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German Pages 244 Year 2018
Jana Eichmann Konsum im Spiegel der Medien
Kulturen der Gesellschaft | Band 34
Jana Eichmann (Dr. phil.), geb. 1985, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für allgemeine Soziologie der Universität Paderborn. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Mediensoziologie, Konsum- und Markensoziologie sowie Arbeitssoziologie.
Jana Eichmann
Konsum im Spiegel der Medien Subjektbildung am Beispiel des Dokutainmentformats »Shopping Queen«
Dissertation »Konsum im Spiegel der Medien. Subjektivierung durch mediale Konsuminszenierungen« an der Fakultät für Kulturwissenschaften, Institut für Medienwissenschaften der Universität Paderborn, 2017 Erstgutachter: Prof. Dr. Hannelore Bublitz Zweitgutachter: Prof. Dr. Dorothee Meister Drittgutachter: PD Dr. Dierk Spreen Datum der Disputation: 22.06.2017
© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4305-3 PDF-ISBN 978-3-8394-4305-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis | 9 Vorwort | 11 1
Einleitung | 13
THEORETISCHE GRUNDLAGE 2
Soziologische Theorien zur Subjektivierung und Vergesellschaftung | 23
2.1 Das Subjekt als Forschungsgegenstand | 23 2.2 Subjektbildung und Vergesellschaftung in der Gegenwartsgesellschaft | 24 2.2.1 Subjektbildung und Vergesellschaftung durch Risiko – Die Individualisierungsthese nach Ulrich Beck | 25 2.2.2 Subjektivierung als Machteffekt – Disziplinierung und Gouvernementalität nach Michel Foucault | 29 2.2.3 Subjektivierung durch Selbstoptimierung – Das Unternehmerische Selbst nach Ulrich Bröckling | 42 2.3 Zwischenfazit | 47 3
Subjektkonstitution unter den Bedingungen der massenmedialen Unterhaltungskultur | 49
3.1 Die Rezeption massenmedialer Unterhaltungsangebote | 51 3.1.1 Das Rezeptionsverständnis der Cultural Studies | 51 3.1.2 Das Encoding/Decoding-Modell nach Stuart Hall | 52 3.1.3 Erweiterungen von Halls Encoding/Decoding-Modell | 55 3.1.4 Fernsehen als kulturelles Forum | 58 3.1.5 Forschungstechnische Konsequenzen des zugrundeliegenden Rezeptionsverständnisses | 61
3.2 Vergesellschaftungsfunktionen massenmedialer Unterhaltungskultur | 63 3.2.1 Kontingenz und Anomie | 63 3.2.2 Massenmediale Entgrenzung von Erwartungen und Etablierung von artifiziellen Selbst- und Weltverhältnissen | 67 3.2.3 Kommunikative Normalisierung als Mittel der Kontingenzbegrenzung | 70 Konsumbasierte Subjektkonstitution | 85 4.1 Konsum als Forschungsgegenstand | 86 4.1.1 Definitorische Überlegungen | 86 4.1.2 Entwicklungslinien konsumsoziologischer Forschung | 91 4.1.3 Konsum als Selbsttechnologie | 96 4.2 Historische Entwicklung des heutigen Konsum(subjekt)s | 99 4.3 Konsum als Mittel einer steigerbaren Selbstentfaltung – das Konsumsubjekt der Gegenwart | 111 4.4 Zwischenfazit | 126
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5
Konsumistische Kodierung der Selbstentfaltung im Rahmen massenmedialer Unterhaltungsangebote | 129
KONSUMSOZIOLOGISCHE ANALYSE DES DOKUTAINMENT-FORMATS SHOPPING QUEEN Untersuchungsgegenstand und methodische Zugänge | 145 6.1 Die Fernsehserie Shopping Queen als Untersuchungsgegenstand | 145 6.2 Methodisches Vorgehen | 147 6
Analyseergebnisse | 159 7.1 Anordnung artifizieller Wirklichkeiten als Voraussetzung für die Doppelfunktion von Shopping Queen als Unterhaltungs- und Orientierungsangebot | 159 7.2 Kontingenzbegrenzung und Kontingenzentgrenzung | 160 7.3 Normalisierungsstrukturen bei Shopping Queen als Instrument von Subjektivierungsprozessen | 165 7
7.4 7.5 7.6 7.7
8
7.3.1 Disziplinäre und kommunikative Normalisierungsstrukturen als Subjektivierungsinstrument der Shopping Queen-Kandidatinnen | 166 7.3.2 Kommunikative Normalisierungsstrukturen als Subjektivierungsinstrument der Shopping Queen-Rezipienten | 171 Konsumbasierte Selbstoptimierung und Selbstexpression | 176 Auswahlkriterien beim Konsumieren | 186 Genusspotenziale des Konsumierens | 188 Panoptische Anordnungen und die Begehrenserfüllung nach der Sichtbarkeit des eigenen Selbst | 192 Zwischenfazit: Konsumbasierte Subjektbildung im Rahmen des Dokutainment-Formats Shopping Queen | 197
8.1 Zusammenfassung der Analyseergebnisse | 197 8.2 Die Serie Shopping Queen als subjektkonstituierendes Dispositiv | 204 9
Schlussbetrachtung | 215
9.1 Resümee | 215 9.2 Ausblick | 225 Literatur | 229
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzung
Bedeutung
Erklärung
KSH
Kameraschwenk horizontal
Kamera schwenkt nach links oder rechts
KSV D
Kameraschwenk vertikal Detailaufnahme
G
Großaufnahme
N
Nah-Aufnahme
AM HT
Amerikanische Aufnahme Halb-Totale
Kamera schwenkt nach oben oder unten Man sieht nur ein bestimmtes Detail eines eigentlich viel größeren Objektes Man sieht weniger als die Hälfte, aber mehr als ein Detail eines filmischen Gegenstands. Zum Beispiel den Kopf oder die Hand einer Person Der filmischen Gegenstand wird etwa bis zur Hälfte oder bis zu ein Drittel der eigentlichen Größe gezeigt, zum Beispiel den Kopf und den Oberkörper einer Person Zeigt eine Person etwa vom Kopf bis zum Oberschenkel Es wird nahezu der gesamt filmische Gegenstand gezeigt
T
Totale
Es wird der ganze filmischen Gegenstand und etwas zusätzlicher Raum gezeigt
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ST
Super-Totale
S
Schnitt
SC
Split-Screen
EKRN
Einblendung Kretschmer rechts nah Einblendung Kretschmer links nah Overt the shoulder Shot
EKLN
OtS
Es wird ein weit über das notwendige Maß ausgedehnter Blick auf den filmischen Gegenstand gezeigt (vollständiger Gegenstand plus viel zusätzlicher Raum) Übergang zu einer neuen Kameraaufnahme Das Bild ist in zwei einzelne Bilder unterteilt Kretschmer wird auf der rechten Bildseite eingeblendet. Er wird aus einer nahen Kameraeinstellung präsentiert Kretschmer wird auf der linken Bildseite eingeblendet. Er wird aus einer nahen Kameraeinstellung präsentiert Ein filmischer Gegenstand beziehungsweise eine Person wird ‚über die Schulter‘ einer anderen Person gezeigt
Vorwort
Die vorliegende Studie ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation. Auf dem Weg ihrer Entstehung und Fertigstellung haben mich viele Menschen begleitet und bereichert, denen mein ganz besonderer Dank gilt, denn durch ihre großartige Unterstützung in den vergangenen Jahren haben sie maßgeblich zum Erfolg meiner Arbeit beigetragen. Zunächst danke ich meiner Doktormutter Prof. Dr. Hannelore Bublitz, die mir während des gesamten Promotionsprozesses mit Rat und Tat zur Seite stand und mir gleichzeitig immer die Freiheit gab, meinen eigenen Weg zu finden. Ich danke ihr für ihre Expertise und Anregungen in den vielen wertvollen Gesprächen der letzten Jahre sowie für ihr Engagement bei der Schaffung der förderlichen Rahmenbedingungen meiner Promotion. Ihre tatkräftige Unterstützung war bei der Realisierung meines Forschungsprojektes von unschätzbarem Wert. Ebenfalls bedanke ich mich bei meiner Zweitgutachterin Prof. Dr. Dorothee Meister, die mir zu Beginn meiner Promotion den beruflichen Einstieg in die universitäre Forschung ermöglichte und die das Gelingen meiner Dissertation mit ihrem Fachwissen und mit vielen produktiven Anregungen unterstützt hat. Meinem Drittgutachter PD Dr. Dierk Spreen danke ich für seine zahlreichen fachlichen Anmerkungen und Impulse sowie für seine persönlichen Hilfestellungen und Ermutigungen. Durch seine vielfältigen Unterstützungen hat er maßgeblich zu dem Erfolg meines Forschungsprojekts beigetragen und mir auch in schwierigeren Phasen immer wieder Zuversicht in dessen Gelingen gegeben. Prof. Dr. Birgit Riegraf möchte ich für den Vorsitz meiner Promotionskommission und für die Organisation meiner Disputation danken. Besonders wertvoll war für mich auch der intensive Austausch mit Dr. Bianca Meise. Sie hat mich nicht nur mit wichtigen fachlichen Anregungen, Korrekturen und neuen Perspektiven auf meinen Forschungsgegenstand unterstützt, sondern motivierte mich auch in zahlreichen aufbauenden Gesprächen stets dazu, meine Dissertation zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.
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Dem IMT der Universität Paderborn sowie Arwen Klein und Sandra Freise danke ich darüber hinaus für ihre Unterstützung bei der Beschaffung, dem Schnitt und der technischen Aufbereitung des genutzten Filmmaterials. Mein Dank gilt außerdem dem Sender Vox und hier insbesondere Frau Susanne Fried für die Bereitstellung wichtiger Hintergrundinformationen zu dem Dokutainment-Format Shopping Queen. Auch meinen Kollegen aus dem Fachbereich Soziologie der Universität Paderborn danke ich für ihre Unterstützung. Besonders hervorheben möchte ich hier Dr. Lena Weber, Dr. Julia Gruhlich, Dr. Christina Möller und Anna-Lena Berscheid, deren Anregungen und Korrekturen ein große Hilfe für mich waren. Ebenso hilfreich war der produktive Austausch mit den Teilnehmern des Kolloquiums der Medienpädagogik und empirischen Medienforschung an der Universität Paderborn sowie des soziologischen Kolloquiums der Leuphana Universität Lüneburg. Ich danke meinen Mitstreitern und den betreuenden Professoren für die vielen Impulse und Diskussionen sowie für die konstruktive Arbeitsatmosphäre. In diesem Zusammenhang möchte ich besonders Prof. Dr. Dominik Schrage und Dr. Anna-Maria Kamin für ihre wertvollen Feedbacks und Hinweise meinen Dank aussprechen. Für die Unterstützung und die zahlreichen Informationen bezüglich des administrativen Rahmens des Promotionsverfahrens bedanke ich mich außerdem bei Prof. Dr. Christine Freitag. Zudem gilt mein Dank Dr. Imke von Bargen für ihre Hilfe bei Fragestellungen zur qualitativen Inhaltsanalyse. Meine zahlreichen Korrekturleser trugen ebenfalls zu dem Erfolg meiner Arbeit bei. Ich danke Reinhard Eichmann, Nina und Daniel Schaefer, Antje und Dr. Paul Immekus, Theda Windmann, Katharina Riechers, Mareike Hellweg und Sandra Lange für ihre intensiven Korrekturen und ihre Unterstützung. Eine Promotion stellt auch immer eine ganze besondere Herausforderung an das private Umfeld dar. Ich schätze mich überaus glücklich, Menschen an meiner Seite zu haben, die diese Herausforderung mit mir zusammen gemeistert haben und die immer bedingungslos für mich da waren und sind. Ich danke meinen Freunden, die mich unterstützt und für die notwendigen Pausen gesorgt haben sowie meiner Familie und meinem Lebensgefährten, die mich in den vergangenen Jahren mit viel Geduld, Verständnis und persönlichem Einsatz auf meinem Weg begleiteten. Mein Dank gilt dabei insbesondere meinen Eltern, denen ich dieses Buch widme. Ich danke Ihnen für ihre unermüdliche Unterstützung bei dem Erreichen meiner Ziele und für ihr großes Vertrauen in meine Fähigkeiten. Jana Eichmann
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Einleitung
Konsum und Medien sind fundamentale Insignien unserer Zeit. Sie strukturieren unseren Alltag, sind wichtige Faktoren im Wirtschaftsgeschehen, eröffnen informative, aber auch auf Entspannung gerichtete Angebote und prägen nachhaltig unser Welt- und Selbstverhältnis. Die verschiedenen Konsum- und Medienangebote wirken dabei allerdings nicht nur auf uns als Konsumenten und Rezipienten1 und auf unsere Gesellschaftsstrukturen ein, sondern werden umgekehrt auch von unserer Lebenswelt, unseren Bedürfnissen und unseren Vorlieben etc. beeinflusst. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass die Konsumgüter- und Medienindustrie nur mit Produkten wirtschaftliche Gewinne erzielen kann, die anschlussfähig an die Lebenswelt der Konsumenten und Rezipienten sind und von diesen als attraktiv bewertet werden. Nur durch das Anbieten entsprechend ausgerichteter Güter lassen sich Absatzmärkte generieren und ökonomische Gewinne erzielen. Man kann daher feststellen, dass die beiden dargestellten Kulturgüter mit den Strukturen und Individuen der gegenwärtigen Konsum- und Mediengesellschaft eng verwoben sind und mit ihnen in einer wechselseitigen Beziehung stehen. In diesem Zusammenhang erhalten – aus einer soziologischen Warte betrachtet – der Konsum und die medialen Inhalte eine besondere Relevanz, denn die beschriebenen Interdependenzen wirken sich auch auf die Subjektivierungs- und Vergesellschaftungsprozesse der Gegenwart aus. Insbesondere vor dem Hintergrund der generellen Möglichkeitsoffenheit der Postmoderne2
1
Zugunsten einer besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch auf gendergerechte Formulierungen verzichtet. Der Gebrauch von Termini, wie zum Beispiel „Medienrezipienten“ und „Konsumenten“, schließt grundsätzlich sowohl männliche als auch auf weibliche Personen ein.
2
Die Postmoderne kann einerseits als Zeitabschnitt und andererseits durch qualitative Merkmale von der Moderne abgegrenzt werden. So wird hier unter der Postmoderne der Zeitraum ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstanden, der qualitativ
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wird diese Relevanz sichtbar: In einer Zeit, in der alles möglich zu sein scheint und in der traditionelle Lebensformen und Leitlinien zunehmend an Bedeutung verlieren, offerieren beide Kulturfaktoren Sicherheit und Orientierung 3 stiftende Impulse für eine individuelle Selbstbildung. Hierbei fungieren sie in einer Gesellschaft, die sich insbesondere durch Pluralismus und Individualisierungsprozesse auszeichnet, als ein Mittel sozialer Integration. In diesem Zusammenhang erhalten also beide Kulturfaktoren das Potenzial, Individuen zu vergesellschaften und so die Gesellschaft zusammenzuhalten. Entsprechende konsum- und medienorientierte Subjektivierungs- und Vergesellschaftungsprozesse sind bereits im Rahmen verschiedener soziologischer und medienwissenschaftlicher Diskurse thematisiert worden. 4 In diesen wird jedoch die Subjektivierungsleistung beider Kulturgüter lediglich getrennt voneinander beleuchtet. Ihre Verschränkung, in Form medial inszenierter Konsumbilder, ist bisher hingegen kaum wissenschaftlich untersucht worden. Ziel der vorliegenden Studie ist es daher, diese Forschungslücke zu schließen, indem eine theoretische Perspektive zu der Subjektivierungsleistung von medialen Konsuminszenierungen entwickelt wird. Die Relevanz dieser Untersuchungsperspektive wird insbesondere vor dem Hintergrund deutlich, dass sich mediale Konsuminszenierungen in den vergangenen Jahren sowohl in ihrem quantitativen Auftreten als auch in ihrem qualitativen Gehalt verändert dadurch gekennzeichnet ist, dass sich diverse, in der Moderne wurzelnde Modernisierungsprozesse (wie zum Beispiel die Rationalisierung von Traditionen, von Politik und von Wirtschaft oder die Industrialisierung und Verstädterung etc.) so stark weiterentwickelt hatten, dass sich „eine qualitativ veränderte Gesamtsituation [im Vergleich zur Moderne; J. E.] ergibt“ (Essbach 1996, S. 94). Eine ausführliche Darstellung zur Möglichkeitsoffenheit der Postmoderne befindet sich in Kapitel 3.2.1. 3
Der Begriff der Orientierung verweist in diesem Zusammenhang ausdrücklich nicht auf eine strikte Vorgabe von Konsum- und Handlungsmöglichkeiten. Wenn hier und im Folgenden den Medien und dem Konsum eine subjektbildende Orientierungsfunktion attestiert wird, bezieht sich der Orientierungsbegriff vielmehr auf ein wechselseitiges Verhältnis zwischen Individuen und den Angeboten der Konsum- und Medienindustrie, innerhalb dessen die konsumierenden und rezipierenden Subjekte Impulse für eine aktive und individuelle Subjektbildung im Sinne einer kommunikativen Normalisierung (vgl. Kapitel 3.2.3) erhalten. Weitere Ausführungen zum aktiven Medienrezeptionsverständnis und zu den individuellen Subjektivierungsprozessen, die sich im Rahmen von Konsumhandlungen etablieren, befinden sich in Kapitel 3.1 und 4.1.3.
4
Zu der Subjektivierungsfunktion von Medien vgl. z.B. Bublitz (2010), Spreen (2012), Süß (2004), Aufenanger (2008), zur konsumbasierten Subjektbildung vgl. z.B. Schrage (2009), Reckwitz (2006b).
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haben. So lässt sich der Trend feststellen, dass in den Massenmedien nicht nur zunehmend verschiedene Konsumobjekte inszeniert und inhaltlich gerahmt werden, sondern dass auch Selbstbildungsprozesse von Subjekten auf Basis ihrer individuellen Konsumhandlungen verstärkt in den Fokus verschiedener Medieninhalte rücken. Diese Entwicklung lässt sich insbesondere in DokutainmentFormaten, wie Shopping Queen oder Vier Hochzeiten und eine Traumreise etc. beobachten, die seit mehreren Jahren einen festen Bestandteil der deutschen Fernsehlandschaft darstellen und insbesondere im Nachmittagsprogramm des TV-Senders Vox stark vertreten sind.5 In ihnen konkurrieren mehrere Kandidaten in einem konsumbasierten Wettstreit um die Zusammenstellung des besten Outfits und Stylings oder um die Realisierung der spektakulärsten Hochzeit etc. Dabei zeigen diese Sendungen den Fernsehzuschauern, wie einzelne Subjekte ihr Selbst mit Hilfe von Konsumobjekten aktiv gestalten und ihrer Umwelt präsentieren. Sie führen in diesem Zusammenhang ihren Rezipienten damit nicht nur zahlreiche Konsumanlässe und Konsummöglichkeiten vor Augen, sondern setzen auch konkret konsumbasierte Subjektivierungsprozesse in Szene, also Prozesse der Selbstbildung verschiedener Individuen, die mit Hilfe von Konsumobjekten vollzogen werden. Hierdurch offerieren sie den Zuschauern Applikationsfolien für deren eigene konsumbasierte Subjektbildung und bedürfen – aus einer soziologischen Perspektive betrachtet – einer ausführlichen wissenschaftlichen Untersuchung. Die vorliegende Studie analysiert vor diesem Hintergrund die subjektkonstituierenden Potenziale von Konsumbildern und Konsumthematisierungen in massenmedialen Unterhaltungsangeboten im Allgemeinen und spezifiziert die Ergebnisse schließlich in Hinblick auf das Dokutainment-Format Shopping Queen. Hierbei werden soziologische Ansätze zu den Subjektivierungsfunktionen der Medien sowie des postmodernen Konsums6 zueinander in Relation gesetzt und erweitert. Anders als die meisten bisher veröffentlichten Untersuchungen zur Sozialisations- und Subjektivierungsfunktion der Massenkultur 7 – zu der sich sowohl massenmediale Unterhaltungsangebote als auch der postmoderne Konsum zurechnen lassen – zeichnet sich die Untersuchungsperspektive dieser Studie damit durch einen mehrdimensionalen und reflexiven Blickwinkel 5
Die beiden angeführten Beispiele Shopping Queen und Vier Hochzeiten und eine Traumreise werden beispielsweise seit dem Jahr 2012 auf dem TV-Sender Vox ausgestrahlt.
6
In Kapitel 4.3 werden die Merkmale des postmodernen Konsums sowie die Charakteristika der sich mit seiner Hilfe konstituierenden Konsumsubjekte ausführlich erläutert.
7
Eine Reflexion des Begriffs der Massenkultur befindet sich auf S. 49.
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aus. Dieser berücksichtigt die selbstbezügliche Thematisierung der Massenkultur (am Beispiel des Konsums) in sich selbst (konkretisiert durch die Inhalte von Unterhaltungsmedien) und untersucht die Bedeutung dieser Reflexivität im Rahmen von Sozialisations- und Subjektivierungsprozessen. Darüber hinaus ist die Forschungsperspektive dieser Studie durch eine Verschränkung von theoriebasierten und empirischen Forschungsansätzen geprägt. So wird die Subjektivierungsfunktion von Konsumbildern in massenmedialen (Unterhaltungs-)Angeboten in einem ersten Schritt theoriebasiert hergeleitet, bevor die so konstituierte theoretische Perspektive in einem zweiten Schritt am Beispiel der Fernsehserie Shopping Queen empirisch expliziert wird. Auf diese Weise werden die abstrakten theoretischen Ausführungen an einem aktuellen Medienbeispiel veranschaulicht. Die Analyse des Dokutainment-Formats hat damit nicht das Ziel, aus dem Serienmaterial einen gänzlich neuen theoretischen Ansatz zu generieren, sondern wird vielmehr die zuvor entfaltete Subjektivierungstheorie konkretisieren und fundieren. Um eine gegenstandsangemessene Analyse sicherstellen zu können, wird allerdings nicht ausschließlich deduktiv an das Analysematerial herangegangen. Die prägnantesten Aspekte des Untersuchungsgegenstandes, die nicht durch den zuvor generierten theoretischen Ansatz erfasst werden, werden durch eine – wenn auch eingeschränkte – induktive Betrachtung der zu analysierenden Shopping Queen-Folgen ebenfalls in die Untersuchungsergebnisse miteinfließen. Bei der Analyse der Serie wird das Dispositivkonzept von Michel Foucault als rahmende Theorie verwendet, die analytisch genutzt wird, um die konsumbezogenen und subjektbildenden Diskurse und Machtstrukturen innerhalb der Sendung untersuchen zu können. Diesem Vorgehen liegt, in Anlehnung an die Ausführungen von Gilles Deleuze zu Mikrodispositiven 8, die These zugrunde, dass die Serie Shopping Queen als ein Mikro-Dispositiv eines übergeordneten Medien- und Konsumdispositivs aufgefasst werden kann. In ihm konstituieren sich die Serienkandidaten und die Serienrezipienten in einem Netz vielfältiger Diskurse, Institutionen, Alltagspraktiken und Machtbeziehungen als Konsumsubjekte. Als Analysemethode wird in diesem Zusammenhang ein inhalts- und filmanalytischer Forschungsansatz verwendet. Bei der auf diesem Ansatz basierenden Untersuchung stehen allerdings nicht die Auswirkungen der Serieninhalte auf die Subjektkonstitution der Rezipienten im Fokus 9, sondern es wird insbe8
Vgl. Deleuze (1996), S. 15; Stauff (2004), S. 144 f.
9
Eine solche Zielsetzung könnte aufgrund des zugrundeliegenden aktiven Rezeptionsverständnisses dieser Studie auch nicht mit einem film- und inhaltsanalytischen Forschungsdesign verfolgt werden.
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sondere die Inszenierung von Konsum und konsumbasierten Subjektivierungsprozessen in diesem Format beleuchtet. Auf diese Weise kann ergründet werden, welche Diskurse, Praktiken und Erkenntnisse die Serie hinsichtlich einer konsumbezogenen Subjektkonstitution in Umlauf bringt und gesellschaftlich zirkulieren lässt. Die bei der Untersuchung zum Einsatz kommende empirische Methode basiert auf dem filmanalytischen Ansatz von Helmut Korte und der Methodik der qualitativen Inhaltsanalyse, wie sie insbesondere von Philipp Mayring 10, Udo Kuckartz11 und Magrit Schreier12 konzipiert worden ist. Auf Basis dieser beiden Forschungsansätze, die in ihrer Verschränkung sowohl die inhaltlichen als auch die filmischen Aspekte der zu betrachtenden Serie berücksichtigen, wird eine Analysemethode entwickelt, mit deren Hilfe die subjektbildenden Diskurse, Praxen und Strukturen des Shopping Queen-Dispositivs gegenstandsangemessen beleuchtet werden können. Resümierend kann damit festgehalten werden, dass in der vorliegenden Studie, auf Basis eines theoretisch-empirischen Vorgehens, eine wissenschaftliche Perspektive auf die Subjektivierungsleistung von Konsuminszenierungen in massenmedialen (Unterhaltungs-)Angeboten entwickelt wird, welche die bisherigen soziologischen Konzepte zur medien- beziehungsweise konsumbasierten Subjektbildung erweitert. Struktur und Aufbau der Studie Die Studie gliedert sich in einen Theorie- und einen Empirie-Teil. Nach einer Einleitung wird im Theorieteil, auf Basis verschiedener theoretischer Ansätze, zunächst eine Perspektive auf die Subjektivierungsleistung von Konsumdarstellungen in massenmedialen (Unterhaltungs-)Angeboten konstituiert. Im sich anschließenden Empirie-Teil erfolgt dann die Explikation und Erweiterung dieser Perspektive am Beispiel der Fernsehserie Shopping Queen. Den Schluss der Studie bilden ein zusammenfassendes Fazit und ein Ausblick auf weiterführende Forschungsfragen. Im Rahmen dieser skizzierten Struktur werden in Kapitel 2 zunächst allgemeine soziologische Theorien zum Subjekt und dessen Konstitution dargestellt. Hierbei wird, nach einer kurzen Definition des zugrundeliegenden Subjektbegriffs, in Anlehnung an die Ansätze von Ulrich Beck13, Ulrich Bröckling14 und 10 Vgl. Mayring (2010). 11 Vgl. Kuckartz (2012). 12 Vgl. Schreier (2012). 13 Vgl. z.B. Beck (1986) oder Beck/Beck-Gernsheim (1994). 14 Vgl. Bröckling (2007).
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Michel Foucault15 aufgezeigt, wie und innerhalb welcher sozialen Beziehungen sich die Subjekte der westlichen Gegenwartsgesellschaft bilden und wie diese konturiert sind. Anschließend werden die Funktionen von massenmedialen (Unterhaltungs-) Angeboten und von postmodernen Konsumpraxen zunächst getrennt voneinander beleuchtet. Im Rahmen der Fokussierung auf medienbasierte Subjektivierungsprozesse wird dabei zu Beginn des Kapitels 3 der Prozess der Medienrezeption untersucht, da das zugrundeliegende Rezeptionsverständnis der Studie die Sicht auf die Subjektivierungsleistungen von Medienangeboten maßgeblich mitbestimmt.16 Vor dem Hintergrund der dabei gewonnenen Erkenntnisse werden im Anschluss die subjektbildenden Wechselwirkungen zwischen massenmedialen Inhalten und ihren Rezipienten thematisiert. Es wird dargestellt, wie mediale (Unterhaltungs-)Angebote in der gegenwärtigen, von Kontingenzstrukturen geprägten, Individualisierungsgesellschaft sowohl als ein Mittel der Kontingenzentgrenzung als auch als ein Instrument der Kontingenzbegrenzung fungieren und dabei den Rezipienten fundamentale Subjektivierungsimpulse offerieren.17 Nach der Beleuchtung medienbasierter Subjektivierungsprozesse wird in Kapitel 4 auf die subjektkonstituierenden Potenziale des postmodernen Konsums fokussiert. Hierbei wird zunächst der Konsumbegriff aus einer soziologischen Perspektive definiert und ein kurzer historischer Abriss der soziologischen Konsumforschung skizziert.18 Dieses Vorgehen ermöglicht die Konstitution eines theoretischen Fundaments für die zu beantwortende Forschungsfrage, auf dem im Anschluss Thesen zur Subjektivierungsleistung von Konsum formuliert werden können. Die Beleuchtung des gegenwärtigen konsumsoziologischen Forschungsstandes erlaubt es zudem, die Ergebnisse dieser Studie innerhalb des konsumsoziologischen Forschungsfeldes zu kontextualisieren. Nach der Konstitution dieses theoretischen Fundaments steht die Subjektivierungsleistung des postmodernen Konsums im Fokus des Interesses. Hierfür wird zunächst, im Rahmen eines historischen Rückblicks, die gesamtgesellschaftliche Entwicklung konsumbasierter Subjektivierungsprozesse nachgezeichnet19 und so die Entstehungsgeschichte gegenwärtiger subjektbildender Konsumpraxen verdeutlicht sowie deren Ausprägungen historisch kontextualisiert. 15 Vgl. z.B. Foucault (1976) oder Foucault (2006b). 16 Vgl. Kapitel 3.1. 17 Vgl. Kapitel 3.2. 18 Vgl. Kapitel 4.1. 19 Vgl. Kapitel 4.2.
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Wie diese subjektbildenden Konsumpraxen im Einzelnen aussehen und wie konsumbasierte Subjektivierungsprozesse in der Postmoderne ablaufen, wird am Ende des Kapitels 4 thematisiert.20 Dabei wird insbesondere in Anlehnung an die konsumsoziologischen Forschungen von Dominik Schrage, Andreas Reckwitz und Jean Baudrillard aufgezeigt, wie der postmoderne Konsum in der Gegenwartsgesellschaft zu einer Selbsttechnologie avanciert, mit deren Hilfe sich individualästhetische Konsumsubjekte konstituieren und sich zugleich in die Gesellschaft integrieren. Nachdem die einzelnen Subjektivierungspotenziale von massenmedialen (Unterhaltungs-)Angeboten und vom postmodernen Konsum ausführlich dargestellt worden sind, werden sie in Kapitel 5 verdichtet und miteinander verschränkt. Es wird gezeigt, welche Rolle massenmediale Konsuminszenierungen bei Subjektivierungsprozessen der Gegenwart spielen und inwiefern sich die subjektbildenden Eigenschaften von massenmedialen Inhalten und von Konsum ergänzen und so schließlich ihr volles Potenzial entfalten. Im Rahmen einer empirischen Untersuchung wird anschließend die zuvor entfaltete Subjektivierungstheorie am Beispiel der Fernsehserie Shopping Queen expliziert und teilweise erweitert. Hierbei erfolgt in Kapitel 6 eine Vorstellung der zu analysierenden Sendung und eine ausführliche Begründung der Wahl dieses Medienbeispiels. Zudem wird die Methode, die bei der Analyse des Dokutainment-Formats verwendet wird, hergeleitet und ausführlich erläutert. In Kapitel 7 werden daraufhin die Analyseergebnisse präsentiert und zu den zuvor erläuterten theoretischen Betrachtungen der Studie in Beziehung gesetzt. Ein zusammenfassender Überblick über die wichtigsten Erkenntnisse der Analyse in Kapitel 8 bildet schließlich den Abschluss des empirischen Forschungsteils. Dabei werden die verschiedenen Analyseergebnisse zusammenfassend dargestellt und die subjektivierenden Bestandteile und Beziehungen des Shopping Queen-Dispositivs expliziert und verdichtet. Die Studie schließt mit einer Schlussbetrachtung.21 In einem Fazit werden die gewonnenen Erkenntnisse und das methodische Vorgehen abschließend resümiert,22 bevor schließlich ein Ausblick auf weiterführende Forschungsfragen gegeben wird, die im oben skizzierten Rahmen der Studie nicht geklärt werden können.23
20 Vgl. Kapitel 4.3. 21 Vgl. Kapitel 9. 22 Vgl. Kapitel 9.1. 23 Vgl. Kapitel 9.2.
Theoretische Grundlage
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Soziologische Theorien zur Subjektivierung und Vergesellschaftung
Um die Subjektivierungspotenziale von Konsuminszenierungen in Unterhaltungsmedien zu analysieren, wird zunächst das Subjekt als soziologischer Forschungsgegenstand thematisiert. Dafür wird in einem ersten Schritt der Subjektbegriff definiert, der dieser Studie zugrunde liegt. Anschließend werden verschiedene Theorien der Subjektbildung in den gegenwärtigen westlichen Gesellschaften thematisiert, die für die folgende theoriebasierte Untersuchung von medien- und konsumbasierten Subjektivierungsprozessen relevant sind.
2.1
DAS SUBJEKT ALS FORSCHUNGSGEGENSTAND
Die folgenden Ausführungen zu der Subjektivierungsleistung medialer Konsuminszenierungen fußen auf einem Subjektverständnis, welches davon ausgeht, dass sich Subjekte im Rahmen gesellschaftlicher Bedingungen prozesshaft konstituieren. In diesem Zusammenhang werden jene allerdings nicht nur als Kreuzungspunkt verschiedener Diskurse, Handlungspraxen und Machtformen begriffen, sondern als Akteure, die über Reflexions- und Selbstthematisierungsfähigkeiten verfügen.1 Die hierbei entstehenden Selbstthematisierungsprozesse sind ihrerseits wiederum durch soziale Einflüsse geprägt, so dass festgestellt werden kann, dass sich Subjekte in einem Spannungsfeld einer Innen- und Außenlenkung konstituieren. Die vielfältigen Bedeutungssysteme und Rollenanforderungen der Gegenwart führen in diesem Zusammenhang dazu, dass ein Subjekt in verschiedenen Situationen unterschiedliche Entwürfe seines Selbst innerlich erproben oder auch in der Realität ausleben kann. Das Vermögen der Selbstreflexion und der Urhe1
Vgl. Alkemeyer/Budde/Freist (2013), S. 9.
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berschaft der eigenen Handlungen befähigen es hierbei dazu, in einer immer komplexeren Welt situationsbedingt zu agieren und somit unterschiedliche Rollenerwartungen, die durch Sozialisation ein Leben lang internalisiert werden, zu erfüllen. Dadurch können sich die Weltanschauungen, die Handlungen und die ausgefüllten Rollen, welche eine Person im Laufe ihres Lebens entwickelt und seinem Umfeld präsentiert, kontextbedingt und erfahrungsabhängig ändern. Im Folgenden soll untersucht werden, wie diese subjektkonstituierenden Prozesse der Gegenwart im Einzelnen ablaufen und unter welchen gesellschaftlichen Paradigmen sie gefasst werden können. Diese allgemeine Perspektive soll anschließend auf den Einfluss von massenmedialen Konsuminszenierungen auf Subjektivierungsprozesse hin zugespitzt werden. Dadurch wird die theoretische Grundlage für die anschließende Untersuchung der Orientierungsfunktion von Konsuminszenierungen in medialen Unterhaltungsangeboten geschaffen.
2.2
SUBJEKTBILDUNG UND VERGESELLSCHAFTUNG IN DER GEGENWARTSGESELLSCHAFT
Hinsichtlich der übergeordneten Forschungsfrage der vorliegenden Studie, lassen sich die Subjektivierungsprozesse der Gegenwart in Bezug auf zwei verschiedene Aspekte analysieren: Einerseits interessieren die einzelnen Machtstrukturen und Mechanismen, die bei den Prozessen der Subjektkonstitution zum Tragen kommen. Andererseits sind die gesellschaftlich-historischen Rahmenbedingungen der Subjektkonstitution von Interesse, da sie sich auf die oben genannten Prozesse der Selbstbildung auswirken. Beide Aspekte werden im Folgenden detailliert beleuchtet, indem zunächst auf die Individualisierungsthese von Ulrich Beck und anschließend auf die machtanalytischen Studien von Michel Foucault zur Disziplin und zur Gouvernementalität eingegangen wird. Sowohl Foucault als auch Beck setzen sich in ihren Arbeiten mit den gesellschaftlichen Bedingungen und Strukturen von Subjektivierungsprozessen auseinander, legen dabei aber ihren jeweiligen Fokus auf verschiedene Aspekte dieser Thematik. Während Beck auf gesamtgesellschaftliche Individualisierungsprozesse und auf die Anforderungen fokussiert, denen Subjekte in diesem Kontext begegnen, nimmt Foucault in seinen Studien insbesondere die Machtbeziehungen zwischen Individuen in den Blick und beleuchtet deren subjektbildenden Funktionen. Die eingehende Betrachtung und das In-Beziehung-Setzen beider Ansätze wird es im Folgenden ermöglichen, postmoderne Subjektivierungsprozesse, inklusive ihrer historisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und ihrer (machtpolitischen) Mechanismen darzustellen.
Theorien zur Subjektivierung und Vergesellschaftung
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2.2.1 Subjektbildung und Vergesellschaftung durch Risiko – Die Individualisierungsthese nach Ulrich Beck Ulrich Beck skizziert in seiner Abhandlung über die Risikogesellschaft einen „neuen Modus der Vergesellschaftung“2, der in der Bundesrepublik Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs eine zunehmend wichtige Rolle bei der Konstitution der Gesellschaft sowie bei der Subjektbildung einzelner Individuen spielt. Er erläutert, dass seit diesem Zeitpunkt verschiedene gesamtgesellschaftliche Modernisierungsprozesse unter anderem eine Vielzahl an Individualisierungsschüben bedingten. Diese lösten die Individuen einerseits aus ihren traditionellen sozialen Lebensformen heraus (gemeint sind hier lebensweltliche Kategorien wie Klasse, Schicht, Familie, Nachbarschaft, Geschlechterstand etc.) und verursachten zudem den Wegfall von Normalbiographien.3 Hierdurch wird „eine dominant aufs Schicksal des einzelnen zentrierte Lebensform“4 sichtbar. Beck führt in diesem Kontext einerseits die vielfältigen Möglichkeiten auf, die sich einem Individuum in der gegenwärtigen Individualisierungsgesellschaft in Bezug auf Lebensführung und Subjektkonstitution eröffnen. Einstige soziale Lebensformen sind heute immer weniger verpflichtend, so dass sich dem Individuum vielfältige Möglichkeiten bieten, das eigene Leben im Rahmen von persönlichen Ansichten und Zielen zu gestalten. Andererseits macht Beck aber auch deutlich, dass es sich bei diesen Freiheiten um „riskante Freiheiten“ handelt, da die Freisetzung des Individuums aus traditionellen Orientierungssystemen auch den Verlust von Sicherheiten in Bezug auf Glauben, Werte und Handlungswissen bedeutet.5 Darunter fällt zum Beispiel die Auflösung vorhersehbarer Biographie-Muster. Die Individuen der Gegenwart können nicht mehr davon ausgehen, dass ihr Leben nach festen Bahnen und Mustern verlaufen wird. Sie sehen sich im Gegenteil dazu gezwungen, in einer Gesellschaft, die ihnen keine feste Orientierung mehr geben kann, permanent selbstständig zu entscheiden, wie es in ihrem Leben weitergehen soll und wie sie jenes gestalten wollen. Im Rahmen dieser vielfältigen Entscheidungsoptionen entfaltet sich ein nahezu unbegrenzter Horizont an Handlungs- und Lebensmöglichkeiten für jedes einzelne Individuum, wodurch es sowohl mit einer unüberschaubaren Menge an Handlungsoptionen als auch mit dem Risiko konfrontiert wird, ‚falsche‘ Entscheidungen zu treffen. Da einstige orientierungsspendende Strukturen, wie
2
Beck (1986), S. 205.
3
Vgl. Beck/Beck-Gernsheim (1994), S. 11.
4
Fuchs-Heinritz et. al. (1994), S. 293.
5
Vgl. Beck (1986), S. 206.
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traditionelle, religiöse und gesellschaftliche Normen und Bindungen, kaum noch Anhaltspunkte für eine „richtige“ Lebensführung bieten, muss das Individuum eigenständig einen Werte- und Normenhorizont konstruieren und sich seinen persönlichen Lebensentwurf „zusammenzubasteln“, der in Bezug auf sein soziales Umfeld anschlussfähig sein muss.6 Diese „Bastelbiographie“7 kann jedoch leicht in eine „Bruchbiographie“8 umschlagen, wenn durch „falsche“ Entscheidungen der ursprünglich geplante Lebensentwurf nicht realisiert werden kann. Unter solchen Umständen ist das Individuum dazu gezwungen, seinen ursprünglichen Lebensentwurf eigenständig umzustrukturieren und einen (wiederum riskanten) Neuanfang zu wagen, bei dem es ganz auf sich allein gestellt sein kann, da die kollektiven Bindungen, aus denen es sich zuvor herausgelöst hat, es nicht mehr zuverlässig ‚auffangen‘: „Die Betroffenen müssen mit sich selbst austragen, wofür armutserfahrene, klassengeprägte Lebenszusammenhänge entlastende Gegendeutungen, Abwehr- und Unterstützungsformen bereithielten und tradierten.“9 Diese Individualisierungsrisiken können zu einer Überforderung oder zumindest zu einer Verunsicherung des Einzelnen führen. Dennoch steht er vor der Aufgabe, sein Selbst eigenständig zu managen und eine neue Art der sozialen Einbindung zu erreichen. Diese gesellschaftliche Wiedereinbindung10 in neuartige Sozialbezüge erfolgt durch normative Selbstausrichtungs- und Integrationsprozesse.11 Beck geht in diesem Zusammenhang darauf ein, dass Individualisierung immer in kollektive Standardisierungsmuster eingebettet ist. Über gesellschaftliche Institutionen, wie Arbeitsmarkt oder Wohlfahrtsstaat, wird das Subjekt in ein Geflecht von Richt6
Zur Notwendigkeit der Anschlussfähigkeit des eigenen Lebensentwurfes vgl. die Ausführungen zur kommunikativen Normalisierung als Mittel der Kontingenzbegrenzung in Kapitel 3.2.3.
7
Beck, Beck-Gernsheim (1994), S.13.
8
Ebd.
9
Beck (1986), S. 144.
10 Das Wort „Wiedereinbindung“ darf in diesem Kontext nicht dahingehend verstanden werden, dass sich die Individuen zuvor jenseits sozialer Bezüge befinden. Die Freisetzung des Subjekts bei Beck bezieht sich lediglich auf traditionelle Bindungen und nicht auf die Gesellschaft als Ganzes (vgl. hierzu auch die Ausführungen auf S. 28.). 11 Die Kontroll- beziehungsweise Reintegrationsdimension der Individualisierung ist aus gesellschaftstheoretischer Sicht besonders bedeutungsvoll, weil sie die gesellschaftliche Rahmung von Individualisierungsprozessen verdeutlicht. Sie zeigt, dass Individualisierung nicht die Auflösung sozialer Strukturen bewirkt. Mit ihr ist vielmehr eine verstärkte Einflussnahme von gesellschaftlichen Sozialisationsinstanzen auf das Individuum verbunden.
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linien, Regelungen und Vorgaben integriert.12 Der entscheidende Unterschied dieser modernen Vorgaben für die einzelnen Individuen im Vergleich zu traditionellen Handlungsbeschränkungen für Mitglieder spezifischer Klassen etc. liegt darin, dass erstere lediglich Rahmenbedingungen für Entscheidungen des Subjekts darstellen und durch entsprechendes Handeln in die eigene Biographie eingebunden werden müssen. Denn bei den modernen institutionellen Vorgaben handelt es sich eher um Handlungsanreize oder Leistungsangebote (Beispiele hierfür wären etwa Arbeitslosengeld, Rentenzahlungen, Bausparprämien oder BAföG), für deren Erhalt man aktiv etwas tun muss. „Vom Rentenrecht bis zum Versicherungsschutz, vom Erziehungsgeld bis zu den Steuertarifen: all dies sind institutionelle Vorgaben, mit dem besonderen Aufforderungscharakter, ein eigenes Leben zu führen.“13 Vor diesem Hintergrund sieht Beck die Individualisierung auch nicht als eine Atomisierung einzelner Subjekte an, sondern vielmehr als eine neue Form von Vergesellschaftung. Durch die gerade dargestellten Reintegrationsmechanismen werden traditionelle Gesellschaftsbindungen durch eine neue Art von Sozialbeziehungen ersetzt. Gleichzeitig bedeuten diese neuartigen Sozialbezüge für das freigesetzte Individuum auch, dass die zunächst scheinbar vollkommen individuellen Entscheidungen des einzelnen Subjekts bei näherem Hinsehen nicht so frei sind, wie sie zunächst wirken mögen. Vielmehr sind ein Großteil der Lebensentscheidungen strukturell erzwungen oder folgen typischen sozialen Mustern, die eine umfassend autonome Individualität des Einzelnen verhindern.14 Beck spricht in diesem Kontext von einem widersprüchlichen Individualisierungsprozess, „der die Menschen immer nachdrücklicher mit sich selbst und den Fragen der Entfaltung ihrer Individualität, ihres persönlichen Wohin und Wozu konfrontiert, sie aber zugleich einbindet in die Enge und Zwänge standardisierter und gegeneinander isolierter Lebenslagen“15. Die „Ausdifferenzierung von ‚Individuallagen‘“16 korrespondiert also immer auch mit einer starken Standardisierung.17 Diese Standardi12 Ulrich Beck unterteilt den dargestellten Ablauf von Individualisierungsprozessen in insgesamt drei verschiedene Dimensionen: 1. Freisetzungsdimension (beschreibt die Freisetzung des Individuums aus einem traditionellen Orientierungssystem), 2. Entzauberungsdimension (nimmt Bezug auf den Verlust von traditionellen Orientierungssicherheiten), 3. Reintegrationsdimension (Wiedereinbindung des Individuums in neuartige Sozialbezüge) (Vgl. Beck 1986, S. 206). 13 Beck/Beck-Gernsheim (1994), S. 12. 14 Vgl. Abels (2006) S. 232 f. 15 Beck (1983), S. 68. 16 Beck (1986), S. 210. 17 Vgl. ebd.
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sierungsprozesse werden aber nicht nur durch die zuvor dargestellten staatlichen Anreizsysteme vorangetrieben. Auch massenmediale Unterhaltungsprodukte wirken auf diese Prozesse ein. Gleichzeitig treiben sie aber auch die Freisetzung von Individuen an18, wie Beck es am Beispiel des Fernsehens demonstriert: „Das Fernsehen vereinzelt und standardisiert. Es löst die Menschen einerseits aus traditional geprägten und gebundenen Gesprächs-, Erfahrungs- und Lebenszusammenhängen heraus. Zugleich befinden sich aber alle in einer ähnlichen Situation: sie konsumieren institutionell fabrizierte Fernsehprogramme und zwar von Honolulu bis Moskau und Singapur. Die Individualisierung – genauer: Herauslösung aus traditionellen Lebenszusammenhängen – geht einher mit einer Vereinheitlichung und Standardisierung der Existenzformen.“19
Die Standardisierungsprozesse, die Beck von den Freiheiten der Subjekte der Individualisierungsgesellschaft abgrenzt, können aus einer integrationstheoretischen Perspektive als ein Kompensationsfaktor aufgefasst werden, welcher die Kontingenzerfahrungen20 und die damit verbundenen Unsicherheiten der Individuen ausgleicht und diese zugleich re-vergesellschaftet. Begriffe wie „Reintegration“ oder „Re-Vergesellschaftung“ implizieren in diesem Zusammenhang allerdings nicht, dass zuvor Individuen aus sozialen Bezügen ‚entlassen‘ wurden. Die Freisetzungen des Subjekts, die Beck skizziert, beziehen sich ausschließlich auf traditionelle Beziehungen und nicht auf die Gesellschaft als Ganzes. Die Vorstellung eines Individuums, das außerhalb der Gesellschaft existiert und das nach Möglichkeiten der gesellschaftlichen Reintegration sucht beziehungsweise auf diese wartet, ist im Rahmen eines sozial konstituierten Subjektverständnisses nicht denkbar21, so dass eine solche vereinfachte Interpretation von Becks Ausführungen klar zurückgewiesen werden kann. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Becks Individualisierungsthese wichtige Konstitutionsbedingungen von Subjekten der Gegenwartsgesellschaft aufzeigt. Sowohl die Freisetzung des Individuums aus traditionellen Verbindlichkeiten und die damit einhergehenden Risiken für den Einzelnen als auch
18 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu kontingenzentgrenzenden und -begrenzenden Funktionen von Massenmedien in den Kapiteln 3.2.2 und 3.2.3. 19 Beck (1986), S. 213, [Herv. i.O.]. 20 Eine ausführliche Behandlung der Kontingenzproblematik der Gegenwartsgesellschaft befindet sich in Kapitel 3.2.1. 21 Eine ähnliche Kritik bringt Urs Stäheli am Kompensationsmodell der Populärkultur an. Vgl. hierzu Stäheli (2007), S. 308 f.
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die erläuterten Reintegrationsmechanismen22 stellen prägnante Rahmenbedingungen für die Subjektkonstitution dar und beeinflussen diese maßgeblich. Damit wird das individuelle Management von gesamtgesellschaftlich auftretenden Risiken zum fundamentalen Subjektivierungs- und Vergesellschaftungsfaktor. Da diese auf Risiken basierende Vergesellschaftung maßgeblich neuartige Orientierungsforen, wie massenmediale Unterhaltungs- und Konsumangebote, für individuelle Entscheidungen notwendig werden lassen, kann das von Beck dargestellte Risikomanagement als ein fundamentaler Aspekt einer medien- und konsumorientierten Subjektbildung aufgefasst werden. Im Folgenden wird, unter Rückgriff auf die machthistorischen Analysen von Michel Foucault, der Frage nachgegangen, innerhalb welcher Machtbeziehungen dieses Risikomanagement vollzogen wird und welche Formen von Macht hierbei von Bedeutung sind. 2.2.2 Subjektivierung als Machteffekt – Disziplinierung und Gouvernementalität nach Michel Foucault Auch Michel Foucaults befasst sich in seinen machthistorischen Analysen mit Subjektivierungsprozessen, die er als ein Resultat komplexer Machtverhältnisse versteht. In seinen Arbeiten zur Genealogie des Subjekts erläutert er dabei unterschiedliche Machttypen, welche bei der Konstitution von Subjekten eine Rolle spielen. Unter der Forschungsperspektive dieser Studie sind dabei insbesondere Foucaults Ausführungen zur Disziplinarmacht und zur Gouvernementalität von Interesse, da Medien sowohl als Mittel einer disziplinären Fremdführung als auch als Mittel eine „Führung zur Selbstführung“23 thematisiert werden. Einige Vertreter der kritischen Medientheorie sehen in ihnen ein disziplinierendes Instrument, das über strategisch platzierte Inhalte den Zuschauer gezielt abrichtet und diesen durch aufgeworfene Diskurse und permanent vermittelte Normalitätsvorstellungen gesellschaftskonform ausrichtet. Ziel hierbei ist die Festigung hegemonialer Strukturen.24
22 Gemeint sind hier zum Beispiel staatliche Anreizsysteme und mediale Inszenierungen von Lebensoptionen und gesellschaftlichen Normalitätsgraden. 23 Lessenich (2003), S. 87. 24 Zur Disziplinierungsfunktion audiovisueller Medien vgl. z.B. Williams (1998), S. 87-120. Zur Manipulation durch Medien vgl. z.B. Horkheimer/Adorno (1987), S. 11-290.
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Andere mediensoziologische Ansätze überführen diese Vorstellung einer disziplinierenden Fremdführung durch Medien in eine mediale „Führung zur Selbstführung“25 und schließen in ihren Überlegungen damit an Foucaults Ausführungen zur Gouvernementalität an. In diesem Kontext vermitteln Medien Orientierungswissen und darüber schließlich mögliche Praxen des Selbstmanagements anstatt starrer Verhaltensrichtlinien.26 Auch die Vermittlung von Normalitätsvorstellungen wird vor diesem Hintergrund nicht als Mittel einer disziplinierenden Gleichschaltung von Individuen begriffen. Vielmehr wird der Normalisierungseinfluss von Medien in der Generierung von Applikationsfolien und Sinnreservoirs für autonome und flexible Selbstführungsprozesse interpretiert und daher unter anderem auch als „kommunikative Normalisierung“ 27 bezeichnet.28 Um die Rolle von Medien innerhalb subjektivierender Machtdispositive in einem späteren Schritt fundiert bestimmen zu können, werden im Folgenden die Mechanismen der Disziplinarmacht und der Gouvernementalität eingehend erläutert. Die Disziplinarmacht Die Disziplinarmacht entwickelte sich ab der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, als die Macht des Souveräns als Rechtsgrundalge und gesellschaftliches Ordnungsprinzip zunehmend unter Begründungszwang geriet und somit die traditionellen Autoritäten der feudalen Ordnung in Frage gestellt wurden. Vor diesem Hintergrund etablierte sich die Disziplin als neuartiger Machttypus, der die souveräne Macht ergänzt und überlagert. Sie konstituiert eine gesellschaftliche Ordnung mit Hilfe von Verfahren zur Anordnung und Ausrichtung einzelner Körper und wirkt in diesem Zusammenhang individualisierend.29 Dem Individualisierungsbegriff kommt hierbei allerdings eine andere Bedeutung zu als bei Beck, denn Foucault versteht Individualisierung in diesem Zusammenhang nicht als Herauslösung aus traditionellen Lebensformen, sondern als eine Vereinzelung von Subjekten. Er beschreibt die disziplinierende Individualisierung als einen machtförmigen Prozess, in welchem Einzelkörper durch die Einschreibung von Zwängen individualisiert (im Sinne von vereinzelt) werden und zugleich (innerhalb von Disziplinarinstitutionen) in einen aus mehreren Einzelkörpern be25 Lessenich (2003), S. 87. 26 Vgl. z.B. Bublitz (2005), Bröckling (2007), Link (2013), Spreen (2003). 27 Makropoulos (2008), S. 141. 28 Weitere Ausführungen zur normalisierenden Funktion von Medien befinden sich in Kapitel 3.2.3. 29 Foucault (1993a), S. 62.
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stehenden Gesamtkörper integriert und somit vergesellschaftet werden.30 Foucault beschreibt diesen Prozess beispielhaft unter anderem an der Disziplinarinstitution Schule. Dort werden die verschiedenen Schüler zunächst individualisiert, also voneinander differenziert, um ihre individuellen Fähigkeiten messen zu können. Anschließend werden sie anhand dieser Fähigkeiten in einem Vergleichsfeld angeordnet, welches sich auf Basis der Leistungen der gesamten (Schüler-)Gemeinschaft bildet. Auf diese Weise wird jedes Individuum in den alle Schüler umfassenden Gesamtkörper integriert. 31 An diesem Beispiel wird also erkennbar, wie die Disziplinarmacht Individuen sowohl vereinzelt als auch vergesellschaftet. Foucault macht deutlich, dass es sich bei dieser Macht um eine produktive Art von Macht handelt und nicht nur um eine ‚ausschließende‘, ‚unterdrückende‘, ‚verdrängende‘, ‚zensierende‘, ‚abstrahierende‘ ‚maskierende‘ und ‚verschleiernde‘ Machtapparatur.32 Im Vergleich zur souveränen Macht, deren ökonomische Handlungsweise sich in der reinen Abschöpfung von bestehenden Ressourcen manifestiert, verwandelt die Disziplin durch ein Netz von Hierarchie, Überwachung, Anordnung etc. die individuellen Körper in möglichst produktive und nützliche Körper.33 Dabei maximiert sie allerdings nicht nur die Effizienz von Individuen, sondern erschafft diese als solche: „Das Individuum ist zweifellos das fiktive Atom einer ‚ideologischen‘ Vorstellung der Gesellschaft; es ist aber auch eine Realität, die von der spezifischen Machttechnologie der Disziplin produziert worden ist“.34 Die Funktionsweisen von Disziplinierung demonstriert Foucault unter anderem anhand von Körpertechnologien in sozialen Institutionen wie Schulen, Armeen, Manufakturen und Gefängnissen.35 Dort gestaltet sich die Disziplin als „Ensemble von Techniken und Verfahren, welches die diskursive Herausbildung des interessengeleiteten Individuums auf der Ebene der praktischen Zugriffe und der sie anleitenden Konzeption ergänzt“36. Subjektbildung und Vergesellschaftung finden im Rahmen der Disziplinarmacht mit Hilfe einer „Machtergreifung über den Körper [statt], die nach dem Modus der Individualisierung erfolgt“37 und maßgeblich Einfluss auf eine mo30 Vgl. Foucault (1976), S. 173 ff. 31 Vgl. Foucault (1976), S. 236 ff. 32 Vgl. Foucault (1976), S. 250. 33 Foucault (1976), S. 173-250. 34 Foucault (1976); S. 249 f. 35 Vgl. Foucault (1976), S. 173 ff. 36 Schrage (2001), S. 21. 37 Foucault (1993a), S. 62.
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derne Subjektkonstitution nimmt. Dabei verweist der Begriff der Individualisierung auf eine Separierung beziehungsweise Vereinzelung von Individuen, bei denen Zwänge direkt in den Körper der Individuen eingeschrieben werden. Diese Zwänge lassen sich zu den Standardisierungsprozessen in Bezug setzen, die Beck in Abgrenzung zu den Freiheiten beschreibt, mit denen sich die Subjekte der Individualisierungsgesellschaft konfrontiert sehen. Während Beck aber hierbei die Zwänge, welche mit diesen Standardisierungsprozessen und den zuvor beschriebenen Anreizsystemen einhergehen, als Kehrseite von Selbstentfaltungsprozessen versteht, begreift Foucault die Vergesellschaftung mittels Individualisierung von Anfang an als machtförmigen Prozess. Architektonisch manifestiert sich das Wirksystem von Foucaults Disziplinarmacht im Panopticon von Jeremy Bentham. Jene Anlage umfasst mehrere voneinander abgetrennte Zellen, in denen einzelne Individuen separiert werden können. Diese Zellen sind ringförmig um einen zentralen Turm angeordnet, so dass sie von diesem Turm aus jederzeit eingesehen werden können. Dadurch sind Aufseher auf dem Überwachungsturm theoretisch dazu in der Lage, permanent das Geschehen in jeder einzelnen Zelle zu verfolgen und die jeweiligen Insassen zu kontrollieren. Jene können ihrerseits hingegen nicht in den Turm hineinsehen und somit auch nicht feststellen, ob die Beobachterposition tatsächlich besetzt ist oder nicht. Der Wirkmechanismus des Panopticons entfaltet sich auf eben dieser Sichtbarkeitsordnung. Denn auch wenn die tatsächliche Durchführung der Überwachung sporadisch sein mag, ist ihre Wirkung dennoch permanent.38 „[…] die Perfektion der Macht vermag ihre tatsächliche Ausführung überflüssig zu machen; der architektonische Apparat ist eine Maschine, die ein Machtverhältnis schaffen und aufrechterhalten kann, welches vom Machtausübenden unabhängig ist; die Häftlinge sind Gefangene einer Machtsituation, die sie selber stützen.“ 39
Die besondere Bedeutung des Panopticons sieht Foucault in dem Umstand, dass die Macht „automatisiert und entindividualisiert“40 wird. Die Macht wird nicht durch eine bestimmte Person hergestellt, sondern vielmehr durch eine spezifische Anordnung von Körpern, Lichtern, Oberflächen und Blicken.41 Sie wirkt also nicht in Form eines von außen einwirkenden Zwangs, sondern ist vielmehr so ausdifferenziert und subtil in den von ihr gesteuerten Funktionen vorhanden, 38 Vgl. Foucault (1976), S. 256 ff. 39 Foucault (1976), S. 258. 40 Foucault (1976), S. 259. 41 Vgl. Ebd.
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dass sich ihre eigene Wirkung steigert, wenn der Machtzugriff intensiviert wird.42 Allerdings ist eine solche Steigerung der Macht nur dann möglich, wenn sie stetig selbst die feinsten Elemente einer Gesellschaft mit Hilfe eines Netzes von Disziplinarinstitutionen durchdringt und auf diese Weise Vergesellschaftungsprozesse maßgeblich mitgestaltet.43 Vor diesem Hintergrund kann Benthams Panopticon als eine architektonisch realisierte Verallgemeinerung der Disziplinarmacht verstanden werden. Diese kann auf Basis von sich vervielfältigenden und die Gesellschaft durchdringenden Disziplinarinstitutionen ein umfassendes und lückenloses ÜberwachungsNetzwerk etablieren.44 „Es programmiert auf der Ebene eines einfachen und leicht zu übertragenden Mechanismus das elementare Funktionieren einer von Disziplinarmechanismen vollständig durchsetzen Gesellschaft.“ 45 Diese Disziplinarmechanismen werden von den verschiedenen Individuen schließlich in einem solchen Ausmaß internalisiert, dass sich die einzelnen Personen dieser nicht mehr im vollen Ausmaß bewusst sind. Insbesondere die Schulpflicht trägt zu dieser Verinnerlichung bei. Sie lässt die Schule zu der Disziplinarinstitution werden, die jeder Mensch in seiner Entwicklung durchlaufen muss und der sich somit kein Individuum entziehen kann. In der Schule wird dabei insbesondere die Prüfung beziehungsweise die Möglichkeit, jederzeit geprüft werden zu können, zu einem Instrument, welches die Internalisierung einer ständigen Überwachung vorantreibt und zugleich die Akzeptanz dieses Überwachungsmodus’ einübt.46 Wie bereits zu Beginn des Kapitels erläutert, betrachten einige Vertreter der kritischen Medientheorie auch die in dieser Studie zu untersuchenden massenmedialen Unterhaltungsangebote als ein Werkzeug einer disziplinären und subjektbildenden Fremdführung. Sie vertreten die These, dass Medien ihre Rezipienten in ihren Denk- und Handlungsweisen – und damit auch in ihrer Selbstbildung – in einer Weise manipulieren, welche die vorherrschende Hegemonie der (Medien-)Industrie festigt. Dabei werden die Rezipienten durch strategisch in Umlauf gebrachte Diskurse einer disziplinären Normalisierung unterzogen.47
42 Foucault (1976), S. 265. 43 Foucault (1976), S. 267. 44 Vgl. Foucault (1976), S. 268. 45 Ebd. 46 Vgl. Foucault (1976), S. 238 ff. 47 Zur Disziplinierungsfunktion des Fernsehens bzw. Kinos vgl. z.B. Williams (1998), S. 87-120. Zur Manipulation durch Medien vgl. z.B. Horkheimer/Adorno (1987), S. 11-90.
