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German Pages 302 [305] Year 1965
DEUTSCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur
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STUDIEN ZUR NEUEREN DEUTSCHEN LITERATUR Herausgegeben von
HANS WERNER SEIFFERT
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1964
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Leipziger Straße 3—4 Copyright 1964 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/52/64 Gesamtherstellung: IV/2/14 . VEB Werkdruck Gräfenhainichen • 2193 Bestellnummer: 2054/29 • ES 7 E • Preis: DM 33,50
INHALT
Vorwort
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Hanna Brigitte Schumann Zu Literatur über Wielands Sprache und Stil
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Renate Petermann Bemerkungen zum Gebrauch der französischen Sprache in den Briefen des jungen Wieland (1750-1760) Erich Krah (unter Mitarbeit von Barbara
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Kraft)
Das Problem der Orthographie in Wielands Cicero-Übersetzung
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Horst Fiedler Über die Büchersammlung Georg Forsters und ihre Versteigerung
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Klaus-Georg Popp Bemerkungen zum Verhältnis Georg Forsters zu Friedrich Heinrich Jacobi
75
Gerhard Steiner Das Theater im Zeichen der Mainzer Revolution
95
Richard Täufel Eine Maskenszene in Weimar aus dem J a h r e 1801
165
Herbert Jacob Kotzebues Werke in Übersetzungen
175
Hildegard Pross Johann Peter Hebel 1960 —ein bibliographischer Bericht Christiane
. . . . .
185
Lehmann
Beiträge zur Personalbibliographie des Zeitraumes von 1830 bis 1880
205
Waltraut Leuschner-Meschke Zum Wechsel von Vers und Prosa in Otto Ludwigs dramatischen Werken
237
Hans Werner Seiffert (unter Mitarbeit von Christel Laufer) Zeugnisse und Materialien zu Fontanes „Effi Briest" und Spielhagens „Zum Zeitvertreib"
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VORWORT
Die Abteilung Neuere deutsche Literatur wurde 1952 bei der Begründung des Instituts für deutsche Sprache und Literatur auf Vorschlag von Herrn Professor Dr. L. Magon aus Arbeitsvorhaben der früheren Preußischen Akademie (Wieland-Ausgabe, Jean Paul-Ausgabe und Goedekes Grundriß) entwickelt. Aufgabenstellung und Zielsetzung ergaben sich durch die Forschungslage, die es notwendig erscheinen läßt, sichere bibliographische und philologische Voraussetzungen an Texten zu schaffen, für die sowohl sprachliches als auch literarhistorisches Interesse besteht. Aus dem Umkreis der wissenschaftlichen Unternehmungen erwuchsen bei der Bewältigung der eigentlichen Arbeitsaufgabe die Themen des vorliegenden Bandes. Einige der Beiträge, beispielsweise die bibliographischen, sind späteren Gesamtdarstellungen vorweggenommen, um jetzt schon Ergebnisse, deren Kenntnis erwünscht ist, zu veröffentlichen. Indem die Mitarbeiter der Abteilung die ihnen gegebenen Ziele weiterhin anstreben, möchten sie diesen Band Herrn Professor Dr. L. Magon dankbar widmen als ein Zeichen, daß die Aufgaben erkannt sind und daß der Weg, auf den er gewiesen hat, sicher beschritten wird.
Berlin, im Frühjahr 1963
Hans Werner Seiffert
Zu Literatur über Wielands Sprache und Stil Von Hanna Brigitte Schumann
I Die deutsche Sprache im 18. Jahrhundert wandelte sich nach formenden Tendenzen verschiedenen Ursprungs und wurde von Dichtern und Kritikern beispielgebend geprägt. Daß Christoph Martin Wieland bedeutender für die sprachliche Entwicklung seiner Zeit gewesen sei, als die ältere Sprachhistorik einräumt, sucht die moderne Forschung nachzuweisen und knüpft damit an ein Urteil Goethes an, das Eckermann1 überliefert hat: „Wielanden verdankt das ganze obere Deutschland seinen Stil. Es hat viel von ihm gelernt und die Fähigkeit, sich gehörig auszudrücken, ist nicht das geringste." Allein den Nachweis für diese Behauptung Goethes hat die Wissenschaft heute noch keineswegs zu Ende geführt, wie der folgende Bericht über Literatur zu Wielands Sprache und Stil zeigen wird. Um die Eigentümlichkeit von Wielands Sprache, seinen kultivierten Sinn für Nuancen, die Fähigkeit, psychologische Vorgänge im Wort bewußt zu machen, seinen assoziativen, aus einer Bildungshaltung erwachsenen Stil zu beurteilen, muß die sprachliche Situation seiner Zeit bis in die Auffächerung ihrer Details hinein gesehen werden. Philosophie und Dichtung, allgemeiner Briefstil, gelehrte und literarische Journale und ihre Zusammenwirkung auf Stilprinzipien seiner Zeitgenossen müssen für Vergleiche gegenwärtig sein. Deshalb sei eine zusammenfassende Arbeit über die deutsche Sprache im 18. Jahrhundert der Spezialliteratur vorangestellt. Den Anstoß für „Die Entwicklung des Deutschen zu einer Literatursprache" 2 sieht Eric A. B l a c k a l l (1959) darin, daß ein Versagen der gegebenen sprachlichen Ausdrucksmittel empfunden und apperzipiert wurde. Leibnizens „Ermahnung an die Teutsche, ihren verstand und spräche beßer zu üben . . ." als erste Bemühung, Schriften und Vorlesungen in deutscher Sprache gehalten von Thomasius als Versuch, der fremdwortüberladenen Gelehrtensprache durch volkstümliche Ausdrücke und Archaismen Deutlichkeit zu verleihen, Christian Wolfis deutsches philosophisches Vokabular, das Klarheit des Ausdrucks und reine Vermittlung von Gedanken erstrebte, bildeten eine Sprache der deutschen 1 2
Eckermann, Gespräche mit Goethe. T. 1, 18. Jan. 1825. Eric Albert Blackall, The Emergence of German as a literary language. Cambridge 1959.
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Schumann
Philosophie aus. Literarische Journale nach englischem Vorbild verbanden Elemente der Gelehrten- und der Volkssprache zu einem flüssigen, galanten Stil. Gottsched entwarf in seiner „Sprachkunst" und der ihr folgenden „Redekunst", Dornblüth in den „Observationes"3 Theorien für einen neuen deutschen Prosastil, der sich aus dem sächsischen Kanzleistil unter Einfluß von Christian Weise und Geliert entwickelte. Günther und Hagedorn, Brockes und Haller bereicherten die Sprache der Poesie um Ausdrucksmöglichkeiten für Gefühl, Beschreibung, ironische Betrachtung und den Stil der Lyrik um Figuren, die die Rhetorik des Barock bevorzugt hatte, Anapher, Antithesis, Epiphora, Oxymeron u. a. Die neu von der Anschauung her erfaßte Metapher wurde ein wesentliches Stilmittel. Für das emphatische Pathos seines feierlich erhabenen Stils fand und erfand Klopstock volle, schwere Töne der Sprache, nicht ohne gelegentlich den Sinn zu verdunkeln. Wechselwirkung zwischen Sprache und Literatur, zwischen Sprache und Dichter, „die eigenartige Vermengung von Vernunft- und Gefühlsausdruck"4, die Verbindung von Kultur des Witzes 5 und Kultur der Empfindsamkeit zum Ideal der Grazie, die sprachlich vollendet erst Wieland leistete, werden ausführlich und an zahlreichen Beispielen dargetan. Einzelinterpretationen zu Dichtungen und Spezialuntersuchungen von Begriffen und Modewörtern runden das entworfene Gesamtbild der deutschen Sprache im 18. Jahrhundert ab. Der Darstellung der deutschen Sprache zwischen 1700 und 1775 sei eine Untersuchung am Stil des gleichen Zeitraums zur Seite gestellt in der Dissertation von Lüder B e e k e n (1954) über „Das Prinzip der Desillusionierung im komischen Epos des 18. Jahrhunderts. Zur Wesensbestimmung des deutschen Rokoko". Desillusionierung durch Rationalisierung, durch Objektivierung des Wirklichkeitsbildes, durch Entzauberung des Transzendenten, Wunderbaren, Erhabenen, durch Abwertung der Religion, der Liebe, des Heroischen drückte eine ironisch-skeptische Haltung zur Welt aus. Dieser 3
Dornblüth, Observationes oder gründliche Anmerckungen über die Art und Weise eine gute Übersetzung besonders in die teutsche Sprach zu machen. 4 Rezension von August Closs, Bristol, in „Germanistik". 1960. S. 63. 6 Vgl. dazu Paul Böckmann, Formgeschichte der deutschen Dichtung, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1949. I m Kap. V „Das Formprinzip des Witzes in der Frühzeit der deutschen Aufklärung" gibt Böckmann eine Bedeutungsuntersuchung des Begriffs „Witz" für das 18. Jahrhundert. Ausgehend vom bei esprit über den sinnvollen Gedanken, Einbildungskraft und -fähigkeit, Scharfsinn, künstlerische Erfindungsgabe wird „Witz" zur Kunstform, schließlich veräußerlicht zur Pointe. I m „Scherzen" des Rokoko hat „Witz" den Charakter eines Spiels und erst bei Lessing — sagt Böckmann — in „Minna von Barnhelm" durch die Vertiefung Spiel als Mittel des Ernstes wird „Witz" zum Symbol. In der „Grazie des Herzens", der „Überwindung der Formtradition des Witzes" verbinden sich intellektuelle Heiterkeit und intensives Gefühl.
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Art, Wirklichkeit zu betrachten, entsprach eine Wendung vom hohen zum komischen Epos, das die typischen Stilzüge des hohen Epos bewahrte und gerade durch ihre Verwendung schon Parodie wurde. Das Prinzip der Desillusionierung bestimmte die bevorzugten Stilmittel des Rokoko, die Beeken in ihrer Anwendungsform nuanciert zeigen kann. Stoffansage trug im komischen Epos ironischen Akzent. Musenanrufung führte nur scheinbar Tradition des hohen Epos weiter, verflachte zur Formel und wandelte sich zur „negativen Invocatio" 6 . In Gleichnissen wurden Gestalten aus antiker Mythologie und Geschichte zur Veranschaulichung banaler Gegenstände bemüht, so daß lächerliche Kontraste entstanden und die Götterwelt verspottet schien. Antiklimax und Kontrafaktur überraschten durch unerwartete Zusammenstellung nicht zueinander gehöriger Begriffe. Die Stiltendenz der Desillusionierung verbunden mit andeutender indirekter Aussage und dekorativem Beiwerk verliehen in den Augen des Rokoko dem komischen Epos seinen ästhetischen Reiz. Erkenntnisse allgemeiner Sprach- und Stilprobleme des 18. Jahrhunderts bilden die Voraussetzungen besonderer formaler Untersuchungen an Wielands Schriften. Eine ganz klare Scheidung der Problemkreise läßt sich dabei nicht vornehmen. Doch sollen zunächst Arbeiten aufgeführt werden, die vorwiegend Wielands Sprache gelten. Sie stammen fast ausnahmslos aus der ersten Periode eingehender Wielandforschung — etwa von 1890 bis 1914 —, die gleichzeitig mit dem Vorhaben der historisch kritischen Ausgabe der Gesammelten Schriften einsetzt. Diese Untersuchungen liefern vorwiegend nach positivistischer Methode zusammengetragenes Material zu Spezialthemen. In seinem Aufsatz „Über Wielands Sprache" fragt Rudolf I s c h e r (1905) nach deren Eigentümlichkeit und dem „Grund für Wielands Veraltung" (S. 13). Dichterische Eigenart erkennt er, indem er eine gewisse Altertümlichkeit von Wielands Sprache als Absicht des Künstlers begreift. Ebenso erscheint ihm Wielands Gebrauch von Archaismen und Provinzialismen, seine Vorliebe für lange Perioden. Ischer versucht eine „Übersicht der Besonderheiten" zu geben, in der er alle Abweichungen von heutiger Bedeutung und Formenbildung, alte Fremdwörter, seltene Flexionsformen von Verben zusammenfaßt. Darüber hinaus erwähnt er besondere Konstruktionen wie Gebrauch des Akkusativs statt des Dativs, ungewohnte Präpositionen bei Verben, doppelte Negation. Alle diese Eigentümlichkeiten beeinträchtigen jedoch keineswegs die Flüssigkeit des Stils — sagt Ischer —, denn in der Altertümlichkeit der Sprache liege der Reiz Wielandischer Schriften, nicht — wie man hätte denken können — ein Grund für deren „Veraltung". „Schuld an der Vergessenheit", in die Wielands Werke gerieten, ist nach Ischers Meinung etwas völlig außerhalb des sprachlichen Bereichs Liegendes: Wielands eudämonistische Weltanschauung, der sittlicher Ernst mangelt. 6
Rudolfine Göbel, Das deutsche komische Epos des 18. Jahrhunderts. Diss. Wien 1932. S. 179.
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H. B.
Schumann
„Die Sprache des jungen Wieland" unter dem Einfluß Klopstocks stellt Georg B e c k (1913) in seiner Dissertation dar als Wielands „oft bis ins Einzelne" gehende Nachahmung seines Vorbildes. Er zeigt das auf dem Gebiet der Wortbildung an bevorzugten Ableitungen Klopstocks, die sich in Wielands Jugenddichtungen häufen, wie Abstrakta auf -ung, -heit, -keit, Verbalabstrakta als substantivierte Infinitive, Bezeichnung des Ausführenden einer Handlung auf -er, Adjektivableitungen auf -icht, -isch, Verwendung des Verbum simplex statt compositum usw. Bei einigen Beispielen, die zur Syntax gegeben werden, bezeichnet Beck klopstockische Elemente in Wielands Konstruktionen, gibt aber falsche grammatische Bestimmungen. Seine Arbeit, die eingehende Einzelvergleiche enthält, ist nicht ganz klar angelegt. Sie schließt mit dem Hinweis auf das allmähliche Sich-Lösen Wielands vom seraphischen Stilvorbild Klopstocks und sein Hinwenden zu französischen Vorbildern für Anmut und Ausdrucksklarheit. Seiner Untersuchung über den „metaphorischen Ausdruck des jungen Wieland" stellt Wilhelm C a l v ö r (1906) Definitionen der Metapher voran. Ausgehend von Cicero über Gottsched, Dilthey, Biese, Stern, Max Müller glaubt Calvör, „der Metapher ein ,tertium comparationis', das Streben nach Harmonie, der Einheit in der Mannigfaltigkeit, die den Begriff des Schönen ausmacht, zu Grunde legen" (S. 6) zu können. Er schließt sich Sterns Auffassung von der Illusionsmetapher an und faßt diese rhetorische Figur, den höchsten Ausdruck sprachlicher Subjektivität, als unmittelbare Anschauungsform auf im Gegensatz zur verstandesmäßigen Objektivität des Gleichnisses. Anders als die antike Figurenlehre und als die moderne ordnet Calvör nach Anschauungsgebieten. Ein Vergleich zwischen Wielands Metaphern und denen seiner Zeitgenossen, zumal Lange, Pyra, Klopstock, Haller, Brockes, zeigt, daß die Metaphorik Wielands in den untersuchten frühen Schriften eine vom Erlebnis her bedingte Enge des Anschauungskreises spiegelt, daß Wielands Metaphern selten auf eigene Anschauung zurückgehen, sondern sich als literarische Einflüsse der Naturbetrachtung durch Brockes, Kleist, Haller nachweisen lassen und in der Überschwenglichkeit des Ausdrucks Bodmer und Klopstock zum Vorbild haben, von denen Wieland sogar ganze Verse wörtlich übernahm. Da nicht nur in Wielands Erstlingsschriften, sondern, wie Ischer erwähnt hat, gelegentlich auch in späteren Werken unschöne Metaphern sich finden lassen, glaubt Calvör nicht umhin zu können, „hier einen gewissen Mangel an ästhetischem Gefühl anzunehmen" (S. 81). Im ersten Teil seiner Arbeit „Sprachgebrauch und Sprachschöpfung in Wieland's prosaischen Hauptwerken" stellt Louis L u b o v i u s (1901) sprachliche Neuschöpfungen und Wörter aus Wielands Prosaschriften zusammen, die „im Grimmschen Wörterbuch und, wo dieses noch unvollständig ist, in Adelungs, Weigands, Heynes und Sanders' deutschen Wörterbüchern nicht" verzeichnet sind. Seiner Übersicht zu Wielands Wortschatz folgt eine Tabelle der Abweichungen Wielands von der herkömmlichen Grammatik nach Formenlehre, Wortbildung und Syntax. Sehr knapp werden Dialekteinwirkungen des
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Oberdeutschen und Mitteldeutschen erwähnt und einige Beispiele für den Einfluß der französischen Sprache, den Gebrauch von Fremdwörtern und Versuche zur Fremdwortverdeutschung angeführt. Lubovius legt jedoch nur das von ihm gesammelte Material vor, ohne es zu einem Gesamtergebnis zu verarbeiten. „Wieland als Sprachreiniger" habe, obwohl er nach Lessings Tadel im 14. Literaturbrief bereits in der ersten Fassung des Agathon wesentlich weniger Fremdwörter brauchte als in früheren Dichtungen, doch in der zweiten Fassung noch eine große Anzahl Verdeutschungen eingesetzt, berichten Wilhelm F e l d m a n n und Paul P i e t s c h (1903) in der Zeitschrift des Allgemeinen deutschen Sprachvereins. Ergebnisse solcher „Reinigung" können, wie übersichtlich gezeigt wird, gelungene Bildungen sein, magische Kraft ->• Zauberkraft, Reaktion -> Zurückwürkung, aber auch fragwürdiger Ersatz bleiben, wenn etwa Pantomime mit Gaukler wiedergegeben wird. Wielands Besorgtheit um sprachliche Richtigkeit, adäquaten Ausdruck bewahrte ihn vor übertriebener Teutschtümelei, er ließ trotz Anfeindung deshalb Fremdwörter in seinem Text stehen, die er für prägnant und unersetzbar hielt, „für die er im Nothfalle sein Leben lassen wollte"7. Mit seinen „Studien über die Reimtechnik Wielands" will Franz S c h l ü t e r (1900) einen Beitrag zur „Geschichte der Gebildetensprache" (S. 5) geben. Er vergleicht Reime aus drei verschiedenen dichterischen Phasen Wielands miteinander, wobei ihm stellvertretend für jeden Zeitabschnitt eine markante Dichtung steht, „Die N a t o der Dinge", „Musarion" und „Oberon"; darüber hinaus stellt er die Reime Wielands neben die einiger Zeitgenossen. Gemessen am Lautstand des Schwäbischen im 18. Jahrhundert, kann Schlüter schließen, unterlag Wielands Reimbildung hinsichtlich der Qualität der Vokale dem Einfluß seiner heimatlichen Mundart nicht, sondern folgte gemeinhochdeutschem Gebrauch. In entsprechender Weise untersucht Schlüter Wielands Reime nach ihrer Vokalquantität, wo sich süddeutsche und mitteldeutsche Einflüsse mischen, und nach ihrem Konsonantismus, für den sich bei wachsender dichterischer Meisterschaft eine Abnahme der unreinen Reime nachweisen läßt. Ein Vergleich zwischen den Reimen der „Natur der Dinge" in erster und in vierter Auflage zeigt, daß Wieland wenig unreine Reime später geändert hat, wozu Schlüter meint, Wieland habe historischer Sinn gegenüber seinem eigenen Werk von einschneidenden Änderungen zurückgehalten. Einen „Beitrag zur Erkenntnis der Sprache Wielands in seinen epischen Dichtungen" nennt Gustav K u h n (1901) im Untertitel seine Dissertation über „Idris und Zenide", in der er zwei Fassungen gegenüberstellt und Wielands Änderungen daran aus dessen poetischer Absicht und Feinfühligkeit zu erklären sucht. Kuhn unterscheidet deshalb formale Änderungen, die einzelne Wörter oder ganze Verse betreffen, metrische Besserung, Präzisierung des Ausdrucks, Streichung von Pleonasmen, logische Korrekturen. Mit poetischem 7
Brief an Campe vom 26. 1. 1801.
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Einfühlungsvermögen geht Kuhn auf die feilende Arbeit Wielands an seiner Dichtung ein, übersieht aber nicht gewisse Mängel, wie Bizarrie des Ausdrucks, Übertreibungen, einige gespreizte Metaphern. Poetischer Gewandtheit Wielands steht für Kuhn jedoch unzureichende Charakterdarstellung und eine gewisse Gehaltlosigkeit der Dichtung gegenüber. Am Schluß der Arbeit stellt er ein Verzeichnis über veraltete Wörter auf, die nach seiner Ansicht den Reiz der Schriften Wielands erhöhen für Leser, die nicht mehr Zeitgenossen des Dichters sind. Die mitgeteilten Einzeluntersuchungen zu sprachlichen Einflüssen, bestimmten Ausdrucksmitteln oder zur Sprache einzelner Werke ergeben jedoch auch zusammen betrachtet noch keine vollständige Darstellung der Sprache Wielands in ihrer Eigentümlichkeit und lassen seine Wirkung auf die Sprache Goethes, des Sturmes und Dranges usw. weder deutlich noch verständlich werden. Eine ganze Gruppe von Arbeiten gilt Wielands Übersetzertätigkeit. Methoden des Übertragens, Beziehungen zwischen übersetzten Sprachen und übertragenen Autoren zum Deutschen, zu Wieland werden erörtert. An dieser Stelle muß bereits auf die Dissertation von Wolfgang M o n e c k e (1956) hingewiesen werden, die erst später behandelt wird. Diese Arbeit über „Wielands Horaz-Übersetzung" enthält ein umfangreiches Kapitel „Wieland als Theoretiker des Übersetzens", das Äußerungen zur Übersetzungstechnik zusammenstellt, in denen sich Wielands Schwanken zwischen freier, unhistorischer Übersetzungsweise und individualistischen, historistischen Ausdruckstendenzen spiegelt. Jedoch methodische Unsicherheit empfand Wieland erst n a c h seiner freien Shakespeare-Übertragung, die er kaum gewagt haben würde, hätten ihn theoretische Skrupel gehemmt. „Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz 1640—1815" erfährt eine erste Untersuchung und Zusammenfassung zu einem Wörterbuch durch Peter G a n z (1957), der Fremdwörter, Lehnwörter und Lehnübersetzungen aus der englischen Sprache, aber auch sogenannte Lehnbedeutungen und ganze formelhafte Wendungen, die übernommen worden sind aus dem Wortschatz der Dichtung, der Philosophie und der Naturwissenschaft, der Politik, der Technik und aus dem Sprachgebrauch des englischen Lebens, erklärt, sie untersucht und mit englischer Ursprungsangabe und deutschem Aufnahmezitat belegt. Die Arbeit kann als Beginn'einer Beziehungserforschung betrachtet werden, denn noch schöpft sie viele Einflüsse, besonders den Shakespeares fürs Deutsche allgemein und in seiner speziellen Wirkung auf Wielands Sprache bei weitem nicht aus 8 . 8
Vgl. hierzu als erste Ergänzung: Kyösti Itkonen (1963), „Englischer Einfluß auf die Sprache der Wielandschen Übersetzung des 'Sommernachtstraums' (1762)". In einem alphabetischen Verzeichnis der • Entlehnungen führt Itkonen Wörter auf, die in den Wörterbüchern fehlen oder erst nach 1770 belegt sind, vorwiegend Zusammensetzungen, ferner einige sog. Scheinpartizipien, die er als Bauentsprechungen betrachtet wissen will.
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In der Einleitung zu seinem Buch „Die Entdeckung Shakespeares", das deutsche Zeugnisse des 18. Jahrhunderts gesammelt hat, stellt Hans W o l f f h e i m (1959) die europäische Shakespeare-Kritik des genannten Zeitraumes dar und bringt damit deutsche Shakespeare-Beurteilung in einen größeren geistesgeschich.tlich.en Zusammenhang, interessant gerade für Wielands Stellung zu Shakespeare. Denn Wolffheim kann zeigen, daß Wielands Urteil über Shakespeare, das vor und — wie die mitgeteilten Zeugnisse erweisen — nach seiner eigenen Shakespeare-Übersetzung positiv, enthusiastisch ist, im Gegensatz dazu aber während seiner Arbeit gleichsam „unter der eingestandenen Verzweiflung seiner Übersetzungslast" (S. 32) sich der kritisierenden Haltung Popes, ja sogar der Voltaires näherte. In dieser Zeit warf Wieland Shakespeare Regellosigkeiten und Mangel an Geschmack vor. Wolffheim weist auf die Merkwürdigkeit hin, daß Wieland wie seine Zeitgenossen diesen seltsamen Widerspruch in seiner eigenen Shakespeare-Beurteilung nicht erkennt. Eine Beobachtung, die schon Marie J o a c h i m i - D e g e (1907) in ihrer Abhandlung „Deutsche Shakespeare-Probleme im 18. Jahrhundert und im Zeitalter der Romantik" veranlaßt hatte, Wielands Anmerkungen zu seiner Übersetzung zu bedauern und ihnen Zitate aus Wielands Briefen gegenüberzustellen, mit denen Wielands Verständnis für Shakespeares Genie, seine dramatische Kunst und seine ausdrucksstarke Sprache sich belegen läßt. „Eine Vergleichung der Wieland'schen Shakespeare-Übersetzung mit dem Originale" stellt Marcus S i m p s o n (1898) an, nachdem er Briefstellen Wielands und Urteile von Zeitgenossen über Wielands Shakespeare-Übersetzung konfrontiert hat und, um Objektivität bemüht, zu dem Urteil gekommen ist: „Wieland konnte Shakespeare nicht immer nachempfinden. Es fehlte ihm völlig an dramatischer Einsicht. . . Wie konnte er Shakespeare richtig schätzen, wenn er mitten in seiner Arbeit sagte, daß ein großer Teil desselben Aberwitz sei? Nichtsdestoweniger tat Wieland sein Möglichstes" (S. 19). Simpson teilt zunächst größere Abweichungen, Auslassungen ganzer Passagen des Urtextes mit und dazu Wielands Erklärungen für solche Kürzung, ferner den Ausfall einzelner Verse oder Wörter. Er trägt Zusätze Wielands zusammen, die bei Shakespeare keinerlei Entsprechung haben, und gibt Stellen an für grammatische, logische und stilistische Änderungen, die Wielands Fassungen von seiner Vorlage unterscheiden. Am Ende seiner Arbeit widmet Simpson dem Einfluß Popes und Warburtons auf Text und Anmerkungen ein umfangreiches Kapitel. Rudolf I s c h e r (1907) setzt sich in seinem „Beitrag zur Kenntnis von Wielands Übersetzungen" mit der Arbeit Simpsons auseinander und sieht dort Wieland „ungerecht mit Eschenburg und Schlegel zusammengestellt." Er weist auf die Schwierigkeiten, die Wieland als erster Übersetzer Shakespeares zu bewältigen hatte, auf die zur Zeit seiner Übertragung noch ungelenke deutsche Sprache und kritisiert dann Simpsons Methode der Gruppierung von Einzelheiten als unergiebig. Am Beispiel von „As you like i t " zeigt der Ver-
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fasser, daß das Wesentliche einer Untersuchung über Wielands Abweichen von seiner Vorlage im Begründen und Interpretieren der Auslassungen liege 9 , für die neben Bequemlichkeit moralische und religiöse Bedenken angeführt werden. Der Wert von Wielands Shakespeare-Übertragung besteht für Ischer im Übermitteln einer Vorstellung vom D i c h t e r Shakespeare, was er durch eine Darstellung der Wirkung von Wielands Arbeit illustriert. In der ersten grundlegenden kritischen Würdigung von „Wielands Shakespeare" geht Ernst S t a d l e r (1910) nach einer Einleitung über Anregung und Entstehung von Wielands Unternehmen, des Übersetzers sprachliche und wissenschaftliche Mittel auf Einzelfragen der Übersetzung ein 10 . Er erblickt in Wielands Auffassung, die Dramen Shakespeares seien nicht Produkte eines Kunstwillens, sondern „regellose Schöpfungen eines unvergleichlichen Naturgenies" (S. 25) i l , den Grund für deren vorwiegend prosaische Wiedergabe, da Wieland gelegentlich sogar behauptet hat, der Reim bedeute eine Fessel für Shakespeare. Abweichungen und Übereinstimmungen'von Vorlage und Übertragung in der Metrik des „Sommernachtstraums" und lyrischer Partien innerhalb anderer Dramen werden gezeigt. Wielands Bemühungen um Originaltreue Übersetzung führten zum Verlust sprachlicher Eleganz und an vielen Stellen, „sklavische Treue" geworden, zu schwerfälligen anglizistischen Wendungen. Übersetzungsfehler durch Irrtümer, Flüchtigkeiten und Verwechslungen oder aus Unkenntnis elisabethanischer Formen9
Vgl. hierzu F . W. Meisnest (1914), „Wieland's Translation of Shakespeare". I m Kapitel über Auslassungen gibt Meisnest außer Vergleichszahlen f ü r längere weggelassene Passagen deren Stellen im D r a m a an — vorwiegend 4. oder 5. Akt —, Wielands Gründe f ü r s Nichtübersetzen — er läßt Eingeschobenes und sprachlich Schwieriges aus — und lehrt die Absicht des Übersetzer, ,,to give t h e reader an idea of the original" (S. 28), als leitend im Übertragen und Weglassen verstehen. 10 Stadler ergänzend weist F . W. Meisnest (1914) in seinem Aufsatz über „Wieland's Translation of Shakespeare" nach, daß Wieland außer den bekannten Hilfsmitteln f ü r 5 Wendungen in seiner Übersetzung Johnsons Dictionary (1755) benutzt haben muß. 5 weitere Stellen deuten auf Heranziehung der Shakespeare-Ausgabe von Theobald hin und 14, die sämtlich Band V I I I enthält, auf die 1765 erschienene Ausgabe von Johnson. Auf irgend eine Weise, in der Bibliothek des Grafen Stadion, in Genf oder Zürich müsse Wieland Zugang zu den genannten Ausgaben gehabt haben. Hinzufügungen Wielands, zumal zahlreiche Regiebemerkungen legen die Annahme nahe, d a ß Wieland eine Theaterbearbeitung eingesehen hat. Meisnest vermutet „The English T h e a t r e " (London 1761), obgleich Seuffert (Prol. I I I , S. 6) betont, vor 1765 sei kein Exemplar dieser Ausgabe in Wielands erreichbarem Umkreis nachzuweisen. Abschließend teilt der Verfasser einige von Stadler nicht aufgef ü h r t e Zeugnisse über die Wirkung von Wielands Übersetzung mit. i< Vgl. hierzu Wielands Brief a n Zimmermann in Brugg vom 24. April 1758. Wielands Briefwechsel, hrsg. von H a n s Werner Seiffert. Bd. I . Berlin 1963. S. 336f.
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bildung, für die Stadler jeweils eine Fülle von Belegen bringt, entstellen den ursprünglichen Sinn oder ergeben gelegentlich sprachliche Absurditäten. Wielands rationalistisches Denken sah in Shakespeares auf Anschauung beruhender Bildhaftigkeit des Ausdrucks nur einen Schmuck der Rede, auf den der Übersetzer mit dem Ziel sachlicher Klarheit verzichtete, ebenso wie auf die Wiedergabe einer großen Anzahl reizvoller Wortspiele, von denen nur wenige glücklich nachgebildet worden sind. Wielands Feingefühl im Übersetzen oder Beibehalten fremder Namen und seine korrigierende Übertragung von Begriffen mit Zeit- oder Lokalkolorit hebt Stadler anerkennend hervor. Nachdem er die Wirkung von Wielands Leistung auf Zeitgenossen und in Urteilen gelehrter Journale dargestellt hat, macht Stadler noch sprachliche Rückwirkungen der Shakespeare-Übersetzung auf Wieland selbst an Worten, Motiven und stilistischen Einzelheiten, besonders des gleichzeitig entstehenden „Don Sylvio", deutlich. Ein summarischer Anhang gibt Beobachtungen an Orthographie und Lautstand der Wielandschen Sprache, an Wortgebrauch und Formenlehre. In ihrem Aufsatz „Der , Sommernachtstraum' in deutscher Übersetzung von Wieland bis Flatter" erklären Irmentraut C a n d i d u s und Erika R o l l e r (1956) Wielands Fassung für eine Verzierlichung Shakespeares durch rokokohafte Grazie der Sprache und Gebrauch von Lieblingswörtern der Empfindsamkeit statt kräftiger Wendungen Shakespeares. Veränderungen des Versflusses durch häufiges Enjambement, Verzicht auf Reim und Wortspiele, Rationalisierung bis zur Banalisierung Shakespeare'scher Metaphern lassen Wielands von Shakespeare verschiedenen sprachlichen Gestaltungswillen erkennen. Überaus geschickt aktualisierte Wieland durch die Übersetzung des Pyramus- und- Thisbe-Spiels in gereimten Alexandrinern „Shakespeares Parodie auf die Dramen im Seneca- Stil zu einer Parodie auf die klassizistischen Dramen der Gottsched-Schule", weshalb Schlegel diese gelungene Partie von Wielands Text fast wörtlich übernahm. Zu einer ähnlichen Gesamtauffassung über Wielands Shakespeare-Übertragung kommt in seiner Untersuchung „Shakespeare und seine deutschen Übersetzer" Siegfried K o r n i n g e r (1956), der Wielands Arbeit zwar als eine „literarhistorische Kuriosität" (S. 19) betrachtet, Wielands stilistische Grenzen gemessen an seiner Vorlage evident macht, der aber trotz Wielands Unfähigkeit, „Shakespeare als Ganzes" zu erfassen, hervorhebt „Wielands Übersetzung war eine große Tat", zumal sie unbefangen von theoretischen und formalen Prinzipien den Dichter und keinen Typus vermitteln wollte. Wielands Shakespeare-Übersetzung mit denen späterer Übersetzer des englischen Dramatikers vergleichen, heißt jedoch nur eine Seite erkennen, darüber hinaus muß Wielands Leistung, um ihr gerecht zu werden, neben Übertragungen anderer Dichter durch seine Zeitgenossen gesehen werden, z. B. der Thomsons durch Bodmer oder der Glovers durch Ebert, worüber bisher noch keine eingehende Darstellung vorliegt.
