zu begreifen. Zudem wurde argumentiert, dass die Nacktkörperkultur Ausdruck einer allgemeinen Aufwertung des Körpers war und zu seiner hygienischen Pflege beitrug. Letztlich galt, dass im nackten Stadium alle Menschen gleich waren (Zimmermann 1928). In der Realität blieb jedoch auch bei der organisierten Arbeiterschaft ein schambeladenes Gefühl zu körperlicher Nacktheit in der Weimarer Republik prägend (Hardt 2004). Umso bedeutender ist, dass Gertz den Kindern im Kontext schulischer Erziehung ein befreites Körpergefühl ermöglichen wollte. Welche Bedeutung dies für die Kinder hatte, wie sie es empfanden oder was sie daraus für sich zogen, kann aus solchen Materialen nicht geschlossen werden. Dennoch sind solche historischen Dokumente auch abseits des Einblicks in historische pädagogische und ästhetische Konzepte spannend für die praktische Arbeit mit Tanz und kultureller Bildung. Gertz Dokumente dienen heute als Inspirationsquellen im Bereich der Tanzpädagogik oder kulturellen Bildung und so ließe sich deren Weiterleben auswerten und Tanzgeschichte als eine performative Geschichte (Hardt 2011; 2012) weiterschreiben, denn Gertz wird mittlerweile in tanzpädagogischen Kontexten durchaus rezipiert. Es gibt Online-Kurse (Schmid 2022) zu ihrer Pädagogik und es entstehen sogar künstlerische »Tanz in Schulen«-Projekte (Ligna)5 in Anlehnung an ihre Arbeiten und theoretischen Texte. Welche Formen der Tanzgeschichte sich dabei aktivieren und entwerfen lassen und für die Analyse historischen Materials neue Rückschlüsse aufwerfen können, wäre eine weitere Forschungsaufgabe.
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Projekt Klasse Kinder! von Ligna (zu Gertz), Tanzplattform Frankfurt (2018).
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MARTIN GLEISNER: DOKUMENTE FÜR EINE BIOGRAFISCHE, INSTITUTIONELLE UND POLITISCHE GESCHICHTE KULTURELLER BILDUNGSARBEIT IM TANZ Von solch einer aktuellen Rezeption kann in Bezug auf die Arbeit von Martin Gleisner nicht gesprochen werden. In tanzpädagogischen Kontexten ebenso wie in der Tanzgeschichte ist er weitgehend unbekannt. Dies hat – so meine These – nicht nur mit seiner Emigration in die USA zu tun, sondern auch damit, dass bisher in der Tanzgeschichte jene, die organisatorisch oder strukturell den Tanz fördern, wenig Aufmerksamkeit erhalten. Gleisners Nachlass im Deutschen Tanzarchiv Köln ist dabei eine wahre Fundgrube für die Geschichtsschreibung einer modernen Laientanzkultur, die soziale, kulturelle und politische Wirkung anstrebte. An seinem Nachlass lässt sich diskutieren, wie Quellen nicht einfach als gefundene Dokumente verstanden werden können, sondern wie diese an der Form der Tanzgeschichte mitwirken, wie sich soziale und historische Codes ebenso wie die Bedingungen ihrer Entstehung in ihnen aufzeigen lassen. Insbesondere eignet sich Gleisners Nachlass dazu, näher darauf einzugehen, wie sich das Feld der kulturellen Bildung im Tanz sowohl organisatorisch als auch ideell von anderen, insbesondere vom Bereich der Gymnastik, abgrenzte. Gleisner war ein Schriftführer Labans (im wahrsten Sinne des Wortes). So war er daran beteiligt, die Zeitschrift Schrifttanz herauszugeben und dort Plädoyers für solch eine Tanzschrift zu schreiben. Diese eigneten sich seiner Meinung nach im besonderen Maße dafür, Tänze für andere Laientanzgruppen künstlerisch zu gestalten bzw. die Zusammenarbeit in Festen über die Distanz zu proben.6 So finden sich beispielsweise in seinem Nachlass Notationen von Bewegungschören zu Festspielen. Wie pädagogische, künstlerische und politische Perspektiven zusammen zu bringen waren, wird in seinen Buch Tanz für Alle (Gleisner 1928) erkennbar. Tanz für Alle 6
In seinem Nachlass befinden sich dann auch Notationen zu Laienfestspielen, auch solche mit Kindern. Diese zeigen auch, dass Jungen und Mädchen unterschiedliche Bewegungen ausführten. Dies ist um so interessanter, da Gertz solch eine Unterscheidung, beispielsweise in ihren dokumentierten Inszenierungen oder für Fotos, nicht machte.
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war nicht das einzige Buch über Tanz, das von einem Autor mit sozialistischer Perspektive geschrieben wurde. An der Stelle wäre auch John Schikowskis Geschichte des modernen Tanzes (1926) zu nennen. Doch kein anderes Buch über Tanz wurde in der Weimarer Republik so oft in der links-orientierten Presse besprochen und als Meilenstein für die Grundlagen einer breiten, vor allem auch die Arbeiterklasse miteinbeziehenden Tanzkunst gesehen wie Gleisners.7 Gleisners Werk fehlt trotz seines Fokus auf die Gemeinschaft, Volkskunst und das Plädoyer für eine neue Körperlichkeit jeglicher nationalistische oder völkische Unterton, wie er zahlreiche Bücher zur Gymnastik und Volksgemeinschaft der Zeit von Rudolf Bode bis Hans Surén prägte (Bode 1925; Surén 1925) . Vielmehr stellte er in seinen Schriften das kreative Miteinander, das Fördern des Einzelnen in der Gruppe und die Sinngebung durch die Gemeinschaft in den Mittelpunkt. Die 42 Abbildungen, die den Band visuell prägen, zeigen neben der von Gleisner kritisch kommentierten Massengymnastik in der Mehrheit tänzerische Übungen im Freien, spielerische und humorvolle Improvisationen, Kinder, die auf dem Rücken liegen und mit den Beinen strampeln, Bewegungschöre (auch solche von Gertz), die sich nicht so sehr durch ihre Formation als vielmehr durch den Spaß an Bewegung, auch am Ziehen von Grimassen, auszeichnen. Wieso sind dann aber weder seine Arbeit noch seine Texte heute bekannt? Biografische Konstruktionen erforschen Sicherlich war der erschwerte Zugang zu seinem Nachlass – der lange Zeit in Privatbesitz lag – daran beteiligt, dass Gleisner wenig erforscht wurde. Gleichzeitig wird aber auch die politische Biografie und die Emigration Gleisners seinen Anteil an solcher ›Unsichtbarkeit‹ haben. Biografische Aspekte in eine Tanzgeschichte zu integrieren, kann daher auch für eine kritische Tanzgeschichte durchaus gewinnbringend sein. An der biografischen Arbeit lässt sich besonders gut verdeutlichen, wie Geschichte konstruiert und neu konstruiert wird. Gleisners Nachlass lässt beispielsweise veranschaulichen, wie sich die Darstellung seines eigenen Lebenslaufs über die Zeit veränderte. Anhand seiner eigenen auto-biografischen Dokumente,
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Vgl. Sammlung von mehr als 20 Rezensionen im Nachlass Gleisner.
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sogenannter »Ego-Dokumente« (Etzemüller 2012: 62) wie Lebensläufe und biografische Notizen, wird deutlich, welchen Einfluss der sich verändernde politische Kontext auf die Inhalte und Form dieser Dokumente hatte. In Gleisners Nachlass befinden sich zahlreiche – immer wieder leicht variierende – Lebensläufe. Manche sind handschriftlich, mit Anmerkungen für Struktur und Verbesserung, andere wiederum auf Blaupause als Durchschrift von offiziellen Bewerbungen. Aus letzteren wird das Ziel erkennbar, sich als einen herausragenden und erfahrenen Tanzpädagogen darzustellen. Dies ist vor allem nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten von Bedeutung als er zunächst nach Holland und Frankreich und dann legal in die USA ausreisen möchte. Stehen Familie, die Hinwendung und Erweckung zum Tanz, das politische und soziale Engagement im Vordergrund der ersten Dokumente und haben diese teils narrative und beispielhafte Darstellungen, werden die späteren systematisch geordnet und das politische Engagement in der SPD, insbesondere für die Sozialistische Arbeiterjugend nicht mehr im Lebenslauf für die US-Einreise erwähnt. Hier lässt sich einmal mehr verdeutlichen, was es heißt, dass Quellen nicht einfach gefunden werden, sondern von den sozialen und ästhetischen Codes der Zeit als auch von den Interessen ihrer Autor*innen in ihrer Hervorbringung bedingt sind (Hammergren 2004). Auch das sollten wir bedenken, wenn in kurzen Überblicken die Biografien von Tänzer*innen historisch dargestellt werden. Auf welchen Angaben beruhen sie? Wie und weshalb inszenieren sich Tänzer*innen darin in bestimmter Weise und/oder werden so dargestellt? Welche Kontexte könnten die Darstellung damals und heute beeinflussen? Diese Fragen sollten eine kritische Tanzgeschichte auch im Feld der kulturellen Bildungsarbeit reflektieren. Andernfalls könnte es passieren, dass gerade jene strukturellen Kämpfe und organisatorischen Einsätze untergehen, die es bedarf, um kulturelle Bildung möglich und sichtbar zu machen. Mit dem Fokus auf eine pädagogische Kompetenz in Gleisners Lebenslauf geraten nämlich genau jene Konflikte und jenes politische Engagement sowohl innerhalb des Feldes als auch darüber hinaus aus dem Blick, die sich an anderen Dokumenten seines Nachlasses diskutieren lassen.
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Konzeptionelle und institutionelle Abgrenzungsstrategien der Laientanzbewegung Aus den Texten von Gleisner gehen nicht nur die pädagogischen Prinzipien einer modernen Laientanzarbeit hervor (die denen von Gertz sehr ähneln), sondern in seinen Schriften werden auch die Demarkationslinien des Feldes deutlich – insbesondere die Abgrenzung vom deutschen Gymnastikbund. Solche Dokumente der Auseinandersetzung und des Konflikts erlauben das Selbstverständnis der modernen Laientanzbewegung zu skizzieren. Dabei stehen Begriffe wie Dilettantismus und freier Ausdruck im Mittelpunkt der Diskussion. Zunächst hatten Laban und Bode (von der Seite der Gymnastik) zusammengearbeitet. Beide waren engagiert in der Etablierung ihrer Tanzbzw. Gymnastikschulen. Sie schlossen ihre Schulen 1925 in einem gemeinsamen Bund für Gymnastik zusammen und verfolgten damit das Anliegen, den Einfluss auf die allgemeine Leibesübung, die immer noch vom Jahnschen Turnen geprägt war, landesweit zu stärken (o. A. 1926, Nachlass Gleisner). Allerdings währte die Zusammenarbeit nicht lange. Die Verwendung gleicher Konzepte und Begrifflichkeiten bedeutete nicht auch gleiche praktische Übungen und Selbstverständnisse. Wie tief verfeindet die Gymnastiker*innen und Tänzer*innen auf der verbalen und organisatorischen Ebenen waren, wird durch einen Beitrag von Gleisner in der Zeitschrift Singchor und Tanz (1929) deutlich. Hier rechnet er mit einem Beitrag von Hans von Berlepsch-Balendas ab. Dieser hatte unter Verweis auf den Vorsitzenden des Deutschen Gymnastikbundes im Heft der Freien Volksbildung vor allem gegen die weitere Verbreitung des modernen Laientanzes, der nur »dilettantisches Gehüpfe« hervorbringe, argumentiert (ebd.). Die künstlerische Praktik solle demnach eher jenen überlassen werden, die auch über eine fundierte körperlich-künstlerische Ausbildung verfügten. Woher kamen solche Anfeindungen zwischen Tänzer*innen und Gymnastiker*innen? Mit welchen Begriffen und Konzepten wurden Selbstverständnisse und Abgrenzungen geschaffen? Die heftigen Attacken zwischen Tänzer*innen und Gymnastiker*innen zeigen, dass die Verbindung primär an Fragen der Schulung und damit verbundenen machtpolitischen Positionen innerhalb des Bundes brach. Während die Tänzer*innen Gymnastik nur als notwendige Vorstufe sahen, um den Körper für den eigentlichen Tanz durchlässig und geschmeidig zu ma-
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chen, glaubten die Gymnastiker*innen, dass den Schüler*innen an Tanzschulen gar keine gymnastische Grundausbildung zuteilwurde. Vielmehr, so die Ansicht der Gymnastiker*innen, wurde von vornherein eine tänzerische Ausbildung für alle Schüler*innen forciert, obwohl die meisten gar keine künstlerische Begabung hätten. Auf diese Weise sahen sie eine systematische Körperschulung zugunsten eines vermeintlich künstlerischen Ausdrucks vernachlässigt. Ein Bericht zur Tagung des Deutschen Gymnastikbundes vom 25. September 1927 macht diese klare Frontenstellung zwischen Tanz und Gymnastik deutlich: »Die größte Gefahr für die Entwicklung der gymnastischen Arbeit liegt in dem modischen Streben nach tänzerischer Selbstdarstellung. […] Dem falschen Ehrgeiz und der Selbstüberschätzung solcher Art leisten manche Schulen Vorschub, indem sie den künstlerischen Tanz als Ausbildungsziel für alle Schülerinnen anstreben und alle Arbeit von vornherein auf dieses Ziel einstellen.« (Gymnastik, o. A. 1927: 189, Nachlass Gleisner DTK)
Während hier zwar eine ganze Bandbreite von Tanzformen angesprochen wird, richtet sich der Angriff dennoch explizit gegen den modernen Tanz, der hier unter dem Begriff Kunsttanz benannt wird und dessen ästhetische Prinzipien abgelehnt wurden, denn es heißt weiter: »Die großen Bewegungen, die heftigen Temperamentsausbrüche, das Stampfen, Platschen und Toben, all diese typischen Formen modernen ›künstlerischen‹ Tanzes passen zu den wenigsten Menschen unserer Zeit und zu dem Umfang seelischer und körperlicher Bewegung, dem sie kraft ihres persönlichen Wesens künstlerisch gewachsen sind.« (ebd.)
Die Tänzer*innen, hier vertreten durch Gleisner, reagierten auf solche Anfeindungen nicht weniger zimperlich und hoben immer wieder hervor, dass auch sie gegen sogenannte ›Fuscher‹ in der Tanzpädagogik vorgingen. Gleisner griff in Singchor und Tanz Franz Hilker, den Leiter des Gymnastikbundes, in polemischer Weise direkt an: »Es ist ganz klar, warum die Gymnastiker Feinde des Laientanzes sein müssen. Allmählich spürt bei gewecktem Körper- und Bewegungsgefühl die Allgemeinheit, die Körperbildung treiben will, die einseitige Beschränktheit der bloßen Gymnastik.
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Sie spürt, daß die Gymnastik nichts anderes als eine moderne, gerätlose Form des Turnens ist, daß sie dem weitgreifenden Verlangen nach freier Bewegung und körperlichem Ausdruck, insbesondere der Jugend nicht genügt.« (Gleisner 1929: 62)
Freiheit und Ausdruckskraft werden explizit gegen die Vorstellungen einer zweckgebundenen Bewegungsform ausgespielt, die nun in der Gymnastik gesehen und in Verbindung mit dem negativ konnotierten Turnen gesetzt wird. Doch der ›freie‹ Ausdruck im Tanz war nicht problemlos zu erreichen. Auch wenn die Äußerungen über die schädlichen Einflüsse des Tanzes etwas belächelt und aus der differenten Einstellung, was harmonische, natürliche Bewegungen ausmacht, hergeleitet werden könnten, so hakten die Gymnastiker*innen doch an einer kritischen Stelle ein: Wie sollte die Schulung für einen freien, aus sich selbst herauswachsenden tänzerischen Ausdruck aussehen? Gleisner argumentiert zwar wie viele im Feld, dass eine gymnastische Grundschulung für alle wichtig wäre, diese allerdings kein Selbstzweck sei. Dennoch musste die Kritik an einem vermeintlich dilettantischen Auftreten auch bei Gleisner auf Resonanz gestoßen sein. Denn auch in anderen Texten von ihm ging es darum, den Eindruck zu vermeiden, dilettantisch zu wirken. So macht er deutlich, dass die Arbeit im Bewegungschor bereits eine fortgeschrittene sei. Sie bedürfe einer Bewegungsgrundschulung ebenso wie der Vertrautheit mit den Bewegungsprinzipien von Laban. Zudem wurde Gleisner nicht müde, anderen zu erklären, wie man es ›besser‹ machen könnte. In einem Beitrag für die Junge Volksbühne (Gleisner 1932) setzte er sich unter dem passenden Titel »Wie man es nicht machen soll« äußerst kritisch mit dem Auftritt eines Sprechbewegungschors auseinander, der jede Textzeile mit einer anderen Bewegung illustriert hatte. Gleisners Gegenvorschlag war hingegen, um das, was er als »bewegungsmäßig zerfasert« (ebd.) begriff, choreographischer zu gestalten, dass ein einziges Bewegungsmotiv über längere Zeit gehalten werden oder eine sich langsam entwickelnde Richtung etabliert werden solle. Ästhetische und kompositorische Kompetenzen zu vermitteln, unternahm Gleisner in zahlreichen Kontexten. So war er in der Ausbildung von Leiter*innen einer neuen ›proletarischen Festkultur‹ aktiv. Diese Dokumente lassen sich nun wiederum nicht nur auf ihre ästhetischen und pädagogischen Prinzipien ausdeuten. Beispielsweise eignen sich Materialien zu einer Fortbildung in der sogenannten Neuen Festkultur dazu, zu schlussfolgern,
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dass das Feld der kulturellen Bildungsarbeit damals – trotzt aller postulierter Emanzipation in linken Kreisen – primär ein männliches Feld war. In der Liste der insgesamt 21 Teilnehmer*innen aus dem Kreis der sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ), aber auch anderen Arbeiterorganisationen, ist nur eine Frau aufgelistet. Was können diese Dokumente, wie Erfahrungsberichte, Listen und Aufgabenstellungen von Weiterbildungen also für Forschung anregen? Welche institutionellen und organisatorischen Strukturen von tänzerischer Arbeit mit Laien lassen sich hieran erkennen? Wie sähe eine Institutionsgeschichte des Feldes aus und welche Aufschlüsse könnte sie für das heutige Feld der kulturellen Bildung liefern? An der hier nur randständig eröffneten Diskussion von Gleisners Nachlass, der sehr viel mehr Material und Potential bietet, lässt sich in Ansätzen erkennen, in welche Richtungen eine historische Forschung zu kultureller Bildung vertieft werden könnte. Dies beinhaltet neben der Erforschung der erwähnten pädagogischen Diskurse und Grenzziehungen des Feldes, die hierarchischen und gegenderten Vorstellungen einer Laien- und Festtanzkultur. Ebenso fordert es dazu auf, die Institutionen und Organisationen, die solche Arbeit möglich gemacht haben, in den Blick zu nehmen. Fragen nach künstlerischer Gestaltung und Kompetenzen spielen hierbei ebenso eine Rolle wie persönliche und institutionalisierte Abneigungen und Vorlieben. Aus Gleisners Nachlass wird deutlich, dass das Feld der kulturellen Bildungsarbeit kein konfliktfreier Raum war. Streit, Scheitern, Widersprüche prägten das Feld. Gleisner scheute diese Auseinandersetzung nicht, sondern sah sie als Anlass für kreative Weiterentwicklung und Erklärungen seiner Standpunkte und Kompetenzen. Solch eine historische Forschung wirft daher auch für das heutige Feld Fragen nach Abgrenzungen und Konflikten auf, die in der Forschung zu kultureller Bildung meist weniger explizit angesprochen werden (Kapitel 7).
FÜR EINE POLITISCHE TANZGESCHICHTE Darüber hinaus weisen die Nachlässe von Gleisner und Gertz eine Ähnlichkeit in Bezug auf ihr politisches Engagement auf. Dass beide dies in linkspolitischen Kontexten taten, sollte jedoch nicht darauf schließen lassen, dass die politische Zuordnung jener, die das Feld kultureller Bildung mit-
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prägten, so eindeutig war. Wie auch für andere Kontexte der Körper- und Bewegungskultur lässt sich im tanzpädagogischen Feld durchaus eine Affinität zu einem Gedankengut erkennen, dass auch von Nationalsozialisten geteilt und später vorgegeben wurde (Baxmann 2002). Mehr noch, die institutionelle und strukturelle Einbettung in Förder- und Bildungsprogramme der Nationalsozialisten geschah nicht ohne das Mitwirken von Tänzer*innen und Pädagog*innen, die Richtlinien umsetzen und vermittelten. Einen ›neuen Menschen‹ zu schaffen und eine neue Gemeinschaftskultur zu fördern, wurde von Linken wie Rechten gleichermaßen geteilt. Es gilt vielmehr differenziert herauszuarbeiten, wie das z.B. Susan Manning (1993) und Laure Guilbert (2000; 2007) in Bezug auf Wigman oder einen der wichtigsten Tanzkritiker der Zeit, Fritz Böhme, getan haben – wie genau die politischen Verstrickungen aussahen. Ein Beispiel, das sicherlich diesbezüglich einer eingehenderen Forschung bedarf, als ich es hier in einer Forschungsheuristik diskutieren kann, tangiert beispielsweise die Frage nach den politischen Verstrickungen von Dorothee Günther und Maya Lex in eine vom Nationalsozialismus beeinflusste Tanzpädagogik. Beide waren zentralen Figuren einer modernen Tanzpädagogik und beeinflussen indirekt bis heute die kulturelle Bildungsarbeit im Tanz. Ihr entwickelter Elementarer Tanz prägt durch seine Institutionalisierung und Fortleben an der Deutschen Sporthochschule Köln zahlreiche Jahrgänge von Sportleher*innen, die Tanz in diversen Kontexten – zumeist an Schulkinder und Laien – weitervermitteln. Dass Günther aktiv für den Tanz und die Gestaltung von Institutionen im Nationalsozialismus war, ist zumeist unbestritten. Eine gängige Interpretation ist diesbezüglich, dass sich Günther lediglich nationalsozialistischen Vorgaben anpasste, um weiter arbeiten zu können und ihre Schule in München erhalten zu können (Kugler 2002). Doch in welcher Beziehung stand Günthers Bildungsarbeit zur nationalsozialistischen Politik und wie wird dies heutzutage zum Thema gemacht? Dokumente zu Günther und dieser Thematik lassen sich beispielsweise im von Kugler herausgegeben Band zur Geschichte ihrer Schule in München (2002) ebenso wie in Sammlungen im Deutschen Tanzarchiv Köln finden. Anhand der Dokumente (u. a. den Durchschriften von Vortragsmanuskripten, Prüfungsordnungen, Aufsätzen von Günther) lässt sich untersuchen, wie nationalsozialistisches Gedankengut von den involvierten Tänzer*innen in die eigene Sprache, Interpretationen und Studienordnungen
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überführt wurde. Rassenlehre, Verweise auf den Führer, Kenntnisse zu den Organisationsstrukturen des neuen Staates und seine Begründungen wurden in der Schule in Vorträgen und Seminaren ebenso vermittelt, wie eine Pädagogik, die auf einen ganzheitlichen Menschen zielte. Darin sollten Körper und Geist, Musik und Bewegung sich vereint darstellen. Dass einige dieser Themen erst nach 1933 in den Dokumenten erscheinen, lässt eine Interpretation zu, wonach Günther sich lediglich anpasste. Mir geht es im Folgenden weniger darum, zu klären, wie und in welcher Weise Günther opportun gehandelt hat, sondern darum, was sich mit diesen Dokumenten erforschen lässt. So ist zunächst einmal festzustellen, dass Günther ihren Nachlass nicht um vermeintlich belastende Dokumente bereinigt hat, wie es für zahlreiche andere Nachlässe zu konstatieren ist (z.B. in den Sammlungen zu Wigman in der Akademie der Künste). Auch zeugen die Dokumente davon, dass sowohl vor als auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten die Verbindung von Tanz und Musik eine große Priorität für Günther besaß und dass sie dies mithin passfähiger für eine nationalsozialistische Vorstellung von Kunst machte als so manch andere Künstler*innen, die vehementer für Tanz als unabhängig von Musik plädierten. Aber dies begründet an sich keine nationalsozialistisch geprägte Kunstvorstellung. Dennoch lassen sich Schnittstellen und Differenzen spezifischer diskutieren. Die Akribie, mit der Günther die Inhalte einer durch die Nationalsozialisten geprägten Schulung inhaltlich ausarbeitete und formal festhielt, wäre beispielsweise zu erwähnen. Ausführungen zu einer sogenannten deutschen Tanzkunst wurden dezidiert in Vorträgen ausgearbeitet, die in Durchschrift einsehbar sind. Doch verdeutlicht Akribie, dass sich Günther damit besonders identifizierte? Für welchen Zweck wurden die Dokumente genau produziert? In welchem Kontext und Umfang wurden diese Vorträge gehalten? Diese Fragen lassen sich nur schwerlich beantworten. Was sich allerdings erkennen lässt, ist, dass Günter über diese Zeit hinaus ein Interesse und Fähigkeit besaß, Studien- und Prüfungsregeln zu entwickeln und die Tanzpädagogik zu systematisieren. Spannenderweise lassen sich die Begründungen für solche prinzipiengeleitete und geregelte Tanzkunst, wie sie sie bereits 1930 festhielt, auch mit durch den Nationalsozialismus geprägten Argumenten verbinden. So erklärte sie in einem Beitrag in Schrifttanz 1930, dass Tanzpädagogik sich von einzelnen herausragenden Persönlichkeiten emanzipieren müsse, da diese nur zur Nachah-
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mung, aber weniger zur Erfassung von Tanz und seiner Vermittlung animiere (Günther 1930). Drei Jahre später verbindet sie solch ein Argument in der Zeitschrift Die Tat mit der Entwicklung einer von den Nationalsozialisten avisierten »Ständegesellschaft« in Abgrenzung zur bürgerlichen oder Klassengesellschaft (Günther 1933: 105). So finden sich Schnittstellen bezüglich eines Interesses der regelgeleiteten und curricular nachvollziehbaren tanzpädagogischer Praxis einerseits und der Ablehnung eines Systems der »Meisterlehre« anderseits, hingegen weniger auf der Ebene konkreter tanzpädagogischer Inhalte (ebd.: 107). Diese tanzpädagogischen Ideen blieben auch in Publikationen nach 1933 jenen von zuvor ähnlich. Es galt für Günther eine freiheitliche Pädagogik des Tanzes auf universelle Kriterien aufzubauen, verbindliche Inhalte zu schaffen, um die Qualität tänzerischer Vermittlungspraxis zu fördern. Dies teilte sie beispielsweise mit Gleisner. So verliefen die Demarkationslinien hier uneindeutig, lassen sich nicht allein in Bezug auf politische Kooperationen im Nationalsozialismus beziehen. Vielmehr deutet sich hier eine andere Demarkationslinie an, nämlich zwischen jenen, die für die Verschriftlichung von pädagogischen Programmen und Tanz prinzipiell eintraten und solchen, die solch einer verschriftlichten Systematisierung ablehnend gegenüberstanden (z.B. Wigman, Palucca). Welche Bedeutung werden also pädagogischen Reglementierungen und Verschriftlichung von wem gegeben? In Anbindung an welche Institutionen und Vorgaben werden diese entwickelt? Inwiefern war es dabei möglich, welche politischen Positionen mit welchen Praktiken und Regelungen zu verbinden? Vor dem Hintergrund welcher Diskurse werden Entscheidungen begründet? Dies sind mithin Fragen, die eine politische Tanzgeschichtsschreibung genauer aufschlüsseln sollte. Der Nachlass von Günther gibt auch Indizien dafür, dass sich die Verfeindung von Tanz und Gymnastik spätestens mit dem Nationalsozialismus offiziell auflöste und dass Günther, sich an der Gymnastikausbildung staatlich geprüfter Gymnastikpädagog*innen beteiligte. So gab es einen Tanzund einen Gymnastikzweig ihrer Münchner Güntherschule. Es ließe sich sicherlich auch fragen, ob die Grenzen zuvor wirklich so eindeutig ausgeprägt waren, wie Gleisners Nachlass es suggeriert. Vielmehr machen die Nachlässe im Vergleich miteinander deutlich, wie widersprüchlich und komplex das Feld der Tanzpädagogik sich historisch darstellt. Diese Komplexität findet sich mithin in den einzelnen Sammlungen selbst. So folgte Günther argumentativ den Leitlinien einer nationalsozialistischen Interpre-
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tation, wenn sie gegen eine bürgerliche Kulturdominanz aussprach. Doch ein Blick in andere Dokumente zeigt, dass solche Äußerungen sich mit der praktischen Realität wohl nicht zur Deckung bringen ließ. Der Flyer der Güntherschule im Nationalsozialismus enthält nämlich auch die Auflistung für die Kosten einer Ausbildung zur staatlich geprüften Gymnastiklehrer*in. Sie beliefen sich auf ca. ca. 800 Mark im Jahr (Sammlung Günther, DTK). Diese Aufwendungen für einen nicht sehr finanzstarken Beruf werden sich zumeist Frauen aus eher bürgerlichen Familien geleistet haben. Es gilt solche Widersprüche herauszuarbeiten und sie als konstitutiv für das Feld zu behandeln. Es bedarf also nicht der Überführung in ein stimmiges Narrativ. Vielmehr ist es von Interesse zu fragen: Welchen Einfluss hatten die politischen und pädagogischen Visionen auf die Praxis und die erfahrene Realität (die sicherlich jeweils zu anderen Wahrnehmungen und Zwängen führte)? Solche Fragen aufzuschlüsseln, macht das Feld der historischen Forschung auch für die aktuelle Praxis bedeutsam. Diese Fragen lassen sich allerdings nicht nur mit den Dokumenten, die in Archiven und Nachlässen gefunden werden, diskutieren. Hier bedarf es einer anderen Art der Recherche, wie sie mittlerweile in Oral History Verfahren (Ritchie 2012) oder zunehmend auch ethnographischer Forschung im Feld der Tanzgeschichte etabliert sind (Buckland 1999). Gespräche mit Zeitzeug*innen können genauso zu einem Material der Untersuchung werden. Doch auch solche Interviews gilt es, kritisch zu befragen. Fragen, die mit solch einer qualitativ empirischen Forschung und ihren Interviewtechniken verbunden sind, werden nun in den nächsten zwei Kapiteln näher aufgefächert.
FAZIT Historisches Forschen ist im mehrfachen Sinne von Interessen, Codes und historischen Narrativen hervorgebracht: von jenen, die Quellen hinterlassen und produzieren, von jenen, die sie sammeln und als wertvoll für die Aufbewahrung in Archiven erachten und letztlich denen, die sie auswerten, interpretieren und mit ihnen arbeiten. Tanzgeschichtsschreibung in Deutschland hat dabei lange vor allem die Protagonist*innen des Bühnentanzes in den Blick genommen, weniger jedoch die Laienarbeit oder das pädagogische Denken und Schaffen. Auch in meiner ursprünglichen Recherche zu
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Martin Gleisner, die nun 20 Jahre zurück liegt (Hardt 2004), galt mein Interesse vor allem der politischen Dimension der Bewegungschöre. Ich wollte zeigen, dass moderne Prinzipien der Bewegung auch in eine politisch geleitete Kunst Eingang gefunden hatten. Die zahlreichen Kisten zu Materialien der Pädagogik schaute ich damals nicht eingehend an. Welche Fragestellungen, Interessen, disziplinären Kontexte und welches Vorwissen wir mitbringen, beeinflusst also die Geschichtsschreibung zu kultureller Bildung. Das eigene Forschungsinteresse offenzulegen und kritisch zu hinterfragen – auch in der aktuellen Forschung zu kultureller Bildung im Tanz – gilt es nun in den nächsten Kapiteln weiter auszudifferenzieren.
WEITERFÜHRENDE LESETIPPS Lena Hammergren (2004). »Many Sources, Many Voices«, in: Alexandra Carter (Hg.): Rethinking Dance History. A Reader, London: Routledge, 20–31. Janine Schulze (2005): »Tanzarchive: ›Wunderkammern‹ der Tanzgeschichte?«, in: Inge Baxmann/Franz-Anton Cramer (Hg.): Deutungsräume. Bewegungswissen als kulturelles Archiv der Moderne, München: Kieser, 119–131. Christina Thurner (2008): »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Nichtvektorielle Geschichtsschreibungen«, in: Ralf Stabel/Claudia FleischleBraun (Hg.): Tanzforschung und Tanzausbildung, Leipzig: Henschel, 84–90. Linda Tomko (1996): »Fete Accompli: gender, ›folk dance‹ and Progressive-era political ideals in New York City«, in: Susan Foster (Hg.): Corporealitie Dancing Knowledge, Culture and Power, New York: Routledge, 155–176.
2 Sich im Forschungsfeld positionieren Gegenstandsverständnisse und Begriffe
• Was ist eine kritische Forschung(shaltung)? • Welche Formen der wissenschaftlichen (Selbst-)Reflexion werden ge-
wählt? • Wie werden unterschiedliche (implizite) Forschungsperspektiven sicht-
bar? • Was bedeutet es allgemein und im konkreten Fall, dass die eigenen Per-
spektiven (Forschungs-)Gegenstände mit hervorbringen? • Welche produktive Kraft haben Forschungsperspektiven, wie kann damit
reflexiv umgegangen werden? • Wie lassen sich unterschiedliche Gegenstandsverständnisse identi-
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fizieren? Welche Bedeutung haben sie für die Erforschung von Tanz (im Kontext kultureller Bildung)? Was konstituiert einen Gegenstand als erforschenswert? Wie lassen sich Begriffe und Konzepte auf ihre impliziten Normen befragen? Welche Leistungsverständnisse werden in den Beschreibungen und Begriffen deutliche? Wie lässt sich die Bedeutungsbandbreite von Begriffen diskutieren, bearbeiten, erweitern? Wie bestimmt die Auswahl oder das Verständnis von Begriffen (z.B. des Übens, des Talents, des Ausdrucks) was als erlernt oder erlernbar und was als gegeben erachtet und untersucht wird?
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ALLES ›KRITISCH‹ ODER WAS? 1 WAS IST EINE KRITISCHE FORSCHUNG(-SHALTUNG)? Forschung zu kultureller Bildung wird oftmals mit einem kritischen Gestus assoziiert. Sowohl jene, die kulturelle Bildung erforschen als auch jene, die sie praktizieren, möchten zu einer ›positiven‹ Veränderung der Gesellschaft beitragen: Ob dies nun durch die Schaffung von Zugängen zu mehr (künstlerischer) Bildung für alle geschehen soll, durch die Förderung sozialer Kompetenzen oder die kritische Befragung von Machtverhältnissen und hierarchischen Strukturen mit dem Ziel, diese durchlässiger zu machen. In wissenschaftlichen Kontexten lässt sich ein kritischer Gestus weit zurückverfolgen zu Wissens- und Forschungsverständnissen, welche Konstruktionsprozesse und Machtdimensionen von Wissen herausgestellt haben (Foucault 1994; Kuhn 1976; Butler 1993; Denzin 2009). Gender-Studies und dekoloniale Theorien haben zudem nicht nur die vermeintliche Neutralität von Wissenschaft dekonstruiert, sondern zeigen die Situiertheit (»situated knowledge«, Haraway 1988) jeglichen Wissens auf. Wissen ist demnach nicht unabhängig von den Kontexten seiner Entstehung. Eine kritische Wissenschaft grenzt sich somit von einem sogenannten ›affirmativen‹ oder ›positivistischen‹ Wissenschaftsverständnis ab, das davon ausgeht, dass Wissen ›gefunden‹ wird und dass es neutrale bzw. rein ›objektive‹ Forschung oder Verfahren gibt. In der Forschung zu kultureller Bildung sind Begriffe wie Diskurshoheit, Hierarchien, Macht und In- und Exklusion aufgegriffen worden (Eger 2015; Barthel 2019). Diese Thematiken können eng mit einer kritischen wissenschaftlichen Diskussion und (Selbst-)Reflexion verbunden sein, doch ergibt sich dies nicht automatisch. Und mehr noch, auch eine kritische Wissenschaft ist nicht frei von ›Setzungen‹, die es idealerweise offenzulegen gilt. Dies kann sowohl das Gegenstandsverständnis (was wird unter Tanz verstanden?), das wissenschaftliche Selbstverständnis (z.B. wird Wissenschaft anwendungsbezogen, an naturwissenschaftlichen Standards orientiert, theorie-evozierend oder theorie-überprüfend verstanden?) als auch die theoretischen und impliziten disziplinären Prämissen tangieren (ist die
1
Dieser Überschrift-Titel nimmt Bezug auf eine Frage von Antje Klinge: »Alles Bildung oder was?« (2010: 79).
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Sichtweise beispielsweise von pädagogischen, bildungstheoretischen, psychologischen oder dekolonialen theoretischen Grundannahmen geprägt?). Setzungen gehen also auch mit sogenannten kritischen Grundannahmen einher. Wenn beispielsweise davon ausgegangen wird, dass übergreifende oder universalisierende Theorien nicht der Komplexität von Erfahrungen und Praktiken gerecht werden (Glaser/Strauss 1967) – wie auch diese Publikation das tut – ist das ebenso eine theoretische und normative Setzung wie wenn konstatiert wird, dass ein zentrales Ziel kultureller Bildung die Ermöglichung von gesellschaftlicher Teilhabe sein sollte. Auch wenn Einiges (sowohl in Empirie als auch in Theorie) dafürspricht und solche Prämissen bereits in den Kontext kritischer Forschungsansätze oder Thematiken gehören, kommt eine kritische Forschung nicht umhin, diese eigenen Vorannahmen zu reflektieren. Das mag nicht immer gelingen, denn diese Setzungen sind verwoben mit Strategien und Verfahren der Authentifizierung, die wir mit unserer Ausbildung zu Forschenden erlernen (Bourdieu 1993). Um so mehr gilt es in Bezug auf die eigene Forschung zu fragen: Welche Kategorien, Annahmen und welches Vorwissen leiten die eigenen Beobachtungen? Wie lassen sich die eigenen theoretischen Referenzrahmen, Setzungen und Wertungen erkennen? Was soll mit der Forschung erreicht werden und wie beeinflusst das die Ergebnisse der eignen Forschung? Reflexionspraktiken in der Forschung zu Tanz und kultureller Bildung Wissenschaftliche Selbstreflexion kann davon profitieren, dass zunächst herausgearbeitet wird, welche Reflexionspraktiken prägend für das eigene Forschungsfeld sind. Für die Forschung zu Tanz und kulturelle Bildung lassen sich diese schematisch auf folgende drei Perspektiven engführen. 1. Wissenschaftliche Selbstreflexion ist nicht von vorrangiger Bedeutung. Eine inhaltliche Fokussierung auf Didaktik und Vermittlung dominiert einen Großteil der Forschung zu Tanz und kultureller Bildung. Primäres Ziel ist es, Praktiken zu fördern und deren Arbeits- und Wirkungsweisen aufzuzeigen. Diese Forschung ist explizit anwendungsorientiert und zumeist beschreibend. Wissenschaftliche Selbstreflexion wird hier oftmals als praxisfern verstanden oder werden Begriffe und Verfahren der Be-
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schreibung wie jener von ›Best-Practice-Modellen‹ oder ›erfahrungsbasierter Forschung‹ eher intuitiv verwendet (Schonmann 2015). 2. Quantitative Forschung im Feld sieht ihre Methodenreflexion zumeist darauf fokussiert, zu verdeutlichen, dass ›valide‹, ›geprüfte‹ bzw. anerkannte Verfahren der Erhebung verwendet sowie Problematiken und Grenzen bei der Erhebung benannt werden (Behrens 2012; Keuchel 2009; Konowalczyk et al. 2018). Wissenschaftliche Reflexion zu üben, bedeutet in diesem Kontext unter anderem ausfindig zu machen, ob es ›fehlerhafte‹ Auswahl- oder Auswertungsverfahren gibt. Solche kritische Methodenreflexion wird bisher wenig in der Tanzforschung praktiziert, da quantitative Forschung in diesem Bereich eher randständig in der deutschsprachigen Forschung ist. ›Validierte‹ Verfahren sind zudem nicht immer domainspezifisch und auf den spezifischen Forschungskontext ausgerichtet. Sie erfassen zumeist nur jene Kategorien, die vorher als zentral gesetzt wurden und stellen diese nicht immer zur Reflexion. (Lässt sich beispielsweise Kreativität mit der Erfassung von Produktivität messen? Was für ein Verständnis von Kreativität ist damit verbunden?) Methodenreflexion ist somit keinesfalls automatisch mit einer Reflexion der Grundannahmen verbunden. 3. Qualitative empirische Forschung im Sinne der Grounded Theory und phänomenologisch orientierten Studien begreifen methodisch (selbst)reflektierende Verfahren als wesentlichen Teil ihrer Forschungspraxis (Rappe/Stöger 2017; Klinge 2019; Freytag 2019). Sie verstehen sich bereits in ihrem Selbstverständnis als kritische und alternative Forschungsmethoden und in der Regel wird die eigene Wahrnehmung und Situierung im Prozess des Forschens reflektiert. Dazu gehört, dass danach gefragt wird, wie das eigene Präsentsein im Feld dieses verändert, wie die Erfahrungen und das Wissen der Teilnehmenden idealerweise erfasst werden kann, ohne suggestiv Themen und Begriffe vorzugeben. Einige reflektieren auch, wie das körperlich-sinnliche Involviertsein sowohl Erkenntnisse eruieren kann als auch die Wahrnehmung von Welt jeweils anders figuriert (FunkeWieneke 2008). Die Tanzpraxis, an der ich teilnehme, ist jeweils ein andere, je nachdem, ob ich dies an einem sonnigen Tag voller Energie tue oder ob ich müde und hungrig versuche, mich an einem kalten, grauen Tag darauf einzulassen. Auch diese Forschungsansätze können in ihrer Vorgehensweise kritisch gelesen werden. Wenn beispielsweise die eigenen Wahrnehmungen und jene der Teilnehmende besonders ins Zentrum der Forschung rücken, besteht
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die Gefahr, dass die sozialen und diskursiven Kontexte unbeachtet bleiben. Zudem kann es zu einer starken Identifikation mit der Praxis und ihrer Akteur*innen kommen. Somit können bei einem ausgeprägten Fokus auf körperlich-sinnliche Wahrnehmung von Praktiken mithin Setzungen und theoretische Grundannahmen aus dem Blickfeld geraten, weil bereits in dem Versuch sich von vermeintlich konventionellen Methoden abzugrenzen, das Innovative und Kritische gesehen wird. Alle drei Gruppen profilieren dabei ein unterschiedliches Verhältnis von Praxis und Theorie bzw. von Empirie und Theorie und problematisieren dies anders. Von einem weiterführenden Interesse kann hier vor allem die Auseinandersetzung mit der Grounded Theory sein, um die Bedeutung von Fragen nach grundlegenden theoretischen Prämissen, Kategorien der Wahrnehmung und Vorannahmen aufzeigen.
EMPIRIE UND THEORIE Als Glaser und Strauss die Grounded Theory entwarfen, war es in der sozialwissenschaftlichen Forschung ein Standardverfahren, von einer Theorie des Sozialen ausgehend Hypothesen aufzustellen und diese dann idealtypisch durch zumeist quantitative Erhebungsverfahren zu belegen (Glaser/Strauss 1967; Miethe 2012). Das heißt, Forscher*innen wussten zuvor, was sie finden und bestätigt wissen wollten. Die Grounded Theory versteht sich explizit als eine Alternative zu diesem Primat der Theorie und zielt darauf ab, Kategorien und Bedeutungszusammenhänge aus dem zu untersuchenden Feld durch ethnographische Erhebungs- und Auswertungsverfahren zu eruieren (Ezzy 2010). Kategorien der Beobachtung und Relevanzsetzung sollen also nicht vorab feststehen, sondern idealerweise aus der Praxis emergieren und die ›Realität‹ und ›Erfahrung‹ der Untersuchten so nah wie möglich wiedergeben können. Das ›Erfahrungswissen‹ und die Bedeutungen, die Einzelne oder auch Gruppen ihrem Leben, Praktiken und Zusammenhängen geben, werden so von zentralem Interesse der Forschung (Ezzy 1998). Auf dieser Basis können ›alternative‹ Erzählungen und Interpretationen ermöglicht werden, die nicht den allgemeinen Theorien entsprechen (u.a. gegen Prämissen sozialer Determinierung und stattdessen beispielsweise subkulturelle Widerstände und Aneignungen aufgezeigt werden) (Saukko 2003).
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Es ist dieses sehr dicht an den Akteur*innen/Teilnehmenden und ihren Erfahrungen anlehnende Verständnis der Grounded Theory, das im Kontext der Forschung zu kultureller Bildung, allen voran im Bereich des Tanzes, präsent ist (Rappe/Stöger 2017; Barthel 2019; Freytag 2019). Theoretische Annahmen stehen damit – vor allem dann, wenn es um leibliche Erfahrungen geht – nicht im Zentrum der Forschung, werden sogar teils als kontraproduktiv für das Erfassen von Praktiken und der Art und Weise, wie Menschen und Kollektive ihrer Praxis Bedeutung geben, verstanden (FunkeWieneke 2008; Zirfas/Westphal 2014). Doch ist solche eine Ablehnung von Theorie sinnvoll, gar möglich und in den Methoden angelegt? Zum einen ist – wie der Titel Grounded Theory bereits andeutet – der Ausschluss von Theorie darin gar nicht per se avisiert (Miethe 2012). Zum anderen läuft eine Forschung, die primär auf die Empirie und einen ›theoriefreien‹ Forschungszugang setzt, Gefahr, dass sie die Rolle der Forschenden und deren Verstrickung in weitere Forschungszusammenhänge nicht kritisch erfasst. Dagegen schreibt Ezzy in seiner viel zitierten methodischen Publikation prägnant: »Rigorously conducted qualitive research does not pretend to be uninfluenced by preexisting understandings. Rather it actively engages these preexisting unterstandings, theories and assumptions, allowing them to be transformed and changed so that new theory can be developed« (Ezzy 2002: xiii).2 Ansätze qualitativer empirischer Forschung gehen zudem davon aus, dass erst unsere Fragestellungen und (impliziten) theoretischen Prämissen den Gegenstand der Beobachtung (mit) hervorbringen und dass es einer theoretischen Sensibilisierung (Krinninger/Müller 2012: 64) bedarf, um sinnvolle Wahrnehmungseinheiten zu entdecken.3 »Theoretische Sensibilität bedeutet die Verfügbarkeit brauchbarer heuristischer Konzepte, die die Identifizierung theoretisch relevanter Phänomene im Datenmaterial ermöglichen« (Kelle 2007: 38). Ohne diese kann aus der Masse und Diversität
2
Für eine eingehende Diskussion zum Verhältnis von Theorie und Empirie in der Sozialforschung siehe den Band: Kalthoff et. al. (2015).
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Larissa Schindler hat das beispielsweise sehr eindrucksvoll aufgezeigt bei ihrem Versuch eine Kampfkunst zu erlernen und zu erforschen (Schindler 2016). Sie beschreibt hier, wie sie Dinge zunächst gar nicht sieht oder deren Relevanz nicht erfassen kann.
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von Daten mithin nichts spezifisch eruiert werden, werden keine Zusammenhänge erkennbar, auch nicht, dass Beobachtungen gängige Prämissen unterlaufen. Dennoch nehmen die ›Daten‹ (qualitative Beschreibungen, Erfahrungsberichte, narrative Interviews etc.) in kritischen methodischen Verfahren eine aktive und zentrale Rolle ein. In rekursiven Verfahren – also im Abgleichen zwischen Empirie und eigenen Vorannahmen – können sich so Kategorien und Beobachtungen gegenseitig beeinflussen. Idealerweise kann sich dadurch eine Distanz zu den eigenen Erwartungen und Setzungen entwickeln (Hirschauer 2015). Auf diese Weise können mithin ›neue‹ Theorien ›mittlerer Reichweite‹ aufgestellt werden, die bisher gängige Interpretationen in Frage stellen (Kalthoff 2015: 20). Ziel solcher rekursiven Forschungsverfahren ist es einerseits, ein differenzierteres und von sich als Wissenschaftler*in abstrahierendes Wahrnehmen und Interpretieren zu ermöglichen (Breidenstein et al. 2015; Bourdieu 1993). Dies kann andererseits in einem Spannungsverhältnis zu methodischen Verfahren der Selbstpositionierung stehen, die teils gerade darauf abzielen, das persönliche Eingebundensein hervorzuheben oder die dazu auffordern, empathische oder sich mit den Teilnehmenden identifizierende Situierungen vorzunehmen (Madison 2005). So widersprüchlich diese wissenschaftlichen (Selbst-)Reflexionspraktiken damit sein mögen, so unterscheiden sie sich doch von einer privaten oder gar »narzisstischen Reflexion« (Bourdieu 1993), die sich selbst primär zum Thema macht. Angelpunkt methodischer (Selbst-)Reflexion sollte also das zu Erforschende und nicht die ›Selbsterkenntnis‹ sein. All dies mag zunächst recht abstrakt klingen. Wie sieht das also konkret aus? Welche Verfahren gibt es, um wissenschaftliche Selbstverständnisse offen zu legen oder zu diskutieren?
WISSENSCHAFTLICHE SELBSTREFLEXION UND GEGENSTANDSVERSTÄNDNISSE OFFENLEGEN Was unterscheidet wissenschaftliche (Selbst-)Reflexion von persönlicher Reflexion? Wie lassen sich unterschiedliche Gegenstandsverständnisse identifizieren? Wie können Setzungen oder Vorannahmen deutlich gemacht werden? Welche Bedeutung hat dabei das jeweilige Gegenstandsverständnis (von Tanz)?
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Das Ziel dieses Abschnittes ist es, genauer auf diese wissenschaftliche (Selbst-)Reflexion anhand konkreter Beispiele aus der Forschung zu Tanz einzugehen. Dabei stehen Fragen nach den Forschungsprämissen, den Gegenstandsverständnissen von Tanz und den eigenen Wertungshorizonten in einem ersten Schritt im Vordergrund. Anhand der Diskussion von anfänglichen Beschreibungen teilnehmender Beobachtung und rekursiver Auswertungsverfahren, die das Forschungsprojekt »KubiTanz – Kulturelle Bildung im Tanz« durchlaufen hat, sollen exemplarisch die Vorgehensweisen und Potentiale einer solchen kritischen Selbstreflexion verdeutlicht werden. Im Rahmen eines ethnographischen Zugangs (Friebertshäuser/Prengel 1997; Lamnek 2010; Flick et. al. 2012) wurden zunächst 64 Teilnehmende Beobachtungen, 16 episodisch-narrative Interviews und Experteninterviews durchgeführt. Die Auswertung der Daten erfasste die hohe Diversität des Feldes. Zugleich war in der Auswertungspraxis eine methodologische Reflexion avisiert. Dabei profitierte das Forschungsprojekt von einem interdisziplinären Forschungsteam und seinem mehrperspektivischen Forschungssetting, zu dem unter anderem Tandem-Erhebungen (d.h. jeweils zwei Forscher*innen beobachten die gleiche Vollzugspraktik) gehörten.4 In der gemeinsamen Beobachtung oder einem reflektierenden Gruppengespräch zu eigenen Beschreibungen konnte in einem zirkulären Prozess erkennbar werden, wie die jeweiligen disziplinären Vorprägungen oder Forschungsinteressen einfachste Beobachtungen mitstrukturieren und gerade durch ein wechselseitiges Gegenlesen eine Auseinandersetzung mit diesen disziplinären Perspektiven möglich wird. Das, was hier ggf. als nicht ›objektive‹ Beschreibungen solcher Beobachtungen anmuten mag, wurde nicht so sehr als ›Problem‹ sondern als Anlass und Möglichkeit begriffen, eine methodische Reflexion und Bearbeitung der eigenen Begriffe und Konzepte zu ermöglichen. Sicherlich kann nicht jede Forschungspraxis von
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Alle im Text verwendeten O-Töne aus diesen Aufzeichnungen, Transkripten und Gruppengesprächserinnerung sind durch Anführungszeichen kenntlich gemacht. Da diesen ›Zitaten‹ keine Belegfunktion zukommt und es auch nicht um die ›Rekonstruktion‹ spezifischer Vermittlungsereignisse geht, wurde hier der besseren Lesbarkeit wegen, auf genaue Seiten- und Referenzangaben verzichtet. Die Interviews sowie die transkribierten Beobachtungen sind auf Anfrage digital zugänglich und können zur Weiterarbeit verwendet werden.
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solchen mehrperspektivischen Verfahren profitieren, und die hier folgende Aufschlüsselung von gemachten Beobachtungen ist nicht die einzige Leseweise. Diese folgende Auswertung ist vielmehr von dem Interesse an Begrifflichkeiten und methodischer Reflexion wie auch von meiner disziplinären Verankerung geprägt. Das heißt, meine Forschungsperspektive als Tanzwissenschaftlerin mit einem historischen und methodologischen Fokus sortiert und interpretiert die Skripte der teilnehmenden Beobachtungen und Interviews und erhebt dieses Material zu einem anderen Gegenstand, als wenn ich sie – was später noch passiert – in Bezug auf Körper- und Bewegungsverständnisse oder auf Praktiken der Aneignung hin analysiere. Vor diesem Hintergrund dienen diese folgenden, kondensierten Beispiele dazu, exemplarisch zentrale Forschungstraditionen im Feld aufzuschlüsseln und somit Anschlüsse und Überschneidungen zu anderen Forschungsvorhaben in diesem Rahmen zu eröffnen. Auf den ersten Blick erscheinen die Unterschiede der idealtypisch zusammengeführten Beschreibungen der gleichen Vermittlungssituation nicht groß. Doch es lässt sich zum Zwecke der Verdeutlichung sehr gut damit arbeiten. Drei Forscherinnen würden die gleiche Situation etwa so beschreiben: 1. In der Halle ist heute der Vorhang vor dem Spiegel geöffnet. Die TN trainieren davor die Schritte vom letzten Mal. 2. Im Tanzsaal ist der Spiegel heute offen. Die TN fangen an, die Bewegungsphrase vom Vortag zu üben. 3. Im lichtdurchfluteten Raum beginnen die TN damit, die Bewegungssequenz vom Vortag vor dem heute geöffneten Spiegel zu machen. Wird in der Auswertung solcher Beobachtungen auf einen spezifischen Aspekt fokussiert, der für das Geschehen zentral erscheint, wäre sicherlich die Tatsache des »heute geöffneten Spiegels« auffällig. Der Spiegel wird als zentraler Aktant der Situation identifiziert, der die Aufgabe, die Wahrnehmung von Körper, das Gemeinschaftsgefüge an diesem spezifischen Tag (»heute«) mitbedingt. Würden wir auf einer inhaltlichen Auswertung verharren, wäre sehr bald das Ende der Diskussion dieser kurzen Sätze erreicht. Doch was wird hier gesagt und was wird hier ›nicht‹ gesagt? Was verraten die Beispiele über die wissenschaftliche Positionierung und das Tanzverständnis der Forscher*innen? Während Beispiele eins und
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drei die Ausrichtung hin zum Spiegel erwähnen, wird im zweiten Beispiel davon ausgegangen, dass mit der Nennung des offenen Spiegels auch bereits geklärt ist, dass die Übung vor dem Spiegel stattfindet – es wird somit als eine inhärente Normalität und als nicht erwähnungsbedürftig erfasst. Noch spannender sind die unterschiedlichen Begriffe, die Verben und Substantive, die für das Geschehen gefunden werden. Sie könnten leicht hinter dem klaren Fokus und dem gemeinsamen Identifizieren des Spiegels als einen zentralen Aspekt in den Hintergrund geraten. Welche Kategorien, (impliziten) Annahmen und welches Vorwissen leiten die Beobachtungen? Eine auffällige Differenz wird zunächst bei der Betitelung des Orts des Geschehens erkennbar. Für den Raum wurden jeweils andere Begriffe gewählt. »Halle«, »Tanzsaal«, und »lichtdurchfluteter Raum« geben Hinweise auf unterschiedliche Forschungskontexte: Eine Halle ist tendenziell eher im Sport zu finden, der Tanzsaal ist eine Begrifflichkeit aus einem arrivierten Tanzfeld und Räume in Bezug auf Qualitäten und Atmosphären zu beschreiben, könnte sowohl in zeitgenössischen Tanzpraktiken als auch in einer phänomenologisch orientierten Forschung verortet sein. In den beiden ersten Fällen suggeriert das Verb jeweils, dass die Bewegung noch nicht ideal, verbesserungswürdig ist (sie muss »trainiert«, »geübt« werden). Darüber hinaus lässt sich der Begriff des Trainierens eher im Kontext von Sport oder auch professionellem Tanz verorten, während der Begriff des Übens, der Übung (exercise) auf eher klassisches Tanz- bzw. Kunstverständnis verweisen könnte. Die Begrifflichkeit des »Machens« wäre hier keinesfalls weniger scharf, sondern könnte einem zeitgenössischen tänzerischen Sprachgebrauch entstammen, der explizit von »lasst uns das machen« spricht und bewusst das Prinzip des »Übens« ablehnt (»we do not try, we do«) bzw. einer Forschungsperspektive, die versucht, eine neutrale Sprache zu finden. Die Verben artikulieren somit auch differente Leistungs- und Lernparadigmen. Noch deutlicher konturiert sich allerdings das Gegenstandsverständnis bei der Frage nach dem, was die Teilnehmenden dort tun. Im ersten Fall machen sie »Schritte« – Tanz wird also mehr wie in einem populären aber auch in einem klassischen Verständnis (den Pas) als Schrittemachen verstanden. In den anderen beiden Beispielen (»Bewegungsphrase/-sequenz«) ist das durch die Moderne etablierte Verständnis, dass Tanz Bewegung ist, deutlich. Zudem wird das, was unterrichtet wird, als ein zusammenhängen-
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des Gefüge wahrgenommen. Andere Begriffe hierfür wären Bewegungsfolge oder Bewegungskombination. Dennoch lässt sich auch zwischen den beiden letzteren Beispielen eine deutliche Varianz erkennen. Mit der »Bewegungsphrase« wird ein Wortgebrauch aufgerufen, welcher der historischen Moderne entstammt. Die Beschreibung der Gestaltung bezieht sich hier vor allem auf dynamisch-lyrische Qualitäten (Tanz als Bewegung in Zeit und Raum). Mit der »Bewegungssequenz« wird hingegen auf das analytisch Zergliedernde, das reflektierende Potential und das Gemachtsein (eher als das sich körperlich, gar ›organisch‹ Ergebende) des Tanzes rekurriert, wie es spezifische Spielarten des zeitgenössischen Tanzes seit der Postmoderne verstärkt vertreten. Sicherlich werden diese Begriffe teils synonym im Feld verwendet, manchmal im expliziten Wissen um Differenzen, manchmal nebeneinander ohne spezifische Reflexion um unterschiedliche Bedeutungen, manchmal um Teilnehmende konkret zu adressieren. Es geht hier also weder in Praxis noch Forschung darum, die Verwendung der Begriffe kausal in ein Gegenstandsverständnis zu überführen. Aber in einem größeren Bezugsgeflecht lassen sich daran durchaus Gegenstandsverständnisse in der Tanzpraxis wie Forschung analysieren. Wieso sind solche Details wichtig für die Erforschung von Tanz? Sie machen deutlich, wie unsere Beobachtungen, den ›Gegenstand‹ Tanz in jeweils bestimmter Weise hervorbringen. Ein Offenlegen dieser Beobachtungsdifferenzen kann zu einer Sensibilisierung für Details ermuntern und die damit einhergehenden Wertungen zur Diskussion stellen. Die einführende Beschreibung eines recht simplen Sachverhalts verrät damit nicht nur etwas über das Gegenstandsverständnis, sondern auch über Normalitätssetzungen und Leistungsparadigmen. Und dies bezieht sich sowohl auf die Praktiken, die beobachtet werden, als auch auf die Beobachtungs- und Beschreibungspraktiken der Forschenden. Dabei müssen diese keinesfalls kongruent zu einem einzelnen System passen – vielmehr zeigt sich die Praxis als eine hybride, in der unterschiedlichste Gegenstands- und Körperverständnisse durcheinandergemischt werden können. Es gilt also im Einzelnen zu klären, was die jeweiligen Begriffe sowohl für die Forschenden als auch die Praktiker*innen bezeichnen, um hierüber neue Bedeutungsdimensionen aufzuschließen. Was bedeutet es nun genauer, die darin angelegten Tanzverständnisse aufzuschlüsseln? Wie unterscheidet sich ein Gegenstandsverständnis von theoretischen Konzeptionen oder Definitionen? Sicherlich
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lässt sich anhand dieser kurzen Beschreibungen nicht auf das jeweilige eigene Tanzverständnis oder das von anderen Forschenden schließen. Sie geben jedoch Indizien, die sich durch andere Verfahren zur Reflexion stellen lassen. So bietet es sich beispielsweise an, in Forschungsgruppen Begriffssammlungen in einer Art Mind-Map zusammenzuführen, anstatt nach einer Ausformulierung oder Definition eines Tanzverständnisses zu fragen. Auf die direkte Frage, was ihr jeweiliges Tanzverständnis ist, äußern Forschenden ebenso wie Praktiker*innen tendenziell eher kurze und gut etablierte Konzepte. Das reicht von »Tanz ist Bewegung in Zeit und Raum« bis hin zu »zeitgenössischer Tanz ist eine offene, prozessorientierte, nicht auf einer einheitlichen Technik basierende aber rechercheorientierte tänzerische Praktik«. Während erstere Definition auf die historische Moderne und den Einfluss Rudolf Labans zurückgeht und gerne in anthropologischen Perspektiven auf Tanz aufgegriffen wird (Fritsch 1998, 1999; Liebau/Klepacki 2008: 7f.), ist die zweite eine Variation eines viel zitierten Definitionsversuchs des zeitgenössischen Tanzes von Johannes Odenthal bereits aus dem Ende der 1990er Jahre (Odenthal 1998). Öfter werden diese beiden oder andere Vorstellungen auch miteinander verbunden, sagt die eine etwas allgemein über Tanz, die andere über ein zeitgenössisches Tanzverständnis im Spezifischen (Liebau/Klepacki 2008; Barthel 2017: 27ff.). Manchen ist dabei die spezifische historische oder kontextuelle Verortung ihres Konzeptes bewusst, andere folgen einem eher universalisierenden – weil dem Tanzverständnis als solches entsprechenden – Verständnis. Die historische Moderne – vor allem in Anlehnung an die Systeme von Rudolf Laban, Rosalinde Chladek und Maya Lex (Postuwka 1999) – mit ihrem Fokus auf allgemeine Bewegungsprinzipien und Tanz als Ausdruck wären hier zu nennen, aber ebenso zeitgenössische, somatisch geprägte Praktiken, die in anatomischen Referenzsystemen eine Neutralität annehmen (Coogan 2019). Doch auch abseits von universalisierenden Konzepten ist zu bezweifeln, dass kurz formulierte konzeptionelle Verständnisse von Tanz die Komplexität des Gegenstandsverständnisses und Interessen der jeweiligen Forscher*innen widerspiegeln. Vielmehr sind solche Aussagen auch immer (politische) Setzungen – wie markanter Weise der Untertitel zu Odenthals Texts verdeutlicht, wo es um »eine politische Bestimmung des Tanzes« geht (Odenthal 1998). Solche Definitionen und Tanzverständnisse sind keinesfalls per se kritisch zu beurteilen. Vielmehr können und sollten sie der Ausgangspunkt für vielfältige Diskussionen sein. Sie sind in diesem Sinne
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Setzungen, die einen im Forschungsfeld positionieren – aber selten spiegeln sie das komplexe Konglomerat dessen wider, was als Tanz- und Forschungsverständnis die Forschung mitprägt. Wie lassen sich die eigenen Setzungen und Wertungen aufschlüsseln und reflektieren? Sehr aufschlussreich für unser Forschungsprojekt war daher eine vor dem Beginn der Erhebungen durchgeführte Begriffssammlung zum Gegenstandsverständnis. Dabei wurden zunächst ohne weitere Vorgaben Begriffe zum jeweiligen Tanzverständnis gesucht. Hierbei wurden zumeist Substantive benannt: Viele der genannten Begriffe sind solche aus der zuvor artikulierten Konzeptebene: »Dynamik«, »Ausdruck«, »Durchlässigkeit«, »Offenheit«, »Improvisation«. Spannender ist es hingegen, wenn einschränkend nur nach den Verben gesucht wurde, also danach gefragt wurde: Was macht die Praxis? Hier stehen dann neben solchen Verben wie »bewegen«, »wiederholen«, »variieren«, »spüren«, »sich hineingeben«, »sich einlassen«, »sich ausdrücken«, »üben«, auch solche wie »isolieren«, »(de-)komponieren«, »de-kontextualisieren« und »reflektieren«. Diese Listen sind hier keinesfalls umfassend und in unserem Prozess weitaus länger gewesen, doch in Verbindung mit den daraufhin gesuchten Adjektiven wie: »dynamisch«, »ausdrucksstark«, »kreativ«, »sinnlich«, »weich«, »schwer«, »komplex«, »sachlich«, »destorted«5 etc. konnten über jeweils unterschiedliche Begriffskonstellationen die differenten Vorstellungen von Tanz deutlicher werden. Dabei erschienen manche Begriffe in der anschließenden Diskussion eher wie Erweiterungen nach dem Motto: »Ach stimmt, das habe ich ganz vergessen« und andere wiederum provozieren bei manchen Ablehnungen oder Abgrenzung, wurden als »zu eng«, »zu idealisierend«, oder gar anachronistisch wahrgenommen. Auffällig wurde, dass in dieser ersten Sammlung mit Ausnahme der Begriffe des Übens und der Präzision wenige Verbindungen zu einem eher klassischen Tanzverständnis erkennbar waren. Weder Virtuosität, Leichtig-
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Hier werden die genutzten englischen Bezeichnungen wiedergegeben. Es ist anzumerken, dass insbesondere postmoderne Praktiken durch nordamerikanische Einflüsse geprägt sind und die Vermittlungssprache hier oftmals Englisch ist. Für spezifische Verfahren, Qualitäten und Phänomene scheint es daher keine äquivalente Übersetzung zu geben bzw. werden selbstverständlich diese englischen Begriffe genutzt – dazu gehören beispielsweise »flow«, »ease« etc.
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keit, Synchronizität noch Grazie spielten für das Verständnis von Tanz in unser Forscherinnengruppe eine Rolle. Auch wurde hier Tanz nicht als gemeinschaftsstiftend oder ritualisiert begriffen. Auf die Bedeutung solcher Ausschlüsse (auch in Bezug auf Volks-, Gesellschafts- und populäre Tänze) werde ich später noch eingehen. Im Prinzip ist solch ein Tanzverständnis abseits klassischer oder traditioneller Tanzverständnisse durchaus repräsentativ für die derzeitige Forschung zu Tanz im Feld kultureller Bildung. Selten sind es jene, die aus dem klassischen oder Gesellschaftstanz kommen, sondern vor allem jene, die moderne, zeitgenössische oder urbane Tanzstile als ihre Referenzsysteme betrachten bzw. praktische Erfahrung darin haben, die zu Tanz im Kontext kultureller Bildung forschen. Damit ist zumeist ein Erzählstrang verbunden, der vom Gestus der Freiheit und Offenheit, von Kreativität und Selbstbestimmung geprägt ist (Artus/Mahler 1992; Fritsch 1999; Fleischle-Braun 2013; Behrens 2012). Trotz des übergreifenden Gestus der Offenheit und Selbstbestimmung stellt sich das Bild weitaus komplexer und widersprüchlicher dar. Mit dem jeweiligen Tanzkonzept gehen beispielsweise spezifische Wissenskompetenzen, Fachbegriffe, Wertungs- und Leistungsparadigmen einher. Ein weiterer Blick in unterschiedlichste Beobachtungsnotizen kann dies offenlegen. Da fällt eine Beschreibung auf, in der viele Fachtermini aus dem urbanen Tanz fallen: »Popping«, »Dubsteb« oder »Waving«. Bewegungsbeschreibung kann hier also anhand von kodifizierten Begrifflichkeiten erfolgen (s. Kapitel 4). Gleichzeitig wird in der Beschreibung von Bewegungen angemerkt, dass diese beispielsweise »sehr sauber« und »gut« ausgeübt wurden. Die Frage danach, wie schnell so ein spezifisch »sauberes« Können erzielt wird, spielt in mehreren Beobachtungen ebenso eine Rolle. Es wird darauf verwiesen, dass ein Junge »erst seit einem Jahr« diese Praktiken erlernt. In einer anderen Beschreibung ist die Forscherin erstaunt darüber, »wie sauber und mit wieviel Ausdruck, Kraft und Dynamik« die gerade einmal 8-jährige Tochter der Lehrperson tanzen kann. Die Forscherin hat diese damit verbundene Begeisterung kursiv vermerkt, um deutlich zu machen, dass sie sich ihrer Wertung hier bewusst ist. Und es geht hier keinesfalls darum, diese Begeisterung für das, was man sieht, als unwissenschaftlich zu bezeichnen. Tatsächlich ist die Faszination und auch ein empathischer Zugang zum Untersuchungsfeld kein Hindernis, sondern gewinnbringend, wenn zur Reflexion gestellt.
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Welches Leistungsverständnis wird in den Beobachtungen deutlich? Welche Kriterien werden angeführt? So ist zum Beispiel wiederholend von Bedeutung, dass Bewegungen »präzise« ausgeführt werden. Ebenso ist prägnant, dies »schnell« zu können. Aber es gilt Schnelligkeit nicht nur mit Dynamik und Kraft, sondern auch mit »Ausdruck« zu verbinden und dass ein eigenes »Gestalten« von Bewegungen zu erkennen ist. Sportliche Leistungsparadigmen mischen sich hier mit der Vorstellung von Tanz als Ausdruck, als Bewegungspraktik, die Raum für eigene Schaffensformen gibt. Tanz unterscheidet sich – so die Grundannahme – genau darin von anderen sportlichen Praktiken. Das ist ein Diskursstrang, der in vielen Publikationen aus dem Bereich der sportwissenschaftlichen Forschung zu Tanz immer wieder aufgegriffen wird (Neuber 2000; 2008; Rode 2020; Klinge 2017/2019). Tanz wird dabei als eine Art ›Alternative‹ etabliert, die anders als andere Sportarten Gestaltungskompetenzen, Kreativität und Selbstbestimmung vermitteln kann.6 Solche Begründungs- und Aufwertungsdiskurse – mit den inhärenten Dichotomien zwischen physischer Leistung einerseits und kreativer Gestaltung andererseits – sind anderen tanzpraktischen und wissenschaftlichen Traditionen eher fremd, die vielmehr Fragen nach unterschiedlichen Verständnissen von Virtuosität aufwerfen würden (Foster 1997; Brandstetter et al. 2017). Doch auch aus anderen forschungsdisziplinären Zusammenhängen lassen sich klare Leistungs- und Wertungsvorstellungen ableiten. Ein weiteres Beispiel einer anderen Forschenden beschreibt sehr ausführlich die Entwicklung eines Bewegungsgeschehens, das seinen Ausgangspunkt in den Füßen der Teilnehmenden nimmt und über eine »Spirale« den Rest des Körpers jeweils »flüssig« nach sich zieht, so dass der Eindruck eines fast unbemerkbaren Positionen-»Shifts« (Wechsels) entsteht. Das Gefühl von »Schwere« in der Gruppe sich gleichmäßig Bewegender
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Es geht hier nicht darum, bestimmte Aussagen einer spezifischen Forscher*innengruppe zuzuschreiben. Also zu sagen, dass Sportwissenschaftler*innen eine Beschreibung so machen würden. Dafür ist das Feld der Sportwissenschaft viel zu ausdifferenziert und sind disziplinäre Diskurse nicht allein für die Wortwahl bestimmend. Das Wissen um biografischen Reisewege der Einzelnen Forscherinnen macht es lediglich leichter zu verdeutlichen, wie Begriffe und Gegenstandskonstitution eng mit diesen disziplinären Kontexten verwoben sind.