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In der vorliegenden Studie werden medial inszenierte Handlungsoptionen oder Lebensweisen jedoch weniger als ein Mittel der Fremdführung und vielmehr als eine „Führung zur Selbstführung“48 ganzer Bevölkerungen begriffen, bei der den Rezipienten Applikationsfolien für ein individuelles Selbstmanagement offeriert werden.49 Damit lehnt sich die Perspektive dieser Studie an ein Führungsverständnis an, das Foucault grundlegend in seinen Ausführungen zur Gouvernementalität erläutert. Gouvernementalität als Selbststeuerung Foucaults Ansätze zur Gouvernementalität gehen, wie auch seine Ausführungen zur Disziplinarmacht, der übergeordneten Frage nach, wie sich im Rahmen von Machtstrukturen Subjekte bilden. Seine Schriften und Vorlesungen zur Gouvernementalität legen ihren Fokus aber nicht auf den einzelnen Körper und dessen disziplinäre Zurichtung und betrachten auch nicht nur spezifische Disziplinarinstitutionen. Foucault analysiert in ihnen vielmehr, wie spezifische Regierungspraxen, als maßgeblicher Faktor von gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen, die Subjektivierungsprozesse von Individuen prägen. Vor diesem Hintergrund analysiert er die Problematik des Regierens, die er auf die Selbstführung und Selbstregierung von Individuen im Rahmen einer Reg(ul)ierung der Bevölkerung hin zuspitzt. Er skizziert also eine Entwicklung innerhalb von Machtstrukturen, die sich zum Großteil von der disziplinären Fremdführung entfernt und sich stärker im Rahmen einer gouvernementalen Selbstführung entfaltet. Der Begriff der Gouvernementalität wird von Foucault dabei folgendermaßen definiert: „Ich verstehe unter ‚Gouvernementalität‘ die aus den Institutionen, den Vorgängen, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken gebildete Gesamtheit, welche es erlauben, diese recht spezifische, wenn auch sehr komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als wichtigste Wissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat. Zweitens verstehe ich unter ‚Gouvernementalität‘ die Tendenz oder die Kraftlinie, die im gesamten Abendland unablässig und seit sehr langer Zeit zur Vorrangstellung dieses Machttypus geführt hat, den man über alle anderen hinaus die ‚Regierung‘ nennen kann: Souveränität, Disziplin, und die einerseits die Entwicklung einer ganzen Serie spezifischer Regierungsapparate [und andererseits] die Entwicklung einer ganzen Serie von Wissensarten nach sich gezogen hat. Schließlich denke ich, dass man unter ‚Gouvernementalität‘ den Vorgang oder vielmehr das Ergebnis des Vorgangs verstehen sollte, durch den der
48 Lessenich (2003), S. 87. 49 In Kapitel 3 werden diese Prozesse ausführlich beleuchtet.
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mittelalterliche Staat der Gerichtsbarkeit, der im 15. Und 16. Jahrhundert zum Verwaltungsstaat wurde, sich nach und nach ‚gouvernementalisiert‘ hat.“ 50
Um sich im Rahmen seiner Ansätze zur Gouvernementalität der Problematik des Regierens zu nähern, zeichnet Foucault zunächst drei Hauptbewegungen der Regierungsgeschichte nach, um einerseits deren „tiefe geschichtliche Verbindung“51 aufzuzeigen und andererseits die historischen Kontexte zu resümieren, aus denen sich heutige Regierungspraxen entwickelt haben. Hierbei setzt er sich zuerst mit der historischen Entstehung von Regierungspraxen auseinander, welche die souveräne Machtausübung nach und nach ablösten. Anschließend fokussiert er auf die Bevölkerung, die im Rahmen von Regierungstechniken sowohl zum Ziel von als auch zum Interventionsfeld für Regierungshandeln wird und schließlich befasst er sich mit der (politischen) Ökonomie, welche sich einerseits als Wissenschaft und andererseits als interventionierende Regierungstechnik manifestiert.52 Foucault verfolgt also die Entwicklung der einstigen „Künste des Regierens“53 des Souveräns des 16. Jahrhunderts hin zu den politisch-ökonomischen Techniken des Regierens, welche sich im 18. Jahrhundert mit dem Auftauchen der Bevölkerungsproblematik und dem Entstehen der politischen Ökonomie entwickelten. Anders als bei der Disziplinarmacht, die sich auf das isolierte Subjekt im Sinne des vereinzelten Körpers konzentriert, erscheint das Subjekt hierbei als soziales Individuum, welches erst in der Gemeinschaft vieler weiterer Subjekte seine spezifischen Charakteristika ausbildet. Es verkörpert ein einzelnes Element einer Gesamtbevölkerung, die es mit Hilfe von politischen und ökonomischen Techniken zu regieren gilt.54 In diesem Zusammenhang besitzt die Statistik eine besondere Relevanz: Sie kann mittels empirischer Erhebungsverfahren Regelmäßigkeiten der Bevölkerung (beispielsweise Geburten- und Sterberaten, Unfallhäufigkeiten etc.) aufzei-
50 Foucault (2006a), S. 162f. 51 Foucault (2006a), S. 161. 52 Foucault (2006a), S.134 ff. 53 Foucault (2006a), S. 135. 54 Für Foucault verweist das Wort „regieren“ nicht nur auf politische Sphären, sondern auch auf zahlreiche verschiedene Praxisfelder und Handlungsformen, die auf unterschiedlichste Art und Weise die Führung, Kontrolle und Lenkung von Individuen und ganzen Bevölkerungsgruppen anstreben und hierbei sowohl Techniken der Selbst- als auch der Fremdführung einschließen. Er unterscheidet dabei „die Gesamtproblematik des Regierens im allgemeinen“ von der „Regierung in ihrer politischen Form“ (Foucault 2006a, S. 136).
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gen und dadurch gesellschaftliche Vorgänge kalkulierbar machen.55 Die Bevölkerungsstatistik und die politische Ökonomie wirken sich dadurch auch auf die Regierungspraxen aus, da sie die Basis für staatliche Regulierungsmaßnahmen in Bezug auf Fortpflanzung, Gesundheitsverhältnisse, Geburten- und Sterberaten etc. der Bevölkerung darstellen. Diese Regulierungsmacht bezeichnet Foucault mit dem Begriff der Biomacht beziehungsweise der Biopolitik, den er in seiner Vorlesungsreihe Geschichte der Gouvernementalität II. Die Geburt der Biopolitik56 ausführlich beleuchtet. Die Biomacht ist eine nicht disziplinäre Machtform und ist nicht auf den einzelnen Körper gerichtet, sondern auf das Leben der Bevölkerung. Die Biopolitik zielt hierbei darauf ab, Bevölkerungsmechanismen so zu handhaben, dass sich Zustände von „Gleichgewicht und Regelmäßigkeit“ etablieren.57 Foucault verdeutlicht in diesem Zusammenhang, dass die gouvernementale Vernunft, auf welcher die Biopolitik basiert, aus dem Regierungssystem des Liberalismus hervorgeht.58 Im Folgenden sollen daher die Regierungspraxen des Liberalismus erläutert werden, um anschließend ihre subjektbildenden Potenziale beleuchten zu können. Dem Liberalismus liegt die Ansicht zugrunde, dass stets zu viel regiert wird. Er stellt nicht (wie zuvor die Staatsräson des 16. Jahrhunderts) die Frage, wie mit möglichst geringen Aufwendungen möglichst viel regiert werden kann, sondern fragt vielmehr danach, welche Zielsetzungen die Regierung bezüglich der Gesellschaft verfolgen muss, um ihre Existenz zu rechtfertigen. Foucault sieht daher im Liberalismus keine Politik, die festgesetzte ökonomische und politische Ziele verfolgt, sondern eine Art kritische Reflexion der Regierungspraxis, deren Macht möglichst stark begrenzt werden sollte.59 „Ich glaube, dass diese neue Regierungskunst wesentlich durch die Einführung von Mechanismen gekennzeichnet ist, die zugleich intern zahlreich und vielgestalt sind, die jedoch zum Ziel haben […] nicht so sehr das Wachstum des Staates an Kraft, Reichtum und Macht […] sicherzustellen, sondern von innen her die Ausübung der Regierungsmacht zu begrenzen.“60
55 Vgl. Foucault (1993a), S.62f. 56 Vgl. Foucault (2006b). 57 Foucault (1993a), S. 63. 58 Vgl. Foucault (2006b), S. 43. 59 Vgl. Foucault (2006b), S. 437f. 60 Foucault (2006b), S. 49.
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Ziel des Liberalismus ist es also, die Produktivität einer Gesellschaft auszubauen beziehungsweise zu maximieren, ohne dabei starre Vorgaben hinsichtlich der Mittel und Wege zur Erreichung dieses Ziels zum Einsatz zu bringen. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass die entsprechende Steigerung der gesellschaftlichen Produktivität automatisch durch die Interessenverfolgung ökonomisch orientierter Individuen hervorgebracht wird. Vor dem Hintergrund einer solchen Begrenzung des Regierungshandelns manifestiert sich die Freiheit als fundamentales Prinzip des Regierens. Allerdings geht die Funktion der liberalen Regierungspraxis über das reine Garantieren von Freiheiten hinaus. Sie organisiert auch die Voraussetzungen für Freiheit: „[…] die neue Regierungskunst vollzieht Freiheit […], d.h. sie ist verpflichtet, Freiheit zu schaffen […] und sie zu organisieren. Die neue Regierungskunst stellt sich also als Manager der Freiheit dar, und zwar nicht im Sinne des Imperativ ‚sei frei‘ […]. Es ist nicht einfach das ‚Sei frei‘ […], sondern einfach Folgendes: ‚Ich werde dir die Möglichkeit zur Freiheit bereitstellen. Ich werde es so einrichten, daß du frei bist, frei zu sein‘.“ 61
Im 18. Jahrhundert verweisen diese liberalen Freiheiten zunächst auf wirtschaftliches Handeln, auf Weltanschauung und Religion, auf Verwaltung und Gesetzgebung sowie auf die Politik. Allen diesen Bereichen liegen im Liberalismus die Prinzipien von Freiheit und Gleichheit zugrunde.62 Ab dem 19. Jahrhundert rücken zusätzlich auch die Handlungsfreiheiten einzelner Individuen in den Blick, die auch noch im 20. Jahrhundert im Rahmen des Neoliberalismus thematisiert werden.63 Besonders diese (Handlungs-)Freiheit der Individuen spielt in Foucaults Ausführungen eine wichtige Rolle bei der Subjektbildung. Er geht davon aus, dass sich Subjekte immer innerhalb komplexer Machtverhältnisse bilden, wobei er Machtausübung als „eine Weise der Einwirkung auf die Handlungen anderer“64 beschreibt und nicht als deren Unterdrückung. Dadurch kann, Foucaults These zufolge, Macht auch nur auf freie Subjekte ausgeübt werden. Freie Subjekte beschreibt Foucault dabei folgendermaßen: „Hierunter wollen wir individuelle oder kollektive Subjekte verstehen, vor denen ein Feld an Möglichkeiten liegt, in denen mehrere ‚Führungen‘, mehrere Reaktionen und verschiedene Ver61 Foucault (2006b), S. 97. 62 Vgl. Ritter (2007), S. 16.699. 63 Da die Handlungsfreiheiten der Individuen somit ein Thema des Liberalismus wie auch des Neoliberalismus sind, werden im Folgenden entsprechende Regierungspraxen als „(neo-)liberale Regierungspraxen“ bezeichnet. 64 Foucault (1987), S. 255.
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haltensweisen statthaben können.“65 Die Freiheit des Subjekts, sich in Möglichkeitsfeldern zu orientieren, ist somit ein grundlegendes Element für Foucaults Macht- und Subjektivierungstheorien sowie für die liberale Gouvernementalität. Die Gouvernementalität bringt vor diesem Hintergrund Subjekte hervor, die sich – anders als im Rahmen der Disziplinarmacht – weniger auf Basis einer Fremdführung, sondern vielmehr mit Hilfe von Technologien des Selbst bilden. „Technologien des Selbst, die es dem Einzelnen ermöglichen, aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer eine Reihe von Operationen an seinem Körper oder seiner Seele, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner Existenzweise vorzunehmen, mit dem Ziel, sich so zu verändern, dass er einen gewissen Zustand des Glücks, der Reinheit, der Weisheit, der Vollkommenheit oder der Unsterblichkeit erlangt.“66
Bei den Technologien des Selbst handelt es sich also um Praktiken, mit deren Hilfe das Individuum seine eigenen Handlungen kontrolliert beziehungsweise reguliert und dadurch sein Selbst konstituiert.67 Sie befähigen das Subjekt dazu, relativ autonom und selbstverantwortlich zu handeln und das eigene Leben zu gestalten. Es wird kein normatives Verhalten top-down vorgegeben, sondern das einzelne Individuum managt sein Selbst eigenständig mit den gerade erläuterten Praktiken. Hierbei muss jedoch berücksichtigt werden, dass in entsprechenden Prozessen das soziale Umfeld, die Medien, gesellschaftliche Institutionen etc. maßgeblich diese Selbsttechnologien mitgestalten und jene von den einzelnen Individuen nicht vollkommen autonom ausgebildet werden. Zudem muss ein Individuum zunächst dazu gebracht werden, entsprechende Techniken anzuwenden. Dies geschieht im Rahmen von Sozialisationsprozessen, also im Rahmen von Prozessen der Subjektbildung, die auf Interaktionen des Individuums mit seiner sozialen, kulturellen und materiellen Umwelt basieren. 68 Neuere sozialisationstheoretische Ansätze weisen in diesem Zusammenhang allerdings zu Recht darauf hin, dass hierbei nicht nur die Einflüsse der Umwelt auf das Subjekt zum Tragen kommen, sondern dass es sich bei der Sozialisation um einen interaktiven Prozess handelt, bei dem auch die individuellen Anteile des sich jeweils bildenden Subjekts von Bedeutung sind (wenn dieses beispielsweise durch sein Handeln gesellschaftliche Realitäten verändert). 69 Auch wenn also die durch Sozialisation internalisierten Normen, Werte und Handlungsweisen einer Gesell65 Ebd. 66 Foucault (1993b), S. 26. 67 Vgl. Foucault (1986), S. 18. 68 Vgl. Geulen (2002), S.189. 69 Vgl. Geulen (2002), S. 191 ff.
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schaft die Aneignung und den Einsatz von Selbsttechnologien entscheidend prägen, darf das sich konstituierende Subjekt nicht als ein passiver Faktor im Sozialisationsprozess aufgefasst werden. Medien können in diesem Zusammenhang einerseits als ein wichtiges Werkzeug bei der Anwendung von Selbsttechnologien fungieren, wenn sie beispielsweise im Rahmen von kommunikativen Normalisierungsprozessen 70 Auskunft über gesellschaftliche Normalitätsspektren geben und dadurch individuelle Selbstadjustierungsprozesse bei den Rezipienten ermöglichen.71 Andererseits können sie auch diverse Technologien des Selbst in ihrem Programm präsentieren und dadurch den Rezipienten Handlungsoptionen hinsichtlich der Konstitution ihres eigenen Selbst offerieren. Im weiteren Verlauf der vorliegenden Studie wird gezeigt werden, dass auch medial inszenierte Konsumhandlungen in diesem Zusammenhang als wichtige Bezugsgröße fungieren können. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Foucaults machtanalytischen Überlegungen darauf abzielen, „eine Geschichte der verschiedenen Verfahren zu entwerfen, durch die in unserer Kultur Menschen zu Subjekten gemacht werden“72. Die hier betrachtete Disziplinarmacht und die Gouvernementalität können dabei als Basis für eine Mediensoziologie fungieren, die auf die subjektbildenden Potenziale von Medieninhalten fokussiert. Letztere werden in medienwissenschaftlichen Diskursen entweder als Mittel einer disziplinären Fremdführung aufgefasst oder als Vermittler von Selbstführungsstrategien begriffen. Die Ausführungen dieser Studie werden in diesem Zusammenhang deutlich machen, dass Medieninhalte, aufgrund der aktiven Rezeptionsprozesse ihrer Rezipienten, nicht als ein manipulierendes Disziplinierungsmittel verstanden werden können. Vielmehr tragen sie zum Erwerb beziehungsweise zum Ausbau von Selbstmanagementpraxen bei, indem sie unterschiedlichste Technologien des Selbst präsentieren und dabei im Rahmen von kommunikativen Normalisierungsprozessen Applikationsfolien für eine aktive und individuelle Subjektbildung vermitteln.
70 Die bei der kommunikativen Normalisierung ablaufenden Selbstverortungsprozesse von Individuen in gesellschaftlich konstituierten Normalfeldern bzw. die daraus resultierende Selbstadjustierungen sind ein Beispiel für Selbsttechnologien im Sinne von Foucault. 71 Der Prozess der kommunikativen Normalisierung wird ausführlich in Kapitel 3.2.3 erläutert. 72 Foucault (1987), S. 243.
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Exkurs: Verbindungslinien und Differenzen zwischen Becks Individualisierungsthese und Foucaults Gouvernementalitäts-Ansatz Foucaults Ausführungen zur (neo-)liberalen Gouvernementalität und zu dem Gebrauch von Selbsttechnologien zeigen verschiedene Verbindungslinien zu Becks Individualisierungsthese auf. Die liberale Maxime des „Machen-Lassens“ als internes Begrenzungsprinzip des Regierungshandelns und der Grundsatz ‚Führung durch Selbstführung‘, welcher sich in dem Einsatz von Selbsttechnologien manifestiert, eröffnen sowohl auf der Wirtschafts- als auch auf der Bevölkerungsebene (individuelle) Freiheiten, wie sie auch Beck in Bezug auf die Freisetzungsdimension seiner Individualisierungsthese skizziert. Es kann daher festgestellt werden, dass Foucault ebenso wie Beck eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung nachzeichnet, in der die einzelnen Subjekte nicht mehr durch Verbote oder intervenierende Disziplinartechniken gelenkt werden, sondern individuelle (Lebens-)Entscheidungen treffen (müssen). In diesem Zusammenhang gehen beide Autoren zudem darauf ein, dass auf der einen Seite Individuen durch gesellschaftliche Entbindungsprozesse aus traditionellen Zusammenhängen herausgelöst werden und dass diese Freisetzung auf der anderen Seite durch neuartige Reintegrationsstrukturen (Arbeitsmarkt, Bildungsmarkt und Massenmedien) konterkariert wird. Sowohl Foucaults als auch Becks Gesellschaftsanalyse können somit dahingehend interpretiert werden, dass in den westlichen Gegenwartsgesellschaften traditionelle Bindungen durch marktförmige ökonomische Strukturen ersetzt werden, wobei die Massenmedien die Funktion der Wiedereinbindung des freigesetzten Individuums übernehmen und damit eine sozialintegrative Funktion ausüben. Die weiteren Ausführungen dieser Studie werden zeigen, dass massenmediale (Unterhaltungs-)Angebote in diesem Zusammenhang maßgeblich auf die Subjektbildung von Individuen einwirken, indem sie es jenen ermöglichen, sich selbst in statistischen Verteilungen zu verorten, indem sie verschiedene Formen gesellschaftlicher Normalität und Anormalität in ihrem Programm präsentieren. 73 Ein Punkt, in dem sich Foucaults und Becks Analysen voneinander unterscheiden findet sich allerdings in der Detailschärfe bei der Darstellung der Individualisierungsprozesse. Während Beck in diesem Zusammenhang Individualisierungsprozesse lediglich als ein Folgephänomen der gesellschaftlichen Modernisierung beschreibt, zeigt Foucault auf, welche Machtbeziehungen hinter Individualisierungs- und Subjektivierungsprozessen stecken.
73 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur kommunikativen Normalisierung in Kapitel 3.2.3.
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Gemeinsam haben die beiden Ansätze jedoch wiederum, dass sie neben der Darstellung individueller Freiheiten, welche im Neoliberalismus und in der Individualisierungsgesellschaft den einzelnen Individuen zugestanden werden, auch die dennoch existierenden Staatsinterventionen in den Blick nehmen. Sie gehen darauf ein, dass der Staat – trotz der Maxime der Freiheit der einzelnen Subjekte – in begrenztem Maße deren Entscheidungen steuern kann. Beck konkretisiert diese Prozesse, indem er gesellschaftliche Institutionen und Anreizsysteme, wie Arbeitsmarkt, Rentenversicherung oder Arbeitslosengeld, aus der Perspektive einer Reintegration des freigesetzten Subjekts in neuartige Sozialbezüge betrachtet. Foucault beschreibt seinerseits diese und weitere steuernde Maßnahmen als Elemente von Sicherheitsdispositiven, deren Ziel darin liegt, eine Gefährdung der sozialen Ordnung durch eventuelle gegenläufige Interessen einzelner Subjekte zu verhindern.74 Eine weitere Verbindungslinie zwischen Becks Arbeiten zur Individualisierung und Foucaults Ausführungen zur liberalen Gouvernementalität sind die Risiken und Gefahren für die einzelnen Subjekte, die beide Ansätze thematisieren. Während Beck auf die „riskanten Freiheiten“ fokussiert, welche die Subjekte der Individualisierungsgesellschaften managen müssen, geht Foucault auf die alltäglichen Implikationen von Gefahr im Liberalismus ein, mit denen die Individuen konfrontiert werden. „Man kann sagen, daß die Devise des Liberalismus ist, ‚gefährlich zu leben‘. ‚Gefährlich zu leben‘, das bedeutet, daß die Individuen fortwährend in eine Gefahrensituation gebracht werden oder daß sie vielmehr darauf konditioniert werden, ihre Situation, ihr Leben, ihre Gegenwart, ihre Zukunft usw. als Träger von Gefahren zu empfinden. Und dieser Anreiz von Gefahr ist, glaube ich, eine der wichtigsten Implikationen des Liberalismus.“ 75
Foucault begreift also die Konditionierung der Individuen auf Gefahren als Bestandteil eines Sicherheitsdispositivs, mit dessen Hilfe individuellen Interessen und Handlungen geordnet und gelenkt werden sollen. Er belegt diese Konditionierung auf Gefahr mit dem vermehrten Auftreten alltäglicher Gefahren im 19. Jahrhundert, welche permanent von einer politischen „Kultur der Gefahr“76 verbreitet wurden. Als Beispiel nennt er unter anderem die ab Mitte des 19. Jahrhunderts erscheinenden Kriminalromane, die journalistische Berichterstattung über Verbrechen sowie das Auftauchen von Hygienekampagnen.77 „Überall sieht 74 Vgl. Foucault (2006a), S. 73 ff. 75 Foucault (2006b), S. 101. 76 Ebd. 77 Vgl. ebd.
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man diese Aufstachelung der Angst vor Gefahr, die gewissermaßen die Bedingung, das psychologische und innere kulturelle Korrelat des Liberalismus ist. Es gibt keinen Liberalismus ohne die Kultur der Gefahr.“ 78 Während Beck also die Risiken der Individualisierungsgesellschaft als Kehrseite von individuellen Freiheiten und Selbstentfaltungsmöglichkeiten darstellt, betrachtet Foucault diese als eine gezielt eingesetzte Technik des Regierens, die er als Sicherheitsdispositiv auffasst. 2.2.3 Subjektivierung durch Selbstoptimierung – Das Unternehmerische Selbst nach Ulrich Bröckling Mit einer spezifischen Form (medial vermittelter) Selbstführungspraktiken setzt sich auch Ulrich Bröckling im Rahmen seiner Ausführungen zur Subjektivierungsform des unternehmerischen Selbst auseinander.79 Die Hauptcharakteristika des unternehmerischen Selbst beschreibt er in diesem Zusammenhang wie folgt: „Das unternehmerische Selbst […] steht für ein Bündel aus Deutungsschemata, mit denen heute Menschen sich selbst und ihre Existenzweise verstehen, aus normativen Anforderungen und Rollenangeboten, an denen sie ihr Tun und Lassen orientieren, sowie aus institutionellen Arrangements, Sozial- und Selbsttechnologien, die und mit denen sie ihr Verhalten regulieren sollen. Anders ausgedrückt […]: Das unternehmerische Selbst ist ein Leitbild.“80
Diese Subjektivierungsform zeichnet sich dabei insbesondere dadurch aus, dass sie auf ein Selbstverhältnis zielt, welches sich an betriebswirtschaftlichen Kalkülen ausrichtet. Die gesamte Lebensführung von Individuen orientiert sich an Verhaltensschemata des Unternehmertums. „Die Maxime ‚Handle unternehmerisch!‘ wird zur übergreifenden Richtschnur der Selbst- und Fremdführung erhoben.“81 Allerdings besteht das unternehmerische Selbst nicht nur aus Handlungsmaximen, sondern auch aus Wissensformen, mit Hilfe derer der Einzelne seine eigenen Handlungen und Lebensformen reflektieren kann, aus Regulations-
78 Foucault (2006b), S. 102. 79 Vgl. Bröckling (2007). 80 Bröckling (2007), S. 7. 81 Bröckling (2007), S. 13.
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mechanismen und Kontrollinstanzen, die auf die Individuen einwirken sowie aus Praktiken der Selbstführung.82 In diesem Kontext untersucht Bröckling die Rationalisierungsmuster, die im Rahmen spezifischer Programme und Technologien den Individuen Handlungsanleitungen für eine „richtige“ Lebensführung offerieren und die sich, Bröcklings Ausführungen zufolge, unter anderem in Ratgeberliteratur wie Lehrbüchern, Trainingsmanualen und Erfolgsratgebern konkretisieren. 83 Die von Bröckling untersuchten Ratgebermedien leiten die Subjekte in einem Zusammenspiel mit wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen dazu an, „ihre Macht über sich selbst, ihr Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein ebenso zu maximieren wie ihre Arbeitsleistungen und ihren Wohlstand“84. Dafür sollen sie ihr Leben eigenverantwortlich gestalten und aktiv für ihre Ziele kämpfen. Im Falle einer möglichen Überforderung sollen sie zudem professionelle Hilfe in Anspruch nehmen – sei es in Form von Psychotherapien, Zeitmanagementcoachings, Typberatungsworkshops oder ähnlichem. Das unternehmerische Selbst wird also durch ein Regime des Selbst konstituiert, das jeden Einzelnen permanent dazu antreibt, an sich und seinem Leben zu arbeiten, um seine Potenziale vollkommen entfalten zu können und seine Fähigkeiten sowie schließlich auch seine Lebensfreude zu maximieren. Bröckling beschreibt also eine Subjektivierungsform, die weniger durch Strategien der Disziplinierung konstituiert wird, sondern insbesondere durch die Aktivierung von Selbstteuerungspotenzialen. Dennoch ähnelt das unternehmerische Selbst dem Disziplinarsubjekt in einem Punkt. Bröckling legt dar, dass wenn man sich Foucaults Definition von Disziplin als „die Kunst der Zusammensetzung von Kräften zur Herstellung eines leistungsfähigen Apparates“85 vor Augen führt, die Verbindungslinien zur Subjektivierungsform des unternehmerischen Selbst deutlich werden: Die permanente Selbstreflexion und Selbstzurichtung des Individuums bei der Entwicklung unternehmerischer Handlungsweisen und Wissensgefüge hat nämlich eben dieses Ziel – ein möglichst leistungsfähiges unternehmerisch agierendes Subjekt zu werden, dessen Fähigkeiten und Handlungsweisen auf apparaturähnliche Perfektion getrimmt werden.86 Da sich ein Subjekt dabei allerdings nicht an genormten Persönlichkeitsmerkmalen orientieren kann, sondern aufgrund von betriebswirtschaftlichen Kalkülen aus seiner Person vielmehr eine unverwechselbare Marke erschaffen muss, die sich von der Konkurrenz abhebt, handelt es sich 82 Vgl. Bröckling (2007), S. 47. 83 Vgl. Bröckling (2007), S. 10. 84 Bröckling (2007), S. 61. 85 Foucault (1976), S. 212. 86 Vgl. Bröckling (2007), S. 68.
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letztlich bei dem Ergebnis dieses Prozesses, anders als bei dem Disziplinarsubjekt, nicht um ein genormtes „Produkt“, sondern um ein möglichst unverwechselbares Individuum, das sich selbst permanent auf Grundlage von Selbstmarketingstrategien optimiert und das mit Hilfe von Technologien der Selbstführung konstituiert wird. Den Grund weshalb die Individuen in diesem Zusammenhang unter anderem auf die zuvor erläuterten Beratungsangebote von Medien, Therapeuten und Coaches zurückgreifen und sich zu einem dort propagierten Unternehmer ihrer selbst formen lassen, sieht Bröckling in einer gesteigerten Orientierungslosigkeit von Individuen der Gegenwartsgesellschaft. Diesen Verlust von Orientierungswissen begründet er mit den Strukturen der Individualisierungsgesellschaft, wie sie von Ulrich Beck beschrieben werden.87 Auf Grundlage von Becks Individualisierungsthese zeichnet Bröckling die Grundsätze einer Subjektivierung nach, in der jeder Einzelne mit risikobehafteten Freiheiten in Bezug auf die Ausgestaltung seines Lebens konfrontiert wird. Er macht deutlich, dass der Prozess der Ausgestaltung des eigenen Lebens und des eigenen Selbst zu „einer Abfolge strategischer Entscheidungen und taktischer Kalküle“88 wird. „Das Selbst erscheint als reflexives Projekt, das sich allein oder mithilfe professioneller Berater, Therapeuten, Coaches oder anderer Autoritäten einem permanenten Selbstmonitoring unterzieht, um die ‚Flugbahn‘ seines Lebens immer neu zu adjustieren, wobei mit den Chancen der Selbstverwirklichung stets die Risiken des Absturzes einhergehen.“89 Das unternehmerische Selbst steht somit vor der Aufgabe, permanent mit einer ihm unbekannten Zukunft zu spekulieren, wobei es die Kontingenz der Gegenwartsgesellschaft durch den gezielten Ausbau seiner Fähigkeiten und Möglichkeitshorizonte sowohl erweitern als auch gezielt für sich nutzbar machen soll.90 Im Unterschied zu Beck fokussieren Bröcklings Ausführungen in diesem Zusammenhang jedoch nicht auf die Art und Weise wie sich die Individuen mit Hilfe ihrer Handlungen und Entscheidungen ihre Biographie ‚zusammenbasteln‘. Ihm geht es vielmehr darum, die Konstitution des Subjektivierungsregimes zu analysieren und dessen Wirkmechanismen zu beleuchten.91 Im Zusammenhang mit dem Forschungsgegenstand dieser Studie lässt sich die These aufstellen, dass auch mediale Inszenierungen von Konsum und von spezifischen Konsumsubjekten, ähnlich wie die von Bröckling beleuchteten Rat87 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 2.2.1. 88 Bröckling (2007), S. 26. 89 Ebd. 90 Vgl. Spreen (2002), S.70. 91 Vgl. Bröckling (2007), S. 27.
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gebermedien, den Medienrezipienten ein spezifisches Orientierungswissen offerieren, welches in Richtung einer unternehmerischen Gestaltung des eigenen Selbst weist. Insbesondere Dokutainment-Formate, wie die im empirischen Teil dieser Studie analysierte Serie Shopping Queen, in denen ein Experte das Verhalten und insbesondere die Einkäufe der Kandidatinnen bewertet, dürften im Kontext der Maxime permanenter Optimierung des eigenen (Konsum-) Verhaltens – und damit schließlich auch der Optimierung des eigenen Selbst – eine prägnante Rolle spielen. Auch wenn die vermittelten Leitlinien von den Rezipienten nicht fraglos übernommen werden müssen (und es in der Regel auch nicht werden), werden sie dennoch von jenen reflektiert und dabei in Form von Identifikation mit oder in Form einer Abgrenzung von der erläuterten (konsumbasierten) (Selbst-) Optimierungsmaxime zum Bestandteil einer subjektkonstituierenden Selbstreflexion. Der Konsum erhält allerdings nicht nur als Medieninhalt eine prägnante Funktion in Bezug auf die Konstitution des unternehmerischen Selbst. Auch der real getätigte Konsum von Individuen ist, Bröcklings Ausführungen zufolge, ein wichtiger Konstitutionsfaktor für ein unternehmerisch handelndes Subjekt. Denn einerseits ist er ein wichtiges Instrument für das Erreichen unternehmerischer Zielsetzungen, indem er die notwendigen Investitionsgüter für die Ausführungen von Unternehmensstrategien bereitstellt – sei es in Form von passender Kleidung oder Statussymbolen (die als das Corporate Design des unternehmerischen Selbst verstanden werden können), in Form von Weiterbildungsmaßnahmen (wie die Teilnahme an Workshops), durch das Lesen von Ratgeberliteratur (die das unternehmerische Selbst mit notwendigem Wissen für zukünftige Unternehmensstrategien ausstattet), oder in Form von Freizeit- und Unterhaltungsprodukten (welche die Regeneration und damit die zukünftige Effizienz des Lebensunternehmers sichern sollen). Andererseits sieht Bröckling im Konsum aber auch die Wurzeln einer unternehmerischen Lebensausrichtung. So stellt er unter Bezugnahme auf den französischen Publizisten Paul Thibaud fest, dass die Historie des unternehmerischen Selbst ihren Ursprung Ende der 1960er Jahre hat, als sich ein gesellschaftlicher Wertewandel vollzog, der von dem Projekt einer sozialdemokratischen Gesellschaft nicht mehr als ein Individualismus übrig ließ, „der sich darin erschöpfte, dass die Menschen im Rahmen der wohlfahrtsstaatlich angebotenen Möglichkeiten ihren bescheidenen Hedonismus pflegten“ 92. Bröckling erläutert in diesem Zusammenhang, dass Thibaud diese Ereignisse als die Ursache für einen erneuten Aufstieg des früheren Unternehmergeistes versteht:
92 Bröckling (2007), S. 50 f.
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„Der hedonistische Individualismus verlor, nachdem er den Kampf gegen die puritanische Sozialmoral gewonnen hatte, seine revolutionären, romantischen und exaltierten Züge und verlegte sich auf die Kunst des Möglichen, für Thibaud zugleich eine Umlenkung von Energien, welche die Bewegung von 1968 noch in messianischen politischen Ideologien gebunden hatte.“93
Vor diesem Hintergrund wurde das individuelle Glück und die persönliche Selbstentfaltung nun hauptsächlich auf der Ebene des Konsums gesucht, der nicht mehr nur die Befriedigung normierter und standardisierter Bedürfnisse durch seriell produzierte Waren der fordistischen Massenkultur in Aussicht stellte, sondern darüber hinaus konsumbasierte Selbstverwirklichung und Abenteuer versprach.94 Durch diese Entwicklung kam es zu einer Zusammenführung des konsumistischen und unternehmerischen Imperativs 95: „Als Konsument sollte der Einzelne sein Genusskapital akkumulieren und hatte sich zu diesem Zweck so innovativ, risikobereit und entscheidungsfreudig zu erweisen, als müsse er ein Unternehmen zum Markterfolg führen. Dabei konnte er jene Verhaltensdispositionen einüben, die ihm auch in anderen Lebensbereichen zugute kamen“. 96 Die Verhaltensweisen, die das Individuum als ein „Unternehmer im Dienste des eigenen Genusses“97 auszeichnen, können also auf andere Lebensbereiche übertragen werden und aus jedem Einzelnen einen universellen Lebensunternehmer werden lassen, der alle Aspekte seiner Biographie unternehmerischen Kalkülen unterwirft. Dadurch wird der Konsum zu einer Art von Trainingsfläche für unternehmerisches Handeln im Allgemeinen und führt zudem das Streben nach Selbstverwirklichung und das Streben nach wirtschaftlichen Erfolg in einen gemeinsamen Sinnzusammenhang. Da hierbei die ‚richtige‘ Art des Konsumierens in der kontingenten Individualisierungsgesellschaft, ebenso wenig von richtungsweisenden Normen oder institutionalisierten Vorgaben festgelegt wird, wie die allgemeine Ausgestaltung des eigenen Lebens, müssen sich die Individuen auch in diesem Zusammenhang 93 Bröckling (2007), S. 51. 94 In diesem Zusammenhang führte Colin Campbell den Begriff des modernen Hedonismus ein. Im Gegensatz zum traditionellen Hedonismus, welcher auf einen konsumbasierten Lustgewinn durch die Verfeinerung physisch erlebbarer Reize verweist, basiert der moderne Hedonismus auf Genüssen, die durch Emotionen hervorgerufen werden. Weitere Ausführungen zum traditionellen und modernen Hedonismus finden sich auf S. 105 f. 95 Vgl. Bröckling (2007), S. 51. 96 Ebd. 97 Thibaud (1985), S. 134 zit. n. Bröckling (2007), S. 51.
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stetig ein neues Orientierungswissen aneignen, das unter anderem von medialen Unterhaltungsangeboten offeriert und in einem öffentlichen Diskurs verbreitet wird.
2.3
ZWISCHENFAZIT
Die Ausführungen dieses Kapitels haben gezeigt, dass sich in der Gegenwart Subjekte vor dem Hintergrund einer Vergesellschaftung bilden, die auf permanenten Risiken für die einzelnen Individuen fußt. Durch den Zerfall traditioneller Bindungen und Normalbiographien ist jeder Einzelne dazu gezwungen, sein Leben eigenständig zu gestalten und zu managen und zudem seine Subjektivität nach eigenem Ermessen zu bilden. Aufgrund der entgrenzten Handlungsmöglichkeiten, mit denen die Individuen in diesem Zusammenhang konfrontiert sind, benötigen sie Leitlinien und Orientierungsmöglichkeiten für ihre Lebensführung, die sie unter anderem in massenmedialen Inhalten finden. In der Wechselwirkung zwischen diesen Inhalten und den Rezipienten konstituieren sich dabei Machtverhältnisse, welche auf die Rezipienten subjektivierend wirken. Sie manifestieren sich in einem Konglomerat aus verschiedenen und miteinander verschränkten Fremd- und Selbstführungstechniken, wobei aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Individualisierungstendenzen insbesondere der Erwerb von Selbstführungstechniken zum zentralen Bestandteil der Subjektbildung wird. Die entsprechenden Techniken der Selbst- und Fremdführung zielen hierbei häufig im Rahmen des von Ulrich Bröckling beschriebenen, meist medial vermittelten, Leitbildes des unternehmerischen Selbst auf eine permanente Maximierung der eigenen Fähigkeiten und Leistungen ab. Die orientierungsstiftenden und subjektivierenden Funktionen von massenmedialen Unterhaltungsangeboten, die hierbei zum Tragen kommen, werden im folgenden Kapitel eingehend beleuchtet, um anschließend die gewonnenen Erkenntnisse auf die Subjektivierungsleistungen von medial inszenierten Konsumdarstellungen übertragen zu können.
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Subjektkonstitution unter den Bedingungen der massenmedialen Unterhaltungskultur
Aufgrund der in Kapitel 2 beschriebenen gesamtgesellschaftlichen Individualisierungs- und Selbstführungstendenzen, die sich unter anderem durch den Wegfall traditionaler Sicherheiten auszeichnen und auf individuell getroffene, riskante Lebensentscheidungen abzielen, kann sich das heutige Subjekt der „Richtigkeit“ seiner Lebensführung und auch generell seiner Sozialität nicht mehr sicher sein. Es benötigt für Subjektivierungs- und Vergesellschaftungsprozesse ein Orientierungswissen, mit dessen Hilfe es sich und seine Lebensweise gesellschaftlich verorten und versichern kann. Dieses Kapitel setzt sich vor diesem Hintergrund mit den Orientierung stiftenden Potenzialen der Massenkultur 1 aus-
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In dieser Studie wird bewusst der Terminus „Massenkultur“ anstelle des auch häufig verwendeten Ausdrucks „Populärkultur“ verwendet, wobei sich der Wortteil „Massen“ auf die massenhafte Distribution von Gütern dieses Kulturtyps bezieht. Es wird klar von möglichen Konnotationen Abstand genommen, die darauf verweisen, dass es sich bei den Rezipienten und Konsumenten dieser Kultur um eine homogene und manipulierbare Menge von gleichgeschalteten Subjekten handelt. Vielmehr wird der Paradigmenwechsel bezüglich des Massenbegriffs berücksichtigt, der sich in den letzten Jahrzehnten entwickelte. Das gegenwärtige Verständnis dieses Begriffs setzt immer schon individuelle Subjekte voraus, die als Gesamtheit eine Masse beziehungsweise ein Massenpublikum bilden. Vor diesem Hintergrund verweist der Terminus der Massenkultur also nicht auf eine Kultur, deren Angebote für eine homogene Bevölkerungsmasse konzipiert sind, sondert weist vielmehr darauf hin, dass dieser Kulturtyp als „‚herrschende Kultur‘ der Massendemokratie“ (Vgl. Maase 1997, S. 18) auf ein heterogenes und breites Publikum ausgerichtet ist. Die Verwendung des Begriffs der Massenkultur ermöglicht hierbei eine klare konträre Positionierung zur
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einander. Dazu werden verschiedene Forschungsansätze dargestellt, durch die sich die Subjektivierungspotenziale von massenmedialen Unterhaltungsprodukten herleiten lassen. Zunächst werden hierfür generelle Interaktionsprozesse zwischen Medieninhalten und Rezipienten beleuchtet, um zu klären, wie sich letztere Medieninhalte aneignen und wie diese Aneignungsformen eine individuelle Subjektbildung ermöglichen. Anschließend werden die orientierungsstiftenden Potenziale von massenmedialen Unterhaltungsangeboten im Rahmen von subjektkonstituierenden Prozessen in den Blick genommen. Massenmediale Unterhaltungsprodukte wie zum Beispiel TV-Serien, Kinofilme, Zeitschriftenartikel etc. werden in diesem Kontext als ein Mittel der Welterfahrung thematisiert, das den Rezipienten einerseits entgrenzte Möglichkeitshorizonte vermittelt und gleichzeitig beispielhafte Strategien zur Begrenzung dieser Möglichkeitsvielfalt aufzeigt. Auf dieser erkenntnistheoretischen Basis wird gezeigt, wie massenmediale Unterhaltungsprodukte den Zuschauern nicht nur mögliche Handlungs- und Lebensweisen offerieren, sondern zugleich Begrenzungsperspektiven der vorherrschenden Möglichkeitsvielfalt vermitteln. In diesem Kontext soll deutlich werden, dass medial orientierte Subjektivierungsprozesse nicht durch manipulierende Disziplinierung gekennzeichnet sind, sondern dass die Angebote der Massenkultur vielmehr als Applikationsfolien für eine aktive und individuelle Selbstentfaltung und Selbstteuerung fungieren. Die Orientierungsleistungen dieses medial inszenierten Spannungsfeldes von Kontingenzentgrenzung und -begrenzung in Bezug auf die Subjektivierungsprozesse der Rezipienten sollen anschließend resümiert und beurteilt werden. Im folgenden Abschnitt wird also insgesamt die mediensoziologische Grundlage zur Bearbeitung der Frage nach den Subjektivierungspotenzialen von massenmedial vermittelten Konsumpraxen und Konsumeinstellungen gelegt, mit der sich im Anschluss auseinandergesetzt wird.
kritischen Theorie von Max Horkheimer und Theodor Adorno, welche den Terminus „Massenkultur“ durch den Begriff der Kulturindustrie ersetzen und ermöglicht somit eine Implikation, die der Begriff der Populärkultur nicht aufweist. Gegen die Verwendung des Begriffs der Populärkultur, der von den Vertretern der Cultural Studies eingeführt wurde, um gerade die Heterogenität des Publikums sowie die aktiven Rezeptionsvorgänge im Rahmen dieses Kulturtyps zu unterstreichen, spricht zudem, dass der Terminus der Popularität eine allgemeine Beliebtheit quer durch die gesamte Gesellschaft suggeriert. Da aber der Rezeptionsprozess massenkultureller Unterhaltungsangebote stark von Abgrenzungsbestrebungen und Geschmackskämpfen geprägt ist, eignet sich der Begriff der Populärkultur nicht als adäquate Kennzeichnung dieses Kulturtyps und findet daher in dieser Studie keine Verwendung.
Mediale Subjektkonstitution
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DIE REZEPTION MASSENMEDIALER UNTERHALTUNGSANGEBOTE
Um die Orientierungsimpulse massenkultureller Unterhaltungsangebote im Rahmen von Subjektivierungsprozessen adäquat untersuchen und charakterisieren zu können, muss zunächst der Rezeptionsprozess massenmedialer Inhalte eingehend beleuchtet werden. Dieser bildet den Ausgangspunkt für die Untersuchung einer massenkulturell orientierten Subjektkonstitution, da er determiniert, welche Rolle und welche Beeinflussungspotenziale hierbei den Medienangeboten und den Rezipienten zugeschrieben werden können. Im Folgenden wird daher das Medienrezeptionsverständnis erläutert, welches dieser Studie zugrunde liegt. Auf dieser Basis wird anschließend erläutert, welche analytischen Konsequenzen für die im Empirie-Teil entfaltete konsumsoziologische Analyse der Fernsehserie Shopping Queen aus diesem Rezeptionsverständnis resultieren. Wenn man die Orientierungsleistung von massenkulturellen Unterhaltungsangeboten betrachtet, muss zunächst festgestellt werden, dass diese nicht als determinierendes Wirkprinzip verstanden werden kann, das den Zuschauer gezielt manipuliert, wie es behavioristische Modelle der Wirkungs- und Publikumsforschung postulieren.2 Vielmehr wird das Konzept eines aktiven Rezipienten aufgegriffen. Es wird demonstriert, dass die Inhalte von Fernsehserien, Filmen, Zeitschriften etc. vor persönlichen Hintergründen, Weltanschauungen und Lebenserfahrungen jeweils verschieden dekodiert werden und somit auch für jeden Rezipienten eine unterschiedliche Form von Orientierungswissen offerieren können. Dennoch wird sich im Folgenden auch zeigen, dass diese Rezeptionsprozesse nicht vollkommen losgelöst von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen ablaufen. Vielmehr fußen sie auf sozialen Diskursen und Bedeutungsstrukturen3, die jedoch individuell reflektiert werden und den Rahmen für persönliche Dekodierungsprozesse von Medieninhalten bilden. 3.1.1 Das Rezeptionsverständnis der Cultural Studies Die Cultural Studies sind keine Forschungsdisziplin im engeren Sinne, sondern lassen sich vielmehr als ein multidisziplinäres Forschungsparadigma bezeichnen, dessen Fokus auf der Erforschung kultureller Praxen und Interaktionen liegt. Ihr
2
Vgl. Medienwirkungsansätze, die auf dem Stimulus-Response-Modell basieren.
3
Vgl. z.B. Keller (2012), S. 117.
Nachzulesen z.B. in Bonfadelli (2004), S. 29 ff. oder Merten (1994).
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Forschungsfeld ist heterogen und lässt sich weniger über festgelegte thematische Gegenstandsbereiche, als vielmehr über die ideologiekritische Ausrichtung ihrer Vertreter beschreiben. Aufgrund der vielfältigen Forschungsgegenstände und Blickwinkel der Cultural Studies-Vertreter, kann im Folgenden kein vollständiger Überblick über deren Thesen und Ansätze dargestellt werden. Dies wäre im Rahmen der vorliegenden Forschungsfrage auch gar nicht zielführend. Vielmehr soll ein Grundverständnis über die zentralen Auffassungen und Theorien der Cultural Studies bezüglich der Rezeption von medialen (Unterhaltungs-) Produkten ermöglicht werden, da sie im besonderen Maße die Vorstellung eines aktiven Rezipienten prägen, der die Voraussetzung für eine individuelle und massenmedial orientierte Subjektbildung darstellt. 3.1.2 Das Encoding/Decoding-Modell nach Stuart Hall Das aktive Rezeptionsverständnis der Cultural Studies betont, dass sich Rezipienten Medienhalte vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Lebenserfahrungen und Ansichten erschließen und sich deren Bedeutungen somit aktiv aneignen. An dem passiven und von Manipulationen geprägten Rezeptionsverständnis, das beispielsweise von Horkheimer und Adorno in ihrer Arbeit zur Dialektik der Aufklärung nachgezeichnet wird4, wird dabei bemängelt, dass „die kulturellen und sozialen Kontexte, die deren Aktivitäten und so auch deren Medienrezeption erst einen Sinn geben, […] in den Hintergrund gedrängt“ 5 werden. Stuart Hall schuf mit seinem Encoding/Decoding-Modell die Grundlage für die Medienanalyse der Cultural Studies. Da es somit von fundamentaler Bedeutung für das Rezeptionsverständnis der Cultural Studies ist, wird es im Folgenden eingehend beleuchtet. Hall thematisiert in seinem Aufsatz Kodieren/Dekodieren die Kodierungsund Dekodierungsprozesse, die bei der Produktion und Rezeption von (Fernseh-) Botschaften ablaufen. Dafür formuliert er ein semiotisches Paradigma von Kommunikationsprozessen, um die behavioristischen Ansätze der Kommunikations- und Wirkungsforschung zu präzisieren. In einem ersten Schritt entwirft er dafür ein allgemeines Kommunikationsmodell, das auf der Kodierung und Dekodierung von Nachrichten basiert. Durch die Kodierung einer Botschaft werden Ereignisse in eine diskursive Form transformiert, die vom Empfänger der Nachricht in eigene Bedeutungsstrukturen dekodiert wird. Erst nach dieser Dekodierung können Nachrichten in gesellschaftliche Praxen umgewandelt werden. In diesem Kommunikationsprozess müssen die zu kodierenden Bedeutungsstruktu4
Horkheimer/Adorno (1987).
5
Winter/Eckert (1990), S. 11f.
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ren allerdings nicht mit den dekodierten Bedeutungsstrukturen vollkommen übereinstimmten. Da die verwendeten Codes von Sender und Empfänger nicht nur aus allgemeingültigen Denotationen, sondern auch aus individuellen Konnotation bestehen6, kann es zu Asymmetrien zwischen Sender- und Empfängerseite im Moment der Transformation in die und aus der diskursiven Form einer Nachricht kommen. Inwieweit sich also Sender und Empfänger verstehen beziehungsweise missverstehen hängt demnach von dem Äquivalenzverhältnis zwischen der kodierten Bedeutung des Senders und der dekodierten Bedeutung des Empfängers ab.7 In einem zweiten Schritt bezieht Hall seine Überlegungen auf das televisuelle Zeichen und damit auf die Vermittlung von audiovisuellen Botschaften durch das Fernsehen an die Rezipienten. Er verdeutlicht, dass auch diese Art der Kommunikation nicht als eine eindeutige und komplikationsfreie Übertragung der Inhalte von Sender- zur Empfängerseite zu verstehen ist. Zwar bestehen televisuelle Inhalte aufgrund ihrer Bildebene zu einem großen Teil aus ikonischen Zeichen, also aus Zeichen, die in Anschluss an Peirce verschiedene Aspekte der Dinge, die sie verkörpern besitzen8 und somit bei Sender und Empfänger mit einer höheren Wahrscheinlichkeit kongruente Bedeutungsstrukturen ermöglichen als nicht-ikonische Zeichen, aber dennoch werden auch sie kodiert beziehungsweise dekodiert. Dies ist den Rezipienten allerdings in der Regel nicht bewusst, da sie diese Codes im Laufe ihrer Entwicklung bereits so stark verinnerlicht haben, dass sie als ‚natürlich‘ aufgefasst werden. Auch die televisuelle Kommunikation ist also durch Halls semiotisches Modell fassbar. 6
In Anlehnung an Modell der Denotation und Konnotation von Roland Barthes bezeichnet der Begriff der Denotation die formale und konventionalisierte Bedeutung eines Zeichens, während der Begriff der Konnotation auf eine Sinnzuschreibung verweist, welche über die formale Bedeutung eines Zeichens hinausgeht und zum Beispiel emotional oder assoziativ geprägt sein kann (vgl. Barthes 1990, S. 28 ff.).
7
Vgl. Hall (1999), S. 93 ff. Hall impliziert in diesem Ansatz, dass der Sender im Kommunikationsprozess über eine hegemoniale Position verfügt, wenn er Nachrichten kodiert und dass der Empfänger diese Nachrichten individuell dekodiert. In diesem Zusammenhang muss allerdings berücksichtigt werden, dass sowohl das Kodieren und Senden von Nachrichten als auch das Empfangen und Dekodieren derselben von historisch-sozialen Bedeutungsstrukturen und Symboliken geprägt sind, die sich ein Individuum während seiner Sozialisation aneignet. Somit verfügt weder der Sender einer Nachricht über eine hegemoniale Position im Kommunikationsprozess noch erfolgt die Dekodierung von Bedeutungen vollkommen individuell (vgl. Keller 2012, S. 117).
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Vgl. Peirce (1931-1958) zit. n. Hall (1999), S. 98.
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Für die Fernsehrezeptionsforschung ergibt sich daraus die Notwendigkeit, die audiovisuellen Codes von TV-Inhalten unter dem Gesichtspunkt der mit ihnen in Verbindung stehenden Bedeutungen sowie die Regelhaftigkeit ihrer sozial bedingten Interpretation zu untersuchen. Hall erläutert in diesem Zusammenhang, dass Medieninhalte immer auch weltanschauliche Konzeptionen aufweisen, welche die verschiedenen Botschaften unterfüttern und welche vom Rezipienten aus seiner persönlichen Warte heraus kontextualisiert werden. Insbesondere auf der konnotativen Ebene, also auf der veränderbaren Assoziationsebene, erfahren Zeichen bei ihren Sinngebungsprozessen situationsbedingte und ideologische Zuschreibungen. „Auf dieser Ebene läßt sich der aktive Anteil von Ideologien im und am Diskurs beobachten: Hier ist das Zeichen offen für neue Akzentuierungen und tritt […] vollständig in den Kampf um Bedeutungen ein – den Klassenkampf in der Sprache.“9 In Bezug auf televisuelle Codes muss hierbei zudem berücksichtigt werden, dass gerade aufgrund der großen Reichweite des Fernsehens und aufgrund ökonomischer Motive der Produzenten, eine große Zahl an unterschiedlichen sozialen Gruppen als Rezipienten adressiert wird. Diese eignen sich die entsprechenden Botschaften vor dem Hintergrund ihrer sozialen Erfahrungen an. Die Dekodierungen können demnach in verschiedenen Gruppen voneinander abweichen, obwohl alle dieselbe Fernsehnachricht rezipieren. Mediale Botschaften sind also, Halls Ausführungen zufolge, stets polysem gestaltet. Allerdings verdeutlicht Hall in diesem Zusammenhang auch, dass hier „Polysemie […] keinesfalls mit Pluralismus verwechselt werden“10 darf. Ein medialer Text lässt zwar verschiedene Lesearten zu, gestattet aber nicht beliebig viele Deutungsmöglichkeiten. Die Fernsehinhalte legen dabei, Hall zufolge, eine Vorzuglesart nahe, welche an die vorherrschenden gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Einstellungen anschließt.11 Noch expliziter als in Kodieren/Dekodieren formuliert Hall diese These in seinem Aufsatz Culture, the Media and the ‚Ideological Effect‘, wenn er schreibt: „Here the social knowledge which the media selectively circulate is ranked and arranged within the great normative and evaluative classifications, within the preferred meanings and interpretations.“12 „Die Encodierung setzt also den Rahmen, gemäß dem die Decodierung operieren kann“.13 Dies bedeutet aber nicht, dass jeder einzelne Zuschauer die „dominante kulturelle Ord-
9
Hall (1999), S. 101.
10 Hall (1999), S. 103. 11 Vgl. ebd. 12 Hall (1977), S. 341. 13 Winter (1995), S. 87.
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nung“14 akzeptiert und bei seinem individuellen Dekodierungsprozess an diese anschließt. Hall unterscheidet in diesem Zusammenhang, in Anlehnung an Frank Parkin, vielmehr zwischen drei hypothetischen Positionen, die ein Rezipient bei der Dekodierung televisueller Inhalte einnehmen kann: Erstens kann der Zuschauer eine dominant-hegemoniale Position bei der Rezeption von Fernsehinhalten besetzen, indem er „die Nachricht im Sinne des Referenzkodes, in dessen Rahmen sie kodiert wurde“15, dekodiert und somit die intendierte Bedeutung der Nachricht vollständig übernimmt. Zweitens kann er Inhalte auf Grundlage einer ausgehandelten Position interpretieren. Hier wird der ‚allgemein vorherrschende Code‘ zwar übernommen, Inhalte werden aber dennoch im Rahmen spezifischer sozialer Kontexte dekodiert und interpretiert, so dass die Dekodierung „eine Mischung aus adaptiven und oppositionellen Elementen“16 darstellt. Die ausgehandelte Version der dominanten Weltanschauung ist daher durch Diskrepanzen gekennzeichnet. Die dritte mögliche Dekodierungsposition ist die oppositionelle Position, bei der der Rezipient zwar die intendierte Vorzuglesart versteht, die Inhalte aber vollkommen gegensätzlich dekodiert, da er aufgrund eines anderen sozialen Kontextes gänzlich konträre Sinnzusammenhänge konstruiert. 17 3.1.3 Erweiterungen von Halls Encoding/Decoding-Modell Halls Modell wurde seit seiner Veröffentlichung vielfach verwendet aber auch kritisiert und erweitert. Besonders der Umstand, dass er die Klassenzugehörigkeit als einziges Selektionskriterium verwendet, um soziale Gruppen voneinander zu differenzieren wurde beispielsweise von David Morley auf Grundlage einer von ihm durchgeführten empirischen Erhebung bemängelt. Er untersuchte Ende der 1970er Jahre am Beispiel der britischen Vorabendsendung Nationwide, die sich quer durch die Bevölkerung damals einer großen Beliebtheit erfreute, die Produktion und Rezeption von Fernsehinhalten.18 Dabei stellte er fest, dass die Sendung Nationwide eine dominant-ideologische Vorzugslesart vermittelte und ging vor diesem Hintergrund in Zuschauerinterviews der Frage nach, wie verschiedene Zuschauergruppen, welche nach Beruf und Bildungsstand voneinander abgegrenzt wurden, die Sendungsinhalte interpretierten und kontextualisierten. Hierbei stellte sich heraus, dass es bei den angewendeten Kriterien der Gruppenbildung nicht möglich war, die verschiedenen Zuschauergruppen durch14 Hall (1999), S. 103. 15 Hall (1999), S.107. 16 Hall (1999), S. 108. 17 Vgl. Hall (1999), S. 106 ff. 18 Vgl. Morley, (1980).
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gängig und eindeutig einer der von Hall dargestellten Dekodierungspositionen (dominant-hegemonial, ausgehandelt oder oppositionell) zuzuordnen. Zudem konnte keine einheitliche Lesart bei den Mitgliedern einer spezifischen Gruppe festgestellt werden. Zuschauer mit ähnlichen sozialen Kontexten dekodierten die Inhalte oft unterschiedlich. Alleine derselbe Bildungsstand und ein ähnliches Einkommen konnten somit nicht als ausschlaggebende Faktoren für eine gruppenkonforme Rezeptionsweise belegt werden. Morley kam daher zu dem Schluss, dass Halls Encoding/Decoding-Modell zu starr und zu vereinfacht ist, um die Dekodierungsprozesse von Fernsehinhalten realitätsnah zu kategorisieren. Die alleinige Zugrundelegung einer spezifischen Klassenzugehörigkeit reicht nicht aus, um gruppenspezifische Dekodierungsweisen feststellen oder gar voraussagen zu können. 19 Auf Basis dieser empirischen Ergebnisse erweiterte Morley Halls Modell, indem er nicht ausschließlich eine bestimmte Klassenzugehörigkeit als relevanten Rezeptionskontext festlegte, sondern auch allgemeinere soziale Kontexte, wie gruppentypische diskursive Positionen, als konstitutiv für spezifische soziale Lesarten voraussetzte. Dabei machte er allerdings auch deutlich, dass die Zugänge zu verschiedenen Diskursen sozial unterschiedlich strukturiert sind, so dass es sich auch bei dem diskursiven Rezeptionskontext um eine sozial determinierte Variable handelt. Diese ermöglicht jedoch weniger starre Grenzziehungen zwischen den verschiedenen Individuen und ihren Rezeptionsweisen als die reine Klassenzugehörigkeit. 20 In diesem Kontext können Interpretationsgemeinschaften entstehen, die sich aus Individuen unterschiedlicher Klassen, aber mit ähnlichen diskursiven Positionen zusammensetzen. Als eine Erweiterung von Halls Encoding/Decoding-Modell können auch John Fiskes Ausführungen in dessen Aufsatz Die populäre Ökonomie betrachtet werden, in welchem er die Interaktionsprozesse zwischen Kulturprodukten (wie zum Beispiel Fernsehserien) und Zuschauern beleuchtet und deren wechselseitige Einflusspotenziale im Rahmen von kulturellen und ökonomischen Strukturen thematisiert. In diesem Zusammenhang stellt er fest, dass bei entsprechenden Interaktionen die Zuschauer nicht ausschließlich als rein rezipierende Instanz aufgefasst werden können. Jene nehmen auch eine produzierende Funktion ein, indem sie Diskurse zu den produzierenden Instanzen des Fernsehens transportieren und durch ihren jeweiligen Fernsehkonsum die verschiedenen Angebote indirekt steuern. Fiske verdeutlicht in diesem Zusammenhang, dass kulturelle Produkte sowohl in einem ökonomischen als auch in einem kulturellen Kreislauf zirkulie19 Ebd. zit. n. Hepp (1999), S. 167ff. 20 Vgl. Morley (1992), S. 118.