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Schumann
Rudolf I s c h e r (1907) geht im zweiten Teil seines „Beitrags zur Kenntnis von Wielands Übersetzungen", dessen Anfang sich mit der ShakespeareÜbertragung befaßte, auf die Bearbeitung antiker Schriftsteller ein. Er würdigt Wielands Horaz in reimlosen Jamben statt deutscher Hexameter als anmutig und ganz im Ton seiner Vorlage, führt sprachliche Neubildungen an und findet im Horaz das gleiche Prinzip für Auslassungen wie bei der Shakespeare-Übersetzung. Den Lucian betrachtet Ischer als Wielands „Hauptwerk auf dem Gebiete der Übersetzungskunst" (S. 251), das in glänzendem flüssigem Deutsch für eine gewisse Geistesverwandtschaft Wielands mit Lucian zeugt. Klares, nicht latinisiertes Deutsch charakterisiert auch die übrigen Bearbeitungen antiker Schriftsteller, besonders Wielands CiceroÜbersetzung, deren Reiz in der interpretierenden Übertragung aus dem Geiste dieses Römers liegt, mit der sich Wieland für Ischer als „ein Übersetzer ersten Ranges" (S. 256) ausweist, ausgezeichnet durch Anpassungsfähigkeit, Sprachgewalt, Bildung und Gewissenhaftigkeit. „Welche Wandlungen der Sprachgebrauch innerhalb von hundert Jahren durchgemacht hat" (S. 5) will Rudolf I d e l e r (1908) in seinen Untersuchungen „Zur Sprache Wielands" im Anschluß an Wielands Übersetzung der Briefe Ciceros zeigen. Dabei geht Ideler sehr ins einzelne. Er beobachtet Lauteigenheiten wie Kupierung des auslautenden oder Bewahrung des inlautenden e, t-Einschub, r-Fortfall u. ä., untersucht an den einzelnen Wortarten Wielands Wortbildung in Ableitung und Zusammensetzung und stellt insgesamt eine große Anzahl reizvoller Neubildungen zusammen, mit denen Wieland dennoch keine sprachliche Nachwirkung gehabt hat, z. B. Regiersucht, Yormann, Wohlgesinnung, gemeinleutisch. In seiner Darstellung der Syntax würdigt Ideler die außerordentliche Klarheit und Leichtflüssigkeit Wielandscher Perioden gegenüber nur gelegentlicher Langatmigkeit. So sorgfältig zusammengetragen und beweiskräftig das Material, das Ideler sichtet, im ganzen ist, am meisten überzeugen von Wielands Sprachmeisterschaft doch die im Anfang gegebenen Proben zur Übersetzungsmethode, an denen deutlich wird, daß Wieland oft durch völlige Veränderung der Konstruktion Gedanken Ciceros mit feinem Sprachgefühl deutsch ausdrückt oder lateinische Wortspiele durch deutsche wiederzugeben vermag, die auf ganz anderen Kompositionsprinzipien beruhen. Eine eingehende Darstellung dieses Problemkreises verspräche wesentlichere Ergebnisse. „Der Sinn für formale Vollendung, der Sinn für schlichte Einfalt" (S. 130), die er mit Racine teilte, bildeten Wielands Vorstellung vom antiken Drama aus. Nach Euripides' griechischem Trauerspiel und — wie H. B ü n e m a n n (1928) in seinem Buch „Elias Schlegel und Wieland als Bearbeiter antiker Tragödien" annimmt — offenbar unter Heranziehung einer französischen Fassung von Brumoy hat Wieland seine „Alceste" geschaffen, die er vergleichbar der Klarlinigkeit des klassizistischen Dramas nach dem Prinzip der Simplizität gestaltete, indem er das burleske Element, das die „Alcestis" des Euripides zu einem Mischspiel macht, ausschaltete, die Vorgeschichte
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einbezog und ganz im Sinne des antiken Dramas dem Handlungsablauf lyrische Ruhepunkte einfügte. Bünemann versucht Wielands Alcestis-Übertragung in ihrer Besonderheit durch seine Interpretation feinsinnig gerecht zu werden. Wolfgang Mo n e c k e (1956) stellt in seiner schon erwähnten Arbeit über Wielands Horaz eine ausführliche vergleichende Analyse von Wielands Übertragung an, in der er am Detail Wielands sprachliche Kunst und seine interpretierende Übersetzungsweise erläutert, ohne zu überhören, wo der Ton der Übersetzung gelegentlich nachläßt. Gründlichkeit ihres Vorgehens,,Reichhaltigkeit des verarbeiteten Materials und Erhellung stilistischer Phänomene durch deren ästhetische Interpretation machen diese Dissertation zu einer der wichtigsten Untersuchungen, die über Wielands Übersetzungen bis heute vorliegen. Wirkungen der Antike auf Wielands eigene Dichtung, nicht seine Übersetzung, untersucht E. S t e m p l i n g e r (1907) unter dem Thema „Wielands Verhältnis zu Horaz". Aneignende Nachahmung aus geistiger Verwandtschaft spiegelt sich in Wielands leichtfließendem, lebendigem Stil, dessen Reichtum an direkten und indirekten Zitaten aus Horazens Oden, Episteln, Satiren in Anspielungen und Reminiszenzen zahlreich belegt wird. Nachdem wenigstens einige wesentliche Darstellungen der Sprache Wielands in seinen Übertragungen referiert worden sind, soll die Ausbildung von Wielands Stil zunächst durch Untersuchen seiner Beziehung zu verschiedenen Literatvirgattungen angedeutet werden. Wieland als Dramendichter behandeln drei zeitlich auseinander liegende Arbeiten: Edward S t i l g e b a u e r (1896): „Wieland als Dramatiker", Emilie M a r x (1914): „Wieland und das Drama" und L. John P a r k e r (1960): „Wielands dramatische Tätigkeit". Die neueste Untersuchung, die Parkers, ihrer Konzeption nach am weitesten reichend, stützt sich mehr auf Ergebnisse von Emilie Marx, als aus der Darstellung zunächst ersichtlich wird, polemisiert aber auch da noch gegen Stilgebauer, wo Marx dessen Irrtum längst berichtigt hat. Parker stellt Wielands Singspieldichtung im Zusammenhang der Entwicklung des deutschen Singspiels im 18. Jahrhundert dar, weist auf Wielands besondere Neigung zu dieser Gattung wegen seiner Vorliebe für Märchenhaftes, Wunderbares, Lyrisches und entwickelt Wielands Singspieltheorie. In Wielands Tragödien „Johanna Gray" und „Clementina von Poretta" sieht Parker, wie vor ihm Stilgebauer und Emilie Marx, nicht den Einfluß Shakespeares, dessen Dramen Wieland als erster ins Deutsche übersetzt hatte, sondern den des Euripides wirksam. Nicht Schuld und Sühne, Größe und Verworfenheit, vielmehr Gemütsbewegungen, psychologische Wandlungen werden in diesen lyrischen Tragödien dargestellt, die ihrer Struktur nach und ihrer leichten, klangvollen Sprache wegen dem Singspiel nahe stehen. Emilie Marx geht ausführlich auf die Versifikation in Wielands Dramen ein, worin Parker ihr sich anschließt. Er zeigt, daß Wieland den Blankvers, den er als erster 2
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deutscher Dichter im Drama durchgehend anwandte, bereits in den „Erzählungen" unter dem Einfluß von Thomson und Rowe gebraucht hat, und erkennt die Mühelosigkeit der Handhabung dieses Metrums in fließender, klingender Sprache an. Wielands Shakespeare-Übersetzung würdigt Parker als sprachliche und als Übersetzerleistung. Der Versuch Parkers, „eine Wielandische Einwirkung auf Goethe und Schiller" aus der Sprache nachzuweisen, ist — so, wie er vorliegt, — nicht überzeugend. Die angeführten Beispiele reichen weder aus, noch sind sie, einzeln gesehen, immer treffend gewählt. Eine solche Einwirkung, die zweifellos bestand, müßte in einem ganz ausführlichen Textvergleich unter Berücksichtigung von Tagebüchern und Briefen gezeigt werden. Helmut K i n d s (1956) Aufsatz „Wieland und der historische Roman" steht in engem Zusammenhang mit Karl W i l d s t a k e s (1933) Untersuchung über „Wielands Agathon und der französische Reise- und Bildungsroman von Fenelons Telemach bis Barthelemys Anacharsis". Struktureller Pragmatismus und milieugebundene Kausalitätszusammenhänge bestimmen, wie Kind erläutert, den Aufbau des Romans. Die Entwicklung von Wielands historischer Betrachtungsweise, der sich Gegenwartstendenzen immer neu beimischen, und ihre Begründung aus seiner Form der Weltaneignung führen weit über stilgeschichtliche Untersuchungen hinaus, ebenso wie die Arbeit Wildstakes, in der Einflüsse von Xenophons Kyropädie und Nachwirkungen von Ramsays „Voyage de Cyrus" auf die Konzeption von Wielands Agathon nachgewiesen werden. Wieland übernahm drei Hauptthemen aus dem französischen Roman, Charakterbildung, Fürstenerziehung und Milieuschilderung, sowie eine Anzahl von Einzelmotiven, wich aber von seinem Plan eines kulturhistorischen gelehrten Romans ab und schrieb einen aus persönlicher Erfahrung schöpfenden psychologischen Entwicklungsroman, der für die Gattung des historischen Romans nur bedingungsweise Bedeutung hat. Vielschichtigkeit der Erzählvorgänge, Fächerung der Perspektiven und ihre Harmonisierung werden von Ernst Theodor V o s s (1960) als „Erzählprobleme des Briefromans dargestellt an vier Beispielen des 18. Jahrhunderts". Es gelingt dem Verfasser, Gattungsmerkmale wie verschiedengradige Distanz des Briefschreibers zum Gegenstand und zum Adressaten, zeitliche und personelle Aufteilung größeren Erzählstoffes, Zurücktreten des Romanautors, der gleichwohl „prima causa" der Bewegung aller Erzählabläufe und Zeitfügungen bleibt, neues Beziehungs Verhältnis zwischen BriefSchreiber und Leser herauszustellen. Typen des Berichts-, Reaktions- und Aktionsbriefes, des betrachtenden und des theoretisierenden Briefs werden nach ihren Ausdrucksmöglichkeiten unterschieden. Voss betrachtet als Ausgangssituation für den Briefroman das Getrenntsein wesentlicher Personen und als dauernd wirkendes „Movens" für den Romanfortgang ein aus Sehnsucht und Unerfülltheit entstandenes Bedürfnis, die Ferne zu überbrücken. Er verhilft mit seiner eingehenden Arbeit an nur wenigen Beispielen zu Grundlage und Methoden für Erfassung und Interpretation des Briefromans.
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Über die Verserzählung, eine für das Rokoko charakteristische Literatur gattung, liegen zwei gründliche Arbeiten vor, „Das deutsche Rokoko und die Verserzählung im 18. Jahrhundert" von Bengt Algot S0rense>n (1954) und die Antrittsvorlesung von Wolfgang P r e i s e n d a n z (1962) unter dem Titel „Wieland und die Verserzählung des 18. Jahrhunderts". Um die stilistischen Tendenzen des Rokoko zu begreifen, grenzt S 0 r e n s e n zunächst die geistesgeschichtlichen Bestrebungen des deutschen Rokoko ab gegen den Epikuräismus des französischen, die Auffassung von Kunst als ästhetischem Genußmittel in vollendeter Form des „je ne sais quoi", und beschreibt sie als „Synthese-Ideal" (S. 126), das Schönes und Gutes, Epikuräismus und Tugend verbindet und seinen literarischen Höhepunkt in der Kalokagathia findet, die Wieland in Musarion erreicht. Auch dem deutschen literarischen Rokoko wird die Verserzählung, schwankhaft oder sentimental, eine Lieblingsgattung, für deren Spielfreude und Plauderlust der vers libre. die angemessenste Versform ist. Hagedorn, Prior, Rost entwickelten diese Gattung zu einem schalkhaften Spiel des Erzählers mit Subjektivität und Objektivität, Scherz und Ernst, Naivität und Raffinement. Ursprünglichkeit, Prägnanz der direkten Darstellung weichen komplizierten Stilmitteln, oft absichtlich vagem oder zweideutigem Ausdruck. Eine Nuance prägnanter und damit schärfer, satirisch ist der Ton Gellertscher Verserzählungen, der aus einer illusionslosen Lebensskepsis herkommt, wenn auch die äußere Leichtigkeit des Spiels angestrebt wird. Die Sprache aller derartigen Rokokodichtungen, elegant und eloquent, gewandt und gewitzig, bleibt ein unpersönlicher Modeton, Gesellschaftssprache. Erst Wieland, so weist Sorensen insbesondere an Beispielen der Metaphorik nach, gab der Verserzählung vollendete Gestalt, indem er die graziöse Rokokodichtung um lyrische, seraphische und barocke Sprachelemente bereicherte. Während trotzdem viele seiner Verserzählungen ästhetisch reizvolle, aber gehaltsarme poetische Bagatellen sind, bildet Musarion den Höhepunkt dieser Gattung innerhalb des Rokoko, denn sie vereinigt dessen Stilprinzipien mit seinen gedanklichen Tendenzen und verkörpert damit sein Lebensideal, das „Schönheit, Sinnlichkeit, Vernunft, Mäßigung und eine ästhetisch gefärbte Tugend in sich schließt" (S. 148). Serensen gehört zu den Forschern, die das Rokoko nicht mehr als bloße Formspielerei von einem Standpunkt der Gegenwart aus beurteilen, die vielmehr versuchen, philosophische und stilistische Tendenzen dieser Zeit aus deren eigenen Theorien zu begreifen und damit ein Verständnis für die Dichtung des Rokoko zu erwecken. P r e i s e n d a n z interpretiert die Kunstabsicht des Rokoko als nur mehr aufs „delectare" gerichtet, das im Vergnügen des Erkennens einer „relatio" zwischen Vorbild der Natur und Abbild der Kunst gefunden wird, auf diesem Spannungsverhältnis beruhe das „uns befremdliche Prinzip des Scherzens" (S. 23). In der scherzhaften Erzählung, die Preisendanz weder Satire noch Parodie nennt, sondern „poetische Entfernung aus dem Wirklichkeitsbereich, „verselbständigt sich das Prinzip der poetisch verfremdenden Nachahmung soweit, daß es 2*
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mit keiner anderen Intention verbunden ist" (S. 20) zum Spiel. Wielands sprachliche Meisterschaft führt die Gattung auf einen Gipfel. Dichterische Wahrheit, die Preisendanz durchaus zugesteht, liegt nicht in symbolischer Bedeutsamkeit der Mythologie, sondern dort, wo der Leser auf das erläuterte Spannungsverhältnis zwischen Bild und Abbild eingeht und sich an der Divergenz vergnügt. Nicht Stoff, der Erzählvorgang selbst ist die Hauptsache. Wesentliche Stilmittel, Zitat, Apostrophierung, Anspielung, Autor-LeserBeziehung, werden erwähnt und die Ansicht zurückgewiesen, Wieland zersetze mit solchem Aufwand das Objektive des Erzählvorgangs, um sein virtuoses Spiel zu zeigen. Preisendanz erklärt diese angebliche Zersetzung als Relativierung der Wahrheit und Sichtbarmachen von deren Vieldeutigkeit und Perspektivismus durch die Form. Ferner untersucht Preisendanz die Dialektik im Gespräch mit Vor- und Mitwelt, das subjektive Verhältnis des Erzählers zu scheinbar objektiv Dargestelltem als Ironie, die Polarität zwischen sprachlicher Distanzierung und Identifikation und erkennt darin Charakteristika des Rokoko. Distanzierung modern als „Verfremdung" aufzufassen, ist jedoch, so nahe sich diese Begriffe stehen mögen, sehr gewagt, methodisch wegen der Fragwürdigkeit solcher Begriffsreprojektion auf Phänomene der Vergangenheit, sachlich aber um der Verschiedenheit der Absichten willen, aus denen die Kunst ihren Gegenstand fernrückt, wobei nicht verkannt werden darf, daß das Rokoko auch mit der Distanz, die es nach Beheben aufheben kann, — spielt. Trotz einem vollständig angelegten Gesamtbild und feinem Erfassen charakteristischer Einzelzüge in Preisendanz' Antrittsvorlesung wird der Eindruck nie ganz ausgelöscht, daß den Redner nicht nur das „Prinzip des Scherzens", sondern das Rokoko mit seinen formalen und geistigen Tendenzen überhaupt etwas „befremdlich anmuten". Die Vorlesung von Preisendanz hat, wiewohl besonders um die Erfassung einer bestimmten für das Rokoko und Wieland kennzeichnenden Gattung bemüht, bereits in spezielle stilistische Untersuchungen geführt. Eine Gesamtdarstellung über den Stil Wielands liegt noch nicht vor, aber Einzelunter suchungen zu besonderen Werken und Gestaltungsprinzipien und Interpretationsversuche am Begriff Grazie als wesensbestimmendem Inhärens Wielandscher Dichtung. Stilkritische „Untersuchungen über den Don Sylvio und die übrigen Dichtungen der Biberacher Zeit" will Alfred M a r t e n s (1901) anstellen, um „die Darstellungsweise Wielands" (S. 1) zu beobachten. Er wählt gerade den Don Sylvio, weil er darin ein erstes Zeugnis für eine Wandlung in Wielands ideeller und formaler Anschauung erblickt, ja sogar „den Übergang zu der ernsteren Behandlungsweise seines Themas". Martens nimmt Unterschiede im Erzählton wahr, die darauf hindeuten, daß Wieland mehr als in seinen vorangegangenen Komischen Erzählungen im Don Sylvio versucht, der Wirklichkeit nahe zu kommen, zumal in der Naturschilderung und in der psychologischen Erfassung menschlicher Entwicklungen und seelischer Vorgänge.
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Nach dem Verhältnis des Dichters zum Stoff, zu seinen Gestalten, zum Leser wird gefragt, und ein weiterer Abschnitt dieser „Untersuchungen über Wielands Don Sylvio" gilt dem Stil, an dem das für Wieland Charakteristische hervorgehoben werden soll. Figuren der Breite, der Lebhaftigkeit, ästhetische, phonetische, noetische Figuren bilden Schmuck der Rede, verleihen ihr Lebendigkeit und Nachdruck und dem Vortrag des Dichters besondere Charakterisierungsmittel, wie z. B. Ausruf und Epiphora für Pedrillo. Die von Wieland bevorzugte indirekte Form des Ausdrucks schließt drastischen Stil fast durchweg aus. Für eine Gesamterfassung von Wielands Stil wird auf Martens' Untersuchung nicht ganz verzichtet werden können. Maßstabbildend auch für künftige Forschung dürfte die Arbeit von Marga B a r t h e l (1939) über „Das ,Gespräch' bei Wieland" bleiben. Im Gespräch oder genauer im Dialogischen überhaupt findet die Verfasserin eine durchgehende Stilkategorie für Wielands Dichtung. Auch da, wo nicht direkte Unterhaltungen geführt werden, erkennt Marga Barthel dieses Prinzip als immanent wirksam „in der Ausrichtung auf den Leser und auf die Personen und Werke der eigenen Dichtung, in der Auseinandersetzung mit zeitgenössischen und älteren Autoren, mit Gegenwart und Vergangenheit, im Eintreten für Menschen und Ideen" (S. 63). Diese Stileigentümlichkeit des „immanent Dialogischen" unterstützt Erklärungen und die Bildung eigener Erkenntnisse, ist aber auch rhetorischer Kunstgriff und scherzhaftes Spiel, das den Leser neckt und irreführt. Marga Barthel zeigt das Spielerische, das Schwebende Wielandschen Stils u. a. in der „Geste des Zur-Wahl-Stellens" und prägt für die besonders reizvolle Figur einer begonnenen Aussage, die, mit einem die Spannung steigernden Gedankenstrich unterbrochen, völlig unerwartet fortgesetzt wird, den in die Sprache der Stilkritik übernommenen Begriff der „negativen Pointe". In einem zweiten Kapitel untersucht Marga Barthel das Gespräch im eigentlichen Sinn, das häufig an dramatischen Höhepunkten von Erzählungen steht, strukturbestimmend als Rahmengespräch oder zur Steigerung des Handlungsablaufs, formbetont als Charakterisierungsmittel für Milieu, Personen und Stimmungen, tendierend zur Vertiefung des Verständnisses einer konkreten Situation oder, um ein verallgemeinerungsfähiges Beispiel pointenhaft zu geben. Die Gattung des Gesprächs bei Wieland charakterisiert Marga Barthel durch die Begriffe „Wahrheit" als Ziel ihrer Darstellung, „Menschlichkeit" der Haltung und „Grazie" der Form, worin „innige Zartheit und ironische Kühle zusammenwirken" (S. 126). Am Einzelbeispiel sorgfältig interpretierend, arbeitet Marga Barthel klar eine große Linie heraus, die sie durch Wielands gesamte Dichtung verfolgt. Mit poetischem Verständnis wird auf Wirkungen von Ironie, Spiel und Grazie aufmerksam gemacht. „Ironie als dichterisches Spiel" mit dem Gegenstand, den der Erzähler nur zum Schein wie die ernsteste Sache der Welt behandelt, den er von allen Seiten betrachtet, den Gesichtspunkt wie den Standpunkt wechselnd, und mit anderen
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Dingen vergleicht bis zur Abschweifung, so führt H. P. H. T e e s i n g (1959) Wielands ironische Erzählweise am „Schach Lolo" vor. Liebe zur Kontrastwirkung, die nicht Stilbruch, sondern Stilmittel der Ironie ist, wird in „Schach Lolo" deutlich an der Mischung der Sprache gelehrter Abhandlung voller Fachausdrücke mit alleralltäglichster Umgangssprache, dargestellt aber im Gegensatz zu beiden in der Form des Verses. Subjektivität, die Arbeitsweise des Dichters, und Objektivität, die unumstößliche Richtigkeit des Nachgewiesenen, sind beide nur Masken des Ironikers. Scherz verhüllt den Ernst und umgekehrt. Zum Stil der Ironie gehören u. a. apodiktisch vorgetragene Fehlurteile, Betonung der Solidität und Klarheit des untersuchenden Vorgehens, beabsichtigte Stilbrüche durch sprachliche Verbindungen wie „eine ganze Fuhre Syllogismen". Teesing hebt die Ambivalenz des Ironikers hervor, der, wie am Beispiel gezeigt wird, „immer an zwei Fronten kämpft", andererseits jedoch es versteht, zugleich recht und unrecht zu haben. Damit bezieht sich Teesing auf Thomas Mann und dessen Ironiebegriff. Indem er darauf hinweist, daß die philosophische Frage nach letztem Ernst sofort relativiert und dadurch von ihrer Schwere entlastet wird, glaubt Teesing interpretieren zu dürfen, der Dichter meine, „daß letztlich nicht das verstandesmäßige Denken, sondern das irrationale Gefühl das entscheidende Wort spricht". Wielands Entwicklung zum Ironiker begreift Teesing als erlebnisbedingt aus schwerer Desillusionierung des jungen Dichters. Teesing selbst aber möchte über die Ironie hinausgehen, die zwar anregt, weil sie das Objektive in überraschenden Aspekten zeigt und Durchblicke auf ungeahnte Hintergründe gestattet, aber „là où l'ironie est passé il y a plus de vérité et plus de lumière" 12 . Für die Erfassung des Begriffs Grazie gibt die Arbeit von Franz P o m e z n y (1900) eine Grundlage, weil sie den Begriff in seiner Entwicklung darstellt und verschiedene Definitionen und Beschreibungen des 18. Jahrhunderts anführt. Ausgehend von der Rolle der Grazien, unter dem Titel „Grazie und Grazien" wird nach der Beziehung zwischen den antiken Göttinnen und dem Anmutbegriff gefragt, der mit dieser direkten Bezeichnung im Pseudoanakreon nur einmal in der Verbindung mit dem Adjektiv ,lebendig' auftritt. Wesenseigentümlichkeiten der Grazien sind Heiterkeit und Freudigkeit. Im 17. Jahrhundert unter französischem Einfluß zunächst vorwiegend auf die äußere Erscheinung gerichtet, wird Grazie erst unter englischem Einfluß (Richardson) zu einer Charakterisierung der „schönen Seele". Pomezny verfolgt die Begriffsdarstellung bei Theoretikern des 18. Jahrhunderts, die wesentliche Einzelzüge hervorheben, Leichtigkeit, Reiz, Schönheit in der Bewegung, im Tanz. Winckelmann faßt Grazie als „das vernünftig Gefällige", das auf dem Ausgewogensein des Gefühls beruht. Gegenüber dem Erhabenen, Großen grenzt Kant das Schöne ab als „muntere Naivität, reizende Freundlichkeit" oder „Munterkeit, Witz, feinen Mutwillen, Schalkhaftigkeit". Mit der Hervorhebung dieser Charakteristika beschreibt er jedoch weniger das Schöne als vielmehr Anmut, die für seine Auf12
Jankélévitch, V.: L'ironie ou la bonne concience. Paris 1950. S. 48.
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fassung in unmittelbarer Beziehung zur Tugend steht. Gleichzeitig mit der Entwicklung des Begriffs Grazie stellen die deutschen Dichtungen der Anakreontik die mythologischen Gestalten der Grazien vorzugsweise dar und finden stilistischen Ausdruck für den sich immer feiner ausbildenden Anmutbegriff. Pomezny weist auf die Unterscheidung im Grazienbegriff bei Wieland zwischen sinnlicher Grazie „Reiz" und seelischer „Anmut", die Wielands vertiefte Auffassung von Anmut jedoch später vereinigt. Von dieser Arbeit Pomeznys ausgehend, kann versucht werden, sich dem Unbestimmten der Grazie von verschiedenen Seiten her wenigstens zu nähern. Form und Inhalt sind untrennbar geworden, „denn der ,Inhalt' wird hier erst zu sich selbst gebracht, zum ,Ausdruck' gebracht vermöge der graziösen ,Poesie des Stils'" (S. 18), ist die Auffassung Friedrich B e i ß n e r s (1954). Obgleich er auf metrische Reize und Effekte der Akzentsetzung, der Zäsur und des Enjambements hinweist, Klang und Tonlinie verschiedener Versarten, des Alexandriners, des vers commun, des Blankverses bezeichnet, bringt Beißner in seinem Vortrag die „Poesie des Stils" mehr zum Klingen, als daß er interpretiert. Gerade damit aber beweist er sein Verständnis für Wielands dichterisches Können, das an scheinbar leichter Kunst Formvollendung offenbart, seinen Sinn „für die Grazie eines Silbentanzes"13. In der Hervorhebung dieses Schwebenden, Unfaßbaren in der „Poesie des Stils" als der Besonderheit von Wielands Stil liegt die Bedeutung dieses Vortrags. Besonders interessant für die Interpretation des zu untersuchenden Begriffs ist dessen Darstellung bei Wolfgang Monecke (1956). Er entwickelt sehr sorgfältig aus Zeugnissen Wielands, wobei er von Beißners Umschreibung der „Poesie des Stils" ausgeht und die „Grazie der Neuheit" auffaßt als Form, bekannte Dinge mit so besonderem Timbre vorzutragen, daß sie neu interessieren, d. h. „Durch Anmut wird das Wahre zum schönen persönlichen Ausdruck gebracht" (S. 174). Über Begriffe wie Anmut, Grazie als Schönheit in der Bewegung, Tanz, Musik führt die Interpretation immer mit dem Blick auf die Individualität zur „dissonierenden Harmonie", zu einem Zusammenklingen aus Anpassung, zu „Mitteltinten". Grazie lebt im Weiterwirken, sie ist gesellschaftsbildend, weil sie die Harmonie des einzelnen mit der gesamten Natur ausdrückt. „Der sozialpädagogische Aspekt der Grazienvorstellung ist ein Hauptanliegen Wielands" (S. 185). Endlich gibt Monecke seine Definition so: „Grazie ist individueller Ausdruck, aufgehoben in prästabilierter Harmonie" (S. 208). So folgerichtig Monecke seine Begriffsbestimmung schrittweise entwickelt und so sehr seine Definition von der Formulierung her besticht, macht gerade ihre Sicherheit unsicher. In der prästabilierten Harmonie scheint einiger Charme der Grazie, ihr Duft entwichen zu sein. Karl-Heinz K a u s c h (1955) wagt in seiner klaren Gesamtdarstellung über „Das Kulturproblem bei Wieland", die Grazie als Fluidum der Kultur zu be13
Wieland, Vorbericht zum Amadis 1794.
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trachten lehrt, dennoch keine direkte Definition des Begriffs. Er grenzt auf verschiedene Weise ab und beschreibt Grazie als etwas über Naturwahrheit und Tugendregel Hinausgehendes, als Mäßigung zwischen Sinnlichkeit und Geistigkeit durch die Form, als wissendes Innehalten gegebener menschlicher Grenzen bei Freiheit „des wachen Verstandes durch Ironie und Witz", als gelassene Heiterkeit und erhöhte Lebendigkeit, trotz allem aber bleibt Grazie für ihn letzten Endes „je ne sais quoi". Sie ist unbeschreiblich, weil sie nicht Faktum ist, sondern Wirkung, Reiz. Sie schwebt im Ton, im Timbre der Erzählung, und dies eigentlich erst dann „wirklich", wenn der Leser sich auf das mit ihm begonnene Spiel einläßt, denn darauf beruht der Sinn dieser Dichtung, für die Gehalt nicht im Stoff liegt, aber im Spiel. Wielands Motive entstammen zum großen Teil der Überlieferung, Prometheus, der Ritt auf dem Pegasus, der Streit um die Schönheit, Schleier-, Sucher-, Einsiedlermotiv usw., er verwandelt sie jedoch durch Züge seines Welt- und Menschenbildes und verleiht ihnen durch den Ton seiner Darstellung „Grazie der Neuheit". Wielands Sprachauffassung, Sprache als Mitteilung und Wirkung, und die Bedeutung des Schleiermotivs für die „nackte Sprache" werden gezeigt. Dann tritt Kausch in eine ausführliche Untersuchung des Wielandschen Stils ein, wobei er sich auf die Ergebnisse von Marga Barthels Arbeit bezieht. „Die Anspielung ist der Archetypus für alle Figuren" (S. 313), deren Verwendung bei Wieland Kausch an Beispielen untersucht, so Antithese und Oxymeron, Synekdoche, Litotes und die für Wieland so bezeichnende „negative Pointe" (Barthel). Nicht nur der Leser, sondern die Natur und die gesamte Kulturwelt werden in die Dichtung einbezogen, die durch das Transzendieren der Form vielschichtig, „Mischungskunst" wird. Wesentlich für den Stil Wielands sind die verschiedenen Weisen des Gesprächs, dessen Ton bedeutender ist als der Inhalt. Mit Nachdruck weist Kausch die Ansicht zurück, Grundkategorie Wielandschen Stils sei die Ironie, und erklärt sie für nur eine Diktionsform der Anspielung, für einen Ton in der Polyphonie, für „ein einzelnes Merkmal der Mischungskunst" (S. 206). In einem Exkurs über graziösen und symbolischen Stil stellt Kausch Wielands Dichtung neben die Goethes und Schillers, wobei er sich aber zur Wahl von Motiven verleiten läßt, die in sehr unterschiedlichen Dichtungsgattungen gestaltet werden und darum nicht eigentlich vergleichbar sind. Seine Gegenüberstellung führt ihn zu dem Ergebnis, „Wielands Kunst ist in einem höheren Maß als die Kunst Goethes und Schillers Kulturform", denn Wielands Dichtung „ohne inhaltliche Bindung" (Sengle) ist Kunst der Form, die hier selbst aussagekräftig wird. Nach einer ausführlichen Untersuchung wendet Kausch seine Ergebnisse und Erkenntnisse in der Auslegung zweier Verserzählungen Wielands an und macht damit seine gründliche Arbeit zu einem völlig geschlossenen Ganzen. Unter dem Titel „Die Kunst der Grazie" hat Karl Heinz K a u s c h (1958) einige Gedanken seiner Dissertation durch Einzelbetrachtungen erweitert, zum
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Teil noch prägnanter formuliert und den Vergleich zwischen Wieland und Schiller fortgeführt. Sein Bemühen um den Begriff der Grazie bei aller ihr anhaftenden Unbeschreiblichkeit trägt wesentlich zu einer Charakterisierung des Wielandschen Stils bei und verhilft zu dessen Verständnis. Preisendanz aber erhebt Bedenken, „ob indessen der Begriff Grazie geeignet ist, Wielands Dichtkunst hinsichtlich ihrer Struktur zu bezeichnen und von der klassischen Symbolkunst abzuheben". Dies erscheint ihm zweifelhaft, „zumal es sowohl für Wieland wie für das ganze Jahrhundert an einer einläßlichen und überzeugenden begriffsgeschichtlichen Untersuchung der doch sehr vieldeutigen und vieldimensionalen Grazie fehlt" (S. 25, Fußnote 14). Demgegenüber muß hervorgehoben werden, daß bei Kausch Vieldeutigkeit und Mehrdimensionalität des Begriffes durchaus als zu seinem Wesen gehörig erörtert werden, das ja ein zwischen seinen Möglichkeiten Schwebendes in Balance und darum unbeschreiblich, in gewisser Weise „je ne sais quois" ist. Der vorliegende Bericht über Literatur zu Wielands Sprache und Stil wollte nicht alle erschienenen Untersuchungen zu diesem Thema referieren — eine Bibliographie wird, ihn zu ergänzen, beigefügt —, sondern versuchen, einen Ausgangspunkt zu bezeichnen, von dem aus erkennbar wird, welche Aufgaben der Forschung noch gestellt sind. Deshalb wurde angestrebt, die behandelten Probleme möglichst vollständig zu erfassen. Überblickt man die Gesamtheit der Arbeiten, so sind zwar zur Lösung verschiedener Einzelfragen Teilergebnisse erreicht worden, zur Wortbildung in den Dissertationen von Beck und Lubovius, zur Reimtechnik in bestimmten Werken Wielands von Schlüter, zur Verwendung der Metapher durch Calvörs Darstellung. Ein großer Kreis von Fragen bleibt aber offen, die nicht mit Materialsammlungen und durch positivistische Häufung von Einzelmerkmalen beantwortbar sind, wie dies Verfasser vor 1914 erschienener Schriften zum großen Teil glauben, vielmehr in der Auffindung von Zusammenhängen . Beispielsweise fehlen zur Erfassung der Sprache Wielands noch Spezialarbeiten über Wielands Belebungsversuche an Archaismen, über Fremdwörter, eine genaue Darstellung der sprachlichen Neuschöpfungen, anknüpfend an Lubovius' Ansätze, wobei es zweckmäßig wäre, Begriffe im Wortfeld zu sehen und am Vergleich mit Ober-, Unter- und Synonymbegriff Wielands Ausdrucksabsicht aus seiner Wortwahl zu erläutern. Ischers Anregung folgend wären Auslassungen in der Übersetzung von Shakespeare, Horaz, Lucian und Cicero zu untersuchen, zu interpretieren und in den Zusammenhang von Wielands Übersetzungsmethode zu stellen. Eine Bearbeitung der Metrik Wielands müßte die exakte Methode Schlüters mit der Sensibilität für das Poetisch-Musikalische des Verses, die Beißner besitzt, zu einer Untersuchung von Reim und Vers verbinden. Einzeldarstellungen zum Stil Wielands wären zu geben über Wortspiel und Zitat, was Hermán M e y e r (1961) in seiner Monographie „Das Zitat in der Erzählkunst" ausgehend vom humoristischen Roman für Wielands „Goldenen Spiegel" und „Die Geschichte des weisen Danischmend" leistet, indem
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er nachweist) daß das Zitat in den genannten Dichtungen wesentlich die Struktur bestimmt. Über die Anspielung und ihre Sonderformen legt Kausch Entscheidendes schon vor. Darstellungen für Wielands charakteristische Stilfiguren wie Antiklimax, negative Pointe, Litotes fehlen vorläufig noch, diese Figuren sind bis heute nur in größeren Zusammenhängen mit Einzelbeispielen belegt worden, lassen sich aber durch Wielands gesamtes Werk hindurch verfolgen. Neben einem Versuch, Grazie anschließend an Monecke und Kausch neu zu fassen, sollte der Bedeutung der Ironie für Wielands Stil besondere Aufmerksamkeit gelten. Ironie darf weder — was Kausch bereits zurückgewiesen hat — als die Grundkategorie des Wielandschen Stils aufgefaßt werden, noch — wie Kausch vorschlägt — als nur ein Ton in der Polyphonie, vielmehr ist sie neben der von Marga Barthel gefundenen des Gesprächs eine weitere wesentliche Stilkategorie. Beziehungen zwischen den Begriffen Grazie und Ironie zu erkennen und nachzuweisen, ausgehend von Distanz und Balance, könnte zur Erhellung beider Wesentliches beitragen und die Eigentümlichkeit von Wielands Stil darstellen helfen. Damit sind einige der noch ungelösten Probleme angedeutet. Die bereits vorliegenden Schriften gewinnen für eine angestrebte vollständige Erfassung von Wielands Sprache und Stil den Charakter unerläßlicher Vorarbeiten.