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wird hier als besonders dominant und erwähnenswert festgehalten. Hier mischen sich die Parameter des historischen Modernen Tanzes mit seinem Fokus auf Schwere und Fachtermini wie »Spirale« aus dem Kontext der Laban-Bartenieff Bewegungstradition7 mit solchen zeitgenössischen Begrifflichkeiten wie »flüssig« oder »Shift«. Es bedarf für diese Beschreibung der Bewegung zudem der Fähigkeit oder Sensibilisierung für ein ›leibliches‹ Nachspüren, in dem Sinne, dass Phänomene der Berührung und Gewicht zentral für die Wahrnehmung der Situation sind. Zudem zeigt die Beschreibung ein Kompetenzwissen, dass die Initiation, also den körperlichen Ausgangspunkt der Bewegung, identifizieren kann. Was dabei als ›Leistung‹ des Beobachtenden gesehen wird, figuriert sich anders als im vorigen Beispiel. Leistungskriterien sind aber nicht weniger evident. Das Reibungslose, das gemeinsame Erreichen, das unscheinbar Sich-aufeinander-Abstimmen, das sinnlich Erfahren des Moments (das auch in anderen Beschreibungen der Forschenden festgehalten wird), wird als spezifische Qualität benannt und unterscheidet sich deutlich von den an klaren Formen und Bewegung(shapes) orientierten Kriterien. Dennoch markiert es Erfolgs- und Leistungsparameter der Praxis. Dabei müssen Wertungs- und Leistungskriterien nicht unbedingt auf der Ebene der Bewegung oder des Bewegungslernens angeordnet sein. Beispielsweise wird ein Geschehen von einer jahrelang im künstlerischvermittelnden Feld tätigen Forscherin dahingehend beschrieben, dass das Zusammenspiel der Bewegungen und Kompositionen in den Blick gerät. Auch hier ist der kursiv gesetzte Kommentar aufschlussreich, denn sie hält fest, dass das »Spannende an der Situation ist, wie die konträren Stile in ihrer Mischung zusammenwirken,« während sie einzeln eher »stereotypisch und vorhersehbar« erscheinen. Leistungskriterien werden hier also nicht so sehr auf der Ebene der Bewegungen, sondern auf der Ebene ihrer Zusammenstellung und ihrer Komposition verortet. Dies bezieht sich dabei in der Gesamtschau ihrer Beschreibungen sowohl auf künstlerische als auch auf vermittelnde Prozesse (z.B. wie eine Unterrichtseinheit dramaturgisch ge-
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Irmgard Bartenieff entwickelte Rudolf Labans Bewegungsanalyse für den tänzerischen wie physiotherapeutischen Bereich weiter. Kernstück sind die von ihr entwickelten »Bartenieff Fundamentals«, die auf sogenannte ontogenetischen Bewegungsmustern aufbauen (Bartenieff/Lewis1980; Kennedy 2010).
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staltet ist) und Ergebnisse (z.B. Workshoppräsentationen). Subtexte der Beobachtungen sind daher Fragen wie: Welche künstlerisch kompositorischen oder gar welche vermittlungsdramaturgischen Kompetenzen werden erlernt oder sichtbar? Für eine kritische Forschungsreflexion gilt es nun zu fragen: Welche Prämissen unterliegen vermeintlich neutralen Begriffen wie kompositorischer Kompetenz? Die Ebene der Leistung ist hier eine, die deutlich auf das künstlerische Produkt, das Gefüge und Zusammenspiel abhebt und darin im Überkommen von alten Standards etwas Positives sieht. Dabei ist deutlich, dass das ›Neue‹, das ›Andere‹ und ›Nicht-Stereotypische‹ als spannend angesehen wird. Auch hier findet sich ein bekannter Interpretationsstrang, der im ›Neuen‹ etwas Wünschenswertes sieht. Gerade dieser Gestus, ›Standards‹ kritisch zu befragen – der beispielsweise bei Forscher*innen ebenso wie im Feld mit Präferenzen für Improvisation und Selbstbestimmung verbunden wird, aber auch im Hinterfragen von Genderstereotypen oder der Ablehnung von hierarchischen Lehr- und Produktionsbedingen sichtbar ist – wird oft mit einer ›weniger‹ wertenden Haltung verbunden (Behrens 2012; Freytag 2019; Barthel 2019). Doch auch eine Perspektive, die tänzerische Praktiken als kritisches Befragen von Standards, Hierarchien und Wertungen sieht, definiert damit einen bestimmten Wert der Praxis genau entlang dieser Kriterien. Solche Wertmaßstäbe – die in der Regel im Feld wie Forschung positiv besetzt sind – sind weitaus schwieriger offenzulegen als klassische Leistungsparadigmen (schnell, hoch etc.). Dabei geht es auch nicht darum, Begriffe stillzustellen oder Forschende in ihrer Perspektive zu entlarven, sondern aus dieser jeweiligen Situiertheit und Positionalität die Komplexität und Differenzen innerhalb des tänzerischen (Forschungs-)Feldes zugänglich zu machen. Denn es gilt nicht nur herauszufinden, was die Begriffe und Konzepte für den Einzelnen bedeuten, auf welche Referenzsysteme sie zurückverweisen, sondern vielmehr, was mit diesen Begriffen sowohl in der Forschung als auch im Feld gemacht wird: Wie wird mit Begriffen agiert, wie werden sie als Teil der (Forschungs-)Praxis von Einzelnen angeeignet, bearbeitet, abgelehnt? Wie lassen sich also Interpretationen, Wertungen, Assoziationen von Begriffen nicht nur untereinander, sondern gerade auch in Hinblick auf die Praxis verschieben oder öffnen?
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BEGRIFFE IN IHRER BEDEUTUNGSBANDBREITE ÖFFNEN: AM BEISPIEL DES ÜBENS Während eine Einordnung und Aufschlüsselung von Begriffen, wie sie in Ansätzen zuvor geschehen ist, tanzhistorische Kenntnisse voraussetzt, so gibt es auch andere Möglichkeiten, Begriffe aufzuschließen. Beispielsweise lassen sich im Austausch und Abgleich mit der Empirie Interpretation und damit verbundene Wertungsschemata befragen und erweitern. Der Begriff des Übens bietet hierfür ein gutes Beispiel aus unserem Forschungsprojekt. Abbildung 2: Begriffssammlung zu Praktiken des Übens
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Der Begriff des Übens ist zunächst mit sehr unterschiedlichen, teils ambivalenten, nicht immer positiv besetzen Assoziationen in unserem Forschungsteam verbunden: Für die einen stellt das Üben die Normalität jeglicher Praxis dar – im Sinne von »Übung macht den Meister« – für andere ist der Begriff klar im Leistungsparadigma klassischer Tanzformen verortet, wie es auch andere einschlägige Diskussionen des Begriffs vermuten lassen (Müller 2016). Im Abgleich mit der Empirie lässt sich dieser Begriff und damit assoziierten Phänomenen vielfältig konturieren. Üben wird so als ein Suchbegriff verstanden, durch den Dinge in den Blick geraten können, die nicht auf Anhieb unter Üben gefasst werden. Zugleich kann die Praxis derart zurückwirken, dass sie das Begriffsverständnis von Üben weitet, verschiebt und deutlich macht, wie komplex die Praxis ist: Hierüber lassen sich nicht nur unterschiedliche Konnotationen auffächern, sondern auch Vermittlungs- und Aneignungskonfigurationen in ihrer Differenz beschreibbar machen. Das anfangs gemachte Schaubild (Abb. 2) verdeutlicht, dass bei einer Perspektivierung auf Üben eine Vielzahl von Aktionen von Teilnehmenden wie Lehrpersonen und von Zielen und Verfahren des Übens in den Blick rücken, die ggf. nur lose mit einer ›ersten‹ Assoziationen von Üben im klassischen Sinne verbunden sind: Beispielsweise, wenn geübt wird, sich auf etwas einzulassen, sich hinzugeben oder zu spüren, wenn Gruppenatmosphären oder Reflexion Ziel und Mittel des Übens zugleich sind. Was gehört also alles zum Üben – sowohl auf der Seite jener, die sich etwas aneignen als auch jener, die in diesem Moment in einer Position des Vermittelns erscheinen? In welchen Konstellationen (z.B. in Gruppen, in hierarchischen Lehrverhältnissen) findet Üben statt? Wann und in welchem Kontext (z.B. spontan, formalisiert?), begleitet und durchdrungen von welchen Feedbackpraktiken ist Üben zu beobachten (z.B. Lob der Lehrer*innen, detailliert und durch Berührung)? Welche Praktiken lassen sich als Üben identifizieren? In unseren Beobachtungen beinhaltete das beispielsweise Phänomen wie das Wiederholen, das Zählen, das Dranbleiben aber auch das Diskutieren oder Verweigern. Was als Teil von Üben erkannt oder benannt wird, konturiert sich jeweils anders, je nachdem wer in welchem Setting was tut. Wie wird also üben vermittelt, reflektiert, wann wird es gar nicht wahrgenommen und auf wen trifft das jeweils zu? Mit diesen gesammel-
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ten Beobachtungen und Begriffen zum Üben lassen sich jeweils unterschiedliche (implizite) Gegenstandsverständnisse und Lernparadigmen erkennen. Diese aufzuschlüsseln ist von Bedeutung, denn bestimmte Aspekte fallen tendenziell eher als Üben in den Blick (z.B. wiederholen, nachmachen), andere Praktiken und Konstellationen (sich auf Situationen einlassen, spüren, Raum geben) möglicherweise weniger. Als analytische Kategorie eröffnete sich mit Suchbegriffen wie Üben daher eine Pluralität von Praktiken. Wenn solch ein Aufschließen von Begriffen und Konzepten nicht geschieht, könnten jene Dimensionen aus dem Blickpunkt geraten, die es zu erforschen gilt. Nämlich: Welche Kompetenzen – auch solche sinnlicher Art – können wie angeeignet werden? Was wird ggf. durch Begriffsverständnisse als erlernt oder erlernbar, was als gegeben angesehen? Beispielsweise werden Fähigkeiten des Ausdrucks oder der Sinnlichkeit eher einem vermeintlichen Talent zugeschrieben, das heißt, sie werden nicht als ein Effekt von Üben verstanden. Was bedeutet es also, jeweils in einzelnen Konstellationen von Üben zu sprechen? Was machen die einzelnen Teilnehmenden, was Forschende als Üben bezeichnen würden? Solche Fragen aufzuwerfen ist kein sprachanalytisches Spiel, sondern erweist sich bei näherer Betrachtung als zentraler Aspekt tänzerischer Vermittlungspraxis. Begriffe, Bedeutungen und Wertungen werden auch in der sehr körperlichen Praxis des Tanzes immer wieder ausgehandelt, sie müssen erklärt oder in jeweiligen Kontexten erfahren, erfasst und revidiert werden. Das betrifft sowohl die Teilnehmenden als auch die Forschenden, vor allem dann, wenn sie sich in neue Settings und Konstellationen begeben (Hardt 2019). Wer es gewöhnt ist, Tanz mit schweißtreibenden Wiederholungen von bestimmten Übungen oder mit Paarkonstellationen zu verbinden, dem wird mithin nicht sofort ersichtlich, wieso Teilnehmende am Anfang jeder Einheit aufgefordert werden, zunächst für längere Zeit durch den Raum zu laufen, sich und andere dabei einfach wahrzunehmen. Zu fragen, was hier geübt wird, vermag Antworten darauf zu geben. Gleichzeit kann die Praxis hier Üben als etwas Sinnliches, weniger an Form oder konkreten Bewegungsvorgaben Gebundenes zurückspiegeln. Für die Forschung folgt daraus, dass (eigene) Bedeutungen von Begriffen mit der Vollzugswirklichkeit gegenzulesen bzw. auf deren konkreten Anwendungen im Feld hin zu untersuchen sind. Gleichzeitig erlaubt eine Perspektivierung (z.B. auf Üben und was alles darunter verstanden und erfasst werden kann), diese Praktiken in ihren Vollzügen differenzierter wahrzunehmen.
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Doch was bedeutet »Vollzugswirklichkeiten« genau? Woher stammt der Begriff? Und wie lassen sich diese Vollzugswirklichkeiten erfassen? Welche methodischen Verfahren ermöglichen dies? Und was für übergeordnete Prämissen hat solch ein Vorgehen für die Forschung? Welche Kategorien lassen sich daraus für die Forschung eruieren? Diesen Fragen widmet sich nun das nächste methodische Kapitel.
3 Praxeologische Forschung und Entwicklung von Kategorien
• Wie lassen sich mit welchen Verfahren und Perspektiven Tanzvermitt-
lungs- und Aneignungssettings erforschen? • Was ist eine praxeologische Forschungsperspektive? Was sind Voll-
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zugswirklichkeiten? Welche Prämissen können sich daraus für die eigene Forschung ergeben? Welche übergeordneten Kategorien der Analyse lassen sich für eine Forschung zu kultureller Bildung entwickeln? Welche ergeben sich aus den Vollzügen der Praktiken, welche aus theoretischen Setzungen? Welche Fragestellungen und Schwerpunktsetzungen ergeben sich jeweils daraus? Welche Aspekte treten jeweils in den Fokus der Forschung je nachdem, ob Erfahrungen, Diskurse oder Kontexte in den Mittelpunkt gerückt werden? Wie lassen sich diese Perspektiven verschränken? Wie können (implizite) Regeln der Vermittlungspraxis erforscht und analysiert werden? Was machen Einzelne mit den Vorgaben, Rahmenbedingungen, Referenzsystemen? Wie erlernen sie sie? Wie verändern oder variieren sie diese? Wie erklären und legitimieren sich Praktiken in ihren Vollzügen? Wie sieht das Feld in seiner Komplexität und Widersprüchlichkeit aus? Was und wie passieren Dinge im Kontext kultureller Bildungsangebote? Was machen Einzelne mit den Vorgaben, Rahmenbedingungen, Referenzsystemen? Wie erlernen sie sie? Wie verändern oder variieren sie diese? Mit welchen Mitteln und Strategien tun sie das oder werden dazu befähigt, es zu tun?
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METHODISCHE GRUNDANNAHMEN Im letzten Kapitel ging es zunächst darum, das eigene Gegenstandsverständnis und verwendete Begriffe zu reflektieren und zu erweitern. Dies ist vor allem möglich, wenn Begriffe und Kategorien nicht als etwas Statisches gefasst werden, sondern als etwas, das in der Forschung sowie des Tanzes hervorgebracht wird. Dieses Kapitel widmet sich nun der Frage: Mit welchen Verfahren, Perspektiven und Kategorien können Tanzvermittlungssettings oder jene Aktionen erforscht werden, die dem Bereich kultureller Bewegung und Tanz zugerechnet werden können? Dieses Kapitel schlägt hierfür eine Forschungsperspektive vor, die eng verwoben ist mit der Praxis in all ihren Dimensionen und zugleich theoretisch und methodisch reflektiert ist. Erst dadurch, dass Menschen oder auch andere Aktanten/Partizipanden wie Räume, der Boden, die Musik etwas tun oder andere dazu bewegen oder dies verhindern, entstehen jene Phänomene, die wir als Praxis kultureller Bildung oder Vermittlungspraxis im Tanz bezeichnen und untersuchen können. An den Vollzügen von Praktiken können wir beispielsweise beobachten – wie im Kapitel zuvor geschehen – wie Einzelne oder Gruppen den Begriff des Übens verwenden und was sie jeweils machen, wenn sie sagen, dass geübt wird. Anhand dessen lassen sich mithin Praktiken der Vermittlung oder Aneignung in ihrer Differenz und Widersprüchlichkeit erkennen oder beschreiben, weil das eben nicht in allen Settings gleichermaßen geschieht. Aus solch einer Perspektive geht es also nicht darum, wie sich eine Praxis idealita darstellt, sondern darum, was jeweils zu beobachten ist (wohl gemerkt begrenzt durch die theoretischen Setzungen und Vorannahmen, die jeweils miteingebracht werden). Dabei zeichnen sich die wenigsten Praktiken – unabhängig vom jeweiligen Forschungsstandpunkt und Fragestellung – dadurch aus, dass sie genauen ›Regeln‹ folgen oder theoretische Konzepte vollständig bestätigen. Und dies betrifft meist alle Ebenen einer Praxis. Es lässt sich beispielsweise an der Verwendung von Sprache in Vermittlungssettings verdeutlichen: Es werden grammatische Regeln gebrochen und Halbsätze gesprochen. Es wird eine Mischung aus Englisch und Deutsch verwendet und lautmalerische Aspekte integriert (»dann hoch – und dann huh – and go«). Es trifft aber ebenso auf Aufgabenstellungen im Verhältnis zu ihrer Umsetzung zu. Einige können Bewegungen der Aufgabe entsprechend ausführen, andere nicht oder sind unkonzentriert, andere machen daraus eigene Schöpfungen, die die Lehren-
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den oder Teilnehmenden wiederum aufgreifen. Was sich in einem Raum als leicht zu realisieren zeigt (z.B. im Studio), ist in einem anderem verwirrend (z.B. am Aufführungsort). Das aber lässt sich wiederum nicht verallgemeinern, denn es trifft nicht im gleichen Maße auf alle zu. Für solche komplexen Geschehnisse verwendet eine praxeologische Forschung den Begriff der Vollzugswirklichkeiten. Eine praxeologische Forschungsperspektive, die sich zunächst in den Sozialwissenschaften entwickelt und mittlerweile auch in den Kultur- und Tanzwissenschaften gut etabliert hat (Klein 2014; 2015; Müller 2016; Barthel 2017; Kleinschmidt 2018; Stern et al. 2020), bietet sich aus zahlreichen Gründen für die Erforschung von Konstellationen von Tanz im Kontext kultureller Bildung an. Denn körperliche bzw. die physische Materialität ist grundlegend für ein praxistheoretisches Verständnis von Praxis. Gleichzeitig kann die Erforschung von tänzerischen Praktiken – insbesondere deren Vermittlungspraktiken – wiederum dieses Grundverständnis im Detail ausdifferenzieren und auf methodische Diskussionen der Praxeologie zurückwirken. Es folgt daher hier ein kurzer theoretischer Aufriss zur Praxeologie. Im Anschluss wird anhand einer vergleichenden Beispielanalyse aufgezeigt, wie sich aus solch einer Perspektive mögliche Kategorien für eine Forschung im Bereich kultureller Bildung und Tanz eruieren lassen und wie diese wiederum mehrperspektivisch aufzuschlüsseln sind. Was ist Praxeologie? Praxistheorien bzw. Praxeologie – beide Begriffe werden synonym verwendet – haben sich mittlerweile als ein »turn to practice« (Reckwitz 2003: 282) in den Sozial- und Kulturwissenschaften etabliert. Praxeologie ist dabei kein festgelegtes methodisches Programm, sondern eine wissenschaftliche Haltung, die versucht ihre Methoden in Bezug auf das, was sie untersuchen möchte zu entwickeln und zu reflektieren. Diesbezüglich wird auch von einem Methodenopportunismus gesprochen (Müller 2016; Breidenstein et al. 2015). Dennoch ergeben sich aus den grundlegenden Prämissen identifizierbare Gemeinsamkeiten. Mit einer praxeologischen Forschungsperspektive ist zumeist ein interdisziplinäres Forschungsdesign verbunden, das eine theoretische, methodologische und empirisch geleitete Ausrichtung kulturanalytischer und sozialwissenschaftlicher Perspektiven anstrebt (Schmidt 2017: 159), in dessen Zentrum Praktiken stehen. Unbenommen
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von Unterschieden im Detail, gehen einschlägige Praxistheorien (Bourdieu 1998; Latour 2000; Schatzki 2002; Reckwitz 2003; Hirschauer 2004; Schmidt 2012; Hillebrandt 2014) davon aus, dass Praktiken in ihren körperlich-materiellen Vollzugswirklichkeiten Sozialität hervorbringen: »The social is a field of embodied, materially interwoven practices« (Schatzki 2000: 3). Somit sind Praktiken – und nicht als von ihnen unabhängig verstandene Theorien und Konzepte – zentral für das Verständnis von sozialen Ordnungssystemen. Regeln, Wissensbestände, Konventionen und Grenzen von Praktiken existieren demnach nicht losgelöst von diesen, sondern werden erst in ihnen performativ hervorgebracht (Schatzki 2002; Reckwitz 2003: 290; Hirschauer 2004). Solch eine Perspektive ist verbunden mit einer Dezentrierung von Subjekten, denn Praxistheorien begreifen Praxis als genuin intersubjektiv bzw. interobjektiv (Reckwitz 2003: 290; Latour 2007). Im Zentrum einer praxeologischen Forschungsperspektive stehen also nicht Einzelne, die Dinge tun, sondern Praktiken, die sich immer in einem relationalen Gefüge ergeben. Dementsprechend wenden sich Praxistheorien explizit davon ab, soziale Bezugssysteme in Begriffen wie Handlung, Verhalten und Kommunikation zu verstehen, die auf individuelle Entscheidungen, Positionen oder Intentionen als Ausgangspunkt rekurrieren (Hillebrandt 2015: 15). Es wird also nicht gefragt, wie verhält sich der Mensch, sondern was ist in einer bestimmten Konstellation an Aktionen, Dingen, Gegebenheiten beobachtbar. So wird Praxis als Produkt komplexer »Körper-Ding-Assoziationen« (ebd.: 27) begriffen, wozu auch verbale Praktiken (sayings) und Diskurse gehören. In Bezug auf das eben angesprochene Üben würden damit alle physischen Aktionen und Interaktionen in den Blick geraten. Dazu gehören auch die Räume oder Settings in denen es stattfindet, Paramater wie Zufälle, die das Geschehen beeinflussen, ebenso wie das Reden darüber und die Diskurse, die darin wirkmächtig sind. Dabei geht es Praxistheorien nicht lediglich darum, dieses Gefüge beschreibend zu erfassen, sondern Regeln, Konzepte, Wissensbestände und Grenzen der jeweiligen Praktiken, die sich in den sogenannten doings und sayings zeigen, zu erkennen und zu untersuchen. Somit begreifen Praxistheorien das ›Wissen‹ und ›Können‹, das im Feld gezeigt wird, nicht als eine individuelle Kompetenz, sondern etwas, das im Rahmen von »distributed agency« geschieht (Rammert/Schulz-Schaeffer 2002; Alkemeyer/ Buschmann 2017: 8).
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Differenz zu anderen Praxisbegriffen: Artistic Research/Practice as Research Aufgrund der Begrifflichkeit und der Annahme, dass sich Theoriebildung erst in den Vollzügen der Praxis ereignet, werden Parallelen und Schnittstellen praxeologischer Forschung zu Formen des Artistic Research und Practice as Research erkennbar. Hierzu gehört ein Verständnis von Praxis als Ort der Reflexion und der Generierung von Wissen. Mit solch einer Perspektive werden konventionelle Verständnisse von Wissen in Frage gestellt, die dieses primär in den intellektuellen Kapazitäten von Menschen und rationalen und geplanten Aktionen verorten (Brandstetter 2007; Borgdorff 2011). Die Auseinandersetzung mit in diesem Zuge aufgewertetem ›impliziten‹ Wissen oder tacit knowledge steht sowohl im Zentrum künstlerischer als auch praxeologischer Forschung (Kleinschmidt 2018). Allerdings lassen sich Unterschiede in Bezug auf das Verständnis von Praxis wie auch den damit verbundenen Methoden und Zielsetzungen der Forschung festhalten. Daher ist Praxeologie – wie es in einer ›unscharfen‹ Verwendung des Begriffes teils geschieht – nicht gleichzusetzen mit Practice as Research oder anderen Verfahren künstlerischer Forschung, auch wenn diese Felder in ihrer Diversität und in Einzelfällen zahlreiche methodische Verfahren mit Praxeologie teilen (Brandstätter 2008; Kleinschmidt 2018). Der Begriff der Praxis wird im Feld von Practice as Research oder Artistic Research selten explizit definiert. Vielmehr wird von einer feldinternen Logik ausgegangen, die Training, Techniken, Proben, Aufführungen unter anderem als Praxis begreift. Teils wird Praxis – insbesondere im tänzerischen Feld – auch im Sinne nonverbaler Aktionen und einverleibten Könnens verstanden (Brandstetter 2007). Exemplarisch ist im researchaffinen Feld zeitgenössischer Tanzpraktiken auch ein individualisierter Praxisbegriff zu identifizieren, wenn Praktiker*innen von »ihrer Praxis« sprechen, die als zugleich hybrid, individuell und nicht universalisierbar verstanden wird (Hardt 2018). Wie die obige Skizzierung eines praxeologischen Verständnisses jedoch verdeutlicht, steht dies in Spannung mit einem überindividuellen Konzept von Praxis. Praxistheoretische Positionen würden diese Differenz damit erklären, dass es zu einer Praxis dazugehören kann, Individualität herauszustellen und, dass eben diese als ein zentrales Prinzip der Praxis in ihren doings and sayings entworfen wird (Schatzki 2002: 73). Die zugleich an diese Individualitätsvorstellung gebundenen
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Prämissen eines aktiv, planvoll und intentional handelnden künstlerischen Subjekts würden so als Produkt der Praxis selbst verstanden. Dazu gehören auch die Referenzsysteme und Diskurse, die zum Beispiel Individualität oder singuläre Kreativität als Leitgedanken innerhalb der Praxis etablieren. Dies hat weitreichende methodische und inhaltliche Implikationen für die Konzipierung tanzwissenschaftlicher Forschung. Hierzu gehört, dass praxeologische Forschung sowohl einen methodischen Holismus als auch methodischen Individualismus zu vermeiden sucht (Klein 2015; Hillebrandt 2015; Wihstutz/Hoesch 2020). Fragen nach dem Verhältnis von agency Einzelner und strukturell bedingenden Faktoren werden nicht a priori bestimmt, sondern aus der Erforschung konkreter Vollzüge heraus diskutiert (Hillebrandt 2015: 16). Übergeordnet gilt es somit, die »variablen Bedingungen des Vollzugs der Praxis situationsanalytisch zu identifizieren, also das Zusammenkommen und -wirken von sozialisierten Körpern mit materialen Artefakten und Dingen sowie mit Diskursen und symbolischen Formationen zu untersuchen« (ebd.: 17). So sollen idealerweise sowohl Dynamiken als auch Regelmäßigkeit von Praktiken unter Berücksichtigung aller ›Partizipanden‹ und zugleich in ihrer historischen und kulturellen Situiertheit wie auch ihrer performativen Emergenz erfasst werden (Alkemeyer 2015; Schäfer/Daniel 2015; Spahn 2022). So ein wissenschaftliches Unterfangen kann in der Regel nur durch eine eingehende Beobachtung und Analyse des Feldes erzielt werden. Dementsprechend ist praxeologische Forschung zumeist eng verzahnt mit qualitativen Forschungsmethoden, allen voran ethnografischer Forschung sowie Formen von methodisch rekursiven, im Kontext der Grounded Theory (Glaser/Strauss 1967) entstandenen Vorgehensweisen. Dazu werden Verfahren wie Teilnehmende Beobachtung, Produzieren von Feldnotizen, Video-Audio-Mitschnitte sowie episodisch-narrative Interviews und Expert*inneninterviews genutzt (Friebertshäuser/Prengel 1997; Lamnek 2010; Flick et al. 2012). Durch Formen der Codierung und des Gegenlesens der Daten sollen sich so in einem zirkulären Forschungsdesign Kategorien und Beobachtungen jeweils gegenseitig beeinflussen (Ezzy 2002). Idealerweise wird dabei eine Distanz zu den eigenen Erwartungen und Setzungen entwickelt (Hirschauer 2015). Im Spannungsfeld von ›Going Native‹ und ›Selbstbefremdung‹ ist ein Ziel solcher rekursiven Forschungsverfahren, ein differenzierteres und die eigenen Vorannahmen reflektierende Perspektive zu ermöglichen (Bourdieu 1993; Breidenstein et al. 2015).
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Welche Implikationen haben nun solche methodischen Überlegungen für die Forschung? Neben der Aneignung von einem methodischen Handwerkzeug sozialwissenschaftlicher und ethnografischer Forschung, bedeutet es ein ganzes Gefüge tänzerischer Vermittlungs- und Aneignungspraktiken in seiner prozessualen Entwicklung in den Blick zu nehmen bzw. zentrale Kategorien aus dem Feld emergieren zu lassen. Es gilt also zu fragen: Wer ist wie auf welche Weise beteiligt? Wie werden Regeln sichtbar, verhandelt, vermittelt? Wie situieren sich diese im Kontext von Prozessen oder in Bezug auf Produkte oder Distinktionen im Feld? Welche Diskurse werden wie aufgegriffen, reproduziert, variiert? Gerade die mit tänzerischen Vermittlungs- und Aneignungspraktiken verbundenen impliziten Regeln und ihre körperliche Materialisierung geraten in der Betrachtung eher intentional orientierter Lernanalysen oftmals aus dem Blickfeld. Es gilt also neben einer situativen Beobachtung aller Teilnehmenden, Dinge und artikulierten Diskursen z.B. in einer langfristigen Beobachtung, Regeln der Praktiken und die institutionellen Verstrickungen und Dispositive zu erfassen, die im Vollzug hervorgebracht, affirmiert und durchdrungen werden. Zu solchen teils (impliziten) Regeln kann unter anderem gehören, dass das Tanzstudio ohne Schuhe betreten wird, dass körperliches Feedback in Form von Anfassen der Teilnehmenden in der Regel als unhinterfragt normal gilt, dass französische Begriffe (Plié) genutzt werden, dass in einer Reihenfolge von einfachen Übungen zu komplexen vorgegangen wird, oder dass Teilnehmende nicht ohne Aufforderung sprechen. Diese sind allerdings nicht als vorgefundene, stabile Strukturen zu verstehen, denen lediglich gefolgt wird. Vielmehr werden sie jeweils in den einzelnen Konstellationen als solche hervorgebracht und erkennbar und variieren teils erheblich (wenn z.B. Gäste hinzukommen, die ein Studio mit Schuhen betreten und das auf Unverständnis und Protest stößt). So sind praktische Vollzüge nicht beliebig, sondern greifen auf bereits etablierte Praktiken zurück. Das hat auch Auswirkungen auf das Lernund Aneignungsverständnis: »Conceived in this way, learning leads to the imitating repetition of what already exists as well as to an active negotiation of interest, interpretations and knowledge,
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which contains moments of critical reflexivity and established hierarchies and practice-specific requirement« (Alkemeyer/Busch-mann 2017: 13).1
Solch eine Perspektive kann eine vermittelnde Funktion einnehmen, in einem Spannungsfeld, wo es einerseits darum geht zu fragen, wie selbstermächtigte (Künstler*innen)-Subjekte gefördert werden können (wie es das Ziele kultureller Bildung oftmals ist), und anderseits erforscht wird, wie diese Praktiken von ästhetischen, sozialen und leistungsorientierten Dimensionen geprägt werden, die Teilnehmende erst zu ›befähigten‹ Körpern und sogenannten ›kompetenten Playern‹ (Stern 2009; Brümmer 2015) im Feld machen. Wo ist also in solchen ›routinisierten‹ Praktiken Platz für Adaption, Anpassung, Aushandlung und Reflexion und welche Grenzen solch individueller Aneignung lassen sich ausmachen? Dabei verweisen Begriffe wie ›befähigte‹ Körper keinesfalls nur auf ein professionelles Feld oder sind auch nicht synonym zu verwenden mit idealisierten und normierten Körpern. Im Sinne von ›abled bodies‹ bestimmen jeweils die Praktiken, was darunter in einem gegebenen Kontext und Vollzug zu verstehen ist. Allerdings dürfen die hierin erkennbaren Verständnisse kritisch in der Analyse befragt werden. Demnach ergeben sich ›kompetente Player‹ auf verschiedensten Ebenen. Mit diesen Begriffen wird eine Subjektivierung durch Praktiken fokussiert, welche die Selbstbestimmung von Subjekten an bestimmte Ziel- und Normensetzungen knüpft, sie darin aber nicht passiv oder stillgestellt versteht. Um solche Aushandlungsprozesse und die komplexen Parameter mit einzubeziehen, die daran beteiligt sind, ergibt sich, dass Vermittlungskulturen im Tanz nicht lediglich aus einer Perspektive erfasst werden sollten (also in Hinblick auf die Erfahrungen der Teilnehmenden einerseits oder in Bezug auf Aufgabenstellungen oder didaktische Prinzipien anderseits). Zwar gilt es, die Einzelnen einzubeziehen, indem gefragt wird: Was machen Einzelne mit den Vorgaben, Rahmenbedingungen, Referenzsystemen? Wie erlernen sie sie? Wie verändern oder variieren sie diese?
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Imitierende Wiederholung bezieht sich im Tanztraining also nicht nur auf das Kopieren von Bewegungen einer Lehrperson, sondern wird im Sinne einer sozialen Mimesis verstanden und bezieht sich auf alle Modalitäten des Tuns und Sagens, die explizit oder implizit aufgegriffen werden können.
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Mit welchen Mitteln und Strategien tun sie das oder werden dazu befähigt, es zu tun? Welche Erfahrungen artikulieren oder zeigen sie? Wie erhalten sie die Möglichkeit in ein Geschehen einzugreifen oder tun das von sich aus? Welche persönlichen oder institutionellen Rahmenbedingungen führen dazu, dass sie das können oder wollen? Gleichzeitig geht es aber auch darum zu fragen: Wie und welche Regeln werden von Einzelnen, Gruppen oder Konstellationen mit hervorgebracht? Wie erklären und legitimieren sich Praktiken dabei und dadurch? Dass solch eine Vorgehensweise, die weniger Aufgabenkulturen und Zielsetzungen einzelner ins Blickfeld rückt, für die Forschung von Tanz und kultureller Bildung zielführend ist, möchte ich nun am Vergleich von zwei ähnlichen Aufgabenstellungen deutlich machen. Die Auswahl der Beispiele erfolgte, weil es bisher eine auffällige Fokussierung auf Aufgabenstellungen und Konzepte in der Literatur zu Tanzvermittlung gibt.
METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN AN VOLLZUGSWIRKLICHKEITEN SCHÄRFEN 2 Anhand eines vergleichenden Beispiels soll verdeutlich werden, dass Vollzugwirklichkeiten der gleichen Aufgabenstellungen sehr anders aussehen können. Daraus können zudem Kategorien eruiert werden, anhand derer sich solche Differenzen erfassen lassen und die daher als übergeordnete Kategorien auch für die weitere Forschung produktiv gemacht werden können. Es gilt also zu fragen: Wie werden ähnliche Aufgaben jeweils kontextund situationsspezifisch umgesetzt? Welche Phänomene und Kategorien lassen sich aus Beobachtungen von Vollzugswirklichkeiten ableiten?
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Der folgende Abschnitt ist in Zusammenarbeit des Forschungsteams von »KubiTanz« entstanden und bereits erschienen als: Yvonne Hardt/Martin Stern/Nils Neuber/Claudia Steinberg/Lea Spahn/Miriam Leysner/Esther Pürgstaller/Helena Rudi (2020): »Körperlich-sinnliche Weltbezüge erforschen: methodische Reflexionen und analytisches Model am Beispiel Kultureller Bildung im Tanz«, in: Sebastian Konietzko (Hg.): Kulturelle Bildungsforschung - Methoden, Befunde und Perspektiven. Wiesbaden: Springer VS, 73–90.
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In einer Einheit mit fortgeschrittenen, jungen Tänzer*innen wird nach einer Phase der improvisierten Eigenarbeit kurz zur Reflexion innegehalten. In einem gemeinsamen Beobachtungsaustausch aller Teilnehmenden (TN) wird festgestellt, dass sich alle ungefähr gleich schnell bewegen und dies zudem in einem mittleren Tempo geschieht. Darauf schlägt die Lehrperson (LP) eine andere Aufgabe vor: Jeweils ein*e beliebige*r TN soll eine Zahl zwischen eins und zehn rufen, wobei mit der Zahl die relative Dauer gegeben ist, die die TN nun haben, um jeweils zum Boden bzw. nach oben zu kommen. Das verändert das Geschwindigkeitsspektrum aller TN, z.B. von sehr langsamen Bewegungen nach unten (zehn) zu schnellen nach oben (eins); es zeigen sich abrupte, zuvor nicht gesehene Tempowechsel. Zunehmend wird ein Spaß am Spiel, an Kontrasten und am gegenseitigen Herausfordern aller TN über den Verlauf der Aufgabe sichtbar. Nach einer Weile fordert die LP die TN auf, ihre vorherige improvisatorische Bewegungsrecherche fortzusetzen. Nun ist auch in dieser eigenständigen Improvisation eine deutliche Varianz in den Bewegungstempi sichtbar, auch wenn nicht mehr mit Zahlen gearbeitet wird. Die TN arbeiten an Extremen (sehr, sehr langsam oder schnell), die zudem länger gehalten werden. Neben einer größeren Tempo- und Bewegungsvarianz der Einzelnen in der Eigenarbeit zeigt sich eine Atmosphäre stärkerer Gruppenzugehörigkeit und eine erhöhte Aufmerksamkeit aller ist wahrnehmbar. Die hier beschriebene Szene könnte sich in Bezug auf die attestierten Wirkungsdimensionen von Tanz einordnen lassen: Hier wurden Parameter tänzerischen und körperlichen Tuns und Wahrnehmens in der Reflexion und in der Praxis nachvollzogen, sinnliche Qualitäten bearbeitet und neben der verbalen Reflexion gelang es auch, in der ›stillen‹ Übertragung das reflexive Potential (hier im Sinne von Transfer) körperlicher Praxis zu erfahren. Wie voraussetzungsvoll dies allerdings ist und dass es nicht per se die Aufgabe selbst ist, die solche (körperlich) reflexiven Spielräume von Wahrnehmungen und Bewegungen eröffnet, macht der Vergleich mit einem anderen Kontext deutlich. So beobachteten wir eine nahezu gleiche Aufgabenstellung in einem Workshop mit ebenfalls sehr tanzerfahrenen Jugendlichen. Die Aufgabe ist dabei Teil einer Aufwärmphase, die aus drei Aufgaben besteht: Zunächst sollen die TN durch den Raum laufen und diesen und die anderen TN wahrnehmen, dann folgt die oben bereits beschriebene Aufgabe mit Zahlenwerten. Im Anschluss sollen die TN über den Bo-
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den rollen. Bei der Aufgabe mit dem Zahlenwert gibt es eine Vielzahl von Umsetzungen zu beobachten: Da sind die TN, die sich bei der Aufgabe trotz hoher Zahl schnell auf den Boden bewegen und dann dort den Rest der Zeit verharren oder Bewegungen am Boden ausführen. Es gibt wiederum jene, die sich anfangs gar nicht Richtung Boden bewegen, dafür aber durchaus viel in einer Form, die ihre tänzerischen Kompetenzen zeigt (z.B. raumgreifende oder weiche Armbewegungen, Isolationsfähigkeiten aus dem Breaking) und sich dann – kurz bevor die Zielzahl erreicht ist – schnell zum Boden begeben. Die Aufgabenstellung hat über die gesamte Dauer der Ausführung wenig Einfluss auf das Bewegungstempo der TN mit wenigen Ausnahmen von Zahlen wie eins und zwei. Die LP beobachtet ohne weitere Erklärungen das Geschehen. Nach einiger Zeit fordert die LP auf, ins Rollen über den Boden überzugehen. Dimensionen des/der Tempo(-varianz) sind dabei nicht erkennbar. Würden wir uns diese dreiteilige Aufgaben-Sequenz in ihrer Konzeption ansehen, könnte sicherlich argumentiert werden, dass dieses ›Warm-Up‹ nicht nur darauf zielt, Körper ›warm zu machen‹, sondern unterschiedliche körperlich-sinnliche Wahrnehmungs- und Bewegungsdimensionen avisiert, beispielsweise das Sehen und Wahrnehmen von Raum und Zeitlichkeit in unterschiedlichen Bewegungsformen und Levels. Was genau unterscheidet die Beispiele? Wie lässt sich das anhand welcher Parameter erfassen? Und was lässt sich daraus übergeordnet methodisch ableiten? Vergleichende Perspektivierungen: Differenzen analytisch fruchtbar machen Für das relative ›Gelingen‹ oder die ›Auswirkung‹ der Aufgabe im ersten Beispiel ist die Einbettung in ihrem Verlauf von großer Bedeutung, zu der anfangs der selbstreflektierte ›Missstand‹ in einer zuvor ausgeübten Improvisation zählt. Die Aufgabe gewinnt ihre Relevanz in Bezug auf das, was davor passiert. In diesem Rahmen ist den Teilnehmenden das Ziel der Aufgabe deutlich, weil es sich dynamisch als Reaktion auf das Geschehen und die Reflexion der Teilnehmenden ergibt. So kann die anschließende Aufgabe auch ohne weitere Anweisungen und Feedback zu einem differenzierten Bewegungsverhalten führen, das bewegungstechnisch auch vorher möglich
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gewesen wäre, aber nicht herangezogen wurde. Auch das reflexive Potential in seinen unterschiedlichen Spielarten im Umgang mit dieser Aufgabe lässt sich nur über den Gesamtverlauf differenzieren. Neben dem verbalen Austausch wird körperliches Tun als sinnlich-körperliche Reflexion möglich, da ein verändert wahrgenommenes und ausgeführtes Bewegungsspektrum für alle fühl-, sicht- sowie ausführ- bar wird. In der Aufgabe erarbeiten sich die Teilnehmenden nicht nur neue Bewegungstempi, sondern gestalten sie als gruppendynamisches System. Ohne dass diesem Beispiel hehre Bildungsrelevanz zugeschrieben werden soll, wäre diese Aufgabe sicherlich mit vielen angenommenen Zielen in Verbindung zu bringen. Dabei werden in diesem Beispiel vor allem spezifisch tänzerische, ästhetische Wahrnehmungs- und Gestaltungsoptionen (Bewegung in ihrer Zeitlichkeit) erfahren und bearbeitet. Dies kann als Förderung kulturelle Bildung im Sinne einer ästhetischen Bildung gefasst werden, deren reflexive Schleifen nicht nur Routinen sichtbar und bewusst machen (alle bewegen sich gleichschnell), sondern darüber hinaus das Bewegungsspektrum der Teilnehmenden transformiert oder zumindest erweitert. Solche Beispiele sind es, die in weit komplexerer Figuration beschrieben, die Bildungsrelevanz von Tanz verdeutlichen sollen und können (Klinge 2010; Stern et al. 2017). Demgegenüber wird die Aufgabe im zweiten Beispiel nicht im gleichen Maße reflexiv gerahmt, so dass sich der Sinnhorizont der Aufgabe den Teilnehmenden nur bedingt oder sehr anders erschließt. Die Aufgabenstellung wurde im zweiten Beispiel nicht als ein Anlass zu Tempovarianz gesehen, sondern wurde zielorientiert interpretiert – im Sinne von: bei der Zahl soll jeder oben oder unten sein. Es gibt weder während noch vor der Aufgabe Anreize, diesen Prozess zu reflektieren oder in Bezug auf die eigene Bearbeitung von Wahrnehmungs- oder Bewegungsweisen zu deuten. Die Verlaufsstruktur der Aufgabe ist zu der beobachteten Zeit statisch gesetzt. Ganz unbelassen davon, dass es weder immer gewollt noch notwendig sein muss, dynamisch zu reagieren, und dass es hier um den Anfang des Workshops geht, lässt sich konstatieren, dass der zuletzt beschriebene Vermittlungsraum es den Teilnehmenden zwar in viel stärkerem Maße erlaubt, mit ihren eigenen, mitgebrachten Bewegungspräferenzen zu arbeiten, diese jedoch weder direkt adressiert noch im Sinne der Aufgabe bearbeitet werden. Es wird also keine spezifische Verbindung dieser eigenen Bewegungsformen zur Aufgabe deutlich. Viele der damit aufgeworfenen Fragestellungen werden sicherlich auch in der Didaktik und der Konzeptualisie-
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rung von Bildungsanlässen thematisiert. Dazu gehören Fragen nach Struktur einer Einheit, wie Teilnehmende ›abgeholt‹ werden können, in welcher Form Einschränkungen gegeben werden müssen, damit weder Beliebigkeit überfordernd wirkt, noch einfach in der vermeintlichen ›Freiheit‹ nur das reproduziert wird, was schon gekonnt wird (Neuber 2009; Foster 2002; Klinge 2004). Allerdings lassen sich diese Fragen nur spezifizieren, wenn die jeweils differenten Aneignungen der Teilnehmenden in den Blick genommen und diese auch bewegungsanalytisch im Vollzug und als Gruppenkonstellationen betrachtet werden. Dabei ist sicherlich relevant, dass im ersten Beispiel die Gruppe seit längerem zusammenarbeitet. Das Geschehen ist also Teil einer größeren Verlaufsstruktur der gemeinsamen Arbeit in der Gruppe. Hingegen kommt im zweiten Beispiel die Gruppe nur für einen Workshop im Rahmen eines groß angelegten Events zu Tanz und kultureller Bildung zusammen. In diesen Konstellationen bringt die jeweilige Spezifik der situativen Verortung der Gruppe und des Kontexts bestimmte Dinge hervor, ebenso wie die Vollzüge der Aufgabe auch jeweils different auf die Gruppenbildung zurückwirken. Während im ersten Beispiel die Gruppe auf der Basis der geteilten Erfahrung und einer stärkeren Fokussierung aufeinander trotz eines größeren qualitativen Bewegungsspektrums zusammenzuwachsen scheint, wird im zweiten Beispiel weder auf der Bewegungs- noch auf der Gruppenebene eine Annäherung oder veränderte Gruppenzugehörigkeit direkt sichtbar. Die sich wechselseitig beeinflussenden in die Situation eingebrachten Erfahrungen und sich ereignenden Konstellationen sowie deren Rückwirkungen gilt es somit, jeweils situativ und spezifisch in den Blick zu rücken. In einem anderen Kontext, in dem Teilnehmende beispielsweise weniger mit zeitgenössischem Tanz vertraut sind, hätte die Aufgabe ohne Musik oder auf dem Boden vielleicht eine Verunsicherung des Tanzverständnisses und damit eine Erweiterung von Wahrnehmungsdimensionen erschließen oder erschweren können. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Teilnehmenden in beiden Gruppen mit spezifischen Räumen oder Aktanten bzw. deren Abwesenheit umgehen, kann wiederum in anderen Kontexten sehr differente Auswirkungen haben. Dass die vorgeschlagene Übung in beiden Beispielen zu keiner ausgesprochenen Irritation führt, ist ein Zeichen einer Vertrautheit der Teilnehmenden mit zeitgenössischem Tanz. Solche impliziten Grundlagen und Vorwissen geraten öfter aus dem Blick der Beobach-
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tung. Es gilt also zu fragen: Was ist über die Aufgabenstellung oder deren Aneignungspraxis hinaus identifizierbar, dass Dinge so geschehen, wie sie geschehen? Solche Beobachtungen machen deutlich, dass eine nahezu identische Aufgabe nicht per se die gleiche Wirkung hat bzw. sich keinesfalls immer (gleich) zur Reflexion oder Bearbeitung von sinnlicher Wahrnehmung eignet oder angeeignet wird. Mehr noch, je nach Erkenntnisinteresse können Situationen als Vollzugswirklichkeiten nur dann sinnvoll erforscht werden, wenn eine Vielzahl von Parametern einbezogen und Tanzvermittlung als ein transsequenzielles und im Verlauf kollektiv hervor gebrachtes materielles Gefüge betrachtet wird. Weder Tanz noch einem spezifischen Konzept von Tanz(vermittlung) ist ein bildungsrelevantes Potential inhärent, das sich automatisch ausspielen würde, sobald sie zum Einsatz kommen. Dabei geht es hier nicht primär darum, den ›Fehler‹ bei Lehrenden zu suchen oder deren Zielstellungen zu hinterfragen; auch geht es nicht darum zu postulieren, dass sich für Teilnehmende im zweiten Beispiel keine Bildungsanlässe ergeben hätten. Das können wir schlichtweg mit den erhobenen Daten nicht erfassen. Vielmehr lässt sich im Vergleich beider Situationen erkennen, wie voraussetzungsvoll das Geschehen im ersten Setting war und wie gewinnbringend es in der Erforschung von kultureller Bildung ist, die Vollzugswirklichkeiten der Praxis analytisch, transsituativ und -sequenziell aufzuschlüsseln, um ggf. dieses Wissen auch in die Praxis zurückzuspielen. Welche Parameter lassen sich daraus für die Erforschung von Tanz im Feld kultureller Bildung ziehen?
ENTWICKLUNG EINES ANALYSEMODELLS UND MATRIX Entlang dieser exemplarischen Darstellung wird deutlich, dass es für eine differenzierte, der Komplexität der Situationen angemessenen Analyse eine Vielzahl von Parametern braucht, die erst in ihren Konstellationen und ihrer Varianz jeweils spezifische (Bildungs-)Potentiale, Erfahrungsdimensionen und domainspezifische Kompetenzen von Tanz konturieren lassen (Stern et al. 2020). Im Anschluss an dieses vergleichende Beispiel lassen sich dabei provisorische Parameter der Analyse eruieren, die dann in den folgenden Kapiteln als Suchkategorien jeweils weiter ausformuliert und befragt wer-
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den. Durch eine jeweils von diesen Parametern perspektivierten Analyse der erhobenen Datenmaterialien, lässt sich dann in einem reziproken Verfahren nicht nur aufzeigen, dass sich diese für die Forschung signifikant erwiesen, sondern auch, in welcher Bandbreite und Dimension sie sich verstehen lassen. Welche Kategorien/Parameter/Begriffe lassen sich also aus den Beobachtungen ableiten? Welches Verständnis von Begriffen und Kategorien eröffnen sich damit? Hier fallen zunächst Bewegungen und Körper auf. Ohne eine Differenzierung in der Beschreibung der Bewegungsformen und -qualitäten (Raumwege, Dynamiken, Veränderung dieser) erschließen sich differente Sinngefüge einer vermeintlich gleichen Aufgabe nicht. Spannenderweise ist in der Analyse von Tanz im Kontext kultureller Bildung meist nur ausschnitthaft ein analytisches Instrumentarium vorhanden, um Bewegungen differenziert zu beschreiben oder gerät Bewegung bei der Beobachtung von Geschehnissen sogar oft aus dem Blickfeld und werden hinter verhandelten Themen, wie der Selbstbestimmung im Prozess vernachlässigt: Welche Bewegungen machen die einzelnen Teilnehmenden, auf welches ›Repertoire‹ oder Vorerfahrungen greifen sie zurück, was machen sie wie mit Bewegungen von anderen, wie werden Bewegungen aufgebrochen, bearbeitet, variiert, transformiert? Diese Fragerichtungen erlauben es mithin, große Differenzen auch innerhalb von eher offenen Lernsettings deutlich zu machen, die sich zudem oftmals durch heterogene Körperlichkeit auszeichnen. Welche Formen und Fähigkeiten, habitualisierten Bewegungsästhetiken bestimmen das Geschehen jeweils mit? Welche Körper machen welche Bewegungen? Wie beeinflusst das die Wahrnehmung von Körpern und Bewegungen? Wie wirkt das auf die Aufgabenstellung zurück? Das bedeutet auch, dass die Teilnehmenden nicht als eine Entität wahrgenommen werden, sondern darauf hin betrachtet werden sollten, wie sie sich Bewegungen jeweils einzeln mit ihren ›individuellen‹ Körpern oder in spezifischen Figurationen aneignen, was sie mit Aufgabenstellung machen, welche Differenzen oder Ähnlichkeiten dabei festgehalten werden können. Prozesse des Aneignens zu fokussieren, beinhaltet somit sowohl die Aufgabenstellung, Konzepte oder Scores als auch den jeweiligen Umgang damit zu analysieren bzw. zu identifizieren, wie diese Formen des Aneignens auf das Vermittlungssetting zurückwirken. Mit dem Parameter der Aneignung zu arbeiten, heißt auch eine mögliche einseitige Fokussierung auf Lehrper-
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sonen, Projektkonzepte oder Künstler*innen einerseits oder eine ausgeprägte Relevanzsetzung der ›Subjekte‹ der Aneignung und ihrer Erfahrungsgeschichten anderseits zu vermeiden. Formen des Aneignens, wie die Beispiele verdeutlichen, lassen sich zudem nur prozessual über den Verlauf beobachten. Das heißt, es ist wichtig zu untersuchen, wie sich das Geschehen über einen Zeitraum (Workshop, längere Arbeitsphase), als eine dynamische Figuration entwickelt. Dabei geraten bei den beiden Beispielen klassisch, didaktische Fragen nach den Formen der Strukturierung der Einheit in den Blick. Mit der Perspektivierung des Verlaufs können aber auch ungeplante Entwicklungen erfasst werden. Im ersten Beispiel war die Übung nicht geplant, sondern eine Reaktion auf ein wahrgenommenes Bewegungsverhalten, das in den Augen der Lehrperson einer Varianz bedurfte. Im zweiten Beispiel war mithin nicht abzusehen, dass die Teilnehmenden die Übung nicht als eine Tempovorgabe verstehen würden und welche Bewegungen sie einbringen würden, um sie zu gestalten. Zudem gilt es zu fragen: Wie bettet sich das in einen größeren Lernverlauf einer für die jeweilige Konstellation sich darstellenden Gruppe oder Gemeinschaft von Praktizierenden ein oder bringt sie jeweils unterschiedlich hervor? Gerade das Phänomen der Zusammenarbeit und die Frage danach, wie sich Gruppengefüge hervorbringen oder ereignen, lässt sich selten isoliert betrachten: In beiden Beispielen ist das Setting und der Kontext hierfür zentral. Da Gruppenbildungsprozesse auch in anderen Beobachtungen meist nicht nur durch Teilnehmende bestimmt wurden, haben wir versucht diese mit dem Begriff der Kollektivität zu erfassen. Kollektivität als Suchkategorie ist hier also nicht gleichzusetzen mit Idealvorstellungen von Kollektiv oder kollektiver Zusammenarbeit – obwohl diese auch unter diesem Parameter erfasst werden können – sondern dieser Begriff fragt nach der Hervorbringung von unterschiedlichen Gruppendimensionen in ihren jeweiligen Kontexten/Settings und im Wechselspiel mit anderen Aktanten. Unterschiedlichen Kontexte/Settings beeinflussen beispielsweise das Geschehen, weil sie mitkonfigurieren, mit welchen Zielen und Zusammensetzungen Projekte verwoben sind und welche Zeitlichkeit sie mitbestimmen. Es macht diesbezüglich zum Beispiel einen großen Unterschied, ob sich um ein regelmäßiges Schulprojekt, ein Workshop oder ein langfristiges Angebot handelt oder gar informelle Lernsettings und mediale Aneignungsräume. Unter dieser Kategorie werden aber keinesfalls nur die Rahmungen er-
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fasst, sondern auch Teilnehmende prägen diese mit. Zum Beispiel gehört dazu, wie diese Kontexte jeweils unterschiedlich versierte Teilnehmende erkennen lassen. Für die Teilnehmenden schien beispielsweise selbstverständlich, dass sie auf dem Boden und ohne Musik tanzen. Das zeigt wiederum, dass weitere Parameter mit einzubeziehen sind. In welcher Form sind also andere Aktanten (Spiegel, Boden, Musik, Räume) beteiligt oder abwesend? Wie figurieren sie das Geschehen mit? Welche Interaktionsangebote machen sie, wie werden sie gebraucht oder ignoriert? Welche Settings/Kontexte bevorzugen welche Aktanten, welchen Einfluss hat dies auf weitere Lern- und Leistungsverständnisse? Diese Kategorien lassen sich somit nicht ›sauber‹ voneinander trennen, sondern beeinflussen sich jeweils gegenseitig. Ihre einzelne Fokussierung (als ein heuristisches Vorgehen) kann jedoch dort von Vorteil sein, wo sie in den Beobachtungen nicht sofort auffällig werden. Während die bis jetzt benannten Parameter in Bezug auf Tanz wenig erstaunlich wirken, so sind andere nicht ganz so vordergründig, aber dennoch zentral für die Differenzen der beiden Bespiele. In verschiedenen Tanzvermittlungssettings zeigt sich ein deutlicher Unterschied im Umgang mit Sprache und Feedback bzw. Formen der Reflexion. Sprache wird in einer Vielzahl von Funktionen und Konstellationen verwendet. Es werden damit Anweisungen geben, Fragen gestellt, Reflexion angeregt. Sie dient aber auch dem Austausch der Teilnehmenden miteinander und schafft bestimmte Stimmungen, rahmt und situiert das Geschehen. Auch wenn in diesen konkreten Beispielbeschreibungen nicht die Tonalität, die sprachliche Stimmungslage beschrieben wurde, so gibt es andere Beobachtungen, die auch hier Unterschiede zeigen. Dabei kann die Tonalität der Sprache wie auch die Funktionen über den Verlauf einer einzelnen Einheit, Setting oder Beobachtungsdauer variieren. Die Abwesenheit von Sprache, Feedback und geteilten Reflexionsangeboten würde im zweiten besprochenen Beispiel mit so einer Suchkategorie erfasst werden, in gleichem Maße wie das erste Beispiel unterschiedliche Modi von Feedback und Reflexion sprachlich und nichtsprachlich aufzeigen lässt. Damit sind auch Fragen nach dem Umgang mit Irritation oder Scheitern aufgeworfen. Wie wird damit umgegangen, wenn nicht das geschieht, was Einzelne, insbesondere die Lehrperson oder Künstler*in möchten? Wenn Einzelne oder Gruppen nicht dazu fähig sind? Oder wenn das Angebot nicht angenommen wird? Wenn Teilnehmende sich
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nicht trauen, weil sie Angst vorm Scheitern haben? Scheitern kann Zielstellungen ebenso wie konkrete Situationen in den Blick rücken. Es kann persönlich erfahrbar oder institutionell erklärt werden. Scheitern kann als inhärenter Teil einer Praxis verstanden werden, selbst dann, wenn Einzelne den Begriff ablehnen bzw. denken, dass es kein Scheitern gibt. In der Praxis ist diese Kategorie zumeist wenig positiv aufgeladen und erfährt keine offensichtliche Thematisierung, ganz im Gegensatz zu der bildungstheoretischen Bedeutung, die dem Scheitern zuerkannt wird (Koller 2011; Stern 2011; 2012). Es gilt also diese jeweilig Begriffsverständnisse nicht nur in ihrer Diversität im Feld aufzufächern, sondern auch einen Brückenschlag zwischen Theoriebildung und Empirie zu leisten. Dabei ist es auch von Bedeutung aus welcher Forschungsperspektive Phänomene und Kategorien betrachtet werden. So ist es notwendig, diese hier vorgestellten Kategorien mit den jeweiligen Forschungsinteressen und methodischen Selbstverständnissen quer zu lesen. Dies haben wir versucht, in einem Analysemodell zu erfassen. Bevor dieses näher erklärt wird, gilt es jedoch zumindest exemplarisch zu reflektieren, wie sich die eben beschriebenen Kategorien und Parameter mit jenen, die in der Forschung bereits diskutierten werden, verbinden bzw. abgrenzen lassen. Kategorien positionieren und relativieren Wie verhalten sich diese Kategorien also zu solchen, die in der Analyse von Vermittlungssettings im Tanz bereits vorgeschlagen werden? Beispielsweise lassen sich die hier vorgeschlagen Parameter in einem Spannungsverhältnis zu eher in didaktischen oder tanzpädagogischen Zusammenhängen verwendet verstehen, insofern diese weniger danach fragen, in welcher Vollzugswirklichkeit sich Dinge ereignen, sondern für Phänomene und Formationen bereits standardisierte Begriffe bereithalten. Aus solch einer Perspektive heraus wird beispielsweise festgehalten, ob Vermittlung ›frontal‹ stattfindet, ob eine Aufgabe ›offen‹ gestellt wird. Ob sich allerdings eine Übung mithin als ›offen‹ oder weniger ›offen‹ darstellt, verrät nicht unbedingt etwas darüber, was Teilnehmende damit machen; was genau mit ›offen‹ für wen gemeint ist; welchen Stellenwert sie hat; wie die Aufgabe gegeben oder eingebunden ist. Auch die Feststellung, dass eine Einheit frontal oder im Halbkreis angeordnet stattfindet, vermag wenig Aussagekraft darüber haben, wie dies zustande gekommen ist oder was das
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für die Aufgabe selbst bedeutet. Wenn sich eine Gruppe Jugendlicher ein Video zum Nachtanzen aussucht und sich frontal zum Monitor ausrichten, ist das vielleicht von einer Einheit zu unterscheiden, in der sich Kinder frontal zur Lehrperson ausrichten, aber wiederum Improvisationsaufgaben machen, die nur stimmlich angeleitet werden. Was sind also die Assoziationen, die mit frontaler Ausrichtung einhergehen? Was sind die Praktiken in ihren Differenzen, die dabei zu beobachten sind? Um zu verstehen, was dort räumlich passiert, ist dies nur ein Teil der Beobachtung. Solche Raumformationen zu benennen ist nicht selbstredend oder erklärend bzw. kann sogar dazu führen, andere Dinge zu übersehen. Die Beobachtung eines Vermittlungsprozesse könnte mithin ergeben, dass in einem Kontext dazu aufgefordert wurde, dass sich Teilnehmende im Halbkreis aufstellen, in einem anderen Kontext sich diese Konstellation eher beiläufig ergeben hat, weil die vermittelnde Person keine Angabe oder Setzung in Bezug auf die Ausrichtung im Raum gemacht hat. Zu sagen, dass die Teilnehmenden sich in einem Halbkreis aufstellen, beschreibt also mithin nicht die Aufgabenstellung, sondern ist Teil ihres Ergebnisses. Mit dieser Beobachtungskategorie zu arbeiten, könnte aber auch dazu führen, dynamisch gewollte Aushandlungsprozesse in Bezug auf Raum in einem Setting zu übersehen oder still zu stellen. Diese typisierenden Kategorien eigenen sich daher nur bedingt, um Vermittlungsgeschehen in einem praxeologischen Forschungsverständnis auszuwerten oder zu vergleichen, auch wenn sie durchaus wichtige Fragen zu räumlicher Anordnung aufwerfen können. Begriffe wie Offenheit der Aufgabenstellung oder frontale Anordnung können somit Teil von Bewegungsbeschreibungen sein, insofern darüber auch die jeweilige Ausformung und ihr Zustandekommen mit betrachtet wird und die Perspektive, aus der sie stammen offengelegt wird. Einschlägiger waren für uns solche Kategorisierungen, die aus Beobachtungen des Feldes gezogen wurden, wie sie beispielsweise Barthel in ihrer Studie Choreographische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kulturelle Bildung herausgearbeitet hat (2017). Anhand von zwei Projekten, die zum einen mit Schüler*innen, zum anderen mit älteren Menschen stattfanden und sich räumlich vom klassischen Theaterkontext in Bezug auf ihre ›Produkt‹ abhoben und eher als site-specific zu verstehen sind, schlägt sie folgende ›Ethnomethoden‹ als zentral für künstlerisch-edukative Prozesse und Choreografievermittlung im Tanz vor. Mit der Vorstellung von Ethnomethoden greift sie ein Konzept von Garfikel (1967) auf, wonach in jeder
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Praxis ein implizites methodischen Können vorhanden ist oder entwickelt wird. Was sind also jene Methoden, die Barthel für den Tanz im Kontext kultureller Bildung ermittelt? Dazu gehören: das Aufgabenstellen, das Klären, das Ausprobieren, das Auswerten, das Teilhaben/Teilnehmen, das Aushandeln und das Aufrechterhalten (Barthel 2017: 110). Diese Kategorien werden dann in mögliche Unterkategorien aufgeschlüsselt, die die Bandbreite dieser Begriffe verdeutlicht. Unter einem Begriff wie des Klärens fallen somit Dinge wie eine »gemeinsame Sprache aufbauen« ebenso wie »intermediale Beispiele geben«. In den folgenden Kapiteln ihres Buches schlüsselt Barthel sehr genau auf, wie sich Projekte in ihrer Vielfalt und Komplexität in der jeweils unterschiedlichen Verschränkung und Bedeutung entlang dieser einzelnen Kategorien beschreiben lassen. Dass die hier vorgeschlagene Forschungsheuristik diesem Begriffsmodell nicht folgt, hängt zum einen damit zusammen, dass sie in vielen der Praktiken die Aktionen der Vermittelnden besonders fokussiert und dass sie nicht besonders domänspezifisch in Bezug auf Tanz ist. Diese Ethnomethoden könnte ebenso gut auch für jede andere Vermittlungssituation zutreffen. Zum anderen begreifen wir die von uns eruierten Kategorien als übergreifender, auch wenn Barthels Begriffe helfen können, diese weiter zu spezifizieren. Beispielsweise läuft eine Kategorie, die Fragen nach der Verwendung von Sprache aufwirft, quer zu jenen von Barthel vorgeschlagenen. Wie wird geklärt? Wie werden Aufgaben gestellt? Ebendas lässt sich oftmals anhand eines differenten Gebrauchs, Funktion, Verständnisses von Sprache ermitteln. Daher widersprechen sich diese Kategorien keinesfalls. Sie setzen lediglich andere Schwerpunkte und rücken andere Konstellationen in den Blick. In beiden Modellen erlauben die sich je verändernde Kombination und Gewichtung dieser Paramater, Spezifika der jeweiligen Praxis zu erfassen und Differenzen zu erschließen (Barthel 2017: 111). In unsere Auseinandersetzung wurde darüber hinaus deutlich, dass die jeweilige Forschungsperspektive einen großen Einfluss auf die Beschreibung und Schwerpunktsetzung nimmt und in der Entwicklung einer systematischen Darstellung mit einbezogen werden sollt. Hierfür wurde im Forschungsprojekt »Kubi-Tanz: Kulturelle Bildungsforschung im Tanz« ein vorläufiges Analysemodell entwickelt, in dessen grafischer Darstellung wir versucht haben alle drei Ebenen zu versinnbildlichen. Neben den aufgeworfenen Kategorien, die sich aus der beobachteten Praxis ergeben, gehören die Forschungsperspektiven auch dazu.
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ANALYSEMODELL ALS MÖGLICHE PERSPEKTIVIERUNG VON VERMITTLUNGSKONSTELLATIONEN Das in Abbildung 3 visualisierte Analysemodell zielt somit darauf ab, Tanz im Kontext kultureller Bildung als ein vielschichtiges und dynamisches Geflecht zu erforschen. Das Modell ist dabei nur als ein Zwischenprodukt und als ein dynamischer Forschungsabschnitt zu verstehen. Es wird durch das Ausdifferenzieren und die Fragen in den folgenden Kapiteln selbst wieder kritisch perspektiviert. Die auf der Ebene 3 angesiedelten Kategorien des Analysemodells, wie sie bereits zuvor aus den Beschreibungen hergeleitet wurden, verstehen sich als Bestandteile eines relationalen Gefüges: Sie sind nicht als getrennte Einheiten zu verstehen, sondern ihnen kommt jeweils im analytisch fragenden Wie und im spezifischen Zusammenspiel eine (heuristische) Relevanz zu, die es erlaubt, Aufschluss sowohl über Tanz- und Vermittlungsverständnisse (Ebene 1), als auch über die jeweiligen Fragestellungen (zum Beispiel nach möglichen bildungsrelevanten Potentialen) zu generieren. Diese Parameter spielen also prinzipiell in jeder Vermittlungs- und Aneignungssituation mit, aber in jeweils anderen Figurationen. Im folgenden zweiten Teil des Buches werden diese Kategorien in ihrer Bedeutungsbandbreite und im Zusammenspiel mit jeweils anderen Kategorien ausdifferenziert. Darüber soll auch eine Blickschulung und ein domainspezifisches Fachwissen gefördert werden. Es geht nicht darum, diese Kategorien eindeutig zu definieren, selbst wenn es ihre Relevanzsetzungen – auch in Abgrenzung zu anderen geläufigen Termini des Feldes – zu erklären gilt. Vielmehr werden diese Kategorien – wie bereits im Kontext der Begriffsdiskussion zu kultureller Bildung in der Einleitung erklärt – im Sinne Bals als »Travelling Concepts« verstanden (Bal 2002). Es geht darum, Begriffe auf ihre konzeptuellen Dimensionen hin zu betrachten und zu untersuchen, welche Bandbreite an Bedeutungen sie in den jeweiligen Kontexten zeigen bzw. wie diese sich verändern. An Beispielen und Case Studies lässt sich beispielsweise aufzeigen, wie transsituative, körperliche und kollektive Dimensionen unterschiedlich zusammenspielen und wie Regeln und Wissensbestände im Feld über diese Differenzen analysierbar werden.
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Abbildung 3: Entwurf eines Analysemodells mit domainspezifischer Perspektivierung. Quelle: Hardt et al. 2020: 82
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Der einer linearen Logik eines Buches folgenden Unterteilung und Reihenfolge von Kategorien kommt insofern eine heuristische Relevanz zu, als dass sich darüber spezifische Details fokussieren lassen. Nun lässt sich ein methodisches Forschungsdesign nicht nur an Kategorien und einer Beobachtung von Vollzugswirklichkeiten beschreiben oder entwickeln. Vielmehr gilt es, die im Kapitel 1 beschriebenen Forschungsperspektiven noch einmal aufzugreifen und anhand des Datenmaterials aufzufächern. Die im Analysemodell als Ebene 2 beschriebenen Forschungsperspektiven dienen der Veranschaulichung möglicher Zugänge. Kategorien im Verhältnis zu Forschungsperspektiven Welche methodischen oder theoretisch geleiteten Forschungsperspektiven bringen das ›Beobachtungsmaterial‹ und jeweils den Gegenstand der Untersuchung wie hervor? Diese Frage hat darauf Einfluss, wie die zuvor benannten Kategorien verwendet und verstanden werden. Beispielsweise macht es einen großen Unterschied, ob Sprache daraufhin untersuchte wird, wie Teilnehmende damit ihre Gefühle, Wahrnehmungen und den Sinn in der Praxis erschließen, mit dem Ziel möglichst dicht an eine Teilnehmendenperspektive zu gelangen, oder ob von Interesse ist, wie die verwendete Sprache von Setzungen und Normen durchdrungen ist, sich historisch verorten lässt, oder aber wiederum, wie Begriffe in spezifischen Institutionen zur Distinktion fungieren. Solche differenten Forschungsinteressen können alle Bereiche des Vermittlungsgeschehens jeweils neu und anders verstehen lassen. Beispielsweise wenn spezifische Vermittlungsverfahren daraufhin betrachtet werden, welche Erfahrungen sie einerseits für Einzelne erlauben oder vor welchem Vermittlungsdiskurs sie sich andererseits einordnen lassen. Wiederum anders stellt sich das Geschehen dar, wenn der Fokus auf den spezifischen Kontext und dessen Machtgefüge gelenkt wird. Dies erlaubt beispielsweise auch ›alternative‹ Formate als institutionell und hierarchisch durchdrungen aufzuzeigen. Um diese differenten Forschungsperspektiven zu systematisieren, wurde ein Modell von Paula Saukko (2003) adaptiert, das unterschiedliche Ebenen und Schwerpunktsetzungen der Analyse folgendermaßen kategorisieren lässt: Erfahrungen, Diskurse und Kontexte (Ebene 2). Die Unterscheidung in diese drei Schwerpunktsetzungen entwickelte Saukko ursprünglich, um unterschiedliche Verständnisse von validities (Validitäten) für die ethnographische und kulturwissen-
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schaftliche Forschung zu systematisieren (Saukko 2003). Das heißt, je nachdem, was das Forschungsinteresse ist, können sich andere Parameter für das Verständnis von ›Wahrheit‹ und ›Validität‹ ergeben. Wenn beispielsweise die Perspektiven der Teilnehmenden im Zentrum der Forschung stehen, geht es nicht darum, wie ›wahr‹ sich deren Aussagen in Bezug auf Überprüfbarkeit darstellen, sondern darum, wie genau diese in ihrer Komplexität von den Forschenden erfasst werden. Eine Forschung, die sich jedoch auf Diskurse fokussiert, würde eher daran gemessen, wie sehr es ihr in der Analyse gelingt, die verwendete Sprache oder Begriffe genealogisch aufzuschlüsseln und damit verbundene Setzungen und Normen herauszuarbeiten. Wiederum eine Forschung, die soziale, kulturelle oder feldspezifische Kontexte fokussiert, würde weniger die Erfahrungen der Teilnehmenden und ihre Sprache in den Mittelpunkt rücken, sondern eher biografische, institutionelle oder machtspezifische Konfigurationen der jeweiligen Settings genauer betrachten. Im Folgenden soll es nun nicht darum gehen, die Diskussion dieser Kategorien oder Einteilungen der Forschungsperspektiven zu nutzen, um die Validität von Forschung anhand der gesetzten Zielstellungen zu untersuchen, sondern diese Forschungsperspektivierungen sollen und können dazu dienen, eine Sensibilität für unterschiedliche Ebenen des Geschehens und für die eigene Forschungsschwerpunktsetzung zu entwickeln. Dabei lassen sich diese Forschungsperspektiven sicherlich nicht sauber voneinander trennen. Auch eine Forschung, die sich für Diskurse im Feld interessiert, kommt nicht umhin, die Erfahrungen von Teilnehmenden miteinzubeziehen, um deren Sprache analysieren zu können oder herauszufinden, welche Codes aufgerufen werden. Forschungsperspektiven entlang dieser Begriffe heuristisch zu trennen, soll es lediglich möglich machen, 1. die jeweiligen Ebenen der eigenen Forschung transparent zu machen, 2. Analysen des Feldes als Teil spezifischer Forschungstraditionen zu identifizieren, 3. Perspektivwechsel zu befördern und 4. die sich daraus ergebene Komplexität und Widersprüchlichkeit in der Forschung zu kultureller Bildung produktiv zu machen. Damit lassen sich teils disparate Interpretationen verbinden. Wenn beispielsweise Teilnehmende das Geschehen als ›frei‹ darstellen, ihre Begrifflichkeit aber von ausgeprägten normativen Setzungen durchdrungen ist, gilt es solche Momente nicht auszustellen, so dass die Teilnehmenden bloßgestellt werden. Vielmehr lässt sich das Geschehen entlang solcher Ebenen differenziert beschreiben.