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ren. So erfolgt die Wertzuschreibung dieser Waren zunächst durch eine augenscheinliche finanzielle Logik: Fernsehserien werden beispielsweise von Sendern eingekauft und ermöglichen diesen durch ihre anschließende Generierung (hoffentlich) hoher Einschaltquoten den Verkauf möglichst gewinnbringender Werbeschaltungen. Eine Fernsehserie bewegt sich damit einerseits in einer finanziellen Ökonomie, in der sie zunächst als reine Ware von einer Fernsehanstalt eingekauft wird. Anschließend erhält sie aber auch eine produzierende Funktion, indem sie ein Publikum produziert, das an Werbekunden verkauft wird. Es kann somit festgehalten werden, dass in der finanziellen Ökonomie Vermögen innerhalb verschiedener Subökonomien zirkuliert, die voneinander abhängig sind: Ein Fernsehsender kauft nur solche Serien ein, die ihm hohe Werbeeinnahmen versprechen. Dementsprechend müssen die Serienproduzenten Inhalte generieren, welche eine ausreichend große Menge an Zuschauern anspricht, die sich als Zielgruppe der Werbetreibenden eignen.21 Der Wert eines kulturellen Produkts wird aber auch in starkem Maße von einer kulturellen Ökonomie geprägt. In dieser zirkulieren keine Vermögenswerte, sondern vielmehr Bedeutungen und Vergnügen, welche die Konsumenten aus den kulturellen Waren ziehen. An dieser Stelle findet auch beim Zuschauer, wie zuvor in der finanziellen Ökonomie bei der Serie, eine Rollenausweitung statt. Der Zuschauer erhält neben seiner Funktion als Ware, die an Werbetreibende verkauft wird, auch eine produzierende Funktion. Er wird zu einem „Produzenten von Bedeutungen und Vergnügen“22, indem er – wie bereits von Hall beschrieben – die angebotenen Fernsehinhalte vor seinen persönlichen Hintergründen, Erfahrungen und Ansichten aktiv rezipiert und sich diese individuell aneignet. Fiske gesteht den Serienproduzenten in diesem Zusammenhang zwar auch eine beschränkte Einflussnahme auf die Bedeutungskonstruktionen der Zuschauer zu, macht aber deutlich, dass die Macht des Publikums in der kulturellen Ökonomie beträchtlich ist. Dies begründet er damit, dass den Bedeutungen hier andere Zirkulationsprinzipien zugrunde liegen als dem Vermögen in der finanziellen Ökonomie. Die Bedeutungskonstruktionen der Zuschauer lassen sich nämlich schwieriger kontrollieren, als die Zirkulation von Geldwerten unter einem ökonomischen Blickwinkel, da hier der Konsument nicht der Schlusspunkt einer linear konzipierten Transaktionskette ist. Während in der finanziellen Ökonomie die Produktion klar von der Konsumtion getrennt ist und vorhersehbare Wechselwirkungen ihr Verhältnis zueinander bestimmen, besteht in der kulturellen Ökonomie kein fassbarer Unterschied zwischen den Produzenten und Konsumenten. Ein einzelnes Individuum kann beide Rollen in sich vereinen. Da zudem 21 Vgl. Fiske (2001), S. 114 ff. 22 Fiske (2001), S. 116.
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in dieser Ökonomie die kulturellen Produkte bestimmte Bedeutungen nicht gezielt vermitteln, sondern lediglich beim Rezipienten hervorrufen können, lässt sich hier keine eindeutige Richtung der Einflussnahme zwischen Fernsehproduzenten und Zuschauern bestimmen. Das Fernsehen offeriert zwar Rezeptionsinhalte und kann damit in beschränkter Weise die Bedeutungskonstruktionen und die Anschlusskommunikationen der Rezipienten beeinflussen, es kann diese Prozesse allerdings nicht gezielt steuern, da die Zuschauer die individuellen Bedeutungen aktiv und vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Erfahrungen und Einstellungen konstruieren.23 Zudem beeinflussen die Zuschauer auch die Fernsehproduzenten, indem sie durch die Annahme beziehungsweise Ablehnung von Inhalten (ausgedrückt in Einschaltquoten) die inhaltliche Gestaltungen von Fernsehserien etc. vor dem Hintergrund ökonomischer Überlegungen der Fernsehanstalten ‚mitbestimmen‘. 3.1.4 Fernsehen als kulturelles Forum In den vorangegangenen Unterkapiteln wurde ein Rezeptionsverständnis skizziert, in welchem der Rezipient von massenkulturellen (Unterhaltungs-) Produkten eine aktive Rolle einnimmt. Er schreibt den medial vermittelten Botschaften, vor dem Hintergrund seiner persönlichen Erfahrungen und Ansichten, in einem aktiven Rezeptionsprozess individuelle Bedeutungen zu und nimmt im Rahmen diverser kulturökonomischer Strukturen auch Einfluss auf die medial präsentierten Inhalte. Die Auffassung eines behavioristischen Wirkzusammenhangs, bei dem sich spezifische Medieninhalte kalkulierbar auf die Einstellungen oder das Verhalten des Publikums auswirken, wird im Rahmen dieses Rezeptionsmodells also negiert. Das bedeutet aber nicht, dass Fernsehserien und andere massenmediale Unterhaltungsangebote keinerlei Einfluss auf die Rezipienten, ihre Kultur und ihre Weltanschauung nehmen. Das Fernsehen stellt in diesem Kontext – in Anschluss an die Ausführungen von Horace Newcomb und Paul Hirsch – vielmehr ein „Kulturelles Forum“24 dar, das dem Zuschauer, durch verschiedene in Umlauf gebrachte Diskurse, Reflexions- und Diskussionsanreize bietet. Dabei konfrontiert es das Publikum mit vielen verschiedenen Lebensauffassungen, anstatt eine einzige gültige Weltordnung darzustellen. Diese facettenreiche Darstellung möglicher Weltsichten ist in diesem Zusammenhang damit zu begründen, dass sich Fernsehproduzenten, Regisseure und andere gestaltenden Akteure bei der Produktion von Fernsehserien im Rahmen der von Fiske beschriebenen finanziellen Ökonomie bewegen. Sie müssen sich bei der Ver23 Vgl. Fiske (2001), S. 116 ff. 24 Vgl. Newcom/Hirsch (1986).
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mittlung der von ihnen offerierten Sinnangebote auf die Weltsichten, Symbole, Wissensbestände, Stile etc. der verschiedenen Rezipienten stützen, um eine Anschlussfähigkeit der dargestellten Inhalte an die ‚reale Welt‘ der Zuschauer zu gewährleisten und so hohe Einschaltquoten beziehungsweise hohe Werbeeinnahmen zu generieren. Aus ökonomischer Sicht ist es daher sinnvoll, verschiedene Inhalte beziehungsweise Produkte anzubieten, die entweder an die Realität eines möglichst breiten Publikums anschließen oder gezielt kleinere Zielgruppensegmente ansprechen, welche von der Konkurrenz vernachlässigt werden. Neben der Darstellung und Reflexion verschiedener gesellschaftlicher Weltsichten und Realitäten, können Fernsehsendungen zudem als Plattformen fungieren, auf denen neue Variationen der ‚realen‘ Welt und neue Perspektiven auf die bereits bekannte Lebenswelt inszeniert werden. Das Fernsehen spiegelt somit die Lebenswelten der Rezipienten nicht nur wider, sondern ist zudem in der Lage, diese in neuartigen Inszenierungen zu transformieren und schließlich eventuell neue kollektive Überzeugungen bei den Zuschauern zu initiieren. Die kreativen Akteure der Fernsehproduktion sind daher nicht nur Produzenten im Rahmen der finanziellen Ökonomie, sondern übernehmen zugleich auch im Rahmen der kulturellen Ökonomie produzierende Funktionen bei der Etablierung neuer Sinngehalte. In Anlehnung an Marshall Sahlins bezeichnen Newcomb und Hirsch sie daher als „Symbolverkäufer“. 25 „Sie [die Symbolverkäufer, J.E.] sind kulturelle Sinnproduzenten (‚bricoleurs‘), die durch Kombination von sehr unterschiedlichen bedeutungsgeladenen Kulturelementen neue Sinngehalte aufspüren und schaffen. Sie reagieren mit hoher Sensibilität auf konkrete Ereignisse, auf den Wandel gesellschaftlicher Strukturen beziehungsweise Organisationsformen oder auf Veränderungen in Einstellungen und Wertvorstellungen. Auch technologische Innovationen wie die Einführung von Kabelkommunikation oder die Nutzung von Videorecordern sind für sie wichtige Anstöße. Wir schließen Fernsehproduzenten in Sahlins Katalog von ‚Symbolverkäufern‘ ein, denn auch sie verfahren nach demselben Grundrezept, übrigens genauso wie Fernsehautoren und, in geringerem Maße, Regisseure beziehungsweise Schauspieler. Gleiches gilt für Programmplaner und Anstaltsleitungen, die über den Ankauf, die Herstellung und die Ausstrahlung von Programmen zu entscheiden haben. Sie alle fungieren in den verschiedenen Phasen dieses komplexen Prozesses als Sinnvermittler.“26
In Hinblick auf die wirklichkeitstransformierende Funktion des kulturellen Forums Fernsehen und der damit einhergehenden Möglichkeit der Etablierung von 25 Newcomb/Hirsch (1986), S.180. 26 Ebd.
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neuen kollektiven Überzeugungen, beziehen sich Newcomb und Hirsch auf Victor Turners Ausführungen zu dem Begriff des rituellen Grenzbereichs und übertragen diesen auf den televisuellen Kontext. Die Funktion und die Beschaffenheit dieses Grenzbereichs erklären sie folgendermaßen: „[…] es gibt eine Art Niemandsland, in dem man sich weder ganz außerhalb der Gesellschaft noch wirklich innerhalb ihrer Grenzen befindet, einen Freiraum, in dem Regeln strapaziert oder gar gebrochen werden können, in dem sich Rollen umkehren und Kategorien umstoßen lassen. Für Turner ist das Entscheidende die Freisetzung von üblichen Zwängen, die die Demontage der ‚uninteressanten‘ Interpretationen des sogenannten gesunden Menschenverstandes und der ‚Sinnfälligkeiten des Alltagslebens‘ ermöglicht. So werden Kulturkomponenten freigelegt, aus denen sich neuartige und manchmal höchst bizarre Gebilde konstruieren lassen. Der Grenzbereich (‚liminality‘) ist die Domäne des ‚Interessanten‘, er schafft Zugang zu den ‚nicht ausgetretenen Wegen‘.“ 27
Dabei wird, Newcomb und Hirsch zufolge, häufig das Nicht-Normale28 in den Fokus gerückt, damit das Fernsehen tatsächlich als Grenzbereich fungieren kann. Denn im Zusammenspiel mit dem Interpretationsspielraum der Zuschauer ermöglicht die Darstellung von Anormalität die Initiierung von neuen Denkrichtungen und von lebensweltlichen Innovationen. Vor diesem Hintergrund erschließt sich für Newcomb und Hirsch auch die Bedeutung von alltagsfernen Inszenierungen in vielen Fernsehsendungen wenn „Darstellungsformen, Sujets und Handlungsfiguren dominieren, die wenig mit unserer Lebenserfahrung zu tun haben“29. Erst die Darstellung „abweichender Ideen“ fördert nämlich in diesem Kontext das Beschreiten neuer Wege in der ‚realen‘ Lebenswelt des Publikums.30 Aber selbst wenn Fernsehserien Handlungen zeigen, die konventionelle Weltanschauungen eher zementieren als infrage stellen, können diese Darstellungen ebenso innovative Gedanken bei den Rezipienten hervorrufen. Jene könnten sich beispielsweise durch eine individuelle Kontextualisierung der Inhalte von dem Gesehenen distanzieren und sich neuen Denkrichtungen zuwenden. Zudem erläutern Newcomb und Hirsch, dass das 27 Ebd. 28 Eine ausführliche Erläuterung über Normalisierungs- und Denormalisierungstendenzen von massenmedialen Unterhaltungsprodukten sowie über deren subjektkonstituierenden Funktionen befindet sich in Kapitel 3.2.3. 29 Newcomb/Hirsch (1986), S. 181. 30 Zudem tragen solche Darstellungen zu einer entlastenden Distanzierung zum realen Leben bei, was eine wichtige Voraussetzung für die Unterhaltungsfunktion entsprechender medialer Angebote ist.
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Fernsehen weniger eindeutige weltanschauliche Standpunkte offeriert, sondern vielmehr „Kommentierungen gesellschaftspolitischer Streitfragen“31 anbietet. Auf Basis dieser Überlegungen kann somit jede Art von Fernsehunterhaltung – auch jene, die nach den Maßstäben vieler Kritiker als Formen minderwertiger Trivialunterhaltung bezeichnet werden würden – als ein produktives kulturelles Forum fungieren, in dem unterschiedliche kulturelle Aspekte thematisiert werden. Denn selbst Inhalte, die als reine Manifestation veralteter Weltanschauungen erscheinen mögen, können gerade durch eine eindimensionale Darstellungsart die Infragestellung obsoleter Werte hervorrufen und so in einem weiteren Schritt Umwälzungsprozesse in Bezug auf kollektive Überzeugungen auslösen. Resümierend lässt sich das Modell des Fernsehens als kulturelles Forum dahingehend zusammenfassen, dass es einerseits die Funktion hat, den Zuschauern, im Rahmen von kommunikativen Normalisierungsprozessen32, ein Orientierungswissen zu vermitteln, welches auf der Spiegelung der Publikumsrealitäten fußt. Andererseits präsentiert es Inspirationen für persönliche und soziale Weiterentwicklungen der Zuschauer, indem es Grenzbereiche der Realität austestet sowie Werte und Normen etc. zur Diskussion stellt. 3.1.5 Forschungstechnische Konsequenzen des zugrundeliegenden Rezeptionsverständnisses Das erläuterte aktive Rezeptionsverständnis, das dieser Studie zugrunde liegt, muss auch bei der Analyse der Subjektivierungspotenziale von medial inszenierten Konsumbildern berücksichtigt werden. Denn aus der Auffassung, dass Rezipienten Medieninhalte vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Erfahrungen und Werte dekodieren und ihnen auf dieser Basis individuelle Sinngehalte zuschreiben, folgt unweigerlich die Erkenntnis, dass Konsuminszenierungen in medialen Unterhaltungsangeboten von verschiedenen rezipierenden Subjekten mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen versehen werden können. Vor diesem Hintergrund können dieselben medial dargestellten Konsumbilder bei verschiedenen Rezipienten eine unterschiedliche Rolle im Rahmen ihrer jeweiligen (konsumbasierten) Subjektkonstitution spielen. Auf Grundlage dieser Überlegungen kann eine Analyse der Subjektivierungspotenziale von medial inszenierten Konsumbildern, wie sie im EmpirieTeil dieser Studie am Beispiel der Fernsehserie Shopping Queen durchgeführt
31 Newcomb/Hirsch (1986), S. 183. 32 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 3.2.3.
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wird, keinen Aufschluss über die verschiedenen Sinngebungsprozesse und Nutzungsdimensionen geben, welche die Zuschauer durch die Rezeption der Serie konstruieren. Dies ist allerdings auch nicht das Ziel, welches mit der konsumsoziologischen Untersuchung des Dokutainment-Formats verfolgt wird. Die Analyse soll vielmehr Aufschluss über die konsumbezogenen Bedeutungs- und Sinnangebote geben, welche die Serie offeriert. Es soll also der Frage nachgegangen werden, welche Diskussionsangebote, Applikationsfolien und Reflexionsanreize Shopping Queen den Zuschauern bezüglich (subjektivierender) Konsumpraxen offeriert, wenn sie in Anlehnung an Newcomb und Hirsch die Funktion eines kulturellen Forums übernimmt. In diesem Zusammenhang kann davon ausgegangen werden, dass jegliche Form von Konsuminszenierungen in der Serie sowohl das Potenzial besitzt, die bereits vorhandenen Konsumeinstellungen eines Zuschauers zu festigen als auch diese zu modifizieren. Jede Form der Konsumdarstellung kann somit Orientierungsimpulse für die konsumbasierte Subjektbildung der Zuschauer offerieren. Eine Einstellungsänderung kann dabei einerseits durch Darstellung von Werten, Handlungsweisen etc. geschehen, welche der Rezipient bisher selbst vertritt, die aber durch eindimensionale Darstellungen oder ähnliches bei dem Rezipienten Distanzierungsprozesse in Gang setzen. Andererseits können Konsumeinstellungen auch durch Darstellungen in Fernsehserien verändert werden, welche den bisherigen Wert- und Normvorstellungen des Rezipienten entgegenstehen, die ihm aber neue Perspektiven und innovative Denkanstöße ermöglichen. Wenn eine ausreichend große Rezipientengruppe Lesarten ausbildet, die innovative Sinngebungsprozesse bedingen, können beide Konstellationen schließlich zu kollektiven Einstellungsänderungen in Bezug auf Konsum führen. Die Inhalte von massenmedialen (Unterhaltungs-)Angeboten, wie zum Beispiel die Inszenierung von (subjektbildenden) Konsumpraxen in der Serie Shopping Queen, können somit als wichtige Basis für gesellschaftliche Transformationsprozesse hinsichtlich der Verbreitung von Ansichten und Werten fungieren, indem sie Orientierung stiftende Sinngebungsprozesse etablieren. Auch wenn diese Sinngebungsprozesse bei jedem Rezipienten individuell verschieden ablaufen können, vermag eine Analyse der in der Serie Shopping Queen inszenierten Konsumdiskurse Aufschluss darüber geben, welchen Konsumthemen und -darstellungen der Zuschauer bei der Rezeption des Dokutainment-Formats begegnet und was er in entsprechenden Unterhaltungskontexten erlebt. In einem nachgelagerten Schritt könnten dann auch Thesen darüber aufgestellt werden, wie die Serieninhalte den Zuschauern erscheinen und welche Sinngebungsprozesse und Lesarten von ihnen in Gang gesetzt werden können.
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VERGESELLSCHAFTUNGSFUNKTIONEN MASSENMEDIALER UNTERHALTUNGSKULTUR
Nachdem das zugrundeliegende Rezeptionsverständnis dieser Studie ausführlich beleuchtet wurde, stellt sich im Rahmen des übergeordneten Forschungsthemas nun die Frage, ob und inwiefern aktiv rezipierte massenmediale Unterhaltungsangebote eine tragende Rolle bei Subjektvierungs- und Vergesellschaftungsprozessen der Gegenwart spielen. Von einem Ursache- Wirkungszusammenhang (im Sinne von zuvor bestimmbaren, determinierten Auswirkungen spezifischer Medieninhalte auf das Verhalten der Zuschauer) kann bei der massenmedial orientierten Subjektkonstitution, aus bereits ausführlich erörterten Gründen, nicht ausgegangen werden. Dennoch ist es notwendig, die Vergesellschaftungsfunktionen von Medieninhalten näher zu beleuchten, um sie als Konstitutionsfaktor für eine aktive und individuelle, jedoch massenmedial orientierte, Subjektbildung in den Blick zu nehmen. 3.2.1 Kontingenz und Anomie Michael Makropoulos spricht in diesem Zusammenhang der Massenkultur 33 verschiedene gesellschafts- und subjektkonstituierende Funktionen zu. Diese Funktionen basieren, seinen Ausführungen zufolge, auf den Kontingenzstrukturen der Gegenwartsgesellschaft. Kontingenz definiert er dabei wie folgt: „Kontingenz ist das, was auch anders möglich ist. ‚Kontingenz‘ bezeichnet in dieser relativ einfachen Definition nicht die Unbestimmtheit überhaupt, sondern jene spezifische Unbestimmtheit, in der etwas weder notwendig noch unmöglich ist und sich darin als wirkliche Alternative manifestiert.“34 Kontingenz beschreibt damit genau die Möglichkeitsvielfalt und Unbestimmtheit, die auch Ulrich Beck in Bezug auf die „riskante Freiheiten“ von Modernisierungs- und den damit einhergehenden Individualisierungsprozessen erläutert. Makropoulos zeigt in diesem Zusammenhang auf, dass die Entgrenzung von Handlungsmöglichkeiten auf einer Artifizierung von gesellschaftlichen Sozialstrukturen basiert. Diese sind durch eine klare Distanz zu allem biologisch Naheliegendem und Notdürftigem gekenn-
33 Makropoulos verweist mit dem Terminus ‚Massenkultur‘ nicht nur auf massenhaft distribuierte Kulturgüter, wie massenmediale Unterhaltungsangebote. Er bezeichnet mit diesem Begriff vielmehr die Gesellschaftsform der Gegenwart. Kulturgüter, wie Medienangebote, sind in diesem Zusammenhang lediglich als Teilaspekte dieser Gesellschaftsform zu verstehen. 34 Makropoulos (2008), S.33.
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zeichnet sowie durch das Fehlen einer unmittelbaren sinnlichen Evidenz. Sie sind rein konstruiert und willkürlich. In einer durch sie strukturierten Gesellschaft wird generell alles machbar und veränderbar, weshalb tradierte Normen und Werte nicht ohne weiteres vorausgesetzt, sondern vielmehr stets infrage gestellt werden können. Die von Beck postulierten riskanten Freiheiten im Rahmen von Individualisierungsprozessen35 lassen sich vor diesem Hintergrund als Manifestation der Kontingenzproblematik einer artifiziellen Gesellschaft beschreiben. Hier werden Selbstmodelle nach individuellen Vorstellungen gestaltet, wobei dem Individuum eine nahezu unbegrenzte Vielzahl an (riskanten) Gestaltungsmöglichkeiten (beziehungsweise Gestaltungsnotwendigkeiten) des eigenen Selbst zur Verfügung steht. Die Individualisierungs- und Subjektivierungsprozesse in der von Beck skizzierten Risikogesellschaft fußen also auf einer kontingenten Vergesellschaftung. Kontingenz ist in diesem Kontext zunächst als eine handlungstheoretische Kategorie zu begreifen. Denn als Entscheidung zwischen mehreren Möglichkeiten kann sich Handeln nur dort etablieren, wo verschiedene Alternativen als Handlungsoptionen zur Verfügung stehen.36 Handeln setzt somit die Möglichkeit eines Akteurs voraus, sich bezüglich seines Tuns zwischen mindestens zwei Möglichkeiten zu entscheiden. Es entsteht daher bei jeder Handlung eine Spannung zwischen der Wirklichkeit und weiteren Entscheidungsmöglichkeiten, die sich einem Subjekt eröffnen. Die Entscheidung für eine spezifische Handlungsalternative wird dabei auf Grundlage von bereits gemachten Erfahrungen getroffen.37 Makropoulos erweitert diesen rein handlungsorientierten Blickwinkel auf die Kontingenz, da – seinen Ausführungen zufolge – dem Wirklichkeitsraum, in dem Handlungen stattfinden und problematisiert werden, hier nicht ausreichend Beachtung geschenkt wird. Er stellt fest, dass die Moderne neue Selbst- und Weltverhältnisse hervorbringt, die auch die Handlungsrahmen, also die Rahmenbedingungen, unter denen sich Handlungen vollziehen, wie zum Beispiel die der Natur, die des Staats oder die der Ökonomie, kontingent erscheinen lassen. Dadurch werden auch diese komplett formbar und somit die gesellschaftliche Ordnung als solche kontingent. „Kontingent, so könnte man sagen, sind jetzt nicht nur die Realien, an denen sich Handeln verwirklicht, sondern auch die Realität, in der diese Realien stehen, so daß die systemati35 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 2.2.1. 36 Vgl. Bubner (1984), S. 35-50. 37 Vgl. Makropoulos (2008), S. 33-37.
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sche Ambivalenz des Kontingenten als Handlungsbereich und Zufallsbereich […] eine sehr andere Qualität bekommt. Kontingenz erfasst nämlich […] auch den Handlungsbereich, der jetzt seine transsituative Verbindlichkeit verliert und dadurch seinerseits zum Gegenstand der Manipulation wird.“38
Durch diese Ausweitung der reinen Handlungskontingenz auf eine Kontingenz des Handlungshorizontes wird Kontingenz in der Neuzeit also komplexer dimensioniert und auf einen gesellschaftlichen Handlungsrahmen ausgeweitet. Dies führt zu den von Ulrich Beck erläuterten gesamtgesellschaftlich auftretenden Risikobiographien, die das Leben beziehungsweise die Lebensgestaltungen von Individuen der Gegenwart kennzeichnen und lässt die von Foucault analysierten Selbstführungstechniken notwendig werden. Nur durch entsprechende Praxen und Techniken können die einzelnen Subjekte ihre Handlungen kontrollieren und regulieren und somit ihr Selbst konstruktiv und möglichst zielgerichtet gestalten. Ein Risiko, das die Kontingenzstrukturen der Gegenwartsgesellschaft mit sich bringen und das in Becks Ausführungen zur Risikogesellschaft kaum beachtet beziehungsweise lediglich implizit angesprochen wird, ist die Entgrenzung von Bedürfnissen der verschiedenen Individuen. In einer Welt, in der alles auch anders sein könnte, kann sich der Einzelne an keinen festgesetzten Grenzen für seine Bedürfnisse orientieren.39 Diese entwickeln sich somit über das Normative hinaus und die Ansprüche an das Leben, sich selbst und andere wachsen ins Unendliche. Somit können sie letztlich nie abschließend befriedigt werden, denn es können immer noch höher gesteckte Ziel anvisiert werden und selbst wenn eins von ihnen erreicht wird, kann dies zu keiner abschließenden Befriedigung führen, da ein noch höheres Ziel bereits darauf wartet, erreicht zu werden. „Es kann eben immer noch besser funktionieren, die Elemente können in ein anderes Verhältnis gesetzt werden, neue Erfindungen revolutionieren das gesamte Gefüge usw. Der moderne Mensch lebt damit unter der Bedingung der radikalen Entgrenzung des Möglichen und Entregelung des Begehrens. Er kalkuliert mit einem Wissen, das er noch gar nicht hat. Das ‚Unmögliche wird zum Kriterium einer schrankenlosen Optimierung‘. Die Handlungsziele positionieren sich in einem Feld des Unendlichen und Unerreichbaren […].“40
Dieser Drang zur ständigen Steigerung des Möglichen und zur stetigen Optimierung des eigenen Selbst wird beispielsweise durch die audiovisuelle Darstellung 38 Makropoulos (2008), S. 37. 39 Vgl. Makropoulos (2008), S. 38 f. 40 Spreen (2002), S. 67.
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neuer Möglichkeitshorizonte durch massenmediale Unterhaltungsprodukte forciert. Gleichzeitig begegnen Medienrezipienten in den verschiedensten Medienprogrammen dem Imperativ zur Selbstoptimierung zum Beispiel von Seiten der Ratgeberliteratur, wie es von Ulrich Bröckling im Rahmen seiner Ausführungen zum Unternehmerischen Selbst 41 dargestellte wird. Die Kombination entsprechender Medieninhalte hält somit die Rezipienten zur permanenten Selbstoptimierung an und offeriert gleichzeitig verschiedene Möglichkeiten zur Realisierung eines entsprechenden Optimierungsstrebens. Das permanente (Selbst-)Optimierungsstreben, das Bröckling als moderne Subjektivierungsform thematisiert, kann in diesem Zusammenhang als eine Form von Entgrenzung aufgefasst werden. Sie bildet sich nicht auf Basis repetitiver Überschreitungen des Möglichen. Vielmehr fußt sie auf einer dauerhaften und fortschreitenden Verschiebung des Möglichkeitshorizonts. 42 „Deshalb bedeutet Optimierung auch nicht die künftige Stillstellung von Kontingenz in einen realisierten idealen Zustand, sondern deren dauerhafte Institutionalisierung […].“43 Durch die stetig fortschreitende Entgrenzung des Möglichkeitshorizonts entsteht für das einzelne Individuum und letztlich auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene eine Belastungssituation, die zur Störung der sozialen Ordnung führen kann. Émile Durkheim führt in diesem Zusammenhang den Begriff der Anomie ein, mit dem er den Zustand einer solchen gestörten sozialen Ordnung beschreibt.44 So erklärt er: „Vor dem, was die erhitzte Phantasie als realisierbar ansieht, verblaßt jeder Wert der echten Realität. Man löst sich von ihr und löst sich schließlich auch vom Möglichen, wenn dieses einmal Wirklichkeit wird.“ 45 Während in Anschluss an Durkheim Anomie hauptsächlich als eine vorübergehende Krise problematisiert wird46, sieht Makropoulos die Anomie in der modernen kontingenten Gesellschaft als Dauerzustand an. So erklärt er unter Bezugnahme auf Hans-Ulrich Gumbrecht und Reinhart Koselleck:
41 Vgl. hierzu die Ausführungen zum Unternehmerischen Selbst in Kapitel 2.2.3. 42 Vgl. Makropoulos (2003), S. 161. 43 Ebd. 44 Vgl. Durkheim (1983), S. 289. 45 Durkheim (1983), S. 293. 46 Durkheim selber spricht durchaus von Anomie als Dauerzustand. Vor dem Hintergrund einer unzureichenden Regulierung von Bedürfnissen sieht er eine Gesellschaft wachsen, in der „Krise und Anomie zum Dauerzustand und sozusagen normal geworden“ sind (Durkheim 1983, S. 292).
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„[…] in einer Gesellschaft, die der ‚Traditionsorientierung diametral entgegengesetzt‘ ist, weil die individuellen und kollektiven Erwartungen durch kontingenzförmige Realitätsverhältnisse immer weiter aus ihren Bedingungen an bisherige Erfahrungen freigesetzt und zum Kriterium wünschenswerter Selbstentfaltung werden, wird dieser krisenhafte Übergangszustand strukturell gleichsam zum irreversiblen Dauerzustand.“ 47
Da es sich bei der Kontingenz um ein festes Merkmal der gegenwärtigen Gesellschaft handelt, kann nur durch längerfristige Einschränkung der Anomie den vorherrschenden Auswirkungen der Entgrenzung des Möglichkeitssinns entgegengewirkt werden. 3.2.2 Massenmediale Entgrenzung von Erwartungen und Etablierung von artifiziellen Selbst- und Weltverhältnissen Im Rahmen der Kontingenzproblematik spricht Makropoulos der Massenkultur – und damit auch den in ihr zirkulierenden Kulturgütern, wie massenmedialen Unterhaltungsangeboten – sowohl in Bezug auf die Kontingenzentgrenzung als auch bezüglich der Kontingenzbegrenzung fundamentale Funktionen zu. Seinen Ausführungen zufolge, korrespondiert die Ausbildung artifizieller und kontingenter Gesellschaftsstrukturen mit der Entwicklung der Massenkultur. Letztere kann hierbei als ein fundamentaler Modernisierungsfaktor angesehen werden, da sie einen „spezifischen Erfahrungsraum“ offeriert, der sich durch die Vermittlung eines „prinzipiell offenen Erwartungshorizont[s]“ auszeichnet.48 Diese Eigenschaften der Massenkultur bedingen eine Ausweitung von Kontingenz, indem sie die Erwartungshaltungen der einzelnen Individuen durch die Darstellung kontingenter Lebensformen und Handlungsoptionen entgrenzen und gleichzeitig positivieren. „Beschleunigte Zirkulation und forcierte Konsumtion, eine neuartige Kultur der Zerstreuung und nicht zuletzt eine neuartige Kultivierung der Oberfläche einer zunehmend abstrakter werdenden sozialen Wirklichkeit, die von klassisch-modernen Avantgarden in ihren architektonischen, filmischen und warenästhetischen Gestaltungen betrieben wurde, […] ermöglichten […] eine weitreichende Positivierung artifizieller Wirklichkeiten […].“49
47 Makropoulos (2008), S. 136. 48 Makropoulos (2003), S. 155. 49 Ebd.
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Hierbei macht die massenkulturelle Vermittlung der artifiziellen und kontingenten Wirklichkeiten diese erst für die breite Gesellschaft durch ihren alltäglichen und unterhaltenden Charakter wünschenswert und unproblematisch.50 Durch die permanente Rückspiegelung artifizieller Lebenswelten, machen insbesondere die audiovisuellen Unterhaltungsangebote der Massenkultur die Rezipienten mit diesen künstlichen Wirklichkeiten zunächst vertraut und lassen sie zu etwas Alltäglichem werden. Auf diese Weise werden entsprechende Wahrnehmungen und Verhaltensweisen eingeübt und normalisiert, so dass hiermit zugleich die Voraussetzung für die Vergesellschaftungsfunktion von Massenkultur geschaffen wird. Denn durch das Einüben von normalisierten Realitätswahrnehmungen werden die Sichtweisen und Erwartungen des Individuums sozial und kommunikativ anschlussfähig gemacht und divergierende Ansichten und Interessen überbrückt.51 Gleichzeitig wird durch die massenkulturelle Einübung von künstlichen Wirklichkeitsstrukturen dem Artifiziellen ein Selbstverständlichkeitscharakter verliehen. Dieser bildet die Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration 52 des Artifiziellen in den kollektiven Alltag. Vor diesem Hintergrund problematisieren massenkulturelle Produkte, wie zum Beispiel Fernsehserien, nicht an erster Stelle die bereits ausführlich dargestellte Orientierungslosigkeit und Verunsicherung durch kontingente Gesellschaftsstrukturen, sondern stellen die Möglichkeitsoffenheit von Kontingenzkulturen in den Vordergrund, die sie als „Gewinn menschlicher Freiheit“ 53 proklamieren. Die Massenkultur wird so zu einer „Kultur des Möglichkeitssinns“54, der sich allerdings nicht an ästhetische oder technische Kontingenzexperten wie Künstler oder Ingenieure bindet, sondern vielmehr als ein generalisierter und gewissermaßen demokratisierter Möglichkeitssinn verstanden werden muss. 55 Makropoulos beschreibt ihn als einen „‚Möglichkeitssinn‘, der im buchstäblichen Sinne des Wortes vergesellschaftet ist und dennoch ein ‚Möglichkeitssinn bleibt“56. Er wird also durch massenkulturelle Produkte in individuelle und kollektive Lebenswelten integriert. Die Massenkultur etabliert dabei aber nicht nur eine gesellschaftliche Akzeptanz und Positivierung des Artifiziellen, sondern 50 Vgl. ebd. 51 Vgl. Bublitz (2005), S. 120. 52 Der Begriff der Integration bezeichnet hier die Ausbildung einer Normen- und Wertegemeinschaft, in welche Individuen, Gruppierungen, Ansichten und Lebensweisen einbezogen werden, denen zunächst andere Werte zugeordnet werden konnten. 53 Makropoulos (2008), S. 10. 54 Ebd. 55 Makropoulos (2008), S. 10 f. 56 Makropoulos (2008), S. 11.
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gleichzeitig auch die gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine „prinzipiell konstruktivistische Disposition“57, welche in dem beschriebenen artifiziellen Weltverhältnis sichtbar wird. Dadurch fungiert sie nicht nur als Instrument für die gesamtgesellschaftliche Aneignung von artifiziellen Wirklichkeitskonstruktionen. Sie etabliert darüber hinaus auch eine allgemeine soziale „Realisierung eines durchgreifend konstruktivistischen und gerade darin spezifisch modernen Selbst- und Weltverhältnisses“58. Es kann also insgesamt festgestellt werden, dass Massenkultur als ein Medium für die Aneignung artifizieller Selbst- und Wirklichkeitsverhältnisse aufgefasst werden kann. Des Weiteren ist sie ein Medium, dass die gesellschaftliche Integration des freigesetzten Möglichkeitssinns vorantreibt und diesen zu einem alltäglichen Bestandteil der Lebensgestaltung werden lässt. 59 Massenmediale Unterhaltungsangebote, als wichtiges Kulturgut dieser Gesellschaftsform, lassen diese Funktionen der Massenkultur besonders deutlich sichtbar werden. Sie spiegeln nicht nur artifizielle Wirklichkeitsstrukturen in ihrem Programm auf Bild-, Ton- und Inhaltsebene äußerst plastisch wider und integrieren diese in den gesellschaftlichen Alltag. Sie führen durch ihre vielfältigen Inhalte den Rezipienten zugleich auch vielfältige Handlungs- und Lebensoptionen vor Augen und schärfen damit deren Sinn für neue Möglichkeiten. Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Ausführungen scheinen massenmediale Produkte, wie Fernsehserien, Filme, Zeitschriftenartikel etc. die Kontingenz- und Anomieproblematik bei Subjektivierungs- und Vergesellschaftungsprozessen zunächst vielmehr zu stärken als zu begrenzen, wie es die anfangs aufgestellte These zur Orientierungsleistung der massenmedialen Unterhaltungskultur propagiert. Allerdings verfügt die Massenkultur generell und massenmediale Inhalte im Besonderen auch über sicherheitsstiftende Normalisierungseinflüsse, die Makropoulos’ Ausführungen zufolge dem Risiko von Anomie von vornherein entgegenwirken und welche die Orientierungsfunktion von medialen Unterhaltungsangeboten verdeutlichen. Makropoulos bezeichnet diese Funktion von massenmedialer Unterhaltungskultur als „Kommunikative Normalisierung“60. Um diese Art der Kontingenzbeschränkung zu erläuterten, wird im Folgenden zunächst der Begriff der Normalität beleuchtet, um anschließend auf die allgemeinen Funktionen und Abläufe von Normalisierungsprozessen einzugehen. 57 Makropoulos (2003), S. 156. 58 Makropoulos (2003), S. 156 f. 59 Vgl. Makropoulos (2008), S. 16. 60 Makropoulos (2008), S. 127.
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Auf dieser Basis wird dann auf die spezifischen Charakteristika der kommunikativen Normalisierung durch massenmediale Unterhaltungsprodukte in Abgrenzung zur disziplinären Normalisierung eingegangen. So soll deren Orientierungsfunktion bei Subjektivierungs- und Vergesellschaftungsprozessen hergeleitet und erläutert werden. 3.2.3 Kommunikative Normalisierung als Mittel der Kontingenzbegrenzung Zum Begriff der Normalität Da in dieser Studie der Begriff der Normalisierung vor allem auf die Produktion und Reproduktion von Normalität mit Hilfe verschiedener (Kommunikations-) Instrumente (insbesondere mit Hilfe der Massenmedien) verstanden werden soll, ist es sinnvoll, zunächst den Begriff der Normalität beziehungsweise des Normalen zu definieren, bevor auf die Strategie der Normalisierung eingegangen wird. In diesem Zusammenhang wird im Folgenden Bezug auf die Ansätze von Jürgen Link genommen. Auch wenn die Normalität beziehungsweise das Normale zunächst als Begriffe erscheinen mögen, die aufgrund ihrer Allgegenwärtigkeit und daraus resultierender Vertrautheit keiner eingehenden definitorischen Betrachtung bedürfen, stellt sich bei genauerer Beschäftigung mit dem Bedeutungsgehalt dieser Begriffe heraus, dass sie vor allem wegen ihrer Verwendungshäufigkeit oft als „bedeutungsleere Sprechblase ohne Bezug zu einer psychologisch oder soziologisch greifbaren praktischen Realität“61 verwendet werden. Der stark variierende Bedeutungsgehalt der Begriffsverwendungen des Normalen macht es nicht leicht, eine definitorische Basis für diesen Ausdruck zu finden, die jedem konnotativen Aspekt seiner Verwendung gerecht wird. So wird in allen Lebensbereichen und in unterschiedlichsten Kontexten auf ihn zurückgegriffen: Im alltäglichen Leben finden sich standardisierte Ausdrücke wie „voll normal“, während in der Medizin von Normalitätsgrenzen verschiedener Blutwerte gesprochen wird und in der Statistik die Gaußsche Normalverteilung zu finden ist. Auch in Bereichen der Sexualität wird des Öfteren die Frage gestellt, was normal ist und was bereits als Perversion angesehen werden kann. Diese Beispiele verdeutlichen, dass in vielen verschiedenen Kontexten der Begriff des Normalen verwendet wird, wodurch sein Bedeutungsgehalt nur schwer eindeutig zu erfassen ist. Bei den folgenden definitorischen Überlegungen müssen alle diese Bedeutungsaspekte berücksichtigt werden.
61 Link (2009), S. 17.
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Um einen besseren Überblick über die unterschiedlichen Facetten der Normalität zu erhalten, teilt Link diese in drei verschiedene Diskurstypen ein. So ordnet er stereotype Aussagen wie „voll normal“ oder „der normale Wahnsinn“ einem Alltagsdiskurs zu, den er als Elementardiskurs bezeichnet. Den Gegenentwurf hierzu bildet der Spezialdiskurs, der sich durch die Eigenschaft auszeichnet, dass er im Gegensatz zum erstgenannten allgemein verständlichen Diskurstyp Fachwissen für eine spezialisierte Klientel bereitstellt. 62 Zu den Spezialdiskursen gehören beispielsweise medizinische Normalitätsgrenzen, wie man sie für den menschlichen Blutdruck oder die menschliche Körpertemperatur feststellen kann. Der dritten Diskurstyp, den Link beschreibt, ist der Interdiskurs, der die Eigenschaft der beiden zuvor beschriebenen Diskursarten kombiniert. Belege über Normalität, die dem Interdiskurs zugeschrieben werden, vermischen Wissenskomplexe verschiedener spezial- und elementardiskursiver Herkunft, so dass ein Rezipient mit einem durchschnittlichen Allgemeinwissen diese verstehen kann. So fallen beispielsweise viele Zeitungsartikel in diesen Diskurstyp, da sie sowohl Aspekte des Elementardiskurses als auch des Spezialdiskurses aufweisen. Mit dem Elementardiskurs teilen sie die Beziehung zum Alltag beziehungsweise zur politischen Aktualität sowie ihre allgemeine Verständlichkeit. Mit dem Spezialdiskurs teilen sie das Bemühen um eine terminologische Differenzierung des Normalitätsbegriffs. Link führt als Beispiel solcher Interdiskurse verschiedene Zeitungsartikel und Leserbriefe an, in denen der Begriff des Normalen nicht verallgemeinernd verwendet wird, sondern in denen vielmehr zwischen Normorientierung, Standardisierung, Durchschnitt und sakralen Normen differenziert wird.63 Bei der definitorischen Bestimmung des Normalitätsbegriff spielt auch die Beziehung zwischen dem Normalen und der Statistik eine elementare Rolle, da letztere erst Aufschluss darüber geben kann, welche Verhaltensweisen, Erscheinungsbilder, Ansichten etc. in einer Gesellschaft am stärksten und am wenigsten stark vertreten sind und damit auch darüber was als normal und was als anormal betrachtet werden kann. Aus einem historischen Blickwinkel betrachtet taucht das Normale deshalb das erste Mal im 18. Jahrhundert auf, als im Einklang mit der modernen Massenproduktion damit begonnen wurde, Massendaten zu erheben und diese statistisch aufzuarbeiten und zu analysieren. Zunächst kam es im Rahmen von Spezialdiskursen, wie Medizin oder Demographie, zu solchen statistischen Erfassungen. Im Laufe der Zeit wurde aber schließlich das Normale
62 Link (2009), S. 19. 63 Link (2009), S. 17-19.
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auch zu einer wichtigen Größe in Inter- und Elementardiskursen.64 Vor diesem Hintergrund wurde die moderne Gesellschaft nach und nach zu einer „verdateten Gesellschaft“65, also zu einer Gemeinschaft, in der „ein ‚Wille‘ zur möglichst totalen statistischen Selbsttransparenz herrscht“66. Den gesamten Komplex von „datenfabrizierenden Instanzen“67, wie zum Beispiel Schulen, Armeen, Krankenhäuser und Gefängnisse, bezeichnet Jürgen Link in diesem Zusammenhang als „modernen Normalismus“68. Bei der Atomisierung des dort produzierten und gesammelten Datenmaterials handelt es sich allerdings um keine bloße zufällige Zerstreuung, sondern eine spezifische Verteilung: die Normalverteilung. Sie lässt sich graphisch in der glockenförmigen Gaußkurve visualisieren. Diese stellt in einem Graphen die Häufigkeiten spezifischer Merkmalsausprägungen in Hinblick auf ein übergeordnetes Phänomen dar. Als Beispiel kann die gesellschaftliche Verteilung von Intelligenzquotienten herangezogen werden, wie sie in Abbildung 1 dargestellt ist. Setzt man die auf der horizontalen X-Achse dargestellten IQ-Werte mit der auf der vertikalen Y-Achse visualisierten statistisch ermittelten Anzahl aller Personen, die über einen bestimmten Intelligenzquotienten verfügen, zueinander in Bezug, ergibt sich eine Verteilungskurve, die ihren Höhepunkt in ihrer Mitte hat, da die große Mehrheit der Bevölkerung einen mittelhohen IQ-Wert von 100 aufweist.69 Von diesem Höhepunkt aus gesehen fällt die Kurve stetig, also ohne Einschnitte, achsensymmetrisch in beide Richtungen ab. Je stärker der IQ-Wert also von dem Durchschnittswert abweicht, desto geringer ist die Anzahl der Personen, die über einen entsprechenden Intelligenzquotienten verfügen. Diese Normalverteilung lässt sich nicht nur in Hinsicht auf Intelligenz, sondern auch bei allen möglichen anderen Merkmalsverteilungen beobachten. Dabei ist zu betonen, dass sich eine entsprechende Verteilung, laut der Theorie von Gauß, stets automatisch herstellt und nicht bewusst hergeleitet werden muss. Allerdings handelt es sich bei der Gaußkurve um eine idealtypische Vereinfachung von statistischen Messwerten. Da die Gaußkurve stetig verläuft, können die Grenzen, die den Übergang von der Normalität zur Anormalität markieren, nicht auf mathematischer Basis bestimmt werden. „Wo die Grenze zwischen ‚normal‘ und ‚anormal‘ liegt ist daher stets der Diskussion unterworfen.“70 Weil die Lage dieser Grenze, beziehungs64 Vgl. Link (2009), S. 20. 65 Link (1999), S. 165. 66 Link (2013), S. 22. 67 Link (1999), S. 165 f. 68 Link (1999), S. 166. 69 Vgl. Vock (2008). 70 Link (1995), S. 26.
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weise die Positionierung eines Individuums in Bezug auf diese, dessen (gesellschaftliche) Zugehörigkeit beziehungsweise Ausgrenzung regelt, ist sie aber von elementarer Bedeutung. Link beschreibt in diesem Kontext zwei verschiedene Strategien, welche bei der Positionierung von Normalitätsgrenzen zum Einsatz kommen. Die Strategie des Protonormalismus und die Strategie des flexiblen Normalismus. Abbildung 1: Gaußsche Normalverteilung am Beispiel einer idealisierten Darstellung der gesellschaftlichen Verteilung von Intelligenzquotienten
Quelle: In Anlehnung an Vock (2008)
Die protonormalistische Strategie versucht, möglichst feste und langfristig geltende Normalitätsgrenzen sowie enge Toleranzzonen zu schaffen, um so die Zone des Normalen möglichst stark zu komprimieren. Sie kommt vor allem bei der disziplinären Normalisierung zum Einsatz. Bei der hier auftretenden „semantische[n] und symbolische[n] Beschwerung von Normalitätsgrenzen“ 71 wird meist auf festgesetzte Regeln und Normen zurückgegriffen. 72 Die klare Grenzziehung zwischen einem relativ kleinen Normalitätsbereich und einem relativ großen Anormalitätsbereich bringt dabei Subjekte hervor, die durch Fremdfüh71 Link (1999), S. 170. 72 Vgl. ebd.
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rung, Konformismus und eine „Fassadennormalität“ 73 geprägt sind.74 Es bilden sich also unter protonormalistischen Gegebenheiten Subjekte aus, die sich auszeichnen durch eine „Prägung und Lenkung […] durch eine äußere, ‚überich‘artige Instanz, deren Vorgaben ‚internalisiert‘ und vom Subjekt in die eigene Identität verwandelt werden“75. Die flexibel-normalistische Strategie zielt hingegen auf eine Ausdehnung des Normalitätsspektrums und auf möglichst weite Toleranzzonen zwischen dem Normalen und dem Anormalen.76 Diese Strategie prägt vor allem die kommunikative Normalisierung. Die Normalitätsgrenzen sind hier flexibel und ändern sich im Zeitverlauf immer wieder. So lag beispielsweise die Homosexualität lange Zeit jenseits der sexuellen Normalitätsgrenze, bevor jene verschoben wurde.77 Die Subjekttypen, die sich im Rahmen dieser Normalitätsstrategie entwickeln, sind durch Selbst-Normalisierung und Selbst-Adjustierung gekennzeichnet und erhalten durch den relativ breiten Normalitätsbereich eine größere Chance auf Authentizität als im Protonormalismus.78 Der flexible Normalismus entwickelte sich zunächst im Schatten des Protonormalismus und setzte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den okzidentalen Gesellschaften durch.79 Protonormalistische Strategien sind aber immer noch in verschiedenen gesellschaftlich Teilbereichen, vor allem in Spezialdiskursen, wie der Medizin, vorzufinden. Aufgrund der meist schwankenden Normalitätsgrenzen in der Gegenwartsgesellschaft beschreibt Link in seinen definitorischen Überlegungen zum Normalitätsbegriff diese „nicht als ahistorische, jederzeit parate, anthropologische konstante Kategorie“80, sondern als eine sich entwickelnde Tendenz, die seit dem 18. Jahrhundert immer wieder an die vorherrschenden Gegebenheiten der jeweiligen Zeitperiode angepasst wurde. Man kann nach diesem Ansatz somit die Normalität in modernen Gesellschaften als soziale Variable betrachten, die auf Grundlage statistisch ermittelter Messwerte und deren sozialen Interpretation konstruiert wird und die sich im historischen Verlauf stets verändert. Sie kann also als ein ständiger Prozess aufgefasst werden. 73 Link (2009), S. 55. 74 Vgl. Link (2009), S. 58. 75 Link (2013), S. 119. 76 Vgl. Link (1999), S.171. 77 Vgl. Link (2009), S. 39 f. 78 Link (2009), S. 58. 79 Vgl. Link (1999). 80 Link (2009), S. 39.
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Normalisierung Normalisierung kann generell als ein Organisationsprinzip zur sozialen Steuerung verstanden werden, das durch Produktion und Reproduktion von Normalität insbesondere die Beschränkung von individueller und gesamtgesellschaftlicher Kontingenz herbeiführt. Etwa ab der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert (also mit der Herausbildung der Disziplinarmacht81) bildete sich vor diesem Hintergrund zunächst eine disziplinäre Form von Normalisierung heraus, deren Fokus auf der Verminderung „individueller Kontingenz“ 82, also auf der Reduzierung der Handlungsalternativen einzelner Individuen lag. Diese wurde durch rigorose Verhaltensvorschriften und Regeln erreicht und war von protonormalistischen Strategien geprägt. Das übergeordnete Ziel dieser Normalisierungsform war die Herstellung beziehungsweise das Erhalten einer stabilen sozialen Ordnung, die als Fundament für die generell instabile menschliche Natur angesehen wurde.83 Diese Zielsetzung wurde mit den voranschreitenden Modernisierungsprozessen im 19. und 20. Jahrhundert, welche die Individuen aus tradierten Bindungen an Kirche, Familie, Nachbarschaft etc. freisetzten und den Handlungsspielraum jedes Einzelnen drastisch und nachhaltig erweiterten und entgrenzten84, obsolet. Die Zielperspektive von Normalisierungsprozessen war nun nicht mehr die disziplinäre „Fundamentalstabilisierung ontologisch instabiler menschlicher Natur zum Zwecke ihrer Selbsterhaltung“85, sondern vielmehr eine möglichst umfassende soziale „Integration von Individuen [in den Gesellschaftskörper, J. E.], deren Handlungskompetenz als potentielle Disfunktionalität problematisiert und konkret als aktuelle oder zumindest virtuelle Gefährlichkeit codiert wird“ 86. Die auf dieser Basis entstehende Form von post-disziplinärer Normalisierung, die Michael Makropoulos als „kommunikative Normalisierung“ 87 bezeichnet, steuert die einzelnen Individuen nicht durch starre Verhaltensrichtlinien und festgesetzte Normen, an denen sich jeder Einzelne ausrichten muss. Es bilden sich hier vielmehr durch sozial und medial aufgespannte gesellschaftliche Vergleichsfelder Zonen des Normalen heraus, die als Orientierungsrahmen für die Individuen der kontingent strukturierten Gegenwartsgesellschaft fungieren.
81 Weitere Ausführungen zur Disziplinarmacht finden sich in Kapitel 2.2.2. 82 Makropoulos (2017), S. 6. 83 Vgl. Makropoulos (2017), S. 7. 84 Siehe hierzu auch die Ausführungen der Individualisierungsthese von Ulrich Beck in Kapitel 2.2.1. 85 Makropoulos (2017), S. 7. 86 Ebd. 87 Z.B. Makropoulos (2008), S. 127.
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Diese Form der Normalisierung ist vor diesem Hintergrund vor allem von flexibel-normalistischen Strategien geprägt. Die disziplinäre und die kommunikative Normalisierung werden im Folgenden eingehend beleuchtet, um diese beiden Konzepte nicht nur detailliert herzuleiten, sondern auch besser voneinander abgrenzen zu können. Mit der disziplinären Normalisierung als Vergleichsfolie sollen die gegenwärtig vor allem flexiblen und kommunikativen Normalisierungsbedingungen im Rahmen der Subjektbildung noch klarer konturiert und charakterisiert werden. Zudem soll auf diese Weise verdeutlicht werden, dass die gegenwärtige Normalisierungsfunktion von Massenmedien weniger eine heteronome disziplinierende und konditionierende Manipulation der Rezipienten darstellt, sondern dass es sich bei ihr vielmehr um ein Orientierung stiftendens Sinnreservoir für autonomoptimierende Selbstteuerungsprozesse handelt.88 Auf Basis dieser Ausführungen soll anschließend das Konzept der kommunikativen Normalisierung durch massenmediale Unterhaltungsprodukte in den Blick genommen werden. Disziplinäre Normalisierung Foucault leitet die disziplinäre Normalisierungsmacht unter anderem in seinem Buch Überwachen und Strafen aus den Techniken der Disziplinierung ab.89 Am Beispiel der Schule erläutert er, wie in Disziplinarinstitutionen die verschiedenen Subjekte miteinander verglichen und voneinander differenziert werden. Auf diese Weise etabliert sich ein „System von Normalitätsgraden“90, das darstellt, ob und in welchem Maß ein Individuum in einen „homogenen Gesellschaftskörper“91 integriert ist. Dafür werden die Ausprägungen von Verhaltensweisen und Leistungen in einem Vergleichsfeld quantifiziert und hierarchisiert. Wer zu stark von den vorgegebenen Normen abweicht, muss entweder normalisiert werden (bei ungenügenden Schulleistungen z.B. durch zusätzliche Übung mit Hilfe von Sonderaufgaben) oder wird ausgegliedert (beispielsweise durch das Nichtversetzen in die weiterführende Klasse). Auf diese Weise manifestiert sich das Normale „als Zwangsprinzip im Unterricht zusammen mit der Einführung einer standardisierten Erziehung“92. Innerhalb anderer Disziplinarinstitutionen etablieren sich vor dem Hintergrund dieser Normalisierungsmacht beispielsweise auch „ein einheitlicher Korpus der Medizin und eine durchgängige Spitalversorgung
88 Vgl. Makropoulos (2003), S. 159. 89 Vgl. Foucault (1976), S. 229 ff. 90 Foucault (1976), S. 237. 91 Ebd. 92 Ebd.
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der Nation“93, die das Ziel hat, allgemeine und standardisierte Gesundheitsnormen durchzusetzen. Zudem zeigt sich die Normalisierungsmacht in der „Regulierung und Reglementierung der industriellen Verfahren und Produkte“94. Die hier zur Anwendung kommenden disziplinierenden Normalisierungsmethoden verwenden das Normale nicht nur als zugrundeliegenden Maßstab, sondern erzeugen diesen auch gleichzeitig. Das Normale kann bei dieser Disziplinierungsform aus statistischen Werten hergeleitete werden, ist aber zugleich auch eine für weiterführende Handlungen präexistente Norm. An ihr richten die einzelnen Individuen ihre Handlungen aus, da sie in Bezug auf diese schließlich beurteilt und bewertet werden. Dadurch wird die Norm an sich zu einer Ausprägung und Form von Macht, die durch die gesellschaftliche Ausdehnung der Disziplinarmaßnahmen, wie Überwachen und Normieren, eine immer stärkere Bedeutung erhält. Das Verhalten und die Charakteristika der verschiedenen Individuen und Abläufe werden dabei stets in Bezug auf die vorherrschenden normierten Werte betrachtet und bei Bedarf angepasst. Es kommt damit zu permanenten Normalisierungsvorgängen. Auch in der Gegenwartsgesellschaft spielt die disziplinäre Normalisierung noch eine wichtige Rolle. So müssen auch heute Wirtschaftsgüter festgelegten Normen entsprechen, Produktionsabläufe müssen möglichst effizient normiert werden und die Schulnoten übernehmen als Instrument für schulische Normalisierungsprozesse nicht nur in der Institution Schule, sondern auch in Hinblick auf den Einstieg in den Arbeitsmarkt, eine wichtige Funktion. Bezüglich der gesamtgesellschaftlichen Verunsicherung durch die Entgrenzung von Handlungsmöglichkeiten und gesellschaftlichen Handlungsrahmen, kommt heute jedoch stärker, wie bereits zu Beginn des Kapitels erwähnt, eine andere Form der Normalisierung als Sicherheit stiftendes Organisationsprinzip zum Tragen: die kommunikative Normalisierung. Kommunikative Normalisierung Auch diese post-disziplinäre Form der Normalisierung kann durch eine Eingliederung von Individuen und ihren Verhaltensweisen in verschiedene Normalitätsgrade charakterisiert werden. Allerdings ist das Ausrichten von individuellen Handlungen an diesen Normalitätsstandards nicht von Dressur und strikten Handlungsvorschriften geprägt. Vielmehr stellt die Orientierung an „normalen“ Verhaltensweisen als handlungsleitendes Instrument für die Subjekte der Gegenwartsgesellschaft die Möglichkeit dar, eine Form von Sicherheit in einer prinzipiell handlungsoffenen Gesellschaft zu erfahren, welche jeden Einzelnen 93 Ebd. 94 Ebd.
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mit einer Fülle an Risiken konfrontiert, die seine individuellen Lebens- und Handlungsentscheidungen mit sich bringen.95 Hierbei ist allerdings zu betonen, dass eine solche (Ver-)Sicherung durch Ausrichtung an Normalitätsstandards die Kontingenz und die damit einhergehenden individuellen Risiken nicht aufhebt, sondern dass sie lediglich eine Entlastung für die einzelnen Subjekte darstellt. So sagt beispielsweise Luhmann: „Unsere Gesellschaft hat im Horizonte möglicher Katastrophen zu leben, und zwar ganz normal und unaufgeregt zu leben; sonst verschwinden die eventuellen Katastrophen zwar nicht, aber es kommen vermeidbare Aufregungsschäden hinzu. Der Schlüssel liegt deshalb nicht in der Suche nach festen Kriterien, Regeln oder Prinzipien, an die man sich unter diesen Umständen noch halten kann, sondern eher in der Wahrscheinlichkeit von Fehlern in der Einschätzung von Risiken und in der Möglichkeit, solche Fehler zu vermeiden.“ 96
Dem Normalismus kommt in diesem Zusammenhang die Funktion zu, im Kontext einer kontingenten Gesellschaft einen ‚Schutzraum‘ zu konstituieren, um den einzelnen Individuen ein Mindestmaß an Sicherheit und Orientierung zukommen zu lassen. Der Orientierungsprozess, den die kommunikative Normalisierung im Rahmen der Subjektbildung bedingt, steht dabei in enger Verbindung mit der dynamischen Verortung des Normalbereichs im flexiblen Normalismus. Die Lokalisierung von Normalität und Anormalität sowie von den dazwischen liegenden Toleranzzonen wird im flexiblen Normalismus von der Gesellschaft und ihren allgemein anerkannten Idealen und Einstellungen vorgenommen. Normalität und Normalisierung ist also immer auf das Mitmachen der verschiedenen Individuen angewiesen. Die einzelnen Subjekte orientieren sich im Rahmen von normalitätsorientierten Subjektivierungsprozessen an dem Verhalten und den Merkmalen anderer sowie an den Normalitätsvorstellungen der Gesellschaft. Dafür entwirft jeder Einzelne bei den unterschiedlichsten Ereignissen, Interaktionen und Vorgängen in den verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen „normalistische symbolische Landschaften“97, die aus Normalitätsbereichen und Toleranzzonen sowie aus Normalitätsgrenzen und Zonen der Anormalität bestehen. Sie werden von den Subjekten auf Grundlage von in Diskursen zirkulierenden Informationen über Normalitätsausprägungen konstituiert. Das einzelne Subjekt positioniert sich selbst und seine Mitmenschen im Rahmen seiner Subjektkonsti95 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu Becks Individualisierungsthese in Kapitel 2.2.1. 96 Luhmann (1986), S. 20 f. 97 Link (2009), S. 352.
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tution ständig in diesen Landschaften und vergleicht imaginär die eigene Position mit denen anderer Individuen. Anschließend fragt es sich, ob das Verhalten der anderen im sicheren Normalbereich liegt, um daraufhin zu entscheiden, ob es sein eigenes Verhalten beibehalten kann oder ob es seine Position in der Normalverteilung in Richtung einer sichereren oder riskanteren Position verändern sollte. Hierbei ist die Sicherheit in der Mitte des Normalbereichs (also an dem Punkt, der am weitesten von der Anormalität entfernt ist) situiert, während das Risiko an den Normalitätsgrenzen vorzufinden ist. Allerdings strahlt die Position in der Mitte nicht nur Sicherheit aus, sondern birgt auch die Möglichkeit von Langeweile in sich. Das Risiko, nahe der Normalitätsgrenzen in den Anormalitätsbereich zu rutschen, ermöglicht hingegen zwar neue und Abwechslung versprechende Erfahrungen, konfrontiert aber zugleich die Individuen auch mit einer Denormalisierungsangst. Aus Furcht vor gesellschaftlicher Ausgrenzung positioniert sich der Großteil der Gesellschaft im Zentrum des Normalbereichs, während sich nur einzelne risikofreudige Individuen nahe der Normalitätsgrenzen situieren. Auf diese Weise entsteht nicht nur bei Verteilungskurven von nicht steuerbaren Merkmalen, wie Intelligenzquotienten oder Körpergrößen, die glockenförmige Verteilungskurve der oben beschriebenen Gaußschen Normalverteilung. Auch die Merkmalsausprägungen bei flexiblen und beeinflussbaren Eigenschaften, Verhaltensweisen etc. bilden eine Verteilungskurve, in der die Anzahl der Individuen umso geringer ist, je näher man an die Risiko erzeugenden Positionen nahe der Normalitätsgrenzen gelangt, auch wenn die steigende Gefahr mit einer zunehmenden Individualität und mit Abwechslung verbunden ist. Die zuvor beschriebene Selbstverortung innerhalb mental entworfener Normalitätsspektren ist meist ein unbewusster und automatisch ablaufender Prozess im Rahmen der an Normalität orientierten Subjektbildung. Er läuft eher ‚nebenbei‘ und spontan ab, als bewusst und geplant. Link bezeichnet ihn als einen „der Basisakte einer normalistischen Kultur“ 98 und beschreibt ihn als einen Prozess, in dem „sich die trockenen Daten [statistisch erfasster Merkmalsverteilungen, J. E.] auf wunderbare Weise in die Subjektivität einer Person, womöglich in ein Stück ihres Charakters“99 verwandeln. Die Verortung der eigenen Person in den verschiedenen normalistischen Landschaften und das daraufhin von dem Subjekt gezeigt Verhalten trägt schließlich wiederum zu einer neuen Formierung von Normalität bei und wird dadurch selbst zu einem Orientierungspunkt bei der an Normalität orientierten Subjektbildung anderer.