II A d e l u n g , Joh. Christoph: Über den deutschen Styl. Bd. 1. Berlin 1785. S. 261ff. A n g e r , Alfred: „Reize" und „Reiz"begriff bei Christoph Martin Wieland. Diss. Köln 1954. A n g e r , Alfred: Literarisches Rokoko. Stuttgart 1962. B a r t h e l , Marga: Das „Gespräch" bei Wieland. Untersuchungen über Wesen und Form seiner Dichtung. Diss. Frankfurt 1938. Wiederholt in: Frankfurter Quellen und Forschungen zur germanischen und romanischen Philologie. 26. 1939. B e c k , Georg: Die Sprache des jungen Wieland. Diss. Heidelberg 1913. B e e k e n , Lüder: Das Prinzip der Desillusionierung im komischen Epos des 18. Jahrhunderts. Zur Wesensbestimmung des deutschen Rokoko. Diss. Hamburg 1954. B e i ß n e r , Friedrich: Poesie des Stils. Eine Hinführung zu Wieland. In: Wieland. Vier Biberacher Vorträge. Wiesbaden 1954. Beiträge zur weiteren Ausbildung der deutschen Sprache von einer Gesellschaft von Sprachfreunden. Braunschweig 1795. Darin über Wieland bes.: St. 1, S. 4 7 - 8 3 ; St. 4, S. 2 0 - 3 2 , 34, 177; St. 5, S. 1 - 1 5 . B l a c k a l l , Eric Albert: The Emergence of German as a literary language. Cambridge 1959. B l a n k e n b u r g , Christian Friedrich: Versuch über den Roman. Leipzig u. Liegnitz 1774. B l e y e r , J.: Zu dem Briefe Wielands an einen Dichterling. Euphorion 17. 1910. S. 661 f.
L i t e r a t u r über Wielands Sprache u n d Stil
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Bemerkungen zum Gebrauch der französischen Sprache in den Briefen des jungen Wieland (1750—1760) Von Renate Petermann
I I m 17. Jahrhundert bildete das Frankreich Ludwigs XIV. in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht das anerkannte Vorbild f ü r viele europäische Staaten. Gleichzeitig wurde auch die französische Sprache in anderen Ländern Europas zur Sprache des Hofes und der Aristokratie. Der französische Einfluß auf die deutschen Staaten verstärkte sich nach der Ausweisung der Hugenotten infolge der Aufhebung des Edikts von Nantes im Jahre 1685. Seit dem Vertrag von R a s t a t t 1714 setzte sich das Französische als einzige Diplomatensprache durch. 1 An den deutschen Fürstenhöfen herrschte die französische Sprache und drang von da aus immer stärker in die gebildeten Kreise ein, eroberte sich eine bedeutende Rolle als Sprache des geselligen Verkehrs und drohte den Gebrauch des Deutschen zu verdrängen. Es wurde zur Mode, im schriftlichen Verkehr, in Briefen an höhergestellte Persönlichkeiten, aber auch in Briefen rein persönlichen Inhalts sich der französischen Sprache zu bedienen. Auch Christoph Martin Wieland hat in seinen Briefen — vor allem in den Jahren von 1750 bis 1780 — dieser Mode gehuldigt. Ziel des vorliegenden Aufsatzes soll sein, die französischen Briefe aus den Jahren 1750—1760, die im ersten Band des Briefwechsels der Akademieausgabe enthalten sind, im Vergleich mit originalfranzösischen Texten des 18. Jahrhunderts nach ihrer Sprachform zu untersuchen, um festzustellen, inwieweit Wieland der französischen Sprache mächtig war, was man in seinen Briefen als Besonderheiten der Zeit und was als Fehler, als mangelnde Beherrschung des Französischen, ansehen muß. Eine Untersuchung dieser Art ist vom Standpunkt des modernen Französisch nicht möglich, sie muß unter Berücksichtigung der französischen Sprachentwicklung gegeben werden. I n diesem Aufsatz wird keine Vollständigkeit angestrebt ; es sollen lediglich einige sprachliche Probleme erörtert werden. Wieland h a t sich sein Französisch fast ausschließlich als Autodidakt angeeignet. Zwar gehörte die französische Sprache zu den Fächern, die in der Schule zu Klosterbergen bei Magdeburg, auf die Wieland im Alter von vierzehn Jahren kam, gelehrt wurden, aber er hat an diesem Unterricht nur kurze Zeit teilgenommen. 2 1
Vgl. Marcel Cohen : Histoire d'une Langue : Le Français (des lointaines origines à nos jours), Paris 1950, S. 182. 2 Nach einer Aufzeichnung C. A. Böttigers (in: Historisches Taschenbuch, hrsg.
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Seiffert, Neuere Literatur
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Durch die Lektüre französischer Schriftsteller und durch seinen Briefwechsel brachte er es allmählich zu einer immer größeren Fertigkeit, Sicherheit und Eleganz in der Beherrschung des Französischen. Untersucht man die Briefe aus dem hier zu behandelnden Zeitraum, so stellt man eine Entwicklung zu einem immer gewandteren und fehlerloseren Französisch fest. Sind in den sehr konventionell wirkenden französischen Briefen des siebzehnjährigen Wieland an seine Verlobte Sophie aus dem Jahre 1750 sehr häufig deutsche Konstruktionen nachzuweisen, so verfügt er in den Jahren 1758, 1759 und 1760 schon über eine bedeutend größere Fülle stilistischer Möglichkeiten. Die Fehlerzahl verringert sich, besonders schwere Fehler wie die Bildung falscher Verbformen (z. B. lise für lue) verschwinden; vielfach liegen nur noch Flüchtigkeitsfehler vor. Die aus dem hier zu untersuchenden Zeitraum in französischer Sprache geschriebenen Briefe stammen aus den Jahren 1750, 1756, 1758—1760 und sind zum größten Teil an Zimmermann und seine Frau Katharina gerichtet. Bei seinem Briefwechsel mit den Schweizern, mit Bodmer, Schinz, Heß, Zellweger und anderen; bedient sich der Dichter seiner Muttersprache. Nach der Bekanntschaft mit Zimmermann im Jahre 1758 verwendet er in seinen Briefen an den Freund und dessen Gattin immer häufiger das Französische. Während die Briefe an Sophie, an Reinhard, Lochmann, Iselin und vorwiegend auch die an Katharina Zimmermann vollkommen in französischer Sprache geschrieben sind, wechseln sich in den Briefen an Zimmermann häufig deutsche und französische Passagen ab. In den Briefen an Zimmermann finden sich einige sehr interessante Äußerungen Wielands über seine Beherrschung beziehungsweise Nicht-Beherrschung der französischen Sprache. Gleich zu Beginn seiner Freundschaft mit Zimmermann, am 12. März 1758, klagt er über sein schlechtes Französisch: „Mais ne suis-je pas bien temeraire de Vous écrire en une langue, que Vous écrives en perfection et moi si je ne sai pas diré comment, mais je le sens; j'ecris déja afsés mal pour un homme qui s'excerce plusieurs années dans cette aimable langue." (Nr. 287).3 Zweifellos liegt in dieser Selbsterniedrigung ein von Friedrich von Raumer. X. Jg. Leipzig 1839, S. 385ff.) soll'sich Wieland auf folgende Weise über den Französischunterricht in Klosterbergen geäußert haben: „Die Aventures de Rosigli und eine französische Uebersetzung der Pamela waren es, welche in Klosterbergen allein zu lesen erlaubt waren. An ihnen und mit Hülfe eines erbärmlichen Wörterbuches lernte ich Französisch (meist durch Errathen, wie alle meine neuern Sprachen). . . . Der bestallte französische Sprachmeister in Klosterbergen (Peuplier?) sprach immer in der höchsten Octave und ob er gleich ein baumlanger Kerl war, so klar, daß Jedermann lachen mußte. In einer Lehrstunde platzte ich zweimal l o s , . . . Beim zweiten Male bekam ich eine derbe Ohrfeige. . . . Mit dem Besuche der Lehrstunde hatte es auf immer ein Ende." 3 Textzitate nach Wielands Briefwechsel, Bd. I, hrsg. von Hans Werner Seiffert, Berlin 1963. Die Zahlen beziehen sich auf die dort durchgeführte Numerierung der Briefe.
Französische Briefe des jungen Wieland
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wenig Koketterie, der Wunsch, daß der Empfänger sein Französisch nicht ganz so schlecht finden möge, wie er es selbst charakterisiert. Zimmermanns Antwort ist uns nicht erhalten, aber es scheint, als habe er in seiner üblichen enthusiastischen Art Wielands Französisch in den Himmel gehoben, denn der Dichter verwahrt sich am 17. April energisch gegen die Behauptung des Freundes, daß er das Französische besser beherrsche als das Deutsche: „Vous n'y pensez pas, Monsieur, en me disant que le francois me sied infiniment mieux que l'allemand. J e serois très mortifié si Vous disiez vrai; car en ce cas il faudroit que j'ecrive très mal une langue dans laquelle j'aspire à cette belle chimere, que nous nommons l'immortalité." (Nr. 292). Die Klagen über sein schlechtes Französisch sind auch im nächsten Jahr noch nicht verstummt. Mitte April 1759 schreibt er an Zimmermann: „J'ai écrit à Mr. le baillif - Sinner, et je lui ai écrit en françois; je maudis mon imprudence, mais j'espère qu'une lettre en mauvais francois ne me perdra pas dans son Esprit." (Nr. 369). Und ein ähnliches Bekenntnis steht in dem Brief an Frau Zimmermann vom 4. Mai 1759 über seine Begegnung mit dem Berner Frölich : „Une certaine rusticité que vous me connaifsez et l'incapacité de pouvoir exprimer en bon francois tout ce que je pense ont concourra à me faire jouer un personnage afsez indifferent chés cet Homme Excellent." (Nr. 383). Im Verhältnis zu seinen deutschen Briefen aus der gleichen Zeit wirkt die Sprachform der französischen moderner, dem heutigen Französisch näher, und tatsächlich hat die französische Sprache seit dem 18. Jahrhundert in Orthographie, Formenbildung und Syntax geringere Veränderungen als die deutsche durchgemacht. Abgesehen von ganz bestimmten orthographischen und grammatischen Besonderheiten der Zeit machen die französischen Briefe einen einheitlicheren, weniger willkürlichen Eindruck als die deutschen. Das erklärt sich vor allem dadurch, daß in Frankreich bereits seit dem 16. Jahrhundert orthographische und grammatische Normen festgelegt worden waren und auch realisiert wurden. Im Vergleich dazu muß hervorgehoben werden, daß man in Deutschland nicfyt vor dem 18. Jahrhundert ernsthafte Versuche zur Vereinheitlichung der Orthographie unternahm. II Wieland schreibt kein fehlerfreies, aber auch kein besonders fehlerhaftes Französisch. Vergleicht man es mit dem der Sophie La Roche oder dem seines späteren Verlegers Reich, so fällt diese Gegenüberstellung sehr zu Wielands Vorteil aus. Um ermitteln zu können, welche Verstöße Wieland gegen die französische Grammatik und Orthographie begeht, ist es zunächst notwendig, die Formen zu erläutern, die vom heutigen Französisch abweichen, aber im 18. Jahrhundert allgemein üblich waren. Wieland verwendet in seinen Briefen die aus dem Altfranzösischen regelrecht entwickelten Endungen -ois, -ois, -oit, -oient 'für das Imperfekt und das Conditionnel der Verben. Diese alte Schreibimg, die sich bis ins 19. Jahrhundert
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gehalten hat, ist im 18. Jahrhundert noch durchaus üblich, 4 obwohl die Aussprache seit dem 17. Jahrhundert bereits der heutigen als ç (è) entsprach. Die Entwicklung des lateinischen e über ei zu oi (gesprochen wo) und ai (gesprochen è), der zufolge heutiges François (= Franz) neben français (= französisch, Franzose) steht, die beide auf das lateinische Wort franciscum (Franciscum) zurückgehen, ist ein außerordentlich komplizierter sprachlicher Prozeß. 5 Wieland hat also in seinen Briefen durchgehend étois für étais, serais für serais, avois für avais, aurois für aurais. Ganz vereinzelt vorkommende Conditionnelformen auf -ais in der 1. Ps. Sg. sind als nicht korrekte Verbesserungen aus der Futurform auf -ai anzusehen. Ebenso konsequent (mit Ausnahme der Briefe an Sophie aus dem Jahre 1750) verwendet Wieland die aus dem Altfranzösischen regelmäßig entwickelten Formen ohne latinisierende Konsonantenhäufung (-mps, -mpt, -rps, -ents, -ants), schreibt also tems, promt, cors, prudens, enfans anstelle von temps, prompt, corps, prudents, enfants. Ein Teil der heutigen Formen war von den Gelehrten bereits im 16. Jahrhundert gebraucht worden, als man versuchte, den Ursprung der französischen Sprache aus dem Lateinischen in der Schreibung sichtbar zu machen, wobei man sich aus Unkenntnis oft in einen Gegensatz zur französischen Sprachentwicklung stellte. Das p in tems, das aus dem Streben nach Vereinfachung schwer sprechbarer Konsonanzen gefallen war, wurde in Angleichung an das lateinische tempus wieder eingeführt und deshalb temps geschrieben. Diese Änderung hatte keinen lautlichen Wert. Die Akademie ordnete in ihrem Dictionnaire von 1740 eine umfangreiche Vereinfachung an, die sich vor allem auf die Eliminierung unnützer Buchstaben bezog, so daß wir infolgedessen tems, promt, cors, prudens, enfans finden. „La révision de 1740 a modifié l'aspect d'un quart des mots enregistrés (5000 sur 20000); . . ," 6 Diese Vereinfachungen, die später wieder rückgängig gemacht wurden, gelten im 18. Jahrhundert allgemein. Gelegentlich verwendet Wieland aber gelehrte Formen aus der Tradition des 16. Jahrhunderts, so zum Beispiel moequer für heutiges moquer, solemnel für heutiges solennel, bei denen die Humanisten den sprachlichen Zusammenhang mit dem lateinischen Herkunftswort orthographisch sichtbar gemacht hatten. Vom modernen Französisch unterscheidet sich der Gebrauch von y und i in Wielands Briefen. Wurde im 16. Jahrhundert auslautendes i durch y graphisch verdeutlicht, so hatte man im 18. Jahrhundert diese Variante wieder abgeschafft. Dieser Tendenz folgend, hat Wieland wie seine französischen Zeitgenossen dann auch häufig moien für moyen, aiant für ayant, emploier für employer. Oft hat er alte Adverbialformen wie gueres für heutiges guère, encor für encore. 4 5 6
Vgl. M. Cohen a. a. O., S. 190. Vgl. M. Cohen a. a. O., S. 107, 168, 190, 191. Vgl. M. Cohen a. a. O., S. 220.
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Bei der 1. Ps. Sg. Präs. der Verben aller und savoir schwankt er zwischen den regelrecht entwickelten Formen ohne s je vai, je sai und den auf Analogie beruhenden neuen Formen mit s je vais, je sais. In der 2. Ps. PL der Verben findet sich statt der üblichen Endung -ez vorherrschend die Endung -es, also avés statt avez ; in diese Rubrik gehören auch Formen wie assés statt assez, chés statt chez. Wieland gebraucht daneben auch Verbformen auf -ez, aber in weit geringerer Zahl. Da -ez seit dem Altfranzösischen bis heute die allgemein gültige Endung der 2. Ps. PI. ist, die auch von den Autoren des 18. Jahrhunderts in dieser Form durchgängig verwendet worden ist, konnte die besondere Schreibung bei Wieland (und einigen seiner deutschen Zeitgenossen) noch nicht geklärt werden. Die Orthographie ist bis auf den Gebrauch der Doppelkonsonanzen weitaus einheitlicher als die deutsche des 18. Jahrhunderts, und Wieland begeht kaum orthographische Fehler. Häufig hat er Doppelkonsonanz, wo heute ein einfacher Konsonant steht, aber auch umgekehrt: prennez, soupplesse, imbecille, aber honete, flaté, falu. Sehr schwierig ist es, die Akzentsetzung Wielands richtig zu beurteilen, da der Gebrauch der Akzente im 18.. Jahrhundert in Frankreich noch schwankt, obwohl Ende des 17. Jahrhunderts die Verwendung der Akzente, der Cédille und des Apostrophs im allgemeinen geregelt war. Wieland hat zweifellos zahlreiche Akzente aus Unkenntnis oder Nachlässigkeit weggelassen, einige auch falsch gesetzt, aber nicht alle Abweichungen von der heutigen Akzentuierung sind Fehler. Besonders häufig setzt Wieland einen Accent aigu statt des heute erforderlichen Accent grave oder auch des Accent circonflexe: très, après, extrême. Französische Autoren seiner Zeit haben zwar très, après, aber in gewissen Wörtern, in denen heute der Accent grave steht, findet man ebenfalls einen Accent aigu: siècle, honorèrent, étrangère.1 Inwieweit das auf einen Wandel in der Aussprache seit dem 18. Jahrhundert bis heute hindeuten könnte, kann hier nicht erörtert werden. Diese allgemeinen Bemerkungen über den Sprachstand in Wielands französischen Briefen waren notwendig, bevor auf die Wieland eigenen Abweichungen in orthographischer und grammatischer Hinsicht eingegangen werden kann. Die Fehler, die in seinen Briefen aus den Jahren 1750—1760, zum Teil auch noch im folgenden Jahrzehnt, immer wieder auftauchen, wurden in bestimmte Gruppen zusammengefaßt. Allgemein kann man feststellen, daß der Dichter in Briefen an höhergestellte Persönlichkeiten der sprachlichen Ausformung größere Sorgfalt angedeihen läßt und dementsprechend auch die Fehlerzahl geringer ist. I n den Briefen an seinen Freund Zimmermann, die oft sehr lang sind und eilig geschrieben wurden, ist die Zahl der Fehler größer. Besonders viele Fehler enthält der in der Handschrift zwölf Seiten um7
Zum Vergleich wurden vor allem herangezogen :• Montesquieu : Considérations sur les Causes de la Grandeur des Romains et de leur Décadence. Seconde Edition. Amsterdam 1734. Voltaire: Histoire du Siècle de Louis XIV. La Haye 1752.
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fassende Brief vom 11. und 12. August 1759 an Katharina Zimmermann (Nr. 443) über Wielands Beziehungen zu Melissa, der gegen Schluß sehr flüchtig geschrieben ist. 1. F l ü c h t i g k e i t s f e h l e r Eine ganze Reihe von Fehlern muß man als Flüchtigkeitsfehler ansehen, fast als Verschreibungen. Wieland vergißt öfter das Pluralzeichen s in Fällen, wo sein Gebrauch gar keinen Zweifel zuläßt: „qu'il y a très peu de gens en Biberach qui soient capable . . ." (Nr. 3). „Cela excepté je ne vous demande que la Continuation de votre amitié, que je chéris plus que tous les autres bien du monde, . . ." (Nr. 7). ,,Voua trouverés mille et mille fautes d'incorrection, par rapport aux exprefsion et au stile, . . . " (Nr. 299). Ähnlich liegen Fälle, wo anstatt des Singulars ein Plural steht: l'oppressions für l'oppression (Nr. 244). idées für idée (Nr. 7). elles für eile (Nr. 330). Als Flüchtigkeitsfehler muß man auch ansehen, wenn Wieland au l'Acte für à l'acte (Nr. 307) und für das Partizip von dire dis statt dit (Nr. 443) schreibt. Eine Vielzahl ähnlicher Versehen gehört noch in diese Rubrik, und die Grenze zwischen Flüchtigkeitsfehlern und grammatischen Fehlern ist nicht genau bestimmbar. 2. G r a m m a t i s c h e F e h l e r a) Fehlerhafte Bildung von Verbformen Sie ist im allgemeinen selten und mit Ausnahme der öfter falsch gebildeten 3. Ps. Sg. Konj. auf die Briefe aus dem Jahre 1750 beschränkt. Im Brief vom 5. Juni an Sophie Gutermann (Nr. 3) gebraucht Wieland zweimal die falsche Partizipform lise für lu (lue). Unrichtige Verbformen sind weiterhin: deplaiseront für deplairont (Nr. 7). soye für soit (Nr. 9). soie für sois (Nr. 292). aye für ait (Nr. 4 18). b) Genusfehler Auch diese Art von Fehlern ist bei Wieland ziemlich selten. Einige Beispiele sollen angeführt werden: toute mon amour f ü r tout mon amour (Nr. 8). une iseule quart d'heure für un seul quart d'heure (Nr. 9).
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Zu vergleichen ist auch die falsche Pluralbildung: des quart d'heure für des quarts d'heure (Nr. 436). des grandes rôles für de grands rôles (Nr. 369). gens bien intentionés für gens bien intentionnées (Nr. 361). c) Mangelnde Übereinstimmung zwischen Substantiv (oder Pronomen) und Partizip Zu den häufigsten Fehlern gehört die nicht durchgeführte Übereinstimmung zwischen dem Partizip und dem Substantiv, zu dem es gehört. Dieser Fehler zieht sich durch alle französischen Briefe Wielands ; oft ist er durch Flüchtigkeit bedingt, dadurch, daß sich Wieland den grammatischen Zusammenhang nicht verdeutlicht hat. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die Veränderlichkeit des Partizips im 18. Jahrhundert bereits genau geregelt war, denn Cohen schreibt: „Déjà au XVI e siècle on a codifié, et au XVII e siècle on a affirmé la règle dite d'accord des participes, consistant à ,accorder' au féminin ou au pluriel un participe avec ,être' (,ils sont venus') et un participe avec ,avoir' lorsque le complément de verbe le précède, ce qui n'arrive, depuis l'âge classique, que lorsque ce complément est un pronom personnel ou un pronom relatif (,1a lettre que j'avais écrite, je l'ai cachetée') et dans l'interrogation (,quelles femmes, lesquelles avez-vous vues')." 8 Verhältnismäßig selten hat Wieland das Partizip eines mit être gebildeten Verbs, wenn das Substantiv ein Femininum oder ein Plural ist, nicht verändert, „car je sais très bien qu'il y a des moments où nous sommes forcés d'être fachè, triste ou sombre." (Nr. 8). „Me voila à present à cette dernier Epoque de mon histoire de Melifse dont Vous et Mr. Z. ont été informé. . ." (Nr. 443). ,,Sa derniere lettre m'avoit fait une peine infinie par le ton dans lequel elle etoit écrit." (Nr. 465). I m Gegensatz dazu verändert Wieland gelegentlich ein Partizip an einer Stelle, wo diese Veränderung unrichtig ist : „et quelle mortification seroit-ce pour moi m'avoir flaté vainement de vous voir, et de baiser la chere main, qui m'a écrite la plus belle lettre, . . . " (Nr. 3). „et qu'on trouve rassemblés à Paris tout ce que la France a de Genies . . ." (Nr. 244). Besonders häufig aber fehlt die Veränderung des mit avoir verbundenen Partizips bei vorausgehendem Akkusativobjekt. Daß Wieland diese dem Deutschen schwer verständliche Regel bekannt war, geht daraus hervor, daß er die Veränderung des Partizips in zahlreichen Fällen vollzogen hat. Aus der Fülle der Beispiele seien nur wenige zitiert : „il m'est impossible de ranger mes pensées, que votre trop belle lettre a mis en une agreable confusion." (Nr. 7). 8
M. Cohen a. a. O., S. 194.
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„Mais je suis bien impertinent de vous dire des choses que vous avez sans doute pensé et lû mille fois . . ." (Nr. 295). „que tous les Caractères d'une législation telle qu'on a cherché en vain jusqu'ici . . . " (Nr. 462). d) Fehlender
Konjunktiv
Vielfach hat Wieland, bedingt durch den vom Deutschen abweichenden Gebrauch dort keine Konjunktivformen gesetzt, wo sie im Französischen unbedingt erforderlich sind (nach bestimmten Verben, nach unpersönlichen Ausdrücken wie il faut und nach Konjunktionen wié sans que, quoique usw.) : „En bonne vérité les aimables filles font une très belle partie de ce monde, quoique Vous autres medecins et Anatomistes en croyés; . . ." (Nr. 285). „11 faut que vous éties . . ." (Nr. 298). „II paisa bien de tems sans que je m'appercûs du peu de progrès que je fis avec ma platonicienne;. . . " (Nr. 443). e) Verwendung des falschen Hilfsverbs bei reflexiven Verben Ein durchaus typischer Fehler für Deutsche, die die französische Sprache lernen, die Verwendung des Hilfsverbs avoir statt être bei reflexiven Verben, kommt auch bei Wieland häufig vor und ist schwerwiegender als ein nicht gesetzter Konjunktiv. „Mon Imagination . . . ne m'a jamais fourni l'idée de cette grâce angelique avec laquelle cette aimable Actrice s'a acquittée de son rôle." (Nr. 307). „M'ai-je jamais déclaré ennemi de l'Esprit?" (Nr. 366). „j'aurois succombé à la tristeise noire et accablante, qui s'avoit emparé de moi du premier moment de mon séjour içi . . ." (Nr. 462). f) Futur und Conditionnel nach si Besonders zahlreich sind die Fälle, in denen Wieland wie im Deutschen Futur und Conditionnel nach si (= wenn) gebraucht, während die französische Grammatik die Verwendung des Präsens und des Imperfekts vorschreibt. Gelegentlich gebraucht Wieland die richtigen Zeiten, aber im allgemeinen überwiegt in den frühen wie in den späten Briefen die falsche Anwendung : „Si je pourrai . . ." (Nr. 287). „Un tel homme n'entendroit pas le mot aux ouvrages de Young et s'il parviendrait avec une peine infinie à les entendre, il les detesteroit." (Nr. 292). ,,mais il me fit aisés sentir la joie qu'il auroit si je l'accepterais." (Nr. 495). g) Inkorrekter Gebrauch des
Teilungsartikels
Zu den Fehlern, auf die man auch noch in den Briefen gegen Ende des Jahrzehnts oft stößt, gehört die falsche Anwendung des Teilungsartikels. Es handelt
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sich dabei um vier verschiedene Fälle, in denen der Teilungsartikel nicht richtig gehandhabt wird. Der Teilungsartikel fehlt manchmal an Stellen, wo im Deutschen das Substantiv ohne jeden Artikel steht : ,,on m'a raconté merveilles." (Nr. 366). Nach dem Mengenbegriff bien, der Präposition und Artikel verlangt, schreibt Wieland sehr oft nur de ohne Artikel, so zum Beispiel : bien de certitude (Nr. 8). bien de charmes (Nr. 309). bien de personnes de merite (Nr. 443). Umgekehrt erscheint in folgenden Beispielen de mit Artikel statt einfachem de: plus du plaisir (Nr. 292). plus d'une douzaine des Esprits (Nr. 369). Besonders häufig setzt Wieland de mit Artikel vor Substantive, denen ein Adjektiv vorausgeht, statt des im Französischen üblichen einfachen de : des grands repas (Nr. 361). des beaux presens (Nr. 443). des nouveaux arrangement (Nr. 462). h) Unrichtiger Gebrauch von
Präpositionen
Eine besondere Schwierigkeit für jeden Ausländer besteht im richtigen Gebrauch der Präpositionen, da diesen in den verschiedenen Sprachen ganz unterschiedliche Vorstellungen zugrunde liegen. Wieland schreibt gelegentlich en für dans, de für à oder für par. Da diese Fälle aber verhältnismäßig selten vorkommen und außerdem oft auch mehrere Präpositionen zulässig sind, kann darauf verzichtet werden, Beispiele anzuführen. i) tous ohne Artikel Nur in den Briefen an Sophie aus dem Jahre 1750 findet man tous (= fälschlicherweise ohne Artikel vor dem Substantiv : de tous mortels (Nr. 8). toutes raisons (Nr. 9). k) Syntaktische
alle)
Fehler
a) Falsche Rektion von Verben Im Französischen gibt es drei Möglichkeiten, einen Infinitiv an ein vorangehendes Verb anzuschließen: ohne Präposition, mit de und mit à. Wieland begeht öfter Verstöße gegen den französischen Sprachgebrauch in dieser Beziehung, verwendet vor allem die Präposition de bei Verben, die den reinen
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Infinitiv verlangen wie souhaiter, croire, prétendre, aimer mieux und andere, manchmal auch de für à, so bei accoutumer. ,,que je crois de devenir constant" (Nr. 7). „J'aimois mieux de ne vous ecrire . .." (Nr. 458). „Quoique je ne prétends pas de seduire des Hommes de Genie et de Gout, . . . " (Nr. 491). ß) Wortstellung Nur in den ersten Briefen fallen ernstere Verstöße gegen die Regeln der französischen Wortstellung auf, wenn wie in den folgenden Beispielen die Verneinungspartikel, die im Französischen der flektierten Form des Personalpronomens vorangeht, erst nach dieser steht. ,,J'ai un tas de remarques à faire sur vos deux dernieres lettres, et telles qui vous ne deplaiseront 9 tout à fait:" (Nr. 7). „Vous me faites grande injure quand vous dites que vous me ne plaisez pas." (Nr. 7). y) Verneinung Sehr oft fehlt das zweite Glied der Verneinung, das pas bei der einfachen Verneinung und das bei jamais, personne und ähnlichen Ausdrücken erforderliche ne. „une semaine entiere ne suffiroit pour Vous detailler tout . . ." (Nr. 443). ,,Jamais mari a ete plus aimé . . ." (Nr. 383). „faites moi la grâce de Vous persuader pour toujours, que personne sent avec plus de vivacité toute l'etendue de Vos mérités, . . ." (Nr. 411). â) Falsche und unfranzösische Ausdrücke Hier soll noch auf die Fälle eingegangen werden, in denen Wieland falsche oder schwerfällige Ausdrücke gebraucht. Es war schon anfangs darauf hingewiesen worden, daß die französischen Briefe aus dem Jahr 1750 häufig noch deutsche Konstruktionen ahnen lassen. Sehr schwerfällig wirkt in folgendem Satz la dernieredemoi statt ma dernière \ „Cette lettre sera, si cela vous agrée, laderniere de moi jusqu'à notre venüe, . . ." (Nr. 7). Ähnlich ungeschickt wirkt der Ausdruck quelques heures des lessons (Nr. 462) statt des kürzeren und besseren quelques leçons, der dasselbe aussagt. Eine Falle für einen Deutschen bildet zweifellos das Wort Orthographie, das im Französischen orthographe lautet, während französisch orthographie A u f r i ß bedeutet. Auch Wieland hat in seinen Briefen orthographie für orthographe gebraucht. 1 0 9 10
Zur falschen Form deplaiseront siehe Punkt 2 a. Vgl. die Briefe Nr. 299 und Nr. 482.
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Im allgemeinen hat Wieland es jedoch verstanden, die richtigen Ausdrücke für das, was er aussagen wollte, zu wählen.
3. O r t h o g r a p h i s c h e F e h l e r a) Orthographische Fehler im engeren
Sinne
Im Verhältnis zu den erläuterten grammatischen Fehlern sind die auf orthographischem Gebiet unbeträchtlich ; Wieland schreibt ein orthographisch beinahe fehlerfreies Französisch. Die Schwierigkeit, orthographische Fehler festzustellen, soweit es sich um die Schreibung von Doppelkonsonanten handelt, ist weiter oben angedeutet worden. So haben wir bei ihm honete für honnête, flaté für flatté, prennez für prenez, appercevoir für apercevoir, discrette für discrète, complette für complète. Ein Schwanken findet sich häufig zwischen a und e vor Nasal: avanture für modern aventure, d'Alambert für d'Alembert, souvant neben souvent und umgekehrt correspondence neben correspondance. Als fehlerhaft anzusehen sind folgende Wörter : interressans für intéressants (Nr. 1). clavefsin für clavecin (Nr. 285). mecredi für mercredi (Nr. 366). Charactere für caractère (Nr. 7). pretensions für prétentions (Nr. 429). b) Nicht durchgeführte
Apostrophierungen
Obwohl bereits Ende des 17. Jahrhunderts die Apostrophierung geregelt war, hat Wieland den Apostroph in einigen Fällen, in denen er erforderlich ist und bei seinen französischen Zeitgenossen steht, vor allem bei Konjunktionen, die auf -e ausgehen und auf die ein vokalisch anlautendes Pronomen folgt, nicht gesetzt: parceque eile (Nr. 9). quoique il en est (Nr. 285). presque entierement (Nr. 443). dabord (Nr. 443). c)
Akzentfehler
Der Gebrauch der Akzente und der Cédille war zwar wie der des Apostrophs bereits am Ende des 17. Jahrhunderts allgemein festgelegt, 11 weicht aber — wie bei einem Vergleich mit originalfranzösischen Texten des 18. Jahrhunderts deutlich wird — erheblich von der modernen Norm ab. Daher ist es, wie schon " Vgl. M. Cohen a. a. 0., S. 196.
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betont wurde, schwierig, wirkliche Akzentfehler Wielands herauszufinden. Gerade die im 18. Jahrhundert übliche Schreibung des Accent aigu für den Accent grave in vielen Fällen verwischt für den modernen Betrachter die Grenze vom Richtigen zum Fehlerhaften. Auch fehlen im 18. Jahrhundert gelegentlich noch Akzente, die heute unbedingt erforderlich sind. Wieland hat sehr häufig beim eiligen Schreiben vergessen, die Akzente zu setzen, auch wenn ihm ihr Gebrauch in diesen Wörtern an und für sich geläufig war. Seltener kommt es vor, daß er falsche Akzente gesetzt hat: à pu für a pu (Nr. 230). estime für estime (Nr. 285). pesant für pesant (Nr. 469). faites für faites (Nr. 478). refuser für refuser (Nr. 495). Durch das Weglassen des Akzents, vor allem beim Partizip Prät. der Verben auf -er, entstehen oft Formen mit anderer Bedeutung : brouilles für brouillés (Nr. 287). fêtes für fêtés (Nr. 369). continue für continuée (Nr. 383). Der Accent circonflexe als Unterscheidungsmerkmal zwischen gleichlautenden Formen mit verschiedener Bedeutung hat sich im 18. Jahrhundert anscheinend noch nicht allgemein durchgesetzt. Wieland hebt die Formen des attributiv gebrauchten Possessivpronomens notre, votre nicht durch die Setzung eines Accent circonflexe von denen des substantivisch gebrauchten le (la) nôtre, le (la) vôtre ab. Er schreibt also notre, votre für nôtre, vôtre, einmal aber auch fälschlich nôtre (Nr. 9) für das attributiv gebrauchte Possessivpronomen. Die Verben croire und croître unterscheidet das moderne Französisch in den gleichlautenden Formen des Passé simple und des Partizips Prät. durch einen Accent circonflexe auf den Formen von croître (= wachsen). Wieland schreibt häufig crût, crû, wenn er Formen von croire (= glauben) meint. Formen von croire mit Accent circonflexe findet man auch bei Montesquieu und anderen Zeitgenossen. Andererseits setzt Wieland keinen Akzent, um das Partizip Prät. dû von devenir vom Genetiv des Artikels du und tâche (= Aufgabe) von tache (— Fleck) abzugrenzen. Sehr fehlerhaft gebraucht Wieland die Cédille, die von den französischen Schriftstellern des 18. Jahrhunderts wie im modernen Französisch verwendet wird. Wieland vergißt sie oft dort, wo sie unbedingt erforderlich ist, und hat francois, reçu, concu. Dafür setzt er sie aber oft fälschlich vor den Vokalen e und i, vor denen sie nicht stehen darf: çela, içi, ceux-çi. Der Gebrauch der Cédille ist in Wielands französischen Briefen der Jahre 1750 bis 1760 willkürlich. Nachdem hier auf mehreren Seiten Verstöße gesammelt und angeführt worden sind, die Wieland in seinen französischen Briefen gegen die Regeln der Orthographie und Grammatik der fremden Sprache begangen hat, könnte der Eindruck entstehen, als entsprächen die zitierten Urteile des Dichters über seine mangelnde Beherrschung des Französischen der Wahrheit. Doch eine so ver-
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allgemeinernde Einschätzung würde den Tatsachen nicht gerecht. Es wurde in diesem Aufsatz an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen, daß zahlreiche Fehler nicht auf Unkenntnis, sondern auf Flüchtigkeit zurückzuführen sind. Wenn Wieland darüber hinaus in seinen Jugendbriefen auch häufig grammatische und syntaktische Fehler unterlaufen, so spürt man doch, daß er schon innerhalb des hier berücksichtigten Zeitraumes die französische Sprache besser beherrschen lernt und daß er sich allmählich Gewandtheit und Eleganz im Ausdruck erwirbt. Diese Entwicklungstendenz sollte dadurch herausgearbeitet werden, daß die Beispiele zu den einzelnen Punkten chronologisch angeordnet wurden. Ein endgültiges Urteil über Wielands Beherrschung des Französischen kann erst nach der sprachlichen Untersuchung der Briefe aus den sechziger und siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts gefällt werden.