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Um eine Irreführung dieser analytischen Ebene zu vermeiden, ist es von Bedeutung, den Unterschied zwischen Forschungsperspektiven (z.B. eine Untersuchung die Erfahrungen von Teilnehmenden fokussiert) und den jeweiligen Praktiken (z.B. Erfahrungen von Teilnehmenden) herauszustellen. So kann auch eine diskursanalytische Perspektive sinnliche Erfahrungen differenziert betrachten und ein Fokus auf Erfahrung, sich ebenso der Sprache widmen. Die unterschiedlichen Forschungsperspektiven werden dabei unterschiedliche Interessen und Ergebnisse fördern. Über diese Differenzen lässt sich die Komplexität und die Situiertheit von Wissen zu Tanz und kultureller Bildung spezifischer untersuchen. In der Regel haben eine Fokussierung auf Erfahrungen von Teilnehmenden einen großen Stellenwert in einer Forschung, die geprägt ist von phänomenologischen und im Kontext der Grounded Theory verankerten Forschungsperspektiven (Kapitel 2). Dabei geht es in der Erfassung dieses Bereiches darum, möglichst viele Dimensionen der doings and sayings einer Praxis zu fokussieren, d.h. was Einzelne oder Gruppen tun (doings) oder sagen (sayings), und auch die darin sichtbar werdenden impliziten Regeln zu untersuchen (Schatzki 2002). Würde unter dieser Perspektive die Kategorie des Scheiterns erfasst werden, würde gefragt, wie der Begriff im Feld verwendet wird, mit welcher Bedeutungsbandbreite und von wem. Es würde auch beobachtet werden, ob Teilnehmende sich als scheiternd wahrnehmen oder ob dies andere tun. Es würde beinhalten, zu ermitteln, ob es Momente gibt, die sich für den Beobachtenden als Scheitern darstellen, wieso und wie damit in der beobachteten Konstellation umgegangen wird (ob es übersehen, sanktioniert, als geschätzter Anlass genommen wird, etwas anders zu machen). Wo und wie wird das Scheitern lokalisiert (intern/extern), am eigenen Körper oder Fähigkeiten? Es könnte auch gefragt werden, wie Teilnehmende selbst einen Sinnhorizont bilden. Welche Erzählungen und Mythen rufen sie bezüglich Scheitern auf und integrieren diese in eigene oder andere Narrative? (»Ich musste erst feststellen, dass ich das nicht kann, bevor ich mich auf Neues eingelassen habe.«) Es ist an dieser Stelle wichtig, darauf hinzuweisen, dass auch die Verwendung von Sprache explizit in den Bereich der Forschungsperspektive der Erfahrungen gehört. Sie wird nur anders analysiert, als wenn dies aus einer Perspektive des Diskurses geschieht. In dieser zweiten Forschungsperspektive werden mittels Diskursanalyse die epistemischen Referenzen und die Historizität von Begriffen in den je-
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weiligen Konstellationen analysiert. Dies kann das jeweilige Gegenstandsverständnis von Tanz und Vermittlung ebenso tangieren wie die sinnlichen Erfahrungswelten, Materialitäten und physischen Realitäten, die sie mit hervorbringen. Wie werden beispielsweise durch Sprache bestimmte sinnliche Dimensionen als solche erst wahrnehmbar und konstituiert? Solche genealogischen und kontextualisierenden Untersuchungen zu Sprache und dem Wechselverhältnis körperlichen und tänzerischen Tuns sind Desiderata in der Forschung zu Sinnlichkeit im Tanzvermittlungskontext. Ebenso kann unter solch einer Perspektive der Diskurse nach epistemischen Setzungen gefragt werden. Werden über die Begriffe beispielsweise naturwissenschaftliche Referenzen zu Faszien oder Anatomie aufgerufen oder Tanz als eine andere Form des Wissens abseits statischer Wissenskonzepte postuliert? In welchem Verhältnis steht dies zu anderen aufgerufenen Theorien (z.B. Bildungstheorien)? Unter solch einer Forschungsperspektive würde dann z.B. das eben schon erwähnte Scheitern anders in den Blick rücken. Es würde danach gefragt werden: Welche Verständnisse von Scheitern werden aufgerufen? Welche epistemologischen oder bildungstheoretischen Referenzen prägen Vorstellungen von Scheitern? So bedeutet diskursanalytische Fragen aufzuwerfen keinesfalls, Begriffe stillzustellen, sondern Sprache und Diskurse als einen zentralen Teil tänzerischer (Vermittlungs-)Praktiken in den Blick zu nehmen und auf ihre Referenzsysteme und deren Normen hin zu analysieren. Dabei ist nicht jede sprachliche Äußerung ein Diskurs, sondern in der Bedeutungsbandbreite, die dieser Begriff in der wissenschaftlichen Diskussion erfahren hat, wird hier ein Verständnis von Diskurs verwendet, das damit die (dominierenden, gängigen, übergreifenden) Codes und konzeptuellen Systeme bezeichnet, in und mit welchen sich Erklärungs- und Verständigungsmuster unserer Welt und Wahrnehmung manifestieren bzw. durch sie hervorgebracht werden (Hammergren 2004: 22). Damit werden mit dieser Forschungsperspektivierung auf Diskurse weit mehr als nur die sayings der Praxis in den Blick gerückt, sondern gefragt, welche Leistungsparameter und Kunst- oder Subjektverständnisse darin evident werden und wie die Praxis sie in den jeweiligen Konstellationen bestätigt, variiert und mit hervorbringt. Es geht also darum zu fragen, welche Äußerungen die Praxis legitimieren oder der Praxis als zugehörig angesehen werden, in welchen Codes oder medialen Formen dies geschieht, wie diese sich ggf. auch verändern oder in Konflikt miteinander stehen. Diskurse tangieren die gesamte Praxis mit ihren Wert-
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und Lernparadigmen. ›Scheitern‹ würde hier als systematisierende Größe in den Blick geraten. Welche sprachlichen Figurationen rahmen das Reden über Scheitern, auf welche (theoretischen) Referenzrahmen wird dafür zurückgegriffen, in welchem Modi wird dies thematisiert oder welche Standards figurieren dabei Scheitern? Um eine Art hermeneutischen Zirkel zu vermeiden, kann es hilfreich sein, sowohl Erfahrungs- als auch Diskursdimensionen in Bezug auf die Kontexte zu perspektivieren. Eine Forschungsperspektive, die Kontexte fokussiert, rückt dabei die historischen, sozialen, lokalen, aber auch institutionellen Rahmungen oder die biografischen Reisewege der Vermittelnden und Teilnehmenden ins Zentrum der Betrachtung. Welche Rahmungen erlauben ein Scheitern, so dass es bildungsrelevant erscheint, und welche mithin nicht? Wie kann eine Fokussierung auf Kontexte, gängige bildungstheoretische Literatur aber auch Verständnisse im Feld befragen, erklären oder umdeuten? Auf der einen Seite möchten Schulen, Projekte und Workshops Möglichkeiten des Scheiterns eröffnen, um daraus zu lernen. Doch wie schränken z.B. Notenvergabe und deren Relevanz für die weitere Bildungslaufbahn oder das avisierte Projektziel einer Aufführung, letztlich Möglichkeiten und Potentiale des Scheiterns ein? Bildungstheoretisch wird Scheitern meist mit Kontingenz und dem Erlenen des Umgangs mit dem Unvorhergesehenen verbunden und positiv besetzt. Was bedeutet Scheitern und Irritation beispielsweise für jene, die traumatische Erfahrungen gemacht haben und für die die Schaffung stabiler und sicherer Strukturen von Bedeutung wäre? In welchen Kontexten kann Scheitern also wie und wann als sinnvolles Element von Bildung begriffen werden und wann nicht? Dies sind Fragen, die sich aus solch einer Forschungsfokussierung auf Kontexte ergeben kann. Sie lassen sich somit quer lesen zu verallgemeinernden bildungstheoretischen Annahmen, die Scheitern per se als bildungsrelevantes und gar essenzielles Momentum von Bildung begreifen (Kapitel 8). Mit der Forschungsebene des Kontextes gilt es auch einmal mehr, sich der eigenen wissenschaftlichen Verortung im Sinne eines »situated knowledge« (Haraway 1988) bewusst zu werden. Haraways Konzept greift dabei einerseits auf Wissensvorstellungen zurück, denen zufolge Wissen relational, verkörpert und kontextspezifisch hervorgebracht wird. Gleichzeitig möchte sie sich damit jedoch auch gegen einen allgemeinen Relativismus stellen, der alle Perspektiven gleichberechtigt versteht. Eine Positionierung
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entlang von Forschungsperspektivierungen kann hierfür hilfreich sein auch deswegen, weil eine Auswertung der Daten, die sich teils konträr zu den von Teilnehmenden artikulierten Vorstellungen positioniert, ein Dilemma ethnografischer und praxeologischer Forschung zum Vorschein bringt: Einerseits ist ein ›Anschmiegen‹ an die jeweiligen Teilnehmenden notwendig, um idealerweise zu verhindern, dass teilnehmende Beobachtung mit Evaluation gleichgesetzt wird und um Intimität und Vertrauen herzustellen. Andererseits bedeutet eine praxeologische Forschung auch, nicht nur die Erfahrungen und Perspektiven der Teilnehmenden zu erfassen, sondern auch zu akzeptieren, dass sich Teilnehmende in der komplexen Auswertung und Anbindung an in den Praktiken wirkmächtigen Normen, Setzungen, institutionellen Rahmungen und Grenzen mithin nicht mehr adäquat repräsentiert finden (Warstat 2020). Idealer Weise könnte jedoch ein Zusammenbringen bzw. Auswerten der jeweils unterschiedlichen ›Realitäten‹, die Vielfalt und Komplexität kultureller Bildung und dadurch auch ein ernsthaftes Interesse und Respekt für all darstellen. Wie sich nun diese Komplexität jeweils anderes unter variierenden Fokussierungen des Geschehens analysieren lässt und welche theoretischen und begrifflichen Referenzrahmen hier hilfreich und von Bedeutung sind, widmen sich die nächsten Kapitel.
WEITERFÜHRENDE LESETIPPS Gitta Barthel (2017): Choreographische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung, Bielefeld: transcript. Frank Hillebrandt (2015): »Was ist der Gegenstand einer Soziologie der Praxis?«, in: Ders./Franka Schäfer/Anna Daniel (Hg.): Methoden einer Soziologie der Praxis, Bielefeld: transcript, 15–36. Paula Saukko (2003): Doing Research in Cultural Studies. An Introduction to Classical and New Methodological Approaches, London: Sage.
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• Was ist gemeint, wenn von Körper(n) im Tanz die Rede ist? • Aus welchen Perspektiven werden Körper in den Fokus der Forschung
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gerückt? Welche theoretischen Referenzsysteme werden dabei aufgerufen? Welche Synonyme oder Alternativen werden für Körper verwendet und warum? Welche ästhetischen und epistemischen Setzungen begleiten die jeweiligen Perspektiven? In welchem Verhältnis stehen Körperkonzepte und das Gegenstandsverständnis Tanz zueinander? Wie zeigen sich Körper in der Praxis? Welche Körper sind wie zu beobachten? Was wird unter der Perspektivierung auf Körper genau in den Blick genommen (Körperformen, -qualitäten, sozialisierte oder Gruppenkörper)? Welche Kommunikations- oder Wirkungsweisen werden Körpern zugesprochen? Was passiert mit Körpern in tänzerischen Vermittlungs- oder Bildungsprozessen? Wie werden Körper adressiert oder sinnlich erfahrbar? Welche Teile/Aspekte von Körper werden bearbeitet, wahrgenommen, und wie mit welchen kombiniert? Welche nicht? Wie entwickeln Tänzer*innen ein Körperverständnis? Wie kann das erfasst werden? Welche Widerständigkeiten in Bezug auf Körper sind erkennbar? Wie werden über Körper Fragen nach Identität, Geschlechtlichkeit, Diversität aufgerufen und erforscht?
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Tanz scheint die Kunstform des Körpers, der Bewegung und Sinnlichkeit schlechthin zu sein. In keiner anderen Kunstform sind Körper und Körperlichkeit – d.h. die Qualitäten des Erfahrens und Wahrnehmens von Körpern – so präsent wie im Tanz: ob dies in allen Formen praktischer Ausübung von Tanz, in Bezug auf das jeweils adäquat verstandene Training, in Diskursen zu seiner ›idealen‹ Form, sinnlichen Qualitäten oder möglichen Kommunikationsfunktionen ist (Huschka 2008; Hardt/Stern 2014; Foellmer 2009; Eberlein 2016; Eger/Klinge 2020). Körper ist auch von zentraler Relevanz in Debatten um kulturelle Bildsamkeit, künstlerische Virtuosität, körperliche Unversehrtheit, Differenz bzw. unterschiedliche Befähigung im Tanz (Dederich 2007; Moersch 2007; Lohwasser/Zirfas 2014; Eger/Klinge 2020). So mag es nicht verwundern, dass das in Kapitel 3 vorgestellte Analysemodell zur Erfassung von potenziellen Bildungsdimensionen im Tanz Körper (bzw. Körperlichkeit) zu einer zentralen analytischen Kategorie erhoben hat. Der Begriff Körper benennt hierbei eine Pluralität von Körpern. Über Erfassung von divergierenden Vorstellungen und Praktiken von Körpern können unterschiedliche Bildungsdimensionen in tänzerischen Praktiken deutlich werden: So gilt es in der Analyse herauszuarbeiten, wie in spezifische Konstellationen von tänzerischen Praktiken, Idealvorstellungen, Hierarchien des Sinnlichen, Kunstauffassungen, Ordnungsstrukturen und Präferenzen für bestimmte Körper(teile) wirkmächtig sind. Dabei gilt auch zu klären, wie biografische und institutionelle Kontexte ein körperliches Wissen maßgeblich mitkonstituieren, ohne dass die Körperlichkeit einzelner Tänzer*innen darin restlos aufgehen müsste. Körper ist somit (wie andere Begriffe in diesem Buch auch) ein Suchbegriff, der nicht in einer Definition stillgestellt werden kann. Anstatt nach der Bedeutung ›des‹ Körpers für die kulturelle Bildung oder spezifisch im Tanz zu fragen, gilt es vielmehr auszudifferenzieren: Welche Bedeutungen werden Körper in der jeweiligen (Forschungs-)Praxis gegeben? Was ist jeweils gemeint, wenn von Körper oder körperlich-sinnlichen Dimensionen gesprochen wird? Was wird unter dem Wissen des Körpers verstanden? Welche epistemischen und normativen Setzungen gehen mit den jeweiligen Verständnissen einher – auch dann, wenn beispielsweise von einer Pluralität von Körper ausgegangen wird? Und wie zeigt sich Körper in den Vollzugswirklichkeiten tänzerisch vermittelnder Praktiken?
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Körper kann somit keinesfalls isoliert betrachtet werden. Was jeweils unter Körper verstanden oder damit perspektiviert wird, ergibt sich nur im Zusammenspiel mit anderen Parametern. Dabei sind Bewegungen ebenso wie Gruppenkonstellationen, Kontexte und sprachliche Adressierungen von zentraler Bedeutung. Es gilt also die spezifische Situierung von Wissen (Haraway 1988) und Forschung zu Körper/lichkeit in den jeweiligen Konstellationen und in ihrer Relation zu anderen Kategorien des Models herauszuarbeiten. Das heißt auch: Tänzerische Praktiken lassen sich nicht allein über die Thematisierung von Körper oder gar leiblich-sinnlichen Erfahrungen und Erschließung von Welt erfassen. Während diese Perspektive in der Tanzforschung durchaus auffällig ist (Klepacki/Liebau 2008a; Klinge 2009, 2014; Westphal 2018), gilt es also auch herauszuarbeiten, wie Körper und Tanz jeweils eng mit den Kontexten, Verfahren und Techniken, die diese Körper/lichkeiten hervorbringen, verbunden sind (Foucault 1976; Foster 1997; Hardt/Stern 2014). Hierfür werden zunächst theoretische Positionen zu Körper kurz skizziert und dann deren Einfluss auf die Forschung zu kultureller Bildung diskutiert. Dem folgt ein Exkurs zum Erlernen des Sinnlichen, die zugleich für eine historische und soziale Kontextualisierung der Forschung zu Körper und Sinnen im Tanz plädiert. Im Anschluss wird die Kategorie Körper als heuristische Perspektivierung an Beispielen und Interpretationen der Praxis in seiner Diversität aufgeschlüsselt und hierüber weitere forschungsleitende Fragen aufgeworfen.
KÖRPERTHEORETISCHER (PROBLEM-)AUFRISS Welche theoretischen Referenzsysteme zu Körper sind in der Forschung präsent, was unterscheidet sie? Wie wird Körper in seiner Materialität bzw. in seiner Hervorbringung beschreibbar? Welche Begriffe werden für Körper verwendet und weshalb? Welche Implikationen lassen sich daraus für die methodische Reflexion und Forschung im Bereich Tanz und kulturelle Bildung ziehen? Einen Forschungsfokus auf Körper zu richten, ist keinesfalls neu in geistes- und sozialwissenschaftlichen Kontexten. Mit der Wende zum Körper bzw. der sogenannten »Wiederkehr des Körpers« (Kamper/Wulf 1982) in den 1980er Jahren ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit und
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zu Körpern sowohl als Ausgangspunkt einer Forschung (z.B. Phänomenologie) als auch als Gegenstand, Agens und Fokus historischer, soziologischer, geschlechtstheoretischer Forschung explodiert (u.a. Kamper/Wulf 1982; Butler 1993; Fischer-Lichte/Fleig 2000; Lorenz 2000; Villa 2011; Gugutzer 2012). Sinn und Ziel dieses einleitenden Problemaufrisses kann es daher nicht sein, auch nur im Ansatz einen übergreifenden Einblick zu geben. Vielmehr geht es darum, einige zentrale Begrifflichkeiten und Konzepte in den Blick zu rücken, die vermehrt für die Erforschung von Tanz und kultureller Bildung herangezogen werden bzw. solche, die eher weniger rezipiert werden, aber bedeutsam für die Analyse wären. Differenzen im wissenschaftlichen Umgang und Verständnis von Körper lassen sich zum einen auf der Grundlage der Forschungsperspektiven, zum anderen bezüglich der Körperverständnisse erkennen. Schematisch sehr vereinfacht lässt sich dabei unterscheiden zwischen rezeptionsästhetischen Ansätzen einerseits und sozialwissenschaftlichen andererseits, (obwohl diese Differenzierung durch eine zunehmend sozialwissenschaftliche Ausrichtung in den Kunstwissenschaften sicherlich in den letzten Jahren immer mehr aufgeweicht wurde). Doch für eine erste Systematisierung lässt sich festhalten, dass erstere sich mit Repräsentationsformen von Körpern (u.a. in ihren historisch, medial oder geschlechtsspezifisch Figurationen) oder mit Affekten beschäftigen (wie sie sich phänomenologisch beschreiben bzw. als performative Ereignisse wahrnehmen lassen) (Sheets-Johnstone 1966; Klein 1994; Angerer 1995; Schulze 1999; Fischer-Lichte/Fleig 2000; Brandstetter et al. 2000, Manning 2006). Körper ist hier zugleich ›Medium‹ wie auch Ziel künstlerischer (bildender) Formungs- und Wirkungsweisen. Hingegen fokussieren produktionsimmanente oder soziologische Perspektiven Verfahren und Techniken der Körperformung, Bewegungsprinzipien, (sozialer) Ordnungsstrukturen und kultureller Einverleibung(sprozesse) und diskutieren diese vor dem Hintergrund institutioneller oder sozialer Kontexte (Klein/Göbel 2017; Bourdieu 1982; Stern 2010; Alkemeyer et al. 2017). Körper wird hier also verstanden als eine »Verkörperung des Sozialen« (Gebauer/Wulf 2003; Villa 2011; Gugutzer 2012). Dabei treten quer zu dieser Unterscheidung zwei dominante Spielarten auf. Während heute in der Regel nicht mehr von einer Körper-GeistTrennung ausgegangen wird, die damit auch nicht mehr wie noch vor 20 Jahren üblich dekonstruiert werden muss (Lorenz 2000; Schuhmacher-
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Chilla 2000), so bleibt doch ein Unterschied zwischen jenen, die vor allem den sinnlich-spürenden Leib in den Fokus rücken und jenen, die den Körper als Produkt von Habitualisierung oder Sozialisierung sehen. In sehr vereinfachter Weise lässt sich zwischen jenen differenzieren, die eher essentialisierende Körpervorstellungen und solchen die eher konstruktivistische Körperkonzepte verfolgen. Als essentialistische Körperansätze gelten jene, die von einer Körperlichkeit oder Sinnlichkeit ausgehen, die einer kulturellen Formung vorläufig sei, z.B. wenn von einer grundlegenden biologischen Anatomie oder Differenz der Geschlechter ausgegangen wird oder in bestimmten Formen der leib-phänomenologischen Tradition etwas körperlich Unhintergehbares angenommen wird. Essentialistische Körperauffassungen treten vor allem dort auf, wo keine bewusste Theoriebildung zu Körper stattfindet. Konstruktivistische Ansätze sind hingegen zumeist an einer expliziten Theoriebildung zu Körper interessiert und gehen davon aus, dass auch die Materialität und Sinnlichkeit von Körper erst performativ und diskursiv hervorgebracht werden. Als besonders einflussreich sind hier u.a. folgende Positionen zu nennen: Marcel Mauss, der in seinem legendären »Techniken des Körpers« (Mauss 1950) aufzeigt, wie so einfache Bewegungen des Laufens und Schwimmens kulturell erlernt und different sind; der frühe Michel Foucault, der am Beispiel der Etablierung der großen ›Disziplinarinstitutionen‹ Schule, Hospital, Militär, Gefängnis aufzeigt, wie Körper durch Techniken, mit denen sie geschult und hervorgebracht auch zugleich beschreibbar, messbar und fügsam gemacht werden (Foucault 1973; 1994); Pierre Bourdieu, der im Habitus – jenen einverleibten Weisen des Denkens, Handelns, Fühlens – die Basis für gesellschaftliche Stabilität und Distinktion sieht (1982) und Judith Butler (1993), die auch die binäre Konstruktion von Gesellschlecht als eine Materialisierung einer heterosexuellen Normativität herausgearbeitet hat. Konstruktivistische Perspektiven gehen – so sehr sie sich im Detail unterscheiden mögen – prinzipiell davon aus, dass Körper nichts per se Gegebenes sind. Sie weisen darauf hin, wie notwendig es ist, Körper in ihren Materialisierungsprozessen und in ihren Bewegungen in der Wechselwirkung mit sozialen und kulturellen Praktiken sowie als diskursiv hervorgebracht zu verstehen. Diese Differenzierung in essentialistische und konstruktivistische Konzepte von Körper ist wohlgemerkt eine heuristische Unterteilung, und die jeweiligen Forscher*innen würden ihre Perspektiven nur bedingt dieser
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Zuordnung unterwerfen (Lorenz 2000). Mit Ausnahme weniger naturwissenschaftlicher Forschung, vor allem in der Medizin, wird heute in der Regel kein ›rein‹ essentialistischer Körperansatz verfolgt. Und auch in der medizinischen Forschung sind der Einfluss von sozialen und gesellschaftlichen Faktoren auf Körper mittlerweile gut etabliert. Anderseits haben Autor*innen, die an der Etablierung der Perspektive eines diskursiven und performativ hervorgebrachten Körpers wegweisend mitgewirkt haben – allen voran Foucault und Butler – durchaus Möglichkeiten artikuliert, dass der Körper auch widerspenstig und nicht in diesen Formungs- und sprachlichen Bezeichnungsprozessen aufgehen muss (Butler 1993; Foucault 2014). Die Differenz zwischen dem, was hier als essentiellen vs. konstruktivistischen Körperkonzepten bezeichnet wird, bezieht sich daher primär darauf, ob direkt oder indirekt davon ausgegangen wird, dass es so etwas wie ein ›Substrat‹ des Körpers gibt, das einer sozialen Einverleibung bzw. seiner Hervorbringung (Gugutzer 2012) vorläufig wäre; zum Beispiel, wenn ein Leib und ein sinnliches Spüren oder gar eine grundlegende fleischliche »Vitalität« (Wuttig 2016) angenommen wird, die unabhängig von sozialen und kulturellen Formungs-, Bildungs- und Disziplinierungseinflüssen sei. Leib, Körper, Materialität In diesem kurzen Aufriss zur körpertheoretischen Theoriebildung sind zahlreiche Begriffe gefallen, die auch für die Forschung kultureller Bildung und Tanz von Bedeutung sind und die es lohnt, detaillierter aufzuschlüsseln. In der deutschsprachigen Diskussion wird häufig zwischen den Begriffen Leib und Körper unterschieden. Phänomenologische Ansätze, wie sie von Berhard Waldenfels und auch Robert Gugutzer vertreten werden (Waldenfels 2000; Gugutzer 2012: 8), plädieren dafür, sprachliche Differenzierungsmöglichkeiten zu nutzen, um basale Gefühls- und Sinnesregung des Menschen, die nicht intentional sind und einen überkommen (wie Schmerz oder Angst), mit einem Leibbegriff beschreibbar zu machen. Mit dieser Unterscheidung von Körper und Leib wird auf ein grundlegendes Phänomen einer doppelten Körperlichkeit verwiesen, das in Rückgriff auf Helmut Plessner mit »Körper sein« und »Körper haben« beschrieben wird (Plessner 1970: 43). Menschsein zeichnet sich demnach durch eine doppelte Verfasstheit aus. Jeglicher menschlicher Zugang und Erfahrung von Welt geht
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zunächst von einem sinnlichen Spüren aus (Körper sein). Zugleich kann der Mensch Distanz zu diesem Körper einnehmen, ihn instrumentalisieren, mit Techniken befähigen, ihn also als ein Objekt, ein Ding unter Dingen wahrnehmen, bearbeiten und in Besitz nehmen (Körper haben) (ebd.). Der Leibbegriff ist dabei divers diskutiert. Etymologisch stammt ›Leib‹ von ›liv‹, also dem Leben und unterscheidet sich in seinem Assoziationsfeld von Körper (corps) mit seinem Bezug zu Leichnam und Hülle (Lorenz 2000). Doch gerade im Kontext der ›Leibesübungen‹ oder im Kontext rassistisch begründeter Körperkulturen hat der Begriff problematische bzw. deutlich ideologisierte Aufladungen erfahren, die ihn auch suspekt machen (Diehl 2006). Zudem können mit dem Begriffspaar Leib und Körper indirekt dichotome Strukturen zwischen ›Natur‹ und ›Kultur‹ wieder aufgerufen werden. Jene, die für die Relevanz des Begriffs Leib plädieren (z.B. Gugutzer 2012) versuchen daher klar zu verdeutlichen, dass Körper und Leib nur in einem sich bedingenden Wechselverhältnis zu verstehen sein. Demnach sei die Unterscheidung zwischen Körper und Leib nicht eine ontologische sondern eine heuristische (ebd.: 48). Die Schärfe der Trennung wird auch dann nivelliert, wenn z.B. Lindemann davon ausgeht, dass leibliche Erfahrung bzw. das Individuum in seiner körperlichen Verfasstheit immer schon durch ein diskursives und gesellschaftlich überformtes Körperwissen geprägt ist (Lindemann 1996). Im tänzerischen Feld und in Teilen der historisch orientierten tanzpädagogischen Forschung wiederum hat der Leibbegriff klare Verbindungen zu körperemanzipatorischen Diskursen, die zum Anfang des 20. Jahrhundert zurückgehen. Demnach sollte der Körper von seinen zivilisatorischen Zwängen befreit werden und zu seinen ›natürlichen‹ Trieben und Regungen, also zu seinem Leib, zurückfinden (kritisch dazu Baxmann 2000; Hardt 2004). Auch in der Tanzwissenschaft war dieser emanzipatorische Gestus lange Zeit präsent (Klein 1994). Allerdings wird das, was in historischer Perspektive mit dem Leib assoziiert war, heute eher mit Begriffen des somatischen Körpers bzw. der somatischen Praktiken gefasst. Somatische Praktiken rücken physische Regungen und sinnliches Spüren gegenüber Form und Ausdruck von Bewegung ins Zentrum tänzerischer Praktiken und ihrer Reflexion (Bartenieff/Lewis 1980; Hartley 2012; Coogan 2016). Der Begriff des Somatischen – der anders als der Leibbegriff – international anbindungsfähig ist bzw. durch den
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anglo-amerikanischen Einfluss auf zeitgenössische tänzerische Praktiken geprägt ist, bringt jedoch auch leichte Verschiebungen der Bedeutungsbandbreite mit sich: Er ist an medizinische und therapeutische Diskursstränge angebunden. In diesem Bereich kann dann von einer Essenzialisierung des Körpers gesprochen werden, wenn aus embryonale Entwicklungsstadien oder anatomischen Beschreibungen nicht nur Bewegungsrecherchen initiiert werden, sondern Leitlinien von Bewegungsentwicklung entstehen. Gleiches gilt, wenn somatische Praktiken als Meta-Praktiken tänzerischen Trainings verstanden werden (Coogan 2016; Hackney 1998), die sich abseits kultureller und historischer Setzungen zu bewegen scheinen. Auch aus geistes- und sozialwissenschaftlichen Perspektiven gewinnt der Begriff des Somatischen zunehmend an Bedeutung und etablieren sich im deutschsprachigen Raum die sogenannten Soma Studies (Gregor 2015; Wuttig 2016). Hier wird von einer grundlegenden ›Vitalität‹ des Körpers ausgegangen, die widerständige Praktiken und Erfahrungen ermöglichen kann. Körper wird eine Eigenwilligkeit zugesprochen und ein Agens, die über intentionale Handlungen hinaus reichen. Hier wird auch der Einfluss des sogenannten New Materialism deutlich.1 Körperverständnisse des New Materialism (Haraway 1988; Barad 2005) kennzeichnen sich dadurch, dass sie Körperlichkeit bzw. Materie jeglicher Art, Agens (einflussnehmende Aktivität/Sein) zuschreiben und somit klassische Modelle von aktiv vs. passiv ebenso entkräften wie die damit verbundenen hierarchischen Ordnungen. Innerhalb des New Materialism gibt es einerseits Perspektiven, die Körperlichkeit als permanente Materialisierungsprozesse fassen, die nie losgelöst von größeren Zusammenhängen zu verstehen sind. Anderseits gibt es durch den Einfluss des Affective Turn auch Strömungen in der Forschung, die aufgrund von Verweisen auf rizomatische Strukturen und einer grundsätzlichen körperlichen Werdensdimension, eher wenig auf die soziale und historische Gemachtheit eingehen (kritisch dazu Ley 2011). Körper bzw. Materialität wird dabei eine Art ontologischer Status in seiner unabgeschlossenen Unbestimmtheit, rizomatischen Verflechtung (Deleu-
1
Trotz großer Differenzen innerhalb des New Materialism sind grundlegende Prämissen, sich gegen anthropozentrische Perspektiven zu wenden, also jenen, die den Menschen als zentralen Referenzpunkt setzten. Damit werden anderen Formen des Lebens und Dingen gleichwertiger Status verliehen.
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ze/Guttari 1977) oder im Zustand des permanenten »becomings« (Manning/Massumi 2014) zuerkannt. Der in diesem Zusammenhang oft aufgerufene Begriff der Materialität (bzw. Materialisierungsprozesse) hat sich auch in anderen Forschungszusammenhängen einer kunstaffinen Rezeptionsforschung zu Tanz, Performance und Theater etabliert. Materialität ist insbesondere im Kontext des performative turns zu Bedeutung gelangt und bezeichnet im theaterästhetischen Diskurs die sinnliche Wirkung von Objekten, Körpern oder Prozessen im Moment ihrer Hervorbringung und Wahrnehmung (Schrödl 2012: 36f.). Für Fischer-Lichte kann Materialität (z.B. durch physischen Eigenschaften von Körpern oder körperlichen Akten wie in ihn zu schneiden), Sinngebung stillstellen oder irritieren (Fischer-Lichte 2004). Das heißt, mit Materialität sind all jene Prozesse verbunden, die nicht darin aufgehen, zu bedeuten oder Sinn zu erzeugen, sondern bei denen das Erscheinen und Wirken im Hier und Jetzt im Vordergrund stehen (Rost/Schrödl 2017: 2). Dabei geht es keinesfalls darum, Bedeutung von Körpern, ihre für andere sinnstiftenden Dimensionen auszuschließen, sondern diese in ihren komplexen und widersprüchlichen Dimensionen der Erfahrung und Produktion zu betrachten (Hardt 2014: 196). Auch in praxeologischen Theorien haben die Begriffe der Körperlichkeit und der Materialität an Bedeutung erfahren, sind sie sogar für die Hervorbringungen von sozialen Ordnungen und Wissen als grundlegend zu verstehen (Kapitel 3). Demnach wird Körpern »als Speicher vergangener Praktiken sowie als Medium und Agens in gegenwärtigen Praktiken eine zentrale Rolle« zugewiesen (Schmidt 2012: 55). Da diese Aufwertung von Körperlichkeit mit einer Abgrenzung von handlungstheoretischen und kognitivistischen Wissens- und Aktionsverständnissen verbunden ist, wird Intentionalität nicht als vorläufige oder geistige Kompetenz angesehen, sondern als in den Praktiken selbst hervorgebracht. Zugleich verwischen auch hier Grenzen zwischen belebten und unbelebten Körpern (Latour 2010). Was die aufgezeigten körpertheoretischen Positionen verbindet, ist ein Fokus auf die Hervorbringung von Körper und das einverleibte Wissen in den jeweiligen Konstellationen (Alkemeyer/Brümmer 2016). Dadurch gelangen neue Bedeutungs- und Repräsentationsdimensionen – auch als Ergebnis individueller und intersubjektiver Sinngebungsprozesse – in den Blickpunkt. Welche Relevanz haben diese körpertheoretischen Positionen nun für die Forschung zu kultureller Bildung?
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KÖRPER UND KULTURELLE BILDUNG Wie wird Körper in der Forschung zu kultureller Bildung im Tanz wahrgenommen und verstanden? Welche heuristische Relevanz kommt Körper zu? Welchen Einfluss haben körpertheoretische Diskurse für die Erforschung von Tanz und kultureller Bildung? Welche Perspektiven werden bevorzugt gewählt? Welche Phänomene geraten damit in den Blick und welche nicht? Prinzipiell lässt sich konstatieren, dass Körper als Gegenstand ästhetischer Bildung bereits seit Mitte der 1980er Jahre in den Blick der Forschung zu kultureller Bildung gerückt ist. Die Zeitschrift Kunst + Unterricht widmete 1984 sowohl den Sinnen als dann 1985 auch »Körper als Gegenstand ästhetischer Erziehung« (Blohm/Mämpf-Jansen 1985) einen Schwerpunkt. Allen voran phänomenologische Forschung und Methodenreflexion haben einen signifikanten Einfluss auf die Forschung zu kultureller Bildung geübt. Jedoch bleibt der Begriff und die theoretische Rahmung von Körper teils diffus. Es werden für den Begriff Körper zahlreiche Synonyme verwendet, deren Differenz bzw. Implikationen nicht immer mitreflektiert werden. So wird mithin austauschbar von Körper, »sinnlichen Leib«, vom »veränderlichen Organ« (Lohwasser/Zirfas 2014: 9; Klinge 2019) oder »leiblicher Materialität« (Spahn 2019) gesprochen. Auch wird häufig ganz selbstverständlich der singuläre Artikel verwendet und demnach von ›dem‹ Körper gesprochen, selbst dann, wenn pluralistische Körper oder Körperweisen diskutiert werden (Lohwasser/Zirfas 2014). Es ist also wichtig, die dahinterstehenden Prämissen dezidierter zu diskutieren bzw. genauer zu betrachten: Wie werden Körper in der Forschung zu kultureller Bildung genau konzeptionell und sprachlich gefasst? Werden Forschende im Feld der kulturellen Bildung und Tanz beispielsweise danach gefragt, mit welchem körpertheoretischen Referenzrahmen oder Zugang sie arbeiten, stößt diese Frage teils auf Unverständnis. Nach dem Motto: Muss man denn mit einer körpertheoretischen Perspektive arbeiten? Wie auch für den Begriff Tanz gilt, dass insofern die Perspektive nicht zur Reflexion gestellt wird, können theoretische Setzungen nicht sichtbar werden. Mit einem Verständnis von Pluralität von Körpern sollte auch ein Wissen um die Pluralität von theoretischen Referenzsystemen zu Körper und ihrer sozialen und historischen Dimensionen erschlossen werden.
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Ein Fokus bildungstheoretisch fundierter Forschung liegt darauf, körperlich-sinnliche Welterschließung zu erforschen. Dies geschieht verstärkt aus phänomenologischen bzw. auf Sinnlichkeit fokussierenden Perspektiven (Klinge 2009; 2014; Freytag 2011; Westphal 2018; Liebau/Klepacki 2008a). Die sinnliche Welterschließung (also wie eigene sich Menschen haptisch, riechend, sehend Wissen über diese Welt an) und die Hervorbringung von Welt durch diese (also wie entsteht Welt dadurch, dass Menschen sie wahrnehmen, anfassen, mit ihr körperlich interagieren) wird somit ins Zentrum gerückt. Körper ist hier also nicht nur Mittel und Gegenstand reflexiver Auseinandersetzungen, sondern wird selbst zum »Reflexionsorgan« (Klinge 2019: 242). Solche phänomenologischen Perspektiven begreifen sich mithin als ›neu‹ bzw. alternativ zu anderen Forschungsansätzen in der kulturellen Bildung, obwohl sie im Kontext des Tanzes gut etabliert sind (Funke-Wieneke 2008; Albright 2019). Insbesondere im Vergleich zu handlungstheoretischer und kognitiver Lernforschung können aus solch einer phänomenologischen Perspektive wichtige Impulse hervorgehen. Für die Sichtbarmachung von Wahrnehmungen, die sonst unbemerkt blieben, sind phänomenologische Beschreibungen von zentraler Bedeutung. Angesichts einer gesellschaftlichen Dominanz des Visuellen gilt es, diese auch weiterhin kritisch zu befragen (Banes/Lepecki 2007a: 4). Phänomenologische Perspektiven auf Tanz sind dabei durchaus an politischen und sozialen Dimensionen des Sinnlichen interessiert (Gugutzer 2012; Albright 2019). Dennoch lässt sich festhalten, dass mit dem Aufrufen phänomenologischer Perspektiven oder des Sinnlichen oft eine inhärent konventionelle Wissensverständnisse kritisch hinterfragende Konnotation verbunden ist (Westphal 2009; 2018; Klinge 2010; Albright 2019), die primär subjektorientiert und weniger machtanalytisch und institutionskritisch fokussiert ist. Soziale, historische und kulturelle Dimensionen von Körper und tänzersicher Praktiken werden zwar durchaus benannt, allerdings weniger oft analysiert. Eine Ausnahme ist hier in tanzpädagogischen Studien sicherlich Klinge (2019). Sie plädiert dafür, dass biografisch verankertes Wissen und Körperlichkeit in der Sportlehrer*innenausbildung nicht außen vorgelassen werden darf und für die Entwicklung einer notwendigen Distanznahme und Reflexion zentral ist. Das einverleibte Körperwissen und die damit verbundenen Körperpraktiken sollen der Ausgangspunkt für die Reflexion von Bildungsprozessen sein, die wiederum erst über Irritationen von Routinen stattfinden
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(Klinge 2000). Ästhetische und leibliche Erfahrung durch Tanz können zugleich Experimentier- und Erfahrungsräume eröffnen. Allerdings können in einer gewissen ›Idealisierung‹ körperlich-sinnlicher Differenzerfahrung, die normativen und diskursiv eingebundenen Setzungen, die in der körperlichen Formierung des Sinnlichen wirkmächtig sind, aus dem Blick geraten. Wie genau werden also die Sinne und leibliche Erfahrung in welchen Kontexten für wen möglich? Wie vermitteln tänzerische Praktiken welches ›sinnliche Werkzeug‹ und wie wird Sinnlichkeit erfahren und erlernt? Welchen Einfluss haben Setting und Rahmung auf die Erfahrung und Formierung des Sinnlichen? Inwiefern regen Bewegungspraktiken zur Reflexion von Wahrnehmungen an? Wie werden leiblich-sinnliche Wahrnehmungen in tänzerischen Praktiken (neu) gerahmt, eingeschränkt und reflektiert? Welche Diskurse und Setzungen gehen mit dem Primat körperlich-sinnlicher Welterschließung einher? Um diese Fragen zu erläutern, folgt ein theoretischer und beispielgeleiteter Exkurs.
EXKURS: SINNLICHKEIT ERLERNEN 2 Was bedeutet es konkret, dass Spüren erlernt wird, und dass Sinnlichkeit (verstanden als die haptischen, visuellen, olfaktorischen, auditiven, sensomotorischen, propriozeptischen Kompetenzen zur Orientierung und zum Sinngeben in der Welt) performativ hervorgebracht wird? Dies soll hier zunächst anhand der theoretischen Überlegung von Bruno Latour (2004) zum Erlenen von sinnlichen Kompetenzen und dann im Anschluss mit einer Darstellung und Auswertung eines Unterrichtsbeispiels ausführlicher aufgezeigt werden. Dieses Vorgehen soll zu einer stärkeren Kontextualisierung der Diskussion um das Sinnliche beitragen. Es lenkt den Fokus darauf, wie Sinnlichkeit in der Komplexität tänzerischer (Ver-
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Ausschnitte aus diesem Unterkapitel sind erschienen in: Yvonne Hardt (2020): »How Do We Learn to (Make) Sense in a Dance (Class)? Kritische und methodische Überlegungen zu Umgang und Erforschung von Sinnlichkeit in tanzvermittelnden Praktiken«, in: Margrit Bischof/Friederike Lampert (Hg.): Sinn und Sinne im Tanz, Bielfeld: transcript, 191–200.
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mittlungs-)Praktiken und institutioneller Kontexte verortet ist und analysiert werden kann. Latour weist in seinem Text »How to talk about the body?« (2004) darauf hin, dass Körper, ihre Materialität, ihr Fühlen und ihre Bewegung als in der Wechselwirkung mit sozialen und kulturellen Praktiken hervorgebracht zu verstehen sind. Körper seien demnach »an interface that becomes more and more describable as it learns to be affected by more and more elements. The body is thus not a provisional residence of something superior […] but what leaves a dynamic trajectory by which we learn to register and become sensitive to what the world is made of. Such is the great virtue of this definition: there is no sense in defining the body directly, but only in rendering the body sensitive to what these other elements are.« (Latour 2004: 206)
Latour schlüsselt das nachvollziehbar am Beispiel eines Lernkits auf, welches einem beibringen soll, Parfum differenzierter zu riechen. Mit der Hilfe dieses Lernkits entwickelt Latour die Kompetenz, zunächst einfache Gerüche und dann komplexe Geruchskombinationen wahrzunehmen. Er wird im wahrsten Sinne der Beschreibung der Parfumindustrie »eine Nase« – und so schlussfolgert er für unser Interesse an den Sinnen sehr pointiert: »Acquiring a body is thus a progressive enterprise that produces at once a sensory medium and a sensitive world.« (ebd.: 207) Mein Anliegen ist es nun, das Hervorbringen des Sinnlichen anhand eines Beispiels auszudifferenzieren und durch Kontextualisierungen zu zeigen, wie je unterschiedliche Wertsysteme und damit auch ästhetische und gesellschaftliche Normen im Prozess erlernt werden, auch in jenen Praktiken, die sich als kritisch gegenüber etablierten Normen verstehen.Was wird genau als Sinnlichkeit von wem wie verstanden? Welche Bedeutungszuschreibung erfährt Sinnlichkeit? Wie werden sinnliche Kompetenzen im tänzerischen Kontext erlernt/geschult? Welche Prozesse, Verfahren und Referenzen kommen zusammen, um das zu fördern, was als ein sinnlich wachsamer, offener oder ›artikulierter‹ Körper bezeichnet wird? Kurz gesagt: Was genau heißt es, wenn davon die Rede ist, dass soziale, ästhetische bzw. generell normative Dimensionen in der Formierung von Körpern und Sinnen wirkmächtig sind? Was bedeutet es, dass Körper und sinnliches Spüren ›hervorgebracht‹ und nicht per se gegeben sind?
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Das Sinnliche vom Emotionalen unterscheiden lernen Die Analyse erfolgt an einem Beispiel aus dem Feld somatisch- und release-basierter Tanzvermittlung im Rahmen der Ausbildung von zeitgenössischen Tänzer*innen. Jede andere tänzerische (Vermittlungs-)Praktik würde sich aber ebenso dazu eignen, in Bezug auf das Erlernen sinnlicher Kompetenzen betrachtet zu werden (Hardt/Stern 2014). Dass die Auswahl hier auf dieses Beispiel fällt, hängt damit zusammen, dass in diesen Praktiken Sinnlichkeit in ihrer Vielfalt haptischer, sensomotorischer Dimensionen körperlichen Bewegens und Berührens zum zentralen Selbstverständnis der Praxis zählt. Damit lässt sich beobachten, wie dieses Selbstverständnis vermittelt und angeeignet wird: Wie wird Sinn (in der doppelten Bedeutung des Wortes) des sinnlichen (tänzerischen) Arbeitens hervorgebracht? Wir beginnen die Klasse im Kreis sitzend, die Beine lang nach vorne ausgestreckt und geben unser Gewicht langsam an die* Partner*in, erst nach rechts, dann nach links, abwechselnd ab. Ein stilles Hin-und-HerSchwenken setzt ein, mehr und mehr Gewicht wird »gegeben«, »geteilt«, so die sporadisch eingeworfenen Begriffe der LP, die uns dabei auch erzählt, dass es heute um »langweilige Dinge gehen wird«. Sie verweist dabei auf John Cage, der es als Grundlage angesehen habe, Details im Bekannten zu entdecken. Dieses Sich-Hingeben (jede Bewegung wird für die nächste Zeit mit dem Geben von Gewicht initiiert) dauert die nächsten 1 ½ Stunden. Dabei macht die LP wenige Vorgaben. Das Gesagte besteht aus Impulsen, denen wir nachgehen können. Sie spricht durchweg in ruhiger Stimme. Die Teilnehmenden (TN) lösen sich aus der Kreisformation. Sie arbeiten allein oder in Paarkonstellationen. Konkrete Anweisungen gibt es dazu nicht. Manchmal möchte die LP durch leichte Berührung mehr Gewichtgeben oder Loslassen provozieren. Sie weist verbal und haptisch auf Kontaktflächen aller Art hin, inklusive der Augen, während ein weiches Bewegen den Raum durchzieht, in dem die TN immer wieder Körperteile loslassen, weich in den Boden fließen oder sich aufeinander ›ergießen‹. Wir erforschen jede erdenkliche Art und Weise, wie und wo Gewichtgeben Bewegung initiiert. Es entsteht eine spielerische und ausgelassene Atmosphäre. Danach kommen wir alle wieder im Kreis zusammen und werden aufgefordert, zu artikulieren, was unsere »Sensation« und was unsere »Wahrnehmungen« waren. Einige der TN interpretieren die Frage dahingehend, dass sie von ih-
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ren zumeist sehr positiven »Gefühlen« berichten, indem sie beispielsweise sagen: »Ich habe mich sehr wohl gefühlt«, »ich konnte mir Zeit lassen« und »ich konnte ich selbst sein.«3 Diese auf »Emotionen« bezogenen und mit impliziten – wenn auch positiven – Wertungen verbundenen Aussagen nimmt die Dozentin offen entgegen und versucht zugleich, jenen, die über sinnliche Phänomene wie Raumwahrnehmung, Sichtfelder oder Kontaktflächen sprechen, mehr Raum zu geben und sie als Referenzpunkte eigener Gedanken zu nutzen. Eine TN äußert sich verunsichert dahingehend, dass sie noch nicht wisse, was sie damit für ihre professionelle Karriere anfangen soll. Es ist nicht die LP, sondern es sind die Anderen, die einspringen und unterschiedliche Erklärungsmöglichkeiten finden. Im Rahmen dieser Diskussion wirft dann eine TN höflich, aber doch sehr direkt kritisch ein, dass sie die persönlichen Emotionen und das Werten eher nicht so interessant finde, sondern vielmehr das, was wir spüren und sinnlich wahrnehmen. Kurz darauf beschließt die LP die Stunde damit, dass sie alle auffordert, zwei Finger auf das Manubrium Sterni zu legen, jenem Knochen am oberen Ende des Brustbeins. Während wir diesen kleinen Knochen spüren, beginnt sie mit einem kleinen Vortrag darüber, wie dieser mit der restlichen Anatomie des Körpers verbunden ist. In dieser Beschreibung können wir formalisierte Aspekte einer releasebasierten Tanzklasse erkennen: der langsame Anfang, das Einlassen auf die Mittanzenden, der Fokus auf das Spüren, das Arbeiten mit Gewicht (Schwerkraft) und dem Loslassen ›überflüssiger‹ Muskelkraft, eine Atmosphäre des Teilens von Gewicht und Zulassens von Berührung sowie ein Unterrichtsverlauf, der wenige Vorgaben im Sinne von Bewegungsformen macht. Alle haben die Möglichkeit, zu Wort zu kommen und es scheint auch formal kein Falsch oder Richtig zu geben. Feedback wird differenziert und taktil vereinzelt gegeben. Es wird kein offensichtlicher Leistungsdruck ausgeübt und die Sprache der LP ist immer ruhig. Anatomische Referenzen und das individuelle Erforschen werden als Leitthemen aufgerufen.
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Sprachlichen Äußerung wurden zumeist von mir aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Begriffe, die im Wortlaut wichtig sind wie z.B. »Sensation« wurden beibehalten. Die Beobachtungen hierzu stammen aus einem Forschungsprojekt der Autorin zu Imaginationstechniken im tänzerischen Training.
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Doch was passiert hier noch? Welche Referenzrahmen werden aufgerufen? Welchen Einfluss hat die gesamte Konstellation darauf, was vermittelt wird und was Einzelne erfahren? Es wird deutlich, dass die Frage nach »Sensations«, nach dem Fühlen und Wahrnehmen, keinesfalls von allen gleich verstanden wird. Hierfür sind kleine sprachliche Nuancen relevant, für die die Studierende unterschiedliche Verständnisse mitbringen, beziehungsweise im Zuge der Unterrichtsstunde ein anderes Verständnis für die Sprache und Aufgaben entwickeln. Was heißt also »Sensation« im Sinne von Sensing, Fühlen/Spüren und wieso wird es von »Emotionen« abgegrenzt? Die Dozentin rekurriert durch ihre Wortwahl und Beispiele auf einen Referenzrahmen, der sich auf die historische Entwicklung release-basierter Praktiken bezieht und grenzt sich auf diese Weise von einem als emotional und ausdrucksstark verstandenen historischen modernen Tanz ab (Banes 1987). Diese Abgrenzung wird nicht erläutert, sondern subtil und dynamisch im Klassenkontext hervorgebracht und bestätigt. Dabei sind sowohl jene Teilnehmende für diesen Prozess von Bedeutung, die mit der Differenz als notwendige Abgrenzungsposition noch nicht vertraut sind, als auch jene, die mit den Begrifflichkeiten und Sinnhorizonten dieser Fragestellung schon etwas anfangen können. Die Unterscheidung zwischen »Sensations« und »Emotionen« wird auch nicht von der Dozentin als vorgegebene Erkenntnis eingeführt, sondern es ist eine Studierende, welche die Abgrenzung beider klar formuliert. Die Trennung zwischen Gefühlen und Sinnesempfindungen wird dadurch als selbst gewonnene und erfahrene Erkenntnis denkbar. Doch wieso ist diese so notwendig? Ist nicht gerade die angenehme Atmosphäre, ein Wohlgefühl – das keinesfalls unemotional ist – wesentlich hier? Dass also diese Differenz gemacht wird, hat mit dem Referenz-Diskurs der Praxis zu tun, die daraus ihr Selbstverständnis zieht. Dem Spüren wird dabei – das lässt sich in der Aussage der Studierenden erkennen – eine weniger starke Wertung zugeschrieben. Das nicht-wertende Wahrnehmen wird als sinnhaft und wesentlich in der Praxis etabliert. Dass das als nicht-wertend betrachtete Wahrnehmen sich nicht umstandslos als sinnhaft in Bezug auf tänzerische Kompetenzen für alle erschließt, verdeutlichen die Kommentare der Studierenden, die sich in Bezug auf ihre Emotionen äußerten. Es bedarf also zunächst einer »Resonanzbildung« zwischen Begriffen – hier der Unterscheidung von Sinnesempfindungen und Emotionen – und der körperlichen Praxis sowie einer Aneignung und Umformung dieser in
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Bezug auf die eigenen biografischen Vorerfahrungen (Hardt/Stern 2014: 148). Langfristig bzw. idealerweise kann die*der Einzelne dies mit einem Ziel in Verbindung bringen oder mit einem Wissen um das, was gefordert wird. Mit dem Erwerb des Verständnisses für das Sinnliche erwerben Tanzende also nicht nur langfristig die Option, differenzierter zu spüren, sondern bestimmte ästhetische Selbstverständnisse zu bearbeiten. Doch was ist das genau für ein ästhetisches Subjekt, das hier hervorgebracht wird? Diesbezüglich ist die Aussage einer der Studierenden von Interesse, die davon spricht, dass sie »sie selbst sein« könne, wenn sie genug Zeit habe und sich nicht unter Druck gesetzt fühle. Hier wird also eine Subjektvorstellung artikuliert, die einerseits Tropen des pädagogischen Feldes aufgreift, welche im Zeitlassen und Zeitgeben, im Arbeiten ohne Druck und durch Eigeninteresse eine besondere Bedeutung sehen, anderseits wird hier auch eine Subjektvorstellung entworfen, die auf einer Konfliktfreiheit beruht – nach der Prämisse: Nur wenn ich nicht unter Druck bin, wenn ich keinen Konflikt mit der Situation habe, bin ich »ich«. Inwiefern fördert das Feld solch eine spezifische Subjektkonstitution und was machen wir mit solchen Vorstellungen angesichts von bildungstheoretischen Positionen, die gerade in Konflikten oder im Scheitern Bildungspotential erkennen (Stern 2011; Koller 2012)? Diese Fragen können hier nur aufgeworfen werden. Sie verdeutlichen, dass es hier um ein komplexes Gefüge geht: Sinnliche Erfahrungsebenen (des Spürens, des Bewegens, des Miteinanders, des Zeitgebens) stehen neben solcher emotionaler Auswertung (sich wohl fühlen, unsicher fühlen, Freude und Lust zu spüren), hängen von den einzelnen Biografien, aber auch von individueller Tagesform ab. Es werden unterschiedlichste Diskursebenen (anatomische, naturwissenschaftliche, erfahrungsbasierte, ästhetische Setzungen) erkennbar, die sowohl von den Teilnehmenden als auch der Dozentin aufgerufen werden – die teils auf explizite, teils auf implizite Werte und Referenzsysteme verweisen. Und es wird auffällig, dass alle gruppendynamisch daran beteiligt sind. Was lässt sich daraus nun systematisierend für die Methodik der Erforschung von diesen Vermittlungssituationen schlussfolgern? Welche Verfahren und welche Forschung bieten Potentiale, um diese Konstellationen aufzuschlüsseln?
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Wegweisend für ein Verständnis und Aufschlüsselung wie soziale und ästhetische Körper im Tanz hervorgebracht und analysiert werden können, stellte Foster bereits 1997 in ihrem Essay Dancing Bodies vor. In Anlehnung an Diderot, Mauss und Foucault konstatierte sie: »I know the body only through its responses to the methods and techniques used to cultivate it« (Foster 1997: 235) Dafür entwickelt sie ein theoretisches Konzept, das zunächst zwischen einem wahrgenommenen und einem Idealkörper im Tanz und Tanztraining unterscheidet. Die tägliche Praxis von Tänzer*innen bringt das hervor, was Foster einen »Body-of-Ideas« nennt (ebd.). Jede einzelne Technik nutzt eine ganze Bandbreite an Methapern, Tropen und Bezeichnungen, um den gegebenen Körper umzugestalten und den gesuchten Körper zu erschaffen. Der vergleichende Ansatz von Foster rückt dabei nicht nur die konkrete Körper- und Bewegungsausführung in den Blick, sondern fokussiert die Komplexität tänzerischer Körperformierung und entwirft damit zentrale Kategorien, unter denen körperliches Lernen betrachtet werden kann. Dazu gehört auch das Verhältnis von Lehrer*innen und Schüler*innen zueinander. Welche Form der Ausrichtung und Platzierung haben die Lernenden, die Teilnehmenden? Von wem und wie geht diese Anordnung aus? Welche Formen des Feedbacks und der Kontrolle gibt es (z.B. visuell, entlang Richtlinien von falsch/richtig, bestärkend und fragend oder durch Berührung)? Welche Metaphern werden gewählt, welches Verständnis von Kunst und welcher ästhetische und zwischen-menschliche Raum werden explizit oder impliziert produziert und imaginiert? Welche Sinne werden primär adressiert und trainiert? Welche Bedeutung hat die Selbstwahrnehmung oder Sanktionierung der Teilnehmenden? Von Interesse an Foster ist hier, dass sie Ansätze, die oftmals als ›freie‹ und auf Improvisation basierende Tanzformen (Duncan Technik, Contact Improvisation) als ebenso regelgeleitet aufzeigen kann. Ballett und vorgeblich ›freie‹ Bewegungen gehen in dieser Perspektive nicht in einer dichotomen Struktur von Disziplin vs. keine Disziplin auf, sondern weisen jeweils spezifische Mechanismen, Strategien der Formierung und produktive Kräfte auf (Hardt/Stern 2014). Foster macht dabei deutlich, dass es nicht allein um die Formung von Körpern geht, sondern dass eine ganze Disposition geschaffen wird, mit der erst die wahrnehmenden und handelnden Subjekte hervorgebracht werden: Mit der Körperformung zusammen werden
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spezifische Präferenzen für Aneignungs- und Darstellungsspräferenzen herausgebildet, ohne dass Tänzer*innen allerdings restlos darin aufgehen. Vor diesem Hintergrund ist das körperlich-sinnliche Spüren nicht als etwas universell Gegebenes zu betrachten, sondern als etwas, das in der Vollzugswirklichkeit jeweils unterschiedlich hervorgebracht wird. Der Bezug auf eine sinnesbezogene Wahrnehmung in Abgrenzung zu Emotionen, wie im Beispiel release-basierter Praktiken ist folglich nicht selbstverständlich, sondern ein in der Praxis geschaffener Wahrnehmungsmodi. Körper, Körperreflexion, Körperkonzepte, Sinnlichkeit sind in komplexen Konstellationen im Feld kultureller Bildung zu finden. Auf Basis von Fosters Ausführungen ließe sich das Sinnliche im Tanz entmystifizieren und als ein komplexes Szenario ästhetischer Präferenzen verstehen. Insbesondere dort, wo eine vermeintliche Wertfreiheit oder Neutralität durch den Verweis auf naturwissenschaftliche Referenzsysteme (z.B. Anatomie, frühkindliche Entwicklungsstadien) gegeben scheint, ist es wichtig dies zu erforschen. Damit soll keine pauschale Kritik an diesen Praktiken und theoretischen Referenzen geübt werden, sondern es geht darum, aufzuschlüsseln, was wie mit wem in welchen Kontexten damit geschieht. Das bedeutet einmal mehr, Körper, Körperverständnisse und Körperpraktiken in den Vollzugswirklichkeiten zu analysieren.
ZUR PLURALITÄT VON KÖRPERN IN DER PRAXIS Wie sehen nun diese tänzerischen Vollzugswirklichkeiten aus? Welche Körper sind zu beobachten? Wie werden Körper adressiert und erfahrbar gemacht? Welche Verfahren werden angeboten und angeeignet, um Körperlichkeit zu bearbeiten? Welche Körperverständnisse, welche Widerständigkeiten sind erkennbar? Welche theoretischen Referenzsysteme werden aufgerufen und welche (ästhetischen) Ideale sind damit verbunden? Die Vielfalt, in der sich Körper zeigen, adressiert, bearbeitet, gespürt, reflektiert und kontextualisiert werden, scheint bei einem Blick auf die Vollzugswirklichkeiten tänzerischen Vermittlungspraktiken schier unerschöpflich. Körper sind hier in allen Formen und Größen, schwitzend, angespannt, stehend, rollend, hüpfend, in Formationen und vereinzelt zu sehen.
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Körper wird als Quelle von Lust und Energie gespürt oder begriffen (»lasst es fließen«), als zergliederter, anatomisch oder sich relational ergebender Körper aufgerufen (einzelne Körperteile werden angesprochen, sie sollen sich organisieren, wie an Perlenketten bewegen). Körper werden mithin als Instrument adressiert und begriffen, die Leistungen erbringen müssen. Dabei kann die Leistung nicht nur darin bestehen, hart zu proben und zu »beißen bis es stimmt«, sondern auch, sich auf Dinge einzulassen, nach dem Motto: »Es ist harte Arbeit, loszulassen«. Körper wird als hybrides Konstrukt zwischen solchen Konzepten angesprochen: im gleichen Moment instrumentalisiert wie als authentische Quelle aufgerufen. So z.B. wenn ein Choreograf dazu aufruft: »Seid ganz bei Euch« und gleichzeitig den falschen Zeiteinsatz diesbezüglich bei einem Teilnehmenden kritisiert. Körper werden metaphorisch und als Resonanzkörper umschrieben (»seid wie ein Schwamm«, »ihr wollt ins Vibrieren kommen«, »ihr wollt eure Energie an andere geben«, »seid durchlässig für das, was auf euch zukommt«). Gleichzeitig können Teilnehmende diese zumeist als alternative, weniger auf klassische Bewegungsformen fokussierten Körperpraktiken als Druck erfahren, weil sie als Feedback erhalten, dass sie dieser Durchlässigkeit und Offenheit nicht entsprechen. Ihre Körper scheinen in Form und Bewegung das Ziel einer alternativen Bewegungspraktik zu verfehlen. Körper eröffnen Potentiale und sind Ausgangspunkt von Lust und Angst. Sie sind nicht statisch, verändern sich kontinuierlich und können doch unveränderlich steif erscheinen. Wie kann angesichts solcher Vielfalt Körper systematisch als Ausgangspunkt und Ziel der Betrachtung in den Blick gerückt werden? Welche Dimensionen des Körperlichen spielen im Feld der kulturellen Bildung eine ausgewiesene Rolle, welche werden eher randständig behandelt? Welche Fragen ergeben sich jeweils abhängig von der gewählten Perspektive oder Begrifflichkeit? Trotz einer enormen Bandbreite an körperlichen Dimensionen lassen sich Tendenzen erkennen, welche Körper und Körperlichkeit primär im Kontext kulturelle Bildung und Tanz benannt, reflektiert und praktisch bearbeitet werden. Hier wären etwas systematisiert ein sogenannter individueller bzw. differenter Körper, ein Repertoire-Körper, ein wissender Körper und ein Identitätskörper zu nennen – und in enger Verbindung dazu auch ein Leistungskörper und ein Kollektivkörper. In einer Gesamtschau der ausgewerteten Erhebungen und der Forschungsliteratur lässt sich zudem konstatierten: Auch wenn es vereinzelt Projekte und Konstellationen gibt,
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die Teilnehmende von kulturellen Bildungsangeboten nach einer spezifischen körperlichen Ästhetik schulen möchten, so ist das nicht die dominante Vorgehensweise. Meist möchte mit dem individuellen Vorwissen der Teilnehmenden gearbeitet und die jeweiligen körperlichen Differenzen produktiv gemacht werden. Mit dem Ideal der (Förderung von) Teilhabe wird dabei ein Körperverständnis artikuliert, das nicht mit Zwang und Vorgaben, sondern mit Ideen der Exploration, (sinnlicher) Erfahrung und eigenständiger kreativer Entwicklung von Bewegungen und Körpern operiert (Die »Übungen« sind »nicht um etwas zu können«, sondern um »sich etwas zu erschließen«). Diesbezüglich wird im Feld beispielsweise von »individuellen« Körpern oder Bewegungen gesprochen. Doch was ist genau gemeint, wenn von individuellen Körpern oder Bewegungen die Rede ist? Wie werden sie sichtbar und erfahrbar? Wie genau wird Individualität erfasst, gefördert, hervorgebracht, mit ihr gearbeitet? »Lasst euren Körper machen« – zur Aufrufung des ›individuellen‹ Körpers Individuelle Körper zeigen sich demnach vor allem in Bewegung und spezifischen Aufgabenkonstellationen. Der sogenannte individuelle Körper mag zwar auch am Rande von Projekten eine Rolle spielen – z.B. wie Teilnehmende lässig in einer Ecke stehen, angespannt auf den Bänken sitzen, auf den unerwarteten Besuch eines Hundes energetisch reagieren – doch wird das in der Regel nicht gemeint, wenn von individuellen Körpern oder Bewegungen im Tanz die Rede ist. In vielen Projekten bedeutet mit der individuellen Körperlichkeit der Teilnehmenden zu arbeiten, dass Bewegungsformen, Themen und Körperzustände (z.B. Fortnite-Moves, Langeweile, Müdigkeit) von ihnen aufgegriffen oder zum Ausgangspunkt der Arbeit gemacht werden (Dröge 2014; Klinge 2010; Barthel 2017; 2019). Sie zeigt sich auch in der jeweils unterschiedlichen Aneignung von vorgegebenen Aufgaben, und kann hier als gewollt, natürlich, gewinnbringend, ideenstiftend aber auch als störend oder zu bearbeitend bzw. korrekturbedürftig wahrgenommen und benannt werden. Allerdings wird für letzteres weniger oft der positiv besetzte Begriff des individuellen Körpers oder individueller Bewegungen genutzt, sondern dann eher von individuellen »Patterns« (Mustern) oder individuellem Stil gesprochen (mit all den Wertungen, die mit dieser Unterscheidung implizit einhergehen). Dabei kann
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die Wahrnehmung und Erfahrung dieser körperlichen Individualität – bzw. wie aus ihr ›Individualität‹ und nicht etwa Scheitern, Nicht-Können, Widerständigkeit gemacht wird – sowohl innerhalb der Gruppe von Teilnehmenden als auch den Vermittelnden sehr unterschiedlich ausfallen. Was in einem Kontext also als individuell gilt, mag in einem anderen als ›steif‹ oder ›undefiniert‹ wirken. Die Rede von individuellen Körpern oder Bewegungen ist also analytisch höchst unscharf. Trotzdem sind auch im Feld klare Abgrenzungen und Einschränkungen zu erkennen. Individualität bedeutet meist nicht, körperliche Differenz im Sinne von »differently abled bodies«. Individualität rekurriert immer noch auf andere Verweisungszusammenhänge und theoretische Referenzrahmen als die Vorstellung von Differenz oder Dis/ability. Dabei wird die Trennung und die damit aufgerufene Fragen danach, wem Individualität zuerkannt wird und wem nicht, durchaus kritisch in der Forschung zu »Dis/ability« aufgegriffen (Kuppers 2003; Moersch 2019). Mit der Frage nach der Individualität stellen sich so auch Fragen nach der ›Agency‹ dieser: Ist Individualität ›intentional‹? Wird sie als Körpern inhärent verstanden? Haben demnach manche Körper mehr Potential zu Individualität? In welchem Verhältnis stehen Begrifflichkeiten wie ›individuelle‹ und ›differente‹ Körper zueinander? Anhand welcher Kategorien, Grenzen, Standards werden sogenannte individuelle Körper sichtbar oder hervorgebracht? Wie wird das Verhältnis von Individualität und Leistung verstanden bzw. wird es in der Praxis deutlich? Individualität wird z.B. auf der Ebene des Ausdrucks angesiedelt oder gefordert. Das entspricht einem Tanzverständnis, demzufolge Tanz Ausdrucksmedium ist. Beispielsweise wird einerseits in Projekten gefordert, dass »ihr das zu Eurem machen müsst«, dass »wir keine Apparate sehen wollen, sondern Euch als Individuen«. Andererseits wird dies aber auch mit spezifischen Erwartungshaltungen und Leistungsanforderungen verbunden, die individuelle Spielräume stark einschränken. Z.B. wurden in jenem Projekt, wo keine »Apparate« zu sehen sein sollten, Teilnehmende für ihren zu späten Bewegungseinsatz kritisiert und bloßgestellt, indem betont wurde, dass nun wegen der Person, »die geschlafen« habe und die in dem Zuge namentlich genannt wurde, alle alles noch einmal machen müssten. Individueller Ausdruck muss also in Bezug auf andere Parameter hin funktionieren. Das ist keinesfalls ungewöhnlich für professionelle tänzerische Projek-
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te (und in der Form nicht ganz so üblich für die Arbeit mit Kindern oder Laien). Es verweist einmal mehr auf den bekannten Unterschied zwischen Produktions- und Rezeptionsebene im Tanz. Es macht deutlich, dass Individualität zunächst als etwas Inszeniertes hervorgebracht wird. Individualität muss dabei nicht zwangsläufig auch Teil des Entstehungsprozesses sein. Individuelle Körperlichkeit ist daher auch nicht gleichzusetzen mit dem Begriff der Selbstständigkeit oder individueller Teilhabe (Kapitel 6). Individuelle Körper werden erst in der Differenz zu anderen erkennbar. Zugleich sind der jeweiligen Individualität klare Grenzen gesetzt. Das gilt selbst dann, wenn für die Teilnehmenden eine sehr viel größere Gestaltungsfreiheit oder ein Spüren von Bewegungsoptionen im Vordergrund steht. Körperliche Individualität ist also vielmehr eine Leitlinie als eine heuristisch klar definierte Kategorie. Insofern sie überhaupt verwendet werden sollt, gilt es zu fragen: Welche impliziten oder expliziten Grenzen werden dieser Individualität gesetzt und durch wen oder was? Welche Funktionen hat die Vorstellung von individuellen Körpern für einzelne Projekte? Wie werden individuelle Körper in Projektkonstellationen hervorgebracht? Wie wird individuelle Körperlichkeit mit unterschiedlichen Zielen von Projekten verbunden? Wie wirken spezifische Körper und Bewegungen (auch in ihrer Differenz oder abwesenden Differenz) auf die jeweilige Situation zurück? Welche Aktionen, Vorgehensweise werden durch sogenannte individuelle Körper provoziert oder ermöglicht? Welche Körper/lichkeiten oder Bewegungsformen werden tendenziell in Bezug auf Individualität oder Differenz wahrgenommen, welche nicht? Wenn beispielsweise alle Teilnehmerinnen in einer Gruppenkombination anders gekleidet sind und mit unterschiedlicher Dynamik die Bewegung machen, muss dies nicht zwangsläufig individuelle Körper oder Bewegungen zeigen. Die Grenzen der individuellen Körperlichkeit und Bewegungen werden hier durch einen Fokus auf genaue räumliche Bewegungsausführung, die Frontalität und das sehr ›adrette‹ Auftreten gesteckt. Vielmehr gehört die Inszenierung von Differenz zum Stil bestimmter Praktiken, oder die Arbeit mit Differenz und Variation kann ein choreografisches Mittel oder ein Ziel sein, das vorgegeben oder gewählt ist. Die Körperlichkeit der Teilnehmerinnen ist dabei niemals nur Produkt dieser Inszenierungsstrategie und geht keinesfalls darin völlig auf, sondern entsteht Verlauf des Projekts. Dies wird im Gespräch mit den Teilnehmerinnen und durch die Be-
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obachtung des Arbeitsprozesses deutlich. Die körperliche Individualität (was Tempo, Ausdruck, Beweglichkeit, Initiation der Bewegung betrifft) wird darin nicht als vorrangiger Ausgangspunkt oder Ziel der Arbeit erkennbar. Vielmehr wird im Gespräch deutlich, dass die Mädchen zunächst ein bekanntes Musikvideo ziemlich genau kopieren wollten. Das schränkte ihre individuellen und experimentellen Bewegungsäußerungen hinsichtlich von Ausrichtung, bevorzugten Körperteilen der Bewegung und körperlichen Erscheinungsbild relativ stark ein. Als ihnen bewusst wurde, dass der gewünschte Eindruck nicht möglich war, wurde die ›Individualität‹ (in Form der Varianz wie oben beschrieben) als choreografische Lösung eher widerstrebend ›gewählt‹ bzw. erarbeitet. Durch Vorschläge der Projektleiterin gefördert, gelang es, diese Unterschiede als Positives und »Individuelles« wahrzunehmen. Körperliche und bewegungstechnische Individualität ist hier also in einen transsequenziellen Prozess eingebunden, in dem Scheitern und daraus entstandene Reflexion zu einer Bearbeitung der Ziele führten. Die dargestellte Individualität ist den Körpern also nicht inhärent. In anderen Kontexten schien es hingegen schwierig, mit der »körperlichen Individualität« zu arbeiten, weil weder die körpertechnischen Fähigkeiten noch die Konzentration ein Arbeiten an den Dynamiken, Bewegungsqualitäten oder choreografischen Zielen erlaubte, wie es das eben beschriebene Beispiel zeigte. Individuelles Arbeiten und das Produktivmachen von Individualität sind also durchaus voraussetzungsvoll. Beispielsweise bedarf es ein Einlassen auf ein Tanzverständnis, das Tanz nicht nur als ein Phänomen schöner, genormter Körper, die sich synchron bewegen, begreift. Die Teilnehmerinnen des zuvor beschriebenen Beispiels hatten zudem ein gutes tänzerisches Vorwissen, die Motivation und die Fähigkeit, lange zusammen zu arbeiten. Sie legten ihre Ziele in Bezug auf bestimmte ästhetische Ideale (zu denen neben der Coolness, auch die mediale Tauglichkeit ihres Produktes zählte) eigenständig fest. Über den Prozess konnten sie ihre Vorstellungen bearbeiten. Solche Beispiele können aber nicht universalisiert werden. Es gilt also jeweils zu fragen: Was sind die Voraussetzungen um mit ›körperlicher Individualität‹ zu arbeiten? Auf welche Weise wird das körperliche Vorwissen (z.B. Formen des Trainings) körperlich fundierter ästhetischer-stilistischer Kategorien (z.B. Linearität, Präzision, Coolness, Durchlässigkeit) sichtbar? Wie wird darauf von welcher Seite im Prozess eingegangen?
