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German Pages 384 Year 2018
Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Band / Volume 30
Strafverteidigung im Nürnberger Juristenprozess am Beispiel des Angeklagten Oswald Rothaug Von
Martin Luber
Duncker & Humblot · Berlin
MARTIN LUBER
Strafverteidigung im Nürnberger Juristenprozess am Beispiel des Angeklagten Oswald Rothaug
Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Herausgegeben von / Edited by Prof. Dr. Dr. h.c. Kai Ambos, Richter am Landgericht Göttingen
Band / Volume 30
Strafverteidigung im Nürnberger Juristenprozess am Beispiel des Angeklagten Oswald Rothaug
Von
Martin Luber
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit am 23. Mai 2017 als Dissertation angenommen.
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© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 1867-5271 ISBN 978-3-428-15310-7 (Print) ISBN 978-3-428-55310-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-85310-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2016/2017 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg als Dissertation angenommen. Ich freue mich sehr, dass Herr Prof. Dr. Dr. h. c. Kai Ambos sie in die Reihe „Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht“ aufgenommen hat. Die Arbeit befindet sich auf dem Stand von August 2017. Später veröffentlichte Literatur konnte nur teilweise berücksichtigt werden. An dieser Stelle möchte ich mich bei all denjenigen Personen und Institutionen bedanken, die mich bei der Erstellung der Arbeit wesentlich unterstützt haben. Mein Dank gilt zuallererst meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Christoph Safferling LLM. (LSE). Im Jahr 2010 hatte ich das große Glück, als studentische Hilfskraft an seinem Marburger Lehrstuhl arbeiten zu dürfen. Seitdem hat er mich stets bestmöglich gefördert. Er half mir auch dabei, das Thema dieser Arbeit zu finden. Die Betreuung während der Promotionsphase ließ gleichfalls keine Wünsche offen. Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Gilbert Gornig danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei meinen ehemaligen Marburger Kolleginnen und Kollegen für ihre Unterstützung, Expertise und kritischen Rückfragen bedanken. Neben dem Marburger Institut für Kriminalwissenschaften sind das insbesondere die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Internationalen Forschungs- und Dokumentationszentrums Kriegsverbrecherprozesse (ICWC) sowie der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit (UWK). Die Arbeit basiert im Wesentlichen auf Akten und Materialien verschiedener Archive im ganzen Bundesgebiet. Hervorzuheben ist das Bayerische Staatsarchiv in Nürnberg, welches aufgrund seiner umfassenden Sammlung der Materialien der Nürnberger Prozesse eine Schlüsselrolle einnimmt. Ein ganz besonderes Dankeschön gilt dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. An erster Stelle ist hier Herr Gunter Friedrich zu nennen, der durch seine geduldige und überaus freundliche Art einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen hat. Ganz herzlich möchte ich mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen der Strafrechtsinstitute der Universität zu Köln und deren Direktoren bedanken. Zu nennen sind hier insbesondere Prof. Dr. Claus Kreß, Prof. Dr. Cornelius Nestler
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Vorwort
und Prof. Dr. Thomas Weigend, die mich nicht nur im Rahmen meiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter stets gefördert haben, sondern darüber hinaus auch für Gespräche und Diskussionen rund um diese Arbeit immer ein offenes Ohr hatten. In finanzieller Hinsicht wurde die Arbeit durch zwei Institutionen gefördert, bei denen ich mich an dieser Stelle bedanken möchte. Dabei handelt es sich um die Marburg Research Academy (MARA) sowie die Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung (Buch-Stiftung). Die MARA förderte mich während der Schaffensphase mit einem Promotionsstipendium. Hierfür möchte ich mich insbesondere bei Frau Dr. Claudia Kissling bedanken, die alle Fragen rund um das Stipendium schnell und geduldig beantwortet hat. Ein großer Dank gilt der BuchStiftung für die großzügige Gewährung eines Druckkostenzuschusses für die Veröffentlichung der Arbeit. Daneben bin ich weiteren Personen für ihre Unterstützung der Arbeit zu Dank verpflichtet. Frau Sophie Dannecker danke ich für die Hilfe bei der Korrektur des Manuskriptes sowie bei der Erstellung des Schlagwort- und Personenverzeichnisses. Die Herren Jakob Bünemann sowie Björn Kohlhepp leisteten durch ihre Kontakte bei der Recherche zu Carl Haensel bzw. Oswald Rothaug unschätzbare Hilfe. Zu guter Letzt möchte ich mich von ganzem Herzen bei meiner Familie und insbesondere meiner Freundin Mirjam Zschoche bedanken, welche mir die nötige Kraft und Unterstützung gegeben haben. Ohne sie wäre das Projekt nicht möglich gewesen. Köln, im August 2017
Martin Luber
Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Grundlagen der Arbeit
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§ 1 Fragestellung und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Fragestellung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Besonderheiten des Juristenprozesses und Bedeutung der Strafverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Methodik der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Forschungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Veröffentlichungspolitik bezüglich des Juristenurteils . . . . . . . . . . . 2. Forschungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Qualität des Materials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtshistorische Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 25 25 27 27 27 28 28 29 30 31 31 32
§ 2 Rechtliche Situation im NS-Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Vereinbarkeit der Justiz mit der Staatsauffassung im „Dritten Reich“ . . . . . B. Der Jurist im „Dritten Reich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Personelle Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Radikalisierung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Einfluss des Justizministeriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zivil(prozess)recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Straf(prozess)recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Paralleljustiz durch die Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34 34 36 39 40 42 43 44 47 48
§ 3 Aufarbeitung der NS-Diktatur in Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Das IMT-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die zwölf Nachfolge-Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die einzelnen NMT-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufspaltung der NMT-Verfahren und der „Alleingang“ der USA . . . . C. Erfordernis der Differenzierung zwischen IMT- und NMT-Verfahren . . . . . D. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50 50 53 54 55 56 57
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Inhaltsverzeichnis Kapitel 2 Der Juristenprozess – Übersicht, juristische Grundlagen und Anklageschrift
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§ 4 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 § 5 Rechtsgrundlagen des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Materielle Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Straftatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbrechen gegen den Frieden (Nr. 1a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kriegsverbrechen (Nr. 1 b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Nr. 1c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Organisationsverbrechen (Nr. 1d) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der SD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Technische Fragen des Organisationsverbrechens . . . . . . . . . . . . II. Begehungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Defences . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Strafrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ablauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Art der Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechte des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Unterschiede zum deutschen Strafverfahren und Probleme . . . . . . . . . . C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 6 Die am Verfahren beteiligten Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Besetzung des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kritik und Antwort hierauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Anklagevertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Auswahlkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sondergerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Oswald Rothaug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schule, Ausbildung und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Staatsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Politische Einstellung und Verhandlungsführung . . . . . . . . . (1) Lehmann „Leo“ Israel Katzenberger . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Rothaugs Tatbeitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83 83 83 84 84 85 85 87 88 90 90 91 93 94 94 96
Inhaltsverzeichnis
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(c) Ablauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Urteil gegen Katzenberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Durka und Struss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Jan Lopata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Nach dem Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Karl Josef Ferber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Leben und Justiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Politische Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Heinz Hugo Hoffmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unterschiede zwischen den Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Volksgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Verteidiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Situation eines Verteidigers in Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rahmenbedingungen der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besondere Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Exemplarisches Beispiel eines Verteidigers im Juristenprozess . . . . . . 1. Politischer Werdegang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Militärischer Werdegang und Kriegsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entnazifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Persönliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kößls Bestellung zum Verteidiger in Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . a) SS-Zugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tätigkeit im SD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Feldgendarmerie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Wahl Kößls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Abschließende Bemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97 97 98 99 100 100 100 102 102 103 104 107 108 108 112 112 114 115 117 118 121 123 125 127 128 129 130 133
§ 7 Die Anklage im Juristenprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Zeitlicher und materieller Umfang der Vorwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Struktur der Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Vorwürfe gegen die Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Conspiracy: Das gemeinsame Vorhaben und die Verschwörung (Anklagepunkt I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kriegsverbrechen (Anklagepunkt II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schreckensherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetz als Waffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Annexion und Besetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nacht-und-Nebel-Erlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Behandlung in den Gefängnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 6. Rassenreinheitsprogramm und Eugenik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Straffreiheit und Straferlass für Verbrechen an Einwohnern der besetzten Gebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. „Rechtsungleiche Bestimmungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Antisemitische Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Lynchjustiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Anklagepunkt III) . . . . . . . . . . . IV. Mitgliedschaft in einer „verbrecherischen Organisation“ (Anklagepunkt IV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Antrag der Verteidigung bezüglich Anklageschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zusammenfassung und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 3 Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil § 8 Eröffnungserklärung der Prosecution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Bedeutung und Zweck des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Probleme des Juristenprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Änderungen unter dem Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. RMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sondergerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Militärgerichte und Erbgesundheitsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Volksgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Standgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Staatsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Ausführungen zu den Anklagepunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. „Die Vernichtung von Recht und Gerechtigkeit in Deutschland (Anklagepunkt 1)“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schritte zur NS-Jurisdiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kooperation von RMJ, SA, SS und Gestapo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kriegsjahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufhebung der Rechtskraft von Urteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Hitler als oberster Gerichtsherr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die nationalsozialistische Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verschmelzung von Justiz und Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Justizunrecht in den besetzten Ostgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kriegsverbrechen und VGM (Anklagepunkte II und III) . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliche Erörterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
146 146 146 147 148 148 149 150 150 151 152 152 153 153 154 155 156 156 157 158 160 161 161 161 163
Inhaltsverzeichnis
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3. Tatkomplexe geordnet nach Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fallgruppe 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Einführung deutschen Rechtes und deutscher Gerichtsbarkeit in den besetzten Gebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das NN-Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fallgruppe 2: Zusammenarbeit zwischen Justiz und RSHA . . . c) Fallgruppe 3: Justizsystem als Waffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Scheinverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Willkürliche Bestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bestrafung nach Analogie und der Fall Katzenberger . . . . . dd) Der Fall Lopata und der Grundsatz „ne bis in idem“ . . . . . 4. Beweisführung der Prosecution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Berufung auf Art. II Nr. 4 a) und b) möglich . . . . . . . . . . b) Verteidigungseinwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Juristenstand im „Dritten Reich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vor der Machtergreifung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Der Anprall des Nationalsozialismus“ und die Gleichschaltung der Justiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auflösung der freien Berufsverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umschulung der Juristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Mitgliedschaft in Verbrecherischen Organisationen (Anklagepunkt IV) 1. SS und SD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausführungen der Prosecution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Korps der politischen Leiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umfang der Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Schlussbemerkung der Prosecution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Eigene Bemerkungen und Bezug zu Rothaug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 9 Eröffnungserklärung der Gesamtverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Aufbau der Justizverwaltung und Verantwortung für Dokumente . . . . . . . . B. Unterschiedliche Rechtssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verfassungsrecht und Technik der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Verhältnis und Abhängigkeit der Justiz zu anderen Stellen . . . . . . . . . . . . . . E. Stellungnahme zu den von der Anklage beanstandeten Gesetzen . . . . . . . . . I. „Nullum crimen sine lege“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Inhumanität“ der Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aufbau der Gerichte und Gang des deutschen Strafverfahrens . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rolle des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
187 187 188 189 190 191 191 192 193 193 194
165 166 168 168 169 170 172 173 174 175 176 176 177 177 178 179 180 181 181 181 183 184 184 185 186
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Inhaltsverzeichnis 3. Anfechtbarkeit erstinstanzlicher Urteile: Nichtigkeitsbeschwerde und außerordentlicher Einspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zuständigkeit eines Staates für Strafgewalt in Auslandsstaaten . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) NN-Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Lynchjustiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Justizwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Bewertung des Vorbringens der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfragen des KRG10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Sachverständige und Experten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Auffälligkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
194 195 195 197 199 199 200 201 201 203
§ 10 Opening-Statement für Rothaug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Vorwürfe gegen Richter und Staatsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Amtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendung von Gesetzen als Verfolgungshandlung im Sinne der VGM III. Staatsrechtliche Stellung des Richters und des Staatsanwaltes . . . . . . . B. Vorwürfe gegen Rothaug persönlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rothaugs Verhandlungsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rothaugs politische Einstellung und Wirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
204 205 205 205 206 206 206 207 208
§ 11 Vorgehen im Prozess und Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auftreten des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auftreten der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verteidigung Rothaugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rothaugs Gesundheitszustand im Laufe des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . II. Zu unbestimmte Anklageschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beweismittel gegen Rothaug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zum Katzenberger-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Affidavit Ferber v. 24.01.1947 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Hoffmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Seiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeuge Elkar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Befragung durch die Prosecution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einfluss des SD auf Sondergerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . bb) Strafverfahren gegen Polen und PoStraV . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zugehörigkeit zu verbrecherischen Organisationen und Verhandlungsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kreuzverhör durch Kößl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
210 211 211 213 215 217 217 219 220 220 220 223 223 224 224 224 225 225 226
Inhaltsverzeichnis
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aa) Rothaug und der SD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 bb) Rothaugs Einfluss auf politischer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . 226 cc) Rothaugs Beisitzer am Sondergericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 dd) Anmerkung zum Kreuzverhör durch Kößl . . . . . . . . . . . . . . 227 3. Eigene Bewertung der Beweise und Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 a) Beeinflussung von Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 aa) Seiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 bb) Ferber und Hoffmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 b) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 IV. Eröffnung der Verteidigung Rothaugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Rothaugs Vernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 a) Rothaugs Aussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 b) Eigene Anmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2. Affidavits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 a) Rosemarie Rothaug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 b) Karl Gehring, Justizbeamter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 c) August Greiner, Gutachter für Sondergerichte . . . . . . . . . . . . . . . 237 d) Martha Denzler, Sekretärin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Tu quoque“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Umgang des Gerichts mit den Entlastungsbeweisen . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung der Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Reaktion der Prosecution auf Verteidigungseinwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausführungen zu den VGM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
237 238 238 239 240 240 241
1. Beachtung der Nazi-Gesetze als Verteidigungsstrategie . . . . . . . . . 2. Zuständigkeit des Gerichts für Verbrechen in Deutschland an deutschen Staatsangehörigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Dienststellung der Angeklagten, Handeln auf höheren Befehl und strafmildernde Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Durchführung des NN-Erlasses durch die deutsche Justiz als Kriegsverbrecher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
245 247
§ 12 Der Themenkomplex der Conspiracy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Keine Conspiracy aus KRG10 ableitbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einführung der Conspiracy verstößt gegen Rückwirkungsverbot . . . . . . . . . I. Keine Herleitung aus VO7 möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
248 249 249 250
243 244
II. Völkerrechtliche Vorschriften abschließend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 III. Keine Einführung wegen Art. 43 HLKO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 C. Abweichende Ansicht von v. Stackelberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
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Inhaltsverzeichnis D. Entscheidung des Senats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 E. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
§ 13 Plädoyers und letzte Worte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Schlussplädoyer der Anklagebehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aufbau des Plädoyers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die einzelnen strafrechtlichen Vorwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. PoStraV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. NN-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strafverfolgung fremder Staatsangehöriger wegen angeblichen Verrats und Hochverrats gegen das Deutsche Reich . . . . . . . . . . . . . 4. Lynchen alliierter Flieger und Sonnenburg Massaker . . . . . . . . . . . . 5. VGM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schuld der Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständigkeit des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erweiterung der Anklage wegen VGM vor dem 01.09.1939 . . . d) Zurechnung der einzelnen Taten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Abschließende Bemerkung der Prosecution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Plädoyer von Kößl für Rothaug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Arbeitsweisen von Richtern und Staatsanwälten im „Dritten Reich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rothaugs Einstellung zum „Dritten Reich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kriegsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gerichtsverfahren als Verfolgungshandlung im Sinne des KRG10 . . . V. Verfahren gegen Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Sondergericht Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Stellung des Richters zum Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII.Anwendbarkeit von Art. II Nr. 4 a) und b) KRG10 . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Rothaugs Machtposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Rothaugs Verhandlungsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Rothaugs Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Letzte Worte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
255 255 256 257 257 257 259 260
272 274 274 275 275 277 277 278 279 282 285 285 286
§ 14 Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Struktur des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Allgemeiner Teil des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzliche Grundlage und Quelle der Rechtsgrundlage des KRG10 . 1. Ausführungen des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
287 287 288 288 288
261 262 263 265 266 267 268 269 270 271
Inhaltsverzeichnis
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2. Anmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Konstruktion des KRG10: Kriegsverbrechen und VGM . . . . . . . . III. Rückwirkungsverbot und fehlendes Unrechtsbewusstsein . . . . . . . . . . IV. VGM als Verletzung des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verteidigungseinwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gerichtsmeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eigene Anmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umschreibung der Vorwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wege in die Diktatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Durchseuchung“ des Justizwesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mit Todesstrafe belegte Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Hoch- und Landesverrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) NN-Erlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rassistische Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Urteil zur Conspiracy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Besonderer Teil: Strafbarkeit Rothaugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anklagepunkte II und IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anklagepunkt III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Mildernde Umstände und Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Stellungnahme zum Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Strafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strafrahmen der Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mildes Urteil? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rothaug im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Abschließende Betrachtung und Effektivität der Verteidigung . . . . . . .
293 295 295 296 296 296 297 297 298 299 299 301 302 303 305 307 307 309 309 310 313 314 314 314 315 316 318
Kapitel 4 Bewertung und Folgen des Juristenurteils für die Ahndung von Justizverbrechen § 15 Der Einfluss des Juristenprozesses auf die Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . A. Der Nürnberger Juristenprozess als Vorläufer weiterer Juristenprozesse . . . I. Verfahren gegen NS-Richter und NS-Staatsanwälte in der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Radbruchs Theorie und die Rolle des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfahren gegen DDR-Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. „Wandel“ der Rechtsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Späte Genugtuung? Der Fall Ferber und Hoffmann . . . . . . . . . . . . . . . .
319 319 319 320 321 324 325 326
16
Inhaltsverzeichnis 1. Verfahren vor dem LG Nürnberg-Fürth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rothaugs Rolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tatsächliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erneute Verhandlung vor dem LG Nürnberg-Fürth . . . . . . . . . . . . . . VI. Das Ende der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Lehren aus Nürnberg? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bewertung vor dem Hintergrund des Nürnberger Juristenurteils . . . . . II. (Zu) späte Reue des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
326 328 330 332 333 335 336 336 336 337 339
§ 16 Nachschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ein Täter und dessen Verteidiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rothaug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kößl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Opfer des Justizunrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Familie Katzenberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Familie Seiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Abschließende Bemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
340 340 340 344 345 345 345 346
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Anhang 1: Ordinance Nr. 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Anhang 2: Control Council Law No. 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Anhang 3: Schaubilder aus dem Juristenprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Chronologischer Ablauf des Juristenprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
Tabelle 2: Angeklagte und Verteidiger im Juristenprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Tabelle 3: Verteidiger des Juristenprozesses in weiteren Nürnberger Verfahren . . . . 110 Tabelle 4: Beweisthemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
Abkürzungsverzeichnis Abs. a. A. a. E. a. F. AG APuZ Art. Aufl. BABe BAKo BayVerfGH BCLR Bd. BeckRS BFMRLW BGB BGBl. BGH BluSchuG BMI BMJV BNSDJ BRD BT BVerfG ChdDTPol. d. DAF DDR ders. dies. DJZ DRiZ Drs. DRZ DtZ
Absatz andere Ansicht am Ende alte Fassung Amtsgericht Aus Politik und Zeitgeschichte Artikel Auflage Bundesarchiv Berlin Bundesarchiv Koblenz Bayerischer Verfassungsgerichtshof Boston College Law Review Band Beck-Rechtssachen Basic Field Manual, Rules of Land Warfare Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre Bundesministerium des Innern Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen Bundesrepublik Deutschland Bundestag Bundesverfassungsgericht Chef der Deutschen Polizei der/des Deutsche Arbeitsfront Deutsche Demokratische Republik derselbe dieselbe Deutsche Juristen-Zeitung Deutsche Richterzeitung Drucksache Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift
Abkürzungsverzeichnis DVBl. EGStGB EMRK et al. f./ff. FAZ Fn. GBl. Gestapo GKK GLJ GWB HaStAMü HJ HLKO h. M. Hrsg. HS ICTY ILC IMT IPbpR i.V. m. JA Jhg. JR JZ KG Kgl. KJ KRG1 KRG10 KRG11 KritV KV KZ LG lit. LTO MfS MRG1 m.w. N.
Deutsches Verwaltungsblatt Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Europäische Menschenrechtskonvention et alii/et aliae/et alia folgende Seite/n Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote Gesetzblatt Geheime Staatspolizei Genfer Kriegsgefangenen Konvention German Law Journal Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums Hauptstaatsarchiv München Hitlerjugend Haager Landkriegsordnung herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia International Review of Intellectual Property and Competition Law Internationales Militärtribunal Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Jahrgang Juristische Rundschau JuristenZeitung Kammergericht Königlich Kritische Justiz Kontrollratsgesetz Nr. 1 Kontrollratsgesetz Nr. 10 Kontrollratsgesetz Nr. 11 Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung Kriegsverbrecher Konzentrationslager Landgericht littera Legal Tribune Online Ministerium für Staatssicherheit Militärregierungsgesetz Nr. 1 mit weiteren Nachweisen
19
20 NJ NJW NMT NN Nr. NSKK NSRB NStZ NSV NVwZ o. D. OKW OLG o. S. OSprG PoStraV RdErl. Rf. RGBl. RMBliv. RMdI RMJ Rn. RSHA RStGB RStPO RT S. SA SchiedsVZ SD Sig. Sipo SJZ SpkA SS StAAsch StaatsAnw. StAMü StAN StGB StPO
Abkürzungsverzeichnis Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Nürnberger Militärtribunal(e) Nacht-und-Nebel Nummer Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund Neue Zeitschrift für Strafrecht Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht ohne Datum Oberkommando der Wehrmacht Oberlandesgericht ohne Seitenangabe Oberster Spruchgerichtshof Polenstrafrechtsverordnung Runderlass Reichsführer Reichsgesetzblatt Reichsministerialblatt der inneren Verwaltung Reichsministerium des Innern Reichsjustizministerium Randnummer Reichssicherheitshauptamt Reichsstrafgesetzbuch Reichsstrafprozessordnung Rechtstheorie Seite Sturmabteilung Zeitschrift für Schiedsverfahren Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS Signatur Sicherheitspolizei Süddeutsche Juristen-Zeitung Spruchkammerakte Schutzstaffel Stadtarchiv Aschaffenburg Staatsanwaltschaft Staatsarchiv München Staatsarchiv Nürnberg Strafgesetzbuch Strafprozessordnung
Abkürzungsverzeichnis StV u. a. Urt. v. vgl. VGM VjfZ VO7 VStGB VVO WIRO WRV ZaöRV z. B. ZBLG ZIS zit. ZJS ZPO ZRP ZStW
Strafverteidiger (Zeitschrift) unter anderem Urteil vom/von vergleiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Verordnung Nr. 7 Völkerstrafgesetzbuch Verordnung gegen Volksschädlinge („Volksschädlingsverordnung“) Wirtschaft und Recht in Osteuropa Weimarer Reichsverfassung Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik zitiert Zeitschrift für das Juristische Studium Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
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Kapitel 1
Grundlagen der Arbeit § 1 Fragestellung und Methodik „Die Richter von damals sind schuldiger als andere, weil sie in ihrer Gesamtheit das Recht hätten besser vertreten müssen.“ – Lothar Kreyssig1
Eine unabhängige Justiz und funktionierende Rechtspflege sind als Hüter der Verfassung und der Bürgerrechte der Grundstein jeden Rechtsstaates2 und damit denknotwendig der Todfeind jeder Diktatur. Gerade die Überprüfbarkeit staatlichen Handelns durch die Gerichte verhindert eine willkürliche Machtausübung und damit ein Abdriften des Staates in ein autoritäres System. Folglich ist das Rechtswesen regelmäßig3 ein erstes Angriffsziel, wenn es darum geht, eine Gesellschaft zur Tyrannei hin umzubauen. Um die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zu gewährleisten und „Angriffe von innen“ heraus abzuwehren, hatte der deutsche Gesetzgeber4 bereits im RStGB von 18715 die sogenannte Rechtsbeugung unter Strafe gestellt.6 Diese Vorschrift ist auch im heutigen StGB7 als § 3398 enthalten.9 Richter und Staatsanwälte sollen durch den Straftatbestand 1
Zit. nach Rautenberg, in: GA 2012, 32 (41). Vgl. statt aller Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II. Rn. 235 ff.; V. Rn. 1 ff. 3 Vgl. zur Beeinflussung des Justizsystems in der DDR BGH NStZ 1994, 240 (241). Mit Sorge sind die derzeitigen Entwicklungen in den EU-Mitgliedsstaaten bzw. -Beitrittskandidaten Ungarn [siehe Küpper, in: WIRO 2013, 353 (359 f.); ders., in: WIRO 2014, 8 f.], Polen (Ohne Verfasser, Justizreform Polen; alle Internetseiten wurden zuletzt am 04.09.2017 abgerufen), sowie jüngst Türkei (Rebehn, in: DRiZ 9/2016, 288 f.) zu beobachten. 4 Die Rechtsbeugung war allerdings schon im Alten Testament ein Begriff, vgl. Koch, in: ZIS 6/2011, 470. 5 V. 15.05.1871. RGBl. 1871, Nr. 24, S. 127. 6 Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Kuhlen, StGB, § 339 Rn. 1; Friedrich, Freispruch, S. 57. 7 In der Fassung der Bekanntmachung vom 13.11.1998, BGBl. I, S. 3322. Zuletzt geändert durch Art. 5 zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten v. 10.12.2015, BGBl. I, S. 2218. 8 „Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.“ Früher § 336 StGB. Vgl. Koch, in: ZIS 6/2011, 470 (471). 9 Vertiefend Uebele, in: MüKo-StGB, Bd. 5, § 339 Rn. 1; BGH NJW 1994, 529 f., 3238 (3240); NJW 1997, 1455. 2
24
Kap. 1: Grundlagen der Arbeit
daran gehindert werden, den der Rechtsfindung zu Grunde liegenden Sachverhalt zu verfälschen, Rechtsnormen vorsätzlich falsch anzuwenden sowie Ermessen zu missbrauchen.10 Die Norm bildet „sozusagen das Gegengewicht zur richterlichen Unabhängigkeit, die ein Rechtsstaat seinen Richtern verbürgt.“11 Dieser wichtige Schutzmechanismus ist allerdings in vielen Fällen nur ein theoretischer. Denn das System stößt dort an seine Grenzen, wo entweder eine strafrechtliche Verfolgung der am Justizmissbrauch beteiligten Personen unterbleibt oder gar das Justizsystem selbst in seiner Totalität willkürliche Züge annimmt.12 Eine der eklatantesten Perioden staatlichen Rechtsmissbrauchs erlebte Deutschland mit der Machtergreifung der Nazis im Januar 1933, denn auch die Justiz wurde in den „Führerstaat“13 integriert. Unter der mehr als zwölfjährigen Herrschaft Hitlers erfolgte eine massive Umgestaltung justizieller Strukturen. Bestehende Gesetze wurden neu ausgelegt und neuartige Gesetze und Verordnungen erlassen.14 Die aktive Mithilfe der Richter, Staatsanwälte, Verwaltung und der Rechtswissenschaft war gefragt, um den Verbrechen der Nationalsozialisten den Anstrich von Legalität zu geben. Dies führte letztlich dazu, dass das Justizwesen nur noch ein Schatten seiner selbst war. Spätestens ab dem Überfall auf Polen im Jahre 1939 wurden Gerichte nicht nur in Deutschland, sondern auch in den eroberten Gebieten als „Panzertruppe der Rechtspflege“15 gegen Feinde des NS-Regimes eingesetzt. Dies hatte tausende widerrechtliche Todesurteile und Inhaftierungen in KZs zur Folge.
10 Vgl. Schönke/Schröder/Heine/Hecker, § 339 Rn. 7; Lackner/Kühl/Heger, § 339 Rn. 5. 11 Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 422; vgl. auch Friedrich, Freispruch, S. 57; Radbruch, in: Dreier/Paulson (Hrsg.), S. 218 f. 12 Vgl. auch Friedrich, Freispruch, S. 58. In heutigen Tagen werden relativ wenige Richter und Staatsanwälte wegen Rechtsbeugung verurteilt. Koch, in: ZIS 6/2011, 470; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Kuhlen, StGB, § 339 Rn. 4; Putzke/Putzke, Wenn Richter über Richter richten. Zuletzt aber BGH, Beschluss v. 24.02.2016 – 2 StR 533/15 (Mitteilung der Pressestelle: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/ document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=2016-2&nr=73920&linked=pm&Blank=1). Über die „Quote“ der tatsächlich begangenen Rechtsbeugungen lassen sich somit aber keine Aussagen treffen. Vgl. Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Kuhlen, StGB, § 339 Rn. 8 ff. 13 Nach Prof. Dr. Hans Erich Feine „bedeutete [der Führerstaat] nicht nur die Beseitigung des Parlamentarismus und der Parteien, Reinigung des öffentlichen Lebens von rasse- und volksfremden Elementen, Sicherung des Bestandes des Volkes selbst gegen Verfall und Entartung, sondern für das öffentliche Leben vor allem auch eine Übernahme des in der Partei erprobten Führergrundsatzes auf den Staatsorganismus und eine rechtliche Sicherung der Stellung der Partei im Ganzen [. . .].“ Zit. nach Poliakov/Wulf (Hrsg.), Denker, S. 336. Siehe auch Dreier, Die deutsche Staatsrechtslehre, S. 46 ff. m.w. N. 14 Vgl. Staff (Hrsg.), Justiz, S. 65. 15 Zu dem von Roland Freisler geprägten Begriff vgl. nur Luber, in: Effer-Uhe/Hoven/Kempny/Rösinger (Hrsg.), S. 219 (221); Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 208.
§ 1 Fragestellung und Methodik
25
Nach der Zerschlagung des sogenannten Dritten Reiches durch die alliierten Streitkräfte setzte eine Welle von Maßnahmen der Bewältigung und Aufarbeitung16 der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands ein. Die schwerwiegensten Verbrechen der Nazis wurden zwischen 1946 und 1948 in den sogenannten Nürnberger Prozessen strafrechtlich aufgearbeitet, wobei man sich weniger auf Einzeltäter, als vielmehr auf „organisierte“ NS-Kriminalität fokussierte.17 Neben dem interalliierten Hauptkriegsverbrecherprozess (Internationales Militärtribunal; IMT-Prozess), der die deutschen und österreichischen18 „Hauptkriegsverbrecher“ 19 vor Gericht stellte, behandelte die amerikanische Besatzungsmacht in den zwölf „Nürnberger Nachfolgeprozessen“ (Nürnberger Militärtribunale; NMT-Prozesse) die Beteiligung einzelner elitärer Berufsgruppen bzw. NS-Organisationen an den den Hauptkriegsverbrechern zur Last gelegten Delikten. Dabei widmete man auch den Juristen im Jahre 1947 einen eigenen Prozess.
A. Fragestellung der Arbeit I. Besonderheiten des Juristenprozesses und Bedeutung der Strafverteidigung Das Verfahren, welches als „Juristenprozess“ 20 bekannt werden sollte, wirft eine Vielzahl rechtlicher Fragestellungen auf. Zunächst stellte die Thematik juristisches Neuland dar, denn erstmals in der Geschichte wurde eines der wichtigsten Prinzipien des Völkerrechts – sich nicht in fremdstaatliche Angelegenheit einzumischen21 – in Bezug auf eine staatliche Justiz relevant. Die Frage war, unter welcher Prämisse ein Staat bzw. die Völkergemeinschaft über die Gesetzgebung und Rechtsprechung eines besiegten (souveränen) Staates urteilen und die an den Urteilssprüchen beteiligten Personen zur Verantwortung ziehen darf.22 Dass eine derartige Auseinandersetzung mit dem NS-Justizwesen in einem strafrechtlichen Verfahren stattfinden sollte, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Eine Besonderheit der NS-Strafverfahren war nämlich, dass die Rechte der An16 Vgl. zu den Begriffen „Vergangenheitsbewältigung“ und „Aufarbeitung der Vergangenheit“ Landau, in: 4. Rosenburg-Symposium, S. 52. 17 Hierzu Kapitel 1 § 3. 18 Daneben gab es das sogenannte International Military Tribunal for the Far East (IMTFE) in Tokio, das sich mit den japanischen Kriegsverbrechen befasste. Siehe dazu Herde, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 217 ff.; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 24. 19 Zum Begriff des Hauptkriegsverbrechers siehe Kraus, KRG10, S. 16 ff.; US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 60; Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 25; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 17 ff.; vgl. auch Andoor, in: ZJS 5/2015, 473. 20 Im Englischen häufig Justice Case oder Judge’s Trial. 21 Vgl. nur Herdegen, Völkerrecht, Kapitel IV § 28 Rn. 4 f.; Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 47 f. 22 Vgl. Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 288 ff., 312 f.; Perels, in: KJ 1998, 84 (87); Koch, in: ZIS 6/2011, 470.
26
Kap. 1: Grundlagen der Arbeit
geklagten massiv eingeschränkt worden waren. So hing in der NS-Zeit beispielsweise bei sondergerichtlichen Verfahren und Verfahren vor dem Volksgerichtshof die Verteidigung von Angeklagten von der Genehmigung des Gerichts ab.23 Kennzeichen eines jeden Rechtsstaates ist es aber, dass Angeklagte das Recht besitzen müssen, ihre Interessen von einem Strafverteidiger vertreten zu lassen.24 Das Recht auf eine effektive Verteidigung hatte sogar bereits in der deutschen RStPO von 1877 existiert25, obgleich es durch die nationalsozialistische Justiz systematisch verletzt worden war. Vor diesem Hintergrund musste auch in den Nürnberger Verfahren ein Recht auf effektive Verteidigung gewährleistet werden, wollte man sich nicht dem Vorwuf der „Siegerjustiz“ ausgesetzt sehen.26 Effektive Strafverteidigung spielt aber selbstverständlich auch in der Praxis eine überragend wichtige Rolle im Strafprozess. Das BVerfG führt dazu aus: Unter der Geltung des Rechtsstaatsprinzips [. . .] müssen dem Bürger schon aus Gründen der Chancen- und Waffengleichheit Rechtskundige zur Seite stehen, denen er vertrauen und von denen er erwarten kann, dass sie seine Interessen unabhängig, frei und uneigennützig wahrnehmen [. . .]. Dem Rechtsanwalt als berufenem unabhängigen Berater und Beistand obliegt es, seinem Mandanten umfassend beizustehen [. . .].27
Dem Verteidiger kommt also neben der Beratungs- auch eine Beistandsfunktion zu. Dazu ist die Pflicht des Verteidigers zu zählen, in Übereinstimmung mit seinem Mandanten eine effektive Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Denn obwohl ein Verteidiger die Vertretung seines Mandanten nach außen hin übernimmt, bleibt es das Recht eines jeden Angeklagten als Subjekt des Verfahrens, seine eigene Verteidigungsstrategie frei zu wählen.28 Das ist nicht nur aus rechtstheoretischer, sondern auch aus praxisnaher Sicht relevant. So besteht doch immer die Gefahr, dass sich die „Verärgerung“ des Gerichts, beispielsweise über eine auf Konfrontation ausgelegte Verteidigung, schließlich im Urteilsspruch widerspiegelt.29 Allen Angeklagten im Juristenprozess wurde letztlich durch die alliierten bzw. amerikanischen Besatzungsmächte das Recht zugestanden, einen Wahlverteidiger zu bestellen.30 Wie wichtig die Wahl des Verteidigers im Juristenprozess sein würde, zeigte sich bereits in der Anklageschrift. Den ehemaligen NS-Richtern wurde von der amerikanischen Prosecution31 im Wesentlichen vorgeworfen „Jus23 24 25 26 27 28 29 30 31
Luber, in: Effer-Uhe/Hoven/Kempny/Rösinger (Hrsg.), S. 219 (223). Vgl. Barton, Strafverteidigung, Rn. 1; BVerfG NJW 2015, 2949 (2950). Vgl. Barton, Strafverteidigung, Rn. 1. Vgl. Salleck, Strafverteidigung, S. 17 f. Hierzu auch Kapitel 1 § 3. BVerfG NJW 2015, 2949 (2950). Müller, in: NJW 1981, 1801 (1804); Hohmann, in: NJW 2009, 881 (883). Hamm, in: NJW 2006, 2084 (2086). Vgl. Kapitel 2 § 5. So die englische Bezeichnung für die Staatsanwaltschaft bzw. Anklagebehörde.
§ 1 Fragestellung und Methodik
27
tizmorde“ unter dem Deckmantel rechtsstaalicher Verfahren begangen und dadurch den Bestand des „Dritten Reiches“ gestützt zu haben. Allen voran ist der Angeklagte Oswald32 Rothaug, ehemaliger Vorsitzender Richter am Sondergericht Nürnberg und Reichsanwalt am Volksgerichtshof, zu nennen. Rothaug wurde von den Amerikanern als die Verkörperung des „Bösen“ und Sinnbild des fanatischen Nazi-Richters gesehen.33 Dem Sondergericht Nürnberg kam im Juristenprozess nämlich eine besondere Stellung zu. Es hatte im selben Gerichtsgebäude und Sitzungssaal getagt, in welchem später sowohl die Alliierten als auch die Amerikaner alleine über die Kriegsverbrechen der Nazis urteilen sollten.34 Vor diesem Hintergrund erscheint es bereits fraglich, ob – ungeachtet davon, dass die USA ebenfalls Kriegspartei gewesen waren35 – eine unbefangene Auseinandersetzung mit dem Juristenprozess möglich sein würde. Rothaug berief sich, vertreten durch seinen Verteidiger Josef Kößl insbesondere darauf, dass er nicht verurteilt werden könne, hätte er sich doch stets an das geltende (NS-)Recht gehalten.36 Dass die amerikanischen Richter dieses Argument nicht überzeugen sollte, zeigt sich im Urteil gegen Rothaug: lebenslange Freiheitsstrafe. II. Ziel der Arbeit Ziel dieser Arbeit ist die Beantwortung der Frage, ob sich die (deutschen) angeklagten Juristen effektiv vor dem (amerikanischen) Gericht verteidigen konnten. Insbesondere der rechtliche Rahmen des Verfahrens wird dabei in den Vordergrund gestellt werden. Hierfür wird der Ablauf des Juristenprozesses in seiner Gesamtheit erfasst und exemplarisch die Strategien der Verteidigung des Angeklagten Rothaugs herausgearbeitet werden. Zunächst wird ein Überblick über die in dieser Arbeit angewandte Methodik, die Auswahlkriterien und den Aufbau der Arbeit gegeben werden.
B. Methodik der Arbeit I. Forschungsgegenstand Die im Juristenprozess angeklagten 16 Personen hatten völlig unterschiedliche berufliche und politische Hintergründe.37 Da der Fokus der Arbeit auf dem Angeklagten Rothaug liegt, wurden die seine berufliche Stellung als Richter am Sondergericht und Reichsanwalt am Volksgerichtshof betreffenden Verteidigungs32
Teilweise auch Oswalt, vgl. Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 100. Ausführlich unter Kapitel 2 § 6. 34 Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 432; Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 56. Vgl. auch https://museen.nuernberg.de/memorium-nuernberger-prozesse. 35 Vgl. auch Seliger, Politische Anwälte, S. 363. 36 Friedrich, Freispruch, S. 17 ff. 37 Dazu unter Kapitel 2 § 6. 33
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Kap. 1: Grundlagen der Arbeit
einwände herausgearbeitet. Denn die strafrechtlichen Vorwürfe gegenüber den Angeklagten und damit auch die potentiellen Strategien38 variieren stark: Ein Großteil der Anklagepunkte betrifft viele, wenn nicht gar alle Angeklagten und Berufsgruppen (Verschwörung, Organisationsverbrechen), andere Vorwürfe sind nur einzelnen Personen zuzuordnen. Eine große Rolle spielte auch die Persönlichkeit der Angeklagten und ihre vormals politische Stellung im Staat, welche ausschlaggebend für die Verteidigung waren. In Anbetracht des zur Verfügung stehenden Zeitrahmens und der Fülle des Quellenmaterials39 beschränkt sich die Arbeit auf den Angeklagten Rothaug und seinen Verteidiger Kößl. II. Quellen und Literatur Die NMT-Prozesse sind, im Gegensatz zum sogenannten IMT-Prozess40, wissenschaftlich nur rudimentär aufgearbeitet worden.41 Insbesondere war es jahrzehntelang aufwendig, überhaupt an die Protokolle und Dokumente der Verhandlungen zu gelangen.42 Nachdem sich amerikanische Stellen gegen eine deutschsprachige Veröffentlichung entschieden hatten und auch ein entsprechendes Vorhaben eines Münchener Verlags nicht zum Abschluss kam, wurden selbst in englischer Sprache nur ausgewählte Teile der NMT-Prozesse im Rahmen der sogenannten Green Series43 veröffentlicht.44 1. Veröffentlichungspolitik bezüglich des Juristenurteils Bezüglich des Juristenprozesses stellt sich die Situation wie folgt dar: 1948 wurde der Allgemeine Teil45 des Urteils im Juristenprozess in Hamburg durch das Zentrale Justizamt für die Britsche Zone veröffentlicht; der Besondere Teil blieb als „nur für den Dienstgebrauch“ freigegeben der Öffentlichkeit verschlos38 Einer der häufigsten Verteidigungseinwände in den Nürnberger Verfahren, der beispielsweise auch im Juristenprozess von Schlegelberger vorgebracht worden war, beinhaltete, dass man lediglich weiter im Amt geblieben sei, „um Schlimmeres zu verhüten“. Müller, Furchtbare Juristen, S. 354; Safferling, in: 4. Rosenburg-Symposium, S. 33 f.; Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 74; vgl. auch v. Alten, Recht oder Unrecht, S. 29 f., 120 ff.; Linder, Commentary; Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 51 ff. 39 Dazu sogleich. 40 Der IMT-Prozess ist als vollständiges Protokoll erhältlich. Vgl. nur IMT, Bd. I ff. 41 Vgl. Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 9 ff. 42 Vgl. auch v. Alten, Recht oder Unrecht, S. 33 f.; Kraus, in: Heinze/Schilling, Rechtsprechung, S. V f. 43 Diese sind mittlerweile im Internet abrufbar. Für den Juristenprozess https://www. loc.gov/rr/frd/Military_Law/pdf/NT_war-criminals_Vol-III.pdf. 44 Zu den Veröffentlichungen vgl. Seliger, Politische Anwälte, S. 377 ff.; Priemel/ Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 13 ff. Letztere kritisieren, dass die von der Anklagebehörde herausgegebenen Sammlungen eine starke subjektive Konnotation hätten. Ebenda, S. 15. 45 Vgl. zu der Aufteilung des Juristenurteils unter Kapitel 3 § 14.
§ 1 Fragestellung und Methodik
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sen.46 Die erste vollständige Veröffentlichung des Juristenurteils wurde – auf den ersten Blick erstaunlich – im Jahre 1969 in der DDR publiziert.47 Diese Veröffentlichung war durch eine Einführung des Rechtsanwalts Steiniger48, die Anklageschrift, Beweismaterial und Teile des Schlussplädoyers der Prosecution erweitert worden. Erst 1996, also 27 (!) Jahre später, veröffentlichte die damalige Berliner Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit die erste vollständige Ausgabe des Juristenurteils auch in Westdeutschland.49 Der Grund der Veröffentlichung lag ausweislich des Vorworts im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Aufarbeitung des DDR-Unrechts sowie dem Balkankrieg.50 Zwischen den beiden Daten ist die kommentierte Ausgabe von Ostendorf/ter Veen51 positiv hervorzuheben, die zwar nicht das Urteil in seiner kompletten Fassung wiedergab, jedoch bereits in den 1980er Jahren die Probleme und Wirkungen des Juristenurteils herauszuarbeiten und den Prozess in seiner Gesamtheit zu erfassen versuchte. 2. Forschungsbedarf Keine der genannten Veröffentlichungen beschäftigt sich allerdings ausgiebig mit den einzelnen Etappen des Prozesses, insbesondere nicht mit der Strafverteidigung. Dies kann als grundsätzliches Problem in der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit gesehen werden. Da die Erforschung der Strafverteidigung in den Nürnberger Prozessen noch in den Kinderschuhen steckt52, muss im besonderen Maße „Grundlagenarbeit“ geleistet werden. Ein weiteres (Folge)problem ergibt sich daraus, dass es bis heute auch an einschlägiger Literatur zum Juristenprozess mangelt.53 Die vorhandenen Artikel bzw. Abhandlungen54, die oftmals unter 46 Siehe hierzu Peschel-Gutzeit, in: dies. (Hrsg.), Juristenurteil, Vorwort S. 7 f.; Rautenberg, in: GA 2012, 32 (34). Zu finden ist eine Gesamtausgabe beispielsweise in der Sammlung des Instituts für Völkerrecht und Ausländisches Öffentliches Recht der Universität zu Köln. 47 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.). Siehe auch Perels, in: KJ 1998, 84. 48 Vgl. zu Steinigers Hintergrund Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 61. 49 Siehe hierzu Peschel-Gutzeit, in: dies. (Hrsg.), Juristenurteil, Vorwort S. 7 f.; Perels, in: KJ 1998, 84. 50 Peschel-Gutzeit, in: dies. (Hrsg.), Juristenurteil, Vorwort S. 8; Rautenberg, in: GA 2012, 32 (34). 51 Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil. 52 Vgl. nur Salleck, Strafverteidigung, S. 18 ff.; Seliger, Politische Anwälte, S. 17, 30 ff. 53 Vgl. Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 290; Perels, in: KJ 1998, 84 (94 f.); Kastner, in: JA 1997, 699 (705). Zu den Gründen vgl. unter Kapitel 4 § 15. 54 Erneut sind hier – neben Veröffentlichungen von involvierten Strafverteidigern – ehemalige DDR-Juristen hervorzuheben, die einen überwältigenden Teil der Literatur zum Juristenprozess hervorgebracht haben. Dies geschah wohl in der Absicht, mit dem „faschistischen Westregime“ abzurechnen. Siehe auch Jung, Rechtsprobleme, S. 2; Steinigers Einleitung, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), insbesondere S. 17, 20, 30 ff.; Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 106; Perels, in: KJ 1998, 84.
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Kap. 1: Grundlagen der Arbeit
Fehlern und Ungenauigkeiten leiden, was Daten55 oder Namen56 betrifft, fassen in der Regel nur das abschließende Juristenurteil zusammen oder übertragen die Wirkung und die gefundenen Ergebnisse auf Kriegsverbrecherprozesse der Nachkriegszeit. Eine substantiierte Auseindersetzung mit dem Prozess in seiner Gesamtheit ist auch in der Literatur bisher nicht erfolgt. III. Methodik Da Zeitzeugengespräche57 und die Suche nach Nachlässen58 keine Erfolge brachten, mussten für die vorliegende Arbeit im Wesentlichen die vorhandenen Primärquellen des Juristenprozesses59 ausgewertet werden. Diese bestehen aus Verfahrensakten (Protokolle, Beiweisdokumente), Sachakten und Personalakten60 und liegen im Original bzw. in amtlicher Kopie in diversen Archiven61 vor. Darunter sind Archive in Aschaffenburg (Stadtarchiv), Berlin (Bundesarchiv), Koblenz (Bundesarchiv), München (Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv) und Nürnberg (Bayerisches Staatsarchiv). Das Finden und Sichten der Dokumente macht einen wesentlichen Teil der Arbeit aus, da die Akten des Juristenprozesses bisher noch nicht digitalisiert sind62. Im Nürnberger Staatsarchiv, in welchem der Hauptteil
55 Vgl. nur Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 99; Müller, Furchtbare Juristen, S. 356. 56 Dabei handelt es sich aber um ein grundsätzliches Problem mit den Quellen. Die Recherche über Josef Kößl wurde beispielsweise dadurch erschwert, dass die Schreibweise des Namens in Personal- und Gerichtsakten erheblich divergiert (Josef, Joseph; teilweise auch Rudolf; Kößl, Koessl, Koessel, Köhsl). Vgl. nur Luber, in: Conze/Safferling (Hrsg.); US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 14; Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 768; StAMü, OLG München 2052, Reifezeugnis v. 21.03.1929 (Beglaubigung v. 14.05. 1949); BABe, ZB-1137-A.12, Deckblatt. 57 Zwar konnte ein Zeitzeuge ausfindig gemacht werden, der während einer Verhandlung vor dem Sondergericht Nürnberg anwesend gewesen sein soll. Der Zeuge konnte sich aber nicht erinnern, welche Richter die Verhandlung führten. Jedenfalls sei die Verhandlungsführung „sehr zynisch“ gewesen und das Verfahren habe mit einem Todesurteil geendet. Der Angeklagte habe daraufhin „sehr niedergeschlagen“ gewirkt. 58 Durch den Einsturz des Stadtarchivs Köln im Jahr 2009 könnte ein möglicher Nachlass Rothaugs vernichtet worden sein. 59 In manchen Fällen wurden aber auch die Prozessmaterialien anderer Verfahren, insbesondere des IMT-Prozesses oder von Strafverfahren gegen bestimmte Personen, herangezogen. 60 Vgl. auch Safferling, in: 4. Rosenburg-Symposium, S. 36 ff. 61 Akten, die unter Umständen über die „Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht“ (WASt) zu beziehen gewesen wären, mussten aufgrund des Zeitplans unberücksichtigt bleiben. 62 Die Harvard University hat sich dieser Aufgabe angenommen. Bisher sind die NMT-Vefahren 1, 2 und 4 digitalisiert. Vgl. http://nuremberg.law.harvard.edu/php/docs_ swi.php?DI=1&text=nur_13tr.
§ 1 Fragestellung und Methodik
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der Materialien der Nürnberger Prozesse zu finden ist, liegen viele tausend Seiten Dokumente zum Juristenprozess. 1. Qualität des Materials Da die Grundlage dieser Arbeit die Auswertung eines Strafprozesses ist, ist die richtige Verwendung juristischer Fachtermini entscheidend. Grundsätzlich wurden die englischsprachigen Originaldokumente für die Recherche herangezogen. Probleme bereitet der Umstand, dass sich das deutsche (kontinentale) und das angloamerikanische (Common Law) Rechtssystem in den meisten Bereichen unterscheiden.63 Erschwerend kommt hinzu, dass der Juristenprozess ein Strafverfahren war, in welchem sich amerikanische Richter mit deutschem Recht auseinandersetzen mussten. In den Prozessdokumenten sind oftmals die englischsprachigen Übersetzungen deutscher oder lateinischer Rechtsbegriffe nicht exakt.64 Um die korrekte Erfassung beider Rechtssysteme zu gewährleisten, wurden – wo es nötig erschien65 und möglich war66 – auch die deutschsprachigen Übersetzungen des Prozessmaterials herangezogen.67 Die Arbeit mit den deutschen Dokumenten alleine war nämlich ebenfalls nicht erfolgversprechend, da viele Dokumente entweder nicht in deutscher Sprache verfügbar sind oder nicht korrekt übersetzt wurden, was sich durch „krumme“ Sätze und etliche Schreibfehler bemerkbar macht.68 Weiterhin war es aufgrund des Alters der Dokumente nicht immer eindeutig möglich, den Inhalt einzelner Sätze zu entziffern. Um die Leserlichkeit der Arbeit zu gewährleisten, wurden Zitate, die aus den Primärquellen wiedergegeben werden, der aktuellen Rechtschreibung angepasst und offensichtliche Rechtschreibfehler behoben. 2. Rechtshistorische Arbeit Dass es sich bei der Arbeit um die Aufarbeitung eines Strafprozesses handelt, ist noch aus einem weiteren Punkt bedeutsam. Denn auch wenn die Verfahren in ein strafprozessrechtliches Korsett gezwängt wurden, das in gewissem Umfang den Rahmen vorgeben sollte, war die Zielsetzung der Prosecution doch im Besonderen auch die historische und politische Aufarbeitung der zwölfjährigen NS63
Vgl. dazu unter Kapitel 2 § 5. Vgl. Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), Vorbemerkung S. 7; Heinze/Schilling, Rechtsprechung, S. XIX. Dies hängt sicherlich auch mit dem unterschiedlichen Rechtsverständnis zusammen. 65 Vgl. zu den Tatbeständen des KRG10 unter Kapitel 2 § 5 A. I. 66 Nicht alle Dokumente sind in beiden Sprachen erschienen bzw. erhalten. 67 Der Auswertung des Urteils liegt die deutsche Sprachfassung zugrunde, die von der britischen Militärregierung übersetzt worden war und auf dem Common Law basiert. Peschel-Gutzeit, in: dies. (Hrsg.), Juristenurteil, Vorwort S. 7. 68 Das zeigt sich insbesondere im Vergleich der Schriftsätze der Prosecution mit denen der Verteidigung. Allerdings scheint dies ein Problem aller Nürnberger Verfahren gewesen zu sein. Hierzu Heinze/Schilling, Rechtsprechung, S. XIX. 64
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Kap. 1: Grundlagen der Arbeit
Herrschaft.69 Bei der Arbeit mit rechtshistorischen Dokumenten muss stets berücksichtigt werden, dass Juristen und Historiker unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen und dementsprechend unterschiedlich arbeiten.70 Die Arbeit nimmt eine juristische Perspektive ein. Vor diesem Hintergrund müssen die in den Archiven gefunden Quellen und deren Inhalte als „echt“ angesehen werden.71 Abweichungen zur historischen „Wahrheit“ oder historischen Abläufen werden, sofern kein Anlass dazu besteht72, keine Berücksichtigung finden. Ebenfalls ist wichtig festzustellen, dass sich in vielen Fällen anhand der „Aktenlage“ zwar Rückschlüsse auf bestimmte Ergebnisse der Arbeit ziehen lassen; wenn diese Rückschlüsse aber nur auf Indizien basieren, müssen sie letztlich Vermutungen bleiben.73
C. Aufbau der Arbeit Ein wesentliches Problem stellte sich darin, der Arbeit eine sinnvolle Struktur zu geben. Zwar liefen die Nürnberger Verfahren nach einem bestimmten Muster ab74, sodass ein gewisser Aufbau denknotwendig vorgegeben war. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass der interessierte Leser nicht mit den Details des Falls vertraut ist, wie es beispielsweise die Prosecution oder die Angeklagten selbst im Juristenprozess waren. Deshalb wurden der Arbeit zunächst – quasi vor die Klammer gezogen – einleitende Abschnitte vorangestellt, die sich mit den Grundlagen der Arbeit (Kapitel 1) und des Juristenprozesses (Kapitel 2) beschäftigen. Zunächst wird ein Blick auf das NS-Justizsystem geworfen und untersucht, welche Rolle ein Jurist in diesem einnahm (Kapitel 1 § 2). Danach wird eine Einführung in die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse (Kapitel 1 § 3), insbesondere den Juristenprozess (Kapitel 2 § 4), gegeben und die Rechtsgrundlagen der NMT-Verfahren analysiert und kommentiert (Kapitel 2 § 5). Nach einer ausgiebigen Darstellung der Prozessbeteiligten mit einem Fokus auf Rothaug und Kößl (Kapitel 2 § 6) werden die aus der Anklageschrift hergeleiteten strafrechtlichen Vorwürfe gegen die Angeklagten behandelt (Kapitel 2 § 7). Es folgt der Hauptteil der Arbeit (Kapitel 3), in welchem der Prozessablauf, die Verteidigung und das Urteil präsentiert werden. Das Kapitel beginnt mit dem Opening-Statement der Prosecution (Kapitel 3 § 8) und es folgen die Eröffnungserklärung der 69
So auch Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 58; Seliger, Politische Anwälte, S. 27. Werle/Wandres, Auschwitz vor Gericht, S. 16, 28, 88 f.; Luber, in: History and Politics, S. 117 (118); vgl. auch Seliger, Politische Anwälte, S. 13. 71 Vgl. hierzu nur die Kommentierungshinweise in Hartmann et al. (Hrsg.), Mein Kampf, S. 55 ff. 72 Vgl. Haensel, Das Gericht vertagt sich, S. 10, 13 f. Die Echtheit des Beweismaterials wurde im Übrigen von den Angeklagten im Juristenprozess nicht angefochten. Vgl. Kapitel 3 § 11. 73 Vgl. dazu unter Kapitel 2 § 6 und Safferling, in: 4. Rosenburg-Symposium, S. 50 f. 74 Dazu Kapitel 2 § 5 B. I. 70
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Gesamtverteidigung (Kapitel 3 § 9) und Kößls Eröffnungsrede für Rothaug (Kapitel 3 § 10). Anschließend wird die Arbeit auf den Ablauf der Beweiserhebung sowohl der Anklagevertretung als auch der Verteidigung eingehen und sich dabei mit ausgewählten Beweismaterialien, Zeugenvernehmungen und Prozesshandlungen auseinandersetzen (Kapitel 3 § 11). Kapitel 3 § 12 behandelt den Einwand der Verteidigung gegen den Tatkomplex der Conspiracy. Diesem Abschnitt folgen die Plädoyers von Prosecution und Verteidigung sowie die letzten Worte der Angeklagten (Kapitel 3 § 13). Daraufhin wird dann ausführlich das Urteil im Juristenprozess wiedergegeben und in Bezug auf Rothaug untersucht (Kapitel 3 § 14). Zuletzt wird ein Ausblick gegeben (Kapitel 4), inwiefern der Juristenprozess Auswirkungen auf die Strafverfolgung von NS-Tätern in der Bundesrepublik Deutschland hatte (Kapitel 4 § 15) und was aus den wichtigsten Personen geworden ist (Kapitel 4 § 16).
§ 2 Rechtliche Situation im NS-Deutschland A. Vereinbarkeit der Justiz mit der Staatsauffassung im „Dritten Reich“ Am 25.11.1934, knapp zwei Jahre nach Hitlers Machtergreifung, wurde Joseph Goebbels in der Deutschen Allgemeinen Zeitung mit einem Ausspruch zitiert, der aus heutiger Sicht in seiner Offen- und Ehrlichkeit absolut verblüffend ist: „Wir waren nicht legal um legal zu bleiben, sondern um an die Macht zu kommen. Wir sind legal an die Macht gekommen, um illegal handeln zu können.“ 1
In die gleiche Richtung geht die Aussage Heinrich Himmlers vom 11.10.1936: „Ob ein Paragraph unserem Handeln entgegensteht, ist mir völlig gleichgültig.“ 2
Zwei Naziführer bekannten sich also in aller Öffentlichkeit schon zum damaligen Zeitpunkt zu demjenigen Terrorstaat, zu welchem sie Deutschland machen sollten. Zwangsläufig drängt sich die Frage auf, warum die Nazis den erheblichen Aufwand betrieben, ihre Feinde in Schauprozessen, die doch zumindest äußerlich den Schein eines gerichtlichen Verfahrens aufwiesen, zu vernichten.3 Wäre es nicht einfacher und effektiver gewesen, die Betroffenen „an die Wand zu stellen“ oder in eines der vielen hundert Gefängnisse und KZs einweisen zu lassen? Die Frage ist berechtigt, verkennt aber die geschichtlichen Stufen der Radikalisierung Nazi-Deuschlands. Mit den Wahlen im Januar 1933 konnte die NSDAP keine absolute Mehrheit erringen.4 Hitler konnte sich seiner Herrschaft folglich nicht sicher sein und musste den weniger radikalen Parteien Zugeständnisse machen.5 1 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 16. Des Weiteren drohte er, man werde alle Antifaschisten „legal aufhängen“. Zit. nach Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 34. 2 Zit. nach Knopp/Gültner, in: Knopp (Hrsg.), S. 171; Ostendorf, Dokumentation, S. 26. 3 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 13; Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 308. 4 Vgl. Kastner, in: NJW 1982, 2056 (2056); Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 Rn. 69; Müller, Furchtbare Juristen, S. 46. Zu der Frage nach dem rechtmäßigen Zustandekommen des Ermächtigungsgesetzes wegen fehlender Zweidrittelmehrheit und Nötigung der Abgeordneten durch die SA vgl. Radbruch, in: Dreier/Paulson (Hrsg.), S. 214 Fn. 4; Friedrich, Freispruch, S. 55 f.; Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 311; Ostendorf, Dokumentation, S. 18 f.; Staff (Hrsg.), Justiz, S. 51 ff. 5 Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 14 ff., 30; so auch StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 14; vgl. ferner Staff (Hrsg.), Justiz, S. 52; Müller, Furchtbare Juristen, S. 61.
§ 2 Rechtliche Situation im NS-Deutschland
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Dies wird insbesondere im judikativen Sektor sichtbar. Obwohl Hitler die Justiz verachtete und ihr kein Vertrauen entgegen brachte6, benötigte er die Mithilfe der Juristen, insbesondere jener, die im Bereich der Strafrechtspflege tätig waren7. Dies war nötig, um den Schein von Rechtsstaatlichkeit im aufkommenden „Dritten Reich“ zu wahren und dadurch seine Macht zu sichern.8 Diese Zugeständnisse waren aber nicht auf Dauer angelegt, vielmehr sollte die Justiz in Etappen nazifiziert werden.9 Dass insbesondere dem radikalen Flügel der Partei ein Staat ohne eine dritte Gewalt vorschwebte, zeigte sich in der teilweise vorgebrachten Forderung, die Justiz in seiner Gänze abzuschaffen und stattdessen der Polizei alle justiziellen Aufgaben zu übertragen.10 Der Folgen für den ehemaligen Rechtsstaat Deutschland waren sich diese Personen – freilich – bewusst.11 Ein wichtiger Schritt in der Gleichschaltung des Justizwesens ereignete sich kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges. Ab dem Jahre 1938 wurde nämlich unter anderem die Entwicklung der Rechtsprechung und die gesellschaftliche Reaktion hierauf systematisch durch den Nachrichtendienst SD12 analysiert, wozu Informanten aus dem Justizsystem angeworben worden waren.13 Auch wenn die Justiz letztlich das Feld nie völlig zugunsten der Polizei geräumt hatte14, verschwand 6 Ausdrücklich Staatssekretär Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 7, 15. Ebenso Kastner, in: JA 1997, 699 (699); Luber, in: Effer-Uhe/Hoven/Kempny/Rösinger (Hrsg.), S. 219 (220); Ostendorf, Dokumentation, S. 21; Müller, Furchtbare Juristen, S. 395. Vgl. auch Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 12; Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 74; Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49; Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. XVII; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 94; Müller, Furchtbare Juristen, S. 195; sowie den Ausspruch Hitlers, der bereits am 27.08.1930 im Völkischen Beobachter abgedruckt worden war: „Wir können diesen Richtern aber unsrerseits nur einer Sache versichern: Wenn der Nationalsozialismus ans Ruder kommt, dann fliegen sie ohne Pension auf die Straße.“ Zit. nach StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 16. Ähnlich äußerte sich auch Himmler: „Juristen sind gesetzlich zugelassene Diebe, Betrüger und Ausbeuter.“ Zit. nach Knopp/Gültner, in: Knopp (Hrsg.), S. 145. Letztlich auch die Rede Hitlers vor dem Reichstag vom 26.04.1942, vgl. unter Kapitel 3 § 8 D. I. 3. b). Die Verurteilung von Nationalsozialisten durch Strafgerichte der Weimarer Republik dürfte auch eine Rolle gespielt haben. Vgl. Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 22. Zum HitlerPutsch-Prozess siehe Gritschneder, in: NJW 2001, 484; Müller, Furchtbare Juristen, S. 21 ff. 7 Vgl. Staff (Hrsg.), Justiz, S. 9. 8 Vgl. Engelhard, in: Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 5 f.; ebenda, S. 42; Ostendorf, Dokumentation, S. 21. 9 Dazu im Folgenden. 10 Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 15 ff. 11 Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 17. 12 Vgl. IMT, Bd. I, S. 294 f. 13 Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. XV, XIX; Hentschel, in: Der Spiegel 51/1965, S. 69. 14 Himmler hatte sich vergeblich darum bemüht, die Staatsanwaltschaften dem RSHA zu unterstellen. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-OpeningStatement der Gesamtverteidigung, S. 9; Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 45.
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Kap. 1: Grundlagen der Arbeit
spätestens in den letzten Jahren des Krieges die Trennung zwischen exekutivpolizeilichen und judikativen Maßnahmen vollständig15.
B. Der Jurist im „Dritten Reich“ Es stellt sich aber weiter die Frage, warum insbesondere Juristen an der Beseitigung des Rechtsstaates mitarbeiteten, haben sie doch ein akademisches Studium abgeschlossen und müssen sich von Berufswegen mit schwierigen Sachverhalten auseinandersetzen und diese in allen Facetten durchdenken.16 Falsch ist wohl die Annahme, dass der gesamte Juristenstand seit Beginn des Jahres 1933 aus NSDAP-Sympathisanten bestanden hatte.17 Nach Fieberg „stellten eingeschworene Nationalsozialisten [unter den Juristen] eine Minderheit dar.“ 18 Das Versagen des deutschen Rechtswesens in seiner Gesamtheit wurde vielmehr durch vier Aspekte begünstigt: Erstens empfanden auch weite Teile der in der Justiz beschäftigten Deutschen die Niederlage des Ersten Weltkrieges als Schmach und sehnten sich die Zeit der Monarchie zurück; diese Tendenzen wurden bereits in den harten Urteilen der 20er und 30er Jahre gegen die politische Linke und die relativ milden Urteile infolge rechtsradikaler Straftaten sichtbar und führten zur sogenannten Vertrauenskrise19 der Justiz.20 Zweitens waren viele Deutsche die chaotischen Zustände der Weimarer Zeit mit ihren vielen parteilichen Zersplitterungen und Straßenkämpfen leid.21 Der Wunsch nach straffer, autoritärer Führung des gesamten Staatswesens einschließlich der Gerichte, führte zu einer kollektivistisch-altruistischen Staatsauffassung.22 Die Volksgemeinschaft23 wurde als das allumfassend zu schützende Gut angesehen, während all diejenigen Personen, die ihr aufgrund rassischer, ideologischer oder politischer Diskrepanzen nicht angehören durften, mit allen legalen und illegalen Mitteln ins Abseits ge15
Siehe unten. Vgl. Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 175; Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 34; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 69; Hirsch, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 59. 17 Vgl. Friedrich, Freispruch, S. 16; Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 20, 27; Müller, Furchtbare Juristen, S. 48 ff.; Hirsch, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 60. 18 Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 74. Ähnlich auch Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. XI. 19 Dazu Kleindiek, in: NJW 1993, 1295 (1298); v. Selle, in: NJW 2000, 992 (994); Weck, in: NJW 1993,1436 (1439); Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 13 ff.; vgl. auch Perels, in: KJ 1998, 84 (98). 20 Wassermann, in: NJW 1994, 833 (833); Müller, Furchtbare Juristen, S. 18 ff.; vgl. auch Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 24 ff.; v. Münch, in: NJW 2001, 728 (731); Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 43; Görtemaker, in: 1. Rosenburg-Symposium, S. 15. 21 Grimm, in: NJW 1997, 2719 ff.; BayVerfGH NVwZ-RR 2007, 73 (74); Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 Rn. 69; Hirsch, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 60; vgl. auch Staff (Hrsg.), Justiz, S. 51 ff. 22 Vgl. Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 68. 23 Vertiefend Poliakov/Wulf (Hrsg.), Denker, S. 333 ff. 16
§ 2 Rechtliche Situation im NS-Deutschland
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drängt werden mussten.24 Nach der Vorstellung der Nazis sollten ausschließlich Personen arischen Blutes als rechtlich gleichgestellte Personen gesehen werden.25 Alle anderen Menschen waren zu diskriminieren, wenn nicht gar auszulöschen.26 Diese Aufweichung der in der Weimarer Republik erkämpften Rechte wurde zunächst von den NS-Juristen als notwendiges Übel im Kampf gegen die politische Linke und zur Verhütung eines neuen Bürgerkrieges gesehen.27 Drittens verbesserte das „Dritte Reich“ die berufliche Situation von Juristen erheblich.28 Daneben gab es natürlich auch Bestrebungen, auf der Karriereleiter empor zu steigen, was mit einem Parteibuch besonders gut gelingen konnte.29 Inwieweit der sogenannte Gesetzespositivismus – die Idee, dass der Gesetzgeber jegliche Art von Gesetzen verabschieden kann, sofern er demokratisch legitimiert gewesen war – die Einstellung der Juristen zum NS-System beeinflusst hat, ist bis heute umstritten30 und spielte auch eine wichtige Rolle31 im Nürnberger Juristenprozess.32 Die Hoffnungen auf stabile Zustände wurden unterfüttert mit Hitlers Zusicherungen, die Unabhängigkeit der Justiz zu wahren33, sodass sich Deutschland nach und nach in eine Diktatur verwandeln konnte.34 So kam es, dass sich nur sehr wenige Richter, unter anderem der Präsident des Berliner
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Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 28 f.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 396. Larenz, in: Grundfragen, S. 225 (241); Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 28; Hirsch, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 61 f. 26 Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 28. Zur Vernichtung der europäischen Juden Poliakov/ Wulf (Hrsg.), Juden, S. 46 ff. 27 Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 34 f., 39 f.; Grimm, in: NJW 1997, 2719 ff.; Staff (Hrsg.), Justiz, S. 55; vgl. auch StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 7. 28 Siehe nur Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 83 ff. 29 Vgl. Müller, Furchtbare Juristen, S. 52; BSG, Urteil v. 22.10.1970 – 9 RV 316/69 = BeckRS 1970, 00550 Rn. 1; Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 53, 55, 75; ders. (Hrsg.), Katalog, S. 274; Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 109 Fn. 125, 111; Görtemaker, in: 4. Rosenburg-Symposium, S. 79. 30 Vgl. Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 53, 74 f.; BVerfG NJW 1973, 1221 (1225); Schramm, in: NJW 1983, 855 (857); Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 74; Friedrich, Freispruch, S. 55 ff.; Ostendorf, Dokumentation, S. 25 f.; Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. XI; Radbruch, in: Dreier/Paulson (Hrsg.), S. 211 ff.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 15, 277 ff., 393 ff.; Rüthers, in: RT 40 (2009), 253 (255 f.); Mauz, in: Der Spiegel 31/1970, S. 62 (63). 31 Vgl. Kapitel 3 § 9. 32 An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, dass die NS-Justiz insbesondere dadurch geprägt war, dass Gesetze aus der vornationalsozialistischen Zeit gerade nicht angewendet wurden, was dem Gesetzespositivismus widersprochen hatte. Vgl. auch Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 395 ff. m.w. N.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 278. 33 Die richterliche Unabhängigkeit wurde auch im „Dritten Reich“ formal nicht aufgehoben. Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. XIII f. Vgl. aber StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 94. 34 Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 34, 37 f., 75 f.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 49. 25
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Kammergerichts, der Amts- und Landgerichtsrat Lothar Kreyssig35, und einige Staatsanwälte36, dem Treiben der Nazis offen widersetzten.37 Als das Reichsjustizministerium (RMJ) ab dem Jahre 1942 begonnen hatte, Richter und Rechtsanwälte mit sogenannten Richterbriefen38 bzw. Rechtsanwaltsbriefen39 auf eine parteitreue Linie zu bringen, waren die Juristen zunächst skeptisch, fügten sich dann aber bald der Situation.40 Widersprochen werden muss an dieser Stelle also dem ehemaligen Justizminister von Nordrhein-Westfalen Artur Sträter, der sagte: „Der deutsche Richter in seiner Gesamtheit ist im Dritten Reich intakt geblieben, er hat nicht vor Hitler kapituliert.“ 41
Widersprochen werden muss aber auch vehement, dass NS-Juristen im Falle ihres Widerstandes schwere Konsequenzen zu fürchten gehabt hätten42: Nach derzeitigem Kenntnisstand musste, von beruflichen und privaten Schikanen abgesehen43, kein Richter um sein Leben fürchten, wenn er sich im Rahmen eines Urteilsspruchs für eine rechtlich vertretbare, aber gegen eine staatlich vorgegebene Lösung entschieden hätte.44 Es hätte auch grundsätzlich immer die Mög35 Kreyssig, der in der Evangelischen Kirche aktiv war, setzte sich mit allem Nachdruck für die Einstellung der „Aktion T4“ ein und wurde dafür letztlich in den Ruhestand versetzt. Gruchmann, in: VjfZ 1984, 463; Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 68 ff.; ders. (Hrsg.), Katalog, S. 201 ff.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 247 ff.; Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 122 f. 36 Beispielsweise durch strafrechtliche Verfolgung von KZ-Aufsehern in München. Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 41. 37 Siehe hierzu jüngst Maas (Hrsg.), Furchtlose Juristen, sowie Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 35, 53; ders. (Hrsg.), Katalog, S. 300 ff.; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 150 f., 164; Poliakov/Wulf (Hrsg.), Denker, S. 351 f.; Mohr, in: NJW 1995, 1259; Hillermeier (Hrsg.), Todesurteile, S. 109 ff.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 245 ff.; Rautenberg, in: GA 2012, 32 (41 ff.). Vgl. aber Wassermann, in: NJW 2002, 1018 ff. 38 Hierzu ausführlich Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. XIX ff.; 1 ff.; Staff (Hrsg.), Justiz, S. 69 f. Vgl. auch Hillermeier (Hrsg.), Todesurteile, S. 15 ff. 39 Vgl. Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. 397 ff.; Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 90. 40 Vgl. dazu den sehr anschaulichen Lagebericht des SD vom 13.05.1943. Abgedruckt in: Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. 455 ff. 41 Zit. nach v. Miquel, in: Frei (Hrsg.), S. 177. Vgl. auch Perels, in: KJ 1998, 84 (96); Nitschke, in: Die Welt 83/1968, S. 16. 42 Vgl. nur HaStAMü, MJu 26696, 1a Js 1431/60 (o. D., o. S.), S. 15 ff.; Böckle, Feldgendarmen, S. 169; Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 395; Müller, Furchtbare Juristen, S. 245; Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 74; Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 295. 43 Vgl. Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. XIII; BGH NJW 1971, 571 (572). 44 Siehe hierzu Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 41, 53; ders. (Hrsg.), Katalog, S. 302 ff.; BGH NJW 1971, 571 (572); vgl. auch Werle/Wandres, Auschwitz vor Gericht, S. 58; v. Miquel, in: Frei (Hrsg.), S. 193; Friedrich, Freispruch, S. 15, 278; Safferling, in: 1. Rosenburg-Symposium, S. 19; Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 122 f.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 101 f.; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 240 f., 288; HaStAMü, MJu 26696, zu 1053 – I – 525/527/60 v. 15.11.1960 (o. S.), S. 1 ff.; Schott, Rothenberger, S. 170;
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lichkeit bestanden, eine Entscheidung zugunsten des Angeklagten zu fällen, denn auch wenn die Nazis formal einen Großteil des geltenden Rechtes verschärften, waren niemals die Grundsätze eines fairen Verfahrens aufgehoben worden.45 Alles in allem stellte der Jurist im „Dritten Reich“ zwar einen „Fremdkörper“ dar. In einem annähernd symbiotischen Verhältnis arrangierten sich aber viele unter ihnen mit der neuen Staatsauffassung und schreckten nicht davor zurück, kurzfristige Vorteile gegen rechtsstaatliche Strukturen einzutauschen.
C. Personelle Konsequenzen Um den NS-Staat zu verwirklichen, musste die Justiz allerdings „gesäubert“ werden.46 Ein wichtiger Schritt dabei war, neben der Gewaltanwendung durch die SA und die SS, der Erlass des GWB47, nach dessen §§ 2a, 3 und 4 alle Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten und sonstige Feinde des NS-Regimes aus ihrer öffentlich-rechtlichen Stellung entlassen werden konnten.48 Doch in der Praxis war es schwierig, die Lücken auf den Richterbänken durch geeignete Gesinnungsträger zu füllen. Curt Rothenberger49 erklärte in seiner Schrift „Der deutsche Richter“ aus dem Jahre 1942, dass man trotz aller personeller Umstrukturierungen des Staatswesens im Jahre 1933 die Richterschaft im Großen und Ganzen50 habe gewähren lassen, da man nicht genügend politisch zuverlässige Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49 (50). So ebenfalls Kößl im Plädoyer für Rothaug. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 26. Karl Sack und Johann von Dohnanyi wurden zwar durch die Gestapo verhaftet, in KZs deportiert und dort ermordet. Dies hatte aber weniger mit ihrer Funktion als Richter, als vielmehr mit ihren Verbindungen zu Widerstandsgruppen zu tun. Vgl. Hillermeier (Hrsg.), Todesurteile, S. 109 f.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 245 ff.; Hirsch, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 64 f. Der Richter am Volksgerichtshof Springmann hatte aus Gewissensgründen nicht mehr an diesem Gericht tätig sein wollen. Dennoch habe er weder persönliche noch dienstrechtliche Konsequenzen erfahren, sondern sei mit Genehmigung Freislers und Thieracks zunächst an einen Zivilsenat des Reichsgerichts versetzt worden und habe daraufhin sein Amt niedergelegt. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 101. 45 Vgl. Staff (Hrsg.), Justiz, S. 68; HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 15; Koch, in: ZIS 6/2011, 470 (471); BGH NJW 1957, 1158 (1159 f.); Müller, Furchtbare Juristen, S. 225; BGH NJW 1971, 571 (572); Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 292 f. 46 Vertiefend Gruchmann, Justiz im Dritten Reich, S. 124 ff.; vgl. auch Müller, Furchtbare Juristen, S. 77 ff. 47 V. 07.04.1933. RGBl. I, S. 175 ff. 48 Göppinger, Verfolgung, S. 14 ff.; Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 33 ff.; 38 f.; ders. (Hrsg.), Katalog, S. 272 ff.; Staff (Hrsg.), Justiz, S. 63 ff.; vgl. auch Hillermeier (Hrsg.), Todesurteile, S. 110; Müller, Furchtbare Juristen, S. 49; Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 75. Vertiefend Krach, in: NJW 1995, 1384 ff. 49 Zur Person Rothenbergers ausführlich Schott, Rothenberger. 50 Tatsächlich wurden beispielsweise am Reichsgericht weniger als 8% der Richter ausgewechselt, wobei nur ein Richter aufgrund seiner politischen Ansichten (SPD) ge-
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Leute gefunden habe, die das erste und zweite Staatsexamen als Qualifikation zum Richterberuf aufweisen konnten.51 Nur so sei es zu erklären, dass es immer wieder Urteile gegeben habe, die aus nationalsozialistischer Sicht „falsch“, oder anders ausgedrückt, „ungerecht“, gewesen seien.52 Um diesem Manko entgegenzuwirken, schlug Rothenberger vor, sollten zwei Kriterien erfüllt werden: Zum einen müssten Laienrichter, also juristisch ungebildete, aber nationalsozialistisch eingestellte Hilfsrichter, bei der Urteilsfindung hinzugezogen werden.53 Zum anderen müsse der Richter stets stark und unabhängig in seiner Rechtsprechung sein und dürfe auf keinen Fall zum weisungsgebundenen Beamten54 degradiert werden. Er sei lediglich Hitler als „obersten Gerichtsherrn“ untergeben.55 Das ideologische Ideal des Richters war ein „politisch denkender, mit praktischem gesunden Menschverstand begabter Nationalsozialist“.56 Dementsprechend radikalisierte sich Schritt für Schritt auch die Rechtsprechung aller ordentlichen und militärischen Gerichte.57
D. Radikalisierung der Rechtsprechung Am auffälligsten zeigt sich diese Entwicklung, wenn man auf die Verhängung der Todesstrafe abstellt. Vor Hitlers Machtergeifung wurden nur drei Tatbestände mit dem Tode bestraft, am Ende der NS-Diktatur hatte sich diese Zahl mehr als
hen musste. Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 33 ff., 38 f.; ders. (Hrsg.), Katalog, S. 272; Müller, Furchtbare Juristen, S. 49 f. Vgl. aber aus dem Juristenurteil Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 92: „In Zusammenhang mit der Frage der Amtsenthebung finden wir eine Liste über die beabsichtigte Personalverkürzung, in welcher 75 Richter und Staatsanwälte namentlich aufgeführt werden. Unter den für die Personalverkürzung genannten Gründen finden wir Folgendes: Personen jüdischer Abstammung: 4; Personen, die mit Jüdinnen verheiratet sind: 4; mangelnde Zusammenarbeit mit der Partei: 4; religiöse Gründe: 1; Nichtparteimitglied: 20; juden- oder polenfreundlich: 4.“ 51 Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 20, 27. Ein Problem, welches auch in anderen NS-Organisationen auftrat. Vgl. nur Schreiber, Elite, S. 215. 52 Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 20 ff. Für die Situation, die sich mit dem Fortschreiten des Krieges ergab, vgl. Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 208 ff. 53 Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 42. Vgl. auch Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 155. Allerdings fand die Einsetzung von Laienrichtern keinen ungeteilten Zuspruch. Vgl. dazu Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 32; Müller, Furchtbare Juristen, S. 194 ff. 54 Unter anderem deshalb plante Rothenberger auch ein eigenes „Richtergesetz“ zu schaffen, um die exponierte Stellung des Richters zu verdeutlichen. Ebenda, S. 59 f. 55 Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 43 ff., 49 ff., 60; vgl. auch Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 28 f., 44. 56 Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 51. 57 Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 52 ff.; Hillermeier (Hrsg.), Todesurteile, S. 35; PeschelGutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 95 ff.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 21 ff.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 165 ff., 192 f., 398; Hirsch, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 61.
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verfünfzehnfacht.58 Entsprechend umfangreich wurde von der Todesstrafe Gebrauch59 gemacht: Zwischen 1933 und 1945 wurden schätzungweise 32.00060 Personen zum Tode verurteilt, wobei die Zahl der Verurteilungen jeweils hälftig der Ziviljustiz und hälftig der Miliärjustiz zuzuordnen war.61 Hieraus könnte man zwei Schlüsse ziehen: Einerseits, dass die Todesstrafe bei den entsprechenden Delikten zwingend ausgesprochen werden musste, andererseits, dass sie eine kriegsbedingte, aufgrund der totalen Kriegsführung „verständliche“ Notwendigkeit war. Beide Annahmen können jedoch widerlegt werden. Der NS-Gesetzgeber hatte ganz bewusst eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, u. a. das „Wohl des Reiches“ 62, das „gesunde Volksempfinden“ 63 und die „grobe Unbilligkeit“ 64, eingeführt, um dem Richter einen weiten Ermessensspielraum an die Hand zu geben.65 Dieser galt explizit auch für die Strafhöhe, einschließlich der 58
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief vom 2. Juli 1947, S. 7; Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 54; Ostendorf, Dokumentation, S. 17. 59 Welche durch Erhängen, Erschießen oder Enthaupten vollstreckt werden konnte. Vgl. das „Gesetz über die Verhängung und den Vollzug von Todesstrafen“ v. 29.03.1933 (RGBl. I, S. 151); § 13 RStGB; § 103 „Verordnung über das Sonderstrafrecht im Krieg und bei besonderem Einsatz“ (Kriegsstrafverfahrensordnung) v. 17.08.1939 (RGBl. I 1939, S. 1457); Ostendorf, Dokumentation, S. 18; vgl. auch Müller, Furchtbare Juristen, S. 42, 96, 215 f. 60 Die in der Literatur genannten Zahlen schwanken stark. Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 12 spricht von 80.000. Ostendorf, Dokumentation, S. 24 kommt – die zivilen und miliärischen Gerichte zusammengenommen – auf über 46.000 Todesurteile, sowie über 15.000 Gefangene der Justiz, die der SS zur „Vernichtung durch Arbeit“ überstellt worden waren. Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 68, nennt 17.000 für die zivile, 50.000 für die militärische Justiz. Vgl. auch Müller, Furchtbare Juristen, S. 234, 250 f.; Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 122. 61 Luber, in: Effer-Uhe/Hoven/Kempny/Rösinger (Hrsg.), S. 219 (220) m.w. N.; Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 54; ders. (Hrsg.), Katalog, S. 206; Friedrich, Freispruch, S. 13 f., 22; Koch, in: ZIS 6/2011, 470; Müller, Furchtbare Juristen, S. 234; Bauer/Koch, Rehse, Nr. 3; vgl. auch v. Hodenberg, in: SJZ 1947, 113 (120). Die Angaben über die tatsächlich vollstreckten Urteile schwanken, sie sollen aber jedenfalls bei über 66 % liegen. Ebenda. 62 Vgl. § 3 Abs. 1 der „Verordnung zur Abwehr heimtückischer Angriffe auf die Regierung der nationalen Erhebung“ (sog. Heimtückeverordnung) v. 21.03.1933. RGBl. I, S. 135. 63 Vgl. § 2 RStGB. Geändert durch Art. I des „Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches“ v. 28.06.1935. RGBl. I, S. 839. Da das „gesunde Volksempfinden“ die Rechtsauffassung des Führers war, wurde ein Einfallstor geschaffen, um jegliche Art von Widerstand innerhalb des Reiches durch Strafrecht zu brechen. Vgl. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 86. Siehe auch Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 266; Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 29; v. Hodenberg, in: SJZ 1947, 113 (119); Wimmer, in: SJZ 1947, 123 (126); Staff (Hrsg.), Justiz, S. 62; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A12/13, S. 1025. 64 Vgl. den heutigen § 1381 Abs. 1 BGB. 65 Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 25 f.; Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (715); Ostendorf, Dokumentation, S. 23; Staff (Hrsg.), Justiz, S. 62, 68 f.; vgl. auch v. Hodenberg, in: SJZ 1947, 113 (121); Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 293.
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Aussprache der Todesstrafe.66 Und auch wenn über 90 % der Todesurteile der zivilen Gerichte während des Kriegszustandes ergingen, lässt sich durch diese Phase alleine das Phänomen nicht erklären. In der Zeit vor der NS-Herrschaft wurden in Deutschland zwischen 1907 und 1932 lediglich 1.547 Todesurteile gesprochen, obwohl in diesem Zeitraum auch der Erste Weltkrieg inbegriffen war; im faschistischen Italien unter Mussolini waren es sogar nur etwa 150 Todesurteile.67 Die NS-Richter schöpften also den ihnen gegebenen Ermessensspielraum aus, um zu den harten Strafen zu gelangen.
E. Einfluss des Justizministeriums Selbstverständlich haben aber auch der deutsche Reichstag bzw. die Reichsregierung etliche nationalsozialistische Gesetze und Verordnungen68 erlassen.69 Die Gesetzgebung verschärfte sich Schritt für Schritt unter dem Eindruck der allgegenwärtigen Stimmung sowie Ereignissen wie Reichstagsbrand70, Pogromnacht71 und Kriegsausbruch72. Insbesondere das RMJ sah der Aufweichung des Rechtsstaates nicht nur teilnahmslos zu73, vielmehr unterstützte es diese Entwicklung bereitwillig: Unter anderem legalisierte es die Röhm-Putsch-Morde74 durch das „Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr“ vom 03.07.193475 und hielt seine schützende Hand über die „Aktion T4“ 76.77 Letztlich wurde die ganze 66 Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 25 f.; vgl. auch Ostendorf, Dokumentation des NS-Strafrechts, S. 26 f.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 215. 67 Zu den Statistiken Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 54; ders. (Hrsg.), Katalog, S. 206; Müller, Furchtbare Juristen, S. 232 ff., 251. 68 Vgl. Butzer, in: Maunz/Dürig, Art. 82 Rn. 30; Otte, in: NJW 1988, 2836 (2838); Wimmer, in: SJZ 1947, 123 (126); Ostendorf, Dokumentation, S. 21; Staff (Hrsg.), Justiz, S. 56 ff.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 46. 69 Ostendorf, Dokumentation, S. 20 ff. 70 Vgl. die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ v. 28.02.1933 (RGBl. I, S. 83), die die in der Weimarer Reichsverfassung gewährten Rechte wie das Briefgeheimnis und die Versammlungsfreiheit weitgehend einschränkte (§ 1) und die Höchststrafen für bestimmte Verbrechen massiv erhöhte (§ 5). Hierzu auch Müller, Furchtbare Juristen, S. 61. 71 Vgl. die „Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit“ v. 12.11.1938, RGBl. I, S. 1579 und die „Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben“ v. 12.11.1938, RGBl. I, S. 1581. 72 Vgl. die VVO v. 05.09.1939, RGBl. I, S. 1679 und die „Verordnung gegen Gewaltverbrecher“ v. 05.12.1939, RGBl. I, S. 2378. 73 Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 44; siehe auch Gruchmann, Justiz im Dritten Reich, S. 433 ff. 74 Hierzu IMT, Bd. I, S. 309. 75 RGBl. I, S. 529. 76 Vgl. Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 69 f.; Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. XVII; Müller, Furchtbare Juristen, S. 161 ff. 77 Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 44, 50; Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. XIII; Staff (Hrsg.), Justiz, S. 59 ff.; Hirsch, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 61 f.
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Rechtsordnung Opfer des NS-Gesetzgebers.78 Für den Bürger am spürbarsten waren aber freilich die Neuerungen des Zivil- und Strafrechtes.79 I. Zivil(prozess)recht Die Änderungen des Zivilrechts sind nicht unmittelbar ersichtlich. Das liegt daran, dass das BGB inhaltlich wenig verändert wurde. Zwar gab es auch hier diskriminierendes Sonderrecht, wie beispielsweise § 2 des Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden80, das einen außerordentlichen Kündigungsgrund im Fall der „Juden-Eigenschaft“ der anderen Vertragspartei bot.81 Tatsächlich blieb das BGB82 aber bewusst ohne größere Anpassungen erhalten.83 Das Zivilprozessrecht erfuhr hingegen einige Veränderungen. Die ZPO der Weimarer Republik basierte auf der Fassung vom 20.01.187784 und zeichnete sich insbesondere dadurch aus, dass das Verfahren durch die Prozessparteien bestimmt wurde, während der Richter eine eher passive Rolle einnahm.85 Im schlimmsten Falle konnte das Verfahren durch die Prozessbeteiligten „verschleppt“ werden, ohne dass der Richter einschreiten konnte. Dies gab in der Literatur bereits vor der Machtergreifung vielfach Anlass zur Kritik und führte letztlich zu einigen Reformen des Verfahrensrechtes.86 Die erste größere Änderung gab es mit der Zivilprozessnovelle vom 27.10.193387, in der hauptsächlich die Beschleunigung des Verfahrens88 im Vordergrund stand; es folgten weitere kriegsbedingte „Vereinfachungsverordnungen“.89 Letztere schränkten beispielsweise das Berufungsrecht ein und reduzierten die Zahl der an einem Verfahren beteiligten Richter, was jedoch weniger einen nationalsozialistischen, als vielmehr einen wirtschaftlichen Hintergrund hatte.90 Dennoch sollte man sich von den (relativ) wenigen Änderungen nicht täuschen lassen: Die Justiz operierte im Zivilrecht verstärkt mit unbestimmten Rechtsbegriffen, Generalklauseln und Auslegungstechniken, um die 78 Vgl. Luber, in: Effer-Uhe/Hoven/Kempny/Rösinger (Hrsg.), S. 219 (220); v. Hodenberg, in: SJZ 1947, 113 (113); Müller, Furchtbare Juristen, S. 96 f. 79 Vgl. auch Müller, Furchtbare Juristen, S. 97. 80 V. 30.04.1939. RGBl. I, S. 864. 81 Vgl. Luber, in: Effer-Uhe/Hoven/Kempny/Rösinger (Hrsg.), S. 219 (229 Fn. 94). 82 V. 18.08.1896. RGBl., Nr. 21, S. 195. In Kraft getreten am 01.01.1900. 83 Gruchmann, Justiz im Dritten Reich, S. 925. 84 Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 96. 85 Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 96 f. 86 Vgl. Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 97; Popp, Zivilprozeß, S. 4 ff. 87 RGBl. I, S. 780 ff. 88 U. a. durch die Einführung des Mündlichkeitsprinzips, Unmittelbarkeitsprinzips und der Pflicht zur Wahrheit. 89 Hierzu Luber, in: Effer-Uhe/Hoven/Kempny/Rösinger (Hrsg.), S. 219 (229 f.); Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 98 f. 90 Luber, in: Effer-Uhe/Hoven/Kempny/Rösinger (Hrsg.), S. 219 (230); Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 98 f.
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gewünschte Diskriminierung von Minderheiten zu erreichen.91 Im Ergebnis bildetete sich die nationalsozialistische Gesinnung der Richter in den entsprechenden Urteilen ab, wenn auch die Folgen wesentlich weniger gravierend waren als im Strafrecht.92 II. Straf(prozess)recht Anders sieht es im Strafrecht und dem Strafprozessrecht aus. Das NS-Regime versuchte seine Macht durch einen drakonischen Einsatz des Strafrechts zu sichern.93 Das bisher geltende RStGB von 1871 wurde schnell nach der Machtergreifung modifiziert, unter anderem um den angeblich enthaltenen „jüdischen Einfluss“ zu tilgen.94 Bereits ab Februar 1933 wurde das Strafrecht, wie von Hitler vorgesehen, zu einer politischen Waffe umfunktioniert.95 Auf lange Sicht sollte ein neues NS-StGB geschaffen werden, ein Ziel, welches letztlich nie erreicht wurde, sondern lediglich ein Entwurf blieb.96 Die nationalsozialistischen Einflüsse im RStGB sind einerseits gekennzeichnet durch Änderungen des Allgemeinen Teils, wie das Außerachtlassen des fragmentarischen Charakters des Strafrechtes97 und die Aufhebung des „nulla poena sine lege“-Grundsatzes (§§ 2 RStGB98; 170a RStPO99; 267a RStPO100)101. Andererseits wurden auch die Tat91 Luber, in: Effer-Uhe/Hoven/Kempny/Rösinger (Hrsg.), S. 219 (229) m.w. N.; Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 60 ff.; Rüthers, Auslegung, S. 99; Müller, Furchtbare Juristen, S. 149 ff., 175 ff.; Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 89; Popp, Zivilprozeß, S. 165 ff. 92 Vgl. hierzu Luber, in: Effer-Uhe/Hoven/Kempny/Rösinger (Hrsg.), S. 219 (229 ff.) m.w. N. 93 Vgl. v. Hodenberg, in: SJZ 1947, 113. 94 Vgl. Poliakov/Wulf (Hrsg.), Denker, S. 349 f. Zur Geschichte des StGB Joecks, in: MüKo-StGB, Bd. 1, Einleitung Rn. 82 ff. 95 Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 29, 40; Luber, in: Effer-Uhe/Hoven/Kempny/Rösinger (Hrsg.), S. 219 (220). 96 Ausführlich Gruchmann, Justiz im Dritten Reich, S. 753 ff.; vgl. ferner Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 48; Ostendorf, Dokumentation, S. 17. Ebenfalls wurde in Erwägung gezogen, künftig ganz ohne StGB zu operieren. Müller, Furchtbare Juristen, S. 97 f. 97 Vgl. Ostendorf, Dokumentation, S. 17; Jescheck/Weigend, AT, § 7 II 1, S. 52 f. 98 „Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient. Findet auf die Tat kein bestimmtes Gesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft.“ „Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches“ v. 28.06.1935. RGBl. I, S. 839 ff. 99 „Ist eine Tat, die nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient, im Gesetz nicht für strafbar erklärt, so hat die Staatsanwaltschaft zu prüfen, ob auf die Tat der Grundgedanke eines Strafgesetzes zutrifft und ob durch entsprechende Anwendung dieses Strafgesetzes der Gerechtigkeit zum Siege verholfen werden kann (§ 2 des Strafgesetzbuches).“ „Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafverfahrens und des Gerichtsverfassungsgesetzes“ v. 28.06.1935. RGBl. I, S. 844. 100 „Ergibt die Hauptverhandlung, dass der Angeklagte eine Tat begangen hat, die nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient, die aber im Gesetz nicht für strafbar erklärt ist, so hat das Gericht zu prüfen, ob auf die Tat der Grundgedanke eines
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bestände durch eine Vielzahl neuer Strafgesetze und Verordnungen wie das Heimtückegesetz, die sogenannte Polenstrafrechtsverordnung (PoStraV)102, die Verordnungen gegen Gewaltverbrecher103 und das Gesetz gegen jugendliche Schwerverbrecher104 erweitert.105 Die Gesetze sollten dabei die herrschende nationalsozialistische Staatsauffassung durchsetzen106, was sich unter anderem in diskriminierendem Sonderstrafrecht ausdrückte107. Dazu wurden neue Tätertypen108 wie „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“ 109, „Gewaltverbrecher“ 110 und „Volksschädlinge“ 111 eingeführt.112 Die prozessuale Durchsetzung der IdeoloStrafgesetzes zutrifft und ob durch entsprechende Anwendung dieses Strafgesetzes der Gerechtigkeit zum Siege verholfen werden kann (§ 2 des Strafgesetzbuches).“ „Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafverfahrens und des Gerichtsverfassungsgesetzes“ v. 28.06.1935. RGBl. I, S. 844. 101 Damit wurde der „nulla poena“-Grundsatz sogar in sein Gegenteil verkehrt: „nullum crimen sine poena“. Ostendorf, Dokumentation, S. 18; Müller, Furchtbare Juristen, S. 97. Vgl. auch v. Hodenberg, in: SJZ 1947, 113 (118 f.); Wimmer, in: SJZ 1947, 123 (124 ff.). 102 „Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten“ v. 04.12.1941. RGBl. I, S. 759 ff. Im Jahre 1942 wurden etwa 62.000 Strafverfahren aufgrund dieser Verordnung durchgeführt. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 9. 103 V. 05.12.1939. RGBl. I, S. 2378. 104 V. 04.10.1939. RGBl. I, S. 2000. 105 Dazu ausführlich Kapitel 2 § 7, Kapitel 3 §§ 8 ff. 106 Hierzu Kasseckert, Straftheorie im Dritten Reich, S. 13 ff. und v. Hodenberg, in: SJZ 1947, 113 (119). 107 Vgl. zu dem ursprünglichen Plan, die Prügelstrafe in der PoStraV als Sanktion zuzulassen Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 50; v. Alten, Recht oder Unrecht, S. 69. 108 Hierzu Jescheck/Weigend, AT, § 7 III 1., S. 54; Müller, Furchtbare Juristen, S. 103 f. 109 Vgl. das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“ v. 24.11.1933, RGBl. I, S. 995, das unter anderem die Sicherungsverwahrung einführte. 110 Dass ein Täter absolut willkürlich und nur von subjektiven, nationalsozialistischen Erwägungen der Justiz geleitet, zum „Gewaltverbrecher“ oder „Volksschädling“ wurde, sich die Begriffe insbesondere nicht an irgendwelchen gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen oder objektiven Gegebenheiten festmachen ließen, zeigt Freislers Beitrag „Gedanken zum Kriegsstrafrecht und zur Gewaltverbrecherverordnung“, in: Deutsche Justiz – Rechtspflege und Rechtspolitik, Ausgabe A Nr. 50 vom 15.12.1939, abgedruckt in: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P2, S. 25 ff. (32 ff.). Geradezu absurd argumentiert Freisler bezüglich der Frage, ob sich die Gewalt des Gewaltverbrechers auch gegen Sachen richten kann, mit dem Wortlaut und der Systematik der Verordnung, während diese an anderen Stellen nach Belieben ignoriert oder uminterpretiert werden. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P2, S. 37. 111 Einen „Volksschädling“ bezeichnete nach Rechtsprechung des Reichsgerichts „einen Verbrecher von besonderer Wesensart, einen Menschen, der mit solcher verbrecherischen Tatkraft oder mit solcher Verwerflichkeit des Handelns den Rechtsfrieden der Volksgemeinschaft stört, dass er nach gesundem Volksempfinden mindestens eine Zuchthausstrafe verdient.“ Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P2, S. 80 ff. 112 Vgl. auch Ostendorf, Dokumentation, S. 22 f.
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gie113 wurde durch die Modifikation des Prozessrechtes und die Schaffung außerordentlicher Gerichte gewährleistet. Da nach dem Reichstagsbrandprozess im Jahre 1934114 vier der (kommunistischen) Angeklagten freigesprochen worden waren115, forderte Hitler die Einsetzung eines „zuverlässigen“, also regimetreuen Gerichtes.116 Dies war die Geburtsstunde117 von Freislers118 berüchtigtem Volksgerichtshof, an welchem über 5.200 Todesurteile gesprochen worden waren.119 Neben dem Volksgerichtshof zeichneten auch die insbesondere für politische Straftaten zuständigen Sondergerichte120 und die in den letzten Kriegstagen eingeführten zivilen Standgerichte121 für tausende widerrechtliche Inhaftierungen und Tötungen verantwortlich. Der NS-Gesetzgeber befeuerte den uferlosen Missbrauch der Strafe122 durch schwammige Gesetze123, dem Außerachtlassen des
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Vgl. aber Zander, Adhäsionsverfahren, S. 36 f. Hierzu BGH NStZ 1983, 424. 115 Nach Müller, Furchtbare Juristen, S. 47, könnte der Prozessablauf allerdings, vor dem Hintergrund der internationalen Proteste, in Absprache mit der NS-Führung erfolgt sein. Deshalb geht er davon aus, dass die Errichtung des Volksgerichtshofes von Hitler ohnehin bereits geplant gewesen war. Jedenfalls wurden die freigesprochenen Personen „direkt vom Reichsgericht ins KZ ab[geführt]“. Dazu ebenda, S. 178, 221. 116 Wagner, Volksgerichtshof, S. 14 ff.; Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 42; ders. (Hrsg.), Katalog, S. 153; Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. XII; Müller, Furchtbare Juristen, S. 37 ff.; Hirsch, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 62. 117 Art. III § 1 „Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens“ v. 24.04.1934. RGBl. I, S. 341 ff. 118 Zu Freislers Biographie Hillermeier (Hrsg.), Todesurteile, S. 35 ff. 119 Denzel, in: KJ 1991, 31 (31); Ostendorf, Dokumentation, S. 24 f.; Hillermeier (Hrsg.), Todesurteile, S. 35; Meyer, in: Hillermeier (Hrsg.), Todesurteile, S. 123 f. 120 „Verordnung über die Bildung von Sondergerichten“ v. 21.03.1933 (SonderGVO). RGBl. I, S. 136 ff. Göppinger, Verfolgung, S. 14, nennt die Sondergerichte „eine Art Revolutionstribunale gegen die Gegner des Nationalsozialismus“. Hierzu Luber, in: EfferUhe/Hoven/Kempny/Rösinger (Hrsg.), S. 219 (221 f.); BGH NJW 1954, 1777; OLG Braunschweig NJW 1959, 1238. Zwar gab es bereits vor der Machtergreifung Sondergerichte, diese wurden allerdings nur temporär in bestimmten Krisensituationen eingesetzt. Vgl. Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 31, 34; ders. (Hrsg.), Katalog, S. 152; Müller, Furchtbare Juristen, S. 193 und den Einwand von Rechtsanwalt Brieger StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 7, 17.03.1947, S. 2. 121 Luber, in: Effer-Uhe/Hoven/Kempny/Rösinger (Hrsg.), S. 219 (223 f.); Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 311 f.; OLG-NL 1998, 94; BGH NStZ 1996, 485; Mohr, in: NJW 1997, 914. Vgl. auch Müller, Furchtbare Juristen, S. 18, 240 ff. 122 So z. B. durch eine extensive Auslegung des Straftatbestandes des Hochverrats. Als Hochverrat im Sinne des RStGB bezeichnete man das Bestreben, „mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt das Reichsgebiet ganz oder teilweise einem fremden Staat einzuverleiben oder ein zum Reiche gehöriges Gebiet vom Reiche loszureissen“, § 80 Abs. 1 RStGB. Der Hochverrat wurde mit dem Tode bestraft. Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 74; vgl. auch Krumm, in: NJW 2004, 328 ff. 123 Zum sogenannten nullum crimen sine lege certa-Grundsatz vgl. Art. 103 Abs. 2 GG; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Hassemer/Kargl, StGB, § 1 Rn. 14 ff. 114
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Übermaßverbotes124 und die Aufhebung des „ne bis in idem“-Grundsatzes.125 Dazu schaffte er Institute wie den „außerordentlichen Einspruch“ 126 und die „Nichtigkeitsbeschwerde“ 127, mit denen der Oberreichsanwalt quasi jede gerichtliche Entscheidung anfechten und zur neuen Verhandlung bringen konnte128 und flankierte diese Änderungen durch die Wiedereinführung der „reformatio in peius“ in Strafsachen129.
F. Paralleljustiz durch die Polizei Im Laufe der Zeit gewannen Himmler und die SS einen immer größeren Einfluss im justiziellen Sektor.130 Ab 1933 wurden tausende Feinde des Nationalsozialismus ohne die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung in „Schutzhaft“ 131 genommen und daraufhin in KZs und Gefängnisse der SA und SS eingewiesen.132 Ermittlungsverfahren gegen Angehörige der SS und SA, die sich an Gewalttaten an Gefangenen beteiligt hatten, wurden vertuscht oder eingestellt.133 Himmler schützte die SS außerdem vor gerichtlicher Kontrolle, indem er eine eigene SS-Gerichtsbarkeit einführte.134 Auch hier protestierte das Justizministerium nicht, sondern kam der selbsternannten Elite des „Dritten Reiches“ vielmehr Stück für Stück entgegen.135 Auf Geheiß des Justizministeriums konnten 124
Meyer, in: Hillermeier (Hrsg.), Todesurteile, S. 124 ff. Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 54, 59 f. 126 Vgl. Art. 2 „Gesetz zur Änderung von Vorschriften des allgemeinen Strafverfahrens, des Wehrmachtsstrafverfahrens und des Strafgesetzbuches“ v. 16.09.1939. RGBl. I, S. 1841. 127 Art. V der „Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige verfahrensrechtliche Vorschriften“ v. 21.02.1940. RGBl. I, S. 405. 128 Vgl. Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. XVI f.; Broszat, in: VjfZ 1958, 390 (417 f.); Müller, Furchtbare Juristen, S. 165 f. 129 Gesetz v. 28.06.1935. RGBl. I, S. 844. 130 Vgl. Boldt/Stolleis, in: Lisken/Denninger (Hrsg.), Polizeirecht, A. Rn. 63; Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 246 ff.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 66 ff., 220 ff.; Gruchmann, Justiz im Dritten Reich, S. 535 ff. 131 Dahei handelte es sich um „eine polizeiliche, von der Möglichkeit der judikativen Überprüfung losgelöste Gefahrenabwehrmaßnahme“, die in der Regel mit der Internierung in einem KZ einherging. Werle/Wandres, Auschwitz vor Gericht, S. 94; vgl. auch Müller, Furchtbare Juristen, S. 220 f. 132 Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 40 f.; Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. XIII. 133 Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 41. Vgl. auch Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. XII. 134 „Verordnung über eine Sondergerichtsbarkeit in Strafsachen für Angehörige der SS und für die Angehörigen der Polizeiverbände bei besonderem Einsatz“ v. 17.10. 1939. RGBl. I, S. 2107 ff. Böckle, Feldgendarmen, S. 169 behauptet, die Angst der SSAngehörigen vor diesen Gerichten sei ein wesentlicher Grund dafür gewesen, warum von Seiten der Polizei in massiver Weise Kriegsverbrechen begangen worden waren. Auch wenn die Polizeieinheiten „damit nicht entschuldigt werden“ sollen, ist seinen Ausführungen mit Skepsis zu begegnen. Vgl. oben unter B. 135 Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. XIII f. 125
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beispielweise durch Folter erpresste Urteile („verschärfte Vernehmung“ 136), nicht vor Gericht angefochten werden.137 Die Durchdringung des Rechtswesens gipfelte in einem geheimen Abkommen zwischen Justiz und RSHA138, wonach Gerichtsurteile, die dem RSHA nicht hart genug erschienen, durch die SS und Gestapo „korrigiert“ werden konnten, was Erschießen oder Einweisung in ein KZ, bedeutete.139 Ein Einwand, den ehemalige NS-Richter gerne betonten, war, dass sie die eigentlich angemessene Strafe in ihren Urteilen künstlich erhöht hätten, um dem RSHA keinen Vorwand zum Einschreiten zu geben und die Gefangenen in der Obhut der Justiz zu belassen.140 Auch wenn diese Richter in manchen Fällen tatsächlich Strafen nur aus „edler Gesinnung“ heraus verschärft hätten, änderte sich aufgrund des oben genannten Abkommens und der ohnehin immer schlimmer werdenden Lage in den Justizgefängnissen141 wenig an dem Schicksal der Inhaftierten.
G. Zusammenfassung Der stetige Wechsel und die Verzahnung verschiedener judikativer Systeme, die die Nazis dem deutschen Rechtssystem aufgezwängt hatten, könnten kaum besser illustriert werden als an dem Umstand, dass vielen Deutschen nach Ende des Krieges die unterschiedliche Funktion von Richter und Staatsanwalt im Rechtssystem nicht mehr geläufig zu sein schien.142 Es wäre die Aufgabe und Pflicht eines jeden Juristen gewesen, diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten. Wie oben gesehen, beugte sich aber insbesondere das Justizministerium dem Druck durch Hitler und der SS. Zumindest in den Anfangsjahren, in denen der Angriff auf den Rechtsstaat offensichtlich geworden war und die Verfolgung von religiösen und politischen Minderheiten begonnen hatte, hätte noch die Chance bestanden, offen Widerstand gegen den aufkeimenden NS-Staat zu leisten. Warum das 136 „Anweisung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD als Geheime Reichssache an die Befehlshaber und Kommandeure von Sipo und SD, die Gruppenleiter des RSHA sowie die Leiter der Gestapo-Stellen über die Durchführung der verschärften Vernehmung“ vom 12.06.1942; Gräfe/Post/Schneider (Hrsg.), Gestapo, S. 183 ff. 137 Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 46. Hierzu auch Müller, Furchtbare Juristen, S. 225 ff. 138 Siehe unten Kapitel 3 § 8 D. I. 3. d. 139 Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 45; Luber, in: Effer-Uhe/Hoven/Kempny/Rösinger (Hrsg.), S. 219 (225 f.); vgl. auch Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 383; Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. XIV ff. 140 Artur Sträter sagte noch nach dem Krieg: „In den Sondergerichten haben oft Männer gesessen, die unvorstellbares Leid verhindert haben.“ Zit. nach v. Miquel, in: Frei (Hrsg.), S. 176 f. Siehe auch Perels, in: KJ 1998, 84 (96); Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 45 f.; Werle/Wandres, Auschwitz vor Gericht, S. 79 f. 141 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 4 Fn. 3; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 289 f., 302. 142 Vgl. dazu Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 284 f.
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Justizministerium diesen Schritt nicht unternahm, ja vielmehr aktiv an dessen Aufbau mitwirkte, ist auch in Anbetracht der damaligen gesellschaftlichen Situation unbegreiflich. Letztlich wäre das „Buckeln“ vor Hitler143 auch dann keine erfolgversprechende Strategie gewesen, wenn die Nazis den Krieg gewonnen und das „Dritte Reich“ somit fortbestanden hätte. Denn obwohl sich die Justiz größte Mühe gab, die Wünsche des Führers zu erfüllen, konnte sie Hitlers Vertrauen bis zu Letzt nicht gewinnen.144 In Anbetracht der Macht, die Himmlers Polizei zum Ende des Krieges bereits besaß, wäre die Justiz auch nicht mehr als ein „Klotz am Bein“ gewesen.145
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Vgl. Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 71. Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 1, 15; Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 67; Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, S. XVIII. Interessant ist an diesem Aspekt, dass er der Militärjustiz noch weniger Vertrauen entgegenbrachte, als der zivilen Gerichtsbarkeit. Vgl. die Aussage von General Lehmann im Juristenprozess, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 806 und Hillermeier (Hrsg.), Todesurteile, S. 109. 145 Vgl. aber Müller, Furchtbare Juristen, S. 230. 144
§ 3 Aufarbeitung der NS-Diktatur in Nürnberg Die Machtergreifung der Nazis und der daraus resultierende Zweite Weltkrieg waren Gegenstand zahlreicher gerichtlicher Verfahren. Nach der Kapitulation der Wehrmacht inhaftierten die Alliierten etwa 500.000 Deutsche, da sie mit NSKriegsverbrechen in Verbindung gestanden haben sollten.1 Die bekanntesten dieser Gerichtsverfahren stellen die sogenannten Nürnberger Prozesse dar. Darunter fasst man den Nürnberger Prozess im engeren Sinne, das IMT-Verfahren, sowie die Nürnberger Prozesse im weiteren Sinne, die sogenannten NMT-Verfahren.2 In den Nürnberger Verfahren wurde nur ein sehr kleiner Teil der oben erwähnten Inhaftierten angeklagt, nämlich knapp 2003 Personen, gegen die dann innerhalb von dreieinhalb Jahren im Nürnberger Justizpalast verhandelt wurde4.
A. Das IMT-Verfahren Den deutschen und österreichischen Hauptkriegsverbrechern wurde vor dem IMT der Prozess gemacht. Der Errichtung des Gerichtshofes gingen unter anderem die Androhung der Strafverfolgung von Kriegsverbrechern im Dezember 1942 und Januar 1943 (Casablanca-Konferenz), die Moskauer Erklärung vom 01.11.1943, der Beschluss der Konferenz von Jalta vom 11.02.1945, die Berliner Erkärung vom 05.06.1945 und die Potsdamer Konferenz vom 02.08.1945 voraus. Daran anknüpfend wurde das Londoner Statut vom 08.08.1945 (sog. IMT-Statut) erlassen, welches die Grundlage des interalliierten IMT-Verfahrens bildete.5 Der IMT-Prozess fand vom 20.11.1945 bis zum 01.10.1946 unter der Leitung der vier alliierten Siegermächte Großbritannien, Frankreich, Sowjetunion und USA im Nürnberger Justizpalast statt.6 Im Vorfeld hatte man sich auf 24 Personen7 und 1
Vgl. Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 278. Vgl. Taylor, Kriegsverbrechen, S. 24 f.; Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 9 ff. 3 214 Angeklagte bei Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 760; 199 Angeklagte bei Kempner, in: Heydecker/Leeb (Hrsg.), S. 11; Heinze/Schilling, Rechtsprechung, S. XX Fn. 10. Siehe zu den unterschiedlichen Angaben Jung, Rechtsprobleme, S. 1 Fn. 1. 4 Heinze/Schilling, Rechtsprechung, S. XVII; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 30 ff.; Taylor, Hintergründe, S. 12 f.; Safferling, International Criminal Procedure, S. 19 f. 5 Vgl. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 43 ff.; Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 14 f.; Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 24 f.; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 11 ff.; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 10 ff.; Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 313; Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 32 ff.; Safferling/Luber, in: JA 2017, 881 ff. 6 Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 19 ff. Für die Gründe, Nürnberg als Sitz der Militärgerichte zu wählen, vgl. Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 295 f.; Steinbauer, 2
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sechs8 NS-Organisationen geeinigt, die vor Gericht gestellt werden sollten.9 Unter den Angeklagten waren unter anderem der Chef der Luftwaffe und Reichsmarschall Hermann Göring, Reichsminister Albert Speer, Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß und der „Reichsrechtsführer“ Hans Frank.10 Zu den Organisationen, denen vorgeworfen worden war, verbrecherische Ziele verfolgt zu haben, gehörten die polizeilichen bzw. (para)militärischen Verbände SS, SA, Gestapo und SD.11 Das Verfahren endete mit 12 Todesurteilen, sieben Freiheitsstrafen und drei Freisprüchen.12 Vier der sechs Organisationen wurden für verbrecherisch erklärt.13 Ein spannender Aspekt des IMT-Verfahrens ist die Frage nach seiner gesellschaftlichen und juristischen Akzeptanz. Wenn auch zeitgenössische Juristen grundsätzlich die Notwendigkeit der Nürnberger Prozesse und die Objektivität der Verfahren betonen14, lehnte die Rechtswissenschaft die Durchführung der Nürnberger Verfahren nämlich überwiegend ab und störte sich dabei insbesondere an den folgenden Punkten:15 So habe es sich bei den Nürnberger Verfahren Ich war Verteidiger, S. 30 f.; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 21; Büngener, Disclosure, S. 61; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 30 f. 7 Dazu Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 296 f. 8 Ursprünglich sollten 14 Organisationen angeklagt werden. Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 27 f. 9 Taylor, Kriegsverbrechen, S. 21; Büngener, Disclosure, S. 61; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 27 f. 10 Die anderen waren Dönitz, Frick, Fritsche, Funk, Jodl, Kaltenbrunner, Keitel, Ley, Raeder, Rosenberg, Sauckel, Schacht, v. Schirach, Seyss-Inquart, Streicher, v. Neurath, v. Papen, v. Ribbentrop. IMT, Bd. I, S. 5; Taylor, Hintergründe, S. 116 f.; Bernhard (Hrsg.), Wunsch, S. 310; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 29 f.; Rautenberg, in: GA 2012, 32. Kurzbiographien der Angeklagten finden sich bei Bernhard (Hrsg.), Wunsch, S. 315 ff. 11 Vgl. Safferling, Internationales Strafrecht, § 4 Fn. 72. 12 Zu den einzelnen Urteilen Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 21 f.; Safferling, Internationales Strafrecht, § 4 Rn. 35; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 55 f. Gustav Krupp von Bohlen und Halbach wurde verhandlungsunfähig, Robert Ley beging vor Verfahrensbeginn Suizid. Büngener, Disclosure, S. 61 Fn. 244; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 28 f., 34. Zu der Wirkung der Freisprüche Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 23, 383 ff.; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 56. 13 Dazu unter Kapitel 2 § 5 A. I. 4. 14 Analysierend Seliger, Politische Anwälte, S. 273 ff. Vgl. ferner Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 284 ff.; Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 105; Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 26; Schott, Rothenberger, S. 167. Heintzeler, I.G. Farben, S. 31 f., spricht von „manchen der Angeklagten und von vielen Verteidigern“. Kritisch für den Krupp-Prozess v. Wilmowsky, Krupp, S. 69 ff. 15 Siehe Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 102 f.; Rautenberg, in: GA 2012, 32 (34); Jung, Rechtsprobleme, S. 4; v. Miquel, in: Frei (Hrsg.), S. 176 f.; Safferling, Internationales Strafrecht, § 4 Rn. 36; Haensel, Das Gericht vertagt sich, S. 14 ff.; Priemel/ Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 52, 58; Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 289; Sund, in: NJW 1947/48, 139 (140); Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (76, 80); Kastner, in: JA 1997, 699 (704 ff.); Haensel, Organisationsverbrechen, S. 16;
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um einen neuartigen Typ des (Völker)strafrechtsprozesses gehandelt, welcher den besiegten Deutschen (bzw. Österreichern) im Wege einer „Siegerjustiz“ aufoktroyiert worden sei. Damit hätten die Alliierten gegen das „nulla poena sine lege“-Prinzip verstoßen. Aber auch die prozessuale und materiellrechtliche Ausgestaltung der Verfahren bot Anlass zur Kritik. Die Tatbestände der Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen seien zu unbestimmt gewesen.16 Des Weiteren hätten die Angeklagten ohne Unrechtsbewusstsein gehandelt, denn „[w]as damals Recht war, kann heute kein Unrecht sein“ 17. Letztlich könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Richter und Staatsanwälte der Nürnberger Verfahren als kriegsführende Partei befangen gewesen wären. Einige dieser Punkte sind in der Tat kritisch zu bewerten und nicht von der Hand zu weisen.18 Allerdings sollte man rückblickend keine allzu harten Anforderungen an dieses erste Völkerstrafverfahren stellen. In den oben genannten Schwachstellen zeigen sich vielmehr die Schwierigkeiten, mit denen die Alliierten in der Planung und Durchführung des IMT-Verfahrens zu kämpfen hatten.19 Die Tatsache, dass es nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges überhaupt zu einem Prozess gegen Kriegsverbrecher gekommen ist, war weniger selbstverständlich als man heute annehmen könnte.20 Insbesondere Großbritannien21 hatte sich v. Hodenberg, in: SJZ 1947, 113 (116 ff.); Radbruch, in: SJZ 1947, 131 (133 ff.); Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 284, 299 f.; Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 25 ff., 382 ff.; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 116 ff.; Schwartz, in: VjfZ 1990, 375 (379 ff.); Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 8 f., 15, 56 ff.; Andoor, in: ZJS 5/2015, 473 (475); Werle, in: NJW 1992, 2529 (2530); Taylor, Hintergründe, S. 740; Friedrich, Freispruch, S. 20 f., 53; Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 342; Safferling, in: Nuremberg, S. 33 (34 ff.). 16 Vgl. hierzu Erne, Bestimmtheitsgebot. 17 Zitat nach Werle/Wandres, Auschwitz vor Gericht, S. 31. Dabei handelte es sich um eine Äußerung des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger. v. Miquel, in: Frei (Hrsg.), S. 214. Vgl. auch Müller, Furchtbare Juristen, S. 7. 18 Hier seien nur kurz einige Anmerkungen zu machen. Gemäß Art. 4 WRV war das Völkerrecht auch im „Dritten Reich“ „bindender Bestandteil des deutschen Reichsrechts“ gewesen. Vgl. dazu Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 24; Haensel, Organisationsverbrechen, S. 19 ff. Die Völkerrechtswidrigkeit ihres Handelns war den Nazis durchaus bewusst. Vgl. nur die Rede Görings, abgedruckt in: Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 47. Bezüglich des Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot spricht Steiniger davon, dass sich niemand auf eine „Souveränität des Verbrechens“ berufen könne. Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 12. Eine greifbare Lösung zu dem Problem, dass Kriegsverbrecher in Einklang mit dem geltenden NS-Recht gehandelt hätten, lieferte Radbruch mit seinem Aufsatz „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“ aus dem Jahre 1946. Abgedruckt in: Dreier/Paulson (Hrsg.), Rechtsphilosophie, S. 211 ff.; vgl. auch Friedrich, Freispruch, S. 55 ff.; Ostendorf, Dokumentation, S. 25 f. Kritisch aber Hähnchen, Rechtsgeschichte, Rn. 894 ff. 19 Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 284 ff.; vgl. auch Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 57 f.; Andoor, in: ZJS 5/2015, 473 (482 f.); Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 53; Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 342; Perels, in: KJ 1998, 84 (93). 20 Vgl. Jacksons Eröffnungsrede. Zit. nach Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 298; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 12 ff., 136; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 21 f.