Zum Problem der Orthographie in Wielands Cicero-Übersetzung Von Erich Krah (unter Mitarbeit
von Barbara
Kraft*)
Dem Herausgeber von Wielands Übersetzung der „Sämmtlichen Briefe Cicero's" bereitet die Orthographie große Schwierigkeiten; denn sie ist sowohl in der Züricher Erstausgabe dieses Werks wie auch schon in der uns erhaltenen Handschrift Wielands so verworren, daß mit Rücksicht auf den modernen Leser die Normalisierung der widerspruchsvollen Schreibungen mindestens erwägenswert scheint. Die Frage ist aber, nach welchen Richtlinien sie zu erfolgen hätte, ja ob sie nach Lage der Dinge überhaupt möglich ist, ohne daß der Überlieferung Gewalt angetan wird. Im folgenden soll versucht werden, dieses Problem darzulegen und die vom Herausgeber getroffene Entscheidung zu begründen. Es empfiehlt sich, zunächst auf die Entstehung des Werkes und auf die Beziehungen Wielands zum Verleger und zum Drucker kurz einzugehen. Wieland begann die Übersetzung nach den Schlachten von Jena und Auerstedt, um sich „aus der schrecklichen trostlosen Gegenwart" in eine Zeit zu retten, „die mit der unsrigen [sagt er] gerade so viel Aehnlichkeit hat, daß sie mir desto interessanter wird; wo aber der Kampf von collossalischen Menschen mit i h r e s g l e i c h e n einen ganz andern Anblick gewährt, als das Niederstürzen eines Colossus Rhodius auf Liliputer, Frösche und Fledermäuse" 1 . Er überließ Verlag und Druck seinem Schwiegersohn Heinrich Geßner in Zürich, dem er damit beim Aufbau seiner Buchhandlung helfen wollte. Aber nur die ersten drei Bände sind dort gedruckt worden. In der schweren Zeit, wo „alles unser Geld nach Frankreich gewandert ist" 2 , konnte sich die kleine Buchhandlung, die ohnedies auf die Zuschüsse von Joh. Caspar Zellweger, dem Schwager * Barbara Kraft war an den notwendigen Exzerptionen beteiligt. 1 Wieland an Friedrich David Gräter am 20. 12. 1807, abgedruckt im Bd V I der Übersetzung, S. III Fußnote. Vgl. auch Wielands Vorrede Bd I, S. X V I . 2 Wieland an Heinrich Geßner am 8. 4. 1808 (in der Zentralbibliothek Zürich). Ich nehme gern Anlaß, der Zentralbibliothek Zürich sowie dem SchillerNationalmuseum zu Marbach und der Landesbibliothek Dresden für die bereitwillige Übersendung aller gewünschten Fotokopien den verbindlichsten Dank auszusprechen. Zu Dank verpflichtet bin ich ebenso dem Goethe- und Schiller-Archiv zu Weimar, das mir das eingehende Studium des Manuskripts der Cicero-Übersetzung und der dort aufbewahrten Briefe von und an Wieland gestattete.
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Geßners, angewiesen war, nicht halten und mußte 1809 ihre Zahlungsunfähigkeit erklären. Wieland war über die vermeintliche Treulosigkeit seines Schwiegersohnes, den er zuvor so hoch geschätzt hatte, sehr erregt: er wollte alle Beziehungen zum Hause Geßner abbrechen und riet seiner Tochter Charlotte sogar, sich von ihrem Gatten zu trennen und mit ihrer kleinen Luise nach Weimar überzusiedeln 3 . „Mein Entschluß", schreibt er an Charlotte Geßner am 30. 6. 1809 4 , „die übrigen 3 Bände von Cicero's Briefen entweder einem andern soliden Verleger (wenn sich einer findet) zu übergeben, oder das Werk gänzl. liegen zu lassen, ist unerschütterlich." I m Goethe- und Schiller-Archiv zu Weimar liegt der Entwurf eines Vertrages, den er mit Bertuch abzuschließen gedachte, wonach der Verlag der Cicero-Übersetzung auf das Handels- und Industrie-Comptoir zu Weimar übergehen sollte. Allein als er dann genauere Nachrichten über die traurige Lage der Geßnerschen Familie und über die hochherzigen Bemühungen ihrer Verwandten und Freunde, auch des Herrn Zellweger, um die Rettung der Buchhandlung erhielt, wandelte sich sein Zorn in ein aufrichtiges Mitgefühl mit den Leiden des sehr zart fühlenden, mehr zum Schriftsteller als zum Kaufmann geborenen, dazu kranken Geßner. Es wurde nach längeren Verhandlungen ein Vertrag mit dem zur Verwaltung des Geßnerschen Vermögens eingesetzten Kuratorium geschlossen, und die neu gegründete Buchhandlung erhielt den Verlag der Cicero-Übersetzung; nur der Druck der folgenden Bände sollte, weil bisher die große Entfernung des Druckortes zu mancherlei Unzüträglichkeiten geführt hatte, bei Bertuch in Weimar erfolgen. Hierzu bemerkte Wieland 5 : ,,NB. Dies ist eine conditio sine qua non, von welcher ich schlechterdings nicht abgehen kann. Sie hat keines Wegs ein M i ß t r a u e n in die Sorgfalt u. accuratesse der künftigen Direction der Geßnerschen Handlung zum Grunde, sondern beruht bloß darauf, daß sie zu meiner Gemüthsruhe und größern Bequemlichkeit unumgänglich nothwendig ist." Auch den VI. Band hatte Wieland schon in Angriff genommen, aber nur das 13. und 14. Buch fertigstellen können. Die Erben baten zunächst Hofrat Schütz in Halle um Fortsetzung und Vollendung des Werks; als dieser zwar nicht absagte, aber die Arbeit immer wieder aufschob, wandte sich schließlich Charlotte Geßner, die nach ihres Gatten frühzeitigem Tod die Leitung der Handlung übernommen hatte, an Friedrich David Gräter aus Schwäbisch Hall, einen großen Verehrer Wielands und aufrichtigen Freund Heinrich Geßners. Er sagte gern zu, obwohl er mit Amtsgeschäften überlastet war. Vertragsgemäß sollte dieser Band wie die vorhergehenden in Weimar gedruckt werden. Aber es kam zu Meinungsverschiedenheiten wegen der Korrektur. 3 4 5
Wieland an Charlotte Geßner am 24. 7- 1809 (in der Zentralbibliothek Zürich). Brief ebenda. Brief an die Geßner-Kuratoren vom 18. 9. 1809 (ebenfalls in der Zentralbibliothek Zürich).
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Gräter an Charlotte Geßner am 17. 10. 1816 6 : „Das Industrie-Comtoir hat bedeutende Einwendungen gegen die Zusendung der Correctur gemacht. Allein einen Revisionsbogen, öder wenigstens einen Probebogen, muß ich doch jedesmals nach dem Abdruck erhalten." Charlotte Geßner an Gräter am 3. 11. 1816 7 : „Mit dem Industrie-Comtoir bringen Sie, sobald Sie das Manuscript oder die Hälfte senden, die Sache ins reine wegen der Revißion oder Probebogen — ich denke freylich es wird es ebenfalls ungern thun. Es sollte doch in Weimar Leute geben die diese Correcktur besorgen könnten." Es ist zu keiner Einigung gekommen; schließlich wandte sich Gräter an das Geßnersche Kuratorium mit der Bitte, den Druck des VI. Bandes zu übernehmen. I m Auftrag des verhinderten Direktor Hirzel antwortete C. H. Geßner, der Sohn des Heinrich und der Charlotte Geßner, am 12. 7. 18176: „Zu Ihrer nicht geringen Freude . . . sind wir nun entschlossen, den 6ten Bd der Ciceronischen Briefe in unserer Officin drucken zu lassen, da die Schrift, die man zu den ersten Bänden gebrauchte, sich noch in gutem Stande befindet" usw. Er bittet dann um Manuskript durch einen der nächsten Postwagen. Die Korrektur will er, nach dem Wunsche des Herrn Direktor Hirzel, selbst übernehmen und einen der guten Freunde seines seligen Vaters um Hilfe bitten. So ist der VI. Band wieder in Zürich gedruckt worden und 1818 erschienen; aber Charlotte Geßner war bereits am 29. Dezember 1816 gestorben. Ich komme nun zu unserm eigentlichen Thema. Sehr wichtig für die Frage der Orthographie ist eine Stelle aus'dem Brief Wielands an Heinrich Geßner vom 10. 7. 1807; sie hat folgenden Wortlauts; „Die Orthographie, die in diesem Werke beobachtet werden soll, ist die g e w ö h n l i c h e Adelungische und also von d e r in meinen Sämtl. Werken und im Att. Mus. sehr verschieden. Die Gründe die mich dazu bewogen hier zu exponieren, wäre zu weitläufig; genug, daß ich die Abschriften, die ich Ihnen zum Druck übersende, m e h r m a h l s durchlese und nicht nur in Rücksicht auf das, was ich an meiner eigenen Arbeit zu verbessern finde, sondern auch in Ansicht der R e c h t s c h r e i b u n g , so oft mir ein von dem Abschreiber begangener Schreibfehler aufstößt, sorgfältig durchcorrigiere. Der Setzer kann sich also ganz zuversichtlich an das Mscpt halten. Sollte mir jedoch (was leicht 6 7 8
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Brief im Goethe- und Schiller-Archiv, Weimar. Brief im Schiller-Nationalmuseum, Marbach. Ich zitiere diese Stelle nach einer für Gräter bestimmten Abschrift der Charlotte Geßner; sie befindet sich im Schiller-Nationalmuseum zu Marbach (Nr. 5240) und gehört zu. dem Brief der Charlotte Geßner an Gräter vom 20. 1. 1816 (ebenda Nr. 5229). Wielands Brief selbst war verschwunden, ist aber jetzt im Handel (vgl. Autographen-Katalog J. A. Stargardt 558 [1962], Nr. 557) wieder aufgetaucht. Seiffert, Neuere Literatur
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möglich ist) hier und da ein Fehler des Abschreibers entgangen seyn, so wird, wie überhaupt nöthig seyn, daß Sie zu dem ganzen Werke einen geschickten, nicht nur der Deutschen, sondern auch der Lateinischen und Griechischen Sprache kundigen C o r r e c t o r anstellen . . . Weder Sie, mein L. Geßner, noch selbst irgend ein Gelehrter, der es nicht selbst versucht hat, Ciceros Briefe, zumahl an Atticus, zu übersetzen, kann sich eine Vorstellung von der unsäglichen Schwierigkeit dieser Arbeit machen, und wie viel Zeit, Mühe, und öfteres Behammern und Befeilen des bereits ausgearbeiteten es kostet, wenn diese Übersetzung Cicero's und meines eigenen Nahmens nicht unwürdig seyn soll. Die vielen Lituren und Verbesserungen, die Sie im abgeschriebenen Mscpt der Briefe, zum Schrecken des Setzers, finden werden, werden Ihnen die Wahrheit des Gesagten nur gar zu einleuchtend machen." Wir entnehmen dieser Stelle dreierlei: 1. Wieland stellt sich in Abkehr von seiner früheren Gewohnheit auf die gewöhnliche Adelungische Orthographie um. 2. Wieland verspricht, dem Drucker ein Manuskript zu liefern, das frei von allen orthographischen Fehlern ist. 3. Sollten ihm aber beim mehrmaligen Durchlesen der Abschrift orthographische Fehler entgangen sein, so gibt er dem Korrektor der Druckerei Vollmacht, sie zu verbessern. Nach solchen Vorsätzen sollte man in dem ganzen Werk eine einwandfreie Adelungische Orthographie erwarten, die höchstens dort, wo Adelung selbst sich nicht im klaren ist, Anlaß zu Erörterungen gäbe. Statt dessen finden wir in den Bänden I—III eine auf den ersten Augenbück ganz verwirrende Vielheit der Schreibungen und auch im IV. und V. Band beträchtliche Abweichungen von Adelung. Die folgende Übersicht mag dies veranschaulichen; sie strebt keine Vollständigkeit an, beruht auch nicht auf vollständiger lexikographischer Erfassung sämtlicher Stellen, immerhin aber auf einer sehr weitgehenden Untersuchung der fünf von Wieland selbst herausgegebenen Bände. Betrachten wir zunächst die H a n d s c h r i f t . Die Orthographie der Bücher 1—8 ( = Bd I—III der Züricher Ausgabe) ist durch eine erstaunliche Regellosigkeit gekennzeichnet; in den Büchern 9—14 ( = Bd IV bis Bd VI Anfang) ist das Streben nach Einheitlichkeit der Schreibungen trotz mancher Verstöße, die auch hier nicht fehlen, unverkennbar; die Anfänge dieses Bemühens kann man schon im 7. und 8. Buch beobachten. Am meisten fällt der Diphthong ey und sein Übergang in ei auf. Ursprünglich schreibt Wieland seyn (Infinitiv) und sey, seyest usw.; bey, Beyspiel usw.; frey, befreyen usw.; zwey, drey; schreyen, Geschrey; Partey, Schwärmerey, mancherley usw.; doch steht schon in den ersten Büchern beide neben beyde; meinen, Meinung neben meynen, Meynung; freilich neben freylich. I m letzten Brief und in den Erläuterungen des 6. Buchs tritt öfter ei an die Stelle von ey; im 7. und 8. Buch wird ei immer häufiger; am längsten hält sich ey im Infinitiv seyn (zum Unterschied vom Possessivpronomen). Vom 9. Buch ab finden wir nur noch ei.
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Ähnlich verhält es sich mit mahl in einmahl, zumahl, damahls, ehmahls (zweisilbig!), dermahlig usw. Das Dehnungs-h ist hier zwar nie mit der gleichen Konsequenz durchgeführt worden wie das ey, überwiegt aber bis zum 6. Buch bei weitem; vom 7. Buch ab wird es seltener und verschwindet vom 9. Buch an völlig. Das Dehnungs-h steht ferner in Nähme (im IV. Band aber öfter Name), nehmlich (das man von „nehmen" ableitete), in Willkühr, in mahlen, Mahler, Gemähide; es fehlt aber (im Gegensatz zum Druck) in verloren. -ie schreibt Wieland bis zuletzt in den Präterita fieng, gieng, hieng, ebenso in erwiedern und wiederfahren, aber bloßes i in wider = gegen, widrig, widerstehen usw. Die Endung -ieren steht neben -iren, doch überwiegt bei weitem das erstere. Unsicher ist in den ersten Bänden die Verdoppelung oder die einfache Schreibung der Konsonanten. Ich notiere: häuffen (Bd I, S. 350, 4 9 ), begreiffen (I. 167, 3), aber öfnen (Verb) und ofnen (Adjektiv), seltener Hofnung, verschaft; betritt findet sich in den ersten Bänden, in den späteren dagegen steht regelmäßig betrifft; ferner führe ich an: Danck (1.449,10 v.u.), erschrack (II. 168, 8 v. u.), aber abgeschmakt (II. 281, 7), Schiksal (Entwurf zur Vorrede, Hdschr. S. 5, 3). Im Konzept zum 4. Buch steht: nachdrüklich (11.167,4 v.u.), zugeschikt (11.169,2), ungeschikt (11.220,6. 7); in der Haupthandschrift ist an allen diesen Stellen ck geschrieben. — Erwähnt sei endlich das häufige bestättigen und Bestättigung in allen Büchern. Am wenigsten hat Wieland in der Schreibung des S-Lautes umgelernt; wir finden bis zuletzt: auifer, äuifern, ebenso reiifen und heiifen (Verb und Adjektiv) ; dagegen ebenfalls bis zuletzt: Veranlaßung, zuläßig, zuverläßig, vernachläßigen; ferner dafielbe, defielben, dieffeits, sogar Auflage (I. 392, 8). Überall findet sich deßhalb, deßwegen, aber dieß und überdieß ist sehr selten (z. B. I. 252, 3 v. u., 359, 17). Die Schreibungen izt und lezt sind für Wieland besonders charakteristisch, wenn auch itzt und letzt nicht fehlen; in Verbalformen dagegen fehlt das erste t nur selten; wir lesen also: setzte, gesetzt, schätzte, nützte usw. Bei ßeitz und Geitz bleibt das t in allen Büchern schwankend; ziemlich regelmäßig steht Brodt und Schwerdt, Tod und tödten; aber II. 282, 9 ist in Schwerdtern das d gestrichen. Neben fordern findet sich das (nach Adelung in den weichern nördlichen Mundarten übliche) fodern in den ersten Bänden häufiger; in den späteren verschwindet es. Von den Fremdwörtern sei zunächst das häufige Partey (später Partei) erwähnt, neben dem die damals übliche, aber von Adelung getadelte Schreibung Parthey nur in den ersten Bänden vorkommt, aber auch hier seltener ist. In den a
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Die Stellen sind nach der Züricher Ausgabe (Bd I bis V 1808 bis 1812) zitiert. Wenn die Zeilen des Textes von unten gezählt werden, bleiben die Fußnoten außer Betracht.
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lateinischen Fremdwörtern bewahrt Wieland c für k, z. B. in Consul, Client, Decret, sogar in so eingedeutschten wie Capital, Classe, Punct; nur in letzterem steht bisweilen auch k, wie andererseits gelegentlich in griechischen Fremdwörtern das c: Character, Anecdote. Wo das griechische k in unserer Aussprache zu z geworden ist, steht bald c, bald z: Ocean, Atticismus und Attizismus. Überhaupt ist der Wechsel von c und z sehr willkürlich, z. B. Auspicien und Auspizien, Patricier und Patrizier, Policey und Polizey, ebenso der von ti und zi, z. B. Sestertien und Sesterzien; dagegen Comitien wohl überall; I. 259, 6 v. u. wird Negoziazionen in Negotiationen korrigiert. Interessant sind Wielands Versuche, Fremdwörter auf deutsche Art zu schreiben, z. B. Creditt (V. 71, 3 v. u.), wozu Wieland in der Fußnote erklärt: „So, dünkt mich, sollte dieses Wort geschrieben werden, um als eines der allgemein bekannten und längst im Umlauf befindlichen Wörter, für e i n g e b ü r g e r t gelten zu können." Ebenso sind zu beurteilen Pakett (I. 396, 4 v. u.), Capittel (I. 459, 10 v. u.), Tittel (II. 224, 7), Billjet (V. 313 Fußnote, 2 u. 1 v. u.). Große, unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet der Normalisierung die Schreibung des großen und kleinen Anfangsbuchstabens, nicht nur, weil es oft unmöglich ist, in Wielands sonst so deutlicher Handschrift groß und klein klar zu unterscheiden, sondern auch wegen der vielen Widersprüche, die sich besonders in den ersten Bänden, aber auch später noch finden. Seuffert (Proleg. I—II, S. 11) schreibt dazu unter Berufung auf eine Bemerkung Wielands im Merkur 1793, 3, 110: „Das Setzen von großen Anfangsbuchstaben war für Wieland nicht in erster Linie eine logische Unterscheidung, er betrachtete sie vielmehr, besonders in der Antiqua, als eine wünschenswerte Unterbrechung der Einförmigkeit." Mag Wieland diesen Standpunkt inzwischen auch weithin überwunden haben, mancher sonst schwer verständliche Gebrauch des großen Anfangsbuchstabens in unserer Handschrift weist noch auf ihn zurück, z. B. wenn dieser und jener, jemand^ und niemand, alle, alles ohne ersichtlichen Grund bald groß, bald klein geschrieben werden, dieser und jener verschieden sogar in der Korrespondenz. Immerhin sind trotz aller Abweichungen gewisse Richtlinien erkennbar. Die Verben als Substantiva anzuerkennen, scheut sich Wieland offenbar, er schreibt sie wenigstens nach Präpositionen klein: zum schreiben (I. 123, 1), vom schwimmen (II. 325,13), mit philosophieren (I. 390, 1 v.u.), zum Unheil stiften und intrigieren (1.173,3.4). Dagegen werden die durch Artikel und grammatischen Gebrauch substantivierten Adjektiva im allgemeinen groß geschrieben: die Gutgesinnten, die Meinigen, der Letztere, das Nähere (z. B. I. 133, 3), ein Mehreres (z. B. I. 174, 17). Doch schwankt der Anfangsbuchstabe, wenn das Adjektiv im Superlativ oder nach „etwas, nichts, viel, wenig, alles" steht; hier wird der kleine Anfangsbuchstabe sogar bevorzugt: unter den Lüderlichen der lüderlichste (I. 55, 4. 5), was das schlimmste ist (1.111, 8), für das zuträglichste halten (II. 356, 2. 3), sein möglichstes thun (I. 167, 8; 254, 7, doch öfter auch groß, wie auch I. 155, 10 v. u.: sein Äußerstes thun), aufs äuiferste treiben (I. 102, 15. 14 v. u.) — etwas ähnliches (II. 198, 8), etwas sonderbar verhaßtes und schändliches (I. 297, 1. 2), nichts erwünschteres
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(II. 194, 6), etwas ausgemachtes (I. 250, 5; II. 326, 9, doch oft auch groß, z. B. I. 238, 17). Adjektiva, die von Eigennamen abgeleitet sind, zeigen den großen Anfangsbuchstaben: Cäsarsche Partey; Griechisch, Römisch (nicht ohne Ausnahmen) ; öfter auch Adjektiva, die von gewöhnlichen Substantiven abgeleitet sind: Consularisch, Prätorisch, Senatorisch; Rhetorisch (I. 289, 12), Sophistisch (I. 403, 10. 11); auch Persönlich (I. 266, 11 v. u.), Mütterlich (I. 253,19), Häuslich (1.352,2). Zusammengesetzte Adjektiva, deren erstes Glied ein Substantiv ist, werden bisweilen auch groß geschrieben: Beyspiellos (I. 99, 15 und öfter), Mühevoll (I. 339, 8), Ordnungsmäßig (I. 314, 15), Weltbeherrschend (I. 251, 7), Hoff artig (I. 346, 8 v. u.); dazu die Adverbien: Scherzweise (I. 250, 4 v. u. und öfter), Spottweise (I. 272, 16), Schaarenweise (II. 181, 6). Endlich ist noch zu erwähnen, daß besonders betonte Wörter durch einen großen Anfangsbuchstaben ausgezeichnet werden, zunächst das Zahlwort Ein - schon zum Unterschied von dem unbestimmten Artikel - , ferner die Pronomina Ich und Er, aber auch andere Wortarten: die Vielwissendsten Gelehrten (I. 475, 8), die Angesehensten Senatoren (I. 475, 10 v. u.). Widerspruchsvoll ist endlich die Zusammensetzung und Trennung der Wörter; doch ist das nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß es bis heute nicht ganz gelang und wohl überhaupt unmöglich ist, hierüber (wie über den großen und kleinen Anfangsbuchstaben) völlig eindeutige Regeln aufzustellen. Von Haus aus neigt Wieland zur Trennung der Wörter: irgend ein, eben derselbe; so eben, so bald, so wohl, so viel; mit einander, viel vermögend; doch schreibt er alle diese Wörter bisweilen auch zusammen. Getrennt finden wir auch: in so fern (I. 261, 3 v. u., wo allerdings so gesperrt ist)., heut zu Tag(e) (II. 224 Fußn. 2), so zu sagen (I. 108, 16), mit unter (II. 320, 9 v. u.) und ähnliche Wendungen, ferner immer die Zahlen: um dreihundert und drey und Neunzig Tausend Sesterzien (I. 124, 5. 4 v. u.; Zahl im Druck geändert). Verschieden wird das Wort Mahl behandelt; wir lesen: tausend Mahl (I. 178,13), ein ander Mahl (1.165, 4. 3 v. u., 2. Lesart; — 1. Lesart und Druck: ein andermahl!), ein für alle Mahl (I. 237, 2 v. u.), aber andererseits: diesmahl (I. 267, 10 v. u.) und jedesmahl (I. 268, 9 v. u.). Die Verbindung der Verben mit dem zugehörigen Umstandswort ist noch sehr lose: entgegen zu stehen (I. 65, 9 v. u.), entgegen zu setzen (I. 101 Fußn., 2. 1 v. u.; Druck geändert), aber: hat . . . entgegengesetzt (1.138, 14), entgegengeschickt wurden (1.93, 3. 2 v. u.); ferner: wieder herzustellen (z. B. I. 131, 5 v. u.; I. 268, 5) und wiederherzustellen (z. B. I. 103, 7 v. u.; II. 342, 7. 6 v. u.), wieder hergestellt worden (I. 170, 13. 12 v. u.), wiederhergestellt (II. 215, 1 v.u.; 259, 18). Die Substantiva behalten ihre volle Geltung in den stehenden Verbindungen mit Verben wie: Preis geben, Statt (doch auch statt) finden, von Statten gehen, sich zu Nutz(e) machen, zum Grunde legen (I. 236, 19; 237, 1 v. u.), zu Grunde richten, gehen; Theil nehmen, haben, zu Theil werden; ebenso häufig auch in adverbialen Wendungen wie glücklicher Weise usw., folgender Maßen (I. 38 Fußn., 7 v.u.; 11.217,7.6 v.u., Konzept u. Haupths.), aber abgeredeter maßen (I. 268, 7 v. u.), gewiffer maßen (I. 78, 6), gewiifermaßen (I. 32, 10. 9 v. u.),
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dermaßen (I. 43 Fußn., 6 v. u.); größten Theils (II. 188, 14 v. u., Haupths.) neben größtentheils (ebenda, Konzept); hier sei noch seines gleichen (z. B. I. 173, 5. 6) eingereiht, das aber meistens in einem Wort geschrieben wird (z. B. II. 384, 3 v. u., auch mit großem Anfangsbuchstaben: nicht für Seinesgleichen erkennen I. 263, 12 v. u.). Zum Schluß seien noch einige besonders auffallende Zusammensetzungen notiert: dergestalt (I. 146, 10. 9 v. u.), solchergestalt (I. 39, 14. 13 v. u.), baldmöglichst (I. 393, 11), fürs nächstkünftige Jahr (I. 138, 10 v. u.) und (aber nur ausnahmsweise) ohnezweifel (I. 94, 4 v. u.). Zusammenfassend können wir sagen, daß Wieland seine Scheu, Wörter zusammenzusetzen, mit der Zeit immer mehr überwunden hat. Wenden wir uns nun dem D r u c k zu. Der Unterschied zwischen den aus der Geßnerschen Offizin hervorgegangenen Bänden I—III und den beiden folgenden, die unter Wielands Augen in Weimar gedruckt wurden, fällt im Druck noch mehr auf als in der Handschrift: dort ziemliche Verworrenheit, hier (wenn auch nicht an unsern Maßstäben gemessen) weitgehende Einheitlichkeit der Rechtschreibung. Wir betrachten zunächst die Bände I und I I und die erste Hälfte des I I I . Bandes. Hier unterscheidet sich der Druck beträchtlich von der Handschrift, wobei trotz aller Unzulänglichkeit das Bemühen um eine einheitliche Schreibung der Wörter unverkennbar ist. Am besten ist dies gelungen, wenn auch zu einem großen Teil gegen den Befund der Handschrift, bei itzt, jetzt, letzte, setzte, gesetzt, schätzte, nutzte usw. Auch ei für ey kommt im Druck seltener als in der Handschrift vor, auch in beyde, Meynung, meynen, freylich. Abweichend von der Handschrift hat der Druck ferner fast durchgehends ging, fing, hing, diffeits, sehr oft auch -iren neben -ieren. Das Dehnungs-h ist seltener in mahl (ehemahlig viersilbig), fehlt meist in mahlen, Gemähide, wiederhohlen, steht dagegen in verlohren. Auch die S-Laute werden zum Teil anders geschrieben: ff ist in aufler, reiffen, heiffen etwas seltener als in der Handschrift; es fällt auf: Anmaffung (gegen Anmaßung in der Hs.) und Veranlagung (gegen Veranlaßung in der Hs.), während -läßig auch im Druck bleibt. Abweichend hat der Druck ferner deswegen, deshalb, bestätigen, meist verschaft und vor allem fast immer Parthey. Sehr eigenwillig fanden wir in der Handschrift die Schreibung des Anfangsbuchstabens. Vieles läßt der Druck unverändert stehen; wo er aber korrigiert, richtet er sich nach den Vorschriften Adelungs. Substantivierte Verben und Adjektiva (diese auch nach „etwas" usw.) schreibt er meist groß, zusammengesetzte Adjektiva, deren erstes Glied ein Substantiv ist, klein (anspruchlos). Unverändert bleiben Griechisch, Römisch, Consularisch usw., auch die gelegentlichen Abweichungen von dieser Gewohnheit; die anderen von Substantiven abgeleiteten Adjektiva werden bis auf wenige Ausnahmen klein geschrieben (mütterlich, häuslich). Die betonten Pronomina behalten den großen Anfangsbuchstaben (Ich, Er), nicht die betonten Adjektiva (die angesehensten Senatoren I. 475, 10 v. u.). Hinsichtlich der Zusammensetzung oder Trennung der Wörter können grundsätzliche Änderungen im Druck nicht, festgestellt werden, doch macht die Zusammensetzung Fortschritte.
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Eine Sonderstellung nimmt die zweite Hälfte, besonders das 8. Buch, des III. Bandes ein. Hier ist das ey schon ganz geschwunden und durch ei ersetzt; mal hat nur selten noch das Dehnungs-h, und in der Lautgruppe tzt fehlt das erste t überall in lezte, izt, jezt (wie in der Hs.), meistens auch in den Verbalformen sezte, gesezt usw. (gegen die Hs.). Abgesehen von dieser Schreibung (zt für tzt) weist die zweite Hälfte des III. Bandes bereits auf die folgenden Bände hin. Das 7. Buch zeigt einen allmählichen Übergang vom 6. zum 8. Buch. Die Bücher 9—14 in Band IV, V und VI entsprechen zwar auch noch nicht ganz den Forderungen einer einheitlichen Orthographie, aber im Verhältnis zu den ersten Büchern sind die Verstöße und Unregelmäßigkeiten viel seltener. Man kann sagen: Der Druck folgt der Handschrift vor allem in der völligen Abschaffung des ey, in der Schreibung gieng, fieng, hieng, in der Ausstoßung des Dehnungs-h in mal, malen, wiederholen usw.; er korrigiert aber die Handschrift in der Schreibung der Lautgruppe tzt (itzt, meist jetzt, letzt, setzt und gesetzt), der S-Laute (außer, heißen, reißen, dreißig usw.) und des großen und kleinen Anfangsbuchstabens, obwohl hier die Verstöße noch am häufigsten sind. Die alte Schreibung -iren hat die in früheren Bänden schon häufigere neuere -ieren wieder verdrängt, abgesehen von so völlig eingedeutschten Wörtern wie regieren und spazieren. Regelmäßig findet sich im V. Band bestättigen und betrifft, während Geitz und Geiz, Reitz und Reiz immer noch schwanken. Seinesgleichen ist im V. Band meistens groß geschrieben (V. 211, 6; 293, 1); daneben steht seines Gleichen (IV. 376 Fußn. 6. 5 v. u.; V. 194, 13; 542, 13), eine Schreibung, die dem Ursprung dieser Redewendung besser entspricht als seines gleichen. Diese Aufzählung mag genügen; sie dürfte Händschrift' und Druck und ihr gegenseitiges Verhältnis hinreichend charakterisieren. Nun existieren von den Bänden I—III zwei Drucke des Züricher Verlags (D l und D2). D 2 gibt dieselben Erscheinungsjahre wie D 1 an, hat das gleiche Format, die gleiche Schrift des Textes, der Anmerkungen und der Überschriften, die gleichen Titelblätter, ist Seiten- und zeilentreü. Eine genaue Untersuchung der Druckfehler, der verschobenen Buchstaben, der Nummern der Druckbogen ergibt aber, daß die zweite Ausgabe von neuem gesetzt worden ist; und daß sie auch wirklich die spätere ist, wird durch ein uns sehr willkommenes Versehen bewiesen. Im II. Band ist nämlich in der ersten Ausgabe „durch einen Zufall" (wie Wieland sagt) die Anmerkung zu dem Seite 300 unten erwähnten Spurius Mäcius Tarpa weggeblieben und auf der letzten Seite des Bandes als „Zusatz" nachgetragen: diese Anmerkung ist in der zweiten Ausgabe auf Seite 475 als Erläuterung 10a eingefügt worden. Bestätigt wird die Abhängigkeit der zweiten von der ersten Ausgabe auch durch die Orthographie. Die zweite Ausgabe normalisiert in Band I und I I viel energischer als die erste, indem sie, von wenigen Versehen des Setzers abgesehen, ey durch ei und fordern durch fodern ersetzt und zt für tzt ziemlich regelmäßig in izt, jezt, lezte, häufig auch in sezte, gesezt usw. schreibt. Anders der III. Band. Hier folgt die zweite Ausgabe sklavisch der ersten, wiederholt alle gerade in diesem
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Band so zahlreichen und auffälligen Unregelmäßigkeiten, auch alle Druckfehler, sogar die, die im Druckfehlerverzeichnis angemerkt sind, fügt auch noch neue hinzu. Erst am Ende des Bandes, etwa von Seite 400 an, macht sich der Setzer frei von seiner Vorlage; wenn er fast durchgehends wieder itzt, jetzt, letzte, setzte, stutzte usw. schreibt, so befolgt er die Regeln, die im IV. und V. Band zur Geltung gekommen sind; ihm eigentümlich sind die Schreibungen seyn und sey, während in den anderen Wörtern das ey abgeschafft ist, ferner dieß, dießmal, überdieß. E s fragt sich nun, wann der zweite Druck entstanden ist. An eine zweite Auflage denkt Heinrich Geßner schon in seinem Brief an Wieland vom 1. April 18077. Es heißt dort (Seite 1): „Ich glaube und bins überzeugt, Ihre Übersetzung wird ein Werk von bleibendem Werthe, das mehr denn eine erste Auflage von 1500 oder 2000 Exemplaren erleben wird. I n diesem Falle werde ich in Hinsicht des Honorars Ihr oder der Ihrigen Schuldner. Wenn Sie es also nicht zu wenig finden, so setze ich dem Contracte die Hälfte des ersten Honorars pr. Bogen f ü r eine 2te Auflage bei." Daß Wieland auch in dem Vertrag, den er im Februar 1810 mit den Kuratoren der Geßnerschen Familie schloß 10 , sich oder seinen Erben einen Anteil an dem Gewinn einer zweiten Auflage sicherte, beweist eine Bemerkimg der Charlotte Geßner in einer Nachschrift zu ihrem Brief an Gräter vom 29. Oktober 1815". Es heißt dort (Seite 4): „Seit ich meinen Geliebten Vater verlohren habe, der so zärtlich f ü r alle Glieder seiner Familie besorgt war — ist es mir oft, er habe mir diese Sorge 10
In seinem Brief „An die Herren Curatoren der H. Geßnerschen Familie" vom 18. 9. 1809 (s. Anm. 5) teilt Wieland diesen seine Forderungen mit. Es heißt darin u. a.: „2) Sollte (wie zu vermuthen) eine Z w e i t e A u f l a g e künftig nöthig werden, so wird von der Verlagshandlung, falls die Auflage fünfzehn Hundert Exemplare stark gemacht würde, als H o n o r a r die runde Summe von 1800 fl sage Achtzehn Hundert Gulden Convent. Geld in d r e i T e r m i n e n , nehmlich ä dato der Publication des Ersten Bandes j ä h r l i c h 600 fl — wofern die Auflage aber nur 1000 Exempl. stark gemacht würde, Zwölfhundert Gulden auf eben dieselbe Weise jährlich mit 400 fl an Mich oder meine Erben ausgezahlt."