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Identitäts- und Repertoire-Körper Die Fragen zu individuellen Körpern deuten an, welche weiteren Fragen und Parameter zu Körpern in der Praxis virulent erscheinen. So werden Körper implizit oder explizit als Identitätskörper adressiert und mit konstituiert, beispielsweise wenn in Projekten gesagt wird, dass jemand etwas »besonders im Blut« habe (z.B. eine impulsive Art, die »die Szene braucht«),4 wenn auf bestimmte Formen von Individualität und Differenz rekurriert wird (»wir sind alle immer anders«), wenn genderspezifische Differenzen artikuliert werden, teilweise auch ironisch (z.B. wenn eine Lehrperson die einarmigen Liegestütze eines männlichen Teilnehmers kommentiert: »Oh, Mädchen-Liegestütze«) oder etwa, wenn Gruppen von Schüler*innen sich grundsätzlich in Mädchen und Jungen aufteilen und dies auch auf Bitten der Künstlerin nicht ändern möchten. Diskriminierungen entlang unterschiedlicher Identitätsmarker wie Gender oder (soziale) Herkunft gehen sowohl von Lehrpersonen als auch von Teilnehmenden aus. Identitäten und die Adressierung als ›Andere‹ (Mörsch 2019) erfolgen aber auch durch Leitlinien zur Förderung, wo bestimmte Gruppen oder ›Milieus‹ als besonders förderungsbedürftig, also inhärent defizitär betrachtet werden, und schwingen mit, wenn von den Choreograf*innen wohlwollend deklariert wird, dass spezifische Personen oder Gruppen »ganz viel Potential« hätten. Es gilt also zu fragen: Wie werden Körper in den jeweiligen Praktiken zu Identitätskörpern? Welche Verständnisse von Körper, Geschlecht oder Identität werden artikuliert? Werden Körper als Ort der Differenz benannt oder etabliert? Welche (diskriminierenden) Zuschreibungen, welche damit einhergehenden Ein- und Ausschlüsse lassen sich in der Praxis erkennen? Aus welchem Interesse, aus welcher Perspektive rücken Identität und Differenz in den Blick der Praxis und Forschung? Welche Aspekte von Körper(lichkeit) führen zu Irritationen, Widerständen und Scheitern? Welche positiven Affirmationen werden über Körper im Sinne eines Identitätskörpers sichtbar? Fragen nach körperlicher Identität oder des ›Anderssein‹ lassen sich auch mit Praktiken der Selbstermächtigung verbinden. Dies gilt insbeson-
4
Für eine kritische Diskussion dieser ›rassistischen‹ Adressierung s. Kapitel 6.
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dere in einem Feld, das Differenz als ein Ziel und prinzipiell gewünscht begreift. Körper werden nicht als ›unbeschriebene‹ Blätter sichtbar und erfahrbar. Vielmehr gilt es u.a. in den Blick zu rücken, was hier als ein Repertoire-Körper bezeichnet werden kann. Damit ist gemeint, dass trotz postulierter Individualität diese immer als bereits trainierte und sozialisierte Körper mit einverleibten Körperpraktiken und Wahrnehmungsweisen Beachtung finden sollten. Das hier von einem Repertoire-Körper gesprochen wird, und nicht so sehr von einem sozialisierten, möchte den Fokus auf die spezifischen Körper- und Bewegungspraktiken lenken. Diese sind allerdings nicht losgelöst von den sozialen und ästhetischen Materialisierungsprozessen ihrer Hervorbringung zu begreifen. Dennoch kann ein Blick auf Körperpraktiken domainspezifische Fragen aufwerfen wie z.B.: Welche vorherigen Trainingsformen und -geschichten und damit einverleibten, übergreifenden ästhetischen Präferenzen und Bewegungsdispositionen lassen sich in Körpern erkennen? (Fortnite-Tänze, Hip-Hop, Referenzen an Ballett, aber auch zeitgenössische Formen des Release und aus (Musik)Videos erlernte Bewegungen, die sich durch Synchronizität, Frontalität und einen Fokus auf Arm- und Handgesten, Blicke und Kommunikation mit einem*einer ›unsichtbaren‹ Partner*in auszeichnen). Welches Verständnis von (Körper-)Können und Virtuosität wird damit aufgerufen oder bearbeitet? Welchen Umgang mit Körper wird von allen Teilnehmenden gezeigt und artikuliert? Wie prägen die einzelnen Körper mit ihren Vorgeschichten die jeweiligen Situationen? Was passiert, wenn diese Repertoire-Körper nicht (gleich) passfähig zu den Vorstellungen, Zielen oder Vermittlungsformen in einem Projekt oder einer Gruppe sind? Um solche Fragen zu beantworten, bedarf es in der Regel einer genaueren Betrachtung von Bewegungsausführungen und den Verfahren, mit denen Körper trainiert werden: Auf welche Teile des Körpers (auch des Gruppenkörpers) wird besonders eingegangen? Wie und mit welchen Mitteln wird der Körper trainiert, angesprochen oder bearbeitet? Welche Körperteile werden bewegt, welche benannt? Vom wem geht diese Fokussierung jeweils aus? Welche Aspekte der Körperlichkeit und seiner Qualität werden angesprochen (Energie, Fluss, Tonus, Kraft, Elastizität, Durchlässigkeit)? Wie und in welchen Bewegungen und Übungen sollen Körper wie erfahren, gespürt, verwendet, eingesetzt werden? Wie bestimmen die Teilnehmenden mit, wie das ge-
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schieht? Welche übergreifenden Setzungen werden damit aufgerufen? Wird der Körper holistisch, polyzentrisch, oder fragmentierend trainiert? Welche Vorstellungsbilder werden in Bezug auf die Körperlichkeit aufgerufen? Welche Referenzen zu anderen Kunstformen, Kontexten, sozialen Feldern verwendet, implizit oder explizit in die Praxis eingebracht? Wie werden sie in Relation zueinander bearbeitet? Wissende Körper Ein spezifisch hervorgebrachter und trainierter Repertoire-Körper ist dabei keinesfalls ›negativ‹ zu verstehen, denn er ist ein ›befähigter‹ Körper. Der Repertoire-Körper verweist auf ein materialisiertes (Vor-)Wissen, das auch regelmäßig von Tanzvermittler*innen adressiert wird und auf das ältere Teilnehmende öfter anspielen. So wird auf vorherige Übungen und das mitgebrachte Vorwissen verwiesen oder ein Körperwissen als ein Ideal benannt (»I want the body as a memory«). Ein anderer Begriff, der diesbezüglich auch verwendet wird, ist der eines »leiblichen Gedächtnisses«. Er bezieht sich vor allem auf routinisierte und habitualisierte Bewegungen und Körperpraktiken und ist verbunden mit Diskussionen zu einem »impliziten Wissen« (Polanyi 1985). Um einer möglichen Essentialisierung des Körpers oder eines leiblichen Gedächtnisses (wie anfangs beschrieben) zu entgehen, ist es wichtig hier zu fragen: Was wird im Einzelnen unter Körperwissen oder Körpergedächtnis verstanden? Welches Verständnis von Körperwissen leitet Aufgaben, theoretische Reflexion und Wahrnehmung? Wie zeigt sich dieses körperliche Wissen? Welche körperlichen Differenzen werden dadurch zwischen Teilnehmenden sichtbar oder etabliert? Welche Bedeutung wird dabei welchen Wahrnehmungs- und Reflexionsformen und -prozessen gegeben? Dass eine körperliche Sinnlichkeit und ein Wissen um die Potentiale des Körpers gefördert werden sollen, ist der Subtext vieler beobachteter Projekte. Dies steht im Einklang mit einer bildungstheoretischen Perspektive, die über das sinnliche Erleben kulturelle Bildungsmöglichkeiten eröffnen kann. Dem Körper wird hierbei Wissen und Agency zugesprochen. Dies wird in Projekten beispielsweise in einem Gestus deutlich, der den jeweiligen Körper als modi operandus anspricht: »Lasst euren Körper machen«, »Hört, was euer Körper braucht«, »Seid nicht im Kopf, vertraut auf den Körper«, »Wie mache ich das oder wie macht mein Körper das?«, sind
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Aussagen und Fragen, die die Praxis kultureller Bildung im Tanz in auffälliger Weise begleiten. Dies geschieht vor der (impliziten) Annahme, dass Körper so im Alltag und auch klassischer Weise im Tanz nicht erfahren werden. Obwohl ›der‹ Körper als Agens aufgewertet wird und als ein wissender Körper verstanden wird, sind in der Wortwahl und den Erklärungen oft konventionelle Dichotomien präsent. Häufig wird davon gesprochen, dass »mein« oder »euer« Körper etwas macht oder kann. In dieser Formulierung scheint er damit (ungewollt) als getrennt von einem rationalen oder zumindest vorgebenden »Ich« zu existieren. Solche Hinweise auf eine Eigenmacht des Körpers sind sicherlich hilfreich, wo vernunftsbasierte Modelle von Handlung und intentionales Bewegungsgestalten die Entwicklung und Erforschung sinnlicher Dimensionen erschweren. Oftmals bleibt aber der normative Charakter der dahinterstehenden Körperkonzepte unsichtbar. Als normativ werden in Diskussionen und Gesprächen meist nur jene Verständnisse des Körpers problematisiert, die als ›offensichtlich‹ normativ erkannt werden, wenn Körper für Dinge, Ideale, ästhetische Projekte ›gebraucht‹ und ›passförmig‹ gemacht oder ausgegrenzt werden. Doch auch das Ideal der ›Durchlässigkeit‹, das Ziel vieler somatischer und release-basierter Bewegungspraktiken ist, arbeitet mit zahlreichen Ausschlüssen und definiert bestimmte Körperspannungen und Bewegungsformen oder Modi der Repräsentation als nicht ›durchlässig‹ oder ›authentisch‹. Denn nur in diesen Qualitäten der Durchlässigkeit erscheinen Körper als wissend, sensibel oder offen. Es geht also um weit mehr als um ein individuelles Spüren und Erleben. Studierende in Ausbildungssituation oder angehende Tanzvermittler*innen gaben mitunter an, dass es manche Körper gäbe, die dem Ideal des ›Durchlässigen‹ bzw. prinzipiengeleiteten oder release-technischen Arbeitens mehr entsprechen als andere. Was sind also die Normen, Setzungen, Körperverständnisse und Voraussetzungen auch in ›alternativen‹ Tanzpraktiken? Dabei sind Normen in allen Praktiken präsent und wirkmächtig und sie zeigen manche Körper als ›befähigter‹ als andere. Es gilt daher zu fragen: Für welche Körper sind welche Praktiken konzipiert? Wie gehen einzelne mit den impliziten Setzungen des Feldes in Bezug auf körperliche Ideale um? Welche Erfahrungen generieren diese Praktiken für einzelne oder Gruppen?
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Kollektivkörper Neben der Betonung von Tanz als ›Ausdrucksmittel‹ von Individualität, ist es zugleich ein oft deklariertes Ziel von Vermittler*innen oder Projektleiter*innen, Gruppenzugehörigkeit und soziale Kompetenzen zu fördern. Sie möchten übergreifende choreografische Prozesse und Gefüge gestalten, die Differenzen zwischen Körpern nivellieren und alle Teilnehmenden zusammenschweißen. Dadurch werden Körper immer auch in Relation zu anderen und als Teil eines Kollektivkörpers erkannt, der jeweils unterschiedlich angesprochen und hervorgebracht wird. Daher gilt es, diese Gruppengefüge oder das, was das Analysemodell auch mit dem Begriff der Kollektivität gefasst hat, in den Blick zu rücken. So wird der Gruppenkörper beispielsweise als Schwarm gebildet, zeigt sich in einer skulpturalen Masse, wird durch ähnliche Bewegungsqualitäten oder synchrone Bewegungen gestaltet. Er entsteht aber auch durch das Teilen von Verantwortung und in gemeinsamen Reflexionsprozessen. Gruppenkörper werden als homogene oder ihre Diversität zeigende Qualität hervorgebracht. Dabei kann jede Aufgabe, jedes Verfahren und Setting in spezifischer Weise mit Differenzen umgehen, sie ausstellen, sie produktiv machen oder sie verflachen. Auch Gruppenkörper sind daher nicht von den Verfahren losgelöst zu verstehen, die sie hervorbringen. Sie können Diversität als ästhetisches Prinzip verfolgen oder Differenzen übergehen und damit einzelne ausgrenzen oder bloßstellen. Unter der Vielzahl von Einflussgrößen, die Körper und Körperverständnisse figurieren, gilt es daher, choreografische Verfahren dezidiert zu untersuchen und zu eruieren, wie sie Körper zueinander organisieren. Hierfür kann beispielsweise gefragt werden: Welche Wahrnehmungen rücken in den Blick, wenn Körper und Körperlichkeit als Produkt von choreografischen Verfahren oder Gefügen gesehen wird? Welche Verfahren inszenieren dabei welche Körper wie? Wie werden Körper im Raum zueinander organisiert? Wie dicht dürfen sie einander sein? Wer macht welche Bewegungen in welchen Figurationen? Welche ästhetischen Referenzsysteme strukturieren dabei die Schaffung von kollektiven Körpern bzw. die Wahrnehmung von Differenz? Wird auf Linearität oder verschränkte und verzahnte Gruppengefüge gesetzt (sowohl im Training als auch Präsentation)? Nach welchen Prinzipien generiert der Gruppenkörper seine Bewegungen?
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Solche Fragen wurden aufgrund zahlreicher Beobachtungen provoziert, bei denen Choreografie und sogenannte »ästhetische Vorgaben« gegen Selbstbestimmung und individuelle Körperlichkeit ausgespielt wurden und die Thematisierung choreografischer Mittel nicht im gleichen Maße reflektiert oder transparent gemacht wurden wie Fragen nach Teilhabe, Diversität und Individualität. Dies ist jedoch für die Gestaltung, Wahrnehmung und Analyse von Gruppenkörpern von zentraler Bedeutung. Auch wenn mittlerweile zahlreiche zeitgenössische Choreograf*innen im Feld der kulturellen Bildung arbeiten, es herausragende Produktionen und künstlerische Workshops gibt und auch das Weiterbildungsangebot in diesem Bereich wächst, ist die Fähigkeit, choreografisches Wissen transparent und produktiv zu machen, im Überblick aller Beobachtungen wenig präsent. Selbst in Workshops von erfolgreichen Choreograf*innen wird den Teilnehmenden gegenüber nicht offengelegt, auf welcher Grundlage beispielsweise von ihnen entwickeltes Material später zusammengefügt wurde. In anderen Fällen wurde nur eine choreografische Methodik angeboten, wiederum in anderen Projekten wurde das »Zusammenbauen« des jeweils individuell generierten Materials den Teilnehmenden überlassen. Dies geht mit einem Gestus einher, der Selbstbestimmung fördern möchte. In seltenen Fällen wurde über Aufgabenstellung als generatives Prinzip im Sinne von Choreografie gesprochen. Die Abwesenheit von Wissen um Formen choreografischen Arbeitens kann Auswirkungen auf die Sichtbarmachung von körperlichen Differenzen haben. Dies wird an einer Produktion eines einschlägigen Festivals im Kontext von Tanz und kultureller Bildung deutlich. Die Aufführung beginnt damit, dass Kinder sich in zwei Reihen gegenüberstehen. Nun überqueren alle einzeln nacheinander in einer anderen (wahrscheinlich selbst gewählten) Lauf- oder Bewegungsform die Bühne von links nach rechts und vice versa. Während die hier ausgestellte Individualität, der Mut von einzelnen, sich das zu trauen, sicherlich erwähnungsbedürftig ist, provozierte es doch die Frage: Welches Verständnis von Individualität und von Diversität wird hier sichtbar? Ein Junge zeigte CapoeiraBewegungen, ein Mädchen überquerte eher schnell mit kleinen Schritten die Bühne, eine schlägt ein Rad, andere hüpfen. Einige fühlen sich wohl dabei, andere sind sichtlich verunsichert. Alle überqueren die Bühne nur einmal, mit Ausnahme des Jungen mit seinen Capoeira-Bewegungen; er darf sich zweimal hinüberbewegen. Was soll hier gezeigt werden? Was bedeutete dies für die teilnehmenden Kinder? Eine Vorstellung der
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Einzelnen? Wie wurde mit dem Material choreografisch gearbeitet? Wieso werden die einzelnen Bewegungen nicht wiederholt, variiert, an andere weitergegeben? Und vor allem, wie werden hier die Körper der Einzelnen wahrnehmbar? Auch wenn die einzelnen Formen der Bewegung individuell gewählt sind, so ist es die Form, in zwei Reihen zu beginnen, nicht. Sie greift auf ein historisch etabliertes Verfahren zurück, das auf Teilung, Zuordnung und Linearität besteht – wie es von Volkstänzen, höfischen Tänzen und klassischem Tanz herrührt und in der Regel nicht leicht einzuhalten ist. Aus welchem Grund wird eine solche Form gewählt? Welche Auswirkung hat die gewählte choreografische Struktur auf die Wahrnehmung von Körper? Wird in einem Setting Differenz als Bereicherung wahrgenommen oder stellt das gewählte Verfahren einige als kompetenter als andere aus? Welche Verweisungszusammenhänge und historische, stilistische Referenzen weisen die Arbeit an körperlich-choreografischen Gefügen auf? Das Gefühl, dass ›Individualität‹ innerhalb konventioneller Formen dargestellt wurde, durchzog auch das weitere Geschehen der Produktion. Es war erkennbar in der folgenden synchron getanzten Gruppenkombination, die aus einzelnen Moves aller Kinder zusammengebaut wurde. Dafür wurden die Einzelnen in verschobenen Reihen, die aus klassischen Tanzstunden bekannt sind und mit dem damit einhergehenden ›Sicherheitsabstand‹ platziert. Dies schien in keinem Zusammenhang zu dem Bewegungsmaterial zu stehen, außer wenn es ein Ziel gewesen wäre, typische mediale Tanzformen in ihrer Synchronizität und Frontalität zu imitieren. Insbesondere der Versuch, synchron zu tanzen, kann Differenzen mithin gerade deutlicher zu Tage treten lassen. Viele erfolgreiche Choreograf*innen, die mit Kindern arbeiten, setzen daher eher auf bewegungschorische Strukturen, spezifische Formen der Narrationen, Einschränkungen auf einzelne Bewegungsideen. Es wird also deutlich, dass allein das Arbeiten mit von den Teilnehmenden eingebrachten (Bewegungs-)Materialien noch keine Choreografie macht, die körperliche Diversität fruchtbar macht, sondern diese bloß ausstellt. Die oft in diesem Zusammenhang formulierte Entgegensetzung von Ästhetik vs. Selbstbestimmung von Teilnehmenden gilt es also zu befragen. Auch Materialien, die von den Teilnehmenden selbst eingebracht werden, bringen immer spezifische ästhetische Vorstellungen und Wissen von Verfahren und Strukturen mit, die Einfluss auf die Körperlichkeit und das künstlerische Produkt haben.
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Um ein positives Beispiel dafür zu geben, wie durch die Gestaltung von Gruppengefügen Differenz und Zugehörigkeit zugleich hervorgebracht werden können, möchte ich noch einmal auf die bereits erwähnte Arbeit von Jenny Gertz (Kapitel 1) zurückkommen. Damit ist indirekt auch ein weiteres Plädoyer verbunden, historische Arbeiten und Vorbilder allgemein als Ausgangspunkt für kulturelle Bildungsarbeit stärker heranzuziehen. Heterogene Körpergefüge erzeugen Fotos von Jenny Gertz, wie sie bereits im Kapitel 1 besprochen wurden zeigen Bewegungsfigurationen mit Kindern, die in vielerlei Hinsicht revolutionär sind. Zahlreiche Bilder, die in ihrem Nachlass in Leipzig zu finden sind, entwerfen skulpturale Bewegungsfigurationen, die einzelne Körper miteinander verweben. Es sind individuelle Körper in körperlich grenzüberschreitende Kompositionen, welche die Kinder zum damaligen Slogan »zurück zur Natur« nackig zusammenbringen. Zugleich schaffen sie mithin einen Schutzraum für sie, da sie nicht als Einzelne erkennbar ausgestellt werden. In einem Bild (Abb. 1, S. 69) ist nicht klar zu erkennen, welcher Arm, welches Bein zu wem gehört. Alle bewegen sich eigenständig. Es sieht aus, als horchen sie, die Hände an die Ohren legend, ins Innere der Gruppe. Auch andere Bilder zeigen die Kinderkörper als ein zusammenhängendes Gefüge aus lauter eigenständigen Bewegungsinterpretationen, die aber strukturelle Ähnlichkeiten haben. Sie spielen mit den Labanschen Bewegungsprinzipien. Ob und in welchem Maße die Einzelnen different sind, spielt keine Rolle und doch macht die Individualität – die durch eine Form und Aufgabe im wahrsten Sinne des Wortes auf ein Zentrum fokussiert ist – das Besondere dieser Bilder aus. Körperlichkeit wird hier in der Unzuordenbarkeit spezifischer Körper in die Wahrnehmung gerückt. Solche Kompositionsstrukturen entsprachen dem Einsatz bewegungschorischer Prinzipien, in denen Differenzen bewusst thematisiert wurden. Die Kinder dürfen sich eigenständig entlang der Prinzipien bewegen, im Erscheinen und Wirkungen sind sie aber primär im Zusammenhang zu sehen. Im Zusammenspiel von Gertz Reflexionen und Fotos lässt sich eine politische Vision erkennen, die die Schüler*innen (in diesem Fall zumeist Arbeiter*innenkinder) affizieren wollte und zugleich mit einem ästhetisch revolutionären Tanzverständnis verband. Sicherlich lässt sich von diesen Fotos nicht auf körperliche Erfahrungen schließen und sie sind (wie in Kapitel
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1 ausgeführt) als historische Quellen einer eingehenderen Analyse zu unterziehen. Dennoch ist es möglich daran zu verdeutlichen, dass es Materialien gibt, die das Zusammenspiel von theoretischer Reflexion zu Gruppe und (körperlicher) Differenz in Fotos zugleich mit spannenden ästhetischen und choreografierten Figuren dokumentieren und die gängige Wahrnehmungsmuster von Körpern durchbrechen oder Fragen diesbezüglich aufrufen. Welche Formen, Referenzen, Vorlagen (auch historischer Art) gibt es also für die Gestaltung körperlicher Figurationen? Welche werden genutzt? Wie lassen sich politischer Impetus, soziale Verortung und ästhetische Formgebung in den gewählten choreografischen oder vermittelnden Verfahren miteinander verbinden? Wo und wofür lassen sich Inspiration und Materialien auch in der Tanzgeschichte finden? Dieses Beispiel und diese Fragen möchte dazu anregen, auch über die Differenz zu ›historischen‹ Körpern, einmal mehr der Situiertheit körperlicher Praktiken nachzugehen. Welche (choreografischen) Vorbilder eigenen sich für welche Hervorbringung und Erfahrung von Körper? Wie verändert sich die Forschung zu Tanz und Inklusion, wenn Körperlichkeit stärker in Bezug auf Verfahren ihrer Hervorbringung hin analysiert wird? Wie kann damit die Produktion von Dis/Ability aufgeschlüsselt und verstanden werden?
FAZIT: DER BILDSAME KÖRPER IM TANZ Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass es darum geht, nicht nur die leiblich-sinnlichen Dimensionen tänzerischer Praktiken und ihre Potentiale für die kulturelle Bildung herauszuarbeiten (Bischof/Nyffeler 2014; Westphal 2009; Klepacki/Liebau 2008a), sondern in die Diskussion zu Körperlichkeit und körperlich-sinnlicher Wahrnehmung im Bereich kultureller Bildung verstärkt für Ansätze zu plädieren, die die politische, historische und künstlerische Situiertheit von Körper(erfahrungen) und Wissen miteinbeziehen. Körper und Sinne sind nicht per se gegeben. Aus einer praxistheoretischen Perspektive sind diese einerseits in ihren Dispositionen strukturgebend für ein Geschehen. Andererseits bringen Praktiken auch Körper und Sinnlichkeit mit hervor.
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Das bildungstheoretische und praktische Potential in der Arbeit mit tänzerischer Körperlichkeit liegt nicht zwangsläufig darin, dass es als eine andere Form des Wissens abseits sozialer und sprachlicher Dimensionen zu fassen ist, sondern, dass es erlaubt, genau dieses Verhältnis von Bewegungen, sozialen Dispositionen, Sprache und Wissen zu reflektieren, habitualisierte Praktiken zu bearbeiten und eine Veränderung sinnlicher Hierarchien der Wahrnehmung zu befördern. Im folgenden Kapitel wird daher nun zunächst auf Aspekte von Bewegung und Bewegungsanalyse näher eingegangen.
WEITERFÜHRENDE LESETIPPS Susan Foster (1997): »Dancing Bodies«, in: Jane Desmond (Hg.): Meaning in Motion. New Cultural Studies of Dance. Durham: Duke University Press, 235–257. Robert Gugutzer (2012): Verkörperungen des Sozialen. Neuphänomenologische Grundlagen und soziologische Analysen, Bielefeld: transcript. Bruno Latour (2004): »How to Talk About the Body? The Normative Dimension of Science Studies«, in: Body & Society (10/2-3), 205–229. Michael Polanyi (1985): Implizites Wissen, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
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• Welche Bewegungen können beobachtet werden? • In welchen Konstellationen werden Bewegungen wahrgenommen? • Welches ›Handwerkszeug‹ ist für die Beschreibung und Analyse von •
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Bewegung in Praxis und Forschung verfügbar? Welche Begriffe, Konzepte, Metaphern werden für Bewegungen verwendet? Welche werden wie jeweils in der Analyse, Vermittlung und Aneignung aufgerufen? Welche analytischen Einheiten von Bewegungen werden dabei gebildet? Welche Aspekte von Tanzvermittlung und -aneignung werden durch eine Fokussierung auf Bewegung wahrnehmbar? Wie lassen sich dadurch Differenzen oder Bezüge von Praktiken erkennen? Welche Qualitäten von Bewegungen werden wie avisiert, vermittelt oder ins Zentrum der Beobachtung gestellt? Welche ästhetischen und epistemischen Setzungen gehen mit den jeweiligen Kategorien der Bewegungsvermittlung und Beobachtung einher? In welchem Verhältnis stehen Bewegungspraktiken zu den jeweiligen analytischen Parametern, die in Forschung und Praxis aufgerufen werden? Welche Grenzen haben bewegungsanalytische Verfahren? Wie lassen sich alternative Beobachtungsstrategien entwickeln? Welche Bedeutung spielen Vorstellungen von Stil, Genre, Prinzipien, Methoden, choreografischen Verfahren in Bezug auf das Verständnis und die Analyse von Bewegung?
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BEWEGUNG INS BLICKFELD RÜCKEN Tanz und Bewegung scheinen unabdingbar miteinander verbunden zu sein. Seit der Definition der historischen Tanzmoderne, dass Tanz Bewegung in Raum und Zeit sei – und es zu einer Ablösung eines Verständnisses von Tanz als Schrittemachen (Pas) oder Tanz als ausgewählte Positionen (Posa) kam – definiert (zumindest in einer westlichen Perspektive) Bewegung ›den‹ Tanz schlechthin (Foster 2010; Hardt/Stern 2014; Huschka 2009). Dennoch ist die Analyse von Bewegung in der weiteren Forschung zu kultureller Bildung und Tanz nicht vorrangig. Zwar werden in phänomenologisch orientierten Studien qualitative Beschreibungen des Bewegungsgeschehen geleistet (Klinge 2010), doch in einem Großteil der Diskussionen treten Bewegungsformen und -qualitäten hinter Fragen nach persönlichen Ausdrucksmöglichkeiten, Aufgabenstellungen, Potentialen eigenständigen Gestaltens und der Ermöglichung von Teilhabe in den Hintergrund. Oder es werden Bedeutung und Momente des Fühlens von Bewegung, die weniger analytisch zugänglich erscheinen, in den Vordergrund gerückt. Wiederum scheint Bewegung in anderen Forschungskontexten bereits mit dargestellt, indem Stile, Genres, spezifische Moves benannt oder Aufgaben beschrieben werden. Hingegen werden Fragen danach, wie Bewegungen analysiert werden können und welche Auswirkung die analytischen Parameter auf das haben, was dabei wie in den Blick gerät, nur bedingt reflektiert. Es gilt also zu klären, welchen Einfluss Bewegung auf die Wahrnehmung, Analyse und in Bezug auf als bildungsrelevant eingestufte Aspekte des Tanzens hat. Welche Bedeutung kommen Bewegungen in Bezug auf Dimensionen der Vermittlung und Aneignung von Tanz zu? Welches ›Handwerkszeug‹ ist für die Beschreibung und Analyse von Bewegung verfügbar? Bewegung ist wie alle anderen Kategorien in diesem Buch ein Suchbegriff, der eine Perspektivierung der Forschung erlaubt. Dieses Kapitel zielt darauf, die Bandbreite von Bewegung in Bezug auf Forschung und Praxis aufzuschlüsseln und durch Fragen und Beispiele Begrifflichkeiten und Parameter für deren Erfassung und Analyse vorzustellen. Diese gilt es dann wieder auf die jeweiligen Setzungen und Einschränkungen hin zu diskutieren. Wie kann die Vermittlungs- und Aneignungspraxis im Kontext von Tanz und kultureller Bildung durch einen Fokus auf Bewegung perspektiviert werden? Welche Potentiale und Probleme werden dabei auffällig?
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Bewegungsverständnisse transparent machen Die in diesem Kapitel aufgeworfenen Fragen tangieren die Ebene der Forschungs- und die der tanzvermittelnden Praxis zugleich, denn das Feld zeichnet sich bereits durch vielfältige bewegungsanalytische Praktiken aus. Daher gilt es, das Bewegungsverständnis von Forschenden und Praktiker*innen gleichermaßen zu untersuchen, indem beispielsweise gefragt wird: Welche Aspekte von Bewegungen werden von Einzelnen besonders wahrgenommen oder als wichtig herausgestellt? Welche Begriffe oder analytischen Kategorien werden dabei aufgerufen? Welche Referenzsysteme werden in der Beschreibung und Analyse von Bewegung herangezogen? Welche ästhetischen und epistemischen Referenzrahmen werden damit gesetzt? Entlang solcher Fragestellungen lassen sich Differenzen in der Tanzvermittlungs- und Forschungspraxis herausarbeiten. So werden Bewegungen einerseits entlang von sogenannten Genres oder Stilen erfasst (urban, zeitgenössisch), andererseits entlang von Prinzipien oder gar ›universeller‹ Bewegungsformen verstanden. Doch solche Zuordnungen geben keine einheitliche Begrifflichkeit oder Verfahren vor. So lassen sich beispielsweise unterschiedliche Bewegungsverständnisse und Referenzrahmen erkennen, je nachdem, ob sogenannte Grundbewegungsmuster wie Laufen, Stehen, Springen benannt werden, oder aber auf embryonale Entwicklungsstufen dafür rekurriert wird. Andere verwenden anatomische Bilder und Referenzen in der analytischen Auseinandersetzung und Vermittlung (»Richtet eure Füße unter euren Sitzhöckern aus, rollte die Wirbelsäule Wirbel für Wirbel auf«) oder rücken somatische Zustände (Durchlässigkeit der Körper) in den Fokus (Hardt/Stern 2014). Wiederum andere betonen das Ausdruckspotential und die Gestaltungsform von Bewegung oder fordern diese in der Vermittlungssituation ein. Aus solch einer Perspektive geht es dann in der Vermittlung und Beschreibung von Bewegungen weniger um ein analytisches Zerteilen (die Bewegungen werden also nicht auseinandergenommen und in leichter lernbare Sequenzen geteilt), sondern das Atmosphärische, Energetische und kreative Momentum improvisierter Bewegung stehen im Vordergrund. In diesem Zusammenhang wird auch darauf verwiesen, dass Tanz sich weder sprachlich noch analytisch fassen lässt. Aber selbst dann, wenn die Praxis sich fern von analytischen Kategorien begreift, operiert sie jedoch mit einem Verständnis, das Tanz in einem ganz bestimmten Verhältnis zu dieser versteht.
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Die verschiedenen tänzerischen Praktiken rekurrieren dabei auf unterschiedliche Wirkungsverständnisse von Tanz (»Bringt euch und die anderen ins Vibrieren«; »Versteht Euch als freischwebende Atome im Raum«; »Hört hin, was Euer Körper sagen will«). Um solch ein Wirkungsverständnis zu identifizieren, lässt sich beispielsweise fragen, ob in einer beobachtbaren Praxis Bewegung etwas ausdrücken oder ob es kinästhetische Effekte hervorbringen soll (z.B. über Resonanzen, Schwingungen, energetische Zustände die Teilnehmenden oder Zuschauenden affizieren sollen) oder ob wiederum mimetische Elemente (zu anderen Bewegungen oder Musik), Präzision oder das Spektakuläre von Bewegungen als Selbstzweck der Praxis angesehen werden. Dabei kann es zu Überlappungen und Widersprüchen kommen, denn Praktiken verkörpern selten ein kohärentes Wirkungsverständnis. In der Vermittlung verschwimmen mithin Dimensionen des Fühlens und Ausdrückens mit solchen Dimensionen technisch präziser oder ›spektakulärer‹ Bewegungen (»Lasst es raus, macht es groß, trefft den Beat!«). Die Fragen in diesem Kapitel zielen daher darauf ab, hierfür zu sensibilisieren und Begriffe und Kategorien vorzustellen. Wie kann die Bewegungspraxis erfasst werden? Welche Bewegungen machen einzelne Teilnehmende? Welche Qualitäten, Formen, Prinzipien charakterisieren Bewegungen? Auf welches Repertoire wird dabei zurückgegriffen? Wie werden Bewegungen vermittelt, entwickelt, bearbeitet, aufgebrochen, variiert, transformiert? Welche Bewegungen werden wie in welchen Kontexten ausgeübt, bevorzugt und beurteilt? Diese Fragerichtungen erlauben es, teils deutliche Unterschiede innerhalb der Umsetzung und Wirkung von gleichen Aufgabenstellungen oder offenen Lernsettings zu erkennen. Sie sensibilisieren für Kontexte und unterschiedliche Aneignungsformen und idealerweise erlauben sie es, das Verständnis dafür zu erweitern, was als Bewegung im Tanz jeweils gelten kann (z.B. auch das Nicht-bewegen, das gelangweilte Rumstehen oder eine spezifische Haltung gegenüber Bewegungspraktiken). Zugleich wird auch deutlich, dass andere Parameter diese Differenz mitbedingen, dass sich also Bewegungen keinesfalls ohne den Kontext verstehen lassen – hier vor allem der Konstellationen von Tanzvermittlung und -aneignung in ihren komplexen Figurationen. Wie werden also Bewegungen im Verhältnis zu Gruppe, Gesamtgefüge und Kontext wechselseitig hervorgebracht?
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BEWEGUNGEN DIFFERENZIEREN Auch wenn sich Bewegung nicht losgelöst von anderen Parametern und Kategorien erfassen lässt, gilt es herauszustellen, dass eine Fokussierung der Aufmerksamkeit auf Bewegungen Differenzen zwischen einzelnen Kontexten erst analysierbar macht. Ein kurzer Rückblick auf das in Kapitel 3 länger besprochene Beispiel mit den beiden gleichen Aufgabenstellungen zu Zählzeiten (S. 116f.) kann 1. veranschaulichen, welche Bedeutung bewegungsanalytische Perspektiven dafür haben, Differenzen und Vielfalt zu erkennen, 2. wie sehr in der Praxis bereits bewegungsanalytische Begriffe, Verfahren und Dimensionen grundlegend sein können, 3. welche Referenzrahmen in der Beschreibung und Analyse von Forschenden sichtbar werden, 4. wo die Grenzen prinzipiengeleiteter Bewegungsanalyse für das Verständnis von Tanzgeschehen liegen. Im vergleichenden Fallbeispiel aus Kapitel 3 wurde die gleiche Übung in zwei unterschiedlichen Kontexten beobachtet. In beiden Settings wurde eine Zahl zwischen eins und zehn in den Raum gerufen. Diese markierte die relative Zeit, die Teilnehmende hatten, um jeweils bis zum Boden bzw. nach oben zu gelangen. Die ausgesprochene Differenz in der Umsetzung in beiden Versionen lässt sich ohne eine Beschreibung, was für Bewegungen Einzelne und in der Konstellation machen, nicht erfassen. Ohne sich hier genauer die spezifischen Qualitäten und Formen der Bewegungen anzuschauen – also ob die Teilnehmende beispielsweise ihr Tempo anpassen und wie, welche Formen und Raumrichtungen sie wählen, um der Aufgabe nachzugehen – wäre die Differenz der Situationen und jene der unterschiedlichen Aneignungen der Teilnehmenden kaum beschreibbar. So haben die Teilnehmenden in der ersten Version der Aufgabe den Raumweg, Level und Tempo als zentrale Elemente ihrer Bewegung verstanden und Bewegungen entlang dieser Parameter bearbeitet und variiert. Im zweiten Beispiel wurde die Dynamik der Bewegung nur marginal an die Zählzeiten angepasst. Auch Raumwege waren nicht von gleicher Bedeutung. Solche Differenzen in den Bewegungsvollzügen zu erfassen, macht deutlich, dass ein Bewegungsgeschehen nur bedingt über die Beschreibung der Übung dargestellt werden kann. Eine prinzipielle Beschreibung der Ziele und Dimensionen der Aufgabe (zu Boden gehen auf bestimmte Zählzeiten und wieder nach oben) erfasst also nicht die Bewegungen in ihren Vollzugswirklichkeiten. Die Aufgabenstellung spielt hier zwar eine wichtige Rolle,
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das Geschehen geht allerdings nicht darin auf. Mehr noch: Eine Fokussierung auf Aufgaben und Bewegungsprinzipien verrät wenig über die Gruppenzusammensetzungen, Differenzen zwischen Teilnehmenden und weiteren Kontexten, wie sie ausführlicher in Kapitel 3 dargestellt wurden. Es gilt also zu fragen: Welche Bewegungen sind sichtbar? Was wird mit Bewegungsaufgaben (von den Einzelnen) gemacht? Wie entstehen Bewegungen im Verlauf oder verändern sich über die Zeit? Wie werden über Bewegungen Gruppengefüge und Choreografien generiert bzw. wie generieren diese Bewegungen? Welche Erfahrungen ermöglichen Bewegungen für Einzelne, für Gruppen, und woran wird das deutlich? Bewegungen, die scheinbar nicht der Aufgabe selbst entspringen, sind ebenso wichtig zu erfassen wie solche, die es tun, denn sie verraten etwas über Aneignungs- und Verständnisformen der Aufgabe. In der als zweites beschriebenen Ausführungsversion der eben benannten Übung – in der die Teilnehmenden mehr in ihren eigenen Bewegungsformen blieben (u.a. solche, die aus dem Hip-Hop und Fortnite stammen) – ist es zunächst einfacher (trainiertes) Vorwissen zu erfassen. Es ist aber auch in der ersten Gruppe zu erkennen. Die Gruppe wirkte in ihren Bewegungen weitaus homogener und griff nicht auf ikonisch markierte Bewegungen oder Stilelemente zurück. Dennoch lässt sich auch hier etwas über ihre (Vor-)Kenntnisse, die sie in die Situation mit einbringen, festhalten: Da wäre die Sicherheit zu benennen, mit der die Teilnehmenden ähnlich weich, flüssig und widerstandslos in den Boden gleiten, ihre Gliedmaßen isoliert bewegen können und wenig Spannung benötigen, um selbst bei gesteigertem Tempo das ›in den Bodengehen‹ in gleicher Qualität auszuführen. Dies lässt auf eine längere Vorbildung und ihren Arbeitszusammenhang im Kontext zeitgenössischer, auf release-basierten Praktiken schließen. Zudem lässt sich vermuten, dass in der ersten Gruppe bereits länger zusammengearbeitet wurde, da es zuvor zu einem Angleichen der Bewegungskompetenzen und Qualitäten gekommen sein muss. Das macht deutlich, dass eine Analyse von Bewegungen Einzelner genauso wichtig zu erfassen ist, wie das Zusammenspiel aller Beteiligten als Gesamtgefüge. Bereits in den kurzen Beschreibungen der Aufgabe sind zahlreiche Begriffe gefallen, die spezifische bewegungsanalytische Kontexte preisgeben. Begriffe wie Level, Raumweg, Dynamik sind hier geprägt vom Einfluss der Labanschen Bewegungsanalyse (Laban 1991) bzw. genauer gesagt, der Laban-Bartenieff-Bewegungsstudien (Kennedy et al. 2010). Diese prägen
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sowohl moderne und zeitgenössische Tanzpraktiken (Hackney 2000), als dass sie sich auch in der Forschung als signifikante Referenzparameter für die Analyse von Tanz etabliert haben (Adshead 1988; Jeschke 2011). Die beschriebene Aufgabe und ihre differenten Umsetzungen lassen sich dabei gut innerhalb der von der Labanschen Analyse entwickelten Kategorien erfassen – eben auch, weil sie bereits Produkt einer Praktik sind, in der Analyse und Tanzform miteinander verschränkt entstanden sind. Improvisationsübungen, die ohne Vorgaben genauer Formen oder Schritte erfolgen und stattdessen Raumlevel und Dynamik als Angelpunkt der Bewegung begreifen, zeugen vom Einfluss der historischen Tanzmoderne. Solch ein Fokus auf Raumlevel würde sich in anderen tänzerischen Kontexten (z.B. in klassischen Tanzformen, Gesellschaftstanz oder Kreistänzen) nicht sofort als Wahrnehmungsphänomen im gleichen Maße aufdrängen. Fragen nach dem Raumlevel wären hier auch in der Analyse eher kleinteiliger anwendbar, so könnte z.B. das jeweils differente Beugen der Beine und damit das Verhältnis zum Boden und Körperschwerpunkt für die Analyse gewinnbringend sein. Gleiches gilt für Tanzpraktiken, die sogar auffällig mit Levelwechsel arbeiten (z.B. im Breaking), aber das mithin nicht so nennen. Solche Beobachtungsparameter würden sich damit nicht aus der Praxis ergeben, können aber durchaus auf sie angewandt werden. Daher gilt es zu fragen: Welche Bewegungsparameter werden in der Vermittlung und Analyse von Tanz deutlich? Wie verhält sich das analytische System zur jeweiligen Praktik, die untersucht wird? Sind die gewählten Begriffe und Fachtermini für Bewegungen Teil der Praxis oder werden sie von außen an die Praxis angelegt? Wie wird in Bezug auf die gewählten Analyseparameter zwischen einzelnen Tanzpraktiken unterschieden? Was geschieht, wenn Elemente der Bewegungsanalyse oder Beschreibung ihren ursprünglichen Kontext verlassen? Es ist hier noch einmal herauszustellen, dass die Genese jeglicher Bewegungsanalyse eng mit den jeweiligen Bewegungs- bzw. Tanzverständnissen verbunden ist. Fachtermini durchziehen (auch ungewollt) jegliche Form der Praxis und Forschung: Sie betreffen sowohl Formen (Spiral, Dubstep, Ride), zeigen sich aber auch in der Bezeichnung von Zuständen und Qualitäten. Wird beispielsweise von »Elastizität« oder von »Durchlässigkeit« gesprochen? Es gibt auch zahlreiche Bewegungsbeschreibungen, die qualitativ vage sind. Zum Beispiel, wenn von »ausdrucksstarken« Bewegungen die Rede ist oder betont wird, dass Bewegungen »neuartig« oder
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»individuell« seien. Eine Aufschlüsselung, was alles unter individuellen Bewegungen und Körpern zu verstehen ist, ist bereits im Kapitel 4 erfolgt. Hier ist jedoch noch einmal von Relevanz, für die Binnendifferenzen von Bewegungen zu sensibilisieren und zu verdeutlichen, dass Begriffe, die primär relational zu verstehen sind (was für den Einzelnen individuell oder neu ist), ohne den Kontext nicht zu begreifen sind. In der Regel sind alle Adjektive zur Beschreibung von Bewegungen unscharf. Was für den Einzelnen spannungsgeladen, schnell, präzise oder raumgreifend ist, ist jeweils vom Referenzrahmen abhängig. Anhand einer Sammlung und gegenseitigen Reflexion solcher Begriffe kann allerdings evident werden, dass einzelne Forschende oder auch Vermittelnde bestimmte Parameter bevorzugen. So fokussieren einige primär Fragen von Raum (raumgreifend) und Dynamik (schnell), andere hingegen Qualitäten und Körpertonus (Spannungszustände), andere wiederum das bewegungsgenerierende Prinzip (Bewegung durch Entspannung entstehen lassen; Bewegung als Ausdruck von Musik), unabhängig davon, welches Geschehen sie beobachten oder anleiten. Und das Spektrum dessen, was in den Fokus gerückt wird, kann hier sehr viel komplexer sein und weit mehr Parameter einbeziehen. Die aufgeführten Beispiele dienen hier nur dazu, ein Bewusstsein dafür zu schärfen, dass diese Beobachtungs- und Vermittlungspräferenz offengelegt werden können. Bewegung beschreiben vs. analysieren Je nach methodischem Vorgehen und Interesse unterscheiden sich Bewegungsbeschreibung und -analyse deutlich voneinander. Gerade die im Feld oft praktizierte teilnehmende Beobachtung und die dafür erstellten Protokolle im Zuge einer empirischen Erhebung haben zunächst den Anspruch, das Geschehen möglichst offen zu erfassen. Wie im ersten Kapitel jedoch gezeigt wurde, sind auch die Beschreibungen einfacher Beobachtungen (wie der Anfang einer Beobachtungseinheit mit dem dazugehörigen Platzieren der Teilnehmenden vor dem Spiegel und dem Ausführen von zuvor bereits praktizierten Bewegungen) keinesfalls neutral. Analytische Kategorien spielen also auch in der Beschreibung von Bewegungen von Anfang an eine Rolle. Wird beispielsweise das Wahrgenommene als einzelne Bewegungen beschrieben? Wird ein zusammenhängendes Gefüge darin erkannt? Werden dabei Momente der Synchronizität oder das Fehlen
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jener in den Blick gerückt? Werden in dem Beschriebenen Muster oder Strukturmerkmale benannt? Letzteres deutet darauf hin, dass hier die Grenzen zwischen einer Beschreibung und Analyse bereits verschwimmen. Ein bewegungsanalytisches Verfahren – wie es diese Publikation versteht – unterscheidet sich dahingehend von Bewegungsbeschreibung, in dem sie versucht, Bewegungen entlang analytischer Parameter oder in Bezug auf mögliche Kategorien und Muster hin zu erfassen. Das Ziel von Bewegungsanalyse besteht demnach nicht in der möglichst genauen Nacherzählung eines Bewegungsgeschehens. Stattdessen gilt es, übergreifende Strukturen zu ermitteln, die sich teils auch aus zahlreichen Beobachtungen über längere Zeit ergeben. Bewegungsanalytische Parameter Dabei kann die Auseinandersetzung mit einem bewegungsanalytischen System hilfreich sein, wenn es nicht die einzige Möglichkeit der Analyse darstellt. Die in der tanzwissenschaftlichen und auch in der praktischen Forschung etablierten Verfahren zur Beschreibung und Analyse von Tanz entspringen vorrangig der historischen Moderne, insbesondere den von Rudolf Laban und Irmgard Bartenieff und anderen weiterentwickelten LabanBartenieff-Bewegungsstudien (Kennedy et al. 2010; Klein 2011). Labans Anliegen war es, universelle Parameter für die Analyse von Bewegung auch abseits tänzerischer Bewegungen zu entwerfen (Laban 1991; Moore 2009). Die zentralen Kategorien dieser Analyse sind: Form (shape), Körper, Raum, Antrieb (effort), Phrasierung und Beziehung. Dabei fragt die Kategorie Körper nicht so sehr danach, wie der Körper aussieht, sondern von welchem Körperteil die Bewegung ausgeht. Raum ist die bei Laban ausdifferenzierteste Kategorie, die er in seiner Choreutik (Laban 1991) dezidierter als alle anderen aufgeschlüsselt hat. Die mit der RaumKategorie verbundene Frage wäre: Wohin geht die Bewegung? Dabei ist von Bedeutung, dass Laban Raum oder die hier avisierten Raumbewegungen als jeweils relational zu den Tanzenden begreift. Es geht also nicht um den klassisch geometrisch (euklidisch) gedachten Umraum, sondern Laban denkt Raum konsequent von den Bewegenden aus. Der Raum bewegt sich mit den Tanzenden mit und verändert sich je nach Tempo und Kraftaufwand. Ob eine Bewegung schnell oder langsam ausgeführt wird, verändert die Wahrnehmung von Raum ungemein: Was in einer langsamen Ausfüh-
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rung als weich oder gar ›zärtliche‹ Bewegung erscheinen mag, (z.B. wenn die Hand an das Gesicht eines anderen geführt wird), kann in einer schnellen Bewegungsausführung mitunter kämpferisch oder gewalttätig wirken. Mit winzigen Schritten den Raum zu durchqueren, mag den Raum riesig erscheinen lassen. Ihn rennend zu durchqueren, lässt in eng oder klein wirken. Dabei wird einmal mehr deutlich, dass sich einzelne Aspekte einer Bewegung nur bedingt voneinander losgelöst betrachten lassen. In diesen letzten Beispielbeschreibungen sind besonders jene Dimension auffällig, die Laban zunächst mit dem Begriff des Antriebs gefasst hat. Dieser ist heute zumeist geläufiger in seiner englischen Übersetzung als effort bekannt. Unter der Kategorie des Antriebs/Efforts wird danach gefragt, wie und mit welcher energetischen Qualität bzw. Spannung die Bewegung ausgeführt wird. Diese Kategorie ist für Laban eng mit dem jeweiligen ›Ausdruck‹ der Bewegung verbunden. Er ging wie viele Zeitgenoss*innen davon aus, dass von der Körperbewegung auf einen bestimmten menschlichen und emotionalen Zustand allgemeingültig zu schließen sei. Es würde wohl heute kaum noch jemand von solch verbindlichen und eindeutigen Ausdrucksparametern ausgehen. Dennoch verändert – wie das vorangegangene Beispiel der Armbewegung verdeutlicht – sich die Wahrnehmung oder Interpretation von Bewegung durch unterschiedlichen Energie- oder Spannungseinsatz. ›Energie‹ ist also im wahrsten Sinne des Wortes hoch ›bedeutsam‹ für die Wahrnehmung von Bewegung. Die Begrifflichkeit ist daher immer wieder in der Praxis wiederzufinden. Das Wechselspiel bzw. die Art der Aneinanderreihung verschiedenster energetischer und dynamischer Bewegungen bezeichnet Laban dann als Phrasierung. Phrasierung erfasst also, wie eine Bewegungsfolge zeitlich und qualitativ strukturiert ist. Hier wird deutlich, dass es in der Analyse von Bewegung auch um die Erfassung von ›Einheiten‹ geht. Während die bisher genannten Kategorien, Bewegungen vom Kontext losgelöst betrachten, so wird mit der letzten Kategorie der Beziehung das Zusammenspiel von Tänzer*innen untereinander fokussiert. Diese erst später von Bartenieff zugefügte Kategorie fragt übergeordnet nach dem Verhältnis der*des Tänzer*in zu anderen Tänzer*innen oder Dingen/Räumen. Das Ausstrecken eines Armes wird eine andere Beschreibung oder Wahrnehmung nach sich ziehen, wenn ein*e Tänzer*in die Bewegung allein im Raum ausführt oder dabei vor einer*m anderen Tänzer*in steht. Somit stehen diese benannten Kategorien in einem engen, sich bedingenden Verhält-
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nis zueinander. Sie zu trennen dient primär heuristischen und vermittelnden Zwecken zur genaueren Beobachtung und Ausführung von Bewegung. Aus den analytischen Kategorien Labans und Bartenieffs lassen sich Fragen zur Beobachtung von Bewegung generieren, die auch abseits von Labans spezifischen Verständnis der Kategorien operieren. So wirft die Kategorie Körper Fragen auf wie: Welche Körperteile werden bewegt und in welchem Verhältnis zueinander? Welche werden bevorzugt genutzt und wie? Welche Körperteile sind tabu oder werden weniger adressiert? Solche Fragen drängen sich in Vermittlungssettings mit Jugendlichen und Kindern ganz besonders auf, sind doch manche Körperteile oder Berührungen dieser hoch symbolisch aufgeladen und werden womöglich als peinlich empfunden. Fokussierung auf Körperteile sind auch für andere tänzerische Praktiken von Relevanz, wenn primär Beine oder Arme im Fokus der Bewegung stehen, oder in anderen Praktiken der Torso oder ganzkörperliche Berührung. Selbst in Tanzpraktiken, die sich dahingehend verstehen, dass sie keine Hierarchie in Bezug auf bevorzugte Körperteile haben, ist es in der Beschreibung durchaus signifikant genau darauf hinzuweisen. Auch könnten in Praktiken, die in ihrem Selbstverständnis keine Präferenz mitbringen, diese in ihren Vollzügen zeigen, je nachdem welche Vorerfahrungen von Teilnehmenden eingebracht werden. Inwiefern es dem jeweiligen Setting gelingt, solche Präferenzen zu bearbeiten, könnte dieser Sachverhalt somit bildungsrelevant sein oder aber Zugangsbarrieren begründen (wenn Menschen aufgrund dessen unwohl oder unsicher fühlen). Fragen nach Bewegungen tangieren zudem oft das Verhältnis zu Raum. Welche Raumrichtungen werden gewählt, bevorzugt? Wie gehen die Teilnehmenden damit um? Wie gestalten sie den Raum? Welche Raumfigurationen werden wie erlernt oder erscheinen selbstverständlich in einem Setting? Wenn sich beispielsweise alle in Reihen mit einem als ›sicher‹ eingeschätzten Abstand und frontal aufstellen, ohne dass es eine Anweisung dazu gab, kann auf spezifisch einverleibte Umgangsweisen mit Raum geschlossen werden. Platzierungen im Raum können auf Variationen innerhalb etablierter Praktiken Aufschluss geben oder auch Abgrenzungen zwischen einzelnen Tanzformen sichtbar machen. Doch Fragen nach Raum müssen keinesfalls nur Bewegungsrichtungen und Platzierungen tangieren. Wie wird beispielsweise Raum begrifflich, theoretisch oder auch sinnlich gefasst? Wird von Atmosphären gesprochen, wird Raum als Er-
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fahrungs- oder als Raum zum Erobern beschrieben? Oft sind Fragen nach den Erfahrungen des Räumlichen nicht von Fragen nach Dynamik, Spanungszuständen und Konstellationen mit anderen Dingen oder Menschen zu trennen. Mit welchen Spannungszuständen wird gearbeitet? Gibt es Präferenzen und wer bringt diese ein? Hier ist öfter zu beobachten, dass die von den Vermittelnden eingebrachten Qualitäten, ob nun in genauen Aufgabenstellungen oder Anweisungen (wie z.B.: »Das muss Pep haben!« oder »Jede Bewegung beginnt mit einem Release«) sich nicht in der qualitativen Ausführung der Gruppe widerspiegeln muss. Solche Differenzen können sich beispielsweise in den jeweiligen Kompetenzen der Gruppe oder auch den ästhetischen Präferenzen von Teilnehmenden bedingen. Welche Qualitäten und Raumfigurationen werden also von den Einzelnen oder den Gruppen hervorgebracht, überformt und variiert? Wie werden Bewegungen kombiniert? Welche rhythmische, dynamische Strukturierung haben Bewegungen und Bewegungsgefüge? In der eingangs beschriebenen Übung mit dem zu Boden gehen zu einem Zahlenwerten ist beispielsweise solch eine Frage für die Differenzierung der beiden Umsetzungen bedeutend. Die eine Gruppe wählt ein kontinuierliches Tempo relational zum gegebenen Zahlenwert, die andere Gruppe zeigt unterschiedliche rhythmisch-dynamische Phrasierungen: Einige bewegen sich erst langsam und dann schnell zu Boden, während andere sich im Stakkato durchgängig bewegen, und wiederum andere das Tempo kurzfristig variieren. Diese an Laban-Bartenieff orientierten Kategorien sind in vielfältiger Weise ausdifferenziert und weiterentwickelt worden. Hier wäre z.B. die von Claudia Jeschke zusammen mit Cary Rick (Jeschke 2011) entworfene Inventarisierung von Bewegung zu nennen. Ich stelle dieses sehr detaillierte System hier nicht im Detail vor. Wer aber ein bewegungsbezogenes Verfahren sucht, der findet in den von Laban ausgehenden Analyse- und Vermittlungsmethoden Möglichkeiten, um Bewegungen als Zusammenspiel unterschiedlicher Parameter zu erfassen (Hackney 1998; Kennedy 2010). Ein bewegungsorientierter Ansatz ist dann sinnvoll, wenn in einer Untersuchung bisher primär ein Fokus auf Inhalte und Formen existierte. Außerdem kann ein solcher Ansatz Parallelen für eine vergleichende Forschung eröffnen: So zeigt Jeschke kleinteilig auf, welche motorischen Ähnlichkeiten Tanzstile habe können, die oberflächlich sehr different wirken.
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Darüber hinaus können immer wieder Parameter aus der Praxis selbst emergieren. Beispielsweise lassen sich Fragen nach Isolation oder Initiation von Bewegungen vermehrt im zeitgenössischen als auch urbanen Tanz identifizieren. Das sind Begrifflichkeiten, die dem Labanschen Analysekatalog eher fremd sind – ging es doch in der historischen Moderne um ein ganzheitliches Wahrnehmen und Ausführen von Bewegungen. Es gilt also herzuarbeiten, welche bewegungsanalytischen Kategorien durch die Praxis selbst vermittelt werden (»Findet die Form, drückt euch aus, achtet auf das Timing!«) und mit welchen diese analytisch in der Forschung beschrieben werden kann. Es sollten also immer auch die Grenzen und Vorgaben, die mit spezifischen Analysesystemen einhergehen, im Blick behalten werden. Fragen nach der Initiation von Bewegungen können auch mit solchen nach den Prinzipien der Hervorbringung von Bewegung verbunden sein. Welches Bewegungsprinzip leitet die Bewegung? Welche Prinzipien, Verfahren und Regeln werden auffällig? Werden beispielsweise alle Bewegungen durch eine Entspannung (Release) begonnen? Werden sie durch das Vormachen und Nachmachen einer bestimmten Bewegung angeregt oder durch eine Musik affiziert? Wird auf ein bestimmtes Bewegungsvokabular zurückgegriffen? Werden Bewegungen durch Raum-Zeitgefüge evoziert (z.B. alle Teilnehmer*innen sollen sich bei einer bestimmten Zahl zum Boden begeben)? Werden sie durch Bewegungsrecherchen provoziert oder durch ganz andere Parameter oder eine Mischung eben solcher? Bewegungsrecherchen können beispielsweise so aussehen, dass Teilnehmende aufgefordert werden, die KopfSteißbein-Verbindung zu erforschen und sämtliche Möglichkeiten, wie die beiden Körperteile sich in Bewegung verbinden lassen, auszuprobieren. Oder werden thematische Aufgaben dafür verwendet? Nach dem Motto: »Wie viele Möglichkeiten habt ihr, morgens aus dem Bett aufzustehen?« Und wie lassen sich solche Parameter der Generierung von Bewegung jeweils ermitteln? Was für Vorkenntnisse bedarf es dafür? Solche Fragen danach, welche Bewegungen wie erzeugt werden, und wie dies erfasst werden kann, drängen sich auch im Vergleich und der Analyse von Systemen nicht westlich eingeordneter Tanzpraktiken auf. Bei welchen Bewegungen, Bewegungsstilen oder gar Genres schrecken wir beispielsweise vor der Beschreibung oder Analyse zurück? Welche Beobachtungsstrategien wählen wir, je nachdem welche Tanzpraktiken beobachtet werden? Gibt es in der jeweiligen Forschung Möglichkei-
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ten, Grenzen, Verfahren für solche Vergleiche? Wann werden Unterschiede markiert, hervorgehoben oder nivelliert? Diese Fragen verdeutlichen einmal mehr die jeweiligen Grenzen von bewegungsanalytischen Systemen. Verfahren, die von universellen Modellen ausgehen, gilt es zu problematisieren und deutlich zu machen, wie die jeweiligen Kontexte einen großen Einfluss darauf haben, wie welche Bewegungen erfasst und beschrieben werden. Bewegungen kontextualisieren Bereits 1988 stellte Janet Adshead in Dance Analysis fest, dass die Frage danach, wer die Bewegung macht, wo und mit wem, zentrale Fragen jeder Tanzanalyse sein sollten. Einerseits seien Gesamtgefüge ohne solch eine Beobachtungskategorie nicht zielführend zu analysieren, andererseits werden Bewegungen auch anders beschrieben oder wahrgenommen, je nachdem wer sie ausführt. Ob eine Bewegung als ›zurückhaltend‹, ›schüchtern‹ oder ›cool‹ interpretiert wird, hängt mithin von der geschlechtlichen und identitären Zuschreibung ab. Mädchen, die am Rand stehen, werden eher als zurückhaltend oder schüchtern wahrgenommen, Jungen hingegen als cool oder desinteressiert. Auch fallen Bewegungen mehr ins Auge, die qualitativ den jeweiligen Ausführenden in der Regel nicht primär zugeordnet werden: Dass Mädchen in Projekten ›genau‹, ›weich‹ oder ›lyrisch‹ tanzen – Begriffe, die oft gewählt werden, um eine sogenannte ›harmonische‹ Bewegungsausführung zu beschreiben – wird selten erwähnt, doch vollführt eine Junge eine Bewegung solcher Qualitäten, rückt es in die Perspektive der Beobachtung. Tanzt ein Junge raumgreifend und energetisch, wird es als nicht sonderlich ausführlich beschrieben, bei Mädchen allerdings schon. Auffällig ist dabei, dass oft andere Verben für gleiche Aktionen gewählt werden. Ob jemand schleicht oder sich anpirscht, hängt mithin davon ab, wer die Bewegung macht. Hier mag eine Beschreibungsebene aus dem analytischen Kontext der Labanschen Bewegung durchaus hilfreich sein – werden Bewegungen hier beispielsweise als direkt oder indirekt, als energetisch gebunden und ungebunden beschrieben. So stellt das System zunächst Parameter zur Verfügung, die es vermeiden lassen, Bewegungen beispielsweise als ›steif‹ oder ›ungenau‹ zu beschreiben (Begriffe, die oft von Teilnehmenden aber teils auch Forschenden oder Beobachtenden gewählt werden).
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Dabei ist es auch vom Alter der Teilnehmenden abhängig, was in der Beschreibung von Bewegungen für die Analyse sinnvoll erscheint bzw. beeinflusst dieses die Beschreibung. Insbesondere in Beschreibungen von relativ jungen wie älteren Teilnehmenden werden öfter Erstaunen oder Wertungen über körperliche Fähigkeiten artikuliert. Die Wahrnehmung der Bewegungen als »noch nicht ganz sicher«, »verunsichert« oder für das Alter jeweils »erstaunlich« verrät dabei etwas über Ideale und normative Setzungen des Feldes wie der Forschenden (Kapitel 2). Fragen nach dem Energieeinsatz oder nach Spannungszuständen drängen sich entlang solcher Setzungen mithin auf, müssen aber nicht zielführend für die Praxis sein. Wann und wie ist so ein Parameter also zur Erfassung von dem, was passiert sinnvoll? Nach dem Körpertonus zu fragen, kann z.B. sinnvoll sein, wenn damit gearbeitet wird (»bewegt Euch wie eine Katze«). Es kann auch Aufschluss darüber geben, wie Teilnehmende sich Bewegungen aneignen oder wie sich diese im Verlauf entwickeln. Gerade ein habitualisierter Körpertonus oder einverleibte Praktiken wieder zu ›verlernen‹, bedarf sehr viel Zeit und kann in der Regel über einen Projektzeitraum und auch ein Forschungsvorhaben nur begrenzt erforscht werden. Dies kann zwar mit einem Fokus auf bewegungsanalytische Parameter wie dem Effort aufgezeigt werden, aber es wird deutlich, dass solch eine Bewegungsanalyse mithin schnell an die Grenzen stößt. Wenn es darum geht, das Geschehen in Bezug auf bildungsrelevante oder für die Situation sich zentral ergebende Momente zu erfassen, kann es zielführend sein nach anderen Bewegungsparametern zu schauen, z.B. wie konkret Bewegungsideen umgesetzt werden, welche Bandbreite an Bewegungsfindungen sie dabei vollführen und wie sie sich dabei in Bezug auf Gruppengefüge verhalten. Dies kann mithin für das Gesamtgeschehen signifikante Momente erfassen lassen. Fragen nach den Bewegungen lassen sich daher weder von den Kontexten noch den in ihnen wirkmächtigen Präferenzen für Bewegungsdetails und Leistungsmaßstäbe der Praktiken trennen. Leistungen können dabei auch solche sein, die sich auf sinnliches Einlassen, das Zusammenarbeiten in der Gruppe oder die Fähigkeit eigenständig zu arbeiten beziehen. Welche Leistungsparameter werden in der Bewegungsvermittlung und -ausführung erkenntlich? Welche Aspekte an Bewegungen werden als zentral herausgestellt? Welche sind den Teilnehmenden wichtig? Wie verändert sich die Antwort zu diesen Fragen je nachdem, ob die Gruppe oder Einzelne in den Blick genommen werden?
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VERWEISUNGSZUSAMMENHÄNGE VON BEWEGUNG ERFORSCHEN Ein weiteres Vorgehen Bewegungen für die Analyse zu erfassen, besteht darin, die Verweisungszusammenhänge in den Blick zu nehmen. Welche Zitate, Referenzen und intersubjektive Bewegungs- und Kommunikationsangebote werden in Bewegungen sichtbar? Was ist genau damit gemeint, dass Zitate verwendet oder intersubjektive Bewegungsangebote gemacht werden? Woran lassen sich diese erkennen? Wieso sind sie für die Analyse von Bedeutung? Um zu erklären, was mit Zitaten, Referenzen und kommunikativen Bewegungsangeboten gemeint ist, kann die Beschreibung eines YouTube-Videos von einem B-Battle hilfreich sein. In diesem ca. fünfminütigen Video1 sind ein 6-jähriges Mädchen und ein etwas älterer Jungenkontrahent zu sehen. Dabei ist das Mädchen zunächst nicht auffällig als solches zu identifizieren. Sie erscheint in den für das Feld üblichen baggy Sport- und Joggingsachen gekleidet, und kopiert und parodiert ihren Battlepartner, in dem sie seine Bewegungen aufgreift und variiert. Mehr noch, sie bricht die Regeln des Battles, da sie über die ihr gegebene Zeit hinausgeht und die virtuosesten Kunststücke (Spinnging auf dem Kopf) in dem verlängerten Zeitfenster platziert. Diese Situation unter der Perspektive eines Doing-Gender zu perspektivieren, drängt sich auf. Nicht nur ihr Kleidungsstil, ihre Bewegungen, sondern auch das Sich-nicht-andie-Regeln-halten oder die Fähigkeit und das Spiel mit Humor zeigen einmal mehr, dass es in Bezug auf Gender nicht nur um Repräsentationsebenen geht, sondern gefragt werden sollte, wie Gender sich im Vollzug zeigt (Kapitel 4). Über solche Genderaspekte hinaus machte es Sinn, in der Beschreibung der Bewegungen das Bezugssystem der Battle- und Breakingkultur einzubeziehen (Rappe/Stöger 2017). Dieses Interaktionsgeschehen allein bewegungsanalytisch zu beschreiben, würde die Situation verfehlen. Bewegungen sind nicht losgelöst von den Kontexten und denjenigen, die sie ausführen, zu interpretieren. Bewegungen zeigen sich in Verweisungszusammenhängen, die aktiv gestaltet werden oder unbewusst geschehen. Ob eine Be-
1
Bgirl Terra vs Bboy Leelou - Amazing Baby Battle (Chelles Battle Pro 2013) https://www.youtube.com/watch?v=J68Y0XYtmzA [08.07.23].