§ 3 Aufarbeitung der NS-Diktatur in Nürnberg
53
dafür stark gemacht, die Führungsriege des Naziregimes ohne gerichtliches Verfahren bzw. standrechtlich exekutieren zu lassen.22 Dass sich in diesem Punkt letztlich die Befürworter eines Gerichtsverfahrens durchgesetzt haben, kann als Meilenstein angesehen werden und brachte dem IMT eine Vorreiterrolle als ersten völkerstrafrechtlichen Prozess in der Geschichte ein.23 Schließlich sollte man auch nicht vergessen, dass eben jene Juristen, die den IMT-Prozess als völkerrechtswidrig brandmarkten und eine Siegerjustiz witterten, die gleichen Juristen waren, die bei völkerrechtswidrigen Auswüchsen des NS-Rechtssystems, allen voran das NN-Programm24, schwiegen.25
B. Die zwölf Nachfolge-Prozesse Nach dem Hauptkriegsverbrecherprozess fanden noch zwölf26 weitere Prozesse gegen Nazifunktionäre statt, die als „Nürnberger Nachfolgeprozesse“ bezeichnet werden, da sie ebenfalls im Nürnberger Justizpalast stattgefunden hatten.27 Die zeitliche Verzögerung erklärt sich dadurch, dass gegen die potentiellen Angeklagten erst zeitaufwendig Beweise gesammelt werden mussten bzw. sich ihre mögliche Täterschaft erst durch andere Beweismittel im IMT-Prozess ergab.28 Jeder der Nachfolgeprozesse fokussierte sich auf eine „Berufsgruppe“ bzw. Mitglieder bestimmter elitärer Organisationen, die sich in die Verbrechen der Nazis hatten einspannen lassen.29 Der Grund für die Aufspaltung in mehrere Verfahren wird verschiedenartig gedeutet. Während Chefankläger Telford Tay21 Aber auch der amerikanische Finanzminister Morgenthau und kurzzeitig Präsident Roosevelt. 22 Vgl. Taylor, Hintergründe, S. 111 ff.; Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 290 ff.; Ostendorf, Dokumentation, S. 27; Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 24; kritisch auch Schwartz, in: VjfZ 1990, 375 (381); Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 10 ff. Nach Kraus hätte aber ein Strafausspruch ohne vorheriges Verfahren gleichwohl ein Kriegsverbrechen dargestellt. Kraus, KRG10, S. 54; Safferling/Luber, in: JA 2017, 881. 23 Vgl. auch Jung, Rechtsprobleme, S. 47; v. Miquel, in: Frei (Hrsg.), S. 176; Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 287 ff.; Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 29. 24 Vgl. hierzu Fieber (Hrsg.), Katalog, S. 207. Die Formulierung „Nacht und Nebel“ wurde aus Richard Wagners „Rheingold“ übernommen. Hierzu Abahuni, Willkürverfahren, S. 30 Fn. 28. 25 Vgl. auch Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 8; Safferling, in: Nuremberg, S. 33 (34). 26 Das Vorhaben, einen 13. Prozess mit dem Themenkomplex „Dresdner Bank“ zu führen, wurde nicht verwirklicht. Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 61. Zum sogenannten Rastatter Röchling-Prozess Berger/Joly, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 464 ff. 27 Vgl. Taylor, Hintergründe, S. 12 f.; Safferling, International Criminal Procedure, S. 19 f.; Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 37, 44. 28 Vgl. Taylor, Hintergründe, S. 12 f., 124; Haensel, Das Gericht vertagt sich, S. 14 f. 29 Vgl. Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, Rn. 37; Friedrich, Freispruch, S. 18 f.; Safferling/Luber, in: JA 2017, 881 (882).
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Kap. 1: Grundlagen der Arbeit
lor30 meint, die Teilung sei notwendig gewesen „[u]m den Umfang der Prozesse abzugrenzen und um ihnen Sinn und Nachdruck zu verleihen“ 31, erkennt Heintzeler32 in dieser querschnittartigen Anklage den Versuch der Amerikaner, die Kollektivschuld der deutschen Bevölkerung zu beweisen33. Dass diese völlig unterschiedliche Sichtweise von Vertretern der Prosecution auf der einen und solchen der Verteidigung auf der anderen Seite herrührt, ist nicht verwunderlich. Jedenfalls wird durch die Unterteilung der Prozesse in die verschiedenen Berufsgruppen und damit auch gesellschaftlichen Schichten durchaus betont, dass die Nazifizierung Deutschlands das gesamte gesellschaftliche Leben umfasste und damit zumindest auch eine Mitverantwortung der deutschen Bevölkerung für die politische Katastrophe, beispielsweise aufgrund der Wahl von NSDAP-Kandidaten, gefordert werden muss34. I. Die einzelnen NMT-Verfahren Folgende Komplexe bildeten die einzelnen Strafverfahren:35 – Fall 1: Ärzte (25.10.1946–20.08.1947)36; – Fall 2: Erhard Milch37 (13.11.1947–17.04.1947); – Fall 3: Juristen (04.01.1947–04.12.1947); – Fall 4: Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS (13.01.1947–03.11. 1947); – Fall 5: Flick (08.02.1947–22.12.1947); – Fall 6: I.G. Farben (03.05.1047–30.07.1948)38; 30
Zu Taylors Werdegang vgl. Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 46. Taylor, Kriegsverbrechen, S. 52. 32 Wolfgang Heintzeler war zunächst persönlicher Referent Schlegelbergers im RMJ. Später fungierte er als Assistenzverteidiger (Hauptverteidiger war Friedrich Wilhelm Wagner) Carl Wursters im I.G. Farben-Prozess. Wurster wurde von allen Vorwürfen freigesprochen. v. Alten, Recht oder Unrecht, S. 17; Heintzeler, I.G. Farben, S. 14 f., 28 f. 33 Heintzeler, I.G. Farben, S. 16, 18. Siehe auch Haensel, Das Gericht vertagt sich, S. 14 f. 34 Vgl. Urban, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 684 ff.; vgl. auch Hartmann et al. (Hrsg.), Mein Kampf, S. 39. 35 Die angegebenen Anfangs- und Enddaten der Verfahren sind in der hier vorliegenden Tabelle der Zeitpunkt der Anklageerhebung bzw. der letzten Urteilsverkündung. Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 2 f.; Kraus, KRG10, S. 6; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 23, 52 ff.; Salleck, Strafverteidigung, S. 93 ff.; Rückerl, Strafverfolgung, S. 28 f.; v. Velsen, Nationalcharakter, S. 2, Fn. 2; Heinze/Schilling, Rechtsprechung, S. 285 ff.; Eckart, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 73 ff.; Kröll, ebenda, S. 86 ff., Wassermann, ebenda, S. 99 ff.; Tuchel, ebenda, S. 110 ff.; Drobisch, ebenda, S. 121 ff.; Boll, ebenda, S. 133 ff.; IhmeTuchel, ebenda, S. 144 ff.; Scheffler, ebenda, S. 155 ff.; Ogorreck/Rieß, ebenda, S. 164 ff.; Kröll, ebenda, S. 176 ff.; Blasius, ebenda, S. 187 ff.; Wette, ebenda, S. 199 ff. 36 Hierzu Mitscherlich/Mielke (Hrsg.), Medizin ohne Menschlichkeit. 37 Das Verfahren gegen Generalfeldmarschall Erwin Milch war das einzige, in welchem nur ein Angeklagter vor Gericht erscheinen musste. Taylor, Kriegsverbrechen, S. 52 ff.; Salleck, Strafverteidigung, S. 100. 31
§ 3 Aufarbeitung der NS-Diktatur in Nürnberg
55
– Fall 7: Generäle in Südosteuropa (10.05.1947–19.02.1948); – Fall 8: Rasse- und Siedlungshauptamt der SS (01.07.1947–10.03.1948); – Fall 9: Einsatzgruppen (03.09.1947–10.04.1948); – Fall 10: Krupp (16.08.1947–31.07.1948); – Fall 11: Wilhelmstraße (01.11.1947–14.04.1949); – Fall 12: Oberkommando der Wehrmacht (OKW) (28.11.1947–28.10.1948). II. Aufspaltung der NMT-Verfahren und der „Alleingang“ der USA Die größte Besonderheit der Nachfolgeverfahren lag darin, dass sie nicht wie der große IMT-Prozess von den vier Siegermächten gemeinsam39, sondern unter alleiniger Schirmherrschaft der Amerikaner durchgeführt worden waren40. Tatsächlich waren nach dem IMT-Prozess Verhandlungen aufgenommen worden, um einen interalliierten Nachfolgeprozess gegen „führende deutsche Industrielle“ anzuschließen, wofür sich insbesondere die Sowjetunion und Frankreich stark gemacht hatten, wohingegegen Großbritannien und die USA dies ablehnten.41 Dafür gab es mehrere Gründe.42 Erstens hatten sich im IMT-Prozess praktische Schwierigkeiten bei der gemeinsamen Verhandlung gezeigt, die sich unter anderem aus der Viersprachigkeit des Verfahrens43, dem Stab an beteiligten Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern, sowie unterschiedlichen Rechtssystemen und Zielen des Verfahren ergaben.44 Zweitens verschlechterten sich im Laufe der Zeit bekanntermaßen die Beziehungen zwischen West und Ost und mündeten im „Kalten Krieg“ zwischen der Sowjetunion und den USA.45 Ein dritter Grund wird von Heintzeler genannt: 38
Vertiefend Heintzeler, I.G. Farben. Tatsächlich war dies aber nach dem Verfahrensrecht [Art. 22 IMT-Statut; Art. II c) VO7] vorgesehen. Vgl. auch Kraus, KRG10, S. 29; Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 296; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 21. Ebenso Schott, Rothenberger, S. 162, die allerdings auf Art. 2 IMT-Statut abstellt. 40 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 108; Haensel, Organisationsverbrechen, S. 23; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 46. 41 Taylor, Kriegsverbrechen, S. 45, 51; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 58; vgl. auch Kraus, KRG10, S. 17 f.; Berger/Joly, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 464 (470). 42 Vgl. Safferling/Luber, in: JA 2017, 881 f. Nach Taylor hatten die USA bereits frühzeitig durchblicken lassen, nur ein IMT-Verfahren durchführen zu wollen. Taylor, Kriegsverbrechen, S. 21. 43 Englisch, Französisch, Russisch, Deutsch. 44 Kastner, in: JA 1997, 699 (700); Wimmer, in: SJZ 1947, 123 (131); Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 293 ff.; Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 27; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 21 f.; Behling, in: JR 1949, 502 (503). 45 Vgl. Taylor, Hintergründe, S. 739; Luber, in: History and Politics, S. 117 (120); Haensel, Das Gericht vertagt sich, S. 13; Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 13, 55; Perels, in: KJ 1998, 84 (97); Kastner, in: JA 1997, 699 (700 Fn. 9); Bernhard, in: ders. 39
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Kap. 1: Grundlagen der Arbeit „Im großen IMT-Prozess war es den Verteidigern gelungen, dem Gericht ein Exemplar des geheimen Zusatzprotokolls zum Nichtangriffspakt Hitler/Stalin vorzulegen, in dem Hitler und Stalin 1939 die Aufteilung Polens vereinbart hatten. Natürlich war es von großer Peinlichkeit, dass ein Vertreter derjenigen Regierung (UdSSR), die sich an einem der angeklagten Kriegsverbrechen selbst beteiligt hatte, über eben dieses Kriegsverbrechen mit zu Gericht saß. Um solche Peinlichkeit in Zukunft zu vermeiden, übernahmen die USA allein die Durchführung der Nachfolge-Prozesse.“ 46
Tatsächlich spielten die Verbrechen der Sowjetunion im IMT-Verfahren eine Rolle47 und wurden auch in der (amerikanischen) Öffentlichkeit kritisch beäugt48. Allerdings waren sich die Alliierten bereits bei den Vorbereitungen zum IMT-Verfahren über die Konsequenzen der sowjetischen Forderungen, von ihnen selbst begangene Verbrechen den Deutschen „in die Schuhe zu schieben“, bewusst, und versuchten derartige Vorwürfe zu vertuschen.49 Somit hatte sich während des Verfahrens keine neue Situation für die Zusammenarbeit der Alliierten ergeben, sodass Heintzelers Vermutung wenig stichhaltig sein dürfte. Letztlich werden alle genannten Faktoren eine Rolle gespielt haben, wobei die praktischen Schwierigkeiten des IMT-Verfahrens der plausibelste Grund sind. Denn der „Kalte Krieg“ und die Thematisierung des Zusatzprotokolles im IMTVerfahren mögen zwar eine Erklärung dafür sein, warum sich die Sowjetunion aus den Nürnberger Verfahren zurückgezogen hatte. Keine Antwort geben sie aber auf die Frage, warum sich auch die Franzosen50 und Briten – in den Folgejahren wichtige Alliierte der USA – nicht an den amerikanischen Nachfolgeprozessen beteiligten.
C. Erfordernis der Differenzierung zwischen IMT- und NMT-Verfahren Insbesondere aus völker(straf)rechtlicher Sicht muss zwischen dem IMT- und den NMT-Verfahren unterschieden werden. Wie oben herausgearbeitet wurde, (Hrsg.), Wunsch, S. 270 ff., 295; Ostendorf, Dokumentation, S. 27; Schwartz, in: VjfZ 1990, 375 (377 ff.); Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 19 ff., 57, 63; Seliger, Politische Anwälte, S. 112. Der DDR-Autor Steiniger äußert sich hierzu leider nicht, obwohl er grundsätzlich auf die Möglichkeit der Aburteilung von Kriegsverbrechen in den einzelnen Zonen eingeht. Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 13 f. 46 Heintzeler, I.G. Farben, S. 17. Vgl. auch Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (75). 47 Ausführlich Schulmeister-André, UdSSR, S. 471 ff. Vgl. auch Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (67); Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 283, 294; Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 382; Hans Franks Schlusswort in IMT, Bd. XXII, S. 438. Zum Katyn-Massaker Safferling, Internationales Strafrecht, § 4 Fn. 80; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 36. 48 Vgl. Schwartz, in: VjfZ 1990, 375 (379). 49 Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 36, 54. 50 Vgl. aber Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 34 f. Zu den Prozessen in der Französischen Zone Berger/Joly, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 464 (472).
§ 3 Aufarbeitung der NS-Diktatur in Nürnberg
57
fand ersteres unter interalliierter Beteiligung statt, während die Amerikaner alleine Schirmherren der Nachfolgeprozesse waren. Streng genommen handelte es sich bei den NMT-Verfahren also nicht um völkerstrafrechtliche Verfahren im eigentlichen Sinne, auch wenn die USA betonten ihre Gerichtsverfahren stellvertretend für die ganze Welt betreiben zu wollen.51 Bereits die zeitgenössische (deutsche) Literatur kritisierte dieses Rechtsverständnis der Amerikaner scharf. So arbeitete beispielsweise v. Velsen – ein Schüler Jahrreiß’52, welcher selbst verschiedentlich in den Nürnberger Prozessen auftrat53 – in seiner Dissertation im Jahre 1951 heraus, dass es sich bei den Gerichtshöfen der Nachfolgeprozesse um amerikanische, nicht um internationale Gerichte gehandelt habe.54 Dabei betonte er unter anderem, dass die Anklage in den Nachfolgeprozessen im Gegensatz zum IMT-Verfahren ausdrücklich nicht im Namen aller Alliierten erfolgte, die an den Verfahren beteiligten Staatsanwälte und Richter im Wesentlichen amerikanische Staatsbürger waren und die Prozesse durch die amerikanische Regierung in Washington beeinflusst worden waren.55 Auch an dieser Stelle muss das oben zur Kritik am IMT-Verfahren Geäußerte wiederholt werden. Die vorgebrachten Punkte sind zwar durchaus stichhaltig. Die von den USA vertretene Rechtsansicht sollte hingegen nicht allzu formalistisch interpretiert werden. Auch wenn prozessuale und rechtsdogmatische Aspekte dafür sprechen mögen, dass es sich genau genommen um amerikanische Tribunale gehandelt haben mag, ist doch das Anliegen der USA – Kriegsverbrechen vor Gerichten abzuurteilen – im Hinblick auf die damalige neue Situation und die aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten schwer vertretbare Alternative – Kriegsverbrecher ohne Gerichtsverfahren zu exekutieren – höchst ehrbar und damit unterstützenswert gewesen.
D. Zwischenergebnis Auch wenn die IMT- und die NMT-Verfahren also unterschiedliche politische und damit auch rechtliche Ausgangspunkte hatten, müssen die Parallelen dieser Verfahren jedenfalls in ihrem Zweck gezogen werden. Zu keiner Zeit hatte es in der Weltgeschichte vergleichbare Fälle von Verbrechen gegen die Grundwerte unseres Gemeinschaftslebens gegeben. Die Alliierten waren mit deren Umfang und Ausmaß völlig überfordert, was ihnen jedoch nicht zum Vorwurf gemacht werden darf. 51 Vgl. Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 24; LaFollette, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 63; Taylor, Hintergründe, S. 13; ders., Kriegsverbrechen, S. 9; Maser, Nürnberg, S. 572; Safferling, Internationales Strafrecht, § 4 Rn. 39. 52 Vgl. v. Velsen, Nationalcharakter, vor S. I. 53 Vgl. unten Kapitel 3 § 9 E. V. 54 v. Velsen, Nationalcharakter, S. 1 ff., 86 f. 55 v. Velsen, Nationalcharakter, S. 90 ff.
Kapitel 2
Der Juristenprozess – Übersicht, juristische Grundlagen und Anklageschrift § 4 Einführung Der dritte Nürnberger Nachfolgeprozess wurde vom 17.02.1947 bis zum 04.12. 1947 verhandelt.1 In diesem Verfahren stand die Berufsgruppe der Juristen im Fokus. Diese Ausgangssituation macht den Fall so besonders, denn erstmals in der Geschichte urteilten (amerikanische) Richter über (deutsche) Richter.2 Neben Vertretern der Judikative saßen ehemalige Staatsanwälte und hohe Beamte auf der Anklagebank. Keiner der Angeklagten hatte eigenhändig gemordet.3 Aber allen Angeklagten wurde vorgeworfen, an der Vernichtungsmaschinerie des „Dritten Reiches“ durch Gesetzgebung und Rechtsprechung mitgewirkt zu haben.4 Die Prosecution konzentrierte sich in ihrer Anklageschrift auf Staatssekretäre im Justizministerium (Franz Schlegelberger, Curt Rothenberger und Herbert Klemm), Beamte in leitender Funktion (Josef Altstötter, Karl Engert, Wolfgang Mettgenberg, Wilhelm v. Ammon, Günther Joël und Carl Westphal), sowie Richter und Staatsanwälte deutscher Ober- und Höchstgerichte (Karl Engert, Ernst Lautz, Günther Nebelung, Paul Barnickel, Hans Petersen, Hermann Cuhorst, Rudolf Oeschey und Oswald Rothaug).5 Der prozessuale Ablauf des Verfahrens folgte einem festen rechtlichen Rahmen.6 Grob umrissen begann das Verfahren mit der Anklageerhebung, der dann jeweils wechselseitig die Beweisaufnahme und die Plädoyers von Prosecution und Verteidigung folgten. Abgeschlossen wurde der Prozess durch die Urteile. Allerdings wurde dieser grundsätzlich „simple“ Ablauf durch verschiedene Faktoren
1
US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 5. Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 12; Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (713); Kastner, in: JA 1997, 699 (700 f.). Es sollte aber nicht das letzte Mal bleiben, dass sich Richter für systematisch begangenes Unrecht strafrechtlich verantworten mussten. Vgl. nur zur Rechtsbeugung in der DDR BGH NStZ-RR 1994, 437; 1996, 65, 69; 1997, 36; Hohmann, in: DtZ 1996, 230; Kastner, in: JA 1997, 699 (706). 3 Vgl. Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (716). 4 Vgl. Graefrath, in: NJ 1967, 458 (458). 5 Bästlein, in: Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 12 f. 6 Hierzu ausführlich unter Kapitel 2 § 5 B. I. 2
§ 4 Einführung
59
verkompliziert. Da z. B. jeder der Angeklagten aus einem unterschiedlichen politischen bzw. beruflichen Sektor kam und auch von seiner Persönlichkeit und Einstellung zum „Dritten Reich“ selbstständig betrachtet werden musste, lief die Beweisaufnahme in der Regel so ab, dass zu Beginn des jeweiligen Abschnittes Beweismittel, die bestimmte Themenbereiche und damit alle oder viele Angeklagte betrafen, vorgelegt wurden, während sich das Verfahren an anderen Tagen auf einzelne Angeklagte persönlich fokussierte. Daneben kam es zu organisatorisch- oder vorfallsbedingten Terminverschiebungen. Aufgrund dieser Faktoren ist es im Nachhinein nicht immer einfach, bei der Lektüre der Prozessunterlagen dem aktuellen Stand des Verfahrens zu folgen. Diesem Umstand geschuldet soll eine kurze Darstellung des Verfahrensablaufs vorgenommen werden. Der Ablauf des Verfahrens lässt sich folgendermaßen skizzieren:7 Am 04.01.1947 erhob die Prosecution Anklage gegen 16 Beschuldigte. Am 17.02.1947 wurde die Anklageschrift verlesen. Am 05.03.1947 verlas die Anklagebehörde ihre Eröffnungserklärung und begann mit der Beweisaufnahme, die bis Juni 1947 andauerte. Der Prozess wurde zwischenzeitlich vom 28.05.1947 bis zum 23.06.1947 unterbrochen, da der Vorsitzende Richter Marshall aus gesundheitlichen Gründen aus dem Verfahren ausschied. Während dieser Zeit wurden an drei aufeinanderfolgenden Tagen Anhörungen durch die drei verbliebenen Richter kommissarisch8 durchgeführt. Nach einer dreiwöchigen Vorbereitungspause fand vom 23.06.1947 bis zum 26.09.1947 die Beweisaufnahme der Verteidigung statt. Innerhalb dieses Zeitraums wurden auch einige Zeugen der Anklagebehörde gehört, die zu einem früheren Zeitpunkt nicht zur Verfügung gestanden hatten. Zwischen dem 26.09.1947 und dem 13.10.1947 wurde die Verhandlung erneut unterbrochen, um den Parteien Zeit zu geben, ihr Plädoyer vorzubereiten. Am 18.10.1947 erhielten die Angeklagten das letzte Wort, am 03.12. 1947 und 04.12.1947 wurden die Urteile verkündet. Der chronologische Verfahrensablauf lässt sich der Tabelle 1 entnehmen. Im anschließenden Kapitel werden die Rechtsgrundlagen des Juristenprozesses aufgeführt.
7 Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 17; US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 5; Kraus, KRG10, S. 51; Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (713); Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 291; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S1, Urteil Teil 1, S. 3; Kastner, in: JA 1997, 699 (702); Haensel, Organisationsverbrechen, S. 30; Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 39 ff.; Schott, Rothenberger, S. 168; StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 46, 21.05.1947, S. 1; Report No. 47, 22.05.1947, S. 1; Report No. 51, 02.06.1947, S. 1 f.; Report No. 52, 03.06.1947, S. 1; Report No. 54, 05.06.1947, S. 1; Report No. 55, 23.06.1947, S. 1; Report No. 56, 24.06.1947, S. 1; Report No. 121, 26.09.1947, S. 1; Report No. 127, 18.10.1947, S. 2. 8 Vgl. Art. V e) VO7. Dazu Kapitel 2 § 5 B. II.
60
Kap. 2: Der Juristenprozess Tabelle 1 Chronologischer Ablauf des Juristenprozesses
04.01.1947
Anklageerhebung
14.02.1947
Gründung des Militärgerichtshofes Nr. III (Allgemeine Verfügung Nr. 119)
17.02.1947
Eröffnung des Hauptverfahrens; Verlesung der Anklage
05.03.1947
Eröffnungserklärung der Anklagebehörde
06.03.1947
Beginn des Beweisverfahrens der Anklagebehörde
25.03.1947
Vorbringen gegen Rothaug
22.05.1947
Beginn des Kreuzverhörs durch die Verteidigung
23.–24.06.1947
Eröffnungserklärungen der Verteidigung
09.07.1947
Gemeinsame Sitzung der Militärtribunale I–V10 (Conspiracy)
11.07.1947
Entscheidung der Tribunale I–V
22.08.1947
Einstellung des Verfahrens gegen Engert
26.09.1947
Ende der mündlichen Zeugenvernehmung
13.10.1947
Ende des Beweisverfahrens
13.–14.10.1947
Plädoyer der Anklagebehörde
14.–18.10.1947
Plädoyers der Verteidigung
18.10.1947
Gegendarstellung der Anklagebehörde und letzte Worte der Angeklagten
03.–04.12.1947
Urteilsverkündung; Verkündung des Strafmaßes
18.01.1949
Bestätigung der Strafen durch den Militärgouverneur der Amerikanischen Zone
02.05.1949
Order of the Supreme Court of the United States denying Writs of Habeas Corpus11
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V. 14.02.1947; No. 52 v. 21.06.1947. US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 7. Zu der Nummerierung der Tribunale Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 62; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 48. 11 Zum „Habeas Corpus“ vgl. Jung, Rechtsprobleme, S. 122 f. Fn. 657; v. Velsen, Nationalcharakter, S. 12 Fn. 25 m.w. N. 10
§ 5 Rechtsgrundlagen des Verfahrens Auch wenn in den Kriegsverbrecherprozessen über deutsche Straftäter geurteilt wurde und die Militärgerichtshöfe ihren Sitz in Nürnberg hatten, war die Grundlage der Verfahren kein deutsches1, sondern ein eigenes materielles und prozessuales Recht2. Dies war auch der Grund, warum sich die Nürnberger Prozesse dem Vorwurf ausgesetzt sahen, gegen das „nulla poena“-Prinzip zu verstoßen.3 Die Nürnberger Nachfolgeprozesse fußten nicht mehr auf dem IMT-Statut4, sondern auf einem eigenständigen, durch den alliierten Kontrollrat geschaffenen5 Gesetzeswerk, das sich aber im Wesentlichen am IMT-Statut orientierte.6 Ein Unterschied7 lag in der systematischen Trennung des prozessualen und des materiellen Rechtes. Während im IMT-Statut sowohl die materiellen als auch die prozessualen Vorschriften niedergelegt waren8, wurden für die NMT-Verfahren die materiellen 9 Vorschriften in das KRG1010, die prozessualen Regeln aber in die VO711 geschrieben. 1 Vgl. hierzu StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B53, Brief an Taylor; v. Velsen, Nationalcharakter, S. 1 ff. 2 Vgl. Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 14; Kraus, KRG10, S. 19; Haensel, Organisationsverbrechen, S. 7 f.; Friedrich, Freispruch, S. 52. 3 Vgl. Perels, in: KJ 1998, 84 (93); Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 298 f., 312 f. 4 Nach der Präambel des KRG10 sollte es gerade für diejenigen Kriegsverbrecher angewandt werden, die nicht vom IMT verurteilt worden waren. 5 Dazu Haensel, Organisationsverbrechen, S. 15, 20 f.; Kastner, in: JA 1997, 699 (700); Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 17 ff.; Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 34 ff. 6 Perels, in: KJ 1998, 84 (87); Kastner, in: JA 1997, 699 (700); Haensel, Organisationsverbrechen, S. 10 ff.; Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 41 f.; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 22; Behling, in: JR 1949, 502 (503). Schott, Rothenberger, S. 162 f., berücksichtigt diese Trennung nicht. 7 Vgl. auch Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 9 f. 8 Vgl. nur Art. 16 ff. IMT-Statut. Beachte aber die Verfahrensordnung des IMT v. 29.10.1945, IMT, Bd. I, S. 20 ff. 9 Das KRG10 enthält aber in seinen Art. III–V einige verfahrensrechtliche Vorschriften, die insbesondere die Auslieferung von Verdächtigen betreffen. 10 V. 20.12.1945. Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Nr. 3 v. 31.01.1946, S. 50 ff.; zit. nach Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 263 ff. Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 101. 11 V. 18.10.1946. Office of Military Government for Germany (U.S.), Office of the Military Governor, APO 742, v. 25.10.1946 [zit. nach Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 269 ff.]; sowie Amtsblatt der Militärregierung Deutschland, Amerikanische Zone, Ausgabe B v. 01.12.1946, S. 10 ff. (zit. nach Jung, Rechtsprobleme, S. 232 ff.).
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Kap. 2: Der Juristenprozess
A. Materielle Regelungen Nach der Präambel des KRG10 war dessen Zweck die Umsetzung der Moskauer Deklaration vom 30.10.1943 und des Londoner Abkommens vom 08.08. 1945. Das KRG10 erhebt also grundsätzlich den Anspruch, völkerrechtlich legitimiert zu sein.12 Andererseits sind die Einflüsse aus den angloamerikanischen Strafrechtssystemen unverkennbar.13 Diese Besonderheit schlägt sich auch in der Systematik nieder. Im Common Law existiert kein dreistufiger Deliktsaufbau14, welcher das deutsche Strafrecht charakterisiert. Eine Straftat liegt vielmehr vor, wenn die Elemente „actus reus“ und „mens rea“ positiv, sowie das Element der rechtmäßigen Verteidigung (Einwendungen, sogenannte Defences15) negativ vorliegen.16 Schwierigkeiten bereitet dem deutschen Strafrechtler in diesem Kontext einerseits, dass eine saubere Trennung zwischen den Elementen im Sinne von objektiver Tatbestand, subjektiver Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld nicht möglich ist.17 Andererseits ist die materielle Ebene auch nicht von der prozessualen trennbar, da sich beide gegenseitig bedingen.18 Im Folgenden sollen die Straftatbestände, die Beteiligungsformen und die Defences dargestellt werden. Zwar bestehen im Großen und Ganzen Parallelen zu den Vorschriften des IMT-Statutes, an einigen Stellen weicht das KRG10 aber auch entscheidend davon ab, worauf weiter unten noch eingegangen wird.19
12 Vgl. Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 302; Kastner, in: JA 1997, 699 (704 f.); Haensel, Organisationsverbrechen, S. 14 ff., 56 ff.; v. Hodenberg, in: SJZ 1947, 113 (119); Wimmer, in: SJZ 1947, 123 (124 f.); Behling, in: JR 1949, 502 (503 f.); Haensel, in: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 22 f.; Haensel, in: DRZ 1948, 40 (41); Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 342. Dieser Punkt war eines der Hauptprobleme des Verfahrens, denn nach dem Art. IV Nr. 7 MRG 1 wurde explizit das Rückwirkungsverbot normiert, die Straftatbestände aber erst nach deren Verwirklichung eingeführt. Hierzu Hähnchen, Rechtsgeschichte, Rn. 892. 13 Der amerikanische Einfluss des IMT-Verfahrens habe sich insbesondere aus der exponierten Stellung Jacksons und den zahlreichen Beweisen, die sich in amerikanischen Besitz befanden, ergeben. Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 292 ff. Diesem Problem war man sich bei der Planung der Nürnberger Verfahren jedoch durchaus bewusst. Ebenda, S. 292 f. Kritisch Haensel, Organisationsverbrechen, S. 15 ff., 22 f., 56 ff.; Wimmer, in: SJZ 1947, 123 (125); Radbruch, in: SJZ 1947, 131 (133 ff.); Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 28. 14 Die Einteilung in Tatbestandsmäßigkeit, Rechtmäßigkeit und Schuld entspricht der ganz h. M. Statt aller Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 15 ff. 15 Vertiefend Nill-Theobald, Defences, S. 57 ff. 16 Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 291; Richardson, in: Archbold (Hrsg.), Kapitel 17, Rn. 1 ff.; Simeser/Sullivan, Criminal Law, S. 71 ff.; Schönke, in: DRZ 1948, 43 ff. 17 Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 292 ff.; vgl. auch Haensel, Organisationsverbrechen, S. 26 f.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, Anhang I. 18 Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 283 Fn. 1. 19 Vgl. Art. 6 ff. IMT-Statut.
§ 5 Rechtsgrundlagen des Verfahrens
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I. Straftatbestände Art. II Nr. 1 KRG10 nennt als strafbare Verstöße gegen das Statut vier Delikte, die durch vorsätzliche und kausale Handlungen oder Unterlassungen20 verwirklicht oder versucht21 werden mussten. 1. Verbrechen gegen den Frieden (Nr. 1a) „Das Unternehmen des Einfalls in andere Länder und des Angriffskrieges unter Verletzung des Völkerrechts und internationaler Verträge einschließlich der folgenden den obigen Tatbestand jedoch nicht erschöpfenden Beispiele: Planung, Vorbereitung, Beginn oder Führung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung von internationalen Verträgen, Abkommen oder Zusicherungen; Teilnahme an einem gemeinsamen Plan oder einer Verschwörung zum Zwecke der Ausführung eines der vorstehend aufgeführten Verbrechen.“
Erfasst sind hierbei das Planen oder Führen des Krieges (Individualverbrechen), sowie die „Verschwörung gegen den Frieden“ (Kollektivverbrechen).22 Es handelt sich um selbstständige Straftatbestände, keine Teilnahmeformen.23 Erklärungsbedürftig sind in diesem Tatbestand die Begriffe „gemeinsamer Plan“ und „Verschwörung“. Beide Begriffe umfassen den Sinngehalt des englischen Begriffes Conspiracy.24 Die Conspiracy ist eine dem deutschen Strafrecht fremde25 Beteiligungskonstruktion, wird aber in England und den USA26 umfassend zur Bestrafung hauptsächlich mafiöser Strukturen herangezogen.27 Der wesentliche 20 Kraus, KRG10, S. 32 ff., 96, 102; vgl. auch Haensel, Organisationsverbrechen, S. 53 ff. 21 So Taylor, Kriegsverbrechen, S. 129, auch wenn der Versuch in diesem Kontext kaum relevant gewesen ist. 22 Kraus, KRG10, S. 38. 23 Vgl. Kraus, KRG10, S. 46. 24 Vgl. Kraus, KRG10, S. 46. 25 Ähnlichkeiten bestehen zur Verbrechensverabredung nach § 30 Abs. 2 StGB bzw. § 49a RStGB, welcher bereits am 26.02.1876 bzw. 29.05.1943 eingeführt worden war, zur „Geheimbündelei“, die nach §§ 128, 129 StGB a. F. (aufgehoben durch das 8. StÄG vom 25.06.1968, BGBl. I, S. 741) strafbar war, zu den strafbaren Vereinigungen nach §§ 129, 129a StGB, sowie zur Vorbereitung eines Angriffskrieges nach § 80 StGB. Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 20; Safferling, in: KritV 1/2010, 65 (76 f.); Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 20; Andoor, in: ZJS 5/2015, 473 (478 f.). Diese Delikte sind allerdings wesentlich anders aufgebaut, vgl. dazu Safferling, in: KritV 1/ 2010, 65 (77 f.); Kraus, KRG10, S. 92 ff. und Haensels Ausführungen, in: StAN, KVProzesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief vom 30.06.1947, S. 27 ff. Kritisch auch Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 27 Fn. 34; Kraus, KRG10, S. 48. 26 Steiniger, in: ders./Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 20, sieht auch eine Verwandtschaft zum sowjetischen und französischen Strafrecht. 27 Vgl. Safferling, in: KritV 1/2010, 65 (65, 72); Kraus, KRG10, S. 47; Friedrich, Freispruch, S. 19 und zuletzt im FIFA-Korruptions-Skandal (Ohne Verfasser, Fifa) bzw. VW-Betrugssoftware-Skandal (Plea Agreement Robert Liang, abrufbar unter: https:// www.justice.gov/opa/file/890756/download). Zur Geschichte der Conspiracy Safferling, in: KritV 1/2010, 65 (72 ff.).
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Kap. 2: Der Juristenprozess
Kern der Conspiracy ist eine Vereinbarung zwischen mindestens zwei Personen, gegen geltende Gesetze durch eine ungesetzliche Handlung oder ungesetzliche Mittel zu verstoßen.28 Wegen Conspiracy kann ein Angeklagter auch ohne den Beweis eines konkreten kausalen Tatbeitrages verurteilt werden, sie ist außerdem dem Versuch gewissermaßen vorgelagert.29 Die Conspiracy soll ein strafrechtliches Einschreiten bereits beim Vorliegen einer abstrakten Gefahr ermöglichen, sowie Beweisschwierigkeiten entgegenwirken.30 In Bezug auf die NS-Verbrechen wollte man mit der Conspiracy wohl insbesondere dem Phänomen des nationalsozialistischen Massenverbrechens Herr werden.31 Die Conspiracy hatte unter den alliierten Mächten von vorne herein keinen leichten Stand. Schon vor dem Hauptkriegsverbrecherprozess waren sich die Alliierten darüber bewusst, dass die Conspiracy eine angloamerikanische Eigenheit und insbesondere kein Völkergewohnheitsrecht war.32 Auch Frankreich und die Sowjetunion standen der Conspiracy skeptisch gegenüber.33 Da aber „eine bessere Lösung“ nicht entwickelt wurde und die Conspiracy-Idee prominente Anhänger wie Präsident Roosevelt und Kriegsminister Stimson fand, setzte man sie dennoch in die Tat um.34 Ein wichtiges Rechtsproblem, das sich in den Nachfolgeprozessen stellte, ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 6 IMT-Statut a. E. Art. 6 IMT-Statut nennt die drei35 möglichen Straftatbestände des Statuts. In seinem letzten Absatz heißt es, dass alle Personen strafbar sind, „die am Entwurf oder der Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verabredung zur Begehung eines der vorgenannten Verbrechen teilgenommen haben“.
28 Taylor, Hintergründe, S. 53; Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 244; Rauschenbach, Organisationen, S. 132 f.; Safferling, in: KritV 1/2010, 65 (65); Kraus, KRG10, S. 47; Haensel, Organisationsverbrechen, S. 32 f.; Richardson, in: Archbold (Hrsg.), Kapitel 33, Rn. 2 ff. Zur Anforderung an die Qualität des Rechts Haensel, Organisationsverbrechen, S. 28 f. 29 Vgl. Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 17 f.; Kraus, KRG10, S. 47; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 127 f.; Rauschenbach, Organisationen, S. 133. 30 Safferling, in: KritV 1/2010, 65 (75); vgl. auch Kraus, KRG10, S. 47; Haensel, Organisationsverbrechen, S. 28 ff. 31 Vgl. Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 26 f.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 5 f.; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 23. 32 So ausdrücklich Taylor, Hintergründe, S. 53 f. Eine ähnliche Problematik ergab sich auch beim Militärtribunal für den fernen Osten. Siehe auch die Ausführungen bei Safferling, in: KritV 1/2010, 65 (66 ff.); Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 28; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 126 f.; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 23. 33 Taylor, Hintergründe, S. 105; Schulmeister-André, UdSSR, S. 253 ff. 34 Taylor, Hintergründe, S. 54. 35 Sofern man der Ansicht des IMT folgt und die Conspiracy als Unterform des Verbrechens gegen den Frieden sieht. Vgl. Safferling, Internationales Strafrecht, § 4 Rn. 30; Safferling, in: KritV 1/2010, 65 ff.
§ 5 Rechtsgrundlagen des Verfahrens
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Hier wird auf die Rechtsfolge der Conspiracy unmittelbar Bezug genommen und diese soll sich auf alle vorgenannten Verbrechen beziehen. Ein derartiger Passus fehlt im KRG10, sodass unter anderem diskutiert wurde, ob beispielsweise eine Strafbarkeit wegen Verschwörung zur Begehung von Kriegsverbrechen, nach dem KRG10 strafbar ist.36 Von der Formulierung des KRG10 hing also die Existenz eines strafbaren Verhaltens ab. Folglich sollte diese Frage auch im Juristenprozess relevant werden.37 Insbesondere Haensel widmete sich dieser Problematik ausführlich in einem Gutachten während des Juristenprozesses, weswegen an dieser Stelle auf die entsprechenden Ausführungen38 verwiesen wird. 2. Kriegsverbrechen (Nr. 1 b) Kriegsverbrechen sind „Gewalttaten oder Vergehen gegen Leib, Leben oder Eigentum, begangen unter Verletzung der Kriegsgesetze oder -gebräuche, einschließlich der folgenden den obigen Tatbestand jedoch nicht erschöpfenden Beispiele: Mord, Mißhandlung der Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete oder ihre Verschleppung zur Zwangsarbeit oder zu anderen Zwecken; Mord oder Mißhandlung von Kriegsgefangenen oder Personen auf hoher See; Tötung von Geiseln; Plünderung von öffentlichem oder privatem Eigentum; mutwillige Zerstörung von Stadt oder Land oder Verwüstungen die nicht durch militärische Notwendigkeit gerechtfertigt sind.“
Die deutsche Sprachfassung der Nr. 1b) ist in vielerlei Hinsicht irreführend.39 „Gewalttaten“ (im Englischen „Atrocities“) meint vielmehr „Gräueltaten“, setzt also einen starken Bezug zur Brutalität voraus.40 „Offenses“, die mit „Vergehen“ übersetzt wurden, bedeutet in diesem Kontext „Verstöße“, also „rechtswidrige Handlungen“. „Against persons or property“ wurde etwas frei mit „gegen Leib, Leben oder Eigentum“ übersetzt; entgegen der deutschen Fassung sind auch Ehre, Freiheit und Religion geschützte Rechtsgüter. „Mord“ ist untechnisch zu verstehen und umfasst „alle vorsätzlichen Tötungen [. . .] soweit sie völkerrechtlich verboten sind“.41 Man kann die Kriegsverbrechen also definieren als
36 Siehe nur Jescheck, in: Mezger/Schönke/Schwinge (Hrsg.), S. 409 f.; Ostendorf/ ter Veen, Juristenurteil, S. 25 ff.; Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 19; Kraus, KRG10, S. 47, 50 ff., 94 f.; Haensel, Das Gericht vertagt sich, S. 14; Graefrath, in: NJ 1967, 458 (459). 37 Vgl. Kapitel 2 § 7, Kapitel 3 §§ 8 ff. 38 Dazu unter Kapitel 3 § 12. 39 Kraus, KRG10, S. 55 ff. 40 Vgl. auch Radbruch, in: SJZ 1947, 131 ff. 41 Kraus, KRG10, S. 57. A. A. anscheinend Schott, Rothenberger, S. 169 f., die auf § 211 StGB abstellt. Zur Auslegung der Prosecution im Juristenprozess StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, Anhang III, S. 3 f. Zur Auslegung im angloamerikanischen Recht Schönke, in: DRZ 1948, 43 (45).
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Kap. 2: Der Juristenprozess „jede mit dem Kriege, seiner Führung und seinen Zielen in Verbindung stehende, gegen Personen oder Sachen gerichtete Handlung, die durch völkerrechtliches Gewohnheitsrecht oder durch geltende völkerrechtliche Vereinbarung verboten ist.“ 42
Zu den wichtigsten dieser völkerrechtlichen Verträge gehören die HLKO von 190743 und die GKK von 1929.44 Ein Verteidigungsanker der Kriegsverbrechen ist die militärische Notwendigkeit der in Frage stehenden Handlung, über die auch im Juristenprozess gestritten werden sollte.45 3. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Nr. 1c) Das VGM bezeichnet „Gewalttaten und Vergehen, einschließlich der folgenden den obigen Tatbestand jedoch nicht erschöpfenden Beispiele: Mord, Ausrottung, Versklavung; Zwangsverschleppung, Freiheitsberaubung, Folterung, Vergewaltigung oder andere an der Zivilbevölkerung begangene unmenschliche Handlungen; Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, ohne Rücksicht darauf, ob sie das nationale Recht des Landes, in welchem die Handlung begangen worden ist, verletzen.“
Das VGM umfasst zahlreiche Tatbestände, die für sich genommen in einer Vielzahl von Staaten als strafwürdig anerkannt sind und jeweils unterschiedliche Rechtsgüter schützen.46 Tatobjekt der VGM ist die Zivilbevölkerung, wobei der Tatbestand weit gefasst ist und von seinem Wortlaut her alle Taten, die gegen irgendeine Zivilbevölkerung47 begangen werden, umfasst.48 Auch bei den VGM wurden die Begriffe „Atrocities“ und „Offenses“ ungünstig übersetzt.49 Zu beachten ist, dass allen „Atrocities“ bzw. „Offenses“ eine „unmenschliche“ Gesinnung anhaften muss, wie ein Vergleich mit dem Wortlaut der Norm („Verbrechen gegen die Menschlichkeit“; „andere [. . .] unmenschliche Handlungen“) ergibt.50 Ob die Taten einen Zusammenhang zum Krieg voraussetzen51, war streitig und auch im Juristenverfahren relevant, weswegen auch hier die Frage offen gelassen 42
Kraus, KRG10, S. 56. „Internationale Übereinkunft betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs“ v. 29.07.1899; abrufbar unter: http://www.jura.uni-muenchen.de/fakultaet/lehr stuehle/satzger/materialien/haag1899d.pdf. 44 Vgl. auch Kraus, KRG10, S. 60 f. 45 Vgl. unter Kapitel 3 § 13 A. II. 46 Haensel, in: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief vom 30.06.1947, S. 34 f.; Kraus, KRG10, S. 72; Wimmer, in: SJZ 1947, 123 (129 f.); Taylor, Kriegsverbrechen, S. 19. 47 Es muss sich um eine Handlung gegen Personen richten. Sachen sind keine tauglichen Tatobjekte. Vgl. mit den Kriegsverbrechen und Kraus, KRG10, S. 72. 48 Kraus, KRG10, S. 70 ff. 49 Vgl. oben und Kraus, KRG10, S. 72 f. 50 Kraus, KRG10, S. 73; vgl. auch Haensel, in: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief vom 30.06.1947, S. 35; Wimmer, in: SJZ 1947, 123 (129 f.). 51 Vgl. hierzu Kreß, in: JZ 71 (2016), Heft 19, 948 f. 43
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werden soll.52 Obwohl die Einzeltaten unterschiedliche Schutzrichtungen haben, ist das übergerordnete Schutzgut der VGM die Menschenwürde selbst.53 Radbruch geht von einem philosophischen Ansatz aus und sieht als die wesentlichen drei Elemente der VGM „Grausamkeit gegen menschliches Dasein“, „Entehrung der Menschenwürde“ und „Zerstörung menschlicher Bildung“ an.54 Ungeklärt war auch das Verhältnis der VGM zu den Kriegsverbrechen. Da Art. II Nr. 1 b) KRG10 als Kriegsverbrechen auch Angriffe auf die Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete ansieht, werden in vielen Fällen beide Tatbestände gleichzeitig erfüllt sein.55 Fraglich ist deshalb, ob es sich bei den Kriegsverbrechen um eine lex specialis handelt oder ob die VGM konkurrenzrechtlich zurücktreten.56 Da der Strafrahmen beider Delikte identisch ist, hat diese Frage jedenfalls nur theoretische Bedeutung57 und muss daher an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Unterschiede ergeben sich aber dann, wenn es sich bei der geschädigten Zivilbevölkerung um die deutsche oder eine nicht unter deutschem Einfluss stehende handelt. Dann liegt ein VGM, aber kein Kriegsverbrechen vor.58 4. Organisationsverbrechen (Nr. 1d) Strafbar war die „Zugehörigkeit zu gewissen Kategorien von Verbrechervereinigungen oder Organisationen, deren verbrecherischer Charakter vom Internationalen Militärgerichtshof festgestellt worden ist“
als Organisationsverbrechen59. Gemäß Art. 10 i.V. m. 9, 6, 11 IMT-Statut konnte das IMT ganze Organisationen verbindlich für verbrecherisch erklären, deren Angehörige dann „vor nationalen, Militär- oder Okkupationsgerichten“ abgeurteilt werden durften. Als solche verbrecherischen Organisationen zählen nach Urteil des IMT Teile des Korps der 52 Siehe hierzu Haensel, Organisationsverbrechen, S. 17, 26, 48 f.; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 124 ff.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 129 Fn. 186; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 22, 62; sowie bei den Kriegsverbrechen. 53 Vgl. Kraus, KRG10, S. 74; Haensel, in: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief vom 30.06.1947, S. 34 f.; Graefrath, in: NJ 1967, 393 (394); 458 (458); v. Hodenberg, in: SJZ 1947, 113 (117); Wimmer, in: SJZ 1947, 123 (129 f.); Radbruch, in: SJZ 1947, 131 ff. 54 Radbruch, in: SJZ 1947, 131 ff.; Safferling/Luber, in: JA 2017, 881 (882). 55 Vgl. auch Haensel, in: DRZ 1948, 40 (42). 56 Steiniger, in: ders./Leszczyn ´ ski (Hrsg.), S. 29. 57 Kraus, KRG10, S. 77 f.; Radbruch, in: SJZ 1947, 131 (135). Siehe dazu auch unten IV. 58 Kraus, KRG10, S. 77 ff. 59 Vgl. auch §§ 129, 129a StGB.
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Kap. 2: Der Juristenprozess
politischen Leiter (auch bekannt als Führerkorps60), der SS, des SD und der Gestapo.61 Zu dem Führerkorps zählten Reichsleiter, Gauleiter, Kreisleiter, Ortsgruppenleiter und Amtsleiter der Reichsleitung, Gauleitung und Kreisleitung.62 Nicht zur Gestapo gezählt wurden insbesondere Personen, die einfache Büroarbeiten bzw. „nicht amtliche“ Tätigkeiten durchführten.63 Von einer strafbaren SS-Mitgliedschaft ausgenommen war die sogenannte Reiter-SS.64 a) Der SD Im Rahmen des Juristenprozesses wurde immer wieder der SD relevant, sei es aufgrund seiner Verstrickung in das Justizwesen oder der Tätigkeit gewisser Angeklagter oder Zeugen für diese Organisation.65 Es ist daher angebracht, bereits an dieser Stelle die Strafbarkeit des SD zu untersuchen. Umfasst waren nach Ansicht des IMT „die Ämter III, VI und VII des RSHA und alle anderen Mitglieder des SD [. . .] unter Einbeziehung der örtlichen Vertreter und Agenten, gleichgültig, ob sie ehrenhalber tätig waren oder nicht, und gleichgültig, ob sie nominell Mitglieder der SS waren oder nicht.“ 66
Grundsätzlich war der erfasste Personenkreis also sehr weitreichend, da das SD-Hauptamt Inland (Amt III), das SD-Hauptamt Ausland (Amt VI) sowie das Amt für weltanschauliche Forschung (Amt VII) für verbrecherisch erklärt worden waren.67 Ausgenommen waren allerdings insbesondere „ehrenhalber arbeitende Spitzel68, die nicht Mitglieder der SS waren“.69 Auf den ersten Blick gibt diese Ausklammerung von scheinbar weniger stark in den NS-Apparat involvierten Personen – ähnlich wie bei der Gestapo der ver60
Vgl. Rauschenbach, Organisationen, S. 34. Die SA wurde also nicht per se für verbrecherisch erklärt. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 100; Kraus, KRG10, S. 83 ff., 100 f.; Safferling, Internationales Strafrecht, § 4 Fn. 72; Kastner, in: JA 1997, 699 (702 Fn. 14); vgl. auch IMT, Bd. I, S. 307 ff. 62 Dabei handelte es sich um mehr als 600.000 Deutsche. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 100; IMT, Bd. I, S. 289 f. Zum Gaustellenleiter vgl. auch Kraus, KRG10, S. 141. 63 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 105; IMT, Bd. I, S. 301. 64 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 100. 65 Dazu unter Kapitel 2 § 6. 66 IMT, Bd. I, S. 301. 67 IMT, Bd. I, S. 300. Bei der Unterscheidung der einzelnen SD-Ämter ist zu beachten, dass der Geschäftsverteilungsplan im Laufe der Jahre mehrfach geändert wurde und die Ämter somit für unterschiedliche Bereiche zugeteilt worden waren. Hierzu Wildt, RSHA, S. 283 ff. 68 Bei IMT, Bd. I, S. 301 „Informatoren“. 69 Im Original: „Honorary informers who were not members of the SS“. US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 1031; Kraus, KRG10, S. 85 f.; Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 100. 61
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brecherische Charakter von Personal, das lediglich Verwaltungsaufgaben wahrnahm, verneint wurde – keinen Anlass zur Kritik. Fraglich ist jedoch, ob die von den Alliierten vorgenommene Unterscheidung der SD-Leute der tatsächlichen Struktur des SD gerecht wurde. Dazu ist zunächst zu untersuchen, was eine „ehrenhalbere“ Tätigkeit im SD bedeutete und worin die Aufgabe eines „Spitzels“ bzw. „Informatoren“ lag. Nach dem Historiker Schreiber muss streng zwischen Status und Funktion der betroffenen Personen im Geflecht des Nachrichtendienstes unterschieden werden.70 Während der Status nur die Frage beantworte, ob die Person Angehöriger des SD71 war, sei die Funktion vielschichtig gewesen und habe alle Spektren von „keiner Funktion“, über „V-Mann“ bis zum „Agenten“ abgedeckt.72 Auch ohne Angehöriger des SD zu sein, konnte man dennoch für die Organisation wertvolle Arbeit leisten. Tatsächlich traf dies für die Mehrheit der Personen zu, welche „im SD tätig“ waren.73 Viele Angehörige der Allgemeinen SS nahmen SD-Tätigkeiten wahr, ohne in die Organisation aufgenommen worden zu sein.74 Dies sagte auch nichts über die Stellung oder die Qualität der Tätigkeit aus.75 Das Vorgehen hatte eher praktische Gründe, die sich besser verstehen lassen, wenn man sich die Aufgabe des SD als Geheim- bzw. Nachrichtendienst vor Augen führt: Die angeworbene Person sollte im Unklaren über ihren Status gelassen und andere NS-Organisationen ausgehorcht werden.76 Ob jemand „ehrenamtlich“ oder „hauptamtlich“ für den SD tätig war, hatte in der Praxis nur einen einzigen Unterschied: Belange gehaltstechnischer Art wurden unterschiedlich geregelt.77 Selbst der berüchtigte Kronzeuge im IMT-Prozess Otto Ohlendorf, Chef der Inlandsabteilung des SD, war „nur“ ein Ehrenamtlicher.78 Zwar war es nicht ungewöhnlich, dass Status und Funktion eines SDMannes auseinanderfielen; grundsätzlich wurde aber nach einiger Eingewöhnungszeit und sorgfältiger Eignungsüberprüfung der Status des SD-Mannes, seiner Funktion entsprechend berichtigt.79 Bis zum Ende des Krieges kam es nie zu einer ganzheitlichen Harmonisierung, allerdings wurden beispielsweise ab etwa 1943 „Ehrenamtliche“ und „Karteileichen“ aus dem SD-Dienst entfernt und der Allgemeinen SS zugeordnet.80 70
Schreiber, Elite, S. 67. Zum Begriff Schreiber, Elite, S. 68. 72 Schreiber, Elite, S. 67. 73 Schreiber, Elite, S. 70. 74 Schreiber, Elite, S. 71. 75 Schreiber, Elite, S. 71, 89. Umgekehrt hätten eher die nicht dem SD angehörigen Personen den Löwenanteil der Tätigkeit geleistet. Ebenda, S. 89. 76 Schreiber, Elite, S. 70, 72; vgl. auch IMT, Bd. I, S. 300. 77 Schreiber, Elite, S. 85 ff. In Sachsen beispielsweise arbeiteten 87 % der SD-Angehörigen auf freiwilliger, unbezahlter Basis. Ebenda, S. 87. Vgl. zu Rothaug die Vernehmung Elkars, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 374 f. 78 Schreiber, Elite, S. 86; Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 35. 79 Schreiber, Elite, S. 89. 71
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Die von Schreiber geprägte Bezeichnung unterscheidet ferner, ob die betroffene Person „im“ oder „für“ den SD arbeitete.81 SD-Leute wurden in die Funktion „Zubringer“, „Agent“ 82, „Vertrauensperson“, „Mitarbeiter“ 83 und „Beobachter“ 84 eingeteilt.85 Diese Einteilung beruhte auf Franz Six86, der damit Chaos und nichteinheitlichen Bezeichnungen innerhalb der Behörde vorbeugen wollte.87 Einen „Spitzel“ oder „Informatoren“, wie ihn das IMT von seinem Urteil ausgenommen hatte, gab es im SD also gar nicht. Am ehesten meint der Begriff „Spitzel“ wohl den „Zubringer“ und die „Vertrauensperson“. „Zubringer“ 88 waren der Hierarchie des SD am weitesten ausgegliedert.89 Ihre Aufgabe war es „Vertrauenspersonen“ und „Beobachtern“ des SD Informationen zuzuspielen.90 Der Unterschied zu den „Vertrauenspersonen“ war, dass sie einerseits nur punktuell tätig wurden und andererseits keine Verschwiegenheitsverpflichtung leisteten.91 Die eigentliche Entfernung zum SD zeigt sich darin, dass es neben den „eingewiesenen“ auch „nicht eingewiesene“ „Zubringer“ gab, also solche, die gar nicht wussten, dass sie dem Nachrichtendienst Informationen lieferten, vielmehr nur bespitzelt wurden.92 Leistete ein „Zubringer“ gute Dienste, wurde er zur „Vertrauensperson“ ernannt.93 Der größte Anteil der SD-Leute gehörte zu 80
Schreiber, Elite, S. 91. Schreiber, Elite, S. 72. 82 „Ein Agent lässt sich an drei Kriterien festmachen: Er wurde direkt gegen den politischen oder weltanschaulichen Gegner eingesetzt, stammte zweitens selber aus diesen Kreisen oder Milieus und erhielt drittens eine irgendwie geartete Gegenleistung, die sich nicht immer in Geld ausdrücken musste. Es ist der Verrat aus eigennützigen Motiven – wobei der Eigennutz nur darin bestehen konnte, vorerst vom Konzentrationslager verschont zu bleiben –, der den Charakter des Agenten ausmachte und ihn vom V-Mann abgrenzte [. . .].“ Schreiber, Elite, S. 188. Zur Abgrenzung zum Denunzianten siehe ebenda, S. 196 ff. 83 Dazu unten Kapitel 2 § 6 C. 84 Die „Beobachter“ waren ausschließlich im Außendienst tätig, sollten selbst ein „VM.-Netz“ erschließen und den Kontakt zur Dienststelle herstellen. Organisatorisch waren die „Beobachter“ den „Mitarbeitern“ zuzuordnen, auch wenn „Beobachter“ in vielen Fällen nicht SD-Mitglieder waren oder wurden und zum Teil als „V-Leute“ geführt wurden. Schreiber, Elite, S. 294 f. 85 Schreiber, Elite, S. 175. Schreiber differenziert außerdem noch den „Außenstellenleiter“. Ebenda. 86 Six war unter anderem Chef des Amtes II (Inland) im SD-Hauptamt, Chef des Amtes VII (Gegnerforschung) im RSHA und ein Führer der Einsatzgruppe B. Klee, Personenlexikon, S. 585. 87 Schreiber, Elite, S. 174 ff. 88 Auch „Zuträger“, „Gewährsleute“ oder „Melder“. Schreiber, Elite, S. 180. 89 Schreiber, Elite, S. 180. 90 Ebenda. 91 Ebenda. 92 Schreiber, Elite, S. 180 f. Zu den interessanten Parallelen zum MfS siehe ebenda, S. 184 f. 93 Schreiber, Elite, S. 180, 184. 81
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den „Vertrauenspersonen“.94 Im Gegensatz zu den „Zubringern“ waren „Vertrauenspersonen“ für den SD tätig, jedoch keine SD-Angehörige.95 Ihre Dienste wurden dauerhaft in Anspruch genommen, dafür mussten diese Dienste unentgeltlich erfolgen.96 Auf eine „SS-mäßige“ Eignung oder NSDAP-Zugehörigkeit kam es bei den „Vertrauenspersonen“ nicht an, lediglich auf eine nationalsozialistische Einstellung und charakterliche „Sauberkeit“.97 Im Ergebnis machte es für die Qualität der Handlung grundsätzlich keinen Unterschied, ob jemand ehrenhalber oder fest angestellt, als „V-Mann“ oder „Agent“, als SS-Angehöriger oder nicht, für den SD tätig war. Die vom IMT vorgegebene Unterscheidung war dementsprechend ungeeignet und die Ausklammerung der „ehrenhalber arbeitende[n] Spitzel, die nicht Mitglieder der SS waren“ nicht gerechtfertigt.98 Für die strafrechtliche Beurteilung zwingend wäre eine konkrete Analyse der Tätigkeit des Angeklagten gewesen. Dadurch zeigt sich, wie schwierig es in der Praxis war, gegen Angehörige einer als verbrecherisch deklarierten Gruppe vorzugehen. Einen besseren Lösungsweg hatten die Amerikaner selbst mit dem Gesetz 10499 vorgegeben, in dessen Art. 2 Abs. 1 HS 1 auf die „individuelle Verantwortlichkeit“ und die „tatsächliche Gesamthaltung“ des Betroffenen abgestellt wurde, während eine Organisationszugehörigkeit nur indiziellen Charakter aufwies. Eine solche Einteilung wäre auch für die Bestrafung im Rahmen des KRG10 nützlich und vorzugswürdig gewesen. b) Technische Fragen des Organisationsverbrechens Nach Ansicht des IMT und des Militärtribunals Nr. III war das Organisationsverbrechen ein Kapitaldelikt, sodass die Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation mit der Todesstrafe belegt werden konnte.100 Das größte Problem des Organisationsverbrechens war, dass es sich bei ihm genau genommen um einen Unterfall der Conspiracy handelte.101 Dass die Conspiracy aus einem kon94
Schreiber, Elite, S. 185. Schreiber, Elite, S. 185; Elkar, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 375. 96 Schreiber, Elite, S. 185. 97 Schreiber, Elite, S. 185 f. Die charakterliche Sauberkeit musste durch die Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses (!) bewiesen werden. Ebenda, S. 186. Zur Verlässlichkeit der V-Leute vgl. Hentschel, in: Der Spiegel 51/1965, S. 69. 98 Vgl. auch Wildt, RSHA, S. 750 ff. 99 „Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus“ vom 05.03. 1946 („Entnazifizierungsgesetz“). 100 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 99; IMT, Bd. I, S. 287 f. Zur Eingrenzung in der Britischen und Amerikanischen Zone Rauschenbach, Organisationen, S. 30; IMT, Bd. I, S. 288 f. 101 IMT, Bd. I, S. 288; Haensel, Organisationsverbrechen, S. 27 ff.; Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 19. A. A. Kraus, KRG10, S. 81 ff., 91 f. Auch beim Hauptkriegsverbrecherprozess stellte sich dieses Problem, denn die Anklagevertretung hatte aufgrund der engen theoretischen Verwandtschaft der beiden Institute auf eine 95
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tinentalen Strafrechtsverständnis heraus fragwürdig ist, wurde oben bereits herausgearbeitet. Um dem Schuldprinzip genüge zu tun102 wurde die Norm durch das IMT restriktiv ausgelegt.103 So wurde neben der Mitgliedschaft weiter vorausgesetzt, dass die Person freiwillig nach Kriegsausbruch Teil der Organisation geblieben bzw. dieser beigetreten war und sie auch Kenntnis der verbrecherischen Umstände der Organisation gehabt hat oder gar selbst an der Begehung solcher Verbrechen beteiligt gewesen war.104 Eine gleichzeitige Bestrafung wegen Mitgliedschaft in einer Organisation und der Begehung eines anderen, im KRG10 genannten Deliktes, war nicht ausgeschlossen.105 II. Begehungsformen Außer den vier „neuartigen“ Straftatbeständen boten auch die strafrechtlich relevanten Begehungsformen im IMT-Statut bzw. im KRG10 einige Besonderheiten im Vergleich zum deutschen Strafrecht. Die Teilnahmevorschriften des KRG10 waren sogar noch weitgehender ausdifferenziert als im IMT-Statut.106 Gemäß Art. II Nr. 2 KRG10 machte sich strafbar, wer in Zusammenhang mit einem der vier Verbrechen – als Täter (Nr. 2 a) oder – als Beihelfer bei der Begehung eines solchen Verbrechens mitgewirkt oder es befohlen oder begünstigt (Nr. 2 b) oder – durch seine Zustimmung daran teilgenommen hat (Nr. 2 c) oder – mit seiner Planung oder Ausführung in Zusammenhang gestanden hat (Nr. 2 d) oder – einer Organisation oder Vereinigung angehört hat, die mit seiner Ausführung in Zusammenhang stand (Nr. 2 e) oder
trennscharfe separate Anklage verzichtet. Safferling, in: KritV 1/2010, 65 (69); vgl. auch Rauschenbach, Organisationen, S. 34, 89, 132 ff. 102 Rauschenbach, Organisationen, S. 29 f. bezeichnet das Organisationsverbrechen als „ausfüllungsbedürftige Blankettvorschrift.“ Vgl. auch Behling, in: JR 1949, 502 (503). 103 IMT, Bd. I, S. 287 f. 104 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 99 f.; IMT, Bd. I, S. 287; Kraus, KRG10, S. 88 ff.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 102; Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (65 f.); Haensel, Organisationsverbrechen, S. 26 ff. Vgl. für die Waffen-SS OSprG Hamm NJW 1948, 238. 105 Kraus, KRG10, S. 93 f.; Haensel, Organisationsverbrechen, S. 46; vgl. auch Art. 11 IMT-Statut; Rauschenbach, Organisationen, S. 88. 106 Steiniger, in: ders./Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 18; Kraus, KRG10, S. 28, 94 ff.; Art. 6 c) IMT-Statut a. E.
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– soweit Ziffer 1a) in Betracht kommt, wer in Deutschland oder in einem mit Deutschland verbündeten, an seiner Seite kämpfenden oder Deutschland Gefolgschaft leistenden Lande eine gehobene politische, staatliche oder militärische Stellung (einschließlich einer Stellung im Generalstab) oder eine solche im finanziellen, industriellen oder wirtschaftlichen Leben innegehabt hat (Nr. 2 f). Vergleicht man die hier genannten Begehungsformen mit dem deutschen Strafrecht (heute §§ 25 ff. StGB), so fällt auf, dass das KRG10 eine viel weitreichendere Haftung für strafrechtliche Handlungen vorsieht.107 Dieser Umstand ist der Nähe der Norm zum amerikanischen Strafrecht geschuldet.108 Fraglich ist, wie sich die Beteiligungsformen des Art. II Nr. 2 KRG10 untereinander verhalten.109 Der Verteidiger Haensel110 beschreibt die Systematik der Norm als „[k]onzentrische Kreise“ um die Täterschaft, die den Haftungsbereich immer weiter vergrößern, dafür immer unpräziser werden.111 Der Begriff „Täter“ im Sinne der Nr. 2 a) umfasst alle Begehungsformen des heutigen § 25 StGB.112 Bei Nr. 2 b), c), e) handelt es sich um unterschiedlich gewichtige Formen der Beihilfe113: Nr. 2 b) umfasst einerseits den Gehilfen („Beihelfer“) im Sinne des § 27 StGB, andererseits auch den Anstifter im Sinne des § 26 StGB. Denn der Begriff „begünstigt“ ist eine unglücklich gewählte Übersetzung des Begriffs „abetted“, also angestiftet.114 Bei Nr. 2 c) handelt es sich um einen Fall der rein psychischen 107 Vgl. Kraus, KRG10, S. 95 ff.; v. Hodenberg, in: SJZ 1947, 113 (114); Wimmer, in: SJZ 1947, 123 (130); Taylor, Kriegsverbrechen, S. 129; Behling, in: JR 1949, 502 (504). 108 Jung, Rechtsprobleme, S. 48. Die Prosecution legte die Teilnahmevorschriften auch streng nach angloamerikanischem Recht aus. Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, Anhang II. 109 Vgl. dazu Jung, Rechtsprobleme, S. 48 f.; vgl. auch Kraus, KRG10, S. 95. 110 Carl Haensel wurde am 12.11.1889 in Frankfurt am Main geboren. Er studierte in Lausanne, Berlin und Marburg Jura. Während des Studiums war er im Corps Teutonia Marburg aktiv. 1912 wurde er zum Dr. jur. ernannt. Ab 1918 arbeitete er als Rechtsanwalt und Schriftsteller (u. a. „Der Kampf ums Matterhorn“) in Frankfurt am Main, Berlin, Freiburg und Nürnberg. Ab 1930 war er zusätzlich auch als Notar tätig. 1915 heiratete er in erster Ehe Julie Hermann aus Marburg, in zweiter Ehe 1948 Agnes Prandhoff, 1961 in dritter Ehe Dr. med. Ilse Baum. Politisch war Haensel unauffällig. Er war kein Parteimitglied und wurde in seinem Entnazifizierungsverfahren in die Kategorie V eingestuft. 1950 arbeitete er als Justitiar des Südwestfunks in Baden-Baden. 1951 wurde er Professor für Rundfunkrecht in Freiburg, 1954 in Tübingen. Haensel starb am 25.04. 1968 in Überlingen am Bodensee. Corps Teutonia Marburg (Hrsg.), Blaubuch, S. 979; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI We3, S. 4; Haensel, Das Gericht vertagt sich, Klappentext; ebenda, S. 10. 111 Haensel, Organisationsverbrechen, S. 34. 112 Also Allein-, Mit- und mittelbarer Täter. Jung, Rechtsprobleme, S. 48; Kraus, KRG10, S. 95. 113 Haensel, Organisationsverbrechen, S. 36. 114 Jung, Rechtsprobleme, S. 48. Kraus, KRG10, S. 95 ff., meint, dass die Anstiftung im Gegensatz zum Art. 6 IMT-Statut a. E. im KRG10 gar nicht aufgenommen worden sei. Dennoch sei von einer Strafbarkeit der Anstiftung auszugehen. Haensel, Organisa-
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Beihilfe.115 Problematisch ist die Einordnung von Nr. 2 d) und e), denn diese weisen Parallelen zur Conspiracy auf. Den Unterschied sieht der Verteidiger Kraus116 darin, dass sich Nr. 2 d) und e) auf konkrete Straftaten beziehen müssten.117 Haensel versteht Nr. 2 d) als versuchte Beteiligung.118 Für Nr. 2 e) ist jedenfalls entscheidend, dass dieser sich nicht auf den Straftatbestand der Nr. 1d) bezieht119, die Verurteilung der Organisation120 durch das IMT als verbrecherisch, ist also keine Voraussetzung.121 Nr. 1 f) spielte für den Juristenprozess keine Rolle122, da die Begehungsform explizit nur für Art. II Nr. 1a) KRG10 in Betracht kommt und äußerst restriktiv zu behandeln war123. III. Defences Wie oben angedeutet, ist eine saubere Unterteilung der Defences in die deutschen Begriffe Rechtfertigung, Entschuldigung und Strafausschluss, nicht möglich.124 Die ebenfalls beschriebene Verzahnung der materiellen mit der prozessualen Ebene wird bei den Defences besonders deutlich. So galt auch in den Nürnberger Verfahren die Unschuldsvermutung125, die Schuld musste „beyond reasonable doubt“ festgestellt werden.126 Im angloamerikanischen Strafverfahren muss aber grundsätzlich jede Partei die für sie günstigen Fakten darlegen und beweisen.127 Damit stehen diese beiden Grundsätze in einem Spannungsvertionsverbrechen, S. 34 bejaht die Strafbarkeit einer Anstiftung [ob diese aus Variante a) oder b) gefolgert wird, lässt er offen], sieht aber die „Begünstigung“ als eigene Form der Begehung im Sinne des § 257 StGB. 115 Haensel, Organisationsverbrechen, S. 34 f. 116 Zu Kraus’ Tätigkeit im IMT-Prozess vgl. Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 38. 117 Kraus, KRG10, S. 99; vgl. auch Haensel, in: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief vom 30.6.1947, S. 28 f. Diese Frage war aber in den Verfahren äußert umstritten. Dazu Kapitel 3 § 12. 118 Haensel, Organisationsverbrechen, S. 35 f., 60. 119 Art. II Nr. 1d) KRG10 ist insoweit als abschließend zu betrachten. Vgl. Kraus, KRG10, S. 95. 120 Im Englischen „group“, daher wohl besser mit „Gruppe“ zu übersetzen. 121 Jung, Rechtsprobleme, S. 49; Kraus, KRG10, S. 100 f.; Haensel, Organisationsverbrechen, S. 35 f., 61; Rauschenbach, Organisationen, S. 30. 122 Vgl. LaFollette, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 65. 123 Taylor, Kriegsverbrechen, S. 128 f. Zu weiteren Details Kraus, KRG10, S. 101 ff. An dieser Norm werde der russische Einfluss sichtbar, da „die Kapitalisten und Industriellen einer besonderen Verantwortlichkeit unterlägen.“ Haensel, Organisationsverbrechen, S. 12. 124 Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 294 ff. 125 Zur Unschuldsvermutung vgl. Art. 6 Abs. 2 EMRK. 126 Kraus, KRG10, S. 31 f., 96; Haensel, Organisationsverbrechen, S. 50, 56 ff. 127 Vgl. Schönke, in: DRZ 1948, 43; sowie die Ansicht der Prosecution StAN, KVProzesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, Anhang IV, S. 1 ff.
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hältnis, welches dadurch aufgelöst wurde, dass zugunsten des Angeklagten in Bezug auf die strafbegründenden Umstände grundsätzlich eine Beweislastumkehr galt.128 Von großer Bedeutung waren für das Verfahren in dieser Hinsicht Art. II Nr. 4 und 5 KRG10. Gemäß Art. II Nr. 4 a) war der Einwand, „dass jemand eine amtliche Stellung eingenommen hat, sei es die eines Staatsoberhauptes oder eines verantwortlichen Regierungsbeamten“ weder ein Strafausschluss, noch bot er eine fakultative Strafmilderung. Wichtig war auch Art. II Nr. 4 b), wonach ein Handeln auf Befehl ebenfalls keinen Strafausschlussgrund darstellte, jedoch strafmildernd wirken konnte.129 Nach Art. II Nr. 5 S. 1 war es nicht möglich, sich für Taten, die sich während der Nazi-Diktatur ereigneten, auf Verjährung zu berufen. Schließlich stellten gemäß Art. II Nr. 5 S. 2 unter dem „Dritten Reich“ ausgesprochene Immunitäten, Begnadigungen und Amnestien keinen Strafausschlussgrund dar. Aufgrund der Eigenheiten des angloamerikanischen Strafrechts und den einschneidenden Vorschriften des Art. II Nr. 4 und 5 KRG10 wurden den Angeklagten also wichtige Verteidigungseinwände genommen, wodurch auch die jeweiligen Verteidigungsstrategien stark eingeschränkt werden sollten.130 Allerdings waren in Anbetracht des Zwecks der Nürnberger Verfahren insbesondere die genannten Vorschriften des KRG10 unerlässliche Schutzmechanismen, sollten die Kriegsverbrecherverfahren nicht aufgrund von langwierigen Ermittlungen sowie einem Berufen auf den allgegenwärtigen Führerbefehl131, im Sande verlaufen. IV. Strafrahmen Als Rechtsfolge sah das KRG10 in Art. II Nr. 3 einen umfangreichen Strafenkatalog vor, der im Ermessen des Gerichts stand (S. 1): – Todesstrafe (Nr. 3 S. 2 a)132, – lebenslängliche oder zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe mit oder ohne Zwangsarbeit (Nr. 3 S. 2 b), – Geldstrafen mit ersatzweise Freiheitsstrafe (Nr. 3 S. 2 c), – Vermögenseinziehung (Nr. 3 S. 2 d) und Rückgabe unrechtmäßig erworbenen Vermögens (Nr. 3 S. 2 e), sowie – völliger oder teilweise Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte (Nr. 3 S. 2 f). 128 Kraus, KRG10, S. 88 f. Vgl. aber Art. X VO7; sowie Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 298; Haensel, Organisationsverbrechen, S. 39 f., 50 ff. 129 Vgl. aber Radbruch, in: SJZ 1947, 131 (136). 130 Dazu unten. 131 Zum Führerbefehl ausführlich unter Kapitel 3 §§ 9 ff. 132 Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit der Todesstrafe vgl. Kraus, KRG10, S. 54; Jarass, EU-Grundrechte, Art. 2 Rn. 15; EGMR NVwZ 2006, 1267.
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Hervorzuheben ist, dass weder die einzelnen Straftatbestände, noch die unterschiedlichen Beteiligungsformen von Gesetzes wegen unterschiedliche Strafzumessungen bzw. Privilegierungen vorsahen, sodass dem Ermessen des Gerichts eine besondere Rolle zukam.133 Da aber die Strafen im Gegensatz zu Art. 27 IMT-Statut noch weitgehend ausdifferenziert sind, kann dies – im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz – als begrüßenswerte Verbesserung gesehen werden.134
B. Prozessrecht Das Verfahren richtete sich nicht nach dem KRG10, sondern nach der VO7, die sich auf Art. III Nr. 2 KRG10 stützte und später durch die Verordnung Nr. 11135 erweitert wurde. Grundsätzlich basiert die VO7 sowohl auf angloamerikanischen, als auch auf kontinentalen Rechtsordnungen und wurde maßgeblich von dem IMT-Statut und den während des IMT-Verfahrens gemachten Erfahrungen geprägt.136 Durch die VO7 wurden „Militärgerichte“ eingesetzt, die Verstöße gegen das KRG10 aburteilen sollten, Art. II a). „Darunter sind diejenigen Militärgerichte zu verstehen, die in Nürnberg amtieren und deren völkerrechtliche Aufgaben in der Plenarsitzung vom 9. Juli 1947 dargelegt wurden.“ 137 Gemäß Art. II b) bestand ein solches Militärgericht aus mindestens drei Juristen138 und gegebenenfalls einem stellvertretenden Mitglied. Die Richter wurden vom Militärgouverneur berufen und mussten mindestens fünf Jahre bei den höchsten Gerichten der Vereinigten Staaten bzw. deren Territorien oder des Distrikts Columbia oder bei dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten (US Supreme Court) zugelassen gewesen sein. Gemäß Art. II h) ergingen alle Entscheidungen, Urteile und Beschlüsse nach dem Mehrheitsprinzip (S. 1), eine Patt-Situation führte zur Einstellung des Verfahrens ohne Strafklageverbrauch (S. 2)139. 133 Dazu Kraus, KRG10, S. 106 ff.; Haensel, Organisationsverbrechen, S. 59 ff. Vgl. auch v. Hodenberg, in: SJZ 1947, 113 (115); IMT, Bd. I, S. 287. 134 So auch Andoor, in: ZJS 5/2015, 473 (474). 135 Vom 17.02.1947. Amtsblatt der Militärregierung Deutschland, Amerikanische Zone, Ausgabe C vom 01.04.1947, S. 11. Zit. nach Jung, Rechtsprobleme, S. 232 ff. 136 Siehe Art. XI VO7; Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 101; Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 15 f.; Jung, Rechtsprobleme, S. 23; Kraus, KRG10, S. 24; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 22; Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 295; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 46 f., 129. Vgl. auch die Einschätzungen von Kößl in StAMü, OLG München 2052, Lebenslauf v. 30.04.1949 und LaFollette, in: StAN, KVProzesse Fall 3, Rep. 501, XVI A1-3, S. 150. 137 Haensel, Organisationsverbrechen, S. 15. 138 Interessanterweise wurde trotz der Bezeichnung „Militärgericht“ nicht vorausgesetzt, dass die Richter aus dem Kreise des Militärs kamen. Vgl. Art. II b) VO7; Jung, Rechtsprobleme, S. 32; Hanesel, in: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief vom 30.06.1947, S. 31 ff.; Haensel, Organisationsverbrechen, S. 23. 139 Diese Einschränkung ergibt sich explizit nur aus der deutschen Sprachfassung der VO7, vgl. hierzu auch Safferling/Luber, in: JA 2017, 881 (883); sowie den „Vertrag zur
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I. Ablauf des Verfahrens Gemäß Art. XI a) richtete sich das prozessuale Vorgehen im Wesentlichen nach den Vorschriften des angloamerikanischen Strafprozesses.140 Hierbei streiten zwei Parteien141 – nämlich die Prosecution und die Verteidigung – um die Feststellung der Schuld des Angeklagten (adversatorisches Strafverfahren).142 Die VO7 gab den folgenden Ablauf vor: Der Prozess sollte mit der Frage an die einzelnen Angeklagten beginnen, ob jeder die ihn betreffende Anklageschrift erhalten und gelesen habe und danach, ob er sich diesbezüglich schuldig bekenne. Daraufhin war die Erklärung der Prosecution, deren Beweisvorbringen sowie anschließend das Kreuzverhör der Zeugen vorgesehen, Art. XI b, c). Die im Englischen als „Indictment“ 143 bezeichnete Anklage ging der Verlesung des Opening-Statements der Prosecution voraus, vgl. Art. XI a), b) VO7. Dieses Vorgehen zeichnet sich dadurch aus, dass in der Anklageschrift zunächst abstrakt die strafrechtlichen Vorwürfe und die diese kennzeichnenden Normen für die Angeklagten aufgeführt werden, während dann im Opening-Statement die konkreten Tathandlungen, inklusive die diesbezüglichen Beweise, nachfolgen.144 Das Indictment wies im Vergleich mit der Anklageschrift des deutschen Prozessrechts zwei Besonderheiten auf: Einerseits wurden nur Tatsachen aufgenommen, die unmittelbaren Bezug zu den Anklagepunkten hatten (subjektive Betrachtung), andererseits mussten diese Umstände nicht zwangsläufig strafrechtlich relevant sein, sondern konnten durchaus auch „ethischmoralische[n]“ Charakter haben.145 Daran anschließend war gemäß Art. XI d), e) die Verteidigung gleichfalls an der Reihe.146 Danach sollte zunächst die Verteidigung [Art. XI g)], hierauf die Prosecution [Art. XI h)] Stellung zu ihren Ausführungen und Anträgen nehmen. Das letzte Wort hatten jedenfalls die Angeklagten, Art. XI i). Tatsächlich waren Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen“ (Überleitungsvertrag) v. 05.05.1955. Art. 3 Abs. 3 b. BGBl. II, S. 405. 140 Vgl. Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 16; Jung, Rechtsprobleme, S. 37, 43, 45; Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 283 ff.; Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 295; Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 41. Kritisch v. Wilmowsky, Krupp, S. 51 ff. 141 Ähnlich dem deutschen Zivilrecht. Vgl. Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 293 f.; Oberheim, Zivilprozessrecht, Rn. 57. 142 Vgl. Jung, Rechtsprobleme, S. 43; Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (73); Eser, in: Schroeder/Kudtratov (Hrsg.), S. 11 ff.; Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 40 f. 143 Vertiefend Richardson, in: Archbold (Hrsg.), Kapitel 1, Rn. 1 ff. 144 Jung, Rechtsprobleme, S. 45. 145 Jung, Rechtsprobleme, S. 45; Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 269 ff. 146 Kritisch zu sehen ist, dass der Verteidigung aber von Gesetzes wegen kein Recht zu einem Opening-Statement zustand. Vgl. zum IMT-Prozess Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (68). Auch im deutschen Strafprozess gibt es hingegen kein Eröffnungsplädoyer. Kudlich/Oberhof, in: JA 2006, 463 (464).
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die Verfahren vor den NMT-Gerichten im Vergleich zum IMT-Prozess aber „weniger formell geworden“ 147, sodass die beschriebene Reihenfolge in einigen Punkten von den Vorgaben abweichen konnte.148 Gemäß Art. XIV g) VO7 war jedenfalls das gesamte Verfahren durch das Generalsekretariat149 mitzuprotokollieren, wobei allerdings nur das gesprochene Wort, nicht also z. B. rein schriftlich eingereichte Anträge, in das Protokoll aufgenommen wurden.150 Zunächst wurde das Protokoll in englischer Sprache abgefasst, später durch das Generalsekretariat mit Hilfe der Verteidigung übersetzt.151 Das Verfahren endete gemäß Art. XI j), XV durch ein mit einer Begründung zu versehendes Urteil. Dieses war endgültig und unanfechtbar, lediglich das Strafmaß konnte nach Art. XV, XVII durch den Militärgouverneur überprüft werden. Das Strafmaß setzte sich gemäß Art. XVI aus einer oder mehreren der in Art. II Nr. 3 KRG10 genannten Strafen zusammen. Todesstrafen mussten durch den Militärgouverneur bestätigt werden, Art. XVIII S. 1. II. Art der Beweiserhebung Gemäß Art. VI a), b), VII war eine oberste Maxime des Prozesses ein beschleunigtes Verfahren152 durchzuführen und dies auch durch „strenge Maßnahmen“ zu gewährleisten. Dazu waren die Richter auch in den Beweisregeln frei und an keine Form gebunden, Art. VII. Zulässig waren gemäß Art. VII jedenfalls folgende Beweismittel153: – Eidesstattliche Erklärungen (sogenannte Affidavits154), – Aussagen vor einem kommissarischen Richter, – Verhöre und andere Erklärungen (auch Trial-Briefs155), 147
Kraus, KRG10, S. 22. Vgl. § 13. 149 Für eine Liste der Mitglieder siehe US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. XXXI. 150 Vgl. Jung, Rechtsprobleme, S. 41 mit Fn. 221. 151 Jung, Rechtsprobleme, S. 41. 152 Diese sogenannte Konzentrationsmaxime gibt es sowohl im angloamerikanischen als auch im kontinentalen Rechtsraum. Jung, Rechtsprobleme, S. 33. Vertiefend Baumanns, Beschleunigungsgrundsatz, S. 35 ff.; vgl. auch Oberheim, Zivilprozessrecht, Rn. 238, 1254. 153 Zur Beweiskraft vgl. Taylor, Kriegsverbrechen, S. 129. 154 Vgl. EGMR, Urt. v. 26.01.2010 – 36822/06 = BeckRS 2012, 05037; Safferling, Internationales Strafrecht, § 4 Rn. 32; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 22. In Anbetracht des Unmittelbarkeitsprinzips sind Affidavits nicht unbedenklich. Safferling/ Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (70 ff.); Kastner, in: JA 1997, 699 (702 Fn. 15); vgl. auch v. Wilmowsky, Krupp, S. 66 f. 155 Dabei handelt es sich im angloamerikanischen Recht um einen Schriftsatz, den jede Partei an den Richter adressiert und darin das von ihr verfolgte Beweisthema herausarbeitet. Vgl. Maloney, in: IIC 2000, 723 (744). 148
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– Schriftstücke wie Tagebücher, Briefe, Protokolle und Urteile der Militärgerichte und der nachprüfenden und bestätigenden Behörden156, sowie unter Umständen – indirekte Beweise und Abschriften von Urkunden. Die Echtheit und die Beweiskraft dieser Dokumente konnte von der Gegenpartei jeweils bestritten werden, Art. VII S. 3. Wichtig ist auch, dass Tatsachen, die bereits durch andere Militärgerichte, Regierungen oder Komitees der Alliierten festgestellt worden waren, als „allgemein bekannt“ galten und damit nicht mehr bewiesen werden mussten, Art. IX. Entscheidungen, die das IMT im Hauptkriegsverbrecherprozess in Bezug auf die Planung oder Begehung von Invasionen, Angriffshandlungen, Angriffskriegen, Verbrechen, Grausamkeiten oder unmenschlichen Handlungen getroffen hatte, waren gemäß Art. X S. 1 sogar bindend, „soweit es sich nicht um die Beteiligung oder Mitwisserschaft einer bestimmten Person an solchen Verbrechen handelt“. Alle übrigen Feststellungen des IMT in diesem Prozess galten als zu widerlegende Tatsachenbeweise, Art. X S. 2. III. Rechte des Angeklagten Ausweislich des Art. IV sollte „[z]wecks Wahrung der Rechte des Angeklagten“ ein vorgeschriebenes Verfahren eingehalten werden. Dazu musste dem Angeklagten eine Übersetzung der substantiierten Anklageschrift inklusive aller relevanten Urkunden fristgerecht vor der Hauptverhandlung übergeben (a), die Hauptverhandlung in einer für den Angeklagten verständlichen Sprache abgehalten oder übersetzt (b)157 und ein Wahlverteidiger bzw. Pflichtverteidiger gestellt werden158 (c). Während der Verhandlung durften die Angeklagten anwesend sein (d)159, durch den Verteidiger Beweise einbringen und Belastungszeugen ins Kreuzverhör nehmen (e, d)160. Das Recht sich selbst zu verteidigen umfasste „das Recht, jede ungünstige Tatsache bestreiten und jede den Angeklagten günstige Tatsache zu ihrer Verteidigung verwenden zu können, sei es, dass die Schuld 156 Bemerkenswert ist, dass insbesondere die Prosecution amerikanische Gerichtsentscheidungen als Präzedenzfälle heranzog. Hierzu Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 14 ff. mit 305 ff. 157 Die Hauptverhandlung wurde gemäß dieses Rechtes der Angeklagten in Englisch und Deutsch simultan übersetzt. Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 22; Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (713); Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 39. 158 Nach Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK und Art. 14 Abs. 3 lit. d IPbpR müssen auch in heutigen Verfahren – unter gewissen Voraussetzungen – Verteidiger zwingend gestellt werden. 159 Unter Umständen war aber auch eine Verhandlung in Abwesenheit möglich, vgl. Art. IV d) und VI c). Zum Fall Bormann siehe Salleck, Strafverteidigung, S. 55 ff. 160 Bernhard behauptet, dem sowjetischen Richter (hier fälschlicherweise als Ankläger bezeichnet) Nikitschenko im IMT-Prozess sei der Begriff des Kreuzverhöres im Vorfeld der Verhandlungen nicht geläufig gewesen. Vgl. Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 295.
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bestritten oder aber die Strafzumessung beeinflußt werden sollte.“ 161 Ein Berufungs- oder Revisionsrecht war jedoch weder im IMT-Statut, noch im KRG10 oder der VO7, enthalten.162 Unter gewissen Umständen war aber eine Überprüfung einzelner Aspekte durch den US Supreme Court möglich.163 Ferner war es nicht zulässig, Richter auf Antrag für befangen erklären zu lassen, Art. II e) VO7.164 IV. Unterschiede zum deutschen Strafverfahren und Probleme Aus den oben skizzierten Abläufen lässt sich erkennen, dass die VO7 einen hybriden Charakter aufweist. Der grundsätzliche Verfahrensablauf ist nämlich dem angloamerikanischen Rechtssystem entlehnt. Diese Ausgangslage wurde von den deutschen Verteidigern scharf kritisiert165 und stellte sie in der Tat vor Probleme bei der Mandatsausübung166. So ermahnte das Gericht im Juristenprozess die Verteidiger, sich an die Regeln des Kreuzverhörs zu halten.167 Das Kreuzverhör, welches typisch für angloamerikanisches Prozessrecht ist168, war aber nur einer der signifikanten Unterschiede zwischen kontinentalem Recht und Common Law. So war das Verfahren nicht als Jury-Prozess169, sondern als Verfahren vor einem Kollegialgericht ausgestaltet, welches u. a. auch selbst Zeugen laden und vernehmen konnte, vgl. Art. I, II h), V a), b), XV.170 Somit konnte das 161
Jung, Rechtsprobleme, S. 30. Art. 26 S. 2 IMT-Statut; Art. XV S. 1 VO7 a. E.; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 62. Kritisch Schwartz, in: VjfZ 1990, 375 (378 ff.); Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 54; Behling, in: JR 1949, 502 (505). Allerdings war eine Begnadigung durch den Militärgoverneur bzw. den amerikanischen hohen Kommissar in Deutschland möglich. Taylor, Kriegsverbrechen, S. 47; Schwartz, in: VjfZ 1990, 375 (381). Vgl. zum IMTFE Herde, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 223. 163 Kraus, KRG10, S. 109 ff. Vgl. auch das Verfahren gegen Milch bei Salleck, Strafverteidigung, S. 93 ff.; v. Wilmowsky, Krupp, S. 52. 164 Im IMT-Prozess war dies gleichfalls nicht möglich, Art. 3 IMT-Statut. Hier wurde diskutiert, ob neben den vier alliierten nicht auch deutsche oder „neutrale“ Richter an dem Verfahren beteiligt werden sollten. Dazu Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (67) m.w. N.; Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 26 f.; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 117 f. 165 Nach Haensel, Organisationsverbrechen, S. 17 ff., gingen die amerikanischen Einschläge bei der Auslegung fehl, denn das Gericht habe zwar nur aus amerikanischen Juristen bestanden, diese hätten aber internationale Interessen wahrgenommen. Vgl. auch Behling, in: JR 1949, 502 (503) und dort insbesondere Fn. 14 mit einem Verweis auf das Flick-Urteil. 166 Vgl. nur Haensel, in: DRZ 1948, 40; Safferling, in: Nuremberg, S. 33 (34). 167 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 45, 19.05. 1947, S. 2. Vgl. auch StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 59, 27.06.1947, S. 1. 168 Schneider, in: KK-StPO, § 239 Rn. 1; Reitzug/Wiegandt, in: SchiedsVZ 2015, 197. 169 Aus heutiger Sicht verblüfft dieser Umstand besonders. Das Fehlen eines JuryProzesses war mit ein Grund für die USA, die Ratifikation des IStGH-Statutes zurückzuziehen. Hierzu Kindt, in: KJ 2002, 427 (439); Stahn, in: ZaöRV 60 (2000), 631 (637 f.). 162
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Gericht unmittelbar Einfluss auf den Prozess nehmen (kontinentales Rechtssystem). Die Inquisitionsmaxime171 des deutschen Strafprozessrechts (freie Beweiswürdigung) galt aber genauso wenig, wie die „Rules of Evidence“ des angloamerikanischen Systems.172 So konnten beispielsweise auch Zeugen nach Art. VI b) VO7 kommentarlos abgelehnt werden.173 Nach Jung tat sich damit ein „rechtliches Vakuum“ auf, das gemäß Art. V f) VO7 vonseiten des Gerichts durch die Einführung von Verfahrensregeln „zu füllen“ war.174 Diese Umstände des Verfahrens stellen den wesentlichen Kritikpunkt an den Nürnberger Strafverfahren dar175, auch wenn die deutsche StPO selbst in Bezug auf die Verteidigung „fragmentarischen“ Charakter aufweist176. Denn erstens waren die Angeklagten und deren Verteidiger zwar ausgebildete Juristen. Das Studium und die Praxis in Deutschland wird das angloamerikanische Recht aber maximal rudimentär zum Gegenstand gehabt haben.177 Interessant ist auch der Einwand Jungs, dass sich aus dem „rechtlichen Vakuum“ und dem kontinentalen Einschlag der VO7 – quasi diametral zu den Schwierigkeiten der deutschen Juristen mit dem angloamerikanischen System – ein Folgeproblem ergeben habe. Denn die amerikanischen Richter178 seien ja auch nicht im kontinentaleuropäischen System geschult gewesen.179 Tatsächlich bereiteten den amerikanischen Richtern Situationen, in denen der „gewohnte“ angloamerikanischen Prozessablauf ins Stocken geriet, Probleme.180 Zweitens seien die neuen Verfahrensregeln erst im Laufe des Prozesses beschlossen worden, sodass sich die Prozessparteien 170 Jung, Rechtsprobleme, S. 32 f.; Kraus, KRG10, S. 22; vgl. auch Schott, Rothenberger, S. 163. 171 Vgl. §§ 150 Abs. 2 S. 1, 244 Abs. 2, 384 Abs. 3 StPO; Müller, in: KJ 1977, 11; Krehl, in: KK-StPO, § 244 Rn. 27 f. 172 Art. VII VO7; Jung, Rechtsprobleme, S. 33, 43, 75 Fn. 392; Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 16; Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 101; Heintzeler, I.G. Farben, S. 17 f.; Schott, Rothenberger, S. 163. 173 Vgl. auch Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (74). Nach Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 41, sei dies im IMT-Vefahren auch „aus Gründen der Prozeßökonomie“ geschehen. 174 Jung, Rechtsprobleme, S. 33, 75. 175 Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 16 f. Siehe auch Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 313; Behling, in: JR 1949, 502 (505). 176 Müller, in: NJW 1981, 1801 (1802). 177 Vgl. auch Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (73 f.); Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 295; Schott, Rothenberger, S. 167. Interessanterweise wählte kaum ein Angeklagter einen amerikanischen Verteidiger, obwohl dies grundsätzlich möglich gewesen wäre. Dies mag wohl an dem hohen Honorar amerikanischer Anwälte gelegen haben. Vgl. Seliger, Politische Anwälte, S. 171, 231 ff. 178 Taylor, Kriegsverbrechen, S. 53 beschreibt Ähnliches für die Anklagevertreter. 179 Jung, Rechtsprobleme, S. 75. Vgl. auch Haensel, Organisationsverbrechen, S. 22; Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 53. 180 Vgl. StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 62, 02.07.1947, S. 1 f.
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erst spät auf diese hätten einstellen können.181 Es kam sogar vor, dass sich vor den einzelnen Tribunalen unterschiedliche Verfahrensweisen entwickelten.182 Letztlich wurde auch um die Einhaltung allgemeiner Rechtsgrundsätze, wie das „nulla poena sine lege“-Prinzip, gestritten.183
C. Zwischenergebnis Sowohl das in den Nürnberger Nachfolgeprozessen angewandte materielle als auch das prozessuale Recht stellte also im Vergleich zum „gewöhnlichen“ deutschen Strafrecht Besonderheiten auf, die es für die Angeklagten und deren Verteidigung zu berücksichtigen galt.184 Auch wenn es sich bei den Angeklagten um die noch greifbare Elite deutscher Juristen handelte, und diese allesamt hohe Posten eingenommen und eine gute Ausbildung genossen hatten, muss ein erster kritischer Blick auf die prozessuale Waffengleichheit185 gerichtet werden. Allerdings sollte man in diesem Punkt kein vorschnelles Urteil fällen. Erstens ist das Phänomen, dass die Anklagebehörde parteilich zu Lasten der Angeklagten auftritt, dem amerikanischen Rechtssystem immanent.186 Zweitens mag zwar insbesondere das in den Nürnberger Verfahren praktizierte Verfahrensrecht durch die besonderen Umstände des Ausgangs des Krieges beeinflusst, sowie der Neuartigkeit völkerrechtlicher Strafverfahren geschuldet gewesen sein. Dass das hierdurch etablierte Prozesssystem aber keineswegs ungeeignet bzw. „unfair“ gewesen sein muss, zeigen Vergleiche mit den heutigen Völkerstrafrechtsverfahren. Stellt man nur auf das Verfahren vor dem ICTY ab, ergibt sich ein sehr ähnliches Bild des Prozessablaufes und ebenso der Strafverteidigung: Auch dort gibt es einen signifikanten Einfluss des angloamerikanischen Straf(prozess)rechtes trotz internationaler Geltung des Gerichts, sowie durch die Richter auszufüllende „Blankettvorschriften“, wenn auch an einigen Stellen187 Verbesserungen zum Nürnberger Verfahrensrecht sichtbar werden.188 Alles in allem mag die Ausgangssituation für die Nürnberger Verteidiger keine einfache gewesen sein. Man kann aber alleine aufgrund des geltenden materiellen und prozessualen Statutes von keiner grundsätzlichen Benachteiligung der Angeklagten gegenüber der Prosecution sprechen. 181
Jung, Rechtsprobleme, S. 75. Vgl. StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 69, 15.07.1947, S. 1. 183 Vgl. Kraus, KRG10, S. 25 ff. 184 Vgl. auch Müller, in: NJW 1981, 1801 (1802). 185 Vgl. hierzu EGMR NJW 1995, 1413. 186 Vgl. Jung, Rechtsprobleme, S. 34, 43; Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 40 f.; Safferling, in: Nuremberg, S. 33 (34). 187 Vgl. nur Rule 67 of Procedure and Evidence (ICTY). 188 Zu den Ähnlichkeiten und Unterschieden vgl. nur Ambos, in: NJW 1998, 1444 ff. Zur Entwicklung der VGM vor den Gerichtshöfen Kreß, in: JZ 71 (2016), Heft 19, 948 ff. 182
§ 6 Die am Verfahren beteiligten Parteien Die für ein Strafverfahren wesentlichen Parteien sind sowohl im deutschen als auch im amerikanischen Strafverfahren identisch. Es handelt sich um die Richter, Staatsanwälte (im Folgenden in Anlehnung an die englische Terminologie „Prosecution“), Verteidiger und natürlich die Angeklagten selbst.1 Wie in Kapitel 2 § 5 bereits herausgearbeitet, war der am amerikanischen Strafverfahren orientierte Juristenprozess als Parteienprozess ausgestaltet, in welchem die Angeklagten und die Prosecution um die „Gunst“ des Richters streiten. Der Ausgang des Verfahrens hing also insbesondere von den Fähigkeiten und dem Vorbringen der beiden Parteien ab. Ganz im Gegensatz dazu steht das kontinental-rechtliche Strafverfahren, das durch die Staatsanwaltschaft als „objektivste Behörde der Welt“ 2 eine gewisse Entschärfung erfährt. Um die Situation der Angeklagten vor diesem Hintergrund besser zu verdeutlichen, sollen im Folgenden die Parteien des Verfahrens vorgestellt werden.3
A. Besetzung des Gerichts I. Personen Die Richter, die in den Nachfolgeverfahren Recht sprachen, waren im Vergleich zu den Kollegen des IMT-Vefahrens4 eher unbekannt.5 Das lag unter anderem daran, dass der oberste Bundesrichter in Washington, Chief Justice Vinson, Bundesrichterkollegen untersagt hatte, an den NMT-Verfahren teilzunehmen.6 Somit musste sich also auch das Tribunal III im Juristenverfahren mit weniger prominenten Namen zufriedengeben: dem Vorsitzenden7 Carrington T. Marshall (ehemals Präsident des Obersten Gerichts des Staates Ohio), Mallory B. Blair8 1 Allerdings war an den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen – anders als sonst im angloamerikanischen Strafverfahren üblich – gerade keine Jury beteiligt. Vgl. hierzu § 5 B. IV. 2 Zu dem Begriff vgl. v. Liszt, in: DJZ 1901, 179 (180 linke Spalte), der die Objektivität der Staatsanwaltschaft im Ergebnis aber verneint. 3 US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 5. 4 Hierzu Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 32; vgl. aber Seliger, Politische Anwälte, S. 123 ff. 5 Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 101; Schott, Rothenberger, S. 169. 6 Taylor, Kriegsverbrechen, S. 48; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 62 f.; Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 52 f. 7 Vgl. Art. II d) VO7. 8 Nicht korrekt: Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 227: J. B. Blair.
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(Appellationsgericht für Zivilsachen im Staat Texas) und Justin Woodward Harding (Assistent des Generalstaatsanwaltes des Staates Ohio und Amtsrichter des Staates Alaska).9 Marshall wurde krankheitsbedingt bereits nach kurzer Zeit, durch die Allgemeine Verfügung Nr. 52 vom 21.06.1947, rückwirkend ab dem 19.06.1947, von James T. Brand abgelöst10, der zuvor, wie die Mehrheit seiner Kollegen, in Ohio tätig war, nämlich als Richter am Obersten Gericht.11 Brand übernahm den Vorsitz und Woodward Harding wurde gemäß Art. II b) und f) VO7 zum Richter ernannt.12 II. Kritik und Antwort hierauf Die Historiker Priemel/Stiller empfinden die Situation, dass nur die „zweite Liga“ an Richtern in den NMT-Verfahren auftrat, als großen Nachteil, seien diese doch im Völkerrecht und auch den historischen Gegebenheiten des NS-Staates wenig gebildet gewesen.13 Sofern diese Kritik zutreffend sein sollte14, dürften sich die beiden angesprochenen Punkte aber in der Praxis kaum ausgewirkt haben. So bietet gerade das angloamerikanische Strafrecht, in welchem der Richter hauptsächlich die Position des unparteiischen „Schiedsrichters“ übernimmt und sich im Wesentlichen die Argumente der streitenden Parteien zu eigen macht, eine ausreichende Absicherung gegen fehlende Expertise. Und in Bezug auf die historischen Grundlagen sollten zumindest die Art. IX und X VO715 eine gemeinsame, arbeitsfähige Basis geliefert haben.
B. Die Anklagevertretung Chefankläger im Juristenprozess war ebenso wie in den übrigen Nachfolgeprozessen16 Brigadier General der Vereinigten Staaten und Generalstaatsanwalt für
9 Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 11; Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 101; US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 13; Kastner, in: JA 1997, 699 (700); Taylor, Kriegsverbrechen, S. 63. 10 Vgl. Art. II f) VO7. 11 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S1, Urteil Teil 1, S. 2a f.; Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 101; US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 13; Kastner, in: JA 1997, 699 (700); Taylor, Kriegsverbrechen, S. 63; StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 55, 23.06.1947, S. 1. 12 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S1, Urteil Teil 1, S. 2a f.; vgl. auch US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 4, 13. 13 Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 52 f.; vgl. auch Seliger, Politische Anwälte, S. 296. 14 Letztlich waren auch die wenigsten Verteidiger Experten auf dem Gebiet des Völkerrechts. Vgl. Seliger, Politische Anwälte, S. 47 f., 168. 15 Bindung an gewisse, durch das IMT bereits festgestellte Fakten. 16 Taylor, Hintergründe, S. 13; Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 291 f.
§ 6 Die am Verfahren beteiligten Parteien
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Kriegsverbrechen, Telford Taylor17, der sich im Juristenprozess aber nur um die Eröffnungsrede kümmerte18. Deputy Chief of Counsel Charles M. LaFollette, früherer Kongressabgeordneter aus Indiana, war der Hauptvertreter bzw. „Hauptstratege“ 19 der Anklage.20 Die weiteren Anklagevertreter waren Alfred W.21 Wooleyhan22, Robert D. King und Miss Sadie B. Arbuthnot.23 Da die Prosecution ferner mit etlichen Verwaltungstätigkeiten wie Übersetzungen, Aufspüren von Personen und Vorbereitung von Dokumenten betraut war24, wurde sie durch Walter Rapp (Chief of the Evidence Division), Fred Niebergall (Chief of the Document Branch), und die Vernehmungsbeamten Peter Beauvais, Arnold Buchtal und Henry Einstein (Research and Documentary Analysts) unterstützt.25 Einstein sollte insbesondere aufgrund seiner „scharfen“ Vernehmungen eine wichtige Rolle im Juristenprozess spielen.26
C. Die Angeklagten I. Auswahlkriterien Der Hauptanklagevertreter der Amerikanischen Besatzungszone, der sogenannte US Chief of Counsel for War Crimes, war für die Wahl der Angeklagten zuständig.27 Der Fokus lag auf Verdächtigen, „die schwerste persönliche Verantwortung für die zahlreichen internationalen Verbrechen“ trugen.28 Bei der Masse
17 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50a, Anklage, S. 19; US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 14. 18 Der Grund hierfür wird wohl in dem enormen organisatorischen Aufwand der NMT-Verfahren gelegen haben. Im Zeitraum Dezember 1946 bis Dezember 1947 hatten sechs NMT-Verfahren getagt. Vgl. dazu Taylors Ausführungen in Kriegsverbrechen, S. 48 f., 53; Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 100. Während des Juristenprozesses wurde Taylor aber stets durch Trial-Briefs auf dem Laufenden gehalten. Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B53; B54a; B56; B57a. 19 Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 292. 20 Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 100; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 63; Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 46. Wilke sieht in der politischen Komponente LaFollettes gerade dessen Qualifikation für den Prozess. Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 292. 21 Bei US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 14 „M.“. 22 Bei Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 17 „Woohyhan“. 23 Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 17; US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 14; Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 292; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 63. 24 Taylor, Kriegsverbrechen, S. 48 f. 25 US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 6; vgl. auch Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 305. 26 Dazu unten. 27 Taylor, Kriegsverbrechen, S. 46, 48; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 59. 28 Zit. nach Taylor, Kriegsverbrechen, S. 51 f.
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der potentiellen Täter, die für einen Prozess in Frage gekommen wären29, erscheint es nur logisch, dass eine interne Vorauswahl getroffen werden musste, um den Prozess nicht von seinen Kapazitäten her zu „sprengen“.30 Daneben stand die Prosecution unter Zeitdruck31 und eine Vielzahl der Verdächtigen war nicht ergreifbar32 – etliche NS-Täter hatten eine falsche Identität angenommen und lebten im Untergrund33 – oder über das ehemalige Deutsche Reich zerstreut34. So mag die Anklage mancher Personen auch vom Zufall abhängig gewesen sein.35 Selbst vor diesem Hintergrund überrascht die Wahl der Angeklagten auf den ersten Blick. So fehlten doch – abgesehen etwa von Hans Frank und Ernst Kaltenbrunner, die bereits im Hauptkriegsverbrecherprozess verurteilt und hingerichtet worden waren36 – auf der Anklagebank viele prominente Stellvertreter der NSJustiz.37 Die Prosecution berichtete in ihrer Eröffnungserklärung kurz von deren Schicksalen. Der Verbleib der Betroffenen lasse sich in zwei Gruppen aufteilen. Die erste Gruppe war zum Zeitpunkt der Verhandlung bereits verstorben. Zu dieser gehörten Thierack38 (Suizid am 26.10.1946), Freisler (getötet bei einem Luftangriff auf den Volksgerichtshof zu Beginn des Jahres 194539), Vollmer40 (verstorben im Einsatz für die Luftwaffe 1945) und Westphal (wurde zwar angeklagt, beging dann aber noch vor Prozessbeginn Suizid).41 Die zweite Gruppe (Crohne, 29 Vgl. Taylor, Hintergründe, S. 53 und ders., Kriegsverbrechen, S. 50, nach dem mehrere hunderttausend Deutsche potentiell an Völkerrechtsverbrechen beteiligt gewesen seien. Nach Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 13, umfasste der deutsche Justizapparat über 15.000 Personen. 30 Vgl. Steiniger, in: ders./Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 11; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 28, 60. 31 Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 100; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 21 f. 32 Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 28. 33 Müller, Furchtbare Juristen, S. 304, 306. 34 Verdächtige befanden sich in amerikanischem, britischem, französischem und polnischem Arrest. Taylor, Kriegsverbrechen, S. 51. 35 Vgl. Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 20; Schott, Rothenberger, S. 162; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 27, 69; Friedrich, Freispruch, S. 18. 36 Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 45. 37 Vgl. Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 100; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 61. 38 Vgl. zu einer geplanten Anklage gegen Otto Georg Thierack im Juristenprozess Taylor, Kriegsverbrechen, S. 61. 39 Zum Tode Freislers gibt es verschiedene Aussagen. Vgl. Hillermeier (Hrsg.), Todesurteile, S. 111 f.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 192; StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 117, 22.09.1947, S. 1. 40 Vollmer war Referent im RMJ und Generalstaatsanwalt in Könisberg. Gruchmann, Justiz im Dritten Reich, S. 284; US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 705 Fn. 2. 41 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 91; Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 39; vgl. auch Kastner, in: JA 1997, 699 (700); Taylor, Kriegsverbrechen, S. 62. Zu nennen wäre auch der Präsident des Reichsgerichts Bumke, der am 20.04.1945 Selbstmord begangen hatte; vgl. Müller, Furchtbare
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Lämmle und Haffner)42 sei unauffindbar.43 Außerdem ist auffällig, dass kein Richter des ehemaligen Reichsgerichts unter den Angeklagten war. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die sowjetischen Truppen in Leipzig, wo das Reichsgericht ansässig gewesen war, eine rigorose Verhaftungswelle veranlasst hatten, wodurch ein Drittel der Richter und Staatsanwälte des Reichsgerichts verhaftet und interniert wurde und letztlich auch an den Haftbedingungen verstarb.44 Im Folgenden wird also die Gruppe von Personen vorgestellt, die die Prosecution als für eine Anklage geeignet angesehen hatte. II. Personen Die im Prozess angeklagten Juristen deckten ein weites Feld ab und waren Richter, Staatsanwälte und Beamte bzw. Staatssekretäre.45 Interessant und auch für den Prozess bedeutsam ist die Tatsache, dass viele Personen auch mehrere dieser Stellungen nacheinander innegehabt hatten.46 Die (im Sinne einer Rangordnung) wichtigste Personengruppe bildeten die Staatssekretäre (Herbert Klemm, Curt Rothenberger, Franz Schlegelberger). Mit Schlegelberger, dem protokollarisch höchsten Angeklagten, hatte man sogar einen ehemaligen Staatssekretär mit geschäftsführender Position im Justizministerium gefasst.47 Die anJuristen, S. 352 f.; v. Alten, Recht oder Unrecht, S. 28; Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 100. 42 Wilhelm Crohne war Leiter der Abteilung Strafrechtspflege im Justizministerium sowie ab November 1942 Vizepräsident des Volksgerichtshofes. Er beging im Mai 1945 erweiterten Selbstmord mit seiner Familie. Paul Lämmle war Richter am Volksgerichtshof. Harry Haffner wurde zunächst 1944 Generalstaatsanwalt von Kattowitz, am 14.03. 1945 Freislers Nachfolger als Präsident des Volksgerichtshofes. Er tauchte nach dem Krieg unter. Im September 1952 offenbarte er seine Identität dem niedersächsischen Innenminister und dem Amt für Verfassungsschutz, im August 1953 zeigte er sich selbst bei der Staatsanwaltschaft Kassel an. Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt. Er verstarb unverurteilt am 14.10.1969. Klee, Personenlexikon, S. 98, 218; ders., Ach die alten Zeiten; Lauf, Volksgerichtshof, S. 19; Wagner, Volksgerichtshof, S. 24, 29; Eichmüller, Generalamnestie, 278; Müller, Furchtbare Juristen, S. 196; US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 334 Fn. 2. 43 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 91. 44 Schäfer, in: DRiZ 11/1957, 249 (250). Vgl. auch Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 39 ff. 45 Dazu US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 15 ff. 46 Vgl. dazu StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 12. 47 Prof. Dr. Dr. h.c. Louis Rudolph Franz Schlegelberger, der am 23.10.1876 (andere Angabe StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S1, Urteil Teil 2, S. 176: 1875) in Königsberg geboren worden war, promovierte 1899 an der Universität Leipzig, absolvierte 1901 die große juristische Staatsprüfung und war ab 1904 Richter am LG in Lyck. 1908 wurde er ans LG Berlin, im Herbst 1908 als Hilfsrichter an das Kammergericht Berlin, versetzt. Während des Ersten Weltkrieges war Schlegelberger dort Kammerge-
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Kap. 2: Der Juristenprozess
deren Beamten waren Ministerialräte, -direktoren und -dirigenten im RMJ für die Zivil- und Strafrechtspflege (Josef Altstötter, Wilhelm v. Ammon, Karl Engert, Günther Joël, Wolfgang Mettgenberg, Carl Westphal). Bei den Staatsanwälten hatte man sich auf (Ober-)Reichsanwälte und Generalstaatsanwälte beschränkt. Diese waren Paul Barnickel, Ernst Lautz, Oswald Rothaug und Günther Joël48. Die Richter waren, bis auf den ehemaligen Präsidenten des OLG Hamburg und späteren Staatssekretär Curt Rothenberger49, an Sondergerichten, dem Volksgerichtshof oder an zivilen Standgerichten tätig gewesen. Am Volksgerichtshof war Karl Engert Vizepräsident, Günther Nebelung Präsident des 4. Senates und Hans Petersen Laienrichter des 1. Senates gewesen. Für die Sondergerichte vertrat Hermann Cuhorst das Sondergericht Stuttgart, während mit Oswald Rothaug und Rudolf Oeschey zwei ehemalige Richter des für seine drakonischen Strafen bekannten50 Sondergerichts Nürnberg ausgewählt wurden. Oeschey war im April 1945 darüberhinaus noch Vorsitzender eines zivilen Standgerichtes.51 Im Folgenden soll auf die Staatsanwälte und Richter näher eingegangen werden. 1. Sondergerichte Am auffälligsten ist die interne Vorauswahl bei den Richtern und Staatsanwälten am Sondergericht. Denn insgesamt waren nur drei Richter angeklagt, obwohl „mehrere Tausend Richter und Staatsanwälte an diesen Gerichten arbeiteten“ 52. Vorab ist festzuhalten, dass diese Vorsortierung nicht an der Verfügbarkeit der richtsrat. Am 01.04.1918 wurde Schlegelberger als Hilfsarbeiter ins Reichsjustizamt geholt und am 01.10.1918 zum Geheimen Regierungsrat und Vortragenden Rat ernannt. 1927 stieg er zum Ministerialdirektor im RMJ auf und schaffte es schließlich am 10.10.1931 zum Staatssekretär im RMJ unter Gürtner. Den letzten Schritt auf seiner Karriereleiter bestieg er dann nach Gürtners Tod am 29.01.1941, als er zum geschäftsführenden Staatssekretär ernannt wurde und damit die Leitung des RMJ übernahm. Am 20.08.1942 schied Schlegelberger aus dem RMJ aus und Thierack wurde zum Justizminister ernannt. Schlegelberger wurde im Juristenprozess zu lebenslanger Haft verurteilt und verstarb am 14.12.1970 in Flensburg. Er veröffentlichte verschiedene bedeutende rechtswissenschaftliche Werke, die bis weit in die Zeit nach dem Krieg Verwendung fanden, darunter den „Kommentar zum Handelsgesetzbuch“, 5. Aufl., München 1974. Siehe hierzu v. Alten, Recht oder Unrecht, S. 13 ff.; Klee, Personenlexikon, S. 538; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S1, Urteil Teil 2, S. 176; Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 204; Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 52. 48 Joël wechselte im Jahre 1943 vom RMJ zur Generalstaatsanwaltschaft nach Hamm. Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 39 f. 49 Vertiefend Schott, Rothenberger. 50 Vgl. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 211; Steiniger/Leszczyn ´ ski (Hrsg.), S. 283; v. Miquel, in: Frei (Hrsg.), S. 173; Kastner, in: JA 1997, 699 (702 f., 706); HaStAMü, MJu 26696, zu 1053 – I – 525/527/60 v. 15.11.1960 (o. S.), S. 2. 51 Von Friedrich, Freispruch, S. 17 wird Rothaug fälschlicherweise als „Vorsitzender des Standsgerichts Nürnberg“ bezeichnet. 52 Dreßen, in: Weber/Piazolo (Hrsg.), S. 77 (84). Zur Vita des Richters am Sondergericht Landgerichtsdirektor Dr. Walter Tränkmann, die erstaunliche Ähnlichkeit zu derjenigen Rothaugs aufweist, siehe Schreiber, Elite, S. 84 f.
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entsprechenden Personen gelegen haben kann. So wurde Rothaug unter anderem wegen der strafrechtlichen Verurteilung des Juden Leo Katzenberger angeklagt.53 An dem Urteilsspruch, der Katzenbergers Hinrichtung zur Folge hatte, waren drei Richter des Sondergerichts Nürnberg beteiligt. Neben Oswald Rothaug als Vorsitzendem fungierten Karl Josef Ferber und Heinz Hugo Hoffmann als Beisitzer. Ferber und Hoffmann waren den Anklägern bekannt und auch greifbar, trotzdem konnten sie einer Anklage entgehen.54 Dieser Umstand lässt sich anhand von zwei Punkten erklären. Zum einen waren neben Ferber und Hoffmann etliche andere Richter und Staatsanwälte des Sondergerichts Nürnberg wichtige Zeugen der Anklage.55 Insbesondere Ferber kann als Kronzeuge bezeichnet werden.56 Ähnliches scheint für die ehemaligen Staatsanwälte am Sondergericht Nürnberg Joseph Mayer und Hermann Müller zu gelten, die als Belastungszeugen herangezogen wurden und dafür unbehelligt als Hilfsverteidiger in Nürnberg tätig sein konnten.57 Während des Verfahrens war Ferber sogar bei der amerikanischen Prosecution angestellt.58 Er arbeitete in Vollzeit von März bis Oktober 1947 und erhielt ein Büro im Justizgebäude.59 Eine Anklage durch die amerikanische Prosecution drohte also dann, wenn die entsprechenden Personen wichtig genug und stichhaltige Beweise verfügbar waren. Der zweite Faktor für eine Anklage scheint aber auch in der Person der Angeklagten selbst gelegen zu haben. Aus dem Juristenurteil lässt sich die „besondere Verachtung des Gerichts“ gegenüber den beiden Richtern Oeschey und Rothaug nur allzu deutlich erkennen.60 Hier spielte möglicherweise auch die Tatsache eine Rolle, dass der Juristenprozess selbst unter jenem Dach tagte61, wo einst Oeschey 53
Dazu unter Kapitel 3 § 8. Vgl. auch Safferling/Luber, in: JA 2017, 881 (885). Vgl. zu Walter Roemer Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 57 ff. 55 U. a. wurden auch die Beisitzer am Sondergericht Nürnberg Franz Gros, Robert Ostermeier, Robert Rauh, Walter Brem und Josef Baeumler, sowie die Ankläger am Sondergericht Nürnberg Martin Dorfmüller, Josef Grueb, Karl Schroeder und Hermann Markl als Zeugen im Juristenprozess vernommen. StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 37, 30.04.1947, S. 1; Report No. 42, 12.05.1947, S. 1; Reports No. 47, 22.05.1947, S. 1; Report No. 52, 03.06.1947, S. 2; Report No. 112, 15.09.1947, S. 1. 56 So ausdrücklich auch Kößl, in: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 123; ferner StAN, StA Nürnberg-Fürth 200401, Nr. 292, Hauptakten komplett 6, S. 1001 f.; Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49. Dies ging sogar soweit, dass die Anklagevertretung ihre schützende Hand über Ferber hielt, als ein Spruchkammerverfahren gegen diesen zu laufen begonnen und schlecht für Ferber ausgesehen hatte. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 310 f. 57 Seliger, Politische Anwälte, S. 216 f. 58 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 305; Klee, Personenlexikon, S. 148. Siehe auch sogleich. 59 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1850; Friedrich, Freispruch, S. 275. 60 Friedrich, Freispruch, S. 40; Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 93 ff.; Kößl, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 154; Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 293 f. 54
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Kap. 2: Der Juristenprozess
und Rothaug Angst und Schrecken verbreitet hatten. Auf dem Dachboden des Gebäudes fand die Anklagebehörde noch dazu die Akten des Sondergerichts, aus denen sich die nationalsozialistische Prozessführung der beteiligten Richter ergab.62 Zur Untermauerung der These werden hier kurz die Lebensläufe von Oswald Rothaug, Karl Josef Ferber und Heinz Hugo Hoffmann vergleichend nebeneinandergestellt. a) Oswald Rothaug aa) Schule, Ausbildung und Familie Oswald Martin Rothaug wurde am 17.05.1897 in Mittelsinn als Sohn des Volksschullehrers Johann Adam Rothaug geboren und wuchs in Aura im Sinngrund auf.63 Seine schulische Laufbahn begann mit der Volksschule in Aura, von 1909 bis 1914 besuchte er das Königlich Neue Gymnasium64 in Würzburg.65 Nachdem sein Vater am 14.06.1914 gestorben war66, lebte Oswald mit seiner Mutter Anna (geborene Kempf 67) zwischen 1914 und 1916 in Aschaffenburg68 und besuchte dort das Königlich Humanistische Gymnasium sowie das Königliche Studienseminar zu Aschaffenburg.69 Die Schullaufbahn wurde durch die Einziehung zum Wehrdienst von 1916 bis 1918 pausiert.70 Im gleichen Jahr begann 61 Vgl. Kastner, in: JA 1997, 699 (700); Görtemaker/Safferling, in: 2. RosenburgSymposium, S. 4 f.; Leutheusser-Schnarrenberger, in: ebenda, S. 8; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A1-3, S. 26, 149; Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49 (50); StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI, A12/13, S. 1026. 62 Friedrich, Freispruch, S. 40. Allerdings war gerade das Urteil gegen Katzenberger nicht auf dem Dachboden zu finden. Die Journalistin Kohl vermutet, dass Ferber das Urteil verschwinden ließ, um selbst einer Anklage zu entgehen. Das Katzenberger-Verfahren wurde den amerikanischen Anklägern wahrscheinlich durch den Schwager Irene Seilers angetragen. Eine Abschrift des Urteils konnte nämlich in der Reichskanzlei aufgetrieben werden. Möglicherweise handelte es sich um diejenige Kopie, die von Hitler angefordert worden war. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 303 ff. Siehe auch unten Kapitel 3 § 11 B. III. 63 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 7a; Kohlhepp, Rothaug; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 200401, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 294, Hauptakten komplett 8, S. 1367. 64 Heute Riemenschneider-Gymnasium. 65 Kohlhepp, Rothaug. 66 StAAsch, Aufenthaltsanzeige vom 14.10.1914, S. 2. 67 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 7a. 68 Ab dem 01.10.1914 wohnte er in der Obernauerstraße, ab dem 01.08.1916 in der Würzburgerstraße; StAAsch, Aufenthaltsanzeige vom 14.10.1914, S. 1. 69 StAAsch, Jahresbericht über das Kgl. humanistische Gymnasium und das Kgl. Studienseminar zu Aschaffenburg, Jahrgang 1914/15, 1915, S. 37 und StAAsch, Jahresbericht über das Kgl. humanistische Gymnasium und das Kgl. Studienseminar zu Aschaffenburg, Jahrgang 1915/16, 1916, S. 33.