Den endgültigen und von den Kuratoren „mit sehr guter Art" angenommenen Vorschlag enthielt der undatierte Brief Wielands an die Kuratoren (Prol. Nr. 5300), der vermutlich mit dem in dem Briefe vom 26. 2. 1810 erwähnten „lezten [Schreiben] vom 8ten Januar d. J." identisch ist (beide Briefe in der Zentralbibliothek Zürich). Leider bricht dieser Brief mit den Worten: „Ich überlasse nehmlich der Heinrich Geßnerschen Buchhandlung" ab, und die Bedingungen, auf die es uns hier ankommt, fehlen. 11 Im Schiller-Nationalmuseum, Marbach, Nr. 5216. Die Fotokopien, die mir vorliegen, ordnen diese Nachschrift versehentlich dem Brief der Charlotte Geßner vom 1. 12. 1816 (Schiller-Nationalmuseum, Nr. 5239) zu.
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übertragen — erhalte ich das [österreichische] Privilegium auch für den Cicero, so können wir auch balde einer zweiten Auflage entgegen sehen, die auch zum Vortheil meiner Geschwister ist." Auch sonst wird die Hoffnung auf eine zweite Auflage der Cicero-Übersetzung öfter angedeutet; erfüllt hat sie sich aber zu Lebzeiten Wielands nicht. Das geht nicht nur aus der eben angeführten Bemerkung der Charlotte Geßner, sondern überhaupt aus dem gesamten Briefwechsel Wielands mit der Familie Geßner hervor, in dem soviel von geschäftlichen Dingen, auch von Anweisung oder Empfang des Honorars für die einzelnen Bände, aber nie von einer zweiten Auflage und dem Honorar dafür die Rede ist. Noch eine ganz andere Erwägung führt zu dem gleichen Ergebnis. Wieland hatte an dem Druck der ersten drei Bände viel auszusetzen; es ist schwer denkbar, daß er einen Nachdruck zugelassen hätte, der zwar ei für ey und zt für tzt normalisiert, aber die anderen Unebenheiten nicht ausgleicht. Ganz anders war die Lage etwa um das Jahr 1818 und später. Wieland war tot; auch Heinrich Geßner und Charlotte Geßner waren tot. Wer sollte die zweite Auflage besorgen? Gräter war durch seine zahlreichen Amtsgeschäfte sehr überlastet und froh, daß er nach Jahren den VI. und VII. Band vollenden konnte. So mußte sich der Verlag mit einem bloßen Abdruck begnügen und suchte ihn, so gut man eben konnte, zu modernisieren. Für unsere Ausgabe scheidet er aus. Kehren wir zu unserer Übersicht über die Rechtschreibung der Handschrift und des Druckes zurück. Sie zeigt, daß der Vorsatz, die Adelungische Orthographie im ganzen Werk zu beobachten, nicht verwirklicht worden ist. Neben Überbleibseln der alten Schreibung (Getraide I. 30, 6 v. u., wiederfahren, verlohren, Danck, Schiksal, öfnen, anmaiiend, läßig, Parthey, Mütterlich, Charakterlos) und mundartlichen, zum Teil von Adelung ausdrücklich verworfenen Formen (fieng, gieng, hieng, difieits, fodern) stehen Schreibungen, die über Adelung hinausweisen (ei für ey, mal, wiederholen), und sehr kühne Neuerungen bei der Eindeutschung von Fremdwörtern (Creditt, Billjet). Bei einem solchen Durcheinander könnten wir versucht sein, Wieland den Glauben zu versagen, wenn er versichert, er „brauche zum Überarbeiten, Ausfeilen und Verbessern seiner eignen Fehler und der häufigen Verstöße des Abschreibers weit mehr Zeit als zum Übersetzen selbst" 12 — oder wenigstens in der Auslegung dieser und ähnlicher Beteuerungen stillschweigend die Orthographie auszunehmen. Damit würden wir allerdings Wieland und seinen Vorstellungen von einem ,,Ciceros und seines eigenen Namens würdigen" Kunstwerk nicht gerecht. Wir dürfen vielmehr überzeugt sein: er hat um die Orthographie genau so ernst gerungen wie um das richtige Verständnis des lateinischen Textes und die stilistische Reinheit des deutschen Ausdrucks. Im IV. und 12
Brief an Heinrich Geßner vom 7. 3. 1808, im Goethe- und Schiller-Archiv, Weimar.
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V. B and hatte dieses Ringen sichtbaren Erfolg; daß dieser erst so spät eintrat, läßt sich aus verschiedenen Ursachen herleiten: 1. Wieland hatte die Schwierigkeit seiner „für einen 73er in der That fast gar zu kühnen Unternehmung"13 unterschätzt. In einem Brief an Heinrich Geßner vom 12. 1. 180713 schreibt er: „Wenn ich Leben und Kräfte behalte, wie es in der That das Ansehen hat, so hoffe ich zu Anfang des Jahrs 1809 mit diesem Werke, so groß es auch ist, ziemlich nahe zum Ende gekommen zu seyn." Als er aber am 20. 1. 1813 starb, waren erst drei Viertel des gesamten Werks vollendet. „Ich bin diesen Winter über ziemlich fleiffig gewesen", heißt es im Brief vom 6. 3. 180714, „habe es aber doch nicht weiter als bis zu d r e y Büchern der B r i e f e (meistens an Atticum) bringen können, weil mir die vorläufigen historischen Aufsätze auiferordentlich viel Mühe machen und daher auch viel Zeit wegnehmen", und am 19. 2. 180815, also vor Vollendung des II. Bandes, gesteht er: „. . . ein Theil der Briefe an Quintus und Atticus, woran ich zeither arbeite, hat außerordentliche Schwierigkeiten und frißt mir ungeheuer viel Zeit weg." Wie sehr er um das richtige Verständnis des Ciceronischen Textes ringen mußte, zeigen besonders die Briefe an Böttiger in allen Einzelheiten. Dazu kam nun die Umstellung auf die Adelungische Orthographie. Wieland besaß neben der ersten Auflage von Adelungs Wörterbuch auch dessen „Grundsätze der deutschen Orthographie" vom Jahr 1782. Er hat gewiß in beiden Werken nachgeschlagen; dies erforderte, zumal da sich Adelung bisweilen selbst widerspricht oder die Entscheidung dem Leser überläßt, immer neues Nachdenken und führte zu Korrekturen auch an Wörtern, die bisher im selben Band noch auf die alte Art geschrieben wurden. Diese Widersprüche auszugleichen, erlaubte die Zeit nicht, ja es war unmöglich oder mindestens sehr schwierig, wenn die früheren Abschnitte bereits vom Drucker gesetzt waren. (Darüber s. unten.) 2. Als Wieland den III. Band bearbeitete, lernte er das Wörterbuch von Campe'kennen16. Er schreibt darüber an Böttiger im Herbst 180817: „Durch Ihre wiederholte Empfehlung des vortrefflichen [Campe-]schen Wörterbuchs im Merkur, haben Sie mir große Fr[eude] gemacht. Ich würde Sie darum gebeten haben, wenn Sie [mir] nicht zuvorgekommen wären. Mein alter Freund C. ma[cht sich] durch dieses für Deutsche so wohl als für Ausländer, die uns[re] Sprache lernen wollen, unentbehrliche Werk, ein unver13
Brief an Heinrich Geßner vom 12. 1. 1807, Zentralbibliothek Zürich. Brief an Heinrich Geßner, ebenda. 15 Brief an Heinrich Geßner, ebenda. « D e r I. und II. Band erschien 1807, der II. 1808, der III. 1809, der IV. 1810 und der V. 1811. 17 Brief in der Landesbibliothek Dresden. Er ist nicht datiert, muß aber im Herbst 1808 (etwa Anfang November) geschrieben sein, da Wieland noch ganz unter dem Eindruck steht, den sein Gespräch mit Napoleon im Schloß zu Weimar auf ihn gemacht hat. 14
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gängliches Verdienst. Wollte Gott wir hätten dieses Wörterbuch schon vor 30 Jahren gehabt!" 1 8 Wieland spricht zwar hier nicht von der Orthographie; daß aber das Campesche Wörterbuch gar keinen Einfluß darauf gehabt, daß es zu der gerade im III. Band sich ankündigenden Rechtschreibung des IV. und V. Bandes gar nichts beigetragen hätte, ist kaum denkbar. Nicht als ob nun Campe als Autorität an die Stelle von Adelung getreten wäre 19 . Gegen Campe zeigt der Druck des IV. und V. Bandes vor allem die oberdeutschen Formen fieng, gieng, hieng; ferner: fordern (fodern verdient nach Campe vor der härteren Form fordern den Vorzug), nehmlich (Campe: nämlich), wiederfahren, -in in Königin (Campe: -inn); er stimmt mit ihm aber überein in ei für ey, Partei, im Gebrauch des Dehnungs-h außer in mal (Campe noch: mahl) und Nähme (doch, im IV. Band vielfach auch Name nach Campe), in der Schreibung fast sämtlicher S-Laute (Anmaßung, außer, fleißig, dreißig, reißen, heißen, heiße (Adjektiv), fließen, schließen; -flüifig, -läifig, Veranlagung; weif lagen, dafielbe, deffelben; deßhalb, weßhalb; Preis usw.); ferner in: jetzt, letzt, setzt, schätzt, nutzt usw. Auch die Schreibungen Reiz, Geiz, heirathen, die nun öfter die alten Schreibungen Reitz, Geitz, heurathen ablösen, weisen auf Campe hin. 3. Von großer Bedeutung sind die Beziehungen Wielands zur Geßnerschen Druckerei. Wieland gab nicht sein eigenes Manuskript in die Druckerei, sondern ließ eine Abschrift herstellen, korrigierte diese sorgfältig und brachte auch noch Änderungen darin an (s. Wielands Brief an Heinrich Geßner vom 10. 7. 1807). Sobald er einen größeren Abschnitt fertiggestellt hatte, schickte er diese Abschrift nach Zürich, wo der Drucker sogleich mit dem Setzen begann. Die versprochene Vorlage, an die „sich der Setzer ganz zuversichtlich halten kann", war diese Abschrift leider nicht; am 8. 4. 180820, also nach Vollendung der ersten beiden Bände, muß Wieland gestehen: „Künftig wollen wir die Sachen nicht so auf die leichte Achsel nehmen und alles besser einzurichten suchen. Ich gebe kein Mscpt aus den Händen, bis ich nichts mehr daran zu bessern finde, und jedesmahl ein g a n z e s B u c h , Text und Erläuterungen zugleich. Dieses lassen Sie.dann s o g l e i c h setzen und abdrucken, und legen es hin bis mehr dazu kommt." 18
Das Blatt ist am Rand beschädigt; die eingeklammerten Stellen sind von mir ergänzt. 19 Wieland stand Campe kritisch gegenüber. Nach der oben angeführten Stelle fährt er fort: „Übrigens bleibt es, in Ansehung sehr vieler Wörter, die Er für Bastarde erklärt und verbannt, Ich hingegen als alte Hintersaßen geduldet und sogar beschützt wissen will, bey dem, was ich hierüber bey mehrern Anläßen öffentlich gesagt habe. Er ist in diesem Punkt offenbar gar zu eigensinnig. Doch lobe ich überhaupt, daß er für die Reinheit unsrer Sprache lieber z u v i e l als zu wenig thun will." 20 Brief an Heinrich Geßner, Zentralbibliothek Zürich.
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Leider hielt sich Wieland auch jetzt nicht an seinen Vorsatz, und so war beim Druck des I I I . Bandes (der zur Jubilate-Messe 1809 erschien) die Misere noch größer. Wieland hatte das Mißgeschick, daß er zu Anfang des Jahres 1809 „um seinen bisherigen Abschreiber kam und in der Eile keinen andern als einen sehr ungeübten und ungeschickten finden konnte" 2 1 . I n der Nachschrift zu seinem Brief an Heinrich Geßner vom 6. 2. 1809 22 heißt es: , ,Mit der Handschrift des dermaligen Abschreibers wird Ihr Setzer, zu meinem Bedauern, geplagt sein. E r soll sich mit m i r trösten. Die Correctur wird das Beste t h u n müssen. Ich wünsche es sehr: denn in den 16 Bogen, die ich erhalten habe, finden sich einige Druckfehler, die ich ungern sehe." Wir haben keinen Grund, an der Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit des Korrektors zu zweifeln, aber bei dem geschilderten Zustand des Manuskripts müssen wir annehmen, daß er sich oft genug zu eigenmächtigen Korrekturen gezwungen sah; denn zur Beförderung eines Briefes von Zürich nach Weimar brauchte die Post 7 bis 10 Tage. Die Aushängebogen schickte er, oft mit reitender Post 23 , nach Weimar. Wieland hatte manches auszusetzen; so schreibt er z. B. am 19. 2. 180824 an seinen Schwiegersohn: „Gestern sind mir die 7 ersten Bogen des 2ten Bandes d. B. C. zugekommen. Es sind beträchtliche Corrigenda darin, woran mein Abschreiber, ich selbst, und auch Euer Corrector die Schuld mit einander theilen. Diese Fehler sollen auf dem letzten Bogen des 2ten B. bemerkt und verbessert werden." Wir sehen daraus, Wieland begnügte sich, die Fehler (und wohl nur solche, die den Sinn störten oder ihn am meisten geärgert hatten) am Schluß des Bandes anzumerken, ließ sie aber nicht im Text selbst verbessern. Er mochte wohl fürchten, es könnten bei der Korrektur neue Fehler entstehen, vor allem fehlte dazu wie auch zu einer nochmaligen Durchsicht der Druckbogen die Zeit. Die beiden ersten Bände sollten zur Ostermesse 1808 erscheinen, denn Geßner brauchte Geld. Gleichwohl nahm sich die Druckerei — wohl nicht ohne Geßners Schuld — Zeit beim Setzen. Wieland an Heinrich Geßner am 14. 3. [1808] 25 : „So eben erhalte ich den I l t e n und 12ten Bogen des 2ten Bandes. Ich sehe daraus mit Erstaunen wie weit Sie noch mit dem Druck zurück sind. Doch das ist Ihre Sache." Eine Zeitlang schien es, als könne der Termin nicht eingehalten werden. Wieland an Heinrich Geßner am 8. 4. 1808 26 : „Ich zweifle keinen Augenblick daran, daß es physisch unmöglich war, auf die Zeit, wo Sie das Werk zur Ab21
Brief an Charlotte Geßner vom 16. 1. 1809, Zentralbibliothek Zürich. Ebenda. 23 „Das Postgeld kann und soll izt in keine Betrachtung kommen." Wieland an Heinrich Geßner am 19. 2. 1808, ebenda. 24 25 26 Siehe die vorige Anmerkung. Ebenda. Ebenda.
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Sendung packen mußten, fertig zu werden. Auch wäre nicht rathsam gewesen, die frisch gedruckten Bogen feucht und gefroren einzupacken. Sie werden also hoffentlich meinem Rath folgen und die 5 und 6 letzten Bogen durch den Postwagen n a c h s c h i c k e n . Das wird freilich Ihrem Commissionär Plackerey machen, aber wer kann helfen?" Aber schließlich gelang es doch mit Hängen und Würgen. Heinrich Geßner an Wieland am 17. 4. 1808 27 : „Ich benachrichtige Sie hiemit, daß mit lezter Leipziger Fuhre den 13. dieses Cicero Briefe 2 Bde fix und fertig und trocken in 2 Ballen zu 300 Exemplaren und 50 Schreib-Papier auf Leipzig abgegangen sind. Ich erzwang das Fertigwerden durch Tag und Nacht Arbeiten, wozu sich meine Leute, die sich nie über Indifkretion von mir zu klagen haben, sehr bereit fanden." Wieland war sich dieser Mißstände sehr wohl bewußt. Immer wieder klagt er in seinen Briefen an Geßner über die nachteiligen Folgen, die die weite Entfernung des Druckortes hatte, und wenn auch nicht in jedem einzelnen Fall gerade die orthographischen Mängel es waren, die seinen Zorn erregten, mitgewirkt haben sie dabei bestimmt. Nachschrift zum Brief an Heinrich Geßner vom 6. 2. 1809 28 : „Die große Entfernung des Druckorts ist mir beschwerlicher als Sie Sich vorstellen, aber wie ist zu helfen?" An Heinrich Geßner am 14. 3. [1808] 29 : „Diese Dinge [nämlich die falschen Nummern der Erläuterungen] beunruhigen mich ausserordentlich und ich besorge, daß in diesem 2ten Band eine häßliche Unordnung herrschen, und die Erläuterungen nicht zu dem Ort, wo hin sie der Nummer zu folge gehören sollen, passen werden." In demselben Brief weiter unten: „Würde das Werk h i e r gedruckt, so könnte vielleicht Rath zum 3ten Bande auf Mieh-Messe werden, denn die Hauptsache ist, daß ich das ganze immer unter Augen haben muß, weil ich immer etwas zu verbessern finde." An Charlotte Geßner am 13. 3. 1809 30 : „Das [nämlich daß 3 Lagen im übersandten Manuskript fehlten] sind die verdammten Folgen, wenn ein armer Teufel von Autor seine Schriften 60—70 Meilen weit von sich, drucken lassen muß. Würden C. Br. h i e r gedruckt, so wäre so was gar nicht möglich." So verstehen wir die bei seinem sonst so versöhnlichen Charakter befremdende Strenge und Hartnäckigkeit, mit der er in den Verhandlungen mit dem Geßner-Kuratorium im Jahr 1809 darauf drang, daß die folgenden Bände in Weimar gedruckt wurden. Der Erfolg hat ihm recht gegeben. Wieland wenigBrief im Schiller-Nationalmuseum, Marbach. Brief in der Zentralbibliothek Zürich. 29 Ebenda. 3 3 Brief im Goethe- und Schiller-Archiv, Weimar. 27 28
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stens war überzeugt, er habe die Reinheit der Orthographie im IV. und V. Band vor allem dem Umstand zu danken, daß das Werk in Weimar gedruckt wurde und er sich täglich mit dem Drucker besprechen und die Druckbogen drei-, ja viermal durchsehen konnte. Er schreibt an Charlotte Geßner nach Vollendung des IV. Bandes am 25. 3.181131; „Mit der Schönheit des Drucks wird mein lieber Geßner eben so zufrieden sein, als ich es mit dem Fleiß und der Sorgfalt des Setzers und den Correctoren bin. Ich glaube nicht, daß ich bis izt in 33 Bogen sechs unbedeutende Druckfehler gefunden habe — und wie sehr mir das ganze Geschäft dadurch erleichtert und angenehmer gemacht wird, daß das Werk unter meinen Augen gedruckt wird, ist nicht genug zu sagen." und nach Vollendung des V. Bandes ebenfalls an Charlotte Geßner am 8.5.181232; „Der 5te Band meiner Briefe Cicero's (der Hauptursache warum ich selbst keine Briefe schreiben kann) ist nun seit einigen Wochen vollendet, und die Euch unmittelbar zukommenden Exemplare werden hoffentlich — bereits in euern Händen sein. Ich muß gestehen daß Druck und Papier nicht ganz so schön ist, wie bei den drei ersten Bänden: dafür aber ist der Druck desto c o r r e c t e r , und dieser Vorzug, nebst der großen Bequemlichkeit, die aus der dermaligen Einrichtung für mich entstanden ist, geht mir über alles." Dies alles ist bei der Herausgabe der Cicero-Übersetzung zu berücksichtigen. I n den ersten drei Bänden zwischen den Absichten Wielands und den Versehen oder Änderungen des Setzers oder Korrektors klar zu unterscheiden (z. B. ob Partey, das Adelung fordert und die Handschrift bevorzugt, oder Parthey, das Adelung ausdrücklich verwirft, aber der Druck normalisiert), ist nicht möglich, denn die Handschrift kann uns dabei wenig nützen und die von Wieland korrigierte Abschrift ist verlorengegangen. I n dieser Verlegenheit scheinen uns die Bände IV und V zu Hilfe zu kommen; denn hier finden wir eine Orthographie, die wenigstens in der Tendenz gewisse Richtlinien für eine Normalisierung erkennen läßt und von Wieland, wie wir sahen, ausdrücklich und mit lobenden Worten gebilligt wurde. Allein in der Ausführimg unterliegt auch sie noch, namentlich im Gebrauch des großen und kleinen Anfangsbuchstabens, in der Zusammensetzung und Trennung der Wörter, in der Schreibung gewisser Fremdwörter und auch sonst in vielen Fällen, so starken Schwankungen, daß es nicht vertretbar ist, sie zur Norm f ü r das ganze Werk zu machen. Wir müssen eingestehen, daß es Wieland trotz aller ernsten Bemühungen bis zu seinem Lebensende nicht gelungen ist, sich zu einer ihn selbst völlig befriedigenden einheitlichen Rechtschreibung durchzuringen. Es bleibt daher dem Herausgeber nichts weiter übrig, als, den Grundsätzen dieser Akademieausgabe 31 32
Brief in der Zentralbibliothek Zürich. Ebenda.
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entsprechend, den Text der Züricher Erstausgabe mit allen seinen den heutigen Leser frappierenden orthographischen Mängeln und Ungleichheiten wiederzugeben und nur in solchen Fällen zu korrigieren, wo ein Versehen Wielands oder des Druckers nachweisbar ist. Doch wird der Herausgeber in der Einleitung zum Apparat Gelegenheit haben zu versuchen, in die verwirrende Fülle der Schreibungen eine gewisse Ordnung zu bringen, und allen denen, die danach fragen, was denn nun eigentlich Wieland zu den fortwährenden Änderungen veranlaßte und was seine letzten Absichten und Ziele waren, wenigstens einige Hinweise zu geben,
Über die Büchersammlung Georg Forsters und ihre Versteigerung Von Horst
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In der Literatur über Georg Forster wird dessen Büchersammlung fast gar nicht erwähnt, obwohl viele Äußerungen Forsters zeigen, wieviel seine Bücher ihm bedeuteten. Daher soll im folgenden die Entstehung seiner Bibliothek und deren Wiederauflösung skizziert werden. Zugleich mag auch ein Blick in diese Büchersammlung zu dem Bild beitragen, das wir uns von ihrem Besitzer machen; denn Bücher, die jemand besitzt, charakterisieren ihn. Schon als Kind wuchs Georg Forster in einer Atmosphäre von Gelehrtentum und zwischen Büchern auf, wovon der Vater Johann Reinhold Forster anschaulich erzählt: „Da wir in meinem Studierzimmer speiseten und auch unser Frühstück genossen, da der Knabe mich oft lesen und die Bücher brauchen sähe, so erweckte dies bey ihm früh die Lust, auch lesen zu lernen. Er ging an die Bücher der Bibliothek und frug, wie jeder Buchstabe des goldgedruckten Tituls hieße, und wie die Sylben ausgesprochen würden. Hierdurch lernte er diese Titel spielend lesen und da beydes lateinische und teutsche Titel auf den Büchern standen, so lernte er bald in beyden Sprachen lesen." 1 Johann Reinhold Forster, Prediger zu Nassenhuben bei Danzig, besaß vielseitige philologische und geographische Kenntnisse, die er, vom Wissensdurst des heranwachsenden Sohnes angeregt, bald auch nach der naturkundlichen Seite hin erweiterte. Trotz beschränkter materieller Voraussetzungen wurde dabei zugleich die Forstersche Büchersammlung, oft unter Opferung für die Familie notwendiger Mittel, auf die verschiedenen naturwissenschaftlichen Fächer ausgedehnt. Auch später, als der Vater mit dem Sohn in Rußland reiste, als die Familie nach England übersiedelte und beide Forster als Naturforscher an Cooks zweiter Erdumschiffung (1772—1775) teilnahmen, als man in Deutschland bereits gewohnt war, besonders im jüngeren Forster den „berühmten Erdumsegler und scharfsichtigen Länder- und Menschenbeobachter" 2 zu sehen und die weitgereisten Landsleute wie wandelnde Sehenswürdigkeiten zu betrachten, blieb die Existenz beider Männer aufs engste mit dem Buch verbunden. Im Studierzimmer, das sich den Reisenden zur weiten Welt von Natur- und Menschen. 1
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Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes. Philosophischer Anzeiger, 1795, Sp. 12 (14. Jan.). Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 1780, S. 221 (30. Mai). Seiffert, Neuere Literatur
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beobachtung eröffnet hatte, liefen die Fäden ihres Daseins immer wieder zusammen. Dabei sah freilich der jüngere Forster im Bücherschreiben mehr und mehr eine Gelegenheit, ins Große zu wirken, zur „Vervollkommnung des Menschengeschlechts" beizutragen; ja ein Teil seines Wesens neigte überhaupt mehr zum praktischen Handeln, wie sein Leben beweist. Schreiben war daneben auch ein Mittel zu existieren. In England bildete das „Büchermachen" — meist Übersetzen ins Englische — zeitweilig die wichtigste Erwerbsquelle für die zahlreiche Familie. Als Zwölfjähriger lieferte Georg Forster seine erste selbständige literarische Arbeit, eine Übersetzung von Lomonossows „Russischer Chronologie" 3 . Am Ende dieser Zeit in England stand die Beschreibung der Weltreise, die seine Publizität rasch über diejenige des Vaters erhob. (Weniger daß man an der Entdeckungsfahrt teilgenommen hatte, machte damals berühmt, sondern daß man sie beschrieb.) Die rastlose literarische Tätigkeit der beiden Forster war ohne die mit wichtigen Neuerscheinungen laufend versehene Bibliothek des Vaters kaum denkbar: Die Büchersammlung war jetzt vor allem Arbeitsmittel und in gewissem Maße Existenzgrundlage. In diesem Sinne müssen die zahlreichen Briefe jener Jahre verstanden werden, die von drückenden Geldsorgen berichten und doch gleichzeitig begierig nach bestimmten wissenschaftlichen Neuerscheinungen verlangen. Allerdings dürfte J . R. Forster auch zuweilen die Grenze zwischen notwendiger Anschaffung und bloßem Sammeleifer überschritten haben. Bezeichnend ist auch Georgs Antwort auf ein Bücherangebot: „Ein Gelehrter, und ein Buch ausschlagen; solchen Glauben hab' ich in Israel nicht funden!" 4 Noch in England begründete der heranwachsende Georg Forster, als er sich aus der geistigen und materiellen Abhängigkeit vom Vater zu lösen begann, auch eine eigene Büchersammlung. Dabei offenbarte er sogleich, im Gegensatz zum Vater, neben dem Bedürfnis nach praktisch nutzbaren geographischen und naturkundlichen Büchern eine ausgeprägte Neigung zur belletristischen Literatur. Besonders die deutsche Dichtung, von deren großem Aufstieg Georg Forster, der bisher niemals deutschen Boden betreten hatte, im wesentlichen nur vom Hörensagen wußte, übte starke Anziehungskraft auf ihn aus. Der Berliner Buchhändler J . K. Ph. Spener, in dessen Verlag die deutsche Bearbeitung der Weltreise (1778—1780) erschien, mußte wiederholt poetische Neuerscheinungen besorgen, die Forster in London mit Spannung erwartete: „Den Göttingischen [Musen]almanach habe ich noch nicht gesehn, hoffe aber drauf, so wie ich auch auf Werthers Leyden, auf Klopstocks Oden, 3
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Der Titel, der in der Forsterliteratur bisher nie angeführt wurde, lautet: A Chronological Abridgment of the Russian History; translated from the Original Russian. Written b y Michael Lomonossoff . . . and continued t o the present Time b y the Translator. London 1767. (2), VI, 85 S. Die Zueignung ,,to His Excellency Alexiey Moussin Poushkin" [russ. Gesandter in London] ist unterzeichnet: J. G. A. Forster. Brief an Spener, 29. Okt. 1776. Die neueren Sprachen, Bd. 11 (1902), S. 187.
Die Büehersammlung Georg Forsters
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Götzen von Berlichingen etc. Warthe", schreibt er am 12. März 17765, und kann kurz darauf Spener bestätigen: „Eben kömmt Ihr Letztes Pakk Bücher an, und eben heute habe ich es geöffnet: Bedenken Sie einmahl, Ich habe noch keinen Werther mit Augen gesehn, und muß ihn von jedermann angepriesen hören!" 6 Wenig später scheint eine weitere Sendung dieser Art eingetroffen zu sein: „Seit meinem letzten [Brief vom 10. Mai 1776] hat mich mein Freund Spener auch mit einem pack Bücher versorgt, worunter die sämtlichen Deutschen Classici vorzüglich in den schönen Wissenschaften gehören. Göthen, Claudius, [Joachim Christian] Blum und Sophiens Reise habe ich mit vielem Vergnügen durchgelesen", meldet er dem Jugendfreund F. A. Vollpracht, wobei er charakteristisch für seine damalige Denkweise hinzufügt: „Göthe ist bezaubernd, doch aber nur so lange wir keine geoffenbarte Religion statuiren, gegen diese aber hält Werther nicht stich . . ," 7 Wenn uns solche Briefstellen auch manchen Bück auf die Bücherkäufe des jungen Forster werfen lassen, so muß das Ergebnis dieser Sammeltätigkeit im Ganzen doch unbekannt bleiben, denn jene erste Bibliothek ging bei ihrer Versendung von England nach Hamburg auf einem gestrandeten Schiff verloren. Wiederholt bedauerte Forster diesen Verlust und beklagte dabei, daß ihm seine gering besoldete Stelle am Collegium Carolinum zu Kassel und die Schuldenlast der Familie jetzt „durchaus nicht erlauben, einen eigenen kleinen Büchervorrath zu sammeln", dessen er „allerdings sehr bedarf" (Brief an Jacobi, 22. Juli 1779)8. Dennoch berichtete er schon im Spätsommer des gleichen Jahres: „Jetzt fange ich an, so gut ich kann, einige Bücher zusammen zu sammeln und meine Arbeiten fortzusetzen" 9 , ja nahm sogar — vermutlich von Spener — Bücher auf Kredit, um sie allmähh 3h durch Manuskriptlieferungen abzuarbeiten. 10 Am Ende der Kasseler Zeit (1784) scheint sein Büchervorrat schon wieder beachtlich angewachsen zu sein, wog doch das Gepäck bei der Übersiedlung nach Wilna — ohne Möbel — „etwa 24 Centner" 11 . Dennoch klagte Forster gerade im polnischen Wilna besonders über Büchermangel, denn während von Kassel aus die nahegelegene Göttinger Bibliothek, die beste und modernste ihrer Zeit, verhältnismäßig leicht benutzt werden konnte, waren die Bücher5
An F. A. Vollpracht. Zeitschrift für deutsche Literaturgeschichte, 1959, IV, S. 545. 6 Brief v o m 2. April 1776. Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, Bd. 90 (1893), S. 32. 7 Brief v o m 16. Juli 1776. Zeitschrift für deutsche Literaturgeschichte, 1959, IV, S. 549. 8 Johann Georg Forster's Briefwechsel. Hrsg. von Th[erese] Hfuber], geb. H[eyne]. Th. 1. Leipzig 1829. S. 213. 9 Brief an Jacobi. Ebd. S. 217. »o Brief an Jacobi, 14. Febr. 1780. Ebd. S. 247. 11 Brief an Sömmerring, 14. Mai 1784. Georg Forster's Briefwechsel mit S. Th. Sömmerring. Hrsg. von Hermann Hettner. Braunschweig 1877. S. 34. 5*
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bestände der Wilnaer Universität veraltet, schwer zugänglich oder — gerade auf naturwissenschaftlichem Gebiet — über Anfänge nicht hinausgekommen. So war es notwendig, trotz der Mehrausgaben, die Forsters inzwischen geschlossene Ehe und die häusliche Einrichtung erforderten, die private Bibliothek stärker auszubauen. Zahlreiche Briefe aus jenen Jahren, die Forster nach Deutschland richtete, enthalten Buchbestellungen. Die Bezahlung erfolgte meist gegen Honorarverrechnung, teils auch in bar, seltener sind Geschenke. Bücher als Rezensionsexemplare zu erwerben, ein später so beliebter Weg zur Anschaffung wertvoller Werke, war offenbar noch nicht üblich, denn Forster mußte die für seine zahlreichen Besprechungen benötigten Bände oft erst ausleihen oder mit der Rezension zurückschicken. Im Jahre 1785 enthielt seine Bibliothek 1100 Bände. 12 Als er einmal erwog, seine Mineralien und Bücher zu verkaufen, um aus Wilna wieder fortzukommen, verwarf er diesen Gedanken sofort wieder: „Allein ohne Bücher, zumal solche ausgesuchte Handbücher würde ich auch nichts Rechts anfangen können. Also ist diese Idee nichts." 1 3 An der späteren Mainzer Wirkungsstätte nahm der Büchervorrat weiter zu, obwohl Forster nun als Bibliothekar der Universität schon von Amts wegen etwas besser mit Literatur versorgt war. Eine besondere Rolle unter seinen Bücherkäufen spielten jetzt die verhältnismäßig teuren englischen Reisewerke, die er möglichst druckfrisch und durch eigene Kommissionäre aus London besorgen ließ, um bei seiner zunehmenden Übersetzungstätigkeit vor den immer zahlreicher werdenden Konkurrenten einen Vorsprung zu haben. Auch nach dem Einmarsch des französischen Revolutionsheeres im Herbst 1792, als Forster sich seinem politischen Wirken hingab, scheint er seine Büchersammlung nicht ganz vernachlässigt zu haben, enthält sie doch noch einige Titel aus dem Jahre 1793. I m wesentlichen aber bildete das Jahr 1792 den Abschluß dieser Sammlung. Ihr Verzeichnis, das allerdings erst aus dem Jahre 1797 stammt, erlaubt uns die folgende Übersicht: Georg Forsters Bibliothek enthält zuletzt 1240 Titel, davon 720 mehrteilige Werke, demnach etwa 2000 Bände. Sie ist also nicht besonders groß, wenn man sie mit andern zeitgenössischen Gelehrtenbibliotheken vergleicht, wie etwa mit der Bücherei J . R. Forsters, der 1790 nach eigenem Zeugnis allein fast 1500 Reisebeschreibungen besaß. 14 Ihr Wert beruht zunächst auf der Tatsache, daß ihr Besitzer die meisten zugehenden Stücke unter dem Gesichtspunkt ihrer wissenschaftlichen oder literarischen Bedeutung einzeln und wohlüberlegt erwarb — Erbschaft oder größere Schenkung, die so manches Zufällige in eine Büchersammlung bringen, trugen nicht zu ihrer Entstehung bei. 12 13 14
Brief an Sömmerring, 1. April 1785. Ebd. S. 212. Brief an Sömmerring, 3. Febr. 1785. Ebd. S. 193. I m Vorwort zu seinem Magazin v o n merkwürdigen neuen Reisebeschreibungen, Bd. 1, 1790.