98 Link (2013), S. 69. 99 Ebd.
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Wie bereits erwähnt, erfährt das einzelne Individuum über Diskurse, wie Verhaltensweisen, Charaktereigenschaften und weitere Merkmale auf die gesamte Gesellschaft verteilt sind und was somit als ‚normal‘ angesehen werden kann und was nicht. Da diese kommunikative Form der Informationsbeschaffung und der Informationsbereitstellung von elementarer Bedeutung bei der postdisziplinären Normalisierung ist, bezeichnet sie Michael Makropoulos als „kommunikative Normalisierung“100. Die Diskurse, die bei dieser Vermittlung von Normalitäten eine Rolle spielen, werden zu einem großen Teil von massenmedialen Informations- und Unterhaltungsangeboten in Umlauf gebracht. Nachrichtensendungen zeigen beispielsweise Trendkurven über die Einnahmen des Einzelhandels in der Weihnachtszeit oder über die gesamtgesellschaftliche Arbeitslosigkeit etc. und geben dabei explizit Auskunft darüber, welche Entwicklungstrends als normal und welche als weniger normal angesehen werden können. Erst durch ihre massenmediale Vermittlung erreichen diese Daten eine gesellschaftliche Transparenz. Gleichzeitig erhalten sie durch die Ausstrahlung über Massenmedien auch eine vermeintlich höhere Relevanz, da die Veröffentlichungskapazitäten der Medien beschränkt sind und daher die ausgestrahlten Daten, die größte Relevanz haben sollten (ob dies tatsächlich der Fall ist, ist eine andere Frage). Auf diese Weise wird den Medienrezipienten ein Wissen darüber vermittelt, welche Themen von gesellschaftlichem Interesse sind und welche Ausprägungen, Entwicklungen und Mentalitäten etc. in diesen Bereichen ‚normal‘ und welche ‚anormal‘ sind.101 „Dazu haben die Massenmedien seit dem Aufkommen des Normalismus vor gut zwei Jahrhunderten ein komplexes System symbolischer Darstellungen von Datenlagen entwickelt […].“102 Jürgen Link bezeichnet es als „normalistische ‚Kurvenlandschaft‘“103. Aber auch massenmediale Unterhaltungsangebote geben – wenn auch etwas impliziter – den Rezipienten Auskunft über gegenwärtige Normalitäts- und Anormalitätsvorstellungen und fungieren in diesem Zusammenhang als Applikationsfolie für die Ausgestaltung des Lebens der verschiedenen Individuen. Hierbei richten sich die rezipierenden Subjekte an den medial inszenierten normalistischen Kurvenlandschaften aus, die sie selbst, als Teil dieser Verteilungskurven, aktiv mitgestalten. Sie setzen sich und ihr Leben zu den offerierten Normalitätsinszenierungen in Bezug, bestimmen ihre eigene Position in dem dargestellten Normalitätsfeld und modifizieren schließlich bei Bedarf ihr Verhalten, ihre 100 Z.B. Makropoulos (2006), S. 1830. 101 Vgl. Link (2013), S. 29. 102 Ebd. 103 Ebd.
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Einstellungen oder ihre Lebensweise etc. In diesem Zusammenhang erhalten die Medienrezipienten zudem auch vollständig neue Möglichkeiten und Perspektiven bezüglich der Ausgestaltung ihres Selbst und ihres Lebens präsentiert. So zeigen (Unterhaltungs-)Medien jedem Einzelnen verschiedene Möglichkeiten auf, wie er sein eigenes Leben gestalten könnte. Es wird eine artifizielle Welt konstruiert, die zwar insgesamt nach den Regeln der Realität konzipiert ist, sich aber auch zugleich in vielen Aspekten von dieser entfernt. Auf diese Weise wird zum einen dem Rezipienten eine Identifikation mit dieser künstlich geschaffenen Welt ermöglicht, da er ihm vertraute Muster wiedererkennt. Zum anderen gestattet die Fiktionalität dieser artifiziellen Welt eine zeitweise Loslösung des Rezipienten von seinem eigenen Alltagsgeschehen und bietet ihm auf diese Weise angenehme Unterhaltungswerte.104 Die medial vermittelte Welt erscheint zum Greifen nah und bringt den Rezipienten zu dem Schluss, dass sich die verschiedenen Medieninhalte als Vorlage für das reale Leben eignen (ob diese in Wirklichkeit erreichbar sind oder nicht wird dabei nicht zwangsläufig hinterfragt). 105 Gleichzeitig erhalten die dargestellten Handlungsmuster – ähnlich wie die vermittelten Daten und Trends in medialen Informationsangeboten – durch ihre mediale Rückspiegelung eine hohe Relevanz in Bezug auf die Verhandlung von Normalität und Normalitätsgrenzen. Denn weil die Medienproduzenten mit ihren Inhalten möglichst hohe Einschaltquoten beziehungsweise Verkaufszahlen und somit schließlich möglichst hohe Werbeeinnahmen generieren wollen, müssen sie Inhalte ausstrahlen, die an die Auffassungen und Einstellungen möglichst vieler potenzieller Rezipienten anknüpfen. Sie müssen also an die gesellschaftliche Normalität anknüpfen beziehungsweise diese zu einem großen Teil widerspiegeln. Massenmediale Unterhaltung stellt somit den Rezipienten Orientierungsimpulse für deren Subjektbildung zur Verfügung, indem sie einerseits jene dabei unterstützt, Identifikationsmodelle und mögliche Verhaltensweisen auf ihre Angemessenheit hinsichtlich der sich ständig ändernden Werte und Normen zu überprüfen und zu diskutieren.106 Dabei ermöglichen die verschiedenen medialen Normalitätsinszenierungen aber andererseits auch den rezipierenden Individuen, sich selbst in den verschiedenen gesellschaftlich konstruierten Normalitätsbereichen zu positionieren. Denn gerade dessen Ausmaße und Grenzen führt die massenmediale Unterhaltungskultur dem Rezipienten vor Augen. In diesem Zusammenhang erfüllen aber nicht nur die als gesellschaftlich akzeptiert dargestellten Verhaltensweisen eine subjektivierende Funktion. Auch die 104 Vgl. Ziemann (2006), S. 69. 105 Vgl. Bublitz (2010), S. 208. 106 Vgl. Hickethier (1997), S. 124.
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Inszenierung von anormalen Handlungsmustern spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Denn gerade dieser bedient sich der Einzelne, um einerseits seine eigene Position im Normalitätsspektrum zu überprüfen und andererseits Inspiration für Annäherungen an oder eventuelle Überschreitungen der Normalitätsgrenzen zu erhalten. Um seine eigene Individualität hervorzuheben, leistet sich jedes Individuum in spezifischen Bereichen Überschreitungen des Normalen oder zumindest Risikoplatzierungen nahe der Normalitätsgrenzen. So entsteht durch die kommunikative Normalisierung mit Hilfe von massenmedialen Unterhaltungsangeboten keine Konformität, sondern ein flexibler Normenhorizont, der eine Individualisierung und Pluralisierung der einzelnen Subjekte ermöglicht. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die einzelnen Subjekte zwar ihre Positionierung in den unterschiedlichen Normalfelder, die ihre verschiedenen Lebensbereiche prägen, auf Basis taktischer Überlegungen und spontaner Entscheidungen größtenteils frei bestimmen können, dass sie aber dennoch darauf achten müssen, sich insgesamt als ein ‚normales‘ Individuum zu präsentieren. Das Subjekt als Ganzes darf also nicht zu stark von den anderen ‚GesamtSubjekten‘107 einer Gesellschaft abweichen, auch wenn es sich in einzelnen Normalfeldern ein Risikoverhalten erlauben kann. Bei einem zu starken Anteil an abweichendem Risikoverhalten kann die ‚Gesamt-Normalität‘ eines Individuums gefährdet werden und als Sanktion würde ihm ein gesellschaftlicher Ausschluss drohen. Um solche Konsequenzen zu vermeiden, mischen die einzelnen Individuen typischerweise einige wenige Lebensbereiche, in denen sie sich nahe der gesellschaftlich konstituierten Normalitätsgrenzen beziehungsweise jenseits von diesen bewegen (z.B. Extremsport, SM-Sex oder Party-Wochenenden mit Drogenkonsum) mit einer Vielzahl an Lebensbereichen, in denen sie sich im mittleren Spektrum der Normalität platzieren (z.B. durch das Wählen von Mainstream-Parteien, durch das Tragen von Durchschnittsmode etc.). 108 Vor diesem Hintergrund kann konstatiert werden, dass massenmediale Angebote mit Hilfe von kommunikativer Normalisierung auf Dauer gesellschaftliche Normen festsetzen und regulieren. 109 Auf diese Weise werden Orientierungslinien für Subjektivierungsprozesse offeriert und die gesamtgesellschaftliche Kontingenz vermindert.
107 Der Begriff des „Gesamt-Subjekts“ verweist hier auf die verschiedenen Lebensbeziehungsweise Normalitätsbereiche, in denen sich jeder Einzelne permanent positionieren muss und nicht auf ein Subjektverständnis, welches das Subjekt als eine statische Gesamteinheit versteht. 108 Vgl. Link (2013), S. 120. 109 Vgl. Spreen (2003), S. 94.
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Hierbei reicht es allerdings nicht aus, den Rezipienten der massenmedialen Unterhaltungsangebote lediglich Verhaltens- und Persönlichkeitsentwürfe in den unterschiedlichen Medien vorzustellen. Erst die subjektiven Rezeptionsvorgänge verwandeln diese Subjektivierungsvorlagen in gesellschaftliche Realität: „Die Bedeutungskonstrukte der Massenkultur stellen ein gesellschaftliches Sinn-Reservoir bereit, das Subjektivität, gesellschaftliches und soziales Handeln konstituiert. Aber erst die produktiv-selektive, subjektive Rezeption verwandelt diese aus konstruierten Bedeutungen bestehenden kulturellen Konstitutionsbedingungen in soziale und gesellschaftliche Wirklichkeit.“110
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Normalisierung als (Ver-) Sicherungsstrategie in einer kontingenten Welt eine wichtige Subjektivierungsund Vergesellschaftungsfunktion übernimmt. Massenmediale Unterhaltungsprodukte fungieren hierbei als eine Applikationsfolie, indem sie Normalitätsvorstellungen (an deren Konstitution die Rezipienten als Gesellschaftsmitglied aktiv beteiligt sind) an die Rezipienten herantragen und ihnen Handlungsmöglichkeiten für deren eigenes Leben vorstellen. Damit fungieren sie als konstitutives Element und als Motor für kommunikative Normalisierungsprozesse. Im Vergleich zur disziplinären Normalisierung verkörpert die von Medien vorangetriebene Normalisierungsform keine „heteronom-konditionierende Disziplin“111. Sie ersetzt diese vielmehr durch ein „autonom-optimierendes Management im Sinne einer geradezu kybernetisch operierenden Selbstteuerung“ 112. Hier kommen also eher gouvernementale Machttechniken 113 bei entsprechenden Subjektivierungsprozessen zum Tragen, als disziplinäre Machtausprägungen. So dienen medial inszenierte Normalitätsdiskurse nicht als Imitationsvorlage für die Rezipienten. Sie sind vielmehr als Orientierungswissen aufzufassen, das den Rezipienten bei der eigenständigen Konstitution seiner Subjektivität und entsprechender Praxen des Selbstmanagements unterstützt. Medien tragen damit nicht zu einer Fremdführung im Rahmen von Subjektivierungsprozessen bei, sondern vermitteln vielmehr Orientierungspunkte für eine individuelle Selbstführung. Makropoulos formuliert es etwas allgemeiner wenn er schreibt, dass sie eine „Kontingenzbegrenzung durch gezielte Kontingenznutzung“ 114 forcieren.
110 Vgl. Spreen (2003), S. 95. 111 Makropoulos (2007), S. 228. 112 Ebd. 113 Ausführliche Darstellungen der Gouvernementalität befinden sich in Kapitel 2.2.2. 114 Makropoulos (1997), S.32.
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In diesem Zusammenhang treibt die kommunikative Normalisierung auch individuelle und kollektive Optimierungsbestrebungen an.115 Da diese Form der Normalisierung die einzelnen Individuen – wie oben beschrieben – nicht mit Handlungsvorgaben, sondern mit den Kompetenzen für autonomes Handeln ausstattet und sie gleichzeitig in einen stetigen Vergleichsprozess mit anderen Subjekten und mit Normalitätsstandards integriert, wird die Grundlage für permanente Optimierungsprozesse geschaffen. Das Ziel ist es dann nicht mehr, ‚normal‘ zu sein, sondern besser zu sein als die anderen. Dadurch wird auf Dauer das Normalitätsspektrum in Richtung des positiven Anormalitätsbereichs verschoben und somit schließlich höhere gesamtgesellschaftliche Standards implementiert. Zwar werden diese Optimierungsbestrebungen unter anderem von massenmedialen Ratgeberformaten befeuert, wie sie zum Beispiel von Ulrich Bröckling in seinen Ausführungen zur Subjektivierungsform des unternehmerischen Selbst beschrieben werden, allerdings werden auch hier die entsprechenden Ratschläge nicht einfach von den Rezipienten imitiert. Vielmehr wird hier auf Basis der (Ver-)Sicherungsfunktion der kommunikativen Normalisierung ein gesamtgesellschaftliches Dispositiv gebildet, das eine autonome Subjektbildung im Modus einer permanenten Selbstoptimierung hervorbringt. Das Ziel dieser Selbstoptimierung ist dabei nicht allein die Steigerung der eigenen Effizienz und Leistung, sondern auch eine Selbstentfaltung im Sinne der Realisierung medial erschlossener Möglichkeiten.116 Die medial inszenierte und positivierte Kontingenz wird in diesem Zusammenhang also auch zur Basis für individuelle und kollektive Optimierungsprozesse. Massenmediale Unterhaltungsangebote übernehmen also im Rahmen kommunikativer Normalisierung eine Vergesellschaftungsfunktion. Sie setzen die verschiedenen Subjekte, Wertvorstellungen, Ansichten Lebensweisen etc. „in ein funktionelles Verhältnis zueinander“117 und verschränken sie „zu einem komplexen sozialen Management“118, das spätestens mit der flächendeckenden Verbreitung elektronischer Medienangebote gesamtgesellschaftlich wirksam wird. Abschließend kann resümierend festgestellt werden, dass medienorientierte Subjektivierungsprozesse in einem Spannungsfeld von medialer Kontingenzentgrenzung und Kontingenzbegrenzung stattfinden, das den Rezipienten Möglichkeiten der Welterfahrung und des Selbstmanagements offeriert.
115 Vgl. Makropoulos (2007), S. 229. 116 Vgl. z.B. Makropoulos (2008), S. 127. 117 Makropoulos (2007), S. 229. 118 Ebd.
4
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Nachdem im vorangegangenen Abschnitt ausführlich die Subjektivierungsleistungen massenmedialer Unterhaltungsangebote thematisiert wurden, beleuchtet dieses Kapitel nun die Rolle des Konsums bei der Subjektkonstitution. In verschiedenen sozialwissenschaftlichen Analysen wurde bereits dargestellt, dass die Funktionen des modernen Konsums weit über die Nutzung von den Gebrauchswerten der Waren – egal ob sie im Rahmen der lebenserhaltenden Grundversorgung der Konsumenten oder bei distinktivem beziehungsweise hedonistisch motiviertem Luxuskonsum stattfindet – hinausgeht.1 Konsum prägt auch unsere Alltagsstrukturen und trägt dazu bei, dass wir beispielsweise Gegenstände des täglichen Gebrauchs mit Bedeutungen aufladen.2 Auf diese Weise nimmt Konsum nachhaltig Einfluss auf gesellschafts- und subjektbildende Prozesse. Wie sich die entsprechenden Funktionen gesellschaftlicher Konsumpraxen herleiten lassen und wie diese im Einzelnen konturiert sind, wird im Folgenden dargestellt. Die hierbei zu Tage tretenden Erkenntnisse werden im sich anschließenden Kapitel mit dem medienbasierten Subjektivierungsansatz aus Kapitel 3 verschränkt. Auf diese Weise soll das Fundament zur Beantwortung der Frage nach den Subjektivierungsleistungen von medial inszenierten Konsumdarstellungen geschaffen werden.
1
Vgl. z.B. Reckwitz (2006b) oder Schrage (2009).
2
Zu der Aufladung von Konsumobjekten mit Bedeutungen vgl. Baudrillard (1991), S. 243 ff.
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4.1
KONSUM ALS FORSCHUNGSGEGENSTAND
4.1.1 Definitorische Überlegungen Der moderne Konsum wird in verschiedensten Forschungsfeldern, wie zum Beispiel in der Volkswirtschaft, der Kulturwissenschaft, der Marktforschung oder dem Marketing, zum Teil sehr unterschiedlich definiert und bewertet. Meist wird er entweder grundsätzlich kritisiert oder generell befürwortet. Konsumkritiker sehen in ihm ein Manipulationsinstrument, das nicht nur die Bedürfnisse der Konsumenten gezielt in eine für die Konsumgüterindustrie profitable Richtung lenkt, sondern bei diesen zugleich auch durch oberflächliche Bedürfnisbefriedigungen eine Befürwortung und Identifikation mit dem kapitalistischen System hervorruft.3 Darüber hinaus wird auch die rücksichtslose Verschwendung ökologischer und gesellschaftlicher Ressourcen, die mit der Produktion und dem Konsum von meist ‚unnützen‘ Gütern einhergehen, von vielen Konsumgegnern bemängelt.4 Eine entgegengesetzte Perspektive fokussiert hingegen darauf, dass der Konsum als Grundlage unseres gegenwärtigen hohen Lebensstandards betrachtet werden kann oder dass sich im modernen Konsum eine durchaus positiv zu bewertende Demokratie des Marktes widerspiegelt, wenn der Endverbraucher durch sein Kaufverhalten die Produktion verschiedener Güter implizit mitbestimmt.5 Um sich mit dem Konsum als Forschungsgegenstand auseinandersetzen zu können, ist es zunächst notwendig, diesen Forschungsgegenstand zu definieren. Wortgeschichtlich entwickelte sich der Begriff des Konsums aus den lateinischen Wörtern cōnsūmere und cōnsummare. Während das Verb cōnsūmere auf Verbrauchs- oder Verzehrvorgänge hinweist und mit Begriffen wie „gebrauchen“ oder „genießen“ übersetzt werden kann 6, verweist das Wort cōnsummare auf eine perfektionierende Vollendung von verschiedensten physischen und psychischen Vorgängen.7 So sind mögliche deutsche Übersetzungen des letztgenannten Begriffs Ausdrücke wie „abschließen“ oder „zur höchsten Vollendung bringen“.8 Das ähnliche Laut- und Schriftbild der beiden lateinischen Verben führte – gepaart mit sprachlichen Gebrauchsunsicherheiten – schließlich in der
3
Vgl. z.B. Marcuse (1964).
4
Vgl. z.B. Gorz (2009) oder Marwitz (2013).
5
Vgl. Schrage (2009), S. 7.
6
Vgl. Menge/Müller (1955), S. 86f.
7
Vgl. Schrage (2009), S. 49.
8
Vgl. Menge/Müller (1955), S. 85.
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französischen, englischen und deutschen Sprache, deren Wortbildungen sich zum Teil aus dem Lateinischen entwickelten, zu einer linguistischen Begriffsnähe der beiden voneinander entfernten Bedeutungsgehalte. Neben dem sich ähnelnden Wort- und Schriftbild führten darüber hinaus auch gemeinsame Anknüpfungspunkte auf der Bedeutungsebene der beiden Verben 9 zu der Entwicklung eines sprachlichen Ausdrucks, der alle Sinngehalte umschließt und der sich gegenwärtig in der deutschen Sprache in den Begriffen „konsumieren“ und „Konsum“ beziehungsweise „Konsumtion“ manifestiert.10 Seit dem 17. Jahrhundert tritt der Begriff der Konsumtion insbesondere in Bereichen der Ökonomie auf 11 und ist bis heute ein wichtiger Gegenstand des ökonomischen Denkens. Der Begriff der Konsumtion beziehungsweise des Konsums verweist hier allerdings lediglich auf wirtschaftliche Aspekte, während die nicht-ökonomischen Bedeutungsgehalte nicht berücksichtigt werden. 12 Vor diesem Hintergrund kann der Konsum beziehungsweise das Konsumverhalten aus einer ökonomischen Perspektive als „sämtliche Aktivitäten von Einzelpersonen oder privaten Haushalten […],die auf die Entnahme von Gütern oder Dienstleistungen aus dem Markt gerichtet sind“13, definiert werden. Die ökonomischen Bedeutungsgehalte des Konsums fokussieren dabei vornehmlich auf das „Vernichten oder Abnutzen stofflicher Substanzen, die Nahrungsaufnahme […] [sowie] die Verschwendung [und die Investition, J.E.] von Geld und Gütern“ 14. Für eine soziologische Definition des Konsumbegriffs müssen auch die in der Ökonomie vernachlässigten Bedeutungsgehalte des Konsumierens berücksichtigt werden. Zum einen müssen hierbei die ökonomischen Begriffsbedeutungen um die Vollendungseigenschaften ergänzt werden, auf welche ursprünglich das lateinische Verb cōnsummare verwies. Zum anderen müssen auch die spezifischen Eigenschaften und Bedeutungszuschreibungen von Konsumobjekten bei einer soziologischen Konsumdefinition berücksichtigt werden. Jene sind nicht nur als materielle Produkte oder bloße Waren zur materiellen Bedarfs9
Sowohl die Verbrauchs- und Verzehrvorgänge, auf die das Wort cōnsūmere verweist, als auch die durch den Begriff cōnsummare beschriebenen Vollendungsprozesse verweisen, aus einer abstrakten Perspektive betrachtet, jeweils auf eine Möglichkeit, einen Prozess zu beenden. Sei es durch die „Vernichtung der Trägersubstanz (verzehren) oder aber durch das Erreichen seines bezweckten Endzustands (vollenden).“ (Schrage 2009, S. 49).
10 Vgl. Schrage (2009), S. 43 ff. 11 Vgl. Schrage (2009), S. 50. 12 Vgl. ebd. 13 Schneider (2000), S. 11. 14 Schrage (2009), S. 50.
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deckung aufzufassen. Auch die jeweiligen Bedeutungen, die mit den verschiedenen konsumierbaren Objekten verknüpft sind, stellen einen essenziellen Faktor von Konsumobjekten dar, der bei einer Begriffsdefinition berücksichtigt werden muss. So hat bereits Jean Baudrillard festgestellt, dass sich der Begriff des Konsumobjekts insbesondere auf die „Verwandlung des Objekts in den systematischen Charakter des Zeichens“15 bezieht, welche diesem erst den eigentlichen Charakter eines Konsumobjekts verleiht. Es muss „sich in ein Zeichen verwandeln, das heißt sich auf eine gewisse Art außerhalb einer Relation stellen, die es nur andeutet, ohne mit ihr kohärent zu werden, und eine abstrakte und systematische Beziehung zu allen übrigen Objektzeichen aufnehmen, in denen es seine Kohärenz und folglich auch seinen Sinn wiederfindet. Erst dann kann sich das Objekt ‚verpersönlichen‘, einer Serie angehören und so fort. Damit wird es konsumierbar – jedoch nie in seiner Materialität, sondern in der Differenz.“16
Dadurch wird der Konsum schließlich zum „Vollzug einer systematischen Manipulation von Zeichen“17 und hiermit zum Forschungsgegenstand vielfältiger soziologischer Fragestellungen. Zudem muss der Begriff des Konsumierens auch dahingehend erweitert werden, dass es sich bei dem Konsum um einen sich stets ändernden und aus mehreren Phasen bestehenden Prozess handelt, „der mit der Bedürfnisgenese beginnt, Aktivitäten der Informationsgewinnung und Entscheidungsfindung umfaßt, sich über die Nutzung beziehungsweise den Verbrauch von Gütern erstreckt und mit der Entsorgung endet“18. Lediglich der Prozess der „Entnahme von Gütern oder Dienstleistungen aus dem Markt“ 19 wäre aus einer soziologischen Warte eine verkürzte Betrachtung des Konsumprozesses. Die unterschiedlichen Prozesse, die in den verschiedenen Phasen ablaufen, sind von gesellschaftlicher Relevanz, da sie einerseits von Diskursen, Normen und Werten geprägt sind und andererseits selbst wiederum auf gesellschaftliche Ansichten und soziales Handeln Einfluss nehmen. Günter Wiswede teilt den Prozess des Konsumierens dabei in insgesamt sieben soziologisch relevante Phasen ein: Die erste Phase kennzeichnet dabei die Bedürfnisentstehung und die individuelle Reflexion dieser Bedürfnisse durch den Konsumenten. Es folgt die 15 Baudrillard (1991), S. 245. 16 Baudrillard (1991), S. 244. 17 Ebd. 18 Schneider (2000), S. 11f. 19 Schneider (2000), S. 11; vgl. hierzu die ökonomische Definition des Konsumierens auf S. 87.
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zweite Phase, in welcher der Konsument die Kriterien für die entsprechende Kaufentscheidung festsetzt und diese Kriterien gewichtet, um sich auf diese Weise schließlich für oder gegen einen entsprechenden Erwerb entscheiden zu können. In der sich anschließenden dritten Phase findet eine Informationssuche mit der dazugehörigen Auswertung der Informationen statt, die entweder dazu führt, dass der Konsument von einem Kauf Abstand nimmt oder in der vierten Phase schließlich ein entsprechendes Konsumobjekt erwirbt. Die fünfte Phase umfasst anschließend den Akt des eigentlichen Konsumierens. In ihr wird das entsprechende Produkt genutzt und dem Umfeld demonstriert, bevor es in der sechsten Phase des Konsumierens schließlich entsorgt oder an andere Individuen durch Kauf, Tausch, Schenkung etc. weitergegeben wird. Die siebte Phase schließt den Akt des Konsumierens ab. In ihr werden die Weichen für künftige Bedürfnisse gestellt.20 Obwohl diese unterschiedlichen Phasen des Konsumierens und die verschiedenen Sinn- und Bedeutungssysteme von Konsumobjekten für die verschiedensten soziologischen Forschungsbereiche mehrere relevante Themenaspekte offerieren, hat sich die deutsche Soziologie, im Gegensatz zur britischen, französischen und nordamerikanischen Konsumsoziologie, bis heute nur wenig mit diesem Thema auseinander gesetzt.21 Eine mögliche Erklärung für diese Vernachlässigung des Konsums ist die in Deutschland vornehmlich am Bürgertum ausgerichtete Thematisierung von Kultur, die in verschiedenen deutschen kultursoziologischen Publikationen deutlich wird. So erklärt beispielsweise Joachim Fischer in einem Aufsatz zur historischen Soziologie der Gegenwartsgesellschaft, dass die bürgerliche Gesellschaft „die soziologisch adäquate Kategorie zur Analyse der Gegenwartsgesellschaft“ 22 sei. Diese Fokussierung auf die bürgerliche Kultur als Ursprung beziehungsweise essenzielle Bezugsgröße für das Beleuchten oder Bewerten gegenwärtiger Gesellschaftsphänomene findet sich auch bei Clemens Albrecht. Er stellt direkt in der Einleitung des von ihm herausgegebenen Sammelbandes zur bürgerlichen Kultur und ihrer Avantgarden fest, dass die „Bürgertumsforschung in Deutschland […] stets mehr [war; J. E.] als die Erforschung eines abgeschlossenen Zeitraums oder einer sozialen Formation. Immer ging es auch um die Frage nach den Wurzeln und den Strukturen der modernen Welt. Auch wenn man sich meist einig war, daß das bürgerliche Zeitalter irgendwann und irgendwie an ein Ende ge-
20 Vgl. Wiswede (2000), S. 24. 21 Vgl. Schneider (2000), S. 14. 22 Fischer (2004), S. 97.
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kommen sei, so wurden doch stets einzelne Momente aufgelistet […], die auch in der Gegenwart Geltung beanspruchten oder doch zumindest beanspruchen sollten.“ 23
In diesem Zusammenhang beleuchtet darüber hinaus auch Kaspar Maase in seinem Buch „Grenzenloses Vergnügen“24 den Aufstieg der Massenkultur, indem er die bürgerliche Kultur als Vergleichsfolie heranzieht und gleichzeitig die Massenkultur als eine Kulturform beschreibt, die sich aus der bürgerlichen Kultur heraus entwickelt hat. Da jeglicher Konsum, der über eine rational begründbare Grundversorgung hinaus geht, allerdings eine Negativfolie bürgerlicher Werte bildet25, wird die fehlende Thematisierung des Konsums von Seiten der an dem Bürgertum orientierten Kultursoziologie erklärbar. Andreas Reckwitz erläutert in diesem Zusammenhang, dass sich die bürgerlichen Werte „aus der Trias einer gesellschaftlich nützlichen Arbeit, einer emotional befriedigenden Intimsphäre – der bürgerlichen Familie – und der Bildung der Entwicklung des eigenen Selbst im Umgang mit der Hochkultur“26 zusammensetzen und damit einem schwelgerischen und hedonistischen Konsumverhalten entgegenstehen, bei dem Konsumgüter mit individuellen Bedeutungen aufgeladen werden. Die geringe Thematisierung des Konsums von Seiten der deutschen Soziologie kann zudem damit begründet werden, dass generell die Relevanz materieller Forschungsgegenstände in der deutschen Soziologie lange Zeit negiert beziehungsweise ignoriert wurde. Stattdessen standen eher symbolisch repräsentative Prozesse im Fokus der verschiedenen Forschungsinteressen. Da der Konsum allgemein eher als ein materialistischer Aspekt von Kultur aufgefasst wurde (obwohl sich – wie die Ausführungen in den folgenden Kapiteln zeigen werden – die spezifischen Charakteristika des modernen Konsums gerade in symbolischimmateriellen Prozessen entfalten27), kann auch in dieser grundsätzlichen Abwendung von materiellen Forschungsgegenständen eine Ursache für die geringe Thematisierung von Konsum seitens der deutschen Soziologie liegen. Die vorliegende Studie will dazu beitragen, die sich hieraus ergebende Leerestelle deutscher soziologischer Forschung zu schließen. Um eine konsumsoziologische Einbettung der folgenden Darstellungen gewährleisten zu können, sollen im Folgenden in einem kurzen Überblick die bis23 Albrecht (2004), S.8. 24 Vgl. Maase (1997). 25 Vgl. Reckwitz (2006b). 26 Reckwitz (2006b), S. 428. 27 Beispiele hierfür sind unter anderem die soziale Distinktion oder die konsumbasierte Selbstentfaltung etc.
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herigen Entwicklungslinien konsumsoziologischer Ansätze nachgezeichnet werden, um auf diese Weise die Forschungsfrage dieser Studie innerhalb des Forschungsfeldes der Konsumsoziologie kontextualisieren zu können. 28 Zudem soll durch die Erläuterung prägnanter konsumsoziologischer Ansätze ein theoretisches Fundament geschaffen werden, auf dem schließlich Thesen zu Subjektivierungsleistungen des Konsums formuliert werden können. 4.1.2 Entwicklungslinien konsumsoziologischer Forschung Als eine erste grundlegende Publikation, die für Fragestellungen der Konsumsoziologie von Bedeutung ist, kann der Zeitschriftenartikel Die Psychologie der Mode29 aufgefasst werden, den Georg Simmel im Jahr 1895 veröffentlichte und den er mit seinem Aufsatz Philosophie der Mode 1905 erweiterte. Simmel geht in diesen Publikationen darauf ein, wie sich die gesellschaftlichen Eliten seiner Zeit über den Erwerb und das Inszenieren von Mode von den unteren Gesellschaftsschichten abgrenzen und letztere vor diesem Hintergrund stetig versuchen, die Mode der Eliten nachzuahmen, um dem Status der sozial Höhergestellten näher zu kommen. Vor diesem Hintergrund wird es für die oberen Gesellschaftsschichten notwendig, neue Abgrenzungsweisen durch modische Innovationen zu kreieren, um so weiterhin ihre Vorrangstellung demonstrieren zu können. Auf diese Weise wird, Simmels Ausführungen zufolge, ein ständiger Kreislauf in Bewegung gesetzt, der sich stets aus Abgrenzung und folgender Imitation zusammensetzt und den Simmel als „trickle down“-Effekt bezeichnet.30 Auch Thorstein Veblen setzt sich bereits sehr früh mit entsprechenden konsumbasierten Abgrenzungsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Gesellschaftsschichten auseinander. 1899 veröffentlicht er sein Buch The Theory of the Leisure Class (Deutscher Titel: Die Theorie der feinen Leute31). Bei ihm handelt es sich um eine konsumkritische Schrift, in der Veblen den Luxuskonsum und die Freizeitgestaltung der oberen Gesellschaftsschichten untersucht beziehungsweise kritisiert. Er erläutert, dass jene ihre gesellschaftliche Vorrangstellung durch demonstrativen Konsum (conspicious consumption) beziehungsweise demonstrative Freizeit (conspicious leisure) darzustellen versuchen. Da die Mit28 Einen – wenn auch knapperen – Überblick über die Entwicklung der Konsumsoziologie gibt auch Wiswede (2000), S. 26ff. 29 Vgl. Simmel (1895); unter dem Titel „Die Mode“ wurde dieser Aufsatz wieder abgedruckt in Simmel (1983), S. 26-51. 30 Vgl. Simmel (1905). 31 Vgl. Veblen (2000).
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glieder niedrigerer Gesellschaftsschichten nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um sich einen entsprechenden ausschweifenden – geradezu verschwenderischen – Konsumstil beziehungsweise eine unproduktive Freizeit leisten zu können, eignen sich teure Luxusgüter und im monetären Sinne unproduktive Freizeitbeschäftigungen, wie zum Beispiel Polo, das Auswendiglernen von Benimmregeln etc. hervorragend als entsprechendes Abgrenzungsmittel. Die ersten wissenschaftlichen Arbeiten, die auf konsumsoziologische Fragestellungen fokussierten, befassen sich also mit der Distinktionsfunktion des Konsums, die als wichtiges Konsummotiv interpretiert wird. Mit Konsummotiven von Individuen setzt sich auch Hazel Kyrk in seiner 1923 erschienenen Studie A Theory of Consumption auseinander.32 Allerdings sind seine Ausführungen nicht speziell auf die Distinktionsfunktion von Konsumgütern ausgerichtet, sondern allgemeinerer Natur: Als einer der ersten Ökonomen beschreibt er den Konsumenten als ein Individuum mit einem Eigenleben, das eigenständige und nicht unbedingt vorhersehbare (Kauf-)Entscheidungen trifft. Damit zeigt er eine Leerstelle von damaligen volkswirtschaftlichen Marktmodellen auf, in welchen der Konsument lediglich als Medium der Marktentnahme betrachtet wird. Auch wenn Hazels Arbeit jahrzehntelang größtenteils keine Beachtung unter dessen Kollegen fand, kommt ihr aus heutiger Perspektive eine wichtige Pionierfunktion zu. Nachdem konsumsoziologische Ansätze im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur in vereinzelten wissenschaftlichen Publikationen erschienen, gerieten sie etwa ab den 1950er Jahren ins Blickfeld gleich mehrerer Forschungsinteressen. So stellten beispielsweise die in den 1950er Jahren veröffentlichten strukturellen Analysen zur Wohlstandsgesellschaft verschiedene soziale Aspekte in den Fokus, die auch für konsumsoziologische Überlegungen von Interesse sind. So kann vor allem das von David Riesman veröffentlichte Buch The Lonely Crowd (Deutscher Titel: Die einsame Masse) als eine wichtige Bezugsgröße für konsumsoziologische Fragestellungen angesehen werden.33 In ihm untersucht Riesman, unter Mitarbeit von Reuel Denney und Nathan Glazer, den Zusammenhang von verschiedenen Ausprägungen, die eine Gesellschaft im Laufe ihrer Entwicklung einnehmen kann und den jeweils typischen Charaktertypen ihrer Mitglieder. Riesman stellt in diesem Zusammenhang dar, dass jede Gesellschaftsform einen ganz spezifischen Charaktertyp von Menschen hervorbringt. Die entwicklungsgeschichtlich betrachtet erste Gesellschaftsform, die – Riesmanns Ausführungen zufolge – durch hohe Geburten- und hohe Sterbezahlen geprägt ist, findet sich beispielsweise innerhalb von primitiven Stämmen 32 Vgl. Kryk (1923). 33 Vgl. Riesman/Denney/Glazer (1956).
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oder in dichtbesiedelten Ländern wie Indien etc. Sie bringt einen traditionsgeleiteten Charakter hervor, der sich durch eine traditionsorientierte Verhaltensausrichtung der einzelnen Gesellschaftsmitglieder auszeichnet. Die traditionellen Vorgaben und Werte von Kirche, Ältestenräten, Kasten etc. prägen hier also die äußerst angepasste Lebensführung und das relativ konforme Verhalten der Individuen. Der nächste Charaktertyp, der sich Riesman zufolge etwa ab der Zeit des Frühkapitalismus entwickelt, ist der sogenannte innengeleitete Charakter. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dieser Zeit sind so komplex und flexibel, dass die Individuen immer wieder mit verschiedensten Situationen konfrontiert werden, die mit einem festgesetzten Verhaltenskodex im Vorfeld nicht alle erfasst werden können. Die Gesellschaftsmitglieder müssen also die Fähigkeit entwickeln, selbstständig Verhaltensoptionen zu generieren. Dabei orientieren sie sich an relativ statischen inneren Werten, die ihnen bei ihren Handlungs- und Lebensentscheidungen Sicherheit und Orientierung geben. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wird es aufgrund des schnellen und komplexen sozialen Wandels, der unter anderem mit der Tertiärisierung der Wirtschaft und der Individualisierung34 einhergeht, notwendig, flexiblere Orientierungshilfen zu finden als die starren Werte und Normen, an denen sich der innengeleitete Charaktertyp ausrichtet. Vor diesem Hintergrund entwickelt sich zu dieser Zeit ein außengeleiteter Charakter, der seine Orientierungspunkte nicht mehr in seinem Inneren, sondern vielmehr in der Beobachtung anderer Gesellschaftsmitglieder findet. Hierbei wird die Anerkennung der anderen zum wichtigsten Ziel und deren Verhalten damit zur Richtgröße für eigene Lebensentscheidungen und Handlungen. 35 Auch wenn sich Riesman in seinen Ausführungen nicht explizit mit Konsum auseinandersetzt, lassen sich seine Thesen auf Fragen des Konsumierens und gesellschaftlich vorherrschende Konsumpraxen übertragen und sind somit von konsumsoziologischem Interesse. So spielt insbesondere die gegenseitige Beobachtung der Individuen bei außengeleiteten Charaktertypen eine zentrale Rolle bei der Auswahl von Konsumobjekten und bei der Selbstinszenierung von Individuen, die jene mit Hilfe von spezifischen Konsumobjekten durchführen. 36 Ähnliche strukturelle Ansätze, die sich teilweise noch expliziter mit der Konsumthematik auseinandersetzten als Riesman, wurden (allerdings erst in den 1990er Jahren) von Soziologen wie Featherstone oder Schulze publiziert. 37
34 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu Becks Individualisierungsthese in Kapitel 2.2.1. 35 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur flexiblen Normalisierung in Kapitel 3.2.3. 36 Vgl hierzu auch die Ausführungen auf S. 117ff. 37 Vgl. z.B. Featherstone (1991); Schulze (1992).
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In den 1960er Jahren wurden anschließend im Rahmen des Themengebietes „consumer behavior“38 soziokulturelle Faktoren des Konsumierens untersucht. Dieses Forschungsfeld wird bis heute bearbeitet39, fokussiert aber trotz verschiedener soziologischer Aspekte hauptsächlich auf marketingspezifische Fragestellungen und zeichnet sich somit durch ein eingeschränktes Erkenntnisinteresse aus. Für gesamtgesellschaftliche Fragestellungen ist es daher nur von begrenzter Relevanz. Anders verhält es sich mit dem 1970 veröffentlichten Buch La société de consommation (deutscher Titel: Die Konsumgesellschaft. Ihre Mythen, ihre Strukturen)40 von Jean Baudrillard. Bei ihm handelt es sich um die erste Gesellschaftsdiagnose, die explizit den Konsum als ein alle Lebensbereiche durchdringendes Vergesellschaftungswerkzeug auffasst und als ein geschlossenes Zeichen- und Bedeutungssystem betrachtet. Dabei werden Objekte nicht aufgrund ihres materiellen Nutzens konsumiert, sondern aufgrund ihrer systemimmanenten symbolischen Bedeutungen, die den Konsumhandlungen von Individuen erst einen Sinn geben. Auch in Deutschland wurden Anfang der 1970er Jahren mehrere Abhandlungen zu konsumsoziologischen Fragestellungen publiziert. 41 Allerdings begründeten diese Arbeiten, trotz ihrer konsumsoziologischen Ausrichtungen, keine deutsche Konsumsoziologie, sondern blieben im wissenschaftlichen Kontext relativ unbeachtet. Eine wesentlich stärkere Beachtung fand hingegen die empirische Gesellschaftsstudie La distinction (Deutscher Titel: Die feinen Unterschiede) von Pierre Bourdieu aus dem Jahr 1979.42 Ähnlich wie bereits Georg Simmel und Thorstein Veblen setzte sich auch Bourdieu mit der Distinktionsfunktion von Konsumgütern auseinander. Während aber Veblen auf Basis theoretischer Schlussfolgerungen den ausufernden Luxuskonsum der finanzstarken Oberschicht seiner Zeit als Verschwendung kritisiert, die lediglich das Ziel verfolge, Wohlstand und Sozialprestige zu demonstrieren, untersucht Bourdieu in einer großangelegten empirischen Studie die verschiedenen Konsumstile, die in unterschiedlichen sozialen Gruppen der französischen Gesellschaft der 1960er Jahre vorherrschen. Hierbei stellt er fest, dass in Abhängigkeit von finanziellen Ressourcen („ökonomisches Kapital“) und Bildungsniveau („kulturelles Kapital“) 38 Vgl. z.B. Blackwell/Miniard/Engel (2002). 39 Vgl. z.B. Kroeber-Riel/Weinberg (2003); Bauer/Rösger/Neumann (2004); Wells/ Prensky (1996). 40 Vgl. Baudrillard (2015). 41 Vgl. z.B. Hörning (1970), Hillmann (1971), Scheuch (1975). 42 Vgl. Bourdieu (1987).
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verschiedene Konsumpräferenzen in den unterschiedlichen Sozialgruppen festzustellen sind. Mit den vor diesem Hintergrund konsumierten Gütern grenzen sich die Mitglieder einer Gruppe mehr oder weniger bewusst von den Angehörigen anderer Gruppen ab, so dass jeder Konsumakt immer Distinktion, also Abgrenzung von anderen, produziert. Dabei erfolgt diese Abgrenzung aber nicht nur unter der Zielsetzung, sich durch möglichst kostspielige Güter und Freizeitaktivitäten von finanziell schwächeren Gruppen abzugrenzen, wie es noch in Simmels und Veblens Arbeit beschrieben wird. Insbesondere die Differenzen in Bezug auf das kulturelle Kapital und die daraus resultierenden unterschiedlichen Geschmackspräferenzen und Lebensweisen sorgen dafür, dass sich Gruppen in den verschiedensten Aspekten voneinander abgrenzen und es nicht mehr ein eindeutiges Streben der niedrigeren Schichten gibt, die finanziell stärkere Schichten in ihrem Konsumverhalten zu imitieren, um so ein höheres Sozialprestige zu erreichen. Ein solches Verhalten kann zwar teilweise auch beobachtet werden, ihm stehen aber zahlreiche andere Distinktionsmuster zur Seite, die zum Beispiel auch eine Abgrenzung in die exakt entgegengesetzte Richtung anvisieren können, indem bewusst von solchen Luxusgütern (beispielsweise unter der Prämisse der Ressourcenschonung) Abstand genommen wird. In den 1980er und 1990er Jahren werden in konsumsoziologischen Publikationen schließlich verschiedene Themen aus früheren Jahren unter dem Aspekt der Lebensstil-Forschung wieder aufgenommen.43 In ihnen wird Konsum oft im Zusammenhang mit der sozialen Ungleichverteilung der Kaufkraft und mit der kulturellen Verschiedenartigkeit von Bedürfnissen thematisiert, wobei auf Basis des Gebrauchs und des Erwerbs von Gütern Rückschlüsse auf das soziale Milieu eines Konsumenten gezogen werden. Erst in jüngerer Vergangenheit geriet ein Forschungsfeld in den Blickwinkel der Konsumsoziologie, dem sich auch diese Studie widmet: die Subjektivierungs- und Vergesellschaftungsleistung von modernen Konsumhandlungen. Bei diesem Forschungsfeld spielen zwar auch die zuvor erläuterten konsumsoziologischen Ansätze, wie die Distinktionsfunktion oder das Konsumsystem, eine Rolle, der Fokus liegt hier aber wesentlich stärker auf dem Konsumenten und dessen subjektkonstituierenden Prozessen, bei denen Konsumhandlungen als subjektivierende Selbsttechnologie fungieren.
43 Vgl. z.B. Lüdtke (1989), Featherstone (1991).
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4.1.3 Konsum als Selbsttechnologie Bei der Bewertung von konsumbasierten Subjektivierungsprozessen gibt es, ähnlich wie bei der Beurteilung des Konsums als Ganzes, ambivalente Einstellungen in den verschiedenen wissenschaftlichen Diskursen. Während Vertreter der kritischen Theorie vor dem Hintergrund vermeintlicher konsumbasierter Konformitätszwänge proklamieren, dass der Konsum die Entfaltung der Subjektivität eines Konsumenten einschränkt, gehen neuere konsumsoziologische Ansätze – wie zum Beispiel der konsumbasierte Subjektivierungsansatz von Dominik Schrage44 – davon aus, dass der moderne Konsum vielmehr als Mittel einer produktiven und individuellen Subjektbildung angesehen werden kann. Schrage folgt in diesem Zusammenhang dem Subjektivierungsverständnis von Michel Foucault, demzufolge Subjekte sich auf Basis unterschiedlicher sozialer Verfahren und Wechselwirkungen konstituieren. Er betrachtet den modernen Massenkonsum als ein ebenso fundamentales Subjektivierungsmittel der modernen Gesellschaft, wie beispielsweise die Disziplinierung, die Foucault in seinen Studien zur Subjektkonstitution als ein subjektbildendes Verfahren identifiziert. Allerdings setzt die konsumbasierte Subjektivierung nicht bei Einschließungsmilieus wie Gefängnissen, Krankenhäusern, Fabriken etc. an, sondern am „Marktmilieu“45. Dabei ermöglichen die spezifischen Strukturen der vorherrschenden Marktsituation die Subjektivierungsleistung, die dem postmodernen Konsum immanent ist.46 „Die Kriterien für […] Kaufentscheidungen mögen unterschiedlichen Zwecksetzungen entstammen […], die subjektivierenden Effekte des Konsums resultieren jedoch grundlegend aus dem Modus dieses Konsumverhältnisses selbst.“47 Da die Marktvergesellschaftung in Europa seit dem 18. Jahrhundert zudem eine zunehmend wichtige Rolle bei Sozialisationsprozessen einnimmt, ist sie, Schrages Ausführungen zufolge, für moderne Subjektivierungsprozesse von vergleichbarer Relevanz, wie die Vergesellschaftung und Subjektivierung durch Disziplinierung. Sie verfügt aber über eine andere Wirkweise.48 „Auch der Konsum im Marktmilieu erfordert eine spezifische, auf die Realisierung von Eigeninteressen ausgerichtete Form von Individualität und bringt sie zugleich performativ hervor. Diese besteht allerdings, im Vergleich zu denjenigen der Disziplinierung, nicht in 44 Vgl. z.B. Schrage (2009), S. 118ff. oder Schrage (2008). 45 Schrage (2008), S. 3957. 46 Vgl. ebd. 47 Ebd. 48 Vgl. ebd.
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der Adaption von Einzelnen an präskriptiven Normen. Sie liegt vielmehr in der Fähigkeit, eigene Interessen kontinuierlich und durch autonome Entscheidungen zu verfolgen und Kenntnisse über eigene Bedürfnisse zu haben.“49
Es handelt sich bei der von Schrage beschriebenen Subjektivierungsart also, im Vergleich zu der von Foucault beschriebenen Subjektkonstitution durch Normalisierung, um einen flexibleren und eigenverantwortlicheren Prozess.50 Dabei erscheint der moderne Massenmarkt als eine „Quelle der Verfügbarkeit von Welt“51, weil er aufgrund der vorherrschenden Geldwirtschaft zu einer Versachlichung von Konsum- und Sozialbeziehungen führt. In Anlehnung an Georg Simmel erläutert Schrage, dass Geld zwischen den verschiedenen Individuen eine Distanziertheit und Unverbindlichkeit schafft und somit die Individualisierungsprozesse der Gegenwartsgesellschaft vorantreibt. In seiner Philosophie des Geldes erklärt Simmel in diesem Zusammenhang, Geld schaffe „zwar Beziehungen zwischen den Menschen, aber es lässt die Menschen außerhalb derselben“52. Die Geldwirtschaft gibt dabei jedem Einzelnen die theoretische Möglichkeit, alle Dinge zu konsumieren, die er möchte, solange er über die entsprechenden monetären Mittel verfügt. Besitzt jemand ausreichend Geld, kann er – unabhängig von seiner sozialen Position – genau die Objekte konsumieren, die er möchte. Es besteht also eine Freiheit in Bezug auf die Auswahl von Gütern. Mit dieser ist aber auch die Anforderung an jeden Einzelnen verbunden, eigenständig und selbstverantwortlich Kaufentscheidungen zu treffen, die umso schwieriger werden, je größer die Auswahl an konsumierbaren Objekten wird. 53 49 Ebd. 50 Die hier von Schrage skizzierte Subjektivierungsart kann auch als eine Selbsttechnologie im Sinne von Foucaults Gouvernementalitäts-Ansatz verstanden werden, denn innerhalb der verschiedenen und sich ständig ändernden marktökonomischen Prozesse konstituieren sich Subjekte durch flexible Selbstführungspraktiken. Ein Beispiel für eine entsprechende flexible Selbsttechnologie ist unter anderem die kommunikative Normalisierung, die in Kapitel 3.2.3 beschrieben wird. 51 Schrage (2008), S. 3958. 52 Simmel (1989), S. 404. 53 Die (theoretische oder rechtliche) Möglichkeit eines Individuums, unabhängig von sozialen Hintergründen oder von Regeln traditioneller Gruppen Konsumentscheidungen treffen zu können heißt jedoch nicht, dass das Konsumverhalten der meisten Konsumenten nicht stark milieuabhängig ist. Ganz im Gegenteil: Die Ergebnisse empirischer Lebensweltforschungen zeigen, dass sich eine Gesellschaft in verschiedene Milieus gruppieren lässt, die sich durch spezifische Lebensauffassungen und Lebensweisen voneinander unterscheiden und sich vor diesem Hintergrund unter anderem durch be-
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Konsum bedarf also einer individuellen Entscheidungsfindung, im Rahmen derer der Konsument abwägen muss, welche Waren seine persönlichen Bedürfnisse am besten befriedigen. Die hierfür notwendigen Reflexions- und Auswahlprozesse des konsumierenden Individuums zieht Schrage heran, um die Konsumkritik der kritischen Theorie zu entkräften. Denn diese Prozesse verweisen nicht auf eine fremdbestimmte Disziplinierung und Manipulation vonseiten der Konsumgüterindustrie, sondern vielmehr auf souveräne und selbstreflexive Entscheidungsverfahren der Konsumenten, die danach streben, ihre individuellen Bedürfnisse zu befriedigen und sich selbst mit Hilfe des Konsums zu entfalten.54 Die Reflexion der eigenen Bedürfnisse ist auch eine wichtige Grundlage für die Subjektivierungsleistung von Konsumhandlungen, denn die entsprechenden Kauf-Abwägungen, die hier vom Konsumenten mental durchgespielt werden müssen, lassen für das konsumierende Individuum komplexe Selbstthematisierungsprozesse notwendig werden, die schließlich ein individuelles und sich
stimmte Einstellungen in Bezug auf Geld und Konsum auszeichnen. Die sogenannten Sinus-Milieus® sind ein bekanntes Beispiel für eine entsprechende gesamtgesellschaftliche Eingruppierung von Individuen. Sie werden auf Grundalge regelmäßiger qualitativer und quantitativer Lebensweltforschungen seit den 1980er Jahren von der Sinus Markt- und Sozialforschung GmbH als ein strategisches Marketinginstrument konzipiert, welches Unternehmen differenzierte Zielgruppenanalysen ermöglichen soll. Die Mitglieder verschiedener Milieus werden dabei einerseits nach ihrer sozialen Lage voneinander abgegrenzt und andererseits durch ihre Grundorientierung in Bezug auf ihre Einstellungen hinsichtlich soziokultureller Traditionsbewahrung beziehungsweise Neuorientierung voneinander differenziert. Im Jahr 2015 wurden in diesem Zusammenhang zehn verschiedene Sinus-Milieus® voneinander abgegrenzt, die sich, vor dem Hintergrund ihrer sozialen Lage und ihrer Grundorientierungen, auch hinsichtlich ihres Konsums voneinander unterscheiden. (Vgl. Sinus Markt und Sozialforschung GmbH 2015). Doch trotz entsprechender milieuspezifischer Konsumstile lässt sich insgesamt eine Pluralisierung von Konsummöglichkeiten feststellen, die individuelle Konsumentscheidungen möglich und notwendig werden lassen. 54 Vgl. z.B. Schrage (2008), S. 3960. Auch Jean Baudrillard weist in seinen Ausführungen zum Konsum darauf hin, dass es sich beim Konsumieren um einen aktiven Prozess handelt. Er befasst sich zwar nicht mit subjektbildenden Funktionen von Konsum, macht aber deutlich, dass durch aktive Bedeutungszuschreibungen beim Konsumieren „nicht nur hinsichtlich der Gegenstände, sondern auch in Bezug auf die Kollektivität und die Welt ein aktives Verhältnis zum Ausdruck kommt, eine bestimmte systematische Aktivität und globale Fragestellung, auf welcher unser ganzes kulturelles System gründet.“ (Baudrillard 1991, S.243).
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durch den Konsum entfaltendes Subjekt hervorbringen. 55 Diese Subjektivierungseffekte können sich allerdings nicht durch vereinzelte Kaufentscheidungen einstellen, sondern erst durch die Vielzahl an täglichen Konsumhandlungen, welche für die Individuen der gegenwärtigen konsumdurchdrungenen Gesellschaft kennzeichnend sind. Bevor nun aber der Frage nachgegangen werden kann, wie die konsumbasierten Subjektivierungsprozesse im Detail aussehen und das moderne Konsumsubjekt konturiert ist, soll im Folgenden zunächst die historische Entwicklung der gesellschaftlichen Konsumpraxen und -einstellungen nachgezeichnet werden. Auf diese Weise sollen die spezifischen Eigenschaften gegenwärtiger Konsumpraxen kontextualisiert und deren subjektbildenden Potenziale als ein Merkmal der gegenwärtigen westlichen Konsumkultur fassbar gemacht werden.
4.2
HISTORISCHE ENTWICKLUNG DES HEUTIGEN KONSUM(SUBJEKT)S
Bei einer historisch-soziologischen Betrachtung der Konsumentwicklung in den letzten Jahrhunderten kann festgestellt werden, dass sich im Laufe der Zeit nicht nur die jeweils vorherrschenden Konsumpraxen, sondern auch die generelle Einstellung der Konsumenten zum Konsumieren verändert hat. Im alteuropäischen Denken vormoderner Zeitperioden richten sich Konsumhandlungen strikt an einer vorherrschenden Konsumnorm aus, die abhängig von der gesellschaftlichen Position eines Individuums ist. Je höher der Rang beziehungsweise der Stand einer Person, desto mehr Luxus wird dieser für ein repräsentatives Leben zugestanden.56 Konsumhandlungen, die sich durch einen zu ausufernden oder zu eingeschränkten Verbrauch von Waren auszeichnen, werden zu dieser Zeit als Gefahren angesehen57„die die körperliche und geistige Integrität des einzelnen oder die Stabilität der Sozialordnung bedrohen – sowohl Luxus als auch der eine Minimalschwelle unterschreitende Verbrauch erscheinen als Abweichung von einem ‚rechten Maß‘“58.
55 Vgl. Schrage (2009), S. 253. 56 Vgl. Schrage (2009), S. 80. Schrage bezieht sich bei seinen Ausführungen zur Begriffs- und Kulturgeschichte von Luxus auf Vogl (2001) und bei seinen Ausführungen zur Luxusgesetzgebung und Luxussteuer auf Bulst (2003). 57 Vgl. Schrage (2009), S. 79. 58 Schrage (2009), S. 79 f.
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Die untere Grenze eines als angemessen betrachteten Konsums wird mit dem Begriff der Notdurft markiert. Er kennzeichnet den Umfang an Konsum, den ein Individuum tätigen muss, um seine Grundversorgung zu gewährleisten. Wird dieser von einem Individuum nicht erreicht, resultieren daraus für jenes sowohl moralische als auch rechtliche Ansprüche gegenüber Gesellschaft und Obrigkeiten.59 Die Notdurft stellt damit „eine Art soziales Anspruchsrecht auf eine ökonomisch gesicherte Existenz dar“60. Es kann also festgehalten werden, dass im alteuropäischen Denken das ‚richtige‘ Maß an Konsum durch klare Ober- und Untergrenzen markiert wird, die im Hinblick auf eine „standesgemäßen Lebensführung“ festgelegt werden und deren Nicht-Einhaltung nicht nur ein moralisches Fehlverhalten, sondern auch einen rechtlich geregelten Tatbestand darstellt. Die entsprechenden Grenzziehungen werden einerseits mit dem Mäßigungsgedanken der Tugendlehren begründet.61 „Andererseits ergeben sie sich aus der Vorstellung einer theologisch begründeten Sozialordnung, die hierarchisch in Stände gestuft ist, aber zugleich ein geordnetes Ganzes darstellt.“62 Durch diese relativ klaren Regelungen des Konsumumfangs von Individuen sind individuelle Konsumentscheidungen nicht beziehungsweise nur in einem sehr begrenzen Umfang möglich, weshalb auch konsumbasierte Subjektivierungseffekte zu dieser Zeit noch nicht zu beobachten sind. Erst im 18. Jahrhundert bilden sich mit dem Aufkommen des Bürgertums erste moderne Sozialpraktiken aus, aus denen sich „ein erstes Modell eines genuin modernen [Konsum-; J. E.] Subjekts“63 entwickelt.64 Das Bürgertum, das sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts konstituiert und bis zum frühen 20. Jahrhundert die dominierende Kulturform der westlichen Gesellschaft ist, setzt sich zum einen aus Anwälten, Beamten Ärzten, Künstlern, Apothekern und Journalisten zusammen und zum anderen aus Kaufleuten, Unternehmern und Bänkern. 65 Seine Identitätskonturen gewinnt es insbesondere durch die Abgrenzung nach unten (zum Proletariat) und nach oben (zur Aristokratie). 66 Insbesondere das Verhältnis zum Konsum fungiert beim Bürgertum als fundamentales Differenzierungsmerkmal zu anderen Schichten. „Die Überzeugung, im Unterschied zu 59 Vgl. Schrage (2009), S. 80. 60 Szöllösi-Janze (2003), S.155. 61 Vgl. Schrage (2009), S. 80. 62 Conze (1990), S. 156. 63 Reckwitz (2004), S. 163. 64 Vgl. ebd. 65 Vgl. Budde (2009), S. 132. 66 Vgl. Reckwitz (2004), S. 163.