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wegung ein Zitat ist, eine Referenz oder mithin einfach nur einem ›Standard‹, einer ›Schule‹ oder einfach dem ›Geist der Zeit‹ entspricht, ist nur im jeweiligen Kontext zu erschließen (Hardt 2007). Die sechsjährige Tänzerin wählt in dem genannten Battle bewusst Zitate. Sie greift nicht nur Bewegungen ihres Partners auf, sondern auch solche, die in der Szene etabliert sind. So zeichnet sich urbane Tanzpraktiken teils durch eine ausgeprägte Bedeutung der ›Foundation‹ aus, die ein Wissen um die Herkunft einzelner Bewegungen bedeutet. So wissen etablierte Player im Feld, wer was eingeführt hat, woher Dinge stammen und wieso sie so sind. Diese Geschichten werden weitererzählt (Rappe/Stöger 2017). Ein ähnliches Standing hat Tradition in Formen des Volkstanzes oder auch des klassischen Tanzes, allerdings stellt sich die Bedeutung solcher Traditionen für die Praxis anders dar und ist mithin nicht Teil einer gelebten Praxis, die dann auch in Projekten kultureller Bildung aktiv aufgegriffen werden. Als solches sind Verweisungszusammenhänge in diesen Kontexten oft schwerer zu erkennen. Dennoch gilt es zu fragen: Wie werden Bewegungen in Bezug auf ihre Entstehung, Kontexte und Traditionen vermittelt oder erklärt? Welche Möglichkeiten der Aneignung und Bearbeitung von Bewegung werden eröffnet und als Optionen dargestellt? Wie greifen in welchen Kontexten Teilnehmende solche Angebote auf? Wer eignet sich welche Tanztraditionen wie an und wer wird dadurch möglicherweise ›empowert‹? Was passiert, wenn in der Vermittlung Bewegung von ihren Traditionen oder ursprünglichen Kontexten getrennt wird? Solch ein Verlassen der ›ursprünglichen‹ Bewegungskontexte ist bereits eingehender in Bezug auf Breaking oder andere urbane Tanzstile besprochen worden, die heute teils in klassischem Frontalunterricht in Tanzstudios oder auch in Projekten kultureller Bildung unterrichtet werden (Rappe/Stöger 2017). Damit finden auch ›klassische‹ Vermittlungs- wie Wertungsparameter Eingang in diese Praktiken, die in einem Spannungsverhältnis zu jenen Vermittlungspraktiken und Werten stehen, die sich einst in informelle Aneignungssettings entwickelt hatten. Fragen nach Verweisungszusammenhängen und Genealogien von Bewegungen, gehen somit über die klassische Bewegungsanalyse hinaus, wie sie mit Labanschen analytischen Kategorien aufgerufen wird. So ist aus einer dekolonialen Forschungsperspektive die Universalität solcher theoretischen Konstrukte, die sich im Kontext europäischer und nord-amerikanischer Praktiken entwickelt haben, in die Kritik geraten (Savigliano 2009).
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Beispielsweise werden ›zergliedernde‹ Verfahren der Bewegungsanalyse wie auch der Bewegungsgenerierung als zentrale Parameter angesehen, um zeitgenössischen Tanzpraktiken zu definieren. Entlang solcher Parameter werden jedoch anderen Tanzpraktiken im globalen Zusammenhang (ungewollt) der Status des Zeitgenössischen nicht zuerkannt, weil sie als inhärent erzählend oder symbolisch verstanden und damit als nicht analytisch differenzierend begriffen werden (Cherian 2016). Wie verändert also der Kontext die Wahrnehmung und Erfahrung von Bewegung? Diese Fragen werden weder nicht durch Labansche Bewegungsanalyse beantwortet. Darum zu wissen und nicht davon auszugehen, dass eine Bewegung neutral und unabhängig von den eigenen Kategorien, Interessen und Wahrnehmungskonventionen zu beschreiben ist, sollte Grundlage für die Reflexion der Parameter der Forschenden als auch der Praxis sein. Nun sind im Laufe dieser Darstellungen zahlreiche Begriffe (teils wiederholend) gefallen, die bisher nicht eingehender diskutiert worden sind. Dazu gehören die im Feld der Forschung und der Tanzvermittlung üblichen Begriffe wie (Tanz-)Stil oder Genre. Problemaufriss: Bewegungsstile (de)konstruieren In der bisherigen Darstellung wurde das Argument stark gemacht, dass sich Bewegungsbeschreibung von Bewegungsanalyse dahingehend unterscheidet, dass Letzteres versucht, Muster (Patterns) von Bewegungen herauszuarbeiten. Solch übergreifende Strukturmerkmale von Praktiken werden mithin auch unter Begriffen wie Stil oder Genre zusammengefasst, die das bewegungsanalytische Moment gebündelt darzustellen scheinen. Was die Potentiale und Probleme solch einer Vorgehensweise sind, soll nun im Folgenden diskutiert werden. Denn was wird unter Stil oder Genre verstanden? Welche Auswirkung hat die Verwendung von Stil und Genre für die Analyse von Bewegungen? Welchen Stellenwert und Funktion hat der Stil(begriff) in und für die Analyse von Settings kultureller Bildung in Tanz? Wie verhält sich das zu den beobachteten Vollzugswirklichkeiten der Praktiken? Stil und Genre werden noch seltener als andere Begriffe im Feld definiert. Oft werden sie intuitiv verwendet, um Tanzformen in einer übergeordneten Kategorie zu erfassen. So zum Beispiel, wenn Zeitgenössischer Tanz, Urbaner Tanz oder Ballett als Überbegriffe für eine Praktik gewählt
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werden (Behrens/Rudi 2015). Dabei scheint Stil eher auf die Tanzform zu verweisen – während Genre auch allgemeiner auf Aufführungskontexte im Sinne von ›Bühnentanz‹ oder ›Laientanz‹ verweisen kann. Stil und Genre werden jedoch auch synonym verwendet. Ich fokussiere hier – da es mir weder um die Etablierung noch generelle Kritik an solcher Terminologie geht – exemplarisch den Stilbegriff, um die Problematiken und Potentiale, die damit einhergehen, kurz zu diskutieren. Die Verwendung oder Einordnung von Praktiken entlang von Stilen – ob klar definiert oder nicht – hat Auswirkungen auf die Forschung. Zum einem beeinflusst es die Wahrnehmung von Bewegung, je nachdem zu welchem vermeintlichen ›Stil‹ diese zugeordnet wird. Während in urbanen Tanzstilen Bewegungen entlang von typischen Moves (Shuffle, Dubstep etc.) erfasst werden, werden ähnliche Bewegungsphänomene in einer zeitgenössischen Klasse eher in Bezug auf mögliche übergeordnete Bewegungsprinzipien hin vermittelt oder analysiert. Es wird beispielsweise eher vom Gleiten oder einer bestimmten Form des Gewichtgebens gesprochen. Solche Differenzen der Beschreibung (ob in Praxis oder Forschung) sichtbar zu machen, die durch eine Einordnung in ›Stile‹ geschieht, kann durchaus Potential zur Reflexion haben, wenn dies beispielsweise zu einem Vergleich in Bezug auf Sprache, Konzepte und Vermittlungsformen der damit jeweils identifizierten Praktiken führt. Eine Einordnung entlang von sogenannten Tanzstilen und deren Fachbegriffen kann auch da von Relevanz sein, wo reflektiert werden soll, was solche Abgrenzungen und Begriffe für das Feld bedeuten. Welche Funktion hat der Verweis auf Stile und Genres für die Praxis oder Beobachtung? Wann bietet sie sich für die Beschreibung von Praxis, wann für die Analyse an? Wie werden Mischungen von Tanzstilen sichtbar und beschreibbar? Wenn beispielsweise Jungen an einem Projekt teilnehmen, weil es explizit Urban Dance anbietet, während sie sich nicht zur Teilnahme melden würden, wenn es Zeitgenössischer Tanz hieße, macht deutlich, dass solche Zuordnungen auch bestimmte Funktionen und Wirkungen haben können. Wenn Vermittler*innen aus ihrem Verständnis der Praxis heraus diese explizit von anderen Praktiken abgrenzen (ob das Urban Dance, Zeitgenössischer Tanz oder andere Formen sind), erlaubt es solche Genregrenzen in ihren Vollzugszusammenhängen zu reflektieren. Eine genaue Beobachtung von Bewegungen und Aneignungspraxis kann zudem Differenzen innerhalb dieser ›Stile‹ freilegen sowie auch Referenzen und Ähnlichkeiten zwischen den Praktiken deutlich machen.
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Allerdings muss solche eine Abgrenzung entlang von Stilen auch kritisch befragt werden. So z.B., wenn sie dazu genutzt wird, empirische Erhebungen zu strukturieren (Keuchel 2009), indem in Fragebögen zur Erhebung von Tanz und kultureller Bildung die Zuordnung zu einem Stil oder Genre als Unterscheidungsmerkmal gesetzt wird. Hier erweist sich solche eine Unterteilung nur als bedingt sinnvoll. Wenn in der Erhebung 90% aller Projekte entweder zeitgenössischen oder urbanen Stilen zugeordnet werden, mag dies zwar etwas über das Feld verdeutlichen, doch kann es mithin nicht als sinnvolles Unterscheidungsmerkmal gelten (ebd.: 19). Sicherlich lassen sich auch aus solchen Befunden Fragen generieren, beispielsweise danach, woher diese Dominanz dieser Stile kommt und was diese Praktiken als besonders relevant für die kulturelle Bildung erscheinen lässt. Die ausgesprochene Bedeutung von zeitgenössischen und urbanen Stilen im Feld wird unter anderem dadurch erklärbar, dass beide Tanzformen Improvisationspraktiken und Individualität als zentrale Elemente ihres Selbstverständnisses begreifen (Rappe/Stöger 2017; Postuwka 1999) und, dass dies anschlussfähig ist an Diskurse (kultureller) Bildung, die Selbstbildungsprozesse fokussieren. Gleichzeitig unterscheiden sich diese Praktiken aber auch: Während im Hip-Hop der jeweilige Aneignungskontext von großer Bedeutung ist und eher etablierte Virtuositätskonzepte in Bezug auf körperliches Können verfolgt werden (auch wenn jede*r in der Ausführung differenzieren kann), ist zeitgenössischer Tanz in seinem Lernsetting eher formalisiert und die Leistungsparameter zeitgenössischer Tanzpraktiken sind eher verborgen (aber nicht weniger präsent). Doch lässt sich anhand solcher Differenzen das Bewegungsgeschehen erfassen? Welchen Stellenwert und Funktion hat der Stil(begriff) in der und für die Analyse von Settings kultureller Bildung im Tanz? Mehr noch: Welcher Tanzform oder welchem Stil gehören Bewegungen ursprünglich an? Lässt sich das identifizieren und gibt es mögliche alternative Genealogien der Bewegungen, wenn sie aus einer globalen oder dekolonialen Perspektive in den Blick geraten? Wer identifiziert aus jeweils welchem Kontext, was zu welchem Stil oder Genre gehört? Eine Unterscheidung entlang von Stilen (im Sinne der Zuordnung zu übergreifenden Tanzformen) setzt voraus, dass diese Praktiken in sich selbst ein abgeschlossenes, relativ homogenes Feld markieren. Abgesehen von der Differenz innerhalb eines vermeintlichen Stils sind die meisten beobachteten Projekte als hybrid zu bezeichnen: beispielsweise, wenn sich Isolationspraktiken und bestimmte
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Bewegungen aus dem Hip-Hop in zeitgenössischen Tanzformen integriert haben, wenn Formen der synchronen und frontalen Ausrichtung aus der Musikvideokultur den Hip-Hop beeinflusst haben oder auch, wenn die einzelnen Teilnehmenden und Vermittler*innen selbst hybride und palimpsestartige, das heißt, sich überlagernde und überschreibende Körper- und Tanzpraktiken, in sich vereinen und mit in Projekte und Aneignungsprozesse einbringen. Ein Stilbegriff im Sinne einer Zuordnung zu Tanzformen scheint daher nur mäßig zielführend für die Forschung und bildet die Selbsteinordnung von Praktiken ab. Wie könnte Stil aber noch verstanden werden? In der tanzwissenschaftlichen Forschung ist Stil keine ausdifferenzierte Kategorie in der Analyse von Tanz und wenn, dann wird er anders verstanden als im Sinne einer Einteilung von Tanzformen. Beispielsweise definiert und verwendet Foster den Begriff in Reading Dancing (1996) dahingehend, dass er weniger konkrete Tanzformen (wie eben beschrieben) meint, sondern vielmehr die Qualität, mit der Individuen diese ausführen. Für das, was oft als Genre oder Tanzstil bezeichnet wird, findet sie, wenn überhaupt, eher die Kategorie des Bewegungsvokabulars. Es bezeichnet aus der Masse von möglichen Bewegungen ein bestimmtes wiedererkennbares Spektrum (ob es im Ballett Tendus oder Battements, im zeitgenössischen Tanz entspannte Schwünge oder Rollen am Boden, ob es Spins, Dub Steps im urbanen Tanz sind). Als eine solche Analysekategorie unter vier (zu denen die Rahmung, die Repräsentationsmodi, Stile und Vokabular gehören), die Foster vorschlägt, ist mit Stil zu arbeiten, jedoch voraussetzungsvoll – insofern es der Fähigkeit bedarf, diese Qualitäten identifizieren und unterscheiden zu können. Eine Verwendung des Stil-Begriffs, der nach dem Individuellen innerhalb eines wie auch immer definiteren Vokabulars schaut, ist jedoch anbindungsfähig an Praktiken wie dem urbanen Tanz, die genau die Differenzsetzung als Charakteristikum der Praktik herausstellen (Rappe/Stöger 2017). Aus solch einer Perspektive ist der Begriff auch in anderen Bewegungskontexten als zentrales Merkmal im Sinne von »Stilkulturen« etabliert worden (Stern 2010). Das heißt, Stil wird in diesen Kontexten als ein für die Praxis bedeutungsgenerierendes Momentum verstanden. Auf Stil innerhalb der Praxis zu rekurrieren, heißt zunächst für die Praktiken in ihrem Selbstverständnis, dass es nicht um klare (Leistungs-)Parameter in der Erfüllung einer Bewegung geht (also wie genau sie in Bezug auf ein mögli-
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ches Ideal ausgeführt wird), sondern wie spezifisch kleine Details (auch im Scheitern) einer Bewegung gefunden werden können. Allerdings bringt solch ein Stilverständnis auch Probleme für die Forschung mit sich: Denn sie setzt voraus, dass Bewegungspraktiken, ihre Verweisungszusammenhänge und die einzelnen Bewegungsvokabulare sehr genau gekannt werden müssen, um hier Differenzen zu diesen ausmachen zu können. Spannend daran ist jedoch, dass solch ein Stilverständnis prozessual ist. Es versteht also Stil nicht als etwas Gesetztes (im Sinne von Moves oder Tanzformen), sondern als nur in den Vollzugwirklichkeiten der Aneignung und Generierung von Bewegung entstehend und macht ihn nur in eben diesen Prozessen identifizier- und analysierbar (Stern 2010). Um solche Übertragungen aus zumeist informellen Lernkulturen auf institutionelle gerahmte Kontexte kultureller Bildung zu übertragen, ist es von Bedeutung, zunächst das Vermittlungs- und Aneignungsverständnis genauer herauszuarbeiten. Im folgenden Kapitel wird es also um genau diese zentralen Phänomene und Begriffe des Felds Kultureller Bildung gehen: Aneignung und Teilhabe.
6 Aneignung und Teilhabe Begriffe und Konstellationen aufschlüsseln
• Was wird unter Aneignung verstanden? • Wie verhält sich das Konzept der Aneignung zu Begriffen des Lernens,
der Vermittlung oder Teilhabe? • Was wird unter ›kultureller Aneignung‹ (cultural appropriation)
verstanden? • Welche Aspekte rücken in den Fokus der Betrachtung, wenn mit dem
Begriff der Aneignung gearbeitet wird? • Wie lassen sich Aneignungspraktiken beobachten? Wie wird Bewe-
gung/Tanz angeeignet, aufgegriffen, bearbeitet? • Welchen Einfluss haben Vermittlungspraktiken und deren Leistungsprä-
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missen auf Formen der Aneignung? Welche Bedeutung spielen dabei sinnliche Aspekte, choreographische Verfahren und theoretische Rahmungen? Wie verhalten sich Prinzipien der Vermittlung und Aneignung zu ästhetisch-künstlerischen Verfahren oder Normen der beobachtbaren Praktiken? Was wird unter Teilhabe und Partizipation verstanden und welche Bedeutungen werden ihnen in der Diskussion um kulturelle Bildung zugeschrieben? Wie verhalten sich theoretische Positionen und Forderungen zu Teilhabe im Vergleich mit jenen der Praxis? Welche Möglichkeiten und Grenzen von Teilhabe zeigen sich in beobachteten Projekten? Wie lassen sich idealisierte Vorstellungen von Teilhabe und Partizipation befragen und erweitern?
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Im Vordergrund einer Forschung zu kultureller Bildung und Tanz stehen idealerweise Paramater, die helfen zu untersuchen, wie Bewegungen (oder das, was jeweils unter Tanz verstanden wird) vermittelt, gelernt oder sich angeeignet werden. Solch eine Forschung versucht analytisch zu fassen, wo möglicherweise Prozesse stattfinden, die als bildsam oder im Sinne einer kulturellen Bildung verstanden werden können. Auch wenn die vorherigen Kapitel bereits danach gefragt haben, wie in welchen Konstellationen, mit welchen Aufgaben und Verfahren Tanz vermittelt, ausgeführt oder gelernt wird, so standen Fragen nach der Konzeption und dem Verständnis von Aneignung bisher nicht im Vordergrund der Diskussion. Was wird jedoch unter Aneignung verstanden? Welche Phänomene rücken mit dieser Kategorie in den Fokus der Beobachtung und Analyse? Solche Fragen werden nun in diesem Kapitel genauer aufgeschlüsselt. Dafür wird die Kategorie der Aneignung theoretisch kurz aufgefächert und in Bezug auf die damit in Verbindung stehenden Bildungsverständnisse perspektiviert. Zudem ist es ein Ziel dieses Kapitels, mögliche Vorzüge des Begriffs der Aneignung im Vergleich zu anderen Begriffen und Konzepten wie Lernen, Vermittlung oder Teilhabe zu profilieren. In dem zweiten Teil des Kapitels wird eben jener im Feld omnipräsente Begriff der Teilhabe sowohl als Anlass genutzt, Beispiele zu diskutieren, als auch dahingehend betrachtet, welche konzeptionellen Probleme mit ihm einhergehen. Um eruieren zu können, welche Prozesse der Teilhabe wie und in welchen Konstellationen möglich sind oder sich ergeben, bedarf es zuvor einer genaueren Aufschlüsselung dessen, was in Vermittlungs- bzw. Aneignungskonstellationen passiert. Nur darüber lassen sich mithin Möglichkeiten und Grenzen von Teilhabe herausarbeiten und das Verständnis von Teilhabe so erweitern, dass es nicht primär intentional oder handlungstheoretisch verstanden wird. Mehr noch: Es wird deutlich, dass Teilhabe primär ein Ziel kultureller Bildungsarbeit jedoch weniger eine analytische Kategorie ist. Aneignung und Teilhabe haben jedoch gemein, dass sie die Eigenmacht und Gestaltungspotentiale einzelner und Gruppen in Projekten, Konstellationen oder Prozessen, die bildsam sein können, herausstellen. Idealerweise sollen die Fähigkeiten zu solcher Selbstermächtigung in diesen Konstellationen auch erlernt und weiterentwickelt werden.
Aneignung und Teilhabe | 193
ANEIGNUNG: VON THEORIEN DER TÄTIGKEIT ZU ERFAHRUNGSBASIERTER PROBLEMBEWÄLTIGUNG Aneignung ist zwar in der Literatur zu (kultureller) Bildung ebenso wie in der Praxis ein allgegenwärtiger Begriff, allerdings wird er von den wenigsten einschlägig diskutiert (Sauerbrey 2017). Es scheint fast selbstverständlich, dass jeder versteht, was mit Aneignung gemeint ist. Doch woher stammt das Konzept der Aneignung? Was wird damit theoretisch und praktisch verbunden? Welche Vorzüge oder Nachteile hat der Begriff? In einer möglichen historischen Perspektivierung geht das Konzept der Aneignung im Kontext der Pädagogik und Sozialwissenschaften (und in Abgrenzung zur Theorie des historischen Materialismus [Marx] oder Philosophie [Kant, Schleiermacher],) auf die sogenannte sowjetische, kulturhistorische Schule zurück (Deinet/Reutlinger 2004; Keiler 2013; Sauerbrey 2017). Zentrale Referenzen sind hier die Arbeiten von Loentjew (1979) und Vygostkis (1974). Diese verwenden zwar nicht den Begriff der Aneignung, sondern zunächst einen Begriff, der mit Tätigkeit übersetzt wird. Doch damit rückt das Selbsttätige, die Aktivität eines Individuums in der Auseinandersetzung mit Welt in den Vordergrund von Lernprozessen, die grundlegend auch für andere Aneignungsverständnisse sind. Solch ein Perspektive grenzt sich von den damals dominanten Lern- und Konditionierungstheorien à la Pawlow ab, die das Lernen als eine Form der ›Dressur‹ und ›Abrichtung‹ fassten. Das Verständnis eines erfahrungsbasierten und eigenständigen Erlangens von Wissen und Lernen, wie es mit der Vorstellung der Tätigkeit des Lernenden verbunden ist, wird auch in der frühen Reformpädagogik des ausgehenden 19. Jahrhunderts bereits artikuliert und verstärkt seit den 1960er Jahren in der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft aufgegriffen und weiterentwickelt. Damit einher ging unter anderem die Infragestellung von Konzepten des direktionalen Lehrens und Lernens (also von einer Lehrperson zu Lernenden). Aneignung verweist hier auf ein dialogisches oder gar selbstgestaltendes Lernverständnis. Was an diesem Verständnis der Aneignung ist aber nun das Spezifische, das es von einem Begriff des Lernens unterscheidet? Welche konzeptionellen Grundverständnisse zeichnen Aneignung aus? Grundlegend ist die Auffassung, dass Aneignung in der aktiven Auseinandersetzung mit Welt geschieht und als Aneignung der gegenständlichen und symbolischen Kultur zu verstehen sei (Deinet 2012: 88). Für Loentjew
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ist die Erweiterung von Bewegungskönnen ein erster Schritt der Aneignung von Welt. Dies tritt jedoch in späteren, zumeist psychologischen und bildungstheoretischen Schriften hinter anderen Dimensionen, z.B. der Raumaneignung und der selbstermächtigenden Einflussnahme auf Situationen in den Hintergrund (Deinet/Reutlinger 2004). Daher wurden Aneignungstheorien oft handlungstheoretisch und logozentrisch ausgedeutet und bergen damit das Problem, dem Subjekt primär intentionale Bildungsabsichten und Einflussnahme zuzuschreiben (ebd.). Bereits Leontjew weist jedoch darauf hin, dass Aneignung zwar das tätige Subjekt voraussetze, aber dies nicht unvermittelt, also aus sich heraus, passiere (wie es beispielsweise Bildungstheorien der Aufklärung mit ihrem Verständnis eines rational und aus sich heraus selbstmotivierten Subjekt tun). Demnach sei es eine »künstliche Konstruktion«, davon auszugehen, dass ein Mensch »der ihn umgebenden Welt ganz allein gegenüberstünde [...]. Unter normalen Bedingungen werden die Beziehung des Menschen zu seiner gegenständlichen Umwelt stets durch sein Verhältnis zu anderen Menschen, zur Gesellschaft vermittelt« (Leontjew 1977: 284). So schlussfolgert Sauerbrey, dass der Aneignungsbegriff sich damit besonders dafür eignet, Situationen als pädagogische Interaktion zu beschreiben, in der Aneignungs- und Vermittlungsakte sich als verschränkt zeigen (Sauberbrey 2017: 535). Der Aneignungsbegriff lässt sich so mit aktuellen Bildungstheorien verbinden, die Bildung als Selbstbildung begreifen, diese aber im Sinne einer aktiven Entdeckung, Erfahrung und Bewältigung von Problemen (auch von Krisen) verstehen. Es bedarf also eines Anlasses und damit verbundener Differenzerfahrungen, um eigene Sicht- und Wahrnehmungsweisen umzuarbeiten oder zu erweitern (Kokemohr 2007; Marotzki 2010; Koller 2016). Aneignung lässt sich so als körperlicher, symbolischer, sprachlicher Aushandlungsprozess zwischen einem sich zugleich befähigenden und ermächtigenden Subjekt und den vielfältigen gesellschaftlichen Normen, Symbolen und weltlichen Dingen verstehen (Wulf 2001: 67). Damit hat der Aneignungsbegriff mögliche Vorteile gegenüber jenen der Bildung oder des Lernens. Der Begriff Bildung, so argumentiert Sauberbrey, bezeichne zwar auch den Erwerb kultureller und sozialer Kompetenzen, sei aber in seinem ubiquitären Gebrauch zu offen und politisch aufgeladen (Sauberbrey 2017: 532). Diskussionen um einen kulturellen Bildungskanon, Versagen von Bildungsaufträgen und Bildung als Heilmittel gesellschaftlicher Probleme
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haben den Begriff jeweils unterschiedlich politisch besetzt. Der Begriff des Lernens hingegen sei von zwei sich widersprechenden Forschungsperspektiven eingespannt, die es erschweren zu verstehen, welches Verständnis von Lernen jeweils gemeint sein könnte. So sei der Begriff einerseits von phänomenologisch und subjekt- und erfahrungsbasierten Perspektiven geprägt, die konkrete Interaktionen und Institutionalisierung von den damit verbundenen Prozessen sowie die diskursiven Dimensionen eher randständig erfassen. Anderseits werde Lernen durch eine psychologische Forschung definiert, die kognitionslastig sei (ebd.: 230). Auch aus einer bildungstheoretischen Position, wie sie zielführend für unser Forschungsprojekt erscheint, erweist sich eine Unterscheidung zwischen Lernen und Aneignen bedeutsam. So können transformative Bildungsprozesse, die grundlegende Weisen Selbst und Welt verändern, vom Erwerb scholaren Wissens oder körperlichen Fähigkeiten heuristisch unterschieden werden.
ANEIGNUNG UND VERMITTLUNG Der Aneignungsbegriff kann zudem als Suchkategorie hilfreich sein, um die bisherige Forschung im Feld von Tanz und kultureller Bildung zu erweitern. Solch eine Suchkategorie der Aneignung hat den Vorteil, dass sie Gesamtkonstellationen von dem, was in Bildungsprojekten geschieht, dezentraler perspektivieren lässt. Die Kategorie der Aneignung zielt darauf ab, die häufig ausgeprägte Fokussierung – auch in unseren ersten Beobachtungen – auf die Lehrperson, deren Konzepte, Anweisungen etc. zu dezentrieren, indem aus dieser Perspektive das Tun aller als intersubjektives, interobjektives und transsequenzielles Geschehen in den Blick rückt (Kapitel 3). Hier gelangen Verfahren, Methoden, Räumen, die gegeben werden, um Aneignung zu ermöglichen, ebenso ins Blickfeld wie das, was Einzelne und Gruppen damit machen oder in der Interaktion mit hervorbringen. Es gilt also eine mögliche Gleichsetzung von Vermittlung und Aneignung, wie sie durchaus in der Forschung zu kultureller Bildung praktiziert wird, zu vermeiden (kritisch dazu Althans/Audehm 2019). Doch das ist mithin nicht einfach. Auch dieser Band fällt indirekt in diese Falle, denn wenn Aneignung zwar subjektgebunden und idealerweise nicht mit Lehroder Vermittlungssituation gleichzusetzen ist, dann entsteht die Frage: Wo und wie lässt sich Vermittlung und Aneignung erforschen? Welche
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Szenarien können in den Blick geraten? Zur Untersuchung bieten sich zumeist solche konstruierten Kontexte an, die im Feld kultureller Bildung in irgendeiner Form ›vorstrukturierte‹ Räume schaffen, um formelle oder informelle Bildungsanlässe zu generieren. Vermittlungskontexte und Aufgabenkulturen gehören dabei in zentraler Weise zu Tanz-in-SchulenProjekten oder der Arbeit mit Laien. Für die Forschung zur kulturellen Bildung und Tanz (vor allen in Bezug auf jüngere Kinder oder kurzweilige Projekte) ist es nur bedingt möglich, Bildungsprozesse abseits solcher Settings, die sich dem Ziel der Vermittlung, Bildung, Erfahrung etc. verschrieben haben, zu untersuchen. Autobiografische Blogs und Tutorials auf Social-Media-Plattformen mit den dazugehörigen Kommentaren und Verlinkungen können hier sicherlich neue Forschungsstrategien ermöglichen. Sie sind jedoch für die weitere Forschung und Praxis des Feldes kultureller Bildung noch randständig (Berg 2022). Zudem stehen diese ›Vermittlungsangebote‹ auch im Fokus, weil diese Publikation davon ausgeht, dass der ›Gegenstand‹, hier tänzerische Praktiken in Vermittlungskonstellationen, nicht nur jeweils Einfluss auf die Aneignungsprozesse nimmt, sondern auch spezifische, domainspezifische Verfahren von Vermittlungspraktiken hervorbringt. Das Rumrollen auf dem Boden, das Anfassen, Schwitzen, die Nähe zu Körpern, das Offenlegen oder Zeigen körperlicher Schwächen und Stärken, Hautkontakt, Arbeiten mit körperlichen Einschränkungen (gewählt oder unfreiwillig) gehören in anderen Bildungsfeldern kultureller Bildung eher selten zum Thema, Ausgangspunkt und Selbstverständlichkeit der Praktiken. Dies ist aber durchaus kennzeichnend für tänzerische Vermittlungs- und Aneignungskonstellationen. Das Überwinden körperlicher Grenzen und damit möglicherweise verbundene Peinlichkeitsgefühle ist in einem großen Maße Teil des Selbstverständnisses. Vermittlungsangebote sind daher immer als Teil von Aneignungsprozessen zu begreifen, auch wenn sie darin nicht aufgehen. Welche Perspektiven fördert der Aneignungsbegriff? Welche Praktiken geraten damit in das Blickfeld? Welche Fragen wirft eine Fokussierung auf Aneignung auf? Unter dem Suchbegriff der Aneignung werden nicht nur bestimmte Formen der Vermittlung fokussiert, die in ihrem Selbstverständnis aktiv die Selbsttätigkeit der Teilnehmenden fördern möchte, sondern damit werden alle Formen der Vermittlung als interaktive Gefüge perspektivierbar. Der hier vorgeschlagene Aneignungsfokus möchte sich daher von stärker nor-
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mativen Verständnissen von Aneignungen oder gar Zueignung dahingehend unterscheiden, dass jegliche Vermittlungskonstellationen unter diesem Begriff analysierbar werden. Ein normativer Standard wäre beispielsweise, wenn Aneignung nur dann stattfände, wenn Aufgaben möglichst individuell und eigenmächtig erarbeitet und gestaltet werden. Praktiken müssen unter der hier gewählten Perspektive jedoch nicht dem Ideal einer kritischen Reflexion, Distanznahme oder kreativer Ermächtigung entsprechen, um als Aneignungspraktik betrachtet zu werden.1 Aneignungsprozesse finden auch dann statt, wenn frontale Lehre und vorgebende Übungen das Setting prägen. Dabei soll die Auseinandersetzung mit Aufgabenstellungen oder mit avisierten Lernatmosphären oder Lernräumen keinesfalls außen vor bleiben. Vielmehr geht es darum, nach dem Umgang mit den Konzepten und Funktionen solcher Aufgaben in den Vollzugspraktiken zu fragen. Damit möchte auch diese Kategorie dazu beitragen, Setzungen und dichotome Argumentationslinien, die zum Beispiel das Nachahmen als weniger bildsam verstehen als die eigenständige kreative Bewegungsentwicklung, kritisch befragen. Auch in Settings mit frontaler Lehre, in denen vor- und nachgemacht wird, bedarf es kreativer Eigenleistungen (Klinge 2004). Eine genaue Analyse von unterschiedlichen Settings und Konstellationen kann aufzeigen, dass die gleiche Aufgabe zu sehr unterschiedlichen Aneignungskonstellationen führen kann, wie bereits detailliert in Kapitel 3 an den Beispielen der Improvisationsübungen zu Zahlen deutlich wurde (S. 116). Zudem sind auch Prinzipien wie das Vormachen und Nachahmen keinesfalls an gleiche Lern- und Vermittlungsverständnisse gebunden. Beispielsweise teilen klassische Tanztrainingssettings mit frontalem Unterricht Prinzipien des Nachahmens mit solchen aus eher informellen Lernsettings wie im Urbanen Tanz. In letzteren spielt in Formen des take one teach one beispielsweise Nachahmung eine Rolle, aber basiert nicht auf einer eindeutigen Zuordnung von Lehrenden und Lernenden (wie Rappe und Stöger sie für die Hip-Hop und Breaking-Szene als charakteristisch herausgestellt haben; 2017). Das heißt, auch Vermittlungskulturen, in denen das Nachahmen von zentraler Bedeutung ist, stellen sich weder in ihrem vermittelnden
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Insbesondere der Begriff der Zueignung, der von Aneignung unterschieden wurde, versucht solch eine kritische Haltung der Kultur gegenüber als Ideal oder Norm zu setzen. Siehe hierzu auch die Diskussion von Sauerbrey (2017).
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Prinzip noch in der Ausführung als gleich dar. In Bezug auf andere Aspekte können sie sich dann wieder ähnlich sein: Beide eben benannten Praktiken legen beispielsweise (auch in verbalen Äußerungen) großen Wert darauf, dass Teilnehmende ihre ›eigene Praxis‹ (zeitgenössisch) oder ihren ›eigenen Style‹ (Breaking) entwickeln (Hardt 2019; Rappe/Stöger 2015). All diese sehr differenten Aspekte würden unter der Kategorie der Aneignung erfasst werden. Aneignungsprozesse würden immer in Bezug auf die Anlässe und Kontexte – hier zumeist Vermittlungssettings – hin untersucht, da Aneignung wie schon bei Leontjew nicht ohne diese geschieht. Mit den unterschiedlichen Kontexten der Aneignung, wie sie durch das Feld des urbanen Tanzes aufgerufen wurde, rückt zu dem ein weiteres Bedeutungsfeld von Aneignung in den Fokus, und zwar jenes der kulturellen Aneignung.
KULTURELLE ANEIGNUNG UND DIE KONSTRUKTION DES ›ANDEREN‹ Der Aneignungsbegriff hat auch in anderen theoretischen Kontexten ein weiteres Bedeutungsspektrum erlangt, das explizit mit politischen und identitätskritischen Diskursen und Praktiken verbunden ist. Allen voran ist hier der aus dem Kontext dekolonialer Theorien stammende und in der anglophonen Forschungsdiskussion dominante Begriff der cultural appropriation zu erwähnen (Brunk/Young 2009; Young 2010; Matthes 2019; Diop/Ott 2023). Im deutschsprachigen Raum wird der Begriff der kulturellen Aneignung zwar auch thematisiert, allerdings hat er noch nicht die politische Aufladung und Konfliktstellen provoziert, wie sie teils an USamerikanischen Hochschulen zu beobachten sind. Unter dem Begriff der cultural appropriation wird darauf verwiesen, dass Praktiken, die aus einem ›anderen‹ kulturellen Kontexten stammen, unhinterfragt aufgegriffen werden. Dabei wird jenen, die diese Praktiken entwickelt haben, selbst kein credit – also Anerkennung – gezollt. Vielmehr basiert solch eine ›unbedachte‹ kulturelle Aneignung auf dem impliziten Verständnis, dass Dinge, Tradition oder Allgemeingut ohne künstlerische Autorschaft sein (Kraut 2016). Dabei geht es nicht nur um Fragen der Anerkennung. In Everything But the Burden. What White People Are Taking from Black Culture (2003) definiert Greg Tate kulturelle Aneignung dahingehend, dass es das Aufgrei-
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fen von Praktiken anderer Kontexte ist, ohne allerdings den Preis dafür zu zahlen, den es andere kostet. Eine aus solch einer Perspektive geschriebene Tanzwissenschaft hat zum Beispiel deutlich gemacht, wie sehr die USamerikanische Tanzkultur bis in das Ballett hinein, von einer afroamerikanischen Ästhetik geprägt ist (Gottschild 1996). Kulturelle Aneignung wirft demnach auch Fragen nach dem Copyright auf (Kraut 2016) und fordert dazu auf, die Genealogien tänzerischer und künstlerischer Praktiken anders oder neu zu erforschen und darzustellen. Solch eine Forschungsperspektive ist in der Forschung zu kultureller Bildung im Tanz im deutschsprachigen Raum bisher kaum präsent, auch angesichts eines oft essentialisierten Tanzverständnisses als Bewegung in Raum und Zeit. Kulturelle Bildung daher auch im Hinblick auf kultureller Aneignung zu thematisieren, sollte dazu auffordern zu fragen: Welche Praktiken dominieren das Feld? In welche genealogischen Erzählstränge und prinzipiellen Ordnungen werden diese eingeordnet? Wer und was wird als prägend für die Entwicklung kultureller Bildung und seiner Prinzipien und Praktiken angesehen? Wie wird mit den unterschiedlichen kulturellen Kontexten, Traditionen umgegangen oder wie werden solche Kategorien oder Zuschreibungen erst durch die Praxis mit hervorgebracht? Wie überformen kulturelle Bildungsprojekte diese Praktiken? Welcher Gestus der Aneignung ist damit verbunden? Welche Praktiken, Kompetenzen, künstlerische Leistungen werden dabei von wem, wie anerkannt? Welche Zuschreibungen, Ausgrenzungen oder Hybridisierungen sind zu beobachten? Welche Funktion hat kulturelle Aneignung für die kulturelle Bildung, auch angesichts des Topos, dass Bildung als »Zueignung des Fremden« gilt (Wulf 2001: 67)? Wie wird in diesem Kontext das ›Fremde‹ verstanden und konstruiert? Die Thematisierung von kultureller Aneignung kann dazu führen, dass Fragen danach entstehen, ob es angemessen sei, sich als weiße, deutsche, einer ›Mittelschicht‹ zugeordneten Person urbanen Tanzkulturen anzunehmen, oder ob ich als nicht offensichtlich physisch Eingeschränkte über solche forschen darf, die es sind. »Nothing about us without us« (Charlton 1998) ist eine wichtige Forderung diesbezüglich geworden. Auch abseits des Erstreitens von politischer Repräsentation – in dessen Kontext diese Forderung entstanden ist – zielt dieser Slogan darauf ab, dass jene, die bisher weder in der Kunst noch in der Wissenschaft adäquat repräsentiert werden, nun nicht primär durch weiße oder konventionell ›befähigte‹ Wissen-
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schaftler*innen oder Künstler*innen erforscht oder Projekte von diesen entwickelt werden sollten. In diesem Sinne hat eine inklusive Form der Bildung, und dazugehörige Diskussion in Kunst und Kunstwissenschaft, bereits wichtige Impulse für die Forschung gesetzt (Moersch 2009). Dazu gehört in zentraler Weise, dass Projekte mit jenen konzipiert werden und nicht nur für jene, die als besonders ›bildungswürdig‹ adressiert oder stigmatisiert werden (Wieczorek 2018). Daraus ergeben sich wichtige Fragen für die Forschung: Wer hat die Projekte in Hinblick auf wen konzipiert? Wer hat welche Gestaltungsmacht in Vermittlungsprozessen? Wie werden Fragen und Themen einer kulturellen Aneignung diesbezüglich in der Forschung und in der Praxis aufgegriffen, verstanden, diskutiert? Welche Rolle spielen sogenannte ›Zielgruppen‹ und wie perpetuieren, befragen oder tangieren sie mögliche Ein- und Ausschlussmechanismen? Der in der Einleitung zum Auftakt beschriebene Film Rhythm is it (Grube 2004) lässt sich unter solchen Fragestellungen kritisch diskutieren bzw. provoziert weitere Fragen. Während es das Anliegen des Projekts und Films war, die Potentiale von Tanz und Musik als Möglichkeit kultureller Teilhabe aufzuzeigen, so inszeniert der Film das in spezifischer, teils stereotyper Weise. Es wird durchweg eine wohlwollende Wortwahl aller, vor allem aber der Leitung, präsentiert. Und gerade hier liegt auch ein Problem: Während den einen wohlwollend Talent zugesprochen wird, wird das Können der anderen gezeigt. Während die einen vor Plattenbauten interviewt werden und darüber sprechen, mehr als den Hauptschulabschluss schaffen zu wollen, sind die anderen in Studios zu sehen und reden inhaltlich über die künstlerischen Projekte. Wird hier nicht eine Gruppe indirekt als ›defizitärer‹ identifiziert oder stigmatisiert? Ist Ermächtigung etwas, das von außen und vor allem von jenen, die es kulturell ›geschafft‹ haben, an diese Kinder herangeführt werden muss? Was sind die eigenen Spielräume für alle Beteiligten? Was ist das Spezifische, das die Kinder jeweils miteinbringen, (abseits von solchen kontrastierenden Erzählsträngen und Bildern)? Wer entwirft diese Projekte, mit welchen Zielen? Welche hierarchischen Strukturen und Kunst- und Selbstverständnisse werden darin deutlich? Inwiefern wird hier konventionelleres Genieverständnis von Kunst erkennbar? Wie werden Stereotype medial perpetuiert?
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Es gilt also durchweg Fragen nach einer ›adäquaten‹ Repräsentation, nach Zugang, Deutungshoheiten und Machtverhältnissen zu thematisieren und zugleich aufzuzeigen, wie solche Ausgrenzungen und damit verbundene Identitäten soziale und kulturelle Konstruktionen sind (Foellmer 2013; Dederich 2007; Albright 1997). Wie bereits in Kapitel 4 in Bezug auf die Konstruktion von Körpern und Körperlichkeit ausgeführt, gilt es gesellschaftliche Konstrukte zu entlarven, die ›Andere‹ mithin erst als defizitär oder von der Norm abweichend hervorbringen. Das bedeutet nicht, dass den Perspektiven jener, die betroffen sind oder die damit täglich konfrontiert werden, nicht ein besonderes Gewicht zukommen sollte. Vielmehr gilt es jeweils spezifisch zu beachten: Wer darf was sagen, machen, sich aneignen? Wer kann aus welcher Machtposition über etwas sprechen oder unterrichten? Wer erhält welche Anerkennung dafür und wer nicht und wer zieht welchen Nutzen daraus? Mit solchen Fragen können die jeweiligen Diskussionsstränge und Praktiken, die sich gegen Ausschlüsse, Hierarchien, Setzungen wehren, in ihrer Komplexität erfasst werden. Denn es geht auch darum, kritische Narrative in Bezug auf ihre Schwerpunktsetzungen und Normen zu befragen: Was geschieht beispielsweise mit einer Forschung, die sich in Fragen von Identität auf sexuelle Identität, körperliche Versehrtheit, ethnische Zuordnung bezieht, nicht aber auf nationale Zugehörigkeit oder schichtspezifischer Ausgrenzung (Klassismus) fokussiert? In einer intersektionalen Forschungsperspektive ist es von zentraler Bedeutung geworden, solche Konstrukte in ihrer Verschränkung zu diskutieren (Bronner/Paulus 2021). Sie erschweren klare Zuschreibungen in Bezug auf Identität und fordern dazu auf zu fragen: Wie wird Identitäten in spezifischen Kontexten besondere Bedeutung zugewiesen? Welche Setzungen und Ausgrenzungen gehen jeweils mit welchen Konstrukten von Identität einher? Dabei geht es nicht nur um Fragen von Identität, sondern auch darum, wie Praktiken als ›anders‹, auch im herausgehobenen Sinne, hervorgebracht werden. Wieso werden in Bezug auf manche Praktiken Fragen nach Aneignung gestellt, bei anderen jedoch nicht? Dass dem so ist, zeigt sich beispielsweise daran, dass ich als aus Europa kommende, weiße Tanzlehrende, die in Los Angeles vor einer Gruppe von Studierenden größtenteils asiatischer Herkunft stehe, nicht gefragt werde, ob es denn zulässig sei, dass die Studierenden sich jetzt meine Praktik aneignen. Dahingegen wird
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aber eine Lehrende mit indischer Herkunft, die einen kanadischen Pass besitzt und primär im US-amerikanischen Raum arbeitet, sehr wohl von einer international gemischten Studierendengruppe in Deutschland gefragt, ob es denn okay sei, dass sie jetzt Odissi – einer der klassischen indischen Tanzformen – lernen. Während solch eine Frage zwar auch Rücksicht und Wissen um Probleme kultureller Aneignung zeigt, weist sie der als regulärem Unterricht angebotenen Praxis einen anderen Status zu und macht sie zu einer ›anderen‹ Praxis. Welchen Praktiken werden unter dem Label kultureller Aneignung (indirekt) ein universeller Status zugesprochen, welche werden als ›ethnisch markiert‹ verstanden? Solche Formen des Rassismus und der Ausgrenzung, die sich über vermeintlich positive Zuschreibungen oder formulierte Vorsicht zeigen, sind durchaus im Feld kultureller Bildung in Deutschland zu beobachten. Z.B. so geschehen, wenn eine arrivierte Tanzkünstlerin in einem Projekt mit Schüler*innen feststellt, dass die Probe einer Szene heute nicht stattfinden kann, weil der beteiligte Schüler mit Migrationshintergrund nicht da sei, und der vermeintlich deutsche Schüler, der ihn gerne vertreten möchte, nicht die kämpferische Energie habe, die mit der kulturellen Herkunft des anderen Schülers einherginge. Es gilt also auch jene Praktiken, die sich aktiv darum bemühen, alle zu integrieren und wertzuschätzen, mit kritischen Fragen zu perspektivieren. So beispielsweise auch, wenn im Sinne der Inklusion Teilnehmer*innen mit Rollstuhl an einer recht klassisch strukturierten Ballettstunde teilnehmen und dies als sehr positiv gewertet wird, ohne auf entstehende Problematiken hinzuweisen oder Fragen diesbezüglich zu stellen. Sich hier kritisch aufgrund von Beobachtungen auszusprechen, heißt nicht, sich kritisch gegen Inklusion zu positionieren. Auch soll nicht bestritten werden, dass in dem beobachteten Beispiel beide Teilnehmerinnen – wie sie im Gespräch artikulierten – es toll fanden, mal den Raum mit ›richtigen‹ Balletttänzeri*nnen zu teilen. Jedoch würde in jeder anderen Vermittlungssituation solch ein Vorgehen, dass die Teilnehmenden weder dort ›abholt‹, wo sie sind, und nur bedingt Kompetenzen an die Hand gibt, kritisch befragt (Kuppers 2003). Wie gehen wir mit Themen von Aneignung und Differenz verbunden um? Welche Fragen sollten wir diesbezüglich wie stellen? Wie können wir Probleme und Unsicherheiten für die Forschung produktiv machen? Welche Theorien und Praktiken helfen dabei, solche Probleme aufzuschlüsseln? Diese Fragen sollte eine kritische For-
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schung zu kultureller Bildung auch deswegen veranlassen, weil 1. es darum geht, Essentialisierungen zu dekonstruieren, 2. das ›Fremde‹ oder die ›Differenzerfahrung‹ zentral für kulturelle Bildung verstanden werden, dies aber in seiner problematischen Konstellation selten definiert wird und 3. den Fragen nach Macht, Zugänglichkeit und Repräsentation von minoritären Gruppen eine wichtige Aufgabe zukommt, die es in ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit zu erforschen gilt.
EXKURS: VOM TEILNEHMEN ÜBER DAS TEILHABEN ZUM TEILGEBEN Solch eine Diskussion findet mithin im Kontext einer anderen Begrifflichkeit, nämlich jener der Teilhabe, statt. Diesen Begriff hat das Forschungsprojekt nicht explizit als eine Kategorie der Beobachtung etabliert, da er politisch aufgeladen ist und sich als heuristisches Mittel als nicht differenziert genug erweist. Das bedeutet aber keinesfalls, dass es nicht viele Beispiele gibt, die unter diesem Schlagwort diskutiert werden könnten. Forschung zu kultureller Bildung kann und sollte eine Diskussion dieses Begriffs nicht umgehen. Daher wird in diesem Exkurs danach gefragt: Welche Teilhabe- bzw. Partizipationsverständnisse lassen sich im Feld kultureller Bildung (und Tanz) erfassen? Was verstehen Einzelne darunter und welche theoretischen Referenzsysteme werden in der Diskussion herangezogen? Die Ermöglichung von ›Teilhabe‹ ist allgegenwärtig in den Diskursen zu kultureller Bildung und grundlegend für ihre Bedeutungskonstitution (Fuchs 2017; Mörsch 2017; Barthel 2019; Witt 2017: 21).2 Dabei ist weit mehr gemeint als ›teilzunehmen‹, denn Teilhabe wird meist dezidiert von ›teilnehmen‹ unterschieden, welches als passiver verstanden wird. Trotz solch einer übergreifenden Prämisse erweist sich der Begriff der Teilhabe und der oft synonym verwendete Begriff der Partizipation in Forschung
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Der folgende Textabschnitt ist in veränderter Form bereits zuvor erschienen unter: Yvonne Hardt (2022): »Teilnehmen – Teilhaben – Teilgeben. Eine kritische Reflexion von Diskursen und Praktiken der Partizipation im Tanz«, in: Bayraktar et al. (Hg.): Tanzen/Teilen – Sharing/Dancing, Bielefeld: transcript, 165-180.
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und Praxis jedoch wenig einheitlich und zeichnet sich durch eine ideologische Aufladung aus. So sieht Zirfas den Begriff der Teilhabe als anfällig für »Inszenierungen pädagogischer Symbolpolitik« (Zirfas 2015: 9). Obwohl Teilhabe und Partizipation – letzterer Begriff wird dabei vor allem in der Praxis gebraucht – somit zentrale Diskursplayer des Feldes sind, werden sie selten analytisch scharf verwendet. Auch in unserer Forschung stellen sich Fragen nach konkreten Aneignungsprozessen, in deren Rahmen unterschiedlichste Varianten von Teilhabe ausdifferenziert werden können, als spezifischer und blickschulender heraus. Ungeachtet dessen haben Teilhabe und Partizipation seit den 1970er Jahren einen hohen Stellenwert in Debatten und Forderungen nach Chancengleichheit und Mitbestimmung in der kulturellen Praxis. Darüber hinaus sind sie in der letzten Dekade von tanzpädagogischen sowie tanzkünstlerischen Praktiken bewusst aufgegriffen worden und haben diese verändert. Doch welche Teilhabe- bzw. Partizipationsverständnisse und welche dazugehörigen Praktiken lassen sich im Feld Tanz und kulturelle Bildung erkennen? Was verstehen Einzelne darunter und welche theoretischen Referenzsysteme werden in der Diskussion herangezogen? Wie lassen sich Vorstellungen des Teilens und der Teilhabe theoretisch und empirisch in ihrer Verschränkung verstehen und erweitern? Solche Fragen werden, wenn überhaupt, nur rudimentär und anhand einzelner Beispiele diskutiert. Dieser Exkurs möchte daher nach einer kurzen kritischen Auswertung von Literatur zu Teilhabe und Partizipation (im Tanz), in einem zweiten Schritt die dort artikulierten Vorstellungen in die Diskussion mit zahlreichen empirischen Beobachtungen bringen. Dabei gilt es, nicht nur die Vielfalt und Komplexität, sondern auch die darin inhärenten normativen Setzungen von Konzepten und Praktiken der Teilhabe offen zu legen. In einem weiteren Schritt wird dann in Anlehnung an Erin Mannings (2009) und André Lepeckis Gedanken zum Leadfollowing (Lepecki 2013) sowie Shannon Jacksons (2011) Diskussion zu Kunst als sozialer Praxis und Arbeit argumentiert, dass den Begriffen und den darin inhärenten Konzepten, jener Begriff des Teilgebens hinzugefügt werden sollte. Indem noch einmal auf das historische Beispiel von Jenny Gertz Arbeit (Kapitel 1 u. 4) zurückgegriffen wird, kann die Dichotomie zwischen aktiv und passiv, welche der Diskussion von Teilhabe zumeist zugrunde liegt, kritisch dekonstruiert werden.
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Normative Setzungen von Teilhabe und Partizipation Teilhabe wird zumeist als Ziel und Mittel zugleich verstanden, d.h. Teilhabe wird als Grundvoraussetzung für Zugänge zu Gesellschaft, zu einem politischen Verständnis und zum Umgang mit kulturellen Codes gesehen (Fuchs 2017: 52). Zugleich ermöglicht Teilhabe an (künstlerischen) Prozessen genau jene Aneignung von sozialen, künstlerischen und allgemeinen, sich selbst bildenden Kompetenzen, die wiederum auch in anderen Feldern als notwendig für Teilhabe erachtet werden (Witt 2017). Eines der zentralen Probleme sei dann die Identifikation und Behebung von »Scheinpartizipation« (BKJ 2013). Damit werden bereits die normativen Setzungen, die zwischen ›richtiger‹ oder ›wahrer‹ Teilhabe und solcher, die diese Standards nicht erfüllen, indirekt aufgerufen. Im Folgenden werde ich – auch um die Diskussion des Begriffs einzuschränken und zugleich kritischer zu konturieren – primär nach den (impliziten) Normen und Setzungen von Teilhabe sowohl in Theorie als auch in Praxis fragen: Wie und was wird als ›legitime‹ Form der Partizipation oder Teilhabe angesehen? Aus welchem ›Milieu‹, in welchem Kontext, mit welchen Interessen werden die jeweiligen Standards entwickelt? Eine grundlegende These, die diese Fragestellungen fundiert, ist, dass es kein ›universelles‹ Verständnis von Teilhabe und Partizipation gibt. Unter den beiden Begriffen ist kein Gut zu verstehen, das grundsätzlich in einer spezifischen Form erlangt bzw. praktiziert werden kann. Teilhabe und Partizipation sind nur in der Verschränkung von Fragen nach den in ihnen angelegten und oft impliziten Wertmaßstäben, den Gruppenkonstellationen, den künstlerischen Verständnissen der Teilnehmenden und im jeweiligen Kontext zu verstehen. So selbstverständlich diese These klingen mag, so bietet es sich doch an, ihre Bedeutung anhand von Literatur und Beispielen aufzuzeigen. In der Problematisierung von Partizipation und Teilhabe im Tanz wird bisher vorrangig danach gefragt, ob sie stattfindet oder nicht, bzw. warum nicht: Welche Hemmschwellen/Barrieren gilt es wie zu überwinden? Welche Frustrationen können entstehen? Welche Aspekte sind für eine gelingende Teilhabe mitzudenken? Was passiert, wenn Teilhabe nur scheinbar ermöglicht wird? (Barthel 2019; Eger 2015) So wichtig diese Fragen sind, so bleiben damit Fragen nach dem jeweiligen zugrundeliegenden Teilhabebzw. Partizipationsverständnissen meist unberührt. Anstatt jedoch, wie Zir-
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fas, primär eine Lücke zwischen einer Theoretisierung von Teilhabe auf der einen und der Praxis auf der anderen Seite als Ursache für eine fehlende begriffliche Schärfe zu konstatieren (Zirfas 2015), möchte ich zunächst den Fokus auf die Theoretisierung selbst – auch im Kontext politischer Begründungsstrategien – lenken. In vielen pädagogisch wie auch ›politisch‹ motivierten Thesen und Formulierungen zu Teilhabe im Kontext kultureller Bildung wird indirekt angenommen, dass es per se Kunst oder gar die Subjekte schon gibt, die dann in Aktion versetzt werden und idealtypischer Weise die Selbstaktivierung erlernen. Auch wenn an einigen Stellen zwar auf die Wechselwirkung von Aneignung und Gestaltung aufmerksam gemacht wird (Witt 2017: 27), so ist doch der grundlegende Ton von einer zumeist gar nicht bewusst gewählten essentialisierenden Begriffswahl geprägt. Dies wird in so basalen Formulierungen auffällig wie: »Wir müssen allen Menschen Zugang zu kultureller Bildung eröffnen!« Oder in der Idee, dass es ein Recht auf Zugang des Einzelnen zu Kunst, Kultur und Bildung gibt, die auch in Gesetzen und Richtlinien verbrieft sind (z.B. Art. 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Art. 31 der Kinderkonvention und Art. 10 der UNESCO Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt, dt. Grundgesetzt Art. 2 – Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit). Diese Vorhaben und Rechte sollen hier keinesfalls kritisiert werden, jedoch bergen sie theoretisch problematische Konstrukte, die in der Forschung nicht einfach übernommen werden sollten. Denn Subjekt, Kunst/Kultur und Teilhabe werden in solchen Partizipationsverständnissen als voneinander getrennte und unabhängig voneinander bestehende Entitäten gedacht, die erst in Angeboten z.B. kultureller Bildung zusammengebracht und gefördert werden. Doch solch eine Trennung ist vor dem Hintergrund praxeologischer und bildungstheoretischer Forschungsperspektiven, welche die wechselseitige Entwicklung von Selbst und Welt und deren Transformation als zentrale Parameter von Subjekt- und Bildungsprozessen begreifen, zu problematisieren (Koller 2011; Alkemeyer/Buschmann 2017; Stern 2019). Wenn Teilhabe als intersubjektive und interobjektive Praktik erst im Vollzug realisiert und hervorgebracht wird, wenn sie sich gruppendynamisch in den jeweiligen Konstellationen anders ereignet, sollte sie als dynamischer Prozess und nicht im Sinne von Entitäten gedacht werden, die zusammengebracht werden.
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Darüber hinaus gibt es einen weiteren Aspekt in der Diskussion um Teilhabe, den es hier genauer zu befragen gilt: nämlich die oft artikulierte Vorstellung, die Teilhabe als ›aktiv‹, ›selbstermächtigend‹ und ›reflektierend‹ begreift (Witt 2017). Diese Vorstellung von Teilhabe finden wir in zahlreichen Publikationen und institutionellen Leittexten als grundlegend wünschenswert und quer zu den unterschiedlichen Ebenen der politischen und künstlerischen Definitionen, wie ich sie gerade vorgestellt habe (Hübner et al. 2017). Mit dieser Vorstellung von Teilhabe geht eine dichotome Teilung zwischen passiv und aktiv einher, wobei die Aktivität als das Wünschenswerte gilt – wohlgemerkt in den gut gesteckten Vorgaben, die mit Begriffen wie »sozialer Angemessenheit« oder »Fähigkeit zur Solidarität« bezeichnet werden (Lohrenscheit 2013). Dieser Einschub wird gerne in politisch motivierten und auch bildungstheoretischen Schriften zu Partizipation gemacht. Hingegen geschieht dies selten in den Begründungstexten kultureller Bildung im Tanz. Vielmehr sind solche normativen Einschränkungen eher implizit in den Praktiken und deren Einschätzungen zu finden. Wie ›aktiv‹ und ›selbstermächtigend‹ dürfen Teilnehmende also sein? Welche Normen sind in Bezug auf Teilhabe wie und wo am Werk? Welche Bedeutungsvielfalt und Komplexitäten zeigen sich in der Praxis und ihrer Interpretation? Diese Fragen möchte der folgende Abschnitt nun an Beispielen diskutieren. Negativbeispiele können sich dabei sehr gut eignen, Wertmaßstäbe und Normen transparent zu machen und sind nicht als Kritik an der Praxis gemeint, sondern Produkt von Kontingenz und auch Fehlbarkeit künstlerischer Prozesse, die mithin genau dafür Raum geben. Teilhabe in der Praxis differenzieren In einem beobachteten Workshop mit Jugendlichen mit abschließender Präsentation übernahm kurz vor Ende des Projekts eine teilnehmende Person immer mehr die ›Regie‹ und trat sehr viel stärker als andere in Entscheidungen hervor. Sicherlich lässt sich konstatieren, dass diese Person sehr aktiv, selbstermächtigt und gestalterisch war. Aber in dem Maße, in dem diese Person mehr machte, wurden die anderen immer passiver (inklusive der Workshopleitung). Weder die anderen Teilnehmenden noch die beobachtenden Personen fühlten sich mit dieser Situation wohl und sahen diese Form von Selbstermächtigung eher kritisch und übergriffig. Die
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Wertmaßstäbe, die solch einer kritischen Einschätzung zugrunde liegen, lassen sich mit Fragen nach Angemessenheit und Adaptierbarkeit beschreiben, wie sie in anderen Kontexten z.B. auch im Rahmen von allgemeiner Grundforderung der Bildung zur Solidarität oder Empathie, der UNMenschrechtskonventionen oder in Bezug auf das Grundgesetzt thematisiert werden (Witt 2017). Auch in Diskussionen zu Teilhabe im Tanz müsste – um die impliziten Standards deutlich zu machen – also hinter Begriffen wie ›aktiv‹, ›gestalterisch‹, ›selbstermächtigend‹ immer schon ein ›in Grenzen und im Rahmen weiterer sozialer Ziele‹ gesetzt werden. Doch wer setzt diese impliziten Rahmen? Wann und in welchen Kontexten werden sie durchgesetzt, wann übernehmen die Dynamiken der Projektprozesse? Wieso scheinen Einschränkungen der Partizipation und Vorgaben tendenziell negativ? Ein anderes Beispiel zeigt die Komplexität solcher Wertmaßstäbe und Setzungen deutlich auf. In einem großangelegten Projekt hatten teilnehmende Schüler*innen unter streng hierarchischen Vorgaben zu arbeiten. Es gab eine klare Rollenaufteilungen zwischen den Tanzvermittelnden (BadCop, Good-Cop). Das Prinzip der Teilhabe – wenn es denn so genannt werden sollte – war eines des Erlernens von Schritten und Einordnen in die Gruppe. Schüler*innen wurden angeschrien, des Raumes verwiesen und zu harter Arbeit aufgefordert. Aus der Sicht der klassischen Teilhabediskussion wären hier ggf. Kriterien der Zugänglichkeit und Verfügbarkeit, die in diesem Sinne gedacht werden könnten. Es wurde aber weder das Geschehen reflektiert, noch brachten sich die Schüler*innen gestalterisch ein (es gab wenige Ausnahmen: z.B. durften sie an einer Stelle unterschiedliche Sprünge vorschlagen), noch kann das didaktische Setting als offen für Mitbestimmung gesehen werden. Schüler*innen waren Ausführende in einem Bühnenprojekt und die zentralen und wichtigen Partien wurden von Externen bzw. den Tänzer*innen der Kompanie getanzt. Die Einschätzung von Lehrer*innen der Schule zu diesem Projekt waren jedoch zumeist positiv (»Der sagt den Schülern mal, wo es langgeht«). Doch daraus lässt sich nicht zwangsläufig schließen, dass hier nur eine spezifische Form von Teilhabe avisiert und realisiert wurde. In der Gesamtkonstellation zeigt sich das Beispiel als komplex, denn das System der Vermittlung des Projekts war darauf ausgerichtet, mit den zu rechnenden Widerständen oder Problemen der Schüler*innen umzugehen und diese zu kanalisieren. Das Set-up war also durchaus von ihnen ge-
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prägt. Zudem ist nicht sicher, welche Bildungsprozesse Schüler*innen hier durchliefen – vielleicht tat es einigen gut, sich körperlich zu stärken, sich in eine Gruppe einzufügen und dafür Hilfestellung und Disziplin zu erlernen. Das kann in bestimmten Kontexten sicherlich transformative Wirkungen haben und somit als bildungsrelevant gelten und aktivierend sein. Auch können die einzelnen Widerstände von Schüler*innen durchaus als Hinweis auf Selbstermächtigung gelesen werden: Widerstände sind nicht per se negativ, sondern auch Anlass von Partizipations- und (erst recht) Bildungsmöglichkeiten. Dieses Beispiel wirft Fragen danach auf, in welchen Konstellationen welche Formen und Angebote für wen Anlass und Möglichkeiten zur Teilhabe generieren. Unterschiedliche Kunst- und Aktionsfelder können andere Formen der Teilhabe möglich machen (Zirfas 2017: 32) und somit auch immer feldspezifische Kriterien aufrufen. Es geht also darum zu fragen, aus wessen Blickwinkel und wie dieses Beispiel hier ggf. weniger mit dem Verständnis zeitgenössischer künstlerischer Praxis und den damit aufgeworfenen Möglichkeitsräumen von Teilhabe zu tun hat. Während einige solche Projekte aus pädagogischer Perspektive (Klinge 2010), andere aufgrund verlorener ästhetisch-künstlerischer Potentiale kritisch betrachten, nutzen wiederum andere gerade solche Projekte medienwirksam in Präsentationsarenen. Denn sie eignen sich dafür, politische Teilhabe durch kulturelle Bildung unter dem Schlagwort ›Community Dance‹ populär zu vermitteln. Auch das muss nicht nur negativ gewertet werden: In vielerlei Hinsicht wird hier ein Prinzip der institutionalisierten, auch kommerzialisierten Kunstwelt reproduziert und es ist auf diese Weise ein Wissen und eine Erfahrung, sich Arbeitsweisen dieser Kunstwelt anzueignen. Nur scheinen hier offensichtlicher die ›impliziten‹ Standards, was als aneignungswürdig, was als aktive Gestaltung verstanden wird, nicht erfüllt zu werden (was zu sehr viel mehr offenem Protest und Kritik führt), während diese angelegten Standards und Werte in anderen Kontexten nicht so auffällig sind und Widerstand schwieriger ist, wie das nächste Beispiel verdeutlicht. In einer Ausbildungsklasse für zukünftige Tanzvermittelnde herrscht beispielsweise eine sehr offene und entspannte Stimmung. Die Hierarchie ist bewusst flach gewählt und die Studierenden wissen in dem Fall, dass sie Eigenverantwortung für die Vermittlungseinheit und die Gestaltung der daraus entstehenden Formen übernehmen müssen. Dies ist unausgesprochen (zumindest in den beobachteten Einheiten) und scheint doch allen klar zu
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sein. In Interviews bezeichnen Studierende dies mithin allerdings als Druck, der sie zwingt, Dinge zu tun – eher als dass sie aus ihrem eigenen Antrieb entstehen. Freiheit bedeutet hier also keinesfalls das Gefühl der Selbstermächtigung. Vielmehr ist es eine Erwartungshaltung und ein Standard geworden, eigenständig arbeiten zu müssen. Dass zu viel Freiheit problematisch sein kann, ist bereits ein Allgemeinplatz in der Praxis und der Unterrichtsforschung, die für eine Balance zwischen Vorgabe und eigenständiger Arbeit plädiert (Hardt/Stern 2014). Allerdings haben diese Studierenden bereits Strategien und Kompetenzen gelernt, sich selbst Einschränkungen zu setzen. Diese kompetenzbasierte Wissensvermittlung scheint dabei ebenso Vorgaben zu machen, die sich kaum von anderen Formen unterscheiden, die viel offensichtlicher mit ›Druckmachen‹ verbunden sind. In diesem Kontext waren aber durchaus Möglichkeiten des Nichts-Tuns bzw. der Aus-/Unterlassung als zentrale künstlerische und reflexive Aspekte zu sehen, die sich eher bildungstheoretisch deuten und zudem ein dichotomes Schema von passiv und aktiv in Bezug auf Teilnahme kritisch befragen lassen. Doch auch hier gilt Vorsicht: Eben solchen künstlerischen Strategien, wie sie in zeitgenössischen Settings häufiger zu beobachten sind, per se transformative Bildungspotentiale zuzuerkennen (weil sie bekannte Ordnungs- und Erwartungshaltungen brechen), kann auch klare Normen etablieren. Nämlich dann, wenn das Still-Stellen, das Aushalten (oder Lernen auszuhalten), die kritische Kontemplation, die Verzögerung und Erschwerung von Wahrnehmung (zentrale Beispiele ästhetischer Bildungstheorien) zum Standard werden, der letztlich eine stabilisierende Wirkung auf ein System hat, das kritische Selbsterhaltungsreflexion stetig zur Erneuerung und zum dynamischen Erhalt von neoliberalen Prinzipien bedarf (Boltanski/Chiapello 2003). Welche Prämissen lassen sich also aus diesen Beobachtungen zu Teilhabe ziehen? Welche Paradoxe und Komplexitäten ergeben sich im Spannungsfeld von Kunst, Teilhabe und Bildung? Zwar wird Kunst oft Kontingenz zugesprochen und die damit einhergehenden Unsicherheiten, Irritationen und Befragungen von Gewissheiten werden als zentrale Elemente gesehen, die das Erlernen von teilhabeorientierten Kompetenzen in einer modernen Gesellschaft befördern (Witt 2017), doch oft stellen sich künstlerische Prozesse als weit weniger offen bzw. anders offen dar als an-
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genommen. Mehr noch: Sowohl innovative Kunst als auch politischer Aktivismus haben sich nicht immer durch eine konstruktive Partizipation ausgezeichnet. Das Sich-selbst-Verletzten im Namen der Kunst oder das Blockieren von Straßen ist oft als unerträglich dargestellt worden und erregt zuletzt durch das Festkleben von Protestierenden hohe Aufmerksamkeit. Was haben also Begriffe wie Zugänglichkeit, Angemessenheit, Verfügbarkeit und Adaptierbarkeit – wie sie in der Definition auch auf politischer Ebene angeführt werden (Lohrenscheit 2013) – mit lustvoller, grenzüberschreitender, widerständiger, aufmüpfiger, wütender, künstlerischer Praxis zu tun? Teilhabe und Partizipation haben scheinbar wenig gemein mit provozierenden Kunstformen – sondern sind primär darauf ausgerichtet, Menschen sozial handlungsfähig, aber auch anpassungsfähig an die Gesellschaft zu machen (ohne dass das per se negativ sein muss). Aber es würde sich an mancher Stelle lohnen, genauer hinzuschauen und kritisch zu fragen, ob es bei dem Primat der Teilhabe nicht primär um das Ziel der Adaptierbarkeit geht. Da die Standards dieser Anpassungsleistung weit weniger transparent sind, können sie hinter einem Diskurs um aktive, selbstermächtigende, gestalterische Zugewinne für den Einzelnen verborgen bleiben (Zirfas 2017). Spannenderweise scheint eben dieser Diskurs ansprechend für Konzeptpartner*innen, Tanzvermittler*innen und Teilnehmende zu sein, weil sie das relationale Gefüge der Vermittlungssituation – das sich für den einzelnen Teilnehmenden wahrscheinlich keinesfalls immer nur aktiv, selbstermächtigend und gestalterisch anfühlt – nicht mit Fragen nach Vorgaben, Macht, Einordnung, Führung (die oftmals negativ konnotiert sind) belasten müssen. Und werden diese Begriffe thematisiert, so geschieht dies oftmals in der Annahme, dass in der jeweiligen Vermittlungssituation mit flachen Hierarchien gearbeitet wird. So werden in Kontexten, in denen offene Lehrund Lernkonzepte vorherrschen, in denen sich Tanzvermittelnde selbst primär als ›Ermöglicher*innen‹, ›Initiatior*innen‹, ›Faciliators‹ begreifen, vor allem die Andersartigkeit zu klassischen Machtgefügen herausgestellt und weniger die eigenen Settings daraufhin befragt. Zudem wird im Feld bezüglich Teilhabe und Hierarchie mit einem anderen Konzept bzw. anderen Begrifflichkeit gearbeitet – nämlich der Vorstellung und dem Ziel, »Menschen auf Augenhöhe« zu begegnen (Barthel 2019: 244). Damit ist der Gedanke verbunden, dass die Teilnehmenden als gleichwertige Partner*innen im Prozess angesehen werden, deren Interessen, Wissen, ›Input‹ und Kompetenzen jeweils wahrgenommen und gestalterisch bedeutsam
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sein sollen. So wichtig diese Aspekte der Mitbestimmung und auch Anerkennung des Wissens und Potentials von allen Beteiligten ist, so birgt das Konzept und die Formulierung doch auch Probleme in sich. Es ist ein weiteres Mal Ausdruck einer möglichen Strategie, Konflikte zu vermeiden, wie es sich in unseren Beobachtungen abzeichnete. Denn wenn in Vermittlungssettings postuliert wird, dass »wir uns auf Augenhöhe« begegnen, entsteht die Gefahr, dass die inhärenten Machtstrukturen, die auch den Akt prägen, sich auf die gleiche Höhe einzulassen, außer Blick geraten. Es sind nicht die Schüler*innen eines Projekts, die sich auf die Höhe der Vermittelnden begeben. Sich auf Augenhöhe zu bewegen, bezeichnet eine methodische und erfahrungsbasierte Kompetenz, die gerade um die Differenz weiß. So basiert die Metapher der Blickhöhe auf einer Höhe, die von den Vermittelnden ausgeht und einer Differenz, die von ihnen eingeschätzt wird. Es soll in der kritischen Perspektive auf die Metapher der Augenhöhe nicht darum gehen, die damit verbundenen pädagogischen Prämissen über Bord zu werfen, z.B. das ernsthafte und respektvolle Interesse für Teilnehmende und ihre Belange und das Wissen um ihre Kompetenzen und Kreativität. Jedoch ist es beispielsweise eine Erfahrungskompetenz, darum zu wissen, dass viel mehr möglich sein kann, wenn alle Teilnehmenden sich einbringen können, als es eine einzelne Person vorgeben kann. Es gibt keine machtfreien Räume in Vermittlungskonstellationen, aber es gibt im beschränkten Maße die Möglichkeit, durch bereits ausgebildete Kompetenzen Räume, Atmosphäre, Prozesse so mitzugestalten, dass sie für andere Spielräume eröffnen, Konflikte und Aushandlungsprozesse als divergent und kontingent zulassen. In der Diskussion um Augenhöhe schwingt nicht nur eine positive Grundhaltung gegenüber allen Teilnehmenden mit, sondern in einigen unserer Beobachtungen war – insbesondere bei Tanzvermittler*innen – ein Unwohlsein damit verbunden, den entsprechenden Erwartungshaltungen nicht gerecht zu werden. Vermittler*innen befinden sich in einer ambivalenten Situation, zum einen aufgrund des Ziels der Ermöglichung von Teilhabe, zum anderen aber auch aufgrund eines Ideals, nach dem sie nicht ›bossy‹ oder ›vorgebend‹ erscheinen möchten. So haben wir Situationen beobachtet, in denen mithin Versprechen gemacht wurden (»darüber können wir später noch entscheiden«), die dann aber nicht eingehalten werden konnten, und Entscheidungen als notwendigerweise gesetzt präsentiert wurden (»das hat die Regie jetzt so entschieden«). Die Verantwortung wird
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so auf Prozesse oder auf abstrakte Konstrukte wie die Regie delegiert, anstatt die Notwendigkeit einer Vorgabe zu erklären oder sich dem Frust der Teilnehmenden zu stellen. Mehr noch: Falsche Erwartungen in Bezug auf Entscheidungsgewalt zu wecken, führte in einigen beobachtenden Konstellationen gerade zu mehr Spannung. Oft ist die Diskussion um ›Augenhöhe‹ auch mit einem weiteren Interpretationsstrang verwoben, der Teilhabe gegen ästhetische Setzungen ausspielt (Hardt et al. 2020). Unteranderem beeinflussten Vermittler*innen ästhetische Entscheidungen zu Dramaturgie, Inhalt oder Ausführung nicht, mit der Begründung, dass es um Selbstbestimmung gehe. Einerseits kann dies dazu führen, dass nicht reflektiert wird, inwiefern auch die Teilnehmenden ästhetische Setzungen mitbringen. Anderseits wird dann nicht so gut erkennbar, dass der Grund dafür, dass die ›Produkte‹, die die Teilnehmenden herstellen, mithin nicht als ›ästhetisch‹ gelten, bereits in der Arbeitskonstellation begründet sein könnte. Die Vehemenz, mit der einzelne Protagonist*innen des Feldes zum Beispiel auf die ›Arbeit auf Augenhöhe‹ oder für ›freies‹ Arbeiten pochen, wie es in einem Gruppengespräch deutlich wurde, lässt sich teils mit den jeweiligen biografischen Reisewegen erklären. Deshalb gilt es zu fragen: Wieso wird ein System der Interaktion ›auf Augenhöhe‹ favorisiert? Was ist in dem jeweiligen Vermittlungskontext damit gemeint und was wird unter diesem Label praktiziert? Wie passfähig ist dieser Ansatz in Bezug auf die jeweilige Gruppe oder Kontext? Welche normativen Vorstellungen und Abgrenzungen werden hier zu anderen Formen der Interaktion vorgenommen? Wie wird darauf reagiert, wenn einzelne Gruppenteilnehmer*innen das avisierte Verhalten auf ›Augenhöhe‹ gar nicht annehmen? (Die Lehrkraft wird z.B. immer noch als Entscheider*in angesprochen; ihr wird das Scheitern von Aufgaben zur Verantwortung gemacht; die Vermittelnde lässt Dingen ihren Lauf, die ihr gefallen und beendet jene Dinge aus zeitlichen Gründen, die ihr nicht gefallen). In den meisten beobachteten Fällen haben Schüler*innen kein Problem damit, Formen der Hierarchie und der Anpassung an eine lehrende Person anzunehmen. Es scheint eher selbstverständlich, dass andere entscheiden, was sie tun oder dass sie Vorgaben machen. Woher kommt also das Zaudern, sich zu trauen, vorgebend oder eingreifend zu sein? Der Diskurs um Augenhöhe und eine idealisierte Vorstellung von Teilhabe oder Partizipation, die scheinbar grenzenlos alles in die Hände von
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Schüler*innen legt, ist somit nicht nur ein theoretisches Problem, sondern auch eines, das die Praxis erschweren und belasten kann, weil es der Komplexität weder von Aneignungs- noch von künstlerischen Prozessen entspricht, die oft weder hierarchie- noch konfliktfrei sind. Erfahrene Künstler*innen und Vermittelnde können über ihre erlernten Fähigkeiten, dies auszuhalten und produktiv zu machen, eine Vorbildfunktion einnehmen und sollten diese Kompetenzen zur Reflexion stellen. Solche Vermittler*innen und Künstler*innen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie in Bezug auf ihre Kompetenzen nicht ›auf Augenhöhe‹ agieren, sondern eine Möglichkeit haben, unterschiedlich zu agieren. (Wobei das ›harte Durchgreifen‹ und Vorgeben oder den Teilnehmenden alles selbst zu überlassen wahrscheinlich die weniger oft gebrauchten Optionen sind).