Die Büchersammlung Georg Forsters
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Ein anderer wesentlicher Zug dieser Sammlung ist ihre „Modernität". Sie wurde praktisch innerhalb eines Jahrzehnts angelegt. Ordnet man die Bücher nach dem Erscheinungsjahr, so zeigt sich, daß über die Hälfte nach dem Jahre 1781 und über ein Viertel im Jahrzehnt von 1771—1780 erschienen. Danach fällt der „Altersaufbau" der Bibliothek sofort stark ab, und vor dem Jahre 1700 erschienene Bände sind schon recht selten, obwohl sie auf dem Auktionsmarkt damals noch leicht zu erwerben waren. (Das älteste Werk der Bibliothek ist eine Duodezausgabe aus dem Jahre 1500: „Hesiodi Theocriti, Moschi, Bionis aliorumque poemata graece et latine".) Seltenheitswert und historische oder bibliophile Sonderinteressen spielten bei Georg Försters Büchereinkäufen offenbar kaum eine Rolle. Umso deutlicher wird daher der Eindruck, den diese Büchersammlung von den fachlichen und literarischen Interessen ihres Besitzers vermittelt. Eine inhaltliche Gliederung des Bestands zeigt nämlich folgendes Bild: Eindeutig an der Spitze steht die Naturwissenschaft mit 274 Schriften, darunter 101 botanische, 53 zoologische, 51 geologisch-mineralogische, 32 chemische, 20 physikalisch-astronomische und nur 4 mathematische Werke. Die Botanik war Porsters eigentliches Fach, mit dem er auch promovierte, wohingegen der relativ starke Anteil geologisch-bergbaukundlicher Literatur bei einem Vergleich mit seiner fachwissenschaftlichen Tätigkeit überraschen mag. Er zeigt offenbar, wie ernst Forster die ihm in Wilna gestellte Aufgabe nahm, die u. a. die Erschließung einheimischer Bodenschätze inbegriff. Im geographischen Schrifttum, das erwartungsgemäß mit 175 Titeln an zweiter Stelle hegt, dominieren 96 Reisebeschreibungen. Überraschend niedrig ist jedoch — mit 6 Titeln — die Zahl der Karten und Atlanten, und man muß entweder annehmen, daß hier vor dem Verkauf der Bibliothek ein größerer Eingriff stattfand, oder daß die Kartenwerke außerhalb der Büchersammlung geführt und aufbewahrt wurden. Dicht auf die geographische Literatur folgen die belletristischen (152 Titel) und philosophischen (86 Titel) Schriften. Die deutsche Dichtimg ist vertreten durch Blumauer, Claudius, Goethe, Gottsched, Heinse, Herder, Iffland, Kleist, Klinger, Klopstock, Kotzebue, Lavater, Lessing, Maler Müller, Sulzer, Wieland und andere. Schiller fehlt — abgesehen von den 12 Heften der „Thalia" —, doch ist es unwahrscheinlich, daß Forster keine weiteren Schriften des Dichters besaß. Neben 44 deutschen schöngeistigen Werken stehen 42 englische: Shakespeare ist mehrfach vorhanden, daneben Ossian, Pope, Spenser, Sterne, Thomson. Darauf folgt die antike Literatur mit 32 Titeln, wobei die griechischen Autoren meist in lateinischen Ausgaben gesammelt wurden: Apuleius, Äschylus, Cäsar, Cicero, Homer, Horaz, Juvenal, Livius, Martial, Sophokles, Terenz u. a. Wesentlich geringer ist die Zahl der französischen Schriften (17). Von bekannteren Namen stehen hier Corneille, Diderot, Lafontaine, Larochefoucauld, Marivaux, Racine und vor allem Voltaire. Von den übrigen Büchern dieser Gruppe sei noch erwähnt, daß Forster, der im Jahre 1791 die deutsche „Sakontala" herausgab und sich noch im letzten Lebensjahr mit dem Plan
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einer Indienreise beschäftigte, sich bereits eine kleine Anzahl von Schriften aus der arabischen und der Sanskrit-Literatur verschafft hatte. Aus der philosophischen Abteilung, der hier auch das freimaurerische und „magische" Schrifttum zugerechnet ist, sind Jacobi, Helvetius, Hobbes, Kant (mit seinen drei Kritiken), Mendelssohn, Plato, Wolff (mehrfach) die bedeutendsten Autoren. Ein wesentliches Stück von Forsters geistiger und politischer Entwicklung spiegelt sich in seinen Büchern über Staat, Politik (69 Titel) und Geschichte (59 Titel), die er besonders in den letzten Jahren stärker ankaufte. Hier sind vor allem Schriften über England und englische Politik, über die Vereinigten Staaten, über Indien und besonders über Frankreich und seine Revolution anzutreffen. Literatur zum politischen Tagesgeschehen, wie sie damals durch einen ausgedehnten Broschürenvertrieb allgemein verbreitet war und von der Forster gewiß nicht wenig besaß, findet man hier allerdings kaum, ordnete doch die Mainzer Kriminalbehörde nach der Konfiszierung der Forsterschen Bibliothek deren Durchsuchung an, um „dasjenige, was allenfalls in die ehemalige französische Administration, und hiesige Universität einen Bezug hat", auszusondern. 15 In absteigender Reihe folgen nun in Forsters Büchersammlung die Fächer Medizin (61 Schriften) — längere Zeit trug sich Forster mit dem Plan einer medizinischen Ausbildung —, Sprachwissenschaft und Lexika (35) und Ökonomie einschließlieh Hauswirtschaft (28). Wie zu erwarten war, ist die Theologie (18) nur schwach versehen, überraschenderweise aber auch die bildende Kunst (16), deren Schöpfungen und Probleme Forster doch so stark beschäftigten. Musik und Rechtswissenschaft endlich sind jeweils nur mit einem einzigen Buch vertreten, nämlich durch J . J . Rousseaus „Planches du traité sur la Musique" und eine Ausgabe von Justinians Institutionen aus dem Jahre 1690. Untersuchen wir die Bibliothek nach ihrer sprachlichen Zusammensetzung, so zeigt sich, daß entsprechend dem Vordringen des Deutschen in einem Teil der Fachliteratur bereits 50% der Werke deutsch geschrieben, jedoch immerhin noch 29% in lateinischer Sprache (vor allem botanische, zoologische und medizinische Schriften) verfaßt sind. Auf die englische Sprache entfallen 12%, auf die französische 8%. Griechische Bücher sind fast nicht vorhanden, hebräische fehlen ganz. Zusammenfassend läßt sich über Forsters Büchersammlung sagen: Es handelt sich um eine vornehmlich nach praktisch-wissenschaftlichen Bedürfnissen zusammengestellte, für ihre Zeit moderne Arbeitsbibliothek, die außer den fachlichen Interessen ihres Inhabers auch etwas von seiner geistigen Entwicklung und seinen literarischen Neigungen widerspiegelt. Nehmen wir an, es sei nicht bekannt, wer der Mann war, der diese Büchersammlung hinter15
Staatsarchiv Würzburg, Mainzer Regierungsarchiv, Fase. 1/3, Criminal Senats Protocoll, 3. Dez. 1793.
Abt. V
(Klubisten),
Die Büchersammlung Georg Forsters
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ließ, so könnte man doch in groben Zügen seine wesentlichen Arbeitsgebiete und besondere Schwerpunkte seiner geistigen Tätigkeit annähernd richtig bestimmen. Bei ihrem verhältnismäßig geringen Umfang und ihrer vielfältigen fachlichen Aufgliederung waren natürlich dem Besitzer dieser Bücher ausgedehntere wissenschaftliche Arbeiten kaum möglich, ohne gleichzeitig eine größere Bibliothekseinrichtung in Anspruch zu nehmen. I m folgenden wird nun versucht, das weitere Schicksal der Forsterschen Bibliothek bis zu ihrer Versteigerung im Jahre 1797 zu skizzieren. Die Vorgeschichte dieser Auktion beginnt eigentlich schon zu Lebzeiten des Besitzers : Forster verließ im März 1793 Mainz, um im Auftrag des „Mainzer Nationalkonvents" nach Paris zu reisen. Die bald danach einsetzende Belagerung der Stadt machte seine Rückkehr unmöglich und trennte ihn von seiner Wohnung, seinen Schriften und Büchern. Als nach einem mehrwöchigen, furchtbaren Bombardement durch die Österreicher und Preußen die französische Besatzung der Festung Mainz im Juli 1793 kapitulierte, bot die großenteils in Trümmern liegende Stadt jenen bedauernswerten Anblick, den Goethe in seiner „Belagerung von Mainz" beschreibt. Man mußte zunächst auch Forsters Hab und Gut für verloren halten, doch stellte sich heraus, daß die Wohnung unbeschädigt war. Ebenso glücklich entging das Forstersche Haus einer zweiten Gefahr, nämlich der Plünderung der „Klubistenhäuser" durch die erregte Volksmenge. Doch nun begann die kurfürstlich-mainzische Regierung, die nach der Wiedereinnahme der Stadt zurückkehrte, mit der systematischen Verfolgung der Klubisten. Derselbe Staatsapparat, der sich gegenüber dem militärischen Feind noch kurz zuvor völlig hilflos gezeigt hatte, rächte sich nun an jenen Personen, die mit der französischen Besatzung und ihren politischen Idealen sympathisiert hatten. Zu seinen verschiedenen Maßnahmen gehörte die Beschlagnahme der Klubistenvermögen, was dem schwerfälligen Beamtenapparat jedoch selbst nicht geringe Schwierigkeiten bereitete, da nicht eindeutig geklärt war, wer nun eigentlich als Klubist zu gelten hatte, da ferner die Vermögensverhältnisse im einzelnen oft undurchschaubar, die Bedrohten aber bestrebt waren, das Ihrige zu verbergen. Das Archivmaterial 16 , das jene Vorgänge widerspiegelt, mit seinen zahlreichen Sitzungsprotokollen, Visitationslisten, Ver- und Entsiegelungsbeschlüssen, Eingaben, Denunziationen und vorläufigen Beschlüssen, hinterläßt insgesamt den Eindruck, daß der Behörde, die bei der Bestrafung der Klubisten ohne klaren Plan vorging, vor ihrer eigenen inquisitorischen Aktivität nicht ganz geheuer war. Immerhin standen die Franzosen noch in der Nähe des Rheins und drohten mit Repressalien. In diese Untersuchungs- und Beschlagnahmungswelle geriet nun, neben seinen andern Effekten, auch Forsters Bibliothek. Während man die Möbel usw. auf die Domküsterei verbrachte, den allgemeinen Sammelplatz des Klubisteneigentums, wurden die Bücher sowie das Herbarium zunächst im 16
A. a. O., Abt. V., besonders Fase. 1/3 u. 777.
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Forsterschen Hause in der Nähe des Altmünsterklosters belassen und versiegelt 17. Als das Haus jedoch drei Monate später für Einquartierung benötigt Yurde, erging die Anordnung, daß „die im Forsterischen Hauße annoch vorfindliche Bibliothek, Schriften und Effekten, in Gegenwart des Contradictoris Hofrath v. Hagen, und des vom Hofrath Heine angestellten Curatoris Molitor in Verschlägen wohl verwahrt, in die Domkustorie gebracht" 1 8 werden sollten. Zu diesem Zweck wurden eigens acht Verschlage angefertigt und zehn Büchergestelle „aufgeschlagen" 19 , und nun scheint die Bibliothek bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1797 in der Domküsterei verbheben zu sein. Inzwischen versuchte man von verschiedener Seite, Rechte auf diese Bücher geltend zu machen. Einige Universitätsmitglieder verlangten Schriften zurück, die sie Forster geliehen hatten. Vor allem aber traten drei Parteien als Gläubiger oder — nach Forsters am 10. Januar 1794 erfolgten Tode — als Erben mit ihren Ansprüchen auf den Plan, nämlich Forsters Verleger Ch. F. Voß in Berlin, der seinem Autor eine Geldsumme vorgestreckt hatte, Johann Reinhold Forster, Professor der Naturkunde in Halle, und Forsters Kinder, vertreten durch Therese Forster und den Schwiegervater, den Altphilologen Chr. G. Heyne in Göttingen. Die geringsten Aussichten auf das Erbgut hatte J . R. Forster, der sich deshalb mit Voß zu verbinden suchte und eine Bürgschaft für den Sohn vorspiegeln wollte, „damit wir vor allen anderen Gläubigern den Vorgang erhalten. Denn Hofrath Heine in Göttingen arbeitet durchs Hannoversche Ministerium, die Sachen für seine Tochter zu bekommen." 2 0 Voß jedoch, der zunächst die preußische Regierung für sich bemüht hatte, zog sich nach Georg Forsters Tode von seinen Ansprüchen zurück und vernichtete seine Schuldscheine. 21 Umso energischer betrieben nun die Forsterschen Erben die Herausgabe der Bücher und anderen Mobilien, indem sie durch den Einspruch auswärtiger Ministerien und einflußreicher Einzelpersonen — so wurde z. B. auch Wilhelm von Humboldt um Hilfe gebeten — sowie durch ein förmliches Klageverfahren den Beschluß der Mainzer Behörden rückgängig zu machen suchten. Das gelang endlich im Jahre 1797, und der Nachlaß wurde nun zum Nutzen von Forsters Kindern für den Verkauf freigegeben. Schon längere Zeit zuvor hatte man mit der Neuordnung und Verzeichnung der Bücher begonnen, die beim Umräumen und Transportieren völlig durcheinander geraten waren. Am 29. Juli 1794 reichte ein Doktor Hersemeier (Hirsemaier ?) der Mainzer Landesregierung eine Kostenberechnung „für Fertigung und Abschrift des Forsterischen Bücher Katalogen" ein und verlangte für seine Tätigkeit 77 Gulden mit der Begründung: „Wer weis, wie lästig und beschwerlich es ist eine im Chaos liegende große Bibliothek, wie 17
Ebd., Protokolle v o m 2. Aug. und 30. Sept. 1793. »8 Ebd., Protokoll v o m 3. Dez. 1793. 19 Ebd., Fase. 2/16. Tischlerrechnung v o m 28. Dez. 1794. 20 Brief J. R. Försters an Voß, 25. Jan. 1794, Stadtarchiv Halle (ungedr.). 21 S. Paul Zinoke: Georg Forsters Briefe an Christian Friedrich Voß. Dortmund 1915. S. X V .
Die Büchersammlung Georg Forsters
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jene des Forsters ist, one Handlanger aufzustellen, und nach den Alphabet zu verzeichnen, der wird diesen Ansaz billig finden um so mehr als ich bey 80 halbe Tage damit zugebracht habe." 2 2 Hersemeier, der auch die beschlagnahmten Bibliotheken der Professoren Blau, Hofmann und des geistlichen Rats Falziola katalogisierte, lieferte Abschriften seiner Verzeichnisse „bey jeder einzelnen kompetenten Gerichtsstelle" ab 2 3 . Vermutlich beruht auf dieser Arbeit Hersemeiers der Auktionskatalog, der drei Jahre später im Druck erschien: „Verzeichnis der hinterlassenen Bücher von Georg Forster, welche den 4ten September 1797 zu Mainz auf der sogenannten Burseh 24 öffentlich versteigert werden sollen. Mainz 1797." Diese Bücherliste, die auf 83 Seiten die Titel nach 4 Formaten und innerhalb der Formate alphabetisch ordnet, ist am Schluß vom Syndikus und Universitätssekretär Schlebusch unterzeichnet, was wohl bedeutet, daß dieser die Verantwortung für die Auktion trug. Kommissionen für auswärtige Besteller erboten sich die Hofräte Bodmann, Weidmann, Sömmerring und der Hofgerichtsrat Köhler zu übernehmen. Vor der Versteigerung fuhr Forsters Freund Sömmerring noch einmal von Frankfurt nach Mainz, um Forsters Sachen zu ordnen. Auch an der Versteigerung selbst, die an 11 Tagen vom 4. bis 20. September stattfand 2 5 , nahm Sömmerring teil, und „was zu geringe weggieng, nahm er selbst und verwertete es später für höhere Preise'' 26 . Der Verkauf erbrachte 1000 Gulden 27, bei einem Neuwert der Bücher von, grob geschätzt 28 , 3000—4000 Gulden. Prominentester Kunde der Auktion war Johann Wolfgang von Goethe, der am 21. August von Frankfurt aus an Sömmerring schrieb: „Man giebt sonst den Autoren Schuld, daß sie eigene Schriften am liebsten lesen, und was werden Sie sagen, wenn ich Sie ersuche, mir in der Forsterschen Auction die zwei Sammlungen meiner Schriften, sowohl die ältere als die neuere, zu kaufen? Es versteht sich, daß sie um einen leidlichen Preis weggehen und die 10 Bände nicht über 8 Gulden kommen. Ich habe schon seit mehreren Jahren kein Exemplar meiner Schriften im Hause und ich habe jetzt besondere Ursache sie wieder einmal von neuem durchzusehen. Wollten Sie sodann auch die 22 23 24
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Staatsarchiv Würzburg, a. a. O., Fase. 777. Ebd., Fase. 777, Eingabe ohne Datum. Ein Gebäude auf der großen Bleiche zu Mainz, das damals die Universitätsbibliothek beherbergte. Vgl. K. A. Schaab: Geschichte der Stadt Mainz. Bd. 2. Mainz 1844. S. 287f. Staatsarchiv Würzburg, a. a. O., Fase. 2/14, wo dem Forsterschen Vermögen 11 Gulden für „11 Sessionen" an den genannten Tagen abgezogen werden. Rudolph Wagner: Samuel Thomas von Sömmerring's Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen. 2. Abt. Leipzig 1844. S. 104. Staatsarchiv Würzburg, a. a. O., Fase. 2/14. Ebenda wird die Einnahme aus dem Verkauf des übrigen Inventars mit 1153 Gulden 48 Kreuzer angegeben, während die Unkosten für Transport, Verwahrung usw. insgesamt 193 Gulden 58 Kreuzer betrugen. Nach Stichproben aus Kaysers Allgemeinem Bücherlexikon errechnet.
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Gefälligkeit haben, No. 144 pag. 13 für mich zu erstehen, ein Werkchen, daß wahrscheinlicher Weise nicht sehr hinaufgetrieben wird. Meine Mutter wird die Auslage mit Dank ersetzen." 29 Von den bestellten Büchern erwarb Goethe jedoch nur die erste Sammlung 30 für 2 Gulden 21 Kreuzer, da die andere sein Preisangebot überschritt. Das Bändchen „No. 144", nämlich „Versuch einer historischen Nachricht von der künstlichen Gold- und Silberarbeit in den ältesten Zeiten, Berlin 1757", kaufte für 1 Gulden 30 Kreuzer 3 1 die Göttinger Bibliothek. Neben der Büchersammlung wurden um 1797 übrigens auch Teile von Forsters sonstigem wissenschaftlichen Nachlaß, seine Herbarien, seine zahlreichen Zeichnungen und Aquarelle von der Südseereise verkauft 3 2 . Das Schicksal seiner schriftlichen Hinterlassenschaft (Werkmanuskripte, Tagebücher, Exzerpte, Briefe) genauer zu bestimmen, wäre allerdings wesentlich schwieriger, doch verdiente gerade diese Frage im Hinbück auf die Forsteredition einmal genauere Untersuchungen. Der Grundbestand wurde früh geteilt, wechselte mehrfach Ort und Besitzer, manche Handschrift wurde nach Forsters Tod noch publiziert und ist heute verschollen, der Briefnachlaß ging z. T. an die Absender zurück und teilte deren und ihrer Erben besondere Schicksale. Nur was die verschlungenen Wege von Erbschaft und Autographenhandel im 19. und 20. Jahrhundert überdauerte und endlich in den Besitz öffentlicher Bibliotheken und Archive gelangte, hat nämlich größtenteils auch die beiden Weltkriege und ihre Folgen überstanden. Würde man die Geschichte des Forsterschen Nachlasses vollständig aufrollen, so könnte man im wesentlichen wohl nur noch die einzelnen Verluste registrieren. Doch wäre auch die Gewißheit hierüber schon ein Gewinn. 29 Weimarer Ausgabe, Briefe, Bd. X I I , S. 251. 30 Diese Werksammlung war angezeigt unter dem Titel: „Goethes (J. W.) Schriften mit Kupfer, Berlin 1777, 2 Bände"; im Katalog v o n Goethes Bibliothek, Weimar 1958, ist sie jedoch nicht verzeichnet. Näheres über die andere Werkausgabe und den nicht zustande gekommenen K a u f s. Fritze, MarieElisabeth: Untersuchungen zur vierbändigen „geringeren" Ausgabe von Goethes Werken bei Göschen 1 7 8 7 - 1 7 9 1 (S 2 ). Phil. Diss. Berlin 1964. (Darin Abschnitt über die „Forstersche Auktion".) 3» Weimarer Ausgabe, Briefe, Bd. X I I , S. 436. 32 Kaiserlich privilegierter Reichsanzeiger, 22. Dez. 1797 (Nr. 297), Sp. 3145 bis 3146. - 23. Dez. 1797 (Nr. 298), Sp. 3 1 5 4 - 3 1 5 5 . - 28. Dez. 1797 (Nr. 299), Sp. 3 1 7 3 - 3 1 7 5 .
Bemerkungen zum Briefwechsel zwischen Georg Forster und Friedrich Heinrich Jacobi Von Klaus-Georg Popp
Der Briefwechsel zwischen Forster und Friedrich Heinrich Jacobi erstreckt sich über den Zeitraum von 1778, Forsters erster Ankunft in Deutschland, bis 1792. Durch die unterschiedliche Beurteilung der Entwicklung der Revolution in Frankreich, deren Auswirkung auf das Rheinland, durch Forsters Tätigkeit in Mainz nach der französischen Eroberung fehlte in Forsters letzten Lebensjahren für eine Fortsetzung der Korrespondenz die sachliche Grundlage. Die Radikalisierung von Forsters historisch-politischen Auffassungen nach 1792 einerseits und die äußerlich neuen Frontstellungen des älteren Jacobi andererseits (Atheismusstreit Fichtes, die Auseinandersetzungen mit Kant und Schölling) berühren das Verhältnis beider nicht mehr. Die Bedeutung dieser Verbindung für die gedankliche Entwicklung Forsters bis 1792 wurde bisher nicht genügend berücksichtigt. Zu einer eingehenden Untersuchung hätten die Schriften aus Forsters Mainzer Periode, in denen Einflüsse Jacobis nachweisbar sind, dazu hätten Forsters u. a. durch Jacobis Schrift David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus von 1787 vermittelte Kantauffassung, seine durch Jacobi beeinflußte liberalistische Bestimmung der Funktionen des Staates und seine Toleranzauffassung Anlaß geben müssen. Die Literatur über F o r s t e r s o w e i t sie sich um eine zusammenhängende Darstellung der philosophischen Ansichten Forsters bemüht hat, kommt hinsichtlich seines Verhältnisses zu Jacobi mit geringfügigen Unterschieden zu folgendem Urteil. I n der Kasseler Zeit (1778—1784), während der er als Professor für Naturkunde am dortigen Karolinum Verbindungen zu den Rosenkreuzern unterhielt, sich mit alchimistischen Versuchen abgab und asketische Bigotterie „sein Gefühl kreuzigte" 2 , hätten Jacobi und sein Kreis, dessen schwärmerische, gefühlsselige Atmosphäre, jene Verirrungen begünstigt. Zumindest habe dieser Kreis kein gesundes Gegengewicht gebildet wie etwa die Freundschaft mit Lichtenberg und Heyne in Göttingen. Mit dem flucht1
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Vgl. die im wesentlichen gleichlautenden Urteile von G. G. Gervinus, in: Forster's sämmtliche Schriften, Bd. 7, Leipzig 1843, S. 20ff. u. 27; G. Steiner, in: G. Forster, Philosophische Schriften, Berlin 1958, S. X l l f . , X X I ; J. J. Moschkowskaja, in: G. Forster, Ausgewählte Werke, Moskau 1960, S. 7f. (russ.). E. Lange, Phil. Diss. Jena 1961, S. 4 7 - 6 8 , 109f. Forster's Briefwechsel mit S. Th. Sömmerring, hrsg. v. H. Hettner, Braunschweig 1877, S. 124.
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artigen Weggang von Kassel, der Krise seiner Weltanschauung, als deren Resultat ein erkenntnistheoretischer Empirismus 3 ihn wieder zu nüchterner naturwissenschaftlicher Arbeit geführt habe, sei es zum endgültigen gedanklichen Bruch mit der Gefühls- und Glaubensphilosophie Jacobis gekommen. Abgesehen davon, daß diese Darstellungen chronologisch nicht genau sind — 1784 kann von einem solchen Bruch keine Rede sein, Jacobis zentrale Schriften liegen zu dieser Zeit noch nicht vor —, sind sie auch sachlich in dieser Form nicht haltbar. Teils zeigte sich ein Mißverständnis der Ansichten Jacobis, indem dessen Glaubensphilosophie als Restaurierungsversuch kirchlicher Dogmen interpretiert wurde. Teils machte sich eine gewisse Unterschätzung der Bedeutung Jacobis für seine Zeit hemmend bemerkbar, die die Zeitgenossen mit Ausnahme Schellings schwerlich geteilt hätten. Hegel, einer seiner schärfsten Kritiker, schreibt 1819 bei Jacobis Tod: „Er war einer von denen, die einen Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit sowie der Individuen formierten und für die Welt, in der wir uns unsere Existenz vorstellen, einer der festen Halte waren." 4 Teils wurde dieser gedankliche Bruch nicht im einzelnen untersucht. Es läßt sich nämlich zeigen, daß er sich, und auch das nur in sehr abstrakter Form ohne ein konkretes Verständnis, zwar auf die Jacobische Behauptung einer unmittelbaren Gewißheit, einer „VernunftAnschauung", eines „Geistes-Gefühls" von Gott, Freiheit, Substantialität und Unsterblichkeit der Seele bezieht, nicht aber auf gewisse realistische Seiten von Jacobis Philosophie, die dieser später in seinem Gespräch über Idealismus und Realismus genauer entwickelt hat. Außerdem kann die Übernahme eines zentralen Gedankenmoments Jacobis durch Forster nicht übersehen werden: die lebensphilosophisch, mit jeweiliger unmittelbarer Erfahrung begründete Moral- und Toleranzauffassung, ein Moment, das später bei Forster z. B. in der Gegenüberstellung von allgemeiner und subjektiver Vernunft wiederkehrt.5 Wer den Bruch mit Jacobi seit 1784 voraussetzt, versperrt sich möglicherweise den Blick für Briefstellen, Zitierungen und gedankliche Übereinstimmungen, die eine andere Sprache sprechen. Jene geschilderte Darstellung hat daher das Verständnis von Forsters Mainzer Periode (1788—1792), insofern' es in diesem Zeitraum, von unwesentlichen Spannungen abgesehen, äußerlich und innerlich zu einer erneuten Annäherung an Jacobi kommt, nicht gefördert. Diese Annäherung, die von Forster ausgeht 6 , bezieht sich nicht auf die persönliche Hochschätzung Jacobis. Darin hat es, obwohl der Briefwechsel 3
Ebd., S. 38. Hegel an Niethammer 26. 3. 1819. 5 Über den gelehrten Zunftzwang. In: G. Forster, Philosophische Schriften, hrsg. v. G. Steiner, Berlin 1958, S. 173ff., besonders S. 176. 6 „Wie auch das Schicksal mich herumgeworfen haben mag, fühle ich doch, daß ich in der Wurzel noch immer derselbe bin, den Sie in Düsseldorf und Kassel kannten, und so lange auch unsere Correspondenz geruht hat, war doch meine Liebe und Verehrung stets ungeändert. Ich glaube mich auf 4
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für genau drei Jahre, in der Wilnaer Zeit, ruhte, keinen Bruch gegeben. An Sömmerring hatte Forster unter dem 19. März 1786 geschrieben: „Grüße . . . meinen lieben Fritz Jacobi von mir, letzteren recht herzlich, sage ihm nur, er müsse ja wissen und fühlen, wie unvergeßlich er mir sei. Dazu thun übrigens unsere etwaigen Veränderungen der Begriffe von gewissen Gegenständen nichts. Ich werde mich nicht wie Mendelssohn todt ärgern, wenn er auch wider mich schriebe, denn ich bin zu wenig an Meinung als Meinung gebunden." 7 Am 2. April 1790, von Aachen aus, nachdem er Jacobi auf der Durchreise besucht hatte, legt er das folgende Bekenntnis einer nie aufgegebenen persönlichen Hochachtung ab: „Wenn ich einen großen, einen guten Menschen in meinem Herzen und in meinem Sinne trage, ists mir, als trüge ich die Welt in mir, in einem schönen umfassenden Bilde." 8 Diese Annäherung betrifft vielmehr das Gedankliche, indem Forster zumindest über einige abstrakte negative Urteile über Jacobi, die wir aus der Wilnaer Zeit kennen, hinausgeht, sei es auch nur durch ein konkreteres, intensiveres Verständnis des Jacobischen Standpunktes. Auf die verstärkte Beschäftigung Forsters mit philosophischen Fragestellungen in der ersten Mainzer Zeit und deren Resultate für Forsters Arbeiten ist an anderer Stelle hingewiesen worden. 9 Diese Beschäftigung vollzieht sich u. a. im Rahmen einer konkreten Auseinandersetzung mit Jacobi. Es handelt sich dabei um eine von der Wilnaer Zeit zu unterscheidende Etappe im Verhältnis Forsters zu Jacobi. Bevor ich auf einige Momente dieser Auseinandersetzung hinweise, muß der Standpunkt Forsters in der Wilnaer Periode skizziert werden. Als Quelle kommen hierfür vor allem die Briefe an Sömmerring in Frage, in denen Forster sich am offensten über seine Ansichten geäußert hat. I
Die Ablehnung jeder Schwärmerei, der Suche nach irgendeiner nicht bestimmbaren jenseitigen Wahrheit, die Beschränkung auf sinnliche Erunsere Jetzige Nähe in mehr als einem Betracht mit vollem Rechte freuen zu dürfen." Brief an Jacobi vom 11. 10. 1788. Johann Georg Forster's Briefwechsel, hrsg. von Th[erese] H[uber], geb. H[eyne], Th. I, Leipzig 1823, S. 703f. 7 An Sömmerring, a. a. O., S. 292. 8 Briefwechsel, Th. II, S. 3f. 3 „Forsters Hinwendung zu grundsätzlichen weltanschaulichen Fragen, die sich in Wilna anbahnte und während des Göttinger Interims mit dem Aufsatz ,Über Leckereien' vollzog, zeitigte in Mainz . . . solche Erfolge, daß Lichtenberg sich zwei Jahre später sehr anerkennend über Forsters Arbeiten aussprach. Er hob dabei gerade die empirische Grundlage der Forsterschen Gedankenwelt hervor, durch die sich diese zweifellos in ihrer Zeit besonders auszeichnete." Philos. Schriften, a. a. O., S. X X V I I f . '
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fahrung, ein Mißtrauen gegen jede Art von Metaphysik ist der hervorstechendste Zug in Forsters gedanklicher Entwicklung in der Wilnaer Zeit. „Selbst forschen, und nichts auf Treu und Glauben annehmen, was nicht sich sicher aus anerkannten Datis folgern läßt! . . . J e t z t fühle ich erst, wie tief gegründet das Reich des Aberglaubens ist. So weit kann man es bringen, wenn man eine Reihe von Sätzen, mit Hartnäckigkeit und mit Verdammung des Gegentheils als Wahrheit himmelhoch erhebt und mit Schwärmerei predigt, daß man sich endlich fürchtet, eine andere Art von Wahrheit zu suchen, zu finden, und wenn man sie gefunden hat, ihr noch zu glauben, weil man immer noch denkt: ,gleichwohl wenn es anders wäre, wenn es wahr wäre, was jene Leute Jahrtausende hindurch behauptet haben? . . .' — J a so ist es; und wer das argumentum a t u t o lieb hat wird immer sich nicht wagen, seinen eignen fünf Sinnen zu trauen, weils doch anders sein könnte. Ist das nicht eine klägliche Herrschaft, in welche des Menschen Denkkraft gerathen ist? Wo ist da Aufklärung zu hoffen? Wie weit sind wir da von Freiheit zurück? Und wenn wir diese Freiheit haben, wie weit ists von uns bis zur Wahrheit? Wie werden wir je auf den Grund kommen? Oder sollten wir's nicht? Ist es absurd, daß wir dem Triebe zu grübeln, zu suchen, zu forschen, nachhängen?" 1 0 I n der Religionsauffassung h a t Forster zu dieser Zeit weitgehend indifferente, ja atheistische Tendenzen. Zumindest fühlt er sich an keins der kirchlichen Bekenntnisse gebunden. Den Deismus lehnt er, darin dem alten Lessing vergleichbar, mit dem Argument ab, damit werde unter der Larve der Vernunft, also der Begreifbarkeit, wieder eingeschmuggelt, was ohne diese Larve für jeden als nicht beweisbar auf der Hand liege. I n diesem Zusammenhang h a t er sich später auch gegen Kants mit den Postulaten der praktischen Vernunft religiös ausgehende Moralphilosophie gewendet, worin er mit Recht den Zusammenhang mit der Glaubensphilosophie Jacobis erkannte. 1 1 „Was die herrschende Religion betrifft" — schreibt er am 10. 10. 1784 an Sömmerring —, „so wirst Du, wenn Du es recht bedenkst, bald einsehen, daß es heutzutage völlig gleichgültig ist, welche man äußerlich profitirt. Das Beste ist, man h a t endgültig aufgehört in guten Gesellschaften von den Zänkereien der Pf äfflein zu sprechen, und nun hören sie auch auf zu zanken, und fressen und saufen friedlich nebeneinander auf Unkosten der übrigen Welt, die aus langer Angewohnheit ihren Stand für unentbehrlich hält." 1 2 Das dritte charakteristische Moment ist seine immer wieder aus Lessings Nathan entwickelte Toleranzauffassung, die aber, wie zu zeigen ist, auch mit Jacobischen Ansichten vermittelt ist. Jeder möge glauben und denken, was er f ü r richtig hält — was an sich richtig ist, könne niemand wissen —, solange er nur die davon nicht 10 An Sömmerring, a. a. O., S. 101, vgl. dazu auch S. 119, 191, 195f., 206 u. 466. 11 „Denn irre ich nicht, so finde ich in Kant's Schriften Spuren, daß er gar sehr auf die Jacobi'sche Seite hängt, zu glauben, wo man nicht beweisen kann." An Sömmerring, a. a. O., S. 333f. 12 An Sömmerring, a. a. O., S. 142, vgl. dazu auch S. 108, 194, 209f., 290, 292, 299, 363, 448 u. 466.