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er mit dem Studium der Forstwirtschaft in München, welches er nach einem Semester abbrach.71 Danach studierte er Jura in Würzburg.72 Im Jahre 1922 promovierte Rothaug zu dem Thema „Die Rechtsgrundlagen des Forstpolizeirechts in Bayern“.73 Am 28.10.1922 heiratete Rothaug Maria Auguste Schröppel.74 Aus der Ehe ging seine Tochter Rosemarie hervor.75 Vom 09.08.1922 bis zum 07.08.1925 leistete Rothaug das Referendariat ab und bestand die Staatsprüfung für den höheren Justizverwaltungsdienst.76 Danach arbeitete er in einer Anwaltskanzlei in Ansbach und wurde 15.05.1926 Gerichtsassessor.77 bb) Staatsdienst Im Jahre 1927 begann die Arbeit im Staatsdienst, als Rothaug Staatsanwalt in Hof wurde und dort im Bereich des Strafrechts tätig war.78 1929 wurde er Amtsrichter, im März 1930 Amtsgerichtsrat in Nürnberg.79 1933 wechselte er als erster Staatsanwalt nach Nürnberg.80 Er war dort als Sachbearbeiter für allgemeine Strafrechtsfälle und Hilfsarbeiter beim Generalstaatsanwalt zur Nachprüfung von Einstellungen und Gnadensachen zuständig.81 Zwischen November 1936 und April 1937 kam Rothaug als Landgerichtsrat nach Schweinfurt und war dort Beisitzer in der Zivilkammer, der Strafkammer und am Schwurgericht, außerdem Vorsitzender des Schöffengerichts.82 Vom 01.04.1937 bis zum 01.05.1940 war 70
Kohlhepp, Rothaug; Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 194. Kohlhepp, Rothaug. 72 Vgl. StAAsch, Aufenthaltsanzeige vom 14.10.1914, S. 4. 73 Kohlhepp, Rothaug. 74 Vgl. StAAsch, Aufenthaltsanzeige vom 14.10.1914, S. 4; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 294, Hauptakten komplett 8, S. 1367. 75 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 7a. Die Tochter wird teils auch Rosamarie genannt, StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 1. 76 HaStAMü, MJu 26696, 14 AR 99/55 GStA. v. 28.01.1956 (o. S.), S. 1; 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 1; StAN, Findbuch, Fall 3, Spezialia zu Rothaug (deutsch), S. 47. 77 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 194; StAN, Findbuch, Fall 3, Spezialia zu Rothaug (deutsch), S. 47; HaStAMü, MJu 26696, 14 AR 99/55 GStA. v. 28.01.1956 (o. S.), S. 2; 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 1. 78 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 194; Kohlhepp, Rothaug; HaStAMü, MJu 26696, Abschrift zu III 14185/53 v. 22.12.1953 (o. S.); 14 AR 99/55 GStA. v. 28.01. 1956 (o. S.), S. 2; 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 1. 79 Kohlhepp, Rothaug; HaStAMü, MJu 26696, Abschrift zu III 14185/53 v. 22.12. 1953 (o. S.); 14 AR 99/55 GStA. v. 28.01.1956 (o. S.), S. 2; 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 1. 80 Klee, Personenlexikon, S. 510; HaStAMü, MJu 26696, Abschrift zu III 14185/53 v. 22.12.1953 (o. S.); HaStAMü, MJu 26696, Anmeldung nach dem Gesetz zu Art. 131 GG v.11.12.1953 (o. S.); 14 AR 99/55 GStA. v. 28.01.1956 (o. S.), S. 2; 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 1. 81 StAN, Findbuch, Fall 3, Spezialia zu Rothaug (deutsch), S. 47. 71
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Kap. 2: Der Juristenprozess
Rothaug Landgerichtsdirektor am LG Nürnberg-Fürth, bis Mai 1943 auch Vorsitzender des Sondergerichts Nürnberg.83 1938 trat er der NSDAP bei, sein Beitritt wurde jedoch auf Mai 1937 zurückdatiert.84 Zwischen August und September 1939 diente Rothaug bei der Wehrmacht als Gefreiter (Landesschützenbataillon) und wurde danach vom Präsidenten des OLG Nürnberg als „uk“ 85 in den Justizdienst zurückgeholt.86 194387 wurde Rothaug als Reichsanwalt an den Volksgerichtshof (Dienststellen in Berlin und Potsdam) versetzt.88 Dort war er zunächst als Abteilungsleiter I für Hochverratsfälle in Süddeutschland, von Januar 1944 bis April 1945 für Wehrkraftzersetzungssachen im ganzen Reichsgebiet zuständig.89 Tatsächlich missfiel Rothaug die Versetzung zur Staatsanwaltschaft. Er hatte stets versucht, in der Position des Richters die Karriereleiter empor zu steigen: Er wollte u. a. Präsident des OLG Nürnberg90 und später auch Richter am 82 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 194; StAN, Findbuch, Fall 3, Spezialia zu Rothaug (deutsch), S. 47; HaStAMü, MJu 26696, Abschrift zu III 14185/53 v. 22.12.1953 (o. S.); 14 AR 99/55 GStA. v. 28.01.1956 (o. S.), S. 2; 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 1. 83 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI Pe18, Appeal to Military Governor, S. 1; HaStAMü, MJu 26696, Anmeldung nach dem Gesetz zu Art. 131 GG v. 11.12.1953 (o. S.); 14 AR 99/55 GStA. v. 28.01.1956 (o. S.), S. 2; Vollzug des Dritten Gesetzes zum Abschluß der politischen Befreiung v. 17.05.1960 (o. S.), S. 3; 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 1; StAN, Findbuch, Fall 3, Spezialia zu Rothaug (deutsch), S. 47. 84 Klee, Personenlexikon, S. 510; HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 1. 85 „Unabkömmlich“. Vgl. § 13 Wehrpflichtgesetz. Neubekanntmachung 15.08.2011. BGBl. I, S. 1730. 86 StAN, Findbuch, Fall 3, Spezialia zu Rothaug (deutsch), S. 47; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A1-3, S. 191. 87 Die genauen Daten variieren. Vgl. HaStAMü, MJu 26696, 14 AR 99/55 GStA. v. 28.01.1956 (o. S.), S. 2; Vollzug des Dritten Gesetzes zum Abschluß der politischen Befreiung v. 17.05.1960 (o. S.), S. 3; 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 1 f.; Klee, Personenlexikon, S. 510. 88 Klee, Personenlexikon, S. 510; HaStAMü, MJu 26696, Abschrift zu III 14185/53 v. 22.12.1953 (o. S.); 14 AR 99/55 GStA. v. 28.01.1956 (o. S.), S. 2; 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 1 f. 89 StAN, Findbuch, Fall 3, Spezialia zu Rothaug (deutsch), S. 47; HaStAMü, MJu 26696, Abschrift zu III 14185/53 v. 22.12.1953 (o. S.); Anmeldung nach dem Gesetz zu Art. 131 GG v. 11.12.1953 (o. S.); 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 2; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 138. 90 Vorausgegangen war ein Streit mit dem OLG Präsidenten Döbig, der Rothaug verachtete und an ein Sondergericht in die Tschechei „abgeben“ wollte. Daraufhin schrieb Rothaug einen Bericht über Döbig, in dem er ihm eine mangelhafte Einstellung zum Nationalsozialismus vorwarf. Diesen Bericht ließ er über seinen Kontakt Elkar dem RSHA zukommen. Letztlich wurde Döbig als „politisch unzuverlässig“ tatsächlich im Sommer 1943 versetzt – als Senatspräsident an das Reichsgericht. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 240 f., 288; HaStAMü, MJu 26696, zu 1053 – I – 525/527/60 v. 15.11.1960 (o. S.), S. 1 ff.; StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 23, 09.04.1947, S. 1; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 134 f.
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Volksgerichtshof werden, wofür er alle ihm zur Verfügung stehenden Kontakte nutzte; allerdings war Rothaug bewusst zur Staatsanwaltschaft versetzt worden, „weil er zum Richter völlig ungeeignet schien“.91 Alles in allem wurde Rothaug dennoch als „fachlich überdurchschnittlich beurteilter“ Jurist beschrieben.92 Rothaug blieb in der Postion des Reichsanwalts bis zum Kriegsende.93 cc) Politische Einstellung und Verhandlungsführung Rothaug war aufgrund seiner äußerst drakonischen Urteile, seiner zynischen Verhandlungsführung und seinem offen dargebotenen Rassismus und Antisemitismus bei den Angeklagten, bei seinen Kollegen und auch in der Bevölkerung gefürchtet.94 Er beleidigte Angeklagte aufs derbste, drohte Zeugen und Verteidigern und machte aus seiner Bereitschaft, die Todesstrafe zu verhängen, kein Geheimnis.95 Alleine in den Jahren 1940 und 1941 war er an 52 Todesurteilen beteiligt.96 Während einer Verhandlung gegen einen polnischen Staatsangehörigen soll sich Rothaug beispielsweise bei einem Polizeibeamten erkundigt haben, warum man den Polen, anstatt ihn anzuklagen, „nicht einfach umgelegt“ habe.97 Einem Verteidiger, der im Rahmen seines Mandates einen Zeugen befragen lassen wollte, drohte er mit Gefängnis.98 Zu seinem Ruf trug auch bei, dass sich Rothaug selbst die Namen „Luzifer“, „Henker von Nürnberg“ und „Scharfrichter“ gab.99 Andererseits hielt sich nach dem Krieg das Gerücht, dass sich Rothaug durchaus auch für politisch Verfolgte eingesetzt habe – zumindest, wenn er die Betroffenen kannte.100 Die Nürnberger Bevölkerung jedenfalls lernte im Laufe der Zeit Rothaugs Verhandlungsführung und Urteile zu schätzen.101 Politisch war Rothaug ebenfalls aktiv: Im Reichsbund Deutscher Beamten, im Rechtswahrerbund (Kreisführer Nürnberg-Stadt und Gaufachgruppenwalter
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Zit. nach Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 287 f. HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 9; vgl. auch Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 67. 93 HaStAMü, MJu 26696, Abschrift zu III 14185/53 v. 22.12.1953 (o. S.). 94 Vgl. König, Rechtsanwälte, S. 135 f.; HaStAMü, MJu 26696, 1a Js 1431/60 (o. D., o. S.), S. 17; 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 9 ff.; Elkar, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 384; Kastner, in: JA 1997, 699 (703 Fn. 19); Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 288. 95 HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 11 f. 96 Vgl. Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 291. 97 HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 12. 98 HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 12 f. 99 Klee, Personenlexikon, S. 510; Kohlhepp, Rothaug; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 70, 237, 240; vgl. auch StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 8; Kößl, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 158. 100 Vgl. Kohlhepp, Rothaug; Kapitel 3 § 11 B. III. 101 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 289. 92
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„Richter und Staatsanwälte“), als Angehöriger der Volkswohlfahrt und „ehrenamtlicher Mitarbeiter“ des SD102 in Rechtsangelegenheiten.103 Im Folgenden sollen drei Fälle vorgestellt werden, die unter dem Vorsitz Rothaugs verhandelt worden waren und auch im Juristenprozess eine entscheidende Rolle spielen sollten. (1) Lehmann „Leo“ Israel Katzenberger (a) Ausgangslage Lehmann „Leo“ Katzenberger war der 68-jährige104 Kaufmann und Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Nürnberg.105 Katzenberger wurde vorgeworfen106, mit der „arischen“ Fotografin Irene Seiler eine sexuelle Beziehung unterhalten zu haben107, was nach NS-Recht als „Rassenschande“ strafbar war.108 In der ersten Hälfte des Jahres 1941 unterschrieb der Untersuchungsrichter am LG Nürnberg Hans Groben den Haftbefehl gegen Katzenberger.109 Für die Tat lagen keinerlei Beweise vor: Sowohl Katzenberger als auch Seiler sagten unter Eid aus, keine sexuellen Kontakte gepflegt zu haben.110 Auch die Polizei konnte kein belastendes Material ermitteln.111 Die Ermittlungen beruhten wohl vielmehr nur 102 Der SD versuchte gezielt, u. a. Richter und Staatsanwälte für Spitzeltätigkeiten zu gewinnen, da sie als „unabkömmlich“ in weitaus geringerem Maße fürchten mussten, zum Kriegsdienst eingezogen zu werden. Schreiber, Elite, S. 88. 103 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 194; HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 2; Kastner, in: JA 1997, 699 (706); Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49 (50). 104 Die Altersangaben variieren zwischen 60 und 69, wobei Katzenberger zu dem Zeitpunkt seiner Anklage und Hinrichtung wohl 68 Jahre alt gewesen ist. Siehe hierzu Luber, in: Effer-Uhe/Hoven/Kempny/Rösinger (Hrsg.), S. 219 (227) m.w. N. Vgl. auch Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 331; dies., Zeugenhaus, S. 198; Kastner, in: JA 1997, 699 (703); Taylor, Kriegsverbrechen, S. 66; Müller, Furchtbare Juristen, S. 146. Nach Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 268, war Katzenberger „über 68 Jahre alt“. Laut Irene Seiler war Katzenberger zum Zeitpunkt seiner Verurteilung 69. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A14/15, S. 1047. 105 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 78; Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 199. 106 Im Jahre 1938 gab es bereits ein Verfahren wegen Devisenschieberei gegen Leo und seine Frau Claire Katzenberger, das aber eingestellt wurde. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 120 ff. 107 Am 29.07.1939 hatte Irene Scheffler den Handelsvertreter Johann Seiler geheiratet, sodass auch der Vorwurf des Ehebruchs im Raum stand. US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 656, 664. 108 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 79; Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 269. Vertiefend Müller, Furchtbare Juristen, S. 128 ff. 109 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 269. 110 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 79; Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 269.
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auf Gerüchten der Nachbarschaft112 und der Tatsache, dass die junge und hübsche Seiler den Eindruck erweckt hatte, leicht zu haben zu sein113. Die Staatsanwaltschaft konnte trotz intensiver Ermittlungen keine belastendenden Fakten zusammentragen, sodass Groben anmahnte, die Untersuchung dauerte nun schon sehr lange.114 Schließlich wurde Seiler eine eidesstattliche Versicherung abverlangt.115 Sie erklärte, zwischen Katzenberger und der Familie Seiler habe schon vor Irenes Umzug nach Nürnberg eine „jahrelange“ Bekanntschaft, zwischen Irene und Leo ein „freundliche[s] und väterliche[s]“, aber kein sexuelles Verhältnis bestanden.116 Katzenberger habe Seiler dann in Nürnberg finanziell unter die Arme gegriffen und eine Wohnung verschafft.117 Groben hatte keine Zweifel an der Aussage Seilers und sprach deshalb bei Katzenbergers Verteidiger, Rechtsanwalt Herz, vor und erklärte, „dass jetzt der geeignete Zeitpunkt gekommen sei, sich gegen den Haftbefehl zu wenden“. 118 Herz habe „den Wink verstanden“ und Haftbeschwerde eingelegt.119 Gemäß § 33 RStPO habe Groben dann die Beschwerde mit der Bitte um Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet und darauf hingewiesen, er wolle die Beschwerde gemäß § 306 Abs. 2 RStPO positiv bescheiden, sodass Katzenberger ein freier Mann gewesen wäre.120 Jedoch war zu diesem Zeitpunkt „eine bereits vor der Strafkammer erhobene Anklage zurückgenommen und durch eine solche vor dem Sondergericht ersetzt“ worden.121
111 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 79; Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 269. 112 Vgl. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 63 ff. An den Gerüchten habe sich das ganze Wohnhaus Seilers beteiligt, teils „auch mit erkennbar böser Absicht“. Ebenda, S. 111. Dabei wäre eine Beteiligung durchaus vermeidbar gewesen. Ebenda, S. 219; 242 f.; 358 f. 113 Vgl. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 222, 249. Ein Problem, das von Kohl als „Männerjustiz“ beschrieben wird, ebenda, S. 255 f. 114 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 269. 115 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 269. 116 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 200; Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 269. 117 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 269. 118 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 79; Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 269. 119 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 79. 120 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 79. 121 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 79.
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(b) Rothaugs Tatbeitrag Rothaug hatte nach Kenntniserlangung von diesem Sachverhalt seine Beziehungen spielen lassen und dafür gesorgt, dass der Fall an sein Sondergericht überwiesen wurde.122 Vor dem Sondergericht Nürnberg wurde Katzenberger am 13.03.1942 daraufhin nicht nur wegen Rassenschande, sondern, wie Rothaug dies befohlen hatte, auch wegen eines Verstoßes gegen die §§ 2, 4 VVO angeklagt, sodass letztlich auf die Todesstrafe erkannt werden konnte.123 Nach § 2 i.V. m. § 5 Abs. 2 BluSchuG124 konnte nämlich Rassenschande nur mit einer Haftstrafe belegt werden.125 Nach der VVO konnte jede Ausnutzung des Kriegszustandes mit dem Tode bestraft werden.126 Gegen Seiler wurde ein Verfahren wegen Meineids eingeleitet und, entgegen der gängigen Praxis, mit dem Verfahren gegen Katzenberger verbunden, sodass Seiler nicht entlastend für Katzenberger aussagen durfte.127 Vor dem ersten Verhandlungstermin habe Rothaug den Arzt Armin Bauer, der im Katzenberger-Verfahren das medizinische Gutachten erstellen sollte, darüber informiert, dass Rothaug vorhabe, gegen Katzenberger die Todesstrafe zu verhängen und Katzenberger deshalb medizinisch zu untersuchen sei.128 122
Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 269. Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 268 f.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 79 f.; vgl. auch HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 3. 124 V. 15.09.1935. RGBl. I, S. 1146 f. 125 Interessanterweise stellt der Wortlaut des § 5 Abs. 2 BluSchuG explizit nur auf Männer als Täter ab, was wohl auf einen direkten Befehl Hitlers und dessen Frauenbild zurückzuführen ist. Deshalb konnten Frauen, die an Rassenschande beteiligt gewesen waren, nur wegen selbstständigen, unabhängig von der Rassenschande begangenen Delikten, in der Regel Meineid oder Begünstigung, verurteilt werden. Hierzu ausführlich Gruchmann, in: VjfZ 1983, 418 (437 ff.). A. A. aber Müller, Furchtbare Juristen, S. 147. Vgl. auch Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 77, 263 ff. und das Katzenberger-Urteil, in dem mit dem „Leib der deutschen Frau“ als Angriffsobjekt argumentiert wird. Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 271; HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01. 1966 (o. S.), S. 7. Andererseits schützte die entsprechende Vorschrift Jüdinnen nicht davor, von der Polizei in „Schutzhaft“ genommen zu werden. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 139; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 138 f.; Gruchmann, in: VjfZ 1983, 418 (437 ff.); Müller, Furchtbare Juristen, S. 148 f. 126 § 2 VVO: „Wer unter Ausnutzung der zur Abwehr von Fliegergefahr getroffenen Maßnahmen ein Verbrechen oder Vergehen gegen Leib, Leben oder Eigentum begeht, wird mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren oder mit lebenslangem Zuchthaus, in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft.“ § 4 VVO: „Wer vorsätzlich unter Ausnutzung der durch den Kriegszustand verursachten außergewöhnlichen Verhältnisse eine sonstige Straftat begeht, wird unter Überschreitung des regelmäßigen Strafrahmens mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren, mit lebenslangem Zuchthaus oder mit dem Tode bestraft, wenn dies das gesunde Volksempfinden wegen der besonderen Verwerflichkeit der Straftat erfordert.“ 127 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 269 f.; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 242. 128 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 270. 123
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Allerdings solle die Untersuchung nur zur Einhaltung des ordnungsgemäßen Verfahrens erfolgen; das Ergebnis sei ihm egal, da der Angeklagte „ohnehin geköpft werden würde“. 129 Bauer zweifelte an, ob Katzenberger aufgrund seines Alters überhaupt zum Geschlechtsverkehr fähig wäre, worauf Rothaug geantwortet habe: „Für mich reicht es aus, dass dieses Schwein gesagt hat, ein deutsches Mädchen hätte ihm auf dem Schoß gesessen.“ 130
(c) Ablauf des Verfahrens Das Verfahren selbst hatte Rothaug wie eine Parteiveranstaltung aufgezogen, es erschienen Führungskader der NSDAP, teils auch uniformiert.131 Die Prozessführung war ein reiner Schauprozess: Rothaug soll von vornherein parteiisch gewesen sein, habe die Belastungszeugen zur Aussage animiert und sofort deren Aussagen uminterpretiert, die Stellungnahmen der Angeklagten seien hingegen ignoriert worden.132 Des Weiteren hielt Rothaug „den Anwesenden einen nationalsozialistischen Vortrag über die Judenfrage“.133 „Nach der Beweisaufnahme wurde eine Pause eingelegt“ und Rothaug empfing Staatsanwalt Markl im Beratungszimmer, um ihn davon in Kenntnis zu setzen, dass Rothaug „die Todesstrafe für Katzenberger und Zuchthaus für die Seiler fordere“.134 Rothaug formulierte Markl sogar Passagen für das Plädoyer. Das Urteil selbst wurde dann mithilfe Rothaugs Notizen von Ferber abgefasst.135 (d) Urteil gegen Katzenberger Katzenberger erhielt ein Todesurteil, Seiler eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren wegen Meineids.136 Eine Begnadigung Katzenbergers sei durch Rothaug abgelehnt worden.137 Das Urteil beschäftigte sich zunächst mit Katzenbergers Reli129
Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 270. Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 270. 131 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 270. 132 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 270. 133 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 270. 134 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 270. 135 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 270. 136 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 79; vgl. auch HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 3. 137 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 199; Wooleyhan, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 87; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 80; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 3. Die Formulierung im Juristenurteil ist hier ungenau. Tatsächlich hatte Rothaug gar keine Möglichkeit, eine Begnadigung auszusprechen. Dies war alleine dem Führer vorbehalten, der das Begnadigungsrecht delegieren konnte, vgl. auch Kapitel 1 § 2. Nichtsdestotrotz wurde das Gnadengesuch für Katzenberger abgelehnt, wobei Rothaug oder zumindest dessen Nürnberger Partei130
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gion und „Abstammung“, obwohl Katzenberger selbst seine Zugehörigkeit zum Judentum bestätigt hatte.138 Danach rückte das Verhältnis Katzenbergers und Seilers in den Vordergrund, wobei in dem Urteil keine neuen Erkenntnisse, sondern lediglich Vermutungen zu lesen waren, sodass der Geschlechtsverkehr zwischen den beiden letztlich nicht bewiesen wurde.139 Der einzige Anhaltspunkt für eine sexuelle Beziehung, an dem sich das Sondergericht festgebissen hatte, war, dass „Seiler zuweilen auf Katzenbergers Schoß gesessen und dass er sie geküßt hatte“, was beide Beteiligte jedoch bestätigt hätten.140 Man berief sich für den Beweis auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts, „derzufolge tatsächlicher Geschlechtsverkehr nicht bewiesen sein müsse, wenn nur die Handlungen geschlechtlichen Charakter tragen“.141 Dies lasse den Schluss zu, dass die gesamten zehn Jahre lang, in denen sich die beiden Angeklagten gekannt hätten, eine sexuelle Beziehung bestanden habe.142 Alles in allem war das Todesurteil gegen Katzenberger selbst nach dem rassistischen NS-Recht rechtswidrig.143 (2) Durka und Struss Durka und Struss144 waren zwei polnische Mädchen, von denen die eine 17 Jahre alt, „die andere etwas älter“, gewesen war.145 Beide mussten in einem Rüstungsbetrieb in Bayreuth Zwangsarbeit leisten.146 Eines Tages wurde in der Fabrik eine „angebliche“ Brandstiftung begangen, die aber ohne nennenswerten Schaden verlaufen war.147 Durka und Struss waren zur Tatzeit in der Nähe des Tatortes und wurden daraufhin von der Gestapo verhaftet und verhört.148 Gleich darauf „gestanden“ beide Frauen im Verhör die Tat, worauf sie noch am selben Tag nach Nürnberg zur Verhandlung am Sondergericht gebracht wurden. Dort wurde sofort eine Anklageschrift geschrieben und – ebenfalls am selben Tag – begann der Prozess gegen die beiden.149
freunde Einfluss auf die Entscheidung genommen haben könnten. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 270 f. 138 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 270. 139 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 270. 140 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 270. 141 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 271. 142 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 271. 143 Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (717). 144 Nach Friedrich, Freispruch, S. 19 „Durka und Strauß“. Vgl. auch Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (717). 145 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 196. 146 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 196. 147 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 196 f. 148 Vgl. auch IMT, Bd. I, S. 298. 149 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 197.
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Zwei Stunden vor Verhandlungsbeginn wurde Hans Kern von Rothaug mit der Verteidigung beauftragt.150 Als Kern protestierte, er könne sich in so kurzer Zeit nicht auf eine Verteidigung vorbereiten, erwiderte Rothaug, dass die Verhandlung auf jeden Fall sofort stattfinden würde.151 Die Hauptverhandlung wurde sehr schnell abgehalten, wobei hier die Zeitangaben zwischen einer halben Stunde, einer Stunde und „der Schnelligkeit eines Standgerichtsverfahrens“ variierten.152 Insgesamt wurden drei Beweismittel vorgelegt: die Geständnisse, die von einer der Polinnen bestritten wurden, die vereidigte Zeugenaussage des verhörenden Gestapo-Beamten, sowie ein Brief, der bei den Angeklagten gefunden worden war.153 Die Wichtigkeit des Briefes wurde daraus geschlossen, dass Durka und Struss versucht hätten, den Brief vor ihrer Festnahme zu vernichten, wobei Kern angab, der Brief habe „wenig Gehalt“ gehabt.154 Am Ende erwartete die beiden die Todesstrafe; die Hinrichtung erfolgte vier Tage nach der Haupverhandlung.155 (3) Jan Lopata Jan Lopata156 war ein 25-jähriger polnischer Zwangsarbeiter, der zur Landarbeit eingesetzt worden war.157 Während dieser Zeit soll er zu Lasten der „Frau seines Arbeitgebers“ eine tätliche Beleidigung begangen haben.158 Dafür wurde er 1940 vom LG Neumarkt zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt.159 Auf eine Nichtigkeitsbeschwerde „wegen zu geringen Strafmaßes“ hin wurde das Urteil durch das Reichsgericht aufgehoben und zur Neuverhandlung an das Sondergericht Nürnberg verwiesen.160 Das Reichsgericht kritisierte, dass das LG die Anwendbarkeit der VVO nicht ausreichend untersucht habe und dass diese wahrscheinlich einschlägig sei.161 Deshalb müsste auch die Strafe entsprechend höher 150
Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 197. Es lässt sich nicht mehr aufklären, ob die Verhandlung dann ganz ohne Verteidigung (so Kern) oder mit einem anderen Verteidiger (so Rothaug) stattgefunden hätte. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 197. 152 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 197. 153 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 197. 154 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 197. 155 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 197. 156 Auch „Lepata“ (StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 80) und „Lopada“ (StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A19/20, S. 1501). 157 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 198; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 80; Klee, Personenlexikon, S. 510. 158 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 198; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 80. 159 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 198; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 80. 160 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 198; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 80. 161 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 198. 151
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ausfallen.162 Letztlich wurde Lopata unter Rothaugs Vorsitz mit dem Tode bestraft und hingerichtet.163 In der Urteilsbegründung heißt es: „Die ganze Minderwertigkeit des Angeklagten liegt in seinem Charakter und dieser beruht offensichtlich auf der Tatsache, dass er der Polnischen Untermenschenrasse angehört.“ 164
dd) Nach dem Krieg Am 21.07.1945 wurde Rothaug von der US-Armee festgenommen und bis Mitte August im Kriegsgefangenenlager Nördlingen bei Augsburg festgehalten.165 Danach wurde er in das Gefangenenlager Neu-Ulm, Mitte September in ein Gefangenenlager bei Altenstadt verlegt.166 Am 11.02.1946 erlitt Rothaug einen Magendurchbruch und wurde daraufhin in ein Gefängniskrankenhaus bei Garmisch gebracht.167 Obwohl die Ärzte die Haftunfähigkeit Rothaugs feststellten, wurde er am 20.12.1946 in das Gerichtsgefängnis in Nürnberg verlegt.168 b) Karl Josef Ferber aa) Leben und Justiz Karl Josef 169 Ferber wurde am 26.09.1901 in Landau (Pfalz) geboren und studierte in Würzburg, Heidelberg und München Jura.170 1925 absolvierte er sein Referendarexamen und wurde im Jahre 1926 mit einer zivilprozessrechtlichen Arbeit promoviert.171 Im März 1929 bestand er das große juristische Staatsexamen und wurde danach beim Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung in Berlin 162 163 164
Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 198. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 199. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 80. 165 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI Pe18, S. 2; HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 1. Im Gegensatz zu den ehemaligen Justizangehörigen, die in sowjetischen Lagern interniert worden waren, schien es den in amerikanischen Kriegsgefangenenlagern Inhaftierten den Umständen entsprechend gut zu gehen. Vgl. v. Miquel, in: Frei (Hrsg.), S. 168. 166 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI Pe18, S. 2. 167 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI Pe18, S. 2. 168 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI Pe18, S. 2. Zu Rothaugs Zustand vgl. auch StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A14/15, S. 1042 ff. 169 Teils Josef, teils Joseph. Vgl. nur StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 17. 170 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16-18, S. 1340; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 288 f.; Friedrich, Freispruch, S. 274. 171 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16-18, S. 1340; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 289.
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angestellt.172 Von 1929 bis Februar 1935 arbeitete er beim Atlas-Versicherungskonzern in Ludwigshafen.173 Im Juni 1930 heiratete Ferber, 1931 und 1933 wurde er Vater zweier Töchter.174 Am 01.03.1935 begann seine Karriere in der Justiz, in der er zunächst bei der Staatsanwaltschaft in Nürnberg arbeitete175 und ab 1937 ein politisches Referat übernahm.176 Nachdem ab dem Jahre 1938 Strafverfahren gegen Angehörige der Kirche durchgeführt wurden und Ferber diese aus Gewissensgründen nicht unterstützen wollte, ließ er sich Juli 1939 in den Strafvollzug versetzen, wurde aber mit Ausbruch des Krieges zum 01.10.1939 zurück in die Justiz versetzt.177 Als er im Jahre 1940 vor die Wahl gestellt wurde, entweder an die Front oder als Landgerichtsrat an das LG Nürnberg-Fürth versetzt zu werden178, entschied er sich für letzteres und wechselte ab dem 01.11.1940 zurück zur Justiz.179 Aufgrund dieses Wechsels wurde Ferber Beisitzer am Sondergericht sowie Richter in der 4. Strafkammer, die unter anderem für politische Straftaten zuständig war.180 Er arbeitete sich bis zum Vorsitzenden Richter dieser 4. Strafkammer (1942) hoch und wurde schließlich zum stellvertretenden Vorsitzenden am Sondergericht Nürnberg.181 Februar 1943 wurde Ferber rückwirkend zum 01.01.1943 zum Landgerichtsdirektor befördert und trat am 01.05.1943 die Nachfolge Rothaugs an, als dieser als Reichsanwalt an den Volks-
172 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16-18, S. 1340 f.; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 289. 173 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 289. 174 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 290; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 292, Hauptakten komplett 6, S. 1000. 175 Unter anderem in einem Allgemeinen Referat und im Wirtschaftsreferat sowie als Ankläger beim Sondergericht. 176 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16-18, S. 1341; Friedrich, Freispruch, S. 274; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 289; vgl. auch StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 55. 177 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A 16-18, S. 1341; Mauz, in: Der Spiegel 31/1970, S. 62. 178 Mauz, in: Der Spiegel 31/1970, S. 62. Nach Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49 (50) sei Ferber allerdings zumindest zum Zeitpunkt des Katzenberger-Urteils zu alt gewesen, um noch zum Kriegsdienst eingezogen zu werden. 179 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16-18, S. 1341. 180 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1800; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16-18, S. 1373; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 73; vgl. ferner StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 291, Hauptakten komplett 5, S. 818. 181 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16-18, S. 1347; Friedrich, Freispruch, S. 274; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 289.
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Kap. 2: Der Juristenprozess
gerichtshof berufen wurde.182 Im Herbst 1943 löste ihn Oeschey ab, Ferber wurde als Vorsitzender an eine andere Strafkammer versetzt.183 Dies geschah angeblich aufgrund Ferbers „unzureichender Härte“.184 bb) Politische Einstellung Zu einem unbekannten Zeitpunkt zwischen 1934 und 1935 wurde Ferber nach eigener Aussage auf Anweisung Engerts und um seine „politische Zuverlässigkeit nach[zu]weisen“ förderndes Mitglied der SS.185 Erst 1937 wurde er Mitglied der NSDAP; daneben war er als „Blockwalter des NSV“ 186 und im Rechtswahrerbund tätig.187 Ab Juli 1941 wurde Ferber „Leiter“ der Rassen- und Bevölkerungspolitischen Auskunftsstelle beim Rassepolitischen Amt der NSDAP und beschaffte als solcher „urkundliche Belege“ für Hochzeiten zwischen Wehrmachtsangehörigen und Frauen, bei denen die Beschaffung von Ariernachweisen Probleme machten.188 Ferber wurde außerdem bis Herbst 1944 (Volkssturm) „ukgestellt“.189 Im Vergleich zu Rothaug war Ferber politisch weniger engagiert. Dennoch sprechen Posten wie die fördernde Mitgliedschaft der SS zumindest für eine gewisse Sympathie gegenüber der NS-Ideologie. Dass Ferber als „uk“ erklärt wurde und durch seine Richterstelle eine Versetzung an die Front verhindern konnte, mag dazu geführt haben, dass er sich zumindest auch aus eigennützigen Motiven heraus mit dem Regime arrangierte. cc) Nachkriegszeit Nach dem Krieg wurde Ferber vom Justizdienst ausgeschlossen, da sein Entnazifizierungsverfahren eine Einstufung als „Belasteter“ erfuhr.190 Dennoch war 182 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16-18, S. 1347; Friedrich, Freispruch, S. 274; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 289. 183 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16-18, S. 1347; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 290. 184 BGH NJW 1971, 571 (574). 185 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16-18, S. 1341; Klee, Personenlexikon, S. 148; Grasnick, in: FAZ 1998, S. 11; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 304. 186 „Blockhelfer“ bei Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 304. 187 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16-18, S. 1347; Friedrich, Freispruch, S. 274; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 290. 188 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1803; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 289, Hauptakten komplett 3, S. 371; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 304; Friedrich, Freispruch, S. 274. 189 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 290. 190 Friedrich, Freispruch, S. 274, 276.
§ 6 Die am Verfahren beteiligten Parteien
103
Ferber ab Februar 1947 „als eine Art sachverständige[r] Assistent [. . .]“ für die amerikanische Anklagebehörde tätig und unter anderem an Verhören beteiligt.191 Später arbeitete Ferber als Exportkaufmann192 und bekam eine Altersrente von 670 DM.193 c) Heinz Hugo Hoffmann Heinz Hugo Hoffmann wurde am 13.06.1906 als Kind von Georg Hoffmann und Franziska Falk in Mainz geboren.194 Er wuchs in Darmstadt auf und studierte von 1924 bis 1928 in Frankfurt, München, Genf und Gießen Jura.195 1928 bestand er das erste Staatsexamen in Gießen.196 Von 1928 bis 1931 war Hoffmann Referendar in Darmstadt und bestand das große Staatsexamen.197 Im Jahre 1935 heiratete er Lieselotte Eckhard, mit welcher er zwei Kinder zeugte.198 Seine Dissertation schrieb Hoffmann über englisches Verwaltungsrecht, in Großbritannien erhielt er auch ein Stipendium.199 Ab 1933 begann er seine Karriere als Gerichtsassessor im Justizdienst.200 Zwischen 1934 und 1938 arbeitete Hoffmann daraufhin als Staatsanwalt in Offenbach.201 1938 wurde Hoffmann Landgerichtsrat in Nürnberg, wo er bis 1940 Mitglied einer Strafkammer war.202 Im Sommer 1940 wurde er als Beisitzer unter dem Vorsitz von Rothaug an das Sondergericht Nürnberg versetzt.203
191 192
Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 305; Friedrich, Freispruch, S. 275. Nach Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 317 als „Rechtsberater in der Indus-
trie“. 193 StAN, StA Nürnberg-Fürth 2004-01, Nr. 292, Hauptakten komplett 6, S. 1002; Luber, in: Conze/Safferling (Hrsg.); Ohne Verfasser, in: Der Spiegel 42/1967, S. 87 (89); Friedrich, Freispruch, S. 274; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 17; StAN, StaatsAnw. NürnbergFürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 294, Hauptakten komplett 8, S. 1365. 194 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 10. 195 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 263; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 306; Friedrich, Freispruch, S. 274. 196 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 263. 197 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 263. 198 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 10; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 263. 199 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 306. 200 Vgl. StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 263. 201 Friedrich, Freispruch, S. 274. 202 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 263; Friedrich, Freispruch, S. 274.
104
Kap. 2: Der Juristenprozess
Politisch war Hoffmann relativ unauffällig. Wie Ferber wurde er erst 1937 Parteimitglied.204 Weiterhin war Hoffmann Mitglied des NSKK205, Rechtsreferent bei der Gebietsführung Franken der HJ und Mitglied des NS-Rechtswahrerbundes.206 Da Hoffmann wegen einer Meniskusverletzung an beiden Knien kriegsuntauglich wurde, konnte er während der Kriegsjahre am Sondergericht bleiben.207 Nach dem Krieg wurde Hoffmann aus dem Justizdienst entlassen und arbeitete – trotz seines Meniskusleidens – nach einer Umschulung als Bauarbeiter und Maurer, wobei er 1947 seine Gesellenprüfung im Maurerhandwerk bestand.208 Am 11.10.1950 wurde sein Entnazifizierungsverfahren eingestellt, wodurch er die Zulassung zum Rechtsanwalt erhalten konnte.209 Daher hatte Hoffmann die Möglichkeit, eine erfolgreiche Kanzlei in Darmstadt zu eröffnen.210 d) Unterschiede zwischen den Personen Die drei Lebensläufe weisen auf den ersten Blick Parallelen auf. Alle drei Personen waren Parteimitglieder, in NS-Organisationen aktiv, sowie Richter am Sondergericht Nürnberg. Bereits an dieser Stelle werden aber auch Unterschiede in Hoffmanns Lebenslauf gegenüber demjenigen von Ferber und insbesondere Rothaug deutlich. So schien sich Hoffmann durchaus auch für fremde Länder und andere Kulturen zu interessieren. Dies erklärt sich darin, dass Hoffmann nach
203 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 38; Friedrich, Freispruch, S. 274; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 11, 99; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 263. 204 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 263; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 306; Friedrich, Freispruch, S. 274. 205 Zur Rolle des NSKK im „Dritten Reich“ Seidler, in: VjfZ 1984, 625 ff.; Seliger, Politische Anwälte, S. 92 Fn. 210. 206 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1803; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 263. 207 Vgl. StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 264; Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49 (50); Friedrich, Freispruch, S. 278. 208 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 292, Hauptakten komplett 6, S. 1003; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 307; Friedrich, Freispruch, S. 274 f. 209 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1802; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 292, Hauptakten komplett 6, S. 1003 f.; Ohne Verfasser, in: Der Spiegel 42/1967, S. 87 (89); Friedrich, Freispruch, S. 275. 210 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 307, 317; vgl. auch Mauz, in: Der Spiegel 04/1973, S. 51; Friedrich, Freispruch, S. 275; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 200401, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 292, Hauptakten komplett 6, S. 1004.
§ 6 Die am Verfahren beteiligten Parteien
105
eigener Aussage der Typ von Mitläufer war, den die Nazis so dringend brauchten, um ihren totalitären Staat zu errichten: Zunächst „gemäßigt, liberal, national eingestellt“ und „ausgesprochener Gegner aller Radikalen“, nach der Machtergreifung Parteimitglied, nach Kriegsausbruch zählte seine vorherige Überzeugung nicht mehr.211 Dem gegenüber stehen der „Fanatiker“ Rothaug sowie der Opportunist Ferber, der sich nicht zu schade war, einerseits als Richter am Sondergericht rassistische Todesurteile zu verkünden, andererseits als Kronzeuge der Prosecution seine ehemaligen Kollegen zu belasten. Im Folgenden sollen kurz die Personen Ferbers und Rothaugs vergleichend nebeneinandergestellt werden. Zwar war Ferber nur kurzzeitig Vorsitzender Richter am Sondergericht Nürnberg und seine damalige Versetzung erfolgte aufgrund angeblicher „unzureichender Härte“. Jedoch gibt auch Ferbers Verhalten in den Prozessen, in denen er als Beisitzer fungierte, Anlass zur kritischen Analyse. Ein gutes Beispiel für die These, dass auch wenn Ferber sich nicht mit der NS-Ideologie identifiziert haben mag, er doch zumindest einen wichtigten Beitrag für deren Verbreitung leistete, ist der Fall Grasser.212 Grasser war Aktivist der KPD und arbeitete bei den Siemens-Schuckertwerken (SSW) in Nürnberg. Er wurde im Juni 1934 durch das Bayerische Oberste Landesgericht wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Nach dessen Verbüßung wurde Grasser im Juni 1936 für zwei Jahre nach Dachau deportiert und im April 1939 entlassen. „Im Mai 1939 stellte ihn SSW an seinem alten Arbeitsplatz [nun in der Rüstungsindustrie] als Wickler wieder ein.“ 213 Auf der Arbeit fiel Grasser wiederholt durch „staatsabträgliche Äußerungen“ auf, weswegen er letztlich im Juli 1942 durch das Sondergericht Nürnberg unter anderem wegen Wehrkraftzersetzung214 und einem Verstoß gegen § 4 VVO zum Tode verurteilt worden war. Sowohl Rothaug als auch Ferber waren an diesem Urteil beteiligt. Auch die Ablehnung des Gnadengesuches Grassers trägt Ferbers Unterschrift und lautete wie folgt: „Die politische Vergangenheit des Angeklagten als eines aktiven kommunistischen Funktionärs, seine hochverräterischen Machenschaften nach der Machtergreifung, sein nunmehriges Hervortreten mit politischer Hetze übelster Art trotz vorausgegangener Bestrafung und Unterbringung im KZ.-L. und unter Missbrauch des Umstandes, dass ih[m] das Reich trotz seiner Vergangenheit einen Arbeitsplatz vermittelte, zeigen, dass es sich bei dem Angeklagten um einen unverbesserlichen und gewissenlosen Feind des nat.soz. Reiches handelt. [. . .]“ 215
211
Hierzu Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 306 f. HaStAMü, MJu 26696, 1a Js 1431/60 (o. D., o. S.), S. 2 ff. Siehe auch StAN, KVProzesse Fall 3, Rep. 501, XVI P6; P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 129 ff. 213 HaStAMü, MJu 26696, 1a Js 1431/60 (o. D., o. S.), S. 3. 214 § 5 Abs. 1 Nr. 1 Kriegssonderstrafrechtsverordnung. V. 11.08.1938. In Kraft getreten am 26.08.1939. RGBl. I 1939, S. 1455 ff. 215 HaStAMü, MJu 26696, 1a Js 1431/60 (o. D., o. S.), S. 1 f. 212
106
Kap. 2: Der Juristenprozess
Das Urteil ist typisch für die Art von „Rechtsfindung“, die Rothaug im Juristenprozess zur Last gelegt wurde.216 Da aber auch Ferber für das Urteil verantwortlich zeichnete und er darin offen die Kenntnis der KZs bestätigte, kann die Art der Verhandlungsführung für sich genommen nicht den Ausschlag für eine Anklage im Juristenprozess bedeutet haben. Möglicherweise könnte aber die Zugehörigkeit zu den verbrecherischen NS-Organisationen eine Rolle gespielt haben. Fraglich ist, ob Ferbers fördernde Mitgliedschaft in der SS strafrechtlich relevant war. Das Urteil des IMT lässt erkennen, dass die alliierten Richter die fördernde Mitgliedschaft in der SS nicht als strafbar im Sinne des Organisationsverbrechens angesehen hatten.217 Cuhorst hingegen wurde im Juristenprozess auch wegen seiner Stellung als förderndes Mitglied der SS angeklagt. Das Militärtribunal III stand zwar letztlich auf dem Standpunkt, dass eine „fördernde Mitgliedschaft“ keine strafrechtliche Relevanz im Sinne des KRG10 aufweise und sprach Cuhorst folglich frei.218 Aus Sicht der Anklage hatte aber scheinbar ein strafbares Organisationsverbrechen vorgelegen, sodass auch eine Anklage für Ferber zumindest in Betracht gezogen hätte werden müssen. Dies gilt umso mehr, als fast ein Drittel aller Angeklagten in den NMT-Verfahren in einer Beziehung zur SS gestanden hatte.219 Rothaug hingegen soll „ehrenamtlicher Mitarbeiter“ 220 des SD gewesen sein. Man könnte sich also die Frage stellen, ob die Prosecution lieber einen „ehrenamtlichen Mitarbeiter“ des SD als ein förderndes Mitglied der SS vor Gericht bringen wollte. Jedoch wurde Rothaug überhaupt nicht für die Tätigkeit im SD angeklagt.221 Zwar wurden seine Verbindungen zum Nachrichtendienst thematisiert, aber es erfolgte keine Anklage im Sinne des Organisationsverbrechens. Dieses Vorgehen deckte sich auch mit der Rechtsprechung des IMT, die „ehrenhalber arbeitende Spitzel, die nicht Mitglieder der SS waren“, vom strafbaren Kern des SD ausgenommen hatte.222 Dies ist umso erstaunlicher, als beispielsweise der Kronzeuge Ferber Rothaug als „federführendes Mitglied im Reichssicherheitsdienst“ bezeichnete.223 Allerdings schätzte die Prosecution Rothaugs 216 Siehe zum Fall Grasser StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 161. 217 Vgl. IMT, Bd. I, S. 307; Kraus, KRG10, S. 91. 218 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 102; Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 209; Kraus, KRG10, 141. 219 Taylor, Kriegsverbrechen, S. 67. Von den Nürnberger Verteidigern hatten knapp unter 3 % einen Hintergrund als fördernde SS-Mitglieder. Seliger, Politische Anwälte, S. 83 ff. 220 „Honorary collaborator“. Elkar, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 375, sowie im Urteil gegen Rothaug ebenda, S. 1143. 221 Hierzu unter Kapitel 3 § 8. 222 Siehe oben Kapitel 2 § 5 A. I. 4. 223 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16-18, S. 1380. Die StaatsAnw. Nürnberg-Fürth bezeichnete Rothaug später als „tätige[n] Mitarbeiter des SD“. StAN, Staats-
§ 6 Die am Verfahren beteiligten Parteien
107
Tätigkeit im Rechtswahrerbund als strafrechtlich relevante Mitgliedschaft im Führerkorps ein.224 Rothaugs angebliche Mitgliedschaft im Führerkorps könnte also den Ausschlag gegeben haben. Die Indizien ergeben hier, dass man unter allen Umständen einen „waschechten“ Nazi anklagen und verurteilen wollte und dafür auch in Kauf nahm, einen „Mitläufer“ (Hoffmann) und die „Nummer zwei“ (Ferber) laufen zu lassen. Derartige Vorgänge waren in den Kriegsverbrecherprozessen im Allgemeinen nicht unüblich.225 Wirklich nachvollziehbar war dieses Vorgehen aufgrund der im Raume stehenden Vorwürfe, insbesondere gegen Ferber, aber nicht. 2. Volksgerichtshof Zwei Richter (Karl Engert und Günther Nebelung), ein Laienrichter (Hans Petersen) und drei Staatsanwälte (Ernst Lautz, Paul Barnickel und Oswald Rothaug) wurden für ihre Tätigkeit am Volksgerichtshof angeklagt. Auch diese Auswahl wirkt auf den ersten Blick willkürlich, waren doch mit 577 226 ehemalig am Volksgerichtshof tätigen Personen eine viel größere Anzahl potentieller Angeklagter vorhanden gewesen.227 Auffällig sind aber drei Punkte: Erstens hatte man mit Engert einen ehemaligen Vizepräsidenten des Volksgerichtshofes angeklagt, der noch dazu in seiner Funktion als Beamter des RMJ für die Tötung von hunderten Gefangenen verantwortlich gewesen sein sollte.228 Zweitens wurde wiederum Rothaug, diesmal in seiner Position als Reichsanwalt, angeklagt. Drittens befand sich unter den Angeklagten im Komplex des Volksgerichtshofes der einzige Nichtjurist229, der Laienrichter Petersen. Karl Engert schied letztlich aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes aus dem Verfahren aus, sodass einer der höchsten Nazi-Richter des Verfahrens ohne Urteil davongekommen ist.230 Auch im Komplex Volksgerichtshof scheint also einerseits die Ergreifbarkeit, andererseits auch die Persönlichkeit der Angeklagten eine tragende Rolle für deren Anklage durch die Prosecution gespielt zu haben. Anw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 3. 224 Er wurde diesbezüglich aber letztlich freigesprochen. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 195. 225 Hierzu Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 23. 226 Nach Fieberg waren es „106 Berufsrichter, 292 ehrenamtliche Richter und 179 Staatsanwälte“. Ders. (Hrsg.), Katalog, S. 152. Vgl. auch ders. (Hrsg.), Justiz, S. 12; Meyer, in: Hillermeier (Hrsg.), Todesurteile, S. 124. Müller, Furchtbare Juristen, S. 370 zählt 570 Mitglieder. 227 v. Miquel, in: Frei (Hrsg.), S. 173. 228 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 12. 229 Vgl. Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 31; Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 293. 230 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 39. Vgl. dazu unter Kapitel 3 § 11.
108
Kap. 2: Der Juristenprozess
3. Ergebnis Im Ergebnis saßen die ranghöchsten ehemaligen Nazi-Juristen auf der Anklagebank, derer man zu diesem Zeitpunkt noch habhaft werden konnte231, auch wenn die Auswahl insgesamt als „exemplarisch“ angesehen werden muss232. Der erste Eindruck der willkürlichen Anklage einzelner Personen muss relativiert werden.233 Die zwei wesentlichen Faktoren für eine Anklage waren die Ergreifbarkeit und die Persönlichkeit der Angeklagten. Letztlich wurde das Anklageverhalten der Prosecution auch nicht von allen Seiten kritisch bewertet. Nach Ingo Müller war die Besetzung der Anklagebank mit weniger prominenten Personen „[i]n gewisser Weise [. . .] sogar ein historischer Glücksfall“: „Gerade dadurch, dass nicht fanatische Nationalsozialisten den Blick auf den Justizalltag des Dritten Reichs verstellten, wurde die tiefe Verstrickung des überwiegend konservativen Juristenstandes und ihrer Symbolfigur, des Staatssekretärs Schlegelberger, in das Terrorsystem offenbar.“ 234
D. Die Verteidiger Alle 16 Angeklagten waren, wie es Art. IV c) VO7 vorsah, mit je einem Verteidiger und in den meisten Fällen weiteren Assistenzverteidigern ausgestattet. Während die (Haupt)verteidiger sich in der Regel um das prozessuale Geschehen im Sinne der VO7 bzw. des IMT-Statuts kümmerten, war die Aufgabe der Assistenzverteidiger größtenteils organisatorischer Art, wozu z. B. das Aufstöbern von Beweismitteln gehörte.235 Folgende Verteidiger wurden von den Angeklagten frei236 gewählt:237
231 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 4. 232 Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 20; Perels, in: KJ 1998, 84 (93); Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 69. 233 Vgl. aber Kurt Behlings Ansicht. Seliger, Politische Anwälte, S. 408 m.w. N. 234 Müller, Furchtbare Juristen, S. 353. Vgl. auch ebenda, S. 393 f. 235 Seliger, Politische Anwälte, S. 38. 236 Vgl. Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (713); Ziemann, in: StV 8/2017, 560 (561). Ausführlich zur Aufstellung der Verteidigerlisten und der Frage, ob eine Wahl- oder Pflichtverteidigung vorlag Seliger, Politische Anwälte, S. 106 ff., 130 f. 237 Vgl. US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 14; Priemel/Stiller (Hrsg.), NMT, S. 768; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI We3, S. 7; XVI P15, S. 3; Schott, Rothenberger, S. 162 f.; StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 23, 09.04.1947, S. 1; Report No. 25, 11.04.1947, S. 1; StAN, Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 26, 14.04.1947, S. 1; Report No. 39, 02.05.1947, S. 1; Report No. 79, 29.07.1947, S. 1; Report No. 81, 31.07.1947, S. 2; Report No. 105, 04.09.1947, S. 2. Zu der Auswahl der Verteidiger (soweit bekannt) Seliger, Politische Anwälte, S. 156 ff.
§ 6 Die am Verfahren beteiligten Parteien
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Tabelle 2 Angeklagte und Verteidiger im Juristenprozess Angeklagter
Verteidiger
Assistenzverteidiger
Altstötter
Dr. Hermann Orth238
Dr. Ludwig Altstötter
v. Ammon
Dr. Egon Kubuschok239
Dr. Hubertus Janicki
Barnickel
Dr. Edmund Tipp
Rudolf Schmidt, Durchholz240
Cuhorst
Dr. Richard Brieger
Karl Haßfürther, Dr. Kurt Mandry (bis 04.09.1947)
Engert
Dr. Hanns Marx (bis 31.07.1947) bzw. Dr. Heinrich Link (bis 31.07.1947) Dr. Heinrich Link (ab 31.07.1947)
Joël
Dr. Carl Haensel
Herbert Thiele-Fredersdorf 241
Klemm
Dr. Alfred Schilf
Dr. Erhard Heinke
Lautz
Dr. Heinrich Grube
Mettgenberg
Dr. Alfred Schilf
Dr. Erhard Heinke
Nebelung
Dr. Karl Dötzer
Gerda Dötzer242
Oeschey
Dr. Werner Schubert
Dr. Karl243 Pribilla
Petersen
Dr. Rudolf Aschenauer
Dr. Otfried Schwarz
Rothaug
Dr. Josef Kößl
Adolf Hüttl244
Rothenberger Dr. Erich Wandschneider245
Dr. Helmut Bothe
Schlegelberger Dr. Egon Kubuschok
Dr. Hubertus Janicki, Dr. Kurt Behling, Dr. Erhard Heinke
238 Hermann Orth, Josef Altstötter und Ludwig Altstötter arbeiteten später zusammen in einer Kanzlei. Vgl. StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 34; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 291, Hauptakten komplett 5, S. 883. Sie vertraten unter anderem den im Katzenberger-Verfahren Beschuldigten Karl Schröder, gegen welchen die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ab den 1960er Jahren ermittelte. Ebenda. 239 Vgl. auch Seliger, Politische Anwälte, S. 17. 240 Vorname nicht bekannt. 241 Thiele-Fredersdorf hatte Haensel während seines Referendariats kennengelernt, als er in Haensels Berliner Kanzlei die Anwaltsstation absolvierte. Daraufhin wurde er 1947 zur Verteidigung nach Nürnberg geholt. Während des Krieges hatte Thiele-Fredersdorf in Görings Nachrichtendienst „Abteilung Forschungsamt“ des Reichsluftfahrtministeriums gedient. Beck, in: Juristen im Portrait, S. 75 f. 242 Gerda Dötzer war Karl Dötzers Ehefrau. Seliger, Politische Anwälte, S. 49 Fn. 78. 243 Bei Priemel/Stiller (Hrsg.), NMT, S. 768 „Hans“. 244 Hüttl war seit Januar 1946 Student der Rechtswissenschaften an der Universität Erlangen und beim Prozess gerade 24 Jahre alt. Seliger, Politische Anwälte, S. 163. 245 Vgl. Schott, Rothenberger, S. 162 Fn. 108.
110
Kap. 2: Der Juristenprozess
Am 31.03.1947 informierten Brieger und Schilf das Gericht, dass sie zu den Wortführern der Verteidigung gewählt worden waren.246 Vergleicht man die genannten Persönlichkeiten, fallen für die Verteidigung vier Besonderheiten auf: Erstens sind alle Hauptverteidiger promoviert.247 Zweitens sind fast alle, nämlich 84 % der Verteidiger,248 auch in anderen Nürnberger Verfahren in Erscheinung getreten249, wobei in einigen Fällen ehemalige Assistenzverteidiger zu Hauptverteidigern wurden. Drittens vertraten die Verteidigerduos Kubuschok/Janicki und Schilf/Heinke im Juristenprozess jeweils zwei Mandanten. Viertens war unter den (Assistenz)verteidigern nur eine Frau (Gerda Dötzer).250 Dies soll die folgende Tabelle verdeutlichen251: Tabelle 3 Verteidiger des Juristenprozesses in weiteren Nürnberger Verfahren Verteidiger (Juristenprozess)
Verteidigte auch in Verfahren
Weitere Mandanten
Altstötter
Fall 8
Viermetz
Aschenauer
Fall 6
Gattineau
Fall 9
Ohlendorf
Fall 8
Meyer-Hetling
Fall 10
Löser
Fall 11
von Küchler
Behling
246 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16-18, S. 1371; StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 18, 31.03.1947, S. 1. Nach Seliger, Politische Anwälte, S. 156 war dies Kubuschok. 247 Bezogen auf alle Nürnberger Verfahren lag die Promotionsquote bei über 50 %. Seliger, Politische Anwälte, S. 47 Fn. 71. 248 Insgesamt sind in Nürnberg 264 bzw. 266 Verteidiger aufgetreten. Seliger, Politische Anwälte, S. 37. 249 Taylor, Kriegsverbrechen, S. 48 f., 53, sieht dies als Vorteil der Verteidigung, die dadurch schon einige Erfahrungen in der Praxis sammeln konnte, während die Ankläger (bis auf Sprecher, Kempner und Taylor) ständig gewechselt hätten. 250 Zu den Verteidigerinnen in den NMT-Verfahren Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 49 f. Insgesamt machte die Anzahl der Verteidigerinnen in Nürnberg (5) unter 2 % der Gesamtzahl aus. Vgl. Seliger, Politische Anwälte, S. 37 ff. 251 StAMü, OLG München 2052, Lebenslauf v. 30.04.1949; Lebenslauf v. 31.08. 1949; Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 764 f., 770, 773 f., 776, 778, 780, 783, 785, 788, 797 ff.; IMT, Bd. I, S. 5 f.; Haensel, Das Gericht vertagt sich, Klappentext; Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 36 ff.
§ 6 Die am Verfahren beteiligten Parteien Verteidiger (Juristenprozess)
111
Verteidigte auch in Verfahren
Weitere Mandanten
Fall 8
Brückner
Fall 11
Veesenmayer
Grube
Fall 11
Kehrl
Haensel
IMT
SS/(SD)
Fall 4
Georg Lörner
Fall 9
Greifelt
Fall 11
Steengracht von Moyland
Fall 10
Korschan
Janicki
Fall 11
Rasche
Kößl
IMT
Ordnungspolizei252 /Waffen-SS
Fall 6
v. d. Heyde
Fall 9
Ott/Schubert
IMT
v. Papen/Reichskabinett
Fall 11
Rasche
Fall 9
Rühl
Fall 10
Müller
IMT
Streicher
Fall 1
Becker-Freyseng/Schröder
Fall 8
Viermetz
Fall 11
Stuckart
Bothe Brieger Dötzer, Karl und Gerda
Haßfürther Heinke Hüttl
Kubuschok
Link
Marx
Orth
252 Himmler teilte die Polizei in die Hauptämter „Sicherheitspolizei“ und „Ordnungspolizei“ auf. Während zur Sicherheitspolizei Kriminalpolizei, Gestapo und SD gehörten, umfasste die Ordnungspolizei Schutzpolizei, Gendarmerie sowie Gemeindepolizei. Boldt/Stolleis, in: Lisken/Denninger (Hrsg.), Polizeirecht, A. Rn. 64; Curilla, Der Judenmord in Polen, S. 10 f. m.w. N.
112
Kap. 2: Der Juristenprozess
Verteidiger (Juristenprozess)
Verteidigte auch in Verfahren
Weitere Mandanten
Pribilla, Hans
Fall 1
Rostock
Fall 4
Tschentscher
Fall 6
Jähne/Lautenschläger
IMT
Fritzsche
Fall 10
Janssen
Fall 11
Woermann
Fall 1
Brandt
Fall 11
Pleiger
Fall 6
Bürgin
Fall 8
Lorenz
Fall 11
Keppler
Schwarz, Otfried
Fall 8
Hofmann
Thiele-Fredersdorf
Fall 8
Ebner
Fall 11
Veesenmayer
Fall 7
v. Leyser
Fall 12
v. Roques
Fall 10
Korschan
Schilf
Schmidt, Rudolf
Schubert
Tipp
Wandschneider
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass die meisten im Juristenprozess aufgetretenen Verteidiger weniger „Star-Anwälte“, als vielmehr unbekannte Persönlichkeiten waren.253 I. Situation eines Verteidigers in Nürnberg 1. Rahmenbedingungen der Verteidigung Die herausforderungsvolle Arbeit254 als Strafverteidiger in einem Kriegsverbrecherprozess wurde von einer unterschiedlichen Motivation der Anwälte getragen.255 Das Mandat schien zunächst viele Vorteile mit sich zu bringen. So konnte 253 Vgl. auch Seliger, Politische Anwälte, S. 46; Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47. 254 Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 40 nennt sie „schwer und undankbar“. Vgl. auch Schott, Rothenberger, S. 167 f. 255 Vgl. nur Seliger, Politische Anwälte, S. 98 ff.; Kohl, Zeugenhaus, S. 46 f.
§ 6 Die am Verfahren beteiligten Parteien
113
man davon ausgehen, dass die Zahlung des Honorars256 durch die amerikanische Militärregierung257 gesichert war.258 Außerdem genossen die Verteidiger während der Ausübung ihres Amtes Immunität sowie materielle Annehmlichkeiten wie Essensrationen, Zigaretten und Hygieneartikel.259 Andererseits wurden diese Vorteile durch massive Probleme bei der Verteidigung relativiert, wie sich anhand der Aussagen der beiden Verteidiger Heintzeler und Haensel erkennen lässt. Heintzeler bescheinigte der VO7 „für einen Prozeß in einem total besiegten Land völlig ungeeignet“ zu sein.260 Haensel war ebenfalls scharfer Kritiker der Nürnberger-Prozesse und verglich sie gar mit den Inquisitionsprozessen der Renaissance.261 Problematisch war nach Ansicht der Literatur und insbesondere der Verteidiger die Benachteiligung der Angeklagten. Während der Verfahren sei die Waffengleichheit nicht gewährleistet worden:262 Erstens war die Zeit zwischen der Aufnahme der Ermittlungen durch die Prosecution und dem Beginn der Hauptverhandlung nicht kodifiziert.263 Denn die VO7 sprach lediglich von Angeklagten-, nicht von Beschuldigtenrechten. So konnte die Anklagebehörde bereits mit den Ermittlungen beginnen, während sich der Verdächtige noch in Haft befand.264 Aber auch nach Anklageerhebung, als dem Angeklagten nach VO7 ein Strafverteidiger zugestanden hatte, war es für die Verteidigung schwierig, für ihren Mandanten aktiv zu werden, denn beispielsweise waren Entlastungszeugen inhaftiert oder verschollen.265 Daraus ergibt sich auch das zweite große Problem. 256 Heintzeler, I.G. Farben, S. 34, nennt einen Betrag von 3.000 Reichsmark monatlich pro Hauptverteidiger. Tatsächlich erhielten die Verteidiger am IMT bzw. bei den NMT 3.500 Reichsmark für einen, 5.200 Reichsmark für zwei Mandanten. Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 38; Seliger, Politische Anwälte, S. 127 f. Zum durchschnittlichen Monatseinkommen vor und während des Krieges vgl. Safferling, in: 4. Rosenburg-Symposium, S. 40; Seliger, Politische Anwälte, S. 127 f. 257 Nikitschenko hatte sich dafür ausgesprochen, dass die Angeklagten die Kosten der Verteidiger selbst tragen müssten. Seliger, Politische Anwälte, S. 127. 258 Vgl. Jung, Rechtsprobleme, S. 34; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 38; Seliger, Politische Anwälte, S. 122, 127. 259 Jung, Rechtsprobleme, S. 34 f.; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 38; Heintzeler, I.G. Farben, S. 34; Seliger, Politische Anwälte, S. 128 ff. 260 Heintzeler, I.G. Farben, S. 32. Vgl. auch Jung, Rechtsprobleme, S. 24; v. Miquel, in: Frei (Hrsg.), S. 176. 261 Vgl. Haensel, Das Gericht vertagt sich, S. 17 ff. 262 Heintzeler, I.G. Farben, S. 32 ff.; Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (73 f.); Jung, Rechtsprobleme, S. 37; v. Wilmowsky, Krupp, S. 53; Safferling, in: Nuremberg, S. 33 (34). 263 Jung, Rechtsprobleme, S. 24 f.; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 37. 264 Jung, Rechtsprobleme, S. 24; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 37; vgl. auch v. Wilmowsky, Krupp, S. 66 f. Diese faktische „Rechtlosigkeit“ mutet in Anbetracht der heutigen verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten bzw. Angeklagten in der Tat merkwürdig an. Vgl. Müller, in: NJW 1981, 1801 (1805 f.); Eisele, in: JA 2005, 901; Christl, in: NStZ 2014, 376. 265 Jung, Rechtsprobleme, S. 24 f.; Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (74); Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 41. So auch Rothaugs Verteidiger Kößl in
114
Kap. 2: Der Juristenprozess
Die Beweismittel und Zeugen befanden sich zu einem großen Teil im Gewahrsam der Anklagevertretung, sodass die Verteidiger auf deren Mitwirkung angewiesen waren.266 Rothaugs Verteidiger Kößl beschwerte sich beispielsweise einmal bei Gericht, dass er seinen Mandanten abends nicht habe aufsuchen können.267 Denn die Rechte der Verteidigung bestanden unter anderem darin, die Angeklagten in der Haft zu besuchen (auch wenn die Besuchszeiten beschränkt gewesen waren und dies ohne Gestattung des Gerichts während der Verhandlung untersagt war) und ein zeitlich unbefristetes Plädoyer abzugeben.268 2. Besondere Probleme Verschärft wurden die Probleme noch dadurch, dass die Verteidiger die Grenzen der Besatzungszonen nicht hätten verlassen dürfen, bei Reisen innerhalb der Besatzungszonen aufgrund der Gegebenheiten im zerstörten Deutschland beschränkt und auch technisch sowie personalmäßig schlecht ausgestattet269 gewesen seien.270 Tatsächlich wurde z. B. die Höchstzahl des Hilfspersonals, das jedem Verteidiger zur Verfügung gestellt wurde, während der 12 Nachfolgeprozesse aufgrund des auftretenden Platzmangels beschränkt bzw. die Kosten mussten von den Verteidigern selbst getragen werden.271 Hingegen sei die Anklagevertretung mit „unbegrenzten Möglichkeiten“ ausgestattet gewesen, unter anderem dem Zugriff auf die Informationen aller Geheimdienste der Alliierten.272 Auch die finanzielle Komponente konnte den Erwartungen nicht gerecht werden, denn die tatsächlich geleistete Arbeit sei unterbezahlt und die Honorarzahlungen stets seinem Opening-Statement, in: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 1 f., 7. 266 Jung, Rechtsprobleme, S. 25, 34; Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (73 ff.); Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 40; insbesondere für den Juristenprozess Behling, in: JR 1949, 502 (505). Vgl. aber Schott, Rothenberger, S. 167. Während des Juristenprozesses hatte jedoch selbst der amerikanische Generalsekretär Probleme damit, Zeugen aus der britischen Kriegsgefangenenschaft nach Nürnberg überstellen zu lassen. Vgl. StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 63, 03.07.1947, S. 2; Report No. 106, 05.09.1947, S. 1. 267 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A19/20, S. 1414. 268 Jung, Rechtsprobleme, S. 37 f.; Heintzeler, I.G. Farben, S. 21; Schott, Rothenberger, S. 167. 269 Laut Taylor, Kriegsverbrechen, S. 49, seien aber wesentlich mehr Verteidiger als Staatsanwälte in Nürnberg aktiv gewesen. 270 Heintzeler, I.G. Farben, S. 32 ff.; Jung, Rechtsprobleme, S. 39; Safferling/ Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (75 f.); Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 41; Safferling, in: Nuremberg, S. 33 (34). 271 Jung, Rechtsprobleme, S. 35. Siehe auch für das IMT-Verfahren Safferling/ Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (48, 75 f.); Seliger, Politische Anwälte, S. 130. 272 Vgl. auch Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 293; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 25 f.; StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 29, 17.04.1947, S. 1. Angeblich habe die Anklagevertretung auch die Telefongespräche der Verteidigung abgehört. Heintzeler, I.G. Farben, S. 34.
§ 6 Die am Verfahren beteiligten Parteien
115
verspätet gewesen.273 Des Weiteren sei die Stimmung in den ersten Jahren der Nürnberger Prozesse gegen die Verteidiger und insbesondere die Angeklagten äußerst feindselig gewesen.274 Aber auch das Verhältnis zwischen Mandant und Anwalt war – unter anderem dem Prozessstoff geschuldet – in vielen Fällen schwierig und von Misstrauen beherrscht.275 Ein gutes Beispiel hierfür ereignete sich während des Juristenprozesses. So entbrannte ein Streit zwischen der Prosecution und der Verteidigung darüber, ob ein von Kurt Behling vor der Prosecution abgegebenenes Affidavit verwendet werden dürfte. Denn kurz nach der Abgabe dieses Affidavits wurde Behling Assistenzverteidiger für Schlegelberger und fürchtete nun, während eines möglichen Kreuzverhörs Mandantengeheimnisse preisgeben zu müssen.276 Neben der Aussicht, zu langen Haftstrafen oder gar zum Tode verurteilt zu werden, nagten auch die Haftbedingungen an der psychischen und physischen Konstitution der Angeklagten.277 Zuletzt stellte natürlich auch der Umstand, dass der Prozess in einer fremden Sprache abgehalten wurde, insbesondere was die geschriebenen Beweismittel anbelangte, eine Erschwernis der Verhandlung dar.278 II. Exemplarisches Beispiel eines Verteidigers im Juristenprozess Stellvertretend für die Verteidigung soll an dieser Stelle Rothaugs Verteidiger Josef Kößl näher beleuchtet werden. Josef Kößl wurde am 21.07.1910 als dritter 273 Heintzeler, I.G. Farben, S. 33 f.; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 38; vgl. auch die Aussage Kößls in StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 18; sowie Seliger, Politische Anwälte, S. 127 f. 274 Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 22 f., 42; Schwartz, in: VjfZ 1990, 375 (383); Perels, in: KJ 1998, 84 (85 ff.); Jung, Rechtsprobleme, S. 36 f.; vgl. auch Kastner, in: JA 1997, 699 (705); v. Hodenberg, in: SJZ 1947, 113 (123); Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 106; Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 282 ff.; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 41; Seliger, Politische Anwälte, S. 129; Safferling, in: Nuremberg, S. 33 f. Einen guten Eindruck von der Stimmung der Öffentlichkeit zu dieser Zeit lässt sich aus den Briefen an Justice Jackson ableiten. Bernhard (Hrsg.), Wunsch, S. 9 ff. Möglicherweise, um dieser entgegenzuwirken, habe es von Seiten der Verteidiger eine „Solidarisierungskampagne“ für die inhaftierten Kriegsverbrecher gegeben, wodurch sich die Stimmung zugunsten der Angeklagten aber zu Lasten der Nürnberger Verfahren gedreht habe. V. Miquel, in: Frei (Hrsg.), S. 177; Perels, in: KJ 1998, 84 (96); Schott, Rothenberger, S. 174; Schwartz, in: VjfZ 1990, 375 (383 ff.); Friedrich, Freispruch, S. 53; Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 55 f.; Rautenberg, in: GA 2012, 32 (33). Heintzeler schildert auch, dass die Atmosphäre zwischen Anklagevertretung und Verteidigung aufgrund der Umstände des Falles „wesentlich frostiger“ als üblich gewesen sei. Ebenda, S. 18 ff. Eine andere Einschätzung gibt Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 33 zum IMT-Verfahren ab. 275 Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (52 f.). 276 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 39, 02.05. 1947, S. 1. 277 Schott, Rothenberger, S. 164; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 31 ff. 278 Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 41.
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Kap. 2: Der Juristenprozess
Sohn279 des Amtsgerichtssekretärs Thomas Kößl und seiner Frau Julie280 Pult in Freyung vorm Wald (Niederbayern) geboren.281 Von 1916 bis 1920 ging er auf die Volkshauptschulen in Bad Reichenhall, Freyung und Fürstenfeldbruck.282 Ab 01.09.1920 besuchte er das humanistische Gymnasium in München-Pasing; die Schule schloss er mit dem Erhalt des Reifezeugnis am 21.03.1929 ab.283 Am 02.09.1923 starb sein Vater mit 45 Jahren an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung.284 Dieser Umstand, die Weltwirtschaftskrise und die Arbeitslosigkeit seines älteren Bruders brachten die Familie in finanzielle Nöte.285 Im Frühjahr 1928 bewarb sich Kößl um eine Offizierslaufbahn bei der Bayerischen Landespolizei, wurde allerdings „infolge der beschränkten Einstellungsverhältnisse“ nicht eingestellt.286 Dies versetzte seiner „felsenfeste[n] Überzeugung von der Gerechtigkeit aller staatlichen Maßnahmen [. . .] einen ersten Stoß“.287 Ab dem Sommersemester 1929 studierte Kößl dann in München Rechtswissenschaften.288 Aufgrund der finanziellen Lage der Familie arbeitete Kößl viel neben dem Studium.289 Daneben war er von 1929 bis 1931 Corpsstudent im Agronomia-München.290 Das Studium beendete er nach acht Semestern am 15.02.1933 mit dem Erwerb des Referendarexamens.291 Die dreijährige Referendariatszeit, die er ab dem 01.03.1933 unter anderem am LG München II und am OLG München absolvierte, beendete Kößl mit Bestehen des Assessorexamens (Note „ausreichend“) am 20.05.1936.292 Ne-
279 Einer seiner Brüder war als Kleinkind im Alter von sechs Wochen verstorben. BABe, R9361-III-102315, Ärztlicher Untersuchungsbogen v. 02.01.1943, S. 1; vgl. auch StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 57. 280 Bei StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 38 „Juliane“. 281 BABe, R9361-III-102315, R. und S. Fragebögen (o. S., o. D.); SS Ahnentafel (o. S., o. D.); Schreiben des Heiratsamts v. 13.01.1943 (o. S.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 5, 53, 57. 282 BABe, R9361-III-102315, Lebensläufe (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 57. 283 BABe, R9361-III-102315, Lebensläufe (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 5, 57. 284 BABe, R9361-III-102315, Fragebogen und Lebensläufe (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 55, 57. 285 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 57. 286 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 5, 57. 287 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 63. 288 BABe, R9361-III-102315, Lebensläufe (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 5, 57 f. 289 BABe, R9361-III-102315, Fragebogen und Lebensläufe (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 58. 290 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 58. 291 BABe, R9361-III-102315, Lebensläufe (o. S., o. D.); StAMü, OLG München 2052, Prüfungszeugnis v. 15.02.1933 (Beglaubigung v. 14.05.1949). 292 BABe, R9361-III-102315, Lebensläufe (o. S., o. D.); StAMü, OLG München 2052, Zeugnis v. 27.05.1936 (Beglaubigung v. 14.05.1949); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 58; BABe, ZB-1137-A.12, S. 749.
§ 6 Die am Verfahren beteiligten Parteien
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ben dem Referendariat arbeitete Kößl aus Geldnöten bis zum 30.06.1935 bei der DAF in Holzkirchen als Rechtsberater.293 Im Wintersemester 1944 begann Kößl seine Promotion über „Das Wesen und die staatsrechtliche Stellung der Gendarmerie“ bei Prof. Hans J. Wolff 294 an der Karls-Universität in Prag.295 1. Politischer Werdegang Kößl wurde politisch bereits früh durch seinen Vater geprägt. Dieser war 1922 an der Gründung der NSDAP-Ortsgruppe Fürstenfeldbruck beteiligt.296 Im Jahre 1923 trat Josef der Jugendgruppe Bund Oberland bei, die ebenfalls sein Vater mitgegründet hatte und aus der später die SA hervorgehen sollte.297 Seine Entwicklung war geprägt von den finanziellen Nöten der Familie und dem Zorn auf die Weimarer Republik, die er hierfür verantwortlich machte.298 Er wünschte sich eine „demokratische Monarchie englischen Musters“.299 Am 03.09.1930 wurde er SA- und Partei-Mitglied und erhielt am 01.01.1931 die NSDAP-Mitgliedsnummer 407650.300 „In der Kampfzeit“ hatte Kößl nach eigenen Angaben verschiedene Ämter inne.301 Gerne betonte er, dass er für den Einsatz für die nationalsozialistische Bewegung auch mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist: Zunächst wurde Kößl im Jahre 1931 wegen der „Veranstaltung einer Weihnachtsfeier“ für die NSDAP zu drei Monaten Gefängnis verurteilt302, da293
StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 48 f. Wolff (* 03.10.1898 in Elberfeld) war unter dem NS-Regime politisch unauffällig geblieben. Er erhielt 1933 einen Ruf für öffentliches Recht nach Frankfurt, „durfte dieses Amt jedoch aus politischen Gründen nicht ausüben“. Es folgten hingegen Professuren in Riga (1935), Prag (1941) und Münster (1946). Als politisch Unbelasteter konnte Wolff 1947 in den Beratenden Ausschuss für Verwaltungs- und öffentliches Recht der Britischen Zone berufen werden. 1956 veröffentlichte er ein Lehrbuch, welches als „Palandt des Verwaltungsrechts“ galt. Wolff übte nach dem Krieg viele juristische Nebentätigkeiten aus, unter anderem als Richter am Oberverwaltungsgericht Münster. Er soll nach Ende des Krieges über sich selbst gesagt haben: „Ich war kein Held, aber ich habe mich wenigstens nicht kompromittiert.“ Am 05.11.1976 verstarb Wolff. Ausführlich zur Biographie Kriele, in: Juristen im Portrait, S. 694 ff. 295 StAMü, OLG München 2052, Lebenslauf v. 31.08.1949; SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 62. 296 BABe, ehe. BDC SSO Kössl, Josef, Lebenslauf v. 23.02.1940 (o. S.). 297 BABe, R9361-III-102315, Lebensläufe (o. S., o. D.); vgl. auch Jüngling, SA. 298 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 63 ff. 299 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 64. 300 BABe, R9361-III-102315, Fragebögen und Lebensläufe (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 6. 301 BABe, R9361-III-102315, Lebenslauf (o. S., o. D.). 302 Der Grund dafür lag im Versammlungsverbot der Brüning-Notverordnung vom 08.12.1931: „Verordnung zum Schutze des Weihnachtsfriedens“, vgl. auch StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 6, 65. Allerdings behauptete Kößl später, es habe sich um „eine völlig unpolitische, nur kulturell aufgezogene Weihnachtsfeier“ gehandelt. Ebenda, S. 65. 294
118
Kap. 2: Der Juristenprozess
nach im Jahre 1932 bei der Anti-Held-Demonstration in München303, bei der er als SA-Mann teilgenommen habe, verhaftet, inhaftiert und am 19.06.1932 angeklagt.304 Am 10.10.1932 wurde Kößl vom Vorwurf eines Vergehens gegen die Verordnung vom 14.06.1932 sowie vom Vorwurf des öffentlichen Tragens von Uniformen der NSDAP oder Teilen davon305, freigesprochen.306 Hiergegen ging die Staatsanwaltschaft in Berufung.307 Alle Strafen wurden am 19.12.1932 aber schließlich amnestiert.308 Daraufhin folgten bis 1934 Tätigkeiten als Führer der HJ und des Jungvolks in Fürstfeldbruck und bis 1935 eine rechtsberatende Tätigkeit in der DAF, unter anderem in München.309 Außerdem hatte Kößl in etwa sechs Parteiämter inne.310 Ab August 1935 leitete er einen SA-Sturm (Obertruppführer).311 Zu einem unbekannten Zeitpunkt zwischen 1938 und 1940 wurde Kößl außerdem Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt.312 2. Militärischer Werdegang und Kriegsdienst Ab 1934 bzw. 1935 wurde Kößl V-Mann des SD.313 Nach dem Jura-Studium und der Referendarszeit leistete er vom 25.08.1936 bis zum 21.12.1936 Wehrdienst und wurde am 01.02.1937 Oberleutnant auf Probe in der Gendarmerie.314 Die Gründe für seine Einstellung in die Gendarmerie waren eine freie Planstelle, 303
Zu Heinrich Held vgl. Merz, Held. BABe, R9361-III-102315, Lebensläufe (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 65; BABe, ehe. BDC SSO Kössl, Josef, Lebenslauf v. 23.02.1940 (o. S.). 305 Hierzu Jelic, in: ZBLG, Bd. 63, 3 (2000), 787 ff. 306 AG München, A XVI 2302-42/32; A XVI 2626-38/32; StAMü, AG 42967, S. 92 ff. Es habe einerseits nicht bewiesen werden können, dass Kößl sowie andere Beteiligte tatsächlich „die Absicht des Demonstrierens“ gehabt hätten, oder sich nicht einfach „mit einer möglichst großen Anzahl an Parteimitgliedern in München zusammen[tun]“ und der „Freude über die nunmehr erreichte Freiheit des Uniformtragens Ausdruck geben“ wollten. StAMü, AG 42967, S. 93 f. Andererseits habe man Kößl das Tragen der Uniform nicht beweisen können. Ebenda, S. 94. 307 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 6, 65. 308 BABe, R9361-III-102315, Lebensläufe (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 6, 65, 109. 309 BABe, R9361-III-102315, Fragebögen und Lebensläufe (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 6. 310 BABe, R9361-III-102315, Lebensläufe (o. S., o. D.). 311 BABe, R9361-III-102315, Lebensläufe (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 6, 48, 67. 312 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 46, 49. 313 Er war im SD-Oberabschnitt „Süd“ tätig, welcher zu dieser Zeit von SS-Untersturmführer Dr. Wittich geleitet wurde und sich in der Leopoldstr. 10 in München befand. BABe, ehe. BDC SSO Kössl, Josef, Beförderungsvorschlag v. 16.10.1939 (o. S.); Personalbericht (o. S., o. D.); BABe, R9361-III-102315, Schreiben an den ReichsführerSS v. 20.12.1942 (o. S.); Schreiber, Elite im Verborgenen, S. 35 Tabelle 1. Viele SDMänner waren Juristen, vgl. Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 107. 314 BABe, R9361-III-102315, Fragebögen und Lebensläufe (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 5, 58 f. 304
§ 6 Die am Verfahren beteiligten Parteien
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sein „richtiges“ Alter, die juristische Ausbildung und Kößls politische Einstellung und Vorgeschichte (unter anderem SA-Mitgliedschaft und Verurteilung wegen Eintretens für den Nationalsozialismus).315 Die Probezeit endete, nachdem Kößl vom 01.08.1937 bis zum 31.10.1937 die Polizei-Offiziers-Schule in BerlinKöpenick durchlaufen hatte.316 Aus der SA schied Kößl mit dem Eintritt in die Gendarmerie mit Wirkung zum 01.02.1937 aus, woraufhin er sich im Jahre 1938 über den SD-Dienstweg um eine Mitgliedschaft in der SS bemühte und am 20.04.1940 auch unter der Nummer 353241 Mitglied der Allgemeinen SS im Rang eines Hauptsturmführers wurde.317 Am 30.01.1938 wurde Kößl rückwirkend zum 01.01.1938 zum Hauptmann der Gendarmerie befördert.318 Vom 10.03. bis zum 01.04.1938 befehligte er den berittenen Feldgendarmerietrupp319 der 17. Infanteriedivision bei der Annexion Österreichs, vom 25.09. bis Mitte Oktober 1938 war er als Adjutant der motorisierten Feldgendarmerie des XIII. Armeekorps an der Annexion des Sudetenlandes beteiligt.320 Zwischenzeitlich bestand Kößl im Mai 1938 die höhere Offiziersprüfung der Ordnungspolizei und sollte daraufhin am ersten Polizei-Akademie-Lehrgang (01.10.1939–31.03.1940 in Berlin) teilnehmen, welcher aber kriegsbedingt entfiel.321 Am 01.11.1938 wurde Kößl nach München versetzt, um den Dienst als Hilfsoffizier beim Kommandeur der Gendarmerie beim Regierungspräsidenten anzutreten.322 Von Dezember 1938 bis 30.06.1940 sollte Kößl auf Vorschlag des Reichsministeriums des Innern Beisitzer der Dienststrafkammer in München werden, wurde aber aufgrund seines zu jungen Alters abgelehnt.323 Am 01.02.1939 wude Kößl das Kommando über die Landeshauptmannschaft Traunstein-Oberbayern erteilt, wo er insbesondere für die Ausbildung und Dienstaufsicht zuständig war.324 Daraufhin habe sich Kößl freiwillig für einen Fronteinsatz gemeldet, diesem Gesuch sei 315
BABe, ZB-1137-A.12, S. 744 ff. BABe, R9361-III-102315, Lebensläufe (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 59. 317 BABe, R9361-III-102315, Fragebögen und Lebensläufe (o. S., o. D.); Schreiben an den Reichsführer-SS v. 20.12.1942 (o. S.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 6, 29, 48; BABe, ehe. BDC SSO Kössl, Josef, Schreiben v. 12.09.1940 (o. S.). 318 BABe, R9361-III-102315, Lebensläufe (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 5, 59. 319 Die Feldgendarmerie war die Militärpolizei der Wehrmacht. Zur Organisation und den Aufgaben der Feldgendarmerie Berthel, Feldgendarmerie, S. 9 f.; Böckle, Feldgendarmen, S. 158 ff. 320 BABe, R9361-III-102315, Fragebögen und Lebensläufe (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 5, 49, 59. 321 BABe, R9361-III-102315, Lebenslauf (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 59. 322 Andere Angabe 01.10. BABe, ZB-1137-A.12, S. 755, 762; BABe, R9361-III102315, Lebenslauf (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 59. 323 BABe, ZB-1137-A.12, S. 756 ff. 324 BABe, R9361-III-102315, Lebenslauf (o. S., o. D.); BABe, ZB-1137-A.12, S. 763. Andere Angabe bei StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 5, 59 f.: 01.01. 316
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Kap. 2: Der Juristenprozess
aber nicht stattgegeben worden.325 Ab dem 01.11.1940 wurde Kößl mit Unterbrechung zum Hauptamt der Ordnungspolizei (Reichsministerium des Innern in Berlin) abkommandiert326, wohin er letztlich am 01.06.1941auch versetzt wurde und für Fragen der Ausbildung zuständig gewesen sei.327 Dort hielt er „weltanschauliche Schulungsreden“.328 Zunächst vom 25.06.1941 bis zum 01.12.1941, tatsächlich aber bis mindestens zum 28.05.1943 war er Frontkämpfer (als Kurieroffizier) für das Hauptamt Ordnungspolizei bei der SS-Polizei-Division329 und erhielt für einen Einsatz das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse mit Schwertern, „die höchste Kriegsauszeichnung für Zivilisten“.330 Daraufhin besuchte Kößl zwei Fortbildungslehrgänge: Vom 04.01. bis 30.01.1942 den Majorslehrgang an der PolizeiOffiziers-Schule Köpenick, welchen er mit der Note „gut“ abschloss und vom 15.06. bis zum 02.08.1942 den Bataillonsführer-Lehrgang bei Dresden und Königsbrück.331 Am 15.07.1942332 wurde er zum Major der Gendarmerie (Ordnungspolizei), im Wege der Dienstgradangleichung333 auch zum Sturmbannführer der SS befördert.334 Mit dieser Beförderung wurde Kößl am 01.08.1942 über den SD335 nach Brünn zum Polizei-Regiment Böhmen/Mähren versetzt.336 Ab September 1942 arbeitete er als Untergruppenleiter Ausbildung (3) im Hauptamt 325
BABe, R9361-III-102315, Lebenslauf (o. S., o. D.). Seine Aufgabe sei es gewesen, „am Entwurf einer einheitlichen GendarmerieDienstvorschrift mitzuarbeiten.“ StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 5, 23 f., 59 f.; BABe, ZB-1137-A.12, S. 764 ff. 327 BABe, R9361-III-102315, Lebenslauf (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 5, 60 f.; StAMü, OLG München 2052, Lebenslauf v. 31.08.1949; BABe, ZB1137-A.12, S. 764 ff. 328 BABe, R9361-III-102315, Fragebogen und Lebensläufe (o. S., o. D.); BABe, ehe. BDC SSO Kössl, Josef, Lebenslauf v. 23.02.1940 (o. S.). 329 Zur Bezeichnung, den Aufgaben und den Einsätzen der Polizei-Division Husemann, Guten Glaubens, S. 17 ff.; Böckle, Feldgendarmen, S. 168 f.; Curilla, Der Judenmord in Polen, S. 231, 670, 829. 330 BABe, R9361-III-102315, Fragebogen und Lebenslauf (o. S., o. D.); BABe, ehe. BDC SSO Kössl, Josef, Veränderungsmeldung 1943 (o. S.); Schreiber, Elite, S. 212. Siehe auch http://www.ehrenzeichen-orden.de/zweiter-weltkrieg/kriegsverdienstkreuzmit-schwertern-2-klasse-1939.html; StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 5, 61. Dazu auch sogleich. 331 BABe, R9361-III-102315, Lebenslauf (o. S., o. D.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 61; BABe, ZB-1137-A.12, S. 787. 332 Mit Rangdienstalter vom 20.04.1942. StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 49, 61; BABe, ZB-1137-A.12, S. 793. 333 Vgl. hierzu Poliakov/Wulf (Hrsg.), Denker, S. 343. 334 BABe, R9361-III-102315, Lebenslauf (o. S., o. D.); StAMü, OLG München 2052, Ernennungsurkunde zum Major der Gendarmerie v. 15.07.1942 (Beglaubigung v. 14.05. 1949); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 5; vgl. auch Matthiesen, in: Der Spiegel 20/1957, S. 56. 335 Zumindest bis Mai 1943 blieb seine (Stamm)einheit auch das SD-Hauptamt. BABe, ehe. BDC SSO Kössl, Josef, S. 5, 12, 26. 336 BABe, ehe. BDC SSO Kössl, Josef, Schreiben des Chefs der Ordnungspolizei v. 15.08.1942 (o. S.); BABe, ZB-1137-A.12, S. 790 ff. 326
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der Ordnungspolizei337 und wurde daraufhin am 01.04.1943 zur Feldgendarmerie-Abteilung 690 (motorisiert) des Heeres und zur Ausbildungs-Abteilung 2 an die Ostfront (Heeresgebiet Russland-Mitte) abkommandiert338. Damit wurde er zum Major der Feldgendarmerie (z. V. des Heeres).339 Seine Tätigkeit sei dort die Aufrechterhaltung der Ordnung, die Regelung des Verkehrs, die Sicherung von Nachschubrouten (Partisanenbekämpfung340) und die eines „Stabsoffiziers der Feldgendarmerie“ 341 gewesen.342 Im Mai 1944 habe Kößl nach eigenen Angaben Schiebergeschäfte innerhalb der Organisation Todt343 aufgedeckt, in die „hochgestellte Personen verwickelt“ gewesen seien, weshalb er versetzt und dienstlich schikaniert worden sei.344 Ab Juli 1944 war Kößl jedenfalls Kommandeur einer Ausbildungseinheit in Litzmannstadt und Prag, ab Januar 1945 wurde seine Einheit als „II. Grenadier-Bataillon/Kampfgruppe 5 Böhmen-Mähren“ in Pommern, Prag und an der Westfront eingesetzt.345 Am 17.04.1945 wurde er bei einem britischen Luftangriff verletzt, woraufhin er von Mai 1945 bis zum 03.09.1945 britischer Kriegsgefangener (Untersuchungslager Westertimke bei Bremervörde, Harsefeld und Entlassungslager Hechthausen bei Stade) wurde.346 Zwischen Juli und August 1945 durfte Kößl eine Kompanie im militärischen Ordnungsdienst des Korpsbereichs für den Regierungsbezirk Stade leiten.347 3. Entnazifizierung Am 01.09.1946 beantragte Kößl ein Spruchkammerverfahren gegen sich selbst, um im IMT-Prozess mitwirken zu können.348 Er gab seine ehemaligen politischen Ämter im Fragebogen349 an, leugnete aber seine Tätigkeit im SD350 337
BABe, R9361-III-102315, (Lebenslauf o. S., o. D.). StAMü, OLG München 2052, Lebenslauf v. 31.08.1949; StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 5, 23, 49, 61; BABe, ZB-1137-A.12, S. 800 f. 339 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 49. 340 Vgl. Hartmann, in: VjfZ 2004, 1 (27); Rückerl, Strafverfolgung, S. 20 f. 341 Fachliche Aufsicht und Personalsachbearbeitung. StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 61. 342 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 5, 61. 343 Hierzu Seidler, in: VjfZ 1984, 625 ff. 344 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 54, 61 f. 345 Genauer in Görnau und Kralup. StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 5, 12, 23, 62, 92. 346 StAMü, OLG München 2052, Lebenslauf v. 31.08.1949; StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 5 f., 23, 46, 55, 62 f. 347 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 63. Vgl. auch Müller, Furchtbare Juristen, S. 243. 348 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 53 ff. Dazu auch sogleich. 349 Lediglich 50 % der Deutschen wurden nach Auswertung der Fragebögen als Entlastete eingestuft. Vgl. Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 278. Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 103 nennt etwa 75 % für die Amerikanische Zone. 350 Im „Meldebogen auf Grund des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ v. 05.03.1946, leugnete Kößl „auch nebenamtliche Mitarbeit, z. B. 338
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Kap. 2: Der Juristenprozess
explizit.351 Er verteidigte sich damit, dass er seine Parteistellung stets zugunsten der Gendarmerie ausgespielt und sich gegen alle Ungerechtigkeiten innerhalb der Partei gestellt habe.352 Seine SA- und Parteiarbeit sei – so gaben es auch andere vorbelastete Verteidiger in Nürnberg an353 – jugendlichem Leichtsinn geschuldet gewesen, habe sich ausschließlich in den Vorkriegsjahren abgespielt und sei durch die Staatsbürgerrechte der Weimarer Reichsverfassung gedeckt gewesen.354 Im Entnazifizierungsverfahren wurde Kößl „auf Grund seiner Zugehörigkeit zur NSDAP und einer Reihe von Unterorganisationen“ zunächst als „Minderbelasteter“ (Aktivist) eingestuft und ihm wurde eine Geldsühne in Höhe von 7.000 Reichsmark auferlegt.355 So habe er zwar zahlreichen NS-Formationen, unter anderem der SS und SA, angehört. Seine SS-Zugehörigkeit sei aber seiner Stellung innerhalb der deutschen Polizei geschuldet gewesen und habe darüber hinaus keine Bedeutung gehabt.356 Außerdem habe er sich – wie ehemalige Kollegen entlastend ausgesagt hätten – dafür eingesetzt, dass die Gendarmerie nicht im Sinne der NS-Ideologie missbraucht würde und dafür auch offen der SS, Gestapo und dem SD widersetzt.357 Das Gericht urteilte abschließend über Kößl: „Er gehört zu denen, die ihrer wankenden Haltung wegen auch auf falsche Propheten leicht hereinfallen.“ 358
Gegen das Urteil ging Kößl in Berufung.359 Er begründete die Berufung damit, dass er einerseits die Sühnezahlung nicht aufbringen könne, ohne sich zu verschulden, da er bei zwei Luftangriffen sein komplettes Hab und Gut verloren habe, andererseits basierten die Feststellungen in Bezug auf seine politische Überzeugung auf falschen Tatsachen.360 Er sei nur deshalb in der Partei geblieben und habe den SS-Rang angenommen, um seine Untergebenen zu schützen; unter anderem habe er auch Personen vor dem KZ bewahrt.361 [als] Vertrauensmann“ im SD und verschwieg den Erhalt des Ordens. StAMü, SpkA K2565 Koessl Josef, S. 46. 351 StAN München SpKA-K 2565 Koessl Josef, S. 6, 46, 71; StAMü, OLG München 2052, Lebenslauf v. 31.08.1949. Viele andere Deutsche taten es Kößl gleich. Vgl. Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 104. 352 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 64 ff. 353 Seliger, Politische Anwälte, S. 87. 354 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 64 ff. 355 K. 296/46 v. 20.11.1946. StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, Spruch K 268 (o. S.), S. 4 ff., 12, 31 f. In dem Verfahren war vom Öffentlichen Kläger bei der Spruchkammer gefordert worden, Kößl als „Hauptschuldigen“ oder zumindest „Belasteten“ zu verurteilen. Ebenda, S. 5, 25 f., 46, 56 f. 356 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 6 f. 357 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 6. 358 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 7. 359 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 12. 360 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 12 ff., 42 ff.
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Am 22.06.1948 hob die Berufungskammer den Spruch auf und Kößl wurde als „Mitläufer“ 362 eingestuft.363 Entscheidend für die Berufungskammer sei gewesen, „da[ss] es schon aus anderen Entnazifizierungsangelegenheiten bekannt ist, dass der Betroffene nur nach außen hin die Qualität eines SA-Angehörigen machte, im Grunde aber ihr ferne stand und außer seiner formellen Bindung an die NSDAP, auch ideell ihr nicht nahestehen konnte.“ 364
4. Persönliches 365
und religiös366. Sein Auftreten war selbstKößl war ein sportlicher Typ 367 368 und eloquent . Gegen Ende des Jahres 1942 wandte sich Kößl in bewusst einem als „vertraulich geheim“ klassifizierten Schreiben an einen Freund.369 Himmler habe Kößl aufgefordert, „allmählich ans Heiraten zu denken“ 370. Kößl habe auch eine Frau kennengelernt. Allerdings gab es ein Problem: „Wie bei jeder Frau, so ist auch hier ein Haar in der Suppe, sodass ich befürchten muss, dass bei aktenmäßiger Behandlung des Falles der Reichsführer die Genehmigung versagt.“ 371 361
StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 15, 28 ff., 44, 47. Vgl. Art. 4 Nr. 5, Art. 12 Gesetz Nr. 104 „zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ (BefreiungsG) v. 05.03.1946. Abrufbar unter: http://digicoll.library. wisc.edu/cgi-bin/History/History-idx?type=header;pview=hide;id=History.GesetzBefrei ung. 363 StAMü, OLG München 2052, Lebenslauf v. 31.08.1949; SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 4 f., 10 f. 364 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 4. 365 Er war schlank und 1,71 m groß. Er erhielt unter anderem das Reichssportabzeichen und war etwa ein Jahr lang „Dietwart“ im NS-Reichsbund für Leibesübungen. BABe, R9361-III-102315, Fragebögen und Lebenslauf (o. S., o. D.), Ärztlicher Untersuchungsbogen v. 02.01.1943; StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 46, 49 f.; BABe, ehe. BDC SSO Kössl, Josef, Lebenslauf v. 23.02.1940 (o. S.); Personalbericht (o. S., o. D.); Personalangaben v. 29.09.1939 (o. S.); vgl. auch StAMü, OLG München 2052, Reifezeugnis v. 21.03.1929 (Beglaubigung v. 14.05.1949). 366 Das Spruchkammergericht bezeichnete die „Unruhe in seiner religiösen Haltung“ als „typisch“ für Menschen, die „auf falsche Propheten leicht hereinfallen“. Zunächst war Kößl bis Mai 1937 Katholik. Dann trat er aus der katholischen Kirche aus und trat bis 1938 der „Deutschen Glaubensbewegung“ bei. Hiernach suchte er „den inneren Frieden in einer Religionsauffassung, die den Faust-Gedanken mit der dogmenfreien christlichen Lehre verbindet“. Am 20.07.1946 trat er in die evangelische Kirche ein. Er selbst betrachtete sich als „gottgläubig“. BABe, R9361-III-102315, Fragebögen (o. S., o. D.); Schreiben an den Reichsführer-SS v. 20.12.1942 (o. S.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 6 f., 41, 46, 48 f., 52, 69, 99; vgl. auch StAMü, OLG München 2052, Lebenslauf v. 31.08.1949. 367 Er habe nach einer Beurteilung in seiner SD-Akte eine „außerordentliche Härte“ an den Tag gelegt. BABe, ehe. BDC SSO Kössl, Josef, Personalbericht v. 16.10.1939 (o. S.). Vgl. auch StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 88, 99. 368 Vgl. StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 38. 369 BABe, ehem. BDC PK Kössl, Josef, Schreiben v. 11.11.1942 (o. S.). 370 Vgl. auch BABe, ZB-1137-A.12, S. 788; BABe, ehe. BDC SSO Kössl, Josef, Schreiben v. 10.12.1942 (o. S.). 362
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Kap. 2: Der Juristenprozess
Deshalb sollte dieser Freund einen Kontakt zu Himmler herstellen, damit sich Kößl noch vor seinem Einsatz an der Ostfront verheiraten könne.372 Am 30.11. 1942 traf sich Kößl daraufhin mit Himmler im Führerhauptquartier und Himmler genehmigte die Heirat.373 Am 23.01.1943 heiratete Kößl Hildegard Grix, geborene Walter.374 Aus der Ehe gingen keine Kinder hervor375, was an Kößls eigenem Entschluss hierzu lag.376 Zwar war seine Frau 16 Jahre älter als er377, nach SS-ärztlicher Untersuchung im Jahre 1943 aber grundsätzlich noch zeugungsfähig378. Allerdings wurde er Vormund zweier angeheirateter Kinder des alkoholkranken Bruders, der im Zweiten Weltkrieg fiel.379 Im Jahre 1946 hatte er nach eigenen Angaben380 nur noch zwei Angehörige: seine Ehefrau und deren Mutter.381 Mit seiner eigenen Mutter, die depressiv382 war und wenig später verstarb, hatte er kein gutes Verhältnis, obgleich er mit etwa 33 Jahren noch mit ihr zusammenwohnte.383 Während finanzielle Nöte sein ganzes Leben durchzogen, war er nach eigenen Angaben nach Ende des Krieges aufgrund von Bombenangriffen mittellos.384 Seine Wut auf die Weimarer Republik, die in seiner Jugend noch zur Radikalisierung geführt hatte, hatte sich nach 371
BABe, ehem. BDC PK Kössl, Josef, Schreiben v. 11.11.1942 (o. S.). BABe, ehem. BDC PK Kössl, Josef, Schreiben v. 11.11.1942 (o. S.). 373 BABe, ZB-1137-A.12, S. 799. 374 StAMü, OLG München 2052, Lebenslauf v. 31.08.1949; StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 61. 375 StAMü, OLG München 2052, Schreiben v. 15.09.1949; Lebenslauf v. 31.08.1949. 376 BABe, R9361-III-102315, Ergänzung zum Erbgesundheitsbogen v. 01.01.1943 (o. S.). 377 Vgl. BABe, R9361-III-102315, Sippenakte v. 16.01. 1943 (o. S.); Schreiben an den Reichsführer-SS v. 20.12.1942 (o. S.); SS-Erbgesundheitsbogen (o. S., o. D.); R. u. S. Fragebogen (o. S., o. D.). Dies könnte auch der Grund von Himmlers „Skepsis“ gewesen sein. 378 BABe, R9361-III-102315, Ärztlicher Untersuchungsbogen v. 02.01.1943 (o. S.). 379 BABe, R9361-III-102315, Fragebogen (o. S., o. D.); Sippenakte v. 16.01.1943 (o. S.); Ergänzung zum Erbgesundheitsbogen v. 01.01.1943 (o. S.); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 55. 380 Laut einem Zeugen gab es aber 1946 zumindest noch zwei Tanten mütterlicherseits, laut seinen eigenen Angaben noch Verwandte der Ehefrau aus Schlesien. Kößls SS-Sippenakte aus dem Jahre 1943 hält fest, dass er mütterlicherseits einen alkoholkranken Onkel und zwei „lebensuntüchtig[e]“ Tanten hatte, väterlicherseits einen Onkel, der „an Krampfanfällen [litt]“. StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 38, 71; BABe, R9361-III-102315, Sippenakte v. 16.01. 1943 (o. S.). 381 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 23 f. 382 BABe, R9361-III-102315, Ergänzung zum Erbgesundheitsbogen v. 01.01.1943 (o. S.); SS-Erbgesundheitsbogen (o. S., o. D.). 383 Vgl. StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 28, 53; BABe, ZB-1137-A.12, S. 762, 799. Zur Wohnsituation nach dem Zweiten Weltkrieg Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 272 ff. 384 Vgl. StAMü, OLG München 2052, Lebenslauf v. 31.08.1949; StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 46, 55, 61, 63, 70; BABe, ZB-1137-A.12, S. 799. 372
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eigenen Angaben nach dem Krieg in eine Enttäuschung in den NS-Staat umgeschlagen.385 5. Kößls Bestellung zum Verteidiger in Nürnberg Kößls Berufung zum Verteidiger in den Nürnberger Verfahren ist in Anbetracht der obigen Erkenntnisse, insbesondere in politischer Hinsicht, erstaunlich. Diese Skepsis wird auch von einem ehemaligen KZ-Häftling geteilt, der in einem Brief vom 25.03.1947 an den ehemaligen bayerischen Entnazifizierungsminister Alfred Loritz386 und die Neue Zeitung München schrieb: „Ein Minderbelasteter als Rechtsbeistand in Nürnberg? Hier stimmt etwas nicht! Herr Minister ich glaube hier ist etwas zu klären.“ 387
Daher ist zunächst zu untersuchen, auf welche Weise Kößl seinen Weg als Verteidiger nach Nürnberg fand. Kößl war nach eigenen Angaben vom Mitverteidiger der SS, Ludwig Babel, Ende Januar 1946388 zum IMT-Prozess als „Assistenz-Verteidiger“ hinzugeholt worden389 und von da an für „alle Fragen der Ordnungspolizei, außerdem noch solche der Waffen-SS“ zuständig gewesen.390 Aufgrund seiner Erfahrung im IMT-Verfahren sei Kößl dann durch den Gerichtshof im Juristenprozess mit der Verteidigung beauftragt worden.391 Bis zum 20.12.1947 sei er dann mit dem Juristenprozess beschäftigt gewesen.392 Der Historiker Seliger hält es indes für möglich, dass Kößl durch ehemalige Kameraden zum IMT kam. Diese Annahme ist durchaus plausibel. Denn Kößls ehemaliger Kamerad Adolf von Bomhard – die beiden kannten sich aus der Zeit bei der Nürnberger Ordnungspolizei – war jedenfalls der Hauptentlastungszeuge im IMT-Verfahren für die Ordnungspolizei.393 Es ist also denkbar, dass Kößl hierdurch als Experte für Fragen der Ordnungspolizei entdeckt worden war.
385
StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 72. Vgl. Ohne Verfasser, in: Der Spiegel 47/1979, S. 284. 387 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 39. 388 Laut StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 63 05.02.1946. 389 Nach StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 38 f., sei Kößl nur ein „Berater“, kein Verteidiger, gewesen. Genau genommen war er wohl „juristischer Mitarbeiter“. Ebenda, S. 49 f. 390 StAMü, OLG München 2052, Lebenslauf v. 30.04.1949; Bestätigung des IMT v. 02.10.1946 (Beglaubigung v. 14.05.1949); StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 36, 46, 49, 53. Babel wurde „Ende August 1946 wegen eines gewichtigen Regelverstoßes als Verteidiger ohne weitere Bezahlung entpflichtet“. Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (76). 391 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 16. Dieses Vorgehen war durchaus nicht unüblich, vgl. Seliger, Politische Anwälte, S. 43. 392 StAMü, OLG München 2052, Lebenslauf v. 30.04.1949. 393 Vgl. Seliger, Politische Anwälte, S. 196, 471; IMT, Bd. XXI, S. 661, 671. 386
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Kap. 2: Der Juristenprozess
Aber auch wenn damit eine Erklärung gefunden worden wäre, wie man im IMT-Prozess auf Kößl aufmerksam geworden war, bliebe immer noch die Frage, wie er trotz seines Hintergrundes als Verteidiger in Nürnberg wirken durfte. Diese Problematik wurde noch dadurch verstärkt, dass nach Kößls eigener Aussage den NMT-Gerichten eine Entnazifizierung ihrer Verteidiger wichtig394 und nach den Prozessakten dem Gericht auch Kößls Vergangenheit in NSDAP, SA und SS bekannt gewesen war395. Kößl äußerte sich innerhalb seines Entnazifizierungsverfahrens zu den Vorwürfen gegen ihn, also dazu, „wieso ein solcher Mann beim Gericht in Nürnberg angestellt sein kann“.396 „Nach meiner Ankunft in Nürnberg am 4.2.1946 wurde ich vom 6.2. bis 22.2.1946 inhaftiert und genauestens auf mein Verhalten während des NS-Regimes und besonders in den besetzten Gebieten überprüft, unter Zuziehung tschechoslowakischer Polizei.“ 397
Bei dieser Überprüfung scheinen aber keine allzu hohen Anforderungen gestellt worden zu sein.398 Tatsächlich hatte ein sehr großer Anteil aller Anwälte, die in den Nürnberger Prozessen auftraten, einen politisch auffälligen Hintergrund: Fast zwei Drittel gehörten ursprünglich der NSDAP, etwa ein Viertel (zumindest kurzzeitig) der SA und immerhin ein Zwanzigstel der SS an.399 Die Reißleine wurde durch den CIC jedenfalls dann gezogen, wenn den überprüften Rechtsanwälten eine „Verwicklung in den Holocaust“ nachgewiesen werden konnte.400 Eine interessante Anekdote hierzu betrifft den Assistenzverteidiger Edmund Mezger. Dieser war vermutlich alleine aufgrund eines Gerüchts, er sei Mitglied des SD gewesen, inhaftiert worden.401 Letztlich bleiben bezüglich Kößls Wirken unter dem NS-Regime auch einige offene Fragen. So überschneiden bzw. widersprechen sich viele Punkte in den diversen Lebensläufen, die Kößl im Rahmen seiner parallelen Tätigkeiten für die
394 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 45. Vgl. zum IMT-Prozess Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 43. 395 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI We3, S. 7. 396 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 24. 397 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 24. An der Überprüfung sei auch der ehemalige US Anti-Spionage-Dienst Counter Intelligence Corps (CIC) beteiligt gewesen, der für die Suche nach Kriegsverbrechern zuständig war und allgemein als „übervorsichtig“ galt. Ebenda, S. 49, 63; Seliger, Politische Anwälte, S. 75, 107; Schneider, Division. 398 Zu der Praxis der Überprüfung der Verteidiger Seliger, Politische Anwälte, S. 106 ff. 399 Dazu jüngst die Untersuchung von Seliger, Politische Anwälte, S. 83 ff., 113; Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 50. 400 Hierzu Seliger, Politische Anwälte, S. 105, 525; vgl. auch Ziemann, in: StV 8/ 2017, 560 (561). 401 v. Jan, in: Juristen im Portrait, S. 561 (562); vgl. aber Seliger, Politische Anwälte, S. 107 f.
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Ordnungspolizei, den SD und die Feldgendarmerie, sowie in den Nachkriegsjahren, angefertigt hatte. Zu diesen offenen Fragen gehören die folgenden Punkte: a) SS-Zugehörigkeit Kößl spielte seine SS-Zugehörigkeit herunter bzw. machte die Dienstgradangleichung und seinen Einsatz in Österreich hierfür verantwortlich.402 Dieser Einwand ist nicht überzeugend, denn Kößl hatte den Antrag zur Aufnahme in die SS – ausweislich der Akten des RSHA – freiwillig über den SD-Dienstweg403 und damit über die Sicherheitspolizei404 gestellt.405 Für die Sicherheitspolizei hatte Kößl aber (zumindest offiziell) gar nicht gearbeitet, sondern für die Ordnungspolizei. Ein Folgeproblem ist, dass die diesbezüglichen Vorschriften („Runderlasse des Reichsführers-SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern“), auf die sich Kößl beruft, nicht immer mit den Angaben in den Lebensläufen übereinstimmen.406 Letztlich behauptete Kößl auch, dass er kein „Mitglied einer Polizei-Formation der SS“ gewesen sei407, obwohl er zur SSPolizei-Division abkommandiert worden war. Berücksichtigt man, dass auch die SS-Polizeieinheiten Kriegsverbrechen begangen hatten408, vom IMT als verbrecherisch angesehen worden waren409 und außerdem die Polizei-Division ab Februar 1942 in die (verbrecherische)410 Waffen-SS eingegliedert worden war411, er-
402
StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 6, 23 ff., 47, 54, 71 ff., 89 ff., 97. Vgl. Nr. 7 Abs. 1 i.V. m. 8 Abs. 2 RdErl. d. RF. SS u ChdDTPol. im RMdI v. 10.05.1937 (RMBliv. 1937, S. 758), O-KdO P (1a) Nr. 4/37 II; Nr. 4 Abs. 1 RdErl. d. RF. SS u ChdDTPol. im RMdI v. 18.01.1938 (RMBliv. 1938, S. 157), O-KdO P (1a) Nr. 147/37 I/II. 404 BABe, ehe. BDC SSO Kössl, Josef, Schreiben des Chefs der Ordnungspolizei v. 15.08.1942 (o. S.); Schreiben des SD v. 10.09.1940 (o. S.). Vgl. auch Schreiber, Elite, S. 69, wonach jeder SD-Angehörige auch gleichzeitg SS-Angehöriger war. Vgl. auch StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 187 ff. 405 Vgl. auch IMT, Bd. I, S. 296 f., 300. 406 Nach seinem Lebenslauf fand die Dienstgradangleichung durch die Runderlasse O-Kdo. P I (1a) Nr. 62/38 und 173/39 v. 24.03.1938 und 22.05.1939, RMBliv. 1938, S. 537; 1939, 1182 statt. Die tatsächlich als Anlage von Kößl eingereichten Runderlasse tragen allerdings andere Nummern. StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 71 ff.; BABe, ehe. BDC SSO Kössl, Josef, Dienstlaufbahn (o. S., o. D.); vgl. auch BABe, ehe. BDC SSO Kössl, Josef, Schreiben des Chefs der Ordnungspolizei v. 15.08.1942 (o. S.); Schreiben v. 23.03.1943 (o. S.); Dienstgradangleichung v. 30.11.1942 (o. S.); BABe, ZB1137-A.12, S. 795 f. 407 StAMü, OLG München 2052, Spruchkammer K. 296/46 v. 20.11.1946 (Ausfertigung v. 08.01.1947). 408 Vgl. IMT, Bd. I, S. 305. 409 IMT, Bd. I, S. 307. 410 Vgl. hierzu IMT, Bd. I, S. 303 ff. 411 Husemann, Guten Glaubens, S. 403 ff. 403
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Kap. 2: Der Juristenprozess
klärt es sich womöglich auch, warum Kößl im IMT-Prozess als Experte für Angelegenheiten der Waffen-SS412 angefragt worden war. b) Tätigkeit im SD Kößl leugnete in seinem Entnazifizierungsverfahren seine Tätigkeit für den SD explizit413. Er habe auch „keinerlei SS-Dienst geleistet, keine Geheimfunktion innegehabt und w[äre] auch durch keinen SS-Eid gebunden gewesen.“ 414 Selbst, wenn Kößl „lediglich“ Vertrauensmann des SD gewesen sein sollte, hatte er aber sehr wohl eine Verschwiegenheitserklärung abzugeben und damit auch eine Geheimfunktion innegehabt.415 Fraglich ist, warum die Tätigkeit für den SD bei seiner Überprüfung scheinbar nicht aufgefallen war. Dies verwundert umso mehr, als im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens ein Zeuge416 aussagte, Kößl sei „in der Stellung eines Kommandanten“ für den SD in der Nähe von Prag417 gewesen.418 Ein Grund dafür könnte darin liegen, dass die Nürnberger Gerichte noch Probleme damit hatten, die Strukturen des SD zu durchsteigen und in der Regel nur „den harten Kern“, nicht aber die V-Leute419 belangten, sodass Kößl als V-Mann möglicherweise vernachlässigt worden war420. Zwar lässt sich seine genaue Rolle im SD nicht mehr rekonstruieren.421 In einer Beurteilung durch den SD aus dem Jahre 1939 wird allerdings erwähnt, dass Kößl „als Nationalsozialist sehr beschlagen (Erleben der Kampfzeit)“, seine „Weltanschauung gefestigt und einsatzbereit“ war und er „für den SD sehr wertvolle Dienst[e] [ge]leistet“ hatte.422 In diesem Kontext ist auch wichtig, dass Kößl für seine 412 Orth war ebenfalls Mitglied der Waffen-SS gewesen. Vgl. Seliger, Politische Anwälte, S. 93 f. Fn. 213. 413 Auch dieses Vorgehen war nicht ungewöhnlich. Hellmut Becker leugnete beispielsweise seine NSDAP-Mitgliedschaft. Seliger, Politische Anwälte, S. 108 f. 414 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 71. 415 Vgl. hierzu Schreiber, Elite, S. 185; Elkar, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 374 f. 416 Die Aussage wurde von einem Nachbarn der Kößls, der nach eigenen Angaben zwei Jahre im KZ inhaftiert gewesen war, gemacht. Josef, Hildegard und Juliane hätten in einer gemeinsamen Wohnung im Streit gelebt. Der Zeuge habe „Frau Juliane Kößl darauf aufmerksam [gemacht], dass sie ihren Sohn wohl herausbekommen könnte, wenn dieser politisch belastet wäre. Frau J. K. schilderte [. . .] daraufhin Folgendes.“ StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 38. 417 Der Zeuge spricht von Gralup bzw. Chralup, meint wohl aber Kralup. StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 15, 44, 62. Der Hinweis des Zeugen auf die Tschechoslowakei scheint aber insoweit zutreffend, als Kößl selbst zugab, zumindest ab Juli 1944 dort gewesen zu sein und auch dort gewohnt zu haben. Ebenda, S. 62 f. 418 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 38. 419 Vgl. Schreiber, Elite, S. 68 Fn. 3, sowie oben Kapitel 2 § 5 A. I. 4. 420 Vgl. auch Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (718). 421 Vgl. zur Vernichtung von Unterlagen der Abwehr Leverkuehn, Nachrichtendienst, S. 6.
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Tätigkeit für die SS-Polizei-Division das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse mit Schwertern erhielt. Der Historiker Schreiber geht davon aus, dass die Verleihung eines solchen Ordens im Rahmen von Einsätzen des SD für den „,Kampf gegen einen hinterhältigen Feind‘ in den besetzten Gebieten“ und die „Teilnahme an Gewaltaktionen“ spricht.423 Tatsächlich war der SD unter anderem für die Bekämpfung von „Widerstandsbewegungen“ zuständig424, wobei der Begriff „Partisanenbekämpfung“ ein Deckname der SS für die Judenvernichtung war425. So kann abschließend zu Kößls SD-Vergangenheit zwar kein Urteil über ihn gefällt werden, jedoch liegen gewichtige Indizien vor, dass sein Einsatz für das Unrechtsregime weit über das notwendige Maß hinausging. Dies gilt umso mehr, als die Ablehnung von Anwerbungsversuchen zur „Vertrauensperson“ gegenüber dem SD keine irgendwie gearteten Nachteile hatte.426 c) Feldgendarmerie Die Feldgendarmerie arbeitete unter anderem bei der Bekämpfung von „Partisanen“, Juden und Kommunisten Hand in Hand mit Polizeiverbänden, dem SD und den berüchtigten Einsatzgruppen zusammen.427 Der Autor Böckle sieht in der „Tatsache, dass es nach dem Krieg keine Feldgendarmerieprozesse gegeben hat [. . .] den Beweis dafür [. . .], dass sich die Feldgendarmen an die Regeln des Kriegsvölkerrechts gehalten haben“.428 Diese Aussage ist unzutreffend, die Verbrechen der Feldgendarmerie sind heutzutage hinlänglich belegt.429 Zwei Theorien sind also denkbar: Entweder wussten die Alliierten tatsächlich nicht von den Verbrechen der Feldgendarmerie430, oder Kößl konnte sich für diese exkulpieren bzw. seine Unschuld beweisen. In der Tat konnte Kößl auch in seinem Entnazifizierungsverfahren einige Zeugen benennen431, die entlastend für ihn aussag422
BABe, ehe. BDC SSO Kössl, Josef, Personalbericht v. 16.10.1939 (o. S.). Schreiber, Elite, S. 212. 424 Vgl. Leverkuehn, Nachrichtendienst, S. 84. 425 IMT, Bd. I, S. 304. 426 Schreiber, Elite, S. 203. Vgl. aber Haensel, Organisationsverbrechen, S. 43 ff. 427 IMT, Bd. I, S. 296; Böckle, Feldgendarmen, S. 163; Berthel, Feldgendarmerie, S. 11 ff.; vgl. auch Boldt/Stolleis, in: Lisken/Denninger (Hrsg.), Polizeirecht, A. Rn. 65; Leverkuehn, Nachrichtendienst, S. 133. 428 Böckle, Feldgendarmen, S. 163. 429 Curilla, Der Judenmord in Polen, S. 172 ff., 299 ff., 382 ff., 488 ff., 639 ff., 748 ff. und insbesondere 94, 108, 197, 198, 300; Hartmann, in: VjfZ 2004, 1 (10), (16 f.), (27), (51), (62); Berthel, Feldgendarmerie, S. 11 ff.; vgl. auch StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 92; BT-Drs. 2204, S. 2. 430 Was eher unwahrscheinlich ist. Vgl. auch Dehler, in: Deutscher Bundestag – 19. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 01.12.1949, S. 529 (545), abrufbar unter: http:// dip21.bundestag.de/dip21/btp/01/01019.pdf. 431 Zur Glaubwürdigkeit von Zeugen im Entnazifizierungsverfahren vgl. Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 105. 423
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ten.432 Ein ehemaliger Adjutant Kößls, der ihn im Jahre 1944 kennengelernt hatte, erklärte beispielsweise an Eides statt, Kößl habe als Kommandant der Feldgendarmerie keine Exekutionsbefehle gegeben.433 Ob diese Aussage glaubhaft ist, kann nach derzeitiger Aktenlage nicht beantwortet werden.434 Möglicherweise spielte für die „Rücksicht“ gegenüber Kößl auch der Umstand eine Rolle, dass ehemalige Polizisten aufgrund des hohen Bedarfs im Nachkriegsdeutschland bald wieder im Dienst eingesetzt werden sollten.435 6. Wahl Kößls Zu klären ist aber noch, wie Kößl an die Verteidigung Rothaugs gelangt ist. Neben seiner eigenen Motivation hierzu spielten selbstverständlich der Wille Rothaugs, aber auch die Genehmigung des Tribunals eine Rolle. Die Motivation, die Verteidigung eines so schwierigen Mandates zu übernehmen436, dürfte zum einen selbstverständlich in dem Honorar gelegen haben, auf das Kößl auch aufgrund seiner finanziellen Nöte angewiesen war.437 Andererseits sinnierte Kößl noch im Jahre 1949 über den Juristenprozess: „Dazu kommt, dass mein Klient [Oswald Rothaug] einer der begabtesten deutschen Richter und der anerkannt beste Jurist des Oberlandesgerichtsbezirks Nürnberg war. Es ist klar, dass mir dieser Prozess außerordentlich viel gegeben hat.“ 438
Mit dieser Einstellung schien Kößl nicht alleine dazustehen, auch andere Nürnberger Verteidiger sahen es geradezu als „zu ihren patriotischen Pflichten gehöre[nd]“ an, die ehemaligen deutschen Eliten angemessen zu vertreten.439 Für den Juristenprozess musste dies erst recht gelten, war doch in diesem Verfahren die eigene Berufskaste betroffen.440 Kößls Beauftragung war wohl ein Pflicht-
432 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 92 ff. Darunter war ein befreundeter Pfarrer, der nach eigenen Angaben „568 [!] mal in Anklage vor der Geheimen Staatspolizei und zweimal vor dem Sondergericht [. . .] und einmal vor dem Kriegsgericht“ gestanden habe. Zur Sicht des Bischofs Lilje auf die Nürnberger Verfahren vgl. Perels, in: KJ 1998, 84 (96 f.). 433 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 92 f. Dass darauf explizit hingewiesen wurde, spricht aber eher dafür, dass solche Exekutionsbefehle häufiger vorgekommen sind. Vgl. auch Seliger, Politische Anwälte, S. 196 Fn. 572 f. 434 Zum gleichen Schluss kommt Seliger, Politische Anwälte, S. 196. 435 Vgl. Boldt/Stolleis, in: Lisken/Denninger (Hrsg.), Polizeirecht, A. Rn. 66 ff.; Dams, in: APuZ 48/2008, 9 (10). 436 Vgl. auch Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47. 437 Vgl. dazu StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 18 und sogleich. 438 StAMü, OLG München 2052, Lebenslauf v. 30.04.1949. 439 Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 38 f. 440 Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 50; vgl. auch Seliger, Politische Anwälte, S. 114.