GEMEINSCHAFTLICHES LERNEN IN HISTORISCHER PERSPEKTIVE UND DIE IDEE DES LEADFOLLOWING Ein Blick zurück in die in Kapitel 1 vorgestellten historischen Praktiken kann zeigen, dass sich eine freiheitliche Vorstellung, die Teilnehmende individuell fördern möchte und ein offenes Zusammenspiel von Bewegung, Gruppe und Individuum, keinesfalls um die Frage drücken muss, wer führt, wer folgt. Die Utopie der sozialen Integration, die Fragen nach Eingliederung und Partizipation aufgreift, ist schon bei den frühen Protagonist*innen des modernen Tanzes in Deutschland zu finden, welche eine klare pädagogische Ausrichtung hatten. Das zeigt sich beispielsweise in der Arbeit von Jenny Gertz. Gertz war – soweit ihre Reflexionen und Fotos ihrer Arbeiten das erkennen lassen – von einer tiefen politischen Vision getrieben, die Schüler*innen (in diesem Fall zumeist Arbeiterkinder aus der sozialistischen Jugendarbeit) durch eine inhaltliche und affizierende Relevanz gewinnen konnte und diese zugleich mit einem ästhetisch revolutionären Tanzverständnis verband (Kapitel 1). Die Kinder sollten die Möglichkeit erhalten, sich durch vielfältige Übungen eine neue Welt zu erschließen. Dabei reichten die Übungen von solchen im Stile Labanscher Bewegungschöre über das Arbeiten an thematischen Aufgaben (z.B. Revolution) bis hin zu von ihnen selbst angefertigten Zeichnungen. Wenn wir den Darstellungen von Ilse Loesch trauen, konnte jede*r den eigenen Bewegungsmöglichkeiten
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entsprechend mitarbeiten (Loesch 1932). Gleichzeitig wurde in den tänzerischen Aufgaben die Gruppe und das Verhältnis von Individuum zu Gruppe vielfältig thematisiert und bearbeitet (Gertz 1926). Wie zahlreiche der im kultursozialistischen Milieu arbeitenden Tänzer*innen der damaligen Zeit – unter ihnen auch Albrecht Knust und Martin Gleisner – reflektierte Gertz dabei das Zusammenspiel der Gruppe (bzw. das, was damals noch Gemeinschaft hieß). Sie postulierte, dass für das Erlernen solch eines Gruppensinns nichts geeigneter sei als die Arbeit im Bewegungschor. Hier würden die Kinder durch das Machen lernen, sich anzupassen und empathisch zu verhalten, da ein Nicht-Folgen der Gruppe bedeutet hätte, sich selbst nicht bewegen zu können. Der permanente Rollenwechsel, der jedes Kind auch einmal in die Führungsposition brachte, schuf Verständnis dafür, dass die Differenzen der Einzelnen (z.B. in Bezug auf Schnelligkeit, Stärke und Körpergröße) mitzudenken waren (Gertz 1926; Loesch 1932). Eben dieses Beispiel ist anschlussfähig an zeitgenössische tanztheoretische Positionen in der Tanzwissenschaft, die jedoch meist wenig im Kontext der Tanzvermittlung rezipiert werden. André Lepecki setzt sich in seinem Artikel »From Partaking to Initiating: Leadfollowing as Dance’s (apersonal) Political Singularity« (2013) zum einen kritisch mit dem Begriff der Partizipation in seiner Etymologie als etwas inhärent ›Passivem‹ auseinander und beschreibt den Diskurs um Partizipation als durchaus politisch zweischneidig. Zum anderen entwirft der Philosoph und Dramaturg in Anlehnung an Erin Manning mit dem Begriff des Leadfollowing (Lepecki 2013) ein Verständnis des Miteinanderbewegens, das dem von Gertz nahe kommt. Leadfollowing setzt voraus, dass es Personen gibt, die die Führung in bestimmten Momenten übernehmen, dies aber nicht möglich ist, ohne die ›aktive‹ Entscheidung anderer, zu folgen – in dem Sinne, dass ein Aufruf zu einer Demonstration keine Demonstration erzeugt, wenn ihr niemand folgt. Vor diesem Hintergrund ist Folgen keinesfalls eine passive Tätigkeit. Sowohl das Führen als auch das Folgen wird dabei spannenderweise als etwas zu Erlernendes, eine Leistung ebenso wie eine Sache der Haltung und Kompetenz definiert. Dies entspricht bildungstheoretischen Überlegungen, die Prozesse des Vermittelns immer als Aushandlungsprozesse begreifen, in denen alle Beteiligten Communities of Learning (Lave/Wenger 1991) und in unserem Kontext vielleicht auch Communities of Dance Making hervorbringen. Hierbei geht es um die Analyse von Konstellationen und weniger um das,
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was der*die Einzelne hat. Dieser Blickwinkel erlaubt es, Probleme, die mit der Vorstellung von Teilhabe einhergehen, wonach zumeist ein ›teilen‹ bedeuten könnte, dass einer weniger hat, dahingehend aufzulösen, dass verstanden wird, dass es die Gruppengefüge sind, die ein ›Mehr‹ als der Einzelne hervorbringen können. Dieses Wissen künstlerischer und vermittelnder Arbeitspraxis sollte dazu animieren, in den Diskurs der Teilhabe verstärkt Dimensionen des ›Teilgebens‹ einzubeziehen, wie es für andere Forschungsbereiche im Feld kultureller Bildung bereits geschieht (Fuchs 2017: 46; Seitz 2017). Nur wenn Einzelne oder Gruppen bereit sind zu geben (ihre Zeit, ihre Kompetenz, ihr Vertrauen zu folgen oder Vorschläge zu machen, zu wagen oder auch sich zurückzunehmen), gelingen besondere künstlerische wie teilhabende Momente und Prozesse. In diesem Sinne sollten die Begriffe des Teilnehmens und Teilhabens um jenen des Teilgebens ergänzt werden. Solange das Einfügen, das Unterstützen, das Folgen und Rahmen als etwas Passives, konträr zur Selbstermächtigung und mithin als kleinere, weniger kreative, einschränkende Leistungen verstanden werden – und nicht als die zentrale, harte und herausfordernde Arbeit anerkannt wird, die Tänzer*in, Choreograf*in, Vermittelnde, Teilnehmende einbringen, mag der Diskurs um Teilhabe indirekt einem älteren, durchaus patriarchalen, noch vom Geniegeist geprägten Kunstverständnis auf den Leim gehen. In ihrem Buch Social Works. Performing Art, Supporting Publics dekonstruiert Jackson (2011) entgegen einer solchen Auffassung dezidiert jene Grenzen zwischen sozialer und künstlerischer Arbeit, indem sie einerseits Kunstprojekte analysiert, die solche Grenzen in Frage stellen und andererseits kritisch Kunstdiskurse bespricht, die gerade im Verweis auf Theorien der Avantgarde, des ständigen Auflösens und Werdens, jene Akte ausblenden, die sehr reale, physisch bleibende wie auch unterstützende Elemente des Kunstmachens ausblenden. Die Frage nach der CareArbeit, die tanzkünstlerische und tanzvermittelnde Prozesse und Projekte ermöglicht, gilt es also mit zu thematisieren. Anstatt also danach zu suchen, ob Partizipation stattfindet, könnte es zielführender sein zu fragen: Welche Haltung zeigen die Einzelnen zueinander? Welche Hierarchien gibt es? Wie empfinden die Teilnehmenden ihre Eigeninitiative? Dies kann besonders da relevant sein, wo sie zur Norm wird. Welche Ideale von ›passiv‹ und ›aktiv‹, von Gestalten und Mitgestalten werden dabei aufgerufen? Was wird für Teilhabe in Gruppenprozesse getan und wie? Wie wird mit ›abweichendem‹,
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dominierendem oder zurückhaltendem Tun umgegangen? Wann verschieben sich Ordnungen der Entscheidungsgewalt? Inwiefern fallen Kompetenz und Selbstermächtigung zusammen oder nicht? Wie wird Partizipation verbal und reflexiv verhandelt? Mit welchen Metaphern wird Teilhabe umschrieben (z.B. auf Augenhöhe: »Wir alle sind Teil des Teams«, oder: »Wir teilen hier die Verantwortung«)? Was ist der Unterschied zwischen ›Raum geben‹ für die eigene Selbstermächtigung und ›zu viel Offenheit‹?
VERMITTLUNG UND ANEIGNUNG IN DER VERSCHRÄNKUNG AUFSCHLÜSSELN In der vorangegangenen Diskussion zu Teilhabe ist deutlich geworden, dass es einer Analyse bedarf, die Vermittlungs- und Aneignungspraktiken in ihrer Verschränkung und gegenseitigen Hervorbringung perspektiviert. Mit der Fokussierung auf Teilhabe werden vor allem bestimmte Aspekte der Aneignung thematisiert, die die ›offensichtlichen‹ Dimensionen der Selbstermächtigung erfassen, wie sie durch Aufgaben auf einer konzeptionellen Ebene oder in erfassbaren Gestaltungsfreiheiten der Teilnehmenden sichtbar erscheinen. Wie lassen sich nun diese Aufgabenstellungen als einen zentralen Teil von kulturellen Bildungsprojekten, genauer auch in Bezug auf Fragen der Aneignung hin analysieren? Wie verhält sich dabei eine mögliche Konzeption von Aufgaben und Angeboten zu den praktischen Vollzügen? Wie lässt sich Aneignung also aus einem praxeologischen Verständnis erfassen? Aufgaben stellen, bearbeiten, variieren, unterlaufen Ein solches praxeologisch informiertes Verständnis von Aufgabenstellung oder Aufgabenstellen hat Barthel entwickelt (2017, Kapitel 3). Die von Barthel vorgestellten Dimensionen oder Kategorien, die das Aufgabenstellen im weitesten Sinne aus einer Perspektive des Machens (doings) beschreiben, sind grundlegend so konzipiert, dass sie auch die Aufnahme, Umwandlung, Anpassung von Aufgabenstellungen bereits immer mitbedenken: Einbringen, Aufgreifen, Ableiten, Formulieren, Berühren und Strukturieren – die von ihr eruierten Kategorien, welche Aufgabenstellen
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ausmachen – sind zwar in den meisten Konstellationen zunächst Tätigkeiten, die von Lehrenden, Künstler*innen oder Settings ausgehen, doch werden sie ebenso von der Seite der Teilnehmenden gedacht: Beispielsweise wenn Teilnehmende das Material aufgreifen und variieren, eigene Ideen einbringen, über Fragen und Nachfragen (formulieren), Klärungen oder Veränderungen von Aufgabenstellungen herbeiführen oder Vorgaben zur zeitlichen Struktur bewusst oder unbewusst verändern (Barthel 2017: 113). Aus dieser Systematisierung lassen sich zentrale Fragen eruieren: Was passiert in diesen Prozessen, die sich als Aufgabenstellen und somit auch im Arbeiten mit Aufgaben zeigen? Wie werden Aufgaben gestellt und wie werden sie aufgenommen? Welche Rolle wird den Lernenden zugesprochen, welche Räume und Verfahren erarbeiten sich Teilnehmende selbst? Wird das zu Lernende vorbereitet, eingeführt, kleinteilig zergliedert in einer chronologischen Reihung von leicht/klein zu schwieriger/größer/komplex vermittelt? Werden Ideen vorgestellt und dann ausgeweitet? Oder wird das Material erforscht – erst als Ganzes, dann zergliedert? Folgt die Auseinandersetzung mit dem Material einer ›Logik des Materials‹ oder wird das Interesse von außen herangetragen? Mit welchen Formen des Feedbacks wird zu den Aufgaben gearbeitet? Das sind Fragen, die durch Barthels Perspektive gefördert werden. Begriffe wie das »Einbringen« oder »Klären« erlauben so, zahlreiche Aktionen in ihrer Verschränkung von Vermittlung und Aneignung zu erfassen. Barthel hat mit dem Eruieren dieser »Ethnomethoden« des Feldes (Kapitel 3) oft etablierte Begriffe wie Vorgeben, Aufgeben oder Erklären vermieden und sie als Teilaspekt größerer Zusammenhänge und Konstellationen aufgezeigt. Allerdings suggeriert ihre Begriffswahl ein eher friedliches Miteinander in solchen Prozessen. Phänomene wie das Widerstehen oder Ablehnen werden damit nicht sofort oder eher randständig assoziiert. Zudem könnten Begriffe wie Einbringen oder auch Klären unter anderem suggerieren, dass eine intentionale Auswahl der Sprache getroffen wird, welche gut gewählt oder ausgewogen ist. Zwar beschreibt Barthel unter diesen Begriffen eine Vielzahl von Aktivitäten, die auch Konflikte darstellen, doch bleiben primär konstruktive Tätigkeiten im Fokus der Studie und somit auch eine gewisse Intentionalität. Aktivitäten wie stören, laut sein, wegbleiben, desinteressiert sein, abfällig kommentieren, des Raumes verweisen, ausgrenzen, kommen dabei nur peripher in den Sinn. Wieder einmal gilt es also zu fragen, wie die Kategorien, mit denen wir arbeiten oder
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die wir aus dem Material der Beobachtungen ziehen, uns etwas entdecken lassen oder nicht. Wie prägen unsere Haltung, unser Involviertsein, unsere Parteinahme für bestimmte Praktiken solche Kategorienbildung und Wahrnehmungen? Dies sollten wir in der Analyse mitbedenken und ein Transparentmachen dieser muss keinesfalls zu einem Verwerfen der Begriffe führen. Für jene, die verstehen wollen, wie komplex Aufgabenkulturen im zeitgenössischen Tanz sind, kann Barthel hier mit ihren zahllosen Beispielen, Unterkategorien und Fragen eine sehr zielführende Lektüre sein. Auch das Fördern einer konstruktiven Haltung, die das Geschehen trotz konfliktreicher Situationen als eine Form von Klären oder Aushandeln positiv perspektiviert, kann sehr zielführend für die Forschung und die Praxis sein. Die folgenden Fragen zielen daher einerseits darauf ab, jene Aneignungspraktiken weiter aufzuschlüsseln und andererseits, die Konfliktpotentiale und Differenzerfahrungen von Aufgabenstellungen in der Verschränkung mit Prozessen ihrer Aneignung verstärkt in den Blick zu rücken. Wie lassen sich Vermittlungskonstellation in ihrer Komplexität aufschlüsseln? Was genau macht eine jeweilige Vermittlungskonstellation aus? In welchem Rahmen, mit welchen Teilnehmenden, in welchen Settings werden Menschen wie in Tanz involviert? Welche Formen von Angeboten oder Aufgaben gibt es: Was genau macht eine Aufgabe, ein Angebot aus? Dabei ist zu betonen, dass ›Aufgabenstellung‹ hier ein sehr breites Spektrum an Verfahren abdecken kann. Tänzer*innen und Vermittler*innen reden hier mitunter von so unterschiedlichen Dingen wie Übungen, Kombinationen, Tasks, Scores, Explorationsräumen oder Laboratorien. Nach der Spezifik von Aufgabenstellungen zu fragen, rückt also gegebenenfalls auch solche Phänomene in den Blick, die nicht klassisch vorgebend sind oder im Sinne einer abgeschlossenen Einheit zu verstehen sind. Insbesondere in informelleren Settings oder als ungewollter Teil von gestellten Aufgaben können auch Zufälle, Provokationen, Auslassungen dazu dienen, Vermittlungsangebote zu machen oder sich schlicht als solche ergeben. Welche Methoden der Aneignung werden dabei vorgeschlagen oder angeboten? Dazu können eine Vielzahl von Praktiken wie Vormachen/Nachmachen, Feedback unter Peers und das Initiieren von Bewegungsqualitäten ohne eine bestimmte Form gehören. Welche Einschränkungen und Parameter setzt die jeweilige Aufgabe oder das jeweilige Angebot? Welche Formen der Beschränkung und Offenheit
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werden implizit und explizit gesetzt? Inwiefern sind es auch die Teilnehmenden, die Beschränkungen in Aufgaben sehen, die gar nicht explizit gesetzt werden? Welche Bedeutung haben körperlich-sinnliche Dimensionen in einer Aufgabenstellung? Wie werden Aufgabenstellungen formuliert, die diese ansprechen? Werden andere Mittel und Interaktionsräume benötigt oder dadurch eröffnet? Wenn ein Bewegungsmaterial vorgegeben wird: Wie wird dieses Material vermittelt und angeeignet? Welche Aspekte werden hervorgehoben, welches Tanzverständnis wird darin zum Ausdruck gebracht (z.B. Tanz als Schrittemachen, Tanz als Ausdruckmedium, Tanz als Erfahrungsraum)? Wie wird das Bewegungsangebot räumlich und rhythmisch gestaltet und zergliedert? Welche der benannten Aspekte werden von den Teilnehmenden aufgegriffen? Wieviel Spielraum haben die Teilnehmenden in der Gestaltung, Umformulierung, Ausführung des Angebots? Wie eignen sich die einzelnen Teilnehmenden die Bewegungen an, was machen sie damit (oder nicht)? Welche Freiheiten nehmen sich die Teilnehmenden in den Aufgaben bzw. Bewegungen? Wie wird damit umgegangen, wenn die Ausführung nicht verstanden oder anders realisiert wird? In sehr vielen von unseren Beobachtungen war eine sehr ›individuelle‹ Aneignung zu erkennen. Teilnehmende führten selten genau das aus, was der*die Vermittelnden vormachten, verlangten oder anboten. Meist taten weder alle das Gleiche, noch hätten die Aufgaben von allen gleich umgesetzt werden können. Allerdings macht es einen Unterschied, wie damit umgegangen wird und welche Form der Feedbacks (oder Ausbleiben jenes) zu beobachten ist. Doch Aufgaben sind keinesfalls solitär. So gilt es weiter zu fragen: Wie fügt sich eine Aufgabe in das Gesamtgefüge einer Einheit ein? (Das kann auch ein Einschub sein, der spontan auf etwas reagiert) Wie viel Zeit wird einer Aufgabe eingeräumt? Wie ist sie strukturiert oder auch nicht strukturiert? Welche sprachlichen, verbal-metaphorischen, sinnlich-haptischen Inputs werden zur Unterstützung, Ergänzung, Umformulierung gegeben? Inwiefern passen diese mit zuvor vorgestellten Zielen und Konzepten der Aufgabe, Verständnissen von Tanz und Körper zusammen? Welche Sinndimensionen werden durch die Aufgabe adressiert? Dies kann auch gerade kein Sinn sein. Es ist hierbei immer wieder hervorzuheben, dass es auch beim Ausbleiben dieser Aspekte (ob es nun Feedbacks oder klare Zielsetzungen sind) gilt, dies mithin zu er-
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fassen oder zu fragen: Was machen die Teilnehmenden mit den Hinweisen oder der Abwesenheit von solchen? Welche Fähigkeiten werden durch die Aufgabe adressiert? Wie werden jene mit in die Gruppe geholt, die z.B. noch wenig Verständnis für ›etablierte‹ räumliche Figurationen haben (Linien, Diagonalen, gestaffelte Aufstellung, offene sinnliche Raumaneignung, Arbeiten ohne Sicht)? Lernen die Kinder das ImKreis-Stehen, indem die Vermittlerin sie bittet, sich die Hände zu geben und dann einen Schritt nach außen zu machen? Oder wird der ›Kreis‹ so akzeptiert, wie er ist (nämlich oft eben kein Kreis)? Welche Abstände und welches Miteinander werden dabei als normal oder gewollt aufgefasst, vermittelt und verkörpert? Gerade das Erlernen von Raumfigurationen hat oft einen bleibenden Effekt auf Tanzteilnehmende. Diese werden auch explizit von ihnen selbst eingefordert, wenn es um die Integration von weniger ›kompetenten‹ Teilnehmer*innen geht. Dies ist bereits bei kleineren Kindern zu beobachten, die andere beiseite nehmen oder auffordern, sich anzustellen. Es wird in Gesprächen mit älteren Jugendlichen als unangenehm erwähnt, wenn Abstände nicht eingehalten werden (sowohl aus möglichen Berührungsängsten, aber auch im Sinne der Gefahrenvermeidung). Es bietet sich somit durchweg an zu fragen: Welchen Beitrag leisten jeweils alle Teilnehmenden? Welchen Effekt hat dies auf die Gruppe und auf die Einzelnen? Was führt zu Ausgrenzungen und zum Scheitern? Wie verändern sich Aufgabenstellungen oder Angebote über den Verlauf eines Projekts oder auch nicht? Darüber hinaus können Fragen nach den möglichen Fähigkeiten und choreografischen Elementen sich als wichtig erweisen. Denn häufig werden sie nicht explizit von Lehrenden thematisiert und bleiben so ein schweigendes Wissen. Welche systematischen und analytischen Kategorien und Kompetenzen werden mit einer Aufgabe vermittelt und expliziet in Verbindung gebracht? Welche Formen des choreografischen Arbeitens bereiten die Aufgaben vor oder sind Teil dessen? Welche (syntaktischen) Strukturen choreografischen Zusammenfügens oder Hervorbringens werden angeboten, entwickelt oder diskutiert? Welche Wertschätzung wird welchen choreografischen Verfahren oder Wissen gegeben? Ein Fokus darauf, wie unterschiedliche Kompetenzen avisiert werden, erlaubt zudem Kunst- und Leistungsverständnisse der jeweiligen Praxis aufzuschlüsseln: Welches Arbeits-, Körper-, Tanz- und Leistungs-
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verständnis wird in der jeweiligen Aufgabe aufgerufen, wie zeigt es sich in der Praxis, in der Umsetzung aller? Einen zentralen Aspekt in der Vermittlung solcher Kunst- und Leistungsverständnisse haben auch die sprachlichen Äußerungen der Praktiken. Aufgabenstellungen und Angebote sind – gerade dort, wo sie nicht allein aus dem Vormachen von Bewegungen bestehen – meist sprachlich verfasst. Es geht also darum, die Aufgaben und auch die damit verbundene Sprache zu analysieren, und zugleich den Umgang damit zu erfassen: Welche Begrifflichkeiten werden genutzt und welches tänzerische, analytische, kompositorische Handwerkzeug wird den Teilnehmenden damit mitgegeben oder auch nicht? Wie wird das tänzerische Erlebnis und das Tanzverständnis durch Sprache mitvermittelt? Wird Tanz beispielsweise als Erfahrungswelt (»Lebt Euch aus«; »Spürt Euren ganzen Körper«), als Ausdruckswelt (»Das muss glaubwürdig sein«, »Gebt da all Eure Gefühle rein«, »Seid ihr selbst«) als Resonanzraum (»Lasst Euch ins Schwingen bringen«, »Es fließt von Euch zum Publikum«), als etwas, das den Körper differenziert, trainiert, als persönliche oder gruppenübergreifende Leistung angesprochen und aufgerufen? Wird Tanz als ein universelles Phänomen dargestellt oder wird auf Vorbilder oder gar historische Beispiele oder Traditionen verwiesen? All das kann mithin einen großen Einfluss darauf haben, wie Tanzaneignung sich auch als ein Erwerb von Wissen darstellt, das über Bewegungen hinausgeht. Zugleich vermittelt Sprache nicht nur Wissen, sondern lässt deren Gebrauch auch Dimensionen von Aneignung und Teilhabe deutlich werden: Wie dürfen Teilnehmende sich sprachlich einbringen? Wie reflektieren sie die Praktiken, äußern sich zu diesen? Wie werden Resonanzen zu anfänglich unverständlichen sprachlichen Bezeichnungen und Metaphern aufgebaut? Wie können verbale Äußerungen Zustimmung, Akzeptanz und Ablehnung gegenüber der Praktik befördern? Inwiefern werden Aufgaben und Begriffe zur Diskussion gestellt oder eignen sich zum Widerstreit? In der Frage danach, was gesagt wird oder auch nicht, werden wiederum etablierte Formen oder habitualisierte Strukturen von Aufgaben- und Aneignungspraktiken erkennbar, die auch abseits verbaler Äußerungen in den Blick zu rücken sind: Welche Bedeutung haben Routinen und Vorwissen der Teilnehmenden dafür, wie das Angebot und die Vermittlungskonstellation sich ereignet oder konzipiert wird? Wie wird mit
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der jeweiligen Gruppenzusammensetzung umgegangen? Wie erzeugen die Angebote Gruppenkonstellationen oder spezifische Formen der Kollektivität? Wie nutzen die einzelnen Settings das Wissen aller? Mit diesen Fragen möchte ich einmal mehr aufzeigen, wie die anfangs im Analysemodell aufgestellten Kategorien sich immer wieder neu aufgreifen und verschränken lassen. Dabei enden die Fragen selten an diesen Kategorien. So könnte auch gefragt werden: Welche Rolle spielt Spaß bei den Angeboten? Wie wird damit umgegangen, wenn es keinen Spaß macht? Die Fragen, die auf die Angebote und mit ihnen verschränkten Aneignungsprozesse zielen, könnten sicherlich noch weiteraufgefächert werden. Sie sind nur eine Möglichkeit, die Praxis zu perspektivieren. Dieser Fragenkatalog möchte somit in seiner Ballung auf die Komplexität und das geteilte Wissen der Praxis aufmerksam machen. An den Fragen und Beispielen von Vermittlung und Aneignung wurde vor allem auch deutlich, dass Sprache, Feedback und Reflexionspraktiken eine bedeutende Rolle in Vermittlungs- und Aneignungssettings zukommen. Darauf hinzuweisen, ist nicht nur vor dem Hintergrund der oft artikulierten Prämisse der nonverbale Tanzkunst von Bedeutung, sondern auch, um die Komplexität und mögliche Zugangsbarrieren zu Tanz zu thematisieren. Im nächsten Kapitel werden daher Sprache, Feedback und Reflexionspraktiken als spezifische Beobachtungskategorien weiter aufgeschlüsselt.
WEITERFÜHRENDE LESETIPPS Kerstin Hübner/Viola Kelb/Franziska Schönfeld/Sabine Ullrich (Hg.) (2017): Teilhabe. Versprechen?! Diskurse über Chancen und Bildungsgerechtigkeit, Kulturelle Bildung und Bildungsbündnisse, München: kopaed. Shannon Jackson (2011): Social Works. Performing Art, Supporting Publics, New York: Routledge. André Lepecki (2013): »From Partaking to Initiating: Leadfollowing as Dance’s (a-personal) Political Singularity«, in: Gerald Siegmund/Stefan Hölscher (Hg.): Dance, Politics & Co-Immunity, Zürich: Diaphanes, 21–38.
7 Sprache, Reflexion und Feedback Den Mythos des nonverbalen Tanzes dekonstruieren
• Wie und wann wird Sprache in tänzerischen Vermittlungs- und Aneig-
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nungskonstellationen verwendet? Welche Modi und Formen des sprachlichen Gebrauchs lassen sich erkennen? Was passiert, wenn Sprache, Metaphern oder theoretische Referenzen als (nicht) passfähig erlebt werden? Welches Wissen, welche Tanz- und Leistungsverständnisse werden wie über Sprache vermittelt? Welche Begrifflichkeiten, analytische und kompositorische Parameter werden verwendet oder durch Sprache adressiert? Wie werden über Sprache ästhetische, pädagogische und soziale Verständnisse und Normen tänzerischer Praktiken vermittelt oder hervorgebracht? Wer spricht wie viele in welchen Konstellationen der Tanzvermittlung und Aneignung? Welche Hierarchien und Machtverhältnisse werden über Sprache erkennbar? Welche Formen und Verständnisse von Feedback und Reflexion werden praktiziert? Wie und in welchen Formen sind Praktiken der Reflexion und des Feedbacks mit welchen Lehr- und Lernverständnissen verbunden? Welchen Einfluss haben unterschiedliche Feedback- und Reflexionspraktiken auf die Möglichkeit von Teilhabe? Welche normativen Setzungen durchdringen Feedback- und Reflexionspraktiken?
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Sprache durchzieht fast alle beobachteten Vermittlungsformen des Tanzes. Kaum ein Beispiel in diesem Buch kam bisher ohne Sprache aus. Sprache dient der Erklärung von Aufgaben, Rückfragen, des Feedbacks und der Reflexion. Sprache schafft Stimmungen und strukturiert Räume. Sprache vermittelt ästhetische Standards oder hilft sie zu befragen. Sprache ist Mittel der Ermutigung oder Kritik. Sprache kann Menschen integrieren oder sie (gewollt oder ungewollt) ausgrenzen. Sprache ist eng mit Dimensionen von Distinktion, Hierarchie und Normen verbunden. Wer, wann und wie spricht, kann einen entscheidenden Unterschied machen, wie sich Vermittlungs- und Aneignungskonstellationen deuten lassen. Wer also danach fragt, welche Bildungs- und Subjektivierungsangebote im Tanz entstehen, kann nicht umhin verbale Äußerungen in den Blick zu nehmen. Daher scheint es selbstevident, Sprache als eine zentrale Dimension kultureller Bildungsarbeit im Tanz zu untersuchen. Doch dem ist nicht so. Eingängige Studien zu Tanz und kultureller Bildung lassen die zentrale Bedeutung von Sprache nur peripher erahnen (eine Ausnahme ist Barthel 2017). Vielmehr wird Tanz primär als körperlich-sinnliche Praxis begriffen, teils sogar pauschal als nonverbale Praxis verstanden, der damit auch geringere Zugangsbarrieren als andere Kunstformen zugeschrieben werden (Klepacki/Liebau 2008; Fleischle-Braun 2009; Zirfas/Westphal 2014). Einen Fokus auf die feldspezifische Sprache in all seinen (gesprochenen) Formen zu richten, erweist sich daher als wichtig, um Vermittlungs- und Aneignungspraktiken zu analysieren. So eine Perspektivierung erfasst nicht nur einen zentralen Teil der untersuchten Praktiken, sondern erlaubt es auch den Mythos des nonverbalen Tanzes zu dekonstruieren. In diesem Kapitel geht es nun weniger darum zu klären, was theoretisch unter Sprache verstanden werden kann. Wer eine eingängige Einführung sucht, dem sei der von Sybille Krämer herausgegebene Band Sprache, Sprechakte, Kommunikation (2020) empfohlen1. Vielmehr geht es darum,
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Krämer stellt hier zentrale Positionen der Sprachphilosophie vor. Hierbei lässt sich vereinfacht unterscheiden zwischen jenen, die Sprache als Regelwerk begreifen und jenen, die den Gebrauch von Sprache (Sprechakte) und ihre Kontexte in den Vordergrund rücken (Krämer 2020). Letztere sind es, die es erlauben, Sprache im Sinne der Logik des Feldes mit einem Fokus darauf, was Sprache vollzieht, zu analysieren.
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welche Sprache wie in den einzelnen Konstellationen in ihrer Spezifik verwendet wird und erfassbar ist. Da der differente Gebrauch von Sprache schon zuvor in Bezug auf die Selbstreflexion von Forschenden (Kapitel 2) eine Rolle gespielt hat, geht es in diesem Kapitel nur noch peripher darum, welche Sprache Forschende nutzen. In Bezug auf die Forschungsebene wird lediglich gefragt: Welche Bedeutung wird Sprache für die Vermittlung und Aneignung von Tanz zuerkannt? Welche theoretischen Referenzen werden diesbezüglich aufgerufen? Wie wird Sprache beobachtet und konzeptualisiert? Vielmehr ist es vorrangiges Interesse dieses Kapitels, Praktiken des Sprechens in der Vermittlungs- und Aneignungspraxis analysierbar zu machen. Wie und in welchen Konstellationen ist Sprache – hier vor allem als gesprochene Sprache – Teil von Vermittlungs- und Aneignungspraktiken im Tanz? Was wird wie mit Sprache getan? Wie kann eine Analyse der verwendeten Sprache dazu beitragen, Differenzen, Nuancen und Selbstverständnisse der Praxis aufzuschlüsseln? Sprache läuft dabei quer zu allen anderen Kategorien, ist jedoch eng verwoben mit zwei weiteren Parametern des in Kapitel 3 vorgestellten Analysemodells: der Reflexion und des Feedbacks. Der Fokus dieses Kapitels richtet sich daher nach einer Darstellung von Funktionen und Formen von Sprache primär auf Reflexions- und Feedbackpraktiken als Teil von Vermittlungs- und Aneignungskonstellationen. Die Auseinandersetzung mit Reflexions- und Feedbackpraktiken kann dabei verdeutlichen, dass Sprache und körperlich-sinnliche Dimensionen tänzerischer Praktiken nicht voneinander getrennt zu verstehen sind. Denn Reflexion und Feedback geschehen multimodal; neben verbalen Dimensionen von Feedback spielen auch visuelle oder haptische eine Rolle. Somit möchte dieses Kapitel weiter daran arbeiten, logozentrische und primär kognitive Verständnisse von Reflexion und Feedback zu befragen. Ein praxeologisches Verständnis von Reflexions- und Feedbackpraktiken, das körperlich-reflexive Vollzüge von tänzerischen Praktiken erfasst, kann darüber hinaus auch für andere Bereiche körperbasierten Lernens und Vermittelns von Bedeutung sein (Hardt/ Stern 2019: 10ff.). Dieses Kapitel wird daher theoretische Differenzierungen und Entwicklungen unterschiedlicher Feedback- und Reflexionsverständnisse vorstellen, und diese sowohl in ihrem Verhältnis zu ihren unterschiedlichen Lernund Bildungskonzepten perspektiveren als auch an Beispielen ihre Kom-
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plexität aufschlüsseln. Zudem möchte dieses Kapitel kritische Fragen in Bezug auf die wissenstheoretischen, sozialen, institutionellen und ökonomischen Rahmenbedingungen von Sprache, Feedback und Reflexion aufwerfen.
DOING SPRACHE Sprache ist lange Zeit im Kontext der Tanzwissenschaft (wie auch der Praxis) als das ›Andere‹ des Tanzes verhandelt worden. Sprache könne Tanz nie vollständig erfassen, verfehle in Wirkung und Bedeutung dessen sinnliche Komplexität oder dessen ästhetischen Überschuss, sind gängige Topoi der Forschung (Mersch 2015; Fischer-Lichte 2004). Brandstetter beispielsweise setzt diese vermeintliche Sprachlosigkeit an den Beginn ihrer Reflexion zu tänzerischem Wissen. So zitiert sie Noa Eshkol, die Entwicklerin der Eshkkol-Wachmann Tanznotation, wie sie fragt, warum wir solche Analphabeten seien, wenn es um Bewegung geht (Brandstetter 2007: 37). Dass der Tanz dabei in wissenschaftliche Studien so sprachlos erscheint, (auch wenn im zeitgenössischen Tanz immer mal wieder in Aufführungen gesprochen wird,) mag auch daran liegen, dass Tanzwissenschaftler*innen lange Zeit Vermittlungs- und Aneignungspraktiken von Tanz außen vorgelassen und sich primär mit der Bühnen- oder Performancekunst auseinandergesetzt haben. Wer täglich im Trainings- oder Probenstudio steht, wird Sprache als zentrales Element der Praxis identifizieren, obgleich immer mal wieder auch dort erklärt wird, dass Sprache nicht ausdrücken könne, was hier geübt und angestrebt werde. Differenzen in Bezug auf die Verwendung und Bedeutungszuweisung von Sprache erlauben es daher auch, Unterschiede innerhalb des wissenschaftlichen und praktischen Feldes beschreib- und analysierbar zu machen. Der Mythos der Sprachlosigkeit des Tanzes ist bereits durch praxeologische Studien kritisch befragt worden. Katarina Kleinschmidt verdeutlicht in Artistic Research als Wissensgefüge (2018) wie Choreograf*innen und Tänzer*innen in ihrer Arbeit Sprache nicht nur nutzen, um Aufgaben zu stellen und ein gemeinsames Verständnis dafür zu entwickeln, sondern wie sie als Praktiken des Feldes in Traditionen und spezifischen Referenzsystemen operieren. Es wird beispielsweise mit Begriffen, Mindmaps, Post-Its
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an sogenannten Tasks (Aufgabenstellungen) gearbeitet (ebd.: 131ff.). Darüber werden Bewegungsqualitäten hervorgebracht und zugleich erfassbar. Kleinschmidt analysiert eingängig, wie Sprache in solchen Probenkonstellationen unter anderem an naturwissenschaftlichen Referenzen Anleihen sucht; z.B. wenn Begriffe wie »Amplitude« oder »Labor« Arbeitsprozesse und Diskussionen von Material durchdringen (ebd.: 179). Ihre These ist, dass in solchen Settings, die sich als Orte alternativer Wissensproduktion verstehen (in Abgrenzung zu sogenannten naturwissenschaftlichen und objektivierbaren Wissensverständnissen), durchaus Parameter und Begriffe eben solch einer Forschung verwendet werden (ebd.). Kleinschmidt weist zudem auf unterschiedliche Funktionen von Sprache hin, wenn sie aufzeigt, wie über Sprach- und Dokumentationspraktiken Setzungen erfolgen, die mitprägen, was als Performance oder dem jeweiligen Stück zugehörig erscheint und was nicht. Auch wenn diese Analysen sich aus dem professionellen Feld ergeben, lassen sich daraus auch für andere Kontexte zentrale Fragen eruieren: Wie entstehen durch Sprache Vermittlungs- und Probengemeinschaften? Wie wird eine gemeinsame Sprache hervorgebracht, geteilt, verständlich gemacht? Wie werden die Grenzen der eigenen Praktik damit beschrieben oder konstituiert? Welche Referenzsysteme und Wissensverständnisse werden aufgerufen? Auch Gitta Barthel hat in ihrem bereits in Kapitel 3 vorgestellten Band Choreographische Praxis. Vermittlung in Tanzkunst und Kultureller Bildung (2017) zahlreiche Praktiken in künstlerisch-edukativen Tanzsettings herausgearbeitet, die eng mit sprachlichen Aspekten verbunden sind. Dazu gehören unter anderem das »Klären«, das »Entwickeln einer gemeinsamen Sprache«, das »Aushandeln« und das »Dokumentieren« (ebd.: 110). Solche praxeologischen Studien teilen die Beobachtung, dass Sprache ebenso wie das Vormachen von Bewegungen nicht eindeutig, immer verständlich oder zugänglich ist. Fragen der Aushandlung deuten hier bereits darauf hin, dass Sprachgebrauch selbst dort, wo er als Anweisung im Unterricht dient, nie unidirektional ist, sondern dass es ein Nachfragen, Klären oder auch über längere Zeit praktiziertes Arbeiten mit Begriffen bedarf, um sie für den oder die Einzelne*n in der Praxis verständlich zu machen. So argumentieren Martin Stern und ich an anderer Stelle (Hardt/Stern 2014), dass es zunächst einer Resonanzbildung bedarf bis verbale Anweisungen – vor allem metaphorischer Art – sich in Einklang bringen lassen mit der Bewegungsausführung. Verständnis von Sprache bildet sich somit über die Zeit und
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über die Verschränkung verbaler und körperlicher Praktiken, bis diese dann für die Teilnehmenden im Moment des Gelingens in eins fallen. Wenn die verbale Anweisung schließlich als zielführend für die Um- oder Bearbeitung von Bewegung empfunden wird, erweist sich Sprache als passfähig und verständlich (ebd.: 148). Solche Aspekte fordern dazu auf, den Umgang mit Sprache von allen Teilnehmenden in den Blick zu rücken. Dazu gehören neben Nachfragen oder Redebeiträgen auch untereinander flüsternd ausgetauschte Kommentare, das Lachen oder Zuzwinkern in Vermittlungskonstellationen. Es könnte also danach gefragt werden: Wer nutzt welche Sprache? Welche Metaphern und Bilder werden verwendet, um welche Bewegungsqualitäten zu vermitteln oder zu umschreiben? Wie reagieren andere darauf? Wie wird Sprache von anderen verstanden und woran lässt sich das erkennen? Wie werden Resonanzen hergestellt oder wie und wann entwickeln sie sich? Wie und welche Formen von Wissen werden verbal adressiert, verhandelt oder unbeachtet gelassen? Wer spricht wie viel, wer traut sich zu sprechen und wer nicht? Wie wird mit Fragen oder nicht geplanten Redebeiträgen umgegangen? Sprachen der Vermittlung Ungeachtet aller Bestrebungen in tänzerischen Vermittlungssettings ein eigenständiges und individuelles Arbeiten zu fördern, war in unseren Beobachtungen auffällig, dass vor allem jene, die als die Vermittelnden in einer gegebenen Situation gelten, am häufigsten sprechen. Mit einem analytischen Fokus auf Sprache als Beobachtungskategorie kann daher auch ungewollt eine Fokussierung auf die Lehrperson einhergehen. Diese Rolle der Vermittelnden kann in Projekten auch von Teilnehmenden eingenommen werden und in informellen Settings oder in Sozialen Medien von (teils selbsternannten) ›Expert*innen‹ des Feldes. Es gilt daher auch aus einer praxeologischen Forschungsperspektive in der Analyse von Sprache zu erfassen, welche Inhalte und Ebenen wie von den Vermittelnden aufgerufen werden. Denn verbale Äußerungen zeugen von der Vielfalt der Praxis, machen die ästhetischen und pädagogischen Verständnisse deutlich und situieren das Projekt in einem Referenzrahmen. Das geschieht nicht zwangsläufig bewusst und ist oft widersprüchlich.
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Die hier vorgestellten Dimensionen von Sprache und die damit verbundenen Fragen lassen sich nicht aus einer einzelnen Beobachtung oder einem einzelnen Projekt entwickeln. Vielmehr werden hier die Funktionen von Sprache systematisch zusammengeführt. Es bedarf einer längeren Zeit und ggf. unterschiedlicher Kontexte der Beteiligten, um Sprache und Sprachgebrauch in der Forschung erfassbar zu machen. Dabei war zu beobachten, dass ein Großteil der sprachlichen Äußerung mit der Vermittlung von Aufgaben einhergeht. Sprache wird dabei selten in ganzen Sätzen formuliert, sondern einzelne Begriffe, teils abgelöst durch Zahlen (für das Tempo) oder Geräusche die lautmalerisch die Qualität verdeutlichen sollen, zeugen von einem variablen, der Logik der Praxis angepassten Gebrauch der Sprache. Viele Aufgaben werden in einer Mischung aus zeigen und verbal erklären vermittelt. Nur selten erfolgt eine nonverbale Vermittlung, indem eine Lehrende in den Raum kommt und beginnt, sich zu bewegen oder wenn Bewegungsfolgen bereits seit längerem etabliert sind. Vereinzelt sind auch längere Phasen der Improvisation, ohne weitere verbale Anweisungen zu beobachten. Sprache erklärt Aufgabenstellungen, indem beispielsweise Fachbegriffe verwendet werden (Plie; Side-Step, Spiral), indem Qualitäten, durch Metaphern mit Verweis auf Tiere (»wie eine Katze«), Gegenstände (»sich zwischen zwei Polen aufgehangen fühlen«) oder Gemütszustände (»als ob ihr müde seid«) evoziert werden sollen. Verbale Äußerungen vermitteln auch (implizit) ästhetische Prinzipien oder Abgrenzungen. (»Macht doch mal die Beine krumm, wir sind doch nicht im Ballett!«). Diese Dimensionen von Sprache treten auch immer wieder verschränkt miteinander auf, wenn beispielsweise in urbane oder zeitgenössischen Tanzkulturen Begriffe von spezifischen Moves (z.B. Shuffle, Ride) verwendet werden und zugleich deren individuelle Ausführung eingefordert wird. Sprache gibt auch Anweisungen zu Struktur oder räumlicher Platzierung der Aufgabe (»Gebt Euch alle die Hände und dann macht einen Schritt nach außen«). Sprache kann auch ohne direktes Vormachen dazu dienen, durch Improvisationen hindurchzuführen. Im Kontext zeitgenössischer und somatisch basierter Praktiken gewinnt damit Sprache an zentraler Bedeutung, wenn Teilnehmende beispielsweise aufgefordert werden, ihre Augen zu schließen und den Regungen, Qualitäten oder dem, was sie in bestimmten Körperpartien spüren, nachzugehen, während die Lehrenden sie mit Fragen, Vorstellungsbildern oder Vorschlägen für die Lenkung ihrer Aufmerksam durch
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solche Szenarien begleiten. Dabei können einige Vorstellungsbilder leichter zugänglich sein (einen »Ballon gefüllt mit Öl zu bewegen«). Andere Vorstellungsbilder führen sichtlich zu Innehalten, Aufblicken oder Unsicherheit, wenn beispielsweise aufgefordert wird, den Atem entlang von Körperteilen oder den Distanzen zwischen ihnen zu visualisieren. Es lässt sich also fragen: Welche Begriffe und Metaphern werden in der Vermittlung von Tanz in welchen Kontexten und Konstellationen verwendet? Welche Arten von Bildern werden aufgerufen, welche nicht? Welche Adjektive und Verben werden genutzt? Wie etablieren sie dabei welche ästhetischen Referenzen? Welche Aspekte von Tanz werden dabei als zentral erachtet? So macht es einen Unterschied, ob Tanz in Bezug auf Schritte oder Körperqualitäten beschrieben und vermittelt wird. Wobei beides auch in der Durchmischung stattfinden kann. Auch lässt sich nach körperlich-sinnlichen Dimensionen fragen: Welche Körperteile werden wie in der jeweiligen Vermittlungskonstellationen angesprochen (mit welchen Fachtermini)? Welche Qualitäten werden durch die verbalen Äußerungen gesucht und hervorgebracht? In welchen sprachlichen Modi wird dies getan? Welche (Körper-)Räume und Ordnungsstrukturen werden mit der Sprache eröffnet? Werden dafür Anweisungen gegeben oder werden Fragen gestellt? Wie geschieht das jeweils? Fragen können beispielsweise dazu dienen eher ›explorative‹ Aufgaben zu eröffnen. »Was ist der Körperraum? Gibt es Orte, die man häufiger besucht als andere?« sind Fragen, die zunächst nicht festlegen, welche Körperteile beachtet werden sollen, sondern fordern idealerweise dazu auf, dies zu erforschen. So etwas kann jedoch auch zu Irritation führen, wenn Teilnehmende klarere Anweisungen erwarten oder nicht genau verstehen, was gemeint ist. Im Kontext der Arbeit mit jüngeren Kindern konnten solche Fragen in einer Mischung aus Vorgabe und Exploration erfasst werden, wenn beispielsweise gefragt wird: »Wer kann die Nase bis an die Knie bringen?« Die Frage ist hier bereits mit dem Ziel einer bestimmten Bewegung gestellt, kann jedoch sehr unterschiedliche Bewegungsausführungen und Gefühle der Selbstermächtigung hervorbringen. In den Beobachtungen ergab es sich selten so, dass das einmalige Erklären einer Aufgabe oder Fragen ›genügte‹. Wie auch schon Barthel detailliert herausgearbeitet hat, gibt es Nachfragen, Umformulierungen, aber auch die gleichzeitige Anpassung
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und Variation von Aufgaben und deren Erklärungen (Barthel 2017: 111). Je offener und explorativer eine Aufgabenstellung, um so mehr lässt sich in den Beobachtungen eine rege verbale Interaktion (aller) feststellen. Der Austausch ist dabei nie nur verbal. Blickkontakte, mimetisches Anschmiegen und das Wegdrehen können hier auch als Teil der Verständigung auftreten. Von Bedeutung ist daher auch die Frage: Wann und in welchen Konstellationen fühlen sich Teilnehmende ermächtigt wann und wie zu sprechen? Welche Form der Kommunikation wählen sie? Es geht an dieser Stelle nicht darum, einen Modi der Sprache (Fragenstellen) als offener oder vorgebender zu identifizieren. Beispielsweise können Fragen, die oft mit einer positiven Assoziation und Möglichkeit der Selbstermächtigung verbunden werden (Klinge 2010: 90; Barthel 2017), sich durchaus different und teils sehr vorgebend darstellen. Wenn eine Lehrerin im Unterricht mit einer Gruppe jüngerer Teilnehmender fragt: »Wo wart ihr letztes Mal im Raum? Wo war Euer Platz?« dann zielt sie ganz konkret auf ein Wissen, möchte Teilnehmende an etwas sehr Konkretes erinnern und versucht, sie durch die Fragen selbst aktiv werden zu lassen. Solche Fragen können wohlwollend formuliert sein, sie können aber auch als Kritik oder Ermahnung fungieren: »Hallo, habt ihr mich nicht verstanden?«, ruft ein Vermittelnder genervt, nachdem die Teilnehmenden sich nicht wie gewünscht aufgestellt haben. Dabei ist bereits hier beobachtbar, dass Sprache mehr als ein Bedeutungsträger in der Vermittlung ist. Vielmehr gilt es auch nach dem tonalen Wie, beispielsweise der Stimmenlage und der Ansprache, zu schauen. So wird in manchen Settings Sprache eher leiser und ruhiger verwendet, an anderer Stelle soll sie motivieren, gar aufputschen. Verbale Äußerungen sollen Teilnehmende aus ihrer »Komfortzone« bringen. Es gilt also zu fragen: Welche Funktionen hat Sprache? Welche tonalen Ausprägungen von Sprache sind zu erfassen? Welche Stimmungen werden dadurch für wen, wie evoziert? Aber weder die gleiche Wortwahl noch Stimmlage muss zu einer ähnlichen Stimmung führen oder vom gleichen Vermittlungsverständnis ausgehen. In mehreren Kontexten waren zum Beispiel Ansagen zu hören wie: »Have fun!«, »Go for it!«, die zugleich Einsatz einfordern als auch Ermunterung sind. Erst in der Konstellation mit anderen verbalen Äußerungen lassen sich jedoch Unterschiede in Bezug auf Wirkungsdimensionen und Leistungsverständnisse ausmachen. Einmal erfolgt dies zum Beispiel, um
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ein vorgegebenes Bewegungsmaterial »lebhafter«, »authentischer« und »einbringender« sehen zu wollen. Ein anderes Mal erfolgte diese Aufforderung, nachdem zuvor artikuliert wurde: »Guckt nicht nach den Problemen, sucht nach Möglichkeiten.« Hier werden Erfahrungsräume grundlegend anderes strukturiert, als in solchen, wo es darum geht, bestimmte Qualitäten und Ausdruckmomente zu realisieren. Die verwendete Sprache kann daher Aufschluss über das Tanz- und Vermittlungsverständnis geben. Dies tut sie nicht offensichtlich und selten eindeutig. So kann mit einem Blick auf Sprache analysiert werden: Welche Leistungsparamater, welche Wirkungsmechanismen von Tanz werden aufgerufen? Welche Haltung soll zu Tanz, Probe und Aneignungsformen entwickelt werden? Welche Kompetenzen werden in den jeweiligen Vermittlungskonstellationen angesprochen bzw. verbalisiert? So wird deutlich, dass durch Sprache in den jeweiligen Vermittlungskonstellationen unterschiedliche Kompetenzebenen angesprochen werden. In dem zuletzt benannten Beispiel werden Kompetenzen adressiert, die darauf zielen, mit Unsicherheit und Unwissen umzugehen, wenn die vermittelnde Person auch weiter fragt: »Was mache ich, wenn ich nicht weiß, wo die Reise hingeht?« Andere Kontexte möchten hingegen Sicherheit als Ergebnis von Einsatz und Hingabe vermitteln. Reflexion im Umgang mit Unsicherheit und Lust an der Sache schließen sich dabei nicht aus, denn in beiden Fällen wird dazu aufgefordert, sich darauf einzulassen und daran Spaß zu haben. Sprache dient so auch der Erschließung sinnlicher Dimensionen, ermöglicht idealerweise das Einlassen darauf, und erklärt oder eröffnet Möglichkeiten mit Offenheit und Unabgeschlossenheit von (Bewegungs-)Erfahrungen umzugehen. Sprache ist aber auch im konventionellen Sinne eine Vermittlerin von Wissen. Diese geht über die Bezeichnung von Fachbegriffen für Schritte hinaus und tangiert beispielsweise die Benennung oder Sichtbarmachung künstlerischer oder choreografischer Verfahren. Da es ein immer wieder betontes Interesse von tanzvermittelnden Projekten ist, künstlerische Eigenarbeit zu fördern oder Teilnehmende zu ermächtigen, selbstgestalterisch zu werden, lohnt es sich hier genauer zu fragen: Welche Kompetenzen werden bezüglich künstlerischer Verfahren, choreografischer und kompositorischer Kompetenzen sprachlich adressiert? Welche Begrifflichkeiten werden für das Choreografieren und Komponieren verwendet oder
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erklärt? So macht es mithin einen großen Unterschied zwischen vermittelnden Praktiken deutlich, je nachdem wie artikuliert wird, wie Bewegungen in ein größeres Ganzes vereint oder zusammengesetzt werden. Fallen beispielsweise Begriffe wie Variation, Re-Sampling, Akkumulation oder Chance Procedure, wenn choreographisches Arbeiten vermittelt oder thematisiert wird? Solche Begriffe entstammen – trotz ihrer Verortung in unterschiedlichen ästhetischen Traditionen – eher einem etablierten Verständnis von Tanz als Komposition nach formellen, systematischen, teils mathematischen Regeln. Was solche strukturellen Verfahren teilen ist, dass damit Kompetenzen adressiert werden, die Tanz weniger als Ausdrucksmedium verstehen, sondern als ein im Prozess entstehenden (Kunst)Werk, dass sein Material immer wieder neu bearbeitet. Welche anderen Verfahren werden also verbalisiert? So wird beispielsweise in anderen Konstellationen auf das Fühlen als zentrale kompositorische Kraft oder das »Folgen einer narrativen Logik« hingewiesen, die sich zu entwickeln habe. Bewegungsgenerierung wird auch entlang von Themen, Objekten (»Welche und wie viele Möglichkeiten gibt es, sich mit diesem Stuhl zu bewegen?«) oder Gemütszuständen (z.B. der Müdigkeit oder Langeweile der Teilnehmenden) erklärt oder gesucht. Größtenteils sind in unseren Beobachtungen solche Verfahren oft unbenannt geblieben. Werden also Fragen nach der Syntax, der Dramaturgie, dem kompositorischen Verfahren – und falls ja: wie – aufgeworfen? Und was bezeichnen die Einzelnen jeweils damit? Dies sind mögliche Frage, um Kompetenz- und Wissensvermittlung in ihrer Differenz identifizieren zu können. Dabei geht es über das Arbeiten an einzelnen Bewegungskombinationen hinaus, beispielsweise auch darum, wie dies über den Prozess zugänglich gemacht wird. Wie begründen Lehrende und Teilnehmende kompositorisch-dramaturgische Entscheidungen im Verlaufe einer Zusammenarbeit? Diese müssen keinesfalls immer inhaltlich begründet oder ausdifferenziert sein: »Das ist jetzt stimmig«, »Das ist jetzt eben so!« »Wir müssen jetzt hier pragmatisch sein«, sind öfters gehörte Formulierungen, um choreografische Entscheidungen zu erklären. Was beinhaltet dieses artikulierte Vorgehen? Auf welche Strukturen, welches Wissen wird dabei zurückgegriffen? Welche Prinzipien werden dabei durch Sprache in der Praxis sichtbar? Auf welches interdisziplinäre Wissen dabei verwiesen? Wird z.B. von Kontrapunkt, von Storyboard, Montage gesprochen? Dabei können unterschiedliche Kompetenzen in der Verschränkung
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vermittelt, angeeignet oder erlebt werden. Es werden erst kompositorische Verfahren vorgestellt, die sich als sehr offen oder verunsichernd für Teilnehmende erweisen und am Ende für sie in ein »stimmiges Bild« münden. Es geht also nicht darum, über die Analyse von Sprache Projekte oder Vermittlungs- und Aneignungskonstellationen eng zu führen, sondern einmal mehr danach zu fragen: Welches Wissen, welche Haltung, welche Zusammenhänge werden durch Sprache erkenntlich? Welche Funktionen hat Sprache für einzelne Szenarien, Projekte oder in Bezug auf welche Zielsetzungen? In der Ausbildung von angehenden Tanzpädagog*innen konnten wir beispielsweise beobachten, dass Sprache dazu dient, explizit Konzepte und Begriffe eingehender zu (er)klären und als Handwerkszeug deutlich zu machen. In Sitzkreisen werden tanzanalytische Dimensionen und Begriffe wie Ebene, Raum oder Effort nicht nur zusammengetragen oder benannt, sondern auch danach gefragt, was sie bedeuten und wie mit ihnen gearbeitet werden kann. Manchmal werden dabei die Kontexte der Begriffe (aus der Labanschen Bewegungslehre) genauer benannt, andere Male werden sie als feststehende Kategorien verwendet, die keiner weiteren historischen Verortung bedürfen. Es werden ebenfalls Begriffe für Qualitäten gesammelt, beispielsweise wenn nach einer Übung an einer Tafel festgehalten wird, was für Eigenschaft die Ballons hatten, mit denen als Vorstellungsbild improvisiert worden ist. Solche Dimensionen tangieren dann bereits das, was auch als Reflexion verstanden werden kann und es sind insbesondere solche Momente, in denen Teilnehmende in Sprachaktionen aktiv involviert sind. Sprache der Teilnehmenden und der Reflexion In den Beobachtungen sind Teilnehmende in zahlreiche verbale Interaktionen immer wieder involviert. Sie reden, bevor es offiziell losgeht oder in den Pausen und müssen erst wieder ›eingefangen‹ werden, bevor es still ist. Sie reden, während eine Einheit bereits begonnen hat, sie stellen Fragen zum Verständnis, teils mit dem Interesse sie genauer zu verstehen, teils um ihr Missfallen oder Unlust auszudrücken oder gar um sich möglicherweise als wissend darzustellen (»haben wir das letztens nicht so gemacht«). Doch in vielen Settings werden Fragen selten an die vermittelnde Person gerichtet, vielmehr wird sich an andere Teilnehmende gewandt. Sprachlich am aktivsten und inhaltlich auf die Einheit bezogen sind Teilnehmende in un-
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seren Beobachtungen, wenn Vermittelnde am Ende von einer Übung oder Einheit Fragen stellen, um beispielsweise zu erfahren, was sie wahrgenommen haben, was sie heute gelernt haben, welche Begriffe für sie von Bedeutung waren, wie sie die ›Sitzung/Session‹ erlebt haben. Solche Fragen zielen meist auf die Dimension der eigenen Praxis. So ist es üblich, dass die Teilnehmenden in Tanzstunden im Kreis zusammenkommen und Erfahrungen und Beobachtungen miteinander teilen, oder dass sie aufgefordert werden, eine ›selbst-reflexive‹ Praxis zu entwickeln. Dies ist nicht allein in professionellen und fortgeschrittenen Tanzstunden von größerer Bedeutung, sondern wird auch in zahlreichen Probenprozessen mit jüngeren Teilnehmenden (in Ideenrunden oder Erzählkreisen) als Teil einer verbalen Reflexionskultur praktiziert. Dies ist anschlussfähig an gängige Positionen im Kontext der Förderung kultureller Bildung und Tanz, die einen dezidiert reflexiven Anspruch haben, der alle Teilnehmer*innen von Vermittlungspraktiken (z.B. Schüler*innen und Lehrende) umfasst (Stern/ Spahn 2020; 2021). Allerdings gibt es bisher wenige Studien, die danach fragen, was genau Reflexion ausmacht bzw. wie dies in den Künsten zu verstehen sei.
VORSTELLUNGEN UND PRAKTIKEN DES REFLEKTIERENS So lässt sich dann einerseits ein ausgeprägter Diskurs im Feld ausmachen, der Tanz aber auch andere kulturelle Praktiken immer wieder als reflexive Praktiken versteht und zum Teil idealisiert (Melzwig et al. 2005; Klinge 2010; Witt 2017), zugleich gibt es aber ein eher diffuses Verständnis von Reflexion, das selten eingehend in der Literatur definiert oder begrifflich diskutiert wird. Bei einem Zusammentreffen mit zahlreichen Tanzvermittelnden und Akteur*innen im Feld der kulturellen Bildung entstand eine weitreichende Sammlung, was alles unter Reflexion im Tanz verstanden werden kann, die Abbildung 4 in leicht systematisierter Form versucht, zusammengetragen.
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Abbildung 4: Begriffssammlung zu Praktiken des Reflektierens
Dabei zeigen sich Praxen des Reflektierens in der Vermittlung keineswegs als einheitliches, homogenes Phänomen, sondern diese können innerhalb je spezifischer Konstellationen von Vermittlung unterschiedliche Formen an-
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nehmen (z.B. Groß-/Kleingruppen- oder Einzelkonstellationen). Von Bedeutung ist dabei, welche Verfahren des Reflektierens hier in ihrer Vielfalt und Diversität benannt werden und wie sie den Gegenstand von Reflexion bzw. den Inhalt von Vermittlung auf je spezifische Weise rahmen, konturieren und (mit) hervorbringen: So wird beispielsweise als Tätigkeit des Reflektierens beobachtet, eingeordnet, evaluiert, entschieden, ausprobiert. Dabei werden in der Auflistung der Aktionen des Reflektierens einerseits solche benannt, die tendenziell eher damit assoziiert werden wie: verändern, befragen, durchdenken, aber auch solche Aktivitäten, die erst auf den zweiten Blick damit zusammenhängen, wie distanzieren, führen, loslassen. So bedarf es möglicherweise der Reflektion, um eine Gruppe führen zu können oder es müssen Prämissen, Zielsetzungen oder Aufgaben losgelassen werden, bevor reflektiert werden kann. Dies zeigt, dass Reflektieren in eine Vielzahl von komplexen Vollzügen involviert ist und diverse Kompetenzen anspricht. Zugleich werden divergierende Modi des Reflektierens benannt, wenn dies unter so unterschiedlichen Adjektiven wie rational, spontan oder intuitiv gefasst wird. Diese Vielfalt an Vorstellungen und Erfahrungen in Bezug auf Reflexion deutet zudem auf ganz unterschiedliche Voraussetzungen, Zugänge, Vorerfahrungen, individuelle (ästhetische) Präferenzen und (implizite) Gegenstandsverständnisse der Teilnehmer*innen hin. So zum Beispiel, wenn für die einen eher das Sensibilisieren, Wahrnehmen und Spüren von Bedeutung ist, für andere das Variieren oder Einordnen. Die benannten Beschreibung von Reflexion machen zudem deutlich, dass Reflektieren in der Regel nicht etwas ist, das von einer Person oder Tätigkeit allein ausgeht. Reflexion entsteht zumeist in Bezug oder im Austausch mit anderen Menschen, Dinge oder Strukturen. In dieser abgebildeten Zusammenstellung von Reflexionspraktiken werden auch Fragen der Adressierungen aufgeworfen (wer spricht und wie?). In der Begriffswahl spiegelt sich dabei auch, dass die Teilnehmer*innen zumeist von ›idealen‹ Vorgehensweisen ausgingen. Doch sind die Reflexionspraktiken im Feld so ›harmonisch‹? Wie sieht es in der Praxis genau aus? Welche Verständnisse von Reflexion werden in einer Praxis erkennbar? Wie, mit welchen Verfahren und mit welchen Zielen findet Reflexion statt? Wann findet Reflexion intendiert statt, wann ergibt sie sich aus welchen Konstellationen unter Beteilung von wem? Wie verschränken sich Praktiken des Reflektierens mit anderen Standards und Normen des Feldes? Was tun Einzel-
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ne oder Gruppengefüge, wenn unter der Perspektive des Reflektierens gearbeitet oder beobachtet wird? Solche Fragen machen deutlich, dass Reflexion als kollektiv und prozessual hervorgebracht betrachtet werden sollte, selbst wenn es mithin individuell verstanden werden kann. Zudem wird ein Feld von Aktionen in dieser Auflistung benannt, wie beobachten und rückmelden, verändern und bearbeiten, die eng mit einem weiteren Begriff des Kapitels verbunden sind, nämlich jenem des Feedbacks. Reflexion und Feedback lassen sich nicht eindeutig voneinander trennen: Denn wäre ein Feedbackgeben ohne Reflexion möglich und löst Feedback nicht idealerweise Reflexion aus? Die Grenze zwischen beiden sind somit durchlässig. Daher werde ich im Folgenden, auch weil es für den Bereich des Feedbacks einschlägige Literatur gibt, Feedback und Reflexion hier verschränkt miteinander diskutiert (ohne allerdings ihre Grenzen schlicht auflösen zu wollen). Dabei wird zunächst nach den theoretischen und konzeptionellen Verständnissen von Feedback gefragt: Welche Verständnisse von Feedback gibt es in der Forschungsliteratur? Wie erlauben diese Verständnisse, die beobachteten Praktiken zu differenzieren? Welche Feedbackverständnisse lassen sich zudem mit einem praxeologischen Forschungsverständnis verbinden?