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abhängige Moral und die Gesetze der Gesellschaft und des Staates nicht verletze. W^as einer glaubt, muß sich durch seine Handlungen rechtfertigen. Autorität und Zwang, ob in Gestalt persönlicher Proselytenmacherei oder als Totalitätsanspruch eines Systems der reinen Vernunft 13 , ein starres Begriffssystem in den Wissenschaften, wofür er später den Ausdruck vom „gelehrten Zunftzwang prägt" 1 4 , verurteilt er scharf, „ . . . w a s heißt denn Toleranz, wovon wir so strenge Verfechter sind, wenn nicht Verschiedenheit der Meinung dabei bestehen soll? — Und diese Verschiedenheit bringt Wahrheit an's Licht", schreibt er am 5. April 1787.15 Gemäß dieser skizzierten Einstellung beurteilt Forster die einzelnen literarischen und philosophischen Neuerscheinungen, soweit er deren in Wilna habhaft werden kann. Sie werden hier nur insofern besprochen, als sie mit seinem Verhältnis zu Jacobi in Zusammenhang stehen. Forsters Abgeschnittenheit von den eigentlichen Zentren der Auseinandersetzung in Deutschland hat nicht nur den Nachteil, daß er einschlägige Schriften nicht in vollem Umfang und nicht unmittelbar nach Erscheinen bekommt, sondern scheint auch den zu haben, daß er über z. T. subjektive, persönliche Motive bestimmter Gegensätze nicht genau informiert ist. So gerät er z. B. in der Auffassung Kants — wenn man in dieser Zeit überhaupt von einer solchen Auffassung sprechen will —, mit dem er sich über Ursprung und Definition der Menschenrassen in eine Auseinandersetzung eingelassen hatte 1 6 , auf die Linie Hamanns und Herders, was von Forsters Standpunkt aus sachlich nicht begründet ist. Die Argumente z. B., die Kant in seiner Rezension der Herderschen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit vorgebracht hatte 1 7 , entsprechen im wesentlichen den Urteilen, die Forster in seinen Briefen an Sömmerring über dieses Werk abgibt. 18 Festzuhalten ist, daß Forster sich zu dieser Zeit mit dem Studium der ersten Teile der Herderschen Ideen befaßt 19 , deren unwissenschaftliche Hypothesen, deren Palingenesiegedanken er im einzelnen, wie Kant, kritisiert, deren Gesamtanschauung von Natur und Gesellschaft, deren dichterische Naturreligion und deren entwicklungsgeschichtliche Tendenzen er im ganzen positiv beurteilt. Noch in dem Essay Über Leckereien20 ist die unmittelbare Einwirkung von Herders Naturanschauung deutüch sichtbar, wenn er mit dem Gedanken einer Teleologie in der Natur spielt und Natur gewissermaßen 13
Vgl. Über den gelehrten Zunftzwang, a. a. O. « Vgl. ebd., besonders S. 177ff. »5 An Sömmerring, a. a. O., S. 374, vgl. dazu auch S. 108, 194, 363, 379 u. 448. 16 Noch etwas über die Menschenraßen. Der Teutsche Merkur, 1786, Bd. IV, S. 5 7 - 8 6 (Okt.) u. S. 150-166 (Nov.). 17 Immanuel Kant's Werke, hrsg. v. Hartenstein, Bd. IV, Leipzig 1838, S. 311 bis 338. , 18 Vgl. an Sömmerring, a. a. O., S. 222ff. « Ebd., S. 206. 20 Philos. Schriften, a. a. O., S. 3 0 - 5 2 .
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als Inbegriff der Genußmittel definiert. „Man sollte denken, es verstünde sich von selbst, daß die Fähigkeit zu genießen auch eine Bestimmung dazu mit in sich schließt, sobald die Gegenstände des Genusses in der Natur anzutreffen sind", schreibt er dort. 21 Die Herdersche Naturauffassung behält Förster später in den Auseinandersetzungen um Herders Gott und die Spinozaauffassung im wesentlichen bei. Die gedankliche Atmosphäre der achtziger Jahre des Jahrhunderts in Deutschland ist neben dem langsamen Durchdringen des Kantianismus besonders durch den sich an Spinoza entzündenden Pantheismusstreit bestimmt. Vermittelt durch die erneute Bekanntschaft mit der Philosophie Spinozas, klären sich die Fronten innerhalb der vorrevolutionären Aufklärungsideologie in Deutschland. Moses Mendelssohn vertritt die alte dogmatische Metaphysik. Auf der anderen Seite stehen Herders und Goethes Pantheismus und Kants Kritizismus, wobei Friedrich Heinrich Jacobi durch seine Veröffentlichungen und Polemiken den ganzen Vorgang einleitet, diese Fronten deutlich ins Licht rückt und sie den an dieser Auseinandersetzung unmittelbar Beteiligten mehr oder weniger zum Bewußtsein bringt. Jacobi kommt zu den bekannten Schlußfolgerungen, die mit der Gleichung von Philosophie und Atheismus die knappste Formulierung seiner gesamten Philosophie und seiner den späteren Polemiken zugrunde liegenden Argumente darstellen: 1. Spinozismus ist Atheismus. Die Leibniz-Wolffsche Philosophie führt in letzter Konsequenz auf Spinoza zurück. 2. Jede begriffliche Philosophie, d. h. alle bisherige Metaphysik seit Aristoteles, läuft auf Fatalismus hinaus, weil sie „keine selbst und mit Absicht hervorbringende, ursprüngliche Werke und Thaten beginnende, sonach einzig des Namens würdige, Freyheit" 2 2 begreifen kann. 3. Jeder Erweis setzt etwas schon Erwiesenes voraus, dessen Prinzip Offenbarung ist. „Alle Wirklichkeit, sowohl die körperliche, welche sich den Sinnen, als die geistige, welche sich der Vernunft offenbart, wird dem Menschen allein durch das Gefühl bewährt; es giebt keine Bewährung außer und über dieser." 23 Das Element aller menschlichen Erkenntnis ist Glaube. „Allemal und nothwendig ist ja der Beweisgrund ü b e r dem, was durch ihn bewiesen werden soll; er begreift es unter sich, aus ihm fließen Wahrheit und Gewißheit auf das zu beweisende erst herab, es trägt seine Realität von ihm zu Lehn." 2 4 Die Fakten dieser Pantheismusdebatte, bei der es sich zunächst um Lessings Weltanschauung, dann aber immer mehr um Spinozas Philosophie handelte, brauchen hier nicht im einzelnen wiederholt zu werden. 25 Friedrich Heinrich Jacobi hatte Moses Mendelssohn in Briefen wissen lassen, Lessing habe sich ihm gegenüber zum Spinozismus bekannt. Mendelssohn hatte darauf, ohne auf 21 Ebd., S. 37. 22 Friedrich Heinrich Jacobi's Werke, Bd. II, Leipzig 1815, S. 46. 23 Ebd., S. 108f. Jacobi's Werke, Bd. III, S. 367. 25 Vgl. Heinrich Scholz, Einleitung zu: Die Hauptschriften zum Pantheismusstreit zwischen Jacobi und Mendelssohn, Berlin 1916, S. XI—CXXVIII.
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diese Briefe direkt einzugehen, in seinen Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes (Berlin 1785) vom Standpunkt der alten Wölfischen Schulmetaphysik aus reagiert, für Lessing allenfalls einen geläuterten Spinozismus, d. i. einen völlig verwässerten, zugeben wollen, im übrigen aber die Möglichkeit der traditionellen Gottesbeweise erneut demonstriert in diesem, wie Kant es nennt, „letzten Vermächtniß einer dogmatisierenden Metaphysik und zugleich . . . dem vollkommensten Product derselben"26. Inzwischen hatte Jacobi aber im September 1785 seinen Briefwechsel mit Mendelssohn veröffentlicht und darin zum ersten Male seinen philosophischen Standpunkt zusammenhängend vorgetragen: Ueber die Lehre des Spinoza, in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (Breslau 1785). Mendelssohn antwortete mit der Schrift: Moses Mendelssohn an die Freunde Lessings (Berlin 1786), wogegen Jacobi seinerseits in dem Buch Wider Mendelssohns Beschuldigungen betreffend die Lehre des Spinoza (Leipzig 1786) sich verwahrte. Durch diese genannten Schriften wird Forster in Wilna mit der Pantheismusdebatte überhaupt und mit Jacobis Philosophie im einzelnen bekannt. „Jacobi hat ein sehr frommes Buch herausgegeben, über Spinoza u. dgl. Ich fürchte, des guten Mannes Schwärmerei nimmt eine falsche Richtung. Schade um seinen Kopf! Auch Mendelssohn hat über Metaphysik in seinen Morgenstunden viel geschrieben. Ich bin begierig, das Werk zu lesen", schreibt er an Sömmerring am 16. Januar 1786 27 . Jacobi hatte Porster, wie aus dessen Brief vom 10. 10. 1785 aus Posen, auf der Rückreise nach Wilna, hervorgeht, ein Exemplar seiner Spinozaschrift zugeschickt28, von der dieser später mitteilt (an Jacobi 10.11. 1788): „Ihren Spinoza habe ich in Polen dreimal, und hier in Mainz stellenweise wieder durchgelesen." 29 Man muß also schon für die Wilnaer Zeit eine genaue Lektüre des Buchs ansetzen. Gegen Mendelssohns Morgenstunden erinnert Forster, dergleichen Metaphysik habe keine Beweiskraft, das Gefährliche bei diesen Subtilitäten und Wortkämpfen sei, daß Mendelssohn von solchen Spitzfindigkeiten Moral und bürgerliche Tugend abhängig mache. „Anstatt mir einen Gott zu beweisen, wie er ist, beweist mir Mendelssohn weiter nichts, als wie er s e l b s t sich denkt, wenn er G o t t wäre; das ist Mendelssohn, der die Rolle Gottes spielt. Nun mag ich aber Mendelssohn nicht zu meinem Gott." 30 Die Kritik entspricht also seiner empirischen Einstellung und enthält gleichzeitig den für Forster charakteristischen Hinweis, theoretisch begründete Sittenlehren seien für das unmittelbare praktische Verhalten entbehrlich, ja nachteilig. Ausführlicher äußert er sich über Jacobis Spinozaschrift. „Wie kläglich vom guten Fritz Jacobi dieBibel deswegen zu schätzen, weil sie Sensation gemacht. . . . Ein jedes Ding macht Sensation, nach Verhältniß der Umstände mehr oder 26 K a n t ' s Briefwechsel, Bd. I, 2. Aufl., Berlin u. Leipzig 1922, S. 428 (Kant's gesammelte Schriften, Bd. X ) . 2 7 An Sömmerring, a. a. O., S. 267. 28 Briefwechsel, Th. I, S. 535. 29 Ebd., S. 705. 30 An Sömmerring, a. a. O., S. 292. ( Seiffert, Neuere Literatur
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weniger; Allein wie groß ist der Sprung von da bis zur Heiligkeit, Göttlichkeit, Wunderthätigkeit und wundersamen Abkunft des Dinges?" 3 1 Des weiteren am 10. September 1786: „. . . daß Jaeobi so fürchterlich schwärmt, als je ein Schwärmer gethan, und das — erbarm es Gott! — nach Anleitung eines so jämmerlichen sophistischen Schlusses als ich je einen gehört habe. Alle unsere Erfahrung, sagt er, d. i. all unser Wahrnehmen durch die Sinne ist Glauben, denn wir g l a u b e n , daß wir einen Körper haben . . . ja wir g l a u b e n , daß außer uns Dinge da sind, weil wir Veränderungen in uns verspüren; ob wir gleich aus der Empfindung noch keine Wirklichkeit demonstrieren, sondern bloß eine g l a u b e n . — Folglich können wir auch g l a u b e n , was die Religion lehrt; was nie Veränderungen in uns zuwege brachte, was nie auf unsere Sinne wirkte, was allem unserm sinnlichen Glauben, wenn ich ihn so nennen darf, widerspricht. Wie kläglich hängt das zusammen? Und wie natürlich folgen daraus die gewöhnlichen Litaneien aller Schwärmer, die herrschsüchtigen, alleinweisen, intoleranten Ausdrücke gegen alle, die nicht so denken wie Er, Ausdrücke, die auf jeder Seite des Jacobi'schen Buchs zu finden sind . . . Recht gut; ich habe nichts dawider. Wenn er nun aber einen jeden, der nicht mit Ihm Kopfunter macht, einen Atheisten schilt, und es dabei nicht bewenden läßt, sondern mit dem Begriff vom Atheisten alles Schändliche, Verabscheuungswürdige, was je der Fanatismus in seiner Raserei darüber deraisonnirte, verbindet, so danke ich für seine Weisheit und fühle in meinem Herzen, daß ich einem Engel, der mir so spräche, keinen Glauben beimessen würde. Ich weiß nichts besseres und kann nichts besseres finden, ich bin weit entfernt, dies für's B e s t e zu halten; aber es ist nach meiner Vernunft und nach meinem Gefühl das Beste f ü r m i c h . Das wäre nun also m e i n e Art, mich meiner Weisheit zu freuen; sie ist eben so eigensüchtig wie jene, aber ich glaube, nicht ganz so herrschsüchtig." 32 Forster geht also auf den eigentlichen Streit um Spinoza nicht ein. Das mag zwei Gründe haben. Einmal hat er zuwenig Detailkenntnis, um in der Spinozafrage etwas entscheiden zu können. Andererseits lehnt er in dieser Periode, wie wir gesehen haben, jede Art von Metaphysik, Schwärmerei und Glauben ab und liest aus Jacobis Buch zunächst nicht mehr heraus als eine neue Form dieser ihm verhaßten, gerade überwundenen Ausschweifung ins Nichtbeweisbare. Dem entsprechen seine beiden Argumente gegen Jacobi. Erstens sei der Schluß von der unmittelbaren Gewißheit der Außenwelt auf die Realität eines persönlichen Gottes, eines Unbedingten, von dem doch nicht jeder, wie Jacobi behaupte, eine solche unmittelbare Gewißheit habe, nicht beweiskräftig. So könne alles mögliche geglaubt werden, und man könne demzufolge auch alles mögliche, was jeweils mit der subjektiven Gewißheit nicht übereinstimme, als Atheismus denunzieren. Nun hatte allerdings auch Jacobi einen solchen S c h l u ß nicht gemacht. Es liegt hier ein gewisses, durch Jacobi nicht unverschuldetes Mißverständnis vor, 31 Ebd., S. 306.
32 Ebd., S. 334f.
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das nicht nur bei Forster, sondern auch bei arideren Zeitgenossen dadurch entstehen mußte, daß Jacobi die unmittelbare Gewißheit von zwei grundsätzlich verschiedenen, auch bei Jacobi selbst unterschiedenen Bereichen des Sinnlichen und Übersinnlichen mit dem einen, noch dazu religiös gefärbten Wort „Glauben" bezeichnet hatte. Jacobi hat sich über diese Äquivotation später selbst geäußert 33 und verständlicher von z w e i Erkenntnisquellen des Menschen gesprochen: der sinnlichen Anschauung und der rationalen Anschauung der Vernunft, die beide in gleicher Weise, die eine das Bedingte, das von ihm als objektiv real aufgefaßt wird, die andere das Unbedingte positiv offenbaren. Aus der angegebenen Briefstelle Försters geht nicht eindeutig hervor, ob er der einen Seite des Jacobischen „Schlusses", d. h. des Glaubens an die Realität der Außenwelt, der durch die Sinneswahrnehmung vorhandenen unmittelbaren Gewißheit der objektiven Realität, in dieser Jacobischen Form zugestimmt hat, obwohl sein oben skizzierter Standpunkt daran keinen Zweifel läßt. Jacobi hat diese Seite seiner Philosophie in der schon genannten Schrift über David Hume näher ausgeführt und darin seinen erkenntnistheoretischen Realismus begründet. Den dort vorgetragenen Auffassungen, besonders in der Frage von Raum und Zeit, hat Forster in seiner Mainzer Zeit, wie wir aus Briefen wissen, zugestimmt. In der Ablehnung der zweiten Jacobischen Erkenntnisquelle des Übersinnlichen stimmt Forster zu dieser Zeit in der Tendenz mit Kants Urteil überein, der in seinem Aufsatz Was heißt: sich im Denken orientiren?3/1 jene bekannte Warnung gegen die Jacobische Verachtung von Vernunft und Wissenschaft emphatisch ausgesprochen hatte. „Wenn also der Vernunft in Sachen, welche übersinnliche Gegenstände betreffen, als das Dasein Gottes und die künftige Welt, das ihr zustehende Recht z u e r s t zu sprechen bestritten wird; so ist aller Schwärmerei, Aberglauben, ja selbst der Atheisterei eine weite Pforte geöffnet. Und doch s c h e i n t in der J a c o b i ' s e h e n und M e n d e l s s o h n ' s e h e n Streitigkeit Alles auf diesen Umsturz, ich weiß nicht recht, ob blos der V e r n u n f t e i n s i e h t und des Wissens (durch vermeinte Stärke in der Speculation), oder auch sogar des V e r n u n f t g l a u b e n s , und dagegen auf die Errichtung eines anderen Glaubens, den sich ein Jeder nach seinem Belieben machen kann, angelegt. . . Männer von Geistesfähigkeiten und von erweiterten Gesinnungen! Ich verehre Eure Talente und liebe Euer Menschengefühl. Aber habt Ihr wohl überlegt, was Ihr thut, und wo es mit Euren Angriffen auf die Vernunft hinaus will? Ohne Zweifel wollt Ihr, daß F r e i h e i t zu d e n k e n ungekränkt erhalten werde; denn ohne diese würde es selbst mit Euren freien Schwüngen des Genies bald ein Ende haben." 35 Für Kant, mit anderen Worten, gerät hier die gesamte Bewegung der Aufklärung innerlich (Verwerfung von wissen33 Vgl. Jacobi's Werke, Bd. II, S. 7 f. Berlinische Monatsschrift, 1786, S. 304r-330 (Okt.). 35 Kant's Werke, hrsg. v. Hartenstein, Bd. I, S. 132f.
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schaftlicher Philosophie überhaupt) und äußerlich (politische Folgen des Vorwurfs des Atheismus) in Gefahr. Forster meint in der Tendenz dasselbe, obwohl er diesen Aufsatz als Schützenhilfe für die Berliner Aufklärung36 mißversteht, den Vernunftglauben, wie wir wissen, ohnehin ablehnt und in dieser Zeit wohl in der Tat meinte, nicht nur nicht die Möglichkeit eines göttlichen Wesens einsehen zu können wie Kant, sondern wie Jacobi die Unmöglichkeit Gottes demonstrieren zu können. Später37 spielt er ironisch auf das „Sich-Orientieren" an, nachdem er in Mainz in der Beurteilung Kants auf Jacobis Seite übergegangen ist und dessen Standpunkt im Ansatz bejaht. „Ihre Philosophie hat eben darin etwas sehr Großes geleistet, daß sie der E m p f i n d u n g zurückgegeben hat, was die D e n k k r a f t usurpirt hatte." 38 Sein zweiter Einwand richtet sich gegen Jacobis angebliche Intoleranz. Nun ist diese Seite seines Urteils über Jacobi, das er später in dieser Hinsicht auch revidiert39, nicht ganz gerechtfertigt und bezieht sich vermutlich mehr auf die individuelle Form des „Briefstellers" (Schelling) Jacobi als auf den sachlichen Inhalt von dessen Schriften. Gerade der Schluß der angeführten Briefstelle Forsters, jeder möge glauben, was er für das Beste hält, ist eminent Jacobisch. Diese Worte entsprechen nämlich genau dem, was bei Jacobi die Griechen den Persern erwidern. „Sie [die Spartaner Spertias und Bulis] wurden nicht viel deutlicher beym Xerxes selbst, vor dem sie nicht niederfallen wollten, und der sie nicht tödten ließ, sondern sie auch bereden wollte, seine Freunde, und so glücklich wie er selbst zu werden. Wie könnten wir (sagten die Männer) hier leben; unser Land verlassen, unsere Gesetze, und s o l c h e Menschen, daß wir, um für sie zu sterben, freywillig eine so weite Reise unternommen haben. Spertias und Bulis mochten leicht weniger Fertigkeit im Denken und im Schließen haben, als die Perser. Sie beriefen sich auch nicht auf ihren Verstand, auf ihr feines Urteil, sondern auf D i n g e , und auf ihre Neigung zu diesen Dingen. Sie rühmten sich dabey auch keiner Tugend; sie bekannten nur ihres Herzens Sinn, ihren Affect. Sie hatten keine Philosophie, oder ihre Philosophie war bloß Geschichte. Und kann lebendige Philosophie je anderes als Geschichte seyn?" 40 Mit anderen Worten, Jacobi führt hier alles auf unmittelbare Überzeugung, Gewohnheit und Neigung zurück, auf ein G e f ü h l des Wahren; Guten und Schönen, das jeder notwendig voraussetze, das dabei eine objektive Verbindlichkeit haben solle, in Wirklichkeit als Gefühl und Unmittelbarkeit über das bloß Subjektive natürlich nicht hinauskommen kann. Man weiß, was schon Hegel, der große Kritiker jeglicher Unmittelbarkeit, dem jede Unmittelbarkeit immer ein schon Vermitteltes war, gegen diese Stelle zu erinnern hatte. „Kann es aber eine größere Deutlichkeit des Sittlichen geben? . . . der 36
An Sömmerring, a. a. O., S. 360. 37 Philos. Schriften, a. a. O., S. 72. 38 Briefwechsel, Th. I, S. 739. 39 Briefwechsel, Th. I, S. 799. Hainebach a. a. O. (s. Anm. 6), S. 112f. 11 S. oben Anm. 6.
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Dienst der Werbung für eine stehende Bühne und eine Schauspielschule. Als Theaterdichter holte man den Dr. jur. und ehemaligen Offizier Heinrich Gottheb Schmieder aus Erfurt, der außerordentlich tätig war, sowohl als geschickter Übersetzer von Opern und Operetten wie auch als Verfasser längst mit Recht vergessener Sing- und Lustspiele, und der 1792 durch ein kurzlebiges „Allgemeines Theaterjournal" Schreibers „Tagebuch der Mainzer Schaubühne" fortzusetzen suchte. Es war gelungen, als Schauspieler und Sänger die besten Kräfte der bisherigen Frankfurt-Mainzer Truppe und ausgezeichnete Künstler aus anderen Gesellschaften zu gewinnen. 12 Die Oper — so schreibt der Schauspieler Josef Anton Christ, der die einzelnen Bühnen, an denen er gewirkt hat, sehr kritisch beurteilt und über reiche Erfahrungen verfügt, in seinen Lebenserinnerungen enthusiastisch — würde „wohl nie wieder in Deutschland so zusammenkommen, wie sie in den Jahren 1790, 91 und 92 in Mainz war" 1 3 . In ihr ragten unter der Stabführung Stegmanns, der zugleich ein guter Bariton war, Friedrich Eunicke, einer der besten deutschen Tenöre der Zeit, der Tenor Ignaz Walter (sen.), der sich auch als Opernkomponist versuchte, und die Bassisten Johann Baptist Hübsch und Jonas Krug hervor, unter den Sängerinnen die sehr angenehme Altistin Marie Walter, die brillante junge Margarethe Luise Schick, geborene Hamel, die Frau des bedeutenden Violinisten Ernst Schick, die sich in einer erst kurzen Tätigkeit in Mainz, ihrer Vaterstadt, viel Beifall erworben hatte, und in tragischen und naiven Rollen Eunickes Frau Henriette, geborene Schüler, während die Soubrette Therese Schwachhofer, gleichfalls eine Mainzerin, als ein neuer Stern am Bühnenhimmel aufging. Für das Schauspiel hatte Koch den gewandten Komiker Hans (eigentlich Johann Christoph) Beck, gewinnen können, der sich bei der Seylerschen und Großmannschen Truppe und in Mannheim ausgebildet hatte, ferner den besonders als Don Carlos beliebten Porsch und den vielseitigen Christ - einen meisterhaften Verkörperer des Riccaut de la Marlieniere - , den Iffland zu den deutschen Künstlern ersten Ranges zählte, und für komische Rollen dessen Schwiegersohn Joachim Friedrich Mende d. J., der sich in Riga, Reval und Petersburg seine Sporen verdient hatte, für intrigante Rollen Alois Wolschowsky, der mit seiner Frau, der Schauspielerin und Soubrette Franziska Wolschowsky, geborene Kaffka, von Wiener Neustadt nach Mainz gekommen war. Außerdem betätigte sich der Operndirektor Stegmann sehr erfolgreich in Sprechrollen. Als Schauspielerinnen bewährten sich die Opernsängerinnen Eunicke und Schwachhofer, ferner Frau Karoline Stegmann, geb. Linz, und die gleich ihrem Mann in hochkomischen Rollen originelle Frau Henriette Beck, verwitwete Wallenstein; vor allem aber wirkte seit 1787 in Mainz die als Schönheit und durch die Darstellung der Minna von Barnhelm, 12 Den Personalbestand des Mainzer Nationaltheaters, der sich auf Grund des Gothaer Theaterkalenders auf das Jahr 1790 (S. 91 ff.) und das Jahr 1791 (S. 220ff.) ergibt, bringen wir als Anhang im Anschluß an diesen Aufsatz. 13 Schauspielerleben. Erinnerungen von J. A. Christ. Neue Ausg. Berlin (1949) S. 226.
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Emilia Galotti, Ophelia und Elisabeth berühmt gewordene Fanny Fiala, die inzwischen mit Erfolg zu Mutterrollen übergegangen war. Christs Tochter Annette Mende spielte nicht nur erste Liebhaberinnen sehr ausdrucksvoll, sondern beherrschte eine weite Rollenskala in Schauspiel und Oper. Man • hatte in Mainz auch einen vielversprechenden Nachwuchs heranzubilden vermocht. So wurden unter anderen die Kinder Stegmanns für die Bühne geschult. Christ hatte große Erfolge bei der Ausbildung Betty Kochs, der talentierten Tochter des Direktors, die 1792 mit 14 Jahren schon auf eine mehrjährige Laufbahn als Schauspielerin zurückblicken konnte, und des jüngeren Walter, der zu seiner guten Tenorstimme schauspielerischer Wendigkeit bedurfte. Frau Schick verdankte ihr Können vor allem dem Mainzer Kapellmeister Vincenzo Righini, der auch als Komponist Erfolge aufzuweisen hatte. Die Künstler mit Koch an der Spitze haben es sich angelegen sein lassen, zu der Entwicklung des deutschen Theaters zu einer Bildungsstätte des Bürgertums und der Herausbildung einer realistischen Schauspielkunst, wie sie ein Ekhof eingeleitet und ein Schröder und Iffland weitergeführt hatten, an ihrem Platze nach Kräften beizutragen. Der sachkundigste Gewährsmann für den künstlerischen Aufschwung, den die Mainzer Bühne in kurzer Zeit nehmen konnte, ist Iffland. Er schrieb am 15. Mai 1789 an den Schauspieler und Naturforscher Ferdinand Ochsenheimer, einen gebürtigen Mainzer: „Vor zwei Jahren noch war mir Euer Theater ein Greuel . . . Trotzdem, ich muß gerecht sein, habt Ihr itzt das beste Theater Deutschlands, das unsere ausgenommen, weil ich darauf spiele, versteht sich." Nachdem er sich recht drastisch über die einzelnen Künstler ausgelassen hat, betont Iffland: „Was mich am meisten freut bei Euch, das ist der so lebendig erwachte Kunstsinn; der ist mehr als alle Reform, die vom Geldkasten hervorgeht." v> Obwohl der Adel nach außen hin das Theater beherrschte, war er keineswegs Träger des von Iffland hervorgehobenen Kunstsinnes. Der Mainzer Adel war, wie Johann Nikolaus Becker, ein kritischer Beobachter, in Übereinstimmung mit anderen Zeitgenossen berichtet, „einer der zahlreichsten und mächtigsten im ganzen Deutschland". „Gemeiniglich ist es dieser Menschenklasse zur andern Natur geworden, sobald sie ihre Stärke fühlt, dieselbe zu benutzen und mit schnöden Blicken auf die andern Kinder der Natur herabzusehen. Daß man davon hier mehr als an irgend einem andern Orte überzeugt werden kann, wollte ich mit hundert Beispielen beweisen." 15 Die Künstler wurden in ihrem Streben in erster Linie vom Mainzer Bürgertum unterstützt, das ein lebhaftes Interesse an der Bühne bewies. Die Kritik der Bühnenstücke und 14
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Zitiert nach Peth a. a. O. S. 90f. Die Tätigkeit des Mainzer Nationaltheaters unter Koch ist bisher innerhalb der deutschen Theatergeschichte noch kaum berücksichtigt worden. Sie wird z. B. von Heinz Kindermann in seiner Theatergeschichte der Goethezeit (Wien 1948) völlig übergangen. [Johann Nikolaus Becker:] Über Mainz. In Briefen an Freund R. Auf einer Rheininsel 1792. S. 93. Die folg. Anf. S. 143.
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des Spiels ging vor allem von der jungen bürgerlichen Intelligenz, von den Mainzer Studenten aus, die auf der obersten Galerie ihre Plätze hatten. Von dort her würde im Gegensatz zu den Logen des Adels Beifall für echte künstlerische Leistung gespendet, betont Becker, „da sitzen meist Akademiker, denen ich hier das Lob geben muß, daß sie die größten Kenner vom Theater sind". Und Iffland hebt in seinem bereits erwähnten Brief an Ochsenheimer hervor, die „vornehmen Herrn und Damen" in Mainz, die sich „pikierten", Kenner des Theaters zu sein, hätten „aber doch klüglich die Kritik dem Paradies [der Galerie] überlassen, wo die Universität herrscht". Der Ton, den die Studenten angaben, fand die Zustimmung der Mehrzahl der theaterinteressierten Bürger. Wie lebhaft das Mainzer Bürgertum von seiner politischen Position aus die Geschehnisse auf der Bühne betrachtete und zu ihnen Stellung nahm, geht aus einem im Sommer 1791 geschriebenen Reisebericht von Alois Schreiber 16 hervor, in dem es über das Mainzer Theater heißt: „Die entfernteste Anspielung, die im Schauspiele auf den Adel vorkommt, wird von dem Parterre und selbst den letzten Plätzen mit einem Beifall ausgezeichnet, der die Gesichter in den Logen nicht selten mit Blässe und Röte überzieht." Daß es dabei nicht um den Beifall für Derbheiten und für vordergründige Verunglimpfungen des Adels ging, sondern um die grundsätzlichen Ziele der bürgerlichen Emanzipation, zeigt der Beleg, den Schreiber bringt, um „von hunderten nur ein Beispiel anzuführen": „Als der Oberpriester in der , Sonnenjungfrau' zu seinem Neffen sagte: ,glaube mir, Sohn, wenige Menschen stehen an ihrem Platze, und am wenigsten dann, wenn die Geburt ihn anweist' — waren alle Hände, die nicht dem Adel und seinen Dienern gehörten, in Bewegung." Wir wissen, daß sich hier, auf kulturellem Gebiet, das Streben des Bürgertums nach einer Einschränkung des Einflusses der feudalen Kräfte kund tat, nach einer gesellschaftlichen und ökonomischen Ordnung, in der die immer enger werdenden Fesseln der feudalen Ökonomie und Gesellschaft abgestreift werden zugunsten der Entfaltung kapitalistischer Produktionsverhältnisse. Daß schon den Zeitgenossen bewußt wurde, in welchem Maße ökonomische Gründe mitbestimmend für die Ablehnung des Mainzer Adels durch ein den wirtschaftlichen Fortschritt erstrebendes Bürgertum waren, geht aus der Bemerkung Beckers hervor, man habe erkannt, „daß der ungeheure Aufwand des Adels ein großes Hindernis der Handlung sein müsse", da der Adel „seine Goldstücke meistens an Dinge verwendet, welche die Handlung unterdrücken". Indessen: Die herrschenden Kräfte des Kurfürstentums suchten zunächst ihre Position im Theater auszubauen. Im Winter 1791 wurde die Mainzer Bühne in einen neuen Status überführt, und zwar im Zusammenhang mit der 16
[Alois Schreiber:] Bemerkungen auf einer Reise v o n Strasburg bis an die Ostsee. I m Sommer 1791. 1. H ä l f t e : bis Mainz. Leipzig 1793 S. 128f. Ähnlich berichtet Becker a. a. O. S. 143. Die folgende Anf., ebenda, S. 102. — „Die Sonnenjungfrau" ist ein Schauspiel von A. von Kotzebue (1789, gedruckt Leipzig 1791).
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endgültigen Trennung von Frankfurt am Main, das bisher in den Sommermonaten von Mainz aus bespielt worden war. Während seit Gründung des Nationaltheaters der Intendant zusammen mit dem künstlerischen Direktor für den E t a t des Theaters verantwortlich war, der sich aus den Einnahmen und einem Zuschuß der Regierung zusammensetzte, gingen von nun an die Einnahmen und Ausgaben ganz allein auf Rechnung der kurfürstlichen Kammer. Das bedeutete, daß das Theater noch enger an den Hof gebunden wurde und der feudale Einfluß verstärkt werden konnte. Folgerichtig firmierte man von nun an die Mainzer Bühne als „kurfürstliches Mainzisches Nationaltheater". Die im Zusammenhang mit der neuen Organisationsform des Theaters entstandenen Akten 1 7 geben Aufschluß über die reaktionäre Zielsetzung, die der Bühne durch das absolutistische Regime im Wetterleuchten der Französischen Revolution gegeben wurde. Als die Theatergemeinschaft mit Frankfurt a. M. ins Wanken geriet, schrieb Freiherr von Dalberg an den Kurfürsten: „Bei den jetzigen, so allgemein werdenden Revolutionsköpfen sind die dahin einschlagende Mittel [der Beschäftigung und Unterhaltung] die vorzüglichsten, wie diesem Übel abgeholfen werden kann." Er wies auf den „dummstolzen Kaufmann, den gefährtevollen Demokraten" hin, „dessen einziges Dichten und Trachten Fürstenhohn und Herabsetzung des Adels ist". Der Mainzer Finanzminister Freiherr Alexander von Seckendorf forderte, „daß vornehmlich auf die Aufführung guter — lehrreicher — sittlicher — und den heutigen Schwindelgeist nicht begünstigender Schauspiele der vorsichtige Bedacht genommen wird." Als sich dann Frankfurt von Mainz getrennt hatte und das Mainzer Theater in Geldschwierigkeiten geraten war, schlug von Dalberg vor, es in kurfürstliche Regie zu übernehmen, da „der äußerst auffallende Demokratengeist und Stolz der Frankfurter Handelsleute" wachse, wenn die Bühnenfrage in Mainz nicht entsprechend gelöst würde, und da „der an allen Orten herrschende Schwindelgeist mit etwas beschäftiget werden muß, um größeren Folgen zuvorzukommen". Seckendorf assistierte ihm mit der Feststellung, wenn keine regelmäßigen Theateraufführungen stattfinden würden, könnte „die Langeweile in den Abendstunden zu mancherlei Zusammenkünften und Gesellschaften schädlicher Art Anlaß geben". Als Vertreter der absolutistischen Interessen forderte von Dalberg also aus nüchterner antirevolutionärer Überlegung, ein stehendes kurfürstliches Theater trotz der bedeutenden Kosten, die es verursachen würde, zu etablieren, und zwar zur politischen Neutralisierung des Bürgers; er betonte: „alle politische Rücksichten in Ansehung des hiesigen Publikums walten derhalb ob". 17
Staatsarchiv Darmstadt, Mainzer Theaterakten I, 3 Konv. 93. Zitiert nach Hainebach, a. a. O., S. 115f., auch die folg. Anf. — Die Akten der französischen Verwaltung von Mainz während der Jahre 1792—1813 (Aktenbestand „Depart. Donnersberg"), in denen sich auch Materialien über das Mainzer Theater befanden, sind leider beim Bombenangriff auf Darmstadt im September 1944 zugrunde gegangen (Auskunft des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt).