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mandat.441 Dennoch verblüfft die Besetzung eines Verteidigers, der derartig viele Berühungspunkte mit dem NS-Regime aufgewiesen hatte. Wie oben erwähnt waren sehr viele Verteidiger in Nürnberg Mitglieder bestimmer NS-Organisationen gewesen442, sodass beispielsweise eine NSDAP-Mitgliedschaft alleine nicht unbedingt „auffällig“ gewesen wäre443. Bei Kößl stechen aber nicht nur die ehemalige Parteimitgliedschaft, sondern insbesondere Tätigkeiten für (para)militärische NS-Organisationen hervor.444 Kößl hatte eines der höchsten politischen Ämter aller Nürnberger Verteidiger innegehabt, dazu zusammen mit Hans Merkel den höchsten Führer-Rang innerhalb der SS.445 Man darf sich also durchaus die Frage stellen, ob die Wahl Kößls eine Provokation, ein politisches Statement oder gar einfach eine „dumme Idee“ gewesen war. Zur Beantwortung dieser Frage spielen verschiedene Aspekte eine Rolle. Der auffälligste und undurchsichtigste Punkt in Kößls Vita ist sicherlich seine mindestens seit 1935 bestandene Verflechtung in den Apparat des SD.446 Interessanterweise wurden ja gerade auch Rothaugs Verbindungen zum SD im Juristenprozess thematisiert; beispielsweise der Zeuge Fritz Elkar sollte hierzu umfassend aussagen.447 Erstaunlich ist, dass Kößl und Rothaug nicht nur für dieselbe Organisation, sondern sogar in derselben Region aktiv gewesen waren. Dies wirft natürlich die Frage auf, ob sich die beiden durch ihre gemeinsame Tätigkeit für den SD gekannt hatten. Leider kann nach derzeitiger Aktenlage hierauf keine Antwort gegeben werden. In diesem Kontext muss sicherlich berücksichtigt werden, dass es sich bei dem SD um einen Geheimdienst gehandelt hat und daher Personalangelegenheiten und Aufgabenzuweisungen sensibel behandelt worden sein dürften448, wenn nicht gar Akten bewusst vernichtet worden sind449. Nichtsdestotrotz ist die mögliche Bekanntschaft der beiden Protagonisten ein Faktor, der sachgedanklich stets Berücksichtigung finden muss. Es ist auch nach allgemeiner Lebenserfahrung sicherlich nicht von der Hand zu weisen, dass spätestens im Rahmen der Vorwürfe bezüglich des SD im vertraulichen Mandantengespräch über diese Punkte gesprochen worden sein dürfte. Unabhängig von Kößls früherem Verhältnis zu Rothaug dürften ihm jedoch auch andere Umstände für die Verteidigung in die Hände gespielt haben. 441
Vgl. Seliger, Politische Anwälte, S. 160 ff. Der Verteidiger im OKW-Prozess Paul Leverkuehn war ehemals sogar „Leiter der Dienststelle Istanbul“ der Abwehr gewesen. Leverkuehn, Nachrichtendienst, S. 7. 443 Vgl. Görtemaker, in: 4. Rosenburg-Symposium, S. 79; Seliger, Politische Anwälte, S. 28, 92 ff. 444 Vgl. Görtemaker, in: 4. Rosenburg-Symposium, S. 80 f. 445 Vgl. Seliger, Politische Anwälte, S. 91 ff. 446 Siehe oben. 447 Hierzu Kapitel 3 § 11 B. III. 2. 448 Hierzu Kapitel 2 § 5 A. I. 4. 449 Vgl. auch Leverkuehn, Nachrichtendienst, S. 6. 442
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Kap. 2: Der Juristenprozess
Kößl war ein Mann nach Rothaugs Geschmack. Auch Kößls politische Einstellung war für ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis sicherlich förderlich. Denn Rothaug verachtete die meisten der Nürnberger Verteidiger, die aus seiner Sicht politisch unzuverlässig waren.450 Etliche Nürnberger Verteidiger weigerten sich in der Tat, mit den schlimmsten NS-Kriegsverbrechern zusammenzuarbeiten. 451 Sympathien hegte Rothaug dagegen für den offen nationalistisch und antikommunistisch vor Gericht auftretenden Verteidiger Georg Fröschmann.452 Andererseits kritisierte Rothaug auch die fachlichen Kompetenzen bzw. die Ausbildung der Nürnberger Verteidiger.453 Man könnte deshalb auch daran zweifeln, dass sich Rothaug – ein erfahrener Vorsitzender Richter – von einem „Greenhorn“ wie Kößl, der während des Krieges ausschließlich im militärischen Sektor gearbeitet hatte, verteidigen lassen wollte.454 Fakt ist, dass auch andere Nürnberger Verteidiger relativ unerfahren waren, was unter anderem an ihrem jungen Alter gelegen haben mag. Aus dem letzten Punkt könnte sich aber gerade auch der Reiz für Rothaug ergeben haben, Kößl als Verteidiger zu wählen. Einige Angeklagten nutzten nämlich ihren ehemaligen politischen Einfluss bzw. die „Aura“, die sie umgab, für eine gezielte Einflussnahme auf ihre Verteidiger.455 Dies führte zu der grotesken Situation, dass teilweise durch die Angeklagten auch absichtlich „schlechte“ Juristen mit der Verteidigung beauftragt wurden.456 Diese Anmerkung soll aber eher einen möglichen Gedankengang Rothaugs verdeutlichen, als eine abschließende Wertung treffen. Denn Kößls fachliche Eignung war überwiegend auf positive Resonanz gestoßen: Obgleich Kößl das Assessorexamen lediglich mit der Note „ausreichend“ abgeschlossen hatte, scheint er jedenfalls ein guter Jurist gewesen zu sein457. Auch seine anwaltlichen Leistungen wurden in Arbeitszeugnissen gelobt.458 Letztlich konnte er sich durch seine Tätigkeit im IMT-Prozess auch sehr gut in den Juristenprozess einarbeiten.459 450 Vgl. Seliger, Politische Anwälte, S. 12 f. Das mag unter anderem auch daran gelegen haben, dass Rothaug als Vorsitzender Richter mit einigen Verteidigern „zusammengearbeitet“ haben dürfte. Zu einem Verfahren, in dem Friedrich Bergold als Verteidiger beteiligt war, ebenda, S. 80 f. Vgl. auch ebenda, S. 125. 451 Vgl. Seliger, Politische Anwälte, S. 270. 452 Seliger, Politische Anwälte, S. 365 ff. 453 Vgl. Seliger, Politische Anwälte, S. 12 f. 454 Vgl. auch Seliger, Politische Anwälte, S. 163. 455 Seliger, Politische Anwälte, S. 44, 207. 456 Zu diesem Kuriosum Seliger, Politische Anwälte, S. 222. 457 Vgl. zur Verteidigung in seinem eigenen Entnazifizierungsverfahren StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 24 f., 97; sowie IMT, Bd. XXI, 660 f.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 77 ff. 458 Siehe hierzu die Zeugnisse im Rahmen des anwaltlichen Probedienstes StAMü, OLG München 2052. 459 Vgl. auch Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 50.
§ 6 Die am Verfahren beteiligten Parteien
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Am wahrscheinlichsten ist es, für die Gründe von Kößls Bestellung als Verteidiger eine Kombination der oben genannten Punkte anzunehmen, nämlich, dass Rothaug aufgrund seiner Erwartungen an die eigene Verteidigung und der gegen ihn erhobenen massiven Vorwürfe keine erfahreneren Leute als Kößl zur Verfügung standen, die mit ihm zusammenarbeiten wollten. Kößls Unerfahrenheit und politische Vergangenheit dürften aber positiver aufgenommen worden sein, als man zunächst denken könnte. Hinzu könnte natürlich auch kommen, dass Rothaug auch bei seinen eigenen Kollegen gefürchtet und relativ unbeliebt gewesen war. Letztlich dürfte auch eine gewisse Arroganz Rothaugs eine Rolle gespielt haben, nämlich die Vorstellung, dass er als erfahrener Richter die Verteidigung inhaltlich alleine übernehmen könne, während Kößl lediglich als sein leicht beeinflussbares Sprachrohr nach außen hin kommunizieren sollte. 7. Abschließende Bemerkung Seliger bezeichnet Kößl als „[e]indeutige[n] Nationalsozialisten“, dessen Karriere „auch im RSHA oder Reichsinnenministerium hätte enden können“; damit sei er aber unter den Nürnberger Verteidigern zu den „absolute[n] Ausnahmen“ zu rechnen.460 Anhand seines Lebenslaufs und seines Verhaltens liegt nach den Erkenntnissen dieser Arbeit sogar der Schluss nahe, dass Kößl während seines Militärdienstes – insbesondere an der Ostfront – mit Kriegsverbrechen in Verbindung gestanden haben dürfte, wenn er diese nicht gar selbst begangen oder angeordnet hatte. Selbst wenn Kößl damit vielleicht eher weniger den „typischen“ 461 Nürnberger Verteidiger widerspiegelt, als vielmehr einen seltenen Hardliner repräsentiert, wird dadurch aber jedenfalls deutlich, dass auch bei den Nürnberger Verteidigern Gesinnungen, die sich bereits in frühen Jahren herauskristallisiert hatten, nach dem Niedergang des „Dritten Reiches“ und mit Einmarsch der Alliierten nicht einfach verschwanden, sondern durchaus noch vorhanden waren und sogar offen praktiziert wurden.
460 461
Seliger, Politische Anwälte, S. 92, 113. Umfassend hierzu Seliger, Politische Anwälte.
§ 7 Die Anklage im Juristenprozess Die auf dem englischen Indictment basierende Anklageschrift bildete den juristischen Rahmen des Verfahrens. Im Folgenden sollen der Umfang und der Inhalt der Anklageschrift dargestellt werden.
A. Zeitlicher und materieller Umfang der Vorwürfe Da die Angeklagten in verschiedenen Sparten der Justiz, nämlich als Richter, Staatsanwälte, Minister und Beamte, tätig waren, betrafen die Vorwürfe auch unterschiedliche Sachverhalte und Zeitabschnitte. Die Prosecution gliederte die Vorwürfe in vier Anklagepunkte:1 – Anklagepunkt I: Common Design und Conspiracy [Art. II Nr. 1a)], – Anklagepunkt II: Kriegsverbrechen [Art. II Nr. 1 b)], – Anklagepunkt III: VGM [Art. II Nr. 1c)] und – Anklagepunkt IV: Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen [Art. II Nr. 1d)]. Die unter den Punkten I–III angeklagten Taten bewerteten die Strafverfolgungsbehörden als „Morde, Brutalitäten, Grausamkeiten, Folterungen, Gräueltaten, Plünderung von Privateigentum und andere unmenschliche Taten“.2 Jedem der Angeklagten wurden Verbrechen unter diesen drei Anklagepunkten vorgeworfen. Darüber hinaus trug die Prosecution vor, dass einige der Angeklagten gemäß Anklagepunkt IV Mitglieder in verbrecherischen Organisationen gewesen seien. Da die Nazis bereits seit Hitlers Machtergreifung systematisch Verbrechen gegen das Völkerrecht begangen hatten, war es von Relevanz, welchen Zeitraum die Anklage umfassen sollte. Unzweifelhaft konnten Straftaten nur dann als Kriegsverbrechen bewertet werden, wenn sie ab dem Überfall auf Polen, also dem 01.09.1939, begangen worden waren, da sie einen Zusammenhang mit dem Krieg voraussetzten.3 Ob insbesondere die VGM einen solchen Konnex voraussetzten, war umstritten.4 Die Frage stellte sich auch deshalb, da die Prosecution 1 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI Be50, Indictment, S. 1. Die Punkte waren vergleichbar mit der Anklage im Ärzte-Prozess. Taylor, Kriegsverbrechen, S. 62. 2 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50a, Anklage, S. 2. 3 Hierzu Kapitel 2 § 5 A. I. 2. 4 Vgl. oben Kapitel 2 § 5 A. I. 3.
§ 7 Die Anklage im Juristenprozess
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Beweismaterial aus den Vorkriegsjahren präsentieren konnte und derartige VGM hätte anklagen können.5 So mag es überraschen, dass die Prosecution die Frage der Justiziabilität von VGM, die vor dem Kriegsausbruch im September 1939 begangen worden waren, bewusst offen ließ und derartige strafrechtlich relevante Vorfälle aus den Vorjahren nicht extra anklagen wollte.6 Der Grund hierfür war, dass der größte Teil des Anklagematerials ohnehin die Zeit zwischen September 1939 und Mai 1945 behandelte.7 Andererseits war das Material aus den Vorkriegsjahren für die Beweisführung bedeutsam: erstens konnte belegt werden, dass die Angeklagten vor Beginn des Krieges eine Verschwörung bildeten, um die ihnen nach September 1939 zur Last gelegten Verbrechen zu begehen und zweitens behandelte es den subjektiven Tatbestand dieser Verbrechen.8 Fraglich war auch, ob innerdeutsche Taten, die an deutschen Staatsbürgern begangen worden waren, abgeurteilt werden sollten. Nachdem man im IMT-Verfahren derartige Verbrechen bewusst außen vor gelassen hatte, öffnete sich die amerikanische Prosecution behutsam9 der Idee, die Anklage entsprechend zu erweitern.10 Da eine Anklage gegen das deutsche Justizsystem zwangsläufig auch innerdeutsche Verbrechen betraf, anscheinend aber immer noch rechtliche Bedenken gegen eine alles umfassende strafrechtliche Bewertung existierten, wählte man einen Mittelweg und klagte ausschließlich besonders eklatante Verbrechen an deutschen Staatsangehörigen an, die einen systematischen Charakter aufwiesen.11
B. Struktur der Anklage Die Prosecution wies daraufhin, dass sich die Struktur der Anklageschrift in einigen Punkten von dem sonstigen Aufbau des Indictments12 unterscheiden sollte. Die Ausführungen bezogen sich nämlich auch auf andere als die angeklagten Personen und Tatkomplexe, um das Motiv der Angeklagten sowie die vollumfängliche Kenntnis der Angeklagten des Gesamtplans zu beweisen.13 Dafür wurde in einem ersten Schritt die Gesamtsituation bezüglich der vorgelegten Be-
5
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 3. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 3. 7 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 3. 8 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 3. 9 Müller, Furchtbare Juristen, S. 352, vermutet mangelndes „Interesse der Amerikaner“ und die Fraglichkeit einer Legitimationsgrundlage als Hindernis einer vollumfänglichen Anklage. 10 Vgl. Friedrich, Freispruch, S. 52. 11 Dazu sogleich. Vgl. auch Haensel, in: DRZ 1948, 40 (42). 12 Vgl. Kapitel 2 § 5 B. 13 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 87. 6
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Kap. 2: Der Juristenprozess
weise und der angeklagten Völkerrechtsverstöße skizziert und dann in einem zweiten Schritt die Beteiligung der Angeklagten daran dargelegt.14
C. Vorwürfe gegen die Angeklagten Dementsprechend wurden zunächst gegen die deutschen Juristen „allgemeine“ Themenkomplexe vorgebracht. Für jeden dieser Komplexe wurden die Hauptverantwortlichen benannt. Danach wurden in einer Art „Besonderem Teil“ Einzeltaten als Beweise für diese Themenkomplexe eingeführt.15 I. Conspiracy: Das gemeinsame Vorhaben und die Verschwörung (Anklagepunkt I) Die Prosecution warf den Angeklagten16 vor, dass bereits ihre irgendwie geartete Mitarbeit an der Perversion des Justizsystems zwischen Januar 1933 und April 1945 eine Verschwörung zur Begehung von Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen im Sinne des KRG10 dargestellt habe.17 Dadurch, dass jeder der Angeklagten aber letztlich auch an der Durchführung dieses gemeinsamen Vorhabens mitgewirkt habe, seien darüberhinaus eigenständige Kriegsverbrechen und VGM begangen worden.18 Verbrechen gegen den Frieden im Sinne des Art. II Nr. 1a) KRG10 wurden keinem der Angeklagten zur Last gelegt.19 Damit rechnete die Prosecution den Angeklagten im Rahmen dieser Verschwörung alle an Deutschen, Kriegsgefangenen und anderen begangenen Taten zu, unabhängig davon, ob sie durch die Angeklagten selbst oder durch Dritte begangen worden waren.20 Die Conspiracy bezog sich laut der Anklageschrift insbesondere auf zwei staatliche Bereiche, nämlich die deutsche Legislative und die Judikative. Die Legislative habe an der Ausarbeitung, Umsetzung und Anwendung von verbrecherischen Gesetzen mitgewirkt, die Judikative sei dagegen eine Kollaboration mit dem RSHA und seinen verbrecherischen Untergliederungen eingegangen.21 Das RMJ habe in beiden Fällen eine entscheidende Rolle gespielt, da es die Judikative, die Gefängnisse und die Justizverwaltung überwacht habe und darüber14 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 44. 15 An dieser Struktur orientierte sich später auch das Juristen-Urteil. Siehe Kapitel 3 § 14. 16 Auch andere, hier nicht angeklagte Personen seien beteiligt gewesen. 17 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 5. Vgl. auch die Ansprache Roosevelts abgedruckt bei Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 282. 18 Steiniger, in: ders./Leszczyn ´ ski (Hrsg.), S. 17. 19 Steiniger, in: ders./Leszczyn ´ ski (Hrsg.), S. 18. 20 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 5 f. 21 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 6.
§ 7 Die Anklage im Juristenprozess
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hinaus auch für die Gesetzgebung zuständig gewesen sei.22 Die Prosecution führte aus, wie sich die Situation der Justiz in Deutschland im Laufe der Jahre zunehmend zugespitzt hatte und sich die Justiz letztlich durch Rechtsbeugung23 und Scheinverfahren an den Kriegsverbrechen und den VGM beteiligt habe.24 Während der Föderalismus in Deutschland nach und nach abgeschafft wurde und die Verreichlichung der Verwaltung begonnen hatte, seien spezielle NS-Gerichte und -Gesetze als Waffen gegen politische und ideologische Feinde, unabhängig ihrer Staatszugehörigkeit, eingesetzt worden.25 Die Ankläger sahen das Justizsystem des „Dritten Reiches“ also als eine einzige, der NSDAP hörige Vollstreckungsmaschinerie. Während sich auf der einen Seite die Rechtsprechung immer weiter darauf ausgerichtet hätte, Personen unter dem Vorwand von Gerichtsverfahren auszuschalten, seien auf der anderen Seite die gerichtlichen Institutionen von den Nazi-Geheimdiensten überwacht worden, um auch den letzten Rest von Rechtsstaat und fairem Verfahren aus den Gerichtssälen zu vertreiben. Zu den neuen Gerichten zählte die Prosecution außerordentliche Sondergerichte, darunter den Volksgerichtshof und die Sondergerichte im eigentlichen Sinne.26 Der Volksgerichtshof sei erstinstanzlich für Hoch- und Landesverrat zuständig gewesen, wobei es keine Rechtsmittel gegen dessen Urteile gegeben habe.27 Ab 1939 habe der Volksgerichtshof zusätzlich die Gerichtsbarkeit über alle „angegliederten Länder“ und auch für Böhmen und Mähren ausgeübt.28 Seine Senate hätten sich aus „zuverlässigen NS-Juristen“ und Laien, die aus den Partei-, Polizei- oder Militärformationen bestanden hätten, zusammengesetzt, wobei die Laien eine Mehrheit gebildet hätten.29 Des Weiteren habe der Volksgerichtshof Hand in Hand mit der Gestapo zusammengearbeitet, wodurch er sich einen Namen als „Terror-Gerichtshof“ gemacht habe, der mit geheimen Prozessen, unmenschlichen Strafen und ohne „jede Spur eines gerichtlichen Verfahrens“ gegen seine Opfer vorgegangen sei.30 Ab 1933 sei pro OLG mindestens ein sogenanntes Sondergericht in Deutschland, den besetzten Ländern und Böhmen und Mähren, eingerichtet worden, obwohl derartige Gerichte in der Weimarer Republik noch verboten31 gewesen 22
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 6. Nach Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 25, wurde den NS-Richtern genau genommen keine „Rechtsbeugung“, sondern die Anwendung des NS-„Rechtes“ vorgeworfen, denn das NS-„Recht“ sei ex tunc nichtig gewesen. 24 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 6. 25 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 6 f. 26 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 6 f. 27 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 6 f. 28 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 7. 29 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 7 f. 30 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 8. 31 Vgl. hierzu unter Kapitel 1 § 2. 23
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Kap. 2: Der Juristenprozess
seien.32 Die Sondergerichte seien für politische Straftaten, Verstöße gegen das Heimtückegesetz und den Krieg betreffende Sachverhalte zuständig gewesen, oder wenn eine Tat gegen das „gesunde Volksempfinden“ verstoßen habe.33 Die Staatsanwälte hätten dabei nach ihrem Ermessen entsprechende Sachverhalte, auch wenn sie bereits an anderen Gerichten anhängig gewesen seien, an die Sondergerichte überweisen können.34 Den Richtern am Sondergericht habe ein ganzes Arsenal an drakonischen Sanktionen, unter anderem die Todesstrafe, zur Verfügung gestanden.35 Die Sondergerichte hätten auch gegen das Prinzip des gesetzlichen Richters und des Verbotes von Ausnahmegerichten, die in der Weimarer Verfassung und dem GVG festgelegt gewesen seien, verstoßen.36 Letztlich sei die Justiz komplett gesteuert worden.37 Politisch unzuverlässige oder nicht dem Rassenbild entsprechende Personen seien Opfer von faschistischen Säuberungsaktionen geworden. Das RMJ habe durch schriftliche Vorgaben38 Richter und Staatsanwälte direkt beeinflusst. Alle an den Gerichtsverfahren beteiligten Personen, einschließlich der Rechtsanwälte, seien von den Geheimdiensten Gestapo und SD beobachtet und auf ihre politische Einstellung hin überwacht worden. Damit habe es keinerlei Unabhängigkeit und Gleichheit vor dem Recht mehr gegeben.39 II. Kriegsverbrechen (Anklagepunkt II)40 Im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Kriegsjustiz hätten die Angeklagten vorsätzlich und in rechtswidriger Weise Kriegsverbrechen im Sinne des KRG10 begangen, indem sie gegen die HLKO (u. a. Art. 4, 5, 6, 7, 23, 43, 45, 46, 50), die GKK von 1929 (Art. 2, 3, 4), das Kriegsrecht und die Kriegsgebräuche, aber auch allgemeine Grundsätze des Strafrechts41 und Strafgesetze der Tatorte verstoßen hätten.42 In Bezug auf die Beteiligungsformen ging die Anklage davon aus, dass die Angeklagten „Haupttäter, Mittäter, Anstifter, Vorschubleistende43 waren, ihre Zustimmung gaben zu und in Verbindung standen mit Plänen und Unternehmungen, die das Begehen von Gräueltaten und Verbrechen gegen Personen und Eigentum einbegriffen, einschließ32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 7. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 7 f. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 7. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 7. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 7. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 8. Unter anderem die Richterbriefe, vgl. Kapitel 1 § 2 B. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 8. Vgl. auch Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 20 f. Vgl. Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 301 f. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI Be50, Indictment, S. 8 ff., 14.
§ 7 Die Anklage im Juristenprozess
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lich, aber nicht beschränkt auf Plünderungen von Privateigentum, Mord, Folterung und ungesetzliche Einkerkerung von und Brutalitäten, Gräueltaten, und andere unmenschliche Taten gegen Tausende von Personen.“44
Angeklagt wurden nur diejenigen Taten, die sich „gegen Zivilpersonen aus den besetzten Gebieten und Mitglieder von Nationen, die von dem Deutschen Reich in Ausübung seines Kontrollrechtes als kriegführende Macht in Haft gehalten waren“ richteten, auch wenn die begangenen über die hier angeklagten Taten hinausgegangen seien.45 1. Schreckensherrschaft Um den Widerstand politischer Gegner zu brechen, habe der NS-Staat erfolgreich eine „Schreckensherrschaft“ 46 geführt, für welche er insbesondere den Volksgerichtshof und die Sondergerichte eingeführt und gegen die Zivilbevölkerung der besetzten Länder eingesetzt habe.47 Die Nazis hätten die Zivil- und Strafprozesse zu ihren Zwecken missbraucht und dafür jegliche rechtsstaatliche Grundsätze ignoriert.48 Es sei gegen den „ne bis in idem“-Grundsatz49 verstoßen worden; Beamte hätten ihre Befugnisse missbraucht, Richter und Staatsanwälte sich vor den Urteilen abgesprochen; die Todesstrafe sei unbegründet ausgesprochen worden; Angeklagte seien „Sonderbehandlungen“ ausgesetzt gewesen und auf sonstige Weise misshandelt, getötet und beraubt worden.50 Die Opfer der Sondergerichte seien tausende Juden und Osteuropäer gewesen, die als „Zigeuner“ oder „asozial“ bezeichnet und gegen die nach diskriminierenden Sondergesetzen verhandelt worden sei.51 Konspiratives Zusammenarbeiten von Justizministerium und RSHA habe zur Folge gehabt, dass Gefangene während und nach dem Strafvollzug der SS und Gestapo unter dem Begriff der „Schutzhaft“ zur Vernichtung durch Arbeit überstellt worden seien, was für jüdische Gefangene eine bis zum Ende des Krieges oder ihrem Tode dauernde Internierung in den KZs bedeutet habe.52
43 „Vorschub leisten“ bedeutete in diesem Sinne Anstiftung oder Beihilfe „vor der Tat“. Jung, Rechtsprobleme, S. 48; Kraus, KRG10, S. 97. 44 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 9. 45 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 9. 46 Im Original „reign of terror“, StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI Be50, Indictment, S. 8. 47 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 9. 48 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 9. 49 Vgl. heute Art. 103 Abs. 3 GG, sowie Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 103 Abs. 3 Rn. 257 ff. 50 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 9. 51 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 10. 52 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 10.
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Kap. 2: Der Juristenprozess
In besonderem Maße Verantwortung für diese Maßnahmen hätten v. Ammon, Engert, Klemm, Schlegelberger, Mettgenberg, Rothenberger und Westphal getragen.53 2. Gesetz als Waffe Das Justizministerium habe die Strafgesetze aktiv manipuliert, um politische und ideologische Feinde in den besetzten Gebieten zu vernichten. Unter dem Begriff des „Hochverrats“ habe man bereits Bagatellen oder das Zweifeln am Endsieg angeklagt, wobei die Todesstrafe inflationär ausgesprochen worden sei.54 Die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts sei extensiv auf alle besetzten Länder ausgedehnt worden; auch vor Angehörigen fremder Staaten habe man keinen Halt gemacht.55 An diesem Komplex seien insbesondere Barnickel, Cuhorst, Klemm, Lautz, Mettgenberg, Nebelung, Oeschey, Petersen, Rothaug, Rothenberger, Schlegelberger und Westphal beteiligt gewesen.56 3. Annexion und Besetzung Die Angeklagten Klemm, Lautz, Mettgenberg, Schlegelberger und Westphal seien darüber hinaus durch ihr justizielles Wirken an der „ungesetzlichen Annexion und Besetzung der Tschechoslowakei, Polens und Frankreichs“ beteiligt gewesen.57 Auch hier seien entsprechende Sondergerichte eingesetzten worden, die lediglich auf die Todesstrafe oder Überstellung an die SS erkannt hätten.58 Hierdurch seien tausende Menschen getötet, gefoltert und der Freiheit beraubt worden, denn das herangezogene materielle und prozessuale Recht habe nicht nur gegen Völkerrecht, sondern sogar gegen das deutsche Recht verstoßen.59 4. Nacht-und-Nebel-Erlass Ein weiterer Vorwurf betraf Hitlers sogenannten NN-Erlass60, der einen Hauptteil des Beweismaterials der Anklagebehörde betraf 61. Das OKW und die Gestapo hätten Zivilpersonen, die für Widerstandskämpfer gehalten wurden, aus den besetzten Gebieten entführt und nach Deutschland verbracht, wo sie dann vor durch das RMJ eingesetzten, geheim tagenden Gerichten abgeurteilt worden 53
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI Be50, Indictment, S. 9. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 10. 55 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 10. 56 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 11. 57 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 10. 58 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 10. 59 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 11. 60 Einen sehr umfassenden Eindruck bietet Bakels, Nacht und Nebel. 61 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, Anhang V, S. 1. 54
§ 7 Die Anklage im Juristenprozess
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seien.62 Jegliche Auskunft über den Verbleib der Betroffenen sei unterdrückt worden, um einerseits deren Angehörige und Freunde krank vor Sorge, andererseits um den Inhaftierten die Prozessführung so schwierig wie möglich zu machen, indem z. B. Beweismittel vorenthalten worden seien.63 Doch auch wenn die Betroffenen frei gesprochen worden seien oder ihre Strafe bereits abgegolten gewesen wäre, habe man die Opfer der Gestapo übergeben, die sie dann bis zum Ende des Krieges in „Schutzhaft“ nehmen sollte.64 Altstötter, v. Ammon, Engert, Joël, Klemm, Mettgenberg und Schlegelberger seien hierfür zur Rechenschaft zu ziehen.65 5. Behandlung in den Gefängnissen Der nächste Komplex betraf die Behandlung von nichtdeutschen Gefangenen in Gefängnissen. Diese habe sich in vielen Fällen nicht von der Behandlung in einem KZ unterschieden.66 So seien beispielsweise Personen hingerichtet worden, gegen die kein Todesurteil ergangen oder über deren Gnadengesuch noch nicht entschieden worden sei.67 Insbesondere habe das Justizministerium in den letzten Kriegstagen angeordnet „minderwertige“ und „asoziale“ Häftlinge zu töten – unabhängig von ihrem Schuldspruch.68 Die Verantwortung für diesen Komplex liege bei Engert, Joël, Klemm, Lautz, Mettgenberg, Rothenberger und Westphal.69 6. Rassenreinheitsprogramm und Eugenik Im Rahmen des sogenannten „Rassenreinheitsprogrammes“ seien Sterilisations- und Kastrationsgesetze tausendfach gegen Juden, „Asoziale“ und andere Minderheiten eingesetzt worden, um ihre Fortpflanzung zu verhindern.70 Gleichzeitig seien „unnütze Esser“, also unter anderem Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung sowie Greise getötet worden.71 Lautz, Schlegelberger und Westphal seien hierfür verantwortlich72 und hätten auch an den Taten teilgenommen.73 62
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 11. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 11 f. 64 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 12. 65 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 12. 66 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 12. 67 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 12. 68 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 12. 69 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 12. 70 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 12. 71 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 12. 72 Der Begriff der „Verantwortlichkeit“ wurde in den NMT-Verfahren nicht einheitlich verwendet. Er kann sich einerseits auf die Kausalität, andererseits auf die Schuldebene beziehen. Vgl. Jung, Rechtsprobleme, S. 49 m.w. N. 73 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 12 f. 63
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Kap. 2: Der Juristenprozess
7. Straffreiheit und Straferlass für Verbrechen an Einwohnern der besetzten Gebiete Das Justizministerium habe sich für Straffreiheit und Straferlass von Angehörigen der NSDAP eingesetzt, wenn jene Straftaten an der Zivilbevölkerung der unterjochten Länder begangen hätten, auch wenn ihre Schuld bewiesen gewesen sei.74 Dies sei v. Ammon, Joël, Klemm, Rothenberger und Schlegelberger vorzuwerfen.75 8. „Rechtsungleiche Bestimmungen“ Personen, die von dem Rassendenken des NS-Staats als minderwertig angesehen worden seien („Asoziale“)76, seien unter Sonderstrafgesetze gefallen, die einerseits härtere Strafen (Todesstrafe selbst für Vergehen), andererseits eine Verschärfung des Prozessrechtes, also unter anderem einen Wegfall oder eine Einschränkung von Rechtsmitteln, Verteidigung oder einem Anspruch auf Begnadigung, bewirkt hätten.77 Jüdische Angeklagte seien an die Gestapo zur „Sonderbehandlung“ überstellt worden.78 Verantwortlich im Sinne der Anklageschrift waren v. Ammon, Joël, Klemm, Rothenberger und Schlegelberger, die sich auch an diesen Taten beteiligt hätten.79 9. Antisemitische Gesetze Es seien spezielle Gesetze erlassen worden, die Juden an verschiedenen Stellen diskriminiert hätten. Juden in Böhmen und Mähren, die den Wohnsitz „gewechselt“ hätten, auch wenn dies aufgrund von Deportation geschehen sei, hätten qua Gesetz ihre Staatsbürgerschaft verloren.80 Der Verlust der Staatsbürgerschaft wiederum habe dazu geführt, dass das Vermögen an das Deutsche Reich verfallen sei.81 Weiterhin sei das Familien- und Erbrecht entsprechend modifiziert worden, sodass beim Tod eines Juden das Erbe automatisch und ohne Ausgleichsansprüche dem Deutschen Reich zugefallen sei.82 Diese Gesetze fielen in die Sphäre von Altstötter und Schlegelberger.83
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StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 13. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 13. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 13. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 13. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 13. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 13. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 13. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 13. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 13. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 13.
§ 7 Die Anklage im Juristenprozess
143
10. Lynchjustiz Klemm und Lautz hätten an der Tötung abgestürzter alliierter Kampfpiloten mitgewirkt, indem sie die Strafverfolgung gegen die daran beteiligte deutsche Bevölkerung behindert oder eingestellt hätten („Aussetzung und Niederschlagung von Strafverfahren“).84 III. Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Anklagepunkt III) Die unter den Kriegsverbrechen aufgelisteten Taten der Angeklagten, die zwischen September 1939 und April 1945 begangen worden waren, wertete die Prosecution ebenfalls als VGM im Sinne des Art. II KRG10, wenn sich die Tathandlungen speziell gegen die deutsche Zivilbevölkerung oder Staatenlose gerichtet hatten.85 Die Angeklagten hätten „auf ungesetzliche Weise, vorsätzlich und wissentlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit [. . .] [begangen], indem sie Haupttäter, Mittäter, Anstifter, Vorschubleistende waren, ihre Zustimmung gaben zu und in Verbindung standen mit Planung und Unternehmungen, die die Ausübung von Grausamkeiten und Straftaten betrafen, einschließlich, aber nicht begrenzt auf: Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation, ungesetzliche Einkerkerung, Folterung, Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen und Misshandlung und andere unmenschliche Akte gegen deutsche Zivilpersonen und Staatsangehörige besetzter Gebiete“.86 „Die erwähnten Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellen Verletzungen internationaler Abmachungen dar, einschließlich Artikel 46 der Haager Bestimmungen vom Jahre 1907, des Kriegsrechts und der Kriegsgebräuche, der allgemeinen Grundsätze des Strafrechts, wie sie aus den Strafgesetzen aller Kulturnationen hervorgehen, der internen Strafgesetze der Länder, in denen solche Verbrechen begangen wurden und des Artikels II des Kontrollratsgesetzes Nr. 10.“ 87
84
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 13. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 15 ff. Vgl. auch Taylor, Kriegsverbrechen, S. 62 f., Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 297. Bezüglich des Punktes „Eugenik“ wurde nun auch explizit auf die Erbgesundheitsgerichte Bezug genommen, die das Recht bewusst „verdreht“ hätten, StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 17. Bezüglich des Tatkomplexes der Einrichtung von Sondergerichten (siehe oben unter „Schreckensherrschaft“) wurde bei den VGM Schlegelberger keine besondere Verantwortlichkeit vorgeworfen, wie dies noch bei den Kriegsverbrechen der Fall gewesen war. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 16. Ob dies ein Versehen oder Absicht gewesen ist, kann nach derzeitigem Kenntnisstand nicht beantwortet werden. 86 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 15. 87 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 18. 85
144
Kap. 2: Der Juristenprozess
IV. Mitgliedschaft in einer „verbrecherischen Organisation“ (Anklagepunkt IV) Der letzte Tatvorwurf betraf die Mitgliedschaft einiger Angeklagter in Organisationen, die das IMT im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher für verbrecherisch erklärt hatte.88 Abgestellt wurde, wie bei den übrigen Anklagepunkten auch, auf eine Mitgliedschaft nach dem 01.09.1939.89 Altstötter, Cuhorst, Engert und Joël wurde der Vorwurf gemacht, Mitglied der SS, Joël zusätzlich des SD gewesen zu sein.90 Cuhorst, Oeschey, Nebelung und Rothaug wurde die Mitgliedschaft im Führerkorps auf der Gauleitungsstufe zur Last gelegt.91
D. Antrag der Verteidigung bezüglich Anklageschrift Kößl legte am 07.02.1947 bei der Prosecution schriftliche Beschwerde gegen Rothaugs Anklage ein, da sie die Anklagepunkte nicht „clearly and in sufficient detail to inform the defendant of the punishable action that he will be burdened with“ wiedergebe und dies einen Verstoß gegen Art. IV a) VO7 darstelle.92 Deshalb forderte Kößl alle Dokumente, insbesondere Affidavits und Verhörprotokolle, die bei früheren Verhören von Rothaug gemacht worden waren und auf denen die Anklage basiert habe, heraus.93 Am 20.02.1947 antwortete die Prosecution, dass sie die Affidavits und Verhörprotokolle nicht herausgeben werde.94 Zum einen sei der Antrag auf Herausgabe verfrüht, da man noch gar nicht darüber entschieden habe, die entsprechenden Affidavits als Beweise in den Prozess einzuführen. Zum anderen seien die Verhöre keine Beweismittel im Sinne des Prozessrechts, die herausgegeben werden müssten. Sie dienten nur dem internen Gebrauch der Prosecution um zu entscheiden, ob Anklage erhoben werden solle oder nicht. Nichtsdestotrotz würden die Affidavits im Hauptprozess zugänglich
88
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI Be50, Indictment, S. 18. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI Be50, Indictment, S. 18; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 19. 90 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B50, Anklage, S. 19; Safferling/Luber, in: JA 2017, 881 (883). 91 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI Be50, Indictment, S. 18; US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 26. Unzutreffend ist daher die Aussage Wilkes, in: Priemel/ Stiller (Hrsg.), S. 293, dass „sieben der Angeklagten ihre Mitgliedschaft in der SS [. . .] vorgeworfen“ wurde. 92 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 1, 03.03.1947, S. 1. 93 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 1, 03.03.1947, S. 1. 94 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 1, 03.03.1947, S. 1. 89
§ 7 Die Anklage im Juristenprozess
145
gemacht werden. Bezüglich der Rüge, dass die Anklage zu unpräzise formuliert worden wäre, schwieg die Prosecution.95 Die Verteidiger Schilf und Dötzer vertraten eine ähnliche Auffassung für ihre Mandanten Klemm, Mettgenberg und Nebelung.96 Schilf stellte zwar keinen formellen Antrag, erhielt aber im Gegensatz zu Kößl eine inhaltliche Antwort der Prosecution: Die Anklage sei in diesem Stadium des Verfahrens ausreichend präzise, alle weiteren Informationen und Dokumente werde man während des Verfahrens vortragen. Auch Dötzer erhielt eine entsprechende Antwort.97 Diese Strategie der Verteidigung, die Anklageschrift wegen mangelnder Bestimmtheit anzugreifen, war jedenfalls nicht neu, sondern wurde auch – erfolglos – in anderen NMT-Verfahren verfolgt.98 Damit blieb das Vorgehen der Verteidiger im Juristenprozess dieser Linie treu. Auch hier führte sie letztlich aber zu keinem Erfolg.
E. Zusammenfassung und Stellungnahme Die Prosecution warf den Angeklagten also vor, an der Etablierung eines Terror-Justizsystems mitgewirkt zu haben, durch welches tausende Menschen widerrechtlich getötet und eingekerkert worden waren. Ohne Unterschied klagte die Prosecution die Planer und die Vollstrecker der Tötungsmaschinerie an. Bereits der Zusammenschluss der deutschen Juristen zu diesem Zwecke stelle eine Verschwörung zur Begehung von Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen dar, die konkreten Tatbeiträge seien darüber hinaus eigenständige Kriegsverbrechen und VGM. Ob es sich bei den Opfern um deutsche oder fremdstaatliche Zivilisten handelte, war für die Prosecution ebenfalls irrelevant. Manche der Angeklagten seien zusätzlich Mitglieder verbrecherischer Organisationen gewesen. Die Anklageschrift gab also eine erste Orientierung bezüglich der den Angeklagten vorgeworfenen Tatkomplexe. Tatsächlich waren die Vorwürfe sehr allgemein gehalten. So wurden im Indictment keine Namen von Opfern oder konkrete Tatorte genannt, was die Verteidigung – aus deutscher Sicht – berechtigterweise, aber erfolglos, kritisierte. Nähere Ausführungen sollten erst bei der Verlesung der Eröffnungserklärung durch die Prosecution erfolgen. Allerdings hatte das Verfahren zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen, wodurch den Verteidigern eine effektive Verteidigung erschwert werden sollte. 95
StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 1, 03.03.1947,
S. 1. 96
StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 1, 03.03.1947,
S. 2. 97
StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 1, 03.03.1947,
S. 2. 98 Vgl. zum Flick-Prozess Jung, Rechtsprobleme, S. 44 f. Fn. 234; zum Krupp-Prozess v. Wilmowsky, Krupp, S. 53 ff.
Kapitel 3
Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil § 8 Eröffnungserklärung der Prosecution Am 05.03.1947 gab die Prosecution ihre Eröffnungserklärung ab. Das Gericht hatte den Anklagevertretern dafür lediglich einen Tag Zeit eingeräumt.1 Die Erklärung wurde arbeitsteilig2 von Taylor, LaFollette, King und Wooleyhan verlesen, wobei Taylor den Anfang und den Schluss der Erklärung übernahm.3
A. Bedeutung und Zweck des Verfahrens Die Prosecution erläuterte zunächst die Bedeutung des Verfahrens: „Wenn wir uns in die Verbrechen vertiefen, die in dieser Anklageschrift angeführt werden, treten zwei Umstände hervor. Erstens, die teuflische Neuerung die der Gebrauch des Gerichtssystems einer Nation und seiner Organisation durch die Regierungsgewalt dieses Volkes als Waffe der Vernichtung darstellt, als Instrument für Mord, Menschenraub, Sklaverei, Folterung, Brutalität und Diebstahl. Zweitens, der Massencharakter und darum die Ruchlosigkeit der Verbrechen, die die Angeklagten mit Hilfe dieser neuen Waffe begangen haben – diesem Henkersbeil, aus den Waagschalen der Justitia geschmiedet in einer von völkischer Habgier und rassischer Engstirnigkeit und Hass geschürten Schmiede, von einer wohlgezielten Propaganda angefacht und von berechneten Schlägen einer vorsätzlich niederträchtigen Gesetzgebung und gelenkten und beherrschten Gerichtshöfen geformt im vorsätzlichen Bestreben, die Hilfen die Angeklagten gemeinhin in den Gerichtshöfen zivilisierter Völker zur Verfügung stehen, unwirksam zu machen oder vollständig auszuschalten.“ 4
Es ging der Prosecution also darum, dem zur Waffe pervertierten Rechtswesen Deutschlands als solchem den Prozess zu machen und es zur Verantwortung zu ziehen.5 Die Prosecution betonte, dass der Prozess insofern einzigartig war, als die Angeklagten Verbrechen „im Namen des Gesetzes begangen“ hatten.6 Die 1
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A1-3, S. 30. Vgl. dazu StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A1-3, S. 30 f., 80. 3 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage; Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 31 ff.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A1-3, S. 80, 120. 4 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 35. 5 Vgl. Steiniger, in: ders./Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 22; Kraus, KRG10, S. 140. 6 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 1. 2
§ 8 Eröffnungserklärung der Prosecution
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Errichtung von justiziellen Strukturen habe im „Dritten Reich“ dem einzigen Ziel gegolten, „die unglücklichen Opfer zu verspotten“.7 Die Opfer dieses Justizunrechtes seien damit nicht nur die zu Unrecht getöteten und inhaftierten Personen, sondern Deutschland in seiner Gesamtheit gewesen.8 Der Zweck des Juristenprozesses9 war nach Taylor vielmehr „als bloße Übung[. . .] von Vergeltung an Wenigen für den Tod und die Leiden von vielen Tausenden“.10 Es ging Taylor insbesondere darum, den metaphorischen „Tempel der Gerechtigkeit“, den Deutschland vor der Machtergreifung durch die Nazis verkörpert habe, wieder neu zu „weihen“.11 Taylor räumte ein, dass dies kein leichtes Unterfangen sei und die Strafverfahren in Nürnberg alleine zur Erreichung dieses Ziels wohl auch nicht ausreichen würden.12 Dennoch sei die Bestrafung der hier Angeklagten ein erster Schritt in die richtige Richtung.13 Denn die einzig richtige, aber auch notwendige Maßnahme sei es, die Angeklagten im Rahmen eines Gerichtsverfahrens zu verurteilen, wohlwissend, dass Angeklagten in einem Gerichtsverfahren unter dem NS-Regime selbst jegliches rechtsstaatliche Verfahren verwehrt worden sei.14
B. Probleme des Juristenprozesses Sodann ging die Prosecution auf die Kernprobleme des Juristenprozesses ein.15 Dazu gehörten die Umstände, dass man über ein fremdes Justizsystem urteilen musste, und dass die richterliche Entscheidungsfindung stets unabhängig bleiben und damit gerade frei von einer Beeinflussung von außen sein sollte. Um sich mit dem deutschen Rechtssystem befassen zu können, hatte die Prosecution Informationen über das deutsche Justizwesen, die deutsche Armee und die SS, sowie ein Glossar mit wichtigen Begriffen zusammenstellen lassen, die den Verfahrens7 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 2. 8 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 4. 9 Vgl. für die anderen Verfahren auch Heinze/Schilling, Rechtsprechung, S. 1 ff. 10 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 4. 11 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 4 f. 12 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 4. 13 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 4. 14 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 4 f.; vgl. auch Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 12; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 71. 15 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 33 ff.
148
Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
beteiligten in Englisch und Deutsch vorab zur Verfügung gestellt16 und in der Eröffnungserklärung erläutert wurden. Enthalten war auch ein Schaubild, welches – von Schlegelberger beglaubigt – als Beweisstück vorgelegt worden war17 und die Stellung der Angeklagten im Justizsystem verdeutlichte.18 Ein weiteres Problem des Verfahrens behandelte die Frage, inwieweit die richterliche Tätigkeit per se ein Verbrechen darstellen kann. Damit wollte sich die Prosecution aber nicht auseinandersetzen: Da die Angeklagten ihr Amt bewusst missbraucht hätten, um Verstöße gegen das Völkerrecht zu begehen, könne dieser Einwand keine Rolle spielen.19 Diese lapidare Verneinung eines Verteidigungseinwandes ist jedoch äußerst unbefriedigend. Da auch nach deutschem Recht eine Rechtsbeugung gemäß § 336 RStGB strafbar war, hätte die Prosecution bereits an dieser Stelle Farbe bekennen und den deutschen Juristen die Rechtswidrigkeit ihres Handelns vor Augen führen können. Ein derartiges Vorgehen hätte das Vorhaben Taylors, den „Tempel der Gerechtigkeit“ in Deutschland wieder vorzeigetauglich zu machen, in ein positives Licht gerückt.
C. Änderungen unter dem Nationalsozialismus Die Prosecution setzte sich zunächst mit den Rahmenbedingungen der Justiz im „Dritten Reich“ auseinander. Sie hob die Rechtsstaatlichkeit des Justizsystems und der Jurisprudenz der Weimarer Republik inklusive ihrer Bürgerrechte hervor.20 Danach folgten Ausführungen zum Ermächtigungsgesetz von 1933 und den daraus resultierenden Folgen für die Bürgerrechte, die Weimarer Verfassung und die Verreichlichung der Justiz.21 I. RMJ Das Justizministerium, das Hitler direkt unterstellt gewesen war22, sei ein wichtiges Machtzentrum des Nationalsozialismus gewesen. Denn es überwachte 16 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B51, Informationen über die Grundzüge des deutschen Justizwesens, 03.03.1947. 17 Zu den Einwänden vgl. StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 3, 06.03.1947, S. 1. 18 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A1-3, S. 164 ff. 19 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 3; Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 32; vgl. auch Steiniger, in: ders./ Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 14. 20 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 34 ff. Vgl. auch Safferling, in: 1. Rosenburg-Symposium, S. 18. 21 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 35 f. Vgl. auch die Abbildungen im Anhang 3. 22 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B51, Informationen über die Grundzüge des deutschen Justizwesens, 03.03.1947, S. 2.
§ 8 Eröffnungserklärung der Prosecution
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z. B. alle Gerichte von den AG über die Sondergerichte bis zum Reichsgericht und war für die Ernennung und Beförderung von Richtern zuständig.23 Darüber hinaus sei es ein Dreh- und Angelpunkt gewesen, sieben der Angeklagten seien dort beschäftigt gewesen, weitere hätten regelmäßig zu diesem Kontakt gehabt.24 Franz Gürtner sei von 1933 bis zu seinem Tode im Januar 1941 Justizminister gewesen. Schlegelberger und Freisler hätten unter Gürtner die höchsten Ämter, nämlich als Staatssekretäre, innegehabt. Nach Gürtners Tod habe Schlegelberger das Justizministerium bis August 1942 kommissarisch geleitet. Im August 1942 sei Schlegelberger pensioniert, Thierack, der vormalige Präsident des Volksgerichtshofs, neuer Justizminister geworden und Freisler habe Thieracks vorheriges Amt als Präsident des Volksgerichtshofes übernommen. Thierack habe von da an nur noch einen Staatssekretär beschäftigt, zunächst den Angeklagten Rothenberger, der jedoch im Januar 1944 „in den Ruhestand versetzt“ 25 und dann vom Angeklagten Klemm ersetzt worden sei. Klemm sei gleichzeitig auch Chef der Abteilung II gewesen, die sich mit der juristischen Aus- und Fortbildung beschäftigt habe.26 V. Ammon, Mettgenberg, Joël und Westphal seien Beamte der Abteilungen III und IV gewesen und hätten sich dort mit Strafgesetzgebung, -verfahrensrecht und -verfolgung beschäftigt.27 Altstötter sei Chef der Abteilung VI gewesen, deren Zuständigkeit das Zivilrecht und -prozessrecht betroffen habe. Engert habe nach seiner Zeit beim Volksgerichtshof als Leiter bei der Abteilung V (Strafanstalten) und der Abteilung XV (geheime Überstellung von Gefangenen an die Gestapo) gearbeitet, wobei letztere Abteilung nur von 1942 bis 1944 bestanden habe.28 II. Gerichte In den Anfangsjahren des Hitler-Regimes hatte es zunächst keine grundlegenden Änderungen des Instanzenzuges (AG, LG, OLG, Reichsgericht) gegeben, dafür wurden aber außerordentliche Gerichte eingeführt, deren Zuständigkeit nach und nach erweitert wurde.29 Die ersten grundlegenden Änderungen erfolgten mit Beginn des Krieges, um Personal einzusparen, die Verfahren zu entschlacken und 23 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 37; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 9. 24 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 36 f. 25 Vgl. Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 36. 26 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 8. 27 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 8; US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 217, 1135. 28 Nach der deutschen Fassung der Eröffnungserklärung sei die Abteilung erst 1943 gegründet worden. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 8. 29 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 37; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 9.
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
diese zu beschleunigen.30 Dazu reduzierte man einerseits die Anzahl der für einen Prozess vorgeschriebenen Richter, andererseits wurde die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, begrenzt. Die Funktion der OLG wurde auf Aufgaben der Justizverwaltung beschränkt.31 Die Prosecution betonte, dass außerordentliche Gerichte für politisches Strafrecht und Straftaten in Zusammenhang mit dem Krieg zuständig wurden.32 Der Anwendungsbereich politischer Straftaten sei kontinuierlich erweitert worden, beispielsweise durch Ausdehnung des Tatbestandes des Hochverrates und der Zuständigkeit von Sondergerichten und dem Volksgerichtshof auf die Wehrfähigkeit Deutschlands betreffende Sachverhalte.33 1. Sondergerichte Mit Verordnung vom 21.03.1933 sei an jedem OLG-Bezirk ein Sondergericht gebildet worden, an welchen je drei Richter tätig gewesen seien.34 Ihre Zuständigkeit habe die in der „Notverordnung“ vom 28.02.1933 aufgeführten Straftaten betroffen.35 Darüberhinaus sei das Prozessrecht vor den Sondergerichten angepasst worden, um die beabsichtigte schnelle Verurteilung der Angeklagten zu erreichen; unter anderem sei das Berufungsverfahren ganz abgeschafft worden.36 Die Angeklagten Rothaug, Cuhorst und Oeschey seien jeweils Vorsitzende von Sondergerichten gewesen: Cuhorst des Sondergerichts Stuttgart, Rothaug und Oeschey des Sondergerichts Nürnberg, wobei Oeschey Rothaugs Nachfolger geworden sei, als jener als Reichsanwalt nach Berlin berufen worden sei.37 2. Militärgerichte und Erbgesundheitsgerichte Obwohl sie nach der Weimarer Verfassung verboten gewesen seien38, seien für die Straftaten von Angehörigen der Streitkräfte besondere Militärgerichte ge30 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 37; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 9. 31 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 37 f.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 10. 32 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 10. 33 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 11. 34 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 10. 35 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 10. 36 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 10. 37 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 12.
§ 8 Eröffnungserklärung der Prosecution
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schaffen worden.39 Außerdem seien ab Juli 1933 sogenannte Erbgesundheitsgerichte an den AG ins Leben gerufen worden, die über Sterilisationen zu entscheiden gehabt hätten.40 Die Entscheidungen der Erbgesundheitsgerichte seien durch Berufung bei den Obergesundheitsgerichten überprüfbar gewesen.41 3. Volksgerichtshof Aus Protest gegen die Entscheidung des Reichsgerichts im sogenannten Reichstagsbrandprozess sei mit Verordnung vom 24.04.193442 der Volksgerichtshof ins Leben gerufen worden.43 Der Volksgerichtshof sei von da an anstatt des Reichsgerichts erst- und letztinstanzlich für Hochverrat zuständig gewesen.44 Seine sechs Kammern bzw. Senate, die für unterschiedliche Landesteile Deutschlands zuständig gewesen seien, hätten aus je fünf Personen bestanden, wovon zwei Berufsrichter, die übrigen Laienrichter aus den Reihen der Wehrmacht, der SS und der Partei, also „vertrauenswürdig“, gewesen seien.45 Die Laienrichter seien vom RMJ vorgeschlagen und dann von Hitler auf die Dauer von fünf Jahren ernannt worden.46 Zuständig für die Anklage vor dem Volksgerichtshof, den Sondergerichten und den ordentlichen Gerichten sei der Oberreichsanwalt gewesen.47 Lautz sei Oberreichsanwalt, Barnickel und Rothaug seien Reichsanwälte gewesen.48 Ab 1940 habe der Oberreichsanwalt Fälle vor einem „Sondersenat“ des Volksgerichtshofs neu verhandeln lassen können, wenn das Strafmaß in sei38 Vgl. Art. 105 WRV und StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 17. 39 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 10. 40 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 10 f. 41 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 10a. 42 Im Text „1943“. 43 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 10a. 44 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 10a f.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B51, Informationen über die Grundzüge des deutschen Justizwesens, 03.03.1947, S. 3. 45 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 11; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B51, Informationen über die Grundzüge des deutschen Justizwesens, 03.03.1947, S. 4; vgl. auch Meyer, in: Hillermeier (Hrsg.), Todesurteile, S. 123. 46 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 11. 47 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B51, Informationen über die Grundzüge des deutschen Justizwesens, 03.03.1947, S. 5. 48 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B51, Informationen über die Grundzüge des deutschen Justizwesens, 03.03.1947, S. 5.
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
nen Augen unangemessen gewesen sei.49 Präsident des Volksgerichtshofs sei zunächst Thierack gewesen, bevor dieser Reichsjustizminister geworden sei, später dann Freisler, der den Posten bis zu seinem Tode innegehabt habe.50 Engert sei vor seiner Zeit im Justizministerium, nämlich bis 1942, Vizepräsident des Volksgerichtshofs gewesen.51 Nebelung sei Vorsitzender des 4. Senates, Petersen – als einziger angeklagter Nichtjurist52 – Laienrichter am 1. Senat und am Sondersenat gewesen.53 4. Standgerichte Mit Verordnung vom Februar 1945 seien in den letzten zehn Wochen des Krieges im unmittelbaren Kampfgebiet Standgerichte eingesetzt worden.54 Diese hätten aus drei Personen (ein Berufsrichter, ein Beisitzer aus den Reihen der NSDAP und ein Beisitzer aus der Wehrmacht oder SS) bestanden, welche „vom Reichsverteidigungskommissar (im Allgemeinen der Gauleiter) des Bezirks“ ernannt worden seien.55 Die Zuständigkeit habe „für alle Verbrechen, durch die die deutsche Kampfkraft oder Kampfentschlossenheit gefährdet“ worden sei, bestanden und der mögliche Urteilstenor habe sich auf Todesstrafe, Freispruch oder Verweisung an ein ordentliches Gericht beschränkt.56 Oeschey sei Vorsitzender des zivilen Standgerichts in Nürnberg gewesen.57 III. Staatsanwälte Auffällig sei unter dem NS-Regime gewesen, dass es einen regen „Personaltausch unter Richtern und Staatsanwälten“ gegeben habe.58 Rothaug sei vom
49 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, S. 11. 50 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, S. 12. 51 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, S. 12. 52 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 39. 53 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, S. 12. 54 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, S. 11, 31. 55 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, S. 11. 56 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, S. 11, 31. 57 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, S. 12. 58 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, S. 12.
Eröffnungserklärung Anklage, Eröffnungserklärung Anklage, Eröffnungserklärung Anklage,
Eröffnungserklärung Anklage, Eröffnungserklärung Anklage, Eröffnungserklärung Anklage, Eröffnungserklärung Anklage, Eröffnungserklärung Anklage, Eröffnungserklärung Anklage,
§ 8 Eröffnungserklärung der Prosecution
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Richter am Sondergericht zur Reichsanwaltschaft berufen worden.59 Joël habe bis 1943 im RMJ und dann als Generalstaatsanwalt beim OLG Westfalen in Hamm gearbeitet.60 Lautz sei Oberreichsanwalt und somit oftmals Ankläger am Volksgerichtshof gewesen.61
D. Ausführungen zu den Anklagepunkten Nach dieser Einführung widmete sich die Prosecution den einzelnen im Indictment aufgeführten Anklagepunkten. I. „Die Vernichtung von Recht und Gerechtigkeit in Deutschland (Anklagepunkt 1)“ 62 Die Ausführungen zur Conspiracy begannen mit der Behandlung der Frage, warum Juristen in einer Diktatur, in der die Regierung jedes beliebige Gesetz hatte erlassen können und die darüberhinaus noch durch einen Polizeiapparat geschützt gewesen war, überhaupt gebraucht wurden:63 Man habe die Justiz zunächst nicht abschaffen können, da Deutschland nach der Machtergreifung noch nicht völlig der Ideologie Hitlers verfallen gewesen sei, sodass Widerstand, insbesondere von Seiten der Justiz, nicht habe ausgeschlossen werden können.64 Andererseits hätten sich die NS-Ideologie und ein an Recht und Gesetz orientiertes System kategorisch ausgeschlossen, insbesondere habe es auch kein eigenes „nationalsozialistisches Rechtssystem“ gegeben.65 Diesen Zwist stellte die Prosecution anhand eines Beispiels dar: „Sogar unter einer streng anti-jüdischen Gesetzgebung mussten zwangsweise Situationen entstehen, wo ein zu habgieriger Deutscher in einem Zivilprozess oder ein übereifriger Polizeibeamter in einem Strafverfahren einen Juden irrtümlicherweise vor Gericht geschleppt hätte. Mit anderen Worten, sogar unter der NS-Gesetzgebung mussten Fälle eintreten, wo der Jude gesetzlich in seinem Rechte war. Es war jedoch 59 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 12. 60 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 40; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 12; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B51, Informationen über die Grundzüge des deutschen Justizwesens, 03.03.1947, S. 5. 61 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 12. 62 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 13 Überschrift. 63 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 13. 64 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 14. 65 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 14 ff.
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undenkbar, dass ein deutscher Gerichtshof durch eine Entscheidung zu Gunsten des Juden den Deutschen diskreditieren und den Juden über ihn erheben würde. Solche verblüffenden Fragen konnten nur entweder von Gerichtshöfen behandelt werden, die gar keine wahren Gerichtshöfe waren und bei denen man sich darauf verlassen konnte, dass sie das Recht unterdrücken und ein weltanschaulich gebundenes Urteil fällen würden, oder wie es später geschah, indem man erklärte, der Jude sei ein Tier außerhalb des Rahmens des Gesetzes, der ebensowenig wie ein zu Unrecht geprügelter Hund gerichtliches Eingreifen oder Rechtsschutz verlangen k[önne].“ 66
Dieser Widerspruch sei insbesondere in der PoStraV zutage getreten, denn in einer Wertehierarchie sei ein Pole weniger wert als ein Mensch, aber mehr wert als ein Jude gewesen.67 1. Schritte zur NS-Jurisdiktion Um das Ziel einer an der NS-Ideologie orientierten Rechtspflege zu erreichen, sei zunächst eine Säuberungswelle gestartet worden.68 Dabei seien ideologisch minderwertige oder politisch unzuverlässige Richter und Beamte „bespitzelt“, bedroht und entlassen worden.69 Politische Scheingerichte seien eingesetzt worden, die mit Richtern aus der Parteihierarchie besetzt gewesen seien.70 Die SS habe ein Paralleljustizsystem aufgebaut, auf das die Gerichte keinen Einfluss gehabt hätten, Parteikader hätten sich persönlich an Hitler gewandt, um sich über die Entscheidung der Gerichte hinwegsetzen zu können.71 Letztlich seien ab Beginn des Jahres 1942 richterliche Entscheidungen durch „Richterbriefe“ gelenkt worden.72 Das Strafrecht sei mit NS-Gedankengut durchzogen worden, sodass diesem von nun an zwei Funktionen zugekommen seien: Erhalt des Staates und Ausrottung der Kriminalität („Verbrecher als Staatsfeind“).73 Hierzu sei die „Verordnung zum Schutz des deutschen Volkes“ erlassen worden.74 Nach dieser 66 StAN, S. 14 f. 67 StAN, S. 15. 68 StAN, S. 17 ff. 69 StAN, S. 17 f. 70 StAN, S. 17. 71 StAN, S. 17. 72 StAN, S. 17. 73 StAN, S. 19. 74 StAN, S. 19.
KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
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hätten bereits Vorbereitungs- und Beihilfehandlungen als Landesverrat gewertet werden können, die Todesstrafe sei über Mord und Totschlag hinaus auch auf andere Delikte ausgeweitet und die deutsche strafrechtliche Gerichtsbarkeit auf das Ausland erstreckt worden.75 Eine äußerst wichtige Rolle habe die Aufhebung des Gesetzlichkeitsgrundsatzes durch eine Änderung des § 2 RStGB im Juli 1935, flankiert durch Änderungenen der RStPO (§§ 170a, 267a RStPO) gespielt.76 Der nächste Schritt zur Nazifizierung des Rechts sei ein Gesetz gewesen77, nach dem das Reichsgericht von seinen früheren Entscheidungen habe abweichen können, wenn sie vor der Machtergreifung ergangen seien und der nationalsozialistischen Rechtsauffassung entgegengestanden hätten.78 2. Kooperation von RMJ, SA, SS und Gestapo Im Laufe der Zeit habe es eine immer stärkere Kooperation des RMJ mit den (para)militärischen Parteiverbänden gegeben.79 Gleichzeitig hätten die Juristen NS-Straftäter vor Strafverfahren abgeschirmt.80 1933 waren z. B. im KZ Kemna bei Wuppertal Häftlinge durch die SA „schwer misshandelt und gefoltert“ worden.81 Zwar wurden strafrechtliche Ermittlungen gegen die Täter eingeleitet, letztlich hätten aber Nazi-Kader, unter anderem Joël, dafür gesorgt, dass es keinen Strafprozess, sondern lediglich parteiinterne, belanglose „Konsequenzen“ gegeben habe.82 Den SA-Männern sei von Justizminister Gürtner zugutegehalten worden, „dass die Schuldigen keine erfahrenen Konzentrationslagerwachmannschaften waren, dass die Mehrzahl der Opfer Kommunisten waren, dass in einigen Fällen die Opfer aufsässig und widersetzlich gewesen seien und dass der Kommunismus besonders starke Stützpunkte in dem Wuppertaler Bezirk hatte.“ 83 Das RMJ habe während des Krieges dafür gesorgt, dass Straftaten ge-
75 StAN, KV-Prozesse Fall S. 19. 76 StAN, KV-Prozesse Fall S. 20 ff. 77 Vgl. Pauli, Reichsgericht 78 StAN, KV-Prozesse Fall S. 21. 79 StAN, KV-Prozesse Fall S. 21. 80 StAN, KV-Prozesse Fall S. 22. 81 StAN, KV-Prozesse Fall S. 22. 82 StAN, KV-Prozesse Fall S. 22 f. 83 StAN, KV-Prozesse Fall S. 23.
3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, in Strafsachen, S. 20 f. 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
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gen politische und ideologische Feinde nicht verfolgt worden seien.84 Ermittlungen wegen Straftaten, die Deutsche an Polen während des Polenfeldzuges begangen hatten, seien aufgrund einer Verordnung eingestellt worden.85 1941 habe Schlegelberger Rudolf Heß bestätigt, er werde sich für die Niederschlagung von Verfahren wegen Straftaten, die von Deutschen an Polen „nach Beendigung des Polenfeldzuges“ begangen worden waren, „wohlwollend“ einsetzen.86 Darunter sei ein Fall gewesen, bei dem zwei Deutsche in Polen Anfang 1940 zwei polnische Priester erschossen hatten.87 Einer der beiden Täter war Polizist, die Motivation des Verbrechens sei Hass auf katholische Geistliche gewesen.88 Zunächst wurden die beiden durch ein Sondergericht wegen Totschlags zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, wovon allerdings nur zwei Jahre vollstreckt wurden.89 Denn auf Himmlers Einsatz habe das Justizministerium die Strafe auf fünf Jahre verkürzt und die beiden Männer entlassen, damit sie sich in einer Waffen-SS-Einheit hätten „rehabilitieren“ können.90 3. Kriegsjahre a) Aufhebung der Rechtskraft von Urteilen Um während der Kriegsjahre die Diktatur aufrechtzuerhalten und Deutschland militärisch und wirtschaftlich zu fördern, seien neue, drakonische Strafgesetze geschaffen worden, die einen exzessiven Einsatz der Todesstrafe zur Folge hatten.91 Die NS-Führung in Berlin habe immer wieder Urteile kritisiert, die nicht hart genug, aber rechtskräftig gewesen seien.92 Mit Verordnung vom 16.09.1939 sei daher der Oberreichsanwalt ermächtigt worden, Verfahren neu verhandeln zu lassen, wenn ihm die zugrunde liegenden Urteile ungerecht erschienen.93 Die 84 StAN, S. 31 f. 85 StAN, S. 32. 86 StAN, S. 32. 87 StAN, S. 32. 88 StAN, S. 32. 89 StAN, S. 32. 90 StAN, S. 32. 91 StAN, S. 23. 92 StAN, S. 24. 93 StAN, S. 24.
KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
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Reichsanwälte hätten hierbei unter der Aufsicht des RMJ gestanden, welches auch entsprechende Anweisungen gegeben habe.94 Zuständig für diese Berufungsverfahren seien die Sondersenate des Reichsgerichtes und des Volksgerichtshofes gewesen.95 Mit Verordnung vom 21.02.1940 habe man dem Oberreichsanwalt eine sogenannte „Nichtigkeitsbeschwerde“ zur Hand gegeben, mit der rechtskräftige Urteile sowohl der regulären Strafgerichte, als auch der Sondergerichte, hätten kassiert werden können, „wenn das Urteil wegen einer irrtümlichen Anwendung des Gesetzes auf die festgestellten Tatsachen nicht gerechtfertigt“ gewesen sei.96 Zuständig sei hierfür das Reichsgericht gewesen, das den Fall an eine niedrigere Instanz zurückverweisen oder aber selbst das Urteil habe aussprechen können.97 Die Nichtigkeitsbeschwerde sei mit Verordnung vom 13.08.1943 sogar „auf Fragen des Rechtes und auf die Angemessenheit der Strafe“ erweitert worden.98 Dem Angeklagten habe kein solches Recht zugestanden.99 b) Hitler als oberster Gerichtsherr Mit Verordnung vom 01.09.1939 hätten Richter auf Anordnung des RMJ und des OLG-Präsidenten jede Versetzung an ein anderes Gericht, ja sogar auf den Posten eines Staatsanwaltes oder Beamten, annehmen müssen.100 Trotz dieser Ereignisse habe sich dann die Lage im Jahre 1942 für die Richter in Deutschland entscheidend zugespitzt.101 Am 26.04.1942 hatte Hitler vor dem Reichstag eine Rede gehalten102, in der er von den Abgeordneten die Macht erbeten habe, jede Entscheidung durchsetzen zu können, notfalls auch dadurch, dass störende Kräfte ihres Amtes enthoben würden.103 Diese Drohung habe sich explizit auch gegen die Richterschaft gewendet: 94 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 24. 95 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 24. 96 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 24. 97 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 24. 98 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 24. 99 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 24. 100 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 24 f. 101 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 25 f. 102 Auszug aus dem Völkischen Beobachter v. 27.04.1942. Vgl. auch Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 36. 103 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 25 f.
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„Ebenso erwarte ich, dass die deutsche Justiz versteht, dass nicht die Nation ihretwegen, sondern dass sie der Nation wegen da ist, das heißt, dass nicht die Welt zugrunde gehen darf, in der auch Deutschland eingeschlossen ist, damit ein formales Recht lebt, sondern dass Deutschland leben muss, ganz gleich, wie immer auch formale Auffassungen der Justiz dem widersprechen mögen. Ich habe – um nur ein Beispiel zu erwähnen – kein Verständnis dafür, dass ein Verbrecher, der im Jahre 1937 heiratet und dann seine Frau solange misshandelt, bis sie endlich geistesgestört wird und an den Folgen einer letzten Misshandlung stirbt, zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt wird, in einem Augenblick, in dem zehntausende brave deutsche Männer sterben müssen, um der Heimat die Vernichtung durch den Bolschewismus zu ersparen, das heißt also, um ihre Frauen und Kinder zu schützen. Ich werde von jetzt ab in diesen Fällen eingreifen und Richter, die ersichtlich das Gebot der Stunde nicht erkennen, ihres Amtes entheben.“ 104
Daraufhin habe der Reichstag mit seinem Beschluss vom 26.04.1942 Hitler zum „obersten Gerichtsherr[n]“ gemacht und damit die Diktatur vervollständigt:105 „[Es] kann keinem Zweifel unterliegen, dass der Führer in der gegenwärtigen Zeit des Krieges, in der das deutsche Volk in einem Kampf um Sein oder Nichtsein steht, das von ihm in Anspruch genommene Recht besitzen muss, alles zu tun, was zur Erringung des Sieges dient oder dazu beiträgt. Der Führer muss daher – ohne an bestehende Rechtsvorschriften gebunden zu sein – in seiner Eigenschaft als Führer der Nation, als Oberster Befehlshaber der Wehrmacht, als Regierungschef und oberster Inhaber der vollziehenden Gewalt, als oberster Gerichtsherr und als Führer der Partei jederzeit in der Lage sein, nötigenfalls jeden Deutschen – sei er einfacher Soldat oder Offizier, niedriger oder hoher Beamter oder Richter, leitender oder dienender Funktionär der Partei, Arbeiter oder Angestellter – mit allen ihm geeignet erscheinenden Mitteln zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und bei Verletzung dieser Pflichten nach gewissenhafter Prüfung ohne Rücksicht auf sogenannte wohlerworbene Rechte mit der ihm gebürenden Sühne zu belegen, ihn im besonderen ohne Einleitung vorgeschriebener Verfahren aus seinem Amte, aus seinem Rang und seiner Stellung zu entfernen.“ 106
c) Die nationalsozialistische Rechtspflege Schließlich seien Schlegelberger und andere hohe Beamte im RMJ ersetzt worden.107 Mit Erlass vom 20.08.1942108 sei der neue Justizminister Thierack von Hitler damit beauftragt worden, „eine nationalsozialistische Rechtspflege 104 StAN, KV-Prozesse Fall S. 25 f. 105 StAN, KV-Prozesse Fall S. 26. 106 StAN, KV-Prozesse Fall S. 26. 107 StAN, KV-Prozesse Fall S. 26. 108 „Erlass des Führers über RGBl. I, S. 535.
3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, besondere Vollmachten des Reichsministers der Justiz.“
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aufzubauen“, wofür er auch habe „von bestehendem Recht [ab]weichen“ können.109 Außerdem sei Thierack zum Präsident der Akademie für Deutsches Recht und des NS-Rechtswahrerbundes ernannt worden.110 Der frühere OLGPräsident Rothenberger sei nach Freislers Wechsel zum Volksgerichtshof neuer Staatssekretär geworden.111 Eine Denkschrift über „Die Justizreform“ 112, die Rothenberger verfasst und Hitler hatte zukommen lassen, sei dieser Ernennung vorausgegangen.113 Diese Justizreform habe sich Rothenberger unter anderem folgendermaßen vorgestellt: „Es muss ein ganz neuer Begriff der Justiz, vor allem ein nationalsozialistisches Richtertum entstehen, und dazu genügt nicht die Seite des Apothekers; nur, wie später zu zeigen sein wird, das Messer des Chirurgen kann die Lösung bringen.“ 114
Thierack und Rothenberger hätten vorgehabt, das Justizwesen umfassend an die nationalsozialistischen Vorgaben anzupassen, unter anderem durch Reduzierung der Richter und weltanschauliche Schulungen.115 Rothenberger habe gar geplant, einen „Richter des Führers“ einzuführen, welcher „durch authentische Auslegung der Gesetze und Verordnungen den Willen des Führers dem deutschen Richter“ habe vermitteln und Grundsatzentscheidungen fällen sollen.116 Es hätten auch Besprechungen zwischen Staatsanwälten und Richtern stattgefunden, bei welchen die Richter über die vom Justizministerium empfohlenen Strafen unterrichtet worden seien.117 Thierack habe außerdem ab 01.10.1942 persönlich unterschriebene „Richterbriefe“ sowohl an alle Richter als auch alle Staatsanwälte versandt, um die Rechtsprechung zu lenken.118 In diesen Hinweisen seien ergangene Urteile anonym abgedruckt worden, die entweder ganz im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung, oder im umgekehrten Falle, in den Augen der 109
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 26. 110
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 27. 111
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 27. 112 „Gedanken über eine nationalsozialistische Justizreform“. Vgl. Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 97. 113 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 27. 114 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 27; vgl. auch Safferling/Luber, in: JA 2017, 881 (884). 115 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 27 f. 116 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 28. 117 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 28. 118 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 28 f.
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Nazis fehlerhaft gewesen seien, inklusive von Verbesserungsvorschlägen.119 Nach einiger Zeit habe es auch Rechtsanwaltsbriefe gegeben.120 d) Verschmelzung von Justiz und Polizei Ab 1939 seien die Grenzen zwischen strafrechtlichen und polizeilichen Sanktionen verwischt worden, denn durch eine Kollaboration des RMJ und des RSHA waren systematisch Strafgefangene aus den Justizgefängnissen rechtswidrig in KZs überstellt worden, wo sie unentgeltlich in der Rüstungsindustrie hätten arbeiten müssen.121 Ab etwa 1940 habe die Justiz dann auch „unbedeutende Fälle“, insbesondere politische Strafsachen, an die Polizei abgetreten, damit der Täter „durch Überstellung für einige Zeit in ein Konzentrationslager zur Vernunft gebracht werden“ würde.122 Denn Straftätern den „langwierigen und auch teuren und schwerfälligen Weg des Gerichtsverfahrens“ zu eröffnen, sei mit der „Würde und den Aufgaben des Volksgerichtshofs unvereinbar“.123 Himmler und Thierack hätten dann am 18.09.1942 unter Beteiligung Rothenbergers, Bormanns und weiterer SS-Kader das berüchtigte Abkommen geschlossen, durch Sonderbehandlung von Häftlingen, nämlich durch „Totarbeiten“ oder Erschießen „wegen Widerstandes“ 124, zu milde Gerichtsurteile in KZs zu korrigieren.125 Opfer dieses Komplotts seien insbesondere „Asoziale“, Juden, „Zigeuner“ und Osteuropäer gewesen, gegen die später gar keine Strafverfahren mehr durchgeführt worden seien, sondern die Täter seien sofort dem RSHA zu überstellen gewesen.126 Urteilskorrekturen seien auch in Fällen vorgekommen, in denen Hitler über ein Strafverfahren in der Zeitung gelesen habe und mit dem Urteil unzufrieden ge119 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 28 f. Im ersten Richterbrief seien 13 Entscheidungen von Strafgerichten vorgestellt worden. Von den ersten zehn Fällen seien hauptsächlich die Entscheidungen, bei denen ein Todesurteil erging, zur Zufriedenheit Thieracks gewesen, die übrigen habe er „als zu milde scharf getadelt“. 120 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 31. 121 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 69 f. Vgl. auch das Schicksal der Irene Seiler. Hierzu Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 289 f., 302. 122 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 69 f. 123 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 70. 124 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 71. Wie sich aus einem Lagebericht von 1942 ergibt, sei es in der Öffentlichkeit aber durchaus bekannt gewesen, dass „wegen Widerstandes“ erschossen zu werden in Wahrheit eine Umschreibung für eine vorsätzliche Tötung gewesen sei. 125 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 32 f., 71; vgl. auch IMT, Bd. I, S. 304 f.; Hillermeier (Hrsg.), Todesurteile, S. 149 f. 126 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 33, 70 f.
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wesen sei.127 Dafür hätten Joël, Schlegelberger und das RSHA eine entsprechende Grundlage erarbeitet.128 e) Justizunrecht in den besetzten Ostgebieten Die Einführung des deutschen Justizwesens in Polen und den Ostgebieten durch die Verordnungen vom 04.10.1939 und 06.06.1940 verstieß nach Ansicht der Prosecution gegen die Genfer Konventionen.129 Allerdings seien selbst diese völkerrechtswidrigen Gesetze aus Sicht der Nazis für Juden und Polen noch zu „gerecht“ gewesen, weswegen auf Schlegelbergers Entwurf hin die Verordnung vom 04.12.1941 verabschiedet und nach und nach modifiziert worden sei.130 Ab November 1942 hätten die von der Prosecution als „Clique von Justizbeamten, SS und Gestapo“ bezeichneten Personen beschlossen, Strafsachen gegen Polen, Osteuropäer, Juden, Sinti und Roma aus dem Zuständigkeitsbereich der Gerichte an die SS und den SD zu übertragen.131 Denn Straftaten dieser Personengruppe stellten – aus Sicht der Nazis – ausschließlich eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung dar und müssten daher polizeirechtlich behandelt werden.132 Mit der Verordnung vom 01.07.1943133 sei diese Praxis dann auch in Gesetzesform gegossen und festgeschrieben worden, dass gegen solche Maßnahmen kein Rechtsweg eröffnet war.134 Ferner sei gesetzlich festgelegt worden, „dass das Eigentum eines Juden nach seinem Tode vom Reich beschlagnahmt wurde.“ 135 II. Kriegsverbrechen und VGM (Anklagepunkte II und III) 1. Grundsätzliche Erörterungen Nachdem die Prosecution die Neuartigkeit der hier angeklagten Verbrechen betonte136, ging sie auf die Rechtsgrundlage des Verfahrens und die Legitimation 127
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 73. 128
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 73. 129
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 57. 130
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 57. 131
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 72. 132
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 72. 133 134
RGBl. I, S. 372. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 72. 135
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 73. 136
Siehe Kapitel 2 § 7.
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des Tribunals ein.137 Die Autorität des Gerichtes liefe grundsätzlich mit derjenigen des IMT parallel.138 Dazu beschrieb die Prosecution die Entwicklung der Nürnberger Verfahren in den Etappen der Moskauer Erklärung vom 30.10.1943, der Potsdamer Erklärung vom 02.08.1945, dem Abkommen von London vom 08.08.1945 bis zur Verabschiedung des KRG10 am 20.12.1945 und der VO7 am 18.10.1946139, sowie schließlich den Urteilssprüchen im IMT-Verfahren am 30.09. und 01.10.1946.140 Es wurden die Unterschiede zum IMT-Verfahren herausgearbeitet. Art. II Nr. 5 KRG10 stelle ein Novum dar, denn eine solche Vorschrift habe im IMT-Statut nicht existiert.141 Die Anklage wies auch auf Art. X VO7 hin und erklärte, dass dieser nicht die Zuständigkeit des Gerichtshofes gegenüber der des IMT einschränken solle, denn die Kompetenz, über die Schuld der Angeklagten zu entscheiden, obliege alleine dem Tribunal III.142 Die Vorschrift solle lediglich die „unnötige Wiederholung anerkannter Tatsachen in diesem Prozess“ verhindern.143 Erwähnenswert ist dabei, dass die Prosecution nicht von einem Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen den NMT-Gerichtshöfen und dem IMT ausging, sodass Entscheidungen des IMT keine Bindungswirkung zukäme, sofern diese nicht ausdrücklich angeordnet worden sei.144 Dennoch würden einige Grundsätze aus dem IMT-Urteil herangezogen werden.145 So sei unter anderem dem IMT darin zuzustimmen, dass die abzuurteilenden Straftaten das „universal moral judgment of mankind“ verletzten und daraus ihre Strafbarkeit begründeten.146 Weiterhin würden nur die Straftatbestände angeklagt werden, die auch vor dem IMT abgeurteilt worden waren, weshalb man auch einige Erkenntnisse des IMT heranziehen könne.147
137 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 58 ff.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 35 ff. 138 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 42, 44. 139 Die VO7 „beschränkte jedoch nicht, noch begrenzte sie die Zuständigkeit des Gerichtes auf die im Gesetz 10 beschriebenen Personen oder Sachen, noch definierte sie neue Verbrechen“. Dies gelte auch im Hinblick auf das IMT. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 40. 140 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 36 ff. 141 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 41. 142 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 41. 143 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 42. 144 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 43. 145 Vgl. zur Anwendbarkeit der HLKO in den von Deutschland unterworfenen Ländern US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 64 f. 146 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 63.
§ 8 Eröffnungserklärung der Prosecution
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Zunächst begann die Prosecution mit allgemeinen Ausführungen, unter anderem zu den rechtlichen Prinzipien, der Anwendbarkeit der HLKO und dem Handeln der Angeklagten in Kenntnis einer Verschwörung.148 Bezüge zu den Angeklagten würden in der Regel nicht sofort hergestellt werden, außer um Beispiele zu verdeutlichen. „That will be done adequately enough to satisfy the Court and disconcert the defendants when we sum up.“ 149
2. Subjektiver Tatbestand Die Prosecution beschäftigte sich mit der Frage, inwieweit den Angeklagten der subjektive Tatbestand für die ihnen zur Last gelegten Taten bewiesen werden musste.150 Um ihre Beweisführung zu erläutern und die komplexen völkerstrafrechtlichen Zusammenhänge anschaulich151 zu gestalten, wählte die Prosecution das Beispiel des angloamerikanischen Tatbestandes des „Mordes“.152 Dabei wird in der Tradition des angloamerikanischen Rechtes, zwischen drei Hauptfallgruppen153 unterschieden.154 Abzustellen sei darauf, ob die („unprovozierte“) Tötung eines Menschen im Zusammenhang mit einer Tat stand, bei der der Täter – in der Absicht handelte, einen Menschen zu töten oder körperlich schwer zu verletzen (Gruppe 1); – sich im Klaren darüber war, dass der Tod eines Menschen oder dessen schwere Körperverletzung voraussichtlich eintreten wird, auch wenn er diese Folge nicht wollte oder ihm der Eintritt der Folge egal war155 (Gruppe 2) oder – in der Absicht handelte, eine „ungesetzliche Handlung“ zu begehen oder „einem Justizbeamten in Ausübung seiner Pflicht Widerstand zu leisten“ (Gruppe 3). 147
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 44. 148 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 63 ff. Interessanterweise stellte die Prosecution hierfür auf ein Verfahren aus dem Jahre 1939 gegen Mitglieder des amerikanischen Ku-Klux-Klans ab, nicht ohne den Hinweis, dass die amerikanische Bevölkerung es geschafft habe, die inländischen „Nazis“ mit den Mitteln des Rechtsstaates zu bekämpfen. Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 67 f. 149 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 64. 150 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 51 ff. 151 „Begriffe, die dem durchschnittlichen Staatsbürger geläufig sind“. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 54. 152 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 68 ff. 153 Hierzu Schönke, in: DRZ 1948, 43 (45). 154 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 51. 155 Also der Täter nach deutschem Strafrecht mit dolus directus 2. Grades oder dolus eventualis handelt. Statt aller Duttge, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), § 15 Rn. 16 ff.
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Für die erste Fallgruppe lägen Beweise vor.156 Aber auch die zweite Kategorie sei unproblematisch.157 Denn einerseits sei ein objektiver Maßstab entscheidend, andererseits seien die Angeklagten allesamt Juristen und „keine Bauern oder Fabrikarbeiter“ und sich daher im Klaren darüber gewesen, welche Folgen die Umstrukturierung des NS-Staates auf die Angeklagten in Strafverfahren haben sollte.158 Für die dritte Fallgruppe wählte die Prosecution einen interessanten Vergleich. Die Angeklagten hätten erstens an einem Justizsystem mitgewirkt, das völkerrechtswidrig in den besetzten Ländern etabliert worden sei und somit Straftaten zu Lasten der entsprechenden Staatsangehörigen begangen.159 Und zweitens hätten sie durch die Mitwirkung am oder Förderung des Angriffskriegs die Weltgemeinschaft dahingehend daran gehindert, den Frieden wiederherzustellen und somit „im Hinblick auf eine Unschädlichmachung des Verbrechers Widerstand [ge]leiste[t].“ 160 Damit sei die Weltengemeinschaft also als „Weltpolizei“ zu betrachten.161 Auch für diese dritte Kategorie lägen Beweise vor.162 Neben diesen drei Fallgruppen kämen auch weitere, kompliziertere in Betracht, auf die nicht an dieser, aber an anderer Stelle weiter eingegangen werden sollte.163 Des Weiteren könnten außer Tötungsdelikten auch andere Tathandlungen wie Versklavung mit ähnlich simplen Beispielen erläutert werden.164 Anhand der oben genannten Gruppen sollten nun einzelne Tatkomplexe den Angeklagten zugerechnet werden. 3. Tatkomplexe geordnet nach Fallgruppen Die Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen nach Art. II Nr. 1 KRG10 subsumierte die Prosecution unter mehrere dieser Fallgruppen.165 Somit konnten folgende Tatkomplexe den drei Fallgruppen zugeordnet werden:166 156
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 51. 157 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 51 f. 158 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 51 f. 159 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 53. 160 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 53. 161 Ein Ruf, welcher den USA bis heute anhaftet. Vgl. Kindt, in: KJ 2002, 427 (435); Richter, Weltpolizei. 162 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 53. 163 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 53. 164 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 69 f. 165 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 70.
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– (a) Fallgruppe 1: Die Einführung deutschen Rechtes und deutscher Gerichtsbarkeit in den besetzten Gebieten167 (aa) und das NN-Programm (bb), – (b) Fallgruppe 2: Die Zusammenarbeit zwischen Justiz und RSHA und – (c) Fallgruppe 3: Der Einsatz des Justizsystems als Waffe. In der Eröffnungserklärung hatte die Prosecution versucht, die den Angeklagten zur Last gelegten Taten „eher zu typisieren als zu spezifizieren“. 168 Nähere Beispiele folgten dann in der Beweisführung.169 a) Fallgruppe 1 aa) Die Einführung deutschen Rechtes und deutscher Gerichtsbarkeit in den besetzten Gebieten Die Prosecution berichtete über die Einführung deutschen Rechtes in Polen, im Protektorat Böhmen und Mähren, sowie in der Tschechoslowakei.170 Allen voran wurde die PoStraV vom 04.12.1941 inklusive deren Verschärfungen genannt.171 Für letztere wurden Beweisstücke vorgebracht, in denen sich Schlegelberger zu den diskriminierenden Aspekten äußerte.172 Die Einführung des deutschen Rechts in den besetzten Gebieten sei per se völkerrechtswidrig gewesen, da sie im Zusammenhang mit einem Angriffskrieg gestanden habe und darüber hinaus auch militärisch nicht notwendig gewesen, sondern in Verfolgung der Ziele Hitlers ergangen sei.173 Die Angeklagten seien gemäß dem KRG10 für alle Tötungen, Körperverletzungen, Versklavungen, Gräueltaten sowie Eigentumsdelikte verantwortlich, sofern sie in Ausführung deutschen Rechtes begangen worden waren.174 Sie hätten aber auch andere Gesetze, nämlich diejenigen der besetzten Länder, diejenigen „aller zivilisierten Länder“ und die Haager Konvention zum Schutz der Familienehre und Familienrechte, verletzt.175 Allen voran waren nach 166 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 54 f. 167 Zu den verletzten Gesetzen vgl. Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 70. 168 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 83. 169 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 83. 170 Vgl. die Verordnungen vom 14.04.1939, 04.10.1939, 06.06.1940, 02.11.1942 und vom 01.07.1943. King, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 71 ff. 171 King, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 71 ff. 172 Vgl. v. Alten, Recht oder Unrecht, S. 68 ff. 173 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 54 f. 174 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 55. 175 King, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 75.
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Einschätzung der Prosecution Schlegelberger, Lautz aber auch „viele andere Angeklagte“ beteiligt gewesen.176 bb) Das NN-Programm Der NN-Erlass war auf einen Befehl Hitlers und Keitels vom 07.12.1941 zurückgegangen.177 Dabei habe es sich um eine Terrormaßnahme gegen Widerstandsbewegungen aus der Zivilbevölkerung der besetzten Länder heraus und insbesondere Westeuropas gehandelt.178 Mutmaßliche Täter seien, sofern „Todesurteile schnell ausgesprochen und vollstreckt werden würden“, in den besetzten Ländern vor Gericht, andernfalls ins Deutsche Reich verschleppt und vor Sondergerichte gestellt worden.179 Das Diabolische an dem Programm sei gewesen, dass Angeschuldigte für immer verschwunden waren, unabhängig davon, ob das Urteil Todesstrafe, Haftstrafe oder Freispruch gelautet habe oder ob sie nur aufgrund eines Irrtums verhaftet worden seien.180 Ihre Angehörigen und Freunde seien unter keinen Umständen über das Schicksal der Verschleppten informiert worden, nicht einmal, wenn diese bereits verstorben oder hingerichtet worden waren.181 In den NN-Strafprozessen hätten keine Beweise aus dem Ausland angefordert und keine Verteidiger frei gewählt werden dürfen.182 Ihre besondere Verachtung für das NN-Programm drückte die Prosecution folgendermaßen aus: „Es hat wohl in der Weltgeschichte kaum jemals einen perverseren und teuflischeren Plan der Einschüchterung und Unterdrückung gegeben.“ 183
Keitel habe Hitlers Plan folgendermaßen erklärt: „Wirksame und andauernde Einschüchterung kann nur entweder durch die Todesstrafe oder durch Maßnahmen erzielt werden, die die Angehörigen des Verbrechers und die Bevölkerung in Unkenntnis über das Schicksal des Verbrechers lassen.“ 184 176 177
King, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 74 f. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 62. 178 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 62 ff. 179 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 62 f. 180 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 63, 67; King, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 78. 181 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 63. 182 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 67; King, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 71. 183 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 62; King, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 75. Leider blieb dieses Vorgehen im Verlauf der Geschichte kein Einzelfall. Unter anderem in latein- und südamerikanischen Staaten wurde das „Verschwindenlassen“ von Oppositionskräften durch Militärdiktaturen praktiziert. Vgl. Werle/Buchards, MüKo-StGB, Bd. 8, VStGB § 7 Rn. 92.
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Die Geheimhaltung des Programmes habe oberste Priorität gehabt, ungeachtet der darausfolgenden Konsequenzen.185 Verurteilungen von NN-Sachen seien nicht in die Kriminalstatistik eingeflossen.186 Sterbebucheintragungen von gestorbenen Gefangenen oder Geburtenbucheintragungen von weiblichen NN-Gefangenen, die in der Haft ein Kind zur Welt gebracht hatten, seien mit einem Sperrvermerk versehen, Abschiedsbriefe nicht zugestellt und beschlagnahmt und Leichen anonym bestattet worden.187 Verantwortlich für den NN-Erlass machte die Prosecution Schlegelberger, v. Ammon (als Sachverständigen für Völkerrecht im Justizministerium), Mettgenberg, Lautz, Engert und Joël.188 Zuständig für die Ausarbeitung sei von Seiten des OKW General Lehmann gewesen, der in der Rechtsabteilung tätig gewesen war.189 Er sei daraufhin an das Justizministerium herangetreten, um zu erörtern, ob es Einwände bezüglich der rechtlichen und tatsächlichen Übernahme derartiger Fälle gebe.190 Lehmanns Einschätzung nach sei „Schlegelberger damals der einzige Beamte im Justizministerium [gewesen], der die Befugnis hatte, der Übernahme der Prozesse für diese Fälle zuzustimmen.“ 191
Die Anzahl der NN-Opfer sei nicht abschließend bestimmbar, betrage nach einer internen Statistik aber mindestens 5.200 Personen.192 Ursprünglich seien vier verschiedene Sondergerichte für die NN-Sachen zuständig gewesen: Das Sondergericht Kiel für Norwegen, das Sondergericht Köln für Frankreich, das Sondergericht Essen für Belgien und das Sondergericht Berlin für „alle Fälle besonderer Art“.193 Aufgrund der alliierten Luftangriffe sei später das Kölner Sondergericht nach Breslau und das Essener Sondergericht nach 184
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 63. 185
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 67. 186
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 66. 187
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 66. 188 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 64. 189 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 63. 190 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 63. 191 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 63 f. 192 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 64. Gruchmann, in: VjfZ 1981, 342 (395), geht von 7.000, Müller, Furchtbare Juristen, S. 219 f., von mindestens 8.639 NN-Opfern aus. 193 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 64.
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Hamm verlegt worden.194 Auch beim NN-Programm hätten die Angeklagten geltendes Recht verletzt, nämlich die Haager Konventionen zum Schutz der Familienehre, des Lebens und das Recht, nach den im eigenen Land geltenden Gesetzen verurteilt zu werden.195 b) Fallgruppe 2: Zusammenarbeit zwischen Justiz und RSHA Ab dem Jahre 1939 wurden Häftlinge aus den Strafanstalten der Justiz in KZs überstellt, um dort unbezahlte Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie zu leisten.196 Von diesem Zeitpunkt an habe es für den Häftling keinen Unterschied mehr gemacht, ob er aufgrund eines Strafverfahrens durch die Justiz, oder ohne Strafverfahren auf Anordnung der Polizei inhaftiert worden sei.197 Als es keinen Widerstand gegen dieses Vorgehen gegeben habe, sei die Kollaboration zwischen RSHA und Justiz ausgebaut worden.198 Der Angeklagte Engert, Vizepräsident des Volksgerichtshofes, habe sich extra in die Gestapo aufnehmen lassen, um die Zusammenarbeit der beiden Institutionen zu intensivieren. Er habe beispielsweise vorgeschlagen „unbedeutendere Fälle“ nicht vor dem Volksgerichtshof zu verhandeln, da ein solches Vorgehen nicht mit dem „Respekt, der Würde und den Aufgaben des Volksgerichtshofes“ vereinbar sei. Stattdessen sollten die Beschuldigten für „kurze Zeit“ in KZs eingewiesen werden. Sowohl Thierack, als auch SS und Gestapo hätten diese Idee unterstützt.199 Diese Vorkommnisse hätten letztlich zu dem Abkommen vom 18.09.1942 und weiteren Maßnahmen, wie der grundsätzlichen Übertragung strafrechtlichen Vorgehens gegen Polen, Juden und andere „Minderwertige“ auf die Polizei, geführt.200 Aufgrund eines Abkommens zwischen Joël, Schlegelberger und der SS seien auch Urteile von Strafgefangenen durch die SS „korrigiert“ worden, wenn Hitler die Urteile gegen die Häftlinge als zu milde empfunden hätte.201 c) Fallgruppe 3: Justizsystem als Waffe Die Prosecution erläuterte, wie das deutsche Justizsystem nach und nach zu einer Waffe der Unterdrückung wurde und dafür „Justizmorde unter Verletzung des internationalen Rechtes“ begangen wurden.202 194
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 64. 195
King, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 78. Wooleyhan, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 78 f. 197 Wooleyhan, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 79. 198 Wooleyhan, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 79. 199 Wooleyhan, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 79 f. 200 Wooleyhan, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 80 ff. Vgl. auch Kapitel 1 § 2 F. 201 Wooleyhan, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 82. 202 Wooleyhan, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 82; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 73. 196
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aa) Scheinverfahren Insbesondere an den Sondergerichten, Standgerichten und dem Volksgerichtshof habe man versucht, der Nazi-Ideologie widerstrebende Personen durch Beugung des Rechts zu vernichten.203 Dazu habe man abstruse Schlussfolgerungen angestellt, um, wie von Anfang an geplant, zu einer Verurteilung zu kommen.204 Um diese These zu untermauern wurde folgendes Beispiel angeführt: Es hatte regelmäßig Fluchtversuche von Zwangsarbeitern gegeben, die aus ihrem Heimatland nach Deutschland verschleppt und in der Rüstungsindustrie eingesetzt worden waren.205 Wenn diese Personen von Grenzbeamten bei der Flucht aufgegriffen worden waren, wurden sie vor dem Volksgerichtshof wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt, obwohl dieses Delikt schon tatbestandlich nicht in Betracht gekommen sei.206 Um dennoch zu einer Verurteilung zu kommen hätten sich die Richter und Staatsanwälte abgesprochen und „eine aus der Luft gegriffene Annahme [erfunden], dass solche Flüchtige durch die Schweiz, oder wo sie auch immer aufgegriffen worden sein mochten, zu fliehen beabsichtigten, in der Absicht irgendeiner dem Reiche feindlichen militärischen Legion beizutreten.“ 207
Das wahre Motiv dieser Ausländer sei die Hoffnung auf eine bessere Bezahlung und Verpflegung in der Schweiz gewesen, stattdessen seien feindliche Bestrebungen gegen das Deutsche Reich aus dem Ausland heraus konstruiert worden.208 Zu dieser Thematik wurde ein Urteil des Volksgerichtshofs vom 12.08. 1942 angeführt, welchem der folgende Sachverhalt zu Grunde lag:209 Die drei polnischen Zwangsarbeiter Mazur, Kubisz und Nowakowski waren aus Thüringen geflüchtet und hatten versucht, über die Schweizer Grenze zu fliehen.210 Als sie dabei aufgegriffen worden waren, wurden sie von Lautz vor dem Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat und wegen des Versuchs,
203
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 73. 204
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 73. 205 StAN, S. 73 f. 206 StAN, S. 74. 207 StAN, S. 74. 208 StAN, S. 74. 209 StAN, S. 74 ff. 210 StAN, S. 75.
KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
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einen Teil des Reichsgebietes vom Reich mit Gewalt zu trennen, angeklagt.211 Auch hierbei war den Angeklagten vorgeworfen worden, sie hätten in der Absicht, für eine polnische Legion kämpfen zu wollen, die Schweiz zu erreichen versucht.212 Obwohl die Angeklagten nach eigener Aussage nichts von derartigen Legionen gewusst hätten, sie vielmehr aufgrund der unmenschlichen Arbeitsbedingungen und in der Hoffnung auf bessere Lebensumstände geflohen seien und die Staatsanwaltschaft diese Aussagen auch nicht durch Beweise habe widerlegen können, wurden sie zum Tode verurteilt.213 Begründet wurde das Urteil damit, die Aussagen seien reine Schutzbehauptungen und die Aktivitäten der polnischen Milizen in der Schweiz „allgemein bekannt“.214 Außerdem hätten die Richter „Kenntnis“ sowohl „von einem Vertrag mit Russland, den die polnische Exilregierung abgeschlossen habe und dass diese Tatsache durch den britischen Rundfunk verbreitet worden sei“, als auch davon, dass die polnischen Grenzüberschreitungen zwecks Rekrutierung in der Legion „wiederholt“ geschehen seien.215 Schließlich bescheinigte ein ärztliches Zeugnis die Wehrtauglichkeit der Angeklagten.216 bb) Willkürliche Bestrafung Als nächstes ging die Prosecution auf die drakonische, aber auch willkürliche Bestrafung von regimekritischen Personen ein.217 Während überzeugte Nazis trotz der ein oder anderen Entgleisung mit einem blauen Auge davon gekommen seien, habe man Bewohner der annektierten Länder gnadenlos bestraft.218 Hierzu wurden stellvertretend die Fälle des österreichischen Droschkenchauffeurs Kozian und der deutschen Nationalsozialistin v. Brincken gegenübergestellt.219 Kozian wurde, nachdem er sich vor einem weiblichen Fahrgast kritisch über das 211
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 75. 212
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S. 75. 213
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S. 75. 214
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S. 75. 215
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S. 75. 216
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S. 75. 217 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 77 f. 218 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 77 f. 219 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 77 f.
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Regime geäußert hatte und von dieser bei der Gestapo denunziert worden war, durch Lautz angeklagt; am 26.07.1944 wurde gegen ihn wegen Zersetzung der deutschen Wehrkraft die Todesstrafe verhängt.220 Kozian habe gesagt: „Uns Wienern ist es gleich, von wem wir unser Brot bekommen, ob es Stalin ist, Churchill oder Hitler. Die Hauptsache ist, dass wir leben können. [. . .] Wenn ich mit jemanden streite und sehe, dass ich die Sache nicht weiterführen kann, höre ich auf und kämpfe nicht weiter, bis alles vernichtet ist. Der Führer hat in seiner Rede gesagt, dass er uns alle vernichten will. Der Führer hat gesagt, dass der Krieg bis zur Vernichtung der einen Seite fertiggeführt werden wird. Jedes Kind weiß, dass wir diese Seite sind, es sei denn, der Führer kommt wieder zur Vernunft und bietet dem Feind den Frieden an.“ 221
Die Nationalsozialistin v. Brincken hätte eine ähnliche Bemerkung in der Öffentlichkeit gemacht.222 Als sie während eines Strandausfluges mit Freunden einen Strandkorb gemietet und mit dem Vermieter ihres Strandkorbes in Streit geraten war, habe sie gesagt:223 „Nun, lassen Sie nur, im nächsten Jahr werden die russischen Kommissare in Ihrem Korb sitzen.“ 224
Weiterhin habe sie sich abfällig über die Einziehung ihrer 17-jährigen Tochter zum Arbeitsdienst geäußert.225 Allerdings habe Frau v. Brincken einer Anklage und damit auch einer Verurteilung entgehen können, denn sowohl ihr Mann, der den Rang eines Obersts inne gehabt habe, als auch ein Freund der Familie, der ein „übelbeleumundeter SS-General“ gewesen sei, hätten sich für sie eingesetzt.226 Schließlich sei sie nur verwarnt worden.227 Die Prosecution führte – entgegen des erfolglosen Protestes von Petersens Verteidiger Aschenauer228 – ein Affidavit des Angeklagten und ehemaligen Laienrichter Petersen an, in welchem er erklärte, warum diese beiden Fälle, die inhalt-
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S. 77. 221
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 77. 222 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung S. 77 f. 223 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung S. 77. 224 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung S. 78. 225 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung S. 78. 226 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung S. 78. 227 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung S. 77 f. 228 Aschenauer, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 85 f.
Anklage, Anklage, Anklage, Anklage, Anklage, Anklage,
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
lich so große Ähnlichkeit aufweisen, dennoch eine völlig unterschiedliche juristische Bewertung erfahren hatten:229 „Die Urteile des Volksgerichtshofes sind nur zu verstehen, wenn man dabei den der Strafe unterliegenden Vorsatz im Auge behält. Dieser bestand in erster Linie nicht darin, Strafe nach normalen bürgerlichen Begriffen von Vergehen und Sühne zu verhängen, sondern die Ausmerzung einer Opposition, die die deutschen Ziele beeinträchtigen konnte. Das war unsere Pflicht. Deshalb spielte, nachdem ein Angeklagter wegen einer Tat oder Äußerung vor den Volksgerichtshof gebracht worden war, seine Tat an sich bei der Bemessung der Strafe innerhalb des Rahmens der Gesetze keine große Rolle mehr. Es handelte sich in erster Linie darum, ob der Mann seiner persönlichen Einstellung und seinen sozialen oder asozialen Tendenzen nach als schädlich aus der Volksgemeinschaft ausgemerzt werden musste oder nicht.“ 230
cc) Bestrafung nach Analogie und der Fall Katzenberger Als nächstes berichtete die Prosecution, wie gegen Angeklagte vor den NSGerichten Strafgesetze analog angewendet worden waren.231 Als Beispiel wurde der Fall Katzenberger herangezogen.232 Der Angeklagte Rothaug hatte infolge einer hanebüchenen Verbindung der VVO und des BluSchuG den Juden Katzenberger wegen Rassenschande zum Tode verurteilt. Rothaug sei zwar kein Staatsanwalt gewesen, habe allerdings aufgrund seiner Beziehungen zu Partei, Gauleitung und SD „innerhalb der Nürnberger Justiz neben dem OLG-Präsidenten eine dominierende Stellung ausgebaut“.233 Somit habe Rothaug bei Staatsanwalt Markl alles Nötige veranlassen können.234 Dadurch habe sich erst die Crux des Falles ergeben. Da Katzenberger und auch Seiler stadtbekannt gewesen seien und der Fall nicht irgendwo, sondern in Nürnberg gespielt habe, wo Julius Streicher und sein antisemitisches Blatt Der Stürmer das politische Klima bestimmten, sei ein Freispruch für einen Juden „etwas undenkbares“ gewesen, sodass man ein Exempel habe statuieren wollen.235 Die Todesstrafe Katzenbergers sei ungewöhn229
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 78. 230
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 78. 231
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S. 78. 232
Hierzu Kapitel 2 § 6 II. 1. a. (1). StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 3. 234 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 4. Tatsächlich sind die genauen Umstände, wie Rothaug an den Fall gekommen war, unklar. Die Aussagen der beteiligten Personen Rothaug, Ferber und Markl widersprechen sich diametral, was aufgrund der gegen sie geführten Verfahren verständlich ist. Siehe Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 238 f. 235 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 79. Vgl. auch Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 432. 233
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lich hart gewesen. Um dennoch zu einem Todesurteil zu kommen236, hätten die beteiligten Richter Rothaug, Ferber und Hoffmann237 das Gesetz bewusst gebeugt.238 Die beiden Verfahren gegen Katzenberger und Seiler seien, aus „blindem Judenhass“, bewusst verbunden worden, sodass Seiler nicht als Entlastungszeugin für Katzenberger habe aussagen können.239 Da aber gar keine Beweise vorgelegen hätten, dass Katzenberger überhaupt Geschlechtsverkehr mit der Seiler gehabt habe, könnten auch keine Beweise vorgelegen haben, dass der Geschlechtsverkehr unter Ausnutzung des Kriegszustandes erfolgt sei.240 Damit habe Rothaug einen Justizmord begangen.241 dd) Der Fall Lopata und der Grundsatz „ne bis in idem“ Des Weiteren hätten die Angeklagten bei ihrer Urteilsfindung gegen die Zivilbevölkerung der annektierten Gebiete gegen den „ne bis in idem“-Grundsatz verstoßen, „eine Grundlage des Strafverfahrens in der ganzen Welt.“ 242 Zur Verdeutlich wurde der Fall Lopata herangezogen.243 Auch Lopata war von Rothaug zum Tode verurteilt worden, allerdings erst nachdem Lopata in einem ersten Verfahren eine relativ milde Haftstrafe erhalten hatte. Die Prosecution kritisierte insbesondere, dass „den Angeklagten jede Gewissheit genommen [wurde], dass eine andere Strafe als die Todesstrafe ihr endgültiges Schicksal sein würde“ und somit stets eine „reformatio in peius“ 244 vorgelegen habe.245 Zwar sei es theoretisch
236 Dabei habe es sich um das erste Todesurteil wegen Rassenschande überhaupt gehandelt. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 253. Aber auch andere Richter konnten äußerst kreativ sein, um Rassenschandesachen mit der Todesstrafe zu beenden. Vgl. v. Miquel, in: Frei (Hrsg.), S. 178 f.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 144 ff. Vgl. aber Nitschke, in: Die Welt 83/1968, S. 16; Ohne Verfasser, in: Der Spiegel 42/1967, S. 87 (89). 237 StAN, StA Nürnberg-Fürth 2004-01, Nr. 287, Hauptakten komplett 1, S. 2; US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 653 (Urteil des Sondergerichts Nürnberg gegen Katzenberger Sg No. 351/41). 238 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 80; vgl. auch Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (717). 239 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 79 f.; Kastner, in: JA 1997, 699 (703). 240 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 80. 241 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 80. 242 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 80. 243 Wooleyhan, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 87 ff. Vertiefend Kapitel 2 § 6 II. 1. a. (3). 244 Wörtlich „reformation in pains“. Zur reformatio in peius vgl. § 331 StPO. BGBl. I 1987, S. 1074. Zuletzt geändert durch Art. 2 Gesetz zur Bekämpfung der Verbreitung neuer psychoaktiver Stoffe v. 21.11.2016 (BGBl. I, S. 2615).
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möglich gewesen, dass eine Nichtigkeitserklärung oder Nichtigkeitsbeschwerde auch zugunsten eines Angeklagten hätte eingelegt werden können, dies sei in der Praxis aber nie vorgekommen.246 Denn das Justizministerium habe in der Regel eine Nichtigkeitsklage nur dann angestrebt, wenn sie zum Nachteil des Angeklagten gewesen sei.247 Die Nichtigkeitsklage sei daher ein Mittel gewesen, politisch unliebsame Urteile zu korrigieren.248 Zusätzlich habe der Oberreichsanwalt, also Lautz, mit dem außerordentlichen Einspruch auf Weisung Thieracks Urteile kassieren können.249 Dies habe die Neuverhandlung des Sachverhaltes vor dem Besonderen Senat des Volksgerichtshofes nach sich gezogen.250 Die einzige Aufgabe des Besonderen Senates sei die Neuverhandlung der kassierten Urteil gewesen, weswegen sich der Volksgerichtshof entsprechende Mühe gegeben habe, der Ideologie des NS-Staates zu entsprechen, sodass der Besondere Senat die meisten Todesurteile am Volksgerichtshof ausgesprochen habe: 1944 in etwa 70 % aller Verfahren.251 4. Beweisführung der Prosecution Um das Verfahren zu beschleunigen und den Angeklagten „entgegenzukommen“, erklärte die Prosecution wie die Beweisführung ihrer Ansicht nach vonstattengehen werde.252 Wesentlicher Ansatzpunkt waren das KRG10 und die VO7, die die Zulässigkeit von Beweismitteln umfassend regelten.253 Die genannten Statuten würden „klugerweise die Vorschriften lockern, angesichts der Notwendigkeit der Beweisaufnahme in einem Land, das nicht nur äußerlich zerstört wurde, sondern auch den Zerfall seiner Regierung und den Verfall der Moral erlebte, der der Niederlage einer tückischen Ideologie, die das Denken von viel zu vielen Leuten durchsetzt hat, folgt.“ 254 245
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 81. 246
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 81. 247 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 81 f. 248 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 82. 249 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 82. 250 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 82. Zum Besonderen Senat vgl. Müller, Furchtbare Juristen, S. 54. 251 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 82. 252 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A1-3, S. 120; LaFollette, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 89 ff. 253 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 84. 254 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 84.
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Die übliche Vorgehensweise, im Wege einer logischen Schlussfolgerung „aus einem objektiven Beweis das Vorhandensein einer Schlusstatsache zu beweisen“, werde aber nicht durch die Lockerungen der Vorschriften beeinträchtigt.255 Im Folgenden wurde auch offenbar, dass die Prosecution von einem Beweiserhebungsverfahren amerikanischer Prägung ausging. Insbesondere orientierte man sich an der Literatur256 des amerikanischen Experten für Beweisrecht John Henry Wigmore.257 a) Keine Berufung auf Art. II Nr. 4 a) und b) möglich Als Beispiel hierfür brachte die Prosecution Art. II Nr. 4 a)258 und b)259 KRG10 vor, welche von ihrem Sinn her identisch mit Art. 7 und 8 des IMT-Status seien, wenn sie auch sprachlich anders formuliert seien.260 Im konkreten Fall sei festzustellen, dass Nr. 4 a) „für die meisten, wenn nicht alle dieser Angeklagten“ gelte.261 Eine Berufung auf strafrechtliche Milderungsgründe im Sinne der Nr. 4 b) sei ebenfalls ausgeschlossen, was die Prosecution durch zwei Argumente belegte:262 Zum einen hätten Juristen Sonderwissen bezüglich der Vorgänge im Justizapparat gehabt und hätten sowohl eigene, als auch fremde Einflussmaßnahmen auf die Justiz in ihrer Gesamtheit deuten können („Wissen als zu beweisende Tatsache“).263 Zum anderen müssten Juristen durch ihre besondere Stellung im Staatsgefüge „notwendigerweise einen wirklich überzeugenden Beweis vorbringen [. . .], um eine mildere Beurteilung“ ihrer Taten bewirken zu können.264 Die Beweisaufnahme bezüglich dieser beiden Punkte führe dazu, dass eine Berufung auf Art. II Nr. 4 b) ausgeschlossen sei.265 255 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 84 f. 256 Siehe hierzu Wigmore, Evidence, § 305, S. 206; § 363, S. 274. 257 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 86 ff.; LaFollette, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 91 f. 258 „Die Tatsache, dass jemand eine amtliche Stellung eingenommen hat, sei es die eines Staatsoberhauptes oder eines verantwortlichen Regierungsbeamten, befreit ihn nicht von der Verantwortlichkeit für ein Verbrechen und ist kein Strafmilderungsgrund.“ 259 „Die Tatsache, dass jemand unter dem Befehl seiner Regierung oder seines Vorgesetzten gehandelt hat, befreit ihn nicht von der Verantwortlichkeit für ein Verbrechen; sie kann aber als strafmildernd berücksichtigt werden.“ 260 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 84. 261 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 85. 262 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 85. 263 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 85. 264 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 85.
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b) Verteidigungseinwände Die Prosecution erklärte, dass eine Berufung auf eine „unfair surprise“ 266 durch die Verteidigung von Vorneherein ausgeschlossen sei, sofern das Beweismaterial „zwar nicht des Angeklagten ganze Laufbahn [. . .], wohl aber seine spezifische Kenntnis, sein Motiv, seinen Plan und die anderen unmittelbaren Dinge, die zu dem Verbrechen führten und darauf folgten“, behandele.267 Der Einwand des „undue prejudice“ 268 komme nicht in Betracht, da die Richter nur nach der Beweislage urteilen würden.269 c) Subjektiver Tatbestand Die Anforderungen an den subjektiven Tatbestand richteten sich nach dem „knowledge principle“, eine Rolle spielten das „intent priniciple“, „anonymous intent“ und das „principle of design and system“.270 Alle Angeklagten hätten bezüglich der Pervertierung des Justizsystems Kenntnis gehabt, sodass die Voraussetzungen des „knowledge principle“ erfüllt seien.271 Nach dem „intent principle“ könne sich der Täter nicht damit exkulpieren, nicht vorsätzlich gehandelt zu haben, wenn er ähnliche wie die ihm vorgeworfene Handlung zum „wiederholte[n]“ Mal begangen habe.272 Solche anderen Handlungen seien damit dem Beweis zugänglich.273 Ein Unterfall sei der „anonymous intent“, der insbesondere in Fällen eine Rolle spiele, in denen ein Opfer vergiftet wurde.274 Hierbei sei stets fraglich, ob das Opfer das tödliche Gift aus freien Stücken zu sich genommen habe oder ob der Täter das Opfer quasi als Werkzeug gegen sich selbst
265
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 85. 266
Vgl. zu diesem prozessrechtlichen Einwand Shulkin, in: 9 BCLR (1968), 367 f. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B 52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 87; LaFollette, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 91 f. 268 Hierzu Artz Ash/Danow, Undue Prejudice; United States District Court, S. D. New York, In re Vivendi Universal, S. A., Securities Litigation, No. 02 Civ. 5571 (HB), 381 F.Supp.2d 129, (130), v. 06.05.2003. 269 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 87; LaFollette, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 92. 270 LaFollette, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 92 ff. Vertiefend zum Vorsatz im angloamerikanischen Strafrecht Schönke, in: DRZ 1948, 43 ff. 271 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 88. 272 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 89. 273 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 89. 274 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 89. 267
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eingesetzt habe.275 Dieses Prinzip übertrug die Prosecution auf die Fälle, in denen Richter den Angeklagten ihr Todesurteil – verpackt in einen rechtsstaatlichen Prozess – verkündet, also quasi einen „vergifteten Kelch“ gereicht hatten.276 Wenn dieses Phänomen in einer Vielzahl von Fällen vorgekommen sei, spreche dies für die Schuld des Angeklagten.277 Letztlich sei auch das „principle of design and system“ einschlägig.278 Hierbei müsse bewiesen werden, dass der Angeklagte mit seiner Tat einem bestimmten Plan gefolgt sei, wofür „frühere, gleichartige Handlungen“ ebenso sprechen könnten wie für das Motiv.279 Die Androhung von Gewalt gegen bestimmte Personengruppen ließe ebenfalls auf einen solchen Plan schließen.280 Da die Angeklagten selbst und auch viele andere Nazis in Kenntnis der Angeklagten gegen Polen und Juden Drohungen ausgesprochen oder Gewalttaten begangen hätten, was durch die Anklage bewiesen werden könne, könne auch der Plan als bewiesen angesehen werden.281 III. Juristenstand im „Dritten Reich“ Vor der Behandlung der verbrecherischen Organisationen ging die Prosecution auf die Entwicklung des Juristenstandes unter dem NS-Regime ein, um die schrecklichen Ereignisse unter der Nazi-Herrschaft besser erklären zu können.282 Hierbei wurde zwischen der Zeit vor der Machtergreifung und danach differenziert. 1. Vor der Machtergreifung Die Prosecution hob wiederholt hervor, dass der deutsche Juristenstand im Ausland aber auch in Deutschland selbst eine hohe Reputation genossen habe.283 Die Ausbildung sei qualitativ hochwertig gewesen und habe inklusive Studium 275
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 89. 276
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 89. 277
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 89. 278 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung S. 89 f. 279 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung S. 89 f. 280 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung S. 90. 281 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung S. 90. 282 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung S. 92; LaFollette, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 94 f. 283 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung S. 92 f.
Anklage, Anklage, Anklage, Anklage, Anklage, Anklage,
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
und Referendariat bis zu acht Jahre in Anspruch genommen.284 Die Juristen hätten sich unabhängig von politischen oder konfessionellen Ansichten in unterschiedlichen Berufsverbänden organisiert, zu denen der Deutsche Richterbund, der Republikanische Richterbund und der Deutsche Anwaltsverein gehört hätten.285 Diese hätten „Rechtszeitschriften von hoher Qualität herausgegeben“, sich an Vorträgen, internationalen Symposien und Rechtsinstitutionen beteiligt und die Justiz entsprechend den Vorgaben der Weimarer Verfassung umgestaltet.286 Die Berufsverbände hätten demokratische Strukturen aufgewiesen, seien vor staatlichen Übergriffen geschützt gewesen und deren „Führung“ habe einen hohen Bildungsstand genossen.287 2. „Der Anprall des Nationalsozialismus“ und die Gleichschaltung der Justiz288 Nach Ansicht der Prosecution war sich die NSDAP bewusst gewesen, dass zum Sturz Deutschlands nicht nur die Exekutive, sondern auch die Judikative für deren Zwecke vereinnahmt werden müsste, auch wenn sie letztere verachtete.289 Nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren, habe man mit der Umstrukturierung des Staates in eine Diktatur begonnen.290 Hierzu habe man unter anderem, wie oben bereits ausgeführt, politisch missbilligte Juristen ihres Amtes enthoben und die richterliche Unabhängigkeit aufgehoben.291 Fortan hätten überzeugte Nationalsozialisten die Herausgeberschaft juristischer Zeitschriften übernommen und „in bloße Propagandainstrumente“ pervertiert.292 Auch hier habe eine Gleichschaltung stattgefunden, bei der kritische Schriften verboten und die übrigen, z. B. die „Deutsche Justiz“ des Justizministeriums, durch die Parteiführung gelenkt worden seien.293 284
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 93. 285 StAN, S. 92 f. 286 StAN, S. 92 f. 287 StAN, S. 93. 288 StAN, S. 94. 289 StAN, S. 94. 290 StAN, S. 94. 291 StAN, S. 94. 292 StAN, S. 96. 293 StAN, S. 96 f.
KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
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a) Auflösung der freien Berufsverbände 1928 habe Hans Frank den „Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen“ (BNSDJ) gegründet, dem 1931 „etwa 700, das heißt nicht ganz 1 % aller deutschen Juristen“ angehört hätten.294 Schrittweise habe man juristische und nicht juristische Berufsverbände aufgelöst.295 Dazu seien im Rahmen der „Gleichschaltung“ ab dem Frühjahr 1933 Führungspersönlichkeiten durch NSDAP-Angehörige ersetzt, Oppositionelle und Juden aus den Verbänden ausgeschlossen, „bedroht und zur Auswanderung gezwungen“ worden.296 Ab Mai 1933 seien die juristischen Verbände dann komplett abgeschafft bzw. mit dem BNSDJ zusammengelegt worden.297 Allerdings sei man trotz der Mitgliedschaft in einem alten Berufsverband mit anschließender Zwangsfusionierung nur auf Antrag und mit NSDAP-Mitgliedschaft in den BNSDJ aufgenommen worden.298 Ansonsten habe man höchstens „förderndes Mitglied“ werden können.299 Bis Ende 1934 seien fast alle Juristen Mitglieder des BNSDJ geworden.300 Gemäß der Verfassung des BNSDJ vom 04.05.1933 sei dessen „Aufgabe die Verwirklichung des nationalsozialistischen Programmes im Rechtswesen“ gewesen.301 Der Sitz des BNSDJ, der nun die alleinige Berufsorganisation für Juristen dargestellt habe, sei in München gewesen, Hans Frank sowie seinem geschäftsführenden Sekretär Wilhelm Heuber übertragen und in 26 Gaue aufgeteilt worden.302 Ende 1934 sei der BNSDJ mit fast 80.000 Einzelmitgliedern „die größte Juristenorganisation der Welt“ geworden und 1936 in NSRB303 umbenannt worden.304 Die Tätigkeit der
294
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 94. 295
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 95. 296
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S. 95. 297
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 95. 298 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S. 95 f. 299 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S. 96. 300 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S. 96. 301 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S. 96. 302 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S. 96. 303 Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund. 304 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S. 96.
B52, Eröffnungserklärung Anklage, B52, Eröffnungserklärung Anklage, B52, Eröffnungserklärung Anklage, B52, Eröffnungserklärung Anklage, B52, Eröffnungserklärung Anklage,
B52, Eröffnungserklärung Anklage,
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
Juristen sei in politischer Hinsicht durch Disziplinarkammern innerhalb der Vereinigung überwacht worden.305 b) Umschulung der Juristen Auch die Juristenausbildung sei umfassend auf die Bedürfnisse der Nazis zugeschnitten worden: Von nun an hätten an den Universitäten nur noch nationalsozialistisch gesinnte Professoren und „Opportunisten [. . .], die ihren juristischen Ruf gegen Beförderung in der nationalsozialistischen Hierarchie eintauschten“, unterrichten dürfen; Lehrbücher seien zensiert worden.306 Der Unterricht selbst sei inhaltlich ausgedünnt worden, dafür hätten die Studenten „Arbeitsdienst und Militärdienst“, unter anderem bei Organisationen der SA und SS leisten und Referendare an ideologischen Fortbildungen und Wehrübungen teilnehmen müssen.307 Die ideologische und politische Zuverlässigkeit sei von nun an wesentliches Kriterium zum Bestehen des großen Examens gewesen.308 Dieser nationalsozialistische Einschlag der juristischen Ausbildung sei insbesondere auf den ehemaligen preußischen Justizminister Hans Kerrl, einem überzeugten Nationalsozialisten, zurückzuführen gewesen.309 Kerrl war durchaus eine bedeutende Persönlichkeit im Justizwesen des „Dritten Reiches“: Obwohl er selbst keine juristische Ausbildung genossen hatte, hatte er unter den Nazis zunächst die Position eines Justizministers erhalten und wurde später zum Reichskulturminister ernannt.310 Durch die Verordnung vom 29.06. 1933311 wurde das „Gemeinschaftslager Hans Kerrl“ gegründet, das in Jüterbog bei Berlin gewesen war.312 Das Lager wurde von dem Juristen, NSDAP-Mitglied und SA Standartenführer Spieler geleitet und „von SA Leuten und Offizieren des Heeres unterstützt“.313 Sinn dieses Lagers sei es gewesen, das „Führerprinzip“ 305
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 96. 306
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 97. 307
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 97. 308
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 98. 309
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 98. 310
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
S. 98. 311 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 99 Fn. 1. 312 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 99. 313 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 99.
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durch „weltanschaulichen Unterricht“ zu lernen und „die Ideen des Führers am eigenen Leibe zu erfahren“.314 Ab 1934 wurde dann das Gemeinschaftslager dem Justizministerium unterstellt.315 IV. Mitgliedschaft in Verbrecherischen Organisationen (Anklagepunkt IV)316 Insgesamt sieben der Angeklagten seien Mitglieder von verbrecherischen Organisationen im Sinne des IMT-Urteils gewesen.317 Altstötter, Cuhorst, Engert und Joël seien Mitglieder der SS, Joël außerdem Mitglied des SD, und Cuhorst, Oeschey, Nebelung und Rothaug Mitglieder des Korps der Politischen Leiter der NSDAP gewesen.318 Die Anklagebehörde leitete die gesetzliche Grundlage zu deren Ahndung aus Art. II KRG10 i.V. m. Art. 9 IMT-Statut und dem Urteil des IMT her.319 Man zitierte für die Voraussetzungen der strafbaren Mitgliedschaft aus dem Urteil des IMT320 bezüglich der genaueren Umgrenzung der verbrecherischen Organisationen.321 Nach Ansicht der Prosecution trat, sofern die Mitgliedschaft nach dem 01.09.1939 bewiesen sei, eine Beweislastumkehr bezüglich der Defences ein.322 1. SS und SD a) Ausführungen der Prosecution Altstötter, Cuhorst, Engert und Joël hätten bereits vor Kriegsbeginn der SS angehört, wobei Cuhorst ein „förderndes Mitglied“, die anderen drei vollwertige 314 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 99 f. In einer Werbebroschüre für das Gemeinschaftslager war eine Fotographie enthalten, auf der Kerrl sowie Reichsjustizminister Gürtner unter einem Galgen posierten, an dem ein Paragraphenzeichen baumelte. „Es würde schwer sein, sich ein passenderes Symbol der Erniedrigung des Juristentums im deutschen Reich vorzustellen.“ Ebenda, S. 100. 315 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 100. 316 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, Überschrift S. 101. 317 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 101. 318 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 101; Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 101. 319 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 101. 320 Vgl. IMT, Bd. I, S. 286 ff.; US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 101 Fn. 321 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 101 f. 322 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 102. Vgl. aber Kraus, KRG10, S. 88 f.
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Mitglieder im Offiziersrang gewesen seien.323 Die Prosecution warf den Angeklagten vor, über die Tätigkeit der SS im Bilde gewesen zu sein, da Justiz und SS Hand in Hand zusammengearbeitet hätten.324 So habe Himmler dafür gesorgt, „dass die deutsche Justiz über die Ideologie der SS und ihre verbrecherischen Ziele voll unterrichtet war.“ 325 Unter anderem sei Himmler im Jahre 1944326 von Justizminister Thierack gebeten worden, vor den OLG-Präsidenten und Generalstaatsanwälten zu sprechen, wobei es inhaltlich um die „Ziele der SS“ gegangen sei, insbesondere die „Rassenfrage, Fragen der nationalen Biologie (Lebensborn), kämpferische Auswahl, Rassengemeinschaft, die Wichtigkeit der Waffen-SS und der Großdeutsche Gedanke“.327 Somit hätten auch Cuhorst, Altstötter, Engert und Joël Bescheid gewusst.328 Aber auch vor 1944 hätte das Justizministerium schon mit der SS zusammengearbeitet, als Insassen der Gefängnisse in die KZs überstellt worden waren.329 Hierfür sei Engerts Abteilung zuständig gewesen, wie sich aus einer in einer Urkunde von Oktober 1942 festgehaltenen Vereinbarung zwischen Himmler und dem Justizministerium ergebe.330 Engert habe die Vorgänge dabei persönlich überwacht.331 Altstötter sei zur gleichen Zeit Abteilungsleiter im Justizministerium gewesen und müsse somit ebenfalls Kenntnis hiervon gehabt haben.332 Weiterhin habe Altstötter zu SS-Größen wie Himmler und SS-Chefarzt Gebhardt sehr gute Kontakte gepflegt und sei von Himmler als „zuverlässig“ bezeichnet worden.333
323 Altstötter: 1937 Beitritt zur SS, Juni 1944 Beförderung zum Oberführer; Cuhorst: seit Januar 1934 „förderndes Mitglied der SS“; Engert: 1936 Beitritt zur SS, höchster Rang Oberführer; Joël: 1938 Beitritt zur SS, höchster Rang Obersturmbannführer. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 102. 324 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 103. 325 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 103. 326 Es werden die Angaben „Juli“ und „20. Mai“ gemacht. 327 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 103. 328 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 103. 329 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 103. 330 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 104. 331 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 104. 332 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 104. 333 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 104.
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Joël sei auch Mitglied des SD gewesen.334 Er habe sich in einer Denkschrift von 1942 für den Ausbau von Görings Plan, Spezialkommandos aus Gefangenen zusammenzustellen, ausgesprochen.335 Himmler habe zwar bereits „eine große Anzahl solcher Männer“ auserkoren, Göring habe aber weitere Männer benötigt.336 Diese „waghalsigen Kerle“ sollten „Sonderaufträge hinter den Linien der Ostfront durchführen“, namentlich „die Verbindungslinien der Partisanengruppen [. . .] unterbrechen, morden, brennen und schänden“ und nach getaner Arbeit wieder in Deutschland inhaftiert werden.337 b) Anmerkung Obwohl in vielen Beweismitteln der Prosecution Rothaugs häufige Treffen mit SD-Mann Elkar hervorgehoben werden und auch thematisiert wird, dass Rothaug als „ehrenamtlicher Mitarbeiter“ des SD tätig geworden ist, wurde jener nur wegen einer Mitgliedschaft im Führerkorps, nicht aber wegen SD-Zugehörigkeit, angeklagt. Dies lag wohl an der Definition der strafbaren SD-Zugehörigkeit des IMT.338 An dieser Stelle zeigt sich besonders gut, dass die vom IMT vorgenommene Definition für eine strafrechtliche Ahndung völlig ungeeignet war. Aufgabe der Mitarbeiter des SD war das Anwerben und Betreuen von Zubringern, V-Leuten sowie Agenten, wodurch ihnen eine immanent wichtige Funktion im Rahmen des Geheimdienstes zukam.339 Ob ein Mitarbeiter „ehrenamtlich“ oder „hauptamtlich“ arbeitete, machte, wie oben herausgearbeitet340, keinen inhaltlichen Unterschied. Es ist also nicht möglich, alleine von der Dienstbezeichnung auf die Qualität oder Quantität von Rothaugs Beiträgen für den SD zu schließen. Ehrenamtliche Mitarbeiter hatten gegenüber den Hauptamtlichen vielmehr einen „Vorteil, dessen Geldwert kaum einzuschätzen ist“: Sie wurden im Rahmen des „totalen Krieges“ und des „Volkssturms“ weder zu Arbeitseinsätzen, noch zur Reichsverteidigung herangezogen341, wodurch sich auch Rothaugs „uk“-Stellung erklären könnte.
334 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 104. 335 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 104. Vgl. auch Malanowski, in: Der Spiegel 44/1987, S. 112 ff. 336 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 104. 337 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 104 f. 338 Vgl. Kapitel 2 § 5 A. I. 4. 339 Schreiber, Elite, S. 214. Vgl. auch Elkar, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 375. 340 Kapitel 2 § 5 A. I. 4. 341 Schreiber, Elite, S. 221.
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2. Korps der politischen Leiter Cuhorst sei 1930 der NSDAP beigetreten und habe im Jahre 1933 das Amt eines Gaustellenleiters erworben.342 Oeschey sei 1931 Parteimitglied geworden und seit 1940 Gauhauptstellenleiter gewesen.343 Rothaug sei im Jahre 1938 Parteimitglied geworden und habe die Position eines Gaugruppenleiters eingenommen.344 Alle drei Angeklagten seien damit Leiter einer Stabsorganisation auf der Gauebene gewesen.345 Nebelung habe 1928 die NSDAP-Mitgliedschaft erworben und sei kurz danach Ortsgruppenleiter geworden.346 Nach dem IMT-Urteil sei das Korps der politischen Leiter an der „Verfolgung und Ausrottung von Juden, Durchführung des Programms der Arbeiterversklavung, Misshandlung von Kriegsgefangenen und [. . .] Tötung von über Deutschland abgesprungenen Fliegern“ verantwortlich gewesen.347 Die vier Angeklagten hätten von den meisten der vorgebrachten Sachverhalte gewusst und auch daran teilgenommen.348 3. Umfang der Schuld Abschließend äußerte sich die Prosecution noch zum Umfang der Schuld der Angeklagten im Rahmen des Organisationsverbrechens.349 Erstens treffe es zwar zu, dass keiner der sieben Beschuldigten hauptamtlich oder bezahlt für diese Organisationen gearbeitet habe, denn ihre Hauptanstellung sei ja eine solche in der Justiz gewesen.350 Dies sei aber aufgrund der Umstände völlig unerheblich.351 Zweitens seien Altstötters, Engerts und Joëls SS-Führerränge zwar Ehrenränge.352 Die Verleihung von derartigen Auszeichnungen sei aber gerade Himmlers Plan gewesen, um seine Macht zu festigen.353 Denn die Angeklagten hätten „ihre 342
Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 104. Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 104. 344 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, S. 105. 345 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, S. 105. 346 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 104. 347 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, S. 105. 348 Taylor, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 105. 349 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, S. 106. 350 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, S. 106. 351 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, S. 106. 352 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, S. 106. 353 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, S. 106. 343
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Eröffnungserklärung Anklage,
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Seele verkauft“, indem sie die Vorzüge einer entsprechenden Auszeichnung angenommen hätten, auch wenn sie vielleicht nicht für die dahinterstehenden Werte eingestanden seien.354 Drittens könnten sich die Angeklagten nicht auf ihre nur „ehrenhafte“ Tätigkeit in der SS berufen, wenn sie die Tätigkeit der Organisationen gekannt und sogar selbst aktiv mitgewirkt hätten.355 Entsprechende Überlegungen seien auch in Bezug auf die Mitgliedschaft im Korps der Politischen Leiter anzustrengen, da die Angeklagten langjährige Parteimitglieder gewesen seien, „eine führende Rolle in Parteiangelegenheiten“ eingenommen und hohe Posten im „Gerichtssystem“ innegehabt hätten und somit von den verbrecherischen Tätigkeiten der Organisation gewusst hätten.356 Die Prosecution ging letztlich sogar soweit zu erklären, dass die Angeklagten in gewisser Weise eine größere Schuld als die hauptamtlichen Mitglieder auf sich geladen hätten: Sie seien beim Erstarken des Nationalsozialismus bereits erwachsen und „hochgebildete Akademiker“ auf dem Gebiet der Rechtswissenschaften gewesen, sodass sie sich bewusst für Hitler und gegen das Recht entschieden hätten.357
E. Schlussbemerkung der Prosecution Die Prosecution schloss mit dem Hinweis, dass auch wenn dieses Verfahren alleine von amerikanischer Seite durchgeführt, stellvertretend für die ganze Welt Recht gesprochen werde.358 Denn Opfer der Straftaten sei beinahe die ganze Welt geworden.359 Weiterhin gehe es um mehr, als die Angeklagten schuldig zu sprechen: Es gehe darum, auf der ganzen Welt gültige Moralvorstellungen durchzusetzen.360 Es sei zwar unwahrscheinlich, dass andere Verbrechen „so berechnend, so bösartig und so verheerend“ sein könnten wie die der Nazis.361 „Aber hinter diesen Verbrechen stehen Mythen, Aberglaube, andere ausgeklügelte Verdrehungen der Philosophie, die keine nationalen Grenzen kennen“ 354 StAN, S. 106. 355 StAN, S. 106. 356 StAN, S. 106 f. 357 StAN, S. 107. 358 StAN, S. 107 f. 359 StAN, S. 108. 360 StAN, S. 108. 361 StAN, S. 108.
KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage,
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und die es zu bekämpfen gelte.362 Außerdem müsse Deutschland wieder zu einem demokratischen und friedlichen Staat aufgebaut werden, wofür die Nürnberger Verfahren die notwendige Grundlage darstellten.363 Da die Angeklagten mit ihren Taten den weltweiten Frieden gefährdet und jede Menschlichkeit hätten zerstören wollen, solle Nürnberg als Zeichen des Friedens und der Völkerverständigung in die Annalen der Geschichte eingehen.364
F. Eigene Bemerkungen und Bezug zu Rothaug Obwohl Rothaug von der Prosecution als einer der schlimmsten NS-Justizverbrecher gesehen wurde, blieben die Vorwürfe gegen ihn vom Umfang her überschaubar. Neben der Anklage wegen einer Conspiracy zu Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen, die gegen alle Angeklagten rechtlich fragwürdig blieb, überraschen in Bezug auf Rothaug die Ausführungen zu Kriegsverbrechen und VGM, sowie die Anklage wegen der Organisationszugehörigkeit. Von allen aufgeführten Tatkomplexen wurde Rothaug nur der Einsatz des Gesetzes als „Waffe“ vorgeworfen. Grundsätzlich hätte man annehmen können, dass Rothaug als Richter am Sondergericht und Reichsanwalt am Volksgerichtshof beispielsweise auch mit Fällen des NN-Erlasses in Kontakt gekommen sein könnte.365 Allerdings war das Sondergericht Nürnberg ausweislich des Anklagematerials nicht für NN-Sachen zuständig. Als Reichsanwalt war Rothaug auch ausschließlich für Fälle von Hochverrat und Wehrkraftzersetzung im „Reichsgebiet“ zuständig, konkrete Taten wurden Rothaug ferner nicht vorgeworfen. Es fällt auch auf, dass Rothaug in den die Angeklagten nicht nur im Allgemeinen sondern persönlich betreffenden Vorwürfen ausschließlich in den Tatkomplexen Katzenberger und Lopata erwähnt wird. In allen anderen Punkten wird abstrakt auf die Tätigkeit eines Richters am Sondergericht bzw. eines Reichsanwaltes am Volksgerichtshof abgestellt. Allerdings wurden im Laufe der Verhandlung durchaus eine Reihe von Urteilen in den Prozess eingeführt, in denen Rothaug an Todesurteilen beteiligt gewesen war366.
362 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 108 f. 363 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 109. 364 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B52, Eröffnungserklärung Anklage, S. 109. 365 Vgl. auch Haensel, in: DRZ 1948, 40 (43). 366 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 160 ff. und unter Kapitel 3 § 11.
§ 9 Eröffnungserklärung der Gesamtverteidigung Alle Angeklagten erklärten sich zu den gegen sie vorgebrachten Vorwürfen für nicht schuldig1, nachdem sie mindestens 30 Tage vor der Verfahrenseröffnung eine Abschrift der Anklage in deutscher Übersetzung erhalten hatten.2 Dieser Umstand sorgte für „Verwunderung in englischen und amerikanischen Juristenkreisen“, da nach dem angloamerikanischen Recht das „sich-schuldig-Bekennen“ strafmildernd wirkt3 und unter anderem Rothaugs Fall von vorneherein keinen guten Stand hatte.4 Während sich die Verteidigung im IMT-Prozess nicht auf eine gemeinsame Eröffnungserklärung einigen konnte5, gelang dieses Unterfangen den Verteidigern im Juristenprozess6. Das Gericht hatte der Verteidigung für ihre Ausführungen zwei Tage zugestanden.7 Das Opening-Statement für die Gesamtverteidigung wurde am 23.06.1947 von Kubuschok verlesen.8 Darin wurden Themen behandelt, die alle Angeklagten in diesem Verfahren betrafen. Im Folgenden wird das Opening-Statement genauer erläutert.
A. Aufbau der Justizverwaltung und Verantwortung für Dokumente Die Verteidigung wehrte sich gegen die Vorwürfe, dass die Nationalsozialisten ein neues Rechtssystem inklusive einer neuen Rechtsprechung geschaffen hätten.9 1 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 39; US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 28; Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (713). 2 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S1, Urteil Teil 1, S. 1; Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (713). Zum sogenannten Disclosure of Evidence, insbesonere im IMTVerfahren, vgl. Büngener, Disclosure, S. 2 ff., 79 ff. 3 Hierzu jüngst im VW-Abgas-Skandal Ohne Verfasser, Abgasskandal. 4 Vgl. Kraus, KRG10, S. 109. Vgl. auch Seliger, Politische Anwälte, S. 175 f. 5 Siehe Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), 47 (53 f.); Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 40. Stattdessen hatte Jahrreiß dort ein Gutachten zum Angriffskrieg vorgebracht. Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, A57–57a, S. 4271 f.; IMT, Bd. I, S. 186 ff. 6 US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 108 Fn. Vgl. zum Flick-Prozess Jung, Rechtsprobleme, S. 39. 7 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A1–3, S. 30 f. 8 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 55, 23.06.1947, S. 1. 9 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 1.
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Um dies zu belegen, richtete die Verteidigung das Augenmerk auf die Entwicklung von Justizverwaltung und Rechtsprechung über die Zeit der Nationalsozialisten hinaus10 und auf deren geschichtliche Entwicklung11. Dazu sollten die Aufgaben und die Stellung eines jeden Beamten im Justizapparat erklärt und die Veränderungen dieser Aufgaben mit der Machtergreifung Hitlers dargestellt werden.12 Eine große Rolle spielte dabei nach Ansicht der Verteidigung die Weisungsbefugnis in der Hierarchie sowie die Frage der Verantwortungsübernahme durch Gegenzeichnung.13 Denn nur so lasse sich beispielsweise erklären, dass entgegen der Meinung der Prosecution die Zeichnung eines Aktenstücks nicht zwangsläufig auf die Übernahme von Verantwortung schließen lasse; sie könne auch lediglich die Kenntnisnahme oder sachliche Zuständigkeit ausdrücken.14 In diesem Kontext sei auch darauf hinzuweisen, dass eine „Mitzeichnung“ lediglich darauf hindeute, „dass vom eigenen Arbeitsgebiet aus, also aus rein fachlichen Gesichtspunkten, gegen die Bearbeitung der Sache keine Bedenken bestanden“, wobei auch immer berücksichtigt werden müsste, dass verschiedene Themenkomplexe im Justizministerium verschiedenen Abteilungen zugeordnet sein konnten.15
B. Unterschiedliche Rechtssysteme Eine wichtige Rolle spielten nach Ansicht der Verteidigung die Unterschiede zwischen dem deutschen kodifizierten Recht und dem angloamerikanischen Case Law.16 Denn während neue Rechtsgedanken im kodifizierten Recht nur durch Änderungen des geschriebenen Rechts hinzukommen können, geschehe dies im Case Law durch die Rechtsprechung selbst.17 „Deshalb spielte auch der Rechtspositivismus in Deutschland seit Ende des 19. Jahrhunderts eine ungleich größere Rolle als in außerkontinentalen Rechtssystemen.“ 18
10 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 1. 11 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 1. 12 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 6. 13 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 6; vgl. auch Kraus, KRG10, S. 98 f. 14 Vgl. Kubuschok, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 111. 15 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 7. 16 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 1. 17 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 2. 18 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 2.
der Geder Geder Geder Ge-
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Die Änderung des § 2 RStGB im Jahre 1935, die „eine Synthese zwischen kodifizierter und richterlicher Rechtsentwicklung“ darstellte19, beweise, dass die rechtlichen Umgestaltungen zwischen 1933 und 1945 entgegen der Annahme der Prosecution nicht auf nationalsozialistischem Gedankengut basieren müssten.20 Die Änderung resultiere vielmehr aus einem Entwurf, der vor 1935 entstanden sei, um („in begrenztem Umfang“ 21) die Schwächen des kodifizierten Rechts durch Analogie wettzumachen.22
C. Verfassungsrecht und Technik der Gesetzgebung Ein – nicht neues23 – Hauptverteidigungsargument für die NS-Richter (und damit auch für Rothaug) war, dass die durch sie ausgesprochenen Todesurteile infolge von Führerbefehlen ergangen seien; Richter hätten Führerbefehle aber nicht in Frage stellen können.24 Entscheidend für die Verteidigung in diesem Punkt war, dass es sich beim Führerbefehl um keinen bloßen militärischen Befehl gehandelt habe, wie ihn das KRG10 meint.25 Bei dem Führerbefehl habe es sich vielmehr um einen Legislativakt gehandelt, sodass Art. II Nr. 4 b) KRG10 keine Sperrwirkung entfalte.26 Die Verteidigung erläuterte dazu das Staatsorganisationsrecht der Weimarer Republik.27 Denn problematisch sei insbesondere das „gesetzmäßige Zustandekommen des Gesetzes und seine Rechtswirkungen“ sowie die „Verbindlichkeit des Führerbefehls“.28 Unter Reichskanzler Brüning29 sei vom Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten bereits immer stärker Ge-
19 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 2. 20 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 2. 21 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 2. 22 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 2 f. 23 So nämlich schon im Hauptkriegsverbrecherprozess. Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, A 57–57a, S. 4273. 24 Vgl. hierzu Rüthers, in: NJW 1988, 2825 (2833); Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 50; Kraus, KRG10, S. 119 ff.; Radbruch, in: SJZ 1947, 131 (134 f.). 25 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 4; vgl. auch Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (715). 26 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 4. 27 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 3. 28 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 4. 29 „Bruchning“ im Original.
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brauch gemacht worden.30 Durch das Ermächtigungsgesetz vom 24.03.1933 habe diese Praxis ihren Höhepunkt erreicht, da Hitler nach Art. 56 WRV die Gesetzgebungskompetenz übertragen worden war und er somit auch die „Richtlinien der Politik“ bestimmt habe.31 Nach und nach hätten sich die Kabinettsitzungen nur noch auf die „Ausgabe der Weisungen Hitlers“ beschränkt.32 Als Hitler im August 1934 auch das Amt des Reichspräsidenten übernommen hatte, hätten die Abgeordneten keinen Einfluss mehr auf Gesetzesentwürfe gehabt; 1937 habe es nicht einmal mehr Kabinettsitzungen gegeben.33 Von diesem Zeitpunkt an seien Gesetze im Umlaufverfahren entstanden.34 Hierbei hätten die Minister Widersprüche erheben können, insofern sie sich auf „ressortmäßige Gesichtspunkte“ und nicht auf Hitlers Ideologie bezogen hätten.35 Ab 1935 sei, unter anderem aufgrund des Reichsverteidigungsgesetzes, ein „Dreierkollegium“, das aus OKW, dem Wirtschaftsminister und dem Innenminister bestanden habe, zur Gesetzgebung berufen worden.36 Nach Beginn des Krieges sei daneben noch der Ministerrat für die Reichsverteidigung zur Gesetzgebung befugt gewesen.37 Alle anderen Ministerien seien hierarchisch untergeordnet und weisungsabhängig gewesen.38
D. Verhältnis und Abhängigkeit der Justiz zu anderen Stellen Vermutlich in Erwiderung auf die Vorwürfe, dass die Justiz Hand in Hand mit der SS zusammengearbeitet habe, forderte die Verteidigung, die Zuständigkeiten von Justiz- und Innenministerium zu hinterfragen.39 Schon vor 1933 hätten „notwendige Verbindungen mit anderen Ministerien“ bestanden40; sie seien also 30 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 3. 31 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 3 f. 32 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 4. 33 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 4 f. 34 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 5. 35 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 5. 36 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 5. 37 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 5. 38 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 5. 39 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 7. 40 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 7.
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keine Besonderheit des NS-Staates gewesen.41 Die Weisungsbefugnis der Beamten solle in Anbetracht der Frage eines möglichen Schuldausschlusses erörtert werden.42 In diesem Zusammenhang müsse die Rolle der Polizei untersucht werden, die sich nach und nach zu Lasten der Justiz eine Vormachtstellung erkämpft habe.43 Die Polizei habe sich eine justizielle Parallelwelt aufgebaut, mit einer eigenen SS-Gerichtsbarkeit und der Möglichkeit, Feinde mittels „Schutzhaftbefehl“ in KZs zu inhaftieren.44 Auch wenn das Justizministerium mit allen Mitteln versucht habe, den „Rechtsstaatsgedanken“ zu bewahren, sei die Justiz von der Polizei abhängig gewesen, da nach dem deutschen Strafverfahren die Polizei die Strafverfolgungsbehörden stellte45. Himmler habe gar (vergeblich) versucht, „die Staatsanwaltschaften aus der Justiz herauszunehmen und in seinen Polizeiapparat einzugliedern“.46 Außerdem habe die Justiz stets mit der Abneigung Hitlers und der Partei zu kämpfen gehabt, die insbesondere die Gauleiter verbreitet hätten.47
E. Stellungnahme zu den von der Anklage beanstandeten Gesetzen Daraufhin widmete sich die Verteidigung den „von der Anklage beanstandeten Gesetzen“.48 Sie ging also auf diejenigen Gesetze und Änderungen unter dem NS-Regime ein, die die Prosecution als strafrechtlich relevant einstufte. I. „Nullum crimen sine lege“ Die Vorwürfe der Anklage, dass deutsche Gesetze gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen hätten, seien unbegründet.49 Denn es seien keine neuen Tatbe41 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 7. 42 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 7 f. 43 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 8. 44 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 8. 45 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 8. 46 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 9. 47 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 9. 48 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 9. 49 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 9 f.
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stände geschaffen, sondern lediglich die Höhe der Strafe angepasst worden.50 Dies stelle nach „allgemeiner deutscher und kontinentaler Rechtsauffassung“ keinen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot dar.51 Die Änderungen seien aus rein praktischen Erwägungen heraus geschehen, um die Gesetze handhabbarer zu machen.52 Dabei seien kriminologische Überlegungen, die bereits vor der Machtergreifung und nicht nur in Deutschland verbreitet gewesen seien, aus Gründen der sich ändernden Lebensumstände, herangezogen worden.53 II. „Inhumanität“ der Gesetze54 Die Prosecution habe den Angeklagten vorgeworfen, inhumane Gesetze verkündet und angewendet zu haben.55 Allerdings sei diese Verschärfung der Gesetzgebung nur aufgrund der sich wandelnden Verhältnisse innerhalb der Gesellschaft eingetreten.56 Die Änderung der Strafgesetzgebung habe damit lediglich den ihr immanenten Zweck, nämlich den Abschreckungsgedanken, gefördert.57 Die neuartigen Tätertypen58, wie die „gefährlichen Gewohnheitsverbrecher“, „Gewaltverbrecher“, „jugendlichen Schwerverbrecher“, „Volksschädlinge“ und „Asoziale“, seien nicht aus nationalsozialistischen Gesichtspunkten erschaffen worden, sondern aus der Notwendigkeit heraus, den kriminalistischen Gegebenheiten Herr zu werden.59 Man habe diese Abgrenzung benötigt, um die nicht unter die Definitionen der Tätertypen fallenden Personen milder zu bestrafen.60
50 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 10. 51 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 10. 52 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 10. 53 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 10. 54 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 10. 55 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 10. 56 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 10 f. 57 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 11. 58 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P2, S. 98, 99 ff.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 11. 59 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 11. 60 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 11.
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Die Theorie hinter der Eugenik sei keine Naziideologie gewesen, sondern habe vielmehr in Deutschland bereits vor der Machtergreifung und auch in anderen Ländern, „sogar in sozialistischen und kirchlichen Kreisen“, bestanden.61 In dem Gesetz seien Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden, um einen Missbrauch zu verhindern.62 Außerdem sei das Gesetz „niemals zu politischen oder rassepolitischen Zwecken missbraucht worden“.63 Für das Euthanasieprogramm seien Hitler und dessen engster Kreis alleinig verantwortlich gewesen, die Justiz habe von diesen Vorgängen erst nach und nach „und von außen her“ Kenntnis erlangt.64 Der Justizminister habe sich dann aber erfolgreich gegen das Euthanasieprogramm eingesetzt und für einen „vorzeitigen Abbruch“ gesorgt.65 Allerdings spiele auch hier die „Betrachtung der tatsächlichen Gegebenheiten“ eine Rolle.66 III. Aufbau der Gerichte und Gang des deutschen Strafverfahrens Die Verteidigung vertrat die Ansicht, dass die Sondergerichte keine Ausnahmegerichte im Sinne der Weimarer Verfassung gewesen waren, denn „ein Gericht, das nicht zur Aburteilung bestimmter Personen, sondern zur Aburteilung bestimmter Delikte bestimmt ist, [könne] nicht als Ausnahmegericht“ gelten.67 Weiterhin müssten die speziellen verfahrensrechtlichen Vorschriften vor den Sondergerichten und dem Volksgerichtshof nach ihrem telos untersucht werden.68 1. Allgemeines Um allen am Juristenverfahren beteiligten Personen das deutsche Strafprozessrecht mit seinen Besonderheiten gegenüber dem angloamerikanischen zu verdeutlichen, würde ein entsprechender Sachverständiger69 gehört werden.70 Wich61 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 11. Hierzu auch Müller, Furchtbare Juristen, S. 154 f. 62 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 11 f. 63 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 12. 64 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 12. 65 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 12. 66 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 12. 67 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 12. 68 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 12 f. 69 Siehe StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B51.
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tige Unterschiede zeigten sich beispielsweise in der Funktion des Richters, der Verteidigung, des Staatsanwaltes und in den Pflichten und Rechten des Angeklagten. Im angloamerikanischen Strafprozessrecht nehme beispielsweise der Angeklagte – im Gegensatz zu deutschen Verfahren – die Rolle eines Zeugen ein, sodass er auch vereidigt werden könne.71 2. Die Rolle des Verteidigers Die Funktion und Bedeutung des Verteidigers sei im deutschen Strafverfahren eine gänzlich andere als im amerikanischen System: Im angloamerikanischen Strafprozess träten Staatsanwaltschaft und Verteidigung quasi als Gegenspieler auf, während das Gericht eine unparteiische „Schiedsstelle“ darstelle.72 In Deutschland habe der Richter hingegen den Sachverhalt lückenlos aufzuklären, ihm obliege auch die gesamte Prozessführung inklusive der Beweisaufnahme.73 So würden Staatsanwaltschaft und Verteidigung lediglich „flankierend“ tätig, um dem Gericht bei dieser Aufgabe behilflich zu sein.74 Da dem Gericht also auch diejenige Aufgabe obliege, die im angloamerikanischen Verfahren originär die Rolle des Verteidigers ausmache, würden „im deutschen Strafprozess nur in einem verhältnismäßig kleinen Bruchteil der Verfahren überhaupt ein Verteidiger für den Angeklagten auftr[eten] und in allen übrigen Fällen der Angeklagte von der Bestellung eines Verteidigers abs[ehen]“.75 3. Anfechtbarkeit erstinstanzlicher Urteile: Nichtigkeitsbeschwerde und außerordentlicher Einspruch Die Möglichkeit, Urteile im Wege der Nichtigkeitsbeschwerde und des außerordentlichen Einspruchs zu beseitigen, welche nach Ansicht der Prosecution einen Verstoß gegen das „ne bis in idem“-Prinzip darstellte, beruhe nicht auf nationalsozialistischen, sondern praktischen Erwägungen.76 Da es immer mehr Delikte gegeben habe, bei denen eine Strafbarkeit nur erstinstanzlich festgestellt worden 70 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 13 ff. 71 Kubuschok, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 116. 72 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 16. 73 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 16. 74 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 16. 75 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 16. 76 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 17.
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sei, sei es nötig geworden, devolutive Rechtsmittel gegen diese Urteile zu schaffen.77 Die mit der Einführung der Sondergerichte aufgekommene „Wiederaufnahme des Verfahrens“ sei insbesondere im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts unpraktikabel gewesen, sodass die aus dem österreichischen Strafrecht adaptierte Nichtigkeitsbeschwerde eingeführt worden sei.78 Man werde darüber diskutieren müssen, inwiefern ein Rechtsmittel gegen das „ne bis in idem“-Prinzip verstoßen könne.79 4. Zuständigkeit eines Staates für Strafgewalt in Auslandsstaaten Längere Ausführungen wurden von der Verteidigung auch zu dem Komplex der Strafverfolgung durch die deutsche Justiz für im Ausland begangene Straftaten gemacht. a) Allgemeines Die Ausdehnung der Strafgewalt auf die besetzten Auslandsstaaten basierte nach Meinung der Verteidigung keineswegs auf spezifischem nationalsozialistischem Denken, sondern vielmehr auf Erwägungen, die lange vor der Machtergreifung Hitlers angestellt worden seien.80 Um die Legitimität der „strafrechtliche[n] Verfolgung von Ausländern wegen strafbaren Handlungen, die sie im Ausland begangen haben“, feststellen zu können, müsse zunächst untersucht werden, ob dieses Vorgehen völkerrechtskonform sei.81 Dies sei daran zu messen, ob der Staat das Personalitätsprinzip, das Territorialitätsprinzip, das Schutzrechtsprinzip oder den Weltrechtsgrundsatz anwende, was nach einer „rechtsvergleichende[n] und rechtsgeschichtliche[n] Betrachtung“, „in den einzelnen Staaten verschiedenartig und wandelbar“ gesehen worden sei.82 Von Bedeutung seien dafür die Vorgaben der §§ 3 und 4 des RStGB.83 Die Änderung des RStGB vom 06.05.1940, welche den Anwendungsbereich der deutschen Strafvorschriften über die deutschen Grenzen hinaus ausgedehnt hatte und daher von der Prosecution als strafrechtlich relevant eingeschätzt worden war, basierte auf Entwürfen, 77 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 17. 78 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 17. 79 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 17. 80 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 18 ff. 81 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 18. 82 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 18. 83 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 18.
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die „weit vor 1933“ geschrieben worden seien.84 In diesem Zusammenhang sei auch der § 153a RStPO, „gewissermassen ein Sicherheitsventil gegen eine zu weitgehende Ausdehnung“, zu sehen, welcher „die tatsächliche Verfolgung weitgehend eingeschränkt“ habe.85 Sodann wurden die Handhabung der strafrechtlichen Verfolgung in den einzelnen besetzten Gebieten sowie spezielle Gesetze und Erlasse für diese Gebiete besprochen.86 Zu berücksichtigen sei immer, dass nach der deutschen Rechtsauffassung nationale Gesetze dem Völkerrecht gegenüber Vorrang genießen würden, was auch auf das „Unrechtsbewusstsein [. . .] der Angeklagten“ durchschlagen würde.87 Zwei Fragen seien entscheidend: erstens, „was die deutsche Öffentlichkeit und die Angeklagten über die tatsächlichen Verhältnisse wussten“, und zweitens, „ob die tatsächlich gewählte Rechtsgestaltung und Rechtsprechung nicht auch in ihrem Ausmaße bei Annahme anderer völkerrechtlicher Verhältnisse ihre Rechtfertigung“ gefunden habe.88 Der Vorwurf, dass deutsches Recht in den besetzten Ostgebieten eingeführt worden war, konnte nach Ansicht der Verteidigung durch eine genaue Betrachtung der Umstände widerlegt werden.89 So sei deutsches Recht nur in den westlichen Teilen Polens eingeführt worden.90 Dabei habe es sich hauptsächlich um die noch vor dem Ersten Weltkrieg zu Deutschland gehörenden Gebiete Posen und Oberschlesien, die sogenannten „eingegliederten Ostgebiete“, gehandelt.91 Das übrige, sogenannte Kongresspolen, habe als Generalgouvernement dem Generalgouverneur Frank unterstanden.92 Für diejenigen „Gebiete, die nach September 1939 zur Union der Sowjetrepubliken gehörten“, seien die Militär- und Zivilgouverneure zuständig gewesen.93 Demnach sei das Justizministerium nur für die 84 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 18. 85 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 18. 86 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 18 ff. 87 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 23 f. 88 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 19. 89 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 19 f. 90 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 19 f. 91 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 19. 92 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 19 f. 93 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement samtverteidigung, S. 19 f.
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Einführung des deutschen Rechtes in den „eingegliederten Ostgebieten“ verantwortlich gewesen.94 Die Verteidigung berief sich darauf, dass staatsrechtliche Verträge durch eine Kriegserklärung gegenstandslos werden würden. Als Belege nannte sie die Rechtsprechung des Reichsgerichts nach dem Ersten Weltkrieg, französische Werke wie René Foignets „Droit International Public“ sowie das Abkommen zwischen Deutschland und der Sowjetunion „über einen Rechtsverkehr in Zivilsachen mit dem in die Sowjetunion 1940 eingegliederten polnischen Gebietsteilen“.95 Die Verteidigung betonte außerdem, es habe nach dem Anklagematerial keinen Fall gegeben, in dem die PoStraV gegen polnische Staatsbürger, die nicht freiwillig nach Deutschland gekommen waren, angewandt wurde.96 „Ganz allgemein wird man jedoch berücksichtigen müssen, dass der nach Deutschland gekommene Pole nach demjenigen Gesetz behandelt worden ist, das damals in seinem früheren Wohnorte zur Anwendung kam.“ 97
b) NN-Sachen Nachdem die Verfahren nach dem NN-Erlass, bei welchem vermeintliche Partisanen von deutschen Einheiten entweder sofort ermordet oder nach Deutschland verschleppt worden waren, eine wesentliche Rolle in der Anklageschrift gespielt hatten, brachte die Verteidigung dementsprechend auch eine Vielzahl von Punkten gegen eine strafrechtliche Verantwortlichkeit ihrer Mandanten in Bezug auf NN-Sachen vor. Die NN-Sachen seien nicht in die Kompetenz der Zivil-, sondern die der Militärjustiz gefallen und hätten lediglich nach § 3 Abs. 2 Kriegsstrafverfahrensordnung98 zur Durchführung von Strafverfahren an die allgemeinen Gerichte überwiesen werden können, wenn kein „Bedürfnis der Kriegsführung“ vorgelegen habe.99 Grundsätzlich seien aber „alle Ausländer und Deutschen diesem Kriegs94 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 20. 95 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 20. 96 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 21. 97 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 21. 98 Diese sei nur vom „Führer und Reichskanzler“ und vom „Chef des Oberkommandos der Wehrmacht“ unterzeichnet worden; vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 21. 99 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 21, 23.
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verfahren wegen aller von ihnen im Operationsgebiet begangenen Straftaten“ unterworfen gewesen und auch bei der Überstellung an zivile Gerichte formal in der Zuständigkeit der Wehrmacht verblieben.100 Um der Verpflichtung nach Art. 30 HLKO nachzukommen, hätten Lehmann als Repräsentant der Wehrmachtsjustiz und Staatssekretär Freisler angeordnet, NN-Gefangene „vor ein deutsches Gericht“ zu bringen.101 Die absolute Geheimhaltung des NN-Programmes sei der militärischen Notwendigkeit geschuldet gewesen, die gemäß Abs. 8 der Einleitung zum Grundvertrag zur HLKO vorrangig gegenüber dem Schutz der Zivilbevölkerung sei.102 Über die militärischen Erwägungen habe die zivile Justiz nicht entscheiden dürfen.103 Den Vorwurf, dass die Strafen aufgrund des NN-Erlasses inhuman gewesen seien, konterte die Verteidigung mit der gewollten Abschreckungswirkung, die bei einer sofortigen Bestrafung im besetzten Gebiet nur mit drakonischen Strafen zu erwarten gewesen sei.104 Die Rechtsgrundlage habe in den „kriegsrechtlichen Bestimmungen“ bestanden, die auch mit dem Völkerrecht in Einklang gestanden hätten, da ausschließlich Sachverhalte angeklagt worden seien, „die nach allgemeinem Kriegsrecht mit dem Tode bestraft werden können, wie Spionage, Kriegssabotage, Feindbegünstigung und unerlaubter Waffenbesitz“.105 Nach Ansicht der Verteidigung habe man also den Abschreckungsgedanken und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Einklang gebracht, indem man die Verdächtigen nach Deutschland gebracht und dort einem besonderen Gerichtsverfahren ausgesetzt habe, dafür aber auch nur in einer kleinen Anzahl von Fällen die Todesstrafe habe aussprechen müssen.106 Die einzige Besonderheit des NN-Verfahrens zum normalen Verfahren sei im Übrigen die Geheimhaltung gewesen, was aber – auch im Vergleich mit angloamerikanischem Recht – keine wirkliche Schlechterstellung des Beschuldigten bedeutet habe, da die Prozessrechtsmaximen bestanden hätten.107
100 StAN, KV-Prozesse Fall Gesamtverteidigung, S. 21, 23. 101 StAN, KV-Prozesse Fall Gesamtverteidigung, S. 21 f. 102 StAN, KV-Prozesse Fall Gesamtverteidigung, S. 22. 103 StAN, KV-Prozesse Fall Gesamtverteidigung, S. 22. 104 StAN, KV-Prozesse Fall Gesamtverteidigung, S. 22. 105 StAN, KV-Prozesse Fall Gesamtverteidigung, S. 22. 106 StAN, KV-Prozesse Fall Gesamtverteidigung, S. 22 f. 107 StAN, KV-Prozesse Fall Gesamtverteidigung, S. 23.
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5. Lynchjustiz Die Verteidigung berichtete von Fällen, in denen die Justiz trotz gegensätzlicher Anordnung durch die Partei Gewalttaten gegen abgestürzte alliierte Piloten strafrechtlich verfolgt, sowie Zivilisten, die den Piloten geholfen hätten, gedeckt habe.108 Demnach habe man von Seiten der Justiz versucht, sich so gut wie möglich gegen das System aufzulehnen.109 6. Justizwesen Es wurden die Besonderheiten des deutschen Justizwesens herausgearbeitet. Darunter waren das Gnadenrecht, der Strafvollzug und die Stellung von Richtern und Staatsanwälten innerhalb der deutschen Justiz. Das deutsche Gnadenrecht müsse nach Ansicht der Verteidigung erörtert werden, denn dadurch würden sich viele der hier angeklagten Sachverhalte in einem anderen Lichte zeigen.110 Dem dem „Staatsoberhaupt“ zugestandenen Gnadenrecht könne an und für sich kein Vorwurf gemacht werden, denn es sei handwerklich von hoher Qualität gewesen und „mit allen Sicherheitsmaßnahmen sorgfältigst aufgebaut“ worden.111 In der Amtszeit von Gürtner und Schlegelberger habe sich Hitler das Gnadenrecht stets selbst vorbehalten – die beiden Justizminister seien auf ein Vorschlagsrecht beschränkt gewesen.112 Erst Thierack sei das Gnadenrecht durch Hitler zugestanden worden.113 Auch wenn dieser Umstand die Gnadenpraxis beeinflusst habe, sei ein ganzer Beamtenapparat mit der Gnadenfrage beschäftigt gewesen.114 Bei der Todesstrafe beispielsweise habe sich auch ohne Zutun des Verurteilten der Oberstaatsanwalt mit der Gnadenfrage beschäftigt und in dem anschließenden Verfahren seien das Gericht, der Vorsitzende, die Haftanstalt, die Polizei, der Generalstaatsanwalt, das RMJ, der Staatssekretär und der Justizminister persönlich involviert gewesen.115 Zum Amnestiegesetz und dem Hitler von Verfassungs wegen zugestandenen Recht der Nieder108 StAN, KV-Prozesse Fall Gesamtverteidigung, S. 24. 109 StAN, KV-Prozesse Fall Gesamtverteidigung, S. 24. 110 StAN, KV-Prozesse Fall Gesamtverteidigung, S. 24 ff. 111 StAN, KV-Prozesse Fall Gesamtverteidigung, S. 25. 112 StAN, KV-Prozesse Fall Gesamtverteidigung, S. 25. 113 StAN, KV-Prozesse Fall Gesamtverteidigung, S. 25. 114 StAN, KV-Prozesse Fall Gesamtverteidigung, S. 25 f. 115 StAN, KV-Prozesse Fall Gesamtverteidigung, S. 25 f.
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schlagung eines anhängigen Strafverfahrens, dem sogenannten Abolitionsrecht, sollte später vorgetragen werden.116 Die Blitzvollstreckung sei gegen Ende des Krieges eingeführt worden, mit dem ausschließlichen Zweck, rechtlich und tatsächlich eindeutige, schwerwiegende Fälle aus Gründen der Abschreckungswirkung auf schnellstem Wege zu bestrafen.117 Der Blitzvollstreckung sei aber ansonsten ein ganz normales Gerichtsverfahren vorausgegangen.118 Lediglich Formalien seien aufgrund der beschleunigten Verhandlungen abgeändert worden, sodass „alle Berichte und Voten fernmündlich, telegrafisch, durch Fernschreiber oder mündlich gegeben wurden und wegen des klaren Sachverhaltes auf eine Vorlage der Akten verzichtet wurde“.119 Es sei klarzustellen, dass in den Justizvollzugsanstalten keine systematischen „Menschlichkeitsverbrechen“ begangen worden seien, vielmehr seien Übergriffe gegen Inhaftierte sogar ausdrücklich gesetzlich verboten gewesen.120 Die von der Prosecution dargelegten Sachverhalte seien singuläre Ereignisse.121 Während der Staatsanwalt nach dem Legalitätsprinzip habe handeln müssen, sei der Richter ausschließlich dem Gesetz gegenüber verantwortlich, ansonsten aber weisungsunabhängig gewesen.122 Außerdem habe in Deutschland der Rechtspositivismus vorgeherrscht.123 Die „Lenkungsvorschriften“, die die Prosecution angeführt hatte, seien lediglich eine Konkretisierung des Willens des Gesetzgebers, aber unter keinen Umständen verbindlich gewesen.124 7. Bewertung des Vorbringens der Verteidigung Die Verteidigung versuchte ausweislich dieser Ausführungen herauszuarbeiten, dass die Prosecution weder ausreichende Kenntnis der deutschen Rechtswissen116 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement Gesamtverteidigung, S. 27. 117 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement Gesamtverteidigung, S. 26. 118 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement Gesamtverteidigung, S. 26. 119 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement Gesamtverteidigung, S. 26 f. 120 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement Gesamtverteidigung, S. 27. 121 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement Gesamtverteidigung, S. 27. 122 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement Gesamtverteidigung, S. 27 f. 123 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement Gesamtverteidigung, S. 28. Vgl. auch Wimmer, in: SJZ 1947, 123 (126). 124 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement Gesamtverteidigung, S. 28.
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schaft, noch der tatsächlichen Gegebenheiten in Deutschland vorweisen könne und dementsprechend die Anklagepunkte gegen das deutsche Rechtssystem haltlos seien. Auffällig ist, dass die von der Prosecution vorgebrachten Beweismittel nicht in ihrer Echtheit bestritten worden waren125, wie es nach Art. VII S. 3 VO7 möglich gewesen wäre, sondern dass lediglich eine andere rechtliche und tatsächliche Bewertung der Beweismittel vorgenommen wurde. IV. Rechtsfragen des KRG10 Da man sich bereits im Verfahren gegen die Hauptkriegsverbrecher und anderen Nachfolgeverfahren kritisch zur Frage der Legitimität der Kriegsverbrecherprozesse geäußert hatte, beschränkte sich die Verteidigung auf die Frage, ob das KRG10 einer Anklage wegen der Verschwörung zu Kriegsverbrechen und VGM entgegenstünde, wozu sich Haensel später noch äußerte.126 V. Sachverständige und Experten Die Verteidigung wollte bestimmte, allgemeine Rechtsfragen durch zwei Sachverständige klären lassen, nämlich durch den Staats- und Völkerrechtler Hermann Jahrreiß von der Universität zu Köln, der im IMT-Verfahren als Assistent an der Verteidigung Jodls mitgewirkt hatte127, sowie durch Emil Niethammer128, „den früheren Reichsanwalt, jetzigen Honorarprofessor für Strafrecht und Strafprozessrecht“ der Universität Tübingen.129 Die hierfür relevanten Dokumente sollten im Laufe des Prozesses eingebracht und darüberhinaus am Ende in einem Dokumentensonderband eingereicht werden.130 Außerdem sollten die verschiedenen zu behandelnden Verteidigungsthemen auf mehrere Verteidiger aufgeteilt 125
Vgl. auch Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 40. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 28 f. Hierzu Kapitel 3 § 12. 127 IMT, Bd. I, S. 5. Vgl. auch Perels, in: KJ 1998, 84 (90); Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 23; Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 37 f., 49 f. 128 Niethammer, der während des „Dritten Reiches“ unter anderem als Beisitzender Richter am Reichsgericht tätig war und ab 1935 an Reformen des Straf(prozess)rechts mitgewirkt hatte, machte auch nach 1945 Karriere. Er wurde unter anderem Präsident des OLG Tübingen und Mitglied der Verfassunggebenden Versammlung Süd-Württemberg. Darüberhinaus war er auch in der Nachkriegszeit an Reformen des Straf(prozess)rechts beteiligt. Seine Vergangenheit scheint dabei keine Rolle gespielt zu haben, obwohl Niethammer auch nach Endes des Krieges apologetische Töne einschlug. Hierzu Perels, in: KJ 2011, 434 (444); Heydeloff, in: VjfZ 1984, 373 (393 ff.); Weinkauff, in: JZ 11 (1956), Heft 7, 230; Kern, in: SJZ 1949, 441 f. 129 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 29. Jahrreiß sagte am 25. und 26.06.1947 als Zeuge aus. Niethammer wurde nicht als Zeuge vernommen. US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 125 Fn. 130 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 29. 126
202
Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
werden131, welche dann jeweils insbesondere im Plädoyer auf diese Themen eingehen würden.132 Diese Aufteilung nahm sich wie folgt an:133 Tabelle 4 Beweisthemen Beweisthema
Verteidiger
1.
Allgemeine Fragen des Staats- und Völkerrechts sowie des internationalen Strafrechts
Schilf
2.
Aufbau der Legislative und Gesetzgebungstechniken
Kubuschok
3.
Verhältnis zwischen Justiz und Polizei
Kubuschok
4.
Beziehungen zwischen Justiz, Propagandaministerium und NS-Nachrichtendiensten
Schilf
5.
System und Aufbau der Reichsjustizverwaltung
Schilf
6.
Einführung des deutschen Rechtes und der deutschen Kubuschok Gerichtsbarkeit im Protektorat und den besetzten Ostgebieten
7.
Souveränität der Justiz in den eingegliederten und besetzten Gebieten
Kubuschok
8.
Aufbau der deutschen Gerichte, der Sondergerichte und des Volksgerichtshofes
Brieger und Grube
9.
Deutsches Strafprozessrecht
Dötzer
10. Außerordentlicher Einspruch
Grube
11. Nichtigskeitsbeschwerde
Schilf
12. Rückwirkung im Strafrecht und rechtliche Analogie
Aschenauer und Schilf
13. Tätertypen
Schubert
14. Kriegsstrafrecht
Kößl
15. Unabhängigkeit des Richters und Lenkungsmaßnahmen
Aschenauer und Schilf
16. Gnadenrecht
Kubuschok
17. Strafvollstreckung
Marx
131
Wie auch schon im IMT-Vefahren. Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 40. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 29. 133 Kubuschok, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 125 f.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 29 f. 132
§ 9 Eröffnungserklärung der Gesamtverteidigung Beweisthema
203
Verteidiger
18. Lynchjustiz
Schilf/Orth134
19. Sterilisation und Euthanasie
Orth und Kubuschok
20. Verschwörung und KRG10
Haensel, Dötzer und Wandschneider
F. Auffälligkeiten Die Strategie der Gesamtverteidigung beruhte ausweislich dieser Ausführungen auf der Darlegung, dass das Vorgehen der Justiz nicht durch typisch nationalsozialistisches Denken gesteuert worden war, sondern vielmehr auf Gesetzen, Rechtsgedanken und Rechtsprechung basierte, die bereits vor 1933 bestanden hatten oder deren Ursprung in den besonderen Verhältnissen des Krieges begründet gewesen war. Dazu zählte beispielsweise die Argumentation, in Notzeiten durch Einsatz des Strafrechts für Ordnung sorgen zu müssen. Die Auffassung, dass die nachträgliche Erhöhung von Strafen keinen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot darstellte, kann aus heutiger Sicht nur noch als überholt bezeichnet werden135, wurde in ähnlicher Weise jedoch durch das Reichsgericht im Reichstagsbrandprozess vertreten.136 Weiterhin seien das kontinentale bzw. deutsche und das angloamerikanische Rechtssystem grundverschieden. Auffällig ist die unterschiedliche Gewichtung der anwaltlichen Beiträge. Kubuschok, der bereits Erfahrungen im IMT-Prozess gesammelt hatte und dort sogar Freisprüche für seine Mandanten erreichen konnte, trug die Hauptlast der Verteidigung. Neben dem Opening-Statement war er für sechs Themenkomplexe im Rahmen der Verteidigung verantwortlich. Kößl bearbeitete lediglich einen Komplex, das Kriegsstrafrecht. Dieses war jedenfalls eng verknüpft mit der Verteidigung seines Mandanten Rothaug.
134
Unterschiedliche Angaben in der deutschen und englischen Sprachfassung. Siehe hierzu Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 7 Rn. 20; Eser, in: Meyer (Hrsg.), Art. 49 Rn. 31; Lackner/Kühl, § 1 Rn. 4. 136 Hierzu Müller, Furchtbare Juristen, S. 46. 135
§ 10 Opening-Statement für Rothaug Nachdem sich die Reihenfolge der Opening-Statements der Verteidiger für die Angeklagten anhand der Sitzordnung bestimmte1, hielt Kößl seine Eröffnungsrede für Rothaug am 23.06.19472. Kößl begann seine Rede mit dem Hinweis darauf, dass Rothaug von der Prosecution als Inbegriff des verbrecherischen Justizsystems gesehen werde.3 Obwohl Rothaug als Richter und Staatsanwalt nur ein Rädchen im Getriebe des Justizapparates gewesen sei und damit auch von der Hierarchie der Angeklagten her im unteren Bereich einzuordnen sei, sei der „Umfang des gegen ihn aufgebotenen Beweismaterials“ „unverhältnismäßig groß [. . .]“.4 Dennoch gab sich Kößl siegessicher: „Wir stehen ihr [der Anklage] reinen Gewissens und kühlen Mutes gegenüber; denn Dokumente lügen nicht.“ 5
Aus Kößls Sicht sei das größte Problem der Verteidigung seines Mandanten, dass es viel einfacher sei, belastendes, als entlastendes Beweismaterial, aufzutreiben. Denn viele Zeugen hätten Angst, aufgrund ihrer Aussage selbst strafrechtlich verfolgt zu werden.6 Dieses belastende Material enthalte „in hunderterlei Variationen und superlativen Wortgestaltungen einen nahezu unentwirrbaren Knäuel von Behauptungen, Werturteilen und Ansichten“, was die Verteidigung zu „aufreibendster, zeitraubendster Kleinarbeit um der Wahrheit willen“ zwinge.7 Dieser Kleinarbeit könne aber dadurch beigekommen werden, dass man die verschiedenen Beweismittel in einem Gesamtkontext betrachte, in welchem sich ein anderes Bild ergebe.8 Nur subsidiär würden Komplexe, die auch in die Zustän1 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 54, 05.06.1947, S. 1. Engerts Eröffnungserklärung wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, StAN, KVAnklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 55, 23.06.1947, S. 1. 2 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 55, 23.06.1947, S. 1; US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 108 Fn. 3 Kößl, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 154. 4 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 1. 5 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 1. 6 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 7. 7 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 1. 8 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 2.
§ 10 Opening-Statement für Rothaug
205
digkeit der Gesamtverteidigung fielen, unter anderem die Verschwörung und die subjektive Seite des VGM, erörtert werden.9
A. Vorwürfe gegen Richter und Staatsanwälte I. Amtsmissbrauch Eine Verschwörung zwischen Richterschaft und Staat sei schon aus Gründen des Über-/Unterordnungsverhältnisses ausgeschlossen gewesen.10 Als Richter am Sondergericht und Reichsanwalt am Volksgerichtshof habe Rothaug lediglich die bestehenden Gesetze ausgeführt.11 Zudem könne anhand von Rechtsprechung und Literatur belegt werden, dass diese Gesetze, auch wenn die Rechtsfolgen drakonisch gewesen sein mögen, immer noch einen rein strafrechtlichen Charakter gehabt hätten12; ferner seien „Richtern und Staatsanwälten in den Stellungen Rothaugs nie und in keinem Zusammenhang zugemutet worden [. . .] mit der Lösung ihrer Dienstaufgaben außerstrafrechtliche Zwecke zu verfolgen“ 13, was durch Urteile belegbar sei14. II. Anwendung von Gesetzen als Verfolgungshandlung im Sinne der VGM Kößl warf die Rechtsfrage auf, ob die hoheitliche Ausübung von Befugnissen, hier die Rechtsanwendung, eine Verfolgungshandlung im Sinne des VGM sein könne.15 Er argumentierte, dass erstens die Legislative, die diese Gesetze hervorgebracht habe, durch Völkerrecht legitimiert gewesen war. Zweitens sei es fragwürdig, ob die Rechtsanwendung per se mit den sonstigen, im „Dritten Reich“ begangenen Verfolgungstaten, die bereits aus sich heraus rechtswidrig gewesen seien, vergleichbar sei. Unabhängig davon bekundete Kößl Zweifel, ob es solche Verfolgungshandlungen im Rahmen der Justiz überhaupt gegeben habe; falls
9 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von XVI P1, S. 2. 10 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von XVI P1, S. 2. 11 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von XVI P1, S. 2. 12 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von XVI P1, S. 2 f. 13 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von XVI P1, S. 2a f. 14 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von XVI P1, S. 3. 15 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von XVI P1, S. 3.
Koessel für Rothaug, Rep. 501, Koessel für Rothaug, Rep. 501, Koessel für Rothaug, Rep. 501, Koessel für Rothaug, Rep. 501, Koessel für Rothaug, Rep. 501, Koessel für Rothaug, Rep. 501, Koessel für Rothaug, Rep. 501,
206
Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
doch, so seien dafür lediglich einzelne, in der Hierarchie über Rothaug stehende Personen verantwortlich gewesen.16 III. Staatsrechtliche Stellung des Richters und des Staatsanwaltes Im Anschluss daran erörterte Kößl die staatsrechtliche Stellung des Richters und des Staatsanwaltes im „Dritten Reich“.17 Schon seit jeher habe nach deutschem Recht der Richter in Bezug auf ein Gesetz lediglich dessen ordnungsgemäße Verkündung prüfen dürfen.18 Außerdem sei der Richter dem Gesetz unterworfen gewesen.19 Die Stellung des deutschen Rechtes unter dem NS-Regime inklusive der genauen gesetzlichen Vorschriften hierzu sowie die rechtlichen Verflechtungen von Exekutive, Legislative und Judikative in einer Diktatur müssten untersucht werden, um die Einwände gegen Rothaugs Verhandlungsführung zu entkräften.20
B. Vorwürfe gegen Rothaug persönlich I. Rothaugs Verhandlungsführung Damit leitete Kößl auf die Rothaug zur Last gelegten Urteile über.21 Kößl betonte, dass auch Richter nur Menschen seien und insbesondere in Zeiten kriegsbedingter Überarbeitung Fehler begehen könnten.22 Dennoch hätten Entscheidungen des Sondergerichts Nürnberg stets in einer Linie mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts gelegen und seien nur in einem Bruchteil von Fällen aufgehoben oder abgeändert worden, was näher erläutert werden sollte.23 Dafür sollten die Prozessakten der jeweiligen Fälle als Beweismittel eingebracht werden, die „wohl zu allen in diesem Verfahren aufgeworfenen Einzelfragen erschöpfend Stellung“ nehmen könnten.24 Rothaug habe „alle Rechtsgarantien, die dem Deutschen nach deutschem Strafprozessrecht geboten waren, ausnahmslos allen Angeklagten ohne Rücksicht auf Staatsangehörigkeit, Volkstum- und Rassenzugehö16 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 3. 17 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 3 f. 18 Kößl, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 155. 19 Kößl, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 155. 20 Kößl, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 155 f.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 4. 21 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 4. 22 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 4. 23 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 4 f. 24 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 4 f.
§ 10 Opening-Statement für Rothaug
207
rigkeit in gleicher Weise tatsächlich geboten“ 25. Dies sei „insbesondere auch in allen Strafverfahren gegen Polen so gehandhabt“ worden, die im Wesentlichen „die Ausländer waren, gegen die Rothaug überhaupt verhandelt hat“.26 Hierbei werde auch in rechtlicher bzw. höchstrichterlicher und tatsächlicher Weise die Polengesetzgebung erörtert werden müssen27, wobei wesentliche Aspekte die „hier in Betracht kommenden Straftaten, der Tatort und nicht zuletzt die Frage eine ausschlaggebende Rolle spielen, ob es sich bei diesen Polen wirklich um zwangsverschleppte Personen oder um Personen gehandelt hat, welche freiwillig [!] und unter Unterwerfung unter gewisse Bedingungen sich dem deutschen Kriegspotential zur Verfügung gestellt haben.“ 28
II. Rothaugs politische Einstellung und Wirken Es sei für das Verfahren immanent wichtig, die „tatsächliche Einstellung Rothaugs zur Judenfrage“ zu erläutern, da viele Zeugen Rothaug diesbezüglich belastet hätten, um selbst vor Gericht besser dazustehen.29 Im Rahmen des Anklagepunkts IV rankten sich Mythen über Rothaugs „politische Machtposition“ 30. Rothaug sei lediglich im Rechtswahrerbund aktiv gewesen und auf keinen Fall Teil des Korps der politischen Leiter oder einer sonstigen Parteiformation gewesen.31 In diesem Zusammenhang müsse die im Komplex Döbig32 aufgeworfene Beziehung Rothaugs zum SD entschlüsselt werden33. Deshalb werde Rothaug – der Wahrheit willen – zu vielen Punkten selbst Stellung beziehen, unter anderem zu den Zusammenkünften mit Nazi-Größen wie Streicher und Haberkern in der „Blauen Traube“ 34, dem „TeNo-Rang“ 35, seiner „Stellvertretung des Teufels auf Erden“ und den „angeblichen Schauprozessen“.36 25 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 5. 26 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 5. 27 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 5 f. 28 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 6. 29 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 6. 30 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 6. 31 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 6. 32 Vgl. hierzu die Vernehmung Elkars unter Kapitel 3 § 11 B. III. 2. 33 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 6 f. 34 Dabei handelte es sich um ein Nürnberger Wirtshaus, in welchem sich häufig Nürnberger Nazikader wie Streicher, aber auch Rothaug sowie SD-Männer wie Elkar trafen. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 67 ff., 239 f.
208
Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
C. Bewertung Die wichtigsten rechtlichen Themen, die aus Kößls Perspektive für Rothaugs Verteidigung eine Rolle spielten, waren37: – richterliche „Immunität“ 38, – Verwerfungskompetenz des Richters39 und „Gesetzesunterworfenheit“ 40, – Anwendung „völkerrechtlich untragbarer Gesetze“ 41, – die Rolle der Verfahrensbeteiligten und deren Verhältnis zueinander, – Stellung des Richters im Justizapparat, – „Weisungsgebundenheit des Staatsanwalts“, – „höchstrichterliche Rechtsprechung“ und – Staatsorganisationsrecht. Wie sich aus der Eröffnungserklärung ergibt, versuchte Kößl im Wesentlichen Rothaugs Verhandlungsführung als „streng, aber fair“ darzustellen. Des Weiteren sei er nicht parteiisch oder rassistisch eingestellt gewesen und habe auch für die Ideologie des NS-Staats keine Sympathien gehabt. Somit versuchte Kößl die Hauptvorwürfe der Prosecution gegen Rothaug zu entkräften. Die Verteidigungsstrategie wirkt allerdings wenig überzeugend. Zwar ist der Einwand Kößls, dass es sehr schwierig gewesen sei Entlastungszeugen aufzutreiben, da diese selbst ein Strafverfahren fürchten müssten, in Anbetracht der enormen Anzahl an Richtern und Staatsanwälten des Sondergerichts Nürnberg, die die Prosecution als Belastungszeugen aussagen ließ, plausibel. Jedoch hätten diese Zeugen vermutlich ohnehin wenig zu der Verteidigungsstrategie für Rothaug beitragen können. Die von Kößl in Frage gestellte Verstrickung der Justiz in die Verbrechen des NSRegimes war, wie weiter oben dargestellt wurde, gerade kein singuläres Ereignis. Auch die von Kößl angesprochenen staatsrechtlichen Fragestellungen waren in weiten Teilen bereits im IMT-Prozess thematisiert und zu Lasten der Angeklagten entschieden worden.42 Dass Rothaug weder antislawistisch noch antisemi35 Technische Nothilfe, vgl. US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 158 Fn.; Poliakov/Wulf (Hrsg.), Denker, S. 343; Luber, in: Conze/Safferling (Hrsg.); Kohlhepp, Rothaug. Auch die Technische Nothilfe wirkte an den Verbrechen des NS-Regimes mit. Vgl. nur Curilla, Der Judenmord in Polen, S. 541 ff. 36 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Eröffnungsrede von Koessel für Rothaug, Rep. 501, XVI P1, S. 7 f. 37 StAMü, OLG München 2052, Lebenslauf v. 30.04.1949. 38 Kraus, KRG10, S. 124 f.; Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 102. 39 Hierzu Kraus, KRG10, S. 120 ff. 40 Vgl. Ostendorf, Dokumentation, S. 25 f. 41 Kraus, KRG10, S. 123 f. 42 Vgl. zu diesem Punkt die Ausführungen in Kapitel 3 §§ 11, 14.
§ 10 Opening-Statement für Rothaug
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tisch eingestellt gewesen sei, wirkt nicht nur in Anbetracht der von der Prosecution dargebotenen Fälle unglaubhaft. Kößls Behauptung, die meisten verurteilten Polen seien zuvor selbst nach Deutschland gekommen und hätten sich somit freiwillig der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen, wirkt jedenfalls in diesem Zusammenhang geradezu zynisch. Somit muss ein erstes Fazit bezüglich der Verteidigung Rothaugs dahingehend gezogen werden, dass die schlechte Ausgangslage, der Rothaug von Anfang an ausgesetzt gewesen war, auch durch die einleitenden Worte seines Verteidigers nicht wesentlich verbessert werden konnte.
§ 11 Vorgehen im Prozess und Beweisführung Die Beweisaufnahme fand vom 06.03. bis zum 13.10.1947 statt und stellt somit den zeitlich längsten Teil des Verfahrens dar. Grundsätzlich tagte das Gericht montags bis freitags von 09:30 bis 16:30 Uhr.1 Nachdem das Gericht zunächst das rechtliche Vorgehen bezüglich der Beweiserhebung erläutert hatte2, wurde von beiden Seiten umfangreiches Beweismaterial beigebracht: Es wurden in 119 Verhandlungstagen 138 Zeugen (darunter zwölf Angeklagte)3 vernommen und fast 2.1004 Beweisstücke in den Prozess eingebracht, sodass während der Verhandlung mehr als 10.650 deutsche Seiten5 mitprotokolliert wurden.6
1 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A1–3, S. 32. Inklusive einer Mittagspause um 12:30 Uhr bzw. 12:15 Uhr. Vgl. StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 11, 21.03.1947, S. 1. Daneben gab es einige Sondertermine. Am Samstag, den 29.03.1947 wurde beispielsweise ein Film über die Verhandlungsführung des Volksgerichtshofes vorgeführt. StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 12, 24.03.1947, S. 2; Report No. 17, 29.03.1947, S. 1. Auch der letzte Plädoyer-Tag der Verteidigung (18.10.1947) war ein Samstag. StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 121, 26.09.1947, S. 1. Das Gericht pausierte während der Osterferien, nicht aber am 01.05. Vgl. StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 21, 03.04.1947, S. 1; Report No. 37, 30.04. 1947, S. 1. Die Urteilsverkündung dauerte am 03.12.1947 bis 21:30 Uhr. StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 128, 03.12.1947, S. 1. 2 Dieses Vorgehen entsprach auch dem Verfahren vor den Tribunalen I und II. StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 2, 05.03.1947, S. 1. 3 US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 5; Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (713). Vgl. dazu auch Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (54); Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 41. 4 Es waren exakt 641 Beweisstücke der Prosecution und 1.452 der Verteidigung. Zum Umgang der amerikanischen Ermittlungsbehörden mit Beweisdokumenten vgl. Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 26 f. 5 Davon fast 9.600 Seiten Aussagen. 6 v. Alten, Recht oder Unrecht, S. 33; Rautenberg, in: GA 2012, 32 (33); StAN, KVProzesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 198; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S1, Urteil Teil 1, S. 2; Steiniger, in: ders./ Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 21; US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 5, 311; Schott, Rothenberger, S. 164; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 70. Die Angeklagten erhielten vor dem jeweiligen Termin deutsche Abschriften der Beweismittel. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 39. Zum IMT-Prozess vgl. Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 19.
§ 11 Vorgehen im Prozess und Beweisführung
211
A. Allgemeines I. Beweiserhebung Während sich die Prosecution zur Darlegung der den Angeklagten zur Last gelegten Taten hauptsächlich auf Originaldokumente berief 7, die in deutschen Archiven aufgespürt werden konnten, stützte die Verteidigung ihre Thesen insbesondere auf Zeugenaussagen, Vernehmungen der Angeklagten und etliche eidesstattliche Versicherungen8. Tatsächlich war es, wie auch in anderen Nürnberger Verfahren9, für die Verteidigung zuweilen schwierig, an die benötigten Dokumente und Zeugen heranzukommen. Kößl monierte dies ausdrücklich, sodass das Gericht anordnete, die Prosecution und alle dazu fähigen Kräfte mögen die Verteidigung in dieser Sache unterstützen.10 Affidavits, also eidesstattliche Versicherungen11, spielten eine wichtige Rolle im Juristenprozess. Das Gericht hatte am 11.03.1947 entschieden, dass Affidavits vollwertige Beweismittel darstellten. Im Gegenzug aber hatte die Verteidigung, wann immer die Prosecution ein Affidavit anstelle des Zeugen selbst als Beweismittel eingebracht hatte, das Recht, auch den Zeugen zu laden und ins Kreuzverhör zu nehmen.12 Hieraus resultierend wurden auch beinahe alle Personen, die für die Angeklagten belastende Affidavits abgegeben hatten, von der Verteidigung ins Kreuzverhör genommen.13 Umgekehrt machte die Anklagebehörde in Anbetracht der zahlreichen, durch die Verteidigung eingebrachten Affidavits, von ihrem Recht auf ein Kreuzverhör relativ selten Gebrauch.14 Am 03.07.1947 wies das Gericht darauf hin, dass man dennoch Zeugen – wenn möglich – persönlich vor Gericht laden solle, damit sich das Gericht einen besseren Eindruck machen könne.15 Um das Ausmaß der Indoktrinierung des deutschen Justizwesens durch die Nazis verstehen und richtig einordnen zu können16, erörterten sowohl die Prose7 Diese hätten nämlich nach Ansicht der Amerikaner „für sich selbst“ gesprochen. Zit. nach Haensel, Das Gericht vertagt sich, S. 12. Ihre Echtheit wurde nicht bestritten. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 40. 8 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 39; US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 311. 9 Vgl. Kapitel 2 § 6 D. I. 10 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 76, 24.07.1947, S. 1. 11 Vgl. Kapitel 2 § 5 B. II. 12 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 6, 11.03.1947, S. 2. 13 Auch Kößl machte vom Kreuzverhör umfassend Gebrauch, vgl. nur StAN, KVAnklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 48, 23.05.1947, S. 1; Report No. 49, 27.05.1947, S. 1; Report No. 53, 04.06.1947, S. 1. 14 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 39. 15 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 63, 03.07.1947, S. 1. 16 Vgl. auch US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 159 f.
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
cution17 als auch die Verteidigung in ihren Ausführungen zu Beginn die Rolle der Justiz in Deutschland vor und nach der Machtergreifung Hitlers.18 U. a. wurden hierzu Zeugen wie Schlegelberger19, Mettgenberg und Jahrreiß gehört.20 Jahrreiß’ Aussage betraf – wie schon im IMT-Prozess21 – insbesondere staatsorganisationsrechtliche Aspekte des „Dritten Reiches“, unter anderem Fragen zur Legalität von Hitlers Machtergreifung, Führerbefehlen und dem Völkerrecht sowie dem Rechtspositivismus.22 Wilhelm Behl23 berichtete ausgiebig zu den Änderungen des NS-Rechts und Institutionen wie den Sondergerichten, wozu er ausführlich – unter anderem durch Kößl – ins Kreuzverhör genommen wurde.24 Das Beweismaterial der Prosecution lässt sich grob in fünf (Ober-)Themenkomplexe, wie z. B. „diskriminierende Maßnahmen gegen Polen und Juden“ und nach dem Grad der Beteiligung der Angeklagten, einteilen.25 Allerdings überschneiden sich diese Themenkomplexe zwangsläufig aufgrund des Umfangs des Materials und der Komplexität der Materie. So ist beispielsweise das NN-Pro17 Das Material wurde durch den Chief of Counsel für Kriegsverbrechen zusammengestellt. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B51, Informationen über die Grundzüge des deutschen Justizwesens, 03.03.1947. 18 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, Das Deutsche Justizsystem, S. 5a; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B51, Informationen über die Grundzüge des deutschen Justizwesens, 03.03.1947; StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 51, 02.06.1947, S. 2. 19 Dieser hatte auch beglaubigte Schaubilder bereitgestellt, die die Stellung der Angeklagten im Justizsystem verdeutlichten und die als Beweisstücke vorgelegt worden waren. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, Das Deutsche Justizsystem, S. 5a. Vgl. auch v. Alten, Recht oder Unrecht, S. 29. 20 US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 212 ff.; StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 57, 25.06.1947, S. 1; Report No. 58, 26.06.1947, S. 1; Report No. 59, 27.06.1947, S. 1; Report No. 60, 30.06.1947, S. 1. Selbstverständlich werden die Prozessparteien diese Erläuterungen jedoch aus unterschiedlichen Beweggründen vorgebracht haben. Während die Anklagebehörde die Rechtsstaatlichkeit des Justizsystems und der Jurisprudenz der Weimarer Republik inklusive deren Bürgerrechte hervorhob und damit auch das Justizsystem der NS-Zeit bloßstellen wollte, ging das OpeningStatement der Verteidigung wesentlich nüchterner vor und erklärte in sachlicher Weise, welche Zweckmäßigkeitserwägungen für die Umstrukturierung angestrebt worden seien. Im Großen und Ganzen widersprechen sich die Ausführungen der Parteien inhaltlich aber nicht. Vgl. US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 34 f.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C1, General-Opening-Statement der Gesamtverteidigung, S. 1 ff. 21 Vgl. IMT, Bd. XVII, S. 499 ff.; Seliger, Politische Anwälte, S. 290 f. 22 Jahrreiß, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 252 ff.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 279. 23 Zu Carl Friedrich Wilhelm Behls Einstellung zum Nationalsozialismus vgl. die Tagebucheinträge abgedruckt bei Bürger, in: Die Zeit 16/2005. 24 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 9, 19.03.1947, S. 1; No. 10, 20.03.1947, S. 1; No. 11, 21.03.1947, S. 1. 25 Vgl. dazu US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 311 ff.
§ 11 Vorgehen im Prozess und Beweisführung
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gramm eng verknüpft mit den Komplexen „Konzentrationslager“, „Schutzhaft“, aber auch „Sondergerichte“ und „Volksgerichtshof“.26 Jeder Verteidiger brachte hingegen – selbstverständlich – für seinen Mandanten spezifische Verteidigungsmaterialien ein. Kößl präsentierte, wie in seiner Eröffnungserklärung angekündigt, von Rothaug gesprochene Urteile, anhand welcher er die „korrekte“ Verhandlungsführung des ehemaligen Richters am Sondergericht beweisen wollte. II. Auftreten des Gerichts Das Gericht verhielt sich weitestgehend unparteiisch und gab Anträgen beider Seiten statt bzw. wies diese ab.27 An manchen Stellen scheint das Gericht aber nicht ausreichend Rücksicht auf die Situation der deutschen Verteidiger genommen zu haben. Als die Verteidigung gegen die Verwendung eines von der Prosecution eingebrachten Beweismittels intervenierte, bei dem sich aus der Nummerierung der Seiten eindeutig ergab, dass dieses unvollständig sein musste, entschied das Gericht, dass es grundsätzlich die Sache der Verteidigung sei, die fehlenden Seiten aufzutreiben, da die Prosecution alles liefern würde „that was in their hands.“ 28 Am 28.04.1947 ordnete das Gericht darüberhinaus an, dass aufgrund der Vielzahl von Anträgen auf Zulassung von Assistenzverteidigern die bislang nicht durchgesetzte Vorschrift, nur noch einen Verteidiger pro Angeklagten im Gerichtssaal zuzulassen, strikt befolgt werde müsste.29 Die Beschleunigungsmaxime wurde allerdings konsequent eingehalten. Nur so ist es zu erklären, dass der Juristenprozess insgesamt, trotz der Masse des aufgebotenen Beweismaterials, relativ schnell vonstatten ging30, nimmt man heutige Völkerstrafprozesse zum Vergleich31. Diese Beschleunigung des Verfahrens musste aber auch zu Lasten der materiellen Wahrheit gehen: Als Kößl, Grube und Tipp um einen achttägigen Aufschub des Verfahrens baten, da es zu Verzö26
Vgl. US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 312. Vgl. nur StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 120, 25.09.1947, S. 1; Report No. 121, 26.09.1947, S. 1. 28 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 16, 28.03.1947, S. 1 f. 29 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 30, 18.04.1947, S. 1 f. 30 So auch Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 99; Müller, Furchtbare Juristen, S. 356. Darin zeigt sich deutlich, dass die Verfahrensbeteiligten Wert auf den Beschleunigungsgrundsatz der VO7 legten. Dazu oben Kapitel 2 § 5 B. A. A. Taylor, Kriegsverbrechen, S. 136. 31 Vgl. nur das Verfahren gegen den ehemaligen ruandischen Bürgermeister Onesphore R. vor dem OLG Frankfurt [dazu Werle/Burghardt, in: ZIS 1/2015, 46; Bülte/ Grzywotz/Römer/Wolckenhaar, in: 16 GLJ, No. 2 (2015), 285 ff.] oder das Verfahren gegen Vojislav Sˇesˇelj vor dem ICTY (http://www.icty.org/en/press/trial-judgement-inthe-case-of-vojislav-seselj-delivered). Aber auch die Verhandlung vor dem IMT dauerte „nur“ neun Monate. Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 53 ff. 27
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
gerungen bei der Übersetzung von Dokumenten gekommen sei, lehnte dies das Gericht ab.32 Am 19.09.1947 verkündete das Gericht, dass ungeachtet davon, wieviele Beweise noch vorgetragen werden sollten, die Beweisaufnahme am 13.10.1947 enden werde.33 Das Gericht machte des Weiteren von seinem Recht, Zeugen selbst zu vernehmen, ausgiebig Gebrauch. Dieses Vorgehen stellte einen wesentlichen Unterschied zum angloamerikanischen Recht dar.34 Unter anderem wurden Jahrreiß, aber auch die Angeklagten selbst, ausführlich vernommen.35 Während der Episode, die die Verteidigung gegen die Sterilisationsgesetze betraf, erklärte das Gericht, dass man sich selbst ein Bild gemacht habe und da die Theorie, die hinter den Sterilisationsgesetzen stehe, durchaus diskutabel sei, grundsätzlich36 keine weiteren Beweise hören müsse.37 Einen Zeugen verhörte das Gericht hingegen selbst, weil dieser angab, er habe in seinem Affidavit Details verschwiegen.38 Erneut zeichnen die Historiker Priemel/Stiller ein negatives Bild des Gerichts39, diesmal auch bezogen auf deren Verhandlungsführung. So meinen sie, dass „die Richter mehr als einmal vor der Komplexität der Materie [kapitulierten]“.40 Dieser Einschätzung kann nicht gefolgt werden. Selbstverständlich gibt es in Bezug auf die Verhandlungsleitung – wie auch dargelegt – Vorfälle, die kritisiert werden müssen. Insgesamt kann dem Gericht aber nicht vorgeworfen werden, mit dem Verfahren überfordert gewesen zu sein. Insbesondere die Tatsache, dass die Richter entgegen der angloamerikanischen Tradition auch von Amts wegen Zeugenvernehmungen durchgeführt hatten, muss positiv bewertet werden. Dass der Sachverhalt nicht in seiner Gänze lückenlos aufgeklärt werden sollte, war – soweit ersichtlich – ausschließlich dem Beschleunigungsgrundsatz geschuldet. Dieses Vorgehen ist aber nicht per se negativ zu bewerten. Zwar mag es aus einer historischen Perspektive misslich gewesen sein, nicht auch das „letzte 32
StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 73, 21.07.1947,
S. 1. 33 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 116, 19.09. 1947, S. 2. 34 Siehe Kapitel 2 § 5 B. 35 Vgl. Brand, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 270 ff.; Kraus, KRG10, S. 22; StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 61, 01.07.1947, S. 1; Report No. 68, 14.07.1947, S. 1; Report No. 82, 01.08.1947, S. 1; Report No. 83, 04.08.1947, S. 1, Report No. 85, 06.08.1947, S. 1. 36 Ausgenommen seien solche Gesetze, die diskriminierende Maßnahmen aufgrund rassistischer, politischer oder religiöser Gegebenheiten beinhalteten. 37 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 62, 02.07.1947, S. 2. 38 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 26, 14.04.1947, S. 1. 39 Vgl. Kapitel 2 § 6 A. II. 40 Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 53.
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Fünkchen Wahrheit“ aus den Beweismitteln zu schöpfen. Aus einer juristischen Perspektive ist das Gericht aber zum Schutze der Interessen der Angeklagten gehalten, Verfahrensverzögerungen wenn möglich zu vermeiden.41 Da keine sonstigen gravierenden Verstöße der Rechte der Angeklagten zu verzeichnen sind und das Verfahren insgesamt zügig zu Ende gebracht wurde, kann dem Gericht bezüglich dieses Vorgehens kein Vorwurf gemacht werden. III. Auftreten der Verteidigung Die Verteidigung als wichtiger Akteur des Verfahrens hatte – wie sich bereits in anderen Nürnberger Verfahren abgezeichnet hatte42 – auch im Fall 3 mit den Besonderheiten des Prozesses und insbesondere den Formalien zu kämpfen. Während des Juristenprozesses wurden von beiden Seiten zahlreiche Anträge gestellt, die sich insbesondere mit der Zulässigkeit bzw. Verfügbarkeit von Beweismitteln beschäftigten. Häufig stritten sich Verteidigung und Prosecution, innerhalb welcher Frist Dokumente der Prosecution vorab an die Verteidigung übergeben werden mussten.43 Auf einen Einspruch der Prosecution hin hatte sich das Gericht mit der wichtigen Frage zu befassen, ob Zeugen von der Verteidigung ins Kreuzverhör genommen werden dürften, deren Aussage den jeweiligen Mandanten gar nicht belastete.44 Die Verteidigung berief sich darauf, dass den Angeklagten eine Verschwörung vorgeworfen werde, damit zwangsläufig alle Angeklagten betroffen seien und somit das Beweisthema auch entsprechend weitreichend sei.45 Das Gericht erklärte, man werde über diese Frage keine grundsätzliche Entscheidung treffen, sondern nur über jeden Einzelfall gesondert entscheiden.46 Auch die Sprachbarriere spielte eine große Rolle. Da bezüglich der Übersetzung einiger Dokumente Meinungsverschiedenheiten zwischen der Verteidigung und der Prosecution aufgetreten waren, einigte man sich am 17.03.1947 darauf, dass eine Arbeitsgemeinschaft bestehend aus drei Verteidigern mit der Prosecution zusammenarbeiten solle, um Fragen, die die Sprache betrafen, zu klären.47 41 Vgl. hierzu Hoven, Rechtsstaatliche Anforderungen, S. 381 ff.; Tepperwien, in: NStZ 2009, 1 ff. 42 Hierzu Kapitel 2 § 6 D I. 43 Vgl. StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 6, 11.03. 1947, S. 2; Report No. 7, 17.03.1947, S. 2. 44 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 16, 28.03.1947, S. 1. 45 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 16, 28.03.1947, S. 1. 46 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 16, 28.03.1947, S. 1. 47 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 11, 17.03.1947, S. 1.
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Das Gericht stimmte dem Vorschlag zu und wollte sich künftig nur noch mit den Streitigkeiten beschäftigen, die die Arbeitsgemeinschaft nicht klären könne.48 Eine dieser Streitigkeiten betraf die Frage, ob englischsprachige Dokumente, auf die sich die Prosecution berief, welche aber nicht als Beweismittel in den Prozess eingebracht würden, für die Verteidigung übersetzt werden müssten.49 Das Gericht berief sich auf den Wortlaut von Art. IX VO7 und entschied im Sinne der Prosecution, dass eine mündliche Übersetzung ausreichend sei.50 Bei zwei Vorkommnissen stach das Verhalten der Verteidigung im Juristenprozess besonders negativ51 hervor. Der erste Vorfall betraf eine versuchte Einflussnahme auf Zeugen durch den Verteidiger Marx. Sein Mandant Engert litt während des Verfahrens an Cholelithiasis mit Cholecystitis (schwere Magenentzündung) und schwerer Gelbsucht; daher wurde er am 15.02.1947 in ein Krankenhaus gebracht. Er wurde zunächst für sechs Wochen vom Verfahren entschuldigt.52 Marx stellte daraufhin einen Antrag auf Abspaltung des Verfahrens gegen Engert, da er fürchtete, sein Mandant würde auf unbestimmte Zeit verhandlungsunfähig bleiben.53 Das Gericht lehnte die Abspaltung des Verfahrens jedoch ab.54 Marx und dessen Sekretärin sollen daraufhin versucht haben Einfluss auf einen Nürnberger Psychiater zu nehmen, damit dieser eine für Engert günstige Prognose abgebe.55 Dies führte zu Ermittlungen gegen die beiden. Da im Laufe der Ermittlungen zusätzlich Marx’ Sekretärin versucht haben soll unterzutauchen, wurde eine einstweilige Verfügung gegen sie erlassen und die beiden am 29. und 30.07.1947 vor Gericht geladen.56 Am 31.07. verkündete das Gericht, dass man Marx wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe für schuldig befinde. Er wurde seines Amtes enthoben und zu einer dreißigtägigen Gefängnisstrafe verurteilt.57 Marx’ Assistenzverteidiger Link übernahm von nun an die Hauptverteidigung.58 48 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 11, 17.03.1947, S. 1 f. 49 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 28, 16.04.1947, S. 1. 50 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 28, 16.04.1947, S. 1. 51 Zu den Grenzen des Erlaubten im deutschen Strafverfahren Wolf, Strafverteidigung, S. 257 ff. 52 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A1–3, S. 30. 53 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A1–3, S. 29 f. 54 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A1–3, S. 30. 55 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 71, 17.07.1947, S. 1; Safferling/Luber, in: JA 2017, 881 (886). 56 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 77, 25.07.1947, S. 1; Report No. 79, 29.07.1947, S. 1. 57 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 81, 31.07.1947, S. 1. Seine Sekretärin wurde zu zehn Tagen Gefängnis verurteilt. Ebenda, S. 2. 58 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 81, 31.07.1947, S. 2.
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Letztlich bewahrheitete sich aber Marx’ Befürchtung: Engert blieb bis zum Schluss des Prozesses verhandlungsunfähig, sodass das Verfahren gegen ihn am 20.08.1947 für ungültig befunden und bis auf Weiteres eingestellt worden war.59 Der zweite Vorfall betraf Cuhorsts Verteidiger Brieger. Da sich Brieger in seinem Plädoyer für Cuhorst auf ein Affidavit berufen hatte, welches vom Gericht nicht als Beweismittel zugelassen worden war, forderte die Prosecution Maßnahmen gegen Brieger. Nachdem sich dieser entschuldigt und erklärt hatte, es habe sich um ein Versehen gehandelt, nahm die Prosecution ihre Forderung aber zurück.60 Von den letzten beiden Vorfällen abgesehen gab es keine weiteren nennenswerten Vorfälle im Rahmen der Verteidigung.
B. Verteidigung Rothaugs Rothaugs Verteidigung weist einige Besonderheiten auf. Prozessual fällt auf, dass zu einem großen Teil in absentia61 gegen Rothaug verhandelt wurde. Inhaltlich musste sich Kößl insbesondere – wie oben bereits angedeutet62 – mit den Aussagen Ferbers und Hoffmanns sowie dem Katzenberger-Komplex auseinandersetzen. I. Rothaugs Gesundheitszustand im Laufe des Verfahrens Am 05.03.1947, dem Tag der Eröffnungserklärung der Prosecution, fehlten Engert und Rothaug.63 Rothaugs Magengeschwür hatte sich vernarbt und entzündet, sodass er ab dem 22.02.1947 im Krankenhaus Fürth-Oberschule behandelt wurde. Aufgrund seines schlechten Zustandes wurde Rothaug für einen Monat „krankgeschrieben“. Kößl stellte den Antrag, für einen Monat entsprechend ohne Rothaug zu verhandeln64, was nach Art. IV d) VO7 möglich war.65 Das Gericht stimmte dem Antrag zu.66
59 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 95, 20.08.1947, S. 1; Report No. 97, 22.08.1947, S. 1; Report No. 129, 04.12.1947, S. 2; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 62; Schott, Rothenberger, S. 173 Fn. 646. 60 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 127, 18.10. 1947, S. 1. 61 Vgl. Hoß, in: ZaöRV 2002, 809 (815). 62 Kapitel 2 § 6; Kapitel 3 § 8. 63 Am 24.08.1947 versuchte sich Rothenberger das Leben zu nehmen, sodass auch dieser bis zum 03.09.1947 abwesend war. Schott, Rothenberger, S. 164 mit Fn. 615, 168; StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 99, 26.08.1947, S. 1; Report No. 104, 03.09.1947, S. 1; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A1–3, S. 28 ff. 64 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A1–3, S. 29. 65 Vgl. auch Schott, Rothenberger, S. 164 mit Fn. 615, 168. 66 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A1–3, S. 30.
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Am 25.03.1947 wurden die ersten Beweise konkret gegen Rothaug eingeführt, obwohl dieser krankheitsbedingt weiterhin der Verhandlung fern bleiben musste.67 Da unter anderem die Zeugin Seiler geladen werden sollte, beantragte Kößl einen Aufschub derjenigen Zeugenbefragungen, die konkrete Vorwürfe gegen Rothaug betreffen würden, solange dieser wegen Krankheit nicht an der Verhandlung teilnehmen könne.68 Kößl wandte sich nicht dagegen, dass Rothaug belastende Dokumente vorgebracht wurden.69 Das Gericht entschied, man werde die Zeugenbefragung für eine angemessene Zeit aussetzen; allerdings sollten sich am darauffolgenden Tag sowohl der Gefängnisarzt als auch Seiler vorsichtshalber im Gerichtssaal einfinden.70 Je nach Rothaugs Gesundheitszustand, über welchen der Arzt berichten sollte, würde dann Seiler gegebenenfalls doch als Zeugin vernommen werden. Am 26.03.1947 äußerte sich der Gefängnisarzt, Rothaug werde aufgrund einer mittelschweren Gastritits voraussichtlich drei bis vier weitere Wochen der Verhandlung fernbleiben müssen.71 Daraufhin sagte Seiler als Zeugin der Anklagebehörde aus und wurde auch von Kößl ins Kreuzverhör genommen.72 Kößl kündigte an, er werde sich vorbehalten, alle weiteren Zeugen abzulehnen, die in der Abwesenheit Rothaugs gegen jenen aussagen würden.73 Dementsprechend erhob Kößl am 28.03.1947 Einspruch dagegen, dass für den 31.03.1947 Ferber und Döbig als Zeugen geladen werden sollten.74 Daraufhin entschied das Gericht, dass grundsätzlich alle Zeugen der Prosecution, die gegen Engert und Rothaug aussagen sollten, auch in deren Abwesenheit aussagen dürften. Im Gegenzug würden der Verteidigung so schnell wie möglich die deutschen Abschriften der Verhandlungsprotokolle zur Verfügung gestellt und genug Zeit gegeben werden, um sich auf die Kreuzverhöre der Zeugen vorbereiten zu können.75
67 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 13, 25.03.1947, S. 1 ff. 68 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 13, 25.03.1947, S. 2 f. 69 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 13, 25.03.1947, S. 2 f. 70 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 13, 25.03.1947, S. 3. 71 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 14, 26.03.1947, S. 1. 72 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 14, 26.03.1947, S. 1. 73 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 14, 26.03.1947, S. 1. 74 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16–18, S. 1235 ff.; StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 16, 28.03.1947, S. 1. 75 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 16, 28.03.1947, S. 1; Report No. 17, 29.03.1947, S. 1.
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Als Ferber am 31.03.1947 verhört wurde, empfahl die Prosecution, dass Rothaug in seinem eigenen Interesse der Aussage Ferbers beiwohnen sollte, was Kößl wegen Rothaugs gesundheitlichem Zustand ablehnte.76 Nachdem der Gefängnisarzt bestätigte, dass Rothaug gefahrlos einen Tag der Verhandlung beiwohnen könne, wurde Rothaug unter der Bedingung, dass er die Verhandlung jederzeit verlassen könne, beigeholt.77 Um 11:05 Uhr ließ er sich für die weitere Verhandlung entschuldigen.78 Als Gerüchten zufolge Rothaug und Engert ins Gefängniskrankenhaus von Garmisch verlegt werden sollten, erklärte das Gericht, dass die Verlegung von der Genehmigung der Richter abhängig sei.79 Ab dem 28.04.1947 erschien Rothaug wieder vor Gericht80, fehlte jedoch an einigen halben bzw. ganzen Sitzungstagen aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit81. II. Zu unbestimmte Anklageschrift Nachdem die Prosecution die Anklageschrift verlesen hatte, wiederholten Kößl und Schilf ihre oben genannten Einwände82, nämlich dass die Anklagepunkte gegen die einzelnen Angeklagten zu unbestimmt seien.83 Daraufhin ordnete das Gericht an, dass alsbald eine Besprechung zwischen Prosecution und Verteidigung stattfinden solle, in der die Themen der unbestimmten Anklageschrift und der Herausgabe der Vernehmungsprotokolle besprochen werden sollten.84 Schilf erklärte aber letztlich, dass sich seine Befürchtung, „dass, wenn der Fall vorgetragen werde, die Beschuldigungen nicht getrennt würden von der Vorlage des Beweismaterials“ nicht bewahrheitet habe und eine gemeinsame Besprechung damit überflüssig sei.85 Da schließlich kein Verteidiger seine Einwände aufrecht hielt, wurde die Beweisaufnahme am 06.03.1947 fortgesetzt.86 76
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S. 1. 78
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S. 1. 79 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 30, 18.04.1947, S. 1; Report No. 95, 20.08.1947, S. 1. 80 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 35, 28.04.1947, S. 1. 81 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 44, 14.05.1947, S. 1; Report No. 53, 04.06.1947, S. 1; Report No. 101, 28.08.1947, S. 1; Report No. 111, 12.09.1947, S. 1. 82 Vgl. Kapitel 2 § 7 D. 83 Schilf/Kößl, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 28 f. 84 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 2, 05.03.1947, S. 1. 85 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A1–3, S. 148 f.; StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 2, 05.03.1947, S. 1.
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III. Beweismittel gegen Rothaug Die Anklagebehörde brachte zahlreiche Beweismittel gegen Rothaug ein, welche dessen Verhandlungsführung, politische Einstellung und Verbindungen zum SD beinhalteten. Thematisiert wurde insbesondere auch der Fall Katzenberger. An dieser Stelle sollen einige der Beweismittel, die zu Rothaugs Lasten vorgebracht worden waren, vorgestellt werden. 1. Zum Katzenberger-Fall Die wichtigsten Beweismittel gegen Rothaug in Bezug auf den KatzenbergerFall stammen von den beiden Beisitzern am Sondergericht Nürnberg Ferber und Hoffmann.87 Beide ehemaligen Richterkollegen hatten Affidavits zu Lasten Rothaugs abgegeben, Ferber trat darüberhinaus als Zeuge der Prosecution auf.88 Ferber belastete Rothaug schwer und berichtete über dessen politische Einstellung, die Schnelligkeit von sondergerichtlichen Verfahren, die Einflussnahme durch Parteidienststellen auf Rothaug und dessen Verhandlungsführung.89 U. a. sei Rothaug „allgemein als Terror- und Blutrichter bekannt“ gewesen und habe sogar einmal eine Verhandlung betrunken geleitet.90 Einer der gravierendsten Vorwürfe betraf das Verfahren gegen Katzenberger.91 a) Affidavit Ferber v. 24.01.1947 Ferber beschuldigte Rothaug dafür verantwortlich zu sein, dass das Verfahren gegen Katzenberger überhaupt erst vor das Sondergericht gekommen sei.92 Nach Auskunft des zuständigen Staatsanwaltes Markl sei die Rücknahme der Anklage vor dem LG nicht durch das Ministerium, sondern durch Rothaug persönlich gefordert worden, da eine „Sonderdiskriminierung“ Katzenbergers in Betracht ge-
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StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 2, 05.03.1947,
S. 1. 87
Vgl. auch Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 432. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16–18, S. 1340 ff.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A 19/20, S. 1414 ff.; vgl. auch StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 18, 31.03.1947, S. 1; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 295, Beiakt 1, S. 56 ff., 101. 89 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16–18, S. 1348 ff. 90 Ferber Affidavit v. 20.11.1946, abgedruckt in: StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 295, Beiakt 1, S. 56 ff. 91 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16–18, S. 1401 ff.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A19/20, S. 1415 ff. 92 Ferber Affidavit, StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A12/13, S. 1023 ff. = Buch III-C, Dokument NG 739, S. 64 deutsch; abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 267 f.; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 295, Beiakt 1, S. 101 ff. Vgl. auch Friedrich, Freispruch, S. 275. 88
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kommen sei.93 Ferber habe die Anwendung der VVO, die die Todesstrafe gegen Katzenberger erst ermöglicht habe, kritisch gesehen und diese Einwände auch gegenüber Rothaug erwähnt.94 Die herrschende Lehre in der Literatur habe zum damaligen Zeitpunkt keinen Verstoß gegen die VVO gesehen, wenn eine Soldatenehefrau während der kriegsbedingten Abwesenheit ihres Mannes Ehebruch begangen habe.95 Außerdem sei es ungewöhnlich gewesen, dass gegen Katzenberger und Seiler in einem einzigen Verfahren verhandelt worden sei.96 Rothaug habe trotz der Bedenken Ferbers das Verfahren geführt.97 Ferber bekundete, dass nach Rothaugs Ansicht die Strafurteile gegen rassenschänderische Polen und polnische Juden ebenso harte Strafen beinhalten mussten, wie die der „staatspolizeilichen Sonderbehandlung“.98 Rothaug habe dabei gesagt: „Der Sektor Justiz [. . .] hat hier eine Aufgabe, die politisch zu lösen ist.“ 99
Rothaug habe bezüglich der Verhandlung gegen Katzenberger regen Kontakt zum SD und zur Gauleitung aufgenommen und dem Verfahren einen politischen Anstrich verpasst.100 Man habe auch im Vorfeld über die Verlegung der Sitzung in den Saal 600 gesprochen, um eine größere Öffentlichkeit zu erreichen.101 Zur Verhandlung sei dann die Parteiprominenz, unter anderem Reichsinspektor Oexle, erschienen.102 Es seien im Vorfeld Platzkarten ausgeteilt worden und es habe reservierte Sitzplätze für die NSDAP und den SD gegeben.103 Alle Umstände des Verfahrens hätten auf einen „Schauprozess“ hingedeutet.104 Rothaug habe während der Verhandlung einen Vortrag über die Judenfrage gehalten und sich dabei den Floskeln des Stürmers bedient.105 Er habe ohnehin die meiste Zeit der Verhandlung gesprochen, die Zeugen und Angeklagten hätten nur „auf entsprechenden Vorhalt ihre Aussagen bei der Polizei wiederholt [. . .]“.106 Der Zweck der grausamen Veranstaltung sei es gewesen „unter dem Schein des 93
Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 267. Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 267 f. 95 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 267 f. 96 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 267 f. 97 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 268. 98 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 268. 99 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 268. 100 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 268. 101 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 268. 102 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 268 f. 103 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 269; vgl. auch Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 244 ff. 104 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 269. 105 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 269. Vgl. auch Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 247 ff., 333. 106 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 269. 94
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Rechts einen Vorwand zu geben [. . .] Katzenberger als Juden zu vernichten.“ 107 In seinem Kreuzverhör konkretisierte Ferber unter anderem auch, dass der Geschlechtsverkehr zwischen Seiler und Katzenberger nicht bewiesen gewesen sei.108 In der Pause nach der Beweisaufnahme hätten sich Markl und Rothaug über die zu verhängende Strafe und die entsprechenden Formulierungen verständigt.109 In der Urteilsberatung habe Ferber ein weiteres Mal die Vorlage der Akte Katzenberger zum RMJ, die Problematik der Anwendbarkeit der VVO sowie die der Verbindung der Verfahren angemahnt.110 Rothaug habe sich erneut ablehnend geäußert.111 Selbst nachdem das Urteil gegen Katzenberger gesprochen worden sei, habe sich Rothaug weiter in das Schicksal Katzenbergers eingemischt.112 Das RMJ habe eine sofortige Zusendung des Urteils erwartet, weswegen jenes schnell habe angefertigt werden müssen.113 Oberstaatsanwalt Engert sei dann mit den Akten bei Staatssekretär Freisler vorstellig geworden, welcher dem Urteil ablehnend gegenübergestanden habe.114 Ferber habe eine Nichtigkeitsbeschwerde zugunsten Katzenbergers oder eine Begnadigung erwartet.115 Dennoch habe das RMJ ein paar Monate später die Hinrichtung Katzenbergers angeordnet.116 Im Juli 1942 habe Ferber auf einer Fortbildung in Straßburg Freisler getroffen, der sich erneut kritisch zu dem Katzenberger-Urteil geäußert habe, jedoch nicht dazu, warum das Urteil dennoch vollstreckt worden sei.117 Ferber habe über diesen Sachverhalt mit Rothaug gesprochen, der daraufhin „mit zynischem Lächeln“ gesagt habe: „[D]ie hätten sich [. . .] unterstehen sollen, den Katzenberger zu begnadigen.“ 118
Dieser Vorfall sei nach der Aussage Ferbers ein Beweis dafür, dass Rothaug seine SD und Parteikontakte habe spielen lassen, um die Tötung Katzenbergers zu erreichen.119 107
Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 269. Friedrich, Freispruch, S. 275 f. 109 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 269. 110 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 269 f. 111 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 270. 112 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 270. 113 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 270. 114 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 270. 115 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 270. 116 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 270. Am 03.06.1942 wurde Katzenberger in München enthauptet. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 271 f.; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1848. 117 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 270. 118 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 270. 119 Ferber Affidavit, abgedruckt in: Poliakov/Wulf (Hrsg.), Diener, S. 270. 108
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b) Hoffmann Hoffmann äußerte sich in seinem Affidavit120, das nach zehntägiger Vernehmung angefertigt worden war121, ähnlich über Rothaug.122 Das KatzenbergerVerfahren sei „untragbar, ungerecht und unmenschlich“ 123 und damit selbst nach dem scharfen NS-Recht rechtswidrig gewesen124. Außerdem habe das Todesurteil Katzenbergers von vornherein festgestanden.125 Als Vorsitzender Richter habe Rothaug jede entgegenstehende Meinung „zerredet“ und entsprechend des „Führerprinzips“ 126 gehandelt.127 Daneben lieferte Hoffmann weitere Gerichtsurteile, die Rothaug schwer belasteten.128 Allerdings wurde ein anderes Affidavit Hoffmanns auch von Kößl zu Rothaugs Entlastung herangezogen.129 Darin betonte Hoffmann – entgegen dem obigen Affidavit – die Rechtmäßigkeit von Rothaugs Verhandlungsführung und der Tätigkeit des Sondergerichts Nürnberg. c) Seiler Seiler trat ebenfalls als Zeugin der Prosecution auf und bestätigte die Vorwürfe gegen Rothaug, die sich bereits aus den Affidavits Ferbers und Hoffmanns ergeben hatten.130 Interessant ist an dieser Aussage aber weniger der Inhalt, sondern vielmehr die Reaktion von Rothaugs Verteidiger Kößl. Denn Kößl versuchte im Kreuzverhör mit allen Mitteln, Seilers Aussage zu diskreditieren.131 So versuchte 120 V. 08.03.1947. Abgedruckt in: StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1857 f. 121 Friedrich, Freispruch, S. 278. 122 Vgl. auch Kastner, in: JA 1997, 699 (703 Fn. 21). 123 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1858; Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49; Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 432; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 306; dies., Zeugenhaus, S. 198; BGH NJW 1971, 571 (574); Friedrich, Freispruch, S. 277; vgl. auch Mauz, in: Der Spiegel 31/1970, S. 62 f. 124 HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 3 ff. 125 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1857. 126 Zum Führerprinzip und dem Führergrundsatz Wilms, in: DVBl. 2000, 1237 (1245 ff.). 127 Vgl. StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1857. 128 Steiniger/Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 67 f. 129 Rothaug-Dokument Nr. 145: Affidavit vom 25.06.1947, StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 38 ff. 130 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A14/15 S. 1045 ff. Vgl. auch die Aussage Seilers, abgedruckt in: Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 434 f.; Friedrich, Freispruch, S. 277 und Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 245 ff. 131 Zu den prozessualen Einwänden vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A14/15 S. 1048 f.
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er unter anderem durch eine scharfe Vernehmung darzulegen, dass sich Seiler nach dem BluSchuG strafbar gemacht habe, sie die Strafbarkeit billigend in Kauf genommen habe und ihr Eindruck von der Bedrohungssituation während des Gerichtsverfahrens durch subjektive Eindrücke beeinflusst gewesen sei.132 Außerdem habe sie gewusst, dass sie sich zur damaligen Zeit nicht mit Juden habe abgeben dürfen.133 Kößls Taktik in Bezug auf die Aussage Seilers stellte also darauf ab, die Täterund die Opferrolle zu vertauschen.134 2. Zeuge Elkar Ein wichtiger Zeuge im Komplex Rothaug war außerdem der ehemalige SDMann Friedrich (Fritz) Elkar135. Elkar wurde im Juli 1911 in Altenberg geboren. Nach seinem Schulabschluss studierte er in München und Erlangen Jura und schloss das Studium 1935 mit dem ersten Examen ab. Das Referendariat absolvierte er in Nürnberg-Fürth und schloss das zweite Examen im Juli 1939 in München ab. Nach dem bestandenen Examen arbeitete Elkar zunächst für einen Anwalt in Nürnberg, wurde dann aber „kriegsbedingt“ arbeitslos, bis er am 16.10.1939 in den SD aufgenommen wurde. Diese Stellung behielt er bis Kriegsende, danach arbeitete er als Landarbeiter. Während des Referendariats lernte Elkar Rothaug kennen. Zunächst war Elkar in zwei Fällen am Sondergericht zum Verteidiger ernannt worden, zum Ende des Referendariats leistete er am Sondergericht zwei Monate lang eine Station ab. Elkar wurde zu Rothaugs politischer Einstellung, seiner Verhandlungsführung und den Verbindungen zwischen Justiz und SD befragt. a) Befragung durch die Prosecution136 aa) Einfluss des SD auf Sondergerichtsverfahren Elkar gab Auskunft über die Beziehungen zwischen SD und SS und die Struktur des SD. Der SD sei in den Gauen in Referate aufgeteilt gewesen, Elkar habe dem Referat III-A (Recht und Verwaltung) des Gau Franken angehört und sei dessen Leiter gewesen137. Seine Aufgabe sei die Informationsbeschaffung und das Verfassen von Berichten über alle Vorgänge und Entwicklungen, die den Sektor Recht und Verwaltung betrafen, gewesen. In diesem Zusammenhang habe er 132 133 134 135 136 137
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A14/15, S. 1059 ff. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A14/15, S. 1059 ff. Vgl. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 312 ff.; dies., Zeugenhaus, S. 199. Zu seinem Werdegang Elkar, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 367. US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 367 ff. Allerdings habe das Referat auch nur aus genau einer Person bestanden.
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auch seit dem Frühjahr 1940 mit Rothaug zusammengearbeitet. Sein Vorgesetzter in München habe sich für vor dem Sondergericht anhängige Verfahren interessiert, und deshalb versucht, den OLG Präsidenten Friedrich Döbig138 als Informanten zu gewinnen. Als dieser abgelehnt und auf den Generalstaatsanwalt verwiesen habe, sei eine Besprechung anberaumt worden, an der neben Generalstaatsanwalt Bens auch Rothaug teilgenommen habe. Rothaug habe sich zur Informationsbeschaffung bereiterklärt. Danach hätten sich Elkar und Rothaug regelmäßig – im ersten halben Jahr jeden Samstag – getroffen und über anhängige Verfahren139, rechtliche Entwicklungen und Fragestellungen gesprochen.140 Dazu habe Rothaug auch einzelne Sachverhalte als Beispiel herangezogen. Diese Informationen habe Elkar in Berichten zusammengefasst und nach Berlin übermittelt, was Rothaug bekannt und erwünscht gewesen sei. bb) Strafverfahren gegen Polen und PoStraV Danach berichtete Elkar über Rothaugs politische Einstellung. Rothaugs Wille sei es gewesen, Kriminalität durch harte Strafen „auszurotten“. Er habe insbesondere keine Gnade gegenüber Polen gezeigt. Die PoStraV habe er begrüßt, allerdings habe er ähnlich harte Strafen, wie sie die Verordnung vorgesehen habe, auch vor ihrer Verkündung erreicht. Die Prosecution wollte von Elkar wissen, ob Rothaugs Forderungen nach harten Strafen gegen Polen, die über die SD-Berichte in Berlin bekannt gewesen seien, die Verkündung der PoStraV gefördert hätten. Elkar schloss einen entsprechenden Zusammenhang nicht aus. cc) Zugehörigkeit zu verbrecherischen Organisationen und Verhandlungsführung Das nächste Thema war der Einfluss Rothaugs innerhalb der Nürnberger NSDAP.141 Rothaug habe insbesondere in rechtlichen Fragen das Vertrauen des Gauinspektors Haberkern genossen, der wiederum Beziehungen zu den Gauleitern Streicher, Holz und Zimmermann gehabt habe. Da Haberkern, Streicher, Holz und Zimmermann Teil des Führerkorps gewesen waren, habe Rothaug, gerade was Rechtsfragen anbelangte, einen großen Einfluss auf dieses ausgeübt. Rothaug habe außerdem einen Geheimhaltungseid als ehrenamtlicher Mitarbeiter des SD geschworen.142 Er habe die Prozesse vor dem Sondergericht genutzt, um 138
Zu Döbig vgl. Klee, Personenlexikon, S. 114. U. a. das Katzenberger-Verfahren. Elkar erklärte, dass aus seiner Sicht Geschlechtsverkehr zwischen Seiler und Katzenberger nicht bewiesen war. Kößl versuchte Einspruch gegen diese Feststellung zu erheben, da Elkar kein Sachverständiger sei. Der Einspruch wurde aber zurückgewiesen. US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 373. 140 Rothaug habe das Pseudonym „Tante“ verwendet. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 240. 141 US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 374. 142 Elkar, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 374 f. 139
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die Bevölkerung politisch zu „erziehen“ und beispielsweise politische Verfehlungen der Angeklagten in den Vordergrund gestellt.143 b) Kreuzverhör durch Kößl aa) Rothaug und der SD Kößl begann das Kreuzverhör mit der erneuten Frage, in welcher „Abteilung“ Elkar im SD gearbeitet habe, was Elkar mit dem Hinweis beantwortete, dass es im SD keine „Abteilungen“, sondern lediglich „Abschnitte“ und „Referate“ gegeben habe.144 Weiterhin habe es in Nürnberg fünf Außenstellen des SD mit eigenen V-Personen gegeben.145 Ebenso wollte Kößl wissen, wie Elkars Rang im SD „genannt worden sei“.146 Daraufhin erkundigte sich Kößl, ob nicht in ganz Bayern Richter am Sondergericht durch den SD ausgehorcht worden seien, was Elkar bestätigte.147 Kößl interessierte sich für die Häufigkeit der Treffen zwischen Elkar und Rothaug, deren Sinn und deren Inhalt.148 Kößl fragte Elkar, ob Rothaug in diesen Besprechungen „generelle“ Anmerkungen, oder solche zu konkreten Fällen gegeben habe. Elkar erklärte, dass grundsätzliche Fragestellungen des Rechts anhand konkreter Einzelfälle, wie dem Katzenberger-Fall, besprochen worden seien. Danach erkundigte sich Kößl, ob und inwiefern höhere Stellen, beispielsweise das Justizministerium, Einfluss auf anhängige Verfahren genommen hätten und hätten nehmen können.149 Hierzu konnte Elkar nach eigenen Angaben nicht viel sagen, allerdings habe Rothaug Anregungen der Partei zu bestimmten Sachverhalten gerne entgegengenommen. Als Kößl erwiderte, dass es in vielen Fällen, z. B. bei Vergehen nach dem Heimtückegesetz, gesetzlich vorgeschrieben gewesen sei, die entsprechenden Stellen zu informieren, erklärte Elkar, dass Rothaug aber darüber hinaus auch gerne die Meinung der Parteidienststellen erfahren habe. bb) Rothaugs Einfluss auf politischer Ebene Kößl wollte wissen, auf welchen Fakten Elkars Einschätzung bezüglich Rothaugs politischem Einfluss basierte.150 Elkar berichtete, dass Rothaug häufig am Stammtisch des Hotels Haberkern gesehen worden sei und außerdem habe Elkar Rothaug persönlich häufig in der „Blauen Traube“ getroffen, wo auch andere Nazi-Größen wie Haberkern und Zimmermann ein und aus gegangen seien. Dort 143 144 145 146 147 148 149 150
Elkar, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 375 f. Kößl/Elkar, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 376. Elkar, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 381. Kößl, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 384. Kößl/Elkar, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 376 f. Kößl, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 377 f. Kößl/Elkar, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 378 ff. Kößl, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 381 f.
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seien politische Sachverhalte besprochen worden und Haberkern habe Rothaugs juristische Expertise geschätzt. Auf Kößls Nachfrage hin erklärte Elkar, dass es zwar auch ein eigenes Gaurechtsamt für derartige Fragestellungen gegeben habe, dem Rothaug nicht angehört habe und dessen Leiter Oeschey gewesen sei. Allerdings habe Rothaug de facto in seiner Position als Gaugruppenwalter der Richter und Staatsanwälte des NSRB die Fäden in der Hand gehabt.151 cc) Rothaugs Beisitzer am Sondergericht Der letzte Komplex des Kreuzverhörs betraf die Einstellung Rothaugs zu den beisitzenden Richtern am Sondergericht. Elkar erklärte, Rothaug sei es wichtig gewesen, dass ein Richter am Sondergericht nicht nur die formellen Voraussetzungen erfüllte, sondern darüber hinaus auch eine gewisse politische „Reife“ an den Tag legte.152 Daraufhin wollte Kößl wissen, wie es Rothaug u. a. mit Ferber und Hoffmann gehalten habe. Nach Elkars Aussage hätte Rothaug die politische Einstellung seiner Kollegen nicht geteilt, allerdings hätte er dafür gesorgt, dass sie sich ihm fügten. Kößl erkundigte sich, ob Rothaugs Beisitzer Repressalien, beispielsweise durch den SD, zu fürchten gehabt hätten, wenn sie politisch nicht auf einer Wellenlänge mit Rothaug gewesen seien.153 Elkar erklärte, diese Frage habe keine Relevanz, da sich die Beisitzer Rothaugs Kurs gefügt hätten. Auf die Frage hin, ob die Bevölkerung Rothaugs Verhandlungsführung als Warnung verstanden habe, antwortete Elkar, er könne dazu keine Auskunft geben, allerdings hätte die Bevölkerung Angst vor dem Sondergericht gehabt.154 dd) Anmerkung zum Kreuzverhör durch Kößl Elkar wurde von Kößl ins Kreuzverhör genommen und intensiv befragt. Das ist grundsätzlich nicht ungewöhnlich, war doch Elkar aufgrund seiner Stellung im SD und der daraus resultierenden Kenntnis der Organisation ein wichtiger (Belastungs-)Zeuge gewesen. Allerdings ist der Ablauf des Kreuzverhörs auffällig, soweit man berücksichtigt, dass Kößl nur wenige Jahre zuvor ebenfalls für den SD in Bayern tätig gewesen war. So wirken einige Rückfragen Kößls „überflüssig“, dürfte dieser doch mit den Strukturen des SD vertraut gewesen sein. 3. Eigene Bewertung der Beweise und Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen Die Aussagen, die die Zeugen der Prosecution vor Gericht getätigt hatten, waren wichtige Beweismittel gewesen. Viele der Angeklagten, darunter auch Rothaug, beriefen sich während des Prozesses darauf, dass die belastenden Zeugen 151 152 153 154
Kößl/Elkar, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 382. Elkar, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 383. Kößl, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 383 f. Elkar, in: US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 384.