VOM FEEDBACKGEBEN ZUM DOING FEEDBACK Anders als zu Reflexion(spraktiken) gibt es eine ausgewiesene Literatur zu Feedback in der (Lern-)Psychologie, Schuldidaktik und Unterrichtsforschung (Askew 2000; Mory 2004; Merry et al. 2013). Zudem wird Feedback in der künstlerischen Schaffens- und Vermittlungspraxis ein herausgehobener Platz eingeräumt (Haffner et al. 2014; Greil/Sander 2016). Und auch die Rezeption und Konzeptualisierung performativer Ereignisse in der Tanz- und Theaterwissenschaft etabliert mit dem Konzept einer autopoetischen Feedbackschleife dieses als zentrales Phänomen und Kategorie (Fischer-Lichte 2004). Ein wichtiges Anliegen von vielen Studien, die sich vorrangig mit Feedback auseinandersetzen, ist zunächst eine systematische Erfassung der Feedback- und Evaluationskultur in Institutionen wie Schule und Hochschule. Dabei stehen oftmals jene Feedbackformen im Vordergrund, die von den Lernenden als kritisch bewertet werden. Diese Studien zielen dem
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entsprechend darauf, Feedbackkulturen positiv zu beeinflussen (Askew 2000; Bastian et al. 2008; Merry et al. 2013; Buhren 2015; Maitzen 2017). Dabei zeigt sich eine deutliche Tendenz, ›mono-direktionale‹ Verständnisse von Feedback kritisch zu befragen, in denen Lernende lediglich als Empfänger*innen eines ›faktenbasierten Wissens‹ gesehen werden. Demgegenüber wird für dialogische oder ›ko-konstruktive‹ Modelle von Feedback plädiert, in denen Feedback als wechselseitiger Austauschprozess begriffen wird (Askew/Lodge 2000). Im Kontext einer quantitativen Wirkungsforschung wird vornehmlich nach der Effizienz von Feedback gefragt (Hattie/Timperley 2007: 82). So unterschiedlich diese Studien in ihren methodischen Zugängen und in der Art der Adressierung der Leser*innenschaft sind, so dominieren darin kognitivistische Wissens- und Lernmodelle. Insbesondere die bekannten Studien von John Hattie und Helen Timperley greifen auf logozentristische Verständnisse von Feedback zurück: »(F)eedback is information with which a learner can confirm, add to, overwrite, tune, or restructure information in memory, whether that information is domain knowledge, metacognitive knowledge, beliefs about self and tasks, or cognitive tactics and strategies« (Winne/Butler 1994, zit. nach Hattie/Timperley 2008: 82). Bezüge zur körperlichen und sozialen Verfasstheit und Grundierung von Interaktionen und Formen des Feedbacks stellen somit mit wenigen Ausnahmen eine Leerstelle in der Forschung dar. Zudem sind diese an kognitiven Prozesse orientierten Feedbackverständnisse weder anschlussfähig an aktuelle bildungs- und wissenstheoretische Positionen (Koller 2012; Liebau et al. 2014; Ahrens 2019) noch werden damit komplexe körperliche und (bildungs-)ästhetische Verfahren der (Aus-)Bildung zukünftiger Tänzer*innen sinnvoll erfasst (Hardt/Stern 2019: 15). Unterschiedliche Feedbackvorstellungen sind dabei meist mit divergierenden Bildungs- und Vermittlungsverständnissen verbunden. Sue Askew und Caroline Lodge differenzieren in einer systematischen Erfassung drei verschiedene Feedbacktypen (1. Receptive-Transmission, 2. Constructive, 3. Co-Constructive), und die jeweils mit ihnen korrespondierenden Vermittlungsverständnisse und Selbstverständnisse der Lehrenden (Askew/ Lodge 2000: 4). Konkret begreifen sich Lehrende im 1. Feedbackmodell als ›Expert*innen‹, die über Wissen und Fähigkeiten verfügen und diese vermitteln. Das 2. Feedbackmodell stellt demgegenüber eine Erweiterung dar, insofern das Vermittlungsverständnis zusätzlich Möglichkeiten zum
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eigenständigen Entdecken der Lernenden einschließt sowie Transferleistungen fokussiert und fördern soll. Das 3. Modell ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass das Selbstverständnis von Lehrenden als selbstreflektierende Facilitators gefasst werden kann: Die Aufgabe der Lehrperson wird darin gesehen, Möglichkeitsräume für alle Teilnehmer*innen zu eröffnen, in denen Lernprozesse stattfinden können. Feedback ist dementsprechend nicht mehr offensichtlich mit den Lehrenden verbunden, sondern wird in der Konstellation ›nicht-intentional‹ generiert. Dabei wird der Fokus auf Lernen aus der traditionell monodirektionalen Perspektive unterlaufen und alle, inklusive des Facilitators, als Lernende im Prozess angesehen. Askew und Lodge fassen daher zusammen: Während im 1. Model Lernen primär kognitiv gefasst wird, werden im 2. Modell neben den kognitiven auch die sozialen Komponenten des Lernens und die Förderung des selbstmotivierten Aneignens einbezogen. Im 3. Modell wird ein Lernverständnis vertreten, das kognitive, emotionale und soziale Dimensionen des Lernens als sich bedingende Größen auffasst (ebd.). Diese Systematisierung stellt zwar Korrespondenzen zwischen Feedback- und Vermittlungsverständnissen und Formen dar, jedoch bleibt auch diese Studie primär auf Konzepte dieser fokussiert und weniger auf beobachtbare Praktiken. Zudem stehen darin weiterhin Lehrperson im Zentrum der Beobachtung, selbst wenn diese dann dezentriert werden. Auch die körperlichen und materiellen Vollzüge dieser Praktiken werden nicht thematisiert. Im Anschluss daran lässt sich jedoch fragen: Welche Formen und Verständnisse von Feedback können im Rahmen welches Bildungsverständnisses als ›wie‹ bildungsrelevant verstanden werden? Diese Frage ist von Bedeutung, weil sich die eben besprochenen Lernkonzepte nur eingeschränkt mit dem in Deutschland diskutierten Bildungsverständnis zusammenbringen lassen (Einleitung und Kapitel 6). Im Kontext kultureller und ästhetischer Bildungskonzepte wird in der deutschen Tradition zumeist mit einem Bildungsbegriff gearbeitet, der – in Abgrenzung zum (additiven) Lernen – vornehmlich Prozesse der (transformativen) Selbstbildung fokussiert (Stern 2011; Bockhorst et al. 2012; Koller 2012). Hierbei wird zwischen Erziehung einerseits und Bildung andererseits differenziert. Während Erziehungsprozesse demnach durch eine intentionale und (zumeist) normative Einflussnahme auf Zu-Erziehende von einem Außenstandpunkt (Lehrer*innen, Eltern) ausgeht, liegt der Bildung die Idee
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einer Selbstgestaltung des Subjekts in einer eigenständigen Auseinandersetzung mit der Welt zugrunde (Prohl 2010). Feedback aus der Perspektive solcher Bildungsverständnisse zu perspektivieren, bedarf eines dynamischen und relationalen Feedbackverständnisses. Demnach würden Feedbackpraktiken erst zu solchen, wenn etwas aktiv aufgegriffen, umgeformt und/oder zurückgewiesen wird. Paul Orsmond und seine Kolleg*innen sprechen hier davon, dass solche Prozesse nicht individualistisch verstanden werden, sondern sich in sozial situierten »communities of practices« vollziehen (Orsmond et al. 2013). Damit rücken Gemeinschaften, Kontexte bzw. (materielle) Settings in den Fokus der Beobachtung und fordern dazu auf, zu fragen: Welche Formen von Feedback und Reflexion werden in welchen Kontexten wie praktiziert? Wie beeinflussen Settings und die jeweilige Vermittlungspraktik Feedbackformen und Reflexionen, und wie bringen andererseits spezifische Feedbackpraktiken wiederum bestimmte Lehr- und Lernumgebungen erst hervor? Mit diesen Fragen gilt es einmal mehr idealisierende Konzepte von Reflexion und Feedback durch einen Abgleich mit praktizierter Vielfalt und institutionellen Rahmenbedingungen in einen kritischen und inspirierenden Dialog zu bringen. Es ist also gleichermaßen herauszuarbeiten, was einerseits die Möglichkeiten reflektierender Formate sind und andererseits, wie künstlerisch reflektierende Praktiken im Verhältnis zu institutionellen und ökonomischen Bedingungen zu verstehen sind. Dies lässt sich an eine praxeologischen Perspektive anbinden, die Feedbackprozesse sowohl immer als kollektiv als auch in Wechselwirkung mit inkorporierten sozialen Formierungen hervorgebracht versteht (die idealerweise damit auch bearbeitet werden können). Dies rekurriert auf ein Verständnis, welches Körper in ihrer Materialität, ihren ›impliziten‹ und mithin kollektiven Wissensformen als wesentliche Akteure von Reflexion und Feedback ausweist (Reckwitz 2003: 282ff.; Stern 2010; Alkemeyer et al. 2015; Brümmer 2015). In diesem Sinne gilt es, Doing Feedback und Doing Reflexion als und in den Konstellationen, Zeitlichkeiten und Prozessen kollektiver Hervorbringung aller Teilnehmer*innenschaften (Personen, Artefakte, Musik/Klänge usw.) und ihrer wechselseitigen Verflechtungen zu untersuchen. So lassen sich ›normativ-lösungsorientierte‹ oder ›intentionale‹ Feedbackvorstellungen auflösen, und es lässt sich vielmehr fragen: Welche kollektiven Feedbackprozesse zeigen sich in Praktiken? Welche Vorstellungen von Autor*innenschaft, Handlungsmacht, Expertise er-
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geben sich daraus? Welche (impliziten) Subjektverständnisse liegen den jeweiligen Konzepten und Praktiken des Feedbacks zugrunde und welche bildungstheoretischen Anschlüsse ergeben sich daraus? Dabei können körperlich-leiblichen Vollzugsgeschehen von Aneignungsund Vermittlungsprozessen mithin quer zu ganz unterschiedlichen Feedbackkonzeptionen und Praktiken laufen. Während sich beispielsweise in einem bestimmten Setting konventionelle Feedbackmodelle in der Praxis erkennen ließen – im Sinne einer monodirektionalen Verbesserung von Lernenden durch Lehrende – so macht ein Fokus auf Doing Feedback deutlich, dass auch hier Vorerfahrungen, Kontexte, Gruppendynamiken, Fragen sozialer Anerkennung und Kontingenz in diesen Praktiken zusammenwirken. Es gilt also (Aushandlungs-)Prozesse in den Blick zu rücken. Differenzen zwischen bildungstheoretischen Positionen zu Feedback und der Praxis ergeben sich auch aufgrund unterschiedlicher Einschätzungen von Begriffen und Konzepten. Beispielsweise wird in ästhetischtransformativen Bildungstheorien mit Begriffen der Irritation, des Stolperns oder Scheiterns operiert (Bockrath et al. 2008; Stern 2012; Koller 2012). Reflexion und Feedback wird demnach durch Probleme oder Konflikte evoziert oder als notwendig erachtet. Dieses nicht intentionale Verständnis von Reflexion und Feedback entspricht dem technischen Begriff von Feedback (einer zumeist ungewollten, lautstarken Rückkoppelung eines Mikrofons und Lautsprechers). Allerdings erweist es sich als wenig passfähig zu aktuell präferierten affirmativen Vorstellungen von Feedback in tänzerischen Vermittlungspraktiken. Auch in der oben angeführten Liste zu Reflexion wurden Begriffe des Scheiterns oder der Irritation von Teilnehmenden dieser Diskussion nicht benannt. In der Tanzszene sind primär Ideale eines als offen, einfühlenden, auf andere eingehende, Situationen erspürendes Verständnis von Feedback und Reflexion präsent. Für die Reflexionspraktiken werden daher positive besetzte Begriffe verwendet und nicht solche des Konflikts oder Scheiterns. Aus der Perspektive einer kritisch-künstlerischen Praxis tritt Feedback vor allem als Teil einer sich selbst reflektierenden Arbeitsmethodik in den Blick, wobei die Diversität dieser Praktiken sich auch in der Bedeutungsvielfalt von Feedbackverständnissen spiegelt (Greil/Sander 2018; Haffner et al. 2014). Dabei geht es weniger und mithin sogar explizit nicht um eine
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wissenschaftliche Systematisierung, sondern um ein in und aus der Praxis emergierendes Reflexionspotential bzw. »De-Flektion«, wie Rasmus Ölme es nennt.2 So werden Streuung, Öffnung und Dezentrierung zu zentralen Begriffen, die zumeist im Kontext von ›best practice models‹ diskutiert werden (Melzwig et al. 2005; Deufert et al. 2009). Offenheit der Feedbackverständnisse bezeichnet auch hier die Präferenz für konstruktive und zur Partizipation anregende Modelle von Feedback. Unter dem Schlagwort »educational turn« (Jaschke/Sternfeld 2012) werden Fragen nach der Demokratisierung von Wissen, der Rolle von Künstler*innen und Nicht-Künstler*innen, Zuschauer*innen und Kurator*innen und nach Möglichkeiten des Feedbacks in kollektiven Arbeitsformen aufgeworfen. Obwohl dabei alle Teilnehmenden und kollektive Austauschprozesse als zentrale Player*innen für Feedbackprozesse herausgestellt werden, werden diese jedoch selten in ihren konkreten Interaktionsgefügen untersucht. Vielmehr stehen auch in diesen aus dem künstlerischen Feld stammenden Publikationen Konzepte eines peer-generated Feedbacks im Zentrum eher als deren praktische Ausführung. Wird die institutionelle Rahmung von tänzerischen Projekten – ob dies nun solche von Tanz in Schulen oder die Ausbildung zukünftiger Tanzpädagog*innen betrifft – mit einbezogen, so ergeben sich komplexe und widersprüchliche Ansichten und Praktiken zum Feedback und die Präferenz für konstruktive Feedbackmodelle begründet sich noch einmal anders. So erscheint aus der Perspektive von Institutionen der (Aus-)Bildung (Schule, Hochschule, Universität) das programmatische Paradigma bildungstheoretischer Positionen der Irritation und des Scheiterns als Form der Feedbacks dahingehend abwegig, dass der Fokus auf Momente gezielter Kompetenzvermittlung und des Gelingens von (Aus-)Bildung liegt. Somit gilt es, auch die zugrundeliegenden Prämissen und institutionellen Rahmenbedingungen von Feedbackkulturen zu diskutieren. Bleiben dabei die mit Feedback verbundenen Reibungs- und Aushandlungsprozesse unberücksichtigt, können mithin weder die institutionellen und sozio-kulturellen Voraussetzungen beleuchtet werden noch eine kritische Reflexion des Paradigmas einer kon-
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Rasmus Ölme verwendete diesen Begriff in dem Format »Resonanzen«, das die Workshops der 5. Biennale Tanzausbildung am 22.02.2016 am ZZT der HfMT Köln öffentlich abschloss (http://2016.biennale-tanzausbildung.de/de/).
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struktiven Feedbackkultur geleistet werden. Daher gilt es zu fragen: Wie sieht Feedback und Reflexion in und von Institutionen aus? Wie stehen Reflexionspraktiken einzelner (Formate) in welcher Relation zu übergreifenden Vorgaben, Formen institutionalisierten Feedbacks und Evaluation?
ETHIK, HIERARCHIE UND ÖKONOMIE VON REFLEXIONS- UND FEEDBACKPRAKTIKEN Somit sind auch Fragen nach der Ethik und Hierarchie in neuartigen und mit flachen Hierarchien konzipierten Vermittlungs- und Feedbackkonstellationen nicht hinfällig. Durch die Institutionalisierung reflexiver und einst alternativ gedachter künstlerischer Produktions- und Vermittlungspraktiken werden Fragen nach den inhärenten Machtverhältnissen von Feedback virulent. Wie verschleiern Feedbackformen mithin Machtpositionen gerade in Kontexten, die Offenheit suggerieren? Welche impliziten oder expliziten Wissensreferenzen untermauern und legitimieren Feedback? Dabei können die jeweils spezifischen Kontexte selbst als eine Art des Feedbacks gelesen werden (Marchart 2005), die konträr zu idealisierten Feedbackvorstellungen verlaufen: beispielsweise, wenn die postulierte Offenheit einer Institution durch implizite Regeln und Ausschlussverfahren konterkariert wird. So wurde im Unterricht von angehenden Tanzvermittler*innen betont, dass Dinge ausprobiert werden sollen, dass Dinge scheitern können, dass es darum ginge, mit Unsicherheit umzugehen. In der Außendarstellung wurden dann aber einzelne Teilnehmende von der Möglichkeit des Vermittelns oder der Präsentation mit Verweis darauf, dass es ja auch »in Zukunft diese Kooperationen« geben solle, eingeschränkt oder in ihre Projekte interveniert. Solches institutionelle Feedback kann auch subtiler stattfinden, wenn innerhalb von Institutionen Teilnehmende entlang von recht unspezifischen Kompetenzen betrachtet oder evaluiert werden. Zum Beispiel indem Feedback nicht an spezifische Aufgaben gebunden ist, sondern ein eher diffuses Werten wirkmächtig ist, z.B. in Bezug darauf, inwiefern Einzelne avisierte Qualitäten (Durchlässigkeit) verkörpern oder nicht. Wann werden also welche Erwartungshaltungen mit unterschiedlichsten Formen institutionellen Feedbacks verbunden, artikuliert, durchgesetzt? Welche Referenzsysteme werden angelegt und wie werden diese
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wiederum befragt? Dass diese kritischen Fragen hier am Beispiel institutionellen Feedbacks von ›alternativen‹ tänzerischen Praktiken entwickelt wird, soll keinesfalls einseitig ›offene‹ Formate der Vermittlung kritisieren, sondern grundsätzlich dazu anregen zu fragen: Welche Ein- und Ausschlussmechanismen gehen mit je spezifischen Formen des Feedbacks einher? Welche Standards werden darin auffällig? Solche Fragen drängen sich in manchen Kontexten, die sehr viel hierarchischer sind, eher auf als in anderen. Daher gilt es auch jene Kontexte, die sich als ›offener‹ darstellen oder erlebt werden, solche Fragen aufzuwerfen. In diesem Rahmen lohnt es sich auch zu fragen, ob das Credo permanenter Reflexionsschleifen (wie es in zeitgenössischen Tanzpraktiken profiliert wird) selbst eine Norm mit bestimmten ästhetischen und diskursiven Formen ausbildet. Die allgegenwärtige Präsenz und Aufforderung zur Auseinandersetzung mit Feedback lässt sich mit einer Kultur der permanenten Selbstbeobachtung und Selbstreflexion in Verbindung bringen (Giddens 1991; Beck 1993; Alkemeyer et al. 2013). Unter Schlagworten wie »Norm der Transparenz« und »Ethos rückhaltloser Selbstöffnung« hat Ulrich Bröckling die Genese von selbstoptimierender Feedbackkultur im Kontext gruppentherapeutischer Prozesse herausgearbeitet (Bröckling 2006: 35). So verwundert es nicht, wenn manche somatisch basierte Tanzstunde auf Außenstehende wie eine therapeutische Sitzung wirken mag, wenn beispielsweise der Unterricht kontinuierlich durch sanft gesprochene Fragestellungen begleitet wird, die unterschiedliche Ebenen der Eigen-, Bewegungs- und Raumwahrnehmung anregen möchten. Feedback oder Reflexion dienen in solchen Szenarien mithin nicht mehr dazu, ein konkretes Ziel zu erreichen, sondern können Selbstzweck werden. Zugespitzt wäre danach zu fragen, ob Feedback in diesen Kontexten in die Nähe einer Befähigung zu stetiger Selbstoptimierung rückt. Auch dort, wo Feedback Einzelne oder Gruppengefüge in ihrem Miteinander besonders fördern will, wo es die Fähigkeit differenzierter sinnlicher Wahrnehmung auszubilden hilft, verschleiert es möglicherweise in seiner Kompetenzorientierung die Anpassungen an ein System, das zunehmend neoliberal marktkonforme und sich selbst optimierende Individuen verlangt. Der*die Künstler*in als vielseitig kommunikative*r, konstruktive*r und ästhetisch reflektierte*r Feedbacker*in wird hier anvisiert.
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VIELSEITIGKEIT, KOMPLEXITÄT, KOLLEKTIVITÄT VON FEEDBACK- UND REFLEXIONSPRAKTIKEN Doch eine praxeologische Perspektive vermag auch kritische Perspektiven auf Feedback durch die Pluralität der Praxis gegenzulesen. Greift eine leichtfüßige Kritik an der Kompetenz- und Optimierungskultur vielleicht dahingehend zu kurz, dass sie nicht betrachtet, wie Einzelne, Gruppen und Gefüge mit Feedback oder Reflexionsangeboten umgehen; was sie damit wie tun? Welche Feedbackverständnisse und Praktiken sind simultan in einem Setting, einer Institution, selbst in einer einzelnen Einheit nebeneinander präsent? So ist es wieder einmal von Bedeutung, Feedback und Reflexion als Suchbegriffe und nicht in Bezug auf eine ontologische Bestimmung zu fassen. Vielmehr gilt es die Vielfalt in den Blick zu nehmen. Welche Qualitäten werden mit Reflexion oder Feedback verbunden, wie werden sie charakterisiert? Werden sie als strukturiert oder intuitiv, als spielerisch oder humorvoll, als nachhaltig, leiblich oder wertfrei verstanden, gelebt oder erfahren? Und wie werden diese jeweils als solche und in welchen Settings hervorgebracht? Haptische, visuelle, multi-modale Praktiken der Reflexion und des Feedbacks Eine analytische Perspektive auf Feedback- und Reflexionspraktiken betrifft dabei sowohl, was unter der Prämisse der Reflexion oder des Feedbacks getan wird (z.B. reden, berühren, wiederholen, fragen, variieren), wie es getan wird (z.B. intuitiv, interessiert, strukturiert, taktil, humorvoll) und von wem. Reflexions- und Feedbackpraktiken sind dabei keinesfalls nur sprachlich verfasst, sondern zeichnen sich dadurch aus, dass sie in unterschiedlichen Modi und multi-modal geschehen. Beispielsweise können Feedback- und Reflexionspraktiken über Gegenstände oder in der Partner*innenarbeit evoziert werden. Zu klassischen Verfahren in tanzvermittelnden Praktiken gehört es beispielsweise, dass Hände auf den Körper der sich bewegenden Person aufgelegt werden, um Entspannung zu provozieren oder Hüften festgehalten werden, um eine Isolation der Beine und ihre Positionierung zu erfahren. Es können aber auch Bewegungen durch ein Ziehen provoziert werden, sodass die Initiation und Bewegungsabfolge klarer werden. Ebenso können aber auch sinnliche Variationen und Einschrän-
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kungen als Auslöser von Reflexion dienen und Feedback geben. Beispielsweise, wenn Bewegungsräume ungewohnt verkleinert werden. Solch eine Einschränkung kann das eigene Empfinden von Raum oder Platzierung befragen. Auch kann ein Schließen der Augen beim Tanzen unterschiedliche Reflexionen hervorbringen: z.B. dahingehend, welche Teile einer Sequenz bereits wie memorisiert sind, aber auch welche anderen Dimensionen der Bewegung durch Spüren und Hören wahrgenommen werden, die aufgrund der Dominanz des Visuellen weniger beachtet bleiben. Dies kann wiederum Aufschluss darüber geben, mit welchen Spannungen (Muskeltonus) Bewegung ausgeführt und welche Bewegungsmuster bevorzugt werden. Insofern diese Beobachtungen dazu anregen können, diese benannten Parameter zu bearbeiten oder zu variieren, verschränken sich hier Reflexion- und Feedbackpraktiken deutlich miteinander. Auch Videos dienen vermehrt dem Feedback und werden hier teils als »desaströs« erfahren, wenn nach den Fehlern in einer bestimmten Sequenz geschaut wird, bzw. Tanzenden ins Auge sticht, »wie schlimm« sie aussehen. Oder es wird als Medium der Gestaltung genutzt (welche Bewegungen funktionieren, wirken, welche nicht), oder wiederum als Inspiration gesehen, auch das vermeintliche Nicht-Gelingen als neuen »Style« zu identifizieren, der von nun an, gesucht oder variiert wird.3 Feedback- und Reflexionspraktiken ergeben sich zudem transprozessual – also über den Verlauf von Übungen oder auch ganzer Aneignungsprozesse hinweg. In dem in Kapitel 3 beschriebenen Beispiel wurde zunächst der Missstand verbal identifiziert, dass alle ein ähnliches Tempo in einer Improvisationsübung zeigten. Als Reaktion darauf intervenierte die Vermittlerin mit einer Übung – nämlich das In-den-Boden-gehen und das Wiederhinaufkommen nach zufällig in den Raum gerufenen Zählzeiten. Diese Übung förderte ein hohe und unerwartete Tempovarianz (z.B. sehr langsames Nach-unten-Gehen, sehr schnelles Hochkommen). Ohne weitere verbale Aussprache wurde danach die vorherige Improvisation wieder aufgenommen und zeigte nun eine auffällige Tempovielfalt (Kapitel 3: 116).
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Solche medial gestützten Verfahren sind vor allem in informellen Settings der Tanzaneignung präsent, die hier nur peripher erfasst wurden. Für eine eingehende Diskussion wie solche Verfehlungen und videogestützte Verfahren als Feedback dienen siehe Rappe/Stöger 2015; Stern 2010.
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Körperliche Übungen und Erfahrungen können so als reflexive Praktiken in andere Kontexte transferiert werden, sie informieren und verändern. Manchmal scheint ein Feedback erst nach langer Zeit »Sinn zu machen« oder kommt dann wieder in Erinnerung, während einer Bewegung oder Inspiration nachgegangen wird. Diese non-verbalen Zugänge lassen sich als körper- und bewegungsinduzierte Praktiken des Feedbacks und der Reflexion fassen und sind zumeist Teil eines körperlichen Repertoires und einer nicht schriftlich fixierten Vermittlungskultur. Sie basieren auf Erfahrungswerten. Dabei lassen sich die Logik und das Wissen solcher Verfahren durchaus für andere transparent machen, wenn in Reflexionsrunden darüber gesprochen wird, wie solche Interventionen auf andere wirken. Dies tun sie selten einheitlich und das kann aufschlussreich für andere sein. So empfinden manche bestimmte Berührungen einer Vermittlungssituation als angenehm oder wirksam, während andere sie als unangenehm, störend oder herausfordernd beschreiben. In Kontexten, in denen sogenannte Konsens-Praktiken zum Anfassen oder Berührung Teil der Praktik sind, werden diese Dimensionen der Berührung mithin bewusster erfahren oder thematisiert. So gilt es jeweils zu fragen: Welche Modi von Feedback (sprachlich, haptisch etc.) lassen sich jeweils erkennen oder unterscheiden? Welche (inter-)modalen Konstellationen bringen welche Formen von Feedback und Reflexion hervor? Wie konstituieren sich zwischenleibliche Feedbackkonstellationen und wie können sie erfasst werden? Konflikte sollten dabei keinesfalls als Störfaktor gesehen werden, sondern sind in der Regel Teil jeglicher Aneignungsprozesse. So ist Feedback nicht immer sofort zugänglich oder als solches erkennbar. Auch können Sprachgebrauch, Begriffswahl oder darin artikulierte Kunstverständnisse auf Missverständnis stoßen, wenn beispielsweise ein Ausdrucksverständnis von Tanz vertreten wird, das möglicherweise von dem eigenen abweicht. Andere motivieren die gleichen Äußerungen hingegen. Feedback ist somit auch ein Resonanzphänomen, wie es bereits in Bezug auf Sprache thematisiert wurde. Es bedarf der verschränkten Ausführung von Tätigkeiten bei wiederholter Erklärung, bis sich mithin leiblich-körperliche Aktion einerseits und der durch das Feedback formulierte Anspruch (»lasst das Gewicht weiter vorne«, »lasst Euch nicht ins Hohlkreuz fallen«) in der Umsetzung verständlich erweisen. Für die Wirkung oder Wahrnehmung solcher Feed-
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backangebote spielen einzelne Vorlieben ebenso eine Rolle wie die jeweils unterschiedlichen Standards oder Verfahren, an die sie gebunden sind. Reflexions- und Feedbackpraktiken in tänzerischen Vermittlungs- und Aneignungsprozessen zu reflektieren, bedeutet somit, sich von standardisierten oder idealisierten Formen dieser zu verabschieden und im Einzelnen zu fragen: Was machen die Teilnehmenden alles beim Reflektieren, wie und unter der Beteiligung von wem? Wie zeigen sich Feedback- und Reflexionspraktiken als kollektive Praktiken? Kollektiv evozierte Feedback- und Reflexionspraktiken Dass Reflexions- und Feedbackprozesse kollektiv hervorgebracht werden, wird beispielsweise dann deutlich, wenn Einzelne in Reflexionsrunden oder in Bezug auf ein gegebenes Feedback Unverständnis artikulieren. Dies kann einerseits in einem ›Unwissen‹ in Bezug auf Konventionen der Praxis begründet sein (z.B. wenn Leistungsparameter von nicht virtuos anmutenden Bewegungen nicht erkannt werden). Anderseits kann die Artikulation von Missverständnissen aber auch Teil einer bereits etablierten und erlernten kritischen Haltung sein, die genau durch solche Reflexionsformate immer wieder eingeübt wird. Solche kritischen Kommentare und Fragen können Reaktionen bei allen bewirken. Oft ist es dann die Gruppe oder einzelne Gruppenmitglieder – weniger die Vermittelnden – die die Sachverhalte (aus ihrer Perspektive) erklären, indem sie beispielsweise vehement darauf hinweisen, dass es nicht um persönliche Befindlichkeiten oder Emotionen gehe, sondern um ein möglichst wertfreies Wahrnehmen sinnlicher Eindrücke (Kapitel 4: 144). Solch ein Parteinahme oder Eintreten für Praktiken von Teilnehmenden kann nicht nur Inhalte, sondern auch Formate betreffen: Wenn beispielsweise Reflexionsrunden oder Feedbackgespräche verteidigt werden gegenüber Teilnehmer*innen, die sich lieber bewegen wollen und die ihrerseits argumentieren, dass es doch vielmehr darum ginge, sinnliches Spüren als Kompetenz zu begreifen, die geübt werden müsse. Diese Beispiele lenken nicht zuletzt den Fokus auf Dimensionen von Widerstand. Welche Widerstände und kritischen Potentiale werden in konkreten Feedback- und Reflexionskonstellationen sichtbar? Wie werden Reflexions- und Feedbackangebote aufgenommen, umgeformt, adaptiert und konterkariert? Wie bringen sie sich in wechselseitigen, unwegsamen Gefügen hervor?
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Teilnehmende haben in unterschiedlichen Formen Möglichkeiten, ein kritisches oder widerständiges Feedback auszuüben. Sie können explizit Begriffe, die Vermittelnde oder Teilnehmende verwenden, in Frage stellen, darauf hinweisen, dass Wertungen oder Ausgrenzungen damit geschehen. Sie können sich auch verweigern, indem sie sich an den Rand setzen oder Aufgaben lustlos machen und die Stimmung dadurch maßgeblich beeinflussen. Sie können Feedback geben, indem sie anderen Teilnehmenden Dinge in einer ›zugänglicheren‹ oder anderen Form erklären als die Vermittelnden. Dabei gilt es auch die Praktiken der Teilnehmenden nicht zu idealisieren. Sie sind genauso von Wertmaßstäben und Normen durchdrungen wie andere Vermittlungsformen; wenn beispielsweise ästhetische Präferenzen in Bezug auf Musik artikuliert werden, wenn es zu einem ausgesprochenen Widerstand in Bezug auf Kostüme kommt, wenn Aufgaben als gefährlich abgelehnt werden oder bestimmte identitäre Aspekte (z.B. Gender in Sitzkreisen zur Benennung von Namen und Pronomen) mehr Beachtung finden als andere (z.B. solcher sozialen Herkunft). Wie immer geht es nicht darum, diese Normen zu ›entlarven‹ oder zu bewerten, sondern als Teil einer komplexen Konstellation zu benennen, in denen vielfältige und kollektiv hervorgebrachte Möglichkeiten des Feedbacks und der Reflexion zu erkennen sind. Dabei erweist sich auch wieder einmal von Bedeutung, dass das, was in welchem Kontext von wem als widerständig erfahren wird, sehr unterschiedlich sein kann und zu unterschiedlichen Reaktionen führen kann. Während in einem Kontext das Nachfragen und kritische Kommentieren erwünscht ist, und mit einem »Oh, das ist eine wichtige Frage« kommentiert wird, wird die gleiche Frage in anderen Kontexten als »respektlos« empfunden oder schlicht übergangen. Auch das (bewusste) Ausbleiben von Feedback oder Reflexion schafft spezifisch reflexive Erfahrungsräume: Beispielsweise kann es bei Teilnehmenden ein Gefühl von Desinteresse kreieren oder es wird als kreativer Freiraum ohne Wertung erfahren. Insofern Scheitern und Probleme Reflexion und Feedback auslösen, gilt dies im gleichen Maße auch für Lehrende, die damit die Möglichkeit erhalten, wichtige Informationen über die Vorkenntnisse, Probleme, Wertsetzungen und Arbeitshaltungen der Teilnehmenden zu erfahren, die möglicherweise in einem Spannungsverhältnis zur eigenen Vermittlungspraxis oder verkörperten Ästhetik stehen. Solche koproduzierten Feedback- und Reflexionsschleifen werden heute von den meisten erwünscht. Doch oft stellt es
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gerade Lehrende vor enorme Herausforderungen, ihre eigene Vermittlungsweise zu befragen, weil dies mit Fragen nach Autorität und Können verbunden scheint. Es geht also darum zu fragen: Wie gehen Einzelne, inklusive der Vermittelnden, mit Feedback um? Welche Optionen werden aufgezeigt, artikuliert oder vorgelebt, damit umzugehen? Wie wird also ein Umgang mit Feedback vermittelt oder thematisiert? Wie wird auf Unverständnis reagiert? Dabei kann auch der Umgang mit Scheitern und harschem Feedback erlernt werden. Das betrifft alle Teilnehmenden. So können alle als ›Vorbilder‹ fungieren, indem sie spiegeln, wie Feedback auf sie wirkt, indem sie zurückfragen, indem sie ihre Betroffenheit artikulieren und Lösungen finden möchten, indem sie zeigen, wie sie sich dazu verhalten möchten. Dazu kann auch das Ignorieren gehören. Letztlich sind Feedbackpraktiken immer in Bezug auf die Kontexte, in denen sie praktiziert werden, zu untersuchen. Wie zugänglich dabei Feedback- oder Reflexionsformen für Einzelne sind, hängt sowohl mit den einverleibten Lern- und Aneignungsstrategien und persönlichen Erfahrungswerten als auch mit ästhetischen und pädagogischen Normen zusammen, die mit auf die Feedbackkonstellationen einwirken und die sich vor den jeweiligen biografischen sowie gruppendynamischen Kontexten jeweils aufschlüsseln lassen. Institutionelle Macht, die beispielsweise mit Ausbildungskontexten einhergeht, lässt ein harsches Feedback möglicherweise anders erfahren, als wenn es im Rahmen von Workshops oder informellen Settings passiert. Was sich für die einen essenziell bedrohlich anfühlt (Notenvergabe oder Ausschluss drohen), kann Außenstehende dazu veranlassen zu sinnieren, was eine Situation so hat eskalieren lassen, dass ein*e Vermittelnde*r oder Teilnehmende*r so harsch wurde. Die hier besprochenen Fragen und Untersuchungsperspektiven können damit auch einer Evaluation von Feedback- und Reflexionspraktiken dienen. Vor allem möchten sie dazu anregen, beides in komplexen Konstellationen zu betrachten, um Idealisierungen zu vermeiden.
FAZIT Sprache ist dabei zentraler Teil von Feedback-und Reflexionsprozessen und zudem stetiger Begleiterin aller beobachteten Vermittlungspraktiken im
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Tanz. Selbst wenn tänzerische (Vermittlungs-)Praktiken deutlich machen, dass diese multimodal zu verstehen sind, sollte sich vom Mythos der nonverbalen Tanzkunst verabschiedet werden. Sonst kann mithin das Potential und die Funktion die Sprache, Feedback- und Reflexionspraktiken im Feld zukommt, nicht erfasst werden. Sprach- und Feedbackpraktiken stiften zugleich Sinn wie sie auch Atmosphären und das Miteinander gestalten. Dies wirkt sich wiederum darauf aus, ob Einzelne oder Gruppen sich in den jeweiligen Settings als selbstwirksam oder eben nicht erfahren. Sprache, Feedback- und Reflexionspraktiken sind daher konstitutiv an dem beteiligt, was als Teilhabeprozesse (Kapitel 6) beschrieben wird. Mehr noch in den Problematiken, die sie aufrufen, weisen sie darauf hin, dass Irritationen und Scheitern zentrale Aspekte tänzerischer Vermittlungs- und Aneignungspraktiken sind. Diese werden nun im folgenden Kapitel eingehender behandelt.
WEITERFÜHRENDE LESETIPPS Susan Askew/Caroline Lodge (2000): »Gifts, ping-pong and loops. Linking feedback and learning«, in: Susan Askew (Hg.): Feedback for Learning, New York: Routledge, 1–17. Yvonne Hardt/Martin Stern (Hg.) (2019): Körper – Feedback – Bildung. Modi und Konstellationen tänzerischer Wissens- und Vermittlungspraktiken, München: kopaed. Beatrice Jaschke/Nora Sternfeld (Hg.) (2012): Educational Turn. Handlungsräume der Kunst- und Kulturvermittlung, Zürich: Turia + Kant. Lea Spahn/Martin Stern (2020): X-it. (Selbst-)Reflexion für Tanzvermittler*innen in der Kulturellen Bildung, https://www.uni-marburg.de/de/fb21/ sportwissenschaft-motologie/personenseiten/refbogen.pdf [29.03.2023].
8 Der Umgang mit Irritation und Scheitern Zwischen Bildungschance und neoliberaler Strategie
• Was wird unter Irritation und Scheitern von wem verstanden? • Welche Bedeutung hat Scheitern in bildungstheoretischen Studien, wel-
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che in der ästhetischen Theorie? Welche Potentiale werden Irritation und Scheitern für die Bildung zugeschrieben? Wie werden die sozialen und systemischen Dimensionen von Scheitern diskutiert? Welche Perspektiven bringt eine Kategorie des Scheiterns mit in die Forschung ein? In welchen Formen und Konstellationen lässt sich Irritation und Scheitern in der Vermittlungspraxis erkennen und erforschen? Wo und wie werden Normen und Standards etabliert, die dazu führen, dass Schüler*innen, Künstler*innen oder Vermittelnde sich als gescheitert begreifen? Wann und wie werden Potentiale des Scheiterns gesehen, artikuliert, reflektiert? Welche Diskurse, Tropen, Begriffe werden im Kontext von Erfahrungen von Scheitern aufgerufen, verwendet, abgelehnt? Wie wird mit Scheitern umgegangen? Was sind die Folgen von Scheitern und werden sie erkennbar und thematisiert? Welche Machtstrukturen, welche Ressourcenverteilung, welche Diskurse sind daran beteiligt? Wie spielen sich gegenderte Vorstellungen von Scheitern in der Tanzvermittlung und -aneignung aus?
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Irritation und Scheitern sind zentrale, aber auch höchst ambivalente Begriffe bzw. Kategorien für die Analyse und Erforschung von Tanz und kultureller Bildung. Beide Begriffe sind dabei keinesfalls gleichzusetzen: Irritationen haben mithin keine gravierenden negativen Folgen, während Scheitern diese durchaus haben kann. Irritationen werden vor allem auf der Ebene von Empfindungen und Wahrnehmungen diskutiert (Bilstein/Zirfas 2017; Klinge 2017), hingegen wird Scheitern eher in Bezug auf Normen, Referenzen, Standards oder Zielsetzungen virulent, die nicht erfüllt werden (O’Shea 2019; Appadurai 2020; Rieger-Ladich 2014; Mica et al. 2023). Dennoch teilen beide Begriffe und die damit assoziierten Phänomene, dass sie einerseits in bildungstheoretischen Diskursen als grundlegend für Bildungsprozesse erachtet werden (Marotzki 1990; Kokemohr 2007; Koller 2011), anderseits in der tanzpädagogischen Praxis – wie sie in Teilnehmenden Beobachtungen und Gesprächen beobachtbar war – hingegen eher als Störfaktor, zu Vermeidendes gelten oder nicht thematisiert werden. Doch was ist genau mit Irritation und Scheitern gemeint? Wer scheitert oder scheitert nicht: Lehrende, Teilnehmende, Prozesse, Settings? Welche theoretischen Referenzen werden in Bezug auf Irritation und Scheitern jeweils angelegt? Wie stellen sich kritische Perspektiven auf den Umgang mit Scheitern dar? Unbenommen der unterschiedlichen Verständnisse und Bedeutung, die Irritation und Scheitern zugesprochen werden, lenken sie den Fokus auf Themen oder Sachverhalte des Konflikts, Unverständnisses, Nicht-Wissens oder Nicht-reibungslos-Funktionierens. All dies sind Phänomene, die ästhetische Theorien bedeutend für zeitgenössische künstlerische Prozesse und Performances erachten. Sie stehen auch für die Unterwanderung von ästhetischen und gesellschaftlichen Normen und damit für widerständige Momente in der Kunst (Bailes 2011; Halberstam 2011). Andere Theorien wiederum werfen einen kritischen Blick auf diese vermeintlich widerständigen Aspekte des Scheiterns als Teil einer kapitalistischen Leistungslogik. Sie weisen auf eine asymmetrische, vor allem sozial ungleiche Verteilung von Scheitern hin. So sei Scheitern in einer neoliberal geprägten Gesellschaft nicht vorgesehen, es gelte, wenn überhaupt, als ein notwendiger Schritt auf dem Weg zum Erfolg (kritisch dazu Appadurai/Alexander 2020; O’Shea 2019). Damit lassen sich Diskurse des Scheiterns mit solchen eines stetigen Optimierungszwang verbinden. Scheitern wird in einer neoliberalen Perspektive zu einer individuellen Sache gemacht (ebd.; Junge et al. 2004).
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Um einem solcherart personifizierten Verständnis von Scheitern entgegenzuwirken, werden die sowohl systemischen als auch sozialen Aspekte des Scheiterns zunehmend diskutiert. Denn es gibt durchaus reale Unterschiede auszumachen, wer und wieso scheitert, in welchem Rahmen und mit welchen Konsequenzen: Während Banken too big to fail sind, verlieren kleine Hausbesitzer*innen ihr Heim. Scheitern ist zutiefst vom sozialen Status und Gender abhängig (O’Shea 2019; Halberstam 2011). Um einen ersten Einblick in diese komplexe Gemengelage an Positionen zu Irritation und Scheitern zu geben, wird dieses Kapitel mit einem theoretischen Aufriss beider Begriffe beginnen. Dieser Aufriss kann – wie in den anderen Kapiteln auch – nur schematisch erfolgen, da die Literatur zu Scheitern sowohl im interdisziplinären Forschungskontext als auch in Form von Selbsthilfebüchern schier unüberschaubar ist. Im Fokus stehen hier also jene Perspektiven, die sich zu bildungstheoretischen, ästhetischen und sozialen Dimensionen, die für kulturelle Bildung im Tanz relevant erscheinen, in Bezug setzen lassen. Im Anschluss werden anhand konkreter Beispiele, in denen Irritationen und Scheitern zu beobachten war, eben diese in ihrer Vielschichtigkeit der Praxis aufgezeigt. Dabei wird auch deutlich, dass sich Irritationen und Scheitern manchmal abseits großspuriger theoretischer Setzungen bewegen. Irritation und Scheitern sind zwar ständige Begleiter jeglicher Praxis, allerdings müssen sie nicht immer etwas ›bewirken‹, oder gar größeren theoretischen Prämissen folgen. Wie verhalten sich daher die Beispiele zur Theorie? Wie helfen sie, diese zu hinterfragen? Zugleich lässt sich an diesen Beispielen verdeutlichen, dass eine theoretische Rahmung, die Irritation oder Scheitern als Kategorie der Fokussierung einbringt, wichtige Parameter für die Beschreibung, Unterscheidung und Analyse von Tanz in Bildungskontexten bereitstellt.
IRRITATION UND SCHEITERN IN BILDUNGSTHEORETISCHEN PERSPEKTIVEN Irritationen und Scheitern werden bildungstheoretisch als zentrale Bausteine für Lernen, Veränderung und Weiterentwicklung gesehen (Marotzki 1990; Kokemohr 2007; Koller 2011; Stern 2011; Bilstein/Zirfas 2017). Krisen, Fehler und Probleme markieren dabei ein Feld von Irritation und Scheitern, das wenig Gefahren zu bieten scheint und primär positiv besetzt
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ist, auch wenn die individuelle Erfahrung derselben durchaus schmerzlich sein kann. Insbesondere Irritation – neben Befremdung oder Verunsicherung – hat einen zentralen Stellenwert in dieser Diskussion. So haben Bilstein und Zirfas in einer systematischen Zusammenfassung zur pädagogischen Anthropologie Irritation als eine von sechs zentralen Aufgaben kultureller Bildung ausgemacht. Im Kontext der säkularen Moderne und Entwicklung einer sogenannten »Kunst-Religion« stehe Kunst zunehmend für Erfahrungen des Unerwarteten und Kontingenz. Kunstwerke gelten als eine »Instanz der existenziellen Infragestellung« und bringen Beunruhigungen und Fragen zum Ausdruck, die im Zuge der Säkularisierung ihren institutionellen Ort verloren haben (Bilstein/Zirfas 2017: 42). Insbesondere Aspekte der Verunsicherung und Infragestellung sind bildungstheoretisch für das tanzpädagogische Forschungsfeld von Bedeutung und werden aufgegriffen. Klinge (2014) rekurriert diesbezüglich für ihr Bildungs- und Lernverständnis auf Mayer-Drawe (2008), wenn sie Erfahrungsdimensionen und vor allem Verunsicherungen als Fundament für jegliche Form des Lernens exponiert: »›Denn erst durch die Irritation vorhandener, lebensweltlicher Erfahrungs- und Wissensbestände eröffnet sich ein neuer Horizont‹ (Meyer-Drawe 2008: 212). Bislang gültige Erfahrungsmuster werden aufgemischt, so dass Um- oder Neudeutungen notwendig werden. […] Bestehende Erfahrungen werden in Frage gestellt, weil sie an Grenzen stoßen, die Widerstand auslösen und Differenzerfahrungen hervorrufen« (Klinge 2010: 89).
Solche für die Bildung als notwendig erachtete Irritationen ergeben sich jedoch für Klinge nicht aus jeglicher tänzerischen Praxis. Vielmehr bedarf es, um Bildungsprozesse in Gang zu setzen, spezifischer Vermittlungsverfahren von Tanz, die eine prinzipielle Offenheit und Kontingenz ermöglichen (ebd.). In Anlehnung an Ursula Fritsch, geht Klinge davon aus, dass es ein Verständnis von Tanz benötige, dass sich nicht primär an Tanzformen orientiere, sondern diese überschreite, in dem Sinne, dass Bewegungsgewohnheiten befragt werden. Hierfür sieht Klinge vor allem zeitgenössische, hybride Tanzformen als zielführend, da in diesen Kontexten eine Suche nach neuen Erfahrungsräumen, nach Verfremdungen des Vertrauten und Entdeckungen des Ungewöhnlichen kennzeichnend sei (ebd.). Auch Stern (2010; 2011) diskutiert beispielsweise ausgewählte Formen der Kontaktim-
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provisation oder zeitgenössische kompositorische Verfahren, die gewohnte Wahrnehmungen und Gelingensstandards durch Irritation befragen, als in diesem Sinne bildungsrelevant. Momente der Irritation scheinen hier sowohl an Vermittlungs- als auch Tanzformen gebunden zu sein, selbst wenn zunächst eine Anbindung an bestimmte Tanzstile und Bewegungsvorgaben ausgeschlossen wird. Solche Setzungen lassen sich einerseits mit dem historischen Kontext ihrer Entstehung erklären. Im Fall von Fritsch waren beispielsweise zeitgenössische tänzerische Verfahren in den 1990er Jahren noch nicht übergreifend etabliert. Moderner Tanz – wie es sich damals zumeist noch nannte – bot eine Alternative zu den dominanten Vermittlungsformen im Ballett, die klassische technische Virtuosität in Bezug auf vorgegebene Bewegungsformen einforderten. Andererseits ist solch eine eindeutige Positionierung für bestimmte zeitgenössische Praktiken als Quelle von Irritation und Erweiterung von Welt- und Selbstverhältnissen oft verwoben mit den jeweiligen biografischen Reisewegen durch das tänzerische Feld. So werden jene Praktiken – und die Autorin dieses Buchs schließt sich da nicht aus – die einst selbst bildungsrelevant oder zumindest mit einem Aha-Effekt verbunden waren, teils als Leitbild herangezogen, wenn sie nicht selbst wieder kritisch befragt werden. Auch in vielen sportwissenschaftlichen Kontexten bleibt das Verständnis von modernen oder zeitgenössischen Tanzpraktiken als primär durch Offenheit charakterisiertes Phänomen bestehen. Doch gerade zeitgenössische Verfahren machen deutlich, dass der Umgang mit Irritation und Scheitern sowohl auf der produktionsästhetischen Ebene wie auf der Rezeptionsebene bereits länger als etabliertes Verfahren und Standard tänzerischer Praktiken gelten kann. Beispielsweise haben Kleinschmidt (2018) in Bezug auf Probenprozesse und künstlerische Forschung und Foellmer (2013) in Bezug auf die Dekonstruktion von Körperformen, herausgearbeitet, wie sehr das Aufbrechen von etablierten Formen und Routinen sowie das Sich-selbst-Irritieren zu einem Standard der Praxis geworden ist, bzw. in den Worten von Foellmer als »Inventar« tänzerischer Praktiken zu verstehen sei. Für wen gilt also was als neu, irritierend oder die eigene Praxis befragend? Was passiert einerseits mit Möglichkeiten zur Irritation (vor allem durch Fragen und explorative Offenheit), wenn forschende Tanzverständnisse bereits zur Norm geworden und die damit verbundenen explorativen Arbeitsformen mit einer Erwartungshaltung verbunden sind? Was passiert andererseits, wenn zeitgenössische
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tänzerische Praktiken so fern oder unvertraut sind, dass sie nicht mal als Anlass für Irritation oder Beachtung werden? Die Annahme, dass explorative zeitgenössische Tanzpraktiken und ihr Fokus auf Selbstbefremdung fest etabliert und zu einem Standard geworden sind, muss natürlich relativiert werden, da dies nur auf das engere Feld tänzerisch-künstlerischer Praktiken zutrifft. Es gibt Kontexte, in denen die Irritation oder das Nicht-Verstehen zeitgenössischer Tanzpraxis einfach zur Ablehnung und Desinteresse führt. Vor diesem Hintergrund sehen es Bilstein und Zirfas (2017) äußert kritisch, Irritation, die durch Kunst – gar auf einer körperlich-sinnlichen Ebene – provoziert werden soll, als generell bildungswirksam zu erachten. Solch ein Fokus auf Bildung durch Irritation – so ihre These – würde lediglich auf ein bürgerlich und akademisch geprägtes Umfeld/Mittelschicht wirken bzw. sei passgenau für dieses (ebd.: 46). Für das tanzvermittelnde Feld bedeutet dies, dass stärker spezifiziert werden müsste: Wann und für wen erwachsen aus einer irritierenden Tanzpraktik Möglichkeiten der Reflexion und Bearbeitung von Weltund Selbstverhältnissen? Für wen und wann provoziert sie schlicht Ablehnung oder Desinteresse? Mehr noch gilt es zu fragen: Welche Inhalte, Konstellationen und Bedingungen sind daran beteiligt, durch zeitgenössische tänzerische Praktiken Irritation oder Bildungsprozesse anzuregen? Um das zu untersuchen, ist es notwendig, davon Abstand zu nehmen, dass sich spezifische als offen beschriebene Tanzformen grundsätzlich zur Irritation und Bearbeitung von Selbst- und Weltverhältnissen eignen und genauer zu fragen: Was machen Einzelne in welchen Kontexten mit diesen Verfahren? Zudem ist fraglich, ob jede Praxis, die irritiert, bildungsrelevant ist. Vielmehr gilt es zu fragen: Welchen Möglichkeitsraum geben Praktiken, um mit Irritation umzugehen? Wie lässt sich das Selbstverständnis der Praktiken in Umgang mit Irritation und Scheitern erforschen und befragen? Im Kontext von kulturellen Bildungstheorien und vor allem im Kontext von Tanz fällt auf, dass primär der Begriff der Irritation fällt, weniger hingegen jener des Scheiterns. Die Abwesenheit des Begriffs des Scheiterns scheint auch auf die weitere pädagogische Forschung zuzutreffen. Markus Rieger-Ladich (2014) weist darauf hin, dass der Begriff in der allgemeinen Erziehungswissenschaft sogar als Suchbegriff in Handbüchern der Pädagogik fehle. Er vertritt die Ansicht, dass dies in einer Überidentifikation mit den zu erreichenden Zielen begründet sei (ebd.: 284). Forschende im Be-
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reich der Pädagogik möchten demnach gerne, dass das, was sie theoretisch postulieren, auch in der Praxis funktioniert. Einer der wenigen Ausnahmen ist Koller, der explizit Scheitern in seinem transformativen Bildungsverständnis als Voraussetzung und Angelpunkt von Bildung begreift (Koller 2011; 2012; Koller/Rieger-Ladich 2013). Insofern in primär didaktisch orientierten Kontexten Scheitern, Fehler, Versagen von Konzepten, Lehrformaten, Schüler*innen in unterschiedlichen Konstellationen thematisiert wird, gescheit dies zumeist mit dem Impetus diese vermeiden zu wollen. Weder Lehrende noch Schüler*innen dürfen demnach scheitern (RiegerLadich 2014). Bildungstheoretische Positionen – die Bildung also primär mit der Bewältigung von Krisen und Problemstellungen verbinden (Marotzki 1990; Kokemohr 2007; Koller 2012) – stehen somit praktisch didaktischen Dimensionen gegenüber, die Scheitern eher vermeiden möchten. Diese grundlegende Haltung, Scheitern zu vermeiden, lässt sich durchaus begründen. So deuten Studien, wie jene von Daniel Kahnemann (2011) darauf hin, dass Erfolg zwar dazu führt, weitermachen zu wollen, aber zugleich das Gewinnen weniger Anreiz bietet, Leistung und Einsatz zu zeigen, als die Angst davor zu scheitern (ebd.). Scheitern ist – und das sollte immer wieder betont werden – schmerzhaft und dennoch notwendig, um ›Resilienz‹, also die Fähigkeit mit Problemen, Versagen, Krisen umgehen zu können, auszubilden (O’Shea 2019). Das Ausbleiben von Scheitern ist demnach für die Entwicklung von Individuen ebenso problematisch, wie das zu häufige Erfahren von Scheitern. So werden mittlerweile an U.S.amerikanischen Schulen Kurse angeboten, die Schüler*innen den Umgang mit Krisen vermitteln sollen, vor dem Hintergrund einer Lebenswelt, in der sie selbst nicht mehr scheitern, weil beispielsweise jede*r gute Noten und Lob erhält (ebd.: 211). Scheitern bleibt also in diesen pädagogischen Kontexten sowie in der Forschung etwas, das primär als Stepping Stone für ein erfolgreiches Leben fungiert. Es gilt das Scheitern zu überkommen. Zahlreiche Selbsthilfebücher versprechen hier Einsichten und wollen das ›bessere‹ oder gar meisterhafte Umgehen mit Scheitern vermitteln (Zwack 2019; Czerner 2020 u.v.m.).
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SCHEITERN ALS ÄSTHETISCHE STRATEGIE ›Besser zu scheitern‹ kann aber durchaus anders und abseits solcher neoliberalen Diskurse verhandelt werden. Mit ›besser scheitern‹ wird vor allem in der zeitgenössischen Theater- und Performancetheorie auf Berthold Brecht verwiesen, der damit einen veränderten Umgang mit dem NichtGelingen der Repräsentation bezeichnete (Bailes 2011: 75). So wundert es dann auch nicht, dass Scheitern und Irritation im künstlerisch-theoretischen Diskurs und in Bezug auf Formen des sogenannten post-dramatischen Theaters, zu denen auch der zeitgenössische Tanz zählt (Lehmann 1999), weit weniger negativ konnotiert ist. Fragen nach der Be- oder Verfremdung, nach Irritation und vor allem nach Scheitern und den damit verbundenen Grenzüberschreitungen finden sich in zahlreichen neueren Studien zu Performance-, Theater- und Tanzkunst. Titel wie: Performance-Theater and the Poetics of Failure (Bailes 2011); The Queer Art of Failure (Halberstam 2011); Beyond Failure: New Essays on the Cultural History of Failure in Theatre and Performance (Fisher/Katsouraki 2019) verdeutlichen den zentralen Stellenwert des Scheiterns für die Forschung zu den performativen Künsten. Ein ›veränderter‹ und zumeist gewollter Umgang mit Irritation und Scheitern scheint mithin zur Definitionspraxis und zum konstitutiven Selbstverständnis zeitgenössischer Performancekunst zu gehören. Dies ermögliche – so die Argumentation – eine Protesthaltung oder kritische Perspektive auf etablierte Standards der eigenen Kunst, aber auch in Bezug auf gesellschaftliche Normen, einzunehmen. So postuliert Bailes recht exemplarisch für diese Sichtweise: »Failure challenges the cultural dominance of instrumental rationality and the fictions of continuity that bind the way we imagine and manufacture the world. Yet increasingly a discourse of failure in art practices has mapped a vibrant countercultural space of alternative and often critical articulations, in which conventional standards of virtuosity are challenged and methods of practices scrutinized and reworked« (Bailes 2011: 2).
Mehr noch, Kontingenz und die Möglichkeit des Scheiterns durchdringt alle Bereiche, und demnach sind auch Kapital und Macht nie unangefochten. Während dies oft zufällig und ungeplant geschieht, werden hingegen in künstlerischen Kontexten Aufgabenstellung bewusst so gewählt, dass sie
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zum Scheitern führen (um mehr Authentizität zu evozieren), oder nicht trainierte oder ausgebildete Performer*innen werden zu Held*innen des Alltags (Bailes 2011; Matzke 2005), um somit klassische Virtuosität bzw. Virtuositätsvorstellungen zu unterlaufen. Solch emanzipatorisches und ästhetisches Pathos bietet sich sicherlich je nach Kontext an – doch es gilt auch hier vorsichtig zu sein, Scheitern als alternative Handlungsstrategie per se zu setzen, weil solche Verfahren der Irritation und des Scheiterns bereits selbst neue Normative und Routinen etabliert haben (Foellmer 2013; Kleinschmidt 2018). Zudem stellt sich nicht jedes Scheitern oder gar Plädoyer für Scheitern als den Normen der Gesellschaft widersetzend. Scheitern sollte auch in seinen systemischen Bedingungen, also z.B. auf soziale Konstruktionen hin reflektiert werden. So entwirft Jack Halberstam in The Queer Art of Failure (2011) ein deutlich ambivalenteres Bild des Scheiterns als eine kritische (künstlerische) Praxis. Zwar postuliert Halberstam: »Other subordinate, queer, or counterhegemonic modes of common sense lead to the association of failure with nonconformity, anticapitalist practices, nonreproductive life styles, negativity and critique« (ebd.: 89). Dennoch verhandelt Halberstam Scheitern abseits eines heroisch widerständigen Gestus und vielmehr vor dem Hintergrund von queeren Identitätsentwürfen. Diese passen nicht in heteronormative Standards und erscheinen immer schon als ›gescheitert‹, wenn an diesen gemessen. Halberstam plädiert daher für eine genaue Analyse, wie Scheitern in der Kunst figuriert und kann anhand einer Diskussion des Films Trainspotting (Boyle 1996) – jenem notorischen Beispiel, das Scheitern oder eine Kultur der Gescheiterten ikonisch inszeniert – deutlich machen, wie darin durchaus patriarchale Strukturen aufgerufen und bestätigt werden. Denn das gefeierte Versagen des Antihelden Renton, der sein Verhalten zunächst durchaus sozialkritisch und antikapitalistisch begründet, wenn er Konsum oder Familiengründung als wenig attraktive Ziele im Leben bloßstellt, entlarvt Halberstam als frauenfeindlich und aggressiv (Halberstam 2011: 92). Vor diesem Hintergrund plädiert Halberstam dafür, eine weniger eindeutige Vorstellung von Scheitern als Gegenteil von Gewinnen zu definieren. Es ginge vielmehr um eine »leise« Form des Scheiterns, dessen Potential darin liegt, mit Ironie, Melancholie und Dunkelheit zu arbeiten, also eine Kreativität zu exponieren, die ihren Preis nicht verschleiert (ebd.: 89).
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GESELLSCHAFTSPOLITISCHE DIMENSIONEN DES SCHEITERNS Die Kosten des Scheiterns im Blick zu behalten, bei einem gleichzeitigen Entwurf eines alternativen Verständnisses bzw. einer Praxis des Scheiterns, unternimmt auch Janet O’Shea in Risk, Failure and Play (2019). Sie schlüsselt das komplexe Verhältnis von Risiken, Scheitern und Spiel vor dem Hintergrund seiner sozialen Bedingungen auf. In ihrer Auseinandersetzung als Tänzerin und Tanzwissenschaftlerin, die sich dem Kampfsport widmet, zeigt sie nachdrücklich wie sehr Scheitern sowohl gegendert ist als auch abhängig von ›Klassenzugehörigkeit‹ bzw. vom sozialen Status (O’Shea 2019: 108f.). So folgt sie einer Interpretation, nach welcher Scheitern für Männer immer noch die Gefahr birgt, an einer konventionellen Form von ›Männlichkeit‹ einzubüßen. Hingegen bestätigt Scheitern bei Frauen, von denen tendenziell – vor allem in physischer Hinsicht – immer noch weniger erwartet wird, eher Erwartungshaltungen bezüglich Weiblichkeit. Durch ihr Versagen wird also nicht ihre Weiblichkeit, wohl aber ihr Status als vollwertiges Subjekt gefährdet. Mehr noch: Scheitere ein Mann, scheitert er als Person, während eine Frau, die an einer physisch oder intellektuell schwierigen Aufgabe scheitere, dies stellvertretend für alle Frauen täte – geht es doch indirekt darum zu beweisen, dass ›Frau‹ das kann. Wenn Frauen jedoch die gleichen Ziele verfolgen und diese auch selbstbewusst erreichen, so wird das einem personalisierten Wunsch zugeschrieben (Frau möchte/will Erfolg haben), während hingegen ein Mann Erfolg brauche (Mann muss Erfolg haben) (O’Shea 2019: 109). Auch wenn solche klaren Mann-Frau-Dichotomien und Zuordnungen gender-theoretisch durchaus problematisch erscheinen, erfassen sie doch immer noch unterschiedliche gegenderte Erfahrungswelten in Bezug auf Scheitern und provozieren Fragen danach: Wie spielen sich gegenderte Vorstellungen von Scheitern in der Tanzvermittlung aus? Welchen Einfluss hat es, dass das tanzpädagogische Feld zumeist von jenen, die sich als Frauen identifizieren, geprägt ist? O’Shea ist auch deshalb für die Forschung in der kulturellen Bildung von Interesse, weil sie Scheitern in körperlichen Lern- und Aneignungsprozessen thematisiert und beschreibt. Sie betont, dass jede Praxis, die neu erlernt wird, von Scheitern begleitet ist. Zugleich zeigt sie besondere Herausforderungen im Sport und Kampfsport auf. Gängiger Weise gehört im
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Sport, vor allem in Wettkämpfen, zu jedem*r Gewinner*in auch ein oder mehrere Verlierer*innen. Doch anhand ihrer Erfahrungen des Sparrings (mit Vollkontakt) kann O’Shea eine andere Form des Scheiterns bzw. den Umgang mit Scheitern erlernen und erklären. Wenn sie beispielsweise mit einer überlegenen Kämpferin im Sparring ist, kann sie, obwohl sie jämmerlich geschlagen wird (mit all den Schmerzen, die echter Kontakt und Tritte provozieren) und es ihr nicht gelingt, eigene Schläge zu platzieren, einen Stolz entwickeln, die Runde durchzustehen. Nicht vollständig zu scheitern und damit umzugehen, Dinge auszuhalten, ohne dabei zwischen Verlieren und Gewinnen Grenzen ziehen zu müssen, erlaube nicht nur das Erlernen des Umgangs mit Misserfolg, sondern auch Scheitern umzudeuten und nuancierter zu fassen.1 Nicht ganz so schmerzhaft müssen die Erfahrungen in Tanzstunden oder Projekten sein, doch wenn wir Konstellationen von Tanzvermittlung erforschen, können wir fragen: Welchen Raum gibt es, Verständnisse, Wertungen und Referenzrahmen von Scheitern umzudeuten? O'Shea konstatiert, dass um ein Lernen mit/durch/zu Scheitern zu ermöglichen, es Kontexte bedarf, in denen genug Zeit und Raum gegeben wird, Scheitern (z.B. in der Schule) auch zu bearbeiten. Dies kann nur geschehen, wenn die physischen und sozialen Konsequenzen nicht zu hart oder determinierend sind. Dafür bedarf es einer Befragung der jeweiligen Referenzsysteme, Normen und Hierarchien, die Scheitern als Scheitern definieren, und andere Dinge als Scheitern unsichtbar machen. Wie Appadurai und Alexander in ihrem Buch Failure (2020) überzeugend argumentieren, hängt Scheitern mit Bewertung bzw. Wertung zusammen, die wiederum mit Erwartungen und Hierarchien verbunden sind.
1
Scheitern im Kontext des Sports abseits des klassischen Verständnisses von Gewinnen und Verlieren zu definieren ist auch eingehend bei Wacant (2003) in Bezug auf das Boxen und bei Stern (2010) zu Stil-Kulturen besprochen worden. Der Umgang mit Scheitern wird bei Stern anhand der Snowboardkultur eingängig diskutiert. Er stellt dar, dass Scheitern ein gesuchtes Phänomen sei, denn es zeige, dass an die eigenen Grenzen herangegangen werde. Dies wiederum gehört zum Ethos der Praxis. Nur ›save‹ zu spielen, wäre also der Praxis nicht entsprechend. Zugleich wird die Auswertung von Videos, die gescheiterte Aktionen zeigt, dazu genutzt kreative neue Entwicklungen zu machen (ebd.).
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»If we accept provisionally the idea that failure is not an immanent feature of any human artifact (such as a project, a technology, an institution, or a career), but is in fact a judgment that something is a failure, we are let inevitably to ask what events produce these judgements (history), who is authorized to make them (power), what form they must take in order to appear legitimate and plausible (culture), and what tools and infrastructures mediate these failures or make them ubiquitous (technology). Together, these factors generate what we call a ›regime of failure‹, in which a certain epistemology, political economy, and dominant technology come together to naturalize and limit potential judgments about failure« (Appadurai/Alexander 2020: 2).
Wie lassen sich diese Annahmen nun auf das tänzerische Feld übertragen bzw. für die Forschung fruchtbar machen? Wo und wie werden Normen und Standards etabliert, die dazu führen, dass Schüler*innen, Künstler*innen oder Vermittelnde sich als gescheitert begreifen? Welche Machtstrukturen, welche Ressourcenverteilung, welche Diskurse sind daran beteiligt? Wie lernen Schüler*innen oder auch Lehrende ›besser‹ zu scheitern? Und welche Setzungen gehen damit wiederum einher?