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anderen Gesellschaftsschichten genau zu wissen wie man konsumiert gehörte seit der Konstituierungsphase des Bürgertums zu den wesentlichen Ingredienzien seiner Selbstdefinition.“67 Dabei kritisiert die bürgerliche Kultur insbesondere den repräsentativen Konsum der Aristokratie und der bürgerlichen Aufsteigergruppen, den Thorstein Veblen in seinem Buch Die Theorie der feinen Leute als „demonstrativen Konsum“68 („conspicious consumption“) bezeichnet und der sich in schwelgerischem Luxuskonsum manifestiert. 69 Mit ihm versucht die Aristokratie nicht nur sinnliche Genüsse durch den Konsum von materiell möglichst hochwertigen Gütern (Seide, edle Weine etc.) zu erfahren (traditioneller Hedonismus70). Auch ihre monetäre und gesellschaftliche Vorherrschaft soll durch ein entsprechendes Konsumverhalten inszeniert und gefestigt werden, um sich auf diese Weise stetig von den Nachahmungsbestrebungen der Aufsteigerschicht abzusetzen. Neben hedonistischen Konsummotiven wird der Luxuskonsum des Adels also insbesondere auch durch Distinktionsbestrebungen in Abgrenzung zu niedrigeren Schichten angetrieben. Diesem Konsumverhalten setzt das Bürgertum Wertvorstellungen wie Arbeit, Moral und Aufklärung entgegen, die sich fundamental auf die Subjektbildung dieses Kulturtyps auswirkten. 71 Unter Rückgriff auf zeitgenössische Verhaltenslehrbücher, Wochenschriften und ähnlichen Kulturgütern zeigt beispielsweise Andreas Reckwitz in diesem Zusammenhang auf, wie sich im Bürgertum des 18. und 19 Jahrhunderts Subjekte vor allem im Rahmen von drei Eckpfeilern bilden: Im Rahmen einer für die Gesellschaft wertvollen und nutzbringenden Arbeit, im Rahmen eines befriedigenden Familienlebens und durch die Auseinandersetzung mit Gütern der Hochkultur, die einen wesentlich Teil der Bildung darstellen.72 Das sich innerhalb dieser Eckpunkte konstituierende Subjektmodell zeichnet sich durch eine rationale Art der Lebensführung und durch eine souveräne Moralität aus.73 Letztere zielt hierbei auf eine Selbstkontrolle des Subjekts und baut auf natürlichen, nicht gekünstelten Emotionen und Bedürfnissen auf. Auch zweckorientierte Handlungsweisen gehören zu den Merkmalen dieser Moralvorstellung. Der aristokratische Luxuskonsum kann vor diesem Hintergrund als Negativfolie für diese bürgerlichen Werte und Normen angesehen werden. Dennoch wird der Konsum in der bürgerlichen Kultur nicht an sich abgelehnt, sondern le67 Budde (2009), S. 131. 68 Veblen (2000). 69 Vgl. Budde (2009), S. 132. 70 Weitere Ausführungen zum traditionellen Hedonismus befinden Sich auf S. 105 f. 71 Reckwitz (2006b), S. 428. 72 Vgl. ebd. 73 Vgl. ebd.
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diglich auf eine andere Weise akzentuiert. „Nicht das Was, sondern das Wie des Konsums geriet zum Kern bürgerlicher Identität.“74 So spielt die Distinktionsfunktion des Konsums auch im Bürgertum eine wichtige Rolle, wobei hier nicht durch den Erwerb von Luxusgütern Abgrenzungsbemühungen zu anderen sozialen Gruppen unternommen werden, sondern vielmehr durch die Zurschaustellung eines angemessenen und maßvollen Konsumstils. Zudem wird Distinktion durch ein Verhalten erreicht, das Veblen als „demonstrative Freizeit“ 75 bezeichnet. So soll das Einkommen und die Rechtschaffenheit eines bürgerlichen Mannes dadurch demonstriert werden, dass seine Ehefrau und seine Kinder von produktiven Tätigkeiten entlastet werden können und dadurch über die nötige Freizeit verfügen, um die verschiedenen Details bürgerlicher Konsumpraxen zu erlernen und in ihrer Darstellung zu perfektionieren. 76 Dabei wird durch „die Betonung eines richtigen und eines falschen Konsums“ 77 das souveräne Beherrschen bürgerlicher Konsummuster zu einer wichtigen Kompetenz, die im Rahmen der bürgerlichen Bildung erworben werden muss.78 Hierbei zeichnet „sparsames Wirtschaften“, „rationale Kaufentscheidungen“ und „maßvolle Einkäufe“ das Idealbild einer bürgerlichen Hausfrau (die für das Konsumieren in der Familie verantwortlich ist) aus.79 Diese bürgerliche Konsummoral grenzt sich damit allerdings nicht nur vom schwelgerischen Luxuskonsum der damaligen Aristokratie ab, sondern generell von jeglichem Konsumverhalten, bei dem Waren nicht nur aufgrund ihres Gebrauchswertes – also für ganz bestimmte rationale Zwecke – erworben werden, sondern vielmehr auch zur Befriedigung emotionaler und möglicherweise irrationaler Bedürfnisse konsumiert werden. Ein Subjekt, das sich eben solchen Konsumpraxen hingibt und damit bezüglich der drei oben genannten Aspekte amoralisch handelt, kann daher ganz allgemein als antibürgerliches Konsumsubjekt bezeichnet werden. „[Es] zeichnet sich nicht durch Mäßigung, sondern durch Exzessivität, nicht durch Natürlichkeit und Ernsthaftigkeit, sondern durch Artifizialität, nicht durch das Zweckvolle, sondern durch das Parasitäre aus. Ein solches Anti-Subjekt ist exzessiv, indem es ständig Grenzen des rechten Maßes überschreitet, es ist artifiziell, indem es nicht das Natürliche respektiert, sondern mit kontingenten Bedeutungen und Imaginationen hantiert, schließ74 Budde (2009), S. 132. 75 Veblen (2000). 76 Vgl. Budde (2009), S. 133. 77 Ebd. 78 Vgl. ebd. 79 Budde (2009), S. 134.
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lich ist es parasitär, insofern es Aktivitäten folgt, die jenseits des Nützlichkeitsanspruchs liegen.“80
Konkretisiert auf Konsumsituationen ist damit gemeint, dass das antibürgerliche Konsumsubjekt die Werte und Normen der bürgerlichen Kultur erstens dadurch bedroht, dass es bei seinen exzessiven Konsumhandlungen regelmäßig einen maßvollen Erwerb von Konsumgütern überschreitet und somit die für die Moralvorstellungen des Bürgertums unerlässliche Selbstkontrolle negiert. Mit Hilfe des Konsums sucht es vielmehr permanent nach ständig neuer Befriedigung seines Begehrens, die aber letztlich unerfüllt bleibt und damit zu neuen Konsumhandlungen verleitet. Zweitens gefährdet das antibürgerliche Konsumsubjekt die vorherrschenden Werte durch seine artifiziellen Einstellungen zu den verschiedenen Waren. Es betrachtet die Objekte nicht aus einer rationalen Perspektive, sondern lädt sie vielmehr mit künstlichen und kontingenten Bedeutungen auf. Drittens tritt es den bürgerlichen Moralvorstellungen mit nicht zweckorientierten Konsumhandlungen entgegen, wenn es nicht aufgrund von nutzbringenden Zielsetzungen konsumiert, sondern auch das Konsumerlebnis an sich als Zweck für Kaufhandlungen verwendet. Somit erscheint in Zeiten der bürgerlichen Kultur das oben beschriebene Konsumverhalten eher als ein Zeichen für einen destruktiven Narzissmus, als für eine Möglichkeit einer individuellen Subjektivierungsform.81 Bezieht man in einem kurzen gedanklichen Vorgriff diese Charakteristika auf Konsumhandlungen und -motive, die in der heutigen Zeit nicht nur in Warenhäusern und Co. zu beobachten sind, sondern auch gezielt von der Werbung proklamiert werden, zeigt sich, dass ein solches antibürgerliches Konsumverhalten nicht nur starke Parallelen zum Konsum des Adels im 17. und 18 Jahrhundert aufweist, sondern auch in der Konsumkultur der Gegenwart fest verankert ist. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich die gesamtgesellschaftlich vorherrschende Konsummoral von den knapp drei Jahrhunderte lang dominierenden Vorstellungen des Bürgertums so stark fortentwickeln konnte, dass diese heute nicht nur durch neue Praxen ergänzt, sondern sogar größtenteils von diesen abgelöst wurden. Reckwitz sieht in diesem Zusammenhang verschiedene gesellschaftsweit ablaufende kulturelle Gegenbewegungen als einen Motor an, der diese Entwicklung langsam aber stetig in den vergangenen Jahrhunderten vorantrieb. Er identifiziert in diesem Zusammenhang die Romantik, die künstlerische Avantgarde-Bewegung und die Counter Culture der 1960er und 1970er Jahre als wichtige Strömungen, die gesellschaftsweit neue Sinn-Reservoirs bereitstellen 80 Ebd. 81 Vgl. Reckwitz (2006b), S. 429.
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und somit die Durchsetzung eines neuen Konsumverständnisses ermöglichen. Alle drei ästhetischen Bewegungen thematisieren zwar nicht explizit den Konsum als positive Kategorie (teilweise üben sie sogar sehr deutlich Konsumkritik), aber sie erzeugen spezifische Diskurse und Dispositionen, die neuen konsumtorischen Praxen und Wertvorstellungen den Weg ebnen.82 Die Romantik kann als die ästhetische Gegenbewegung zur bürgerlichen Kultur angesehen werden, die als erste alternative Blickrichtungen zum bürgerlichen Konsumverständnis einleitete, auch wenn sie für die Hegemonie des bürgerlichen Konsumverständnisses zunächst nahezu folgenlos blieb. Die Bedeutung der Romantik für den Konsum und die konsumierenden Subjekte verdeutlichte bereits Colin Campbell in seinem Buch The Romantic Ethic and the Spirit of Modern Consumerism83. Die von Campbell beschriebene romantische Geisteshaltung entwickelt sich zunächst innerhalb religiöser Gemeinschaften. Er analysiert die sich im 18. Jahrhundert bildenden sentimentalistischen Strömungen des Protestantismus. Diese zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sich die einzelnen Anhänger dieser Glaubensrichtung niemals der Gottgefälligkeit ihrer eigenen Lebensführung vollständig sicher sein können. Keine Institution, wie beispielsweise die Kirche, kann ihnen darüber eine vollkommene Gewissheit geben. Die einzige Möglichkeit, ein Mindestmaß einer entsprechenden Sicherheit zu erlangen, ist daher die strenge Einhaltung der Prinzipien ihrer Glaubenslehren.84 Bei den von Campbell untersuchten protestantischen Gruppen fokussieren diese Prinzipien auf eine Sensibilität und Mitleidsbereitschaft gegenüber anderen Individuen sowie auf aus ihr resultierende karitative Bemühungen. Die Gottgefälligkeit ihres Lebens können die sentimentalistischen Vertreter des Protestantismus85 nicht rational messen, sondern lediglich introspektiv erfahren. Die Anforderungen, die ein Anhänger dieser Religion erfüllen muss, sind deshalb einerseits die Bereitstellung einer ausreichenden Sensibilität, um das eigene Umfeld und die Welt als solche auf Basis ethischer 82 Vgl. Reckwitz (2006b), S. 429 f. 83 Vgl. Campbell (1987). 84 Vgl. Weber (1972) und in Anlehnung daran Schrage (2009), S. 121. 85 Es gab neben den sentimentalistisch ausgerichteten protestantischen Gruppen auch utilitaristisch-asketische Strömungen im Protestantismus, die erfolgreiches ökonomisches Handeln und eine möglichst große Menge an angehäuftem Kapital als Hauptaspekt einer gottgefälligen Lebensweise betrachteten. Das Gelingen ihrer Anstrengungen ließ sich quantitativ messen und war deshalb rational bestimmbar. Diese religiösen Gemeinschaften werden beispielsweise von Max Weber analysiert, spielen aber für die zugrundeliegende Fragestellung dieser Studie eine nur untergeordnete Rolle.
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Emotionen zu beurteilen und aus dieser Beurteilung schließlich wohltätige Aktionen folgen zu lassen. Andererseits ergibt sich in diesem Kontext für jeden Einzelnen auch die Notwendigkeit einer stetigen introspektiven Selbstbeobachtung. Es gilt, das eigene Handeln und Denken auf Authentizität hin zu überprüfen, die sich ihrerseits durch Mitgefühl äußert und einen religiösen beziehungsweise übersinnlichen Aspekt beinhaltet.86 Durch die Säkularisierung dieser religiösen Leitideen, entwickelt sich schließlich ein gesamtgesellschaftlich verbreiteter Sentimentalismus, der zu einem fundamentalen Bestandteil der Romantik wird.87 So zeichnet sich das romantische Subjekt weniger durch sein äußeres Handeln, sondern vielmehr durch sein inneres Erleben aus, das es auf verschiedene Weisen auszudrücken versucht.88 Im Vergleich zum bürgerlichen Subjekt, das sich durch die Einhaltung allgemeiner Werte und Richtlinien auszeichnet, wird hier nun die spezifische Individualität als eine einzigartige persönliche Eigenschaft begriffen, die es wahrzunehmen und nach außen darzustellen gilt. Letzteres wird beispielsweise mit Hilfe von Konsumobjekten realisiert, die dem Subjekt „als Projektionsfläche subjektiver Bedeutungen und Fantasien“89 dienen und somit als fundamentales Mittel der Selbstexpression fungieren. Diese Konsumfunktion wird durch die „moderne konsumistische Geisteshaltung“ ermöglicht, die Colin Campbell vor dem Hintergrund des oben beschriebenen Sentimentalismus der Romantik entstehen sieht. Diese spezifische Haltung in Bezug auf Konsumgüter fußt auf der introspektiven Erfahrung des romantischen Subjekts und zielt auf eine Selbstexpression durch mit Bedeutungen aufgeladene Konsumgüter und auf einen Lustgewinn, der durch den Konsum dieser Güter geschaffen wird. Diese Form eines gefühlsbasierten Hedonismus unterscheidet sich dabei von dem Hedonismus, den Werner Sombart im Rahmen seiner Ausführungen zum Luxuskonsum darstellt90 und der bereits zu Beginn des Kapitels im Zusammenhang mit den Motiven der Aristokratie für ihren Luxuskonsum angesprochen wurde. Bei diesem traditionellen Hedonismus wird ein Lustgewinn auf Grundlage von sinnlichen wahrnehmbaren Verfeinerungen von Produkten erreicht. Als Stimuli fungieren hier materielle Produkteigenschaften, die auf Sinnes-Ebene – also gustatorisch, haptisch, auditiv, visuell oder olfaktorisch – wahrnehmbar sind und die in der Produktion von Konsumgütern auf eine Weise verfeinert werden, dass sie bei dem Konsum dieser Güter einen besonderen Ge86 Vgl. Campbell (1987), S. 204, 219 f. sowie in Anlehnung daran Schrage (2009), S. 122. 87 Vgl. Campbell (1987), S. 203ff sowie in Anlehnung daran Schrage (2009), S. 122. 88 Vgl. Reckwitz (2006b), S. 430. 89 Ebd. 90 Vgl. Sombart (1922).
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nuss hervorrufen. Ein Beispiel wäre hier die geschmackliche Verfeinerung von Whiskey-Sorten durch eine zwanzigjährige Lagerung in Sherry-Fässern (Oloroso Butts). Die hierdurch entstehende Geschmacksverfeinerung löst im Rahmen des traditionellen Hedonismus bei den Konsumenten Genuss aus. Im Gegensatz dazu wird beim modernen romantischen Hedonismus nicht nach sinnlichen Wahrnehmungen, sondern nach genussvollen emotionalen Zuständen gestrebt. Dies können, neben Emotionen wie Freude oder Belustigung, auch Gefühle wie Mitleid oder Grusel sein. Als Beispiel für den emotional hedonistischen Konsum von Grusel nennt Campbell beispielsweise die Beliebtheit von Horrorromanen Ende des 18. Jahrhunderts.91 Bezüglich des Einflusses der Romantik auf Konsumeinstellungen und damit verbundene Subjekt- beziehungsweise Individualitätsvorstellungen kann damit zusammenfassend festgehalten werden, dass die „sentimentalistisch-romantische Konzeption einer auf ihre eigenen Emotionen bezogenen Individualität“ 92 es möglich macht, „psychische Zustände als Einsatz und Genussmittel eines Spiels mit Bedeutungen aufzufassen“93. Die verschiedenen Waren und das Konsumieren als solches werden in diesem Zusammenhang zur Quelle eines auf Emotionen basierenden Lustgewinns und zu einer Projektionsfläche von subjektiven Bedeutungen und Selbstinszenierungen. Eine weitere Gegenbewegung zum bürgerlichen Konsumverständnis, welche sich nachhaltig auf das heutige Konsumsubjekt auswirkt, ist die künstlerische Avantgarde-Bewegung. Sie entwickelt sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und umschließt kulturelle Gegenbewegungen, wie den Expressionismus, den Surrealismus, den Ästhetizismus und den Dadaismus. „Das wesentliche Antriebsmoment der Avantgarde bestand darin, die Kunst in etwas zu verwandeln, was sie nicht war: in Leben. In nahezu allen Bereichen und Gattungen der Kunst hat die Avantgarde das Ziel verfolgt, Illusion und Fiktion zu überwinden und in Leben zu überführen.“94 Dabei geht es den Avantgardisten allerdings nicht darum, die Kunst in die vorherrschende Lebenswelt zu integrieren. Da sie die noch immer bürgerlich geprägte zweckrational ausgerichtete Realität ablehnen, besteht ihr Ziel vielmehr darin, „von der Kunst aus eine neue Lebenspraxis zu organisieren“95. Auf Grundlage von Brüchen mit bis dato geltenden Konstruktionsprinzipien von Kunst und so entstehenden neuen künstlerischen Eindrücken, denen scheinbar jeglicher Sinn entzogen wurde, will der avantgardisti91 Campbell (1987), S. 203 f. und in Anlehnung daran Schrage (2009), S. 122. 92 Schrage (2009), S. 123. 93 Ebd. 94 Klotz (1994), S. 9. 95 Vgl. Bürger (1990), S. 67, [Herv. i.O.].
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sche Künstler die Rezipienten schockieren.96 Dieses Vorgehen ist mit der Hoffnung belegt, „der Rezipient werde durch diesen Entzug von Sinn auf die Fragwürdigkeit seiner eigenen Lebenspraxis und die Notwendigkeit, diese zu verändern, hingewiesen“97. Die Bestrebungen der Avantgardebewegung98 wirken sich, retrospektiv betrachtet, nachhaltig auf die soziale Welt aus, denn durch die Entgrenzung der avantgardistischen Kunstprinzipien wird schließlich die Fiktion als ihr fundamentaler Konstruktionsfaktor auch auf realweltliche Gesellschaftsebenen ausgeweitet. Auf diese Weise avanciert sie schließlich zu einem elementaren Konstruktionsprinzip sozialer Realität und unterminiert nach und nach die bürgerliche Kultur und das hiermit verbundene Konsumverständnis.99 Hierbei grenzt sich die künstlerische Avantgarde-Bewegung von den Moralvorstellungen des Bürgertums nicht nur in Bezug auf deren Prämierung des Natürlichen ab, indem sie die Artifizialität in den Fokus setzt. Ähnlich wie die Romantik fokussiert sie auch auf das introspektive Erleben und weniger auf das äußere Handeln, wobei insbesondere die Avantgarde-Kunst und das Spektakel der Großstädte dem Subjekt als Quelle und Inspiration für immer neue Selbsterfahrungsmöglichkeiten dienen.100 Wie die Romantik, offeriert also auch die künstlerische Avantgarde-Bewegung gesellschaftsweit neue Weltsichten und Sinn-Reservoirs, die auch das Konsumverständnis bis in die heutige Zeit hinein prägen: Konsum wird zu einem Instrument, mit dessen Hilfe neue Erfahrungen generiert werden können. Hierbei zielt das Avantgarde-Subjekt „auf eine ständige Transgression, eine subversive Lebendigkeit, eine Überschreitung seiner inneren Möglichkeiten ab“101. In den 1960er und 1970er Jahren lieferte die sogenannte counter culture eine weitere Gegenbewegung zum Bürgertum, welche die sinnstiftenden Potenziale der Romantik und der Avantgarde weiterverbreitete.
96
Vgl. Bürger (1990), S. 107 f.
97
Bürger (1990), S. 108.
98
Im Rahmen dieser Studie werden die Motive der Avantgardisten sehr verkürzt dargestellt. Da aber lediglich ein Einblick davon vermittelt werden soll, inwiefern die Avantgardebewegung Einfluss auf die Entwicklung des gesellschaftlichen Konsumverständnisses nimmt und nicht eine detaillierte Diskussion dieser Bewegung im Fokus steht, werden hier nur die für diese Fragestellung prägnantesten Kernaspekte der Avantgardebewegung erläutert.
99
Vgl. Makropoulos (1997), S. 82.
100 Vgl. Reckwitz (2006b), S. 430. 101 Ebd.
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„In diesem Kontext wird eine Entgrenzung des subjektiven Begehrens, die spielerische, alle Konventionen überschreitende Multiplizierung der Potentiale des inneren Lustprinzips gefördert. Diese sieht sich kombiniert mit einer Entgrenzung des Spiels mit Repräsentationen, die damit auswechselbare Projektionsflächen für das Begehren liefern.“ 102
Die Counter Culture offeriert damit, in Bezug auf Konsumhandlungen, insbesondere Sinnangebote, welche Waren als Befriedigungsmöglichkeit eines stetig steigerbaren Begehrens und als Mittel zur Repräsentation des eigenen Ichs beziehungsweise als Instrument einer progressiven Selbstentfaltung darstellen. Besonders die zur Counter Culture gehörenden Jugendkulturen haben das entsprechende ästhetische Reservoir dieser Entwicklungsströmung dazu genutzt, sich nach ihren individuellen und kollektiven Vorstellungen zu inszenieren. 103 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die drei ästhetischen Gegenströmungen zum bürgerlichen Konsumverständnis – die Romantik, die künstlerische Avantgarde-Bewegung und die Counter Culture der 1960er und 1970er Jahre – wichtige Impulse für die Ausgestaltung der Wesenszüge des heutigen Konsumsubjekts beziehungsweise heutiger Konsumpraxen liefern 104: „[…] die Prämierung des Erlebnis statt des Handelns, die Kontingenz von Bedeutungen statt die Natürlichkeit der Dinge, die Gegenstände der äußeren Welt als Instrument innerer Imaginationen, Lustprinzip statt Realitätsprinzip, Selbstexpression statt Moralität, schließlich eine artifizielle Stilisierung der eigenen Person, Prämierung des Neuen statt der Stabilität des Bewährten.“105
An dieser Stelle muss jedoch nochmals betont werden, dass diese Konsumdispositionen, die Reckwitz einem Subjekttyp zuordnet, den er als „individualästhetisch“106 beschreibt, zunächst lediglich als untergeordnete Gegenströmungen zur vorherrschenden rationalistischen und konsumskeptischen Einstellung des Bürgertums auftreten. Erst im Laufe der Zeit lösen sie jene mehr und mehr ab und entwickeln sich schließlich im Zuge gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungsströmungen des 20. Jahrhunderts zur dominierenden gesellschaftsweiten Konsumhaltung.
102 Ebd. 103 Vgl. ebd. 104 Vgl. Reckwitz (2006b), S. 430 f. 105 Reckwitz (2006b), S. 431. 106 Z.B. Reckwitz (2006b), S. 433.
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Der Erosionsprozess der bürgerlichen Kultur vollzieht sich dabei, den Ausführungen von Reckwitz zur Folge, innerhalb „zwei historische[r] Schritte“107, die von der bürgerlichen Konsumsicht wegführen und in Richtung einer Konsumkultur weisen, in der ästhetischer Konsum als fundamentales Subjektivierungsmittel fungiert. Den ersten Schritt situiert Reckwitz in der Zeitspanne der 1920er bis 1970er Jahre, in denen vor allem ein „sozial-kontrolliertes Konsumsubjekt“108 vorzufinden ist. Dieser Subjekttyp löst ab den 1920er Jahren das bürgerliche Subjekt nach und nach ab und zeichnet sich unter anderem durch einen „außen-geleiteten Charakter“109 aus. Das Verhalten dieses Subjekttyps wird von dessen Umfeld beeinflusst, welches sich sowohl aus den persönlichen direkten Sozialkontakten (Familie, Freunde, Arbeitskollegen etc.) zusammensetzt als auch aus Personen, mit denen es indirekt über gemeinsame Freunde, seine Familie oder die Massenmedien bekannt ist. 110 „Die von außen-geleiteten Menschen angestrebten Ziele verändern sich jeweils mit der sich verändernden Steuerung durch die von außen empfangenen Signale. Unverändert bleibt lediglich diese Einstellung selbst und die genaue Beobachtung, die den von den anderen abgegebenen Signalen gezollt wird.“111 Auf diese Weise entwickelt sich auch bei diesem Subjekttyp ein starkes Maß einer Verhaltenskonformität zwischen den verschiedenen Individuen. Im Gegensatz zu den Subjekten des Bürgertums entsteht diese relative Gleichschaltung allerdings nicht durch die starre Befolgung vorgegebener Verhaltensregeln, sondern durch den permanenten Abgleich des eigenen Verhaltens mit dem der anderen und der Situierung der eigenen Person innerhalb einer sozialen Normalität. Vor diesem Hintergrund wird auch das Konsumverhalten der verschiedenen Subjekte domestiziert, indem auch dieses an den Moden, Trends und Entwicklungen der Allgemeinheit ausgerichtet wird.112 Neben diesem außengelenkten Konsumverhalten ist das Konsumsubjekt dieser Zeitperiode außerdem um eine ästhetische Gestaltung seiner Oberfläche bemüht. Diese Ästhetisierung der Subjekte, die beispielsweise auch die sich in den 1920er und 1930er Jahren entwickelnde Angestelltenkultur betreibt, darf dabei jedoch auch lediglich im Rahmen einer sozialen Normalität stattfinden. „Prämiert wird hier der kopierte Konsum, das Einhalten bestimmter MittelschichtsKonsumstandards, das ‚keeping up with the Jones‘. Hinzu kommt, dass die Konsumob107 Vgl. ebd. 108 Reckwitz (2006b), S. 431. 109 Riesman/Denney/Glazer (1956). 110 Vgl. Riesman/Denney/Glazer (1956), S. 55. 111 Ebd. 112 Vgl. Reckwitz (2006b), S. 432.
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jekte hier weiterhin mit ihrer technischen Effizienz und pseudo-objektiven Nützlichkeit werben. Die Ästhetisierung des Subjekts, welche die Angestelltenkultur betreibt, wird damit durch bürgerlich beeinflusste Standards der Mäßigung und Zweckhaftigkeit in die Zange genommen: Ästhetik scheint legitim nur in der Ästhetik der äußeren perfekten Form, die für alle standardisiert gilt.“113
Den zweiten Schritt von der Hegemonie des bürgerlichen zum individualästhetischen (Konsum-)Subjekt verkörpert für Reckwitz der Übergang von der Moderne zur Postmoderne, den er in den 1970er Jahren verortet. Ab diesem Zeitpunkt erhalten die betriebenen Ästhetisierungsbestrebungen der Subjekte ein neues Ausmaß: „Wenn die Angestelltenkultur gewissermaßen eine halbierte Ästhetisierung betrieben hat, die noch unter der bürgerlich beeinflussten sozialen Normalitätskontrolle stand, entgrenzt die postmoderne Kultur diese Ästhetisierung: Sie übernimmt von den ästhetischen Gegenbewegungen […] die Prämierung des inneren Erlebens gegenüber dem äußeren Handeln, der Individualität des Besonderen gegenüber dem Standard des Allgemeinen, der Grenzüberschreitung des Neuen gegenüber der Tradierung der durchschnittlichen Normalität, des spielerischen Stils gegenüber der Ernsthaftigkeit der Perfektion.“114
Es kommt hier also endgültig zur Entgrenzung von Ästhetik und Konsum, wobei letzterer in besonderer Weise als Genuss- und Stilisierungsmittel Anwendung findet. Hierbei ist nicht länger die Ähnlichkeit zu anderen Individuen, sondern die Abgrenzung von diesen bei Konsumentscheidungen von Interesse. 115 Wie dieses individualästhetische Subjekt, das bis in die Gegenwart hinein die subjektbildenden Konsumdispositionen der einzelnen Individuen darstellt, im Detail konturiert ist und auf welche Weise hier Konsumhandlungen subjektivierend wirken, wird im Folgenden eingehend betrachtet.
113 Ebd. 114 Reckwitz (2006b), S. 433 f. 115 Vgl. ebd.
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KONSUM ALS MITTEL EINER STEIGERBAREN SELBSTENTFALTUNG – DAS KONSUMSUBJEKT DER GEGENWART
Um die subjektbildenden und vergesellschaftenden Funktionen gegenwärtiger Konsumpraxen und die hieraus entstehenden Merkmale des heutigen Konsumsubjekts nachvollziehen zu können, müssen die allgemeinen Konsumdispositionen von Individuen der Gegenwartsgesellschaft nachgezeichnet werden. Sie prägen nachhaltig das Erscheinungsbild des gegenwärtigen Konsums und somit auch die daraus resultierende Subjektbildung. Wie bereits zu Beginn des Kapitels 4 erwähnt, handelt es sich heute beim Akt des Konsumierens nicht um einen rein rationalen und lebensnotwendigen Verbrauch von Waren. Auf Grundlage der zuvor skizzierten gesamtgesellschaftlichen Entwicklung von Konsummotiven und -praxen manifestiert sich etwa ab den 1970er Jahren eine Konsumhaltung, die stark von den in Kapitel 4.2 dargestellten ästhetischen Gegenbewegungen zum Konsumverständnis des Bürgertums geprägt wurde. Durch die sich vor allem in der Romantik und der künstlerischen Avantgarde-Bewegung konstituierende Introspektive der Subjekte und die sich insbesondere seit der Counter Culture der 1960er und 1970er Jahre kontinuierlich entwickelnde Ästhetisierung und Selbsttilisierung des Konsumsubjekts, entsteht in der gegenwärtigen Konsumkultur eine neue Erwartungshaltung gegenüber Konsumobjekten. Ihr Nutzen wird nicht mehr nur im Lebenserhalt oder in der Anzeige des eigenen sozialen Status (Distinktion) gesehen. Vor allem die individuelle Selbstentfaltung wird nun zu einem prägnanten Konsummotiv, das Subjektivierungsprozesse nachhaltig vorantreibt. Die Konsumenten hegen also eine spezifische Erwartungshaltung gegenüber Konsumobjekten, die Dominik Schrage als „konsumistisches Weltverhältnis“116 bezeichnet. Mit diesem Terminus beschreibt er die Einstellung, welche konsumierende Subjekte zur marktförmigen Welt einnehmen. Das konsumistische Weltverhältnis verweist also auf die Erwerbsmotive der Konsumenten, die in der Erwartung von steigerbaren Glückserfahrungen und Selbstentfaltungsmöglichkeiten liegen: „Die konsumistische Disposition kann […] als ein Verhältnis bezeichnet werden, das die Welt weder durch den Bezug auf Sitten oder traditionelle Ordnung, noch auf Religion oder kodifizierte Moralität, noch auf fixierbare anthropologische Bestände oder Bedürfnislagen, noch auf eine Autonomie des Ästhetischen erschließt. Konsumismus ist ein Welt-
116 Z.B. Schrage (2009), S. 125.
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verhältnis, für das die Aneignung von Konsumobjekten einerseits im Kontext einer situativ bestimmten, immanenten Glückserwartung geschieht: Sie richtet sich nicht primär auf die materiellen Eigenschaften dieser Objekte, sondern nutzt sie als Medium der Emotionserzeugung. Dieses Weltverhältnis ist dabei andererseits auf den Konsumgütermarkt bezogen, der als Erfahrungsraum und Erwartungshorizont fungiert.“ 117
Das konsumistische Weltverhältnis kann somit als Voraussetzung für gegenwärtige Konsumhandlungen angesehen werden, wobei der Konsum selbst als „Medium einer selbsttätig betriebenen und steigerbaren Selbstentfaltung“ 118 fungiert. Mit Hilfe des Konsums soll also nicht nur das eigene Selbst ausgedrückt und gestaltet werden, die hierbei erfahrenen Emotionen und Selbstverwirklichungsmöglichkeiten zielen auf eine permanente Steigerungslogik ab, die sich an dem bis dahin noch nicht Möglichem orientiert und dieses zur Zielperspektive werden lässt. Die sich hieraus entwickelnde Steigerungsdynamik ist ein spezielles Merkmal gegenwärtiger Konsumpraxen. Denn während Konsummotive wie Hedonismus oder Distinktion, bereits im 17. Jahrhundert existierten, ist die beschriebene Erwartungsentgrenzung beim Konsumieren als der fundamentale Motor für heutige Konsumhandlungen zu verstehen. 119 Vor diesem Hintergrund geht der Ansatz des konsumistischen Weltverhältnisses über einen rein ökonomischen Erklärungsansatz für Konsumentscheidungen hinaus, welcher lediglich nutzenmaximierende Kalküle als Erklärung für entsprechende Entscheidungsfindungen heranzieht. Die stetige konsumistische Steigerungsdynamik, die in diesem Weltverhältnis verankert ist, erklärt im Gegensatz zu solchen Nutzenansätzen auch die permanente Veränderbarkeit von Konsumpräferenzen des Konsumsubjekts der Gegenwart: „Sieht man den Erweis von nutzenmaximierenden Kalkülen als zureichende Erklärung solcher Phänomene an, so wird der Kaufwunsch auf ein Set von ‚Präferenzen‘ abgebildet, die der Psyche des Käufers inhärent sind; damit wird die für den modernen Konsum entscheidende Dynamik der permanenten Steigerbarkeit und damit Veränderbarkeit eben dieser ‚Präferenzen‘ verkannt.“120
Die im Kontext dieser konsumistischen Perspektive entstehenden kontingenten Konsummöglichkeiten bergen, Schrages Ausführungen zufolge, nicht das Risiko von Anomie – also von einer auf Möglichkeitsentgrenzungen basierenden ge117 Schrage (2009), S. 126. 118 Schrage (2009), S. 128. 119 Vgl. Schrage (2003), S. 73. 120 Ebd.
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störten Sozialordnung121 – sondern lassen den Konsum vielmehr unhintergehbar und attraktiv erscheinen.122 Zudem wirken sich die durch Kontingenz geprägten Konsumpraxen der Gegenwart auch stabilisierend und vergesellschaftend aus, da sie über integrative Eigenschaften verfügen. Hierbei zeichnet sich die konsumbasierte Integration der Gegenwart dadurch aus, dass Individuen nicht mehr – wie beispielsweise in der früheren Angestelltenkultur – durch normative Konsumvorgaben in eine soziale Ordnung integriert werden, sondern vielmehr durch die Konstitution von Konsummöglichkeiten bei gleichzeitiger Entgrenzung der Konsumerwartungen.123 In diesem Zusammenhang entwickeln sich die entgrenzten Erwartungen der Konsumenten zu einer fundamentalen Komponente der sozialen Wirklichkeit und wirken dabei konstitutiv auf soziale Bindungen.124 Dabei liegt die Vergesellschaftungsfunktion des Konsums darin begründet, dass er die Konsumerwartungen der Einzelnen kommunizierbar und gesellschaftlich anschlussfähig macht.125 Dominik Schrage bezeichnet diese ‚neue‘ Art der konsumbasierten Integration in Anlehnung an Hans Paul Bahrdt126 als eine unvollständige Integration. Ihre Unvollständigkeit wird hierbei mit der Freiheit der Konsumenten begründet, Waren und Dienstleistungen größtenteils nach eigenem Ermessen auswählen zu können. Jene bewegen sich also mit ihren flexiblen Entscheidungsmöglichkeiten innerhalb eines strukturellen Verhaltensspielraums, anstatt durch normative Verhaltensvorgaben vollständig in eine geschlossene Sozialordnung integriert zu werden.127 Die gesellschaftliche Stabilisierungsleistung des Konsums basiert damit nicht mehr auf kulturellen Normen, die das Indviduum vollständig in die Gesellschaft integrieren, sondern auf individuellen Dispositionen: „Prägt sich eine normative Integration in ‚geschlossene Sozialsysteme‘ gewissermaßen vollständig von außen auf und bleibt statisch oder begrenzend, so ermöglicht eine derartige, strukturell von normativen Vorgaben entkoppelte Disposition eine weit lockerere, da rein formale Bindung; ein wichtiges Stabilisierungselement erscheint somit als dem ge-
121 Weitere Ausführungen zur Kontingenz- und Anomieproblematik befinden sich in Kapitel 3.2.1. 122 Vgl. Schrage (2009), S. 252. 123 Vgl. Schrage (2006), S. 442. 124 Vgl. Schrage (2003), S. 69. 125 Vgl. Schrage (2006), S. 443. 126 Vgl. Bahrdt (1961), S. 36-68. 127 Vgl. Schrage (2006), S. 442.
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sellschaftlichen Normenbestand ausgelagert in eine individuelle Disposition, die Integration in ihrer Autonomie sicherstellt.“128
Damit unterscheidet sich das vorherrschende Integrationsprinzip gegenwärtiger Konsumpraxen von dem Integrationsverständnis, das beispielsweise Emile Durkheim in seinen Arbeiten vertritt. Es basiert nicht auf der Integration durch die Befolgung von Normen und Werten, sondern verweist „auf das schiere Bezogensein der Individuen auf ein Gemeinsames“ 129. Beim Konsumieren konkretisiert sich dieser gemeinsame Bezug im Marktgeschehen sowie in einer begehrenslogischen Steigerungserwartung. Die an der permanenten Steigerungsfähigkeit ausgerichtete Form der Selbstentfaltung, welche beim Konsumieren anvisiert wird, basiert – wie bereits in Kapitel 4.1 erläutert – auf der Fähigkeit des Individuums, seine eigenen Bedürfnisse zu kennen und diese mit Hilfe von selbstständigen (Kauf-) Entscheidungsprozessen bestmöglich zu befriedigen. Denn die hierbei ablaufenden Reflexions- und Auswahlprozesse ermöglichen erst die Entfaltung des eigenen Selbst.130 Letztere vollzieht sich auf Basis individualästhetischer Selbstpraktiken. Jeder Einzelne muss seinen ganz individuellen Stil kreieren und sich weniger der großen Masse anpassen. Das individualästhetische Konsumsubjekt kann vor diesem Hintergrund als selbstexperimentell charakterisiert werden. Es trainiert kontinuierlich seinen experimentellen Umgang mit den unterschiedlichsten Konsumobjekten, die es mit verschiedenen Vorstellungen und Bedeutungen auflädt. „Das Konsumsubjekt erwirbt […] semiotische, elektive, libidinöse und imaginative Dispositionen: Es versieht Dinge und Ereignisse mit Bedeutungen jenseits ihres Nutzwertes, besetzt diese Bedeutungen libidinös und zieht Genuss aus ihrer sinnlichen Aneignung, die eine kalkulatorische Abwägung zwischen Optionen voraussetzt.“131
Durch den Erwerb der entsprechenden „symbolisch und affektiv aufgeladenen Objekte“132, erhofft es sich dabei, sein eigenes Selbst in Richtung eines IdealIchs zu verwandeln oder zu festigen.133 Dabei geht es weniger um die materiellen Qualitäten der verschiedenen Konsumobjekte, sondern vielmehr um die Bedeu128 Schrage (2003), S. 70. 129 Schrage (2006), S. 442. 130 Vgl. Schrage (2009), S. 253. 131 Reckwitz (2006 a), S. 559. 132 Reckwitz (2006 b), S. 425. 133 Vgl. Reckwitz (2006b), S. 424 f.
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tung, mit denen sie aufgeladen werden.134 Der virtuose Umgang mit entsprechenden semiotischen Kompetenzen stellt, in Verbindung mit einer stetigen Hinterfragung der Bedeutungen der eigenen Konsumwünsche, die Voraussetzung für das Erzielen konsumbezogener „körperlich-mental-affektive[r] Zustände“135 dar, die eine ‚optimal experience‘ (das innere Erleben libidnös besetzter Erlebnisse) bei dem Konsumenten erzeugen, welche in weiteren Konsumakten wiederholt und weiter ausgebaut wird.136 Dieses automatisierte Vorgehen ermöglicht es dem Subjekt nicht nur, routinierte Konsumentscheidungen zu treffen, sondern auch einen individuellen (Konsum-)Stil zu kreieren137 und dabei Konsumobjekte gezielt als Medium zur Erzeugung von Emotionen zu verwenden.138 Vor diesem Hintergrund werden bei der Auswahl von Konsumobjekten zwei verschiedene Hauptauswahlkriterien berücksichtigt. Das eine Auswahlkriterium bezieht sich auf die semiotisch-sinnlichen Potenziale von Konsumgütern. Das konsumierende Subjekt achtet bei Auswahlprozessen darauf, ob die entsprechenden Waren und Dienstleistungen ihm eine „semiotisch-sinnliche Anregung“139 in Aussicht stellen. Es fragt also danach, ob sie ihn nicht nur aufgrund ihrer materiellen Objektbeschaffenheit anregen, sondern ihn auch auf einer sinnlichen Bedeutungsebene ansprechen. Um eine solche „semiotisch-sinnliche Anregung“140 durch ein Konsumobjekt erfahren zu können, muss der Einzelne zunächst dessen verschiedene sinnlichen Bedeutungsgehalte auf Basis seiner individuellen Erfahrungen, Bedürfnisse und Erwartungen dechiffrieren. Ein solcher spielerischer und experimentell ablaufender Prozess, ermöglicht schließlich den Zugang zu den psychophysischen Erlebnisgehalten verschiedener Konsumobjekte.141 „Idealerweise besteht die ästhetische Qualität der Konsumobjekte nicht nur darin, handlungsentlastendes Erleben zu offerieren, sondern darüber hinaus dem Konsumsubjekt Erfahrungen, im Extrem Grenzerfahrungen im Umgang mit sich selbst zu verschaffen – etwa
134 Vgl. Bublitz (2005), S. 131 und Baudrillard (1991), S. 244 ff. 135 Reckwitz (2006a), S. 556. 136 Vgl. ebd. den Begriff der ‚optimal experience‘ entnimmt Reckwitz den Ausführungen von Csikszentmihalyi (1990). 137 Vgl. ebd. 138 Vgl. hierzu die Ausführungen zum modernen Hedonismus auf S. 106. 139 Reckwitz (2006a), S. 561. 140 Ebd. 141 Vgl. ebd.
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beim Abenteuerurlaub –, in denen sich die sinnlich-semiotischen Spielräume des Ichs in der Herausforderung durch die Objekte potenzieren.“142
Die zweite Wahlkategorie bei konsumbezogenen Auswahlprozessen bezieht sich auf die Verwendbarkeit von Waren und Dienstleistungen für die Darstellung und Inszenierung der eigenen Subjektivität. Ziel ist es hierbei, einen individuellen Stil zu kreieren, der mit Hilfe von Konsumobjekten anzeigt, wie man sich selbst sieht beziehungsweise wie das Ideal-Ich der eigenen Person aussieht. Dieses Ideal-Ich verkörpert in diesem Zusammenhang die authentische Subjektivität eines Individuums, welches seine eigene Besonderheit genießt und diese mit Hilfe von Kleidung, Freizeitbeschäftigungen, Einrichtungsgegenständen etc. nach außen hin darstellt.143 Um hierbei den oben genannten Authentizitätsanforderungen gerecht zu werden, muss jeder Einzelne sein Konsumverhalten so gestalten, dass die erworbenen Produkte ein Passungsgefühl bei ihm in Bezug auf seine Selbstsicht erzeugen. Nur so ist die Entfaltung des eigenen Selbst und das Erleben einer ‚optimal experience‘ möglich. Darüber hinaus müssen die ausgewählten Konsumobjekte den Käufer als eine individuelle Persönlichkeit mit spezifischen Eigenarten und einer sichtbaren Differenz zu anderen ausweisen und ihm so die Möglichkeit geben, seiner Einzigartigkeit Ausdruck zu verleihen. 144 Die Gestaltung eines individuellen Stils mit Hilfe von Konsumobjekten kann vor diesem Hintergrund, in Anlehnung an Foucault, als eine kollektiv wirksame Selbsttechnologie verstanden werden145, die einen grundlegenden Baustein im Prozess der Subjektkonstitution darstellt und gesellschaftsweit als eine virtuos zu beherrschende Subjektivierungskompetenz vorausgesetzt wird. Sollte ein Individuum diese Selbsttechnologie nicht beherrschen und keine individuelle Selbststilisierung durchführen können, muss es mit negativen gesellschaftlichen Konsequenzen, wie zum Beispiel dem Ausschluss aus bestimmten sozialen Gruppen, rechnen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Individualstil einer Person keine Schnittmengen mit den Stilen anderer Subjekte aufweisen darf. Er muss lediglich über verschiedene individuelle Nuancen verfügen.146 Hierbei kann jeder Einzelne seinen persönlichen Stil tentativ aus verschiedenen Elementen von expressiven Stilen anderer Individuen zusammensetzen und diese miteinander so kombinieren, dass das neu entstehende Arrangement seinem subjektiven Selbst142 Ebd. 143 Vgl. Reckwitz (2006a), S. 562. 144 Vgl. Reckwitz (2006a), S. 563. 145 Ausführliche Ausführungen zu Selbsttechnologien nach Michel Foucault befinden sich in Kapitel 2.2.2. 146 Vgl. Reckwitz (2006a), S. 562.
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gefühl entspricht. Der individualästhetische Stil von Konsumsubjekten der Gegenwart entspricht demnach nicht der neoavantgardistischen Ambition, etwas vollständig Neues zu kreieren147, sondern basiert eher auf Variationen und Ausweitung bereits existierender Stilelemente.148 Seit den 1970er/1980er Jahren reagiert zunehmend auch die Produktionsseite auf den Trend des individualästhetischen Konsumierens. Um den Konsumenten vielfältigere Selbstentfaltungsmöglichkeiten mit Hilfe von Gütern und Dienstleistungen zu offerieren und ihnen somit mögliche Begehrensobjekte in Aussicht zu stellen, werden nicht nur zahlreiche Produkte flexibel spezialisiert, sondern zugleich die Innovationszyklen in der Produktion beschleunigt. Auf diese Weise wird der nun ausdifferenzierteren Käufermasse ein breiteres und gleichzeitig tieferes Warenangebot zur Befriedigung ihrer individuellen Bedürfnisse zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig boomt seit dieser Zeit auch der Markt für immaterielle Konsumgüter, wie Unterhaltungsevents, Erlebnisgastronomie oder dem Individualtourismus etc. – Produkte, die sich sowohl im besonderen Maße zur individuellen Aufladung mit persönlichen Bedeutungen eignen als auch sinnliche Erlebnisse schaffen, die den Konsumenten die Möglichkeit einer ‚optimal experience‘ ermöglichen. In diesem Zusammenhang dienen die verschiedenen Waren somit insbesondere als eine Möglichkeit der Emotionserzeugung. 149 Auf Basis dieser sich gegenseitig vorantreibenden Kombination von den Konsumangeboten der Industrie und den Konsumanforderungen der Individuen manifestiert sich schließlich ein individualästhetischer Konsumhabitus, der für die gegenwärtige Subjektkultur kennzeichnend ist.150 Trotz der nach innen gerichteten Perspektive der einzelnen Subjekte beim Konsumieren und der für die verschiedenen Subjekte notwendigen Differenzmarkierungen zu anderen Individuen, bleibt die Gestaltung des eigenen Stils dennoch ein sozialer Akt, auf den andere Gesellschaftsmitglieder teilweise Einfluss nehmen. Denn obwohl es sich bei dem gegenwärtigen Konsum, wie gerade beschrieben, um einen individualästhetischen Prozess handelt, muss jeder Einzelne gleichzeitig auch der Umwelt seine authentische und individuelle Persönlichkeit demonstrieren, um gesellschaftlich akzeptiert und anerkannt zu werden. Die individuelle Gestaltung des eigenen Stils wird so zwar nicht von außen durch strikte Regeln und Richtlinien gelenkt, aber zumindest teilweise durch den Imperativ 147 Weitere Ausführungen zu den Zielsetzungen der künstlerischen AvantgardeBewegung siehe S. 106 f. 148 Vgl. Reckwitz (2006a), S. 564. 149 Vgl. Reckwitz (2006a), S.558 f. 150 Vgl. Reckwitz (2006a), S. 558.
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der gesellschaftlichen Anschlussfähigkeit begrenzt.151 Hierbei laufen flexible Normalisierungsprozesse ab, wie sie bereits in Kapitel 3.2.3 beschrieben wurden. Das Individuum sieht sich vor die Aufgabe gestellt, seinen individuellen Stil im Rahmen eines relativ weiten Normalitätsfeldes zu inszenieren, wobei es aber nicht die Normalitätsgrenzen dieses Feldes überschreiten darf, wenn es sozial akzeptiert werden will. Innerhalb des Normalbereichs muss es dann seine individuelle Nische finden und sich von den anderen Subjekten unterscheiden. Dabei reicht es nicht aus, lediglich anders zu sein als das Umfeld. Die Andersartigkeit muss von der Umwelt auch als authentisch wahrgenommen werden, weil sie ansonsten als reine Maskerade abgewertet und damit gesellschaftlich nicht akzeptiert werden würde. In diesem Kontext stellt Andreas Reckwitz zusammenfassend fest, dass sich das gegenwärtige Konsumsubjekt sowohl im Rahmen eines ästhetischen als auch eines ökonomischen Codes konstituiert. Während der ästhetische Code auf die zuvor dargestellten individualästhetischen Prozesse der konsumbasierten Subjektbildung verweist, bezieht sich der ökonomische Code auf die gerade erläuterten intersubjektiven Facetten der ästhetischen Selbsttilisierung. Unter Berücksichtigung der oben erläuterten sozialen Anschlussfähigkeit seines durch bewusste Konsumentscheidungen gebildeten Individualstils ist es somit nicht nur das Ziel des konsumierenden Subjekts, seinen eigenen Authentizitätsvorstellungen gerecht zu werden, sondern diese Authentizität zudem so zu inszenieren, dass sie von seinem sozialen Umfeld auch akzeptiert und anerkannt wird.152 Die zuvor dargestellte individual-ästhetische Ausrichtung des Konsumsubjekts der Gegenwart ist damit nicht als total zu verstehen. Sie wird von Elementen einer sozialen Anschlussfähigkeit durchzogen, die sich allerdings nicht in vorgegebenen Konsumstandards manifestiert, wie es in Zeiten der Angestelltenkultur der Fall war, sondern in einem flexibel-normalisierten Konsumverhalten, das innerhalb eines gesellschaftlich akzeptierten Spektrums möglicher Konsumoptionen den individuellen und authentischen Stil eines Individuums demonstriert. Das gegenwärtige Konsumsubjekt operiert also innerhalb eines Spannungsfeldes einer konsumistischen Innen- und Außenorientierung. Das Ideal-Ich einer entsprechenden konsumbasierten Subjektbildung ist daher „ein generalisiertes (und zugleich sehr spezifisches) Künstlersubjekt, das nach innen authentisch und selbstexperimentell in Bewegung ist und mit seiner kalkulierten 151 Die Bedingungen für soziale Anschlussfähigkeit können sich dabei in verschiedenen Gesellschaftsmilieus in einem begrenzten Rahmen voneinander unterscheiden. Vgl. zu den unterschiedlichen Konsumeinstellungen in verschiedenen sozialen Gruppen auch die Ausführungen zu den Sinusmillieus® auf S. 98. 152 Vgl. Reckwitz (2006a), S. 563.
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stilistischen performance nach außen die ‚Nachfrage‘ sozialer Aufmerksamkeit auf sich zieht“153. Das konsumierende Subjekt der Gegenwart ist also sowohl ein Subjekt des Wählens (wenn es Konsumobjekte zur Gestaltung eines individuellen Stils und zur Selbstexpression auswählt) als auch des Gewähltwerdens (wenn es auf Basis seiner Selbstinszenierung in einer quasi-marktförmigen Konkurrenzsituation zu anderen Subjekten in Bezug auf seinen Konsumstil als ein besonders anerkennens- und beachtenswertes Subjekt ‚ausgewählt‘ wird). Dabei widersprechen die ästhetisch-expressive und die ökonomisch-konsumtive Kodierung des Konsumsubjekts einander nicht, sondern konstituieren in ihrer Verschränkung den spezifischen Charakter dieses Subjekttyps. 154 Damit der Einzelne eine größtmögliche soziale Anerkennung für seinen individualästhetischen Stil erhalten kann, benötigt er allerdings nicht nur entsprechende Kompetenzen hinsichtlich der individuellen Ausgestaltung seines eigenen Stils. Er muss darüber hinaus auch in der Lage sein, die Aufmerksamkeit anderer Individuen auf sich zu ziehen, um sich überhaupt als kompetentes Konsumsubjekt präsentieren zu können und nicht in der Masse der verschiedenen Konsumenten unterzugehen. Aufmerksamkeit wird daher in der Gegenwartsgesellschaft zu einem fundamentalen und wichtigen Gut, um das die verschiedenen Individuen konkurrieren, so dass bei der Skizzierung der entsprechenden Prozesse von einer „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ 155 gesprochen werden kann.156 Nur wer sich öffentlichkeitswirksam inszeniert und dabei ein 153 Reckwitz (2006a), S. 589. 154 Vgl. Reckwitz (2006a), S. 592. 155 Franck (1998). 156 Vgl. Reichert (2008), S. 60 ff. Ramón Reichert untersucht in diesem Zusammenhang den Einfluss von Social Network Sites und anderen Selbstpräsentationsformen des Web 2.0. Da Inhalte, die auf entsprechenden Online-Plattformen verbreitet werden, eine große Gruppe an Menschen erreichen können, kann auf den ersten Blick davon ausgegangen werden, dass sich die verschiedenen Web 2.0-Angebote besonders gut für die Generierung von Aufmerksamkeit eignen. Reichert stellt in diesem Zusammenhang allerdings fest, dass die entsprechenden Online-Plattformen zwar die „Schwelle zur Öffentlichkeit in erheblichem Maße herab[setzen]“, wodurch eine größere Zielgruppe erreicht werden kann, dass sich aber spezifische Netzwerkknotenpunkte entwickeln, „die dafür sorgen, dass die überwiegende Anzahl von Inhalten wenig Aufmerksamkeit erhält, während ein geringer Anteil an im Web bereitgestellten Inhalten vom Publikum stark frequentiert wird“ (Reichert 2008, S. 61). Auch wenn das Web 2.0 also neue Möglichkeiten der Aufmerksamkeitsgenese offeriert, bleibt auch in der virtuellen Welt der Kampf um Aufmerksamkeit eine Aufgabe, die Kreativität, Eigeninitiative und das Absetzen von der Masse notwendig werden lässt.
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individuelles, kreatives und authentisches Profil seiner selbst präsentiert, erhält Aufmerksamkeit durch andere Individuen und schließlich gesellschaftliche Akzeptanz und Anerkennung. Um vor diesem Hintergrund das eigene individuelle Profil sozial erfolgreich inszenieren zu können, müssen – wie bereits erläutert – Objekte konsumiert werden, welche es dem Konsumenten ermöglichen, einen individualästhetischen Stil zu entwickeln, der zwar gesellschaftlich anschlussfähig, aber dennoch authentisch und einzigartig ist und somit als ein Alleinstellungsmerkmal fungieren kann. In diesem Zusammenhang erscheinen typische Distinktionsprodukte, wie Statussymbole, Kleidungsstile einer spezifischen sozialen Gruppe etc. zunächst als kontraproduktiv, da sie ja gerade kein Individualitätsmerkmal, sondern ein kollektiv verwendetes Symbol zur Anzeige einer bestimmten Gruppenzugehörigkeit darstellen. Dennoch lässt sich schon bei einem flüchtigen Blick auf die Konsumpräferenzen und Konsumbewertungen verschiedenster Individuen feststellen, dass entsprechenden Produkten häufig ein hoher Stellenwert bei der Ausstaffierung und Bewertung von (Konsum-)Stilen zukommt. Gerade die Demonstration von spezifischen Gruppenzugehörigkeiten oder von finanzieller Liquidität wird von vielen Konsumenten bei der Kreation ihres eigenen Stils genossen und von vielen anderen Individuen geachtet und somit als positiv eingestuft. Distinktion spielt also auch bei gegenwärtigen Konsumpraxen eine wichtige Rolle. Sie ermöglicht dem Konsumenten im Rahmen der intersubjektiv-ökonomischen Subjektkodierung nicht nur das Erreichen gesellschaftlicher Anerkennung, sondern darüber hinaus auch ein Genussempfinden über eben diese Wertschätzung (oder auch Bewunderung). Ein weiteres emotionales Genusspotenzial offerieren Distinktionsgüter zudem im Rahmen der ästhetisch-semiotischen Kodierung, wenn der Konsument, aufgrund ihrer semiotisch-sinnlichen Aufladung bei ihrem Erwerb beziehungsweise bei der späteren Benutzung oder Betrachtung eines entsprechenden Gutes, Emotionen wie Freude oder Stolz etc. empfindet. Ein solcher emotionaler Mehrwert von Distinktionsgütern ist insbesondere dann hoch, wenn es sich bei dem entsprechenden Konsumobjekt um eine knappe Ressource handelt, die beispielsweise nur mittels eines hohen finanziellen oder organisatorischen Aufwands erworben werden kann. In solchen Fällen kann der Erwerb des Objektes der Begierde als regelrechtes Glückserlebnis wahrgenommen werden. Wenn man zum Beispiel nach langer Zeit des Sparens endlich die Schlüssel zu seinem neuen Sportwagen überreicht bekommt oder nach monatelanger Suche schließlich das nur schwer zu erstehende Kunstwerk des bereits verstorbenen Lieblingsmalers in Empfang nimmt, erhält dieser Akt des Erwerbens ein emotio-
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nales Genusspotenzial, das über die reine Freude einer ‚gewöhnlichen‘ Anschaffung hinausgeht.157 Ein solcher emotionaler Zusatznutzen kann darüber hinaus auch dann besonders hoch sein, wenn der Konsument das erworbene Distinktionsgut besonders geschickt mit anderen Objekten kombinieren kann. So kann die neu erworbene Handtasche vom Luxus-Designer insbesondere dann einen starken emotionalen Zusatznutzen erhalten, wenn sie stilsicher in die verschiedenen Outfits eines Konsumenten integriert werden kann. Durch die gelungene individuelle Kombination mit anderen Konsumobjekten verliert sie den Status eines reinen oberflächlichen Prestigeobjekts und wird zu einem Ausdruckselement eines individualästhetischen Stils. Eine solche gelungene Implementierung von kollektiven Distinktionsgütern in individuelle Stilkombinationen, stellt dem Individuum nicht nur die Anerkennung des sozialen Umfelds in Aussicht, sondern wird als erfolgreiche persönliche Eigenleistung auch an sich genossen. Im Kontext der individualästhetischen konsumbasierten Subjektkonstitution sind also auch Distinktionsgüter, trotz ihrer kollektiven Symbolhaftigkeit und Relevanz, von großer Bedeutung. Sie dienen der Sicherung und Demonstration der eigenen sozialen Stellung beziehungsweise Akzeptanz und fungieren zudem als Mittel zur Erzeugung emotionaler Genüsse. Das heißt allerdings nicht, dass die Beschreibung des vom Individuum zu kreierenden einzigartigen Individualstils dadurch ad absurdum geführt werden würde. Um mit Hilfe von spezifischen Distinktionsgütern die Anerkennung anderer Subjekte erhalten zu können, ist es wichtig, dass sich diese kollektiv als Statussymbole verstandenen Güter einerseits, wie soeben beschrieben, in den individuellen Stil eines Konsumenten integrieren lassen. Sie müssen mit den anderen individualästhetischen Konsumobjekten eines Individuums zu einem authentischen Gesamtstil verschmolzen werden und dürfen nicht dem Selbstbild einer Person entgegenstehen. Andererseits dürfen typische Prestigeprodukte aber auch nur einzelne Accessoires im Gesamtbild des sonst individuellen Stils des Konsumsubjekts bleiben. Nehmen entsprechende Produkterwerbungen überhand, birgt dies die Gefahr negativer Imagekonsequenzen, da ein solches Verhalten von anderen Individuen schnell als nicht authentische und oberflächliche Prahlerei abgewertet werden könnte, die nicht mit einem individuellen Konsumstil in Verbindung gebracht würde. Bei den Distinktionsobjekten muss es sich allerdings nicht zwangsläufig um kostspielige Luxusgüter handeln. Auch der Konsum von preisgünstiger standardisierter Massenware kann für distinktive Zwecke verwendet werden, wenn man 157 Dieser emotionale Zusatznutzen kann sich allerdings nur beim Erwerb von Gütern einstellen, die als – kollektiv oder gruppenspezifisch – begehrenswerte Objekte erscheinen, wie es bei Distinktionsgütern in der Regel der Fall ist.
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sich beispielsweise bewusst von sozialen Gruppen abgrenzen möchte, die hochpreisige Luxusgüter konsumieren. Der Konsum standardisierter und massenhaft vertriebener Produkte erscheint auf den ersten Blick noch weniger dafür geeignet zu sein, einen sozial akzeptierten und sinnlich-semiotisch genießbaren Individualstil zu kreieren, als dies bei den zuvor beschriebenen luxusorientierten Distinktionsprodukten zunächst der Fall zu sein scheint. Noch offensichtlicher scheint ihre massenhafte Distribution einem individuellen Konsumstil im Weg zu stehen. Trotzdem finden sich preisgünstige standardisierte Massenprodukte, wie zum Beispiel IKEA-Waren, in zahlreichen Wohnungen und Häusern wieder und werden dort nicht etwa schamhaft verborgen, sondern gehören, gerade bei jungen Erwachsenen, zum typischen Erscheinungsbild von Inneneinrichtungen. Der enorme Erfolg des hier gewählten Beispiels IKEA lässt sich nicht nur durch die funktionale Produktgestaltung und die Niedrigpreispolitik des Unternehmens erklären. Besonders das durch diverse Marketingaktionen langfristig gestaltete Markenimage hat inzwischen eine große brand community158 hervorgebracht, wodurch auch die IKEA-Massenware zu einem Distinktionsmittel geworden ist. Sie wird allerdings gerade nicht als luxuriöses Statussymbol aufgefasst, sondern vielmehr als ein Kollektivsymbol für junge Menschen und Familien, die Wert auf Nachhaltigkeit, Ästhetik und Funktionalität legen und sich bewusst von überteuerten Luxusgütern abgrenzen möchten. Da IKEA-Waren inzwischen in zahlreichen Haushalten zu finden sind und eine große brand community die Werte des Unternehmenskonzepts teilt, kann der Besitz von IKEA-Produkten in den entsprechenden sozialen Gruppen als Distinktionssymbol intersubjektive Anerkennung ermöglichen. Neben dem Genießen dieser sozialen Wertschätzung, können IKEA-Möbel oder andere standardisierte Massenwaren auf semiotischsinnlicher Ebene zudem Genuss beziehungsweise Wohlbefinden beim Konsumenten auslösen, indem sie in der durch Kontingenz geprägten Gegenwartsgesellschaft159 Erfahrungen der Kontinuität ermöglichen. Wenn beispielsweise berufliche Anforderungen von einem Individuum verlangen, den Wohnort zu wechseln, können die wohlbekannten und vertrauten IKEA-Möbel in der neuen Umgebung ein wiederkehrendes Element darstellen und auf diese Weise eine positive Empfindung von Beständigkeit in einer sich permanent wandelnden Welt hervorrufen. Darüber hinaus können entsprechende Produkte auch die Kontingenz bezüglich der Produktauswahl begrenzen. So kann die Popularität von IKEA158 Zu den konsumsoziologischen Funktionen von Marken und Brand Communities vgl. Hellmann (2013). 159 Weitere Ausführungen zu den Kontingenzstrukturen der Gegenwartsgesellschaft befinden sich in Kapitel 3.2.1.