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unzuverlässig seien oder bewusst logen, um „ihre eigene Haut zu retten“. Aber auch einzelne Zeugen berichteten immer wieder von Bedrohungen und Gewaltanwendungen seitens der Strafverfolgungsbehörden.155 Tatsächlich mussten sich die Alliierten häufig den Vorwurf gefallen lassen, dass Angeklagte und Zeugen der Kriegsverbrecherprozesse in der Haft und im Verhör misshandelt und bedroht worden seien.156 Nach internen Ermittlungen der Stimpson-Kommission wurde in einem Bericht vom 14.09.1948 bestätigt, dass in einigen Fällen unlautere Mittel zur Erlangung von Geständnissen eingesetzt worden waren.157 Interessanterweise sind die Ergebnisse dieser Untersuchung in einer Akte festgehalten, die das Bundesjustizministerium im Jahre 1953 unter dem Titel „Strafverfahren gegen Deutsche als Kriegsverbrecher. Entwurf einer Übersicht über Mängel der amerikanischen, britischen und französischen Kriegsverbrecherprozesse in Deutschland“ 158 hatte zusammenstellen lassen. Auf 18 Seiten wird die Glaubwürdigkeit verschiedener Zeugen in Kriegsverbrecherprozessen angezweifelt.159 Obwohl der Juristenprozess in dieser Untersuchung nicht explizit geführt wird, ergeben sich auch in diesem Kriegsverbrecherprozess einige Ungereimtheiten. Dabei spielte insbesondere der Vernehmungsbeamte Einstein eine Schlüsselrolle.160 a) Beeinflussung von Zeugen Einige Zeugen der Prosecution gaben vor Gericht an, ihre Aussagen unter Druck bzw. in der Furcht, selbst angeklagt zu werden, abgegeben zu haben.161 Der Angeklagte Nebelung berief sich z. B. darauf, dass er in seinem dem Prozess vorangegangenen Verhör nicht auf sein Recht zu schweigen hingewiesen worden sei.162 Aber auch Rothaugs Hauptbelastungszeugen Seiler, Ferber und Hoffmann kritisierten die Art ihrer Vernehmung. aa) Seiler Seiler sagte im Jahre 1973 im Rahmen des Verfahrens gegen Hoffmann aus, dass sie sich im Vorfeld ihrer Aussage im Juristenprozess bereits mit Ferber und 155
Vgl. BAKo, Az. 9250/1–2, Laufzeit 1953, S. 8 ff. Vgl. die Aussage Kaltenbrunners im IMT-Prozess. IMT, Bd. XI, S. 385; Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (74 ff.); Heintzeler, I.G. Farben, S. 20 f.; Schwartz, in: VjfZ 1990, 375 (380 f.); Seliger, Politische Anwälte, S. 393 ff. 157 BAKo, Az. 9250/1–2, Laufzeit 1953, S. 6. 158 BAKo, Az. 9250/1–2, Laufzeit 1953; BAKo, Bestand 141, Nr. 9561–9562. 159 BAKo, Bestand 141, Nr. 9561, S. 83 ff. 160 Vgl. auch Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 293. 161 Vgl. StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 25, 11.04.1947, S. 1. 162 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 15, 27.03. 1947, S. 1. 156
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Einstein ausgetauscht habe.163 Bereits im Zeugenhaus164, als Ferber und Hoffmann auf Seiler getroffen waren, sollen die beiden ehemaligen Richter bei Einstein schlecht über Seiler geredet und ihr unter anderem eine Mitschuld an der Verurteilung Katzenbergers gegeben haben.165 bb) Ferber und Hoffmann Nachdem Ferber und Hoffmann im Juristenprozess noch angegeben hatten, dass das Urteil gegen Katzenberger aus verschiedenen Gründen rechtswidrig gewesen sei, mussten sie sich bald darauf in ihrem Entnazifizierungsverfahren für die Beteiligung am Urteil rechtfertigen.166 Als schließlich im Jahre 1968 vor dem LG Nürnberg-Fürth ein eigenes Strafverfahren gegen die beiden angestrengt worden war167, änderten sie plötzlich ihre Aussagen: Während sie im Juristenprozess Rothaug noch schwer belastet hatten, führten die beiden jetzt an, dass sie sowohl moralisch als auch rechtlich von der Richtigkeit des Urteils gegen Katzenberger überzeugt gewesen seien.168 Ferber leugnete nun Rothaugs Einfluss auf die Entscheidungsfindung. Man müsse Ferbers Aussage immer vor dem Hintergrund sehen, dass er als ehemaliger Richter am Sondergericht „unter der Drohung eines Verfahrens wegen Verbrechen nach Kontrollratsgesetz Nr. 10“ ausgesagt habe.169 Einstein habe ihm mit Konsequenzen gedroht, da Ferber – entgegen der Aussage in seinem Affidavit – das Verfahren an Rothaugs Sondergericht gebracht habe. Daher sei seine Aussage im Juristenprozess objektiv falsch gewesen.170 Er berief sich des Weiteren auf Missverständnisse in Bezug auf den Ablauf des Verfahrens, die auf den Unterschieden von kontinentalem Recht und Common Law basierten.171 Ferber 163
Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49. Im sogenannten Zeugenhaus wurde während der Nürnberger Prozesse eine Vielzahl von Zeugen der Anklage untergebracht. Darunter waren sowohl ehemalige Täter, als auch Opfer. Ausführlich hierzu Kohl, Zeugenhaus. 165 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 309 f.; vgl. auch dies., Zeugenhaus, S. 198 ff. 166 Vgl. Friedrich, Freispruch, S. 276. 167 Hierzu ausführlich unter Kapitel 4 § 15 A. V. 168 StAN, StA Nürnberg-Fürth 2004-01, Nr. 287, Hauptakten komplett 1, S. 12, 17 f.; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 347 ff.; vgl. auch HaStAMü, MJu 26696, 1a Js 1431/60 (o. D., o. S.), S. 9. 169 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 307. 170 Vgl. Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 293; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16–18, S. 1347; Friedrich, Freispruch, S. 274; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 307. 171 Vgl. StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 305 ff. 164
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habe außerdem Rothaugs Argumentation bezüglich der Anwendbarkeit von § 4 VVO logisch nichts entgegenzusetzen gehabt und harte Strafen seien damals vorausgesetzt worden.172 Auch wenn er mit dem Urteil „sittlich als Mensch“ nicht einverstanden gewesen sei, habe es „seiner richterlichen Überzeugung vom Willen des Gesetzes entsprochen“.173 Außerdem habe er zwar das Urteil abgefasst, es enthalte aber nicht alle Aspekte, da Ferber bei der Absetzung unter Zeitdruck gestanden habe.174 Auch Hoffmann habe bei der eidesstattlichen Versicherung im Juristenprozess nicht die komplette Wahrheit gesagt, denn er sei von Einstein „mächtig unter Druck gesetzt“ und fast schon erpresst bzw. genötigt worden.175 Die Bemerkung in seinem Affidavit, das Urteil gegen Katzenberger sei „untragbar, ungerecht und unmenschlich“ gewesen, habe Einstein vorgegeben und müsse relativiert werden.176 So müsste zwischen den tatsächlichen Gegebenheiten des Verfahrens, die maßgeblich von Rothaug beeinflusst worden seien und den rechtlichen Gesichtspunkten unterschieden werden. Hoffmann bestätigte, dass Rothaug ein „fanatischer Nationalsozialist und Judenhasser“ gewesen sei.177 Obwohl Rothaug selbst eine niedrige Stellung in der Partei gehabt habe, sei er innerhalb des SD und der NSDAP sehr einflussreich gewesen, was auch allgemein bekannt gewesen sei und ihm die Ehrfurcht seiner Richterkollegen eingebracht habe.178 Hoffmann betonte, dass es Rothaugs Ziel gewesen sei, Katzenberger in einem „Schauprozess“ abzuurteilen, denn er habe „Sensationen“ geliebt.179 Rothaug sei sehr eloquent gewesen und habe stets versucht, sein „Publikum“ ideologisch zu belehren.180 Es sei bereits vor der Hauptverhandlung bekannt gewesen, „dass zu diesem Termin hohe Parteifunktionäre kommen werden“.181
172
Vgl. Friedrich, Freispruch, S. 278 f. Friedrich, Freispruch, S. 278. 174 Freisler verlangte nämlich, dass ihm das Urteil zügig zugehe. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 265. 175 Vgl. StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1866 ff.; Friedrich, Freispruch, S. 278; Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 433; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 338. 176 Friedrich, Freispruch, S. 278. 177 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 11. 178 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 11. 179 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 11. 180 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 11. 181 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 11. 173
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Trotz dieseser Umstände sei Hoffmann vom Geschlechtsverkehr zwischen Seiler und Katzenberger überzeugt gewesen und habe „selbst heute nicht mehr die geringsten Zweifel“ daran.182 Er habe bei der Entscheidung nicht unter Zwang oder Druck gestanden, man habe gegenüber Rothaug durchaus abweichende Meinungen vertreten können.183 Deshalb und weil Rothaug Katzenbergers Vernichtung angestrebt habe, habe er sich intensiv mit der Rechtslage beschäftigt.184 Rechtlich sei der Fall unproblematisch gewesen: „Vom damaligen Richter sei durchweg verlangt worden, revolutionäres Recht zu setzen und alte Vorstellungen fahrenzulassen“, sodass die Verbindung der VVO mit dem BluSchuG in diesem Fall vertretbar gewesen sei.185 Die Strafe sei ebenfalls verhältnismäßig gewesen, angesichts der Schwere der Rassenschande.186 Hoffmann habe es aber „unbewußt als eine Erleichterung empfunden, dass K[atzenberger] als Jude [. . .] sowieso ein toter Mann gewesen sei. Falls ein Todesurteil nicht ergangen wäre, hätte die Gestapo sich seiner angenommen und ihn zu Tode gebracht“.187
Die gerichtlich angeordnete Todesstrafe sei quasi als „die einzige rechtsstaatliche Hilfe gegenüber der Willkür der SS“ zu sehen gewesen.188 b) Ergebnis Auffällig ist, dass sowohl Ferber als auch Hoffmann, die sich der Prosecution im Hauptkriegsverbrecherprozess als Kronzeugen gegen Rothaug zur Verfügung gestellt hatten, offensichtlich gelogen haben müssen189: Entweder war das Urteil gegen Katzenberger grob rechtswidrig und Rothaug der Rechtsbeugung schuldig. Dann wären auch Rothaugs ehemalige Kollegen strafbar gewesen. Oder das Urteil gegen Katzenberger war juristisch vertretbar gewesen, dann hätten allerdings Ferber und Hoffmann eine Falschaussage und möglicherweise auch eine Freiheitberaubung in mittelbarer Täterschaft190 aufgrund ihrer Rothaug belastenden Aussagen im Juristenprozess begangen.191
182
Friedrich, Freispruch, S. 277. Friedrich, Freispruch, S. 278. 184 Friedrich, Freispruch, S. 277. 185 Friedrich, Freispruch, S. 277. 186 Friedrich, Freispruch, S. 277 f. 187 BGH NJW 1971, 571 (572). Vgl. auch Friedrich, Freispruch, S. 277; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 259. Nach Nitschke, in: Die Welt 83/1968, S. 16 kam die Äußerung von Ferber. 188 Zitat nach Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 259. 189 So auch Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 338. 190 Vgl. Schönke/Schröder/Eser/Eisele, § 239 Rn. 10. 191 Vgl. auch Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 305 f. 183
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
Auch der Oberstaatsanwalt Sauter zweifelte im Verfahren gegen Ferber und Hoffmann an dem ordnungsgemäßen Zustandekommen von Ferbers Affidavit im Juristenprozess.192 Welche der Aussagen nun zutreffen, diejenigen, die im Juristenprozess getätigt wurden, oder diejenigen, die aus dem Verfahren gegen Ferber und Hoffmann stammen, kann hier nicht beantwortet werden. Natürlich muss man berücksichtigen, dass Ferber und Hoffmann mit Sicherheit versucht haben werden, sich optimal zu verteidigen. Jede anderslautende Aussage in den Prozessen hätte ihre Verurteilung bedeuten können. Somit könnten die Aussagen auch reine Schutzbehauptungen gewesen sein. Diese These kann auch durch ähnliche Erfahrungen in anderen Nachkriegsprozessen gestärkt werden. Die Rechtshistorikerin Schumann beispielsweise erklärte, dass selbst eidesstattliche Versicherungen, die im Rahmen der Entnazifizierung abgegeben worden waren, häufig falsch waren und „die NS-Belasteten erneut zu einer verschworenen Gemeinschaft“ machten.193 Letztlich lassen sich diese Ungereimtheiten nicht mehr aufklären. Einstein befand sich zum Zeitpunkt der Verhandlungen gegen Ferber und Hoffmann zwar in München, hätte also ohne Weiteres verhört werden können. Seine Ladung wurde aber durch den Einsatz des Staatsanwaltes Prandl und des Nebenklägers Robert Kempner194, ehemaliger Prosecutor in den Nürnberger Prozessen, verhindert.195 IV. Eröffnung der Verteidigung Rothaugs Vom 11.08.1947 bis zum 26.08.1947 wurde Rothaugs Fall verhandelt.196 Die Episode begann mit einer neuntägigen197 Vernehmung Rothaugs durch Kößl, in der Rothaug zu allen möglichen Themenkomplexen (unter anderem dem Katzenberger-Fall198) Stellung bezog. Die Vernehmung wurde sowohl wegen Rothaugs Gesundheitszustand, als auch Kößls eingetretener Erschöpfung für einige Tage unterbrochen.199 Das Gericht wies auf Art. VIII VO7 hin und mahnte zum 192
Vgl. HaStAMü, MJu 26696, 1a Js 1431/60 (o. D., o. S.), S. 18. Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 105. 194 Er vertrat die Katzenberger-Töchter. Vgl. Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49 (50). 195 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 330, 338; vgl. auch Rautenberg, in: GA 2012, 32 (41). 196 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 85, 06.08. 1947, S. 1; Report No. 88, 11.08.1947, S. 1; Report No. 99, 26.08.1947, S. 1. 197 Damit handelte es sich um die längste Vernehmung im Juristenprozess. 198 Vgl. US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 747. 199 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 88, 11.08.1947, S. 1; Report No. 89, 12.08.1947, S. 1; Report No. 90, 13.08.1947, S. 1; Report No. 91, 14.08.1947, S. 1; Report No. 92; 16.08.1947, S. 1; Report No. 93, 18.08.1947, S. 1; Report No. 94, 19.08.1947, S. 1; Report No. 95, 20.08.1947, S. 1; Report No. 96, 21.08.1947, S. 1; Report No. 97, 22.08.1947, S. 1. 193
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schnelleren Fortgang der Befragung.200 Daneben wurde Rothaug auch von der Prosecution ins Kreuzverhör genommen und von weiteren Verteidigern befragt.201 1. Rothaugs Vernehmung a) Rothaugs Aussage202 Rothaug äußerte sich zum Katzenberger-Verfahren wie folgt: Nach Rothaugs Aussage sei die Verbindung des Katzenberger- und des SeilerVerfahrens durch eine gemeinsame Anklage durch die Staatsanwaltschaft bedingt worden, weder er selbst, noch das Sondergericht hätten darauf Einfluss gehabt. Rechtlich sei dieses Vorgehen nach § 15 Nr. 2 SonderGVO möglich gewesen. Das Vorgehen sei auch nicht ungewöhnlich gewesen, es sei vielmehr aus Zweckmäßigkeitserwägungen angestrengt worden. Die Möglichkeit der Verfahrensverbindung habe bereits vor 1933 bestanden. Dass Seiler durch dieses Vorgehen als Entlastungszeugin ausgeschaltet worden war, sei unvermeidbare Folge gewesen. Allerdings hätten die verbundenen Verfahren auch zeitlich begrenzt wieder getrennt werden können, um einen Angeklagten doch noch als Zeugen zu hören und anschließend das Verfahren wieder zu verbinden. Dies sei aber weder von der Staatsanwaltschaft, noch von den Verteidigern oder den Angeklagten beantragt worden und hätte letztlich auch keinen Einfluss auf das Verfahren gehabt. Rothaug betonte, dass sowohl Katzenberger als auch Seiler Verteidiger gehabt hätten, wobei derjenige von Katzenberger Jude, derjenige von Seiler „politisch uninteressiert“ gewesen sei. Richter Brand wollte wissen, ob Platzkarten vor dem Verfahren verteilt worden seien, was Rothaug bejahte. Das Verfahren sei in einem besonders großen Sitzungssaal abgehalten worden, um dem Öffentlichkeitsgrundsatz genüge zu tun. Zwar habe Rothaug antisemitische Phrasen während der Verhandlung aufgegriffen, er habe aber damit lediglich den Stürmer zitiert, um Katzenberger vor den gesellschaftlichen Entwicklungen und der Gefährlichkeit seines Umgangs mit Seiler zu warnen. Aus dem gleichen Grund habe Rothaug auch das Publikum direkt angesprochen, um sie nämlich vor Verstößen gegen das geltende NS-Recht und den harten Strafen zu warnen. Letztlich hätten sich aufgrund der Indizien alle Richter für die Todesstrafe ausgesprochen und diese Entscheidung sei von keiner Seite, auch nicht von anderen Juristen, angegriffen worden.
200 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 94, 19.08. 1947, S. 1. 201 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 98, 25.08. 1947, S. 1; Report No. 99, 26.08.1947, S. 1. 202 US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 747 ff.
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
b) Eigene Anmerkung Insbesondere der letzte Einwand war offensichtlich gelogen. Die Wellen, die das Katzenberger-Urteil geschlagen hatte, zeigen sich deutlich darin, dass selbst der mit den Gnadensachen im RMJ befasste Freisler aus rechtlichen Gründen gegen das Urteil protestiert hatte.203 Das hing damit zusammen, dass Hitler in einer Zeitung von der Verurteilung Katzenbergers gelesen hatte. Es erzürnte ihn, dass trotz seiner klaren Anweisungen Seiler zusammen mit dem jüdischen „Täter“ in einem Prozess verurteilt worden war.204 Allerdings basierte sein Zorn auf der Annahme, dass Seiler wegen Rassenschande verurteilt worden sei.205 Als Hitler von der Verurteilung wegen Meineides erfuhr, war er zufrieden.206 Denn eine selbstständige Verurteilung wegen anderer Delikte, die im Zusammenhang mit der Rassenschande standen, war auch nach Hitlers Empfinden rechtmäßig.207 2. Affidavits Kößl führte eine Reihe von Zeugenaussagen an, die das Wesen Rothaugs beschreiben und insbesondere die Vorwürfe gegen Rothaug, er habe aus nationalsozialistisch-rassistischen Motiven heraus „Recht“ gesprochen, widerlegen sollten. Die Erklärungen beinhalten daher in erster Linie, dass Rothaug kein Antisemit gewesen sei, sich geradezu für politisch und ideologisch Verfolgte eingesetzt habe208, Anhänger von Ludendorff, aber Gegner des Nationalsozialismus209 und
203 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 4 f.; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 266 f. Das Urteil sei „kühn“ gewesen, Kastner, in: JA 1997, 699 (703 Fn. 21); StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 84; Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 432; BGH NJW 1971, 571 (572); Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 57; Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49. 204 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 263 ff. 205 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A12/13, S. 1041; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 266. 206 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 266. 207 Siehe § 6 C. II. 1. a) cc) (1) (b). 208 Vgl. Rothaug-Dokument Nr. 149: Eidesstattliche Erklärung Anni Auer, Nürnberg, 16.06.1947: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 12–13; Rothaug-Dokument Nr. 9: Eidesstattliche Versicherung Rudolf Koch, Staatsanwalt in Schweinfurt und als Landgerichtsrat Beisitzer am Sondergericht Nürnberg, Hammelburg, 15.08.1947: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P12, S. 54 f.; Rothaug-Dokument Nr. 141: Eidesstattliche Versicherung Hans Meyer, Justiz- und Kassenrat, Nürnberg, den 01.07. 1947: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 14–16. Auch dieser Einwand wurde von anderen Angeklagten bereits im IMT-Prozess vorgetragen, Safferling/ Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (79). 209 Rothaug-Dokument Nr. 141: Eidesstattliche Versicherung Hans Meyer, Justizund Kassenrat, Nürnberg, 01.07.1947: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 14–16; vgl. auch StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16–18, S. 1349 f.
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zwar „als strenger, aber gerechter Richter bekannt“ gewesen sei210. Weiterhin soll Rothaug oft überarbeitet und gereizt gewirkt haben.211 Ein weiteres immer wiederkehrendes Argument ist, dass gerade fehlende Härte bei der Rechtsprechung die Niederlage im Ersten Weltkrieg mitverursacht habe und dieser Fehler somit nicht wiederholt werden durfte.212 Beispielhaft werden hier einige Zeugenaussagen genannt, die Rothaugs politische Einstellung behandelten. a) Rosemarie Rothaug213 Rothaugs Tochter Rosemarie wurde am 24.06.1947 befragt. Sie sollte ihre gegenüber Einstein am 04.02.1947 getätigte Aussage präzisieren.214 Es ging einerseits um das Verhältnis Rothaugs zu der „Stammtischrunde“ in der „Blauen Traube“, andererseits um die Tätigkeit Rothaugs für den SD. Bei dem „Stammtisch“ in der Blauen Traube habe es sich tatsächlich um einen Tisch im eigentlichen Sinne gehandelt, nicht um eine „Stammtischrunde“.215 Die Stammtischrunde habe immer donnerstags stattgefunden und diese habe „aus kleineren Geschäftsleuten“ [sic] bestanden.216 Die Stammtischgespräche seien aber nicht politischer Art gewesen.217 Man habe sich auch nicht zu den Gesprächsrunden verabredet, sondern zufällig dort getroffen.218 Auch Rosemarie Rothaug sei ab und zu bei diesen Gesprächsrunden anwesend gewesen, wie auch andere Kollegen Rothaugs, u. a. Ferber, Engert und Oeschey.219 Frau Rothaug sei ab Frühjahr 1942 nicht mehr regelmäßig in Nürnberg gewesen und könne daher ab diesem 210 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 4 Abs. 3; vgl. auch RothaugDokument Nr. 146: Eidesstattliche Erklärung Georg Stark, Feucht bei Nürnberg, 30.06.1947: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 3–5; Rothaug-Dokument Nr. 31: Eidesstattliche Erklärung Dr. Siegfrid Keller, früherer Landgerichtspräsident in Nürnberg, Nürnberg, 17.07.1947: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 41–45. 211 Rothaug-Dokument Nr. 31: Eidesstattliche Erklärung, Dr. Siegfrid Keller, früherer Landgerichtspräsident in Nürnberg, Nürnberg, 17. Juli 1947: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 41–45. 212 Dokument-Rothaug, Nr. 77: Deutsche Justiz – Rechtspflege und Rechtspolitik, Die Arbeit der Sondergerichte in der Kriegszeit (Bearbeiter Freisler): StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P2, S. 14–21 (21); Rothaug-Dokument Nr. 9: Eidesstattliche Versicherung Rudolf Koch, Staatsanwalt in Schweinfurt und als Landgerichtsrat Beisitzer am Sondergericht Nürnberg, Hammelburg, 15. August 1947: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P12, S. 49 ff. (54). 213 Rothaug-Dokument Nr. 143: Eidesstattliche Erklärung Rosemarie Rothaug v. 24.06.1947: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 1 f. 214 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 1. 215 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 1. 216 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 1. 217 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 1. 218 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 1. 219 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 1.
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
Zeitpunkt keine Informationen über die „Blaue Traube“ mehr geben.220 Nach Oswald Rothaugs Versetzung nach Berlin am 01.05.1943 hätten sich Vater und Tochter nur noch gelegentlich in Nürnberg getroffen.221 Daraufhin berichtete Rosemarie, dass sie sich freiwillig für einen Auslandseinsatz gemeldet habe und dort der Sicherheitspolizei in Verona zugeteilt worden sei.222 Ihr Vater sei zunächst dagegen gewesen, dass sich Rosemarie zum Dienst gemeldet habe, sei schließlich aber damit einverstanden gewesen.223 Von ihrer Bestimmung für die Sicherheitspolizei habe Rothaug aber nichts gewusst, dies habe Rosemarie selbst erst nach ihrer Meldung erfahren.224 In Verona sei sie dann zum SD abkommandiert worden.225 Zwar habe Rothaug seiner Tochter Briefe geschrieben, dabei habe man aber nie über Rosemaries Einsätze gesprochen.226 „Er schrieb nur äußerst selten wenige Zeilen allgemeinen Inhalts.“ 227 b) Karl Gehring, Justizbeamter228 Gehring wurde zu einem Vorfall befragt, der sich Ende April bzw. Anfang Mai 1945 zugetragen haben soll. Es seien SS-Männer in Arnstorf aufgetaucht und hätten gefangene Juden bei sich gehabt.229 Elf dieser Juden seien im Gefängnis des AGs inhaftiert worden, für das Gehring zuständig gewesen sei.230 Die jüdischen Gefangen hätten die SS belauscht und erfahren, dass sie – die Juden – am nächsten Tag erschossen werden sollten.231 Die Juden hätten Gehring angefleht, sie nicht wieder an die SS auszuliefern.232 Dieser Bitte sei Gehring zunächst nachgekommen, allerdings seien dann SS-Offiziere hinzugekommen und Gehring habe alleine nicht mehr die Autortiät gehabt, sich diesen zu widersetzen.233 Deshalb habe Gehring Rothaug, der zu dieser Zeit in Arnstorf gewesen sei, um Hilfe gebeten.234 Rothaug habe erfolgreich seine Position und seine Kontakte ge220
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 1. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 2. 222 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 2. Zur Rolle von Frauen im SD vgl. Schreiber, Elite, S. 216. 223 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 2. 224 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 2. 225 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 2. 226 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 2. 227 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 2. 228 Rothaug-Dokument Nr. 150: Eidesstattliche Erklärung Karl Gehring v. 04.07. 1947: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 10–11. 229 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 10. 230 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 10. 231 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 10. 232 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 10. 233 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 10. 234 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 10. 221
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nutzt, um die Juden vor einer „ungesetzlichen Exekution ohne gerichtliches Verfahren“ zu schützen.235 „Als die Juden wenige Tage später durch die einrückenden Amerikaner befreit waren, haben sie Herrn Rothaug durch ihre Dolmetscher, die Zwillingsbrüder Wimismer, eine zweisprachige Bestätigung ausgestellt, um ihre Dankbarkeit für die Lebensrettung zu zeigen.“ 236
c) August Greiner, Gutachter für Sondergerichte237 Der Pole Walter Schuddich sei vor dem Sondergericht Nürnberg angeklagt worden, weil er „einen Teil der Schafherde seines Dienstherrn mutwillig vernichtet“ haben soll.238 Rothaug habe ihn freigesprochen und sich darum gekümmert, dass Schuddich von einer im Sitzungssaal anwesenden Person mitgenommen werde, damit er nicht der Polizei habe überstellt werden müssen.239 „Ganz deutlich ist mir noch in Erinnerung, dass Dr. Rothaug den Polen Walter Schuddich korrekt behandelt hat und während der Verhandlung des Öfteren darauf hinwies, dass der Arbeits- und Gehorsampflicht des Polen auf der einen Seite, eine Pflicht zur menschenwürdigen Behandlung auf der anderen Seite gegenüberstehe.“ 240
d) Martha Denzler, Sekretärin241 Denzler habe zehn Jahre lang für den Rechtswahrerbund, u. a. als Rothaugs Sekretärin, gearbeitet und nahm zu Rothaugs Tätigkeit als Gaugruppenwalter Stellung.242 Diese habe in Anbetracht seiner richterlichen Tätigkeit nur eine untergeordnete Rolle gespielt.243 So habe Rothaug lediglich auf Veranlassung des Gaurechtsamtes Richter und Staatsanwälte evaluiert, jedoch nie Stellungnahmen zu „Tatbeständen“ abgegeben.244 Tatbestände seien „irgendwelche Vorkommnisse in Kreisen von Richtern und Staatsanwälten, die den Unwillen von Orts235
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 10 ff. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P9, S. 11. 237 Rothaug-Dokument Nr. 201: Eidesstattliche Versicherung August Greiner, Roding, 15.07.1947: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P10, S. 1 ff. 238 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P10, S. 1. 239 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P10, S. 1a. 240 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P10, S. 2. 241 Rothaug-Dokument Nr. 234: Eidesstattliche Erklärung Martha Denzler: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P15, S. 1 ff. 242 Rothaug-Dokument Nr. 234: Eidesstattliche Erklärung Martha Denzler: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P15, S. 1. 243 Rothaug-Dokument Nr. 234: Eidesstattliche Erklärung Martha Denzler: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P15, S. 1. 244 Rothaug-Dokument Nr. 234: Eidesstattliche Erklärung Martha Denzler: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P15, S. 1 f. 236
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
gruppen, Kreisleitern oder des Gauleiters erregt hätten“.245 Es habe gar keine rechtliche Pflicht zur Weiterleitung derartige Vorfälle an den NSRB durch den Gaurechtsamtsleiter gegeben, weswegen Tatbestände auch nie weitergeleitet worden seien.246 Mit Kriegsausbruch sei die Tätigkeit des Rechtswahrerbundes ohnehin immer unbedeutender geworden.247 3. „Tu quoque“ Im Gegensatz zum IMT-Verfahren248, spielte das „tu quoque“-Argument249 für die Verteidigung im Juristenprozess keine Rolle, auch wenn das Gericht in seinem Urteil später explizit feststellte, dass auch die Alliierten in gewissem Umfang gegen das Völkerrecht verstoßen hätten.250 4. Umgang des Gerichts mit den Entlastungsbeweisen Am 29.08.1947 erhob die Prosecution Einspruch gegen eine Reihe von Beweisstücken, die Kößl in den Prozess eingebracht hatte.251 Dabei handelte es sich um Auszüge der Akten des Falls Kräutlein, der unter dem Vorsitz von Rothaug wegen Brandstiftung verurteilt worden war. Dass sich Rothaug in diesem konkreten Fall ausweislich der Beweismittel „korrekt“ verhalten habe, spielte nach An-
245 Rothaug-Dokument Nr. 234: Eidesstattliche Erklärung Martha Denzler: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P15, S. 1. 246 Rothaug-Dokument Nr. 234: Eidesstattliche Erklärung Martha Denzler: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P15, S. 1 f. 247 Rothaug-Dokument Nr. 234: Eidesstattliche Erklärung Martha Denzler: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P15, S. 1. 248 Die Argumentation führte für Dönitz und Raeder zum Freispruch in Bezug auf den Vorwurf des uneingeschränkten U-Boot-Krieges. Siehe BGH NJW 1961, 373 (374); Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (63); Taylor, Kriegsverbrechen, S. 122. 249 Das „tu-quoque“-Argument besagt, „dass kein Staat einem anderen Staat Völkerrechtsverletzungen vorwerfen und über dessen Staatsbürger wegen solcher Handlungen zu Gericht sitzen darf, wenn er sich selbst der gleichen Verfehlungen gegenüber dem anderen Staat oder dessen Verbündeten schuldig gemacht hat“ (Hervorhebung im Original). BGH NJW 1961, 373 (374); siehe auch Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, Rn. 722; Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 23; Herdegen, Völkerrecht, Kapitel I § 1 Rn. 16; Kraus, KRG10, S. 37; Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 22 f.; Seliger, Politische Anwälte, S. 317 f. 250 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 53; Jescheck, in: Mezger/Schönke/ Schwinge (Hrsg.), S. 411 ff.; vgl. auch Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 23; Kraus, KRG10, S. 141 f.; Andoor, in: ZJS 5/2015, 473 (477 f.); Haensel, in: DRZ 1948, 40 (41). 251 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 102, 29.08. 1947, S. 1.
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sicht der Prosecution keine Rolle, da dieser Fall Rothaug auch gar nicht zur Last gelegt worden war. Das Gericht gab dem Einspruch statt.252 V. Zusammenfassung der Strategie Die Strategie Kößls lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die drakonischen Urteile, die Rothaug zur Last gelegt worden waren, seien durch das Justizministerium, das Reichsgericht und die Führungsebene veranlasst worden und sollten in den besonderen Kriegszeiten für Ruhe und Ordnung sorgen.253 Die herrschende Lehre und Rechtsprechung sei diesbezüglich eindeutig und unumstößlich gewesen.254 In seinen Verhandlungen sei Rothaug stets eloquent und gewandt aufgetreten255, gelegentliche sarkastische Kommentare und Übellaunigkeit seien durch Überarbeitung und den labilen Gesundheitszustand bedingt gewesen, ansonsten seien die Vorermittlungen und Verhandlungen aber juristisch korrekt abgelaufen.256 Ganz bestimmt sei er kein Antisemit oder Rassist gewesen. Auffällig sind an den durch Kößl eingebrachten Beweismitteln jedenfalls einige Punkte. Die Urteile, an denen Rothaug mitgewirkt hatte, basierten nach Aussagen der Zeugen und nach den Dokumenten auf Sachverhalten, die genau ausermittelt, analysiert und rechtlich bewertet worden waren.257 Damit vermittelten sie ein Bild von Rothaug, das im genauen Gegensatz zu demjenigen stand, welches die Prosecution gezeichnet hatte.258 Auffallend sind auch die Verstrickungen von Rothaug, dessen Tochter Rosemarie, dem Verteidiger Kößl und dem Belastungszeugen Elkar mit dem NS-Nachrichtendienst SD. Nach den Zeugenaussagen war Rothaug außerdem sehr oft „zufällig“ zur Stelle259 und half Perso-
252 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 102, 29.08. 1947, S. 1. Einem Einspruch der Prosecution bezüglich dreier anderer Fälle gab das Gericht hingegen nicht statt. Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P7, S. 17 ff.; P8, P11. 253 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P2. 254 Vgl. für die Kommentierung des BluSchuG bzw. des Tatbestandes der Rassenschande durch Freisler, in: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P4, S. 67 ff.; für Entscheidungen des Reichsgerichts zur Rassenschande StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P4, S. 69 ff.; Fieberg (Hrsg.), Justiz, S. 57 f. 255 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P10, Rothaug-Dokument Nr. 206, S. 1 ff. (2); Rothaug-Dokument Nr. 207, S. 3 ff. 256 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P10, Rothaug-Dokument Nr. 207, S. 5; vgl. auch StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 27; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P11. 257 Vgl. die Bestände StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P2, 4, 6, 7, 11. 258 An dieser Strategie sollte Rothaug auch in seinem späteren Disziplinarverfahren festhalten. Vgl. HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 15. 259 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P10, Rothaug-Dokument Nr. 204, S. 2; XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 40 f.
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nen, die durch das NS-Regime verfolgt wurden, durch seinen Einfluss in der Partei und am Gericht. Gerade bei dem letzten Punkt handelte es sich um einen in der Nachkriegszeit häufig erhobenen Einwand260, den Kößl selbst auch in seinem eigenen Entnazifizierungsverfahren vorgebracht hatte261. Alles in allem basierte die Strategie also darauf, weniger die Tatsachen, als viel mehr die rechtlichen Bewertungen der Prosecution anzugreifen.
C. Reaktion der Prosecution auf Verteidigungseinwände Die Prosecution setzte sich mit der Verteidigungsstrategie der Angeklagten gutachterlich in besonderen Schriftsätzen, sogenannten Trial-Briefs262, auseinander. Diese Trial-Briefs hatten zum einen den Zweck, den Chefankläger Taylor über den Stand des Verfahrens auf dem Laufenden zu halten.263 Die beiden Ankläger LaFollette und Wooleyhan wandten sich z. B. in einem Brief vom 23.06. 1947 an Taylor und verteidigten die Nürnberger Militärgerichte als völkerrechtlich legitim eingesetzt.264 Jedoch kam diesen Schriftsätzen auch eine wichtige prozessrechtliche Komponente zu. Denn das Gericht zog Trials-Briefs auch für die Beweiswürdigung heran265. I. Ausführungen zu den VGM266 Der Brief vom 02.07.1947 beschäftigte sich mit Einwänden der Verteidigung zum Tatbestand der VGM. Die Prosecution arbeitete zwei Verteidigungsargumente heraus, auf welche sie näher eingehen wollte. Erstens, dass sich die Angeklagten zur Verteidigung darauf beriefen, nach den Nazi-Gesetzen rechtmäßig gehandelt zu haben.267 Zweitens, dass Taten, die innerhalb Deutschlands an deutschen Staatsangehörigen begangen worden waren, nicht vor einem Militärgericht, sondern einem innerdeutschen Gericht abgeurteilt werden müssten.268
260 Siehe für die ähnliche Verteidigung für Rothenberger bei Schott, Rothenberger, S. 169. Für Göring siehe Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (55.). Vgl. auch Bernhard, in: ders. (Hrsg.), Wunsch, S. 282 ff. 261 Dazu oben Kapitel 2 § 6 D. II. 3. 262 Dazu oben Kapitel 2 § 5 B. II. 263 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B53; B54a; B56; B57a. 264 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B53, Brief an Taylor. 265 Vgl. Haensel, in: DRZ 1948, 40. 266 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947. 267 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, S. 1. 268 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, S. 8.
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1. Beachtung der Nazi-Gesetze als Verteidigungsstrategie Nach Ansicht der Prosecution hatte die Verteidigung die Vorwürfe bezüglich der Durchführung rechtsstaatswidriger Strafverfahren nicht richtig verstanden. So sei versucht worden zu beweisen, dass beispielsweise Strafverfahren im „Dritten Reich“ in Einklang mit den geltenden Gesetzen durchgeführt worden seien.269 Der Juristenprozess beschäftige sich aber gar nicht damit, dass die Angeklagten als Richter und Staatsanwälte außerhalb der NS-Gesetzgebung operiert hätten. Entscheidend sei, „dass die Justiz es unterlies und nicht vermochte, die Gesetzmäßigkeit des Nazirechtes anzuzweifeln oder auch nur das Nazigesetz auf seine Rechtmäßigkeit hin zu prüfen.“ 270 Alleine die Justiz Deutschlands sei dazu in der Lage gewesen.271 Der Vorwurf liege also darin, dass die NS-Gesetze freiwillig durch die entsprechenden Angeklagten angewandt worden seien.272 Die Verteidiger Oescheys und Rothaugs wiederum hätten in ihren Opening-Statements herausgearbeitet, dass Richter eines souveränen Staates keine rechtliche Möglichkeit hätten, geltende Gesetze zu hinterfragen.273 Diese Verteidigungslinie würde aus dreierlei Gründen leerlaufen. Da das Mittel der Nazis zur Unterwerfung und Bekämpfung der eigenen Feinde gerade der Aufbau eines Scheinrechtswesens gewesen sei, sei es paradox, sich zur Verteidigung auf eben jenes zu berufen.274 Auch der alliierte Kontrollrat sei sich dessen bewusst gewesen und habe daher einen wesentlichen Unterschied der VGM zu den Kriegsverbrechen herausgearbeitet.275 Denn VGM seien strafbar, „ohne Rücksicht darauf, ob sie das nationale Recht des Landes, in welchem die Handlung begangen worden ist, verletzen“.276 Außerdem verbiete Art. II Nr. 4 KRG10 explizit, sich auf entsprechende Gesetze zu berufen, was in der Rechtsgeschichte einmalig sei.277 Auch 269 Beispielhaft griff die Prosecution das Opening-Statement von Petersens Verteidiger Rudolf Aschenauer auf. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, S. 1. 270 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, S. 1. 271 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, S. 1 f. 272 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, S. 2. 273 Es wird auf das Opening-Statement für Oeschey, S. 5 und für Rothaug, S. 3 verwiesen, StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07. 1947, S. 2. 274 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, S. 2 ff. 275 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, S. 3 f. 276 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, S. 3 ff. 277 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, S. 5.
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wenn die Angeklagten argumentierten, sie hätten in der Diktatur keine andere Wahl gehabt, als sich den Gesetzen zu unterwerfen, ändere dies nichts.278 Es handele sich nämlich um „ein altes Argument“ und habe schon in anderen Kriegsverbrecherprozessen, beispielsweise gegen Offiziere und Diplomaten, kein Gehör gefunden.279 Es sei für eine Diktatur gerade typisch, dass eine Auflehnung gegen die bestehende Ordnung mit immensen Gefahren verbunden sei.280 Ferner sei die ganze Rechtsordnung im „Dritten Reich“ so eklatant völkerrechtswidrig und unmenschlich gewesen, dass sich eine Nichtigkeit der entsprechenden Normen habe aufdrängen müssen und „die Befolgung dieser Gesetze offensichtlich strafbar wurde“.281 Also bliebe nur noch zu klären, ob die Angeklagten überhaupt die Möglichkeit gehabt hätten, sich aus freien Stücken gegen die Befolgung der Nazi-Gesetzgebung aufzulehnen.282 Diese Frage wurde nach Auffassung der Prosecution sogar von den Angeklagten im Prozess unterschiedlich gesehen: Während sich beispielsweise Oeschey auf die Verbindlichkeit der Gesetze berufen habe, sei der Richter nach Schlegelbergers Meinung „nur dem Gesetz und seinem eigenen Gewissen verantwortlich“ gewesen.283 Diese Äußerung mache nur dann Sinn, wenn dem Gewissen neben dem Gesetz eine eigene Bedeutung zugemessen wurde.284 Auch Jahrreiß bestätige diese Ansicht285, welche außerdem auch von der deutschen Rechtsprechung anerkannt sei.286 Schließlich habe sich beispielsweise auch Oeschey in seinem Opening-Statement darauf berufen, dass mit zunehmend schlechterem Verlauf des Krieges für Deutschland die Rechtsprechung der Sondergerichte, der Standgerichte und des Volksgerichtshofs immer gnadenloser geworden sei, was auch dafür spreche, dass die Exekutive bei der Anwendung des Gesetzes einen Spielraum gehabt hatte und damit letztlich frei habe entscheiden 278
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947,
S. 4. 279
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947,
S. 4. 280
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947,
S. 4. 281
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947,
S. 4. 282 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, S. 5 f. 283 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, S. 6. 284 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, S. 6. 285 Siehe auch StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 102 Fn. 169, 170. 286 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, S. 6; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 102.
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können.287 Der Ermessensspielraum sei lediglich aufgrund politischer und ideologischer Aspekte nicht genutzt worden.288 Dies gelte insbesondere auch für die Todesstrafe und sei von vielen Zeugen, unter anderem auch Schlegelberger und Ferber, bestätigt worden.289 Das KRG10 stelle „materielles Völkerrecht“ dar.290 Die Angeklagten hätten sich jeweils freiwillig und im Rahmen ihres (richterlichen) Ermessens für die Aussprache bzw. Bestätigung der Todesstrafen entschieden.291 Die Verteidigung, man habe sich nach geltendem deutschen Recht korrekt verhalten, könne daher in diesem völkerrechtlichen Kontext nicht gehört werden.292 2. Zuständigkeit des Gerichts für Verbrechen in Deutschland an deutschen Staatsangehörigen Das Militärgericht sei auch für die Aburteilung der VGM zuständig, die ab dem 30.01.1933 in Deutschland an deutschen Staatsbürgern begangen worden waren. Die Prosecution wies daraufhin, dass das VGM im Sinne des KRG10 „ein Verbrechen per se“ sei, also losgelöst von demjenigen des IMT-Statuts.293 Dafür sprächen zunächst der Worlaut der beiden Normen, die bis auf die Stelle „[i]n Ausführung oder in Verbindung mit irgendeinem Verbrechen, das der Rechtsprechung dieses Gerichtes unterliegt“ identisch sind.294 Auch eine teleologische Betrachtung führe zu diesem Ergebnis. Im Gegensatz zu den Kriegsverbrechen liege der Sinn der VGM im Sinne des KRG10 ausschließlich im Schutz der Zivilbevölkerung.295 Dabei sei es irrelevant, ob es sich um die Bevölkerung Deutschlands oder der von Deutschland okkupierten Länder handele, da andernfalls viele völkerrechtliche Verbrechen ungesühnt bleiben müssten.296 Diese rechtliche An287 StAN, S. 6 f. 288 StAN, S. 7 f. 289 StAN, S. 7 f. 290 StAN, S. 8. 291 StAN, S. 8. 292 StAN, S. 8. 293 StAN, S. 10. 294 StAN, S. 10. 295 StAN, S. 8 f. 296 StAN, S. 9.
KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947,
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sicht sei auch durch mehrere „Präzedenzfälle“, unter anderem die Ansicht der Prosecution im Flick-Prozess, gefestigt.297 Letztlich spreche aber auch der rechtliche Charakter des KRG10 für diese Auslegung. Das KRG10 sei ein völkerrechtlicher Vertrag, der als solcher anzuwenden sei und die Judikative sei nach Willis, Constitutional Law 1936, S. 428–429 „analog dem angloamerikanischen Verfassungsrecht“ nicht befugt, über dessen Anwendbarkeit zu urteilen.298 Und außerdem sei in der Potsdamer Deklaration festgelegt worden, dass das KRG10 – ähnlich wie die amerikanische Verfassung – vorrangig anzuwenden sei.299 Damit hätten die Militärgerichte die Kompetenz über VGM zu entscheiden, auch wenn diese gegen Deutsche begangen worden waren.300 II. Dienststellung der Angeklagten, Handeln auf höheren Befehl und strafmildernde Gründe Der Brief vom 16.07.1947 beschäftigte sich mit der Frage, ob die Dienststellung der Angeklagten oder Handeln auf Befehl Auswirkungen auf die Strafbarkeit haben können.301 Nach Ansicht der Prosecution seien sowohl das IMT-Urteil als auch die Formulierung des Art. 7 IMT-Statut und des Art. II Nr. 4 a) KRG10 eindeutig: Die Dienststellung der Angeklagten führe nicht zum Strafausschluss.302 Eine Berufung auf höhere Befehle sei ebenfalls ausgeschlossen, wie das IMT bereits festgestellt habe.303 Dies gehe aus Art. 8 IMT-Statut hervor, der für Handeln auf Befehl lediglich einen fakultativen Strafmilderungsgrund vorsehe und der in Art. II Nr. 4 a) KRG10 wiederholt werde.304 Die Prosecution verwies dafür auch auf den Fall Keitel vor dem IMT.305 Wenn bereits einem Soldaten die Berufung auf ein Handeln auf Befehl als Strafmilderungsgrund verwehrt würde, dann müsse dies in einem „Erst-Recht-Schluss“ auch für Zivilisten gelten.306 297
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947,
S. 10. 298
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947,
S. 10. 299 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, S. 10 f. 300 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B54a, Prosecution Brief v. 02.07.1947, S. 11. 301 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B56, Prosecution Brief v. 16.07.1947. 302 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B56, Prosecution Brief v. 16.07.1947, S. 1. 303 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B56, Prosecution Brief v. 16.07.1947, S. 1 f. 304 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B56, Prosecution Brief v. 16.07.1947, S. 2. 305 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B56, Prosecution Brief v. 16.07.1947, S. 2 f. 306 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B56, Prosecution Brief v. 16.07.1947, S. 3.
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Danach ging die Prosecution auf zwei Einwände im Opening-Statement der Verteidigung ein. Zunächst auf denjenigen, dass die Verschärfung der (Straf-)gesetze mit den „Lebensbedingungen der Deutschen von 1933–1945“ und der dadurch bedingten Abschreckungsfunktion gerechtfertigt worden sei.307 Die Prosecution erkannte zwar die desaströse Situation der deutschen Bevölkerung an, blieb aber ansonsten von dem Argument der Verteidigung unbeeindruckt, da diese Situation durch den von Deutschland geführten Angriffskrieg bedingt, damit selbst verursacht und vorhersehbar gewesen sei.308 Der zweite Einwand betraf die Behauptung der Verteidigung, dass Führerbefehle keine Befehle im Sinne des KRG10 gewesen seien, sondern legislativen Charakter gehabt hätten, wodurch eine strafausschließene Berufung auf den Führerbefehl nicht von vornherein ausgeschlossen sei.309 Dies sei aber irrelevant310: Für den Fall, dass der Führerbefehl ein Legislativakt gewesen sei, sei eine Berufung auf ein solches Gesetz, das die Begehung von Verbrechen ermöglicht, zu Verteidigungszwecken nach dem KRG10 ausgeschlossen. Für den Fall, dass der Führerbefehl tatsächlich ein Befehl im militärischen Sinne gewesen sei, könne auf die zuvor gemachten Ausführungen verwiesen werden. III. Durchführung des NN-Erlasses durch die deutsche Justiz als Kriegsverbrecher311 Die Prosecution äußerte sich umfangreich zum NN-Erlass. Zwar wurde Rothaug keine Beteiligung an diesem Programm vorgeworfen, allerdings befasste sich die Prosecution dabei auch umfassend mit den Bedingungen der gerichtlichen Verfahren in Deutschland. Die Prosecution hob hervor, dass die Entführung von Verdächtigen zum Zweck der Durchführung des NN-Erlasses sogar gegen deutsches geltendes Strafrecht verstoßen hatte, auch wenn dies nicht Gegenstand dieses Verfahrens sei.312 Dennoch habe die Verteidigung313 versucht, die Rechtmäßigkeit der Durchführung des NN-Erlasses durch das Justizministe-
307
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B56, Prosecution Brief v. 16.07.1947,
S. 3. 308 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B56, Prosecution Brief v. 16.07.1947, S. 3 f. 309 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B56, Prosecution Brief v. 16.07.1947, S. 4. 310 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B56, Prosecution Brief v. 16.07.1947, S. 4 f. 311 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B57, Prosecution Brief v. 28.07.1947; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B57a, Prosecution Brief v. 25.07.1947. 312 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B57, Prosecution Brief v. 28.07.1947, S. 5 (= 9); StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B57a, Prosecution Brief v. 25.07.1947, S. 9. 313 Insbesondere der Verteidiger Mettgenbergs.
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rium herauszuarbeiten, wozu die Prosecution eine umfangreiche Stellungnahme abgab.314 Die Verteidigung habe argumentiert, dass trotz aller Härten „NN-Gefangene überhaupt vor ein Gericht gebracht wurden“, um ein Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten, die Verfahren militärisch notwendig gewesen und daher auch eine Zusammenarbeit zwischen Wehrmacht und Justizministerium zwingend gewesen sei.315 Man könne aber unter keinen Umständen behaupten, dass die Durchführung eines Gerichtsverfahrens vor deutschen Gerichten für den Angeklagten eine „Wohltat“ dargestellt habe.316 Angeklagten sei die Ladung von Zeugen verwehrt worden, Richter und Staatsanwälte hätten zu Lasten der Angeklagten kollaboriert, die Strafverteidigung sei von der Zustimmung des Gerichts abhängig gewesen, Freigesprochene und aus dem Gefängnis Entlassene der Gestapo ausgeliefert worden und man habe nicht in jedem Fall den Angeklagten eine Übersetzung der Anklageschrift ausgehändigt.317 Auch wenn das OKW die Justizbehörde mit der Durchführung „beauftragt“ habe, stelle, wie bereits mehrfach herausgearbeitet, das Handeln auf Befehl keinen Strafausschluss dar.318 Auch der Hinweis darauf, dass das Völkerrecht die strafrechtliche Behandlung von Ausländern nach den gleichen Prinzipien wie Angehörige der Besatzungsmacht erlaube, werde als Verteidigung nicht akzeptiert, da Deutsche nicht nach den NN-Vorschriften behandelt worden seien.319 Der Einwand, dass für NN-Gefangene keine andere Arbeit als eine solche in der Rüstungsindustrie möglich gewesen sei, da es in Deutschland nur noch Rüstungsindustrie gegeben habe, sei „lediglich ein Spiel mit Worten“: So habe beispielsweise Zeiss ein optisches Werk in einem Amberger Gefängnis unterhalten, was eindeutig gegen Art. 6 HLKO verstoßen habe.320
314 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B57, Prosecution Brief v. 28.07.1947, S. 1 ff. 315 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B57, Prosecution Brief v. 28.07.1947, S. 2 f. 316 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B57, Prosecution Brief v. 28.07.1947, S. 3. 317 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B57, Prosecution Brief v. 28.07.1947, S. 3 f.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B57a, Prosecution Brief v. 25.07. 1947, S. 3 f. 318 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B57, Prosecution Brief v. 28.07.1947, S. 5 (= 9); StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B57a, Prosecution Brief v. 25.07.1947, S. 9. 319 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B57, Prosecution Brief v. 28.07.1947, S. 4 (= 8). 320 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B57, Prosecution Brief v. 28.07.1947, S. 4 (= 8) f.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B57a, Prosecution Brief v. 25.07.1947, S. 8 f.
§ 11 Vorgehen im Prozess und Beweisführung
247
D. Schlussbemerkung Kößl hatte es von Anfang an sehr schwer, seinen Mandanten gegen die massiven Vorwürfe zu verteidigen. Die Bösartigkeit, mit welcher Rothaug seine Verhandlungen geführt haben soll, erinnerte immerhin stark an diejenige Roland Freislers321, was die Prosecution auch bewusst herauszuarbeiten versuchte322. Dass Rothaug außerdem einen Großteil des Verfahrens krankheitsbedingt fehlte, erschwerte die Mandatsausübung zusätzlich. Letztlich konnte Kößl auch keine wirklichen entlastenden Momente vorbringen. Rothaug berief sich zwar darauf, nach NS-Recht formal rechtmäßig gehandelt zu haben. Dieses Argument wurde aber von der Prosecution überzeugend widerlegt. Man wird Kößl dennoch bezüglich seiner Verteidigung keinen Vorwurf machen können. Er versuchte bereits die Anklageschrift wegen mangelnder Bestimmtheit anzugreifen, führte dutzende Beweismittel in das Verfahren ein und verhörte etliche Zeugen. Letztlich verhielt er sich zwar nicht unbedingt gegenüber den Zeugen, wohl aber gegenüber dem Gericht respektvoll. Alles in allem kann man den amerikanischen Richtern auch sicher nicht vorwerfen, bewusst parteiisch gehandelt zu haben.323 Zwar gab es – wie in den übrigen Nürnberger Verfahren auch – Probleme was die prozessuale Ausgestaltung des Verfahrens betrifft. Allen voran ist der Umstand zu nennen, dass das Gericht die tatsächliche Situation der Verteidiger hätte besser berücksichtigen können. Andererseits wurde gerade Rothaug durch seinen Verteidiger Kößl viele Tage lang als Zeuge vernommen und es wurde auch auf seine angeschlagene Gesundheit Rücksicht genommen. In Anbetracht der gegebenen Umstände waren die Verhandlungsführung und die Verteidigung demnach zweckmäßig.
321
Vgl. zu Freislers Verhandlungsführung LG Berlin DRiZ 45. Jhg.11/1967, 390 ff. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A16–18, S. 1384 ff.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A19/20, S. 1484 ff. 323 Vgl. auch Rautenberg, in: GA 2012, 32 (34). 322
§ 12 Der Themenkomplex der Conspiracy Allen Angeklagten wurde vorgeworfen, durch ihre Beteiligung am NS-Justizsystem, Teil einer großen „Verschwörung“ gewesen zu sein, sodass eine Strafbarkeit wegen der aus dem angloamerikanischen Strafrecht stammenden Konstruktion Conspiracy1 wie ein Damoklesschwert über dem Gerichtssaal schwebte. In seiner Eröffnungserklärung für Joël hatte Haensel bereits angekündigt, dass er rechtliche Einwände gegen Anklagepunkt I (Conspiracy) sehe und dementsprechend für alle Angeklagten beantragt, „die Anklage insoweit als ,insufficient‘ zu erklären, und zwar aus ,legal reasons‘, als sie den Angeklagten die gemeinsame Planung, die Conspiracy zur Begehung von Kriegs- und Menschheitsverbrechen allein und als besondere Anklagepunkte außer andern aus dem Gesetz Nr. 10 und dem internationalen sowie deutschen Strafrecht sich ergebenden Tatbeständen zur Last legt.“ 2
Ein entscheidendes Argument der Verteidigung war, dass eine Verschwörung zur Begehung von Kriegsverbrechen und VGM – ähnlich wie bereits durch das IMT für das Statut festgestellt3 – nach dem KRG10 nicht strafrechtlich relevant sei. Die Verteidigung hatte dementsprechend den Antrag gestellt, eine solche Anklage aus rechtlichen Gründen abzuweisen.4 Die Bedeutung der Conspiracy in den NMT-Verfahren ging aber über diesen materiellrechtlichen Aspekt hinaus, denn eine entsprechende Anklage hätte auch Konsequenzen für den Umfang des vorzubringenden Beweismaterials gehabt.5 Da dieser Einwand auch für andere NMT-Verfahren von Bedeutung war, wurde am 09.07.1947 eine Plenarsitzung aller Militärgerichte einberufen, die diese Frage vorab klären sollte.6 In der gemeinsamen Sitzung der Tribunale trat unter anderem Taylor für die Anklagevertretung auf.7 Haensel brachte für die Verteidigung ein Rechtsgutachten ein.8 Das Rechtsgutachten enthielt die folgenden Ausführungen: 1
Hierzu ausführlich Kapitel 2 § 5 A. I. 1. Kraus, KRG10, S. 51; StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 56, 24.06.1947, S. 1. 3 Vgl. dort zu den Argumenten der Verteidigung IMT, Bd. XIX, S. 469 ff. 4 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 3 f. 5 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 4. 6 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 64, 07.07.1947, S. 1; Kraus, KRG10, S. 22, 51 f.; StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 4; Haensel, Organisationsverbrechen, S. 30; vgl. auch Rauschenbach, Organisationen, S. 132; vgl. auch Taylor, Kriegsverbrechen, S. 47. 7 Vgl. Kraus, KRG10, S. 47. 8 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947. 2
§ 12 Der Themenkomplex der Conspiracy
249
A. Keine Conspiracy aus KRG10 ableitbar Zunächst wies Haensel auf die Entstehungsgeschichte des KRG10 und den Einfluss des russischen Professors Trainin hin.9 Der Historiker Seliger vermutet dahinter (auch) den Versuch, im aufkeimenden „Kalten Krieg“ auf die Unterwanderung des angewandten Rechts durch die Sowjets hinzuweisen.10 Trainin habe die Conspiracy für rechtlich fragwürdig gehalten. Danach ging Haensel auf zwei systematische Argumente ein: Einerseits sei ein Vergleich des Art. 6 IMT-Statut und des Art. II KRG10 anzustellen.11 Das IMT – dessen Urteil eine Vorbildfunktion zukomme – habe auf dem Standpunkt gestanden, dass sich die Strafbarkeit einer Conspiracy lediglich auf die Begehung eines Angriffskrieges beziehe, obwohl das IMT-Statut diesbezüglich viel offener formuliert sei.12 Zweitens spreche die Struktur des Art. II KRG10 für sich. Nr. 1 nenne die Verbrechenstatbestände, Nr. 2 die Teilnahmeformen und Nr. 3 den Strafrahmen.13 Die Conspiracy fehle „offenbar mit voller Absicht“ im Rahmen von Nr. 1 b) und c), sodass es systemwidrig sei, sie über Nr. 2 d) abzuleiten.14 Ferner werde aus dem Wortlaut der englischen und auch französischen Fassung, welcher für die Conspiracy in Nr. 1a) und der Beteiligungsform in Nr. 2 d) unterschiedliche Begriffe verwendet, klar, dass mit der eigentlichen Conspiracy nur die Verschwörung zum Angriffskrieg gemeint sein könne.15
B. Einführung der Conspiracy verstößt gegen Rückwirkungsverbot Die Strafbarkeit der Conspiracy sei auch nicht aus anderen Rechtsordnungen herleitbar. Haensel machte dazu einige Ausführungen, die er selbst wie folgt zusammenfasst:16 „Um den weiten Gang meiner Erörterungen leichter verfolgbar zu machen, möchte ich hier gleich betonen, dass ich aus diesen Zitaten nur folgern will, dass die vier Besatzungsmächte in der Ausübung ihrer Gewalt an die Völkerrechtsregeln gebunden sind. Welche Völkerrechtsregeln dies sind, möchte ich hier nicht erörtern. Ich möchte 9 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 5 ff. Vgl. dazu auch Kraus, KRG10, S. 71 f.; IMT, Bd. XIX, S. 62 f. Dieser Gedanke war also schon vor dem Plädoyer Wahls für die Gesamtverteidigung im I.G. Farben-Prozess bekannt und daher weniger als „Sensation“ zu bezeichnen, als es Seliger, Politische Anwälte, S. 291 ff., meint. 10 Vgl. Seliger, Politische Anwälte, S. 299 f. 11 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 8 f. 12 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 9 ff. 13 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 10. 14 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 10. 15 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 11. 16 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 13 ff.
250
Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
auch nicht für oder gegen einige meiner Kollegen hier die Rechtsfrage untersuchen, ob wir uns überhaupt noch im Kriegszustand befinden oder ob in Deutschland kein Krieg mehr besteht und es daher auch keine Kriegführenden mehr gibt, vor allen Dingen Deutschland keine kriegführende Macht mehr sei, oder ob mangels eines förmlichen Friedensschlusses noch Krieg sei. Ich gehe, ich betone es ausdrücklich noch einmal, nicht auf die Frage ein, ob eine Debellatie mit allen ihren Folgen und mit einer Vernichtung Deutschlands als Rechtssubjekt des Völkerrechts eingetreten sei, und welche allen Menschen der Völkerrechtsgemeinschaft niemals abdingbare Rechte wenigstens in der Gestalt der „Coutumes de la guerra“ den Deutschen noch geblieben sind. Das Wesentliche ist für mich, dass die Besetzung Deutschlands durch die vier Siegerstaaten zusammen erfolgte, die nach der Berliner Erklärung unter vielfacher Wiederholung immer wieder versichert haben, dass sie Deutschland weder annektieren noch teilen, sondern als einheitliches Ganzes in noch festzulegenden Staatsformen aufrechterhalten wissen wollen. Die Folge ist, dass dieses den vereinten Besatzungsmächten, repräsentiert in der Spitze im Kontrollrat, weder dem russischen noch dem englischen noch dem französischen noch dem amerikanischen Recht untersteht und die Besatzungsmacht dieses ihr eigenes Landesrecht nicht, an ihre Fahnen geheftet, mit hierher gebracht hat.“ 17
I. Keine Herleitung aus VO7 möglich Die Besatzungsmächte dürften deshalb grundsätzlich nur zusammen gesetzgebend für Deutschland tätig werden, wenn nicht eine der Siegermächte hierzu explizit die Kompetenz erhalten habe, sodass auch kein „Landesrecht einer der vier Besatzungsmächte“ angewandt werden könne.18 Interessant sei in diesem Zusammenhang die VO7.19 Diese nur für die Amerikanische Besatzungszone geltende Bestimmung spreche in Art. II VO7 von „military tribunals, which shall have power to try and punish persons charged with offenses recognized as crimes in Article II of Control Council Law No. 10, including conspiracies to commit any such crime.“ 20
Ausweislich der Überschrift der VO7 behandele diese aber ausschließlich die „Organization and Power of Certain Military Tribunals“, keine das KRG10 betreffenden Regelungen.21 Der „including“-Teil könne nicht so verstanden werden, dass über das KRG10 hinaus eine weitere Strafbarkeit der Conspiracy begründet werden solle, denn dann würde in der Amerikanischen Besatzungszone „ein ganz anderer Begriff des Kriegsverbrechens“ gelten als in den übrigen.22 Die USA 17 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 15 f. Unterstreichungen im Original. 18 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 16 f. 19 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 17. 20 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 18. 21 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 17 f. 22 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 18.
§ 12 Der Themenkomplex der Conspiracy
251
hätten sich dann durch „einseitigen Akt“ über Völkerrecht hinweggesetzt, was aus einem Vergleich mit Art. IV KRG10 nicht gewollt gewesen sein könne.23 Außerdem dürften lediglich die Verfahrensordnungen von den einzelnen Siegermächten individuell gestaltet werden, nicht jedoch die materiellen Strafnormen.24 Letztlich würde dies zu einem Verstoß gegen den „nullum crimen sine lege“Grundsatz führen.25 II. Völkerrechtliche Vorschriften abschließend Es gebe aber noch weitere Gründe, die gegen die Anwendbarkeit des Common Laws in den Kriegsverbrecherprozessen sprechen.26 Das Völkerrecht sei zwar nicht in allen Bereichen ausreichend kodifiziert, dennoch dürfe man sich nicht von Gefühlen leiten lassen und müsse sich an geltende Grundlagen halten und so sei u. a. das „nullum crimen sine lege“-Prinzip unumstößlich.27 Haensel wolle sich zwar zu diesem Zeitpunkt nicht dazu äußern, ob jenes Prinzip die Legitimität der Nürnberger Verfahren grundsätzlich in Frage stelle, jedoch könnten mögliche Strafbarkeitslücken des KRG10 nicht mit landesrechtlichen Rechtsvorstellungen geschlossen werden.28 Vielmehr sei der „nullum crimen sine lege“Grundsatz ausdrücklich in Art. IV Nr. 7 MRG 1 verankert.29 Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift „könnte selbst ein reines amerikanisches Militärgericht“ eine Vorschrift des Common Laws nicht ohne Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot auf deutschem Boden anwenden.30 Dass die Militärgerichte tatsächlich nicht mit Militärs besetzt seien31 zeige gerade auch, dass das Gericht trotz seiner tatsächlichen Gegebenheiten nur internationale Rechtsquellen, insbesondere das Statut, das KRG1 und das KRG10, anwenden dürfe, und damit eine Erweiterung des Conspiracy-Tatbestandes über die Verschwörung zum Angriffskrieg hinaus ausscheide.32 Einen Verstoß gegen den „nullum crimen sine lege“-Satz könne man auch nicht damit rechtfertigen, dass die im KRG10 neu geschaffenen Tatbestände des Angriffskrieges, des Kriegsverbrechens und des VGM ohnehin, aus 23
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 18. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 19. 25 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 18 f. 26 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 19 f. 27 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 20 f. 28 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 21 f. 29 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 22 f. 30 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 23. Haensel verstehe zwar die Notwendigkeit des Straftatbestandes der Conspiracy, wünsche sie sich gar für Deutschland, aber solange sie noch nicht im „kontinentalen Strafrechte“ angekommen sei, stünden „einer solchen Einfuhr völkerrechtliche Zollschranken entgegen, ja ein völkerrechtliches Einfuhrverbot.“ StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 23 f. 31 Hierzu Kapitel 2 § 5 B. 32 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. 31 ff. 24
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
deutscher Sicht, gegen diesen Grundsatz verstießen, denn das habe der internationale Gesetzgeber gerade nicht gewollt.33 III. Keine Einführung wegen Art. 43 HLKO Als nächstes widmete sich Haensel der HLKO, die zumindest als allgemeines Völkergewohnheitsrecht für das laufende Verfahren heranzuziehen sei.34 Zu beachten sei Art. 43 HLKO, nach dem Besatzungen, „soweit kein zwingendes Hindernis besteht, unter Beachtung der Landesgesetze ausgeübt werden“ müssen.35 Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes könnte Art. II Nr. 1c) KRG10 am Ende darstellen.36 Aus systematischen Erwägungen und der Zeichensetzung der deutschen Sprachfassung sei aber klar, dass lediglich die Nichtanwendbarkeit von Nazi-Gesetzen, die zu einer Straflosigkeit von Angeklagten führen könne, bezweckt worden sei.37 Also verbiete Art. 43 HLKO die Einführung der Conspiracy, „wenn das deutsche Recht diesen strafbaren Tatbestand vor der Besetzung [nicht] schon gekannt hätte.“ 38 Die Conspiracy existiere aber nicht im deutschen Recht.39 Zuletzt könne man überlegen, ob die Conspiracy dann hergeleitet werden könne, wenn „einer der Angeklagten während des Krieges in einem besetzten Lande, das diesen strafrechtlichen Tatbestand kennt, ein solches Verbrechen begangen hätte.“ 40 Dies sei aber nicht der Fall.41
C. Abweichende Ansicht von v. Stackelberg Curt Ferdinand v. Stackelberg, der im Fall 4 Heinz Fanslau verteidigte42, gab allerdings eine abweichende Stellungnahme ab.43 Auch v. Stackelberg war der Ansicht, dass amerikanisches Common Law in Nürnberg nicht anwendbar sei, im Gegensatz zu Haensel hielt er jedoch den völkerrechtlichen Status Deutschlands als relevant und erörterungsbedürftig.44
33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 770, 810. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S.
34. 24 ff. 25. 25 f. 26 f. 27. 27 ff. 29. 29 f. 36 ff. 36.
§ 12 Der Themenkomplex der Conspiracy
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Die Kapitulation Friedeburgs, Keitels und Stumpffs am 08.05.1945 hätte ausschließlich für das OKW Bedeutung gehabt, denn die drei Militärs hätten keine darüberhinausgehende „völker- und staatsrechtlich[e Legitimation] “ gehabt.45 Dieser Umstand in Verbindung mit dem Fehlen eines Friedensvertrages, der ausdrücklich nicht vorgenommenen Annexion Deutschlands durch die Siegermächte und den Erklärungen Großbritanniens („Erlass des Ersten Staatssekretärs des Britischen Auswärtigen Amtes vom 02.04.1946“) und des amerikanischen Präsidenten (vom 31.12.1946), dass man sich formal noch im Kriegszustand befinde, zeige, dass Deutschland bis heute „besetztes feindliches Gebiet“ im Sinne des IV. Abkommens der Haager Friedenskonferenz vom 18.10.1907 sei.46 Eine sollche occupatio bellica (vgl. Art. 42 ff. HLKO) sei nur eine „vorübergehende“.47 Gemäß Art. 43 HLKO dürfe eine Besatzungsmacht nur dann eigenes Landesrecht einführen, wenn dies ausdrücklich getan werde und unbedingt aus militärischen Gründen nötig sei.48 „Selbst für den Fall eines endgültigen Überganges der Souveränität ist nach amerikanischer Auffassung völkerrechtlich anerkannt, dass im neuerworbenen Gebiet das bisherige Landesrecht weitergilt, soweit es nicht in politischem Gegensatz zum Recht des übernehmenden Staates steht.“ 49
Alles in allem sei somit die Anwendung von Common Law in diesem Verfahren nicht möglich.50 Letztlich könne man auch nach den vier Prinzipien des Internationalen Strafrechts eine Anwendbarkeit der Conspiracy nicht herleiten:51 Nach dem grundsätzlichen Territorialprinzip sei deutsches Strafrecht anzuwenden.52 Das Personalprinzip sei nicht anwendbar, „da die Angeklagten nicht amerikanische Staatsbürger sind“.53 Für das Realprinzip müssten staatliche Interessen, wie in den Fällen des Hochverrats und Landesverrats, verletzt worden sein, was hier nicht der Fall sei.54 Das vierte Prinzip, das Universalprinzip, gelte „nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen, wie z. B. bei Münzverbrechen“, nicht aber für die Conspiracy.55 Da die amerikanische Rechtsprechung das Territorialprinzip anwende, komme diese also ebenfalls nicht zu einer Anwendbarkeit des Common Laws in Deutschland.56 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI C2, Trial Brief v. 30.06.1947, S.
36 f. 37 f. 37 f. 37a f. 38 f. 38a f. 39 f. 39. 39. 39. 39. 39a.
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
D. Entscheidung des Senats Am 11.07.1947 verkündete das Gericht die Entscheidung des gemeinsamen Senats, dass eine Anklage wegen der Conspiracy nicht rechtens sei.57 Damit hatte Haensels Antrag Erfolg. Die Conspiracy als „selbstständiges materielles Verbrechen“ könne weder auf den Wortlaut des IMT-Statuts, noch auf das KRG10 gestützt werden und daher auch nicht durch das Gericht abgeurteilt werden.58 Allerdings gestattete das Gericht, den Anklagepunkt I in soweit aufrechtzuerhalten, als auch Sachverhalte umfasst waren, die dann konkret in die Begehung von Kriegsverbrechen und VGM mündeten.59 Entsprechendes Beweismaterial durfte verwendet werden.60
E. Bewertung Die Entscheidung der Plenarsitzung, welche die einzige in der Geschichte der Nürnberger Verfahren bleiben sollte61, eine Anklage wegen der Verschwörung zur Begehung von Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen fallen zu lassen, lag auf einer Linie mit der Entscheidung des IMT und wurde von den meisten NMTGerichten bestätigt.62 Dennoch hatte sie letztlich zur Folge, dass eine strafrechtliche Bewertung der Situation vor 1939, die ja im Rahmen der Conspiracy durch die Anklagebehörde gefordert wurde, hinfällig war. Das Gericht sollte also letztlich nur wegen „einzelner Handlungen“, nicht wegen einer grundsätzlichen Partizipation am verbrecherischen NS-System, verurteilen.63 Tatsächlich wurde aber der Wesensgehalt der Conspiracy wieder aufgegriffen, indem die Beteiligung an den Nazi-Programmen gegen Juden und Polen als solche, durch das Gericht als Kriegsverbrechen und VGM gewertet wurde.64 57 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S1, Urteil Teil 1, S. 3; Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (714); Kastner, in: JA 1997, 699 (701); Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 40; StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 67, 11.07.1947, S. 1 f. 58 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S1, Urteil Teil 1, S. 4; vgl. auch Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 26. 59 Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (714). 60 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S1, Urteil Teil 1, S. 4; Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 19. Vgl. auch Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 242; Haensel, Organisationsverbrechen, S. 49 und Kapitel 3 § 13. 61 Taylor, Kriegsverbrechen, S. 127. Die Verteidigung hatte eine gemeinsame Sitzung beispielsweise bezüglich der Formalien der Befragung von Zeugen erfolglos angestrebt. StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 27, 15.04.1947, S. 1 f. 62 Vgl. Jescheck, in: Mezger/Schönke/Schwinge (Hrsg.), S. 409 (insbesondere Fn. 2 und 3); Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 19; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 127; Kraus, KRG10, S. 50 ff. Zu den Ausnahmen Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 57; ebenda, S. 759 ff. 63 Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (714 ff.); Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 25; Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 103 f. 64 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 127 ff. Dazu ausführlich unter Kapitel 3 § 14 B. IV.
§ 13 Plädoyers und letzte Worte Nach der Beweisaufnahme hatten sowohl die Verteidigung, als auch die Prosecution die Gelegenheit, ihre Ergebnisse bezüglich der Schuld der Angeklagten in einem Plädoyer an das Gericht zusammenzufassen. Obwohl den Verteidigern grundsätzlich das Recht auf ein zeitlich unbefristetes Plädoyer zugestanden wurde1, beschränkte das Gericht sowohl die Redezeit der Prosecution als auch die der Verteidigung: Der Prosecution wurde für ihr Plädoyer ein Tag2, der Verteidigung der Rest der Woche inklusive des Samstags gewährt.3 Dabei mussten die Verteidiger die ihnen zur Verfügung stehende Zeit selbstständig untereinander aufteilen.4
A. Schlussplädoyer der Anklagebehörde Das von LaFollette, King, Buchthal und Arbuthnot vorgetragene Plädoyer beanspruchte zwei Sitzungstage.5 Die Anklagebehörde stellte zunächst klar, dass das Schlussplädoyer gerade auch für „Laien“ verständlich formuliert und die verwendeten völkerstrafrechtlichen Termini mit „der bloßen Hilfe [des] gesunden Menschenverstandes“ verständlich seien.6 Dadurch sollte bewiesen werden, dass der Juristenprozess kein Schauprozess sei, die Anwendung des KRG10 nicht gegen das Rückwirkungsverbot verstoße und es sich bei den Angeklagten um gewöhnliche Kriminelle handele, die mit den bekannten strafrechtlichen Grundsätzen belangt werden könnten.7 Bereits an dieser Stelle griff die Prosecution auch das Argument der Verteidigung auf, dass das Justizministerium und die involvierten Juristen nur auf Weisung Hitlers, Himmlers oder sonstiger Stellen gehandelt hätten. Dies sei rechtlich unerheblich, da nach Art. II Nr. 2 KRG10 auch das Handeln nach einem gemeinsamen Plan oder Unternehmen strafbar sei.8 1 2 3
Vgl. Kapitel 2 § 6 D. I. 1. Letztlich wurde das Plädoyer aber auf zwei Tage aufgespalten, siehe sogleich. StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 121, 26.09.1947,
S. 1. 4
StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 121, 26.09.1947,
S. 1. 5 Schott, Rothenberger, S. 168; StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 122, 13.10.1947, S. 1; Report No. 123, 14.10.1947, S. 1. 6 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 1. Siehe auch Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 307. 7 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 1 f. 8 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 5.
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
I. Aufbau des Plädoyers Die Prämisse, dass es sich bei den Angeklagten um einfache Straftäter handele, verfolgte die Prosecution auch im Aufbau des Plädoyers. Das strafbare Verhalten der Angeklagten bestimmte man anhand von Wharton’s „Criminal Law“ in der 12. Aufl. von 1932.9 Übertragen auf den Juristenprozess bedeutete das, dass für eine Strafbarkeit der Angeklagten die Opfer des Justizunrechtes konkret bestimmbar und die Taten völkerrechtswidrig sein mussten; der Maßstab für die persönliche Verantwortlichkeit musste derjenige aus Art. II Nr. 2 KRG10 sein.10 Auch wenn im vorliegenden Fall einige Besonderheiten auftreten würden, nämlich dass manche Opfer „nicht namentlich bezeichnet werden können“ 11, die Taten so bisher noch nicht vorgekommen und manche Begehungsalternativen aus Art. II Nr. 2 KRG10 neuartig seien, handelte es sich nach Ansicht der Prosecution letztlich auch um ein gewöhnliches Strafverfahren.12 Im Rahmen der Beweisführung behandelte die Prosecution zuerst das den Angeklagten zur Last gelegte Verbrechen und dann in einem zweiten Schritt, wie sich die Angeklagten jeweils an diesem beteiligt hätten.13 Die Schuld jedes Angeklagten wurde nach folgenden Kriterien und in folgender Reihenfolge festgestellt:14 – Verbrechenstatbestand, – Beteiligungsform, – Beweisregeln und Beweiserhebung, – Bestimmtheit der angeklagten Verbrechen sowie – Stellungnahme zur Verteidigungsstrategie der Angeklagten. Des Weiteren wurden dem Plädoyer fünf Anhänge beigefügt, die allerdings nur schriftlich eingereicht15 und damit nicht verlesen worden sind.16 9 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 3. 10 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 3. 11 Insbesondere KZ-Insassen und „[d]ie 500 bis 800 in Sonneburg erschossenen Gefangenen“. Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 4 Fn. 3. 12 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 3 f. 13 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 5. 14 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 2. 15 Diese Annexe beschäftigten sich mit „geltenden Bestimmungen über Arglist, Vorsatz, bösen Vorsatz und Verantwortlichkeit“, den Beteiligungsformen des Art. II Nr. 2 KRG10, Definitionen der Tatbestände des KRG10, Auslegungsregeln und prozessualen Vorschriften, sowie Informationen über den NN-Erlass.
§ 13 Plädoyers und letzte Worte
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II. Die einzelnen strafrechtlichen Vorwürfe 1. PoStraV Auch17 im Rahmen ihres Plädoyers drückte die Prosecution ihre tiefste Verachtung für die PoStraV aus. Bemerkenswert war, dass nach Ansicht der Prosecution nicht erst durch die Umsetzung der PoStraV, sondern bereits „durch die Verkündung der Verordnung“ selbst der Tatbestand der Kriegsverbrechen und VGM erfüllt worden sei.18 Denn die PoStraV sei ein diskriminierendes und menschenverachtendes Gesetzeswerk gewesen, das völkerrechtlich nicht gerechtfertigt gewesen sei.19 So sei beispielsweise der Pole Pitra von Cuhorst aufgrund von einvernehmlichen Geschlechtsverkehr wegen Rassenschande verurteilt worden, obwohl der Geschlechtsverkehr „auf [. . .] verliebtes Betreiben hin“ stattgefunden habe.20 Im Gegensatz zu deutschen Jugendlichen habe auch gegen polnische und jüdische Jugendliche die Todesstrafe verhängt werden können.21 Dieser grundsätzlichen Stellungnahme folgten Ausführungen zu den gegen die Angeklagten vorgebrachten Beweisen und den jeweils für die Taten verantwortlichen Personen. a) Beweise Sodann wurde Beweismaterial zur Untermauerung der Schuld der Angeklagten eingeführt, das sich in folgende Kategorien einteilen lässt:22 – Tötung und Misshandlung von Polen und Juden, insbesondere im KZ, – Verstoß der PoStraV gegen Haager Kriegsrecht und das Wissen der Angeklagten hierum, – Erlass der Verordnung durch das RMJ und Angeklagte wie Schlegelberger „in voller Kenntnis seines verbrecherischen Charakters“, – Kollaboration des RMJs und deutscher Gerichte. 16 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 2. 17 Vgl. dazu schon unter Kapitel 3 § 8 D. II. 18 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 6, 15. 19 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 6 f. „Es gibt keinen Präzedenzfall in der neueren Geschichte, dem man den Zweck dieser Verordnung an die Seite stellen könnte, nicht einmal die Aufzwingung deutschen Rechtes Belgien gegenüber während des Ersten Weltkrieges, eine Handlung, die ja selbst für ungesetzlich erklärt worden ist.“ 20 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 6 Fn. 4. 21 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 6. 22 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 8.
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
Interessant sind die Ausführungen der Anklagebehörde zur Völkerrechtswidrigkeit und dem diesbezüglichen Vorsatz der Angeklagten. Im Anhang 4 legte die Prosecution dar, dass die Angeklagten gegen die Haager Konvention von 190723 verstoßen hätten.24 Die Angeklagten stünden in der Pflicht darzulegen, warum sie die Gesetze Polens aus zwingenden Gründen nicht hätten anwenden können; allerdings würden sie zu diesem Themenkomplex schweigen.25 Die einzige hierfür in Frage kommende Rechtfertigungsmöglichkeit sei die Berufung auf die „militärische Notwendigkeit“, für deren Vorliegen es aber keine Anhaltspunkte gebe.26 Da damit das Vorliegen eines Kriegsverbrechens durch Missachtung polnischer Landesgesetze „über jeden vernünftigen Zweifel hinaus erwiesen“ sei, müssten im Anschluss lediglich die Beiträge der einzelnen Angeklagten herausgearbeitet werden.27 Die Angeklagten hätten außerdem um die Völkerrechtswidrigkeit ihrer Taten gewusst bzw. wissen müssen, als sie das deutsche und diskriminierende Strafrecht im Reich selbst und den eroberten Teilen Europas angewendet hätten.28 In der „Deutschen Justiz“, die das „amtliche Organ des Reichsministeriums“ gewesen sei, sei wiederholt unter anderem von Freisler der politische Hintergrund und die Rechtswidrigkeit der Verordnung zur Einführung des deutschen Strafrechts in Polen thematisiert worden.29 Als nächstes ging die Prosecution auf die Problematik ein, dass Polen nach Deutschland verschleppt worden waren, wo ihnen dann nach der PoStraV der Prozess gemacht wurde.30 Auch wenn das Verschleppen in ein anderes Land per se keinen Verstoß gegen die HLKO darstelle31, wertete die Prosecution jedenfalls die Anwendung der PoStraV gegen Polen als einen solchen, denn es liege u. a. ein Verstoß gegen Art. 46 HLKO vor.32 Man dürfte nicht die Haager Konventionen 23
Allen voran Art. 43. Hierzu bereits Kapitel 3 § 11 C. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 10. 25 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 10 f. 26 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 11. 27 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 11. 28 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 9, 12. 29 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 9 f. 30 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 12. 31 Diese Äußerung überrascht, da das Kriegsverbrechen nach dem KRG10 explizit die „Verschleppung [der Zivilbevölkerung] zur Zwangsarbeit oder zu anderen Zwecken“ umfasst. Vgl. auch Haensel, in: DRZ 1948, 40 (43). 32 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 12 ff. 24
§ 13 Plädoyers und letzte Worte
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durch die erzwungene Deportation nach Deutschland unterlaufen können, denn letztlich ändere sich an den Verbrechen nichts, nur der Begehungsort werde verändert.33 Aber auch wenn ein Kriegsverbrechen nicht einschlägig sei, liege jedenfalls ein VGM gemäß Punkt III der Anklageschrift vor.34 Denn die Verkündung der PoStraV einerseits, deren Anwendung andererseits, habe dem Kampf gegen politische und rassische Feinde gedient, wie sich aus den Beweismitteln ergebe.35 Die Opfer dieser Verordnung seien demnach – unabhängig von der Art ihres Aufenthaltes in Deutschland – wegen „rassischen und politischen Gründen ermordet und ausgerottet“ bzw. „aus rassischen und politischen Gründen eingekerkert, versklavt, unmenschlich behandelt und verfolgt“ worden.36 Außerdem bestehe eine völkerrechtliche Verpflichtung dazu, fremde Staatsangehörige im eigenen Staatsgebiet nicht schlechter zu behandeln als Inländer, „vorausgesetzt, dass der Schutz, den das Land seinen eigenen Bürgern gibt, dem herrschenden Kulturstande entspricht“.37 Das für die PoStraV Gesagte gelte entsprechend auch für die Anwendung gegen Juden.38 Denn auch diese seien aus rassischen Gründen getötet, eingesperrt, versklavt und verfolgt worden, wie sich ebenfalls aus den Beweismitteln ergebe, „und kein Angeklagter hat ausgesagt, dass er als Jurist nicht glaubte oder wusste, diese Handlungen seien verbrecherisch.“ 39 b) Zurechnung Schlegelberger, Barnickel, Cuhorst, Klemm, Oeschey, Petersen, Nebelung, Rothenberger, Lautz, Joël, Rothaug wurden für die Vergehen nach der PoStraV verantwortlich gemacht.40 Die Prosecution rechnete sogar Schlegelberger nicht nur den Erlass der PoStraV, sondern jedes darauf basierende Urteil zu.41 Dass Schle33 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 12 f. 34 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 13. 35 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 13. 36 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 13. 37 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 14. 38 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 14 f. 39 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 14 f. 40 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 15 ff. 41 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 15 ff.
Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebe-
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
gelberger im Amt geblieben sei, um „Schlimmeres zu verhindern“, wurde nicht als Verteidigungseinwand gehört.42 Rothaug wurde als ein „Spezialist in der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gesehen und habe ebenfalls Kriegsverbrechen durch die Anwendung der PoStraV begangen.43 Die Prosecution berief sich auf die Aussagen Elkars, dass Rothaug auch schon vor dem Erlass der Verordnung durch seine „erfinderischen“ Verdrehungen von Gesetzen „seinen Richterstuhl als Henkersblock“ benutzt habe.44 „Er war ein zu guter Jurist, um nicht zu wissen, dass das Gesetz [PoStraV] jeder Bestimmung des Völkerrechts widersprach.“ 45
Er habe die bewusst unbestimmten Tatbestände der Verordnung aufgrund seiner ideologischen Einstellung „unter dem Deckmantel der Gesetzmäßigkeit [als] eine Waffe [. . .] mit ekelerregender Lust“ gegen seine ideologischen Feinde eingesetzt.46 Hervorgehoben wurden insbesondere die Urteile Lopata und Durka/ Struss.47 Da Rothaug keine „ausreichende Verteidigung vorgebracht hätte“, würde die Prosecution auch nicht „irgendwelche Zeit darauf verwenden“.48 2. NN-Verfahren Die Verbrechen unter dem NN-Erlass wurden in zwei Bereiche untergliedert: Einerseits die Entführung von Personen aus den besetzten Ländern und deren dem Völkerrecht widersprechende Aburteilung vor Sondergerichten und dem Volksgerichtshof, andererseits die organisatorische Mitwirkung von Beamten an der Durchführung dieses Verfahrens.49 Die Völkerrechtswidrigkeit sei den Betroffenen auch bekannt gewesen.50 Schlegelberger, Klemm, Rothenberger, 42 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 19; vgl. auch Haensel, in: DRZ 1948, 40 (42); Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 51 ff. 43 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 33. 44 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 33. 45 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 33. 46 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 33. 47 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 33 f. 48 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 34. 49 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 44. 50 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 44 f.
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Lautz, Mettgenberg, v. Ammon, Joël, Altstötter wurden für die NN-Verfahren belangt.51 3. Strafverfolgung fremder Staatsangehöriger wegen angeblichen Verrats und Hochverrats gegen das Deutsche Reich52 Die Prosecution betonte, dass diejenigen Verfahren, die vor dem Volksgerichtshof mit Unterstützung des Justizministeriums wegen „Verrats“ 53 und Hochverrats gegen das Deutsche Reich verhandelt worden waren und sich gegen Personen richteten, die Einwohner der durch Deutschland besetzten Länder waren oder sich nur aufgrund von Deportation und Zwangsarbeit in Deutschland aufgehalten hatten, völkerrechtswidrig gewesen seien.54 Es habe nämlich keine Treuepflicht Deutschland gegenüber bestanden.55 Insbesondere stellten diese Verfahren einen Verstoß gegen Art. 23, 43, 45 HLKO dar.56 Gemäß Art. 45 HLKO sei es verboten, „die Einwohner eines besetzten Gebietes zu zwingen, einer feindlichen Macht Treue zu schwören“, was auch die Rechtsprechung des IMT bestätigt habe.57 Damit scheide Hochverrat gegen Deutschland mangels Treuepflicht aus.58 Man müsse streng unterscheiden zwischen fremden Staatsangehörigen, die freiwillig in ein Land gekommen seien und solchen, die sich infolge eines Angriffskriegs innerhalb fremder Staatsgrenzen aufhalten.59 Dass sich die Einwohner der besetzten Länder freiwillig in Deutschland aufgehalten hätten, sei schon alleine aufgrund der Einstellung des „Dritten Reiches“ zu diesen Nachbarstaaten nicht einleuchtend.60 Zwar müssten sich grundsätzlich Personen, die sich in einem fremden Staat aufhielten, an dessen Gesetze halten.61 Wenn aber eine Verur51 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 47 ff. 52 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 70. 53 Damit ist wohl Landesverrat gemeint, vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 75 ff. 54 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 70. 55 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 70. 56 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 70. 57 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 71. 58 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 71. 59 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 71. 60 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 71. 61 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 72.
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teilung wegen eines solchen Gesetzes gleichzeitig völkerrechtswidrig geschehen sei, müsse die Vollstreckungsbehörde dafür sorgen, dass der Verurteilte begnadigt wird, andernfalls ein internationales Gericht anrufen.62 Dies gelte in jenem Falle besonders, da Hitler die Begnadigungsbefugnis an Thierack abgetreten habe, und sich sowohl dieser als auch seine Stellvertreter Klemm und Rothenberger „in praktisch jedem Fall eines Todesurteils während des Krieges“ gegen eine Begnadigung ausgesprochen hätten.63 Die Völkerrechtswidrigkeit der Verurteilungen ergebe sich dann daraus, dass die von Deutschland eroberten Länder Opfer eines Angriffskrieges geworden waren.64 An diesem habe die Justiz durch die Strafverfolgung der Staatsfeinde mitgewirkt.65 Dazu seien eigens Gesetze gegen „Verrat“ geschaffen worden, welche inflationär angewandt worden seien und deren einziger Zweck die Unterstützung der Kriegsführung gewesen sei.66 Alles in allem könnten sich die Angeklagten nicht darauf berufen, die Strafverfolgung der fremden Staatsangehörigen sei rechtmäßig abgelaufen.67 Die Verantwortlichkeit lag nach Ansicht der Prosecution bei Schlegelberger, Klemm, Rothenberger, Lautz, Mettgenberg, v. Ammon, Joël, Barnickel, Petersen, Nebelung.68 4. Lynchen alliierter Flieger und Sonnenburg Massaker Klemm und Mettgenberg wurde zur Last gelegt, dass sie sich in ihrer Funktion im Justizministerium für die Niederschlagung von Strafverfahren eingesetzt hätten, die wegen des Lynchens abgestürzter alliierter Flieger in Gang gesetzt worden waren.69 Die Tötung von polnischen und russischen Gefangenen sei als
62 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 72. 63 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 72. 64 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 72. 65 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 72. 66 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 72. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 73 f. Dies hätten auch die Angeklagten, unter anderem Lautz und Rothaug, selbst bestätigt. Rothaug sei der Auffassung gewesen, dass bei Wehrkraftzersetzung, insbesondere in Rüstungsbetrieben, „die schärfsten Maßnahmen angezeigt waren“. 67 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 74. 68 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 75 ff. 69 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 103 ff., 144.
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Kriegsverbrechen und VGM zu bewerten, wofür Klemm verantwortlich gemacht wurde.70 5. VGM Im Gegensatz zu den Kriegsverbrechen wollte „die Anklagebehörde alle Gattungen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemeinsam erörtern, anstatt sie in Unterarten eines oder mehrerer Verbrechens-Tatbestände aufzuteilen“.71 Damit sollte verdeutlicht werden, dass ein diskriminierendes Rechtssystem, wie es dasjenige deutsche darstellte, selbst ein VGM sei. Die Prosecution erteilte sodann dem Verteidigungseinwand der Angeklagten, dass die ihnen vorgeworfenen Taten nach innerstaatlichem Recht „legal“ gewesen seien und man sich nach diesem Recht korrekt verhalten habe, eine klare Absage.72 Die Prosecution zog daraus vielmehr einen „positive[n] Schuldbeweis“, das Vorliegen des Tatbestandes der VGM müsse daher nicht mehr diskutiert werden.73 Entscheidend sei deshalb nur „die Erheblichkeit und die Beweiskraft der Beweisaufnahme sowie [. . .] die abschließenden Tatsachen [. . .], die daraus herzuleiten sind.“ 74 Die aufgeführten Delikte wurden in solche, die nach dem 01.09.1939 (Punkt III der Anklageschrift) und solche, die davor begangen worden waren (Punkt I der Anklageschrift), untergliedert.75 In Anlehnung an den Flick-Prozess76 definierte die Prosecution VGM als „große, sich über das ganze Volk erstreckende Feldzüge, die offen von der Regierung unterstützt oder stillschweigend geduldet wurden, um das Leben für große Gruppen der Zivilbevölkerung unerträglich zu machen, sie zu vertreiben, zu erniedrigen, zu versklaven oder auszurotten“
und es gelte weiter die Voraussetzung, „dass das Verbrechen nicht infolge oder während eines isolierten Aufflammens von rassischen, politischen oder religiösen Verfolgungen begangen wird“.77 70 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 112a, 144, 177 ff. 71 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 113. 72 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 113. 73 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 113. 74 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 113. 75 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 113. 76 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 113. 77 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 113 f.
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
Straftaten würden nach dem KRG10 dann völkerrechtlichen Charakter im Sinne des VGM erhalten, „wenn sie ein durchgearbeitetes Schema der Verfolgung aus rassischen, politischen oder religiösen Gründen befolgen, oder wenn sie, wie im gegenwärtigen Falle, im Zusammenhang mit einem nationalen Plane – oder mit einem Unternehmen, welches im vorliegenden Falle seinem Umfange nach als ein nationales erwiesen ist – begangen werden, die darauf gerichtet sind, diese Taten aus rassischen, politischen oder religiösen Gründen zu begehen“.78
Ein VGM sei aber bereits dann verwirklicht, wenn ein Täter im Rahmen dieses Hintergrunds an einer einzelnen derartigen Tat beteiligt gewesen sei.79 Betrachte man alle Verordnungen, die die Nationalsozialisten zur Durchsetzung ihrer Ideologie gegen die eigene, aber auch die Bevölkerungen der besetzten Länder verabschiedet und angewendet hätten und die Tatsache, dass den Angeklagten diese Verordnungen bekannt gewesen seien, sei damit ein entsprechendes von der Regierung durchgeführtes Programm der „Ermordung, Ausrottung, Versklavung, Freiheitsberaubung und Verfolgung“ bewiesen.80 Zur Verdeutlichung zeichnete die Prosecution die einzelnen Etappen der Etablierung des NS-Staates in einem „5-Phasen-Modell“ nach.81 Diese reichten von der Machtergreifung, über die Vernichtung der Opposition, der Umstellung der Wirtschaft auf die Bedürfnisse eines Angriffskrieges, der Flankierung des Angriffskrieges durch drakonische Gesetzgebung, der Terrorisierung der Zivilbevölkerungen der besetzten Länder und der Vernichtungspolitik gegen ideologische Feinde, bis zur letzten Phase, in der sich allmählich das Ende der Nazidiktatur („Totaler Krieg“) abgezeichnet hatte. Damit lasse sich der Vorwurf der Prosecution gegen die Angeklagten folgendermaßen zusammenfassen: „Wie ohne jeden begründeten Zweifel erwiesen, hat jeder derjenigen Angeklagten auf der Anklagebank, der ein Staatsanwalt oder Richter beim Volksgerichtshof, bei einem Sondergericht oder bei einem Strafsenat eines Oberlandesgerichts war, wissentlich während der gesamten Zeit seiner Amtsdauer seinen Posten erstrebt, angenommen, innegehabt und beibehalten, obgleich es ihm wohlbekannt war, dass ein von der Regierung inaugurierter Plan und ein Unternehmen, ein Vorhaben, die Absicht und der Vorsatz obwalteten, Menschen, einschließlich deutscher Einwohner, Zivilisten und Staatsangehöriger, aus rassischen, politischen und religiösen Gründen zu 78 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 114. Zum sogenannten Policy-Element bei § 7 VStGB siehe Werle/Burchards, in: MüKo-StGB, Bd. 8, VStGB, § 7 Rn. 30 ff. 79 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 114. Vgl. auch § 7 VStGB. 80 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 115 f. 81 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 116 ff.
§ 13 Plädoyers und letzte Worte
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ermorden. Gleichzeitig war es ihnen ferner wohlbekannt, dass ein von der Regierung inaugurierter Plan und ein Unternehmen, ein Vorhaben, die Absicht und der Vorsatz obwalteten, ein rechtliches und gerichtliches System zu schaffen, auszuüben und zu verwalten, das bestimmt war zur Unterstützung, Durchführung, Förderung und Erleichterung des vorerwähnten von der Regierung inaugurierten Planes und Unternehmens, Vorhabens, der Absicht und des Vorsatzes, Menschen, einschließlich deutscher Einwohner, Zivilisten und Staatsangehöriger, aus rassischen, politischen und religiösen Gründen zu ermorden.“ 82
a) Schuld der Angeklagten Die Prosecution folgerte hieraus auch, dass Lautz, Barnickel, Petersen, Nebelung, Rothaug, Oeschey und Cuhorst ihre „[P]osten als Staatsanwalt oder Richter mit der verbrecherischen Absicht erstrebt, angenommen, innegehabt und beibehalten, Täter, Teilnehmer oder Gehilfe oder Förderer zu sein, durch seine Zustimmung teilzunehmen an und in Verbindung zu stehen mit eine[m] von der Regierung inaugurierten Plane oder Unternehmen, Menschen, einschließlich deutscher Einwohner, Zivilisten oder Staatsangehöriger, aus rassischen, politischen oder religiösen Gründen zu ermorden, auszurotten, zu versklaven, der Freiheit zu berauben und zu verfolgen.“ 83
Es musste letztlich also nur noch für jeden Angeklagten eine einzelne Tat bewiesen werden, wobei sich der subjektive Tatbestand aus dem vorher Gesagten ergebe.84 Es kam der Prosecution also darauf an, ob die angeklagten Richter und Staatsanwälte „unter dem Deckmantel der Rechtspflege“ eine durch das KRG10 sanktionierte Tat begangen hatten.85 Hierzu sei zu sagen, dass die Richter und Staatsanwälte bei zwei in Betracht kommenden Strafvorschriften diejenige mit der höheren Strafandrohung, bzw. bei einem Strafrahmen die obere Grenze beantragt oder angewendet hätten.86 Dazu habe man von den „gesetzlichen Zwillingswaffen der Unterdrückung“ Gebrauch gemacht: die Verurteilung „kraft Analogie“ und „gemäß dem gesunden Volksempfinden“.87 Eine Berufung auf diese zwei Rechtskonstruktionen sei keine Verteidigungsmöglichkeit, denn auch wenn eine Bestrafung nach diesen beiden Kriterien in Deutschland rechtlich möglich gewesen sei, sei deren konkrete Anwendung in der Regel „logisch unverständ82 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 120. 83 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 120 f. 84 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 121 f. 85 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 122. 86 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 122. 87 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 122.
Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebe-
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lich“ gewesen, was dafür spreche, dass nicht die Durchsetzung von Recht und Gesetz, sondern die Durchsetzung der Nazi-Ideologie der wahre Sinn gewesen sei.88 In machen Fällen, z. B. bei Katzenberger und Schaps89, hätten die beiden Konstruktionen alleine sogar nicht einmal gereicht, um zu einer Verurteilung des Angeklagten zu kommen.90 Deshalb habe man die Prozessführung entsprechend angepasst, um zu seiner Verurteilung zu kommen.91 Für die Schuld der Angeklagten spreche ferner, dass sie selbst ausgesagt hätten, dass ihre Tätigkeit unmittelbar in der Erfüllung der NS-Ideologie bestanden habe.92 Derartige Fälle waren ausreichend dokumentiert und wurden exemplarisch, auch für jeden Angeklagten einzeln, in den Prozess eingeführt.93 Dazu gehörten Fälle, in denen Personen aus rassistischen, politischen, religiösen oder eugenischen Motiven bekämpft worden waren.94 b) Zuständigkeit des Gerichts Sodann wiederholte die Prosecution die zuvor im Flick-Prozess geäußerte Ansicht, dass das Gericht zur Aburteilung der Verbrechen sowohl aus persönlicher als auch sachlicher Sicht zuständig und das KRG10 auch (völker)rechtmäßig erlassen worden sei.95 Da die Nazis alle oppositionellen Politiker ausgelöscht, vor Ende des Zweiten Weltkrieges aber ihre eigenen Führer Selbstmord begangen hätten, habe gemäß der Erklärung der Alliierten vom 05.06.1945 „keine einheitliche Regierung oder Behörde [mehr bestanden], die die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Ordnung, für die Verwaltung des Landes und für die Erfüllung der Bedürfnisse der siegreichen Mächte übernehmen“ konnte.96 Somit sei die Errichtung des Gerichtshofes „nicht nur völkerrechtlich gestattet [. . .], son88 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 122. 89 Schaps war wegen sieben Fällen von Rassenschande in Tateinheit mit Vergewaltigung zum Tode verurteilt worden, obwohl es keine Beweise für die Taten gegeben hatte. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 123 Fn. 180. 90 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 122 f. 91 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 123. 92 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 123 f. 93 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 124. 94 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 124 f. 95 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 125 f. 96 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 126.
§ 13 Plädoyers und letzte Worte
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dern eine notwendige Folgeerscheinung [. . .]“ gewesen.97 Auch wenn die Angeklagten einen Verstoß gegen den „ne bis in idem“-Grundsatz durch die Anwendung des KRG10 gerügt hätten, betreffe dies weder die Tatbestände des KRG10 per se, noch die Zuständigkeit des Gerichtshofes, sondern ausschließlich die materielle Strafbarkeit.98 Zur Untermauerung dieser These zog die Prosecution zwei Argumente heran. Erstens seien viele der einzelnen Taten wie „Mord, Folter und andere Unmenschlichkeiten“, die die Tatbestände der Kriegsverbrechen und VGM voraussetzten, auch unter dem Nazi-Regime strafbar geblieben.99 Zweitens hätten auch deutsche Gerichte in den einzelnen Besatzungszonen und das französische oberste Militärgericht in Rastatt100 die Anwendbarkeit der VGM aus dem KRG10 gegen deutsche NS-Täter bejaht; dieser Tatsache maß die Prosecution große Bedeutung zu.101 Demnach sei das Militärgericht befugt und verpflichtet, über die Strafbarkeit der Angeklagten wegen der VGM gemäß des KRG10 zu entscheiden.102 c) Erweiterung der Anklage wegen VGM vor dem 01.09.1939 Die Prosecution erläuterte, dass nach ihrer Ansicht VGM auch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges angeklagt werden konnten.103 Das Gericht habe nämlich die Unzuständigkeit für eine Anklage wegen Conspiracy beschlossen, aber explizit gestattet, die im Rahmen der Conspiracy durch die Prosecution zur Last gelegten Sachverhalte als Kriegsverbrechen und VGM anzuklagen, sofern genug Beweise hierfür vorlagen.104 Die Prosecution verwies hierzu auf die Ausführungen der eigenen Anklageschrift und wertete Punkt I Ziffern 2, 4, 5, 6 und 7 der Anklage, die sie als Verschwörungsverbrechen angesehen hatte, auch als VGM.105 Da die VGM nach dem KRG10 einen autonomen Tatbestand darstellten, sei im Gegensatz zum IMT-Statut gerade kein zeitlicher Bezug zum Kriegs97 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der hörde, S. 126. 98 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der hörde, S. 127. 99 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der hörde, S. 127. 100 Vgl. hierzu Berger/Joly, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 464 ff. 101 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der hörde, S. 127. 102 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der hörde, S. 128. 103 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der hörde, S. 129. 104 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der hörde, S. 129 f. Hierzu Kapitel 3 § 12 D. 105 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der hörde, S. 129 f.
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beginn erforderlich.106 Auch wenn die Anklageschrift auf den 01.09.1939 für VGM abstelle, bedeute dies nach obigen Ausführungen keine Einschränkung des Tatbestandes per se, sondern nur eine Beschränkung des Zeitraumes, in dem die Anklage Beweise vorgetragen hatte.107 Eine Verurteilung wegen VGM im Sinne des Punktes I sei auch kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot. Denn Punkt I müsse in Verbindung mit Punkt III gelesen werden, sodass die Taten, die in Punkt III genannt würden, durch den Verweis auf Punkt I auf den Zeitraum bis Januar 1933 hinaus erweitert werden könnten.108 d) Zurechnung der einzelnen Taten Schlegelberger, Klemm, Rothenberger, Lautz, Joël, Rothaug, Barnickel, Cuhorst und Oeschey waren nach den Ausführungen der Prosecution für die VGM strafrechtlich verantwortlich.109 Rothaug wurde abstrakt vorgeworfen, als Richter und Staatsanwalt „Justizmorde“ begangen zu haben.110 Seine Verteidigung basiere „in mindestens fünf wesentlichen Punkten“ auf Lügen und mache ihn damit „vom Juristen zum Meineidigen“.111 Die Prosecution hielt ihm dafür widersprüchliche Angaben vor. So bestritt Rothaug beispielsweise, im Führerkreis der NSDAP tätig gewesen zu sein, wurde aber vom Gauleiter, der ohne Zweifel zum Führerkorps gehörte, selbst als „Gaustellenleiter“ betitelt.112 Außerdem lüge Rothaug, was seinen Antisemitismus, seine politischen Schauprozesse und seinen Rassismus betreffe.113 Rothaug habe selbst eingeräumt, dass an Sondergerichten viele Todesurteile ausschließlich aus kriegspolitischen Erwägungen und zum Schutz des Regimes ausgesprochen worden seien.114 Darunter fielen unter anderem die Fälle Katzenberger, Lopata und Grasser.115 In Bezug auf die Fälle Kat106 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 129 Fn. 186. 107 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 130. 108 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 130. 109 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 131 ff. 110 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 158. 111 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 158. 112 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 158. 113 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 158 ff. 114 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 159, 162. 115 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 160 ff.
Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebe-
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zenberger und Lopata habe Rothaug seine rassistische Weltanschauung sogar vor dem Militärtribunal bestätigt, in dem er erklärt habe, dass ein Deutscher an Lopatas bzw. Katzenbergers Stelle vermutlich nicht habe hingerichtet werden können.116 Grasser sei „wegen eines Verbrechens zum Tode verurteilt w[orden], dessen er nicht einmal angeklagt war“.117 Außerdem habe Rothaug als Reichsanwalt bei der widerrechtlichen Anwendung des deutschen Strafrechts in den besetzten Gebieten mitgewirkt, indem er z. B. Österreicher des Landesverrats und der Wehrkraftzersetzug gegen Deutschland angeklagt habe.118 In den Fällen, in denen Rothaug ein Fehlverhalten bestreite, könne der strafrechtliche Vorwurf der Anklage durch Beweismittel bestärkt werden.119 Indem Rothaug beispielsweise den Untersuchungsrichter im Fall Katzenberger dazu aufgefordert habe, einen Aktenvermerk zu löschen, habe er sich auch nach deutschem Recht strafbar gemacht.120 Der Untersuchungsrichter selbst habe das Verhalten Rothaugs bestätigt.121 Damit stehe fest, „dass Rothaug unter dem Deckmantel richterlicher Amtsausübung ein Haupttäter war, durch seine Zustimmung teilnahm an und in Verbindung stand mit dem Plan und Unternehmen der Nazis, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen, wie sie in dieser Darstellung gekennzeichnet worden sind.“ 122
6. Organisationen Joël, Altstötter, Rothaug, Cuhorst und Oeschey seien Mitglieder verbrecherischer Organisationen gewesen.123 Rothaug sei zum einen zwischen 1938 und 1943 ein „Gaugruppenwalter“ für Staatsanwälte und Richter im Rechtswahrer-
116 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 160 f. Im Stürmer sei berichtet worden, Rothaug habe während der Verhandlung gegen Katzenberger behauptet: „Rassenschande ist schlimmer als Mord [. . .] Wenn heute deutsche Soldaten sich zu Tode verbluten, so trifft die Schuld die Rasse, die von Anfang an den Ruin Deutschlands anstrebte und noch heute hofft, dass das deutsche Volk den Kampf nicht überleben werde.“ 117 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 161. 118 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 162. 119 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 159. 120 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 158; vgl. auch Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 242 f. 121 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 158 f. 122 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 162. 123 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebehörde, S. 187 ff.
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bund Franken, zum anderen auch Mitglied des Gaustabes mit dem Rang und Titel eines Gaustellenleiters gewesen.124 Denn Gauleiter Holz habe ihn selbst mit diesem Rang in einem Brief vom 11.01.1943 an Thierack betitelt.125 Ein Gaustellenleiter sei nach Rothaugs eigener Aussage ein „Führer“ und nach der Definition des IMT-Urteils ein Teil des Korps der politischen Leiter gewesen.126 Rothaug sei insbesondere der „führende Mann in allen politischen Rechtsangelegenheiten im Gau Franken“ gewesen und sein Einfluss habe in Parteikreisen sogar weiter gereicht als der von Oeschey.127 Alle entsprechenden Beweise gegen Oeschey zur Kenntnis vom verbrecherischen Zweck des Korps der politischen Leiter könnten also auch für Rothaug herangezogen werden.128 Zusätzlich sei durch Beweise gesichert, dass Rothaug von den Vorgängen in den KZs und der Vernichtungspolitik der Nazis gewusst habe. Erstens sei Rothaug im Dezember 1938 zusammen mit Streicher in Dachau gewesen.129 Zweitens sei unter Rothaug der Fall Heubeck verhandelt worden, bei dem es auch um Misshandlungen in KZs gegangen sei.130 Und drittens habe Rothaug in engem Kontakt zum SD gestanden.131 III. Abschließende Bemerkung der Prosecution Das Beweismaterial der Anklagebehörde sei so umfangreich gewesen, dass man es nicht in Gänze im Laufe des Verfahrens habe besprechen können. Deshalb habe man im Plädoyer Beweismittel priorisiert.132 Zwar seien damit strafrechtlich relevante Handlungen unberücksichtigt geblieben; dieser Umstand sollte aber „nicht als Verzicht auf ihre Heranziehung“ verstanden werden.133
124 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 193. 125 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 193. 126 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 193. 127 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 193. 128 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 193. 129 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 193. 130 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 193. 131 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 193. 132 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 198. 133 StAN, KV-Prozesse hörde, S. 124, 198.
Fall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der AnklagebeFall 3, Rep. 501, XVI B59, Schlussplaidoyer der Anklagebe-
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B. Plädoyer von Kößl für Rothaug Am 17.10.1947 wurden die Plädoyers für Mettgenberg, Rothenberger, Rothaug und teilweise für Cuhorst134 verlesen bzw. in das Protokoll aufgenommen.135 Kößls Plädoyer umfasste 141 Seiten, wobei sich alleine 30 Seiten davon mit dem Katzenberger-Urteil beschäftigten.136 Dem Plädoyer Kößls muss eine enorme Bedeutung für das Verfahren gegen Rothaug bescheinigt werden. Den Schlussworten des Verteidigers kommt eine immanent wichtige Rolle zu, können sie doch im günstigsten Fall das Gericht „in letzter Sekunde“ von der Unschuld oder geringeren Schuld des Mandanten überzeugen.137 Dies gilt für das angloamerikanische in noch größerem Maße als für das deutsche Strafprozessrecht; beide Rechtssysteme haben dennoch gemein, dass es im Plädoyer besonders auf die rhetorischen Fähigkeiten des Anwalts ankommt.138 Daneben bietet das Schlussplädoyer aber auch die Möglichkeit, den Angriffen des Anklägers Paroli zu bieten und dem Mandanten zu signalisieren, alles für seine Verteidigung Mögliche getan zu haben.139 Die Ausgangslage war für Rothaug besonders ungünstig: Anhand der durch die Prosecution dargebotenen Beweismittel war eine Verurteilung Rothaugs bereits zu diesem Zeitpunkt sehr wahrscheinlich, die Erwartungen Rothaugs an eine effektive Verteidigung dürften darüberhinaus hoch gewesen sein.140 Kößl begann sein Plädoyer mit dem Hinweis, dass die hier zu erörterte Thematik bisher einmalig in der Geschichte sei: Es ginge um die Frage, inwieweit ein Beamter bzw. ein Richter an die bestehenden, nationalen Gesetze gebunden ist, eine Thematik, die eine der staatseigensten Materien berührt:141 „Das Völkerrecht kann ohne Erröten diese Frage nicht stellen, denn seine Rechtssubjekte sind eben gerade diese souveränen Staaten, die ausnahmslos absoluten Gehorsam und absolute Gesetzestreue von ihren Organen mit absoluter Selbstverständlichkeit fordern und notfalls erzwingen.“ 142 134 Dieses wurde einen Tag später vervollständigt. StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 127, 18.10.1947, S. 1. 135 StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 126, 17.10. 1947, S. 1. 136 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Plaidoyer von Koessel für Rothaug, S. 61 ff.; vgl. auch Luber, in: Conze/Safferling (Hrsg.). 137 Widmaier/Norouzi, in: MAH Strafverteidigung, § 9 Rn. 122; relativierend Kudlich/Oberhof, in: JA 2006, 463 f. 138 Vgl. Sommer, Effektive Strafverteidigung, Rn. 2042, 2046 ff.; Widmaier/Norouzi, in: MAH Strafverteidigung, § 9 Rn. 122; Kudlich/Oberhof, in: JA 2006, 463 ff. 139 Vgl. Kudlich/Oberhof, in: JA 2006, 463 (467). 140 Vgl. hierzu Kapitel 2 § 6 D. II. 6.; Kapitel 3 § 11 B. 141 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 1. 142 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 1. Vgl. auch Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 23 f.
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I. Die Arbeitsweisen von Richtern und Staatsanwälten im „Dritten Reich“ Kößl verwies dazu auf Jahrreiß’ staatsrechtliche Ausführungen143 und arbeitete heraus, dass die Existenz des Richters ab 1933 von der Qualität seiner Urteile abhängig gewesen sei.144 Der deutsche Richter und auch der deutsche Staatsanwalt seien, sowohl an das geschriebene Recht, als auch an die Rechtsprechung des Reichsgerichts, gebunden gewesen.145 Zwar hätten einige Zeugen im Verfahren ausgesagt, dass der Richter darüber hinaus auch „seinem Gewissen unterworfen gewesen sei“.146 Nach § 1 GVG und Art. 102 WRV bedeute dies aber lediglich, „dass der Richter seinem Gewissen im Rahmen des Gesetzes unterworfen“ gewesen sei.147 Bei einem Konflikt zwischen Gewissen und Gesetzesanwendung, habe das Gewissen in jedem Fall zurücktreten müssen.148 Der „Wille des Gesetzgebers“ sei für die Auslegung der Gesetze maßgeblich gewesen, dieser Wille habe sich aber aus dem Parteiprogramm der NSDAP erschlossen.149 Kößl betonte, dass die von den Nazis geschaffenen Institute zur Beseitigung eines Urteils Sicherungsmechanismen gewesen seien, „um der Auswirkung menschlicher Unzulänglichkeit und Fehlsamkeit vorzubeugen“.150 Die Judikative habe ihre Unabhängigkeit verloren, als der „außerordentliche Einspruch“ eingeführt worden war, mit dem Hitler jedes Urteil durch bloße Einlegung dieses Instituts habe kassieren können, sodass letztlich der Bestand jedes Urteils vom „obersten Gerichtsherrn“ abgehangen habe.151 Die Nichtigkeitsbeschwerde habe hingegen alleine dem Oberreichsanwalt des Reichsgerichts zugestanden und sei in dessen Ermessen gestanden.152 Bei Bejahung der Tatbestandsmerkmale sei 143 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, aug, S. 1. Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski Jahrreiß’ als „das Völkerrecht beleidigende 144 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, aug, S. 7. 145 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, aug, S. 2, 89 f., 104. 146 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, aug, S. 2. 147 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, aug, S. 2. 148 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, aug, S. 2. 149 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, aug, S. 2 f. 150 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, aug, S. 5. 151 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, aug, S. 3 f. 152 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, aug, S. 4.
XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Roth(Hrsg.), S. 23 bezeichnet diesen Einwand Schutzbehauptung“. XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothXVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothXVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothXVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothXVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothXVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothXVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothXVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothXVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Roth-
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das Ermessen auf Null reduziert worden, so dass die Nichtigkeitsbeschwerde habe eingelegt werden müssen.153 Die dritte Möglichkeit sei die Wiederaufnahme des Verfahrens gewesen, die für Verfahren vor dem Sondergericht durchaus auch zugunsten des Angeklagten eingelegt worden sei.154 Diese Rechtsbehelfe hätten „im Reichsgebiet allen Verurteilten ohne Rücksicht auf Staatsangehörigkeit, Volkstum und Rasse unterschiedslos zu[gestanden] “ und die jeweiligen Stellen hätten „von ihnen dann Gebrauch zu machen [gehabt], wenn nach ihrer Überzeugung die Voraussetzungen dieser Rechtsbehelfe vorlagen.“ 155 Der sogenannte Gnadenweg habe eine zweite Schiene dargestellt. Denn anders als die Rechtsbehelfe, die Maßnahmen gegen aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen fehlerhafte Urteile darstellten, sei der Gnadenweg gerade nur gegen einen „richtigen Rechtsspruch“ gangbar gewesen und habe allein Hitler zugestanden.156 Trotz der Sicherungsmaßnahmen in § 1 GVG „gegen die Bildung einer Kabinettsjustiz“, sei die Justiz darüber hinaus durch die Richterbriefe und die „Justizverwaltung“ gesteuert worden.157 Rothaug habe versucht, sich gegen diese Art der Beeinflussung zu widersetzen.158 Der Staatanwalt sei kein „Befehlsempfänger“ des Richters gewesen; der Sinn hiervon habe auch nicht darin bestanden, zu Lasten des Angeklagten zu kollaborieren, sondern um, wie Gürtner in einer Rede gesagt habe, „ein starkes Auseinanderfallen von Urteil und Strafantrag in der Öffentlichkeit zu vermeiden“.159 „Der Frage kam nicht die Bedeutung zu, die ihr heute gegeben wird.“ 160
Die letzte Unabhängigkeit habe der Richter dann mit Hitlers Rede vor dem Reichstag am 26.04.1942 verloren.161
153 StAN, aug, S. 4. 154 StAN, aug, S. 4. 155 StAN, aug, S. 4. 156 StAN, aug, S. 5. 157 StAN, aug, S. 5 f. 158 StAN, aug, S. 5 f. 159 StAN, aug, S. 6. 160 StAN, aug, S. 6. 161 StAN, aug, S. 7.
KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothKV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothKV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothKV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothKV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothKV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothKV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothKV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothKV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Roth-
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II. Rothaugs Einstellung zum „Dritten Reich“ Sodann ging Kößl auf die Motivation und innere Einstellung Rothaugs zum „Dritten Reich“ ein.162 Nachdem die Prosecution in ihrem Plädoyer Rothaug scharf angegangen war, diesen sogar der mehrfachen Lüge und des Meineids bezichtigt hatte163, war es nun Kößls Aufgabe, diese äußerst schlechte Sichtweise auf Rothaug zu widerlegen. Letztlich erweisen sich die Ausführungen Kößls aber als schlichte „Schadensbegrenzung“. Rothaug trage an der „schicksalhaften Verkettung des von der überwältigenden Mehrheit des deutschen Volkes gewollten, von der ganzen Welt trotz Konzentrationslagern, Rassengesetzen und Diktatur anerkannten Staates mit der NSDAP auf Gedeih und Verderb“ keine Schuld.164 Rothaug habe sich mit der Situation arrangiert, durch den Ausbruch des Krieges sei er nur umso fester von der Sache überzeugt gewesen. Stets habe er aber aus patriotischer Pflichterfüllung heraus gehandelt.165 Insbesondere Kößls Aussage, Rothaug sei zwar kein „Philosemit [. . .] aber auch nicht auf dem Niveau des ,Stürmer[s]‘“ gewesen und habe sich durchaus auch für Juden eingesetzt166, wirkt in Anbetracht der harschen Vorwürfe der Prosecution wenig überzeugend. III. Kriegsgesetzgebung Durch Gesetzgebung habe das Deutsche Reich versucht, mit Hilfe von drakonischen Strafen, Sicherheit und Ordnung in den Wirren des Krieges zu garantieren.167 Denn der Schutz der Zivilbevölkerung sei von nun an das leitende Motiv der Rechtsprechung gewesen.168 Werfe man Rothaug vor, dass sich ein Land nicht rechtfertigend auf einen Krieg berufen dürfe, den es selbst im Rahmen eines Angriffskrieges zu verantworten habe, lasse man außer Acht, dass die Angeklagten dieses Prozesses auf die Rechtmäßigkeit ihres Tuns vertraut hätten.169 Der Vorwurf, die Justiz habe unter dem Deckmantel eines Strafverfahrens ver162 StAN, KV-Prozesse aug, S. 7 ff. 163 Siehe oben. 164 StAN, KV-Prozesse aug, S. 8. 165 StAN, KV-Prozesse aug, S. 8. 166 StAN, KV-Prozesse aug, S. 91 ff. 167 StAN, KV-Prozesse aug, S. 8 f. 168 StAN, KV-Prozesse aug, S. 8 f., 57a ff. 169 StAN, KV-Prozesse aug, S. 9.
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Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Roth-
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sucht, ideologische Feinde zu vernichten, sei „absurd“.170 Die Mühlen der Justiz hätten dafür viel zu langsam gemahlen, insbesondere in Anbetracht der „ganz anderen, heute bekanntgewordenen Möglichkeiten der Staatsführung“ und der Tatsache, dass Arbeitskräfte unersetzlich gewesen seien.171 So seien die Vorschriften über Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld stets für alle Angeklagten, unabhängig von ihrer politischen Gesinnung oder Ideologie, gleich und juristisch korrekt angewendet worden.172 IV. Gerichtsverfahren als Verfolgungshandlung im Sinne des KRG10 Kößl hegte Zweifel daran, ob mit der in Art. II Nr. 1c) KRG10 pönalisierten Verfolgung auch eine „strafrechtliche Verfolgung“ gemeint sei.173 Im Fall Eisenberger habe Rothaug den Angeklagten als „Gewohnheitsverbrecher“ zu drei Jahren Haft verurteilt, daraufhin sei er „von der Gestapo wegen derselben Tat erschossen“ worden.174 Lege man Art. II Nr. 1c) KRG10 zu Lasten von Rothaug aus, stünde das Vorgehen der Gestapo auf der gleichen „Stufe“, was in Anbetracht des unterschiedlichen Unrechtsgehaltes nicht plausibel erscheine.175 Man dürfe Rothaug auch nicht vorwerfen, bewusst gegen das Völkerrecht verstoßen zu haben. Die Staatengemeinschaft habe die Situation Deutschlands gekannt und bis Ausbruch des Krieges auch akzeptiert.176 Deshalb könne diese völkerrechtliche Anerkennung nicht rückwirkend durch das KRG10 entfallen.177 V. Verfahren gegen Ausländer Ein großer Teil der Vorwürfe und damit auch des Plädoyers der Prosecution betraf Strafverfahren gegen Ausländer.178 Kößl folgerte aus dem bisher vorge170 StAN, KV-Prozesse aug, S. 9. 171 StAN, KV-Prozesse aug, S. 9. 172 StAN, KV-Prozesse aug, S. 9 f. 173 StAN, KV-Prozesse aug, S. 10. 174 StAN, KV-Prozesse aug, S. 10. 175 StAN, KV-Prozesse aug, S. 10. 176 StAN, KV-Prozesse aug, S. 11. 177 StAN, KV-Prozesse aug, S. 11. 178 Siehe oben.