DIE PRAXIS DES SCHEITERNS Um die eben aufgeworfenen Fragen konkret auf die Praxis zu beziehen, möchte ich zunächst einsteigend eine Übung besprechen, die in einem meiner choreografischen Seminare von Studierenden entwickelt wurde. An ihr lässt sich zeigen, dass solche theoretischen Positionen zu Normen und Standards mitten in die Praxis hineinführen und mit ihrer Hilfe offengelegt werden können. Das scheint um so wichtiger, da eine Reflexion von Scheitern in den beobachteten Projekten im Prinzip nicht existiert. Die eben besprochenen theoretischen Referenzen haben in der praktischen Beobachtung im Feld kultureller Bildung wenig Bedeutung. In den zahlreichen Beobachtungen, in denen Momente von Irritation und Scheitern wahrzunehmen waren, wurde nur in einem einzigen dieser Sachverhalt aktiv und reflektierend angesprochen. Scheitern scheint zudem auch als Begriff oder Konzept bei Tanzvermittelnden auf wenig Resonanz zu stoßen. Bei einer Vorstellung der Kategorien unseres Forschungsprojekts war die des Schei-
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terns die einzige, bei der Pädagog*innen sagten, dass diese für sie nicht relevant sei. Eine Person gab sogar an, dass sie »kein Scheitern in ihrer Praxis kenne«. Es wird deutlich, dass Definitionen von Scheitern bei einer solch starken Abgrenzung von zentraler Bedeutung sind. Zudem veranlasst es erneut danach zu fragen, auf wen das Scheitern bezogen wird. Wer scheitert also in der Praxis und an was: die Lehrenden, die Schüler*innen, das Setting? Was wird dabei als Irritation oder Scheitern wahrgenommen, was nicht? Das erwähnte Beispiel kann hier aufschlüsseln, welche Bedeutung Referenzrahmen für die Wahrnehmung von Scheitern haben. In einem choreografischen Seminar mit Studierenden des zeitgenössischen Tanzes waren die Teilnehmenden aufgefordert, Tasks, also für das Feld typische improvisatorische Aufgaben, zu entwickeln, die Scheitern als Teil eines ästhetischen Arbeitsprinzip verstehen oder nutzen. Eine daraus entwickelte Aufgabe machte den Studierenden besonders deutlich, wie sehr Scheitern im Auge der Betrachtenden liegt. Die Aufgabe, die von drei Studierenden gemeinsam entwickelt wurde, bestand darin, dass die Teilnehmenden in zwei Gruppen geteilt wurden und dann jede*r ein Gegenüber zugeteilt bekam. Eine der Personen bekam die Aufgabe, die andere zu beobachten und zu beurteilen, wo diese möglicherweise scheitere. Die improvisierend bewegende Person bekam – ohne dass die andere Seite davon wusste – die Aufgabe, einfach das zu tun, was sie gerne machen wollten. Die danach geteilten Beobachtungen im Gruppengespräch machten deutlich, dass nicht zu erkennen war, was die Aufgabenstellung für die sich Bewegenden war, und insofern es scheinbar sichere Annahmen dazu gab, sich diese zumeist als falsch entpuppten. Z.B. wurde das Telefonieren einer Teilnehmerin als gespielt eingeschätzt. Das lag nicht so sehr an den Bewegungen, die bis in das Wackeln des Kopfes und Halten des Handys als hoch präzise wahrgenommen wurden, sondern es wurde daran festgemacht, dass es üblich wäre, dafür rauszugehen. Doch später verriet die Teilnehmerin, dass sie tatsächlich noch Dinge telefonisch organisiert hat (was sie gerade machen wollte). Solch ein ›Misserkennen‹ gab es auch in den meisten anderen Konstellationen. So war eine Teilnehmerin mit einer anderen zusammengestoßen. Obwohl es eine der Tänzerinnen irritiert hatte, war es in dem Sinne kein Misslingen, denn das war, was die andere gerade machen wollte. Sie war also hoch erfolgreich. Nur eben nicht in der Wahrnehmung der anderen Tänzerin und der Beobachterin. (Diesen Punkt gilt es nicht nur unter dem Aspekt
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von Strategien des Scheiterns als ästhetische Praxis im Blick zu behalten). Die Studierenden konnten daher in geteilten Beobachtungen reflektieren, dass die Einschätzung, wann etwas scheitert, ohne das Setzen von Referenzen nicht möglich ist. Zugleich prägte der Fokus auf das Auffinden von Scheitern aber auch die Wahrnehmung, Konflikte, Qualitäten und das Zusammenspiel der nebeneinander Improvisierenden in spezifischer Weise zu lesen, die es ohne diese Setzung nicht gegeben hätte. Es gilt also zu fragen: Welche Parameter bestimmen in einer Praxis Erfolg oder Scheitern? Mit welchen Begriffen wird Scheitern gekennzeichnet? Wie sieht Scheitern in Kontexten aus, die sich offen und nicht-wertend verstehen? Welche Referenzrahmen machen Scheitern möglich und transparent? Wie können solche Fragen produktiver Teil der Praxis sein? Die Abwesenheit der Reflexion von Scheitern in den beobachteten Projekten und Workshops mag zunächst darauf hindeuten, dass dies als unproblematisch und nicht bedeutend gesehen wird. Da Scheitern auch mit Leistungsparametern verbunden ist, die eine Praxis bestimmen, scheint es, als wären diese wenig ausgeprägt. Es geht für viele Tanzvermittelnde schließlich explizit nicht um ›Leistung‹ im konventionellen Sinne (Kapitel 3 und 4). Sie sehen individuelle Bewegungsfindung, Exploration und Offenheit als wesentliche Aspekte ihrer Praxis (Kapitel 4 und 6). In solchen Kontexten ist tatsächlich ein Scheitern an den Kriterien der Praxis weniger evident und wird von den Teilnehmenden eher personalisiert. Beispielsweise begreifen sich Teilnehmende als nicht fähig, sich auf die Praxis einzulassen, sie zeigen Unverständnis in Bezug auf Aufgabenstellungen und dem, was von ihnen gewollt wird. In fortgeschrittenen tänzerischen Kontexten empfinden Teilnehmende auch das Gefühl, nicht dem idealen, durchlässigen oder versierten Körper zu entsprechen, die die Praxis durch zahlreiche Übungen und Kommentaren evoziert. Zwar werden Unverständnis oder die Schwierigkeit, sich einzulassen teils auch in Gruppendiskussionen angesprochen, doch das damit verbundene Gefühl oder verbundene Verständnis von ›Scheitern‹ oder Normen der Praxis nicht. Wenn also Scheitern zum Lernen jeder Praxis dazu gehört, wieso ist es in den beobachteten Projekten so wenig thematisiert? Es ist keinesfalls so, dass es keine Anlässe in den von uns beobachteten Situationen gegeben hätte, dies zu reflektieren. Irritationen und Scheitern treffen unverhofft oder ungewollt auf. Sie werden aber auch provoziert. Sie werden heruntergespielt, nicht thematisiert, oder als Ideengeber in den wei-
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teren Verlauf von Projekten integriert. Es gilt also zu fragen: Welche Formen der Irritation und des Scheiterns können in der Praxis beobachtet werden? Wer scheitert, an was? Wie setzen die einzelnen Settings Referenzrahmen, die Scheitern bestimmen? Gibt es Konstellationen oder Settings (z.B. Aufführungen, langfristige Prozesse) in denen sich Scheitern jeweils anders darstellt, artikuliert oder zur Reflexion gestellt wird? Und mehr noch: Wie wird mit Scheitern umgegangen? Was sind die Folgen von Scheitern und werden sie erkennbar und thematisiert? Wann und wie werden Potentiale des Scheiterns genutzt, gesehen, artikuliert, reflektiert bzw. den Teilnehmenden zur Reflexion gestellt? Welche Diskurse, Tropen, Begriffe werden im Kontext von Erfahrungen von Scheitern aufgerufen, verwendet, abgelehnt? Wann ist das Arbeiten mit Scheitern auch ein ästhetisches Arbeitsprinzip? Was wird im Einzelnen und institutionell als Scheitern im Rahmen von Tanz in kultureller Bildung verstanden, wie wird es jeweils hervorgebracht? Wer hat die Hoheit zu definieren, was Scheitern ist? Wo sind Fragen und Standards von Scheitern institutionalisiert? Was wird sichtbar, wenn durch die Brille dieser Begriffe Praxis betrachtet wird? Wie verhält sich das zu bildungstheoretischen Positionen? Inwiefern idealisiert Theorie Irritation und Scheitern? Die folgenden zwei Beispiele sollen verdeutlichen, dass Scheitern durchaus Teil kultureller Bildungsarbeit im Tanz ist, dass es beobachtbar und auswertbar ist. In einem groß angelegten Aufführungsprojekt mit professioneller Beteiligung (das hier bereits zuvor als Beispiel diente, Kapitel 6), wurde erst kurz vor der Aufführung eine Szene an Seilen erprobt, die die Teilnehmerin zum Schweben bringen sollte. Die auserkorene Teilnehmende zeigte jedoch deutlich Angst und Schmerz als sie zum Schweben gebracht wurde. Sie schrie laut, dass die Stränge ihr enorm wehtäten. Der Choreograf reagierte daraufhin mit den Worten: »Holt mir die hysterische Kuh dort runter« und delegierte die Aufgabe an eine andere, »verlässlichere« Teilnehmende. Solch ein harscher Umgang stellt sicher eine Ausnahme in unseren Beobachtungen dar. Dennoch lassen sich an dieser kleinen Szene bereits unterschiedliche Ebenen des Scheiterns aufschlüsseln. Die Teilnehmerin scheitert an der gestellten Aufgabe, der Choreograf an einem angemessenen, auch sprachlichen Umgang. Scheitern ist hier schmerzhaft und hat negative Konsequenzen. Verteidigend könnte vielleicht angeführt werden, dass es hier zu einer ungünstigen Konstellation kam, in der ein ge-
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stresster Choreograf womöglich auf eine Teilnehmende stieß, die eine Disposition dazu hatte, physischen Herausforderungen und Ängsten in dieser Art und Weise zu begegnen. Das sind hier sicherlich Spekulationen, die aber aufzeigen können, dass dieses Szenario sicherlich differenzierter erfasst werden müsste. Wie hat die Teilnehmende die Situation erfahren, und wie schließt das an andere Erfahrungen körperlichen Lernens von ihr an? Wie ist die Teilnehmende zu der Aufgabe gekommen? Was versteht der Choreograf unter »verlässlich«? An welche Leistungsdiskurse schließt sein Kunstverständnis bzw. das Selbstverständnis seines Projektes an? Und welches wird von der Teilnehmerin vertreten? Welche Funktion hatte die Seilszene für die Produktion? Wie und von wem wurde sie entwickelt? Welche Möglichkeiten gab es für wen, um den Umgang mit den Seilen zu erlernen? Welche Stimmungen, Atmosphären, Gruppendynamiken hatten das Projekt geprägt, und wie bettete sich dieses Szenario des Scheiterns darin ein? Was war also im Verlauf des Probenprozesses passiert, wie hatten sich Teilnehmende und Vermittelnde positioniert? Was hat die Beobachtende an der Situation erfasst, was nicht? Anhand der Transkription der Beobachtungen der Szene und einiger anderer Probenbesuche, lassen sich solche Fragen nur bedingt beantworten. Es müssten weitere Formen der Erhebung stattfinden. Doch das Beispiel kann nicht nur Fragen aufwerfen, sondern es wird auch deutlich, dass hier eine recht einfach auf den Punkt zu bringende Form bzw. Umgang mit Scheitern vorliegt: Scheitern bedeutet hier disqualifiziert und ersetzt zu werden. Erfahrungen des Scheiterns sind hier in doppelter Weise negativ zu deuten. Ein anderes Reagieren hätte vielleicht nicht in ein Ausscheiden der Teilnehmerin gemündet, sondern eine Situation schaffen können, in der die Teilnehmerin über ihre Grenzen wächst und Ängste verliert. Es sind solche Negativbeispiele, die Tanzpädagoginnen wie Klinge oder Seitz zu einer harten Kritik an solchen als »autoritär« verstanden Projekten verleiten (Klinge 2010; Seitz 2011) und könnten ein Grund sein, wieso sie hervorheben, dass es im Kontext kultureller Bildung weniger um Technik, sondern um das Suchen und Erkunden gehen sollte (ebd.). Zudem scheint diese Beschreibung einer recht gängigen Ablehnung oder Kritik an der Produktorientierung von kulturellen Bildungsprojekten eine Begründung zu geben. Doch Produktorientierung und Druck aufgrund eines nahenden Auftritts kann auch andere Formen des Umgangs mit Scheitern hervorbringen, wie
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der Vergleich mit einer ähnlich großen Produktion mit Schüler*innen in Zusammenarbeit mit einem Stadttheater verdeutlicht. Hier war im Durchlauf kurz vor der Premiere zu beobachten, dass eine Teilnehmende wiederholend an der gleichen Stelle nicht wusste, in welche Richtung sie laufen sollte. Einmal rannte sie dabei auf die Bühne, hielt inne und schaute sich irritiert um. Daraufhin entschied der Choreograf, diese Szene (des Zögerns und Umschauens) genauso in die Aufführung aufzunehmen. Er fand es wirkte überraschend. Der Choreograf erkannte also im Scheitern und NichtWissen ein Potential, integrierte es in die Arbeit, anstatt die Teilnehmende bloßzustellen. Auch wenn die Teilnehmende sich an dieser Stelle vielleicht unwohl gefühlt haben mag, da sie wiederholt den richtigen Einsatz verpasste, so eröffnete ihr die Entscheidung des Choreografen, dies zum Teil des Stückes zu machen, möglicherweise eine Umwertung ihres ›Scheiterns‹ zu erfahren. Die Person erhielt im gewissen Maße sogar eine kleine Solorolle. Ein vermeintliches Scheitern wird hier überführt in eine Irritation, die sich als ästhetisches Element nun in der Choreografie wiederfindet. Scheitern ist hier zugleich produktiv und daran beteiligt, Neues, Unerwartetes, NichtIntendiertes hervorzubringen. In diesem Sinne scheint der choreografische Prozess jenen Erwartungen zu entsprechen, die bildungstheoretisch und ästhetisch gewollt sind. Auch hier müssten sicherlich mehr Fragen aufgeworfen werden. Was führt in der Konstellation im Detail dazu, dass solch ein Umgang mit Scheitern vollzogen werden konnte? Wann entstehen Situationen, in denen sich Teilnehmende als scheiternd begreifen, zeigen? Welche pädagogischen Prämissen werden im Umgang mit Scheitern deutlich? Ich möchte im Vergleich dieser beiden Projekte noch einmal deutlich machen, dass ein Fokus auf Scheitern Forschung zu kultureller Bildung zielführend perspektivieren lässt. Auf den Umgang mit Scheitern oder Irritation zu achten, führt weitere Möglichkeiten der Differenzierung ein, die mithin quer zu Unterteilungen zwischen produkt- und prozessorientiert laufen. Beide Projekte waren klar produktorientiert, sie zielten auf ähnlich große Aufführungskontexte hin. Dennoch lassen sich das Setting und die Erfahrung in beiden Projekten entlang solch einer Unterteilung kaum sinnvoll erfassen. Sicherlich spielen hier auch andere Kategorien oder Dimensionen der Konstellation eine Rolle. Dazu gehören neben den choreografischen Selbstverständnissen, auch die unterschiedlichen Bewegungs- und Aneig-
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nungsstrategien in beiden Projekten, aber eben auch in zentraler Weise deren differenter Umgang mit Irritation und Scheitern. Betrachten wir also unter solch einer Perspektivierung das Geschehen, öffnet es den forschenden Blick abseits der Dichotomien zwischen Prozessund Produktorientierung und verhilft auch solche zwischen autoritär und anti-autoritär, die im Feld aber auch in der Forschung zur Charakterisierung solcher Differenzen meist wertend gewählt werden, zu dekonstruieren. Vielmehr lässt sich damit konkret identifizieren und beschreiben, was zusammen kommen muss oder kann, damit Vermittlungskonstellationen sich als ›autoritär‹ darstellen oder aber so erfahren werden, als ob mit den Teilnehmenden »auf Augenhöhe« (ein anderer Begriff, der öfter gewählt wird, um ein mit ›flachen Hierarchien‹ vorgehendes Arbeiten zu beschreiben)2 gearbeitet wird. Denn auch im zweiten Beispiel wurde von einer einzigen Person ›autoritär‹ entschieden, wie die Choreografie in diesem Moment gestaltet wird, auch wenn der Einfluss der Teilnehmenden hier deutlicher als im ersten Beispiel erscheint. Hier liegt dann mithin auch die Differenz zwischen Autorität und autoritär, und dass Ersteres nicht zu Letzterem führen muss. Unabhängig davon erweist sich dann eine klar vorgebende, von einer Person ausgehende Entscheidung trotzdem nicht als solitäres Vorgehen, sondern auch hier wird Autorität erst in der spezifischen Konstellation mit hervorgebracht, und sie ist zudem nicht als prinzipiell negativ zu bewerten. Vielmehr bedarf es ggf. der Autorität, um einen Arbeitsprozess mitzugestalten, der sich als weniger hierarchisch darstellt. Und dies führt zurück zum Scheitern, denn die selbstgefühlte oder von anderen zugeschriebene Autorität beeinflusst, wie mit diesem bzw. mit Irritation umgegangen wird. Auch in anderen Beobachtungen zeigte sich, dass die Fähigkeit, Scheitern und Irritation als Potential zu begreifen und zu vermitteln, jeweils damit zu zusammenhing, wie selbstbewusst die Lehrenden oder Teilnehmenden erschienen. Dieses Selbstbewusstsein schien wiederum mit zu bedingen, dass keine Scheu davor besteht, falls nötig, auch eindeutige Entscheidungen zu treffen. Denn eine der oft beobachteten Quellen für Irritationen in Projekten ergibt sich mithin aus solcher Unentschiedenheit. Irritationen und Scheitern – ob nun als Potential oder eher störend wahrgenommen – sind somit selten intentional entstanden im Sinne einer ästhetischen Strategie.
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Siehe hier auch die eingehende Diskussion dazu in Kapitel 6.
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Unerwartete oder ungewollte Irritation Irritationen ließen sich – eher als Scheitern – in den Projekten beobachten. Dabei waren diese selten bewusst provoziert. Es war also nicht ein Arbeiten mit Irritation/en zu beobachten, sondern Irritationen ergaben sich. Diese Irritationen müssen dabei auch nicht, wie es in den Theorien pointiert wird, auf künstlerische Praktiken oder körperlich-leibliche Erfahrungen zurückgehen oder mit ihnen verbunden sein. Es lässt sich daher, zwischen Irritationen oder Momenten des Scheiterns, die nicht intendiert sind und auch nicht als Potential in das Geschehen integriert werden und solchen, die aufgegriffen und Anlass für weitere Entwicklung generieren, unterscheiden. Ersteres betrifft zumeist kleinere Konflikte im Umgang mit Technik und Gegenständen – wenn zum Beispiel die Musikanalage nicht funktioniert. Irritation ist hier vor allem als Verunsicherung der Vermittelnden virulent. In wenigen Fällen wurden auch solche Momente kreativ genutzt (wenn Teilnehmende wartend in ein Posing überging, das später aufgegriffen wurde). Aber auch der von einer Teilnehmenden mitgebrachte Hund, der sämtliche Konzentration auf sich zog, gehört in diese Kategorie selten weiterführender Irritationen innerhalb von Projekten. Irritationen solcher Art können sich auch aufgrund der Projektstrukturierung ergeben oder aufgrund institutioneller Regeln entstehen, zum Beispiel weil die Zeit, die dem Projekt gewährt, oder das Marketing, das dafür gewählt wird, auf Unverständnis und Irritation stößt. Solche Konflikte können – müssen aber nicht zwangsläufig – dazu führen, dass Prozesse verändert werden. Sie fordern dazu auf, in die Diskussion zu Scheitern und Irritation auch Fragen nach der Rolle von Institutionen in Bildungsprozessen mit einzubeziehen. Wie können also Institutionen Irritationen oder Scheitern bearbeiten und daraus lernen? In den meisten Fällen entsprechen solche Formen des Scheiterns oder der Irritation nicht den ›hehren‹ Zielen oder Verständnissen, die mit Irritation oder Scheitern bildungstheoretisch beschrieben werden. Es sind allerdings jene Momente, die für Vermittelnde belastend, bedeutend und mit Scheitern assoziiert werden. Als Irritationen, die nicht ›gewollt‹ werden, sind aber auch solche zu beobachten, die durchaus bildungstheoretisch interpretiert werden können. Hier lässt sich ebenfalls unterscheiden zwischen jenen, die wenig mit den ästhetischen Dimensionen der Vermittlungspraxis zu tun haben, und sol-
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chen die klar an den Wert- und Verständnismaßstäben der künstlerischen Aspekte der Projekte ansetzen. In die erste Kategorie fällt dabei die oft beobachtete Situation, dass Teilnehmende (teilweise auch Beobachtende) nicht verstehen, was die Aufgabenstellung ist. In diesen Fällen ist zu beobachten, dass Teilnehmende nicht nachfragen, sondern sich daran orientieren, was die Vermittelnden oder die Mitteilnehmenden tun. Dies kann zu spannenden und unerwarteten Entwicklungen führen. So entstehen neue Bewegungsmuster oder andere Qualitäten. Es führt teils auch zu einem stärkeren Aufeinander-Beziehen innerhalb der Gruppe, was dem Gesamtgeschehen ›andere‹ Intensität verleiht oder den Gruppenzusammenhalt allgemein stärkt (auch weil sich Teilnehmende als selbstverantwortlich zeigen). In seltenen Fällen, vor allem in Gruppen mit älteren Jugendlichen, übernehmen mithin auch Teilnehmende die Rolle, Dinge noch einmal anders zu erklären. Verunsicherung oder Irritation führen also durchaus, auch ohne Bezug zu ästhetischen oder leiblich-körperlichen Dimensionen der Aufgabenstellung, zu Formen der Selbstermächtigung und kreativen Entscheidungen (wohlgemerkt auch im Nachahmen von anderen). In unseren Beobachtungen waren zudem Umgangsformen und Ansprache Ausgangspunkt für (nicht intendierte) Irritationen. Während ältere Teilnehmende oder solche in Ausbildungskontexten die Umgangsformen teils sichtlich oder verbal missbilligten, waren es in anderen Kontexten eher die Beobachtenden, die sich irritiert fühlten. So ergibt sich auch häufig das Bild einer Diskrepanz zwischen der Perspektive der Teilnehmenden und Außenstehender. Das trifft vor allem auf Kontexte mit jüngeren Teilnehmende zu, in denen diese sich nicht am ›harsch‹ wirkenden Ton oder an der Art der Tanzvermittelnden zu stören scheinen, sehr wohl aber die Beobachtenden (ob als andere Lehrer*innen oder Forschende). Nehmen die Teilnehmenden es nicht war oder anders war? Trauen sie sich nicht, das zu artikulieren? Woher stammt das Unwohlsein der Beobachtenden? Wiederum wird deutlich, dass es keine einheitliche Wahrnehmung der Situation gibt – auch Irritation ist somit nicht nur von den (u.a. biografischen und ästhetischen) Dispositionen und Erfahrungen geprägt, sondern entsteht in der jeweiligen Gruppen- oder Kontextdynamik. Kommt es beispielsweise zu einem Protest einiger Teilnehmenden, kann dies die Stimmung beeinflussen und andere auf eine Irritation oder einen Störfaktor aufmerksam machen, die sie zuvor nicht als solche wahrgenommen haben. Gleichfalls
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können es Teilnehmende sein, die die Lehrperson in Schutz nehmen und den Sachverhalt wieder umdeuten. Zudem hat auch das Verhalten der Lehrperson Einfluss, ob der Konflikt weiter schwillt. So sind Konstellationen zu beobachten, in denen Konflikte aufgeschoben werden (»das entscheiden wir später«), die dann zu weiteren Diskussionen führen. In Kontexten, in denen klare (Entscheidungs-)Strukturen vorab geregelt und auch eingehalten werden (ob nun stark vorgebend oder eher alle einbeziehend scheint dabei keinen Unterschied zu machen), desto weniger ist das problematische Thema in der Reflexion und Wahrnehmung der Teilnehmenden präsent und führt demnach auch nicht zu beobachtbaren Irritationen. Ein Scheitern an den eigenen Prämissen und Idealen (z.B. gleichberechtigende Arbeitsweise zu ermöglichen) ist daher eine weitere Ebene des Scheiterns, die meistens eher Lehrpersonen oder Künstler*innen tangiert als die Schüler*innen selbst. Dabei müssen auch unvorhersehbare Irritationen keinesfalls ›negativ‹ sein. So fanden beispielsweise die Schüler*innen einer höheren Gymnasialklasse die zeitgenössische Musik anfangs »grauenhaft« und vor allem die beiden Gesangsparts »schrecklich«. Entsprechend groß war ihr Widerstand, an der Entwicklung und Probe eines Bewegungsablaufes dazu mitzuwirken. Das Blatt wendete sich jedoch, als die junge, ›attraktive‹ und kompetente Sängerin, die mit ihnen auftreten sollte, im Unterricht erschien, um während der Probe live zu singen. Sichtbar überrascht und irritiert verfolgte die Gruppe mit Aufmerksamkeit ihre Vorbereitungen (Notenständer aufstellen, Blatt ausbreiten, einsingen) und applaudierte intensiv nach ihrem Vortrag. Dann wurde der Ablauf unter ihrer Leitung gemeinsam geprobt. Die Teilnehmenden bemühten sich nun ihre Bewegungen zu den jeweiligen Worten und Tönen auszuführen. Es provozierte auch Nachfragen und Bitten, z.B., ob sie einen spezifischen Klang noch einmal von der Sängerin hören könnten. Dieses nun aktive Einbringen der Schüler*innen war daraufhin auch im weiteren Verlauf der Produktion zu beobachten. Da das Stück aufgrund des hohen Tempos schwierig auszuführen war, funktionierte es kurz vor der Aufführung noch nicht wie gewünscht. Die Teilnehmenden erklärten sich zu einer Sonderprobe mit der Sängerin bereit. Als diese zur vereinbarten Zeit gehen musste, der Ablauf aber immer noch nicht ganz sicher war, übernahm ein Schüler den Gesangspart für weitere Durchläufe. Hier bot das Erwartungen irritierende Erscheinen der Sängerin nicht nur Anlass, Bedeutung und Stellenwert dieser Kunst neu zu begreifen, sondern
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darüber ermächtigten sich die Teilnehmenden, an der Gestaltung eigenständig mitzuwirken. Es sind solche Formen von Irritationen, die im Kontext kultureller Bildung bildungstheoretisch verhandelt und gewollt werden. Sie stellen aber nur einen geringen Teil der beobachteten Irritationen dar. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass Aufgabenstellungen oder Konstellationen, in denen Irritationen oder Verfremdungen, selbst wenn sie in Aufgabenstellungen provoziert oder virulent werden, selten bzw. fast nie bewusst mit den Teilnehmenden reflektiert werden. Gewollte Irritation (und ihr Scheitern) Anlässe, die zur zweiten Kategorie der Irritation gehören und die stärker konkret auf die tänzerische Praktik bzw. die künstlerischen Dimensionen von Projekten zurückzuführen sind, gehören vor allem Berührungen (die als peinlich empfunden werden können), als »merkwürdig« erachtete Bewegungen oder Musik. Solche Vermittlungsverfahren, die auf eine Befremdung des Vertrauten hinzielen, sind beispielsweise Wahrnehmungsübungen mit geschlossenen Augen, die Wahrnehmungslenkung auf ›ungewohnte‹ Berührungen von Körperteilen oder das neue Sequenzieren von Bewegungsabläufen. Wenn mit der Wange der Boden wie mit Füßen betreten werden soll, wenn der Kontakt zu anderen mit allen Körperteilen mit Ausnahme der Arme oder Hände erprobt wird, kann dies sowohl zur Irritation vertrauter Wahrnehmungsformen anregen, als auch dazu, damit verbundene Wertungen und Interpretationen zu bearbeiten. Dazu gehört auch, dass mitgebrachtes Bewegungsmaterial oder die Gemütszustände von Teilnehmenden (z.B. deren Müdigkeit) neu perspektiviert werden, weil sie in neue Kontexte gesetzt werden und damit neu interpretiert werden können. Auch wenn diese Beobachtungen teils darauf schließen lassen, dass hier Anlässe für bildende Prozesse im Sinne der Forschungsliteratur zu kultureller Bildung geben werden, so gilt es doch diese Beobachtungen keinesfalls zu universalisieren, in dem Sinne, dass sie in jedem Kontext dazu führen, Irritationen im Sinne einer Bildungsrelevanz auszulösen.
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AN DER VERMITTLUNG UND DER FORSCHUNG SCHEITERN Dies möchte ich nun anhand eines Beispiels – und hier begebe ich mich durchaus auf methodisches Glatteis – aus meine eigenen Vermittlungspraxis verdeutlichen. Methodisch kritisch scheint mir dies aus mancherlei Perspektive. Zwar ist in den letzten Jahren sowohl in der tanzkünstlerischen Praxis als auch im ethnografischen Feld als Autoethnografie das eigene Tun in die wissenschaftliche Perspektive geraten und ältere Vorstellungen, wonach die eigene Praxis (ob nun des Lernens, Vermittelns oder Kunstmachens) nicht Gegenstand der Untersuchung sein sollte, sind durch zahlreiche, auch prominente Beispiele (Wacquant 2003; Matzke 2005; Müller 2016) im Feld und durch Case-Studies hinterfragt und erweitert worden. Dennoch entspricht mein Vorgehen hier keinem ausdifferenziertem autoethnografischen Verfahren, sondern folgt einer viel einfacheren Logik – nämlich dem Bedürfnis ein Beispiel zu haben, ein Beispiel bei dem das pädagogische Arbeiten mit Ideen des Scheiterns ebenfalls ›scheitert‹. Solch ein Vorgehen, Beispiele mit dem Ziel der Illustration auszuwählen, geschieht natürlich des Öfteren – auch in diesem Buch – nur tritt es hier deutlich zu Tage. Und trotzdem scheint es mir einen Versuch wert, damit zu arbeiten, denn in 64 Beobachtungen wurde nur einmal Scheitern explizit thematisiert. In der Literatur lassen sich zwar von Vermittelnden zahlreiche Reflexionsbeispiele vom pädagogischen Scheitern finden, denn pädagogische wie didaktische Texte werden vor dem Hintergrund möglicher Probleme verfasst (Barthel 2019). Allerdings werden hier weder der Begriff noch die Vorstellung von Scheitern für das gewählt, was beschrieben wird und durchaus als solches zu fassen wäre. Vielmehr wird von ›Evaluieren‹, auch von zirkulären Reflexions-Prozessen gesprochen, die eine Distanznahme ermöglichen, manchmal auch von ›trial and error‹ (nicht ganz so gerne). Es wird auch einsichtig gezeigt, wie gerade Künstler*innen, die erstmals außerhalb künstlerischer Kontexte arbeiten, zunächst »zu viel wollen« und dann in der Reflexion der eigenen Arbeit, sich allmählich in ihrer Arbeitsweise dem veränderten Feld, den neuen Kontext anpassen, neue Arbeitsstrategien und Haltungen entwickeln (Barthel 2019). Solche Erfahrungen werden mit dem (noch) Nichtfunktionieren oder dem Nichterreichen der gewünschten Ziele umschrieben (ebd.).
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Es folgt daher ein Beispiel aus meiner eigenen Vermittlungspraxis, das auf unterschiedlicher Weise explizit das Scheitern aufwirft. Dabei handelt es sich um eine Aufgabenstellung, die zunächst Möglichkeiten des Scheiterns als ästhetische Strategie (im Sinne der Erzeugung von Bewegungsmaterial und hier vor allem der Inszenierung eines eher unterwarteten Miteinanders von Tänzer*innen) dienen kann. Durch diese Übungen sollen idealerweise Anlässe zur Reflexion von Wahrnehmung geschaffen werden, welche die Bedeutung von Konflikten, Scheitern oder Irritation als Teil eines dramaturgischen und inhaltlichen Moments künstlerischer Produktionsprozesse Studierenden erfahrbar macht. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass in den Kontexten, in denen ich vermehrt mit Studierenden arbeite, oft auf ›Harmonie‹ gezielt wird, insbesondere in Bezug auf die Partner*innenarbeit. Das bedeutet, dass sich Gelingensmomente solch eines gemeinsamen choreografischen Gefüges durch ein scheinbar reibungsloses Zusammengehen auszeichnen. Diese Präferenz möchte die Aufgabenstellung bearbeiten. Die Aufgabe erscheint auf Anhieb zunächst einfach. Bewegungen sollen hierbei paarweise generiert werden, indem sich die Partner*innen gegenüberstehen, einen Moment überlegen, mit welchem Körperteil sie das Körperteil der anderen Person berühren wollen, ohne dass das Gegenüber darum weiß. Wenn sie eine Entscheidung getroffen haben, geben sie sich ein Zeichen und auf drei führen sie die geplante Aktion aus. Manchmal gelingt es, wenn die eine Person beispielsweise mit dem Ellenbogen die Schulter des anderen berührt und die andere Person gleichzeitig die flache Hand auf den Po legt. Es können dabei einfache Figuren entstehen: Die eine legt die Hand auf den Kopf, der andere seinen Zeigefinger auf die Nasenspitze. Es können dabei auch verworrene und wackelige Bewegungsfigurationen entstehen, z.B. wenn jemand mit dem Kopf den rechten Fuß berühren will und gleichzeitig die andere Person ihren Fuß an das Handgelenk der anderen führen möchte. Und es gibt Bewegungen, die schlich nicht auszuführen sind. Letztere werden (zumindest in der einfachen Version der Aufgabe) aussortiert. Das Verfahren wird so lange wiederholt, bis jedes Paar drei ›realisierbare‹ Bewegungen gefunden hat. Dann reiht jeder seine Bewegung aneinander und sie werden gemeinsam als Paar geübt mit dem Ziel, die Bewegungen auch ohne den*die Partner*in ausführen zu können. In einem nächsten Schritt zeigen die Paare diese Bewegungen den anderen gemeinsam und werden dabei aufgefordert, z.B. das Tempo zu verlangsa-
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men – was dazu führt, dass die zuvor teilweise recht kämpferisch anmutenden Bewegungen in den Augen der Betrachter*innen neu interpretiert werden, z.B. als ein liebevolles Miteinander gedeutet werden. (Bewegungsqualitäten wie die Körperspannung oder die Geschwindigkeit bestimmen dabei mit, wie Bewegungen interpretiert werden, Kapitel 5) Der zweite Schritt der Aufgabe ist nun deutlicher auf den Aspekt des Scheiterns fokussiert. Es werden Partner*innen miteinander kombiniert, die die Bewegung nicht gemeinsam entwickelt haben. Das ist in der Regel durch die Struktur der Übung passfähig, und führt nun zu den unterschiedlichsten Konstellationen. Die Teilnehmer*innen sind aufgefordert, jeweils ihre Bewegungen genauso – also auch in Bezug auf Höhe, Richtung etc. – wie zuvor auszuführen, also nicht etwa auf die Größe der*des neuen Partner*in anzupassen. Dadurch kommt es zu eher unerwarteten Berührungen und es werden zahlreiche Griffe ins Leere oder des Halbverfehlens sichtbar. Es sind genau diese Momente, die dann von Teilnehmenden als »spannend«, »lustig«, »bemerkenswert« beschrieben oder von den anderen Zuschauenden mit Lachen quittiert werden. In der Regel geht es hier also darum, Schüler*innen oder angehenden Tänzer*innen zu zeigen, dass jegliche Bewegung in unterschiedlichen Kontexten und in anderen Qualitäten die Interpretation verändern kann und das Scheitern und das Nicht-Gelingen nicht nur zu vielfältigen Interpretationen führt, sondern auch die Aufmerksamkeit auf sich zieht und als hervorstechende – aber keinesfalls in der Wahrnehmung negative – Momente beschrieben werden. Hierüber können idealerweise im Gespräch Vorstellungen davon, welche Körperteile präferiert berührt werden, welche nicht, in welchen Ebenen wie miteinander gearbeitet wird, wie Bewegungen oft mit dem Ziel des Gelingens oder der Harmonie entworfen werden, hinterfragt werden. Solche Standards zu reflektieren, setzt mithin eine gewissen Erfahrung mit der Praxis voraus. Trotzdem habe ich diese Übung in unterschiedlichsten Kontexten verwendet, weil sie bewegungstechnisch recht leicht erscheint und vor allem auf die jeweiligen Kompetenzen oder Bedürfnisse der Teilnehmenden anzupassen ist – z.B. kann die Anweisung lauten, nur mit Händen und Ellenbogen zu berühren. In diesem Sinne hat auch Stern (2011) diese Aufgabe in einer beobachteten Version beschrieben, um aufzuzeigen wie über Scheitern und Irritation die eigenen Standards reflektiert werden können und Tanz bildungswirksam sein kann. In der folgenden Diskussion soll jedoch deutlich werden, wie voraussetzungsvoll solch ein Gelingen ist und dass es darum
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geht, die hier im Buch als zentral erachtete Fokussierung auf komplexe Konstellationen und Kategorien für eine kritische Lektüre solcher Interpretationen noch einmal fruchtbar zu machen. Die Einfachheit von Bewegungen oder das Einbeziehen von möglichen ›Problemen‹, die unterschiedliche Gruppen mit Nähe haben, kann keinesfalls sicherstellen, dass die Aufgabenstellung nicht auch in Bezug auf die Ebenen benannten Ziele scheitert. Dabei konnte ich unterschiedlichste Formen des Scheiterns damit erleben. Beispielsweise funktionierte aus unterschiedlichsten Gründen diese Form der Bewegungsgenerierung nicht oder sehr anders, als ich sie mit hauptberuflichen Musiker*innen, Philosoph*innen und Manager*innen ausprobierte. Dabei möchte ich diese Gruppen keinesfalls als homogen darstellen und die Ausführung war auch in diesen Gruppen sehr variabel. Vielmehr nennen ich sie nur, um einen Rahmen der Kontextualisierung, in dem das Scheitern stattfand, zu geben. Die Darstellung ist bewusst enggeführt, auf jene Punkte, die mir in Bezug auf das Scheitern besonders ins Auge sprangen. Mein erstes, eher noch als moderat empfundenes ›Scheitern‹ erfolgte im Rahmen einer Schulung für Manager*innen, die an kulturelle Bildung herangeführt werden sollten. Hier verhinderte nach eigenen Worten eines Teilnehmers ein »Fremdschämen«, dass einige in der Gruppe die Übung schlicht nicht ausprobierten. Ohne ein klares Wissen, welche Resultate die Übung bringen würde, gestaltete sich ein Einlassen darauf nach ihrer Aussage als enorm schwierig. Es wirkte »sinnlos« und »peinlich«. Ich holte die Gruppe also nicht dort ab, wo sie war, und musste zunächst Filme zeitgenössischen Tanzes zeigen, darüber reden, und dann eine minimale Version der Übung entwerfen, die sich allein auf Hände, Arme und Kopf beschränkte. Die Hand oder die Wange an den Po eines Gegenübers zu legen, war schambesetzt, sah merkwürdig aus und wäre sexuell übergriffig erschienen, erklärten die Teilnehmenden. Standards der sozialen ›Ordnung‹ spielten hier eine entscheidende Rolle für die Ablehnung der Aufgabenstellung. Körperliche Ungewohntheit gepaart mit der Angst, übergriffig zu erscheinen, erotisierend zu wirken, machten deutlich, dass nicht so sehr die Bewegung und ihre Form, sondern vor allem ihre mögliche symbolische Bedeutung problematisch waren. Dass es genau um die Bearbeitung von Bewegungswahrnehmung und solcher Normen und Standards ging, konnte peripher reflektiert werden. Was ich bei den Jugendlichen erwartet hatte –
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und daher bereits andere Formen des Kontakts entworfen hatte – musste auch hier als Hürde genommen werden. In diesem Sinne war nicht der bewegte Aspekte der Aufgabe, aber der Umgang mit ihr, der ggf. Anlass für Reflexion, einen Perspektivwechsel und eine mögliche selbstbildende Komponente eröffnete. Verstörend und irritierend war die Aufgabe in jedem Fall. Problematischer zeigte sich die Aufgabe in zwei anderen Kontexten – und hier hatte ich das Gefühl, dass sie vorherrschende Strukturen und Wahrnehmungsweisen eher bestätigte als in Frage stellte. So teilten Musiker*innen und Philosoph*innen, die ich in unterschiedlichen Rahmen an die Aufgaben heranführte (in einem Workshop ging es um die unterschiedlichen Phrasierungen von Bewegung und Musik, in einem anderen um Wissensformen des Körpers), das Problem der ›Perfektion‹. Sie hatten Schwierigkeiten damit Bewegungen zu machen, die sie als der Übung nicht entsprechend ansahen. Das lag auch daran, dass sich im Workshop mit den Philosoph*innen doch einige drei Bewegungen hintereinander nicht merken konnten, und so die Übertragung in einen anderen Kontext weniger gelingen konnte, weil sie immer wieder die Reihung der Bewegung unterbrachen und sprachlich kenntlich machten, dass sie hier schon wieder etwas vergessen hatten. Die eigenen Wertungen und Standards interferierten also so stark mit der Aufgabe, dass sie letztlich nicht visualisieren und erfahren konnten, was sich daraus für Möglichkeitsräume ergeben. Darüber hinaus wurden die Teilnehmende in Selbstannahmen bestärkt, dass sie sich nicht bewegen könnten. Auch wiederholte Hinweise, dass es nicht um ein ›richtige‹ oder ›falsche‹ Bewegung ginge, dass sie Bewegungen doch einmal machen sollten, ohne sie zu unterbrechen, auch wenn sie denken, dass sie falsch seien oder ohne das zu artikulieren, konnten praktisch und theoretisch weder zu einer Reflexion ihrer Leistungsmaßstäbe führen noch zur Ausführung der Aufgabe. Auch Verweise darauf, dass sie wahrscheinlich schon anderen Menschen die Hand gegeben, oder einem Kind die Nase an unterschiedlichste Körperteile gedrückt hätten (um alltägliche Bewegungsbeispiele einer solchen Körperfiguration aufzurufen), konnten nicht ihre Perspektive verändern, dass dies Bewegungen seien, die nur von Trainierten ausgeführt werden können. Zudem wollten Teilnehmende auch nicht, dass von anderen beschrieben wird, wie es wirkt, wenn sie ihrem Verständnis nach ›scheitern‹ – also das ›Kreative‹ oder ›Span-
282 | Tanz und kulturelle Bildung erforschen
nende‹ ihrer Ausführung der Übung thematisiert wissen. Sie wollten nicht hören, dass es Potential hatte, was sie taten. In diesem Fall war ich mit Scheitern im Sinne der Aufgabe und der Schaffung einer wohlwollenden Atmosphäre des Settings konfrontiert. Solche Erfahrungen machen sicherlich auch andere Vermittelnde im Tanz. Sie in der Beobachtung zum Thema zu machen und Strategien zu erforschen, wie damit umgegangen wird, sollte ein zentrales Anliegen der Forschung sein. Hierfür ist es notwendig, Scheitern und Irritation bewusst zu thematisieren. Diese Erfahrungen spielen eine zentrale Rolle in der Selbstreflexion von Tänzer*innen – und sollten nicht nur im Sinne einer Evaluation ausgewertet werden, welche schlicht beurteilt, dass nicht kontextspezifisch gearbeitet wurde. Stattdessen sollten sie Anlass sein, solche Momente eingehender zu erforschen, weil sich die unterschiedlichsten Parameter, die zu vermeintlich bildsamen Momenten führen, höchst komplex darstellen. Solche Erfahrungen lassen auch einmal mehr deutlich werden, dass zeitgenössischer Tanz mit Zugangsbarrieren verbunden sein kann. Das kann mit den eigenen körperlichen Standards, mit den Vorstellungen von Nützlichkeit oder der Ausdruckskraft von Bewegung und Kunst zu tun haben. Es hat mit den symbolisch aufgeladenen oder sexualisierten Interpretationen von Körperlichkeit zu tun, aber auch schlicht mit dem Können von Körpern, (die aus welchen Gründen auch immer, bestimmte Aufgaben in den Augen der Ausführenden nur unzureichend erfüllen können), mit dem Selbstverständnis und der Haltung und mit den einverleibten ästhetischen und sozialen Ordnungen des Körpers. Das heißt, wenn wir davon sprechen, dass Tanz genau diese sinnlichen Zugänge zu Welt bearbeiten kann, dann stehen wir möglicherweise vor sehr großen Widerständen, die es zu überwinden oder auch nur brüchig zu machen gilt. Tänzerische Praktiken können ein idealer Ort dafür sein, müssen es aber keinesfalls und sind es nicht zwangsläufig. In diesem Sinne einer Perspektivierung von Irritation und Scheitern möchte dieses Buch nicht mit einem Fazit enden, sondern mit einer weiteren Frage und der Aufforderung weitere zu stellen: Wo und wann thematisieren wir das Scheitern der eigenen Forschung? Welche Fragen ergeben sich aus dem Scheitern der Praxis des Vermittelns, Aneignens und Forschens?
9 Fragen
Dieser Fragenkatalog sammelt, systematisiert und variiert die zentralen Fragen, die in den einzelnen Kapiteln aufgeworfen wurden. Er möchte einen möglichen Leitfaden für die Erforschung von Tanz und kultureller Bildung anbieten und kann auf ganz unterschiedliche Art und Weise genutzt, bearbeitet, erweitert und befragt werden. In seiner thematischen Schwerpunktsetzung folgt er in Ansätzen der durch die Kapitel vorgeschlagenen Reihenfolge. Zugleich können einzelne Schwerpunkte unabhängig davon herausgegriffen werden.
GEGENSTANDSVERSTÄNDNIS • Welches Phänomen, welche Praktiken werden im Feld Tanz und kultu-
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relle Bildung untersucht? Auf der Grundlage welches Verständnisses von kultureller Bildung geschieht das? Inwiefern können Bildungsverständnis und die Auswahl der zu untersuchenden Praktiken in einem Spannungsverhältnis stehen? Welches Tanzverständnis ist mit der Auswahl des zu untersuchenden Phänomens verbunden? Welche Grenzen des Feldes werden damit gesetzt? Wie lässt sich das begründen? Welche besonderen Herausforderungen, Setzungen, Diskurse gehen mit dem Feld kultureller Bildung und Tanz einher? Wie tangiert dies die eigene Forschung im Detail? Auf welche Forschungsstände und Diskussionen wird zurückgegriffen? Von was grenzt sich das eigene Forschungsvorhaben ab? Wieso? Welche interdisziplinären Perspektiven werden mit einbezogen?
284 | Tanz und kulturelle Bildung erforschen
WISSENSCHAFTLICHE (SELBST-)REFLEXION • Welche Forschungshaltung wird eingenommen? Welche Interessen und
welches Forschungsverständnis leiten das Vorhaben? • Welche Methoden werden als zielführend für das Forschungsvorhaben
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gesehen, welche Kenntnisse sind diesbezüglich vorhanden oder müssen erworben werden? Welche Begrifflichkeiten und theoretischen Grundannahmen bestimmen die eigene Forschung? Welche Potentiale und welche Setzungen gehen damit einher? Wie können diese offengelegt werden? Welche Forschung gibt es in Bezug auf die eigenen Forschungsinteressen? Welche Inhalte, Fragestellungen, methodischen Vorgehensweisen, Begriffsdiskussionen und mögliche Problematiken werden darin artikuliert? Wie positioniert sich die eigene Forschung in Bezug zu dieser Forschungsliteratur? Welche Formen der wissenschaftlichen (Selbst-)Reflexion werden gewählt? Wie können unterschiedliche Forschungsperspektiven und neue Begrifflichkeiten entwickelt werden? Wie kann die eigene Wahrnehmung befragt oder befremdet werden? Wie lassen sich Interpretationen und Assoziationen von Begriffen in Hinblick auf die Forschungsliteratur und die Praxis verschieben oder öffnen? Wie situiert sich der*die Forscher*in zu den untersuchenden Praktiken und Protagonist*innen des Feldes? Wie ist das eigene Engagement innerhalb des Felds? Welche Auswirkungen hat dies auf die eigene Forschung im Detail?
METHODEN UND EMPIRIE • Auf welcher Basis und mit welchen Methoden lässt sich das jeweilige
Phänomen oder die jeweiligen Konstellationen von Tanz und kultureller Bildung erforschen? Was ist damit erforschbar, was nicht? • Wie werden Praktiken oder Materialien erfasst? Wie lässt sich die Empirie mit theoretischen Referenzrahmen, z.B. Bildungstheorien, sinnvoll verschränken?
Fragen | 285
• Welche Bedeutung haben (welche) Kriterien für die eigenen Forschung?
Wie werden sie gewählt? Wie konstituieren sie den Gegenstand der Untersuchung mit? • Welche Ein- und Ausschlüsse werden durch Begriffs- und Kategorienwahl bedingt: z.B.: Was wird ggf. durch Begriffsverständnisse als erlernt oder erlernbar, und was als gegeben angesehen? • Wer wird warum in die Beobachtung einbezogen? Vollzugswirklichkeiten erfassen • Wie sieht das Feld nicht idealtypisch, sondern im jeweiligen Detailreich-
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tum aus? Was lässt sich in der Praxis beobachten? Was machen die Einzelnen/die Gruppen/die Institutionen genau, wenn sie unter dem Label Tanz und kulturelle Bildung arbeiten? Welche Diskurse werden wie aufgegriffen, reproduziert oder variiert? Welches (implizite) Wissen oder auch Nicht-Wissen und welche Probleme sind im Feld zu erkennen oder werden diskutiert? Wie werden im Vermittlungsgeschehen Regeln erfassbar? Wie werden diese von Einzelnen, Gruppen oder von Konstellationen mit hervorgebracht? Wie erklären und legitimieren sich die jeweiligen Praktiken? Was machen Einzelne mit den Vorgaben, Rahmenbedingungen, Referenzsystemen? Wie erlernen sie sie? Wie verändern oder variieren sie diese? Für wen eröffnen die beobachteten Praktiken welche Perspektiven, Erfahrungen, Kenntnisse, Reflexionsräume und für wen ggf. nicht oder auf andere Weise? Welche zentralen Kategorien oder Phänomene lassen sich aus Beobachtungen ableiten?
GESCHICHTE(N) KULTURELLER BILDUNG • Wie wird Tanzgeschichte im Bereich Tanz und kulturelle Bildung ge-
schrieben? Welche Vorbilder gibt es? • Welche Prämissen und Geschichtsverständnisse leiten die historische
Forschung? Welches Verständnis von Geschichte wird in der bisherigen Forschung erkennbar? Welche Interpretationen und Narrative prägen die
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Forschung? Wer schreibt welche Geschichte des Tanzes in der kulturellen Bildung aus welcher Perspektive? • Welche methodischen und theoretischen Überlegungen leiten die Tanzgeschichtsschreibung(en)? Historische Materialien und Quellen • Welche Quellen gibt es in diesem Bereich? Was für Quellentypen lassen
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sich finden? Wie konturieren sie das Forschungsphänomen jeweils in ihren Formen und Inhalten? Was wurde in Archiven, Sammlungen, Tagebüchern, Schulen als bewahrenswert erfasst, was nicht? Wann, wie und von wem wurden die Quellen zusammengetragen? Welchen Schwerpunkt setzen Sammlungen oder Nachlässe? Wie beeinflussen die gewählten Materialien die jeweiligen Forschungsperspektiven? Wie prägen die eigenen Interessen und Fragestellungen, was in den Quellen und Dokumenten sichtbar und analysierbar wird? Wozu können einzelne Quellen Aussagen machen und wozu nicht? Welche Begrifflichkeiten und Referenzen werden in ihnen aufgerufen? Von welchen sozialen und ästhetischen Codes sind die jeweiligen Quellen geprägt? Wessen Perspektive(n) geben sie wieder? Welche Einblicke in Diskurse des Feldes eröffnen die Quellen? Halten die Quellen ästhetische und pädagogischen Visionen fest? Beschreiben sie Konflikte oder strukturelle Rahmungen? Was lässt sich aus historischen Quellen in Bezug auf institutionelle und organisatorische Dimensionen von Tanz und kultureller Bildung sagen? Wie werden die Quellen in Erzählungen überführt? Wird beispielsweise eine lineare Geschichtserzählung gewählt? Wird systematisch vergleichend vorgegangen? Werden thematische und lokale Schwerpunkte als Orientierung für die Auswertung und Darstellung gewählt?
Historisches Feld kultureller Bildung • Was wird historisch unter kultureller Bildung verstanden? Welche Orte,
Kontexte und Diskurse können historisch als Teil kulturellen Bildung und Tanz betrachtet werden?
Fragen | 287
• Welche Diskurse prägten das Feld bzw. brachten es in spezifischer Weise •
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zu einer gegebenen Zeit, einem bestimmten Kontext mit hervor? Welche Protagonist*innen, welche Inhalte und Formen werden in der Geschichtsschreibung besonders hervorgehoben? Welche Ein- und Ausschlüsse werden dabei praktiziert? Wer sind die tanzhistorisch bislang (weniger) bekannten Akteur*innen? Welche Verständnisse von Pädagogik und Kunst werden in historischen Materialien/Quellen artikuliert? Wie wurden sie rezipiert oder abgelehnt? Wie wurden neue Körper- und Gemeinschaftskultur in die Pädagogik des Tanzes überführt bzw. beförderten diese? Welche sozialen und politischen Fragen wurden dabei aufgegriffen oder diskutiert? Wie sieht eine politische Tanzgeschichte kultureller Bildung aus?
KÖRPER/LICHKEIT Körperverständnisse reflektieren • Aus welcher Perspektive und vor dem Hintergrund welcher Erfahrungen,
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Interessen oder theoretischen Referenzsystemen werden Körper in den Fokus der Forschung gerückt? Welche Körperverständnisse sind in welcher Forschung und Praxis erkennbar? Welche Unterschiede lassen sich zwischen körpertheoretischen Perspektiven erkennen? Welche impliziten oder expliziten theoretischen Positionen werden in Bezug auf Körper von wem wie zugrunde gelegt oder befragt? Was ist gemeint, wenn von Körper(n) (im Tanz) oder gar ›dem‹ Körper die Rede ist? Was bedeutet es, wenn von körperlich-sinnlichen Dimensionen gesprochen wird? Wie wird Körper in seiner Materialität bzw. in seiner Hervorbringung verstanden? Welche Synonyme oder damit verbundenen Begrifflichkeiten werden für Körper aufgerufen (z.B. Leib, somatischer Körper, Materialität)? Wird von einem ›Körperwissen‹ ausgegangen und was wird darunter verstanden? Welche ästhetischen und epistemischen Setzungen begleiten, fundieren die jeweiligen Annahmen? Welchen Einfluss haben körpertheoretische
288 | Tanz und kulturelle Bildung erforschen
Diskurse auf die Erforschung von Tanz und kultureller Bildung? Welche Perspektiven werden bevorzugt gewählt? • Welche Phänomene geraten damit in den Blick, welche nicht? • Wie lassen sich die Sinne und das Ästhetische historisieren bzw. machttheoretisch untersuchen und an gesellschaftliche Normen anbinden? • Welche Verständnisse von Identität und Gender werden aufgerufen? Praxis in Bezug auf Körper/lichkeit erfassen • Wie zeigen sich Körper in den Vollzugswirklichkeiten tänzerisch vermit-
telnder Praktiken? Welche Körper sind zu beobachten? • Welche Bedeutung wird Körper in der jeweiligen Praxis gegeben? Ste-
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hen z.B. Körper und Sinne oder eher Moves, Musik, Schritte oder Themen im Fokus der Vermittlung und Aneignung? Wie werden Körper in den beobachteten Praktiken adressiert, bearbeitet oder sinnlich erfahrbar (gemacht)? Welche Verfahren werden angeboten und angeeignet, um Körper zu bearbeiten? Wie und in welchen Bewegungen und Übungen soll der Körper wie gespürt, verwendet, oder eingesetzt werden? Welche Körperteile werden bewegt und welche benannt? Mit welchen Teilen des Körpers wird verstärkt gearbeitet? Werden Körperpartien tabuisiert? Spielen Körperteile überhaupt eine Rolle? Werden Körper holistisch, polyzentrisch, oder fragmentierend trainiert? Wird dabei einheitlich vorgegangen? Welche qualitativen Aspekte von Körperlichkeit werden angesprochen (z.B. Energie, Fluss, Form, Tonus, Kraft, Elastizität, Durchlässigkeit)? Welche Vorstellungsbilder werden dabei aufgerufen? Welche Bedeutung wird welchen Wahrnehmungs- und Reflexionsformen gegeben? Inwiefern regen Bewegungspraktiken zur Reflexion von Wahrnehmungen an? Welche Widerstände sind im Umgang mit Körpern erkennbar? Welche Körperverständnisse zeigen die Teilnehmenden? Wie entwickeln Tänzer*innen ein Körperverständnis? Welches Verständnis von Körperwissen leitet Aufgaben, theoretische Reflexion und Wahrnehmung? Welche Kommunikations- oder Wirkungsweisen werden Körpern zugesprochen?
Fragen | 289
• Welches Verständnis von (Körper-)Können und Virtuosität ist mit den
jeweiligen Verfahren der Vermittlung verbunden? • In welchem Verhältnis stehen Körper(konzepte) und das Gegenstandsverständnis von Tanz zueinander? Kollektiv-, Sozial und Raumkörper erfassen • Wie werden Körper im Raum zueinander organisiert? Was sind bevor•
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zugte Abstände? Welche Rolle spielt Berührung von Körpern? Welche Bedeutung haben choreografische Verfahren für die Wahrnehmung, Erfahrung und das Verständnis von Körper und Körperkollektiven? Welche Wahrnehmungen rücken in den Blick, wenn Körper und Körperlichkeit nicht als individuell wahrgenommen werden, sondern als Gefüge oder Produkt von choreografischen Verfahren? Wie werden über Körper Fragen nach Identität, Geschlechtlichkeit, Diversität aufgerufen und begründet? Welche Verständnisse von Körper und Geschlecht werden artikuliert? Werden Körper als Ort der Differenz identifiziert, angesprochen? Wird Differenz in einem Setting als Bereicherung wahrgenommen oder stellt das gewählte Verfahren einige als kompetenter als andere aus? Welchen Körpern wird welche Form von Potential zuerkannt? Anhand welcher Kategorien, Grenzen, Standards werden (›individuelle‹) Körper sichtbar oder hervorgebracht? Wie wirken spezifische Körper und Bewegungen (auch in ihrer Differenz oder Homogenität) auf die jeweilige Situation zurück? Welche Körper/lichkeiten oder Bewegungsformen werden tendenziell in Bezug auf Individualität oder Differenz wahrgenommen, welche nicht? Was passiert, wenn diese (vor-)geprägten Körper nicht (gleich) passfähig zu den Vorstellungen, Zielen, Vermittlungsformen in einem Projekt oder einer Gruppe sind? Welche Aspekte von Körper(lichkeit) führen zu Irritationen, Widerständen und Scheitern? Wie wird in Bezug auf Körper eine ›soziale‹ Verortung konstruiert, thematisiert und verhandelt? Welche Bedeutung spielt die Thematik der Inklusion? Wie wird diese avisiert? Welche Bedeutung hat Dis/ability bzw. dessen Produktion für die beobachteten Praktiken?
290 | Tanz und kulturelle Bildung erforschen
BEWEGUNG Bewegungsverständnisse transparent machen • In welchen Konstellationen werden Bewegungen wie wahrgenommen?
Was wird jeweils unter Bewegung verstanden? • Welches ›Handwerkszeug‹ ist für die Beschreibung und Analyse von •
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Bewegung in Praxis und Forschung verfügbar? Welche Aspekte von Bewegungen werden von Einzelnen besonders wahrgenommen oder als wichtig herausgestellt? Welche Begriffe, Konzepte, Metaphern werden in der Beschreibung und Analyse verwendet? Welche Bedeutung spielen Vorstellungen von Stil, Genre, Prinzipien, Methoden, choreografischer Verfahren in Bezug auf das Verständnis und die Analyse von Bewegung? Welche Fachtermini werden in der Analyse, Vermittlung, Aneignung für Bewegung verwendet? Welche Referenzsysteme werden in der Beschreibung und Analyse von Bewegung herangezogen bzw. sind wirkmächtig? Welche ästhetischen und epistemischen Setzungen gehen mit den Kategorien einher? Welche Beobachtungsstrategien in Bezug auf Bewegung werden je nach Tanzpraktik gewählt oder unbewusst verwendet? Welche Bewegungsdetails und Differenzen können damit jeweils gesehen werden? Welche Bewegungsqualitäten oder -dimensionen werden in der Forschung besonders hervorgehoben oder erkannt?
Bewegungen in der Praxis erfassen • Welche Bewegungen können in den jeweiligen Vermittlungs- und An-
eignungskonstellationen beobachtet werden? • Welche Körperteile stehen im Fokus der Bewegung? • Welche Raumrichtungen werden gewählt? Wie gestalten Teilnehmende
Räume (mit)? Welche Raumfigurationen werden in einem Setting wie erlernt? Welche erscheinen selbstverständlich? • Mit welchem Körpertonus und Energieeinsatz wird gearbeitet? Gibt es Präferenzen und wer bringt diese ein?
Fragen | 291
• Wie werden die Bewegungen kombiniert? Welche rhythmische, dynami• •
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sche Strukturierung haben Bewegungsgefüge? Wann wird von Bewegung gesprochen, wann von Komposition, Ausdruck oder Körperlichkeit? Wie werden Bewegungen vermittelt, entwickelt, aufgebrochen, bearbeitet, variiert oder transformiert? Welche Bewegungen werden wie in welchen Kontexten ausgeübt, bevorzugt, oder beurteilt? Welche Bewegungsprinzipien, Verfahren und Regeln werden auffällig? Welche Möglichkeiten der Aneignung und Bearbeitung von Bewegung werden eröffnet und als Optionen dargestellt?
Bewegungen kontextualisieren • Welche Leistungsparameter werden in der Bewegungsvermittlung und
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-aneignung erkenntlich? Welche Aspekte an Bewegungen werden als zentral herausgestellt? Welche sind den Teilnehmenden wichtig? Welche ›Zitate‹, ›Referenzen‹, ›Verweise‹ und intersubjektive Bewegungs- und Kommunikationsangebote werden in Bewegungen sichtbar? Wie werden Bewegungen in Bezug auf ihre Kontexte und Traditionen vermittelt oder erklärt? Welcher ›Tanzform‹ oder welchem ›Stil‹ werden Bewegungen zugeordnet, oder auch nicht? Gibt es alternative Genealogien der Bewegungskontexte, wenn sie aus einer globalen oder dekolonialen Perspektive in den Blick geraten? Wer identifiziert aus jeweils welchem Kontext, was als Stil und Genre zu verstehen ist, und was welchem angehört? Wer eignet sich welche Bewegungs-Tanztraditionen wie an? Wo bewegen sich Menschen und zu welchem Anlass? Wie verändert der Kontext die Wahrnehmung und Erfahrung von Bewegung? Wie werden Verschränkungen von unterschiedlichen Tanzpraktiken aufgrund von Bewegungen sichtbar und beschreibbar?
ANEIGNUNG UND TEILHABE • Was wird unter Aneignung und Teilhabe verstanden? Welche Teilhabe-
bzw. Partizipationsverständnisse und welche dazugehörigen Praktiken lassen sich im Feld Tanz und kulturelle Bildung erkennen?
292 | Tanz und kulturelle Bildung erforschen
• Welche theoretischen Referenzsysteme werden in der Diskussion heran• • • •
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gezogen? Wie lassen sich Vorstellungen des Teilens und der Teilhabe theoretisch und empirisch verstehen und erweitern? Wie verhält sich das Konzept der Aneignung zu Begriffen wie des Lernens oder der Vermittlung? Welche Perspektiven fördert der Aneignungsbegriff? Welche Praktiken und Fragen geraten damit in das Blickfeld? Was wird unter ›kultureller Aneignung‹ (cultural appropriation) verstanden? Welche theoretischen und methodischen Herausforderungen sind mit diesen Begriffen und Phänomenen verbunden? Welche Vermittlungs- und Tanzpraktiken dominieren das Feld und in welche genealogischen Erzählstränge und prinzipiellen Ordnungen werden diese eingeordnet? Wie wird mit den unterschiedlichen kulturellen Kontexten, Traditionen von Tanz umgegangen oder wie werden Zuschreibungen durch die Praxis oder Diskurse mit hervorgebracht? Wie werden Fragen und Themen einer kulturellen Aneignung in der Forschung und in der Praxis aufgegriffen, verstanden, diskutiert? Welche Praktiken, Kompetenzen, künstlerische Leistungen werden dabei von wem, wie anerkannt? Welche Zuschreibungen, Ausgrenzungen oder Hybridisierungen sind zu beobachten? Wer hat die Projekte/Angebote in Hinblick auf wen konzipiert? Wer hat welche Gestaltungsmacht in Vermittlungsprozessen? Welche hierarchischen Strukturen und Kunst- und Selbstverständnisse werden deutlich? Welche Rolle spielen sogenannte ›Zielgruppen‹ und wie perpetuieren, befragen oder behandeln diese mögliche Ein- und Ausschlussmechanismen?
Normative Setzungen von Teilhabe und Partizipation • Wie und was wird als ›legitime‹ Form der Partizipation oder Teilhabe
angesehen? In welchem ›Milieu‹, Kontext und mit welchen Interessen werden die jeweiligen Standards entwickelt? • Wie ›aktiv‹ und ›selbstermächtigend‹ dürfen Teilnehmende sein? Welche Normen sind in Bezug auf Teilhabe wie und wo wirkmächtig?
Fragen | 293
Konstellationen von Vermittlung und Aneignung in ihrer Verschränkung erfassen • Wie wird Bewegung/Tanz angeeignet, aufgegriffen, bearbeitet? • Welchen Einfluss haben Vermittlungspraktiken und deren Leistungsprä-
missen auf Formen der Aneignung? Welche Bedeutung haben dabei sinnliche Aspekte, choreografische Verfahren, theoretische Rahmungen? • Wie verhalten sich postulierte Prinzipien der Vermittlung und Aneignung zu ästhetisch-künstlerischen Verfahren oder Normen der beobachteten Praktiken? • Wie entstehen Bewegungen, Erfahrungen, Bildungsmöglichkeiten in verschiedenen Vermittlungskonstellationen? Was wird mit ihnen von wem gemacht? Aufgabenstellungen und Aneignung analysieren • Was genau macht unterschiedliche Vermittlungskonstellationen aus? In
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welchem Rahmen und welchen Settings werden Menschen wie in Tanz involviert? Wie werden Vermittlungs- und Aneignungspraktiken dargestellt, vermittelt, erklärt und begründet? Welche Methoden der Aneignung werden vorgeschlagen? Wie wird ein gegebenes Bewegungsmaterial vermittelt und angeeignet? Welches Tanzverständnis wird darin zum Ausdruck gebracht? Mit welchen Begriffen werden Aufgaben vermittelt? Welche Bedeutung haben körperlich-sinnliche Dimensionen in der Vermittlung? Welche Einschränkungen und Parameter setzt die jeweilige Aufgabe oder das jeweilige Angebot? Welche Formen der Beschränkung und Offenheit werden implizit und explizit gesetzt? Inwiefern sind es auch die Teilnehmenden, die Beschränkungen in Aufgaben sehen? In welche Strukturen und Prozesse wird das zu Vermittelnde eingebettet? Werden Ideen vorgestellt und dann ausgeweitet? Folgt die Auseinandersetzung mit dem Material einer ›Logik‹ des Materials oder wird eine Struktur herangetragen? Wird das zu Vermittelnde vorbereitet, eingeführt, kleinteilig zergliedert in einer chronologischen Reihung von leicht/klein/simpel zu schwierig/groß/komplex vermittelt?
294 | Tanz und kulturelle Bildung erforschen
• Wie fügt sich Aufgaben in das Gesamtbild einer Einheit ein? Wie viel
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Zeit wird Aufgaben gegeben? Wie verändern sich Aufgabenstellungen oder Angebote über den Verlauf eines Projekts oder auch nicht? Welche sprachlichen, verbal-metaphorischen, sinnlich-haptischen Inputs und Feedbacks werden zur Unterstützung, Ergänzung, Umarbeitung gegeben? Inwiefern passen diese mit zuvor vorgestellten Zielen und Konzepten der Aufgabe? Welche Sinndimensionen werden durch eine Aufgabe adressiert? Wie viel Spielraum haben die Teilnehmenden in der Gestaltung, Umformulierung und Ausführung des Angebots? Wie eignen sich die einzelnen Teilnehmenden die Aufgabe an? Was machen sie damit (oder nicht)? Welche Freiheiten nehmen sich die Teilnehmenden in den Aufgaben? Wie wird damit umgegangen, wenn die Ausführung nicht verstanden oder anders realisiert wird? Wie werden jene mit in die Gruppe geholt, die noch wenig Verständnis für bereits ›etablierte‹ Figurationen haben? Wie dürfen Teilnehmende sich sprachlich einbringen? Wie reflektieren sie die Praktiken und äußern sich zu diesen? Wie werden Resonanzen zu anfänglich unverständlichen Bezeichnungen und Metaphern aufgebaut? Inwiefern werden Aufgaben und Begriffe zur Diskussion gestellt, eignen sich zum Widerstreit oder provozieren ihn? Wie wird Teilhabe verbal und reflexiv verhandelt? Welche Bedeutung haben Routinen und Vorwissen der Teilnehmenden dafür, wie das Angebot und die Vermittlungskonstellation sich ereignet oder konzipiert wird? Wie wird mit der jeweiligen Gruppenzusammensetzung umgegangen? Wie erzeugen die Angebote Gruppenkonstellationen oder spezifische Formen der Kollektivität? Wie nutzen die einzelnen Settings das ›Wissen‹ aller, oder schaffen einen Raum, der solches Wissen aufzeigt oder auch nicht? Zeigen die Teilnehmenden Spaß an den Angeboten? Wenn nicht, wie gehen Vermittelnde und Teilnehmende damit um? Welche Fähigkeiten werden durch Aufgaben oder Angebote angesprochen? Welche systematischen und analytischen Kategorien und Kompetenzen werden mit Aufgaben in Verbindung gebracht?
Fragen | 295
• Welche Begrifflichkeiten werden genutzt und welches tänzerische, ana-
lytische, kompositorische Handwerkzeug wird den Teilnehmenden damit mitgegeben oder auch nicht? • Welches Arbeits-, Körper-, Tanz- und Leistungsverständnis wird in der Aufgabe aufgerufen? Wie zeigt es sich in der Praxis und in der Umsetzung aller? • Wie lassen sich aus den Beobachtungen Thesen über mögliche bildungsrelevante Momente ableiten?
SPRACHE, REFLEXION UND FEEDBACK • Welche Bedeutung wird Sprache für die Vermittlung und Aneignung von
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Tanz zugeschrieben und wie variiert diese (je nach Kontext)? Welche theoretischen Referenzen werden diesbezüglich aufgerufen? Wie wird Sprache beobachtet? Was wird dabei als wichtig erfasst? (z.B. Inhalte, Tonalität, Begrifflichkeiten)? Wie kann eine Analyse der verwendeten Sprache dazu beitragen, Differenzen, Nuancen und Selbstverständnisse der Praxis aufzuschlüsseln? Welche Funktionen hat Sprache für einzelnen Szenarien, Projekte oder in Bezug auf welche Zielsetzungen? Was wird wie mit Sprache getan? Wie und wann wird Sprache in tänzerischen Vermittlungs- und Aneignungskonstellationen verwendet? Welche tonalen Ausprägungen von Sprache sind auffällig? Welche Stimmungen werden durch welchen Sprachgebrauch für wen wie evoziert? Welche Aspekte von Tanz und Vermittlung werden durch Sprache hervorgehoben? Wer nutzt welche (Art von) Sprache? Welche Metaphern und Bilder werden verwendet, um welche Bewegungsqualitäten zu vermitteln oder zu umschreiben? Wie wird Sprache von anderen verstanden und woran lässt sich das erkennen? Was passiert, wenn Sprache, Metaphern oder theoretische Referenzen als (nicht) passfähig erlebt werden? Wie wird eine gemeinsame Sprache hervorgebracht, geteilt, verständlich gemacht? Wie entstehen durch Sprache Vermittlungs- und Probengemeinschaften?
296 | Tanz und kulturelle Bildung erforschen
• Wer spricht in welchen Konstellationen der Tanzvermittlung und wie
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viel? Welche Hierarchien und Machtverhältnisse werden über Sprache erkennbar? Wie wird mit Fragen oder nicht geplanten Redebeiträgen umgegangen? Welche historischen und diskursiven Verortungen lassen sich über Sprache analysieren? Wie werden die Grenzen der eigenen Praktik beschrieben oder konstituiert? Wie und welche Form von Wissen wird verbal adressiert, verhandelt oder unbeachtet gelassen? Welche Begrifflichkeiten, analytischen und kompositorischen Parameter werden sprachlich verwendet oder adressiert? Welche Begriffe etablieren dabei welche ästhetischen Referenzsysteme, welche Körperlichkeit, welche Wirkungsmechanismen von Tanz? Auf welches interdisziplinäre Wissen und welchen Kontext wird sprachlich verwiesen? Welche Tanz- und Leistungsverständnisse werden wie über Sprache vermittelt?
Doing Reflexion und Feedback • Welche Verständnisse von Feedback und Reflexion lassen sich in der
Forschung und Praxis erkennen? • Wie und in welchen Formen sind Praktiken der Reflexion und des Feed-
backs mit welchen Lehr- und Lernverständnissen verbunden? • Welche Gruppengefüge, Vorerfahrungen, soziale und ästhetische Kons-
tellationen sind für die jeweiligen Feedback- und Reflexionspraktiken kennzeichnend? • Welche normativen Setzungen durchdringen Feedback- und Reflexionspraktiken? • Welchen Einfluss haben unterschiedliche Feedback- und Reflexionspraktiken auf die Möglichkeiten zur Teilhabe? • Welche Subjektverständnisse liegen den jeweiligen Konzepten und Praktiken des Feedbacks zugrunde? Welche bildungstheoretischen Anschlüsse bzw. Ableitungen ergeben sich daraus?
Fragen | 297
Praktiken der Reflexion und des Feedbacks erfassen? • Welche Formen von Feedback und Reflexion werden in welchen Kons-
tellationen wie praktiziert? • Wie, mit welchen Verfahren und mit welchem Zielen findet Reflexion
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statt? Was tun die Teilnehmenden beim Reflektieren, wie und unter der Beteiligung von wem? Wann findet Reflexion intendiert statt? Wann ergibt sie sich aus welchen Konstellationen und unter Beteiligung von wem? Wie verschränken sich Praktiken des Reflektierens mit anderen Standards und Normen des Feldes? Welche Modi von Feedback (sprachlich, haptisch etc.) lassen sich jeweils erkennen und ggf. unterscheiden? Welche Qualitäten werden mit Reflexion oder Feedback verbunden? Werden sie als strukturiert oder intuitiv, als spielerisch, humorvoll, nachhaltig, leiblich oder wertfrei verstanden, vermittelt oder erfahren? Welche medialen und intermedialen Konstellationen bringen welche Formen von Feedback und Reflexion hervor? Wie konstituieren sich zwischenleibliche Feedbackkonstellationen und wie können sie erfasst werden? Welche Konflikte treten dabei auf? Wie beeinflussen Settings und die jeweilige Vermittlungspraktik Feedbackformen und Reflexionen? Wie bringen andererseits spezifische Reflexions- und Feedbackpraktiken bestimmte Lehr- und Lernumgebungen erst hervor? Wie werden Reflexions- und Feedbackangebote aufgenommen, umgeformt, adaptiert und konterkariert? Wie bringen sie sich in wechselseitigen, unwegsamen Gefügen hervor? Welche Widerstände und kritischen Potentiale werden in konkreten Feedback- und Reflexionskonstellationen sichtbar? Wie gehen Einzelne, inklusive der Vermittelnden, mit Feedback um? Welche Optionen werden aufgezeigt, artikuliert oder vorgelebt, um damit umzugehen? Wie wird also ein Umgang mit Feedback vermittelt oder thematisiert? Welche Vorstellungen von Autor*innenschaft, Handlungsmacht, Expertise ergeben sich aus den unterschiedlichen Reflexions- und Feedbackpraktiken?
298 | Tanz und kulturelle Bildung erforschen
• Wie kann Feedback und Reflexion in und von Institutionen aussehen und
verstanden werden? • Wie stehen Reflexionspraktiken Einzelner in welchem Verhältnis zu übergreifenden Vorgaben von Institutionen? Ethik, Hierarchie und Ökonomie von Reflexionsund Feedbackpraktiken • Welche impliziten oder expliziten Wissensreferenzen untermauern und
legitimieren Reflexions- und Feedbackpraktiken in den jeweiligen Vermittlungs- und Aneignungssettings? Welche Machtverhältnisse werden dabei auch in Feldern mit flachen Hierarchien auffällig? • Wann werden welche Erwartungshaltungen mit unterschiedlichsten Formen institutionellen Feedbacks verbunden, artikuliert oder durchgesetzt? • Welche Referenzsysteme werden angelegt und wie werden diese wiederum befragt? • Welche Ein- und Ausschlussmechanismen gehen mit je spezifischen Formen des (institutionalisierten) Feedbacks einher?
IRRITATION UND SCHEITERN • Was wird unter Irritation und was unter Scheitern jeweils verstanden? • Welche Bedeutungen haben Irritation und Scheitern in bildungstheoreti-
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schen Studien, welche in der ästhetischen Theorie, welchen in der Praxis? Welche Potentiale werden Irritation und Scheitern für die Bildung zugeschrieben? Wie werden die sozialen und systemischen Dimensionen von Scheitern diskutiert? Welche Perspektiven und Fragen bringen die Kategorien der Irritation und des Scheiterns in die (eigene) Forschung ein? Wie verhalten sich empirische Daten zu Irritation und Scheitern zur Theorie von diesen? Welche Formen der Irritation und des Scheiterns können in Vermittlungs- und Aneignungskonstellationen beobachtet werden? Von was oder wem gehen Irritationen aus? Was provoziert Scheitern?
Fragen | 299
• Was oder wer definiert die Standards oder Referenzrahmen des Schei•
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terns? Welche Parameter bestimmen in einer Praxis Erfolg? Wer scheitert in der Praxis und an was? Die Lehrenden, die Schüler*innen, die Settings? Wann entstehen Situationen, in denen sich Teilnehmende als scheiternd begreifen oder so wahrgenommen werden? Wir wird mit Irritationen oder Scheitern umgegangen? Was sind die Folgen von Scheitern und werden sie erkennbar und thematisiert? Wann und wie werden Potentiale von Irritationen und Scheitern gesehen, genutzt, artikuliert, reflektiert bzw. den Teilnehmenden zur Reflexion gestellt? Welche Diskurse, Tropen, Begriffe werden im Rahmen von Irritationen oder Erfahrungen des Scheiterns aufgerufen, verwendet oder abgelehnt? Wie betten sich Szenarien der Reflexion oder des Scheiterns in welche Stimmungen, Atmosphären oder Gruppendynamiken von Vermittlungsund Aneignungskonstellationen ein? Welche ästhetischen Strategien des Umgangs mit Scheitern werden praktiziert? Welche pädagogischen Prämissen werden im Umgang mit Scheitern deutlich? Wie lässt sich das Selbstverständnis von Praktiken im Umgang mit Irritation und Scheitern erforschen und befragen? Welchen Raum und welche Verfahren gibt es, Verständnisse, Wertungen und Referenzrahmen von Scheitern umzudeuten? Welche Machtstrukturen, Ressourcenverteilungen, Diskurse sind daran beteiligt? Wie lernen Schüler*innen oder auch Lehrende ›besser‹ zu scheitern? Wo sind Fragen und Standards von Scheitern institutionalisiert? Was konstituiert institutionelles Scheitern? Welche Irritation lösen welche Institutionen aus? Welches Verständnis von Institution wird dabei zugrunde gelegt? Wie bearbeiten Institutionen Irritationen oder Scheitern? Was lernen sie (nicht) daraus? Wann und wie thematisieren wir das Scheitern der eigenen Forschung?
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