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Produkten zum Beispiel von potenziellen Neukunden als Indiz für die Kundenzufriedenheit und somit für ein gutes Preis-Leistungsverhältnis aufgefasst werden und somit deren Konsumentscheidungen erleichtern. Eine solche kontingenzbegrenzende Entscheidungshilfe kann aber auch aufgrund der für Massenproduktion typischen Produktreihen erfolgen: Wenn man in seinem Schlafzimmer beispielsweise schon ein Bett der Ikea-Serie „Malm“ mit dazu passenden Nachtschränken stehen hat und mit diesen zufrieden ist, wird man mit großer Wahrscheinlichkeit bei einem späteren Kauf einer Schlafzimmer-Kommode auch zu einer Malm-Variante greifen, weil die positiven Erfahrungen, die mit den bereits erworbenen Produkten gemacht wurden, auf die noch zu erstehende Kommode übertragen werden. Standardisierte Massenprodukte können somit als Mittel der Kontingenzbegrenzung fungieren und damit Kaufentscheidungen vereinfachen und Kontinuitätserfahrungen offerieren. Sie übernehmen in diesem Zusammenhang ähnliche Funktionen, wie Produkte des von David Riesman untersuchten Standardpakets der nordamerikanischen Mittelschicht der 1950er Jahre. Riesman analysiert in seinem Essay Laufbahnen und Konsumverhalten160 die gesellschaftliche Funktion des Konsums mit Blick auf die Objektwelt der Konsumgüter. Darüber hinaus stellt er die soziale und biographische Einbettung des Objektgebrauchs in den Vordergrund. In diesem Zusammenhang führt Riesman den Begriff des Standardpakets ein, das ein Set von verfügbaren Gegenständen beschreibt, die in den Alltag des Konsumenten eingebunden sind und die von der amerikanischen Mittelschicht der 1950er Jahre allgemein als unverzichtbar angesehen wurden. Sie waren daher fest in den Alltag der Konsumenten integriert. Als Beispiele für Güter des Standardpakets nennt Riesman den Kühlschrank, TV, Auto, Eigenheim sowie Nahrungsmittel- und Kleidungsmarken.161 Das Standardpaket strukturiert in diesem Zusammenhang nachhaltig den Alltag der Konsumenten und fungiert als Organisationsprinzip, bei dem die verschiedenen Konsumobjekte in Bezug zur sozialen Position eines Individuums gesetzt werden.162 IKEA-Möbeln und anderen Massenprodukten kommt auch heute noch eine ähnliche strukturierende und kontingenzbegrenzende Funktion zu. Standartisierte Massengüter spielen also, ebenso wie die zuvor beschriebenen luxusorientierten Distinktionsprodukte, in gegenwärtigen Konsumpraxen eine prägnante Rolle. Damit die verschiedenen Konsumenten aber einen individuell stimmigen und gesellschaftlich anerkannten Konsumstil kreieren können, müssen sie auch hier darauf achten, dass die entsprechenden Standardprodukte ihren authentischen Stil unterstützen und nicht gefährden und dass sie diese nur in 160 Vgl. Riesman (1973). 161 Vgl. Riesman (1973), S. 19. 162 Vgl. Schrage (2009), S. 155.
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einem begrenzten Rahmen konsumieren. Nur so können sie mit Hilfe dieser Produkte einen individualästhetischen Genuss erleben und ihr Selbst authentisch ausdrücken, was ihnen schließlich die Anerkennung der anderen Individuen ermöglicht, die sie wiederum genießen. „Im komplexesten Fall genießt das Konsumsubjekt auf einer ersten Ebene Objekte, es genießt sich zweitens als individuell und stillvoll Genießendes und genießt drittens seine soziale Attraktivität als individuell und stilvoll Genießendes.“163 Das Genussempfinden, das auf diese Weise durch den Erwerb entsprechender Güter und deren Kombination zu einem authentischen Individualstil erzeugt wird, kann zusätzlich durch die Erwerbssituation ausgebaut werden. Im Rahmen des Shoppings avanciert innerhalb von Innenstädten, Warenhäusern und Shoppingmalls der reine Kauf von Produkten zu einem Freizeitvergnügen mit Erlebniswert. In einer Konsumatmosphäre, in der nicht nur die verschiedenen Waren abwechslungsreich und ästhetisch präsentiert werden, sondern auch mit Hilfe von Gastronomie- und Unterhaltungsangeboten sowie mit Gewinnspielen oder anderen Abverkaufsaktionen sinnliche Erlebnisse und Genussempfindungen geschaffen werden, sind nicht nur die verschiedenen Konsumobjekte, sondern das gesamte Kauferlebnis ästhetisiert und mit Emotionen aufgeladen. Seine spezifische Ästhetik erhält das Shopping hierbei durch die verschiedenen sinnlichen Anregungen, die dem Konsumenten offeriert werden. Sie konkretisieren sich in den verschiedenen oben dargestellten Erlebnisangeboten sowie in ausdifferenzierten Produktpaletten und den damit einhergehenden unterschiedlichen Warenstilen, die den Kunden angeboten werden und durch die sich diesen kontingente Möglichkeiten der Selbstexpression anbieten.164 „Die Differenzen ästhetischer Stile sichern die sinnlich-semiotische Abwechslung des Neuen und demonstrieren die Reichhaltigkeit kontingenter Möglichkeiten der Erfahrungen und der Ausstaffierung des Selbst. Sie spannen einen Kontingenzraum von Erlebnis- und Stiloptionen auf, die […] als ersetzbare und kombinierbare Stilelemente wahrgenommen werden.“165
Auch die spezifische Warenästhetik von Produkten ist Teil dieses sinnlichen Erlebnisses. Sie wird von den Anbietern der Waren dazu verwendet, möglichst viele Kaufakte zu produzieren. Denn da sich Produkte in der pluralisierten Warenwert nicht immer auf Basis von Qualitätsmerkmalen von anderen Konkurrenzprodukten abgrenzen können (eine entsprechende Abgrenzung kann z.B. zu 163 Reckwitz (2006a), S. 563, [Herv. i.O.]. 164 Vgl. Reckwitz (2006a), S. 559 f. 165 Reckwitz (2006a), S. 560.
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kostenintensiv aufgrund von höheren Produktions- oder benötigten Forschungskosten sein oder aber technisch nicht möglich sein, wenn beispielsweise ein Produkt, wie Butter oder Mineralwasser vertrieben werden soll, bei dem eine qualitative Ausdifferenzierung schwierig oder gar nicht möglich ist), versuchen viele Anbieter über das äußere Erscheinungsbild der Waren einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Der reine Gebrauchswert der verschiedenen Güter tritt dabei in den Hintergrund.166 Auch wenn Kritiker wie Wolfgang Haug diese marketingtechnische Fokussierung auf eine reine „Eindruckskonkurrenz“ 167 beim Warenvertrieb und die hierbei teilweise zum Vorschein kommende Überdeckung von Qualitätsmängeln mit Hilfe von Warenästhetik (als ein Beispiel nennt Haug die Einfärbung von Brandwein mit Karamell, um so in kurzer Zeit eine Farbe zu erhalten, die einen längeren Reifeprozess suggeriert) bemängeln und vor diesem Hintergrund den Manipulationscharakter der Warenästhetik proklamieren168, kann jene dennoch im Rahmen des Konsumierens auch positive Effekte auf den Konsumenten ausüben, indem sie ästhetische Genussempfindungen bei diesem auslöst und damit zum Erlebnischarakter des Shoppings beiträgt. Darüber hinaus verführt die ästhetische Oberfläche von Gütern die Konsumenten kontinuierlich dazu, immer weitere verlockende Produkte zu kaufen. In die ästhetische Gestaltung von Waren ist die Verführung der Individuen quasi eingeschrieben.169 Dies wird allerdings in der Regel von den Konsumenten nur selten kritisch betrachtet. In der Regel wird diese Art von Verführung von ihnen vielmehr genossen. Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass aufgrund des sinnlichästhetischen Charakters des Shoppings bei der hier stattfinden Betrachtung von Waren nicht ausschließlich ein selbstexpressiver Kaufakt der Auslöser für den Genuss ist, der am Ende beziehungsweise während eines Shopping-Ausflugs von dem Konsumenten empfunden wird. Auch der Erlebnischarakter des Einkaufens und die spezifische Warenästhetik sowie deren sinnlich-ästhetische Aufladung seitens der konsumierenden Individuen nehmen auf diesen Einfluss. 170 Somit wird deutlich, dass der Genuss des Konsumenten – ähnlich wie bei der bereits erläuterten semiotisch-ästhetischen Aufladung von Produkten zur Selbststilisierung – auf Grundlage von dessen persönlichen Imaginationen, Bedeutungen und Emotionen entsteht, die er mit der Konsumsituation und den verschiedenen Waren verbindet und weniger aufgrund von spezifischen materiellen Produkt- oder 166 Vgl. Haug (1972), S. 26 ff. 167 Haug (1972), S. 41. 168 Vgl. Haug (1972), S. 24. 169 Vgl. ebd. 170 Vgl. ebd.
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Kaufumgebungseigenschaften.171 Letztere dienen lediglich als Auslöser beziehungsweise als Ausgangspunkte für individuelle Vorstellungen und Bedeutungskonstruktionen, die bei dem konsumierenden Subjekt ein Genussempfinden erzeugen.
4.4
ZWISCHENFAZIT
Die Ausführungen dieses Kapitels konnten zeigen, dass Konsum in der westlichen Gegenwartsgesellschaft als ein Medium von Selbsttechnologie im Sinne von Michel Foucault fungiert. Mit seiner Hilfe konstituieren sich in der konsumdurchdrungenen Gesellschaft der Gegenwart flächendeckend spezifische (Konsum-)Subjekte, welche sich mit Hilfe von verschiedensten Konsumgütern selbst entfalten und zugleich vergesellschaftet werden. Entgegen der Ansätze der kritischen Theorie bürdet der postmoderne Konsum den verschiedenen Individuen keine Konformitätszwänge auf und schränkt damit auch nicht ihre Individualität ein. Er treibt vielmehr eine Form der Selbstentfaltung von Subjekten voran, die sich an einer permanenten Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung des eigenen Selbst ausrichtet. Indem die Konsumenten täglich vor eine Vielzahl von Kaufentscheidungen gestellt werden, lässt der Konsum der Gegenwart aktive Selbstthematisierungsprozesse notwendig werden und wirkt auf diese Weise subjektivierend. Ziel des Konsumierens ist in diesem Zusammenhang auch gerade nicht die Erfüllung starrer Werte und Normen, wie es beispielsweise noch in der Angestelltenkultur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Fall war. Auf Basis verschiedener kultureller Gegenbewegungen zur bürgerlichen Konsumkultur, die noch insbesondere von Moral, Rationalität und Mäßigungsgedanken bestimmt war, entwickelte sich bis heute ein Konsumverständnis, das Konsumieren als individualästhetisches Mittel der Selbstexpression auffasst und vor dem Horizont einer steigerbaren Glückserwartung Individuen dazu anregt, ihr Selbst zu thematisieren sowie mit Hilfe von Waren und Dienstleistungen aktiv zu gestalten und nach außen hin zu inszenieren. Bei der Auswahl von Konsumobjekten muss ein Individuum in diesem Zusammenhang allerdings nicht nur darauf achten, dass die entsprechenden Güter und Dienstleistungen sich dazu eigenen, einen Konsumstil zu konstruieren, der das eigene Selbst authentisch in Szene setzt und ästhetische Erlebniswerte in Aussicht stellt. Der kreierte Konsumstil muss auch anschlussfähig an die Erwartungen und Konsumpraxen des sozialen Umfeldes sein. Der Konsument agiert
171 Vgl. Reckwitz (2006a), S. 566.
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also bei konsumbezogenen Auswahlprozessen in einem Spannungsfeld von gesellschaftlicher Anschlussfähigkeit und (ebenfalls sozial geforderter) authentischer individual-ästhetischer Selbstexpression. Angetrieben werden Konsumprozesse dabei insbesondere durch die Aussicht auf ein emotionales Genussempfinden, welches in Anlehnung an Colin Campbell als moderner Hedonismus172 bezeichnet werden kann und das auf der sich ab der Romantik entwickelnden Introspektive von Subjekten fußt.173 Dieses Genussempfinden materialisiert sich, wie in diesem Kapitel ausführlich dargestellt werden konnte, auf vier verschiedenen Ebenen: Erstens auf der Ebene der semiotisch-sinnlich genossenen Konsumobjekte. Zweitens im Rahmen des Genießens der eigenen Person als individuelles und genießendes Konsumsubjekt. Drittens aufgrund des Genusses der eigenen sozialen Attraktivität und viertens auf der Ebene des semiotisch-sinnlichen Einkauferlebnisses, das den Erwerb von Konsumobjekten rahmt und ein zusätzliches Genussempfinden bei dem Konsumenten auslösen kann. Die in diesem Kontext entstehenden Konsumstile sind vor diesem Hintergrund nicht nur Ausdruck von Moden und Trends, sondern vielmehr sowohl Mittel als auch Ergebnis einer aktiv betriebenen individuellen Selbstkonstitution.
172 Vgl. Campbell (1987). 173 Ausführlichere Informationen zu dieser romantischen Selbstschau sowie zum traditionellen und modernen Hedonismus finden sich auf S. 105 f.
5
Konsumistische Kodierung der Selbstentfaltung im Rahmen massenmedialer Unterhaltungsangebote
Um die Subjektivierungsleistungen von Konsuminszenierungen in Unterhaltungsmedien herleiten zu können, sollen in diesem Kapitel die zuvor dargestellten Subjektivierungsansätze sowie die hierbei bedeutsamen medien- und konsumsoziologischen Perspektiven miteinander verschränkt werden. Dafür werden zunächst in aller Kürze die bisherigen Erkenntnisse dieser Studie zusammengefasst. Auf diese Weise werden die wichtigsten Eckpunkte und Verbindungslinien der dargestellten Theorie kenntlich gemacht und so die Zusammenführung der verschiedenen Ansätze nachvollziehbarer gestaltet. Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass sich Subjektivierungsprozesse im Rahmen sozialer Bedingungen vollziehen und von verschiedenen Fremd- und Selbstführungspraxen geprägt sind. In diesem Zusammenhang bilden sich die Subjekte der Gegenwart innerhalb von Vergesellschaftungsprozessen, die sich durch permanente Risiken für die einzelnen Individuen auszeichnen. Diese Risiken ergeben sich dabei aus kontingenten, nicht vorhersehbaren Lebensverhältnissen und aus der Freisetzung der Individuen aus traditionellen Bindungen.1 Dabei ist auch die gleichzeitige gesellschaftliche Anforderung, das eigene Leben unter diesen Bedingungen erfolgreich und flexibel zu managen sowie sich selbst immer wieder möglichst optimal zu präsentieren, ein konstitutiver Aspekt dieser Risiken.2 Die hierbei zu bewältigende Kontingenz bezieht sich dabei nicht nur auf die Handlungsmöglichkeiten von Subjekten. Wie Michael Makropoulos deutlich macht, ist die Gegenwartsgesellschaft von spezifischen Welt- und Selbstverhält-
1
Vgl. Beck (1986), S. 205 ff. oder Beck/Beck-Gernsheim (1994).
2
Vgl. Bröckling (2007).
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nissen geprägt, welche auch die Rahmenbedingungen, innerhalb derer Individuen handeln ( z.B. die Natur, die Ökonomie, der Staat), brüchig werden lassen. Vor diesem Hintergrund wird auch die gesellschaftliche Ordnung als solche kontingent, weshalb die Kontingenzproblematiken der Gegenwart äußerst komplex sind.3 Für die Individuen der Gegenwartsgesellschaft werden daher kontingenzbegrenzende Selbsttechniken im besonderen Maße notwendig. Die entsprechenden Subjektivierungstechniken entwickeln sich im Rahmen neuer Orientierung stiftender Gefüge, wie zum Beispiel massenmedialer Unterhaltungsangebote und Konsumpraxen. Massenmedien offerieren in diesem Kontext vielfältige Applikationsfolien, die von den Rezipienten selbstbezüglich beurteilt werden. Hierbei konstituieren sich Subjekte auf Basis verschiedener Fremd- und Selbstführungstechniken, deren jeweilige Gewichtung in medienwissenschaftlichen Diskursen sehr ambivalent bewertet wird. Vertreter der Frankfurter Schule sehen in massenmedialen Inhalten vor allem ein Disziplinierungsinstrument, also ein Werkzeug zur Fremdführung, mit dessen Hilfe die Rezipienten bewusst manipuliert werden. Ihre Ansichten und Handlungen werden dabei, den Ausführungen der kritischen Theorie zufolge, gezielt in eine Richtung gelenkt, welche die herrschende Hegemonie festigt.4 Andere mediensoziologische Ansätze widersprechen einer solchen Sichtweise und sehen in den medialen Orientierungsimpulsen (auf deren Konstitution die Rezipienten auch selbst einwirken) vielmehr eine Möglichkeit der „Führung zur Selbstführung“5, wie sie Foucault in seinen Ausführungen zur Gouvernementalität thematisiert.6 Sie fokussieren dabei auf medial vermittelte Möglichkeiten des Selbstmanagements und auf die hierbei offerierten Impulse für eine individuelle Subjektkonstitution.7 Verschiedene Vertreter der Cultural Studies verweisen in diesem Zusammenhang häufig auf das aktive Rezeptionsverhalten der Zuschauer. Diese übernehmen – so die These – nicht einfach unhinterfragt die medial inszenierten Wertvorstellungen, Handlungsweisen etc. und übertragen somit diese auch nicht zwangsläufig in ihr Handlungsrepertoire. Vielmehr rezipieren und reflektieren die Rezipienten die dargebotenen Inhalte vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen und Werte und konstruieren schließlich auf Basis dieser Prozesse in-
3
Vgl. z.B. Makropoulos (2008).
4
Vgl. z.B. Horkheimer/Adorno (1987).
5
Lessenich (2003), S. 87.
6
Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 2.2.2.
7
Vgl. z.B. Bröckling (2007), Bublitz (2013), Spreen (2003).
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dividuelle Bedeutungen sowie Bewertungen bezüglich der dargestellten Inhalte. 8 Stuart Hall zeigt vor diesem Hintergrund auf, dass die Bedeutungen, welche die Rezipienten im Rahmen des Medienkonsums dekodieren, zwar deckungsgleich mit den intendierten Sinngehalten der Medienproduzenten sein können, sich aber ebenso gut von diesen teilweise oder vollständig unterscheiden können. Eine solche abweichende Dekodierung der medial vermittelten Zeichen kann sich einerseits darauf zurückführen lassen, dass die rezipierenden Subjekte vor dem Hintergrund ihrer bisherigen Erfahrungen die intendierten Bedeutungen nicht wie von der Produzentenseite beabsichtigt dekodieren können. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass jene meinen, eine von den Produzenten intendierte Lesart dekodiert zu haben und sich daraufhin in ihrer Bedeutungszuschreibung bewusst oppositionell zu dieser positionieren, um gegen die inszenierten Bedeutungen zu protestieren beziehungsweise die dahintersteckenden hegemonialen Strukturen zu schwächen. Es werden hier also bewusst gegensätzliche Interpretationsmöglichkeiten konstruiert.9 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Rezeption von Medieninhalten ein aktiver Prozess ist, der eine gezielte und umfassende mediale Fremdführung von Individuen nahezu unmöglich erscheinen lässt. Zudem können die Rezipienten durch ihren Medienkonsum auch das mediale Angebot beeinflussen, da es für die Produzentenseite nur rentabel ist, Inhalte zu produzieren und auszustrahlen, die von den Zuschauern auch konsumiert werden. Medienproduzenten können ihrerseits hingegen durch ihre Programmgestaltung gezielt bestimmte gesellschaftsrelevante Themen aufwerfen und verfügen damit über das Potenzial, gesellschaftliche Diskurse zu initiieren. Zudem besitzen sie die Möglichkeit, Normalitätsspektren hinsichtlich verschiedener gesellschaftlicher Aspekte zu vermitteln und auf diese Weise die Funktion eines Orientierungsforums für eine flexible kommunikative Normalisierung – und damit für flexible Subjektivierungsprozesse – zu übernehmen. Es wird daher insgesamt deutlich, dass bei der Produktion und Rezeption von Medieninhalten wechselseitige Einflussnahmen von Medienproduzenten und -rezipienten ablaufen und keine einseitige Manipulation der Zuschauer vonseiten der Medienindustrie stattfindet. Massenmediale Inhalte können im Rahmen dieser wechselseitigen Einflussnahme bei Subjektivierungs- und Vergesellschaftungsprozessen sowohl als Instrument der Kontingenzentgrenzung als auch der Kontingenzbegrenzung fungieren. Einerseits offerieren sie den Rezipienten einen Erfahrungsraum, der einen permanent ausdehnbaren Erwartungshorizont inszeniert und diesen somit auch für das reale Leben als möglich und erstrebenswert darstellt. Medieninhalte 8
Vgl. z.B. Fiske (2001).
9
Vgl. Hall (1999), S. 106 ff.
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entgrenzen in diesem Zusammenhang also die Erwartungshaltungen der rezipierenden Individuen durch die Darstellung vielfältiger Handlungsoptionen und Lebensentwürfe sowie durch die medial inszenierte Positivierung dieser Vielfalt. Andererseits begrenzen die Inhalte der Massenmedien aber auch die Kontingenzstrukturen der Gegenwart auf Basis von Sicherheit stiftenden kommunikativen Normalisierungseinflüssen. Denn Medien stellen durch eine entsprechende Inszenierung verschiedener Handlungs- und Lebensmöglichkeiten Normalitätsspektren von den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Wertvorstellungen, Handlungsoptionen, Lebensentwürfen etc. dar. Hierdurch vermitteln sie den Rezipienten einen Eindruck davon, was derzeit gesellschaftlich als ‚normal‘ angesehen wird und was nicht. Die Inszenierung von Normalitätswerten stellt dabei für die rezipierenden Subjekte in der Regel ein handlungsleitendes Instrument für eigene Subjektivierungsprozesse dar, wobei die inszenierten Normalitätsdarstellungen allerdings nicht als starre Normen verstanden werden dürfen, auf deren Befolgung die rezipierenden Subjekte konditioniert werden. Es werden vielmehr flexible Normalitätsfelder inszeniert, in denen sich die Medienrezipienten aktiv selbst verorten und somit ihre zukünftigen Handlungsweisen disponieren können. Bei der medial vermittelten kommunikativen Normalisierung handelt es sich also gerade nicht um ein disziplinierendes Werkzeug, sondern um ein gouvernementales Selbstführungsinstrument, denn durch die Inszenierung von gegenwärtigen gesellschaftlichen Normalitäten offerieren Medien den Rezipienten keine starren Verhaltensanweisungen, sondern umfangreiche Wissensbestände und verschiedene Sinnreservoires, die ein eigenständiges und auf permanente Optimierung ausgerichtetes Selbstmanagement der Zuschauer initiieren beziehungsweise unterstützen. Auch an dieser Stelle wird also erneut deutlich, dass mediale Inhalte weniger als Werkzeug einer manipulierenden Fremdführung begriffen werden können, sondern vielmehr eine Selbstführung der Rezipienten forcieren. Die hierbei zum Tragen kommenden medial vermittelten Sinn- und Bedeutungsreservoires bilden dabei gesamtgesellschaftliche Dispositive aus, die autonome Subjektivierungsprozesse hervorbringen. Diese realisieren sich im Modus einer permanenten Selbstoptimierung, welche insbesondere auf eine individuelle Selbstentfaltung zielt, die sich auf Basis der Umsetzung von medial erschlossenen Möglichkeiten vollzieht. Massenmediale Inhalte fungieren somit nicht nur als Mittel einer kommunikativen Integration einzelner Individuen, sondern bieten darüber hinaus wichtige Impulse für eine technisch-mediale und zugleich
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ökonomische Optimierung des von Bröckling beschriebenen unternehmerischen Selbst der Gegenwart.10 Der moderne Konsum fungiert in diesem Zusammenhang als ein weiteres Werkzeug einer solchen Selbstoptimierung und bringt gleichzeitig weitere Optimierungsfacetten ins Spiel. Das vorangegangene Kapitel hat deutlich gemacht, dass der moderne Konsum – ebenso wie massenmediale Unterhaltungsprodukte – als ein Mittel für eine aktive und individuelle Subjektbildung fungiert. Die subjektivierende Funktion des Konsums liegt dabei in den Selbstthematisierungsprozessen der Konsumenten begründetet, welche bei konsumbezogenen Auswahlentscheidungen notwendig werden. Denn durch die Erosion bürgerlicher Konsumnormen, die sich unter anderem durch die Anpassung an soziale Standards auszeichnen, können sich die Konsumenten der Gegenwartsgesellschaft nicht mehr an kulturell vorgegebenen Konsumnormen orientieren. Vielmehr fungiert der moderne Konsum als ein individualästhetisches Mittel der Selbstexpression und als (vermeintliches) Realisierungswerkzeug einer steigerbaren Glückserwartung im Sinne einer Annäherung an ein Ideal-Ich. Auch die konsumbasierte Subjektkonstitution fußt also – ebenso wie die medienorientierte Subjektivierung – auf einer Optimierungsdynamik, die auf gesellschaftliche Akzeptanz beziehungsweise Anerkennung sowie auf eine (ebenfalls gesellschaftlich geforderte) individuelle Selbstentfaltung zielt: Mit dem Ziel einer immer ausgefeilteren individualästhetischen und sozial anerkannten Selbstperformance und den damit einhergehenden Glückerwartungen sind die (Medien-)Konsumenten der Gegenwart permanent darauf bedacht, ihr Selbst immer differenzierter zu entfalten und gleichzeitig ihre Selbstdarstellung zu perfektionieren. Der Konsum ist hierbei ein effizientes Mittel, um ein entsprechendes Selbstmanagement voranzutreiben und dieses gleichzeitig nach außen hin zu demonstrieren. Dabei erweitert der Konsum die bereits beschriebene medial orientierte Optimierung beziehungsweise Ausgestaltung des eigenen Selbst eines unternehmerischen Subjekts11 um den Aspekt einer individuellen Ästhetik, die durch die konsumierten Objekte eines Individuums zum Ausdruck gebracht wird. Ein erfolgreicher Konsumakt zeichnet sich vor diesem Hintergrund dadurch aus, dass er eine individuelle und zugleich authentische Ästhetik eines konsumierenden Subjekts erschafft beziehungsweise inszeniert, die einerseits vom Konsumenten selbst genossen wird und andererseits von anderen Individuen anerkannt, wenn nicht sogar bewundert wird.
10 Ausführungen zu Ulrich Bröcklings Konzept des unternehmerischen Selbst befinden sich in Kapitel 2.2.3. 11 Vgl. Bröckling (2007).
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Der letztgenannte Aspekt verdeutlicht die intersubjektive Seite der gerade beschriebenen ästhetischen Selbstorientierung der verschiedenen Konsumsubjekte. Denn jene wählen nicht nur Objekte aus, die ihnen einen individuellen authentischen Stil und ein ästhetisches Erleben versprechen, sondern berücksichtigen bei ihren Kaufentscheidungen auch, welche Produkte es ihnen ermöglichen, von anderen Individuen als Subjekt mit einem ganz eigenen Stil und mit Genussfähigkeit anerkannt zu werden. Im Rahmen der konsumbasierten Subjektkonstitution kann also sowohl eine Außenorientierung als auch eine Innenorientierung bei den einzelnen Individuen festgestellt werden. Zusammenfassend kann demnach konstatiert werden, dass sich in der durch Kontingenzstrukturen geprägten gegenwärtigen Konsum- und Mediengesellschaft Subjekte stets im Spannungsfeld von Selbst- und Fremdführungstechniken bilden. Mediale Diskurse und konsumtorische Praxen übernehmen dabei wichtige Konstitutionsfunktionen, weil sie die technisch-mediale und ästhetischökonomische Optimierung der verschiedenen Subjekte durch eine in Aussicht gestellte permanent steigerbare Glückserwartung initiieren beziehungsweise vorantreiben. Medien- und konsumbasierte Subjektivierungsimpulse sind bei der modernen Subjektkonstitution nicht nur zwei nebeneinanderstehende, additiv wirkende Faktoren im Rahmen der Subjektkonstitution, sondern nehmen auch wechselseitig Einfluss aufeinander. So können zum Beispiel Konsumobjekte als Werkzeuge und Projektionsflächen für die medial initiierten und/oder medial verstärkten Selbstoptimierungsprozesse der sich unternehmerisch konstituierenden Subjekte fungieren. Stilsichere Kleidung kann hierbei beispielsweise ebenso als Erfolgswerkzeug des unternehmerischen Selbst eingesetzt werden, wie auch die Teilnahme an Effizienz steigernden Workshops oder Entspannung (und somit schließlich auch neue Energieressourcen) schaffenden Yoga-Kursen etc. Gleichzeitig kann die Zurschaustellung eines entsprechenden Konsumverhaltens auch den permanent auf Optimierung zielenden Lebensstil eines Individuums demonstrieren. Hierbei können zum Beispiel spezifische Distinktionsgüter dazu verwendet werden, die eigene permanente Weiterentwicklung oder auch die eigene Überlegenheit gegenüber anderen Individuen darzustellen, wobei gleichzeitig auch ein entsprechendes Optimierungsstreben und Konsumverhalten anderer Individuen befeuert wird. In diesem Zusammenhang dienen die verwendeten Konsumobjekte als Projektionsfläche des eigenen Erfolges und der eigenen (auf Selbstentfaltung gerichteten) Lebenseinstellung.
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Eine weitere Wechselwirkung von medien- und konsumbasierten Subjektivierungsprozessen ist darüber hinaus insbesondere in der massenmedialen Präsentation von spezifischen Konsumgütern und Konsumpraxen zu erkennen, deren tieferen Untersuchung sich diese Studie im Kern widmet. Im Folgenden wird daher verdeutlicht, welche subjektbildende Potenziale die Selbstreflexion der Massenkultur in Form von Konsuminszenierungen in (Unterhaltungs-)Medien12 birgt beziehungsweise welche sinnstiftenden Impulse sie den Rezipienten für deren medien- und konsumbasierte Subjektbildung offeriert. In diesem Zusammenhang kann zunächst festgestellt werden, dass massenmediale Inhalte – beispielsweise in Form von Werbung oder Produktinszenierungen in Filmen und TV-Serien – Produktwissen über verschiedene Konsumobjekte vermitteln beziehungsweise diese den Konsumenten vorstellen, denen sie zuvor unbekannt waren. Ratgeberformate oder auch Informationsangebote im Internet können zudem potenzielle Konsumenten explizit dabei unterstützen, wichtige Informationen für spezifische Kaufentscheidungen zu erlangen. Mediale Konsuminszenierungen verfügen somit über das Potenzial, die subjektkonstituierenden Konsumpraxen von Individuen zu beeinflussen, indem sie auf die subjektivierenden Auswahlprozesse beim Konsumieren durch eine Erweiterung der Wahlmöglichkeiten einwirken (wobei auch hier nochmal betont werden muss, dass in diesem Fall nicht eine gezielte Manipulation der Zuschauer stattfindet, sondern vielmehr ein Anstoß zu eigenständigen Bewertungsprozesse von Seiten der Konsumenten gegeben wird). Zudem können konsumbezogene Medieninhalte dazu beitragen, dass die Rezipienten verschiedene Konsumobjekte mit Emotionen und Sehnsüchten aufladen, was deren Konsumverhalten letztlich nachhaltig prägt. Dies kann beispielsweise über eine ästhetische Inszenierung von Produkten geschehen. Wenn der Marlboro-Cowboy durch die Weiten der Prärie reitet, werden vom Zuschauer mit hoher Wahrscheinlichkeit Gefühle von Freiheit mit diesem Produkt assoziiert oder wenn die Raffaello-Werbung ihr Produkt in einer unbeschwerten und edlen Karibikatmosphäre präsentiert, wird dieses von den Konsumenten wohl am ehesten mit Gefühlen von Urlaub, Luxus und Unbeschwertheit verknüpft. Gleichzeitig kann eine entsprechende Produktinszenierung bei den Zuschauern eine Sehnsucht nach eben solchen emotionalen Erlebnissen hervorrufen, deren Erfüllung mit dem Kauf der Produkte in Verbindung gesetzt wird. 13 Auch die In12 Sowohl der Konsum als auch mediale Unterhaltungsangebote können als Elemente der Massenkultur aufgefasst werden, so dass die mediale Darstellung von Konsum als reflexiver Prozess verstanden werden kann. 13 Vgl. Bublitz (2005), S. 106. Der Verschränkung von Konsum und Emotionen beziehungsweise Sehnsüchten widmet sich auch Eva Illouz. Sie befasst sich allerdings
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szenierung von Konsumobjekten in Filmen und TV-Serien kann zu einer solchen emotionalen Produktaufladung führen. Wenn James Bond beispielsweise auf der Kinoleinwand stets bei seinen Missionen einen geschüttelten Martini bestellt, kann dies bei Fans dieser Filmreihe eventuell Produktassoziationen wie Abenteuer oder Verwegenheit auslösen. Die verschiedenen Produktassoziationen können dabei zwar, nach dem aktiven Rezeptionsverständnis der Cultural Studies14, von Rezipient zu Rezipient variieren, die Möglichkeit der medial initiierten Emotionsaufladung von Produkten wird dadurch jedoch nicht negiert. Die entsprechenden gefühlsbezogenen Aufladungen von Konsumobjekten können schließlich die Konsumentscheidungen und -praxen der Rezipienten nachhaltig beeinflussen und somit auch Einfluss auf deren Subjektkonstitution nehmen. Selbst wenn Konsum in den Medien nicht explizit thematisiert wird, können Medieninhalte zudem bei den Rezipienten das Interesse für neue Themenfelder, Hobbies oder Ähnliches wecken, die schließlich zur Anschaffung entsprechender Konsumgüter motivieren oder das frühere Konsumverhalten der Rezipienten verändern können. Wenn sich ein Individuum beispielsweise nach der medialen Berichterstattung über Tiertransporte dazu entschließt, sich zukünftig vegetarisch zu ernähren, führt dies zwangsläufig auch zu einer Veränderung seiner Konsumgewohnheiten in Bezug auf Nahrungsmittel und schließlich auch zu einem veränderten Selbstbild. Selbst die implizite mediale Thematisierung von Konsumoptionen kann vor diesem Hintergrund also als subjektbildender Impuls aufgefasst werden. An diesem Beispiel wird zudem deutlich, dass massenmediale Inhalte Einfluss auf die Selbstreflexionsprozesse von Individuen nehmen können, die bei Kaufentscheidungen notwendig werden und die eine fundamentale Voraussetzung für die Subjektivierungsfunktion des Konsums darstellen.15 Ganz allgemein vermitteln Massenmedien darüber hinaus auch, durch die Inszenierung von expliziten und impliziten Konsumthematisierungen, die norweniger damit, wie Konsumobjekte mit Emotionen aufgeladen werden, sondern zeigt am Beispiel der Liebe auf, inwieweit Konsumstrukturen in der Gegenwartsgesellschaft auch die auf den ersten Blick nicht kapitalistisch strukturierten Lebensbereiche, wie romantische Paarbeziehungen, durchdringen. So stellt sie dar, dass sich Liebe und Konsum in der Gegenwartsgesellschaft zunehmend verschränken und dass auf modernen Heiratsmärkten (wie es zum Beispiel plakativ an den Matching-Point Systemen auf Online-Dating-Börsen verdeutlicht werden kann) die Liebe zu einem rationalen Geschäft zu werden scheint. Die mediale Inszenierung von Liebe, die häufig ebenfalls von solchen ökonomischen Strukturen geprägt ist, trägt dabei maßgeblich zu dieser Entwicklung bei (vgl. Illouz 2011). 14 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 3.1. 15 Vgl. hierzu die Ausführungen auf S. 98f.
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malen Spektren von verschiedenen Konsumpraxen beziehungsweise von konsumbezogenen Subjektivierungsprozessen.16 Wenn beispielsweise Carrie Bradshaw in der Serie Sex and the City ihre Persönlichkeit mit Hilfe eines Kleidungsstils ausdrückt, der sich aus einer Mischung von Designermode und ausgefallenen Accessoires zusammensetzt oder wenn die Kandidatinnen des Dokutainment-Formats Vier Hochzeiten und eine Traumreise versuchen, mit Hilfe von strategischem Konsum, wie zum Beispiel durch die Buchung einer möglichst einzigartigen Hochzeitslokalität oder die Gestaltung von spektakulären Unterhaltungsprogrammen, eine Hochzeit auszurichten, die von anderen die besten Bewertungen erhält, zeigen sich dem Fernsehzuschauer immer auch Möglichkeiten von konsumbasierter Subjektbildung. Diese konsumbezogenen Subjektivierungsformen werden durch die andauernde mediale Präsentation den Fernsehzuschauern fortlaufend vor Augen geführt und tragen dabei zur Konstitution eines Normalfeldes bei, das die verschiedenen Facetten entsprechender konsumbezogener Subjektivierungsprozesse umfasst. Die Gesamtheit konsumbezogener Medieninhalte zeigt also den Zuschauern, welches Konsumverhalten beziehungsweise welche konsumbasierten Subjektivierungsprozesse gesellschaftlich als ‚normal‘ angesehen werden können und welche Möglichkeiten sich ihnen eröffnen, eine gesellschaftlich anschlussfähige Subjektivität mit Hilfe von Konsum zu konstituieren. Dabei stehen die Individuen allerdings nicht nur vor der Aufgabe, ein „normales“ Konsumverhalten zu entwickeln und ihrer Umwelt zu demonstrieren. Sie müssen vielmehr ihre individuelle Nische in dem gesellschaftlichen Normalitätsfeld finden und ihre Einzigartigkeit im Rahmen sozialer Anschlussfähigkeit authentisch in Szene setzen. Nur so können sie die Aufmerksamkeit und Anerkennung ihres sozialen Umfeldes gewinnen. Mediale Konsuminszenierungen prägen auf diese Weise konsumbasierte Subjektivierungsprozesse, die sich in einem Spannungsfeld einer ästhetischen und individuellen Selbstentfaltung auf der einen Seite und gesellschaftlicher Anschlussfähigkeit auf der anderen Seite konstituieren. Hannelore Bublitz erläutert in diesem Zusammenhang, dass Medieninhalte hierbei als ein medial konstruierter Spiegel zirkulierender Bilder und Zeichen fungieren, in welchem sich die rezipierenden Individuen spiegeln. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass jeder Einzelne im Rahmen seiner fortlaufenden Subjektbildung – psychoanalytischen Ansätzen zufolge17 – ein Ideal-Ich18 anstrebt, 16 Vgl. hierzu die Ausführungen zur kommunikativen Normalisierung in Kapitel 3.2.3. 17 Vgl. z.B. die Ausführungen von Jaques Lacan zu diesem Thema: Lacan (1991), S. 61 ff. 18 Mit „Ideal-Ich“ ist in diesem Zusammenhang die idealisierte Vorstellung narzisstischer Omnipotenz gemeint.
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welches er beispielsweise mit Hilfe von Konsumobjekten zu erreichen versucht. Dabei richten die einzelnen Individuen die Eckpunkte ihres Begehrens19 an dem (medial vermittelten) Begehren anderer Individuen aus.20 Das Begehren des Einzelnen ist damit das Begehren der anderen: „Man sollte sich immer vor Augen halten, daß das Begehren […] nicht das eigene des Subjekts ist, sondern das Begehren der anderen […]. Die ursprüngliche Frage des Begehrens ist nicht geradeheraus ‚Was will ich?‘, sondern ‚Was wollen andere von mir? Was sehen sie in mir? Was bin ich für die anderen?‘“21
Das hierbei imaginierte Fremdbild einer Person – inklusive der hier (vermeintlich) sichtbar werdenden Mängel – initiiert dabei ein beständiges ‚MehrBegehren‘ nach einer Annäherung an die Zielvorstellung eines idealen Ichs. In diesem Zusammenhang führen zudem auch verschiedene Medieninhalte – teilweise explizit, teilweise subtil – den Rezipienten Mängel vor Augen, welche jene scheinbar vom Erreichen ihres Ideal-Ichs trennen. Gleichzeitig zeigen sie diesen aber auch vermeintliche Möglichkeiten auf, wie sie mit Hilfe verschiedener Konsumstile oder passender Konsumobjekte ein solches ideales Ich erreichen können. Sie konstituieren dadurch verschiedene konsumbezogene Begehrensobjekte, deren Konsum von den Rezipienten dementsprechend als begehrenswert wahrgenommen wird. Diese Objekte erhalten ihre Triebkraft allerdings nicht allein durch ihre mediale Präsentation, sondern insbesondere durch ihre Inszenierung in Fantasieszenarien der einzelnen Individuen, in denen sie das Begehren des Subjekts befriedigen. Diese phantasmatische Inszenierung einer konsumbasierten Begehrenserfüllung, deren inhaltliche Rahmung häufig von entsprechenden Medieninhalten inspiriert wird, befriedigt dabei aber nicht das Begehren einer Person, sondern fokussiert vielmehr auf die mögliche Realisierung der Begehrensbefriedigung. Das Begehren als solches wird in der Realität – egal welcher Begehrensobjekte man sich auch bedient – niemals abschließend befriedigt, 19 Bublitz definiert den Begehrensbegriff in Anlehnung an psychoanalytische Ansätze. Sie legt dar, dass Begehren – anders als Bedürfnisse, wie Hunger oder Durst – nicht von sich aus in unserer Psyche existieren, sondern dass Begehren erst erlernt beziehungsweise konstruiert werden muss: „Die Setzung des Begehrens erfolgt, nach der psychoanalytischen Theorie, durch die Präsenz des Anderen. Dessen Präsenz – die, indem sie über unmittelbare Bedürfnisbefriedigung hinausgeht, die Gestalt der Gabe annimmt – produziert erst das Begehren“ (Bublitz 2005, S. 125; für weitere Ausführungen zur Konstitution des Begehrens vgl. Bublitz 2005, S. 126 ff.). 20 Vgl. Bublitz (2005), S. 129 f. 21 Žižek (1999), S. 22, [Herv. i.O.].
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da die Objekte immer an nicht erreichbare Erneuerungsprozesse des Begehrens geknüpft sind. Diese permanente Verfehlung einer Begehrensbefriedigung fungiert dabei, innerhalb eines konsumistischen Weltverhältnisses, als Motor für das Streben nach einer konsumbasierten steigerbaren Selbstentfaltung und bildet somit das Fundament von konsumistischen Subjektivierungsprozessen. Konsumobjekte eignen sich in diesem Zusammenhang im besonderen Maße als phantasmatische Begehrensobjekte, da die Erfüllung ihrer Glücksversprechen nur einen Einkauf entfernt und somit leicht zu erreichen scheint. Mit der Inszenierung der verschiedenen Konsumobjekte und Konsummöglichkeiten in massenmedialen Angeboten erhält das Begehren der Rezipienten dabei eine „– funktionelle – Dynamik“22, denn auf diese Weise „[…] verdichten sich die begehrten Objekte zu Kreuzungspunkten von ganzen Assoziationsketten. Ökonomisch gesehen sind die mit Imaginationen und Ikonographien versehenen Objekte der Massenkultur also nicht nur mit ästhetischen Zeichen, sondern mit (Trieb-)Energien besetzt, die sich aus verschiedenen Assoziationsketten speisen und das Objekt, neben seiner manifesten Bedeutung, mit latenten Bedeutungen ausstatten.“ 23
Massenmediale (Konsum-)Inszenierungen können damit als ein Forum begriffen werden, in dem der Einzelne verschiedene Realisierungsmöglichkeiten und Szenarien für die scheinbare Befriedigung seines Begehrens ausmacht. Die beschriebene unendliche Begehrenserneuerung wird also durch massenmediale Inhalte, wie Werbespots, Zeitschriftenartikel, Filme, TV-Serien etc. organisiert und immer wieder neu inszeniert.24 In diesem Zusammenhang fungieren die von den Massenmedien präsentierten Konsumobjekte als „Einsatz im intersubjektiven Kampf um Anerkennung und Liebe“. 25 Sie versprechen eine Befriedigung, die sie dem Individuum in der Realität nie verschaffen, weshalb sich der Einzelne wiederum anderen und vermeintlich besseren Konsumobjekten zuwendet, die ihm allerdings ebenfalls nicht eine abschließende Befriedigung ermöglichen können. Massenmediale Inhalte spielen somit auch bei der konsumorientierten Konstruktion beziehungsweise Regulation des Begehrens nach dem Erreichen eines Ideal-Ichs eine ausschlaggebende Rolle, was wiederum als grundlegendes Fundament für konsumbasierte Subjektivierungsprozesse aufgefasst werden kann.
22 Bublitz (2005), S. 125. 23 Ebd. 24 Vgl. Bublitz (2005), S. 122. 25 Žižek (1999), S. 22.
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Hier ist also ein wichtiger Subjektivierungsfaktor von massenmedialen Konsuminszenierungen auszumachen. Die vorangegangenen Ausführungen konnten zeigen, dass im Rahmen von Subjektivierungsprozessen in der Gegenwartsgesellschaft sowohl medien- als auch konsumbasierte Praxen der Subjektkonstitution zum Einsatz kommen. Dabei stehen die subjektbildenden Medien- und Konsumimpulse in einer (wechselseitigen) Beziehung zueinander, wobei insbesondere ihre Verschränkung in Form von medialen Konsuminszenierungen wichtige Impulse für eine konsum- und medienbasierte Subjektkonstitution offeriert. Durch die Präsentation von Konsumobjekten in den unterschiedlichsten Formaten, stellen Medien Informationen über diese Produkte bereit und tragen zu deren emotionalen Aufladung von Seiten der Konsumenten bei. Des Weiteren können Medienangebote durch ihre vielgestaltigen Inhalte neue Interessen generieren und Informationen vermitteln, die neue subjektbildende Konsumakte beziehungsweise eine subjektivierende Selbstthematisierung, die jenen vorgeschaltet ist, evozieren. Darüber hinaus trägt die kommunikative Normalisierungsfunktion von Medien zu der Verortung des eigenen Konsumverhaltens beziehungsweise der eigenen konsumbasierten Subjektivierungspraxen von Rezipienten bei und gibt jenen hierdurch wichtige Hinweise darauf, ob sie ihren Konsum stärker an die sozialen Normalitätsstandards anpassen oder ihn vielmehr stärker individualisieren sollten. Schließlich nehmen massenmediale Konsuminszenierungen auch grundlegend Einfluss auf die Produktion beziehungsweise Regulation des Begehrens nach einem (konsumistisch entfalteten) Ideal-Ich, welches als fundamentaler Motor für eine konsumbasierte steigerbare Selbstentfaltung von Individuen und somit für konsumtorische Subjektivierungsprozesse als solche fungiert. In diesem Zusammenhang koordinieren und kodieren massenmediale (Konsum-) Inszenierungen die Produktion von phantasmatischen Begehrensobjekten. Es kann also resümierend festgestellt werden, dass Konsumdarstellungen in medialen (Unterhaltungs-)Angeboten einen fundamentalen Subjektivierungsfaktor in der durch Kontingenz- und Individualisierungsstrukturen geprägten Gegenwartsgesellschaft darstellen. Sie offerieren den Rezipienten Orientierung stiftende Sinnangebote und (Initiierungs-)Impulse für subjektkonstituierende Konsumhandlungen sowie für die, dem Konsum vorgeschalteten, Selbstreflexionsund Selbstthematisierungsprozesse. Konsumtorische Praxen und Medieninhalte können also nicht nur als einzelne, voneinander separierte Subjektivierungsfaktoren verstanden werden, sondern entfalten insbesondere in ihrer Verschränkung ihr volles subjektbildendes Potenzial. Sie bringen Subjekte hervor, die sich in einem Spannungsfeld einer ästhetischen, individuellen Selbstentfaltung auf der
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einen Seite und sozialer Anschlussfähigkeit auf der anderen Seite konstituieren und die sich über die ästhetische Oberfläche der konsumierten Objekte und deren emotionalen Bedeutung ständig ästhetisch aufladen und optimieren.
Konsumsoziologische Analyse des Dokutainment-Formats Shopping Queen
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Untersuchungsgegenstand und methodische Zugänge
6.1
DIE FERNSEHSERIE SHOPPING QUEEN ALS UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND
Den Untersuchungsgegenstand der folgenden Analyse bildet die DokutainmentSerie Shopping Queen. TV-Formate, bei denen – wie in dieser Sendung – konsumbasierte Wettkämpfe im Fokus der Handlung stehen, eignen sich für die Explikation der entwickelten theoretischen Perspektive dieser Studie in besonderem Maße, denn in ihnen werden nicht einfach nur diverse Konsumobjekte präsentiert und inhaltlich gerahmt. Insbesondere konsumbasierte Selbstbildungsprozesse, um die sich auch die folgende Analyse drehen wird, stehen in entsprechenden Sendungen im Vordergrund. Darüber hinaus wird durch die Wettkampfsituation, die im Fokus dieser Formate steht, auch die Zielsetzung des sozialen Vergleichs von konsumbasierten Subjektivierungskompetenzen sowie der Kampf um soziale Akzeptanz und Aufmerksamkeit – die in der Gegenwartsgesellschaft wichtige Konsummotive darstellen – offen thematisiert. Auf diese Weise ermöglicht die Untersuchung eines entsprechenden DokutainmentFormats eine analytische Betrachtung, in der nicht nur individuelle Subjektivierungsprozesse erfasst werden können. Auch die Konkurrenz um soziale Aufmerksamkeit und Anerkennung kann zwischen einzelnen Individuen anhand entsprechender Sendungen nachgezeichnet werden. Die Serie Shopping Queen, als eines der ältesten Dokutainment-Formate in der aktuellen deutschen Fernsehlandschaft, ist dabei als Analysegegenstand von besonderem Interesse, da sich diese Sendung einer großen Beliebtheit beim Fernsehpublikum erfreut.1 Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die 1
Die Serie erzielt seit Beginn ihrer Ausstrahlung hohe Einschaltquoten und wurde aufgrund ihrer Beliebtheit mehrmals durch Sonderformate wie Promi-Shopping Queen, Shopping Queen des Jahres, Mutter-Tochter Spezial, Pärchen Spezial etc. erweitert.
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Inhalte dieser Serie über eine hohe Anschlussfähigkeit an die Weltsichten und Wertvorstellungen eines großen Bevölkerungsanteils verfügen und somit hinsichtlich ihrer subjektiven Orientierungsleistung eine gesellschaftliche Relevanz besitzen. Darüber hinaus verweist eine große Reichweite auch auf ein großes Publikum, das einerseits auf die Seriengestaltung einwirkt und andererseits von den verschiedenen Inhalten bei der Konstitution des eigenen Selbst inspiriert wird. Im Folgenden soll das Dokutainment-Format Shopping Queen kurz vorgestellt werden, um einen Überblick über die Seriendaten und die entsprechenden Inhalte zu ermöglichen. Die Vox-Serie Shopping Queen wurde erstmals am 30. Januar 2012 im deutschen Fernsehen ausgestrahlt. Im inzwischen fünften Jahr wetteifern seitdem wöchentlich fünf Frauen darum, den besten Look2 der Woche zu kaufen und dafür schließlich mit dem Titel der Shopping Queen ausgezeichnet zu werden. Am Montag jeder Wettkampfswoche wird dabei den Kandidatinnen 3 das Einkaufsmotto eröffnet, auf das die gekauften Güter abgestimmt werden müssen. Zudem erhält die Kandidatin, die zuerst einkaufen geht, am Montag die Chance, innerhalb von vier Stunden und mit einem Budget von 500€ den besten Look zu dem vorgegebenen Thema zusammenzustellen. An den folgenden vier Tagen hat anschließend jeweils eine weitere der fünf Kandidatinnen die Möglichkeit, das beste Konsumergebnis der Woche zu kreieren. Als Unterstützung darf jede Teilnehmerin eine Einkaufsbegleitung aus ihrem persönlichen Umfeld auf ihre Shoppingtour mitnehmen, welche der Kandidatin beratend zur Seite steht. Zur gleichen Zeit schauen sich die vier Mitstreiterinnen, zusammen mit einem Kamerateam, in der Wohnung der einkaufenden Kandidatin um und nehmen deren Konsum- und Lebensstil genauer unter die Lupe. Bei der Ausstrahlung einer fertig geschnittenen Shopping Queen-Episode wird bei unterschiedlichen Szenen der Modedesigner Guido Maria Kretschmer eingeblendet, der das Gesehene und Gehörte aus dem Off für die Zuschauer Die Popularität der Styling-Doku wird zudem an den Auszeichnungen deutlich, die sie bisher erhielt. So wurde Shopping Queen im Jahr 2014 mit dem deutschen Fernsehpreis in der der Kategorie „Bestes Dokutainment“ ausgezeichnet und Guido Maria Kretschmer erhielt im selben Jahr die goldene Kamera in der Kategorie „Beste Unterhaltung“ für seine humorvollen und unterhaltsamen Kommentare in dieser Sendung. 2
In der Serie wird der Begriff des Looks verwendet. Er umfasst Outfit, Schuhe, Accessoires, Styling und Make-up und darf nur Elemente umfassen, die innerhalb des vierstündigen Shoppingmarathons erworben wurden.
3
Da in der Regel ausschließlich Frauen bei dem Serienformat als Kandidatinnen teilnehmen, wird hier und im Folgenden ausschließlich die Form Kandidatin bzw. Kandidatinnen (also die weibliche Form) verwendet.
Untersuchungsgegenstand und methodische Zugänge
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kommentiert. Als ausgewiesener Mode- und Stilexperte bewertet und kommentiert er sowohl das Konsumverhalten und die Einkäufe der Kandidatinnen als auch deren Wohn- und Lebensstile sowie ihr Verhalten während der Sendung. Welche Kandidatin schließlich den besten Look kreieren konnte und die Shopping Queen der Woche wird, entscheidet Guido Maria Kretschmer letztlich aber nicht allein. Auch die Mitstreiterinnen geben am Ende eines Einkaufstages Punkte auf einer Skala von 0 bis 10 für das jeweilige Einkaufsergebnis des Tages und nehmen somit Einfluss auf den finalen Punktestand. Am letzten Tag der Woche werden die Punkte von Kretschmer zu den Punkten, die von den Kandidatinnen vergeben wurden, addiert und es wird rechnerisch ermittelt, welche Kandidatin den Titel der Shopping Queen erhält. Als Grundalge für die folgende konsumsoziologische Analyse der Sendung dienen die Episoden 786-790, die vom 11.1.2016 bis zum 15.01.2016 erstmals im TV ausgestrahlt wurden und zum Analysezeitpunkt dieser Studie die aktuellsten Folgen der Serie darstellen. Sie zeigen eine komplette Einkaufswoche, die unter dem Motto „Großes Kino – sei der Star auf dem deutschen Filmball“ steht. Da die Episoden, die in einer Woche ausgestrahlt werden, immer aufeinander aufbauen und aufgrund derselben Protagonisten und desselben Einkaufsmottos eine filmische beziehungsweise serielle Einheit bilden, bietet es sich an, in der folgenden Analyse alle fünf einander ergänzenden Episoden zu berücksichtigen. Auf Grundlage der Inhalte dieser Episoden sowie ihrer filmischen Inszenierung sollen die konsumbasierten Subjektivierungsimpulse der Sendung untersucht werden.
6.2
METHODISCHES VORGEHEN
Die subjektbildenden Strukturen der Serie Shopping Queen, die im Folgenden analysiert werden, können in Anlehnung an Michel Foucault als ein Dispositiv aufgefasst werden. Bei einem Dispositiv handelt es sich im Allgemeinen um „[…] die Gesamtheit und das Netz von sozialen Praxen, Maßnahmen und Anordnungen, deren Ziel es ist, das Verhalten von Individuen so zu regulieren, dass die Verhaltensweisen in einem relationalem Verhältnis zum Regulierten stehen. Folglich produziert das Dispositiv Subjektivierungen und reagiert beziehungsweise antwortet auf Subjektivierungen […]. Das Dispositiv wird zum Wahrnehmungs-, Denk-, Entscheidungs- und Handlungsschemata [sic] für Subjekte. Es bringt Subjekte hervor beziehungsweise reguliert diese,
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indem die Einrichtungen durch die jeweiligen Regelsysteme stabilisierenden Einfluss auf das Verhalten von Individuen und Gemeinschaften haben (vgl. Foucault 1978).“ 4
Auch bei Shopping Queen lassen sich diese Charakteristika eines Dispositivs nachzeichnen. Die in der Serie zirkulierenden (Konsum-)Diskurse und Konsumpraxen sowie die Verhaltensweisen der Kandidatinnen in Bezug auf (Konsum-)Objekte stellen in Verbindung mit den Wettkampfregeln der Sendung, mit den zum Einsatz kommenden Formen von Fremd- und Selbstführungstechniken sowie mit der Anordnung von Kretschmer, den Kandidatinnen und den Fernsehzuschauern ein eben solches „Netz von sozialen Praxen, Maßnahmen und Anordnungen“5 dar, welches (Konsum-)Subjekte konstituiert6 und diese durch spezifische Regeln reguliert.7 Da das Shopping Queen-Dispositiv allerdings nicht die gesamte Gesellschaft durchdringt und lediglich als ein Teilbereich eines übergeordneten Medien- und Konsumdispositivs verstanden werden kann, kann es, in Anlehnung an Deleuze, als ein „Mikro-Dispositiv“ bezeichnet werden.8 Im Unterschied zu gesellschaftlichen „Gesamtdispositiven“, bei denen es sich um Anordnungen handelt, welche mehr oder minder die gesamten Gesellschaftsdiskurse und -praxen durchdringen9, handelt es sich bei Mikro-Dispositiven um „[…] weniger umfassende Mechanismen, die die Ordnung von Praktiken und Diskursen, aber auch Macht- und Subjekteffekte in spezialisierten Teilbereichen regulieren und ‚rationalisieren‘“. Sie sind zwar ebenfalls ‚Ensemble heterogener Elemente‘; ihre Werkzeuge und Wirkungen kommen aber nur in bestimmten Milieus zur Geltung, für die sie spezifische Leistungen erbringen […]. Trotz ihrer beschränkten Wirksamkeit können die MikroDispositive die Strategien und Rationalitäten der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion […] stützen und in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen aufgegriffen werden.“ 10 4
Paulus (2015), § 3.
5
Ebd.
6
Einerseits bilden sich in diesem Dispositiv die Serienkandidatinnen als Konsumsubjekte, die im Rahmen des Formats ihre konsumbasierte Subjektkonstitution vorantreiben. Andererseits kann die mediale Präsentation der entsprechenden Subjektivierungsprozesse im Rahmen einer kommunikativen Normalisierung (vgl. Kapitel 3.2.3) auch auf die Subjektbildung der Serienrezipienten einwirken.
7
Für weitere Ausführungen zu Mediendispositiven vgl. u.a. Kumiega (2012) und
8
Vgl. Deleuze (1996), S. 15.
9
Vgl. Stauff (2004), S. 143.
Gille (2012).
10 Stauff (2004), S. 144.
Untersuchungsgegenstand und methodische Zugänge
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Das Mikro-Dispositiv, welches sich im Rahmen der Serie Shopping Queen konstituiert, ist in diesem Zusammenhang als ein Element eines größeren, die gesamte Gesellschaft durchdringenden, Medien- und Konsumdispositivs aufzufassen, das die Rationalitäten dieser übergeordneten Gesamtdispositive stützt. 11 Es kann daher in Anlehnung an Jürgen Link auch als ein „Hilfsdispositiv“ 12 bezeichnet werden. Dabei besteht die strategische Funktion des Shopping Queen-Dispositivs insbesondere darin, auf die gesamtgesellschaftliche Problemlage zu reagieren, welche im Theorieteil dieser Studie ausführlich erläutert wurde: auf die für die Subjekte der gegenwärtigen Individualisierungsgesellschaft (riskante) Notwendigkeit, ihr Leben und ihr Selbst eigenverantwortlich im Rahmen kontingenter Handlungsoptionen gestalten zu müssen. Das Shopping Queen-Dispositiv erfüllt damit ein weiteres grundlegendes Merkmal, das Foucault Dispositiven zuweist: Es verfügt über die strategische Funktion „auf einen gesellschaftlichen Notstand (urgence) zu antworten“13. Die nachfolgende Analyse wird zeigen, dass das Shopping Queen-Dispositiv medien- und konsumbasierte Subjektivierungsprozesse hervorbringt und damit zur Bewältigung der dargestellten gesellschaftlichen Problemlage beiträgt. Um die Inszenierung von konsumbasierten Subjektivierungen in dem Dokutainment-Format umfassend untersuchen zu können, bietet es sich vor dem Hintergrund der oben dargestellten subjektkonstituierenden Strukturen der Serie an, bei der folgenden Analyse das Dispositivkonzept als rahmende Theorie zu verwenden. Es kann in diesem Zusammenhang analytisch genutzt werden und richtet den Untersuchungsfokus zum einen auf die verschiedenen konsumbezogenen diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken sowie auf die sie in Umlauf bringenden Instanzen. Zum anderen rückt es darüber hinaus auch die Machtverhältnisse, die zwischen diesen Instanzen vorherrschen, in den Fokus der Aufmerksamkeit. Die Verwendung des Dispositivkonzepts als rahmende Theorie ermöglicht bei der Analyse dadurch nicht nur die Identifikation und Beschreibung verschiedener subjektbildender Serienelemente. Sie erweitert den Untersuchungsfokus auch auf die Anordnung und die Machteffekte der verschiedenen subjektivierenden Elemente zueinander sowie auf deren gesellschaftliche Kontextualisierung. Auf diese Weise können die subjektbildenden Mechanismen der Serie noch umfassender beleuchtet werden. Im Folgenden wird vor diesem Hintergrund ein kurzer Blick auf Foucaults Vorgehensweisen bei seinen Analysen 11 Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 8.2. 12 Vgl. Link (2009), S. 342. 13 Foucault (2003), S. 393 zit. n. Link (2014), S.239.