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brachten Beweismaterial, dass sofern es um Verfahren gegen Ausländer ginge, für den Angeklagten Rothaug nur Strafverfahren gegen Polen relevant seien.179 Andere Ausländer seien ohnehin vor dem Gesetz gleich einem Deutschen behandelt worden.180 Folgende Punkte mussten nach Kößls Ansicht bezüglich der Behandlung von Polen berücksichtigt werden: Zunächst hätten sich alle Polen „dem deutschen Kriegspotential freiwillig zur Verfügung gestellt“.181 Dazu hätten sie freiwillig einen Arbeitsvertrag geschlossen und sich demnach zur Erfüllung ihres Vertrages „am Arbeitsplatz“ aufgehalten.182 Sodann müsse berücksichtigt werden, dass durch die PoStraV die Kriminalität in Polen eingedämmt werden sollte, die durch die Intervention der Amerikaner „aufgeflammt“ sei.183 Zusätzlich sei die polnische Bevölkerung durch Radio und Flugblätter zum Widerstand aufgestachelt worden, diesem Widerstand habe die Rechtsprechung entgegentreten wollen.184 In keinem Fall habe der Richter dabei die Möglichkeit gehabt, „bei dem angeblich weiten Strafrahmen [. . .] aus harten Gesetzen eine milde Rechtsprechung zu zaubern“.185 Die Obrigkeit habe entsprechende Weisungen an die Justiz gegeben.186 Zuletzt müsse auf die Aussage Elkars Bezug genommen werden. Nach dessen Aussage habe Rothaug auch vor der Verkündung der PoStraV ähnlich harte Strafen ausgesprochen.187 Dies sei ausweislich einer Übersicht über die Todesurteile des Sondergerichts Nürnberg falsch.188 Darüberhinaus habe Rothaug Polen nicht schlechter behandelt als Deutsche.189 Die Fälle, die überliefert seien, in denen
179 StAN, KV-Prozesse aug, S. 12. 180 StAN, KV-Prozesse aug, S. 105 f. 181 StAN, KV-Prozesse aug, S. 12. 182 StAN, KV-Prozesse aug, S. 13. 183 StAN, KV-Prozesse aug, S. 13. 184 StAN, KV-Prozesse aug, S. 13. 185 StAN, KV-Prozesse aug, S. 13. 186 StAN, KV-Prozesse aug, S. 13. 187 StAN, KV-Prozesse aug, S. 13. 188 StAN, KV-Prozesse aug, S. 13. 189 StAN, KV-Prozesse aug, S. 105.
Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Roth-
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Rothaug Polen freigesprochen habe, seien auch keine „Einzelfälle, in denen Rothaug korrekt gehandelt habe“.190 VI. Sondergericht Nürnberg Grundsätzlich beschäftigte sich die Gesamtverteidigung mit den Sondergerichten und dem Volksgerichtshof.191 In Bezug auf das Sondergericht Nürnberg sei aber zu erwähnen, dass für Personalangelegenheiten der OLG-Präsident zuständig gewesen sei und politische Erwägungen keine Rolle gespielt hätten.192 Rothaug sei, als er Richter am Sondergericht geworden war, kein Mitglied der Partei gewesen und auch seine Mitarbeiter seien zunächst politisch unbedeutend gewesen.193 Andererseits sei das Sondergericht entgegen mancher Zeugenaussage auch nicht „bis auf Rothaug nur mit Antifaschisten besetzt“ gewesen.194 VII. Stellung des Richters zum Gesetz Der Richter habe in Deutschland stets nur die ordnungsgemäße Verkündung eines Gesetzes überprüfen können.195 Die Vereinbarkeit mit der Verfassung, Verhältnismäßigkeit, Ethik und dem Völkerrecht seien seiner Kontrolle komplett entzogen gewesen und hätten auch nicht bei der Strafzumessung berücksichtigt werden dürfen.196 Dem Richter seien demnach die Hände gebunden gewesen; seine einzige Aufgabe habe darin bestanden, die Gesetze nach dem Willen des Gesetzgebers, und nicht nach dem eigenen, auszulegen und anzuwenden.197 Zwar habe der Richter theoretisch die Möglichkeit gehabt, nach seinem „Ermessen“ milde Urteile zu sprechen.198 Sofern das dadurch gesprochene Urteil aber der Staatsdoktrin widersprochen habe, hätte sich der Richter der Rechtsbeugung schuldig 190 StAN, KV-Prozesse aug, S. 106 ff. 191 StAN, KV-Prozesse aug, S. 13 f. 192 StAN, KV-Prozesse aug, S. 14. 193 StAN, KV-Prozesse aug, S. 14. 194 StAN, KV-Prozesse aug, S. 14. 195 StAN, KV-Prozesse aug, S. 14. 196 StAN, KV-Prozesse aug, S. 14 f. 197 StAN, KV-Prozesse aug, S. 15. 198 StAN, KV-Prozesse aug, S. 16.
Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Roth-
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gemacht – ein echtes „Ermessen“ im Sinne einer eigenen Überzeugung habe es nämlich nicht gegeben.199 Bei der Strafzumessung habe in jedem Fall der Wortlaut des Gesetzes berücksichtigt werden müssen, der, auch wenn in manchen Fällen der „weite“ Strafrahmen auf den ersten Blick nach einem Ermessen ausgesehen habe, die vom Gesetzgeber intendierte Strafe ausdrücklich vorgesehen habe.200 In Bezug auf die VVO sei anzumerken, dass der „besonders schwere Fall“ kein Aspekt der Strafzumessung, sondern ein Tatbestandsmerkmal gewesen sei und damit als Rechtsfrage vollumfänglich durch das Reichsgericht überprüfbar gewesen sei; in der Strafzumessung seien stets die ideologische Auffassung und deren Strafzwecke zu berücksichtigen gewesen.201 Das jeweils durch die einzelnen Straftatbestände geschützte Rechtsgut sei entsprechend der Schwere seiner Beeinträchtigung einem „Ranking“ zu unterziehen gewesen, wobei der Bestand der Volksgemeinschaft und die Reinheit der Rasse die schützenswertesten Rechtsgüter gewesen seien.202 Es habe demnach auch zu keinem „Dilemma“ im Falle von Gewissenskonflikten bei der Anwendung eines Gesetzes kommen können, denn der Richter habe sich ja gar keine Meinung zu einem Gesetz bilden dürfen.203 VIII. Anwendbarkeit von Art. II Nr. 4 a) und b) KRG10 Art. II Nr. 4 a), b) KRG10 stünden Rothaugs Verteidigung nicht im Wege.204 Dies ergebe eine systematische Auslegung dieser Normen. In Nr. 4 a) zeige ein Vergleich mit den dort genannten „Staatsoberhäuptern“ und „verantwortlichen Regierungsbeamten“, dass das KRG10 auf die „Verwirklichung eigenen Willens in Richtung eines bestimmten Zieles“ der genannten Personengruppe abstelle, wovon man bei einem Richter nicht sprechen könne.205 Dessen Aufgabe habe im Erkennen fremden, nicht in der Durchsetzung des eigenen Willens bestanden.206 Demnach sei der Richter vielmehr eine Art Subsumtionsmaschine, weshalb auch 199 StAN, KV-Prozesse aug, S. 16. 200 StAN, KV-Prozesse aug, S. 16, 89 f. 201 StAN, KV-Prozesse aug, S. 17 f. 202 StAN, KV-Prozesse aug, S. 17 ff. 203 StAN, KV-Prozesse aug, S. 19. 204 StAN, KV-Prozesse aug, S. 19. 205 StAN, KV-Prozesse aug, S. 19. 206 StAN, KV-Prozesse aug, S. 19.
Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Roth-
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Nr. 4 b) ausscheide, der auf den „befehlsgemäßen Vollzug“ jenes Willens abstelle.207 Der Richter sei in jedem Fall komplett aus der „Willenssphäre des Staates gerückt“.208 IX. Rothaugs Machtposition Nach den Ausführungen der Prosecution war Rothaug einer der führenden Köpfe der Partei in Bayern gewesen. Daraus habe sich eine Machtposition Rothaugs ergeben, durch die er starken Einfluss auf seine Mitmenschen und insbesondere die Justiz habe ausüben können. Hiergegen wehrte sich Kößl vehement. Der Vorwurf der Prosecution im Plädoyer, Rothaug habe sich „meineidig“ verhalten, sei ebenso haltlos.209 Vielmehr hätten eine Vielzahl von Zeugen falsche Angaben gemacht. Insbesondere Ferber wurde diesbezüglich von Kößl beschuldigt.210 Als auffällig empfand Kößl, dass viele Zeugenaussagen von ehemaligen Parteigenossen gekommen waren, die Rothaug stark belasteten; selbst waren diese Zeugen aber hohe Funktionäre oder Mitglieder in SA, SS oder SD gewesen.211 Da sich jene Personen selbst in Denazifizierungs- und Rehabilitierungsverfahren zu verantworten hätten und demnach auf der Suche nach einem Sündenbock seien, könne man den Zeugen nicht viel Glauben schenken.212 Aus diesem Spektrum kämen auch unter anderem die Behauptungen, dass Rothaug seine Kollegen terrorisiert habe und eine hohe politische Position innegehabt habe.213 Tatsächlich habe das Sondergericht Nürnberg „in 3 ständig wechselnden Besetzungen“ verhandelt, aber dennoch „eine einheitliche Rechtsprechung“ gehabt.214 Es gebe keine Beweise dafür, dass Rothaug auf die übrigen Besetzungen irgendeinen Einfluss genommen habe.215 Streitigkeiten zwischen den Richtern hätten einzig und 207 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 19 f. 208 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 20. 209 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 27 ff. 210 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 47 ff. 211 Darunter seien unter anderen Groben, Kunz, Beur, Mayer, Wilhelm Hoffmann und Markl gewesen. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 20, 69. 212 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 20 f. 213 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 21. 214 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 21. 215 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 21 f.
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alleine an deren Überarbeitung gelegen und seien selten vorgekommen. Rothaug habe sich seinen Mitmenschen gegenüber „korrekt-freundlich“ bis „freundschaftlich-kameradschaftlich“ verhalten.216 Urteile seien in freier Entscheidung ergangen, von allen Richtern unterschrieben und danach verkündet worden, mithin sei das Verfahren gesetzmäßig gewesen.217 Kein Richter habe Angst vor seiner Tätigkeit am Sondergericht Nürnberg gehabt.218 „Niemand wurde gegen seinen Willen, Ferber und Groben wurden auf eigenen Wunsch, am Sondergericht verwendet.“ 219
Rothaug habe entgegen der Zeugenaussagen keinen Kontakt zu Frankens Gauund Kreisleitern gehabt, der über „Belanglosigkeiten“ hinausgegangen sei.220 Er habe seine Position als Richter in Nürnberg also ausschließlich aufgrund seiner juristischen Qualifikation erworben.221 Rothaugs Position innerhalb des Machtgefüges des NS-Staates sei auf die NSDAP-Mitgliedschaft beschränkt gewesen.222 Seine Tätigkeit für den SD habe er 1940 aufgenommen und diese habe sich auf „Unterhaltungen beschränkt“; er habe auch nicht der SS oder dem SD angehört.223 Dass Rothaug bei der Rechtsprechung vom SD beeinflusst worden sei, könne nicht bewiesen werden.224 Elkar habe Rothaug vielmehr „ausgenutzt“; bei den Gesprächen der beiden sei es lediglich um rechtliche Einzelfragen gegangen und darum, wie die gesellschaftliche Stimmung in Bezug auf diese sei.225 Elkar habe auch deshalb so bereitwillig ausgesagt, um ein eigenes Strafverfahren zu vermeiden.226 Ferbers Aussage basiere auf falschen Annahmen, insbesondere habe der SD keine unliebsamen 216 StAN, KV-Prozesse aug, S. 21. 217 StAN, KV-Prozesse aug, S. 21 f. 218 StAN, KV-Prozesse aug, S. 22 ff. 219 StAN, KV-Prozesse aug, S. 22. 220 StAN, KV-Prozesse aug, S. 23, 26. 221 StAN, KV-Prozesse aug, S. 23. 222 StAN, KV-Prozesse aug, S. 23, 28 ff. 223 StAN, KV-Prozesse aug, S. 23, 25, 29. 224 StAN, KV-Prozesse aug, S. 24. 225 StAN, KV-Prozesse aug, S. 24 f. 226 StAN, KV-Prozesse aug, S. 25.
Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Roth-
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Richter ermordet.227 Eine strafbare SD-Mitgliedschaft nach KRG10 liege für Rothaug nicht vor.228 Darüber hinaus sei er lediglich ab 1939 Gruppenwalter im Rechtswahrerbund gewesen.229 Damit sei er ein Sachbearbeiter des Gauwalters gewesen, die eigentliche Machtposition habe der Leiter des Gaurechtsamtes gehabt.230 Dies sei jedenfalls nicht Rothaug gewesen, auch wenn er fälschlicherweise als „Gaustellenleiter“ bezeichnet worden sei.231 Der Rechtswahrerbund sei aber ohnehin keine Untergliederung der NSDAP gewesen, sodass Rothaug auch kein politischer Leiter der NSDAP gewesen sei und damit nicht zu einer verbrecherischen Organisation gehört habe.232 Rothaugs Verhältnis zum OLG-Präsidenten Döbig bezeichnete Kößl wie folgt: „Drei Züge stechen im Wesen Rothaugs hervor: Eine alle Unterschiede verwischende Kameradschaft gegen seine Mitarbeiter und nach unten, eine fast ans Manische grenzende Daueraggression nach oben und eine bis zur körperlichen Selbstaufgabe gehende Eingabe an die Dienstaufgabe.“ 233
Politische Aspekte hätten in der Rechtsprechung keine Rolle gespielt, sodass Döbig auch gar keinen Anlass gehabt habe, Rothaug zu verachten.234 Er habe Rothaug sogar vor dem Kriegsdienst bewahrt.235 Döbig habe Rothaug später vielmehr als „Rivalen“ „nach dem Osten“ versetzen lassen wollen.236 Daher habe Rothaug auch ohne schlechte Absicht den lediglich auf Fakten basierenden Bericht über Döbig, der von Oeschey angefordert worden sei, verfasst.237 Außerdem basiere der Bericht in seiner endgültigen Fassung – wie Kößl auf mehreren Seiten darzulegen versuchte – in weiten Teilen auf nicht von Rothaug geschriebe227 StAN, KV-Prozesse aug, S. 26. 228 StAN, KV-Prozesse aug, S. 25. 229 StAN, KV-Prozesse aug, S. 23, 29. 230 StAN, KV-Prozesse aug, S. 29. 231 StAN, KV-Prozesse aug, S. 29 f. 232 StAN, KV-Prozesse aug, S. 29 f. 233 StAN, KV-Prozesse aug, S. 30. 234 StAN, KV-Prozesse aug, S. 30. 235 StAN, KV-Prozesse aug, S. 32. 236 StAN, KV-Prozesse aug, S. 31 ff. 237 StAN, KV-Prozesse aug, S. 33 f.
Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Roth-
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nen Passagen.238 Bezüglich des Vorfalls, dass ein Jude aus dem Sitzungssaal des Sondergerichts geworfen worden war, sei einerseits Streicher alleine verantwortlich gewesen, andererseits sei dieses Vorgehen vom Reichsgericht gebilligt worden.239 In Bezug auf Rothaugs Stellung als Reichsanwalt verwies Kößl auf die Ausführungen der Verteidiger von Lautz und Barnickel zur Reichsanwaltschaft und den Ausführungen der Gesamtverteidigung und den Verteidigern von Petersen und Nebelung für den Volksgerichsthof.240 Wichtig sei, dass Rothaug keine „Einzelvorgänge“ zur Last gelegt würden und er keine Position als Vorgesetzter inne gehabt habe.241 Außerdem seien Rothaugs „Hochverratsreferat“ und „Wehrkraftzersetzungsreferat“ nicht mit Fällen aus Polen, der Tschechoslowakei oder dem Elsass befasst gewesen.242 Im Rahmen der Wehrkraftzersetzung habe Rothaug niemals eine „Ausrottungstendenz“ an den Tag gelegt.243 X. Rothaugs Verhandlungsführung Rothaug habe die Verhandlungen stets juristisch korrekt geleitet und insbesondere alle am Verfahren beteiligten Parteien ordnungsgemäß einbezogen.244 Beisitzer hätten niemals eine Urteilsbegründung angegriffen.245 Das Nürnberger Sondergericht habe darüber hinaus Strafmilderungsaspekte des § 51 RStGB in Einklang mit der Rechtsprechung und Lehre stets in die Erwägungen miteinbezogen.246 Strafverteidiger seien unabhängig von ihrer politischen Einstellung von Rothaug behandelt worden.247 Rothaugs Schroffheit sei – erneut – seiner Überarbeitung und seinem cholerischen Temperament geschuldet gewesen, ansonsten 238 StAN, KV-Prozesse aug, S. 34 ff. 239 StAN, KV-Prozesse aug, S. 39, 47. 240 StAN, KV-Prozesse aug, S. 137 f. 241 StAN, KV-Prozesse aug, S. 138, 140. 242 StAN, KV-Prozesse aug, S. 138. 243 StAN, KV-Prozesse aug, S. 139 ff. 244 StAN, KV-Prozesse aug, S. 27 ff., 91 f. 245 StAN, KV-Prozesse aug, S. 28. 246 StAN, KV-Prozesse aug, S. 28, 57 ff. 247 StAN, KV-Prozesse aug, S. 39 f.
Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Roth-
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habe er sich gesetzeskonform verhalten.248 Dass für Verfahren Platzkarten ausgeteilt worden waren, habe in der alleinigen Verantwortung des Gaupropagandaamtes gelegen, dass die Verfahren „beworben“ und damit das öffentliche Interesse geweckt habe.249 Zeugen, die durch Rothaug verurteilt worden waren, schilderten aufgrund subjektiver Wahrnehmung falsche Eindrücke.250 Das Verfahren gegen Durka und Struss, in welchem die Angeklagten innerhalb weniger Stunden nach ihrer Verhaftung von Rothaug zum Tode verurteilt worden waren, sei eine absolute Ausnahme gewesen. Die Schnelligkeit des Verfahrens sei den Umständen des Falles geschuldet gewesen und gesetzlich (nach der PoStraV) vorgeschrieben gewesen.251 Nur so sei auch Rothaugs Aussage gegenüber dem Verteidiger Kern zu verstehen, im Notfall „müsse es ohne ihn gehen“.252 Seitenweise äußerte sich Kößl zu dem Katzenberger-Urteil. Dies ist wenig überraschend, wurde doch das Verfahren gegen Katzenberger wiederholt herangezogen, um die Verhandlungsführung und den Rassismus Rothaugs zu thematisieren. Ferbers, Markls253 und Grobens254 Aussagen bezüglich des KatzenbergerUrteils seien inhaltlich und rechtlich unrichtig und basierten auf Lügen.255 Rassenschande sei sehr wohl ein unter die VVO fallendes Delikt gewesen.256 Weder Rothaug, noch die Gauleitung oder der SD hätten auf das Verfahren Einfluss genommen257, Rothaug habe lediglich im Rahmen des Gesetzes258 und auf Grundlage der Rechtsprechung des Reichsgerichts259 geurteilt. Alle am Urteil beteilig248 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 41 ff. 249 So auch im Katzenberger-Verfahren. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 46, 79. 250 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 125 f. 251 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 49a ff. 252 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 50. 253 Vgl. Markls Affidavit. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A14/15, S. 1081 ff. 254 Vgl. Grobens Affidavit. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A14/15, S. 1076 ff. 255 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 61 ff. 256 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 85 ff. 257 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 75, 81 f. 258 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 80. 259 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 74 ff.
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
ten Richter hätten einstimmig entschieden. Es sei auch von der Verteidigung, der Staatsanwaltschaft, den Angeklagten selbst oder von ministerialer Ebene kein Einwand erhoben bzw. Rechtsmittel eingelegt worden, obwohl alle Beteiligten in ihrer Entscheidung völlig frei gewesen seien. Vielmehr hätte sich beispielsweise Groben durch sein Verhalten prozessrechtswidrig verhalten.260 Rothaug selbst habe jedenfalls keine Platzkarten ausgegeben, das Verfahren sei auch nur „mäßig besucht“ gewesen.261 Dass der Fall das Interesse der Partei geweckt habe, liege einzig daran, dass Seiler NSDAP-Mitglied gewesen sei.262 Seilers Aussagen seien komplett erlogen, basierten auf subjektiven Wahrnehmungen oder Erinnerungslücken, jedenfalls seien keine antisemitschen Äußerungen gefallen.263 Letztlich habe Rothaug Katzenberger auch nicht „vernichten“ wollen, denn dann hätte er schließlich auf alle prozessualen Vorgänge, wie die ärztliche Untersuchung, verzichten können.264 Im Fall Lopata, der nach der Verurteilung zu einer relativ geringen Haftstrafte in einem zweiten Verfahren durch Rothaug zum Tode verurteilt worden war, seien einige Ungenauigkeiten durch die Prosecution vorgetragen worden. So habe Rothaug gesagt, Lopata gehöre „zum polnischen Untermenschentum“, nicht „zur polnischen Untermenschenrasse“, was eine völlig andere, gerade nicht rassistische, sondern kriminologische Bedeutung habe.265 Des Weiteren sei Lopata nicht minderjährig gewesen und ihm sei ein Pflichtverteidiger bestellt worden.266 Die Kernproblematik des Falles sei aber gewesen, dass das Reichsgericht das Urteil des AGs Neumarkt aufgehoben hatte, weil möglicherweise die VVO einschlägig und damit das Sondergericht an die Entscheidung gebunden gewesen sei.267 Rothaug habe auch nicht von vornherein eine Todesstrafe ins Auge gefasst, vielmehr sei diese erst später von der Staatsanwaltschaft – von höherer Stelle – gefordert worden.268 Rothaugs Aussage, dass das Verhalten eines Polen zur damaligen Zeit 260 StAN, KV-Prozesse aug, S. 69 ff. 261 StAN, KV-Prozesse aug, S. 79 f. 262 StAN, KV-Prozesse aug, S. 79 f. 263 StAN, KV-Prozesse aug, S. 80 f. 264 StAN, KV-Prozesse aug, S. 82 ff. 265 StAN, KV-Prozesse aug, S. 112, 118 f. 266 StAN, KV-Prozesse aug, S. 112. 267 StAN, KV-Prozesse aug, S. 113a f. 268 StAN, KV-Prozesse aug, S. 113 ff.
Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für RothFall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Roth-
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nicht mit dem eines Deutschen habe verglichen werden können, beruhe einzig auf dem Umstand, dass die Polen aufgrund des Kriegsausbruchs Deutschland hassten und sich dementsprechend verhielten.269 XI. Rothaugs Wesen Den Schluss seines Plädoyers leitete Kößl mit den Worten ein: „Rothaug ist ein Mann von makel- und tadelfreiem Privatleben, auch auf parteilichem Gebiet.“ 270
Sein eigentliches Manko liege in seinem „sittliche[n] Trieb zu unbedingter Pflichterfüllung“.271 Er habe immer gesetzlich korrekt gehandelt, für die Vorkommnisse der damaligen Zeit trage er keine Verantwortung.272
C. Letzte Worte Da sich mit dem Recht des Angeklagten, die letzten Worte des Verfahrens sprechen zu dürfen, auch die Chance einer letztmaligen Einflussnahme auf das Gericht in eine für den Angeklagten positive Richtung hin öffnet, sollte auch durch den Strafverteidiger ein besonderes Augenmerk auf dieses Institut gelegt werden.273 Aus der Praktikersicht stellt sich diese Situation aber oft anders da, wie der Experte in Sachen Strafverteidigung Rainer Hamm bekundet: „Auch Schweigen kann ein Kampfmittel sein. Wir müssen dies auch oft genug unseren Mandanten mühsam beibringen.“ 274
Letztlich machten nur Joël und v. Ammon von ihrem Recht zu schweigen Gebrauch, alle anderen Angeklagten äußerten sich innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens von zehn Minuten mehr oder weniger umfangreich.275 Rothaug zeigte keine Reue. Er fühlte sich vielmehr von seinen ehemaligen „Freunden und Mitarbeitern“ verraten, beharrte aber darauf, sich sowohl als Richter als auch als Staatsanwalt korrekt verhalten zu haben.276 Ganz Deutschland sei zum „Kriegs269 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 117. 270 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 140. 271 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 140. 272 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 140 f. 273 Vgl. Sommer, Effektive Strafverteidigung, Rn. 2054 ff. 274 Hamm, in: NJW 2006, 2084 (2085). 275 US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 941 ff.; StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 121, 26.09.1947, S. 1; Report No. 127, 18.10.1947, S. 1. 276 US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 947 f.
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
gebiet“ geworden, Gewohnheitsverbrecher, Volksschädlinge und andere Straftäter seien zu bekämpfende Feinde gewesen. Dass er damit einen Angriffskrieg unterstützt habe, habe er nicht gewusst. Da nach der Logik des Krieges 100.000 Menschen getötet werden, um 1.000.000 zu retten, habe er auch nicht an seinem Handeln gezweifelt.277
D. Eigene Stellungnahme Im Großen und Ganzen blieben Prosecution und Verteidigung also bei ihren Positionen. Rothaug habe durch seine rassistisch motivierte, bösartige Verhandlungsführung aus politischen Gründen gemordet. Hingegen beharrte Kößl darauf, dass alle diesbezüglichen Zeugenaussagen falsch seien, Rothaug hingegen stets unparteiisch und juristisch korrekt gehandelt habe. Verblüffend sind Rothaugs letzte Worte, in denen er sich auf eine Art Verhältnismäßigkeitsabwägung als handlungsleitend beruft und jegliche Verantwortung für das seinen Opfern widerfahrene Justizunrecht leugnet. Insbesondere das fehlende Geständnis, die mangelnde Reue und die apologetisch anmutenden letzten Worte dürften für die gegen Rothaug verhängte, verhältnismäßig harte Strafe mitursächlich gewesen sein.278
277 278
Vgl. zu diesem Argument Hillermeier, in: ders. (Hrsg.), Todesurteile, S. 10. Hierzu Kapitel 3 § 14 D.
§ 14 Urteil Nach sechswöchiger Beratung1 verkündete das Tribunal am 03.12. und 04.12. 1947 das Urteil.2 Dieses umfasst in gedruckter Form 300 Seiten sowie einen zusätzlichen Anhang und ist damit „ungewöhnlich umfangreich“ ausgefallen.3
A. Struktur des Urteils Den Aufbau des Urteils kann man grob in einen „Allgemeinen“ und einen „Besonderen“ Teil untergliedern.4 Diese Zweigliederung ist aus deutscher prozessrechtlicher Sicht ungewöhnlich, letztlich aber dem Umstand geschuldet, dass „die Angeklagten nicht wegen einzelner Taten gegen namentlich angeführte Opfer [. . .], sondern wegen ihrer Beteiligung an von der Regierung organisierten Grausamkeiten und Verfolgungen“ belangt wurden5, wobei sich das Tribunal offensichtlich an den Ausführungen der Prosecution orientierte6. Im Allgemeinen Teil wurden Fragen der Zuständigkeit des Gerichtes, der Rechtsanwendung sowie vor die Klammer gezogene Fragen der Tatbegehung behandelt. Die individuelle Schuld und Tatbeteiligung der Angeklagten ist Gegenstand des Besonderen Teils. Unabhängig von dieser Zweiteilung des Urteils sind auch systematische Besonderheiten ersichtlich.7 Aus dogmatischer Sicht wird beispielsweise nicht sauber zwischen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen unterschieden, die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen exakt subsumiert und die Strafzumessung herausgearbeitet.8 Diese Auffälligkeiten lassen sich durch zwei Argumente begründen. Zum einen war die Rechtsgrundlage des Verfahrens, wie oben9 bereits herausgearbeitet, ein hybrides Rechtssystem mit Bestandteilen des kontinentalen 1
Vgl. auch v. Alten, Recht oder Unrecht, S. 31. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 37. Nicht korrekt Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 99 (13./14.12.1947). 3 Taylor, Kriegsverbrechen, S. 63. Ähnlich auch Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 103; Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 23. 4 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S1, Urteil Teil 1 und 2; Schott, Rothenberger, S. 171. Zur Bezeichnung bereits Thiele-Fredersdorf, in: NJW, 1947/48, S. 122; Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 23; v. Alten, Recht oder Unrecht, S. 31. 5 Peschel-Gutzeit, in: dies. (Hrsg.), Juristenurteil, Vorwort S. 7. 6 Siehe Kapitel 2 § 7. 7 Vgl. auch Haensel, in: DRZ 1948, 40; Heinze/Schilling, Rechtsprechung, S. XVIII. 8 Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 103; Abahuni, Willkürverfahren, S. 42 Rn. 72. 9 Siehe hierzu Kapitel 2 § 5. 2
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und angloamerikanischen Rechtssystems. Zum anderen haben sich die Nürnberger Gerichte nur den „eindeutigen“ Sachverhalten angenommen, streitige hingegen außer Acht gelassen, sodass eine „saubere“ Subsumtion gar nicht nötig gewesen war.10
B. Allgemeiner Teil des Urteils In der Einleitung zum Allgemeinen Teil zieht das Gericht zunächst ein Resümee zum Ablauf des Verfahrens.11 Daraufhin werden allgemeine Fragen des anzuwendenden Rechts, der Tatbestände und alle Angeklagten betreffende Probleme erörtert.12 I. Gesetzliche Grundlage und Quelle der Rechtsgrundlage des KRG10 1. Ausführungen des Gerichts Das Gericht diskutierte in aller Ausführlichkeit13 die Rechtsgrundlage des KRG1014, worin die Juristen Ostendorf/ter Veen den Versuch erkennen, dem Vorwurf der Siegerjustiz entgegen zu wirken15. Denn auch wenn beispielsweise der DDR-Jurist Steiniger den Einwand der Siegerjustiz als reine Schutzbehauptung der Angeklagten abtut16, war ein Verstoß gegen das „nulla poena“-Prinzip – wie auch in den anderen Nürnberger Prozessen – der wesentliche Kritikpunkt an diesem Prozess17. Die Mehrheitsmeinung der Richter ging von der (Völker-)Recht(s)mäßigkeit des KRG10 aus. Die Situation, in der sich die Alliierten befänden – Errichtung eines Gerichtshofes zur Bestrafung der besiegten Deutschen in Deutschland – sei insbesondere nicht vergleichbar mit der Errichtung von Sondergerichten durch die Deutschen zur Aburteilung von polnischen Staatsbürgern in Polen.18 Die amerikanischen Richter bauten ihre Begründung für diese Feststellung auf zwei Standbeinen auf. 10
Radbruch, in: SJZ 1947, 131 (135). Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 39 ff. 12 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S1, Urteil Teil 1, II. 13 Vgl. dazu Jescheck, in: Mezger/Schönke/Schwinge (Hrsg.), S. 289 ff. 14 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 43 f. 15 Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 23. Zustimmend Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 15; Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 309. Vgl. auch Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 46. 16 Steiniger, in: ders./Leszczyn ´ ski (Hrsg.), S. 12, 16 f., 22 f. 17 Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 24; Haensel, Das Gericht vertagt sich, S. 15 ff.; Heintzeler, I.G. Farben, S. 31; Werle, in: NJW 1992, 2529 (2530); Safferling, Internationales Strafrecht, § 4 Rn. 36; Taylor, Hintergründe, S. 740; Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (80). 18 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 46 f. 11
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Entscheidend war für das Gericht, dass aufgrund der Ereignisse nach dem 08.05.1945 der gegenwärtige Zustand Deutschlands nicht mit einer in der HLKO genannten und mit Einschränkungen versehenen Besetzung verglichen werden könne.19 Diese Ansicht werde auch von deutschen und amerikanischen Gelehrten, sowie dem IMT geteilt.20 Alle kämen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass sich Deutschland den Alliierten „unterworfen“ habe.21 Andernfalls würden sich alle legislativen Umstrukturierungen, die die Alliierten seit der Kapitulation Deutschlands durchgeführt hatten, von selbst rückgängig machen, sobald sie Deutschland verließen.22 Zusammengefasst lasse sich sagen, dass die Haager Konventionen nicht auf Deutschland anwendbar seien, da Deutschlands Armee zerschlagen worden sei, der Krieg geendet und sich Deutschland vollständig den Alliierten unterworfen habe.23 Auch der Einwand, es handele sich bei Kriegsverbrechen und den VGM um gegen das Rückwirkungsverbot verstoßende Tatbestände, treffe nicht zu. Zum größten Teil handele es sich um kodifiziertes Völkerrecht, also Vorschriften, die bereits völkerrechtlich anerkannt gewesen seien.24 Zum anderen seien die Tatbestände, die über die Kodifizierung von Völkerrecht hinausgingen, dann zumindest völkerrechtlich durch die Autorität der Besatzungsmächte, wie sie oben erläutert worden war, legitimiert.25 Damit seien sowohl das KRG10 als auch der Gerichtshof völkerrechtskonform errichtet worden.26 Aber auch wenn das KRG10 völkerrechtswidrig sein sollte, sei dieser Punkt unerheblich. Es sei nämlich undenkbar, dass sich der Gerichtshof selbst den „Boden unter den Füßen“ entziehen könne, was de facto der Fall wäre, wenn ihm eine Verwerfungskompetenz bezüglich des KRG10 zugestanden würde.27 Eine ähnliche Ansicht vertrat auch das IMT.28 Abschließend ging das Gericht auf den Einwand ein, es habe bis zu den Nürnberger Verfahren keine völkerstrafrechtlichen Prozesse gegeben. Da es zum damaligen Zeitpunkt noch keine Autorität gegeben hatte, die Völkerrecht habe erlassen können, sei Völkerrecht nach Ansicht des Tribunals eher vergleichbar mit dem Common Law, welches „gewachsen [sei], um den Erfordernissen der jeweils wechselnden Bedingungen gerecht zu werden.“ 29 Im Völkerrecht gelte der Grund19
Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 44. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 44 ff. 21 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 44 ff. 22 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 46. 23 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 45. 24 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 49. 25 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 49. 26 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 47 f. 27 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 48 f. 28 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 49; vgl. auch IMT, Bd. I, S. 186 Fn.; Safferling/Graebke, in: ZStW 123 (2011), Heft 1, 47 (53). 29 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 50 f. 20
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
satz, dass neue Regelungen durch Zustimmung einer Vielzahl von Staaten und auch durch das Unterlassen von Einwänden, allgemeingültig werden könnten. Dies sei in Bezug auf das IMT-Statut der Fall gewesen.30 Das völkerrechtliche Verbot, Kriegsverbrechen und VGM zu begehen, sei also allgemein gültig gewesen.31 Diese „Universalität“ von Völkerrecht sei zu unterscheiden von dessen „Erzwingbarkeit“.32 Jeder Staat sei dafür verantwortlich, seine eigenen Staatsbürger wegen Verstößen gegen das Völkerrecht zu verurteilen.33 Da aber Deutschland keine funktionierende Regierung mehr aufgewiesen habe, hätten die Alliierten diese Aufgabe übernommen.34 Damit sei auch dieser Einwand zurückzuweisen. Zwar nicht im Ergebnis, aber in der Art der Begründung, widersprach Richter Blair seinen Kollegen vehement.35 So kritisierte er, dass das Gericht unter dem Gesichtspunkt „Quelle der Rechtsgrundlage“ über die Frage entschieden habe, ob es sich bei der Besetzung Deutschlands um eine occupatio bellica handele.36 Diese Frage betreffe den Übergang von Hoheitsrechten auf die alliierten Besatzer und damit den Kernbereich der militärischen Exekutive, sodass dem Gerichtshof hierüber keine Kompetenzen erteilt worden seien.37 Die Vorschriften über die Besatzung Deutschlands ergäben sich für die Amerikanische Besatzungszone aus dem 1940 durch den Judge Advocate General (JAG)38 herausgegebenen „Basic Field Manual on Rules of Land Warfare“ (BFMRLW).39 Danach habe der Gerichtshof keine Feststellungskompetenzen in dieser Frage, sondern nur solche, über Verstöße gegen das KRG10 zu urteilen.40 Blair widersprach der Ansicht der übrigen Richter, die die Regel 27541 des BFMRLW herangezogen hatten, um zu begründen, dass mit der bedingungslosen 30
Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 51 f. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 51 ff. 32 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 52 f. 33 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 53. Aber auch der geschädigte Staat selbst, wenn er der Betroffenen habhaft werden könne. Vgl. auch Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 26 f. 34 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 53. 35 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 227 ff. 36 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 227. Siehe oben. 37 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 227 f. 38 Dabei handelt es sich um die oberste Militärstaatsanwaltschaft der US Streitkräfte. Vgl. Salleck, Strafverteidigung, S. 228. 39 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 228. 40 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 228 f. 41 „Unterscheidet sich von Unterwerfung (subjugatio) oder Besiegung. Da militärische Besetzung in einem auswärtigen Krieg auf der Tatsache des Besitzes von Feindgebiet beruht, heißt dies notwendigerweise, dass die Souveränität des besetzten Gebietes nicht in der Hand der Besatzungsmacht liegt. Die Besetzung ist ihrem Wesen nach vorübergehend. Andererseits beinhaltet Unterwerfung (subjugatio) oder Besiegung einen Souveränitätsübergang. Gewöhnlich wird ein solcher Übergang jedoch durch einen Friedensver31
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Kapitulation der Wehrmacht ein Machtvakuum entstanden sei, dass die Alliierten durch die Übernahme der Souveränität Deutschlands gefüllt hätten.42 Tatsächlich seien die Alliierten völkerrechtlich gar nicht dazu legitimiert gewesen und hätten auch nicht den Versuch unternommen, die Souveränität Deutschlands zu übernehmen.43 Es habe nie eine entsprechende Erklärung oder Handlung gegeben, vielmehr sei stets betont worden, die Besatzung Deutschlands erfolge ausschließlich dazu, die nationalsozialistischen Strukturen zu zerschlagen, „damit Deutschland, dergestalt von diesen Einflüssen gereinigt, seinen Platz in der Gesellschaft der Völker der Welt einnehmen könne.“ 44 Nach der Regel 28545 des BFMRLW in Verbindung mit dem KRG11 vom 30.01.1946 seien in der Amerikanischen Besatzungszone die nationalsozialistischen Gesetze beseitigt und dafür die ursprünglichen wieder eingeführt worden.46 Nach der Entnazifizierung Deutschlands sollten darüber hinaus „alle Machtbefugnisse“ wieder abgetreten werden.47 Hierzu sei in dem Potsdamer Abkommen u. a. vereinbart worden, deutsche Kriegsverbrecher zu bestrafen, wobei die Zuständigkeit zwischen Militärgerichtshöfen, Militärgerichten, deutschen ordentlichen Strafgerichten und deutschen Tribunalen aufgeteilt worden sei.48 trag herbeigeführt. Sobald die Souveränität übergeht, muss natürlich die militärische Besetzung als solche aufhören; obwohl es möglich ist – und dies trifft gewöhnlich zu –, dass das Gebiet wenigstens eine Zeit lang weiterhin durch militärische Behörden regiert wird, die solche Befugnisse besitzen, wie sie der Präsident oder der Kongress vorzuschreiben befindet.“ Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 228. 42 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 230 f. 43 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 228 f. 44 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 231. 45 „Die in Kraft befindlichen Gesetze. Die Hauptaufgabe des Okkupanten liegt darin, für die Sicherheit der Invasionsarmee zu sorgen, sowie zu ihrer Versorgung und Schlagkraft und zu dem Erfolg ihrer Operationen beizutragen. Bei der Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hat er die allgemeinen zivilen und Strafgesetze des besetzten Gebietes, die mit diesem Ziel nicht in Widerstreit sind, in Kraft zu belassen. Diese Gesetze sind, soweit als dies praktisch durchführbar ist, durch die örtlichen Beamten zu verwalten. Alle Verbrechen nichtmilitärischer Art, die nicht die Sicherheit der Invasionsarmee berühren, sind weiterhin unter der Gerichtsbarkeit der örtlichen Gerichte zu belassen.“ 46 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 229 f. 47 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 230. 48 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 230. „1. Hauptkriegsführer oder -verbrecher werden vor diesen und ähnliche Militärgerichtshöfe gestellt, welche durch das Kontrollratsgesetz Nr. 10 und die Verfügung Nr. 7 der Militärregierung errichtet wurden unter Beschränkung auf die Verbrechen oder Vergehen, die darin bezeichnet oder anerkannt sind. 2. Die Verfahren gegen Deutsche für die Begehung von Kriegsverbrechen gegen amerikanische Militärpersonen und für Gräueltaten oder Verbrechen, die in den Konzentrationslagern, welche sich in den von den amerikanischen Streitkräften eingenommenen oder besetzten Gebieten befinden, begangen wurden, werden von besonderen Militärgerichten durchgeführt, welch letztere auf Anweisung des Militärbefehlshabers der Zone eingesetzt wurden, wobei der Theatre Judge Advocate die Strafverfolgung der Fälle unter sich hat.
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
Der Gerichtshof widerspreche sich selbst wenn er zunächst behaupte, dass der alliierte Kontrollrat das KRG10 in Ausübung seiner Souveränität anstelle des deutschen Parlaments verabschiedet habe und dann, in einem zweiten Schritt erkläre, dass die Verfahrensvorschriften des KRG10 i.V. m. der VO7 der Durchsetzung von Völkerrecht dienten.49 Denn ein nationaler Gesetzgeber könne nicht einseitig Nationen völkerrechtlich verpflichten.50 Das Gleiche gelte für die damit zwangsläufig zusammenhängende janusköpfige Funktion des Gerichtshofes: Der eines internationalen und gleichzeitig eines deutschen Gerichts.51 Auch an vier weiteren Stellen seien die Ausführungen des Gerichts in sich unstimmig.52 An einer anderen Stelle des Urteils „rette“ sich das Gericht dann aber mit der Feststellung, dass es „seine Macht und Zuständigkeit allein aus dem Willen und Befehl der Siegerstaaten herleitet“.53 Es sei völkerrechtlich anerkannt, dass „während der Dauer von Feindseligkeiten, und zwar bis zu deren formeller Beendigung, kriegführende Mächte konkurrierende Zuständigkeit über Kriegsverbrechen besitzen [. . .] wenn der Beschuldigte ein Kriegsgefangener ist und wenn die behauptete Tat durch allgemein anerkannte Kriegsgesetze und -bräuche zu einer Straftat erklärt worden ist.“ 54
Die Art der Besetzung des besiegten Staates sei hierbei irrelevant.55 Zur Umsetzung dieses Grundsatzes dürften auch eigene Verfahrensvorschriften erlassen werden, was die Amerikaner mit dem KRG10 und der VO7 getan hätten.56 Auf materiellrechtlicher Seite, also die Verbrechenstatbestände betreffend, sei auch kein neues Recht geschaffen, sondern es sei genau das gesetzlich fixiert worden, was ohnehin bereits völkerrechtlich vereinbart worden sei.57 Im Übrigen habe sich auch das IMT explizit auf diese Befugnis berufen.58 Sowohl das IMT-Statut
3. Deutsche, denen Verbrechen gegen die Menschlichkeit an anderen Deutschen in Verletzung deutschen Rechts zur Last gelegt werden, werden durch ordentliche deutsche Strafgerichte zur Verantwortung gezogen. 4. Andere Deutsche, die aktiv für Verbrechen des Hitler- oder Naziregimes verantwortlich waren oder die aktiv an den Naziplänen oder -vorhaben teilnahmen, werden unter dem Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 vor deutsche Tribunale gestellt.“ 49 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 231 f. 50 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 232. 51 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 232. 52 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 233. 53 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 233 f. 54 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 237. 55 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 241. 56 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 236 ff. 57 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 238 f. 58 Vgl. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 237 f., 240. „Damit haben sie [die Alliierten] gemeinsam das getan, was jeder einzelne von ihnen hätte tun können.“ Vgl. auch Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 241.
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als auch das KRG10 stellten damit „in diesem Ausmaß selbst ein[en] Beitrag zum Völkerrecht“ dar.59 In Bezug auf den obigen völkerrechtlichen Grundsatz sei festzustellen, dass sich Deutschland offiziell noch im Kriegszustand mit den Alliierten befinde, da kein Friedensvertrag geschlossen worden sei.60 Nach einem verkündeten Frieden sei die Aburteilung der Kriegsverbrecher Sache der „friedenschließenden Parteien“.61 2. Anmerkung Richter Blair vertrat in großen Teilen also eine völlig konträre Ansicht in Bezug auf die völkerrechtliche Legitimation des Verfahrens, die in allen Nürnberger Strafverfahren diskutiert worden war. Aber auch in der (deutschen) Literatur finden sich viele kritische Stimmen in Bezug auf die Mehrheitsmeinung. Die Autoren Ostendorf/ter Veen sowie Thiele-Fredersdorf sehen – ähnlich wie Blair – einen „Zirkelschluss“ bzw. einen Widerspruch darin, dass sich das Gericht einerseits darauf berufen habe, eine „übergesetzliche, moralische“ Legitimation zu besitzen, andererseits aber auch eine zwangsläufige, da man das KRG10 als Legitimationsgrundlage nicht für nichtig habe erklären können.62 Die Kritik ist durchaus berechtigt. Die Frage, ob ein (internationales) Gericht über seine eigene Legitimationsgrundlage entscheiden kann, war zuletzt im Tadic´-Urteil des ICTY63 relevant und wurde dort auch entschieden.64 Die Trial Chamber hatte sich sich in dieser Frage zunächst noch für unzuständig erklärt.65 Der ICTY sei ein Strafgerichtshof, kein Verfassungsgericht und habe lediglich die Kompetenz, in begrenztem Umfang über völkersstrafrechtliche Gesichtspunkte zu entscheiden.66 Dieser Ansicht widersetzte sich die Appeals Chamber.67 59
Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 238. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 241. 61 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 241. 62 Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 24; Thiele-Fredersdorf, in: NJW 1947/1948, S. 122. Ähnlich auch Haensel, in: DRZ 1948, 40 (41). 63 Prosecutor v. Dus ˇko Tadic´, Decision on the Defence Motion for interlocutory Appeal on Jurisdiction, Rn. 14 ff. 64 Vgl. Dencker, in: ZIS 7/2008, 298 (300 f.); Heinsch, Völkerrecht, S. 62; Czarnecki/Lenski, Fallrepetitorium Völkerrecht, Fall 10, S. 208. Auch wenn man betonen muss, dass die Besonderheit des Falles in der Überprüfbarkeit einer UN-Resolution bestand, ist das Ergebnis des ICTY-Urteils nicht außergewöhnlich. In Schiedsverfahren ist es das „täglich Brot“ der Anwälte, die Unzuständigkeit des Gerichtes zu rügen. Dieses Vorgehen ist auch von Gesetzes wegen vorgesehen, vgl. § 1040 Abs. 2 S. 1 ZPO. Auch in diesen Fällen soll das Gericht dann selbst über seine Zuständigkeit entscheiden, § 1040 Abs. 1 S. 1 ZPO. Siehe auch Bechte, in: ZJS 4-5/2011, 307 (310). 65 Prosecutor v. Dus ˇko Tadic´, Opinion and Judgement v. 07.05.1997, Rn. 14 f.; Prosecutor v. Dusˇko Tadic´, Decision on the Defence Motion on Jurisdiction, Case No. IT94-1, T.Ch. II, 10.08.1995, Rn. 1 ff. 66 Prosecutor v. Dus ˇko Tadic´, Decision on the Defence Motion on Jurisdiction, Case No. IT-94-1, T.Ch. II, 10.08.1995, Rn. 5. 60
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
Die Frage, ob der ICTY ein Verfassungsgericht sei, stände außer Frage und gehe am Kern des Problems vorbei.68 Sofern in den Verfahrensvorschriften nicht explizit vorgeschrieben sei, dass ein Gericht nicht über seine eigene Errichtung entscheiden könne, müsse ihm eine entsprechende „Kompetenz-Kompetenz“ zustehen.69 Dies sei auch völkerrechtlich anerkannt.70 Tatsächlich überzeugt die Ansicht der Appeals Chamber des ICTY. Da in den NMT-Verfahren keine Berufungs- oder Revisionsgerichte existierten, welche über diese verfahrensrechtliche Frage hätte entscheiden können, wären in Berufung auf die Grundsätze des Rechtsstaates zwei Lösungen denkbar und überzeugend gewesen: Entweder hätte der Internationale Gerichtshof in Den Haag angerufen werden müssen, oder das Militärtribunal hätte selbst, gegebenenfalls auch die Plenarsitzung aller Tribunale, für solch eine Entscheidung zuständig sein müssen.71 Auch andere Punkte wurden in der Literatur – zu Recht – kritisch gesehen. So lieferte das Gericht eine nicht zufriedenstellende Begründung, wenn es sich einerseits darauf berief, VGM und Kriegsverbrechen verstießen nicht gegen das Rückwirkungsverbot, andererseits seien die entsprechenden Taten auch nach deutschem Recht strafbar gewesen.72 Außerdem wurde kritisiert, dass das Gericht untermauert habe, dass das KRG10 ausschließlich Taten Deutscher habe abstrafen sollen, da die Erzwingbarkeit des Völkerrechts durch deutsche Gerichte, die von der Universalität des Völkerrechts zu unterscheiden sei, in diesem Fall an der Kapitulation und damit dem Brachliegen des Staates gescheitert wäre und man daher stellvertretend habe handeln müssen.73 Somit habe sich das Militärtribunal de facto einen internationalen Geltungsanspruch aberkannt.74 Es wäre dann auch einleuchtender gewesen, derartige Verbrechen vor deutschen Gerichten zu verhandeln.75 Gerade vor dem Hintergrund, dass die USA im Juristenprozess „stellvertretend für die ganze Welt“ Recht sprechen wollten76, wiegt der letztgenannte Kritikpunkt besonders schwer. 67 Prosecutor v. Dus ˇko Tadic´, Decision on the Defence Motion for interlocutory Appeal on Jurisdiction, Rn. 14 ff. 68 Prosecutor v. Dus ˇko Tadic´, Decision on the Defence Motion for interlocutory Appeal on Jurisdiction, Rn. 20 ff. 69 Prosecutor v. Dus ˇko Tadic´, Decision on the Defence Motion for interlocutory Appeal on Jurisdiction, Rn. 18 f. 70 Prosecutor v. Dus ˇko Tadic´, Decision on the Defence Motion for interlocutory Appeal on Jurisdiction, Rn. 19. 71 Vgl. auch Wimmer, in: SJZ 1947, 123 (132). 72 Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 25. 73 Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 24; Jescheck, in: Mezger/Schönke/Schwinge (Hrsg.), S. 289 f.; Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 51 ff. 74 Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 24. 75 Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 24; vgl. auch Kraus, KRG10, S. 23 ff., 80. 76 Vgl. Kapitel 1 § 3 C.
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II. Die Konstruktion des KRG10: Kriegsverbrechen und VGM Es wurden daraufhin die Tatbestände des Kriegsverbrechens und des VGM erläutert. Das Gericht stellte fest, dass das VGM weiter gefasst war als das Kriegsverbrechen, da es auf den Schutz aller Zivilbevölkerungen abstellt, unabhängig davon, ob Handlungen gegen die Zivilbevölkerung am Tatort strafbar gewesen waren, was sich auch aus Art. III KRG10 ergebe.77 Letzteres solle verhindern, dass sich die Angeklagten darauf berufen könnten, nach deutschem Recht legal gehandelt zu haben.78 Da das KRG10 explizit auf die „Zivilbevölkerung“ und nicht den „Zivilisten“ abstelle, werde für das VGM ein systematischer Zusammenhang des Angriffs vorausgesetzt.79 Andererseits sei aber die Definition des VGM im KRG10 weiter, als diejenige des IMT-Statutes.80 III. Rückwirkungsverbot und fehlendes Unrechtsbewusstsein Das Gericht ließ es sich nicht nehmen anzumerken, dass die Angeklagten in ihrem Verfahren eine Verletzung des „ex post facto“-Grundsatzes rügten, gleichzeitig aber den Opfern des „Dritten Reiches“ eben jene Maxime vorenthalten hatten.81 Sodann wurde erklärt, dass der Grundsatz weder im Common Law noch im Völkerrecht ohne Weiteres angewendet werden könne.82 Denn dadurch, dass Völkerrecht sich gerade zwischen den Staaten abspiele, nicht aber „von oben“ gesteuert werde, würde man durch das Rückwirkungsverbot den Sinn des Völkerrechts konterkarieren.83 Diese Ansicht werde auch durch die Rechtsprechung des IMT und Rechtsgelehrte geteilt.84 Ferner könne kein Angeklagter behaupten, er habe nicht gewusst, dass ihm für die Unterstützung völkerrechtswidriger Handlungen des NS-Regimes Bestrafung drohen werde: „Der Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit war lange vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges anerkannt worden“,
nämlich bereits nach dem Ende des Ersten Weltkrieges.85 Zu den Anforderungen an das Unrechtsbewusstsein der Angeklagten äußerten sich die Richter aus unbekannten Gründen aber nicht.86 77
Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 54 f. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 55. 79 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 55 f. Vgl. zum IStGH-Statut Ambos, in: NJW 2001, 405 ff. 80 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 56. 81 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 56. Vgl. auch die Dissenting Opinion des Richters Blair, Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 241; sowie Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 12; Schott, Rothenberger, S. 163. 82 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 56 f. 83 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 57. 84 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 57 ff. 85 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 59 f. 78
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
IV. VGM als Verletzung des Völkerrechts Das Gericht wies darauf hin, dass es im Laufe der Geschichte immer wieder Ausschreitungen von Regierungen gegen die Zivilbevölkerung und Minderheiten gegeben hatte87, die derart schwerwiegend gewesen seien, dass unbeteiligte Drittstaaten nicht länger hätten zusehen können und folglich politisch oder militärisch interveniert hätten.88 Solche Ausschreitungen würden als Verletzung des „Gemeinen Völkerrechts“ verstanden.89 Daher stelle der Tatbestand der VGM „lediglich eine Entwicklung eines bereits bestehenden Grundsatzes dar“.90 Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, umfassten VGM keine singulären Einzelerscheinungen, sondern lediglich systematisch durch den Staat organisierte oder gebilligte Maßnahmen.91 Selbst das „Dritte Reich“ habe anerkannt, dass humanitäre Interventionen bei politischen oder religiösen Verfolgungen von Minderheiten Interessen der Weltgemeinschaft berührten, denn den Einmarsch in die Tschechoslowakei habe Hitler „ausdrücklich damit gerechtfertigt, dass die angebliche Verfolgung von Volksdeutschen durch die Regierung dieses Landes eine Angelegenheit von internationalem Belang sei.“ 92
Einen Spezialfall des VGM stelle der Völkermord dar, dessen Strafbarkeit die UN-Generalversammlung im März 1947 beschlossen hatte.93 Durch diesen Beschluss werde deutlich, dass die Staatengemeinschaft dafür einstehe, VGM strafrechtlich zu verfolgen.94 1. Verteidigungseinwände a) Gerichtsmeinung Das Gericht ging auf die Verteidigung der Angeklagten insofern ein, als ihre Handlungen nach deutschem Recht legal gewesen seien.95 Dieses Vorbringen sei 86 Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 104. Vgl. auch Kraus, KRG10, S. 125 f.; Haensel, in: DRZ 1948, 40 (42). Vgl. hierzu auch die Stellungnahme zum Urteil, unten. 87 So beispielsweise die Verfolgung der christlichen Minderheiten durch die Türkei (1915) oder das Massaker von Kishinew (1903); Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 62. 88 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 61 ff. 89 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 61. 90 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 63. Siehe auch ebenda, S. 64: Mischung aus Kodifizierung und Gemeinem Völkerrecht. Vgl. auch Kraus, KRG10, S. 140. 91 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 63. 92 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 63 f. 93 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 64. Später „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“, Resolution 260 A (III) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 09.12.1948. 94 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 64. 95 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 64 ff.
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einerseits durch Art. II Nr. 1c), 4 b) KRG10 ausgeschlossen.96 Andererseits ginge die Verteidigung unabhängig von den beiden Vorschriften ins Leere. Denn der Gerichtshof urteile nicht über deutsches Recht, sondern über Völkerrecht, das deutschem Recht in jedem Fall vorginge.97 Und auch wenn sich die Angeklagten formal an deutsches Recht hätten halten müssen, werde ihnen gerade der Vorwurf gemacht, dass das deutsche Rechtssystem per se ein Kriegsverbrechen und VGM dargestellt habe und die Angeklagten durch ihre Stellung damit strafrechtlich relevant in Erscheinung getreten seien.98 Da das VGM gerade voraussetze, dass die entsprechenden Taten durch staatliche Handlungen veranlasst worden sein müssen, könne eine staatliche Beteiligung im Umkehrschluss keine Verteidigungslinie bilden.99 b) Eigene Anmerkung Sowohl der Begründung, als auch dem Ergebnis des Gerichtshofes ist zuzustimmen. Auch wenn Richter beispielsweise Führerbefehle tatsächlich nicht in Frage hätte stellen können100, war ihr Ermessen in der Strafjustiz enorm und ihre Stellung als „weisungsunabhängig“ eine besondere101. Wie oben bereits dargestellt102, wäre es für die Richter ohne Gefahr möglich gewesen, selbst bei Straftatbeständen, auf die drakonische Strafen gestanden hatten, im unteren Rahmen der Strafzumessung zu bleiben und so hunderte von Leben zu retten. Eine Berufung auf ein formal rechtmäßiges Verhalten konnte den NS-Richtern und -Staatsanwälten also nicht zugestanden werden. 2. Umschreibung der Vorwürfe Das Tribunal erklärte nun, dass obwohl es sich um ein amerikanisches Gericht handelte nicht das Common Law, sondern die „breiten Grundsätze [. . .] von Gerechtigkeit und Billigkeit [. . .], die jeder zivilisierten Auffassung von Gesetz und gesetzlichen Verfahren zugrunde liegen“, den Maßstab des Verfahrens bildeten.103 Das Gericht wiederholte, dass das Ausmaß der den Angeklagten vorgeworfenen Verbrechen weit über die Tötung einzelner Personen hinausginge, wes96
Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 64. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 65. 98 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 65. 99 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 65. 100 Vgl. Rüthers, in: NJW 1988, 2825 (2833); Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 50; Ostendorf, Dokumentation, S. 19, 21 f.; Steinbauer, Ich war Verteidiger, S. 49 f.; Perels, in: KJ 1998, 84 (89); Rautenberg, in: GA 2012, 32 (42); Seliger, Politische Anwälte, S. 356 f. 101 Rothenberger, Der deutsche Richter, S. 25 f., 46 ff. 102 Siehe Kapitel 1 § 2 B. 103 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 65. 97
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wegen auch keine Namen der Opfer genannt werden müssten.104 Zur Klarstellung brachte es das Gericht mit der wohl am häufigsten zitierten Passage des Juristenurteils105 auf den Punkt: „Die Beschuldigung, kurz gesagt, ist die der bewussten Teilnahme an einem über das ganze Land verbreiteten und von der Regierung organisierten System der Grausamkeit und Ungerechtigkeit unter Verletzung der Kriegsgesetze und der Gesetze der Menschlichkeit, begangen im Namen des Rechts unter der Autorität des Justizministeriums und mit Hilfe der Gerichte. Der Dolch des Mörders war unter der Robe des Juristen verborgen.“ 106
Die Anklageschrift sei deshalb bewusst abstrakt abgefasst, um das Ausmaß dieser Verbrechen in Worte fassen zu können, auch wenn dieses Vorgehen dem angloamerikanischen Rechtsverständnis widerspreche.107 Außerdem betonte das Gericht, dass ganz in Einklang mit der Anklageschrift nur Handlungen, die sich nach Ausbruch des Krieges ereignet hätten, abgeurteilt werden sollten.108 Es würden lediglich aus dem Grund Vorfälle vor 1939 erörtert werden, um die Entwicklung hin zu den Verbrechen zu verdeutlichen und den subjektiven Tatbestand der Angeklagten auszuleuchten.109 3. Wege in die Diktatur Nun arbeitete das Gericht heraus, wie sich Deutschland von der Weimarer Republik in eine Diktatur verwandelt habe.110 So hätten die Weimarer Verfassung und das Strafgesetzbuch Schutzvorkehrungen gegen Machtmissbrauch enthalten, z. B. die Neutralitätspflicht des Richters (§ 334 RStGB) und die Freiheits- und Gleichheitsrechte (Art. 109, 114, 118, 123, 124 WRV).111 Alle diese Schutzvorkehrungen und Rechte seien durch die Machtübernahme der Nazis abgeschafft worden.112 Hierzu habe man das NS-Rechtssystem auf zwei Pfeilern errichtet: Den Ersten Pfeiler habe Hitlers Ermächtigungsgesetz gebildet.113 Es folgten Ausführungen zu den einzelnen Schritten der Machtübernahme und des Macht-
104
Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 65. Siehe nur Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (716); Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 307; Kastner, in: JA 1997, 699; Schott, Rothenberger, S. 169 f.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 355. 106 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 65 f. 107 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 66. 108 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 66. 109 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 68 f. Kritisch Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 318. 110 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 66 ff. 111 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 66 f. 112 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 67. 113 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 67 f. 105
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ausbaus durch die Nazis, insbesondere in Bezug auf das Justizwesen.114 Die Strafgesetze seien immer unbestimmter und der Strafrahmen immer drakonischer geworden, sodass selbst für Bagatellen die Todesstrafe habe angeordnet werden können.115 Allerdings seien diese Änderungen stets in Gesetzesform und gesetzeskonform ergangen.116 Verantwortlich für die Gesetze sei unter anderem auch Schlegelberger gewesen.117 Das Ermessen bezüglich des Strafrahmens habe bei den Richtern gelegen.118 Das Analogie-, sowie das Rückwirkungsverbot und der „ne bis in idem“-Grundsatz seien aufgehoben worden.119 Letztlich habe Hitler mit seinem Erlass vom 20.08.1942, in dem er „eine nationalsozialistische Rechtspflege“ gefordert habe, jegliche Form von Recht in Deutschland entfernen lassen.120 Bemerkenswerterweise seien diese Gesetze aber nicht per se diskriminierend gewesen, sondern nur durch eine entsprechende Anwendung der Richter diskriminierend geworden.121 Da dieses Vorgehen aber der nationalsozialistischen Weltanschauung widersprochen habe, habe man mit aus sich selbst heraus diskriminierenden Gesetzen einen zweiten Pfeiler des Unrechts erschaffen. Darunter seien das GWB, das BluSchuG, sowie die PoStraV gewesen.122 Zur Durchsetzung dieser Gesetze sei aber die Hilfe des Justizapparates notwendig gewesen.123 Dazu seien unter anderem die Sondergerichte, der Volksgerichtshof und die Standgerichte mit entsprechendem Prozessrecht, der außerordentliche Einspruch, sowie ein neues Gnadenrecht geschaffen worden.124 4. Die Rechtspraxis a) „Durchseuchung“ des Justizwesens Sodann ging das Gericht auf das „Führerprinzip“ ein, also Hitlers Position als Chef der Legislative und „oberster Gerichtsherr“.125 Das NMT setzte sich mit Jahrreiß’ Aussage auseinander, dass es für die Justiz keine Möglichkeit gegeben habe, Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit, Ethik oder Völkerrechtskonformität hin zu überprüfen.126 Da aber der Gerichtshof nicht über die Vereinbarkeit der 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126
Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit
(Hrsg.), Juristenurteil, S. 68 ff. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 69. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 69 ff. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 72, 82. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 71. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 70 f., 82. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 72. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 72. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 72 ff. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 76. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 76 ff. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 84 ff. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 84.
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
Gesetze mit deutschem, sondern mit Völkerrecht zu urteilen hätte, sei diese Tatsache ohne Belang.127 Ein wichtiges Merkmal des NS-Staates sei es gewesen, einerseits Richtlinien für die Rechtsprechung vorzugeben, andererseits auch Urteile direkt zu genehmigen, zu kassieren oder abzuändern.128 Die Überstellung von Strafgefangenen an die Polizei sei dem Justizministerium, insbesondere Schlegelberger, bekannt gewesen, denn Hitler habe am 20.08.1942 das RMJ ermächtigt, „von jedem bestehenden Recht abzuweichen“.129 Das Gericht führte die Fälle Schlitt, Scharff und Luftgas an, bei welchen auf Hitlers Befehl eine gerichtlich angeordnete Gefängnisstrafe in die Todesstrafe umgewandelt worden war.130 Insbesondere Thierack, Schlegelberger, Klemm, Rothenberger und Joël sah das Gericht als treibende Kräfte in der Justiz an.131 Thierack wurde vom Tribunal als Urheber der Richter- und Rechtsanwaltsbriefe ausgemacht.132 Das Gericht betonte, dass Richter und Beamte dem Druck der Partei ausgesetzt gewesen seien, da sie einerseits hätten fürchten müssen, durch Hitler abgesetzt zu werden, andererseits aber auch durch Polizei und Geheimdienste überwacht worden seien.133 Interessant ist ein geheimer interner Brief des Justizministeriums, aus dem das Gericht zitierte.134 Danach war „bei jeder großen Justizbehörde ein Angehöriger des SD, der zur Auskunft und zur Verschwiegenheit verpflichtet“ war, vor Ort gewesen.135 Da man also bei der Vielzahl an Verstrickungen zwischen Justiz, Partei und Polizei nicht von einer richterlichen Unabhängigkeit sprechen könne, wollte das Gericht diese auch nicht als Verteidigungsargument zählen lassen, zumal Rechtsbeugung auch nicht von dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit gedeckt sei.136 Insgesamt hatte es also nach dem Urteil des Tribunals zwei Typen von Richtern gegeben: Denjenigen, der auf seiner Unabhängigkeit beharrt hatte und sich so dem Zorn des Regimes ausgesetzt habe und denjenigen, der alle Vorgaben der Partei rücksichtslos umgesetzt und damit weitestgehend freie Bahn gehabt
127
Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 84. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 86 ff. 129 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 87 ff. 130 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 88 f. 131 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 89. 132 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 89 f. 133 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 91 ff. 134 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 94. 135 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 94. Geht man davon aus, dass auch am Sondergericht Nürnberg ein solcher Kontaktmann des SD vorhanden war, könnte es sich den Indizien nach dabei um Rothaug gehandelt haben. Möglich ist aber auch, dass der Kontaktmann Markl war. Vgl. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 382. 136 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 95. 128
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habe.137 Zu ersterer Gruppe hatte Cuhorst, zu letzterer hatten Rothaug und Oeschey gehört.138 b) Mit Todesstrafe belegte Straftaten Daraufhin ging das Gericht auf die immense Anzahl an Straftatbeständen ein, die unter dem „Dritten Reich“ mit der Todesstrafe belegt gewesen waren.139 Diese Delikte ordnete das Gericht grob in sieben Kategorien ein140: – Maßnahmen gegen Gewohnheitsverbrecher; – Maßnahmen gegen Plünderungen im Rahmen der Ausnutzung der kriegsbedingten Verdunkelung; – Kriegswirtschaftsverbrechen; – Wehrkraftzersetzung und Verstöße gegen das Heimtückegesetz; – Landes- und Hochverrat; – Verstöße gegen die PoStraV bzw. Diskriminierung aufgrund rassistischer Gesetze; – NN-Verfahren. Bezüglich der ersten vier Gruppen zeigten sich die amerikanischen Richter erstaunlich verständig141 und zogen Parallelen zu ihrem eigenen Rechtswesen. Sie stellten fest, dass harte Strafen in außergewöhnlichen Notzeiten, wie beispielsweise einem Krieg, zur Abschreckung von Straftätern nachvollziehbar seien und daher nicht als VGM oder Kriegsverbrechen gesehen werden könnten.142 Das Gericht zog bezüglich der Bestrafung von Gewohnheitsverbrechern einen Vergleich zu der amerikanischen „Three-Strikes“-Gesetzgebung, bei der ein Täter, der mehr als zwei Mal verurteilt worden ist, lebenslänglich in Gefängnis muss, also auch härteste Strafen zu fürchten hat.143 Wenn diese Praxis in den USA schon alltäglich toleriert werde, dürfe man sich nicht anmaßen, die Verhängung von Todesstrafen während des Krieges zu verurteilen.144 Die Gesetze, die Wehrkraftzersetzung und Verstöße gegen das Heimtückegesetz betrafen, hätten die Re137
Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 95. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 95. 139 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 95 ff. 140 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 95. 141 Sehr kritisch Steiniger, in: ders./Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 25 ff.; Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (716 ff.). Vgl. auch Safferling, in: 1. Rosenburg-Symposium, S. 20; Haensel, in: DRZ 1948, 40 (42). 142 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 96. Vgl. auch Urteil des LG NürnbergFürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 291. 143 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 96. 144 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 96 f. 138
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
defreiheit zwar massiv eingeschränkt und somit demokratische Grundrechte verletzt.145 Dennoch müsse stets berücksichtigt werden, dass sich Deutschland in einem „totalen Krieg“ befunden und gedroht habe, im Chaos zu versinken.146 Auch in den USA sei es darüber hinaus möglich, die Meinungsfreiheit zu beschränken, wenn dadurch militärische Belange oder die Sicherheit und Ordnung gefährdet würden.147 Zwar werde oftmals vorgebracht, dass Deutschland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg geführt habe und daher nicht nach völkerrechtlichen Maßstäben zu beurteilen sein dürfe.148 Allerdings überzeugte das Gericht diese „Lehre vom Angriffskrieg“ nicht.149 Es könne nämlich keinem der Angeklagten per se vorgeworfen werden, ein Verbrechen gegen den Frieden begangen zu haben bzw. Teil einer solchen Verschwörung gewesen zu sein.150 Andernfalls wäre jeder Deutsche, der sich irgendwie militärisch betätigt habe, ein Kriegsverbrecher.151 Außerdem seien die Gebietseroberungen durch Deutschland ohnehin völkerrechtlich nichtig gewesen, da Deutschland den Krieg verloren und vollständig kapituliert habe.152 Daher wurde keiner der Angeklagten aufgrund der Verkündung oder Anwendung von Gesetzen verurteilt, die mit den ersten vier Kategorien in Verbindung standen.153 Interessant ist in diesem Kontext die Absage an die „Lehre vom Angriffskrieg“. Immer hatte sich das Gericht damit gegen die „Kollektivschuldtheorie“ ausgesprochen, die den alliierten Richtern häufig vorgeworfen worden war154. Eine Strafbarkeit stellte das Gericht allerdings bezüglich der letzten drei Kategorien fest, welche das Gericht – im Aufbau des Urteils nicht ganz genau herausgearbeitet – sowohl als VGM als auch als Kriegsverbrechen einordnete.155 aa) Hoch- und Landesverrat Grundsätzlich stände es einer Besatzungsmacht zu, auf besetztem Gebiet im Rahmen der Haager Konventionen auch gegen Einwohner vorzugehen, wenn sich diese militärisch gegen die Besatzung auflehnten.156 Es sei auch völkerrechtlich nicht zu beanstanden, „dass Polen, die freiwillig ins Altreich kamen, nach den 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156
Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. Vgl. Kapitel 1 § 3. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S.
96. 96. 96. 96 f. 97. 96 f. 97. 97. 97. 97 ff. 98.
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Kriegsgesetzen für die Verletzung nicht-diskriminatorischer deutscher Strafrechtsbestimmungen bestraft werden konnten.“ 157 Allerdings, so wiederholte das Gericht, sei die Annexion Polens völkerrechtlich nichtig gewesen.158 Die Verurteilung eines polnischen Staatsbürgers wegen Hochverrats sei daher unter keinen Umständen möglich gewesen, da Polen kein Teil Deutschlands und so der Tatbestand des § 80 RStGB nicht erfüllt gewesen sei.159 Insbesondere diejenigen Staatsanwälte, die derartige Anklageschriften verfasst hatten, um Fluchtversuche polnischer Bürger aus dem Deutschen Reich mit dem Tode bestrafen zu können, machte das Gericht für dieses Verbrechen verantwortlich.160 Sowohl den Tatbestand des Kriegsverbrechens, als auch den des VGM, sah das Gericht hierdurch als erfüllt an.161 bb) NN-Erlass Als einen der größten Tatkomplexe behandelte das Gericht die NN-Sachen, die von der Anklage als Kriegsverbrechen und VGM gewertet worden waren.162 Die Richter teilten diese Einschätzung.163 Die Zivilbevölkerungen der besetzten Länder seien im Rahmen des NN-Programms derartig terrorisiert worden, „dass Juristen und Laien zivilisierter Nationen [. . .] kaum glauben können, dass die Justiz der Nazis so grausam und unbarmherzig [. . .]“
gewesen sei.164 Zuständig für die NN-Verfahren seien das Justizministerium, das OKW und die Gestapo gewesen, während Altstötter, v. Ammon, Engert, Joël, Klemm, Mettgenberg und Schlegelberger mit dem organisatorischen Teil der NN-Sachen, insbesondere der Gesetzgebung, eine „besondere Verantwortlichkeit“ zugekommen sei.165 Es seien die gleichen Beweise eingebracht worden, die auch im IMT-Verfahren gegen die NN-Sachen angeführt worden waren und auch die rechtliche Wertung, nämlich die Völkerrechtswidrigkeit dieser NN-Verfahren, teilten IMT und der Gerichtshof.166 Insbesondere war für das Gericht relevant, dass Schlegelberger den Erlass am 07.02.1942 unterzeichnet und damit das NN-Programm in Gang 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166
Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit
(Hrsg.), Juristenurteil, S. 98. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 97 f. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 98. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 98. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 98. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 101, 122 ff. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 101, 122. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 125 f. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 101 f. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 102 ff.
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
gesetzt habe.167 Ausgefertigt sei dieser dann von Mettgenberg und von v. Ammon worden, wobei letzterer unter anderem die Zuteilung der NN-Sachen an die Sondergerichte und den Volksgerichtshof ausgearbeitet habe.168 Rothenberger und Lautz seien über die Vorgänge informiert worden.169 Das Gericht kritisierte die völlige Geheimhaltung des Programms, die Unterbringung der Häftlinge in KZs und die „Rechtsfolge“, die unabhängig vom Verfahrensausgang in einer anonymen Internierung bestanden hatte.170 Die Prozesse seien selbst für Nazi-Verfahren ungewöhnlich gewesen.171 Durch die Zusammenarbeit von Justizministerium, Staatsanwaltschaften, Richtern, Gestapo und OKW sei auch der letzte Rest von verfahrensrechtlichen Mindeststandards beseitigt worden.172 Viele NN-Gefangenen seien darüber hinaus in der Rüstungsindustrie als Zwangsarbeiter eingesetzt worden.173 Über Gnadenersuche sei regelmäßig negativ entschieden worden.174 Es habe mehrere tausend Opfer gegeben.175 Völkerrechtlich problematisch hätten die Nazis den Fall gesehen, wenn NN-Gefangene Staatsangehörige „von Ländern waren, die nicht von der Naziwehrmacht besetzt waren.“ 176 Sofern gegen diese „unechten NN-Gefangenen“ zusammen mit „echten NN-Gefangenen“ verhandelt worden sei, seien aber die normalen NN-Vorschriften anzuwenden gewesen.177 Mit Beendigung des Programms im Herbst 1944 seien die NN-Sachen der Gestapo übertragen worden, woraufhin alle Verfahren ausgesetzt und die NN-Gefangenen aus den justiziellen Gefängnissen und dem Justizgewahrsam der Gestapo übergeben worden seien.178 Völkerrechtlich sei die Zivilbevölkerung stets eine zu schützende Gruppe gewesen, was durch die Haager Konventionen auch kodifiziert worden sei.179 Bereits durch die Pariser Konferenz von 1919 sei auch die Verschleppung von Zivilisten als völkerrechtswidrig anerkannt worden.180 Das KRG10 werte gemäß Art. II Nr. 1 b) „die Verschleppung der Zivilbevölkerung aus den besetzten Gebieten zur Zwangsarbeit oder zu irgendeinem anderen Zweck“ als Kriegsverbrechen, die „Versklavung, Verschleppung, Inhaftierung jeglicher Zivilisten“ gemäß 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178 179 180
Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit
(Hrsg.), Juristenurteil, S. 106. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 108 ff. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 109 f. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 111 ff. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 113 ff. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 113. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 120. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 120. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 119, 122. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 116. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 116. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 121. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 124 f. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 122.
§ 14 Urteil
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Art. II Nr. 1c) als VGM.181 Hervorzuheben sei, dass die NN-Sachen hauptsächlich zur Bekämpfung politischer Feinde eingesetzt worden seien.182 Stets habe die Terrorisierung der Zivilbevölkerung, von Angehörigen und Freunden der Verschleppten, also Kollektivbestrafung, im Vordergrund gestanden.183 Das habe sich auch darin gezeigt, dass die NN-Angeklagten „keiner schweren Verbrechen beschuldigt waren und verhältnismäßig leichte Urteile erhielten oder freigesprochen wurden“, also von ihnen keine Gefahr ausgegangen sei.184 Außerdem habe die Zivilbevölkerung ja gar nicht gewusst, welche Verhaltensweisen den Gefangenen vorgeworfen worden waren, sodass sie selbst ein entsprechendes Verhalten hätten einstellen können.185 Da also nach Völkerrecht Verschleppungen von Zivilisten stets ein Verbrechen darstellten, sei es unerheblich, dass die Angeklagten mit Aspekten der Sicherheit und Ordnung argumentierten, die aber ohnehin nicht zutreffend seien.186 Der Einsatz von Zivilisten in der Rüstungsindustrie und deren „Gefangenhaltung [. . .] unter unmenschlichen Bedingungen“ verletzte zudem die Pariser Konferenz von 1919.187 Darüber hinaus habe das NN-Programm gegen Art. 5, 23 h), 43 und 46 HLKO verstoßen.188 Alle Angeklagten hätten zu ihrer Verteidigung vorgebracht, aufgrund von Staatshoheitsakten und Befehlen gehandelt zu haben.189 Das Gericht schloss sich in diesem Fall dem IMT an, dass ein solches Vorbringen dem Sinn eines völkerrechtlichen Verfahrens widerspreche und es demnach unberücksichtigt bleiben müsse.190 Der genaue Umfang der Beteiligung und die Schuld der Angeklagten wurde dann im Besonderen Teil des Urteils beleuchtet.191 cc) Rassistische Gesetze Die antijüdische und antipolnische Gesetzgebung per se sei nach Urteil des Gerichts bereits ein Kriegsverbrechen und ein VGM.192 Denn Gesetze wie das BluSchuG, die PoStraV und das Abkommen über Korrekturen von Gerichtsurteilen durch die Polizei erfüllten den Tatbestand „des umfassenden Vorhabens oder 181
Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit 183 Peschel-Gutzeit 184 Peschel-Gutzeit 185 Peschel-Gutzeit 186 Peschel-Gutzeit 187 Peschel-Gutzeit 188 Peschel-Gutzeit 189 Peschel-Gutzeit 190 Peschel-Gutzeit 458 (458 f.). 191 Peschel-Gutzeit 192 Peschel-Gutzeit 182
(Hrsg.), Juristenurteil, S. 123. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 121 f. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 122 f. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 123. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 124. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 123 f. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 126. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 126. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 126 f. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 126 f. Vgl. auch Graefrath, in: NJ 1967, (Hrsg.), Juristenurteil, S. 126. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 128.
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
Planes rassischer Verfolgung und Ausrottung“.193 Insbesondere habe für die PoStraV auch keine militärische Notwendigkeit im Sinne der HLKO bestanden und verletzte so Art. 23 h), 43 und 46.194 Der Vorwurf, den das Tribunal der NSJustiz machte, war der folgende: „Wenn auch die vom Justizministerium bei der Ausrottung von Polen und Juden gespielte Rolle klein war im Vergleich zu der Massenausrottung von Millionen durch die SS und Gestapo in den Konzentrationslagern, so haben doch die Gerichte in großem Maße zu der „Endlösung“ dieses Problems beigetragen.“ 195
Rothenberger, Joël, Schlegelberger, Klemm und Lautz waren nach Ansicht des Gerichts dafür verantwortlich oder darüber informiert gewesen.196 Das Tribunal widmete sich daraufhin dem Verteidigungseinwand der Angeklagten, dass man um die Geschehnisse in den KZs und die Paralleljustiz durch die Polizei nichts gewusst habe.197 Das Gericht führte zahlreiche Beweismittel an, die dem widersprachen.198 Darunter war u. a. ein Brief, in dem „Rechtsunklarheit [. . .] bei der Behandlung der sogenannten Zivilpolen“ bemängelt wurde, wenn „nämlich in manchen Fällen die Gerichte auf zwei oder drei Jahre Gefängnis erkennen, wohingegen die Staatspolizei für dasselbe Delikt die Todesstrafe aussprechen würde.“ 199 Außerdem sei es widersprüchlich, wenn manche Angeklagte angeblich nur deshalb im RMJ geblieben seien, um die immer weiter ausufernde Übernahme durch die Polizei zu unterbinden, sie aber gleichzeitig nichts von diesen Vorgängen gewusst hätten.200 Selbst wenn die Einwände zuträfen, was unwahrscheinlich sei, seien die Gesetze, die dieses Vorgehen unterstützten, dennoch öffentlich gemacht worden und eindeutig gewesen.201 Außerdem müssten tausende Personen an der organisierten Massentötung beteiligt gewesen sein, um den logistischen Aufwand zu stemmen.202 Bezüglich der Vorgänge in den von Deutschland okkupierten Gebieten lagen nach Ansicht der Richter sowohl Kriegsverbrechen, als auch VGM vor.203 Verfolgungshandlungen gegen deutsche Staatsangehörige im Altreich waren VGM.204 193
Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 128 ff. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 138. Allerdings sei die Auslegung von Art. 23 h) in der Wissenschaft umstritten. 195 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 140. 196 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 130, 136, 138 f. 197 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 140. 198 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 135 ff. 199 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 140. 200 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 140 f. 201 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 141 f. 202 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 141 f. 203 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 142. 204 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 142. Ob dies auch für Ausländer, die auf deutschem Gebiet Opfer der deutschen Justiz geworden waren, zutreffe, erörterte das Gericht nicht. 194
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Alle Angeklagten konnten grundsätzlich an der Verfolgung der Juden und Polen in irgendeiner Weise mitgewirkt haben, sei es durch den Erlass von Gesetzen oder deren Anwendung oder gar deren Pervertierung.205 Dieser individuelle Tatbeitrag wurde im Besonderen Teil des Urteils für jeden Angeklagten gesondert geprüft.206 V. Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen Die allgemeinen Ausführungen des Gerichts zu den verbrecherischen Organisationen waren relativ kurz. Die Mitgliedschaft in der Gestapo wurde keinem der Angeklagten in diesem Verfahren vorgeworfen, weshalb sich das Gericht auf die übrigen drei Gruppierungen fokussierte.207 Bezüglich der Mitgliedschaft in SS, SD und Führerkorps erklärte das Gericht lediglich, dass es zwar ohnehin an die Feststellung der Strafbarkeit durch das IMT gebunden sei. Das vorgebrachte Beweismaterial in diesem Verfahren lasse aber auch gar keinen anderen Schluss zu.208 VI. Urteil zur Conspiracy Die Conspiracy hatte, wie oben209 bereits erwähnt, einen wesentlichen Einfluss auf den Umfang der Anklage und damit auch auf die voraussichtlich zu erwartenden Strafen. Neben der Mehrheitsmeinung210, gab Richter Blair eine Dissenting Opinion ab.211 Blair erklärte zunächst, dass diejenigen Angeklagten, die unter Anklagepunkt I wegen einer Conspiracy im Rahmen des NN-Erlasses und der Verfolgung der Juden und Polen durch die Prosecution beschuldigt worden waren, letztlich nicht wegen einer Verschwörung zu diesen, aber wegen der Durchführung dieser Taten verurteilt würden.212 Dieser Durchführung liege aber denknotwendig auch ein Plan oder ein gemeinsames Vorhaben zugrunde. Deshalb sei eine Verurteilung wegen Verschwörung zur Begehung von Kriegsverbrechen und VGM sehr wohl möglich gewesen, durch die Ablehnung der Strafbarkeit einer Conspiracy betreibe man letztlich nur ein Spiel mit Worten.213 Denn genau genommen definiere das KRG10 in seinem Art. II Nr. 2 die Conspiracy, wenn es alle möglichen Beteiligungsformen nenne, die man mit „Hilfeleistung“
205
Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 127 f. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 142. 207 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 100 f. 208 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 100 f. 209 Siehe Kapitel 3 § 12. 210 Vgl. auch Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 225. 211 Hierzu Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 57. 212 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 242. 213 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 242 ff. Zustimmend Steiniger, in: ders./ Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 18 f. 206
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
oder „Begünstigung“ umschreiben könne und die „Planung oder Ausführungen“ voraussetzten.214 Zwischen den verschiedenen Begriffen gebe es keinen „materiellen Unterschied“.215 Hierin unterscheide sich auch der Wortlaut des Art. 6 c) IMT-Statuts immanent von dem des KRG10, sodass auch die Auslegung des IMT in dieser Frage keine Rolle spiele.216 Das IMT habe aber auch nicht negativ festgestellt, dass es im völkerrechtlichen Kontext keine Verschwörung zu Kriegsverbrechen und VGM gebe, sondern nur, dass eine derartige Anklage nach dem IMT-Statut nicht vorgesehen sei.217 Letztlich sei die Verschwörung zur Begehung von Kriegsverbrechen und VGM nur deshalb nicht als eigener materieller Straftatbestand in Art. II Nr. 1 KRG10 aufgeführt, da eine Conspiracy denklogisch mindestens zwei Beteiligte voraussetze, sodass die Begehungsform systematisch in Art. II Nr. 2 KRG10 verortet worden sei.218 Dafür sprechen auch zwei weitere systematische Argumente: Zum einen hätte ein derartiges selbstständiges Delikt nicht eigens unter der Überschrift „Verschwörung“ aufgeführt werden müssen, wenn der Tatbestand „sich selbst definieren und sowohl in tatsächlicher wie in rechtlicher Beziehung eine Verschwörung darstellen“ würde.219 Zum anderen seien auch in Art. I VO7 explizit „Conspiracies“ der Zuständigkeit des Militärgerichtshofes unterworfen, was nur dann einen Sinn ergebe, wenn auch das KRG10 derartige Taten anerkennen würde.220 Blair berief sich also auf Argumente, die Haensel in seinem Gutachten bereits zu entkräften versucht hatte. Weiterhin nannte Blair das (eher schwache) Argument, dass auch die Prosecution von einer Conspiracy ausgegangen war, als sie die Anklageschrift verfasst hatte und sich dabei auf Art. II KRG10 bezogen habe.221 Falls sich die Angeklagten in Bezug auf den NN-Erlass darauf beriefen, dass es gar keinen gemeinsamen Plan habe geben können, an dem sie mitgewirkt hätten, da Hitler als Diktator geherrscht und eine Beteiligung der Angeklagten an seinem Plan gar nicht zugelassen habe, könne man einwenden, dass auch nach der Rechtsprechung des IMT für einen derartigen Plan ausreichend sei, dass ihn eine einzelne Person erdacht habe und sich die Angeklagten diesen Plan zu eigen gemacht hätten.222 214
Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 242 ff. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 242 f. 216 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 243 f.; vgl. auch Taylor, Kriegsverbrechen, S. 45 f., 127 f. 217 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 243. 218 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 244. 219 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 244. 220 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 244 f. Dieses Argument erschließt sich nur in der englischsprachigen Fassung des Urteils sowie der Ordinance Nr. 7. Denn in den deutschen Sprachfassungen variieren die Begriffe, die für Verschwörung bzw. Conspiracy gewählt wurden: „Verabredung zur Begehung“. 221 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 245. 222 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 245 f. 215
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„Ein noch vollkommenerer Plan oder ein noch vollkommeneres Vorhaben zum Beweis einer Verschwörung zur Begehung von Verbrechen könnte kaum entworfen werden, als es die Vereinbarung war, die zwischen dem OKW, dem Justizministerium und der Gestapo abgeschlossen wurde, um den Hitlerschen [sic] ,Nacht-und-Nebel‘Erlaß auszuführen und in die Tat umzusetzen.“ 223
C. Besonderer Teil: Strafbarkeit Rothaugs Der Besondere Teil widmete jedem Angeklagten einen eigenen Abschnitt und orientierte sich dabei an den zur Verteidigung vorgebrachten Einwänden.224 Die Ausführungen zu den einzelnen Angeklagten waren unterschiedlich umfangreich. Das Gericht begann die Urteilsbegründung gegen Rothaug damit, dass man Rothaug die Kenntnis von und Teilnahme an schon bewiesenen Verbrechen zu beweisen versuchte.225 Dabei wurde berücksichtigt, dass Rothaug neben den im Verfahren offengelegten Quellen, insbesondere wegen seiner hierarchischen Stellung in Partei und Justiz, politische Kontakte gepflegt hatte.226 Hervorgehoben wurde seine Beziehung zum SD, denn als „ehrenamtlicher Mitarbeiter“ sei er mehr als nur ein Vertrauensmann gewesen und habe sogar den Geheimhaltungseid geleistet.227 I. Anklagepunkte II und IV Zu der Frage, ob Rothaug wegen Kriegsverbrechen schuldig sei, führte das Gericht nur lapidar aus, dass nach dem „vorgelegten Beweismaterial“ keine Verurteilung möglich sei.228 Etwas ausführlicher beschäftigte sich das Gericht mit der Frage, ob Rothaug unter Anklagepunkt IV, also der Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation, schuldig sei. Denn hier sei zu beachten, dass Rothaug nicht wegen Mitgliedschaft im SD, sondern wegen seiner Tätigkeit als Gauwalter im Rechtswahrerbund angeklagt sei.229 Allerdings sei der Rechtswahrerbund nur eine „Parteiformation“ und nicht eine Untergliederung des „Führerkorps“ gewesen, sodass auch Anklagepunkt IV nicht einschlägig sei.230
223 224 225 226 227 228 229 230
Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 246. Peschel-Gutzeit, in: dies. (Hrsg.), Juristenurteil, Vorwort S. 7. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 194. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 194. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 194. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 195. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 195. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 195; Kraus, KRG10, S. 141.
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II. Anklagepunkt III Interessant ist, dass lediglich drei der Richtersprüche Rothaugs zu dessen Verurteilung führten, obwohl er in einer Vielzahl von Verfahren eine nationalsozialistische Verhandlungsführung an den Tag gelegt hatte.231 Das Gericht beschränkte das vorgelegte Beweismaterial nämlich aufgrund des Umfangs und konzentrierte sich auf dasjenige, dass die Beteiligung an „dem Plan der Verfolgung, Unterdrückung und Vernichtung von Polen und Juden“ zum Inhalt hatte.232 Auf die Beteiligung am NN-Erlass, welche das Gericht im Allgemeinen Teil noch jedem Angeklagten zugerechnet hatte, ging es folglich im Besonderen Teil nicht mehr ein. Das Gericht nannte Zeugen, auf deren Aussage die Verurteilung Rothaugs insbesondere gestützt wurde.233 Bedeutsam waren dabei die an dem KatzenbergerProzess beteiligten Charaktere: die beiden Beisitzer Ferber und Hoffmann, der Staatsanwalt Markl sowie die Untersuchungsrichter Groben und Ankenbrand. Ebenfalls zu nennen ist der Leiter der SD-Rechtsabteilung Elkar sowie der unter Rothaug Angeklagte234 Pater Schosser235. Das Gericht berief sich insbesondere auf die Aussagen Elkars, dass Rothaug durch diskriminierende Auslegung der bestehenden Gesetze versucht habe, „Lücken“ zu schließen; dies habe die „Aussonderung von Polen und Juden zur Sonderbehandlung“ umfasst.236 Weiterhin berief sich das Gericht auf die Aussage des Mitangeklagten Oeschey, dass sich Rothaug eine derartige Sonderbehandlung auch für gewisse Deutsche gewünscht habe.237 In Bezug auf die Verhandlungsführung warfen die Richter Rothaug vor, Mindeststandards rechtsstaatlicher Verfahren verletzt zu haben.238 Von der Vielzahl der Urteile, die die Prosecution gegen Rothaug vorgebracht hatte, wurden nur drei zur Urteilsfindung herangezogen. Diese waren die Fälle Durka/Struss, Lopata und Katzenberger, also – wie das Gericht bereits angedeutet hatte – Urteile gegen Polen und Juden. Das Gericht stellte zunächst jeweils die Sachverhalte fest und ging dann auf das juristische Fehlverhalten Rothaugs ein. In dem Verfahren Durka und Struss, in welchem zwei polnische, teils minderjährige Zwangsarbeiterinnen vor dem Sondergericht Nürnberg innerhalb eines Tages zum Tode verurteilt worden waren, waren das Alter der Polinnen und die 231
Vgl. HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 10 ff. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 195. 233 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 195, 200. 234 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 196. 235 Vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 121 ff. 236 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 195, 199. 237 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 196. 238 Vgl. HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 14 f. 232
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Schnelligkeit des Verfahrens die wesentlichen, vom Gericht beanstandeten Punkte. Das Tribunal ging auf die Aussage Rothaugs ein, dass die Brandstiftung im Rüstungsbetrieb bewiesen gewesen und die Schnelligkeit des Verfahrens rechtlich verlangt worden sei.239 Dennoch war sich der Gerichtshof sicher, dass das gegen Durka und Struss ergangene Urteil rechtswidrig gewesen war: Aufgrund der Kürze und Schnelligkeit des Verfahrens habe nicht mit Sicherheit gesagt werden können, was sich am Tattag tatsächlich zugetragen habe.240 Aber auch aus prozessualer Sicht sei das Urteil zu beanstanden. Denn zum einen seien die angeklagten Polinnen im Vergleich mit Deutschen rechtlich diskriminiert worden. Als Siebzehnjährige hätten deutsche Straftäter nämlich unter dem Schutz des Jugendstrafrechts gestanden und weder eine Verhandlung vor dem Sondergericht, noch die Todesstrafe fürchten müssen.241 Zum anderen sei Rothaug als Polen-Hasser befangen gewesen, sodass die beiden Frauen „im Einklang mit dem nationalsozialistischen Vernichtungsplan, nur weil sie polnische Staatsangehörige waren“, getötet worden seien.242 Das ganze Verfahren sei also in Wahrheit ein Schauprozess gewesen.243 Im Verfahren gegen Lopata, der nach einer Nichtigkeitsbeschwerde in einem zweiten Verfahren zum Tode verurteilt worden war, entdeckte das amerikanische Gericht Auffälligkeiten in der Verhandlungsführung und in der Urteilsbegründung.244 Zum einen sei eine polnische Zeugin, die bei der Tat anwesend gewesen sein soll, nicht als Zeugin gehört worden, was sich das Gericht mit der Aussage Rothaugs, „dass er nie einen polnischen Zeugen gehabt“ habe, erklärte.245 Zum anderen sei die Urteilsbegründung erstaunlich, da Rothaug in dieser von seiner nationalsozialistischen und rassistischen Ideologie keinen Hehl gemacht habe. So habe der Angeklagte eine „abartige [. . .] Persönlichkeit“, „die ganze Minderwertigkeit des Angeklagten liegt auf charakterlichem Gebiet und ist offensichtlich in seiner Zugehörigkeit zum polnischen Untermenschentum begründet“.246 Des Weiteren habe nach Rothaugs Ansicht die Justiz abschreckend gegen Straftaten polnischer Fremdarbeiter tätig werden und so mit den härtesten Strafen gegen „derartige Terrorakte“ vorgehen müssen.247 Dass der Angeklagte mit seiner Tat nicht nur die Ehre der Frau, sondern zugleich die „Reinhaltung des deutschen Blutes“ bedroht habe, habe die Tat zu einer besonders schweren gemacht, sodass
239 240 241 242 243 244 245 246 247
Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit
(Hrsg.), Juristenurteil, S. 197. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 197. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 197. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 197. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 197. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 198 f. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 198. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 199. (Hrsg.), Juristenurteil, S. 199.
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nach der Ansicht Rothaugs gemäß der PoStraV die Todesstrafe obligatorisch gewesen sei.248 Da die Verurteilung Lopatas somit rassistisch motiviert gewesen sei, könne sie nach Ansicht des Militärgerichtshofs nicht rechtmäßig erfolgt sein. Zuletzt ging das Tribunal auf das Verfahren des wegen Rassenschande zum Tode verurteilten Katzenberger ein. Die Feststellungen des Gerichts in der Sache Katzenberger stützten sich insbesondere auf die Zeugenaussagen der Untersuchungsrichter Groben und Ankenbrand, des Staatsanwalts Markl, der Beisitzer Ferber249 und Hoffmann, des medizinischen Sachverständigen Bauer und des für die Gnadensachen zuständigen Georg Engert.250 Rothaug habe das Verfahren gegen Katzenberger vor dem Sondergericht, so die Aussage Markls, aufgrund seiner Freundschaft mit Schröder, erster Staatsanwalt und Vorgesetzter Markls, veranlassen können.251 Rothaug habe Markl vorab unterrichtet, dass die Rassenschande beweisbar sei und Rothaug „bereit sei, ihn zum Tode zu verurteilen“.252 Daraufhin habe das Justizministerium auf Nachfrage Markls das Verfahren genehmigt.253 Das Urteil gegen Katzenberger sei rechtswidrig ergangen. Die strafrechtlich relevante Feststellung einer sexuellen Beziehung zwischen Katzenberger und Seiler sei schon alleine deshalb fehlerhaft, weil Katzenberger damit auch ein Zeitabschnitt zur Last gelegt worden sei, der sich vor Erlass des BluSchuG abgespielt habe, als also Rassenschande noch gar kein Straftatbestand gewesen war.254 Bezüglich der Anwendung der VVO gingen die Richter ebenfalls hart mit Rothaug ins Gericht.255 So habe lediglich festgestanden, „dass der Gatte der Angeklagten Seiler sich an der Front befand und dass Katzenberger bei einer oder möglicherweise zwei Gelegenheiten sie nach Einbruch der Dunkelheit besucht habe“.256 Daraufhin zitierte das Gericht kommentarlos aus dem Katzenberger-Urteil.257 Katzenbergers „Tat“ wird darin als „besonders verwerflich“, die Volksgemeinschaft als schützenswertes Gut, bezeichnet.258 Katzenberger habe – nach Feststellung des von Rothaug und Ferber abgesetzten Urteils – durch seine nächtlichen Besuche beabsichtigt, das Verhältnis zu Seiler „warmzuhalten“, weswegen es unbeachtlich gewesen sei, dass Seilers Ehemann bei den Besuchen zum Teil 248 249
Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 199. Wird in der Veröffentlichung von Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.) „Gerber“ ge-
nannt. 250 251 252 253 254 255 256 257 258
Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 269. Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 269. Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 270. Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 270. Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 270 f. Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 271 f. Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 271. Steiniger/Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 271 f. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 202.
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anwesend gewesen sei.259 Daher habe auch Herr Seiler entgegen Katzenbergers Antrag nicht als Zeuge geladen werden müssen.260 Aus dem Wortlaut des Katzenberger-Urteils folgerten die amerikanischen Juristen also ebenfalls die Rechtswidrigkeit des ganzen Strafverfahrens.
D. Mildernde Umstände und Strafzumessung Rothaug hatte nach Ansicht des Gerichts in Kenntnis und zur Unterstützung der Vernichtungspolitik Hitlers gehandelt. Denn Katzenberger habe nur aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Judentum verurteilt werden können und sei auch ausschließlich aufgrund seiner Religion hingerichtet worden. Ebenso seien Durka, Struss und Lopata nur aufgrund ihrer polnischen Staatsangehörigkeit verurteilt worden.261 Dass die Zahl derjenigen, die durch Gerichtsurteile getötet worden waren, geringer gewesen sei als die Zahl derjenigen, die beispielsweise durch die SS ermordet worden waren, sei irrelevant. Es steche gerade der Umstand hervor, dass die Opfer der NS-Justiz spätestens zu Beginn der Verhandlung hätten erkennen müssen, dass sie von den NS-Richtern kein gerechtes Urteil erwarten durften.262 Die Fälle, in denen Rothaug die PoStraV angewandt habe, müssten in einem Gesamtkontext – der Durchführung der NS-Ideologie – gesehen werden, sodass Rothaug auch insgesamt eine Beteiligung an der „rassischen Verfolgung“ und dem „Völkermord“ vorzuwerfen sei.263 Das Gericht bescheinigte Rothaug eine besondere Bösartigkeit und ideologische Verblendung. Er habe sich, trotz seiner anderslautenden Angaben, bereits vor der Urteilsfindung, manchmal sogar bereits vor Prozessbeginn, ein Urteil gebildet, wöchentlich mit dem SD-Mann Elkar zu Besprechungen getroffen und Informationen aus „zweifelhaften Polizeiaufzeichnungen“ gewonnen.264 Zu Rothaugs Charakter stellte das Gericht fest: „Auf diese Art und Weise machte er das Gericht zu einem Instrument des Terrors und erwarb sich damit Furcht und den Haß der Bevölkerung. Aus dem sowohl von seinen engsten Mitarbeitern als auch von seinen Opfern vorgebrachten Beweismaterial erkennen wir, dass Oswald Rothaug die Verkörperung der Naziintrige und Grausamkeiten in Deutschland darstellt. Er war und ist ein sadistischer und schlechter Mensch. Unter jedem gesitteten Rechtssystem wäre er angeklagt und aus dem Amt entfernt oder verurteilt worden wegen Amtsmißbrauch auf Grund seiner systematischen Boshaftigkeit, mit welcher er Ungerechtigkeit schuf. [. . .] In seinem Fall finden wir keine mildernden Umstände, kein entlastendes Moment.“ 265 259 260 261 262 263 264 265
Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit Peschel-Gutzeit
(Hrsg.), Juristenurteil, S. (Hrsg.), Juristenurteil, S. (Hrsg.), Juristenurteil, S. (Hrsg.), Juristenurteil, S. (Hrsg.), Juristenurteil, S. (Hrsg.), Juristenurteil, S. (Hrsg.), Juristenurteil, S.
202 f. 203. 204. 204. 204. 204. 204 f.
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
Infolgedessen wurde Rothaug, insbesondere aufgrund der von ihm gesprochenen rassistisch motivierten Urteile266, wegen VGM zu lebenslanger Haft verurteilt267, wobei die verbüßte Untersuchungshaft auf die Strafe angerechnet wurde268, die Strafzeit damit am 30.05.1945 begonnen hatte269 und im War Criminal Prison in Landsberg270 vollstreckt wurde271.
E. Stellungnahme zum Urteil Bei der Lektüre des Urteils und insbesondere der Passagen zu Rothaugs Charakter erschließt sich erneut die Verachtung und Missbilligung, die die Richter Rothaug entgegenbrachten und die schon aus jeder Zeile der Anklageschrift hervorgetreten waren. In diesem Sinne scheinen sich die Probleme bei der Verteidigung Rothaugs, die sich von Anfang an abgezeichnet hatten, letzten Endes auch bewahrheitet zu haben. Da Rothaugs Fall besonders schwer wog und er folglich auch die höchste Strafe im Verfahren erhielt, ist zu untersuchen, wie seine Verurteilung im Gesamtkontext des Verfahrens zu begreifen ist. I. Strafen 1. Strafrahmen der Angeklagten Der Strafrahmen im Juristenurteil variierte stark: Während vier der Angeklagten (Barnickel, Cuhorst, Nebelung, Petersen) freigesprochen worden waren, wurden Klemm, Oeschey, Rothaug und Schlegelberger zu lebenslanger Haft verurteilt.272 Die übrigen Angeklagten erhielten fünf 273, sieben274 oder zehn275 Jahre 266
Vgl. auch Taylor, Kriegsverbrechen, S. 66. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 205, 247. 268 Kraus, KRG10, S. 112; Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 247. 269 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 7d. 270 Hierzu Schott, Rothenberger, S. 174 mit Fn. 647. Im gleichen Gefängnis musste bereits Hitler ab dem 01.04.1924 eine fünfjährige Freiheitsstrafe verbüßen, die ihm allerdings am 20.12.1924 – rechtswidrigerweise – erlassen worden war. Hartmann et al. (Hrsg.), Mein Kampf, S. 13 ff., 88 f. mit Fn. 1. 271 HaStAMü, MJu 26696, Bezüge Frau Rothaug v. 10.06.1951 (o. S.); Abschrift zu III 14185/53 v. 22.12.1953 (o. S.); Anmeldung nach dem Gesetz zu Art. 131 GG v. 11.12.1953 (o. S.); Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 56. 272 Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 143 ff., 247; Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 297 f. Allerdings wurde nur für Cuhorst eine Begründung geliefert: Obwohl sein Wesen das „eines fanatischen Nazis und rücksichtslosen Richters“ gewesen sei, wurde er freigesprochen, da alle belastenden Beweise gegen ihn bei einem Luftangriff verbrannt waren. Zit. nach v. Miquel, in: Frei (Hrsg.), S. 176; Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 209 f. Andererseits hätten – im Gegensatz zu Rothaug – einige entlastende Beweise bzw. mildernde Umstände vorgelegen. Zu der interessanten Konstellation im Fall Barnickel siehe sogleich. 267
§ 14 Urteil
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Gefängnis, die verbüßte Untersuchungshaft wurde auf die Strafen angerechnet276. Bei einem Vergleich der einzelnen Verurteilungen mit den Berufsgruppen zeigt sich, dass alle ehemaligen Staatssekretäre und Beamten zu Haftstrafen verurteilt worden waren. Die Freisprüche betreffen damit ausschließlich Richter und Staatsanwälte. Interessant ist insbesondere der Aspekt, dass Richter und Staatsanwälte, die lediglich innerhalb der deutschen Grenzen „Recht“ gesprochen hatten, nur wegen VGM, jedoch nicht wegen Kriegsverbrechen, verurteilt worden sind.277 Die Juristin Wilke sieht hierfür zwei Gründe. Zum einen hätten sich die Amerikaner bei einer separaten Anklage wegen VGM „unsicher [. . .] gefühlt“. Zum anderen habe gerade der Aspekt, dass es sich bei den Angeklagten um deutsche Kollegen gehandelt habe, zu Schwierigkeiten bei der Rechtsfindung geführt.278 Letztlich dürfte die alleinige Verurteilung wegen VGM aber keinen Einfluss auf die Strafzumessung gehabt haben, wie sich an Rothaug zeigt. 2. Mildes Urteil? Ungeachtet davon, dass nach der Vorstellung der Prosecution in allen NMTVerfahren zu niedrige Strafen verhängt worden waren279, wurde den amerikanischen Richtern im NMT-Fall 3 auch von vielen Prozessbeobachtern eine unverständliche Milde gegenüber ihren deutschen Kollegen vorgeworfen280. Die „geringen“ Strafen erklären sich einige Stimmen in der Literatur dadurch, dass keine Verurteilung der Angeklagten aufgrund der Conspiracy erfolgte.281 Ob die Strafen im Juristenverfahren aber wirklich außer Verhältnis standen, lässt sich nur über einen Vergleich mit den Urteilen in den anderen NMT-Verfahren beantwor-
273 Josef Altstötter. Er wurde alleine wegen seiner Zugehörigkeit zur SS verurteilt. Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (718); Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 220 ff.; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 67. 274 Curt Rothenberger. 275 Wilhelm v. Ammon, Günther Joël, Ernst Lautz, Wolfgang Mettgenberg. Joël wurde später Justiziar beim Flick-Konzern. Vgl. StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 289, Hauptakten komplett 3, S. 569. 276 Kraus, KRG10, S. 112; Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 247; StAN, KVAnklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 129, 04.12.1947, S. 2. 277 Vgl. Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 769. 278 Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 298. 279 Vgl. Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 57. 280 Vgl. Kastner, in: JA 1997, 699 (703 ff.); Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 318; Schott, Rothenberger, S. 172 f.; Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 342; Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (714); Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 51; BAKo, B 305/140, S. 469. Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 11, empfindet die vier Freisprüche als „unvertretbar milde[s] Urteil“. Vgl. auch ebenda, S. 23, 35. Nach Schwartz, in: VjfZ 1990, 375 (379), wurden die NMT-Urteile im Laufe der Zeit immer milder. 281 Ostendorf/ter Veen, Juristenurteil, S. 26 f.; Steiniger, in: ders./Leszczyn ´ ski (Hrsg.), S. 19; Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (714).
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
ten. In den Nürnberger Nachfolgeprozessen wurden282 zunächst 185 Personen angeklagt, davon 177 verurteilt. Insgesamt wurden 25 Personen zum Tode verurteilt. Die Todesurteile verteilen sich auf den Ärzte-Prozess (sieben Todesurteile), den Prozess gegen das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS (vier Todesurteile), sowie den Einsatzgruppenprozess (14 Todesurteile). Freisprüche gab es neben dem Juristenprozess in neun anderen Verfahren (35 Freisprüche), lebenslange Urteile in sieben anderen Verfahren (20 lebenslange Strafen). Berücksichtigt man, dass diejenigen NMT-Verfahren, in denen Todesurteile ausgesprochen worden waren, in ihrem Kern die Verbrechen der SS und des SD behandeln, lässt sich also im Juristenurteil keine „besondere Milde“ der amerikanischen Richter erkennen.283 Die Strafen lagen vielmehr auf einer Linie mit den übrigen Urteilen. Aber auch wenn man das Juristenurteil als „milde“ ansehen würde, ließe sich dieser Einschätzung auch Positives abgewinnen: So spricht doch der Freispruch eines Angeklagten wie Cuhorst aus Mangel an Beweisen für das Bestreben, die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens zu gewährleisten.284 Auch der DDR-Jurist Steiniger lobte das Militärtribunal Nr. III trotz einiger Kritik, denn „[d]er antifaschistische Gehalt des Juristenurteils [sei] im Vergleich mit den Entscheidungen anderer Nürnberger Nachfolgeprozesse [. . .] unzweifelhaft größer“ gewesen.285 II. Rothaug im Vergleich Rothaug gilt auch heute noch als Inbegriff des ungerechten und „fanatischen“ Richters.286 Die Antipathie, die sowohl die Prosecution als auch die amerikanischen Richter gegen ihn hegten, wurde im Verfahren nur allzu deutlich. Da man es in einem Strafverfahren wie in allen anderen Bereichen des Lebens freilich auch mit menschlichen Individuen zu tun hat, die von natürlichen Emotionen
282 Zahlen nach Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 53; Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 760; Taylor, Kriegsverbrechen, S. 23, 50; Schwartz, in: VjfZ 1990, 375 (378); Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 61. Abweichende Zahlen bei Rückerl, Strafverfolgung, S. 29. 283 Vgl. auch Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 51, wonach insbesondere auch der immer schwächer werdende Rückhalt in der amerikanischen Bevölkerung und der „Kalte Krieg“ eine Rolle spielten. 284 Cuhorst war zwar nach Ansicht der Richter ein „fanatischer Nazi und rücksichtsloser Richter“ gewesen, die Beweise gegen ihn wurden aber bei einem Luftangriff vernichtet. Peschel Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 209 f.; v. Miquel, in: Frei (Hrsg.), S. 176; Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 298 Fn. 30; vgl. auch Perels, in: KJ 1998, 84; Kastner, in: JA 1997, 699 (703 f.); Andoor, in: ZJS 5/2015, 473 (483); Priemel/ Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 54. Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 30, kritisiert insbesondere Cuhorsts Freispruch in Bezug auf die Zugehörigkeit zu verbrecherischen Organisationen. 285 Steiniger, in: ders./Leszczyn ´ski (Hrsg.), S. 12 Fn. 3 mit S. 313. 286 Vgl. nur König, Rechtsanwälte, S. 135 f.; Friedrich, Freispruch, S. 18 f.; Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49.
§ 14 Urteil
317
geleitet werden287, dürfte dieser Umstand auch eine große Rolle für das Strafmaß gegen Rothaug gespielt haben288. Für die Verurteilung von Rothaug ist es interessant, seine berufliche Stellung als Richter am Sondergericht und Reichsanwalt am Volksgerichtshof mit derjenigen der übrigen Mitangeklagten zu vergleichen. Während Oeschey, ebenfalls Richter am Sondergericht Nürnberg, gleichfalls zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, wurde Cuhorst (ehemaliger Richter am Sondergericht Stuttgart) aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Barnickel, der „lediglich“ Reichsanwalt am Volksgerichtshof gewesen war, wurde ebenfalls freigesprochen. Lautz, der allerdings als Oberreichsanwalt von 1943 bis 1945 Rothaugs Vorgesetzter gewesen war, wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Da sich der Gerichtshof in seiner Urteilsbegründung gegen Rothaug lediglich auf drei Fälle bezog, in denen er als Richter gehandelt hatte, scheint es zu der Verurteilung nur aufgrund seiner Stellung als Richter am Sondergericht Nürnberg gekommen zu sein.289 Interessant wäre es gewesen, die genauen Gründe für Barnickels Freispruch zu analysieren. Diese lassen sich aber aufgrund eines Kuriosums nicht mehr aufklären. Denn während Barnickel im offiziellen deutschen Text des Urteils290, sowie in der britischen Druckausgabe291 noch wegen der Anklagepunkte II und III für schuldig befunden wurde, wurde er nach einem zeitlich später und ausschließlich englischsprachig erschienenen Annex292 von allen gegen ihn erhobenen Vorwürfen freigesprochen und aus der Haft entlassen293. Da dieser Annex keinerlei Begründung oder auch nur Bezugnahme zu dem vorherigen Schuldspruch beinhaltet, lassen sich keine weiteren Feststellungen hierüber treffen. Der Verteidiger Haensel vermutet, dass das Gericht einen „strengen Maßstab [. . .] an den subjektiven Tatbestand gelegt“ hatte, aus dem die vier Freisprüche letztlich resultierten.294 Diese Vermutung scheint zumindest nicht ganz abwegig zu sein. Denn aus den objektiven Umständen hätte man gerade bei Nebelung, der ein Senatspräsident am Volksgerichtshof gewesen war, durchaus die Kenntnis von der Völkerrechtswidrigkeit des Handelns vermuten können. Somit
287
Hamm, in: NJW 2006, 2084 (2086); vgl. auch Kudlich/Oberhof, in: JA 2006, 463
(467). 288
Vgl. für den IMT-Prozess Seliger, Politische Anwälte, S. 11. So auch die Schlussfolgerung von Kößl, vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI Pe 18, S. 2. 290 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI S1, Urteil Teil 2, S. 290 ff. 291 Vgl. Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 208. 292 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI Se5, S. 1; US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 1156; Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 208 Fn. 293 Allerdings wird auch im „Daily Report“ der Prosecution von einem Freispruch Barnickels gesprochen. StAN, KV-Anklage, Daily Reports Nr. 6, Justice Case, Report No. 129, 04.12.1947, S. 1. 294 Haensel, in: DRZ 1948, 40 (43). 289
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Kap. 3: Ablauf des Prozesses, Verteidigung und Urteil
scheint das Gericht darüberhinaus einen positiven Beweis des Vorsatzes gefordert zu haben. III. Abschließende Betrachtung und Effektivität der Verteidigung Lässt man die Verhandlung speziell gegen Rothaug Revue passieren, können keine gravierenden Verfahrensfehler oder Ähnliches festgestellt werden, was der Verurteilung den Vorwurf der Rechtswidrigkeit einbringen könnte. Das einzige Argument, dass von Rothaugs Verteidigung übrigblieb, war der Einwand, nach NS-Recht korrekt gehandelt zu haben. Dieses Argument ließ das Gericht aber nicht gelten bzw. widerlegte es durch eine intensive Auseinandersetzung mit dem Fall Katzenberger. Das Gericht erkannte auch nicht einmal persönliche Strafmilderungsgründe für Rothaug an; in den Augen der Richter war Rothaug ein „sadistischer und schlechter Mensch“. Einen kleinen Erfolg scheint der Verteidiger Kößl schließlich dennoch errungen zu haben. So wurde Rothaug nicht zum Tode verurteilt. Das mag in Anbetracht der Tatsache, dass auch andere Juristen maximal zu lebenslanger Haft verurteilt worden waren, ein schwacher Trost sein. Die Verhängung einer Haftstrafe ist in Anbetracht der oben zitierten Urteilsbegründung in Bezug auf Rothaugs Charakter allerdings keine Selbstverständlichkeit. Ob die amerikanischen Richter tatsächlich erwogen hatten, Rothaug zum Tode zu verurteilen, lässt sich nach Aktenlage nicht mehr feststellen.
Kapitel 4
Bewertung und Folgen des Juristenurteils für die Ahndung von Justizverbrechen § 15 Der Einfluss des Juristenprozesses auf die Nachkriegszeit A. Der Nürnberger Juristenprozess als Vorläufer weiterer Juristenprozesse Der Juristenprozess stellte nicht nur für die deutsche Justiz in seiner Gesamtheit, sondern insbesondere auch für hunderte Einzelschicksale eine entscheidende Zäsur dar. Familien wie den Katzenbergers und Seilers bot sich nach der zwölfjährigen Terrorherrschaft der Nazis endlich die Chance, für das ihnen widerfahrene Unrecht Genugtuung zu erlangen. Die Amerikaner hatten im Juristenurteil von 1947 das NS-„Justizsystem“ als Kriegsverbrechen und VGM entlarvt und aufgezeigt, mit welchen Argumenten eine strafrechtliche Verfolgung von Justizunrecht auch vor deutschen Gerichten möglich sein würde.1 Gleichzeitig hatten sich die US-Richter im Juristenprozess auch für eine entsprechende Strafverfolgung deutscher Juristen vor deutschen Gerichten ausgesprochen.2 Grundsätzlich bestand nach Art. III Nr. 1d) S. 2 KRG10 nämlich die Möglichkeit, gegen deutsche Staatsbürger oder Staatsangehörige, die Verbrechen gegen andere deutsche Staatsbürger oder Staatsangehörige oder Staatenlose begangen hatten, Verfahren vor deutschen Gerichten durchzuführen. Zunächst schien das strafrechtliche Vorgehen gegen NS-Juristen auch durch eine breite gesellschaftliche Akzeptanz gedeckt gewesen zu sein. Das Verfahren gegen „Altstötter et al.“ war sogar Gegenstand der Popkultur von Hollywood geworden. Stanley Kramer verfilmte den Prozess in seinem Spielfilm „Das Urteil von Nürnberg“ 3. Burt Lancaster übernahm die Rolle des ehemaligen NS-Richters Ernst Janning, der den Juden Feldenstein wegen Rassenschande mit Irene Hoffman zum Tode verurteilt hatte. Maximilian Schell spielte Jannings Verteidiger Hans Rolfe. Für die Rolle des Rolfes, 1 Vgl. auch Friedrich, Freispruch, S. 21, 50; Safferling, in: 1. Rosenburg-Symposium, S. 21; ders., in: 4. Rosenburg-Symposium, S. 33. 2 Vgl. Friedrich, Freispruch, S. 52. 3 Hierzu Thielmann, Das Urteil von Nürnberg; Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 55; Ziemann, in: StV 8/2017, 560 ff. Bei v. Alten, Recht oder Unrecht, S. 8 als „Der Prozess von Nürnberg“ bezeichnet.
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Kap. 4: Bewertung und Folgen des Juristenurteils
die offensichtlich auch4 auf der Person Kößls basiert, erhielt Schell 1962 den Oskar als bester Hauptdarsteller.5 I. Verfahren gegen NS-Richter und NS-Staatsanwälte in der Nachkriegszeit Leider fanden weder der Film noch der Juristenprozess selbst in der breiten deutschen Öffentlichkeit, der Politik oder Rechtswissenschaft Akzeptanz6, obwohl oder gerade weil noch hunderte weitere Richter und Staatsanwälte existierten, die an Sondergerichten, Standgerichten und dem Volksgerichtshof Justizverbrechen begangen hatten und infolge des Juristenprozesses hätten bestraft werden müssen. Der NMT-Fall 3 sollte das einzige Strafverfahren bleiben, welches das verbrecherische Justizsystem per se zum Gegenstand hatte.7 Keine andere Besatzungsmacht führte einen ähnlich großen Juristenprozess durch. Die Juristin Schott vermutet, allerdings ohne dies zu begründen, die anderen Siegermächte hätten sich für ein derartiges Verfahren schlicht nicht interessiert, was auch ihre fehlende Beteiligung am Fall 3 erklären würde.8 Diese These ist aber äußerst zweifelhaft. Zum einen wäre dies kein Argument dafür, warum auch die elf anderen NMT-Verfahren ohne Beteiligung der Alliierten stattgefunden hatten. Zum anderen führten alle Besatzungsmächte eigene Kriegsverbrecherprozesse durch9, bei denen sich unter anderem auch NS-Juristen verantworten mussten10, sodass eine Kooperation schon aus rein logistischen Gründen sinnvoll gewesen sein könnte. Auch viele deutsche Nachkriegsjuristen weigerten sich, ehemalige Kollegen strafrechtlich zu verfolgen11, was sich bereits im Jahre 1947 andeutete, während der amerikanische Prozess also noch in vollen Gange war. v. Hodenberg, der spä4 Ernst Janning war im Film sowohl Justizminister als auch Richter, daher dürfte auch Schlegelbergers Verteidigung inspiriert haben. Vgl. auch Linder, Commentary; Ziemann, in: StV 8/2017, 560 (563). 5 Thielmann, Das Urteil von Nürnberg; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 315; v. Alten, Recht oder Unrecht, S. 8; Ziemann, in: StV 8/2017, 560. 6 Thielmann, Das Urteil von Nürnberg; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 315 f.; Perels, in: KJ 1998, 84 (90, 94 f.); Müller, Furchtbare Juristen, S. 356; Maas, in: 4. Rosenburg-Symposium, S. 6; v. Alten, Recht oder Unrecht, S. 33. Zum Konstanzer Juristentag von 1947 vgl. auch Perels, in: KJ 1998, 84 (96); Weinke, Die Nürnberger Prozesse, S. 70; Düx, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 42 ff. 7 Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 332; Müller, Furchtbare Juristen, S. 356; Rautenberg, in: GA 2012, 32 (34). 8 Schott, Rothenberger, S. 162. 9 Hierzu Kastner, in: JA 1997, 699 (700 Fn. 10); Taylor, Kriegsverbrechen, S. 22 ff.; Schwartz, in: VjfZ 1990, 375 (378); Seliger, Politische Anwälte, S. 477 ff. 10 Vgl. BGH NStZ 1992, 137 (138). 11 Vgl. Perels, in: KJ 1998, 84 (88).