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Der negative ideologische Einfluß der feudalen Auftraggeber ist heute vor allem noch an der Spielplangestaltung abzulesen. Entsprechend der Zielsetzung des Theaters als eines Mittels der Ablenkung von politischer Betätigung, der bloßen Unterhaltung durch unproblematische Stoffe, beherrschte die Bühne von 1788—1792 das flache Gesellschaftsstück, während die Musikpflege jedoch durch die Aufführung von drei Mozartopern gekennzeichnet ist. Von anspruchsvolleren Dramen bot die mit sehr guten schauspielerischen Kräften besetzte Bühne nur Goethes „Egmont" und Klingers „Konradin". Wie ganz anders sah aber der Spielplan in den Jahren vorher aus, als die Kochsche Truppe von 1786 an in Mainz (und Frankfurt a. M.) auf eigene Verantwortung spielte! Da hatte man von der Dramatik der Klassiker Lessings „Minna von Barnhelm" und „Emilia Galotti", Goethes „Clavigo" und Schillers „Don Carlos" auf die Bühne gebracht. Und zuvor hatte Großmann die Mainzer mit Goethes „Clavigo", mit Lessings „Miß Sarah Sampson", „Emilia Galotti" und „Minna von Barnhelm", mit Schillers „Kabale und Liebe" und „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" begeistert, u. a. Voltaires „Alzire", Molieres „Der junkerierende Philister" und Goldonis „Diener zweier Herrn" aufgeführt und Shakespeares „König Lear", „Richard I I . " und „Die bezähmte Widerbellerin" inszeniert. Die Aufführung von „Kabale und Liebe" z. B., die kurz nach der Mannheimer Uraufführung 1784 stattgefunden hatte, war von Großmann zu einem Höhepunkt des Mainzer Theaterlebens gemacht worden, indem er als Gäste Iffland für die Rolle des Kammerdieners und Johann David Beil für die des Miller aus Mannheim herübergeholt hatte. 1 8 Als Mainz in die Einflußsphäre der Französischen Revolution kam, zeigte sich an dem Verhalten der Mitglieder der Bühne deutlich, daß sie Opportunismus daran hinderte, den Schritt zu tun, der von der Bejahung einer bürgerlichen Nationalkultur zum offenen Eintreten für die Ideen der bürgerlichen Revolution führte. Zwar schloß sich die Kochsche Gesellschaft nicht dem kurfürstlichen Hofe, dem Adel und der Hofkamarilla an, als diese eilig aus Mainz flohen. Die Künstler blieben aber nicht etwa aus Begeisterung für die Französische Revolution in Mainz, sondern weil der Apparat der Nationalbühne für den im übrigen auf die Beschwerlichkeit des Wanderns verwiesenen Schauspieler ein Fundament war, von dem man sich nicht so leicht löste, und weil Koch und seine Mitarbeiter wohl glaubten, die vermutlich kurze Zeit der französischen Besetzung in Mainz überstehen zu können. Man konnte sich das Gedeihen einer glanzvollen Bühne nur unter den Fittichen eines feudalen Herrschers vorstellen, und so schloß sich von der gesamten Theatergesellschaft nur der Souffleur Johann Karl Sommer den Jakobinern an. 19 18 Siehe Peth a. a. O. S. 70 und Wolter a. a. O. S. X V I I I - X X V I I I . Die Vorstellung fand am 3. Mai statt. 19 Siehe: Das Mainzer rothe Buch oder Verzeichnis aller Mitglieder des Jakobinerklubs in Mainz; 2 versch. Drucke 1793. — In den „Annalen des Theaters", 12. H., Berlin 1793, S. 123 heißt es unter „Anekdoten. Miscellaneen": „Der Souffleur Sommer in Mainz war, während daß die Franzosen diese Festung im
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Christ, der den revolutionären Vorgängen in Mainz keine Sympathie entgegenbrachte, schreibt in seiner Autobiographie 20 , daß das Theater personal, weil es befürchtete, sonst Mißhandlungen ausgesetzt zu sein, geschlossen die dreifarbige Kokarde anlegte. Nachdem der Spielbetrieb während der Belagerung einige Zeit geruht hatte, da die Schauspieler wie die ganze Bürgerschaft zu den Waffen gerufen worden waren 21 , wurde drei Tage nach Einmarsch der französischen Truppen wieder gespielt. Am 24. Oktober bereits konnte der Mainzer Universitätsbibliothekar und Schriftsteller Georg Forster, später der führende Kopf der Jakobiner, an seinen Freund Ludwig Ferdinand Huber schreiben: „Heute geht, zum Teil auf meine Veranlassung, die Komödie wieder an; die französischen Offiziere werden sich amüsieren, und das Publikum humanisiert sich wieder. Freilich werden sie es in ihrer Schafsdummheit die ersten paar Tage für sündlich halten, bei so traurigen Zeitläuften hineinzugehen, aber bald wird die Langeweile ihren gewöhnten Behelf gern wieder hervorsuchen lehren." 22 Forster lag zunächst erst einmal daran, den Bestand des Theaters überhaupt im Interesse der neuen Ordnung zu sichern. Mit seinen Bemühungen um das Mainzer Theater beginnt der Kampf der revolutionären Kräfte um die Gewinnung der Bühne für die bürgerlich-demokratischen Ideen. Welche ästhetischen Prinzipien resultierten aus der großen gesellschaftlichen Bewegung der Zeit und insbesondere aus dem Bestreben, das deutsche Theater im Sinne der Schillerschen Intentionen zu erneuern? Da Forster zweifellos derjenige Mainzer Jakobiner war, der die tiefsten und wirkungsvollsten Gedanken über die Schauspielkunst veröffentlicht hatte, und zwar in dem vor der Mainzer Revolution geschriebenen Aufsatz über „Die Humanität des Künstlers", und damit seinen politischen Freunden das ästhetische Konzept geliefert hatte, sei seine Anschauung eingehender erörtert. Den theoretischen Auseinandersetzungen des weitgereisten und wachen Beobachters der gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse und des Menschen hegen mannigfaltige Erlebnisse und Erkenntnisse zugrunde. Aus den Berichten über seine Theaterbesuche, die sich in Tagebüchern, Briefen und Reisedarstellungen finden,
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Besitz hatten, Mitglied des dortigen National-Konvents, hielt Reden und trug sein blechern Schildchen auf der Brust, mit den Buchstaben: F. G. (Freiheit, Gleichheit). Er ließ auch die Schauspieler die wenigen Wochen hindurch, wo noch deutsche Schauspiele gegeben wurden, bald fühlen, daß er ihnen gleich war, und sagte ihnen, wie es denn die Herrn und Damen wohl oft verdienen mögen, derb die Wahrheit." Ob der Souffleur identisch mit dem Sommer ist, der 1786 bei Großmann Bauern und Bediente spielte (Wolter a. a. O., S. XCIV), konnte ich nicht feststellen. Schauspielerleben a. a. O. S. 235. Christ bemerkt a. a. O., S. 232, daß er sieh zur Artillerie, sein Schwiegersohn sich unter die Infanterie einschreiben ließ. Georg Forster's sämmtliche Schriften. Hrsg. von dessen Tochter und . . . G. G. Gervinus. VIII Leipzig 1843 S. 254.
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geht nicht nur hervor, daß er der Schauspielkunst gegenüber sehr aufgeschlossen war, daß er mit feinem Gefühl und klarem Bück für echte Leistung urteilte, sondern auch, daß er an die Musen Thalia und Melpomene hohe Ansprüche stellte. Auf der zweiten Cookschen Entdeckungsfahrt hatten den Jüngling die primitiven, aber ausdrucksvollen tänzerisch-dramatischen Spiele der Bewohner der Sozietätsinseln fasziniert: davon legt er in seiner „Reise um die Welt" beredtes Zeugnis ab. 23 Die hohe Schule zur Schärfung seines theaterkritischen Sinnes jedoch waren die wirkungsvollen Bühneneindrücke, die Förster in den 70 er Jahren zu London gewonnen hatte. Die Schauspielkunst eines David Garrick hatte ihm unverrückbare Maßstäbe gegeben 24 , die er an alle seine späteren Theatererlebnisse angelegt hatte, besonders an die während seiner Reise von Kassel über Prag und Wien nach Wilna 1784 gewonnenen. Bei einem Vergleich des Prager und Wiener Theaters mit den deutschen Bühnenverhältnissen hatte er die fördernde Wirkung der Kulturpolitik Josephs II. verspürt. In Prag war Forster durch die Darstellungskunst des damals 36jährigen Johann Friedrich Reinecke, der bei Ackermann und Schröder gelernt hatte, begeistert worden. Er lobt die Kultur seines Sprechens ebenso wie seine natürliche Gebärdensprache und die gesamte mimische Atmosphäre dieses Schauspielers und läßt seine Überraschung in der Äußerung gipfeln, er habe gesehen, was er seit Garricks Tode nicht gesehen habe: einen Mann, gegen den das ganze übrige Theater aus Automaten zu bestehen schien. 25 In der Leistung des genialen Reinecke, der drei Jahre darauf allzufrüh starb, erkannte Forster das echte Künstlertum, das ihm Ausdruck eines „menschenfreundlichen edlen Geistes" war und durch das das Ideal der allseitig gebildeten und ihres Wertes bewußten bürgerlichen Persönlichkeit auf der Bühne proklamiert wurde. Wir sehen Forster bei seiner Kritik unterscheiden zwischen der weit weniger in die Tiefe gehenden außerordentlichen Gewandtheit eines Christian Wilhelm Opitz und der geistvollen Innigkeit eines Reinecke, dessen Kunst den unten zu skizzierenden ästhetischen Idealen Forsters sehr nahe kam. Ein Höhepunkt der Wiener Theatererlebnisse Forsters war die Aufführung des „Lear" gewesen; hatte er doch als Titelhelden Friedrich Ludwig Schröder, der seit drei Jahren mit seiner Frau am Wiener Nationaltheater wirkte und Schule machte, und als Goneril zum ersten Male das jugendliche Talent der Katharina Jacquet bewundern können. 26 Die 24 jährige Tochter des Wiener Hofschauspielers Karl Jacquet, die Forster in weiteren Glanzrollen erlebt hatte, hielt er für die beste Schauspielerin Wiens: „Sie ist 23
Johann Georg Forsters . . . Reise u m die Welt. 2 Teile Berlin 1778-1780. I S. 322f. u. I I S. 104f. u. S. 108. 24 Näheres über des jungen Forsters Londoner Theatererlebnisse findet sich in der kommentierten Briefedition v o n Gerhard Steiner: Der junge Georg Forster in England. I n : Weimarer Beiträge, IV. Weimar 1959 S. 527—561. 25 Paul Zincke u. Albert Leitzmann: Georg Forsters Tagebücher. Berlin 1914 S. 129f. ™ Ebenda S. 153.
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in allem Betracht vollkommen in ihrer Kunst, und was noch mehr ist, ein Mädchen von edlem Charakter", schreibt er am 3. September 1784 an Therese Heyne. 27 Immer wieder leuchten aus Försters Lob und Tadel, aus seinen Ansprüchen an die Schauspielkunst die ästhetischen Anschauungen hervor, die die Kunsttheorie und die kulturelle Praxis der deutschen Jakobiner zu einem hohen Ziel verpflichteten. Wie Forsters Kritik im Unterton häufig die Frage nach den Ursachen und der Abhilfe enthält, zeigen seine Aufzeichnungen über die 1790 erlebte Amsterdamer Komödie. 28 „Welche Nerven", fragte er, „mag auch das hiesige Publikum haben, um das entsetzliehe Gebrüll und Geheul der Schauspieler nicht bloß [zu] ertragen, sondern mit dem fürchterlichsten wütendsten Beifall zu genießen ? . . . Deklamieren war es nur von einem Ende zum andern, in einem Stücke, das durchaus das Gefühl in Anspruch nehmen soll. Kein Augenblick von wahrer Empfindung kam je zum Vorschein, kein Zug von Natur, und dennoch war es ärgerlich zu sehen, daß diese Menschen ebenso fähig gewesen wären, sich in ein besseres System der Mimik und Rhetorik einzustudieren, denn augenscheinlich hatten sie sich unendlich viel Mühe gegeben, um in ihrer brutalen Manier eine Vollkommenheit und Konsequenz zu erlangen, die sie nur noch unausstehlicher machte." Die Dünkirchener Komödie hatte sich Forster gar als eine unbeschreibliche „Karikatur von Theater, Truppe, Orchester und Publikum" erwiesen. Die Eindrücke von der Schauspielkunst, die sich ihm 1790 in London geboten hatten, waren nicht an die großartigen Theatererlebnisse seiner Jugend herangekommen. Bei der Betrachtung neuer Lustspiele hatte er sich geäußert: „Auf guten Dialog wird gar nicht mehr gesehen; Effekt ist alles, was man verlangt; man geht in die Komödie, um zu sehen, kaum mehr zu hören, und die Kotzebue, wenn sie sich eine Dosis Salz könnten eintrichtern lassen, würden auch hier Glück machen." 2 9 Die Deklamation der tragischen Rollen hatte er „sehr präzis, sehr rein und deutlich", besonders aber die Königsund Heldenrollen in einer Weise dargestellt gefunden, wie er es auf dem deutschen Theater nie erlebt hatte, wo man „nicht natürlich genug" sei „oder, wie Koch, zu natürlich". Diese bemerkenswerte Einschätzung des Mainzer Theaterdirektors zeigt, wie sensibel Forster reagierte, wenn die Grenze der realistischen Darstellung auch nur um ein geringes zur naturalistischen hin überschritten wurde. Dies sind längst nicht alle Theatererlebnisse Forsters, die uns bekannt sind, aber sie verdeutlichen bereits, daß die Beziehungen des Weltreisenden, Naturforschers und Publizisten zur Bühne vielfältiger Art waren. Drei Tendenzen, die Forsters Theatererlebnisse durchdringen, wirkten auf seine ästhetischen Erfahrungen und Betrachtungen ein. Zunächst war es für ihn immer 27
Georg Forster's sämmtliche Schriften. VII Leipzig 1843 S. 277. Albert Leitzmann: Briefe und Tagebücher Georg Forsters von seiner Reise . . . im Frühjahr 1790. Halle 1893 (im folgenden: Tagebuch 1790) S. 80, die folgende Anführung S. 41. 2 » Ebenda S. 114, die folg. Anf. S. 115. 28
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wieder reizvoll, das Verhältnis der Künstlerpersönlichkeiten, deren er ja zahlreiche im geselligen Verkehr kennenlernte, zur Qualität ihrer Leistung zu untersuchen. Ferner schenkte er dem Theaterbesucher, besonders in dessen Beziehung zur mimischen Persönlichkeit, starke Beachtung. Er betont z. B., daß das englische Publikum „den guten Schauspieler auf einen Beifall eifersüchtig zu machen weiß, den es nur dem echten Verdienste zuerkennt, und eben dadurch Männern von Herz und Talent den Mut einflößt, sich dieses öffentlichen Sittenlehramts, welches andere Völker nur zu oft ihrem Abschaum anvertrauen, mit schwärmerischem Stolz zu unterziehen" 30 . Endlich neigt Forster dazu, den Schauspieler, seine Kunst und seine gesellschaftliche Stellung aus der historischen Situation des Landes zu erfassen. So sieht er die Natürlichkeit und Würde, mit der der englische Schauspieler seine Rollen, besonders die Königs- und Heldenrollen, spielt, als eine Folge der englischen Demokratie an. 31 Ein Erlebnis besonderer Art veranlaßte Forster, seine Gedanken über den Schauspieler und die Schauspielkunst zu manifestieren. Auf seiner in den „Ansichten vom Niederrhein" beschriebenen Reise im Jahre 1790 besuchte er den Kölner Dom. Unter dem Eindruck des in wundervoller Weise waldartig überwölbten Dominneren sehen wir Förster von der Frage bedrängt, welcher Art die Beziehungen sind, die des Künstlers Werk sowohl mit dessen Schöpfer als auch mit dessen Betrachter verbinden. Vor dieser wichtigen Fragestellung werden ihm die wertvollen, zum Teil berühmten Stücke der Ausstattung des Doms bedeutungslos, sein Interesse wendet sich einem Begleiter zu, dessen Ergriffenheit ihn die wunderbare Kraft eines überwältigenden ästhetischen Erlebnisses spüren läßt. Der Mann „von der beweglichsten Phantasie und vom zartesten Sinne" 32 , der von dem Werk des Baukünstlers so beeindruckt war und den Forster nun unter der Nachwirkung seines Kunsterlebnisses zu heiterem und tiefdringendem Gespräch beschwingt sieht, ist selbst Künstler: Es ist August Wilhelm Iffland 33 , mit dem Forster freundschaftliche Beziehungen verbanden. So mündet die Betrachtung über die Humanität des Künstlers in ein Essay über die Humanität des Schauspielers, das Forster unmittelbar nach dem Domerlebnis zu Papier bringt und zunächst in Schillers „Thalia", später als IV. Kapitel seiner „Ansichten" veröffentlichte. Von seiner durch die kritische Betrachtung der bildenden Künste, der Architektur und der Dichtkunst gewonnenen grundsätzlichen Anschauung von Wesen und Bestimmung der Kunst ausgehend, postuliert 30
Georg Forsters Werke. Hrsg. v o n der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. V I I Kleine Schriften zu Kunst und Literatur. Berlin 1963 S. 71. 31 Tagebuch 1790 S. 115. 32 Georg Forster's Werke. Hrsg. v o n der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. I X Ansichten v o m Niederrhein. Berlin 1958 (im folgenden: Ansichten) S. 24. 33 U n d nicht Alexander v o n Humboldt, wie immer wieder, auch in neuesten Veröffentlichungen, behauptet wird.
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Forster, im Gegensatz zu der lebendiger wirkenden „unmittelbaren Gegenwart der beseelten Natur" 34 böten die Schöpfungen der Kunst ausgewählte, geordnete, vom „Außerwesentlichen" befreite und nach ästhetischen Grundsätzen vereinigte Bilder, die ihre Grundlage in „zahllosen Anschauungen" der Wirklichkeit haben und deshalb auf uns wirken, weil der Künstler, eine „reiche Menschenseele", zu dem Menschen spricht, d. h. weil die Aneignung der Wirklichkeit durch den Künstler bereits nach humanistischen Prinzipien vorbereitet ist. Das Aufleuchten der Künstlerseele im Kunstwerk ist ein Lieblingsgedanke Försters, den er 1789 in seinem Aufsatz „Die Kunst und das Zeitalter" 35 eingehender behandelte: Wenn der Künstler eine „schon gegebene Materie" nach den Bildern umwandele, die „seine Phantasie, vom Anschauen geschwängert, als ihre geistigen Kinder gebar", dann folge er dem „sittlichen Bildungstrieb". Dessen Quantität sei individuell, seine Qualität aber — darauf weist Forster immer wieder hin — sei abhängig von dem „äußeren Verhältnisse", d. h. von den historischen und geographischen Gegebenheiten. Nur dort könnten vollendete Kunstwerke entstehen, wo jene Bedingnisse sich zu einem wirksamen Einfluß auf innere und äußere Bildung vereinen wie in Griechenland „das milde gemäßigte Klima, die zum Handel und Verkehr mit entfernten Völkern, mithin zur Entwicklung der Kräfte und Vermehrung der Kenntnisse so bequeme Lage, die Freiheit der Verfassungen, das daraus entstehende schöne Gleichgewicht der physischen und sittlichen Kultur, der Gedankenreichtum bei der höchsten Reizbarkeit des Gefühls". In den Bildern seiner Phantasie vereinigt der Künstler nun mit dem gegenwärtigen Eindruck „die mannigfaltigsten Formen aus allen Weltteilen zugleich, aus der Vergangenheit und — darf ich es sagen? — aus der Zukunft . . . zu einem die Wirklichkeit nachahmenden Drama". Mit dem Begriff des Dramas ist der dialektische, in Spiel und Gegenspiel, in Spruch und Widerspruch bestehende Grundzug jedes Kunstwerkes angedeutet, zugleich aber gemahnt dieses Wort an die Kunstrichtung, auf die nunmehr die allgemeinen ästhetischen Grundsätze angewendet werden. Daß die Menschenseele des Künstlers die Vermittlerin der mit künstlerischen Mitteln gebotenen Wirklichkeit ist, hat für Forster, wie aus einem anderen Zusammenhang ersichtlich ist, eine besondere Bedeutung. Die reife Persönlichkeit bietet uns die ihr eigentümliche Form der Wirklichkeitserkenntnis, die nur ihr möglich ist und mit der sie unsere Einsicht erweitert und den Wahrheitsschatz der Welt bereichert. Die Erkenntnis der Wirklichkeit durch die Kunst sei schier unerschöpflich, schreibt Förster in der „Geschichte der englischen Literatur vom Jahre 1790" 36 , da jeder Künstler individuell zu erfassen und somit zu variieren vermag. Er könne „seinen Gegenstand durch das Individuelle, worin er sich von andern unterscheidet, neu stempeln". Man « Ansichten S. 25, auch die folg. Anführungen. 3ä Thalia 1789. Heft 9 S. 91—109. Die folgenden Anführungen S. 94 u. 97. 3 6 Georg Forsters Werke. Hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin V I I Kleine Schriften zu Kunst und Literatur. Berlin 1963 S. 166. 3/
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müsse es begünstigen, daß die eigentümlichen Auffassungsformen zu einem Ganzen zusammenfließen. Forster warnt deshalb davor, sich in der Kunst auf die „erlernten Regeln" zu verlassen; sie verleihen den Werken „einen gewissen Mechanismus", aber: „was nicht im Geist empfangen ward, erhielt auch kein Leben von der schulgerechten Form". Die Individualität, die Forster mit dieser Sinnerfüllung der Humanität gleichsetzt, gehe „gerade in sehr verfeinerten Gesellschaften durch die Einförmigkeit der Methode und der Erziehung großenteils verloren, und anstatt, daß aus dem Wahrgenommenen für jeden einzelnen Menschen eine eigentümliche Form des Denkens entspringen sollte, die ihm angemessen wäre, prägt man eine allgemeine Form seinem Gedächtnisse ein, welcher er seine Wahrnehmungen anpassen muß". Beim Genießen wird die Kunst gerade dadurch im „edelsten Teil unseres Wesens wirksam"37, daß wir Empfindungen haben, die wir noch nicht kannten, und Ideen Verbindungen hervorzubringen vermögen, „die sonst nie wirklich geworden wären". Für die Arbeit des Künstlers, sagt Forster in den „Ansichten" 38 , gäbe es zwei Kriterien: das eine sei der innere Wert und Reichtum der schaffenden Seele, das andere der Grad der Vollkommenheit, in dem sich diese Seele mit dem, was sie schuf, identifiziert. Das erste Kriterium umfaßt, was Forster als die Humanität des Künstlers bezeichnet. Sie bewirkt, daß das Kunstwerk nicht bloße Nachahmung der Natur ist, sondern mit den Erlebnissen und Erfahrungen des Künstlers angereichert wurde. Nur durch den besonderen Anteil der Künstlerseele kann die mimische Darstellung ebenso wie Dichtimg, Malerei und Bildhauerei künstlerisch modifizierte Wahrheit sein. Es sind oft nur zarte Nuancierungen, auf die es ankommt, und so gilt für die Schauspielkunst, daß sie um so schwieriger wird, je feiner die Schattierungen der Menschencharaktere sind, die dargestellt werden: Es gehört dazu das Vermögen, diese Unterschiede zu erkennen, und die Fähigkeit, sie getreu zu überliefern. Die Aufnahme solcher „Überlieferung" setzt aber wiederum Eindrücke ähnlichen Erkennens voraus. Der Künstler vervollkommnet des Zuschauers vorgeprägte Anschauungen, die unvollkommen sind, aber immerhin vorhanden sein müssen. Das bedingt einen gewissen Grad der Empfänglichkeit des Publikums. Höchste Bedürfnisse können aber nicht durch die bloße Illusion, d. h. indem Erdichtetes für Wahres untergeschoben wird, befriedigt werden, sondern eben nur aus der individuellen Wirklichkeitserkenntnis des Künstlers, in der sein eigentliches Schöpfertum beschlossen ist. Einen Subjektivismus klammert Forster jedoch dabei aus, indem er sagt, daß das „Erweckende" 39 der Kunst in der ihrem „Naturstoff" eingeprägten „Spur der lebendig wirkenden, umformenden Menschheit" liegt. Auf diese Weise verbindet der Forstersche Begriff von der Humanität des Künstlers die individuelle Sphäre, das dem einzelnen Menschen Gegebene, mit der gesellschaftlichen Sphäre, in der das „einzeln zerstreute Vortreffliche der Natur zu Georg Forster: Erinnerungen aus dem Jahr 1790. Berlin 1793 S. 7, auch die folgende Anführung. 3« Ansichten S. 257. 39 Ansichten S. 26 ff. 37
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einem Ganzen vereinigt" ist. Allerdings ist das, was dabei entstellt, im einzelnen wahr, in seiner Vereinigung aber stellt es eine in der Wirklichkeit nicht vorhandene Vollkommenheit, einen lieblichen Traum, eine „Idealisierung" dar, die zum Wesen der Kunst gehört. Mit diesen Überlegungen knüpft Forster an die schauspielästhetischen Ideen der Aufklärung an. Diderot — ebenso wie Forster im besonderen durch Garrick, der 1764/65 sechs Monate lang in Paris aufgetreten war, von schauspielerischer Größe beeindruckt — hatte bereits in seinem „Paradoxe sur le comédien" (1778) einer mimischen Kunst, die zur Widerspiegelung der Wirklichkeit geeignet ist, den Weg gebahnt. Der Philosoph verwirft die „sensibilité", das private Gefühl des Künstlers, als Grundprinzip der Darstellungskunst zugunsten der Urteilskraft, die einen Einblick in die Idee des Dichters sowie die Beobachtung und Nachahmung der Natur und die Darstellung gesellschaftlicher Zustände und Situationen ermöglicht. Diesen Gedanken Diderots finden wir auch bei Lessing, der aber betont, daß zu dem Verstehen einer Rolle die „Empfindung" für das in einer Rolle zu Gestaltende kommen müsse. „Wie weit ist der Akteur, der eine Stelle nur versteht, noch von dem entfernt, der sie auch zugleich empfindet!" sagt er im Dritten Stück der Hamburgischen Dramaturgie. 40 Er fordert, daß die Seele des Schauspielers „ganz gegenwärtig" ist, es müsse „alle Moral . . . aus der Fülle des Herzens kommen, von der der Mund übergehet". Für die Entwicklung des schauspielerischen Talentes, so meint Lessing, ist es ein günstiger Ausblick, daß neben der Empfindung, „die in der Seele ihren Anfang nimmt" und sich durch „Dauer" und „Feuer" auszeichnet, eine „Art von Empfindung" möglich ist, die auf Beobachtung und Nachahmung beruht. Immer aber sei es wichtig, daß die „Moral", die Idee des Dichters, durch das Spiel des Schauspielers zur Geltung komme. Iffland hatte in seinen bedeutsamen „Fragmenten über die Menschendarstellung auf den deutschen Bühnen" 1785 geschrieben 41 , der „größte Ausdruck", den er den Garrickschen Ausdruck nennen möchte, könne nur das Werk der Begeisterung sein. Und im engen Anschluß an Lessing meint er, wenn die „natürliche Laune" den Schauspieler im Stich gelassen habe, könne recht wohl Kunst „diese Lücken ausfüllen". Auf dieser Grundlage baute Forster seine schauspielästhetischen Gedanken auf. E r überwand den Gegensatz zwischen Verstand und Empfindung und löste das Problem des bloß individuellen Gefühls, indem er die künstlerische Schöpferkraft des Schauspielers auf das Postulat der „idealisierten" Wirklichkeit, d. h. auf die Gestaltung des Wesens der Wirklichkeit verpflichtete. Damit äußert Forster Gedanken, in denen wohl jene Gespräche aufklingen, die er nach der Dombesichtigung mit Iffland geführt hat. Denn auch dieser antwortete in seinen „Briefen über Schauspielkunst" 42 auf die Frage: „Was 40
G. E. Lessings sämtl. Schriften. Hrsg. von Karl Lachmann. I X Stuttgart 1893 S. 193f. « Erste Sammlung Gotha 1785 S. 45f. 42 Rheinische Beiträge zur Gelehrsamkeit Jg. 1781 II S. 308.
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ist Wahrheit ohne Geschmack?" mit der Feststellung, daß der Schauspieler gewinne, „wenn er (nach Verhältnis) jeden Gegenstand veredelt". Es sei nun einmal „das Schauspiel erhöhetes Ideal". In welch seltsamem Gegensatz dazu stünde „nun das Benehmen dessen, der unter dem gemißbrauchten Feldgeschrei .Natur!' die gröbsten Gemeinheiten darstellet". Auch ist es gewiß dem Gesprächspartner zuzuschreiben, wenn Forster für den großen Künstler, der zu seiner Zeit nicht in seinem vollen Wert erfaßt wird, einen Trost sucht und findet, denn Iffland hat sich in seinen „Briefen" leidenschaftlich für das Recht des Schauspielers gegenüber oberflächlicher Kritik und Unverständnis des Publikums eingesetzt, zumal sich diese Erscheinungen auch auf die soziale Existenz des Schauspielers auswirkten.43 Wenn es aber nun auch dem Schauspieler möglich ist, meint Forster, eine gewisse Befriedigung im Selbstgenuß seiner Schöpfungen zu gewinnen, so hat gerade er eine nicht beneidenswerte Sonderstellung unter den Künstlern dadurch, daß ihm die zweite Möglichkeit der Tröstung, nämlich die Weitergabe an eine Nachwelt, die seine Leistung besser zu würdigen weiß, versagt ist. Denn er ist sein eigenes Kunstwerk, und mit ihm stirbt „seine Kunst und jede bestimmte Bezeichnung ihres Wertes" 44 . Aber mit diesem Verzicht gewinnt die Kunst des Schauspielers gerade zwei Spezifika, die sie allen anderen Künsten voraus hat. Sie besitzt erstens eine größere psychische Unmittelbarkeit, da der Schauspieler seinen Bildern vom Leben gleichsam seine eigene Seele leiht, „die mit der ganzen K r a f t ihrer Verwandtschaft in uns w i r k t " : Sein Wesen nimmt eine andere Wesenheit an, die es selbst aus der Wirklichkeit durch Sonderung, Zusammenfassung, Idealisierung gewann, die aber die eigenständige Auffassung spüren läßt. Zweitens aber vollzieht sich der Schöpferakt des Schauspielers vor unseren Augen und ist „auf die bestimmteste Weise nur für das Gegenwärtige berechnet" 45 . Durch diese zeitliche Unmittelbarkeit erhalten die Miterlebenden einen solchen Einblick in den Reichtum der Seele eines Menschen, daß sie die Vergänglichkeit der Schöpfung, die das Erlebnis bewirkte, kaum befremdet. Indem Forster aber die in dieser doppelten Weise wirksame „bildende Energie", die er dem Schauspieler in der „Thalia" zusprach, in den „Ansichten" auf den „großen Schauspieler" beschränkt, wird ersichtlich, daß er die so gekennzeichnete „Humanität" des Schauspielers nicht nur von dessen menschlicher, sondern auch von dessen künstlerischer Potenz abhängig macht. Es gibt mannigfache Beziehungen zwischen der Entwicklung der Schauspielkunst sowie ihrer Theorie und der Entwicklung der Dramatik selbst. Das Neue in dem deutschen dramatischen Schaffen der siebziger und achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts gab der Bühnenkunst neue Aufgaben. Die Darstellung eines Götz, eines Nathan und eines Posa stellte bis dahin ungewohnte Briefe über die Schauspielkunst. Pfalzbaierische Beiträge zur Gelehrsamkeit. Jg. 1782 I. 44 Ansichten S. 28, auch die folgende Anführung. « Siehe Anm. 41, S. 29. 43
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Forderungen an den Schauspieler. Welche dies waren, deutet Iffland in seinen „Fragmenten über Menschendarstellung" an.46 „Götz von Berlichingen" und „die Erscheinung der englischen Stücke" hätten auf unserer Bühne eine nationale Dramatik hervorgerufen und den „geistlosen Klingklang des ehemaligen Staatsaktionenspiels" verdrängt. Die Vorstellung dieser Stücke aber erfordere „Geist und Eigenheit": „Das hat dem Schauspieler einigermaßen Selbständigkeit verschafft." Hier sind die schauspielästhetischen Grundsätze Forsters vorgezeichnet, und es ist zugleich auf deren Beziehung zur Emanzipation des Schauspielers hingewiesen. Mit seinem Beitrag zur Theorie der Schauspielkunst in der „Thalia" und den „Ansichten" unterstützte Forster die von der Mannheimer Bühne ausgehenden und von der deutschen Klassik geförderten Bestrebungen zur Erneuerung des deutschen Theaters. Wie Iffland begann er damit bei der Schauspielerpersönlichkeit selbst. Es handelt sich dabei um nichts Geringeres, als die klassischen Ideen des bürgerlichen Freiheitsbegriffes und der Entfaltung der Persönlichkeit vertieft für die Bühne fruchtbar werden zu lassen. Indem Forster in seinem Essay Iffland — am Ende noch einmal sehr persönlich — ehrt, huldigt er nicht nur dem großen Schauspieler, der ihn zu seinen Betrachtungen im allgemeinen und im besonderen angeregt hat, sondern er stellt dem Leser zugleich das neue Ideal der Schauspielerpersönlichkeit sinnfällig vor Augen. Es ist verständlich, daß Forster von der bürgerlichen Demokratie einen Aufschwung des Theaterlebens und der Schauspielkunst erwarten mußte. Obwohl er auf Grund seiner Theatererlebnisse und seiner theoretischen Einsichten höchste Anforderungen an die Bühne stellte, und, wie wir sahen, auch der Schauspielkunst Kochs kritisch gegenüberstand, so wußte er doch, daß die Kochsche Gesellschaft eine außerordentlich qualifizierte Truppe war, und er konnte hoffen, daß sie, von allen feudalen Einflüssen frei, eine respektable bürgerliche Bühne begründen könnte. Aber die politische Situation, das mangelnde bürgerlich-revolutionäre Klassenbewußtsein der Schauspieler und Sänger stand solchen Hoffnungen entgegen. Forster mußte das sehr bald einsehen. Wenn er sich in seinem oben erwähnten Brief im unmittelbaren Anschluß ah seine Bemerkung von der Wiedereröffnung des Theaters über die Charakterlosigkeit zahlreicher Bürger beklagt, wenn er schreibt: „Sie wissen gar nicht, wie ihnen geschehen ist, und vermissen ihren gnädigen Herren", und sich darüber beschwert, daß „der Stadtrat und die wenigen noch anwesenden Glieder der Regierung" die Menschen noch „in Furcht und Zweifel" hielten, dann mag diese Bemerkung besonders auch auf die Mitglieder der „Komödie" gemünzt gewesen sein. Indessen, die Kochsche Truppe war zunächst für eine Wiederaufnahme ihrer Bühnentätigkeit zu bewegen. Sie hielt es wohl nur für ein Zugeständnis an ein vorübergehendes Besatzungsregime, daß auf dem Theaterzettel nun46
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mehr stand: „Mit Erlaubnis des Bürgers Custine"47 und daß man, als der Vorhang sich am 24. Oktober zum ersten Male unter den neuen Auspizien hob, auf die Bühne sämtliche Sänger und Sängerinnen postierte, die an der unter Stegmanns Leitung gebotenen Oper „Doktor und Apotheker" (von Karl Ditters von Dittersdorf, nach dem Französischen von G. Stephani d. J.) mitwirkten, — mit der dreifarbigen Kokarde geschmückt. Die französischen Soldaten und die Mainzer Bürger, die die bisher dem Adel und den Hofbeamten vorbehaltenen Logen und Rangplätze eingenommen hatten, klatschten daraufhin lebhaft und zeigten sich überhaupt während der ganzen Vorstellung sehr beifallsfreudig. Am nächsten Tage stand das Singspiel „Das Blendwerk" auf dem Spielplan, in dem Stegmann in der Rolle des Alten glänzte. In dem Nachspiel „Die beiden Billets" von Christian Lebrecht Heyne, das unten näher betrachtet wird, holte sich Hans Beck in der Rolle des Schnaps rauschenden Beifall, während Frau Eunicke als Bauernmädchen begeisterte. Am 28. Oktober war Nicolaus Dalayracs Oper „Rudolph von Creki" in der Bearbeitung von Schmieder ein besonderes Theaterereignis. In dem Zuschauerraum dominierten die französischen Soldaten, aber auch auf der Bühne stellten sie ein beträchtliches Kontingent: sämtliche Statisten. Alle Darsteller spielten, so wird berichtet48, „mit Lust und Feuer". Sie belohnte ein unausgesetztes Klatschen und Bravorufen. „Vorzüglich ergötzte das Spiel des Herrn Stegmann als Gefängniswärter Lüdger und seiner beiden Kinder, besonders der Dlle. Schwachhofer als Heinrich." In den Pausen mußte „auf unaufhörliches, tobendes Rufen"