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verschiedener Dispositive geworfen, um anschließend eine passgenaue Methodik für die Untersuchung des Shopping Queen-Dispositivs zu entwerfen. Die Analyse von Dispositiven ist ein wichtiger Aspekt in Foucaults Sozialstudien. Andrea Bürmann beschreibt seine analytische Vorgehensweise dahingehend, dass er einerseits im Rahmen seiner Dispositivanalysen untersucht, welche Erkenntnisse, Wissensgegenstände und Objektivationen innerhalb eines Dispositivs hervorgebracht werden, welche Logik den hierbei entstehenden Begrifflichkeiten und Gegenständen zugrunde liegt und wer die entsprechenden diskursiven und nicht-diskursiven Praxen mit welchen strategischen Zielen konstituiert beziehungsweise am Laufen hält. Andererseits fokussiert Foucault in seinen Analysen zudem auf die Autorisierungsinstanzen dieser Diskurse und Praktiken sowie auf die verschiedenen Machttechniken, mit deren Hilfe sie innerhalb vielfältiger Machtverhältnisse konstituiert werden. Hierbei liegt das Augenmerk auch auf den machtbezogenen strategischen Zielen der verschieden Institutionen und Individuen innerhalb eines Dispositivs, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind.14 „Ausgehend von vielfältigen Kräfteverhältnissen und Aussagen tritt also im Verfahren der hier rekonstruierten Foucaultschen Dispositivanalyse neben die Analyse von Diskursbeziehungen [sowie von nicht-diskursiven Praxen und Objektivationen; J.E.] eine Analyse der Machtbeziehungen und eine Analyse ihres Zusammenspiels in Form von Diskurs- und Machtformationen."15
Bei Foucaults Dispositivanalyse handelt es sich allerdings lediglich um einen Forschungsstil und nicht um eine schematische Methodik, mit deren Hilfe das Shopping Queen-Dispositiv strukturiert analysiert werden kann. Zudem ist, den Ausführungen von Siegfried Jäger zufolge, eine allgemein anwendbare Methode der Dispositivanalyse „bisher […] noch nicht entwickelt worden und kann dies auch wohl erst in Verbindung mit konkreten Forschungsprojekten“ 16. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, eine spezifische Analysemethodik zu konzipieren, mit deren Hilfe speziell das Shopping Queen-Dispositiv vor einem medien- und konsumsoziologischen Hintergrund untersucht werden kann. Die systematische Methodik, die bei diesem analytischen Verfahren zum Einsatz kommt, wird im Folgenden vorgestellt.
14 Vgl. Bührmann (2005), § 36 sowie Bührmann/Schneider (2008), S. 92 ff. 15 Bührmann (2005), §36. 16 Jäger (2001), S. 111.
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Um das Shopping Queen-Dispositiv auf Basis der zu untersuchenden Episoden adäquat analysieren zu können, muss eine Methode entwickelt werden, welche es erlaubt, die in ihm vorherrschenden Formationen von Diskursen, Praxen und Machtverhältnissen sowohl detailliert zu beschreiben als auch in Hinsicht auf ihre (konsumbezogenen) Subjektivierungsprozesse hin zu interpretieren. Da ein solches komplexes und tiefgreifendes Analysevorhaben nicht mit Hilfe eines quantitativen Forschungsdesigns umgesetzt werden kann, muss der nachfolgenden Analyse eine qualitative Methodik zugrunde liegen. Qualitative Forschungsansätze ermöglichen in diesem Zusammenhang nicht nur, die komplexen Anordnungen und Strukturen des Shopping Queen-Dispositivs detailliert zu betrachten, sondern erlauben es dem Forscher auch, „Gegenstände, Zusammenhänge und Prozesse nicht nur analysieren zu können, sondern sich in sie hineinzuversetzen, sie nachzuerleben oder sie zumindest nacherlebend sich vorzustellen“17. Dadurch erlaubt ein qualitativer Methodenansatz tiefergehende Einblicke in das Seriendispositiv als eine quantitative Herangehensweise.18 Bei einem entsprechenden qualitativen Vorgehen müssen darüber hinaus sowohl die visuellen als auch die auditiven filmischen Mittel, die in der Serie Shopping Queen zum Einsatz kommen, interpretiert und die Ergebnisse auf die im Theorieteil dieser Studie entwickelte konsum- und medienbasierte Subjektivierungstheorie bezogen werden. Denn „[…] Fernsehserien vermitteln ihre Botschaft bekanntlich über das Bild beziehungsweise über Bildfolgen und über den Ton (als Dialoge, Musik, Geräusche), wobei die auditiv gegebenen Informationen die visuellen ergänzen und effektvoll unterstreichen oder auch konterkarieren, ironisch oder ahnungsvoll zuspitzen können.“19
Das zu analysierende Dokutainment-Format wird allerdings nicht allein durch seine audiovisuelle filmische Ebene geprägt. Auch die Inhaltsebene der Sendung stellt einen zentralen Bestandteil des Formats dar. Um das Phänomen Shopping Queen in seiner Gesamtheit erfassen zu können, müssen daher in einer gegenstandsangemessenen Untersuchung sowohl die Film- als auch die Inhaltsebene der Sendung berücksichtigt und aufeinander bezogen werden. Vor diesem Hintergrund werden in der folgenden Analyse der filmanalytische Ansatz einer systematischen Filmanalyse nach Helmut Korte 20 und die Me17 Mayring (2010), S. 19, [Herv. i.O.]. 18 Vgl. zu den unterschiedlichen Zielsetzungen und Potenzialen von qualitativen und quantitativen Forschungsdesigns zum Beispiel auch Kleining (1982). 19 Korte (2001), S. 13, [Herv. i.O.]. 20 Vgl. Korte (2001).
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thodik der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse, wie sie insbesondere Philipp Mayring21, Udo, Kuckartz22 und Magrit Schreier23 konzipieren, miteinander verschränkt. Sie werden zu einer Analysemethodik verschmolzen, mit deren Hilfe sich das Shopping Queen-Dispositiv umfassend untersuchen lässt. Dabei werden Elemente der systematischen Filmanalyse dazu verwendet, die filmischen Komponenten der zu analysierenden Shopping Queen-Episoden zu beleuchten, während der Ansatz der strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse herangezogen wird, um die inhaltlichen und sprachlichen Aspekte der Serie in den Untersuchungsfokus zu rücken. Auf diese Weise wird es möglich sein, alle Ebenen der inhaltlichen und filmischen Bedeutungskonstruktion in der Serie Shopping Queen analytisch zu erfassen. Im Folgenden werden zunächst die Ansätze der systematischen Filmanalyse und der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse vorgestellt. Auf dieser Grundlage wird anschließend die aus ihnen entwickelte Analysemethode zur Untersuchung des Shopping Queen-Dispositivs detailliert beschrieben. Bei der Methodik der systematischen Filmanalyse handelt es sich um einen Ansatz, dessen Ziel es ist, zunächst die diversen filmischen Komponenten, die dem Zuschauer bei der Rezeption eines Films oder einer Serie – häufig simultan – begegnen, in ein „überschaubares Nacheinander“24 zu zerlegen. Auf diese Weise werden die verschiedenen Einstellungen, Bildkompositionen, Kamerabewegungen etc. für den Forscher überschaubarer, so dass er in einem zweiten Schritt das Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren im Rahmen der zugrundeliegenden Fragestellung leichter analysieren kann. Der Forscher wird bei diesem Prozess allerdings zwangsläufig mit einer großen Datenmenge von filmischen Inszenierungselementen (Bildgestaltung, Kameraeinstellungen, musikalische Untermalungen etc.) konfrontiert, die eine vollständige Untersuchung aller fünf Episoden aus der zu analysierenden Shopping Queen-Woche zu komplex werden lässt. Um diese Komplexität zu verringern, werden in der folgenden Analyse, sowohl auf filmanalytischer als auch auf inhaltsanalytischer Ebene, lediglich konsumrelevante Schlüsselszenen untersucht. Die Auswahl des entsprechenden Serienmaterials erfolgt hierbei auf Basis der Fragestellung, welche Szenen paradigmatisch die konsumbezogenen subjektbildenden Strukturen, Diskurse und Machttechniken des Shopping Queen-Dispositivs verdeutlichen. Wiederkehrende Serienelemente, welche als fester struktureller Bestandteil in jeder Shopping 21 Vgl. z.B. Mayring (2010). 22 Vgl. Kuckartz (2012). 23 Vgl. Schreier (2012). 24 Korte (2001), S. 24.
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Queen-Episode vorzufinden sind25, werden dabei allerdings nicht aus jeder einzelnen der fünf zu analysierenden Folgen herausgefiltert, sondern beispielhaft aus lediglich einer Episode extrahiert. In diesem Zusammenhang wird zudem darauf geachtet, dass letztlich Serienmaterial von jedem Einkaufstag der zu analysierenden Woche in die Analyse miteinfließt. Bei der systematischen Untersuchung des ausgewählten filmischen Materials wird, in Anlehnung an der von Korte skizzierten Methodik, ein Sequenzprotokoll von den verschiedenen zu analysierenden Schlüsselszenen der Serie angefertigt, das sich strukturell an dem von Korte skizzierten Einstellungsprotokoll26 anlehnt.27 Es fungiert als strukturierte Darstellung der filmisch inszenierten Mittel und Abläufe und beinhaltet die wichtigsten Informationen der verschiedenen zu analysierenden Seriensequenzen. In tabellarischer Form werden in ihm fünf verschiedene Aspekte jeder Sequenz festgehalten: Nach einer fortlaufenden Nummerierung in der ersten Tabellenspalte, werden in der zweiten Spalte zeitliche Angaben zu dem entsprechenden Serienausschnitt eingetragen, wobei die 25 Zu nennen sind hier zum Beispiel der Style-Check, der Vorher-Nachher-Vergleich oder die Präsentation eines zusammengestellten Looks am Ende eines Einkaufstages (vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 7). 26 Im Gegensatz zu Kortes Einstellungsprotokoll, wird in dem hier zum Einsatz kommenden Sequenzprotokoll nicht jede einzelne Einstellung der zu analysierenden Schlüsselszenen erfasst, sondern die visuellen und auditiven Merkmale ganzer Seriensequenzen (Reihe von aufeinanderfolgenden Einstellungen, die hinsichtlich ihrer Handlung, ihrer zeitlichen und räumlichen Rahmung oder bezüglich der in ihnen agierenden Personen eine Einheit bilden) protokolliert. Begründen lässt sich dieses Vorgehen damit, dass die Erfassung jeder einzelnen Einstellung der ausgewählten Szenen eine sehr zeitintensive Vorabreit für die Analyse des Dokutainment-Formats darstellt, welche bei der zugrundeliegenden Fragestellung dieser Studie keine analytischen Vorteile gegenüber der Erstellung eines überschaubareren Sequenzprotokolls verspricht. Aus zeitökonomischen Gründen ist es daher sinnvoll, sich hier für die letztgenannte Vorgehensweise zu entscheiden. Auch Korte entwirft, im Rahmen der Erläuterung seines filmanalytischen Ansatzes, neben der Transkriptionsmethode des Einstellungsprotokolls, eine Vorgehensweise für ein weniger detailliertes Sequenzprotokoll (vgl. Korte 2001, S. 38f.). Da jenes jedoch nicht nur hinsichtlich der Einteilung von filmischen Analyseabschnitten, sondern auch in Bezug auf die eigentliche analytische Betrachtung wesentlich undifferenzierter ist (in dem von Korte beschriebenen Sequenzprotokoll wird lediglich der grobe Handlungsablauf verschiedener Sequenzen erfasst und zeitlich im Filmgeschehen verortet), findet es in der von Korte beschriebenen Form in dieser Studie keine Anwendung. 27 Vgl. Korte (2001), S. 32 ff.
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entsprechende Episode sowie die genauen Minuten- und Sekundenangaben notiert werden, welche die Sequenz umfasst. Es folgt in der dritten Spalte eine stichwortartige Beschreibung der Kameraführung (Kameraperspektiven und -bewegungen, Einstellungsgrößen etc.), während in der vierten Tabellenspalte die Bildinhalte und der Handlungsablauf der entsprechenden Sequenzen kurz beschrieben werden. In der fünften Spalte werden schließlich Notizen über den Tontrakt (Dialoge, Kommentare, Musik, Geräusche etc.) festgehalten. Die detaillierte und strukturierte Erfassung der zu analysierenden Shopping QueenSequenzen bildet im weiteren Untersuchungsprozess die Grundlage für die systematische Analyse der filmischen Komponenten, die in der Serie zum Einsatz kommen. Das Sequenzprotokoll ermöglicht es dem Forscher also, sich einen detaillierten und strukturell geordneten Überblick von dem filmischen Material zu verschaffen und zwingt ihn darüber hinaus zu einer genauen Beobachtung der verwendeten filmischen Inszenierungsmittel. Auf diese Weise kann sich der Forscher ein wesentlich detaillierteres Bild von dem Material machen, als es mit Hilfe einer oberflächlichen Betrachtung der Serienausschnitte möglich wäre. 28 Das tabellarische Protokoll wird zudem durch sogenannte Freeze-Frames29 von den entsprechenden Serienabschnitten ergänzt, mit deren Hilfe die Bildinhalte und die Kameraaktivitäten visuell festgehalten werden können. Sie ermöglichen eine präzise und kleinschrittige Betrachtung jeder einzelnen Kameraeinstellung und damit eine höhere Detailgenauigkeit der späteren Analyseergebnisse. Die Ergebnisse der systematischen Erfassung und Visualisierung von filmischen Komponenten können allerdings nur dann zu gegenstandsangemessenen Analyseerkenntnissen führen, wenn sie mit den Inhalten beziehungsweise Handlungskontexten der ausgewählten Shopping Queen-Szenen in Verbindung gesetzt werden.30 Die Ergebnisse der filmanalytischen Betrachtung werden daher im Rahmen der nachfolgenden Analyse bei der inhaltbezogenen Untersuchung der Shopping Queen-Episoden berücksichtigt, so dass ein umfassender Analyserahmen entsteht, der eine adäquate Untersuchung der Serie ermöglicht. Die inhaltsbezogene Analyse der Serie fußt hierbei, wie bereits zu Beginn des Kapitels erwähnt, auf der Methodik der inhaltlich-strukturierenden qualitati-
28 Vgl. ebd. 29 Bei Freeze-Frames handelt es sich um die visuelle Darstellung von aufeinanderfolgenden Standbildern in filmischen Einstellungen. Aus urheberrechtlichen Gründen können die verwendeten Freeze-Frames in diesem Buch nicht abgedruckt werden. 30 Vgl. Korte (2001), S. 54.
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ven Inhaltsanalyse, die unter anderem von Phillip Mayring 31, Udo Kuckartz32 und Magrit Schreier33 konzeptualisiert wird. „Kern der inhaltlich-strukturierenden Vorgehensweise ist es, am Material ausgewählte inhaltliche Aspekte zu identifizieren, zu konzeptualisieren und das Material im Hinblick auf solche Aspekte systematisch zu beschreiben – beispielsweise im Hinblick darauf, was zu bestimmten Themen im Rahmen einer Szene ausgesagt wird. Diese Aspekte bilden zugleich die Struktur des Kategoriesystems; die verschiedenen Themen werden als Kategorien des Kategoriesystems expliziert.“34
Eine solche systematische Betrachtung der konsumrelevanten Shopping QueenSzenen erlaubt es, jene in Bezug auf konsumbasierte Subjektivierungsprozesse zu beleuchten, die sich im Rahmen verschiedener Diskurse, Alltagspraxen, Anordnungen und Machtbeziehungen entfalten. Darüber hinaus ermöglicht die Kategorisierung von Inhalten, die teils sehr hohe Komplexität inhaltlicher Serienstrukturen zu reduzieren und für den Forscher besser handhabbar zu machen. Das Kategorie-System einer inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse wird dabei auf Basis des zu untersuchenden Materials und/oder auf Grundlage von theoretischen Vorannahmen entwickelt und setzt sich aus Hauptkategorien und Unterkategorien zusammen. Während die Hauptkategorien jene Aspekte beschreiben, auf welche sich bei der Analyse konzentriert werden soll, stellen die Unterkategorien Ausdifferenzierungen der Hauptkategorie dar und spezifizieren diese auf Grundlage des zu analysierenden Materials. Mit Hilfe des so erstellten Kategoriesystems wird das Analysematerial kodiert 35 und anschließend ausgewertet, wobei die Haupt- und Unterkategorien im Fokus des Auswertungsprozesses stehen. Vor dem Hintergrund der dargestellten Analysemethoden werden bei der Untersuchung konsumrelevanter Szenen der ausgewählten Shopping Queen-Episoden folgende Analyseschritte angewendet: Zu Beginn werden auf Basis der zuvor 31 Vgl. z.B. Mayring (2010). 32 Vgl. Kuckartz (2012). 33 Vgl. Schreier (2012). 34 Schreier (2014), §8. 35 Der Prozess des Kodierens umfasst hier die Zuordnung von Schlüsselszenen zu spezifischen Kategorien und den systematischen Vergleich dieser Szenen untereinander sowie die Identifikation spezifischer Muster, welche schließlich einer genaueren Betrachtung unterzogen werden können. Für eine allgemeine Definition eines KodierProzesses vgl. zum Beispiel auch Kelle/Kluge (2010), S. 59.
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konzipierten konsum- und medienorientierten Subjektivierungstheorie Hauptkategorien entworfen, die bei der Untersuchung der Serie Shopping Queen unter der dargestellten konsumsoziologischen Fragestellung von thematischem Interesse sind. Die verschiedenen Kategorien werden in einem Auswertungsleitfaden zusammengestellt und jeweils in knappen Sätzen erläutert. Die Beschreibung der Kategorien ist im Rahmen des Analysevorhabens einerseits sinnvoll, um mögliche inhaltliche Überschneidungen im Konzeptionsprozess frühzeitig sichtbar werden zu lassen und die verschiedenen Kategorien somit eindeutiger voneinander abzugrenzen. Andererseits erleichtert die Beschreibung auch die intersubjektive Nachvollziehbarkeit des Analyseprozesses, die ein wichtiges Gütekriterium qualitativer Sozialforschung darstellt.36 Die verschiedenen Oberkategorien werden in diesem ersten Schritt demnach deduktiv konstruiert, also auf Grundlage einer vor der Sichtung des Analysematerials bereits bestehenden Theorie. Für eine detaillierte Analyse des Shopping Queen-Dispositivs würde die alleinige Zugrundelegung deduktiv gewonnener Analyse-Kategorien allerdings zu kurz greifen, denn bei einem solchen Vorgehen würden Themenaspekte vernachlässigt, die im Rahmen der theoretischen Konzeptionen eventuell nicht berücksichtigt wurden, aber für die Analyse des Seriendispositivs trotzdem relevant sind. Vor diesem Hintergrund werden in einem zweiten Schritt die zu analysierenden Shopping Queen-Episoden zunächst inhaltsbezogen gesichtet und anschließend die theoriebasierten Kategorien auf Grundlage der verschiedenen Serieninhalte erweitert und ausdifferenziert. So können mögliche neue Kategorien induktiv, also auf Basis des Analysematerials, entwickelt und die theoriebasierten Kategorien mit Hilfe von Unterkategorien weiter ausdifferenziert werden. Darüber hinaus können Kategorien, die sich möglicherweise als irrelevant bei der Analyse des konsumbezogenen Shopping Queen-Dispositivs erweisen, ge-
36 Den Ausführungen von Ines Steinke zufolge, sollten qualitative Forschungen, neben der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit, noch folgende Gütekriterien erfüllen: Indikation des Forschungsprozesses (Gegenstandsangemessenheit von Erhebungs- und Auswertungsmethoden), Empirische Verankerung der Theorie, Limitation (Einschränkung der Ergebnisse hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf andere Forschungsobjekte), Kohärenz, Relevanz und reflektierte Subjektivität (des Forschers) (vgl. Steinke 2008, S. 324-330). Zwar kritisiert Christian Lüders die von Steinke skizzierten Gütekriterien dahingehend, dass ihnen „ein spezifisches Verständnis von qualitativer Sozialforschung zugrundeliegt“ (Lüders 2006, S. 81) und sie darüber hinaus erweiterungsbedürftig sind (vgl. ebd.), da sie aber zumindest einen Orientierungsrahmen für Kriterien zum Erlangen von Güte bei qualitativen Forschungen darstellen, werden sie im Rahmen der Forschungen dieser Studie berücksichtigt.
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strichen werden. Alle Änderungen werden in den Auswertungsleitfaden aufgenommen. Es folgt eine weitere Materialsichtung, bei welcher der Fokus des Interesses auf der filmischen Inszenierung der Serieninhalte liegt. In Anlehnung an den bereits erläuterten filmanalytischen Untersuchungsansatz, wird auf Grundlage einer präzisen Beobachtung ein Sequenzprotokoll von relevanten Schlüsselszenen verfasst. In ihm werden, wie oben beschrieben, die verwendeten filmischen Mittel und Abläufe tabellarisch erfasst und mit Hilfe von Freeze-Frames visuell festgehalten. Anschließend werden die filmischen Komponenten in Bezug zu den jeweiligen Inhalten der verschiedenen Shopping Queen-Szenen gesetzt und ihre Funktion im Rahmen des entsprechenden Kontextes analysiert. In einem weiteren Schritt werden dann, vor dem Hintergrund der so gewonnenen Erkenntnisse, die zuvor gebildeten Inhaltskategorien erneut betrachtet und auf Grundlage der dazugewonnenen filmanalytischen Erkenntnisse ergänzt. 37 Im Anschluss wird das Serienmaterial ein weiteres Mal gesichtet, wobei jede analysierte Schlüsselszene einer Kategorie beziehungsweise einer Unterkategorie des fertiggestellten Kategorie-Systems zugeordnet und somit kodiert wird. Die Zuordnung wird stichpunktartig in tabellarischer Form festgehalten. Auf Basis der entsprechenden Zuordnung inhaltlicher und struktureller Serienelementen sowie filmischer Mittel zu verschiedenen Kategorien, kann anschließend eine detaillierte und strukturierte Auswertung des Serienmaterials durchgeführt werden. Hierbei wird das Augenmerk allerdings weniger auf die 37 Die so konstruierten Kategorien wurden im Rahmen des Analyseprozesses darüber hinaus in einem Forschungskolloquium zur Diskussion gestellt und auf Basis der hierbei erlangten Erkenntnisse überarbeitet. Auf diese Weise wurden weitere Perspektiven auf das zu analysierende Serienmaterial berücksichtigt, wodurch einerseits die Auswirkungen subjektiver Sichtweisen der Autorin auf das Kategoriesystem verringert und weitere relevante Aspekte des Shopping Queen-Dispositivs hervorgehoben werden konnten (zu den Vorteilen von Interpretationsgruppen und Forschungskolloquien bzw. -werkstätten vgl. z.B. auch Schreier 2012, S. 90 f.; Riemann 2006, S. 68 f. oder Mey/Mruck 2011, S. 34). Insgesamt wurden schließlich 14 Hauptkategorien entworfen: 1. Darstellung artifizieller Wirklichkeiten, 2. Bewertung von Kontingenz, 3. Kontingenzbegrenzung und Kontingenzentgrenzung, 4. Darstellung von Kontingenz, 5. Produktion und Reproduktion von (Konsum-)Normalität, 6. Darstellung von Normalität und Normalisierungsprozessen, 7. Konsummotive, 8. Darstellung von Konsummotiven, 9. Auswahlkriterien, 10. Darstellung von Auswahlkriterien, 11. Genusspotenziale beim auf Selbstentfaltung gerichteten Konsumieren, 12. Darstellung von konsumbezogenen Genusspotenzialen, 13. Konsumbasierte Selbstoptimierung von Subjekten, 14. Panoptische Anordnung/Begehrenserfüllung nach Sichtbarkeit.
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Häufigkeit des Auftretens verschiedener Aspekte gelegt, wie es die Zuordnung von Serienelementen zu Kategorien eventuell zunächst vermuten lässt. Vielmehr ist es Ziel des Auswertungsprozesses, die verschiedenen Machtbeziehungen, Diskurse und nicht-diskursiven Praktiken des Dispositivs qualitativ darzustellen und zu interpretieren. Dazu werden auf Grundlage des kodierten Materials zunächst die relevantesten konsumbezogenen Aspekte der analysierten Schlüsselszenen identifiziert und anschließend deren filmischen und inhaltlichen Inszenierungen strukturiert erläutert. Die filmischen Gestaltungselemente und die Inhalte der narrativen Ebene werden hierbei konsequent aufeinander bezogen, um so eine gegenstandsangemessene Analyse der konsum- und subjektivierungsrelevanten Serienelemente zu ermöglichen. Darüber hinaus werden die empirisch ermittelten Analyseerkenntnisse zu der im Theorieteil dieser Studie entfalteten Subjektivierungstheorie in Beziehung gesetzt. Hierdurch kann einerseits die Theorie anhand eines aktuellen Medienbeispiels expliziert und gegebenenfalls erweitert werden. Andererseits erlaubt es diese Vorgehensweise, die subjektbildenden Strukturen, Diskurse, Praxen und Machttechniken des Shopping QueenDispositivs wissenschaftlich zu verorten und zu fundieren. Um die Beziehungen der verschiedenen subjektbildenden Elemente und Strukturen sowie die Logiken und strategischen Kalküle, welche ihre spezifische Gestaltung und Anordnung bedingen, abschließend explizieren und in einen Gesamtzusammenhang setzen zu können, wird am Ende der Untersuchung das Shopping Queen-Dispositiv in seiner Ganzheit zusammenfassend beschrieben. Dabei wird auf die von Andrea Bührmann skizzierten Leitfragen einer Dispositivanalyse zurückgegriffen, die zu Beginn dieses Kapitels dargestellt wurden. Die Erkenntnisse, welche schließlich mit Hilfe des skizzierten methodischen Vorgehens erlangt wurden, werden im folgenden Kapitel dargestellt.
7
Analyseergebnisse
7.1
ANORDNUNG ARTIFIZIELLER WIRKLICHKEITEN ALS VORAUSSETZUNG FÜR DIE DOPPELFUNKTION VON SHOPPING QUEEN ALS UNTERHALTUNGS- UND ORIENTIERUNGSANGEBOT
Obwohl die Serie Shopping Queen eindeutig als Unterhaltungsformat konzipiert ist, eignen sich ihre Inhalte für die Rezipienten auch dazu, sich ein Orientierungswissen in Bezug auf konsumbasierte Subjektivierungsprozesse zu erschließen.1 Auf diese Weise erhält die Sendung, neben ihren Unterhaltungsaspekten, auch eine subjektbildende Funktion. Diese Doppelfunktion kann unter anderem deshalb entstehen, weil die Rezipienten in Shopping Queen eine artifizielle Welt vorfinden, die sich zwar im Groben an ihrer Realität anlehnt, sich aber auch zugleich in vielen Aspekten von dieser entfernt. Auf diese Weise kann sich der Zuschauer – wie es auch Andreas Ziemann in Bezug auf Spielfilme und TV-Serien im Allgemeinen erklärt hat2 – einerseits mit der Shopping QueenWelt identifizieren, da er in ihr viel Vertrautes wiedererkennt. Andererseits ermöglichen die fiktionalen Elemente der Serie es dem Rezipienten zugleich auch, sich zeitweise von seinen Alltagsstrukturen zu lösen und sich von den dargebotenen Shopping-Events unterhalten zu lassen. So ist die Hauptaufgabe der Serienkandidatinnen – der Kauf beziehungsweise die Zusammenstellung eines Looks für einen bestimmten Anlass – den Rezipienten mit sehr großer Wahrscheinlichkeit aus deren eigenem Leben bekannt, ebenso wie die Umgebung, in der die Outfits, Accessoires, Schuhe etc. gekauft werden, also die typischen Bekleidungs- und Schuhgeschäfte, die in den Innenstädten und Shoppingmalls 1
Diese Erschließungsprozesse verlaufen zum Großteil automatisch und unbewusst in
2
Vgl. Ziemann (2006), S. 69 sowie die Ausführungen dieser Studie auf S. 81.
Form einer kommunikativen Normalisierung.
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Deutschlands zahlreich zu finden sind. Diese Rahmenaspekte der vorgeführten Konsumevents ermöglichen den Zuschauern also eine Identifikation mit dem Gesehenen. Die fiktionalen Elemente der Sendung, wie der Kampf um die Kürung zur Shopping Queen, die (knappen) Budget- und Zeitvorgaben sowie die permanenten Bewertungen der dargestellten situativen Konsumpraxen, distanzieren allerdings die Serieninhalte von realen Einkaufssituationen und ermöglichen dadurch den Event- und Unterhaltungscharakter der Serie. Die in der Sendung inszenierten Konsumsubjekte und Konsumpraxen können vor dem dargestellten Hintergrund also sowohl als Unterhaltungsmomente als auch als Applikationsfolien für die konsumbasierte Subjektkonstitution der Shopping Queen-Zuschauer fungieren.
7.2
KONTINGENZBEGRENZUNG UND KONTINGENZENTGRENZUNG
Die im vorangegangenen Unterkapitel erwähnte Begrenzung der zur Verfügung stehenden Einkaufszeit und die Limitierung des Einkaufs-Budgets kann aus einem mediensoziologischen Blickwinkel nicht nur als unterhaltendes und spannungssteigerndes Mittel aufgefasst werden. Diese Serienelemente stellen auch eine von den Shopping Queen-Produzenten herbeigeführte Kontingenzbegrenzung in Bezug auf die Konsumhandlungen der Serienkandidatinnen dar und zwar im Sinne einer Einschränkung der ansonsten vielfältigen Konsummöglichkeiten bei gleichzeitig fehlenden Richtlinien für einen erfolgreichen Umgang mit dieser Optionenvielfalt, mit denen sich die Konsumenten der Gegenwartsgesellschaft konfrontiert sehen.3 Diese Konsumbeschränkungen stellen die Kandidatinnen einerseits vor die meist nur schwer zu bewältigende Aufgabe, einen geeigneten Look innerhalb einer geringen Zeit- und Geldspanne zu kreieren. Der Druck, der damit auf den Kandidatinnen lastet, wird besonders dann deutlich, wenn jene nicht direkt ein passendes Kleidungsstück oder Accessoire finden. So beschreibt beispielsweise Dienstags-Kandidatin Vishy ihren Gemütszustand während ihrer zunächst nicht erfolgreichen Suche nach einem passenden Kleid
3
Die Entgrenzung von Konsummöglichkeiten bei zugleich fehlenden Richtlinien für einen erfolgreichen Umgang mit dieser Optionenvielfalt wird hier als Konsumkontingenz bezeichnet, wohlwissend, dass die theoretisch doch sehr komplexen Zusammenhänge der Kontingenzphänomene der Gegenwartsgesellschaft hierdurch nur teilweise erfasst werden. Ausführliche Erläuterungen zu dem Thema der Kontingenz finden sich im Kapitel 3.2.1.
Analyseergebnisse
| 161
folgendermaßen: „Noch bin ich entspannt, aber ich glaub’ noch so zehn Minuten und dann raste ich völlig aus!“4 Andererseits erleichtert die serienimmanente Kontingenzbegrenzung aber auch teilweise die Entscheidungsfindung der Kandidatinnen, da lange Auswahlprozesse und Abwägungen zwangsweise abgekürzt werden müssen und Konsumobjekte, die das zur Verfügung stehende Budget sprengen, von vornherein ausgeschlossen werden können. Generell sind aber die Konsummöglichkeiten in der Serie, trotz der Zeit- und Budgeteinschränkungen, noch immer so vielfältig, dass der erfolgreiche Umgang mit Kontingenz zur Hauptaufgabe der Kandidatinnen wird. Nach der Devise ‚anything goes‘ müssen sie sich nicht nur für einen spezifischen Stil entscheiden, den ihr individueller Look haben soll. Sie müssen auch genau kalkulieren, wie dieser Stil bis ins kleinste Detail umgesetzt wird. Dabei muss beispielsweise berücksichtigt werden, ob für die Umsetzung des Wochenmottos eher eine Hose, ein Rock oder ein Kleid geeignet ist, die Farbgestaltung eher auffällig oder dezent sein sollte und welcher Kleidungsschnitt die Kandidatin am vorteilhaftesten erscheinen lässt. Selbst wenn dann diese Eckpunkte eines Looks gesetzt wurden, stehen auch hier wiederum unterschiedlichste Schnittlängen, Farbnuancen etc. zur Auswahl. Gleichzeitig erschwert die geringe Planbarkeit eines Looks, aufgrund des erst kurzfristig bekannt gegebenen Einkaufsmottos und aufgrund des kaum kalkulierbaren Kleiderangebots in den verschiedenen Läden, eine erfolgreichen Kontingenzbewältigung und damit den sinnvollen Umgang mit der vorherrschenden Optionenvielfalt. So tun sich viele Kandidatinnen mit der Auswahl des besten Outfits oft schwer. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie keine Kleidung finden, die ihren zuvor gesetzten Vorstellungen entspricht und sie in kürzester Zeit einen alternativen Look mit dem vor Ort gegebenen Angebot zusammenstellen müssen. So geht es zum Beispiel der Kandidatin Sabine. Ihr Plan ist es, für das Motto des Deutschen Filmballs ein Kleid im Vintage-Stil zu kaufen.5 Als sie aber kein Kleid findet, das diesen Zielvorstellungen entspricht, fällt es ihr alles andere als leicht, aus dem vielfältigen Kleidungsangebot ein Alternativoutfit auszuwählen, weshalb sie sich schließlich halbherzig für ein relativ klassisches schwarzes MainstreamAbendkleid entscheidet.6 Sie versucht dabei nicht mehr, das für sie individuell 4
SQ [787], 26:28 -26:30. Im Folgenden wird diese Abkürzungsform verwendet. Sie steht hier für: Shopping Queen, Folge 787, Minute: 26:28-26:30. Bei den jeweiligen Minutenangaben werden auch die Werbepausen berücksichtigt, die bei der Erstausstrahlung der analysierten Episoden im deutschen Fernsehen die einzelnen Seriensequenzen unterbrachen.
5
Vgl. SQ [790], 12:39-12.43.
6
Vgl. SQ [790], 32:33-32:36.
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vorteilhafteste Outfit zu finden, sondern begegnet der Kontingenz- und Zeitproblematik dadurch, dass sie das nächstbeste Kleid, welches ihr ansatzweise gefällt, als Kleidungskompromiss akzeptiert. Damit erfüllt sie nicht den gesellschaftlichen Anspruch nach einem kreativen und erfolgreichen Kontingenzumgang, der auch bei begrenzten Ressourcen erfolgreich gestaltet werden sollte. Es scheint vor diesem Hintergrund auch kein Zufall zu sein, dass sie am Ende der Woche keine gute Platzierung im Wettstreit um den Titel der Shopping Queen erhält, denn in der Serie wird nicht nur die Entgrenzung möglicher Konsumoptionen in den Fokus gerückt. Es wird auch insbesondere ein erfolgreicher Kontingenzumgang prämiert, der sich in einem stilsicheren Konsumverhalten im Rahmen einer entgrenzten Optionenvielfalt sowie innerhalb begrenzter Zeit- und Budgetvorgaben ausdrückt. Die beschriebene Möglichkeitsentgrenzung bei der Kleiderauswahl wird dabei filmisch durch diverse Total- oder Halbtotalaufnahmen7 visualisiert, welche die Kandidatinnen inmitten von zahlreichen Kleidungsangeboten verschiedener Läden zeigen. Entsprechende Kameraeinstellungen ermöglichen es den Zuschauern, die vielfältigen zur Auswahl stehenden Produktangebote wahrzunehmen, während sie die Handlungen der Kandidatinnen verfolgen, welche das große Kleiderangebot meist relativ orientierungslos inspizieren.8 Kontingenz wird in diesem Zusammenhang allerdings nicht nur als ein zu bewältigendes Problem inszeniert, sondern bildet in der Serie vielmehr die Folie, auf der die Entscheidungszwänge der Kandidatinnen inszeniert werden. Dabei wird der Facettenreichtum der verschiedenen Konsumangebote in ein positives Licht gerückt, indem gezeigt wird, dass dieser es den Konsumenten ermöglicht, die unterschiedlichsten Nuancen ihres Selbst mit Hilfe von Konsumobjekten, wie Kleidung und Accessoires, auszudrücken.9 Hier lässt sich also die These von Michael Makropoulos bezüglich der Positivierung von Kontingenz in der Massenkultur bestätigen. Gleiches gilt für dessen Aussage über die massenkulturelle Funktion der Einübung artifizieller und kontingenter Strukturen. Die Serie Shopping Queen ist so konzipiert, dass Kontingenz ein fundamentaler Bestandteil des Formats ist, auch wenn diese auf mehreren Ebenen eingeschränkt wird (Shopping-Motto der Woche, Zeitrahmen, verfügbares Budget) und immer an die Beobachtungen und Bewertungen durch andere geknüpft ist. Dadurch trägt
7
Nähere Erläuterungen zu den verschiedenen Kameraeinstellungen und -perspektiven
8
Vgl. z.B. SQ [790], 15:00-15:21; SQ [788], 11:24-11:26; SQ [787], 13:45-13:56.
9
Weitere Ausführungen zu dem in der Serie vermittelten Imperativ der konsumbasier-
befinden sich im Abkürzungsverzeichnis.
ten Selbstexpression finden sich in Kapitel 7.4.
Analyseergebnisse
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die Serie zu einer Verfestigung der kontingenten Strukturen der Gegenwartsgesellschaft bei.10 Guido Maria Kretschmer tritt in diesem Zusammenhang als Kontingenzexperte auf, indem er, vor dem Hintergrund seiner beruflich bedingten Stil- und Modeexpertise, die verschiedenen dargestellten Konsumoptionen sowie die Kaufentscheidungen der Kandidatinnen dahingehend kommentiert, wie diese zu bewerten sind. Er beurteilt also, ob die Kandidaten, Kontingenz zu ihrem Vorteil nutzen können oder ob sie sich vielmehr in den vielfältigen Konsumoptionen verlieren und schließlich Fehlkäufe tätigen, die sich auf mangelnde Kompetenz im Kontingenzumgang zurückführen lassen.11 Kretschmers Bewertungen werden dabei nicht als reine Audiokommentare in der Serie inszeniert. Vielmehr wird der Designer während seiner Äußerungen, in der Regel auf der rechten Bildseite in einer Nah-Aufnahme eingeblendet, so dass der Zuschauer auch dessen Mimik und Gestik während seiner Kommentierungen sehen kann. Auf diese Weise werden seine Bewertungen auch auf visueller Ebene dargestellt und ihr Inhalt dadurch in verstärktem Maße verdeutlicht. Kretschmers Konsumkompetenz wird in diesem Zusammenhang ebenfalls auf der Bildebene visualisiert, denn während seiner Kommentierungen wird er grundsätzlich vor einem beigefarbenen Hintergrund eingeblendet, auf dem skizzierte Einkaufstaschen zu sehen sind, die sich, wie auf einem Kassenband, von der rechten zur linken Bildseite bewegen. Als Beispiel einer typischen Konsumbewertung von Kretschmer kann unter anderem seine Kritik an dem Look der Kandidatin Vishy aufgeführt werden. Er bemängelt das von ihr gewählte Kleid, da jenes, nach seinem Geschmack, nicht für ihren zarten Körperbau geeignet ist: „Ich finde das Kleid fast ’n bisschen zu groß für sie, also nicht von … von, von der Form, sondern mit dem ganzen Strass, das ach macht so madamig oben. Das nimmt diese Zartheit ’n bisschen weg. […] also sie hat ’n bisschen von ihrer Jugend eingebüßt und es hätte zarter, mädchenmäßiger, eleganter…“12 Vishys konsumbezogener Kontingenzumgang ist in Kretschmers Augen also verbesserungswürdig. Besser gefällt ihm hingegen der Look von Kandidatin Imke, die sich für ein silberfarbenes, figurbetontes One Shoulder-Kleid mit silber-schwarzen Accessoires und silbernen Schuhen entscheidet. So sagt er über ihre Kleiderauswahl: „Ja, es ist ein super Look! Das Kleid ist super, steht ihr auch ausgesprochen gut. […] One Shoulder ist gut, das Material geht wunderbar zusammen mit der Kette, 10 Zur Positivierung von Kontingenz durch die Massenkultur vgl. z.B. Makropoulos (2008), S. 8ff und S. 127ff sowie die Ausführungen in Kapitel 3.2.2. 11 Er übernimmt damit auch eine Normalisierungsfunktion, was in Kapitel 7.3 ausführlich erläutert wird. 12 SQ [787], 54:01-54:40.
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ich find’ das mit den Ohrringen ganz schön […], steht ihr gut, was soll man sagen, sie wird auf dem Filmball wunderbar aussehen.“13 Mit diesen und ähnlichen Bewertungen vermittelt Kretschmer den Serienrezipienten konsumbezogene Orientierungsimpulse und Applikationsfolien für eine erfolgreiche „Kontingenzbegrenzung durch gezielte Kontingenznutzung“14, wie sie auch von Michael Makropoulos als wichtige Zielperspektive in der Gegenwartsgesellschaft beschrieben wird. Die auf diese Weise vermittelten Orientierungspunkte für einen erfolgreichen konsumbezogenen Kontingenzumgang können in diesem Zusammenhang als ein Instrument der Kontingenzbegrenzung aufgefasst werden. 15 Indem den Serienrezipienten mögliche Optionen eines erfolgreichen Kontingenzumgangs vor Augen geführt werden, werden Konsumalternativen, die nicht über die dargestellten Aspekte dieser als positiv inszenierten Objektauswahl verfügen, von vornherein als Konsummöglichkeiten ausgeschlossen, wodurch die konsumbezogene Kontingenz eingeschränkt wird. Bezüglich der Inszenierung von Kontingenz in der Serie Shopping Queen kann also insgesamt festgehalten werden, dass die konsumbezogene Kontingenz der Gegenwart eine fundamentale Rolle in der Doku-Soap spielt, da sie die Folie bildet, auf der die Entscheidungszwänge der Kandidatinnen inszeniert werden. Dabei wird Kontingenz, vor dem Hintergrund von vielfältigen Selbstexpressionsmöglichkeiten, insgesamt als ein positiver Aspekt der gegenwärtigen Konsumkultur dargestellt. Neben der Positivierung und Ausweitung von Kontingenz durch die Inszenierung von entgrenzten Konsummöglichkeiten, finden sich bei Shopping Queen aber auch Instrumente der Kontingenzbegrenzung. Einerseits wird auf der Inhaltsebene der Serie die Konsumkontingenz durch Einschränkungen bezüglich des zur Verfügung stehenden Budgets, des erlaubten Zeitrahmens und des vorgegebenen Einkaufsmottos eingeschränkt. Bei diesen Formen der Kontingenzbegrenzung handelt es sich allerding hauptsächlich um spannungssteigernde Serienelemente, die eher als notwendiges Übel für die Kandidaten inszeniert werden und weniger als Möglichkeit eines erfolgreichen Kontingenzmanagements. Eine solche erfolgreiche Form von Kontingenzbegrenzung stellen eher Kretschmers Kommentierungen dar, die dem Zuschauer mögliche Eckpunkte eines als gelungen proklamierten Kontingenzumgangs offerieren. Sie fungieren zudem als Normalisierungsinstrument, das in der Serie, neben weiteren Normalität stiftenden Strukturen als ein grundlegendes Subjekti-
13 SQ [789], 56:42-57:05. 14 Makropoulos (1997), S. 32. 15 Sie sind zudem auch Normalisierungsinstrumente und werden unter diesem Blickwinkel nochmals in Kapitel 7.3 thematisiert.
Analyseergebnisse
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vierungsmittel zum Einsatz kommt. Entsprechende subjektbildende Normalisierungsstrukturen stehen im Fokus des folgenden Kapitels.
7.3
NORMALISIERUNGSSTRUKTUREN BEI SHOPPING QUEEN ALS INSTRUMENT VON SUBJEKTIVIERUNGSPROZESSEN
In Kapitel 3.2.3 wurde dargestellt, dass das subjektbildende Instrument der Normalisierung, bei der sich Subjekte durch die Ausrichtung an Normalitäten konstituieren, eine essenzielle Rolle bei Subjektivierungsprozessen spielt. Einige Vertreter der kritischen Medientheorie gehen davon aus, dass Massenmedien in diesem Zusammenhang fixe Normalitätsstandards in Form von starren Normen vorgeben, welche die rezipierenden Individuen unhinterfragt befolgen. Neuere mediensoziologische Ansätze stellen ihrerseits wiederum dar, dass Medien flexible Normalitätsspektren in Hinsicht auf Werte, Weltanschauungen, Handlungsoptionen etc. vermitteln und dadurch normalistische Landschaften konstituieren, in denen sich die Rezipienten aktiv selbst verorten.16 Diese Selbstverortung dient dabei als flexibles handlungsleitendes Instrument bei der Subjektbildung und kann als gouvernementale Selbstführungstechnologie17 verstanden werden. In der Serie Shopping Queen können Normalisierungsimpulse auf zwei verschiedenen Ebenen beobachtet werden: Auf der einen Seite kann eine medial inszenierte Normalisierung der Kandidatinnen festgestellt werden, deren (konsumbasierte) Subjektkonstitution während der Sendung mitverfolgt werden kann. Auf der anderen Seite offeriert die Sendung auch ihren Zuschauern verschiedene Normalisierungsimpulse für deren eigene Subjektbildung. Während bei der medial dargestellten Subjektkonstitution der Kandidatinnen sowohl disziplinäre als auch flexible Normalisierungsstrukturen nachgezeichnet werden können, lassen sich in Bezug auf Normalisierungsimpulse für die Serienrezipienten ausschließlich flexible Normalisierungsstrukturen feststellen. Im Folgenden wird zunächst der Fokus auf die Kandidatinnen-Ebene gerichtet, bevor anschließend die Normalisierungsimpulse für die Serienrezipienten in den Blick genommen werden.
16 Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 3. 17 Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 2.2.2.
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7.3.1 Disziplinäre und kommunikative Normalisierungsstrukturen als Subjektivierungsinstrument der Shopping Queen-Kandidatinnen Die Serie Shopping Queen verfügt über diverse wiederkehrende Strukturen und Elemente, welche die einzelnen Episoden nicht nur auf einer inhaltlichen Ebene gliedern, sondern auch nachhaltig zu einer Normalisierung und damit zur (konsumbasierten) Subjektivierung der Serien-Kandidatinnen beitragen. In diesem Zusammenhang kann beispielsweise das Element des sogenannten Style-Checks in der Sendung aufgeführt werden. In jeder Episode wird die entsprechende Tages-Kandidatin, im Anschluss einer ausführlichen Vorstellung ihrer Person sowie ihres Konsum- und Lebensstils, einem solchen Style-Check unterzogen. Hierbei wird sie zunächst in einer Totalaufnahme aus vier verschiedenen Kameraperspektiven gezeigt (von vorne, von hinten sowie von jeder Seite), bevor eine Kamerafahrt, welche bei den Füßen der Kandidatin beginnt und bei ihrem Kopf endet, ihre verschiedenen körperlich Details durch eine Nahaufnahme in den Fokus rückt. Gleichzeitig werden auf der rechten Seite des Bildes der Name der Kandidatin sowie ihr Alter, ihre Körpergröße, ihr Gewicht, ihre Konfektionsgröße und ihre Schuhgröße eingeblendet. Die entsprechenden Daten werden dabei den Zuschauern zudem auch in Form eines Audio-Kommentars von einem Sprecher aus dem Off vermittelt.18 Die körperlichen Charakteristika einer Kandidatin werden also im Rahmen des Style- Checks in verschiedene Parameter und Daten zerlegt, die einen Vergleich der körperlichen Attribute verschiedener Frauen beziehungsweise deren Einordnung in ein Normalitätsspektrum ermöglichen. Dieses Normalitätsspektrum kann dabei imaginativ auf Basis der Gesamtheit von erhobenen Daten verschiedener Teilnehmer statistisch ermittelt werden. Ähnlich wie es Foucault in seinen Ausführungen zur disziplinären Normalisierung in diversen Disziplinarinstitutionen erläutert19, wird also im Laufe der verschiedenen Shopping Queen-Episoden ein statistisch ermitteltes und imaginiertes normalistisches Vergleichsfeld aufgespannt, in dem die einzelnen Kandidatinnen positioniert und bewertet werden können. Diese standardisierte und auf Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Teilnehmerinnen ausgerichtete Erfassung der körperlichen Attribute jeder Kandidatin wird im Style-Check auch auf visueller Ebene filmisch unterstrichen. So werden alle Frauen grundsätzlich aus demselben Winkeln gefilmt, so dass man ihre kör-
18 Vgl. z.B. SQ [786], 12:02-12:15. 19 Vgl. Foucault (1976) sowie die Ausführungen im Kapitel 2.2.2.
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perlichen Charakteristika besser miteinander vergleichen kann. Zudem werden die vier verschiedenen Perspektiven, aus denen eine Kandidatin in einer Totalaufnahme gezeigt wird, nicht etwa durch eine Bewegung der Teilnehmerin oder durch eine Kamerafahrt um diese herum ermöglicht, sondern durch vier mit Schnitten voneinander getrennte Einzelaufnahmen. Dadurch erinnert die filmische Präsentation der jeweiligen Person an Polizei- beziehungsweise Fahndungsfotos, die in aller Regel in einem ähnlichen Stil aufgenommen werden, um eine hohe Standardisierung von Vergleichsmerkmalen zu ermöglichen. Verstärkt wird dieser visuelle Eindruck darüber hinaus durch die Einblendung eines grafisch angedeuteten Fadenkreuzes, das über das eigentliche Bild gelegt wird und welches sich, wie bei einem Suchlauf, über den Körper der Shopping QueenTeilnehmerin bewegt. Auf akustischer Ebene wird diese Bewegung zudem durch einen hellen, surrenden Ton untermalt. Anders als bei der von Foucault beschriebenen disziplinären Normalisierung von Subjekten, lassen sich durch den Style-Check allerdings keine Verhaltensänderungen bei den Kandidatinnen aufgrund der standardisierten Erfassung ihrer körperlichen Attribute und aufgrund der dadurch erschaffenen Vergleichbarkeit mit anderen Individuen feststellen. Dies lässt sich einerseits damit begründen, dass die jeweilige Kandidatin selbst weder den Style-Check noch die Bewertung von Kretschmer im Vorfeld ihres Einkaufstages mitbekommt und somit auch nicht direkt in ihrem Konsumverhalten beeinflusst wird. Sie kann lediglich auf Basis vorheriger Shopping Queen-Episoden antizipieren, wie der Designer ihren eigenen Stil bewerten wird und welche Erwartungen er möglicherweise an sie richtet. Andererseits werden die erhobenen Parameter jeder Frau auch nicht direkt mit den Daten ihrer Mitstreiterinnen verglichen beziehungsweise in eine Rangreihe gesetzt (entsprechende Vergleiche werden lediglich durch die Präsentation der individuellen Werte jeder Teilnehmerin ermöglicht). Darüber hinaus erfolgt in der Sendung auch keine direkte Bewertung der dargestellten körperlichen Ausprägungen. Guido Maria Kretschmer beurteilt am Ende des StyleChecks lediglich, wie gelungen eine Kandidatin ihr individuelles Erscheinungsbild mit Hilfe von Mode in Szene setzt. Dabei liegt der Fokus seiner Ausführungen weniger auf den spezifischen körperlichen Daten und Parametern, sondern vielmehr auf dem generellen Gesamteindruck, den eine Teilnehmerin bei ihm hinterlässt. Auch Kretschmers Erwartungen an die Kandidatinnen beziehungsweise an deren Einkäufe, die er am Ende des Style-Checks formuliert, fußen nicht auf festen Richtlinien und Normen, an denen sich die Shopping Queen-Anwärterinnen während ihres Einkaufstages orientieren sollen. Vielmehr erläutert er grobe Eckpunkte, welche aus seiner Perspektive zu einer Stiloptimierung bei der jeweiligen Person führen würden, die aber eine individuelle Ausge-
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staltung des zu kaufenden Looks im Rahmen der genannten Eckpunkte zulassen. Vor diesem Hintergrund weist Kretschmers abschließende Kommentierung des Style-Checks vielmehr Charakteristika eines flexiblen anstatt eines disziplinären Normalisierungsinstrumentes auf. Zusammenfassend kann das Serienelement des Style-Checks damit als ein Normalisierungsinstrument beschrieben werden, das sowohl Eigenschaften von der disziplinären als auch von der flexiblen Normalisierung in sich vereint. Mit disziplinären Normalisierungsinstrumenten teilt es die datenzentrierte Erhebung individueller Körpermerkmale sowie die dadurch ermöglichte Positionierung der verschiedenen Individuen innerhalb eines statistisch ermittelten normalistischen Vergleichsfeldes. Mit den Instrumenten flexibler Normalisierungsprozesse verbindet es die relativ flexible Zielperspektive und das damit einhergehende Fehlen von starren Verhaltensrichtlinien.20 Ähnliche normalistische Subjektivierungsimpulse bietet das Element der Ausgabenübersicht. Nach der Laufsteg-Präsentation des zusammengestellten Looks der jeweiligen Tages-Kandidatin, werden am Ende jeder Shopping Queen-Episode die verschiedenen Ausgabenpositionen durch einen Audiokommentar erläutert und auf der Bildebene mit Hilfe eines Splitscreens visualisiert. Auf der linken Seite des Splitscreens wird die entsprechende Kandidatin in ihrem zusammengestellten Look gezeigt, während auf der rechten Seite eine Übersichtsliste eingeblendet wird, auf der jedes gekaufte Konsumobjekt mit dem dafür bezahlten Preis dargestellt wird. Während ein Kommentator aus dem Off die einzelnen gekauften Güter, samt des für sie bezahlten Preises, der Reihe nach erläutert, werden die jeweiligen Produkte in einer Groß- oder Detailaufnahme auf der linken Bildseite gezeigt. Auf diese Weise wird sowohl auf der Bild- als auch auf der Ton-Ebene den Zuschauern vermittelt, wie die 500€ Budget von der jeweiligen Kandidatin investiert wurden. Ähnlich wie bereits in Bezug auf das Element des Style-Checks beschrieben, werden damit auch im Rahmen der Ausgabenübersicht Eigenschaften der präsentierten Konsumsubjekte in vergleichbare Parameter heruntergebrochen. Hier fokussiert die standardisierte Erfassung allerdings nicht auf die körperlichen Merkmale der Kandidatinnen, sondern auf deren Aufteilung des zur Verfügung stehenden Budgets auf die verschiedenen Bestandteile ihres Looks und damit auch auf ihre Prioritäten bei dessen Zusammenstellung. Letztere lassen sich implizit an der Höhe der einzelnen Ausgabenpositionen und der sich daraus ergebenden Gewichtung der verschiedenen Elemente ablesen. Auch mit Hilfe der Ausgabenübersicht lässt sich vor diesem Hintergrund ein imaginatives Normalitätsspektrum konstituieren, in welchem die 20 Der Style-Check bietet darüber hinaus auch den Serienrezipienten flexible Normalisierungsimpulse. Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 7.3.2.
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Kandidatinnen hinsichtlich ihrer finanziellen Investitionen verortet und auf dieser Basis schließlich beurteilt werden können.21 Allerdings wird, wie bei dem Element des Style-Checks, auch im Rahmen der Ausgabenübersicht keine abschließende Bewertung von Seiten des Modeexperten Guido Maria Kretschmer vorgenommen und somit auch keine starren Normen bezüglich der Verteilung der Ausgaben festgelegt. Es wird durch die Gesamtheit der Investitionsdarstellungen aller Kandidatinnen lediglich ein flexibles Normalitätsspektrum von Ausgaben(-Gewichtungen) bei der Zusammenstellung eines kompletten Looks in Szene gesetzt. Auch das Element der Ausgabenübersicht übernimmt damit die Funktion eines Normalisierungsinstrumentes, das die Merkmale von flexiblen und disziplinären Normalisierungsimpulsen in sich vereint. Ein weiteres Normalisierungselement der Serie ist die Punkte-Vergabe und die daraus entstehenden Rankings der Kandidatinnen. Wie bereits an früherer Stelle erwähnt, wird der jeweils zusammengestellte Look einer Kandidatin am Ende des Einkaufstages von den Mitstreiterinnen beurteilt. Ihre Bewertung drücken diese nach einem verbalen Feedback in Punkten aus und zwar auf einer Skala von null bis zehn. Während null Punkte bedeuten, dass der präsentierte Look überhaupt keine Anerkennung findet, drücken zehn Punkte aus, dass das Einkaufsergebnis für die bewertende Person sehr gut und damit nicht verbesserungsfähig ist. Schließlich werden die vergebenen Punkte der Mitstreiterinnen addiert und eine Gesamtpunktzahl errechnet, der am Ende der Woche noch Kretschmers Punkte hinzugefügt werden. Die Kandidatin, deren Look letztendlich die meisten Punkte gewinnen konnte, wird die Shopping Queen der Woche. Die Punkte-Vergabe und die hierdurch entstehenden Rankings erzeugen zahlenbasierte Positionierungen der Kandidatinnen in einem normalisitischen Vergleichsfeld, welches die Einkaufsergebnisse aller fünf Teilnehmerinnen einer Woche umschließt. Dieses statistisch ermittelte Vergleichsfeld wird am Ende jeder Episode auch filmisch dargestellt: Während ein Kommentator aus dem Off die erzielten Punkte der Shopping Queen-Anwärterinnen am Ende einer Episode kurz nennt, werden die zu vergleichenden Parameter durch die Einblendung eines Portraits jeder Kandidatin über dem jeweils ihr erreichter Punktestand zu sehen ist, auch auf der Bildebene der Serie illustriert. Im Gegensatz zu dem Style-Check und der Ausgabenübersicht werden hier also die Daten der verschiedenen Teilnehmerinnen explizit miteinander verglichen und mit Hilfe von 21 Ähnlich wie beim Style-Check wird dabei aber ein Vergleich mit den Ausgaben anderer Teilnehmerinnen nicht explizit durchgeführt. Es wird lediglich die Möglichkeit für einen Vergleich mit den Ausgaben anderer Kandidatinnen und damit für die Verortung der einzelnen Teilnehmerinnen in dem beschriebenen imaginären Normalitätsfeld geschaffen.