§ 15 Der Einfluss des Juristenprozesses auf die Nachkriegszeit
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ter Präsident des OLG Celle werden sollte12, interpretierte das Juristenverfahren in sein komplettes Gegenteil und forderte, dass in Deutschland keine Kriegsverbrecherprozesse nach dem KRG10 durchgeführt werden dürften, da die rechtliche Kritik an diesem Gesetz offensichtlich sei und weil man ja die unkritische Anwendung von Gesetzen zwischen 1933 und 1945 den deutschen Richtern gerade vorgeworfen habe.13 So entwickelten sich parallel zwei verschiedene Rechtsauffassungen. Während beispielsweise das OLG Frankfurt, das KG Berlin und der Oberste Gerichtshof in der Britischen Zone NS-Richtern – ganz im Sinne des Juristenurteils – eine Berufung auf ein Richterprivileg verweigerten, da das deutsche Justizsystem per se verbrecherisch gewesen sei, folgten andere Gerichte v. Hodenbergs Ansicht und hielten an der staatsrechtlichen Auffassung fest, Richter hätten aufgrund der Verbindlichkeit des Führerbefehls keine Handlungsalternativen gehabt und könnten daher nicht bestraft werden oder entschieden anhängige Verfahren einfach nicht.14 Letztere Auffassung folgte damit implizit auch Jahrreiß’ Ansicht im Juristenprozess15, obwohl diese vom Militärtribunal Nr. III ausdrücklich verworfen worden war.16 Im Mai 1956 wurde schließlich das KRG10 aufgehoben17 und damit v. Hodenbergs Kritik obsolet; dennoch änderte sich nichts an dem eigentlichen Ansinnen, deutsche NS-Juristen strafrechtlich zu verschonen. II. Radbruchs Theorie und die Rolle des BGH Auch der Rechtsphilosoph Radbruch beschäftigte sich schon seit 1946 mit dem Problem, wie man mit den ehemaligen NS-Richtern strafrechtlich verfahren solle. Dabei spielten auch zwei Fragestellungen eine Rolle, mit denen sich bereits die amerikanischen Richter im Juristenprozess befassen mussten: einerseits wie sich der sogenannte Rechtspositivismus, andererseits die richterliche Unabhängigkeit auf die Verfolgung von Justizverbrechen auswirke. Radbruch führte in seinem 1946 in der SJZ erschienen Aufsatz „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“ 18 aus, dass er grundsätzlich am Rechtsposi12
Vgl. Jaene, in: Der Spiegel 32/1952, S. 9. v. Hodenberg, in: SJZ 1947, 113 (122 f.). Vgl. auch Müller, Furchtbare Juristen, S. 282 f.; Seliger, Politische Anwälte, S. 316 f. 14 Perels, in: KJ 1998, 84 (88 ff.); Bauer/Koch, Rehse, Nr. 8; Düx, in: 2. RosenburgSymposium, S. 44; Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 74; Safferling, in: 4. Rosenburg-Symposium, S. 33 f.; Gritschneder, in: NJW 1996, 1239 f. Vgl. auch LG Siegen, MDR 1947, S. 203 f., abgedruckt in: Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 345; BGH NJW 1957, 1158 (1159); Kreß, in: JZ 71 (2016), Heft 19, 948 (949). 15 Dazu Kapitel 3 § 11. 16 Perels, in: KJ 1998, 84 (90). 17 Erstes Gesetz zur Aufhebung des Besatzungsrechts vom 30.05.1956. BGBl. I, S. 437. Vgl. auch Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 398; Düx, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 44. 18 S. 105 ff. Abgedruckt in: Dreier/Paulson (Hrsg.), S. 211 ff. 13
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Kap. 4: Bewertung und Folgen des Juristenurteils
tivmus festhalten wolle, diesem aber Grenzen gesetzt werden müssten. Zur Frage, wo die Grenzen des Rechtspositivismus lägen, äußerte sich Radbruch wie folgt: „Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, dass das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als „unrichtiges Recht“ der Gerechtigkeit zu weichen hat. Es ist unmöglich, eine schärfere Linie zu ziehen zwischen den Fällen des gesetzlichen Unrechts und den trotz unrichtigen Inhalts dennoch geltenden Gesetzen; eine andere Grenzziehung aber kann mit aller Schärfe vorgenommen werden: wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur „unrichtiges Recht“, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur. Denn man kann Recht, auch positives Recht, gar nicht anders definieren denn als eine Ordnung und Satzung, die ihrem Sinn nach bestimmt ist, der Gerechtigkeit zu dienen.“ 19
Gesetze, die also aus sich heraus verbrecherisch (z. B. antisemitisch) sind, seien von sich aus nichtig.20 Andere Gesetze, die nur „ungerecht“ seien, müssten dagegen Rechtsgültigkeit beanspruchen. Radbruch bewegt sich damit auf einer ähnlichen Linie wie das Juristenurteil, welches die Gesetze gegen Gewohnheitsverbrecher, Kriegsplünderungen, Kriegswirtschaftsverbrechen, Wehrkraftzersetzung und Verstöße gegen das Heimtückegesetz akzeptierte, nicht dagegen Gesetze gegen Landes- und Hochverrat fremder Staatsangehöriger, rassistische Gesetze und NN-Verfahren.21 Nach Radbruch bedeute das aber nicht zwangsläufig, dass jeder Richter, der „unrichtiges“ Recht angewandt hatte, zur Verantwortung gezogen werden könne. Radbruch setzte sich dafür ein, dass sich ein Richter nur dann strafbar gemacht habe, wenn er zugleich durch seine Tat eine Rechtsbeugung begangen habe.22 Alle für einen Richter durch Urteilsspruch in Betracht kommenden strafbaren Handlungen, beispielsweise Freiheitsberaubung und Mord, seien also an das Vorliegen des Tatbestandes der Rechtsbeugung gekoppelt. In Einklang mit der damals herrschenden Meinung23 folgte daraus weiter, dass in subjektiver Hinsicht der Richter im Rahmen der Rechtsbeugung mit dolus directus gehandelt haben müsse, denn nur so könne eine gerechte Abwägung zwischen der richterlichen Unabhängigkeit und dem Schutz der Rechtspflege vor willkürlichen Eingriffen
19
Radbruch, in: Dreier/Paulson (Hrsg.), S. 216. Radbruch, in: Dreier/Paulson (Hrsg.), S. 216 f. 21 Siehe unter Kapitel 3 § 14 B. IV. 22 Radbruch, in: Dreier/Paulson (Hrsg.), S. 218; vgl. auch Friedrich, Freispruch, S. 57; Bauer/Koch, Rehse, Nr. 3 f. 23 Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Kuhlen, StGB, § 339 Rn. 3; vgl. auch BGH NJW 1957, 1158 (1159). 20
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erfolgen.24 Ob konkret die NS-Richter den strafrechtlich relevanten Vorsatz aufgewiesen hätten, ließ Radbruch in diesem Aufsatz zunächst offen, gab aber zu bedenken, dass sie „von dem herrschenden Positivismus soweit verbildet [gewesen seien], dass sie ein anderes als das gesetzte Recht nicht kannten“ 25 und sich außerdem zur Verteidigung stets auf einen Notstand im Sinne des § 54 RStGB berufen könnten.26 Die Folgen, die diese zwei Annahmen für die Strafverfolgung von NS-Justizverbrechern haben mussten, sind offensichtlich. Nach dem Publizisten Friedrich konnten sich also Richter als „Rechtsblinde“ stets darauf berufen „immerhin die Dümmsten unter der Sonne gewesen [zu] sein“ 27, um einer Strafverfolgung zu entgehen.28 Gerade dieses Argument hatte man im Juristenprozess aber nicht zählen lassen, ebenso wenig wie einen pauschalen Verweis auf den Rechtspositivismus.29 Radbruch schuf also, ob gewollt oder nicht, mit seinen Thesen einen juristischen „Rettungsanker“, der all denjenigen Nachkriegs-Richtern helfen sollte, die – aus welchen Gründen auch immer30 – ihre Kollegen vor einer Verurteilung bewahren wollten.31 Der BGH knüpfte dankend an Radbruchs Thesen an: Während der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone und der 1. Strafsenat des BGH zunächst noch dolus eventualis im Rahmen der Rechtsbeugung für ausreichend erachtet hatten32, entschied erneut der 1. Strafsenat des BGH 1956 in einem Grundsatzurteil33, dass der künftige Maßstab bei dolus directus liegen werde.34 Das bedeutete, dass ein Richter, der ein Todesurteil als „notwendiges Übel“ seiner eigenen Bindung an das Gesetz verstand, nicht mehr unter den Tatbestand der Rechtsbeugung fiel und damit freigesprochen werden musste.35 Plötzlich wurden die Grundsätze des Juristenurteils in ihr genaues Gegenteil verkehrt. Berief sich ein ehemaliger NS-Richter darauf, ein „verblendeter“ Nazi gewesen zu sein, konnte er mit einem Freispruch rechnen.36 Was der 1. Strafsenat 24 BGH NJW 1957, 1158; vgl. auch Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 422 f., 437; Koch, in: ZIS 6/2011, 470 (471). 25 Radbruch, in: Dreier/Paulson (Hrsg.), S. 218. Vgl. auch Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 395. 26 Radbruch, in: Dreier/Paulson (Hrsg.), S. 218 f. 27 Friedrich, Freispruch, S. 58. 28 Vgl. auch Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49. 29 Vgl. Kapitel 3 § 14 B. 30 Vgl. nur Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Kuhlen, StGB, § 339 Rn. 6; Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 398. Nach Müller, Furchtbare Juristen, S. 353, waren die Erkenntnisse des Juristenprozesses „vernichtend für die deutsche Justiz“. 31 Vgl. Müller, Furchtbare Juristen, S. 360 f. 32 Hierzu und zu den Fundstellen Koch, in: ZIS 6/2011, 470 (471). 33 Vgl. auch Hirsch, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 64 ff. 34 BGH NJW 1957, 1158. 35 Vgl. Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 422 f. 36 Müller, Furchtbare Juristen, S. 361 ff.
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aber verschwiegen hatte war, dass Radbruch bereits 1947 seine Thesen korrigiert hatte: dass es sich bei der Befolgung von Gesetzen, auch wenn diese durch Führerbefehle angeordnet worden seien, die Anstaltsmorde und KZ-Einweisungen zur Folge hatten, um „gesetzliches Unrecht“ gehandelt habe, stehe außer Frage37 und „Rechtsblindheit“ vermöge „den Vorsatz nicht auszuschließen“ 38. Die durch den 1. Strafsenat vorgegebene Rechtsauffassung zog sich wie eine rote Linie durch die Nachkriegszeit, sodass mangels Beweisbarkeit des Rechtsbeugungsvorsatzes dutzende Verfahren gegen NS-Richter eingestellt wurden.39 III. Verfahren gegen DDR-Richter Ein völlig anderer Maßstab wurde angesetzt, als nicht mehr die Justizverbrechen der Nazis, sondern die der DDR-Richter in den Fokus rückten. Es ging dabei um Fälle, bei denen ein Richter oder Staatsanwalt eine Rechtsbeugung im Sinne des DDR-Strafrechts (§ 244 DDR-StGB40) begangen haben sollte41, denn derartige Straftaten konnten auch vor BRD-Gerichten abgeurteilt werden.42 Als sich ein ehemaliger Vorsitzender Richter des LG Magdeburg, der Zeugen Jehovas aus politischen Gründen zu langen Haftstrafen verurteilt hatte, wie etliche NS-Richter zuvor darauf berief, er sei von der Richtigkeit seines Urteils „überzeugt“ gewesen, überraschte der 5. Strafsenat des BGH im Jahre 1960 mit folgenden Feststellungen: „Die Rechtsordnung verlangt von jedem – auch dem weisungsgebundenen – Beamten, dem die Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache obliegt, dass er dabei ungeachtet etwaiger gegenteiliger Weisungen allein nach Ges. und Recht verfährt. Das gilt auch für den Richter, dem es an der Unabhängigkeit, die ihm die Verfassung gewährt, in Wahrheit fehlt. Auch ein solcher Richter macht sich, sofern nicht im Einzelfall ein von der Rechtsordnung anerkannter Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund vorliegt, der Rechtsbeugung schuldig, wenn er bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache bewußt gegen Gesetz oder Recht verstößt, weil die politischen Machthaber dies von ihm erwarten [. . .].“ 43
Die richterliche Unabhängigkeit sollte also nach neuer Ansicht des 5. Strafsenats keine Rolle mehr spielen. Ebenso hatte sich ein DDR-Richter, anders als ein NS-Richter, an das gesetzliche Übermaßverbot zu halten: 37
Radbruch, in: SJZ 1947, 131 (135 f.). Radbruch, in: SJZ 1947, 633 (634). Vgl. auch Müller, Furchtbare Juristen, S. 360 f. 39 v. Miquel, in: Frei (Hrsg.), S. 177 ff.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 363; Mauz, in: Der Spiegel 04/1973, S. 51 (52). Zum Verfahren gegen Ferber und Hoffmann siehe sogleich. 40 Neu bekannt gemacht am 19.12.1974. GBl. I 1975, S. 13. 41 BGH NJW 1994, 529. Vgl. auch Müller, Furchtbare Juristen, S. 375 ff.; Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 41 ff. 42 Vgl. Art. 315 Abs. 1 EGStGB in der Fassung des „Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands“ (vgl. BGBl. II 1990, S. 885). 43 BGH NJW 1960, 974 f. 38
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„Ein Strafrichter begeht, mag auch sein Schuldspruch keine vorsätzliche Rechtsbeugung enthalten, dennoch Rechtsbeugung, wenn er bewußt eine Strafe verhängt, die nach Art oder Höhe in einem unerträglichen Mißverhältnis zu der Schwere der Tat und der Schuld des Täters steht [. . .].“ 44
Der beeindruckenste Abschnitt des BGH-Urteils betrifft aber den Verteidigungseinwand der Rechtsblindheit des Angeklagten, denn: „Der Angekl. ist Volljurist, von dem erwartet werden kann, dass er ein Gefühl dafür hat, ob eine Strafe in unerträglichem Mißverhältnis zur Schwere der Tat und zur Schuld des Täters steht.“ 45
Plötzlich akzeptierte der 5. Strafsenat des BGH also den – vorher von hunderten NS-Richtern erfolgreich vorgebrachten und in ständiger Rechtsprechung bestätigten – Einwand, man habe auf die „Verbindlichkeit“ der geltenden Normen vertraut, nicht mehr.46 Dies führte dazu, dass in mehreren zehntausend Fällen gegen DDR-Juristen wegen Rechtsbeugung ermittelt und auch in einigen Fällen Verurteilungen ausgesprochen worden waren.47 IV. „Wandel“ der Rechtsauffassung Die geänderte Rechtsauffassung in Bezug auf die DDR-Richter sollte zunächst auch Auswirkungen auf die Verfolgung von NS-Juristen haben, was sich anhand des Falls Rehse48 illustrieren lässt. Rehse war „berufsrichterlicher Beisitzer“ unter Freislers 1. Senat am Volksgerichtshof. Er wurde im Juli 1967 erstinstanzlich durch das LG Berlin wegen sieben Todesurteilen, für die Rehse auf Vorschlag Freislers gestimmt hatte, wegen Beihilfe zum Mord und zum Mordversuch verurteilt.49 Das LG Berlin hatte in seiner Urteilsbegründung Bezug auf die oben zitierte Entscheidung des 5. Strafsenats aus dem Jahre 1960 genommen und „nazistische Verblendung“ nicht als Ausschlusskriterium für eine Rechtsbeugung gewertet, andernfalls hätte man – sofern es zu einem Verfahren gekommen wäre – auch Freisler freisprechen müssen.50 Der moralisch richtige und auch mit der neuesten Entscheidung des BGH in Einklang stehende Weg, den das LG Berlin eingeschlagen hatte, wurde nun aber 44
BGH NJW 1960, 974 (975). BGH NJW 1960, 974 (975). 46 Vgl. Müller, Furchtbare Juristen, S. 363 ff. 47 Zu den unterschiedlichen Angaben vgl. Hohmann, in: DtZ 1996, 230 (231); Koch, in: ZIS 6/2011, 470 (472); Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Kuhlen, StGB, § 339 Rn. 7 m.w. N.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 371; Hirsch, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 67. 48 BGH NJW 1968, 1339 f.; Denzel, in: KJ 1991, 31 (32 ff.); Müller, Furchtbare Juristen, S. 365 ff.; Koch, in: ZIS 6/2011, 470 ff. Kritisch auch Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 31 f. 49 BGH NJW 1968, 1339 (1340); Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 440; Müller, Furchtbare Juristen, S. 366; Bauer/Koch, Rehse, Nr. 5 f. 50 LG Berlin DRiZ 45. Jhg 11/1967, 390 (393); Müller, Furchtbare Juristen, S. 366. 45
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vollends zunichtegemacht. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft und auch Rehses hin wurde das Urteil des LG Berlin im Jahre 1968 nämlich aufgehoben. Zunächst stellte der BGH – erneut der 5. Strafsenat – fest, dass es sich beim Volksgerichtshof um „ein unabhängiges, nur dem Gesetz unterworfenes Gericht“ (§ 1 GVG) gehandelt habe.51 Rehse sei aufgrund seiner richterlichen Unabhängigkeit nicht an die Einschätzung Freislers gebunden und daher jedenfalls kein Gehilfe, sondern – im Falle einer Verurteilung – Täter gewesen. Deshalb müssten auch Rehse selbst die Mordmerkmale und der Vorsatz bezüglich der Rechtsbeugung nachgewiesen werden. Das LG habe aber Rehses Vorsatz nicht ausreichend beleuchtet. „Es [das Urteil] enthält [. . .] Unklarheiten und Widersprüche, u. a. übrigens auch im Zusammenhang mit den Ausdrücken „Rechtsblindheit“ und „Verblendung,“ die, im üblichen Sinne verstanden, mit dem Vorsatz der Rechtsbeugung nicht vereinbar erscheinen.“ 52
Der 5. Strafsenat ignorierte mit dieser Aussage nicht weniger als seine eigenen [!], acht Jahre zuvor aufgestellten Anforderungen, wenn man sich erneut darauf berief, „Rechtsblindheit“ und „Verblendung“ würden einem möglichen Vorsatz diametral widersprechen.53 Das Verfahren wurde an das LG Berlin zurückverwiesen mit der intendierten Empfehlung, Rehse freizusprechen.54 In einem zweiten Anlauf vor dem LG Berlin wurde Rehse schließlich unter Berücksichtigung der „neuen alten“ BGH-Rechtsprechung im Dezember 1968 nach nur acht Verhandlungstagen freigesprochen.55 Im September 1969, noch bevor sich der BGH auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin erneut zu seiner widersprüchlichen Entscheidung äußern konnte, verstarb Rehse.56 V. Späte Genugtuung? Der Fall Ferber und Hoffmann 1. Verfahren vor dem LG Nürnberg-Fürth Just in diese Zeit fiel auch das Verfahren gegen Rothaugs ehemalige Richterkollegen Ferber und Hoffmann, welche durch belastende Aussagen gegen Rothaug eine Anklage in den Nürnberger Prozessen zunächst vermeiden konnten.57 Allerdings ermittelte seit dem 26.04.1960, also kurz vor der Verjährung potentieller Tötungsdelikte am 08.05.196058, auf Anordnung des bayerischen Justiz51
Denzel, in: KJ 1991, 31 (32); BGH NJW 1968, 1339 (1340). BGH NJW 1968, 1339 (1340). 53 So auch Müller, Furchtbare Juristen, S. 367. 54 Müller, Furchtbare Juristen, S. 367; vgl. auch Bauer/Koch, Rehse, Nr. 6. 55 Bauer/Koch, Rehse, Nr. 1; Mauz, in: Der Spiegel 04/1973, S. 51. 56 Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 441; Bauer/Koch, Rehse, Nr. 1; Mauz, in: Der Spiegel 04/1973, S. 51. 57 Siehe oben Kapitel 2 § 6 C. 58 Zu der Verjährungsproblematik bei NS-Verbrechen in der Nachkriegszeit Rottleuthner, Dreher. 52
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ministeriums die deutsche Staatsanwaltschaft59 wegen der Verurteilung von Katzenberger, Pfaffenberger60, Grasser, Lopata und Hörndler61 unter anderem gegen Ferber, Hoffmann, Rothaug, Markl, Schröder und Engert62. Zunächst stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen im Fall Grasser gegen alle Beschuldigten u. a. deshalb ein, da die Subsumtion der Äußerungen Grassers als „Wehrkraftzersetzung“ „durchaus der damaligen Rechtsprechung und herrschenden Meinung entsprach“ und die Beschuldigten „an die Notwendigkeit und Rechtmässigkeit ihrer Entscheidung glaubten“.63 Letztlich wurden die Ermittlungen in allen Verfahren, bis auf den Fall Katzenberger, eingestellt.64 Übrig blieben als Beschuldigte aber nur die Richter Ferber und Hoffmann: Rothaug kam der Überleitungsvertrag65, den Staatsanwälten die „Weisungsgebundenheit“ der Staatsanwaltschaft66 zugute.67 Zwischen dem bayerischen Justizministerium und der Nürnberger Staatsanwaltschaft entbrannte nun ein wahrer juristischer Schlagabtausch, der
59 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 317 f.; Ohne Verfasser, in: Der Spiegel 42/ 1967, S. 87 (89); Mauz, in: Der Spiegel 31/1970, S. 62 (63). 60 Der jüdische Rechtsanwalt Pfaffenberger wurde im September 1942 wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt. Zwar wurde das Urteil später in acht Jahre Zuchthaus umgewandelt, jedoch starb Pfaffenberg wenige Tage vor Kriegsende an den Folgen seiner Haft. 61 Der Federmacher Hörndler wurde von Rothaug zum Tode verurteilt, obwohl ein Sachverständiger dessen Schuldfähigkeit gemäß § 51 RStGB bezweifelt hatte. Daraufhin wurden sowohl der Sachverständige als auch der Verteidiger von Rothaug massiv bedroht. 62 HaStAMü, MJu 26696, 1a Js 1391/60 v. 15.06.1960 (o. S.), S. 1 ff.; Schreiben v. 24.04.1962 (o. S.), S. 1 f.; 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 11 ff.; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 2 ff. Unter den Beschuldigten war auch der ehemalige Nürnberger Oberstaatsanwalt und spätere Nürnberger Verteidiger Erich Mayer. Das Verfahren gegen ihn wurde allerdings eingestellt. Seliger, Politische Anwälte, S. 96 f. 63 HaStAMü, MJu 26696, 1a Js 1431/60 (o. D., o. S.), S. 10 ff. 64 Vgl. HaStAMü, MJu 26696, 1053 – I – 525/60+ v. 02.11.1961 (o. S.). 1966 war Schröder im Laufe der Ermittlungen verstorben. StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 291, Hauptakten komplett 5, S. 958. 65 Vgl. Kapitel 2 § 5 B.; HaStAMü, MJu 26696, 1053 – I – 525/60 ! v. 20.03.1962 (o. S.); StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 183 ff. Vgl. auch Friedrich, Freispruch, S. 53; v. Alten, Recht oder Unrecht, S. 34. 66 Sicherlich hätte es andere Gründe gegeben, strafrechtlich gegen Markl vorzugehen. Zu dessen Vergangenheit beim SD und Leben in der BRD vgl. StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI P17, Josef Koessl – Plädoyer für Rothaug, S. 20; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 288, Hauptakten komplett 2, S. 325; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 326, 382; Birkenmaier, in: Die Zeit 07/ 1973, S. 49 (59). 67 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 318, 327; HaStAMü, MJu 26696, 1053 – I – 525/60 v. 19.11.1960 (o. S.); 1a Js 1431/60 v. 03.11.1960 (o. S.); 1a Js 1431/60 (o. D., o. S.), S. 1 ff.; vgl. auch StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 183 ff.
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mehrere Jahre andauerte. Die Staatsanwaltschaft versuchte mit allen Mitteln, das Verfahren einzustellen: so sei das Urteil aus damaliger Sicht zumindest rechtlich nicht angreifbar gewesen, denn sowohl die juristische Literatur68, als auch die allgemeine Lebenserfahrung hätten für eine sexuelle Beziehung Seilers und Katzenbergers gesprochen.69 Letztlich setzte sich das Justizministerium durch: Im März 1968, also 21 Jahre nach dem Juristenprozess, wurde gegen Ferber und Hoffmann wegen ihres Mitwirkens am Katzenberger-Urteil am LG NürnbergFürth ein Verfahren eröffnet.70 Ein Haftbefehl war bis zum Schluss nicht erlassen worden.71 Das Interesse an dem Verfahren war groß, unter anderem von Seiten der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg.72 Zahlreiche „alte Bekannte“ aus dem Juristenprozess, u. a. Schlegelberger und Joël, sagten im Rahmen der Ermittlungen aus.73 Aufgrund des langen Zeitraums waren aber auch etliche Zeugen zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits verstorben oder wollten nicht vor Gericht aussagen.74 a) Rothaugs Rolle Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Rothaug, der 1967 als Zeuge für das Verfahren befragt worden war, insbesondere gegen Ferber schwere Anschuldigungen anführte.75 Ferber habe das Katzenberger-Verfahren selbst vor das Sondergericht gebracht und sei auch freiwillig Richter am Sondergericht geworden und geblieben76. Ferber habe sich mit dem Katzenberger-Verfahren gegenüber Markl „wieder einmal wichtig machen woll[en]“.77 Außerdem habe auch Ferber sich „etwa 1 Dutzend von den Eintrittskarten geben lassen [. . .] um sie in
68 Der Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen war von Hans Globke verfasst worden, der unter Adenauer Staatssekretär wurde. Vgl. Rath, Adenauers umstrittener Staatssekretär. 69 HaStAMü, MJu 26696, 4010a – II – 2447/60. v. Dezember 1961 (o. S.), S. 1 ff.; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 318 ff.; Kramer, Richter, S. 137 ff. 70 Mauz, in: Der Spiegel 31/1970, S. 62 (63). 71 Nitschke, in: Die Welt 83/1968, S. 16; Mauz, in: Der Spiegel 31/1970, S. 62 (63). 72 Vgl. StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 294, Hauptakten komplett 8, S. 1356 f. 73 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 289, Hauptakten komplett 3, S. 584 ff. 74 Vgl. StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 292, Hauptakten komplett 6, S. 1176; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/ 5 S., Nr. 41, Sig. 294, Hauptakten komplett 8, S. 1347 ff. 75 Vgl. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 311; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 291, Hauptakten komplett 5, S. 802 ff. 76 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 291, Hauptakten komplett 5, S. 804 f.; 818; 823; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 7d. 77 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 291, Hauptakten komplett 5, S. 804 f.
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seiner Ortsgruppe zu verteilen“ 78 und damit Parteimitglieder zum KatzenbergerVerfahren eingeladen, was bei größeren Verfahren aber normal gewesen sei.79 Weder Ferber noch Hoffmann hätten gegen Rothaugs Verhandlungsführung protestiert.80 Ferber hätten vielmehr Rothaugs sarkastische Kommentare („gelungene Äußerungen“) so gut gefallen, dass er sich diese notiert habe, um sie „schriftstellerisch auswerten“ zu können.81 Die Verbindung des Katzenberger- und des Seiler-Verfahrens sei rechtlich möglich und geboten gewesen, denn sie habe auf einer einheitlichen Anklage basiert, die Schuldfrage habe zusammengehangen und die Aussage Seilers sei „ohnehin zu prüfen“ gewesen.82 Das Urteil sei von allen drei Richtern ohne äußere Beeinflussung getragen worden, Rothaug habe lediglich versucht, seine eigene Überzeugung durchzusetzen.83 Das harte Urteil gegen Katzenberger sei nämlich aus dreierlei Gründen unvermeidbar gewesen: erstens sei die „Rasse zum strafrechtlich geschützten Rechtsgut erhoben“ worden, die „in der Wertordnung des Strafrechtssystems einen hohen Rang hatte“.84 Zweitens sei ein „schwerer Fall“ „nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal und kein Strafzumessungsgrund“ gewesen und damit sei die Todesstrafe zwingend auszusprechen gewesen.85 Und drittens habe „in allen politischen Systemen bis zum Jahre 1945“ und damit auch in Deutschland, der Richter weder Verfassungsmäßigkeit, noch Völkerrechtskonformität, noch die Moralität eines Gesetzes, sondern lediglich dessen ordnungsgemäße Verkündung, überprüfen dürfen.86 Ferber habe das Urteil selbstständig und unter Zeidruck abgefasst, Rothaugs Notizen seien nicht berücksichtigt worden.87 Da Ferber in politischen Angelegenheiten ein erfahrener 78 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 291, Hauptakten komplett 5, S. 824. 79 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 291, Hauptakten komplett 5, S. 824. 80 Vgl. StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 291, Hauptakten komplett 5, S. 817 f. 81 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 291, Hauptakten komplett 5, S. 821 f. 82 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 287, S. 7d; vgl. auch StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 291, Hauptakten komplett 5, S. 824 f. 83 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 291, Hauptakten komplett 5, S. 817. 84 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, SIg. 287, Hauptakten komplett 1, S. 7c. 85 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 7c. 86 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 7c. 87 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 291, Hauptakten komplett 5, S. 818.
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Strafrechtler und auch Vorsitzender einer Kammer gewesen sei, habe Rothaug „es allgemein vermieden, in seinen Urteilen herumzukorrigieren, wenn sie [ihm] noch tragbar erschienen“.88 Ferber habe auch keine Einwendungen gegen das Urteil an sich gehabt, nur wegen der Tatsache, dass „im Zusammenhang mit einem Rassenschandeverfahren eine deutsche Frau verurteilt wurde“, weil dies gegen Hitlers Einstellung gewesen sei.89 Letztlich habe auch Rothaug stets zu seinem Urteil gestanden, Hoffmann und insbesondere Ferber hätten sich aber distanziert.90 Nebenbei ließ es sich Rothaug auch nicht nehmen, Irene Seiler erneut zu diskreditieren: „Frau Seiler war – so ist der Eindruck bei mir hängengeblieben – eine lebenserfahrene und lebenslustige Frau, die sehr genau wusste, dass man ihr die völlige Harmlosigkeit der Beziehungen nicht abnehmen würde.“ 91
b) Rechtliche Beurteilung Vor der oben skizzierten Rechtssprechung stellte sich die Frage, wie das LG Nürnberg-Fürth die Verurteilung Katzenbergers juristisch bewerten sollte. Denn Ferber und Hoffmann hatten sich im Juristenprozess ja zunächst darauf berufen, das Katzenberger-Verfahren sei grob rechtswidrig gewesen und dies sei ihnen auch bekannt gewesen. Später erklärten sie, man sei „von der Richtigkeit des Urteils gegen Katzenberger überzeugt gewesen“.92 Dass es vor diesem Hintergrund überhaupt zu einer Verurteilung kam, stellt auf den ersten Blick eine erfreuliche Entwicklung dar. Denn das LG erkannte den Widerspruch der Aussagen und wertete sie, auch wenn die Aussagen im Juristenprozess möglicherweise erzwungen worden waren, zulasten der Angeklagten.93 Das LG ging dabei von direktem Vorsatz bezüglich einer Rechtsbeugung aus.94 Andererseits fiel das entsprechende Urteil überaus milde aus:95 Obwohl Staatsanwalt Prandl auf Mord und damit lebenslange Freiheitsstrafe plädiert hatte, verurteilte Richter Kristl am 05.04.1968 Ferber zu drei, Hoffmann zu zwei 88 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 291, Hauptakten komplett 5, S. 818. 89 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 291, Hauptakten komplett 5, S. 818 f. 90 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 292, Hauptakten komplett 6, S. 802 ff. 91 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 291, Hauptakten komplett 5, S. 814. 92 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1861 ff.; vgl. auch Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49. 93 Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 293 f. 94 Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 294. 95 Hierzu Luber, in: Conze/Safferling (Hrsg.); Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 433.
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Jahren Freiheitsstrafe wegen Totschlags.96 Eine ebenfalls einschlägige Rechtsbeugung war zum Zeitpunkt der Verurteilung bereits verjährt. Das LG NürnbergFürth ging zwar davon aus, dass „etliche gewichtige Indizien“ für eine sexuelle Beziehung zwischen Seiler und Katzenberger zwischen 1932 und 1939 vorgelegen hatten. Für die Zeit danach könnten aber keine sexuellen Handlungen, damit auch keine Rassenschande und schon gar keine Verstöße gegen die VVO mehr bewiesen weden.97 Da sowohl Ferber als auch Hoffmann „Juristen von überdurchschnittlicher Qualität“ gewesen seien, seien sie sich der Rechtswidrigkeit des Urteils auch bewusst gewesen.98 Das LG Nürnberg-Fürth bestätigte zwar die vorsätzliche rechtswidrige Tötung Katzenbergers, denn ganz im Sinne von Radbruch sei „[n]icht alles, was staatliche Macht in die Form eines Gesetzes bringt [. . .] auch Recht“.99 Es nahm aber mildernde Umstände100 an. Denn beide Angeklagten seien, bis auf ihre Zeit als Richter am Sondergericht, nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten.101 Die treibende Kraft hinter dem Urteil sei Rothaug gewesen, der selbst auch einen Mord (Rassenhass als niedriger Beweggrund) begangen habe.102 Insbesondere dürfe eine mögliche Angst der beiden vor Rothaug nicht vernachlässigt werden, selbst wenn sie diese nun leugneten, um ihre Verteidigungsstrategie aufrecht zu erhalten.103 Strafmildernd sei auch gewertet worden, dass Ferber seine Arbeitsstelle aufgrund des Verfahrens verloren habe und Hoffmanns berufliche Existenz durch den Prozess gefährdet gewesen sei. Ferber sei „härter“ bestraft worden, da er schon früher als Hoffmann von dem Verfahren gegen Katzenberger informiert, zusätzlich Berichterstatter104 gewesen sei und somit mehr Zeit gehabt habe, das Verfahren kritisch zu prüfen.105 Außerdem habe Ferber eine stärkere Position inne gehabt, da er älter gewesen sei und auf der Karriereleiter höher als Hoffmann gestanden habe.106 Auch die lange Verfah96 Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 295 f.; Nitschke, in: Die Welt 83/1968, S. 16; Mauz, in: Der Spiegel 31/1970, S. 62 (63). 97 Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 283 ff. 98 Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 293. 99 Nitschke, in: Die Welt 83/1968, S. 16. 100 Die eigentliche Mindeststrafe für Totschlag liegt gemäß § 212 Abs. 1 StGB bei fünf Jahren Freiheitsstrafe. Zum minder schweren Fall vgl. § 213 StGB. 101 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1940 ff.; Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 436; Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 296. 102 Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 436; Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 294 f. 103 Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 294 f. 104 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 11. 105 Vgl. StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 311, Handakten Bd. VI, S. 647 ff. 106 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1942.
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rensdauer und der Umstand, dass die Angeklagten „seit mehr als zwanzig Jahren in Prozessen verschiedenster Art mit ihrer Schuld konfrontiert worden“ seien, habe eine strafmildernde Rolle gespielt.107 c) Tatsächliche Bewertung Auch in dieser Entscheidung bleibt trotz der Verurteilung von Ferber und Hoffmann der bittere Beigeschmack, dass man die ehemaligen Richter gar nicht wirklich verurteilen wollte.108 Dass der (mögliche) Verlust des Arbeitsplatzes, eine ausdrücklich unbewiesene Angst vor Rothaug und die Tatsache, dass die beiden ja sonst nicht straffällig geworden seien, rechtfertigt, die Mindestfreiheitsstrafe deutlich zu unterschreiten, mag zwar rechtlich vertretbar, aber nicht zwingend gewesen sein.109 Außerdem hätte strafschärfend berücksichtigt werden können, dass Ferber während der Verhandlung zugab, sich in mindestens einem anderen Fall bei der Staatsanwaltschaft dafür eingesetzt zu haben, dass ein Verfahren nicht vor dem AG, sondern vor dem Sondergericht verhandelt werde.110 Ebenso behauptete das LG, dass das „Schicksal“ Ferber und Hoffmann an das Sondergericht gebracht habe111, ignorierte aber, dass sich Ferber im Jahre 1938 durchaus aus Gewissensgründen gegen eine Tätigkeit in der Justiz entschieden hatte, er allerdings freiwillig im Jahre 1940 an das Sondergericht gekommen war112. Seiler, die zwischenzeitlich in der DDR lebte113, durfte im Übrigen nicht als Zeugin gegen Ferber und Hoffmann in Nürnberg aussagen, da das MfS eine mögliche Republikflucht Seilers fürchtete.114 Dies hinderte Ferber nicht daran, das Opfer seiner Straftat öffentlich zu verhöhnen, indem er aussagte, „dass Frau Seiler auf ihn den Eindruck einer leicht zugänglichen Frau gemacht habe und dass er aus dem allgemeinen Eindruck, den er von ihr gewonnen habe, der Meinung gewesen sei, dass sie ,damit‘ Geld verdient habe.“ 115
107 Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 296; Nitschke, in: Die Welt 83/1968, S. 16; Mauz, in: Der Spiegel 31/1970, S. 62 (63). 108 Kritisch auch Nitschke, in: Die Welt 83/1968, S. 16. 109 Vgl. nur Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 172 ff.; BGHSt 24, 173 (178); Fischer, StGB, § 46 Rn. 85. 110 Mauz, in: Der Spiegel 31/1970, S. 62. 111 Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 295. 112 Vgl. Mauz, in: Der Spiegel 31/1970, S. 62. 113 Siehe Kapitel 4 § 16 B. II. 114 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 345; vgl. auch Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 435 f.; Mauz, in: Der Spiegel 04/1973, S. 51 (52); Friedrich, Freispruch, S. 279. Nach Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49 (50), habe Seiler „wegen Krankheit nicht anreisen können“. 115 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1881; Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 282 f.
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Allerdings gingen auch die Nachkriegsrichter nicht weniger taktlos mit Frau Seiler um, wie das Urteil des LG Nürnberg-Fürth verdeutlicht: „Von Frau Seiler stand auf Grund ihres Geständnisses auch fest, dass sie vor ihrer Eheschließung manchen Freund hatte, dem sie sich geschlechtlich hingegeben hat. Man konnte ihr schon aus diesem Grund zutrauen, dass sie auch dem Geschlechtsverkehr mit Katzenberger nicht abhold war, der trotz seines Alters noch gut aussah und eine rüstige Erscheinung bot und sie obendrein sehr häufig mit Geschenken und Zuwendungen sonstiger Art erfreute.“ 116
Wundern muss man sich auch an anderer Stelle über das Urteil, welches immerhin 23 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ergangen war. Denn wenn auch das Gericht Rothaugs schlechte Eigenschaften und „Menschen-Verachtung betonte“ 117, wirken die Ausführungen zu Rothaugs fachlichen Qualitäten geradezu ehrfürchtig: „Die Natur hatte diesen Mann mit scharfem Verstand, rascher Auffassungsgabe, Überzeugungskraft und Beredsamkeit in reichem Maße ausgestattet. Energie, Fleiß und Zähigkeit gesellten sich zu diesen für einen Juristen so wichtigen Eigenschaften und befähigten ihn zu einer beachtlichen Arbeitsleistung.“ 118
Zu der Situation eines Richters vom Schlage Ferbers oder Hoffmanns sagt das Urteil: „Wer im demokratischen Staat groß geworden ist, kann die damalige Situation der Angeklagten nicht voll nachempfinden und selbst derjenige, der die nationalsozialistische Epoche noch wachen Auges erlebt hat, wird Schwierigkeiten haben, sich dorthin zurückzuversetzen.“ 119
Trotz der Verurteilung von Ferber und Hoffmann bleibt also auch in diesem Gerichtsverfahren ein fader Beigeschmack und der unterschwellige Verdacht bestehen, dass man von Seiten des Gerichts das Verfahren lieber eingestellt hätte. 2. Revision Die von den Angeklagten und der Staatsanwaltschaft eingelegte Revision führte zur Aufhebung des Urteils durch den 1. Strafsenat des BGH, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.120 Einerseits habe das LG Nürnberg-Fürth 116 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1875 f.; Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 280 f. Vgl. auch Mauz, in: Der Spiegel 31/1970, S. 62; ders., in: Der Spiegel 04/1973, S. 51 (52). 117 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1805. 118 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1804. 119 Urteil des LG Nürnberg-Fürth, abgedruckt in: Friedrich, Freispruch, S. 296. 120 BGH NJW 1971, 571 (572).
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Aspekte zugunsten der Angeklagten nicht ausreichend gewürdigt bzw. widersprüchliche Feststellungen getroffen.121 Andererseits habe es nicht richtig überprüft, ob nicht doch ein Mord für Ferber und Hoffmann in Betracht komme.122 Denn auch wenn Ferber und Hoffmann, anders als Rothaug, nicht aus antisemitischen Motiven gehandelt hätten, hätten sie sich doch durch das Todesurteil „aus reiner Willkür zum Herrn über Leben und Tod des Beschuldigten aufgeworfen“.123 Von Angst vor Rothaug könne ferner keine Rede sein, insbesondere hätten sich im Juristenprozess keine entsprechenden Hinweise ergeben.124 Überraschenderweise erklärte der 1. Senat aber auch, dass es für NS-Richter ohne Zweifel möglich gewesen sei, rechtsstaatliche Verfahrensstandards einzuhalten: „Die nationalsozialistischen Machthaber waren im rechtlichen Bereich stets bestrebt, den Schein der Rechtlichkeit und richterlichen Unabhängigkeit tunlichst zu wahren [. . .]. Wurde dadurch deren Ziel einer mißbräuchlichen Benutzung des Strafrechts auch nur getarnt, so gab dieser Umstand andererseits doch allen, die sich nicht als willfährige Diener des Unrechts mißbrauchen lassen wollten, die Möglichkeit eines Ausweichens, ohne sich allzusehr verdächtig zu machen. Im Rahmen des unter einem totalitären Regime Menschenmöglichen konnte der Richter immer noch der Gerechtigkeit dienen. Er konnte insbesondere durch gründliche Beweisaufnahme, Vorsicht bei der Tatsachenfeststellung, mit einer weiten Anwendung des Grundsatzes ,im Zweifel für den Angeklagten‘ und einer engen Auslegung des Tatbestands unerträgliche Folgen vermeiden, auf vertretbare, der Schuld angemessene Strafen erkennen und die Verfahrensgarantien ausschöpfen [. . .].“ 125
Die Verfahrensgarantien seien Katzenberger durch die beiden Angeklagten versagt worden. Stattdessen sei die Todesstrafe um jeden Preis angestrengt und dafür ein „Scheinverfahren“ durchgeführt worden.126 Das LG Nürnberg-Fürth habe sich nicht hinreichend mit den objektiven Voraussetzungen der Rechtsbeugung auseinandergesetzt, insbesondere nicht genügend gewürdigt, dass Ferbers Aussagen im Juristenprozess, in Rothaugs Disziplinarverfahren und in seinem eigenen Verfahren vor dem LG Nürnberg-Fürth widersprüchlich gewesen seien.127 Ferber habe möglicherweise auch das Todesurteil befürwortet, um Karrierevorteile zu erlangen.128
121
BGH NJW 1971, 571 (574 f.). StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 311, Handakten Bd. VI, S. 645 ff.; BGH NJW 1971, 571 (572). 123 BGH NJW 1971, 571 (572). 124 BGH NJW 1971, 571 (572). 125 BGH NJW 1971, 571 (572). 126 BGH NJW 1971, 571 (572 f.). 127 BGH NJW 1971, 571 (574); vgl. auch schon StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 35; Sig. 291, Hauptakten komplett 5, S. 787. 128 BGH NJW 1971, 571 (574). 122
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Tatsächlich lassen sich in dieser neuen Entscheidung des BGH Ansätze erkennen, hart gegen NS-Richter durchgreifen zu wollen. Dass der 1. Strafsenat des BGH zumindest andeutet, dass auch ein Mord in Betracht kommen könnte, welcher dann zwingend lebenslange Freiheitsstrafe bedeutet hätte, war in Anbetracht der übrigen Rechtsprechungslinie sicherlich unerwartet. Leider sollte es auch dieses Mal nicht mehr zu einer weiteren Äußerung des BGH kommen. 3. Erneute Verhandlung vor dem LG Nürnberg-Fürth Im Januar 1973, also drei Jahre nach der Revisionsentscheidung des BGH, begann vor dem LG Nürnberg-Fürth ein zweiter Anlauf in der Sache Katzenberger.129 Ferber schied bereits zu Beginn aus dem Verfahren aus, da er aus gesundheitlichen Gründen verhandlungsunfähig geworden war.130 Das Verfahren gegen den mittlerweile 66-jährigen Hoffmann wurde auf eine Beschwerde der Katzenberger-Töchter hin fortgeführt, auch wenn dieser als nur noch „bedingt verhandlungsfähig“ angesehen worden war.131 Dieses Mal durfte auch Seiler vor Gericht aussagen, musste sich aber erniedrigende Fragen der Verteidigung gefallen lassen.132 Prozessbeobachter Birkenmaier äußerte sich im Jahre 1973 entrüstet darüber, dass Hoffmanns Verteidiger Rainer Eggert und Fritz Steinacker Seiler scharf angingen und ihren „Status“ als Opfer nicht genügend respektierten: „Aber das Format eines Verteidigers erweist sich nicht zuletzt daran, ob er die Grenzen, die ihm von den Umständen gezogen sind, zu respektieren weiß.“ 133
Eggerts und Steinackers Auftreten als Verteidiger stand also Kößls Prozessführung im Juristenprozess in nichts nach und war nicht weniger skrupellos134. Staatsanwalt Prandl hatte vorgehabt, die lebenslange Freiheitsstrafe für Hoffmann wegen Mordes zu fordern.135 Hoffmann wurde zwischenzeitlich in einem Sanatorium untergebracht und das Gericht musste seinen Tagungsort in ein evangelisches Gemeindezentrum in der Nähe der Klinik verlegen.136 129
Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49. Mauz, in: Der Spiegel 04/1973, S. 51; Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 330; Allgemeine Jüdische Wochenzeitung v. 07.12.1973, abgedruckt in: Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 439 f. (440). 131 Mauz, in: Der Spiegel 04/1973, S. 51; Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 330 ff. 132 Vgl. Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49 (50); Mauz, in: Der Spiegel 04/1973, S. 51 (52); Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 347 ff.; Friedrich, Freispruch, S. 300. 133 Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49 (50); vgl. auch Luber, in: Conze/Safferling (Hrsg.). 134 Vgl. auch Mauz, in: Der Spiegel 04/1973, S. 51 (52); Birkenmaier, in: Die Zeit 07/1973, S. 49 (50); Seliger, Politische Anwälte, S. 499 f. Fn. 1569. 135 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 340. 136 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 338 ff. 130
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Im August 1976 wurde das Verfahren gegen Hoffmann letztlich eingestellt, nachdem jener verhandlungsunfähig geworden war. Er litt an einer „Gehirnschrumpfung“ (Gehirnsklerose) und Depressionen, durch die er – laut Beschluss des Gerichts – zwar fitt genug sei, um seiner Anwaltstätigkeit nachzugehen, aber nicht, um sein eigenes Verfahren zu ertragen.137 VI. Das Ende der Strafverfolgung Nachdem im Oktober 1979 durch den Berliner Justizsenator Gerhard Meyer ein letzter Versuch unternommen worden war, gegen 67 ehemalige Mitglieder des Volksgerichtshofes strafrechtlich vorzugehen, zogen sich die Ermittlungen bis Mitte der 80er Jahre hin.138 Nachdem viele der Beschuldigten aufgrund des mittlerweile hohen Alters noch während der laufenden Ermittlungen verstorben waren, endete auch das letzte Verfahren, nämlich gegen den ehemaligen Richter am Volksgerichtshof Paul Reimers ohne Urteil, da der Angeklagte vor Verfahrensbeginn Selbstmord begangen hatte.139 Etwa 40 Jahre nach dem Nürnberger Juristenurteil kann folglich nur eine äußerst erschreckende Bilanz gezogen werden: In Anbetracht der Tatsache, dass nicht nur die einzelnen Senate das BGH konträre Ansichten zu den Anforderungen an eine strafrechtliche Verfolgung von Juristen vertreten hatten, sondern sogar die gleichen Senate – insbesondere der 5. Strafsenat – anscheinend je nach politischem Hintergrund der Angeklagten entschieden hatten, bleibt der furchtbare Verdacht, dass die Nachkriegsrichter tatsächlich – wie so oft vorgeworfen – „auf dem rechten Auge blind“ gewesen waren.140
B. Lehren aus Nürnberg? I. Bewertung vor dem Hintergrund des Nürnberger Juristenurteils Der Journalist Jörg Friedrich fasst die Entwicklung der Nachkriegsrechtsprechung gegen ehemalige NS-Juristen wie folgt zusammen: „Der Nürnberger Juristenprozeß und die deutschen Juristenprozesse unterscheiden sich darin, dass dort die Richter verurteilt wurden, weil sie Hitlers Gesetze anwandten und hier freigesprochen werden, weil sie Hitlers Gesetze anwandten.“ 141 137 Müller, Furchtbare Juristen, S. 330; Friedrich, Freispruch, S. 300 f.; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 340 f.; Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 433; Allgemeine Jüdische Wochenzeitung v. 07.12.1973, abgedruckt in: Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 439 f. 138 Müller, Furchtbare Juristen, S. 370; Bauer/Koch, Rehse, Nr. 7. 139 Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 450 ff.; v. Miquel, in: Frei (Hrsg.), S. 169, 212; Müller, Furchtbare Juristen, S. 370. 140 Vgl. nur Faessler, in: ZRP 2013, 55; Wassermann, in: NJW 1994, 833; Ennuschat, in: NVwZ 1990, 333. 141 Friedrich, Freispruch, S. 22.
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Tatsächlich blieb von den Nürnberger Grundsätzen nicht viel übrig142: Ein wesentlicher Bestandteil des Juristenprozesses von 1947 war, dass sich NS-Justizverbrecher gemäß Art. II Nr. 4 a), b) KRG10 gerade nicht darauf berufen durften, als „unabhängige“ Richter nur nach dem Wortlaut des Gesetzes entschieden zu haben. Der BGH etablierte hingegen über die Auslegung von § 336 StGB a. F. einen entsprechenden Strafausschluss durch die Hintertür, indem er das stellenweise restriktive Juristenurteil bewusst zugunsten der NS-Justizverbrecher auslegte.143 Dieser sorgte dafür, dass eine überwältigende Anzahl an ehemaligen NS-Richtern und -Staatsanwälten ungeschoren davongekommen waren. Eine Zäsur erfolgte erst 1985, als der deutsche Bundestag anerkannte, dass es sich beim Volksgerichtshof um ein „Terrorinstrument zur Durchsetzung nationalsozialistischer Willkürherrschaft“ gehandelt habe.144 13 Jahre später wurden dann (endlich) auch die Urteile des Volksgerichtshofes und der Sondergerichte aufgehoben.145 Zwar wurden somit die rechtswidrigen NS-Urteile getilgt, ihren Urhebern konnte man allerdings aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters nicht mehr habhaft werden. II. (Zu) späte Reue des BGH Dass die (westdeutsche) Rechtsprechung, wie gesehen, zwei unterschiedliche Maßstäbe an den Tag legte, wenn es um die Verfolgung von NS- und DDR-Unrecht ging, gab im Jahre 1995 selbst der 5. Strafsenat des BGH, der noch Jahre zuvor durch seine „Zick-Zack-Rechtsprechung“ einen wesentlichen Anteil an dieser Ungleichbehandlung gehabt hatte, offen zu. In einem weiteren Verfahren gegen einen ehemaligen DDR-Richter wegen der Mitwirkung an Todesurteilen führte der Senat, nachdem er erneut die Berufung auf politische „Verblendung“ als Verteidigungseinwand verneint hatte, aus: „Beispiele für die dargestellte Problematik bietet namentlich auch die (insgesamt fehlgeschlagene) Auseinandersetzung mit der NS-Justiz. Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft hatte eine ,Perversion der Rechtsordnung‘ bewirkt, wie sie schlimmer kaum vorstellbar war [. . .] und die damalige Rechtsprechung ist angesichts exzessiver Verhängung von Todesstrafen nicht zu Unrecht oft als ,Blutjustiz‘ bezeichnet worden. Obwohl die Korrumpierung von Justizangehörigen durch die Machthaber des NS-Regimes offenkundig war, haben sich bei der strafrechtlichen Verfolgung des NS-Unrechts auf diesem Gebiet erhebliche Schwierigkeiten ergeben [. . .] Die vom Volksgerichtshof gefällten Todesurteile sind ungesühnt geblieben, keiner der am Volksgerichtshof tätigen Berufsrichter und Staatsanwälte wurde wegen Rechtsbeugung verurteilt; ebensowenig Richter der Sondergerichte und der Kriegsgerichte. Ei142
Vgl. auch Perels, in: KJ 1998, 84; Görtemaker/Safferling, Rosenburg, S. 49. Friedrich, Freispruch, S. 51 f. 144 Ohne Verfasser, Volksgerichtshof. 145 „Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und der Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte“ v. 25.08.1998. BGBl. I, S. 2501. Ostendorf, Dokumentation, S. 17. 143
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nen wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hatte nicht zuletzt die Rechtsprechung des BGH [. . .]. Diese Rechtsprechung ist auf erhebliche Kritik gestoßen, die der Senat als berechtigt erachtet. Insgesamt neigt der Senat zu dem Befund, dass das Scheitern der Verfolgung von NS-Richtern vornehmlich durch eine zu weitgehende Einschränkung bei der Auslegung der subjektiven Voraussetzungen des Rechtsbeugungstatbestandes bedingt war [. . .]. Das staatliche verübte Unrecht in der DDR kann mit Rücksicht auf die unterschiedliche Dimension nicht mit dem im nationalsozialistischen Regime begangenen gleichgesetzt werden [. . .]. Eine so vollständige Mißachtung der Ideen von Gerechtigkeit und Menschlichkeit, wie sie das Bild der NS-Justiz prägt, hat es in der DDR-Justiz [. . .] nicht gegeben. Anders als im nationalsozialistischen Führerstaat gab es in der DDR keine Doktrin, wonach der bloße Wille der Inhaber staatlicher Macht Recht schaffen konnte [. . .]. Der Befund deutet bereits darauf hin, dass das Rechtsbewußtsein der in der DDR tätigen Richterschaft – vielleicht gerade angesichts der schrecklichen Erfahrung mit der Terror-Justiz im überwundenen NS-Staat – nicht gänzlich verstummt gewesen sein kann.“ 146
Tatsächlich kam diese Einsicht aber in Anbetracht des hohen Alters der möglichen Straftäter viel zu spät.147 Letztlich wurden überhaupt nur sehr wenige NSJuristen, soweit ersichtlich lediglich solche der Standgerichte (u. a. Walter Fernau und Engelbert Michalski)148, rechtskräftig verurteilt.149 Dass der angeklagte ehemalige DDR-Richter vor diesem Hintergrund seine Verurteilung als „ungerecht“ empfunden haben dürfte, kommentierte der BGH so: „Hätte sich die Rechtsprechung schon damals bei der Prüfung richterlicher Verantwortung für Todesurteile an Kriterien orientiert, wie sie der Senat in seiner heutigen Entscheidung für Recht erkennt, hätte eine Vielzahl ehemaliger NS-Richter strafrechtlich wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Kapitalverbrechen zur Verantwortung gezogen werden müssen. Naheliegend wären viele von ihnen nicht anders, als es dem Angekl. in diesem Verfahren widerfährt, entsprechend zu verurteilen gewesen, und zwar vielfach, wie die Erkenntnisse über die NS-Justiz erweisen, angesichts der Mißverhältnisses zwischen Todesurteil und abgeurteilter ,Tat‘ wegen noch weit schwererer Fälle. Darin, dass dies nicht geschehen ist, liegt ein folgenschweres Versagen bundesdeutscher Strafjustiz. Dies kann selbstverständlich nicht dazu führen, das Verhalten des Angekl. nun nach den gleichen zu engen Maßstäben zu beurteilen. Dass ihm gleichwohl eine grundlegend veränderte Haltung der Rechtsprechung, ohne die seine Verurteilung nicht möglich wäre, kaum als gerecht zu vermitteln sein dürfte, liegt nicht fern.“ 150 146
BGH NJW 1996, 857 (863). Zu den „Gründe[n] des Sinneswandels“ vgl. Gritschneder, in: NJW 1996, 1239 (1240 f.). 148 Amkreutz-Götz, Bauern; Safferling, in: 1. Rosenburg-Symposium, S. 21; Görtemaker, in: 4. Rosenburg-Symposium, S. 80; Friedrich, Freispruch, S. 327 ff. Zur Verurteilung von Huppenkothen vgl. Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 398; Görtemaker, in: 4. Rosenburg-Symposium, S. 80. 149 Denzel, in: KJ 1991, 31 (31); Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 423; Koch, in: ZIS 6/2011, 470; Mauz, in: Der Spiegel 04/1973, S. 51; Bauer/Koch, Rehse, Nr. 3; Rautenberg, in: GA 2012, 32 (34); Hähnchen, Rechtsgeschichte, Rn. 894. 150 BGH NJW 1996, 857 (864). Vgl. auch Müller, Furchtbare Juristen, S. 391. 147
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C. Stellungnahme Während also im Allgemeinen den amerikanischen Richtern im Juristenprozess mangelnde Härte gegen die NS-Richter vorgeworfen worden war, zeigt sich, dass die westdeutsche Justiz nicht etwa auf diese Kritik reagiert hat, sondern ganz im Gegenteil Justizverbrecher systematisch schonte. Dass das Verfahren gegen Ferber und Hoffmann nach acht Jahren ohne Schuldspruch eingestellt wurde, muss für die Opfer des Justizunrechts blanker Hohn gewesen sein.151 Nicht anders beurteilt werden kann die ganz und gar parteiische Rechtsprechung des BGH, die krass zwischen sozialistischem und faschistischem Unrecht unterschied und nur ersteres als bestrafenswert ansah. Eine große Rolle in diesem Punkt dürfte sicher die personelle Kontinuität gespielt haben152, die derzeit Gegenstand mehrerer wissenschaftlicher Untersuchungen ist.153 Obwohl Art. IV KRG 4154 die Entlassung aller in der NS-Justiz involvierten Staatsanwälte und Richter anordnete, wurden 70 % von ihnen in der Nachkriegsjustiz erneut beschäftigt.155 Besonders erschreckend ist, dass fast die Hälfte aller ehemaligen am Volkgerichtshof 156 tätigen Richter und Staatsanwälte wieder an Gerichten Fuß fassen konnten, in Bezug auf ehemalige SondergerichtsRichter bietet sich ein ähnliches Bild.157 Gerade der 5. Strafsenat des BGH scheint hier deutliche Sympathien für ehemalige Richter-Kollegen gehegt zu haben.
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Luber, in: Conze/Safferling (Hrsg.). Vgl. Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 113 ff.; Rottleuthner, Karrieren und Kontinuitäten. 153 Vgl. http://www.uwk-bmj.de (BMJV); http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Presse mitteilungen/DE/2015/11/aufarbeitung-der-eigenen-nachkriegsgeschichte.html (BMI); http://www.bmas.de/DE/Ministerium/Geschichte/symposiom-historiker-kommission2013-06-11.html (Bundesarbeitsministerium). 154 V. 20.10.1945. 155 Vgl. Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 110 f. Zum Volksgerichtshof Rottleuthner, Karrieren und Kontinuitäten, S. 123 Tabelle 4. 156 Etwa ein Drittel der am Reichsgericht beschäftigten Richter und Staatsanwälte verstarb bereits nach wenigen Jahren in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Schäfer, in: DRiZ 11/1957, 249 (250). 157 Vgl. Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 111, 121; Rautenberg, in: GA 2012, 32 (35 f.). Zur NS-Kontinuität am BGH und am BVerfG vgl. Knapp, in: 4. Rosenburg-Symposium, S. 73. 152
§ 16 Nachschau Wie oben1 aufgezeigt, wurden in der Bundesrepublik deutsche Justizverbrecher systematisch geschont und die Opfer der NS-Justiz durch die erfolgten Freisprüche und Verfahrenseinstellungen ein weiteres Mal gedemütigt. Während die Richter des Volksgerichtshofes und der Sondergerichte zu Dutzenden wieder in der Justiz Fuß fassen konnten, kämpften die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer mit ihrem Trauma. Zum Abschluss soll an dieser Stelle stellvertretend für die Opferseite näher auf das Schicksal der Familien Katzenberger und Seiler eingegangen werden. Ihnen wird der weitere Werdegang von Rothaug und dessen Verteidiger Kößl gegenübergestellt werden.
A. Ein Täter und dessen Verteidiger I. Rothaug Rothaug wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, sofern man also eine mögliche Todesstrafe außer Acht lässt, mit der höchstmöglichen Strafe bedacht. Die Strafe wurde am 18.01.1949 durch den Militärgouverneur General Lucius D. Clay bestätigt.2 Auch eine Beschwerde vor dem US Supreme Court hatte keinen Erfolg.3 Der Gefängnisalltag in Landsberg stellte sich allerdings als weniger gravierend dar, als man im Vorhinein gedacht hätte.4 Die Haftbedingungen waren – verglichen mit denjenigen, die die Nazis ihren Opfern aufgezwungen hatten5 – tragbar6, insbesondere was Verpflegung, Fortbildungsmöglichkeiten und Freizeitgestaltung anbelangte. In den ersten Jahren seiner Haft engagierte sich Rothaug als „juristischer Berater“ seiner Mitgefangenen.7 Später legte er in eigener Sache Haftbeschwerde ein, die erfolgreich war.8 Die lebenslange Freiheitsstrafe wurde 1
Kapitel 4 § 15. US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 1202. 3 US Gov. (Hrsg.), Justice Case, S. 1204. 4 Schott, Rothenberger, S. 174; Raithel, Landsberg. 5 Vgl. nur BAKo, B 305/140, S. 377; a. A. Heintzeler, I.G. Farben, S. 20, der die Haftbedingungen als „Psychoterror“ beschreibt. 6 Auch wenn in den Gefängniszellen bis zu fünf Strafgefangene untergebracht worden waren. Vgl. v. Alten, Recht oder Unrecht, S. 33. 7 Seliger, Politische Anwälte, S. 401. 8 StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI Pe18, 19 und 20. Zu der Praxis der Begnadigungen von Kriegsverbrechern Schwartz, in: VjfZ 1990, 375 ff., und speziell für die NMT-Vefahren ebenda, (385 ff.); Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 56. 2
§ 16 Nachschau
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anfang der 1950er Jahre9 auf 20 Jahre herabgesetzt.10 In der Zwischenzeit beantragte Frau Rothaug11, da ihr Mann Beamter auf Lebenszeit gewesen war, Versorgungsbezüge nach § 49 Abs. 2 des „Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131des Grundgesetzes fallenden Personen“ 12 (G131).13 Der Anspruch setzte voraus, dass die betroffenen ehemaligen Beamten entnazifiziert worden waren.14 Da sich aber Rothaug im Gefängnis befand, konnte er nicht zu einem entsprechenden Verfahren vorgeladen werden.15 In derartigen Fällen sah Art. 36 BefreiungsG vor, schriftlich gegen den Betroffenen zu verhandeln. Dieses Vorgehen lehnte Rothaug – ebenso wie Oeschey – ab, da er sich auf diese Weise nicht ausreichend habe verteidigen können.16 Daher wurden Frau Rothaugs Bezüge nicht ausgezahlt.17 Am 06.12.1953 machte Oswald Rothaug selbst Ansprüche nach dem G13118 geltend.19 Am 11.12.1953 erneuerte Maria Rothaug entsprechend ihre Forderungen, welche aber auch im Laufe der nächsten zwei Jahre wiederholt abgelehnt worden waren.20 Zwischenzeitlich zog Frau Rothaug nach Köln-Ehrenfeld.21 Da Rothaug eine Pension aus einem ehemaligen Beamtenverhältnis geltend machte, wurde am 11.06.1956 gemäß § 9 G131 ein förmliches Disziplinarverfahren auf Geheiß des Bundesinnenministeriums gegen ihn eingeleitet, wonach Rothaug gegen § 3 S. 1 Nr. 3a G131 verstoßen haben solle
9
Die Angaben variieren zwischen 1951, 1953 und 1954. StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 7d; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 317; HaStAMü, MJu 26696, Bezüge Frau Rothaug v. 10.06.1951 (o. S.); StAN, StaatsAnw. NürnbergFürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 183 ff. 11 Sie war im Rahmen ihrer Entnazifizierung unter die „Weihnachtsamnestie“ gefallen. Dazu HaStAMü, MJu 26696, Bezüge Frau Rothaug v. 10.06.1951 (o. S.). Vgl. auch BAKo, B 305/140, S. 179 ff. 12 V. 11.05.1951. BGBl. I, S. 307. Vgl. Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 361 ff.; Müller, Furchtbare Juristen, S. 259 ff.; Schumann, in: 2. Rosenburg-Symposium, S. 108. 13 HaStAMü, MJu 26696, P 97 – R 5 v. 16.07.1951 (o. S.); Bezüge Frau Rothaug v. 10.06.1951 (o. S.); Abschrift (unleserlich) 5 – III – 16908. v. 28.11.1951 (o. S.). 14 Vgl. HaStAMü, MJu 26696, P 97 – R 5 v. 16.07.1951 (o. S.); Bezüge Frau Rothaug v. 10.06.1951 (o. S.); Abschrift (unleserlich) 5 – III – 16908. v. 28.11.1951 (o. S.). 15 HaStAMü, MJu 26696, P 97 – R 5 v. 16.07.1951 v. 28.11.1951 (o. S.); Bezüge Frau Rothaug v. 10.06.1951 (o. S.); Abschrift (unleserlich) 5 – III – 16908. v. 28.11. 1951 (o. S.). 16 HaStAMü, MJu 26696, P 97 – R 5 v. 16.07.1951 (o. S.); Bezüge Frau Rothaug v. 10.06.1951 (o. S.); Abschrift (unleserlich) 5 – III – 16908. v. 28.11.1951 (o. S.). 17 HaStAMü, MJu 26696, P 97 – R 5 v. 16.07.1951 (o. S.); Bezüge Frau Rothaug v. 10.06.1951 (o. S.); Abschrift (unleserlich) 5 – III – 16908. v. 28.11.1951 (o. S.). 18 In der Fassung vom 01.09.1953. BGBl. I, S. 1287. 19 HaStAMü, MJu 26696, Abschrift zu III 14185/53 v. 22.12.1953 (o. S.). 20 HaStAMü, MJu 26696, Anmeldung nach dem Gesetz zu Art. 131 GG v. 11.12. 1953 (o. S.); P 97 – R 5 v. 23.12.1953 (o. S.); III – 14 185/53 v. 19.01.1954 (o. S.); Abschrift v. 21.10.1955 (o. S.). 21 HaStAMü, MJu 26696, Abschrift v. 21.10.1955 (o. S.). 10
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Kap. 4: Bewertung und Folgen des Juristenurteils
(Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit).22 Dieser Vorgang weckte anscheinend das Interesse des Bundesamtes für Verfassungsschutz, welches in einer entsprechenden Notiz vermerkte, dass Lautz – obwohl dieser ebenfalls im Juristenprozess verurteilt worden war – Versorgungsbezüge erhielt.23 Im Februar 1956 stellte das Bayerische Justizministerium fest, dass Rothaugs rasanter Karriereaufschwung der „Verreichlichung der Justiz“ unter dem NS-Regime geschuldet gewesen sei. Falls er eine Pension gewährt bekommen sollte, müsste seine eigentliche Pension daher geringer ausfallen.24 Rothaugs Spruchkammerverfahren wurde letztlich eingestellt25 und galt damit nicht als abgeschlossen, „weil er die Fortführung des Verfahrens nicht beantragt hat[te]“.26 Am 18.01. 1966 wurden Rothaug die aus dem G13127 erwachsenen Rechte gemäß § 3 S. 1 Nr. 3a desselbigen aberkannt.28 Ein von Rothaug eingelegter Widerspruch blieb erfolglos.29 Rothaug wurde das Urteil gegen Katzenberger zum Verhängnis.30 In der Entscheidung wird festgestellt, dass allein die Tatsache, dass Katzenberger willkürlich verwehrt worden war, Seilers Ehemann als Zeugen laden zu lassen, die Rechtswidrigkeit des Urteils bedeutet habe.31 Darüberhinaus seien aber auch die Voraussetzungen der VVO gar nicht einschlägig gewesen.32 Erstens sei Rassenschande selbst nach damaliger höchstrichterlicher Rechtsprechung kein gegen den Leib gerichtetes Delikt gemäß § 2 VVO, zweitens seien die Ausführungen zu § 4 VVO „unvertretbar“ gewesen und drittens hätten Küsse auch nach der damals herrschenden Literatur und Rechtsprechung nicht den Tatbestand der Rassenschande verwirklicht. Auch Ferber wurde im Rahmen des Verfahrens als Zeuge gehört und wies auf die Rechtswidrigkeit der Verurteilung wegen eines Verstoßes 22 HaStAMü, MJu 26696, P 97 – R 11 v. 14.12.1953 (o. S.); Presse- und Informationsspiegel des BfV v. 16.02.1959 (o. S.); 1053 – I – 525/60 v. 17.05.1960 (o. S.), S. 1 ff.; 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 2. Vgl. zu dem Verfahren Meyer, in: Hillermeier (Hrsg.), Todesurteile, S. 125 ff.; BVerwG, Urteil v. 18.10.1966 – VI C 80.63 = BeckRS 1966, 00541; BVerwG, Urteil v. 26.01.1967 – II C 102.63 = BeckRS 1967, 00506. Zum verwaltungsrechtlichen Verfahren Schlegelbergers v. Alten, Recht oder Unrecht. 23 HaStAMü, MJu 26696, Presse- und Informationsspiegel des BfV v. 16.02.1959 (o. S.). 24 HaStAMü, MJu 26696, Nr. III – 8306/56 v. 10.02.1956 (o. S.); 14 AR 99/55 GStA. v. 28.01.1956 (o. S.). 25 Art. 2 des „Zweiten Gesetzes zum Abschluß der politischen Befreiung“ v. 11.08. 1954. BayBS III, S. 245. 26 HaStAMü, MJu 26696, 1053 – I – 525/60 v. 17.05.1960 (o. S.), S. 1. 27 Fassung v. 21.08.1961. BGBl. I, S. 1578. 28 HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 23.03.1966 (o. S.); 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.). 29 HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 23.03.1966 (o. S.); 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.). 30 HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 3 ff. 31 HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 3 ff. 32 HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 5 ff.
§ 16 Nachschau
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gegen die VVO und die Bedrohungskulisse für die Richter des Sondergerichts Nürnberg vor dem Hintergrund der NSDAP und SD-Prominenz hin.33 Abgesehen vom Katzenberger-Urteil sei aber auch Rothaugs Charakter für die Entscheidung relevant gewesen. Er sei als „fanatischer Nationalsozialist“ bekannt gewesen, habe den Ruf eines „haßerfüllten antisemitischen Fanatikers“ „genossen“ 34 und habe auch durch seine Verhandlungsführung für die NS-Ideologie eingestanden. Am 10.10.1966 wurde das förmliche Disziplinarverfahren gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 1 Bundesdisziplinarordnung i.V. m. § 9 Abs. 1 S. 1 G131 gegen Rothaug letztlich eingestellt.35 Ende Dezember 195636 wurde Rothaug durch den gemischten Ausschuss, auch unter Beteiligung der Bundesregierung, der Status eines Gefangenen in Außenarbeit zugesprochen37, Mitte Juni 195838 die Strafe als verbüßt erklärt.39 Interessanterweise hatte sich das BMJ noch im Dezember 1956 dafür entschieden, sich zwar für eine vorzeitige Entlassung Klemms, nicht aber für Rothaug einzusetzen, da Rothaug im Gegensatz zu Klemm aus rassistischen Motiven gehandelt habe.40 Danach zog Rothaug nach Köln-Ostheim bzw. Köln-Mülheim und arbeitete als angestellter Wirtschaftsjurist für 1.000 DM brutto pro Monat.41 Am 13.01.1964 stürzte Rothaug auf dem Weg zur Arbeit unglücklich. In 33
Friedrich, Freispruch, S. 276; vgl. auch Mauz, in: Der Spiegel 31/1970, S. 62 f. HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 10. 35 HaStAMü, MJu 26696, IV VR 76/56 v. 07.12.1966 (o. S.); II A 3 – 214 613 II v. 10.10.1966 (o. S.); II A 3 – 214 613 II (Rothaug) v. 23.01.1967 (o. S.). 36 Die Daten werden mit 22.12.1956, 23.12.1956 und 24.12.1956 angegeben. 37 Rothaug wurde nicht, wie z. B. bei Rautenberg, in: GA 2012, 32 (33); Wassermann, in: Ueberschär (Hrsg.), S. 105; Müller, Furchtbare Juristen, S. 356; Kastner, in: JA 1997, 699 (705 f.); Bästlein, in: Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Juristenurteil, S. 31; Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 340, zu lesen ist, als letzter Angeklagter aus dem Juristenprozess aus der Haft entlassen. Dies war Klemm, der am 14.02.1957 entlassen wurde. BAKo, B 141/107615, S. 139; B141/27019, S. 34; Schwartz, in: VjfZ 1990, 375 (405 ff.). Siehe auch Klee, Personenlexikon, S. 315; Wilke, in: Priemel/Stiller (Hrsg.), S. 316; Schott, Rothenberger, S. 174 f.; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 7d; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 183 ff. Spätere Entlassungen gab es nur im Einsatzgruppenprozess [Ernst Biberstein, Adolf Ou, Martin Sandberger (alle 1958)]. Jung spricht auch von der letzten Entlassung im Jahre 1958, ohne sich dabei aber auf eine Person oder Quelle zu berufen. Jung, Rechtsprobleme, S. 2. Nicht korrekt daher Steiniger, in: ders./Leszczyn´ski (Hrsg.), S. 33, nach welchem die „abgeurteilten Nazijuristen [. . .] bei Gründung der Bundesrepublik bereits sämtlich wieder in Freiheit waren“ und Toeplitz, in: NJ 1967, 713 (713). 38 10.06.1958 bzw. 13.06.1958. 39 BAKo, B 141/107615, S. 139; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 183 ff.; Klee, Personenlexikon, S. 510; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 7d; HaStAMü, MJu 26696, 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 2. Vgl. zur Amnestie Perels, in: KJ 1998, 84 (97). 40 Hierzu BAKo, B141/27020, 9250/5E (6), S. 1 ff. 41 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 7a; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., 34
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Kap. 4: Bewertung und Folgen des Juristenurteils
der Folge musste sein linkes Bein amputiert werden, woraufhin ihm eine achtzigprozentige Erwerbungsunfähigkeit zugesprochen wurde.42 Aufgrund dieses Unfalls litt er an weiteren Gebrechen.43 Am 04.12.1967 verstarb Rothaug in Köln.44 Bis zu seinem Tode hatte Rothaug für seine fürchterlichen Verbrechen keine Reue gezeigt. Noch im Jahre 1967 äußerte er: „Sollten wir in Rechtsfragen danebengegriffen haben – na und, das kommt doch jeden Tag vor.“ 45
II. Kößl Wie auch andere ehemalige Verteidiger46 machte Kößl im Anschluss an die Nürnberger Prozesse Karriere. Er war zunächst als Anwalt47 in Nürnberg48, Trostberg und Traunstein tätig49. Aufgrund seiner Expertise wurde er auch von 140 Angehörigen der Ordnungspolizei im November 1946 als Verteidiger in Spruchkammerverfahren beauftragt. Zu diesem Zeitpunkt befand sich aber sein eigenes Entnazifizierungsverfahren auf Antrag des öffentlichen Klägers in der Berufung, sodass der Antrag, Kößl zur Verteidigung zuzulassen, abgelehnt worden war.50 Am 30.04.1952 wurde er – als „Anhänger der Dehler-FDP“ und unterstützt durch die Bayernpartei – zunächst ehrenamtlicher Oberbürgermeister in seiner Heimatgemeinde51 Traunstein für die „Unabhängigen Wähler Traunstein“.52 Am 18.03.1956 wurde Kößl zum hauptamtlichen Oberbürgermeister gewählt53. Bis zu seinem Tode im Jahre 1959 blieb Kößl im Amt.54 Nr. 41, Sig. 291, Hauptakten komplett 5, S. 802; HaStAMü, MJu 26696, 1053 – I – 525/60 v. 17.05.1960 (o. S.), S. 1; G 122/60 v. 20.06.1960 (o. S.); 2030 E – I A. 345 v. 23.03.1966 (o. S.); 2030 E – I A. 345 v. 18.01.1966 (o. S.), S. 2; II A 3 – 214 613 II v. 10.10.1966 (o. S.); Ohne Verfasser, in: Der Spiegel 42/1967, S. 87 (89). 42 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 290, Hauptakten komplett 4, S. 670, 775 f. 43 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 290, Hauptakten komplett 4, S. 776. 44 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 294, Hauptakten komplett 8, S. 1335, 1367; Klee, Personenlexikon, S. 510; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 326; Mauz, in: Der Spiegel 31/1970, S. 62 (63). 45 Zit. nach Ohne Verfasser, in: Der Spiegel 42/1967, S. 87 (89). 46 Vgl. Priemel/Stiller, in: dies. (Hrsg.), S. 51; Seliger, Politische Anwälte, S. 371 ff. 47 Seine Zulassung erhielt er am 18.04.1951. StAMü, OLG München 2052, Schreiben des Präsidenten des Landgerichts v. 18.04.1951. 48 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 16, 56. 49 StAMü, OLG München 2052, Lebenslauf v. 30.04.1949 sowie die entsprechenden Bestätigungsschreiben ebenda (o. S.). 50 StAMü, SpkA K-2565 Koessl Josef, S. 35 ff. 51 Nach Kasenbacher, Traunstein, S. 35 f., war Kößls Heimatstadt Kötzting im Bayerischen Wald. 52 Kasenbacher, Traunstein, S. 35 f.; http://www.uw-traunstein.de/index.php/ueberuns/historie.html; Frei, Lizenzpolitik, S. 166 f. Nach Aufgabe der Anwaltszulassung wurde er im September 1956 aus der Liste der am AG und LG Traunstein zugelassenen
§ 16 Nachschau
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B. Die Opfer des Justizunrechts I. Familie Katzenberger Etwa zeitgleich mit der Vollstreckung von Leos Todesurteil, wurden seine Frau Klara (Claire), sein Bruder Max und seine Schwägerin deportiert und kamen letztlich aufgrund der Bedingungen im KZ um.55 Das gleiche Schicksal ereilte Katzenbergers Schwestern Meta, Clothilde, Rosa und Recha, wobei die letzten beiden bis heute verschollen sind.56 Im August 1942 wurde Leos Bruder David Katzenberger nach Theresienstadt deportiert; er hatte Glück im Unglück, denn er durfte nach Intervention des Internationalen Roten Kreuzes im Februar 1945 in die Schweiz ausreisen und überlebte.57 Die Kinder Käthe und Lieselotte (Lilo)58 flüchteten Mitte der 30er Jahren nach Palästina.59 Hier leben auch heute noch Nachfahren Katzenbergers.60 Katzenbergers 59-jähriger Enkel Joach Freimann, Sohn von Bernhard Freimann und Käthe Katzenberger61, war bis in die 2000er Jahre hinein62 – wie sein Großvater – Schuhverkäufer und lebte in Jerusalem.63 II. Familie Seiler Seilers Vater nahm das Verfahren gegen seine Tochter so sehr mit, dass er im Jahre 1942 „vor Gram“ gestorben war.64 Irene musste ihre Haftstrafe als Zwangsarbeiterin in einem Munitionswerk unter unmenschlichen Bedingungen bestreiten.65 Nachdem sich ihre Mutter in drei Gnadengesuchen für sie eingesetzt hatte, wurden Irene am 19.06.1943 die verbliebenen 25 Wochen Haft erlassen.66 Im Anwälte gelöscht. StAMü, OLG München 2052, Schreiben des Präsidenten des Landgerichts v. 10.09.1956. 53 Kasenbacher, Traunstein, S. 36. 54 Kasenbacher, Traunstein, S. 36; StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 289, Hauptakten komplett 3, S. 599; Seliger, Politische Anwälte, S. 195 f., 471. 55 Kohlhepp, Rothaug; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 269, 274, 281 f. 56 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 294. 57 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 284 f., 294, 297, 375. 58 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 81 f. 59 Die Schreibweise des Namens variiert. Vgl. Kohlhepp, Rothaug; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 28, 67, 79, 331, 335. 60 Kohlhepp, Rothaug. 61 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 98. 62 https://lebeninjerusalem.wordpress.com/2015/01/25/das-ende-des-schuhimperiumdes-leo-katzenberger-freimann-bein-schliesst-schuhladen-in-jerusalem. 63 Kohlhepp, Rothaug; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 351. 64 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 261. 65 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 289 f., 302; dies., Zeugenhaus, S. 198. 66 StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 301, Hauptakten komplett 10, S. 1849; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 302, 309 f., 333 f., 344.
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Kap. 4: Bewertung und Folgen des Juristenurteils
Oktober 1944 fiel ihr Mann an der Westfront.67 Sie verließ Nürnberg, zog nach Guben in Brandenburg und arbeitete dort zusammen mit ihrer Schweser Hertha in dem Fotoatelier ihres Schwagers Paul Ladiges, welcher Irene auch als Zeugen für den Juristenprozess anprieß.68 Sie verbrachte ihr weiteres Leben in der DDR.69 Von Guben zog sie 1948 zunächst nach Weimar, wohin sie Kontakte aus ihrer Ausbildung unterhielt und wo sie selbst „ein eigenes kleines Fotoatelier eröffnete“.70 1960 verschlug es sie dann wegen eines Fotografen, den sie geheiratet hatte, nach Apolda.71 Ein halbes Jahr später war Seiler schon wieder geschieden, blieb aber in Apolda wohnen.72 Die Ereignisse ihrer Nürnberger Zeit hatten sie krank und depressiv gemacht.73 Ihre psychische Situation wurde auch dadurch verschlimmert, dass Seiler selbst in der DDR das Gerücht anhaftete, dass sie „leicht zu haben“ sei und deshalb mit einem Juden „Rassenschande“ begangen habe.74 Durch die anhaltenden Gerüchte und Verleumdungen wurde sie erneut zum Opfer gemacht.75 Es fand auch keine Aufarbeitung im Rahmen der in Nürnberg geführten Verfahren gegen ihre noch lebenden Peiniger Ferber und Hoffmann statt. Zunächst untersagte ihr das MfS im Jahre 1968 gegen Ferber und Hoffmann auszusagen; während des zweiten Verfahrens gegen Hoffmann im Jahre 1973 durfte Seiler zwar als Zeugin erscheinen, musste aber die erniedrigende Verhandlungsführung von Hoffmanns Verteidigern über sich ergehen lassen.76 Im Laufe der Zeit zog sich Irene immer weiter zurück, verhielt sich psychisch auffällig und verstarb letztlich im Jahre 1984 an Krebs.77
C. Abschließende Bemerkung Die Genugtuung des Opfers, also der Ausgleich für erlittenes Unrecht, ist ein das deutsche Strafrecht prägendes Prinzip.78 Keiner der im Juristenprozess verurteilten Haupttäter verbrachte mehr als neun Jahre im Gefängnis, selbst wenn sie dutzende Leben auf dem Gewissen gehabt hatten. Eine strafrechtliche Verfol67
StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI A14/15, S. 1046. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 302 ff., 343. 69 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 327, 333. 70 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 343 f. 71 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 342, 344; vgl. auch StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 3. 72 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 344 ff.; vgl. auch StAN, StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01, Rep. 279/5 S., Nr. 41, Sig. 287, Hauptakten komplett 1, S. 180. 73 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 302 f., 349 f. 74 Vgl. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 78, 328, 343 ff. 75 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 333 ff. 76 Hierzu ausführlich Kapitel 4 § 15 A. V. 77 Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 349. 78 Statt aller Streng, Sanktionen, Rn. 43 ff. 68
§ 16 Nachschau
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gung der übrigen NS-Justizverbrecher unterblieb, wie oben gezeigt, fast vollständig. Stattdessen wurden ehemalige NS-Richter und -Staatsanwälte systematisch wieder in der Justiz untergebracht, während ihre Opfer mit ihrem Schmerz und den Folgen der Verurteilungen alleine gelassen wurden. 1983 ließen beispielsweise die Töchter Katzenbergers – vertreten durch ihren Anwalt Robert Kempner – Katzenbergers Namen „reinwaschen“, indem sie ihn aus dem „Mordregister“ des RMJ streichen ließen.79 Dass zwischen Katzenberger und Seiler ein Verhältnis bestand, ist nämlich unwahrscheinlich.80 Zwar mag sich Katzenberger zu dem jungen, hübschen Mädchen durchaus hingezogen gefühlt haben.81 Seine Hilfsbereitschaft und Zuneigung dürfte aber eher dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass er sie als Ersatz für seine in Israel lebende Tochter ansah.82 Katzenbergers Enkel Freimann wurde im Jahre 2002 erneut von seiner Vergangenheit – der zwangsweisen Auswanderung seiner Familie aus Deutschland – eingeholt, als sich eine Selbstmordattentäterin vor seinem Laden in die Luft sprengte.83 In der deutschen Geschichte ist also ein zweifaches Versagen der Justiz zu beobachten: Zunächst ließen sich Juristen für die Verbrechen des Nazi-Regimes missbrauchen, danach weigerten sie sich beharrlich, ihre eigene Vergangenheit aufzuarbeiten und ihre Kollegen zur Rechenschaft zu ziehen. Dieses Ergebnis mag wütend, frustiert oder nachdenklich stimmen. Nur einen Rückschluss sollte man daraus nicht ziehen: Sobald medienwirksam furchtbare Verbrechen vor Gericht verhandelt werden, werden schnell Vorwürfe aus der Bevölkerung laut, wie man denn „so einen Menschen“ verteidigen könne.84 Für NS-Täter wird diese Frage nicht weniger häufig gestellt, wie man anhand des ehemaligen Anwalts Fritz Steinacker sehen kann: Dieser vertrat unter anderem Massenmörder wie Josef Mengele.85 Dabei gebietet schon das Rechtsstaatsprinzip, dass gerade auch schwierige Fälle eine ordnungsgemäße Verteidigung erfahren. Es ist ausschließlich Sache des Gerichts, die Schuld oder Unschuld des Angeklagten festzustellen – nicht die der Öffentlichkeit. Der Verteidiger darf also grundsätzlich nicht in die Nähe des Angeklagten gerückt werden. Mandant und Anwalt verbindet in der Regel weniger eine
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Friedrich, Freispruch, S. 301. Hierzu Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 150 f., 181 f., 221, 257 ff., 359. 81 Vgl. Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 82. 82 Fieberg (Hrsg.), Katalog, S. 435; Kohl, Der Jude und das Mädchen, S. 58 ff., 79. 83 Kohlhepp, Rothaug; https://lebeninjerusalem.wordpress.com/2015/01/25/das-endedes-schuhimperium-des-leo-katzenberger-freimann-bein-schliesst-schuhladen-in-jerusalem. 84 Vgl. nur Bergs, Kindsmörder. 85 Schreiber, in: Die Zeit 45/2009; vgl. auch Seliger, Politische Anwälte, S. 499 f. Fn. 1569 m.w. N. 80
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Kap. 4: Bewertung und Folgen des Juristenurteils
persönliche, als vielmehr eine berufliche Ebene.86 Das mag in den Nürnberger Prozessen und auch in der Nachkriegszeit noch anders gewesen sein, nimmt man Kößl als Beispiel, welcher in den gleichen – verbrecherischen – Kreisen wie sein Mandant Rothaug verkehrte.87 Dies alles ändert aber nichts an der immanent wichtigen Aufgabe des Strafverteidigers.88 Das Unrechts-Regime der Nazis zeichnete sich gerade dadurch aus, dass Menschen vorverurteilt und ohne den Schutz eines Anwalts vor Gericht gezerrt wurden. Diese Fehler dürfen sich nicht wiederholen.
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Vgl. Stelzer, Mandant. Vgl. aber zum Verhältnis Streichers und Kaltenbrunners zu ihren Anwälten Seliger, Politische Anwälte, S. 154 f., 205 f. 88 Hierzu Wolf, Strafverteidigung, S. 1 ff. 87
Anhang Anhang 1: Ordinance Nr. 71 Organization and Power of Certain Military Tribunals Article I. The purpose of this Ordinance is to provide for the establishment of military tribunals which shall have power to try and punish persons charged with offenses recognized as crimes in Article II of Control Council Law No. 10, including conspiracies to commit any such crimes. Nothing herein shall prejudice the jurisdiction or the powers of: Other courts established or which may be established for the trial of any such offenses. Article II. a) Pursuant to the powers of the Military Governor for the United States Zone of Occupation within Germany and further pursuant to the powers conferred upon the Zone Commander by Control Council Law No. 10 and Articles 10 and 11 of the Charter of the International Military Tribunal annexed to the London Agreement of 8 August 1945 certain tribunals to be known as “Military Tribunals” shall be established hereunder. b) Each such tribunal shall consist of three or more members to be designated by the Military Governor. One alternate member may be designated to any tribunal if deemed advisable by the Military Governor. Except as provided in subsection (c) of this Article, all members and alternates shall be lawyers who have been admitted to practice, for at least five years, in the highest courts of one of the United States or its territories or of the District of Columbia, or who have been admitted to practice in the United States Supreme Court. c) The Military Governor may in his discretion enter into an agreement with one or more other zone commanders of the member nations of the Allied Control Authority providing for the Joint trial of any case or cases. In such cases the tribunals shall consist of three or more members us may be provided in the agreement. In such cases the tribunals may include properly qualified lawyers designated by the other member nations. d) The Military Governor shall designate one of the members of the tribunal to serve as the presiding judge. e) Neither the tribunals nor the members of the tribunals or the alternates may be challenged by the prosecution or by the defendants or their counsel.
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f) In case of illness of any member of a tribunal or his incapacity for some other reason, the alternate, if one has been designated, shall take his place as a member in the pending trial. Members may be replaced for reasons of health or for other good reasons, except that no replacement of a member may take place, during a trial, other than by the alternate. If no alternate has been designated, the trial shall be continued to conclusion by the remaining members. g) The presence of three members of the tribunal or of two members when authorized pursuant to subsection (f) supra shall be necessary to constitute a quorum. In the case of tribunals designated under (c) above the agreement shall determine the requirements for a quorum. h) Decisions and Judgments, including convictions and sentences, shall be by majority vote of the members. If the votes of the members are equally divided, the presiding member shall declare a mistrial. Article III. a) Charges against persons to be tried in the tribunals established hereunder shall originate in the Office of the Chief of Counsel for War Crimes, appointed by the Military Governor pursuant to Paragraph 3 of Executive Order Numbered 9679 of the President of the United States dated 16 January 1946. The Chief of Counsel for War Crimes shall determine the persons to be tried by the tribunals and he or his designated representative shall file the indictments with the Secretary General of the tribunals (See Article XIV, infra) and shall conduct the prosecution. b) The Chief of Counsel for War Crimes, when in his judgment it is advisable, may invite one or more United Nations to designate representatives to participate in the prosecution of any case. Article IV. In order to ensure fair trial for the defendants, the following procedure shall be followed: a) A defendant shall be furnished, at a reasonable time before his trial, a copy of the indictment and of all documents lodged with the indictment, translated into a language which he understands. The indictment shall state the charges plainly, concisely and with sufflcient particulars to inform defendant of the offenses charged. b) The trial shall be conducted in, or translated into, a language which the defendant understands. c) A defendant shall have the right to be represented by counsel of his own selection, provided such counsel shall be a person qualified under existing regulations to conduct cases before the courts of defendant’s country, or any other person who may be specially authorized by the tribunal. The tribunal shall appoint qualified counsel to represent a defendant who is not represented by counsel of his own selection. d) Every defendant shall be entitled to be present at his trial except that a defendant may be proceeded against during temporary absences if in the opinion of the tribunal defendant’s interests will not thereby be impaired, and except further as provided in Article VI (c). The tribunal may also proceed in the absence of any defendant who has applied for and has been granted permission to be absent.
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e) A defendant shall have the right through his counsel to present evidence at the trial in support of his defense, and to cross-examine any witness called by the prosecution. f) A defendant may apply in writing to the tribunal for the production of witnesses or of documents. The application shall state where the witness or document is thought to be located and shall also state the facts to be proved by the witness or the document and the relevancy of such facts to the defense. If the tribunal grants the application, the defendant shall be given such aid in obtaining production of evidence as the tribunal may order. Article V. The tribunals shall have the power . . . a) to summon witnesses to the trial, to require their attendance and testimony and to put questions to them; b) to interrogate any defendant who takes the stand to testify in his own behalf, or who is called to testify regarding another defendant; c) to require the production of documents and other evidentiary material; d) to administer oaths; e) to appoint officers for the carrying out of any task designated by the tribunals including the taking of evidence on commission; f) to adopt rules of procedure not inconsistent with this Ordinance. Such rules shall be adopted, and from time to time as necessary, revised by the members of the tribunals or by the committee of presiding judges as provided in Article XIII. Article VI. The tribunals shall . . . a) confine the trial strictly to an expeditious hearing of the issues raised by of the charges; b) take strict measures to prevent any action which will cause unreasonable delay, and rule out irrelevant issues and statements of any kind whatsoever; c) deal summarily with any contumacy, imposing appropriate punishment, including the exclusion of any defendant or his counsel from some or all further proceedings, but without prejudice to the determination of the charges. Article VII. The tribunals shall not be bound by technical rules of evidence. They shall adopt and apply to the greatest possible extent expeditious and nontechnical procedure, and shall admit any evidence which they deem to have probative value. Without limiting the foregoing general rules, the following shall be deemed admissible if they appear to the tribunal to contain information of probative value relating to the charges: Affidavits, depositions, interrogations and other statements, diaries, letters, the records, findings, statements and judgments of the military tribunals and the reviewing and confirming authorities of any of the United Nations, and copies of any document or other secon-
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dary evidence of the contents of any document, if the original is not readily available or cannot be produced without delay. The tribunal shall afford the opposing party such opportunity to question the authenticity or probative value of such evidence as in the opinion of the tribunal the ends of justice require. Article VIII. The tribunals may require that they be informed of the nature of any evidence before it is offered so that they may rule upon the relevance thereof. Article IX. The tribunals shall not require proof of facts of common knowledge but shall take judicial notice thereof. They shall also take judicial notice of official governmental documents and reports of any of the United Nations, including the acts and documents of the committees set up in the various Allied countries for the investigation of war crimes, and the records and findings of military or or other tribunals of any of the United Nations. Article X. The determinations of the International Military Tribunal in the judgments In Case No. 1 that invasions, aggressive acts, aggressive wars, crimes, atrocities or inhumane acts were planned or occurred, shall be binding on the tribunals established hereunder and shall not be questioned except insofar as the participation therein or knowledge thereof by any particular person may be concerned. Statements of the International Military Tribunal in the judgment in Case No. 1 constitute proof of the facts stated, in the absence of substantial new evidence to the contrary. Article XI. The proceedings at the trial shall take the following course: a) The tribunal shall inquire of each defendant whether he has received and had an opportunity to read the indictment against him and whether he pleads “guilty” or “not guilty.” b) The prosecution may make an opening statement. c) The prosecution shall produce its evidence subject to the cross examination of its witnesses. d) The defense may make an opening statement. e) The defense shall produce its evidence subject to the cross examination of Its witnesses. f) Such rebutting evidence as may be held by the tribunal to be material may be, produced by either the prosecution or the defense. g) The defense shall address the court.
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h) The prosecution shall address the court. i) Each defendant may make a statement to the tribunal. j) The tribunal shall deliver judgment and pronounce sentence.
Article XII. A Central Secretariat to assist the tribunals to be appointed hereunder shall be established as soon as practicable. The main office of the Secretariat shall be located in Nuernberg. The Secretariat shall consist of a Secretary General and such assistant secretaries, military officers, clerks, interpreters and other personnel as may be necessary.
Article XIII. The Secretary General shall be appointed by the Military Governor and shall organize and direct the work of the Secretariat. He shall be subject to the supervision of the members of the tribunals, except that when at least three tribunals shall be functioning, the presiding judges of the several tribunals may form the supervisory committee.
Article XIV. The Secretariat shall: a) Be responsible for the administrative and supply needs of the Secretariat and of the several tribunals. b) Receive all documents addressed to tribunals. c) Prepare and recommend uniform rules of procedure, not inconsistent with the provisions of this Ordinance. d) Secure such information for the tribunals as may be needed for the approval or appointment of defense counsel. e) Serve as liaison between the prosecution and defense counsel. f) Arrange for aid to be given defendants and the prosecution in obtaining production of witnesses or evidence as authorized by the tribunals. g) Be responsible for the preparation of the records of the proceedings before the tribunals. h) Provide the necessary clerical, reporting and interpretative services to the tribunals and its members, and perform such other duties as may be required for the efficient conduct of the proceedings before the tribunals, or as may be requested by any of the tribunals. Article XV. The judgments of the tribunals as to the guilt or the innocence of any defendant shall give the reasons on which they are based and shall be final and not subject to review. The sentences imposed may be subject to review as provided in Article XVII, infra.
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Anhang Article XVI.
The tribunal shall have the right to impose upon the defendant, upon conviction, such punishment as shall be determined by the tribunal to be just, which may consist of one or more of the penalties provided in Article II, Section 3 of Control Council Law No. 10. Article XVII. a) Except as provided in (b) infra, the record of each case shall be forwarded to the Military Governor who shall have the power to mitigate, reduce or otherwise alter the sentence imposed by the tribunal, but may not increase the severity thereof. b) In cases tried before tribunals authorized by Article II (c) the sentence shall be reviewed jointly by the zone commanders of the nations involved, who may mitigate, reduce or otherwise alter the sentence, by majority vote, but may not increase the severity thereof. If only two nations are represented, the sentence may be altered only by the consent of both zone commanders. Article XVIII. No sentence of death shall be carried into execution unless and until confirmed in writing by the Military Governor. In accordance with Article III, Section 5 of Law No. 10, execution of the death sentence may be deferred by not to exceed one month after such confirmation if there is reason to believe that the testimony of the convicted person may be of value in the investigation and trial of other crimes. Article XIX. Upon the pronouncement of a death sentence by a tribunal established thereunder and pending confirmation thereof, the condemned will be remanded to the prison or place where he was confined and there be segregated from the other inmates, or be transferred to a more appropriate place of confinement. Article XX. Upon the confirmation of a sentence of death the Military Governor will issue the necessary orders for carrying out the execution. Article XXI. Where sentence of confinement for a term of years has been imposed the condemned shall be confined in the manner directed by the tribunal imposing sentence. The place of confinement may be changed from time to time by the Military Governor. Article XXII. Any property declared to be forfeited or the restitution of which is ordered by a tribunal shall be delivered to the Military Governor, for disposal in accordance with Control Council Law No. 10, Article II (3).
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Article XXIII. Any of the duties and functions of the Military Governor provided for herein may be delegated to the Deputy Military Governor. Any of the duties and functions of the Zone Commander provided for herein may be exercised by and in the name of the Military Governor and may be delegated to the Deputy Military Governor.
Anhang 2: Control Council Law No. 102 Punishment of Persons guilty of War Crimes, Crimes against Peace and against Humanity In order to give effect to the terms of the Moscow Declaration of 30 October 1943 and the London Agreement of 8 August 1945, and the Charter issued pursuant thereto and in order to establish a uniform legal basis in Glermany for the prosecution of war criminals and other similar offenders, other than those dealt with by the International Military Tribunal, the Control Council enacts as follows: Article I The Moscow Declaration of 30 October 1943 „Concerning Responsibility of Hitlerites for Committed Atrocities“ and the London Agreement of 8 August 1945 “Concerning Prosecution and Punishment of Major War Criminals of European Axis” are made integral parts of this Law. Adherence to the provisions of the London Agreement by any of the United Nations, as provided for in Article V of that Agreement, shall not entitle such Nation to participate or interfere in the operation of this Law within the Control Council area of authority in Germany. Article II 1. Each of the following acts is recognized as a crime: (a) Crimes against Peace. Initiation of invasions of other countries and wars of aggression in violation of international laws and treaties, including but not limited to planning, preparation, initiation or waging a war of aggression, or a war of violation of international treaties, agreements or assurances, or participation in a common plan or conspiracy for the accomplishment of any of the foregoing. (b) War Crimes. Atrocities or offenses against persons or property constituting violations of the laws or customs of war, including but not limited to, murder, ill treatment or deportation to slave labour or for any other purpose, of civilian population from occupied territory, murder or ill treatment of prisoners of war or persons on the seas, killing of hostages, plunder of public or private property, wanton destruction of cities, towns or villages, or devastation not justified by military necessity. (c) Crimes against Humanity. Atrocities and offenses, including but not limited to murder, extermination, enslavement, deportation, imprisonment, torture, rape, or other
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inhumane acts committed against any civilian population, or persecutions on political, racial or religious grounds whether or not in violation of the domestic laws of the country where perpetrated. (d) Membership in categories of a criminal group or organization declared criminal by the International Military Tribunal. 2. Any person without regard to nationality or the capacity in which he acted, is deemed to have committed a crime as defined in paragraph 1 of this Article, if he was (a) a principal or (b) was an accessory to the commission of any such crime or ordered or abetted the same or (c) took a consenting part therein or (d) was connected with plans or enterprises involving its commission or (e) was a member of any organization or group connected with the commission of any such crime or (f) with reference to paragraph 1 (a) if he held a high political, civil or military (including General Staff) position in Germany or in one of its Allies, co-belligerents or satellites or held high position in the financial, industrial or economic life of any such country. 3. Any persons found guilty of any of the crimes above mentioned may upon conviction be punished as shall be determined by the tribunal to be just. Such punishment may consist of one or more of the following: (a) Death. (b) Imprisonment for life or a term of years, with or without hard labor. (c) Fine, and imprisonment with or without hard labour, in lieu thereof. (d) Forfeiture of property. (e) Restitution of property wrongfully acquired. (f) Deprivation of some or all civil rights. Any property declared to be forfeited or the restitution of which is ordered by the Tribunal shall be delivered to the Control Council for Germany, which shall decide on its disposal. 4. (a) The official position of any person, whether as Head of State or as a responsible official in a Government Department, does not free him from responsibility for a crime or entitle him to mitigation of punishment. (b) The fact that any person acted pursuant to the order of his Government or of a superior does not free him from responsibility for a crime, but may be considered in mitigation. 5. In any trial or prosecution for a crime herein referred to, the accused shall not be entitled to the benefits of any statute of limitation in respect to the period from 30 January 1933 to 1 July 1945, nor shall any immunity, pardon or amnesty granted under the Nazi regime be admitted as a bar to trial or punishment.
Article III 1. Each occupying authority, within its Zone of Occupation, (a) shall have the right to cause persons within such Zone suspected of having committed a crime, including those charged with crime by one of the United Nations, to be
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arrested and shall take under control the property, real and personal, owned or controlled by the said persons, pending decisions as to its eventual disposition. (b) shall report to the Legal Directorate the name of all suspected criminals, the reasons for and the places of their detention, if they are detained, and the names and location of witnesses. (c) shall take appropriate measures to see that witnesses and evidence will be available when required. (d) shall have the right to cause all persons so arrested and charged, and not delivered to another authority as herein provided, or released, to be brought to trial before an appropriate tribunal. Such tribunal may, in the case of crimes committed by persons of German citizenship or nationality against other persons of German citizenship or nationality, or stateless persons, be a German Court, if authorized by the occupying authorities. 2. The tribunal by which persons charged with offenses hereunder shall be tried and the rujles and procedure thereof shall be determined or designated by each Zone Commander for his respective Zone. Nothing herein is intended to, or shall impair or limit the Jurisdiction or power of any court or tribunal now or hereafter established in any Zone by the Commander thereof, or of the International Military Tribunal established by the London Agreement of 8 August 1945. 3. Persons wanted for trial by an International Military Tribunal will not be tried without the consent of the Committee of Chief Prosecutors. Each Zone Commander will deliver such persons who are within his Zone to that committee upon request and will make witnesses and evidence available to it. 4. Persons known to be wanted for trial in another Zone or outside Germany will not be tried prior to decision under Article IV unless the fact of their apprehension has been reported in accordance with Section 1 (b) of this Article, three months have elapsed thereafter, and no request for delivery of the type contemplated by Article IV has been received by the Zone Commander concerned. 5. The execution of death sentences may be deferred by not to exceed one month after the sentence has become final when the Zone Commander concerned has reason to believe that the testimony of those under sentence would be of value in the investigation and trial of crimes within or without his zone. 6. Each Zone Commander will cause such effect to be given to the judgments Of courts of competent jurisdiction, with respect to the property taken under his control pursuant thereto, as he may deem proper in the interest of Justice.
Article IV 1. When any person in a Zone in Germany is alleged to have committed a crime, as defined in Article II, in a country other than Germany or in another Zone, the government of that nation or the Commander of the latter Zone, as the case may be, may request the Commander of the Zone which the person is located for his arrest and delivery for trial to the country or Zone in which the crime was committed. Such request for delivery shall be granted by the Commander receiving it unless he believes such
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person is wanted for trial or as a witness by an International Military Tribunal, or in Germany, or in a nation other than the one making the request, or the Commander is not satisfied that delivery should be made, in any of which cases he shall have the right to forward the said request to the Legal Directorate of the Allied Control Authority. A similar procedure shall apply to witnesses, material exhibits and other forms of evidence. 2. The Legal Directorate shall consider all requests referred to it, and shall determine the same in accordance with the following principles, its determination to be communicated to the Zone Commander. (a) A person wanted for trial or as a witness by an International Military Tribunal shall not be delivered for trial or required to give evidence outside Germany, as the case may be, except upon approval by the Committee of Chief Prosecutors acting under the London Agreement of 8 August 1945. (b) A person wanted for trial by several authorities (other than an International Military Tribunal) shall be disposed of in accordance with the following priorities: (1) If wanted for trial in the Zone in which he is, he should not be delivered unless arrangements are made for his return after trial elsewhere; (2) If wanted for trial in a Zone other than that in which he is, he should be delivered to that Zone in preference to delivery outside Germany unless arrangements are made for his return to that Zone after trial elsewhere; (3) If wanted for trial outside Germany by two or more of the United Nations, of one of which he is a citizen, that one should have priority; (4) If wanted for trial outside Germany by several countries, not all of which are United Nations, United Nations should have priority; (5) If wanted for trial outside Germany by two or more of the United Nations, then, subject to Article IV 2 (b) (3) above, that which has the most serious charges against him, which are moreover supported by evidence, should have priority. Article V The delivery, under Article IV of this law, of persons for trial shall be mades on demands of the Governments or Zone Commanders in such a manner that the delivery of criminals to one jurisdiction will not become the means of defeating or unnecessarily delaying the carrying out of justice in another place. If within six months the delivered person has not been convicted by the Court of the Zone or country to which he has been delivered, then such person shall be returned upon demand of the Commander of the Zone where the person was located prior to delivery.
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Abbildung 1: Geschäftsverteilung des Justizministeriums
Anhang 3: Schaubilder aus dem Juristenprozess3
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Quelle: StAN, KV-Prozesse Fall 3, Rep. 501, XVI B51.
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Abbildung 2: Gerichtsaufbau im „Dritten Reich“
Abbildung 3: Staatsrechtliche Hierarchie im Dritten Reich (1)
Anhang 361
Abbildung 4: Staatsrechtliche Hierarchie im Dritten Reich (2)
362 Anhang
Literaturverzeichnis Primårquellen Bundesarchiv Berlin Bestand ehe. BDC SSO Kössl, Josef Bestand ehem. BDC PK Kössl, Josef Bestand R9361-III-102315 Bestand ZB-1137-A.12
Bundesarchiv Koblenz Bestand 141, Nr. 9561–9562 Bestand Az. 9250/1–2, Laufzeit 1953 Bestand B 141/27019 Bestand B 141/107615 Bestand B 305/140
Hauptstaatsarchiv München Bestand MJu 26696
Staatsarchiv München Bestand AG 42967 Bestand OLG München 2052 Bestand SpkA K-2565 Koessl Josef
Staatsarchiv Nürnberg Bestand KV-Anklage Bestand KV-Prozesse, Fall 3 Bestand Findbuch, Fall 3 Bestand StaatsAnw. Nürnberg-Fürth 2004-01
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Literaturverzeichnis Stadtarchiv Aschaffenburg
Bestand Aufenthaltsanzeige Bestand Jahresbericht über das Kgl. humanistische Gymnasium und das Kgl. Studienseminar zu Aschaffenburg
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Personenverzeichnis Altstötter, Josef 58, 88, 109 f., 141 ff., 149, 181 ff., 261, 269, 303, 319 Altstötter, Ludwig 109 ff. Ammon, Wilhelm v. 58, 88, 109, 140 ff., 149, 167, 261 f., 285, 303 f. Aschenauer, Rudolf 109 f., 171, 202 Babel, Ludwig 125 Barnickel, Paul 58, 88, 107, 109, 140, 151, 259 f., 261, 265, 268, 282, 314, 317 Bauer, Armin 96 f., 312 Behling, Kurt 109 f., 115 Blair, Mallory 83, 290, 293, 307 f. Bothe, Helmut 109, 111 Brand, James 84, 233 Brieger, Richard 109 ff., 202, 217 Cuhorst, Hermann 58, 88, 106, 109, 140, 144, 150, 181 ff., 217, 257 ff., 265, 269, 271, 301, 314, 316 f. Döbig, Friedrich 207, 225, 281 Dötzer, Gerda 109 ff. Dötzer, Karl 109, 111, 145, 202 f. Durchholz, unbekannter Vorname 109 Durka, unbekannter Vorname 98 f., 260, 283, 310 ff. Einstein, Henry 85, 228 ff. Elkar, Fritz 131, 183, 224 ff., 239, 260, 276, 280, 310, 313 Engert, Karl 58, 60, 88, 102, 107, 109, 140 f., 144, 149, 152, 167 f., 181 f., 184, 216 ff., 222, 235, 303, 312, 327 Ferber, Karl Josef 89 f., 97, 100 ff., 173, 217 ff., 227 ff., 235, 243, 279 f., 283, 310, 312, 326 ff., 339, 342, 346
Frank, Hans 51, 86, 179, 196 Goebbels, Joseph 34 Göring, Hermann 51, 183, Grasser, Vorname unbekannt 105, 268 f., 327 Groben, Hans 94 f., 280, 283 f., 310, 312 Grube, Heinrich 109, 111, 202, 213 Gürtner, Franz 149, 155, 199, 273 Haensel, Carl 6, 65, 73 f., 109, 111, 113, 201, 203, 248 f., 251 ff., 308, 317 Harding, Justin Woodward 84 Haßfürther, Karl 109, 111 Heinke, Erhard 109 ff. Heintzeler, Wolfgang 55 f., 113 Heß, Rudolf 51, 156 Himmler, Heinrich 34, 47, 49, 123 f., 156, 160, 182 ff., 191, 255 Hitler, Adolf 24, 34 ff., 46 ff., 51, 56, 134, 140, 148 f., 151, 153 f., 157 ff., 165 ff., 171, 185, 188, 190 ff., 195, 199, 212, 234, 255, 262, 272 f., 296, 298 ff., 308 f., 313, 330, 336 Hodenberg, Hodo v. 320 f. Hoffmann, Heinz Hugo 89 f., 103 ff., 107, 173, 217, 220, 223, 227 ff., 310, 312, 326 ff., 339, 346 Hüttl, Adolf 109, 111 Jahrreiß, Hermann 57, 201, 212, 214, 242, 272, 299 Janicki, Hubertus 109 ff. Joël, Günther 58, 88, 109, 141 ff., 149, 153, 155, 161, 167 f., 181 ff., 248, 259, 261 f., 268 f., 285, 300, 303, 306, 328
Personenverzeichnis
381
Katzenberger, Leo 89, 94 ff., 172 f., 186, 217, 220 ff., 226, 229 ff., 233 f., 266, 268 f., 271, 283 f., 310, 312 f., 318, 319, 327 ff., 340, 342 f., 345, 347 Kerrl, Hans 180 Klemm, Herbert 58, 87, 109, 140 ff., 149, 259 ff., 268, 300, 303, 306, 314, 343 Kößl, Josef 27 ff., 109, 111, 114 ff., 144 f., 202 ff., 211 ff., 217 ff., 223 f., 226 f., 232, 234, 238 ff., 247, 271 f., 274 ff., 279, 281 ff., 318, 320, 335, 340, 344, 348 Kraus, Herbert 74 Kreyssig, Lothar 23, 38 Kubuschok, Egon 109 ff., 187, 202 f.
Petersen, Hans 58, 88, 107, 109, 140, 152, 171, 259, 262, 265, 282, 314 Pribilla, Karl 109, 112
LaFollette, Charles 85, 146, 240, 255 Lautz, Ernst 58, 88, 107, 109, 140 ff., 151, 153, 166 ff., 174, 259, 261 f., 265, 268, 282, 304, 306, 317, 342 Link, Heinrich 109, 111, 216 Lopata, Jan 99 f., 173, 186, 260, 268 f., 284, 310 ff., 327
Schilf, Alfred 109 f., 112, 145, 202 f., 219 Schlegelberger, Franz 58, 87, 109, 115, 140 ff., 148 f., 156, 158, 161, 165 ff., 199, 212, 242 f., 257, 259 f., 262, 268, 299 f., 303, 306, 314, 328 Schmidt, Rudolf 109, 112 Seiler, Irene 94 ff., 172 f., 218, 221 ff., 228 f., 233 f., 284, 312 f., 319, 328 ff., 340, 342, 345 ff. Six, Franz 70 Speer, Albert 51 Stackelberg, Curt Ferdinand v. 252 Struss, unbekannter Vorname 98 f., 260, 283, 310 f., 313
Mandry, Kurt 109 Markl, Hermann 97, 172, 220, 222, 283, 310, 312, 327 f. Marshall, Carrington 59, 83 f. Marx, Hanns 109, 111, 202, 216 f. Mettgenberg, Wolfgang 58, 88, 109, 140 f., 145, 149, 212, 261 f., 271, 304 Nebelung, Günther 58, 88, 107, 109, 140, 144 f., 152, 181, 184, 228, 259, 262, 282, 314 Oeschey, Rudolf 58, 88 f., 102, 109, 140, 144, 150, 152, 181, 184, 227, 235, 241 f., 259, 265, 268 ff., 281, 301, 310, 314, 317, 341 Ohlendorf, Otto 69, 110 Orth, Hermann 109, 111, 203
Radbruch, Gustav 67, 321 ff., 331 Rehse, Hans-Joachim 325 f. Rothaug, Oswald 6, 27 f., 32 f., 58, 60, 88 ff., 96 f., 99 ff., 109, 114 f., 130 ff., 140, 144, 150 ff., 172 f., 181, 183 f., 186 f., 189, 203, 204 ff., 213, 217 ff., 241, 247, 259 f., 265, 268 ff., 273 ff., 276 f., 278 ff., 282 ff., 285 f., 301, 309 ff., 314 ff., 326 ff., 340 ff., 348 Rothaug, Rosemarie 91, 235 f., 239 Rothenberger, Curt 39 f., 58, 87 f., 109, 140 ff., 159 f., 260, 262, 268, 271, 300, 304, 306
Taylor, Telford 85, 146 ff., 240, 248 Thiele-Fredersdorf, Herbert 109, 112, 293 Thierack, Otto 86, 149, 152, 158 ff., 168, 174, 182, 199, 262, 270, 300 Tipp, Edmund 109, 112, 213 Velsen, Manfred v. 57 Wandschneider, Erich 109, 112, 203 Westphal, Carl 58, 86, 88, 140 f., 149
Sachverzeichnis Affidavit 78, 115, 144, 171, 211, 214, 217, 220, 223, 230, 232, 234 ff.
IMT-Statut 61 ff., 76, 80, 108, 175, 243, 248 f., 254, 267, 290, 295, 308
Blutschutzgesetz (= BluSchuG) 96, 172, 224, 231, 299, 305, 312
Justizministerium (siehe Reichsjustizministerium)
Conspiracy 33, 60, 63 ff., 71, 74, 134, 136, 153, 186, 248 ff., 267, 307 f., 315
Kontrollratsgesetz Nr. 10 (KRG10) 61 ff., 71 ff., 78, 80, 106, 136, 138, 143, 162, 164 f., 174 f., 181, 189, 201, 203, 241, 243 ff., 248 ff., 254, 255 f., 264 ff., 275, 278, 281, 288 ff., 292 ff., 297, 304, 307 f., 319, 321, 337 Konzentrationslager (siehe KZ) Korps der Politischen Leiter (siehe Führerkorps) Kriegsverbrechen 27, 50, 56 f., 65 ff., 85, 127, 133, 134, 136 ff., 143, 145, 161 ff., 186, 201, 241, 243, 248, 250 f., 254, 257 ff., 263, 267, 290, 292, 294 f., 297, 301 ff., 305, 308 f., 315, 319 KZ 24, 34, 47 f., 105 f., 122, 125, 139, 141, 155, 160, 168, 182, 191, 213, 257, 270, 274, 304, 306, 324, 345
Erbgesundheitsgericht 150 f. Feldgendarmerie 119, 121, 127, 129 f. Führerbefehl 75, 189, 212, 245, 297, 321 Führerkorps 68, 107, 144, 181, 183 f., 207, 225, 268, 270, 307 Gendarmerie 118 ff. Gesetzespositivismus (siehe Rechtspositivismus) Gestapo 48, 51, 68, 98 f., 122, 137 ff., 149, 155 f., 161, 168, 171, 231, 275, 303 ff. Haager Landkriegsordnung (= HLKO) 66, 138, 163, 198, 246, 252 f., 258, 261, 289, 305 f. Heimtückeverordnung, Heimtückegesetz 45, 138, 226, 301, 322 Hilfsrichter (siehe Laeinrichter) Hochverrat 92, 105, 140, 150 f., 169, 186, 253, 261 f., 282, 301, 303, 322 ICTY 82, 293 f. IMT-Prozess 25, 28, 50 ff., 55 ff., 69 ff., 78 f., 83, 106, 121, 125 ff., 132, 135, 144, 162, 181, 183 f., 187, 201, 203, 208, 212, 238, 244, 270, 289, 292, 303, 305, 307
Laienrichter 40, 88, 107, 151 f. Landesverrat 137, 155, 269, 302 f. Landsberg (Kriegsverbrechergefängnis) 314, 340 Nacht-und-Nebel-Erlass (= NN-Erlass) 140 f., 166 f., 197, 245, 260, 303 ff., 308, 310 Ne bis in idem 47, 139, 173, 194 f., 267, 299 Nichtigkeitsbeschwerde 47, 99, 157, 174, 194 f., 222, 272 f., 311 NMT-Prozesse 25, 28, 32, 50, 54 ff., 61, 78, 83 f., 106, 126, 145, 162, 248, 254, 294, 315 f., 320
Sachverzeichnis NSDAP 34, 36, 54, 71, 92, 97, 102, 117 f., 122 f., 126, 131, 137, 142, 152, 178 ff., 184, 221, 225, 230, 268, 272, 274, 280 f., 284, 343 Nürnberger Prozesse 5, 25 f., 29, 31 f., 50 ff., 58, 61, 74 f., 81 f., 110, 113, 115, 125 ff., 162, 211, 215, 232, 247, 251, 254, 288, 293, 316, 326, 344, 348 Nulla poena sine lege 44, 52, 82 Organisationsverbrechen 28, 67 ff., 106, 184 Polenstrafrechtsverordnung (= PoStraV) 45, 154, 165, 197, 225, 257 ff., 276, 283, 299, 301, 305 f., 312 f. Polizei-Division 120, 127, 129 Rechtspositivismus 37, 188, 200, 212, 321 ff. Rechtswahrerbund, nationalsozialistischer (= NSRB) 93, 107, 159, 179, 207, 227, 237 f., 281, 309 Reichsjustizministerium (= RMJ) 38, 42 ff., 47 ff., 58, 87 f., 107, 136, 138, 140 ff., 148 f., 151 ff., 155 ff., 160, 167, 174, 178, 181 f., 188, 191, 196, 199, 222, 226, 234, 246, 255, 257, 261 f., 300, 303 f., 306, 309, 312, 327 f., 347 Reichssicherheitshauptamt (= RSHA) 48, 68, 127, 133, 136, 139, 160 f., 165, 168 Reichstagsbrandprozess 42, 46, 151, 203 SA 39, 47, 53, 117 ff., 122, 126, 155 f., 180, 279 Schutzhaft 47, 139, 141, 191, 213 SD 68 ff., 106, 111, 118 f., 122, 126 ff., 131, 138, 144, 161, 172, 181, 183, 207, 220 ff., 230, 235 f., 239, 270, 279 ff., 300, 307, 309 f., 313, 316
383
Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS (siehe SD) Sondergericht 26 f., 46, 88 ff., 95 ff., 101, 103 ff., 137 ff., 149 f., 153, 156, 167, 169, 186, 193, 195, 202, 205 f., 208, 212 f., 220, 223 ff., 233, 237, 260, 264, 268, 273, 276 f., 279 f., 282, 284, 288, 299, 310 ff., 317, 320, 328, 331 f., 337, 339, 340, 343 SS 39, 47 f., 51, 55, 68 f., 71, 102, 106, 111, 119 f., 122 f., 125 f., 128 f., 139 f., 144, 147, 151 f., 154 ff., 160 f., 168, 171, 180 ff., 185, 190 f., 224, 231, 279 f., 306 f., 313, 316 Standgerichte, zivile 46, 88, 152, 169, 242, 299, 320, 338 Tätertypen 45, 192, 202 Trial-Brief 78, 240 Verbrechen gegen den Frieden 63 ff., 136, 302 Verbrechen gegen die Menschlichkeit (= VGM) 66 f., 134 ff., 143, 145, 161 ff., 186, 201, 205, 240 f., 243 f., 248, 251, 254, 257, 259 ff., 263 ff., 267 ff., 289 f., 294 f., 301 f., 306 ff., 314 f., 319 Verordnung Nr. 7 (= VO 7) 76 ff., 84, 108, 113, 144, 162, 174, 201, 216 f., 232, 250 f., 292, 308 Volksgerichtshof 26 f., 46, 86, 88, 93, 107, 137, 139, 149 ff., 159 f., 168 f., 172, 174, 186, 193, 202, 205, 213, 242, 260, 264, 277, 299, 304, 317, 320, 325 f., 336 f., 340 Volksschädlingsverordnung (= VVO) 45, 96, 99, 105, 172, 192, 221 f., 230 f., 278, 283 f., 286, 312, 331, 342 f. Weimarer Republik 37, 43, 117, 137, 148, 189