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filmischen Mitteln visualisiert. Die Ergebnisse dieser Rangreihe können in diesem Zusammenhang für die Kandidatinnen als zukünftiges Normalisierungsmittel aufgefasst werden, da sie einen Eindruck davon vermitteln, welches Konsumverhalten als besonders positiv von anderen Personen eingeschätzt wird und welches weniger überzeugen kann. Auch hier lassen sich allerdings keine starren Konsumnormen von den Ergebnissen und den Rankings der Kandidatinnen ableiten. Die verschiedenen Bewertungen können lediglich als Eckpunkte für flexible Normalisierungsprozesse konsumierender Subjekte fungieren. Auch das Serienelement des Kandidatinnen-Rankings kann somit als ein Normalisierungsinstrument aufgefasst werden, das über disziplinäre und flexibel-normalistische Eigenschaften verfügt. Die disziplinären Merkmale lassen sich in der zahlenbasierten Erfassung des Konsumerfolges jeder Kandidatin sowie in der auf dieser Basis statistisch konstituierten Rangreihung der Teilnehmerinnen finden. Die flexible Zielperspektive hinsichtlich zukünftiger Konsumhandlungen, die aufgrund des Fehlens fester Konsumnormen und Verhaltensrichtlinien in diesem Zusammenhang implementiert wird, ist hingegen als ein flexibel-normalistisches Merkmal anzusehen. Neben den sowohl flexibel als auch disziplinär geprägten Normalisierungsinstrumenten des Style-Checks, der Ausgabenübersicht und der KandidatinnenRankings, lassen sich in dem Dokutainment-Format aber auch reine kommunikative Normalisierungsimpulse bei der Subjektbildung der Shopping QueenKandidatinnen beobachten. So wird in der Serie häufig deutlich, dass die Kandidatinnen während ihres Einkaufs auf Basis ihrer bisherigen (Konsum-) Erfahrungen sowie aufgrund der Ratschläge ihrer Shoppingbegleitung und diverser Verkäufer Kaufentscheidungen treffen. Um möglichst viele Punkte von Kretschmer und ihren Mitstreiterinnen erhalten zu können, müssen sie, aus einer normalisierungstheoretischen Perspektive betrachtet, auf Grundlage dieser Informationen ein imaginäres konsumbezogenes Normalitätsfeld konstituieren, innerhalb dessen sie sich mit ihrem gekauften Look positionieren müssen. Hierbei gilt es, die richtige Mischung aus sozialer Anschlussfähigkeit und einer individuellen Note in dem zu präsentierenden Look zu vereinen. Dafür muss jede Teilnehmerin ihre ganz persönliche Nische in dem sozial konstruierten Normalbereich des Konsums finden. Die flexiblen Normalisierungskompetenzen der Kandidatinnen stellen somit eine wichtige Grundvoraussetzung für deren Erfolg in dem Serienformat dar. Insgesamt kann also festgestellt werden, dass in der Serie Shopping Queen in Bezug auf die Subjektivierung der Teilnehmerinnen disziplinäre und flexible Normalisierungsprozesse zu beobachten sind. Während der Style-Check, die Ausgabenübersicht und die Punktewertungen den Subjekten sowohl disziplinäre
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als auch flexible Normalisierungsimpulse offerieren, fungieren die bisherigen Konsumerfahrungen der Teilnehmerinnen sowie die Ratschläge beziehungsweise Ansichten ihrer Einkaufsbegleitung und verschiedener Verkäufer ihrerseits als Grundlage für rein flexible Normalisierungsprozesse bei der inszenierten Subjektbildung der Serienkandidatinnen. 7.3.2 Kommunikative Normalisierungsstrukturen als Subjektivierungsinstrument der Shopping Queen-Rezipienten Shopping Queen inszeniert, wie bereits zu Beginn dieses Kapitels erwähnt, nicht nur Normalisierungsprozesse im Rahmen der konsumbasierten Subjektkonstitution der Serienkandidatinnen. Die Serie offeriert auch diverse Normalisierungsimpulse für die Zuschauer vor dem Fernseher. Bei den von diesen Impulsen tangierten Normalisierungsprozessen der Zuschauer handelt es sich allerdings ausschließlich um flexible und nicht um disziplinäre Formen von Normalisierung. Die Serie vermittelt konsumierenden Subjekten, sich zwar in einem gesellschaftlichen konsumbezogenen Normalbereich mit dem eigenen individuellen Konsumstil zu positionieren, stellt dabei aber auch dar, dass sich erfolgreiches Konsumieren zudem durch eine individuelle Note auszeichnet. Vor diesem Hintergrund inszeniert Shopping Queen keine fixen und starr zu befolgenden Konsumnormen. Die Serie offeriert den Rezipienten, durch die Inszenierung unterschiedlichster Konsumoptionen und Konsumpraxen, vielmehr ein Orientierungswissen, mit dessen Hilfe jene ein imaginäres Normalitätsspektrum in Bezug auf Konsum konstituieren können. Jenes stellt eine wichtige Grundlage für konsumbasierte Subjektivierungsprozesse dar. Insbesondere die Inszenierung verschiedener Konsumstile, in Zusammenhang mit deren Bewertungen durch Guido Maria Kretschmer oder durch die anderen Teilnehmerinnen, treibt dabei die Konstitution imaginierter normalistischer Konsumlandschaften bei den Zuschauern voran. Denn durch sie wird nicht nur gezeigt, welche Normalitätsfacetten insgesamt existieren. Es wird darüber hinaus auch vermittelt, welche Facetten dieses konsumbasierten Normalitätsspektrums als besonders erstrebenswert und sozial akzeptiert aufgefasst werden können. In diesem Zusammenhang werden die Konsumpraxen, die jenem Normalitätsspektrum zugrunde liegen, nicht nur anhand des Einkaufsverhaltens von Kandidatinnen im Rahmen ihres Shopping-Tages deutlich. Auch deren bereits vor der Show zusammengestellte Garderobe sowie die Einrichtung beziehungsweise Ausstattung ihres Zuhauses ermöglichen es den Rezipienten der Serie, sich ein Bild von dem jeweiligen Lebens- und Konsumstil einer Kandidatin zu machen. Entsprechende Ein-
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blicke werden den Zuschauern durch die ausführliche Vorstellung jeder Kandidatin ermöglicht, die zu Beginn eines Aufnahmetages ein Kamerateam durch ihre Wohnung führt und dabei etwas über sich erzählt. Dabei verdeutlicht sie an den unterschiedlichsten Objekten in ihrer Wohnung, wie zum Beispiel an Bildern, Kleidung, persönlichen Erinnerungsstücken etc., was ihr im Leben wichtig ist und was für eine Person sie ist. In diesem Zusammenhang wird also der jeweilige Konsum- und Lebensstil der verschiedenen Kandidatinnen in Szene gesetzt und so deren spezifischen und individuellen Profile demonstriert. Auf diese Weise wird gezeigt, wie die einzelnen Kandidatinnen die Freiheiten und Zwänge der von Beck beschriebenen Individualisierungsgesellschaft nutzen, um ihren individuellen und authentischen Lebensstil zu gestalten und so Alleinstellungsmerkmale generieren, welche die Funktion haben, die Aufmerksamkeit und Anerkennung anderer Individuen zu sichern. Losgelöst von Traditionen und Konventionen geht es hierbei darum, sich als kreatives und individuelles Konsumsubjekt mit einem authentischen Lebensstil zu präsentieren, um sich im Spannungsfeld von sozialer Anschlussfähigkeit und individueller Besonderheit möglichst positiv in Szene zu setzen.22 Die Präsentation der verschiedenen Konsum- und Lebensstile, während der Führungen durch das jeweilige Zuhause der Shopping Queen-Kandidatinnen, offeriert den Zuschauern in diesem Zusammenhang flexible Normalisierungsimpulse für ihre eigene individuelle Profilschärfung. Im weiteren Verlauf einer Shopping Queen-Folge haben darüber hinaus die anderen Kandidatinnen die Möglichkeit, das Zuhause und damit auch den Konsum- und Lebensstil der zu dieser Zeit einkaufenden Kandidatin vor den Augen der Fernsehzuschauer genauestens zu inspizieren. Hierbei werden nicht nur weitere Details des individuellen Stils sichtbar, die den Rezipienten weitere Aspekte für die Konstruktion eines konsumorientierten Normalfeldes offerieren. Auch die Kommentare der Mitstreiterinnen, welche diese bei dem Durchstöbern der Häuser und Wohnungen vor laufenden Kameras äußern sowie deren körperliche Reaktionen auf verschiedene Einrichtungsgegenstände und Kleidungsstücke (wie zum Beispiel ihre Mimik und Gestik) liefern wichtige Orientierungsimpulse für flexible Normalisierungsprozesse. Sie vermitteln einen Eindruck davon, wie verschiedene Lebens- und Konsumstile von anderen Individuen bewertet werden und welchen Normalitätsgrad sie vor diesem Hintergrund erreichen. Die Konsum- und Lebensstile, die sich auf Grundalge von dem Konsumverhalten, der Inneneinrichtung, den Kleiderschrankinhalten etc. in diesem Zusammenhang re22 Zur individuellen und kreativen Lebensstilgestaltung und zur Erlangung sozialer Anerkennung und Aufmerksamkeit vgl. z.B. Reckwitz (2015) und Reichert (2008), S. 60 ff.
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konstruieren lassen, tragen schließlich zur Konstitution eines (konsumbezogenen) Normalitätsspektrums bei, innerhalb dessen sich die Zuschauer imaginativ im Rahmen ihrer (Konsum-)Subjektbildung selbst verorten können. Die entsprechende mentale Selbst-Positionierung innerhalb dieses Spektrums gibt ihnen dabei Aufschluss darüber, ob ihr eigener Konsumstil eher relativ normal oder außergewöhnlich ist und ob sie ihn – zwecks Selbstoptimierungsbestrebungen und gesellschaftlicher Anschlussfähigkeit – eventuell in Richtung einer imaginativen Mitte oder in Richtung einer vorgestellten Grenze des konstituierten Normalbereichs verändern sollten. Kretschmers Reaktionen und Kommentierungen spielen für solche Normalisierungsprozesse eine besonders wichtige Rolle. Da er als erfolgreicher Designer in der Serie die Position eines ausgewiesenen Stil-Experten einnimmt, können seine Ansichten bei der Beurteilung von den dargestellten Konsumstilen als besonders aussagekräftig und somit als essenziell für die Konstitution von Normalitätsspektren beziehungsweise bei der Beurteilung von den inszenierten Konsum- und Lebensstilen sowie deren gesellschaftliche Akzeptanz angesehen werden. Ebenso stellen die Normalisierungselemente des Style-Checks, der Ausgabenübersicht und des Kandidatinnen-Rankings, die in Kapitel 7.3.1 als Normalisierungsinstrumente für die Serienkandidatinnen erörtert wurden, auch flexible Normalisierungsimpulse für die Shopping Queen-Rezipienten dar. So können sowohl die Punkte, die eine Kandidatin von ihren Mitstreiterinnen und von Kretschmer für ihren zusammengestellten Look erhält, als auch die körperbezogenen Daten des Style-Checks und die unterschiedlichen Gewichtungen von Konsum-Ausgaben wichtige Informationen für die Konstruktion eines gesellschaftlich anerkannten konsumbezogenen Normalitätsspektrums zur Verfügung stellen, an dem sich die Zuschauer bei ihrer eigenen Subjektbildung orientieren können. Insbesondere Kretschmers Kommentierungen und dessen Erwartungen an die jeweilige Kandidatin, die er im Anschluss jedes Style-Checks formuliert, sowie seine Punktevergaben dürften hierbei von großer Bedeutung sein, da ihm – wie bereits erwähnt – sein Expertenwissen eine besondere Relevanz bei der Beurteilung von Looks und Konsumstilen verleiht. Die Shopping QueenZuschauer können auf Grundlage von Kretschmers verschiedenen Aussagen Rückschlüsse darauf ziehen, welcher Typ Frau sich, seiner Ansicht nach, auf welche Weise kleiden sollte und welche Konsumobjekte sich für welchen Anlass besonders gut eigenen, also besonders anschlussfähig sind an marktförmige Vergesellschaftung. Vor diesem Hintergrund können sie ihren eigenen Kleidungs-
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und Konsumstil mit den Ansichten des Designers abgleichen und so beurteilen, ob ihr eigener Look verbesserungswürdig ist oder nicht.23 Ähnliche Normalisierungseffekte erzielen die mehrmals während der Sendung eingeblendeten Positiv-Beispiele von Prominenten, die einen Look demonstrieren, der nach Kretschmers Einschätzung ein Beispiel für ein gelungenes Styling zum jeweiligen Einkaufsthema der Woche darstellt. So demonstriert er in der analysierten Shopping Queen-Woche mit dem Thema „Sei der Star auf dem Deutschen Filmball“ am Beispiel verschiedener Prominente, was einen guten Filmball-Look im Einzelnen auszeichnet. Dafür wird der jeweilige zu erläuternde Look auf der linken Seite eines Splitscreens gezeigt, während der kommentierende Kretschmer auf der rechten Seite eingeblendet wird. Direkt nach der Motto-Verkündung am ersten Tag kommentiert er in diesem Zusammenhang verschiedene Ballroben von Prominenten zum Beispiel folgendermaßen: „Man kann sehr gern lang tragen – kurz ist nicht so optimal – lange Kleider sind da wirklich das absolute Highlight. Man sollte gucken, dass man vielleicht schönen Schmuck dazu trägt, tolle Frisur hat, wunderbares Make-up, klarer Blick und ’n bisschen Mut, das braucht man.“24 Auch in den folgenden Episoden werden immer wieder Beispiele von Prominenten in Ballroben eingeblendet, die nach Kretschmers Ermessen einen guten Look präsentieren. So stellt er unter anderem die Looks der beiden Schauspielerinnen Bettina Zimmermann und Nadeshda Brenneke vor, die jene während ihrer Auftritte auf einem Roten Teppich trugen und erläutert dabei die verschiedenen Eigenschaften und Vorzüge der entsprechenden Abendroben. In Bezug auf Bettina Zimmermanns Styling erklärt er beispielsweise: „Die trägt hier ein dunkelblaues Kleid, was sozusagen das neue schwarz ist. Jetzt fragt man sich natürlich: Warum ist so viele dunkelblaue Kleider und Pailletten unterwegs? Weil sie eben halt nicht richtig schwarz sind, trotzdem dunkel, elegant, haben aber diesen ganz besonderen Moment, den Schimmer, den eben das dunkle blau hat eben hier ganz schön mit… mit ähm… einer goldenen Seite, gerade geschnittenes Kleid, kleine Clutch dazu, wunderbar! Haare offen, einwandfrei.“25
23 Guido Maria Kretschmer repräsentiert zugleich auch eine panoptische Kontrollmacht innerhalb eines Serienformates, welches das postdisziplinäre subjektive Begehren nach Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit medial inszeniert. Vgl. hierzu die Ausführungen des Kapitels 7.7. 24 SQ [786], 15:46-16:02. 25 SQ [788], 23:49-24:13.
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Die inszenierten Positivbeispiele für einen gelungenen Filmball-Look tragen dabei nicht nur zur Konstitution eines konsumbezogenen Normalitätsspektrums bei. Sie demonstrieren auch, welche Eigenschaften einen Look nicht nur ‚normal‘ und damit gesellschaftlich anschlussfähig machen, sondern diesen vielmehr mit dem Prädikat ‚begehrenswert‘ und ‚besonders gelungen‘ veredeln. Dass in diesem Zusammenhang auf Beispiele aus der Prominentenszene zurückgegriffen wird, ist dabei sicher kein Zufall, denn Stars gelten allgemein (nicht zuletzt aufgrund ihrer meist zahlreichen Modeberater) als besondere Stilexperten und Konsumvorbilder. Auch die Einkaufsszenen jeder Episode halten zahlreiche Normalisierungsimpulse für die Serienrezipienten bereit. Dabei tragen auch die Bewertungen der verschiedenen Konsumobjekte vonseiten der Kandidatinnen und ihrer Einkaufsbegleitung sowie von den Verkäufern und nicht zuletzt von Guido Maria Kretschmer zur Konstitution von konsumbezogenen normalistischen Landschaften bei und können damit die Subjektbildung der Rezipienten beeinflussen.26 Entsprechende Konsumbewertungen zielen in den analysierten Episoden beispielsweise auf die Qualität von Kleidungsstücken ab. So erläutern sowohl die Kandidatinnen Vishy, Imke und Sabine als auch Guido Maria Kretschmer, dass beispielsweise ein preisgünstiges Polyesterkleid keinesfalls auf dem Deutschen Filmball getragen werden kann. Begründet wird diese Aussage unter anderem damit, dass die minderwertige Qualität eines entsprechenden Polyester-Stoffes von anderen Personen augenblicklich erkannt und negativ bewertet werden würde.27 Äußerungen wie diese tragen zur Konstruktion des oben dargestellten Normalitätsspektrums bei und liefern dadurch Applikationsfolien für konsumbezogene kommunikative Normalisierungsprozesse. Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass in dem Dokutainment-Format Shopping Queen sowohl disziplinäre als auch flexible Normalisierungsimpulse vorzufinden sind. Während sich disziplinäre Normalisierungsstrukturen allerdings nur im Zusammenhang der medial inszenierten konsumbasierten Subjektivierung der Serienkandidatinnen ausmachen lassen, sind flexible und kommunikative Normalisierungsimpulse einerseits bei der inszenierten Subjektbildung der Kandidatinnen zu beobachten und werden andererseits auch den Zuschauern der Sendung vermittelt. Dies geschieht, indem in der Serie konsumbezogene Normalitätsspektren inszeniert werden, an denen sich sowohl die Konsumsubjekte im als auch die Individuen vor dem Fernseher in ihrem Konsumverhalten ausrichten 26 Die Bewertungen und Einschätzungen der Verkäufer und der Shopping-Beratung halten zudem auch Normalisierungsimpulse für die Serienkandidatinnen selbst bereit. 27 Vgl. SQ [787], 13:57-14:50.
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können. Sie werden im Rahmen von flexiblen Normalisierungsprozessen zu handlungsleitenden Instrumenten bei konsumbasierten Subjektivierungsprozessen. Bei der mentalen Konstruktion der entsprechenden konsumbasierten normalistischen Landschaft spielen die Kommentare und Ansichten der Kandidatinnen, ihrer Einkaufsbegleitungen und insbesondere von dem Stil- und Modeexperten Guido Maria Kretschmer eine fundamentale Rolle. Die entsprechenden Äußerungen verdeutlichen hierbei aber nicht nur, welches Verhalten gesellschaftlich als normal beziehungsweise anormal aufgefasst wird, sondern zeigen in ihrer Gesamtheit auch auf, welche Konsumstile innerhalb des entsprechenden Normalbereichs als besonders erfolgreich angesehen werden können und welche lediglich akzeptiert, aber weniger bewundert werden. Es werden hierbei allerdings keine starren Verhaltensregeln oder fixe Konsumstandards diktiert, die ein Konsument zum Steigern der eigenen Konsumkompetenz möglichst genau befolgen sollte. Vielmehr steht der Appell im Vordergrund, dass jedes Individuum innerhalb des aufgespannten Normalitätsbereichs seine ganz individuelle Nische finden sollte, um so auch einen authentischen Konsumstil demonstrieren zu können. Die Serie fungiert insgesamt also weniger als ein disziplinierendes Normalisierungsinstrument, sondern offeriert ihren Rezipienten vor allem durch flexible Normalisierungsimpulse Anhaltspunkte für eine individuelle Subjektbildung.
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KONSUMBASIERTE SELBSTOPTIMIERUNG UND SELBSTEXPRESSION
Das vorangegangene Kapitel hat unter anderem gezeigt, dass sich die ShoppingQueen-Kandidatinnen mit ihrem Konsumverhalten innerhalb eines sozial konstruierten Normalitätsfeldes positionieren müssen, um erfolgreich in diesem Serienformat zu sein. Dabei müssen sie allerdings ihre individuelle Positionierung in eben jenem konsumbezogenen Normalfeld finden und sich so nicht nur als gesellschaftlich anschlussfähiges, sondern auch als individuelles und authentisches Konsumsubjekt inszenieren. Die Kandidatinnen bewegen sich damit während ihrer Konsumentscheidungen in einem Spannungsfeld zwischen einer Innen- und Außenorientierung. Einerseits sehen sie sich vor die Aufgabe gestellt, wie es auch Andreas Reckwitz in Bezug auf das Konsumieren im Allgemeinen beschreibt, mit Hilfe von Konsumobjekten ihr eigenes Selbst zu entfalten, andererseits müssen sie dieses (auch gesellschaftlich geforderte) authentische und individuelles Selbst nach außen hin so gestalten, dass es von, Kretschmer, den anderen Kandidatinnen und den Zuschauern vor dem Fernseher als ein eben solches
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individuelles und einzigartiges Selbst geschätzt wird.28 In diesem Zusammenhang avanciert die konsumbasierte Optimierung und Expression eines individuellen und gesellschaftlich anerkannten Selbst zur übergeordneten Zielperspektive der Serie. Das Konsumverhalten sowie die damit einhergehenden konsumbasierten Selbstverwirklichungsmöglichkeiten der Shopping Queen-Kandidatinnen werden dabei stets als verbesserungswürdig und ausbaufähig inszeniert. Der Konsum wird also – ähnlich wie es Dominik Schrage auch in Bezug auf das konsumistische Weltverhältnis in der realen Konsumwelt erläutert – zu einem „Medium einer selbsttätig beschriebenen steigerbaren Selbstentfaltung“29. Die Ausbaufähigkeit beziehungsweise die Steigerungsnotwendigkeit der konsumbasierten Selbstdarstellungsmöglichkeiten bei den verschiedenen Shopping QueenAnwärterinnen wird insbesondere dann deutlich, wenn Kretschmer den ‚VorherLook‘ der Kandidatinnen kommentiert. Dieser wird einerseits anhand des Kleiderschrankinhaltes sichtbar, den jede Kandidatin im Vorfeld ihres jeweiligen Shopping-Ausfluges einem Kamerateam während einer Wohnungs-Führung präsentiert. Andererseits wird er auch an dem Styling der Kandidatin während der Vorstellung ihrer Wohnung und ihrer Einkaufstour deutlich. Guido Maria Kretschmer bewertet vor Beginn des eigentlichen Shopping-Tages den so kennengelernten Stil der jeweiligen Frau und erläutert, was ihm an diesem gefällt und was ihm an diesem weniger zusagt. Zudem erklärt er, welche Erwartungen und Hoffnungen er an den zu kaufenden Look der jeweiligen Kandidatin knüpft. So sagt er beispielsweise über den Look von Imke: „Sie hat schon ’nen ganz eigenen Style. Ich hab gesehen bei dem Kleid [welches sie zuvor bei der Präsentation ihres Schrankinhaltes als ihr Lieblingsstück vorgestellt hat; J. E.], dass sie manchmal auch ein bisschen daneben liegen kann, weil sie ein bisschen was Burschikoses hat und Sportliches… Also wenn man die ein bisschen femininer machen würde, könnte das ganz toll aussehen. Das ist ja auch der Wunsch, den ich heute hätte: Dass die wirklich mal was Großes, Elegantes, perfekt Geschnittenes in einem guten Tuch, ein guter kleiner Schuh… und da würd ich mich heute freuen, wenn das der Fall wär.“30
Imkes bisheriger Stil wird hier also als verbesserungswürdig eingestuft und gleichzeitig wird auch konkretisiert, in welche Richtung sie ihn verändern sollte, 28 Bei der Konstruktion eines individuellen Stils geht es nicht darum, etwas vollständig Neues zu kreieren, sondern es werden eher Variationen und Ausweitungen bereits existierender Stilelemente erschaffen (vgl. hierzu z.B. auch Reckwitz 2006a, S. 562). 29 Schrage (2009), S. 128. Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 4.3. 30 SQ [789], 12:25-12:44.
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um ihre eigene Selbstdarstellung zu optimieren. Während des Einkaufens geben Kretschmers eingeblendeten Kommentare bereits einen Hinweis darauf, ob die Stiloptimierung einer Kandidatin gelingt oder nicht und am Ende jeder Episode resümiert er ihren Erfolg oder Misserfolg im Rahmen eines Vorher-NachherVergleichs. Hierbei wird der Designer auf der rechten Bildseite in einer Nahaufnahme eingeblendet, während auf der linken Seite des Bildes der Vorher-Look dem neu gekauften Look in einem Split-Screen gegenübergestellt wird. Bei dieser Gegenüberstellung wird die jeweilige Teilnehmerin, wie bereits zuvor beim Style-Check, von jeder Seite (von vorne, von hinten und von der linken sowie der rechten Seite) in einer Totalaufnahme präsentiert, so dass der Zuschauer die beiden Outfits und Stylings aus verschiedenen Perspektiven betrachten kann. Um darüber hinaus eine detailliertere Darstellung des neu gekauften Looks zu ermöglichen, wird am Ende der Szene der Splitscreen aufgelöst und lediglich das neue Outfit mit Hilfe eines vertikalen Kameraschwenks von unten nach oben in einer Detailaufnahme gezeigt. Im Rahmen von Imkes Vorher-Nachher-Vergleich bewertet Kretschmer die Verwandlung der Kandidatin äußerst positiv: „Sie hat wirklich ’ne große Veränderung vollzogen. Am Tag war sie halt so ’ne Frau – sehr sportlich mit ’nem eigenwilligen Look und am Abend ist sie in diesem wirklich traumhaften Kleid, das ihr ausgesprochen gut steht. Ich glaub’ […], das spricht für sich. Es geht von ihr so ’ne Eleganz aus und das schätze ich sehr! Sie war sehr sportlich und am Abend hat sie doch was sehr sehr Feines. Sie erinnert mich total an ’nen Hollywood-Star und ich bin mir sicher, wenn sie so auf’n Deutschen… äh… Filmball geht, würden alle denken ‚oh, wer ist das nochmal?‘ und das ist natürlich auch ’n bisschen die Idee. Also ich find’s toll und äh drücke ihr die Daumen.“31
Die Kandidatinnen der Sendung sind also generell dazu aufgefordert, das Beste aus sich herauszuholen – und zwar durch den Kauf beziehungsweise die Kombination passender Konsumobjekte. Sie sehen sich mit der impliziten Aufforderung konfrontiert – ähnlich wie es Ulrich Bröckling in seinen Ausführungen zum Unternehmerischen Selbst darstellt – die konsumbasierte Inszenierung der eigenen Individualität an nahezu betriebswirtschaftlichen Kalkülen auszurichten, um so einen möglichst hohen Gewinn in Form von Anerkennung durch das soziale Umfeld zu erlangen. Dadurch lehnen sich die gezeigten Konsumhandlungen zum Großteil an Verhaltensschemata des Unternehmertums an: Es werden klare Ziele festgelegt (das Erzielen der höchsten Punktezahl und damit die Krönung zur Shopping Queen), die Konkurrenz wird beobachtet und eingeschätzt (auf Basis 31 SQ [789], 57:10-57:37.
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der jeweiligen Wohnsituation und des spezifischen Kleidungsstils einer Kandidatin) und zudem wird eine möglichst genaue Zielgruppenanalyse durchgeführt (welche Erwartungen stellen Guido Maria Kretschmer und die anderen Kandidatinnen an einen Look und wie lassen sich diese Erwartungen am besten erfüllen?), um sich so schließlich bestmöglich im Marktgeschehen (also im Ranking mit den Mitstreiterinnen) zu positionieren. Die Kandidatinnen werden also zu einem Unternehmer ihres konsumbasierten Selbst, wobei das Erlangen von konsumbezogenen Wissensbeständen und Kompetenzen als Investition für einen möglichst hohen ‚Unternehmensgewinn‘ betrachtet werden kann. Die entsprechenden Wissensmaximen und Handlungsformen erwerben sie dabei insbesondere durch Erfahrungen und Feedbacks aus ihrem Einkaufsumfeld, die als flexible Normalisierungsimpulse fungieren.32 Um die Grundlage für eine erfolgreiche ‚Vermarktung‘ des eigenen Selbst zu schaffen, müssen zunächst die wichtigsten Eckpunkte des zu kaufenden Looks erfüllt werden. Bei Shopping Queen bedeutet dies unter anderem, dass der zusammengestellte Look auch vollständig sein muss. Die Regeln des Wettstreits, die in jeder Episode im Rahmen eines Audiokommentars mehrfach den Zuschauern erläutert werden, besagen hierbei, dass ein kompletter Look aus einem Outfit, Schuhen, Accessoires und Styling besteht.33 Darüber hinaus haben die verschiedenen Kandidatinnen meist sehr genaue Vorstellungen darüber, welche Accessoires ein Look umfassen muss, damit er durch eine hohe Punktzahl gewürdigt werden kann. So ist für sie, neben Schmuck, in der Regel auch eine Tasche ein notwendiger Bestandteil, weshalb ein Fehlen auch meist mit Punktabzug von den Mitstreiterinnen geahndet wird. So erklärt beispielsweise auch Sabine auf die Frage nach ihren Erwartungen an die Accessoires eines FilmballLooks: „ Auf jeden Fall ’ne Tasche … Die muss da sein.“34 Auch in Bezug auf das Styling lässt sich ein impliziter Kodex ausmachen. So erwarten die Kandidatinnen zum Großteil voneinander, dass das Haarstyling vom Friseur übernommen wird und nicht von der Kandidatin selbst. In der zu analysierenden Woche erläutert Sabine in diesem Zusammenhang: „Wenn sie keine Zeit mehr hätte für den Friseur und die Haare nicht richtig schön gemacht wären zu dem Abendkleid, das… das wär’ wirklich gravierend.“35 Es lässt sich damit feststellen, dass ein Look aus ganz bestimmten Konsumobjekten bestehen muss, um vollständig zu sein und somit positiv bewertet werden zu können. Die Grund-Bestandteile werden dabei durch das explizite Regelwerk der Sendung vorgegeben (Motto32 Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 7.3. 33 Vgl. z.B. SQ [786], 34:02-34:07. 34 SQ[787], 31:55-31:58. 35 SQ[787], 39:36-39:43.
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geeignetes Outfit, Schuhe, Accessoires und Styling), wobei es unter den Kandidatinnen zudem weitere implizite Regeln zu der detaillierteren Ausgestaltung eines Looks gibt. Diese verweisen in der Regel auf notwendige Bestandteile in Bezug auf Accessoires und Styling. Die entsprechenden Konsumobjekte erfüllen in diesem Zusammenhang damit eine ähnliche Funktion, wie die Güter, des von David Riesman dargestellten Standardpakets der amerikanischen Mittelschicht in den 1950er Jahren.36 Die Objekte, die dieses Standardpaket umschloss, waren für den damaligen amerikanischen Mittelstand ebenso unverzichtbar, wie die zuvor aufgeführten Bestandteile eines vollständigen Looks für die Shopping QueenKandidatinnen. Die geforderte Ausstaffierung mit Kleidung, Schmuck, Taschen, Make-up und Haarstyling ist damit ebenso in das Dokutainment-Format integriert wie der Kühlschrank, das Auto, das Eigenheim und die anderen Güter des von Riesman beschriebenen Standardpakets in den Alltag der amerikanischen Konsumenten der 1950er Jahre eingebunden waren. Darüber hinaus strukturieren und organisieren die Shopping-Bestandteile das Serienformat auf eine ähnliche Weise, wie die Güter des Standardpakets den Alltag der amerikanischen Mittelschicht in der damaligen Zeit. Vor diesem Hintergrund können die Elemente des geforderten Shopping Queen-Looks ebenfalls als ein Standardpaket verstanden werden, das sowohl die Einkaufstouren als auch die Bewertungen der Kandidatinnen strukturiert und organisiert. Anders als die Güter des riesmanschen Standardpakets verfügen die Produkte des Shopping Queen-Standardpakets allerdings über vielfältigere Facetten, so dass die Kandidatinnen nicht einfach nur ihre soziale Position mit ihrer Hilfe ausdrücken können, sondern ihre ganz persönliche Individualität. Diese Möglichkeit ist in der Sendung, wie auch in der realen Einkaufswelt, von fundamentaler Wichtigkeit. Denn bei der Zusammenstellung ihres jeweiligen Looks müssen die Kandidatinnen, wie bereits zu Beginn dieses Kapitels angedeutet, eine individuelle und authentische Ästhetik inszenieren und damit ihrer eigenen Individualität und Besonderheit Ausdruck verleihen. Ein solches Konsumverhalten stellt einerseits dem kompetenten Konsumsubjekt einen emotionalen Mehrwert aufgrund des Genusses der eigenen authentischen Selbstexpression in Aussicht. Andererseits verspricht es die Anerkennung anderer Individuen, die sich in der Serie Shopping Queen in einer guten Bewertung von Guido Maria Kretschmer und den anderen Teilnehmerinnen sowie letztlich in einer hohen Gesamtpunktzahl manifestiert. Ähnlich wie es Andreas Reckwitz in Bezug auf den modernen Konsum im Allgemeinen beschreibt, sind also auch die Konsumpraxen in der Serie Shopping Queen von einer individualästhetischen und einer intersubjektiven Seite geprägt. Nachdem die Darstellung der intersubjektiven Seite bereits im vorherigen Kapitel bei der 36 Vgl. Riesman (1973) und die Ausführungen dieser Studie auf S. 123.
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Betrachtung der serienimmanenten Normalisierungsprozessen genauestens beleuchtet wurde, wird im Folgenden das Augenmerk auf die konsumbasierte individualästhetische Selbstexpression der Seriensubjekte gelegt. Die konsumbasierte Selbstentfaltung von Individuen ist ein zentrales Element der zu analysierenden Serie. Von den Teilnehmerinnen wird erwartet, dass sie einen individuellen Konsumstil demonstrieren und mit dessen Hilfe ihr Selbst gezielt formen. Dieser Stil muss dabei nicht nur für einen bestimmten Anlass angemessen sein, sondern er muss vor allem das konsumierende Subjekt authentisch in Szene setzen und damit zu dessen Selbstexpression beitragen. Die Relevanz einer typgerechten Selbstexpression wird in der zu analysierenden Shopping Queen-Woche unter anderem während des Einkaufstages der Kandidatin Valerie deutlich. Kretschmer beurteilt ein Kleid, welches nur eine minderwertige Qualität aufweist, dennoch als geeignet, weil es zu dem Typ von Valerie passt, wodurch es als Ganzes aufgewertet wird: „Das Kleid ist eigentlich ein Billigkleid, aber es sieht an ihr erstaunlicherweise ganz gut aus, weil sie eben so ’ne Type ist […] vielleicht nicht die Traum-Qualität, aber ist auf jeden Fall ok […]. Das ist auf jeden Fall ein schöner Look, keine Frage. Der steht ihr […].“37 Das Unterstreichen eines authentischen Individualstils wird also bei Shopping Queen sogar als ein wichtigerer Auswahlfaktor inszeniert als die ansonsten als sehr bedeutsam inszenierte materielle Qualität von Konsumobjekten (in anderen Szenen spricht sich Kretschmer sehr häufig gegen den Kauf von qualitativ minderwertigen Gütern aus38). Um die Authentizitätsanforderungen zu erfüllen, müssen die konsumierenden Subjekte darauf achten, dass die gekauften Produkte bei ihnen ein Passungsgefühl bezüglich ihrer Selbstsicht erzeugen. Die spanischstämmige Carmen stellt am Montag ein Outfit vor, das bei ihr ein solches Passungsgefühl hervorruft. Nachdem sie sich zur Beginn der Sendung als temperamentvolle Flamencotänzerin beschreibt39, zeigt sie bei der späteren Inspektion ihres Kleiderschranks ihr Lieblings-Outfit, dass diese Selbstsicht, ihrer Einschätzung nach, ausdrückt. Es handelt sich um ein dunkelrotes mit Rüschen verziertes Abendkleid, mit dem Carmen ihren typisch spanischen Stil darstellen möchte. So erklärt sie: „Das ist mein Stil… ähm… Hat was mit Spanien zu tun… [lacht und zeigt auf die Rüschen des Kleides] hat was mit Flamenco zu tun…“ 40 Durch Kretschmers anschließende positive Bewertung wird diese konsumbasierte Selbstexpression zu-
37 SQ [788], 52:51-53:23. 38 Vgl. z.B. SQ [787], 13:57-14:04 sowie die Ausführungen in Kapitel 7.5. 39 Vgl. SQ [786], 1:57-2:02. 40 Vgl. SQ [786], 11:14-11:22.
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dem befürwortet. So findet er: „Ja, das ist auch Carmen total, ne: Spanien, Blut, rot…“41 Auffällig ist hier allerdings, dass durch diese Aussagen Carmens ausgedrücktes Selbst vor allem auf oberflächliche Klischees einer typischen Spanierin verkürzt wird, was dem authentischen Ausdruck eines facettenreichen Subjekts eher entgegensteht als diesen unterstützt. Diese Reduktion von Carmens Selbst wird bei Kretschmers Kommentierung ihres Style-Checks noch deutlicher, wenn er ihren Stil nicht als individuell bezeichnet, sondern als den typischen Kleidungsstil von Spanierinnen im Allgemeinen: „Sie hat eben diesen spanisch-klassischen Look. So kleine Stiefelchen, schmale Hosen, Haare auch so gerade geschnitten mit Pony, das lieben die Spanierinnen auch sehr.“ Und auch ihren Einrichtungsstil beurteilt er als typisch spanisch und weniger als ein Ausdruck eines einzigartigen Individuums: „Das ist total spanisch muss man sagen. Mamorboden finden die toll und meistens Sparbirnen. Licht können die nicht die Spanier.“ 42 Diese Reduktion wird in der Serie allerdings nicht als eine solche inszeniert, sondern vielmehr als ein Ausdruck von Carmens authentischem Stil positiviert und von den Mitstreiterinnen auch zum Erreichen einer hohen Punktzahl gefordert. So erwartet beispielsweise Imke, dass sich Carmens spanische Herkunft auch in ihrer Frisur widerspiegelt, wenn sie erläutert: „Ich würde mir aber wünschen, dass sie sich die [Haare; J. E.] spanisch hochstecken lässt, also schon so’n bisschen streng mit dem Seitenscheitel und nicht so verspielt.“43 Es wird hier also deutlich, dass Imke Carmen als eine typische Spanierin wahrnimmt und hinsichtlich einer authentischen konsumbasierten Selbstexpression einen für sie typisch spanischen Stil auch in Carmens Look sehen möchte. Dass Carmen neben ihren spanischen Wurzeln auch andere Charakteristika haben wird, die ihr Selbst(bild) prägen und dass die Vorstellungen eines typisch spanischen Stils auf flachen Klischees, wie streng hochgesteckten Haaren basieren, wird an dieser Stelle ebenso wenig thematisiert, wie der Umstand, dass gerade die Erfüllung der entsprechenden Klischees einer individuellen Selbstinszenierung eher entgegenstehen und sie weniger unterstützen. Ähnliche Beobachtungen kann man auch bei der indisch-stämmigen Vishy machen. Die Mitstreiterinnen greifen auch hier in ihren Erwartungen auf Klischees zurück, die sie mit Vishys Herkunftsland Indien verbinden. So erklärt zum Beispiel Kandidatin Sabine bei der Frage nach ihren Erwartungen an Vishys Kleidungsstil beziehungsweise an deren Kleiderschrankinhalt: „Ich hoffe, dass die Vishy auf jeden Fall ein paar indische schöne bunte Kleider da hat, ne, diese 41 Vgl. SQ [786], 11:23-11:27. 42 Vgl. SQ [786], 3:18-3:24. 43 SQ [786], 51:31-51:39.
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Saris…“44 Vishys indische Wurzeln werden in der Serie zudem auf akustischer Ebene unterstrichen, wenn die Laufstegpräsentation ihres gekauften Looks mit typisch indischer Musik unterlegt wird. Auch bei der aus dem Kongo stammenden Valerie ist ihre Herkunft ein fundamentaler Aspekt ihres Selbst, den sie mit Hilfe ihrer Kleidungs- und Wohnungseinrichtung explizit auszudrücken versucht. So erklärt sie beispielsweise bei der Präsentation ihrer Wohnung: „Ich habe also afrikanische Sachen hier, weil ich aus Afrika komme…“45 Und auch in ihrer Garderobe finden sich mehrere afrikanische Kleider, die zwar eigentlich nicht Kretschmers Geschmack treffen, die dieser aber dennoch als gelungenes Outfit bei Valerie empfindet, weil sie ihren Typ unterstreichen. So erklärt er bei der Vorstellung eines traditionell afrikanischen Kleides von Valerie 46: „Das ist natürlich eigentlich ein fürchterliches Kleid, würde man sagen. Das Muster ist auch schlimm, denn es hat an Stellen Kreise, wo man’s nicht möchte, aber sie kann’s tragen.“47 Seiner Ansicht nach, könnte Valerie, aufgrund ihrer Herkunft, ein solches Kleid auch auf dem Deutschen Filmball tragen, während er es bei deutschen Frauen als Modesünde ansehen würde: „Wenn die das tragen würde, würden alle denken: ‚Ja, das passt zu ihr.‘ Trägt das, sagen wir mal, keine Ahnung… Uschi Glas, würden alle sagen: ‚Was ist denn in die hineingefahren?‘.“48 Es wird also deutlich, dass Guido Maria Kretschmer auch an dieser Stelle eine (vermeintlich) authentische Selbstexpression bei der Zusammenstellung eines Outfit als wichtigen Faktor ansieht und diesen auch als bedeutsamer bewertet als sein eigentliches ästhetisches Empfinden. Insgesamt kann also festgestellt werden, dass die Serie Shopping Queen flexible Normalisierungsimpulse offeriert, die eine authentische Selbstexpression als ein fundamentales Konsummotiv und Auswahlkriterium beschreiben. Bei genauerem Hinsehen wird aber deutlich, dass es sich bei dieser vermeintlich individuellen Selbstexpressionen häufig lediglich um das Bedienen oberflächlicher Klischees handelt, wodurch die konsumbasierte Inszenierung eines authentischen und individuellen Stils ad absurdum geführt wird. Ob die entsprechenden Szenen in diesem Zusammenhang bei den Serienrezipienten als Normalisierungsimpulse für eine individuelle Selbstexpression fungieren oder ob sie 44 SQ [787], 5:36-5:41. 45 SQ[788], 6:05-6:10. 46 Ähnlich wie bei Kandidatin Vishy, wird auch bei der Präsentation dieses afrikanischen Kleides von Valerie deren Herkunft auf der akustischen Ebene unterstrichen, indem zu Beginn der Szene afrikanische Musik eingespielt wird. 47 SQ [788], 6:55-7:02. 48 SQ [788], 6:42-6:48.
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Szenen wie diese eher als die Inszenierung oberflächlicher Klischees wahrnehmen, hängt dabei ganz von der individuellen Rezeption der Zuschauer ab.49 Eindeutigere Normalisierungsimpulse für eine individuelle und vor allem authentische Selbstinszenierung sind allerdings auch in der Serie zu finden. So begutachtet Valerie am Mittwoch der zu analysierenden Woche nicht nur die verschiedenen Kaufoptionen vor dem Hintergrund ihrer afrikanischen Abstammung. Sie ist auch darum bemüht, andere Facetten ihrer Individualität mit Hilfe von Konsumobjekten auszudrücken. So entscheidet sie sich beispielsweise gegen ein Kleid, welches, ihrer Meinung nach, nicht ihren extravaganten Stil unterstreichen kann. Dabei stellt sie fest: „Nee, das das ist nicht mein Stil, ich bin so… so brav, zu brav, ich mag’s verrückt, nee geht nicht.“50 Als Voraussetzung für einen gelungenen individualästhetischen Kleidungsstil wird darüber hinaus die Akzeptanz des eigenen Körpers in der Serie thematisiert. Guido Maria Kretschmar zeigt nicht nur im Rahmen von Shopping Queen, sondern auch in anderen Medienformaten, wie zum Beispiel in seinem Buch Anziehungskraft. Stil kennt keine Größen51 oder in seinem 2014 von RTL ausgestrahlten Stylingformat Hotter Than My Daughter, dass man jeden Figurentyp mit dem richtigen Outfit gut in Szene setzen kann. In Bezug auf Kandidatin Sabine erläutert er in der Freitagsfolge der zu analysierenden Shopping QueenWoche in diesem Zusammenhang, dass die Akzeptanz der eigenen Figur eine wichtige Rolle bei der Konstruktion eines gelungenen Looks spielt. Erst durch das Akzeptieren der eigenen Proportionen kann man vor diesem Hintergrund die eigene Person authentisch in Szene setzen und sich selbst eine positive Ausstrahlung verleihen. So begründet er Sabines Schwierigkeiten bei der Kleiderauswahl folgendermaßen: „[…]das Problem ist einfach, dass sie ihre Figur nicht akzeptiert – das ist glaub’ ich das Problem. Sie ist nicht ... ähm… in ihrem Körper so zuhause.“52 Als Folge einer solchen Unzufriedenheit mit der eigenen Figur wird – den Inszenierungen der Serie zufolge – einerseits der Auswahlprozess beim Einkaufen erschwert. Anderseits wirkt sich ein solches negatives Selbstbild auch auf die Ausstrahlung eines Konsumenten aus. Und da die Serie gerade eine positive Ausstrahlung als fundamentalen Aspekt eines gelungenen Looks propagiert, wird dem Zuschauer auf diese Weise vermittelt, dass das gesamte Erscheinungsbild eines Individuums – und damit auch dessen gesellschaftliches Ansehen – durch die Nichtakzeptanz der eigenen Figur negativ beeinflusst wird. Die Rele49 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zum aktiven Rezeptionsverständnis der Cultural Studies in Kapitel 3.1.1. 50 SQ [788], 25:07 -25:15. 51 Vgl. Kretschmer (2013). 52 SQ [790], 30:31-30:38.
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vanz einer selbstsicheren Ausstrahlung wird in der zu analysierenden Shopping Queen-Woche zum Beispiel verdeutlicht, als Kretschmer Sabines Kleiderauswahl folgendermaßen kommentiert: „Sie muss es [das Kleid; J. E.] aber auch mit Anmut tragen. Das ist auf jeden Fall Basis und auch Voraussetzung für ’n guten Look.“53 Die Akzeptanz des eigenen Körpers wird damit in der Serie Shopping Queen als Fundament für eine erfolgreiche individuelle Selbstexpression dargestellt. Erst das Annehmen des eigenen Körpers in Kombinationen mit einem Konsumstil, der die Vorzüge der entsprechende Figur betont und die Mängel möglichst kaschiert, ermöglicht es den Kandidatinnen der Serie, einen Look zu kreieren, der ihr Selbst authentisch in Szene setzt und dadurch die Anerkennung des sozialen Umfeldes erlangt. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass in der Serie Shopping Queen die Expression und die stetige Optimierung des eigenen konsumbasierten Selbst als eine wichtige Zielsetzung des Konsumierens inszeniert wird. Im Kampf um den Titel der Shopping Queen handelt es sich hierbei zudem um grundlegende Fähigkeiten, über welche die Kandidatinnen verfügen müssen. Sie werden von ihnen strategisch im Rahmen von kalkulierten Konsumhandlungen und -abwägungen eingesetzt, die in ihrer Wettbewerbs- und Gewinnorientierung den Handlungsmaximen des Unternehmertums ähneln. In Anlehnung an Ulrich Bröckling kann damit festgestellt werden, dass die Shopping Queen-Kandidatinnen bei ihrer konsumbezogenen Selbstoptimierung und Selbstexpression zu Unternehmern ihres konsumbasierten Selbst werden. Sie müssen ihr Selbst individuell, ästhetisch und mit einer authentischen Ausstrahlung in Szene setzen, um auf diese Weise soziale Anerkennung zu erhalten, die sich in der Serie in guten Bewertungen von Seiten der Mitstreiterinnen und von Guido Maria Kretschmer ausdrückt. Gleichzeitig müssen sie die expliziten und impliziten Anforderungen erfüllen, die in der Serie den Kandidatinnen hinsichtlich der Vollständigkeit eines kompletten Looks, der sich aus einem Outfit, aus Schuhen sowie Accessoires und Styling zusammensetzen muss, vermittelt werden. Die notwendigen Bestandteile eines Looks können dabei, in Anlehnung an die Ausführungen von David Riesman zu dem konsumbezogenen Standardpaket der amerikanischen Mittelschicht der 1950er Jahre als ein Shopping Queen-Standardpaket aufgefasst werden. Es strukturiert und organisiert nicht nur die Einkäufe der Kandidatinnen, sondern auch die Bewertungen ihrer Mitstreiterinnen.
53 SQ [790], 32:40-32:45.
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AUSWAHLKRITERIEN BEIM KONSUMIEREN
Im vorangegangenen Kapitel wurde bereits deutlich, dass die Eignung eines Konsumobjektes für eine individualästhetische Selbstdarstellung zum Erlangen von sozialer Anerkennung als ein fundamentales Auswahlkriterium in der Serie Shopping Queen inszeniert wird. Um eine solche individuelle Selbstexpression zu ermöglichen, müssen Konsumobjekte über verschiedene Merkmale verfügen. Welche Merkmale in diesem Zusammenhang bei Shopping Queen besondere Beachtung finden, wird im Folgenden erläutert. Zunächst müssen die Konsumenten ein Konsumobjekt auf dessen sinnlichsemiotischen Kriterien hin überprüfen. Sie müssen also die sinnlichen Bedeutungsgehalte eines Produktes abwägen. Es stellt sich die Frage, welche Bedeutung ein Kleidungsstück oder ein Accessoire etc. für den Konsumenten hat und ob es vor diesem Hintergrund eine authentische Selbstexpression unterstützen beziehungsweise ermöglichen kann oder nicht. Beispielsweise verbindet die Shopping Queen-Kandidatin Carmen, mit ihrem roten rüschenbesetzten Abendkleid, das bereits in Kapitel 7.4 als Beispiel für ein Produkt herangezogen wurde, mit dem eine individuelle Selbstexpression betrieben werden kann, ihr spanisches Temperament und ihre Liebe für Flamenco. Es bietet ihr also die Möglichkeit, ihrer Umwelt einen Teil von ihrem Selbst zu präsentieren. Zudem lädt Carmen das Kleid gleichzeitig mit den positiven Emotionen auf, die sie mit ihrem Hobby des Flamenco-Tanzes verbindet, was an ihrem freudigen Strahlen bei der Präsentation ihres Kleides und an ihren verbalen Ausführungen zu ihm deutlich wird.54 An diesem Beispiel kann also aufgezeigt werden, wie bei Shopping Queen das Auswahlkriterium sinnlich-semiotischer Potenziale eines Konsumobjekts in Szene gesetzt wird. Szenen, wie die beschriebene, offerieren dabei den Rezipienten der Serie Normalisierungsimpulse für sinnlichsemiotische Auswahlkriterien bei Konsumentscheidungen. Ein weiteres Auswahlkriterium, das in der Serie ebenfalls häufig als wichtiger Faktor bei einer Kaufentscheidung dargestellt wird, ist die materielle und qualitative Beschaffenheit von Produkten. Bei Shopping Queen stehen in diesem Zusammenhang insbesondere die Wertigkeit von Stoffen und der Schnitt von Kleidungsstücken im Fokus. So wird beispielsweise anhand von Kretschmers Kommentierungen in Bezug auf Vishys Kleidersuche deutlich, dass ein Kleid für den Deutschen Filmball, seiner Meinung nach, nur dann geeignet sein kann, wenn es aus einem hochwertigen Stoff besteht. So sagt er während der Einblendung eines Sortiments von mehrerer Polyesterkleidern: „Jetzt nicht so’n Fünf-
54 Vgl. SQ [786], 11:05-11:23.
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Euro-Kleid, bitte nicht! Das schaff’ ich auch nicht, weil das siehst du auf’m Filmball eben auch. Wenn das so ’n Billigkleid ist aus so ’ner BilligPolyester.“55 Gleichzeitig spricht er den Kandidatinnen seine Anerkennung aus, wenn sie für eine bessere Qualität auch bereits sind, mehr Geld auszugeben. So lobt er zum Beispiel Valerie, die ihr Geld in hochwertigen Modeschmuck investiert und somit auf Billig-Schmuck verzichtet: „Das find’ ich aber toll […], dass sie sich jetzt so ’n hochwertigen Modeschmuck kauft, weil du denkst wirklich: ah, das ist ein echter Ring!“56 Während eine hohe stoffliche Qualität von Kleidungsstücken als ein universelles Auswahlkriterium inszeniert wird, wird die Eignung des Kleidungsschnitts individuell in Bezug auf die jeweilige Kandidatin bewertet. Insbesondere Kretschmers Kommentare verdeutlichen, dass für jede Figur ein anderer Kleidungsschnitt vorteilhaft ist. So erläutert der Designer bei einem hochgeschlossenen Kleid, welches die Kandidatin Valerie anprobiert, dass es für Frauen mit einer großen Oberweite, wie sie Valerie hat, weniger geeignet ist. Dabei erklärt er: „Ich find’ das ist nichts für sie. Das macht sie oben noch… Das macht’s noch… das macht nimmt das Dekolletee macht es riesig. Ich find’ das verpackt.“57 Das eng geschnittene und lange One-Shoulder-Kleid, für das sich am Donnerstag der zu analysierenden Woche die Kandidatin Imke entscheidet, setzt – Kretschmers Ausführungen zufolge – ihre Figur hingegen perfekt in Szene: „Kleid ist wunderbar! Ich find’ es sieht toll aus! Macht ihr ’ne gute Figur!“58 Ein weiteres Auswahlkriterium, das in der Serie sichtbar wird, ist die Kombinierbarkeit von den unterschiedlichen Bestandteilen eines Looks. Nur wenn alle Komponenten ein stimmiges Gesamtbild ergeben, kann eine Kandidatin ein positives Gesamt-Ergebnis erzielen und Anerkennung beziehungsweise gute Bewertungen von ihrem Umfeld erhalten. Dies expliziert zum Beispiel Kandidatin Vishy, als sie am ersten Tag der zu analysierenden Shopping Queen-Woche ihre Erwartungen an die zu kaufenden Looks mit den Worten „Mir ist besonders wichtig, dass alles zusammenpasst.“ beschreibt. Dass auch Kretschmer diese Auffassung teilt, wird am Mittwoch der zu analysierenden Shopping QueenWoche deutlich, wenn er der Kandidatin Valerie für ihren zusammengestellten Look Punkte abzieht, weil ihre Schuhe nicht mit ihrem gekauften Kleid harmonieren. In diesem Zusammenhang bemängelt er: „Diese schwarzen dicken Hufen machen das Kleid zu kurz. […] Sie macht das Kleid […] billig, indem sie diese 55 SQ [787], 13:57-14:04. 56 SQ [788], 33:36-33:42. 57 SQ [788], 24:59-25:05. 58 SQ [789], 31:27-31:30.
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Schuhe dazu genommen hat und macht eben halt dazu das Kleid auch zu kurz und ruiniert im Grunde die Proportionen des Kleides.“ 59 Seine kritische Bemerkung wird dabei durch seine ablehnende Mimik und Körpersprache auf der Bildebene unterstrichen. In der Serie Shopping Queen stehen also insgesamt vier Auswahlkriterien beim Konsumieren im Vordergrund. Die Eignung eines Objekts für die individualästhetische Darstellung des eigenen Selbst steht dabei im Mittelpunkt. Das sinnlich-semiotische Kriterium, die materielle und qualitative Produktbeschaffenheit sowie die Kombinierbarkeit von verschiedenen Konsumobjekten können hingegen als sekundäre Auswahlkriterien betrachtet werden, da sie eher als nachgelagerte Entscheidungshilfe bei der Frage dienen, welche Konsumobjekte eine entsprechende Selbstexpression ermöglichen. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum Kretschmer beispielsweise qualitative Abstriche bei Kleidungsstücken in Kauf nimmt, wenn die Kleidung den Typ einer Konsumentin unterstreicht, wie es in dem bereits in Kapitel 7.4 erläuterten Beispiel von seinen Kommentierung in Bezug auf Valeries Kleid deutlich wird. Trotz der minderwertigen Qualität des Kleides beurteilt er es als geeignet für ihren Filmball-Look, da es, seiner Ansicht nach, ihren Typ unterstreicht.60 Eine authentische konsumbasierte Selbstexpression ist damit nicht nur die übergeordnete Zielperspektive der Sendung, sondern auch das Kriterium, dass bei der Auswahl von Konsumobjekten als das Wichtigste dargestellt wird.
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GENUSSPOTENZIALE DES KONSUMIERENS
In der Regel ist für die Shopping Queen-Kandidatinnen Konsum ein wichtiger Aspekt ihres Lebens. Dies wird zum Beispiel deutlich, wenn die Studentin Vishy erklärt, dass sie fast ihren kompletten Verdienst aus einem Nebenjob in Schuhe investiert61 oder wenn Kandidatin Valerie gleich mehrmals in der Sendung explizit betont, dass ihr Shopping sehr wichtig ist. 62 Im Verlauf der zu analysierenden Shopping Queen-Woche wird in diesem Zusammenhang in unterschiedlichen Szenen erkennbar, dass der Grund für diesen hohen Stellenwert des Konsumierens nicht nur in der, bereits in den vorangegangenen Kapiteln ausführlich erläuterten, konsumbasierten Möglichkeit der
59 SQ [788], 53:17-53:33. 60 Vgl. SQ [788], 52:51-52:55. 61 Vgl. SQ [786], 4:30-4:34. 62 Vgl. z.B. SQ [786], 6:16-9:19.
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individualästhetischen Selbstexpression liegt. Ein weiteres wichtiges Konsummotiv ist in den verschiedenen Genusspotenzialen des Konsumierens zu sehen, die an mehreren Stellen der Sendung inszeniert werden. Diese werden im Folgenden genauer beleuchtet. Ein Beispiel für ein emotionales Genusspotenzial wurde bereits in Kapitel 7.4 angesprochen, als eine Szene beschrieben wurde, in der die Montagskandidatin Carmen ihr rotes rüschenbesetztes Lieblingskleid vorstellt. Sie erläutert freudig, dass sie mit Hilfe dieses Kleides ihre eigene Individualität ausdrücken kann, weil es für sie, aufgrund der roten Farbe und der Rüschen, ihr spanisches Temperament und ihre Liebe zu Flamenco verkörpert. Es wird also deutlich, dass Carmen das Kleid mit Bedeutungen und Emotionen auflädt. Auf diese Weise kann sie es auf einer semiotisch-sinnlichen Ebene genießen, was sie offensichtlich – ihrem freudigen Blick und ihrem Lachen während der Präsentation des Kleides nach zu urteilen – auch tut.63 Ein weiterer wichtiger Genussfaktor, der in der Serie inszeniert wird, ist der Genuss der eigenen Person als individuelles und genießendes Subjekt. Wie bereits Andreas Reckwitz in seinen Ausführungen zur individualästhetischen Konsumpraxen erläutert, rufen erfolgreiche Konsumakte, die dem Konsumenten eine individualästhetische Selbstexpression ermöglichen, bei diesem ein Genussempfinden hervor, das sich auf dessen eigene Individualitätsempfindung bezieht. Die konsumierenden Subjekte genießen in solchen Situationen nicht nur die Möglichkeit, ihr Selbst auszudrücken, sondern auch ihre eigene Person als individuelles und genießendes Konsumsubjekt.64 Ein solcher Genuss wird in der analysierten Shopping Queen-Woche unter anderem deutlich, als Carmen gleich mehrere Kleider gefunden hat, die sich nicht nur für das Shopping Motto, sondern vor allem auch zum Ausdruck ihrer Individualität eignen. Aufgeregt und freudig erklärt sie: „Ich freu’ mich total! [lacht] ich meine, das ist toll, Das ist schön, das ist Gala, das ist spitze! Das ist mein Thema!“ 65 Deutlich wird diese Freude auch auf der Bildebene, wenn Carmen in einer Nahaufnahme dargestellt wird und somit ihre Gestik und Mimik, welche die genannten Emotionen deutlich widerspiegeln, in den Fokus gerückt werden. Ein weiteres sehr augenscheinlich inszeniertes konsumbezogenes Genusspotenzial bei Shopping Queen ist darüber hinaus der Genuss der eigenen sozialen Attraktivität, der durch positiv bewertete Konsumentscheidungen hervorgerufen wird. Da die Anerkennung von Guido Maria Kretschmer und den anderen Kandidatin das Ziel jedes gezeigten Einkaufstages ist (nur auf ihrer Basis kann eine 63 Vgl. SQ [786], 11:06-11:23. 64 Vgl. Reckwitz (2006a), S. 562 sowie die Ausführungen in Kapitel 4.3. 65 SQ [786], 28:55-29:03.
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Kandidatin genügend Punkte erhalten, um den Titel der Shopping Queen zu gewinnen), wird dieser Genussfaktor am Ende jeder Folge sichtbar. So präsentiert jede Kandidatin ihren zusammengestellten Look auf einem Laufsteg und genießt dabei meist augenscheinlich den Applaus, den ihr ihre Mitstreiterinnen geben. Am Dienstag der zu analysierenden Shopping Queen-Woche präsentiert in diesem Zusammenhang die Kandidatin Vishy ihren zusammengestellten Look vor ihren Mitstreiterinnen. Die (anerkennenden) Blicke der anderen Kandidatinnen, welche auf die sich präsentierende Vishy gerichtet sind und die von jener augenscheinlich begehrt und genossen werden66, werden dabei filmisch durch eine Abfolge verschiedener Schnitte und Kameraeinstellungen dargestellt. So beginnt die Szene, nach einer Totalaufnahme von den applaudierenden Mitstreiterinnen, die am Laufstegrand sitzen, mit einer Einstellung, in der mit Hilfe einer Super-Totalaufnahme gezeigt wird, wie Vishy den Laufsteg betritt. Mit dieser Einstellung wird der Zuschauer in den Ort und den inhaltlichen Kontext der Szene eingeführt. Nach einem Schnitt werden die applaudierenden Mitstreiterinnen erneut in einer Totalen gefilmt, wodurch der Applaus und damit die Anerkennung, die jene dem Look von Vishy damit zollen, in den Fokus gerückt werden. Dieser Look wird anschließend mit Hilfe eines vertikalen Kameraschwenks, von Vishys Füßen bis hin zu ihrem Kopf, detailliert präsentiert, denn durch die hierbei gewählte Einstellungsgröße einer Nahaufnahme werden die verschiedenen Einzelheiten des Looks für den Zuschauer bis ins kleinste Detail sichtbar. Es folgt erneut ein vertikaler Kameraschwenk bei einer amerikanischen Kameraeinstellung, bei dem die Kandidatin Vishy von der Seite zu sehen ist, während im Hintergrund die ihr applaudierenden Mitstreiterinnen zu erkennen sind. Vishys stolze Haltung und ihr glücklicher Gesichtsausdruck verdeutlichen dabei die positiven Emotionen, die sie empfindet und die vier im Hintergrund applaudierenden Konkurrentinnen lassen sich als Grund für die dargestellte Glücksempfindung ausmachen. Die Freude, die Vishy offensichtlich durch die Aufmerksamkeit und die durch den Applaus ausgedrückte Anerkennung empfindet, wird in der sich anschließenden Nahaufnahme von ihrem strahlenden Gesicht noch deutlicher in den Fokus gerückt, bevor anschließend gezeigt wird, wie Vishy unter dem Applaus der anderen Kandidatinnen der Kamera den Rücken zuwendet und zu ihrer Ausgangsposition auf dem Laufsteg zurück läuft. Am Ende der Szene wird sie schließlich über die Schulter der Mitstreiterin Sabine von schräg hinten und (nach einer Drehung) von schräg vorne in einer amerikanischen Kameraperspektive gezeigt. Der Over the shoulder Shot verdeutlicht hierbei zudem auf filmischer Ebene die Beobachterperspektive der anderen Kandidatinnen und de66 Weitere Ausführungen zu den subjetbildenden Funktionen entsprechender Blick- und Aufmerksamkeitsanordnungen befinden sich in Kapitel 7.7.
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ren bewertenden Blicke.67 Auch bei den Feedbacks, welche die anderen Teilnehmerinnen der jeweiligen Tageskandidatin hinsichtlich ihres Einkaufergebnisses im Anschluss an deren Laufstegpräsentation geben, wird der Genuss positiver Rückmeldungen sichtbar, wenn die zu bewertende Teilnehmerin bei anerkennenden Rückmeldungen anfangen zu strahlen. Dieser Effekt verstärkt sich noch in der finalen Folge einer Shopping Queen-Woche bei positiven Kritiken von Guido Maria Kretschmer sowie bei der Krönung der Shopping Queen. In der zu analysierenden Woche gewinnt Kandidatin Carmen den Wettstreit, die sich sichtlich über diese Anerkennung ihrer Konsumleistungen freut, was anhand ihrer Körpersprache und Mimik erkennbar ist.68 Wenn die Zusammenstellung des zu kaufenden Looks gut funktioniert, genießen die Kandidatinnen darüber hinaus auch die Einkaufs- beziehungsweise die Konsumsituation als ein semiotisch-sinnliches Einkaufserlebnis. Dies wird besonders am Montag deutlich, wenn Kandidatin Carmen beim Friseur von der Situation so emotional ergriffen ist, dass ihr die Tränen in den Augen stehen. Dabei erklärt sie: „Ich krieg’ ’ne Gänsehaut jetzt gerade […], weil das ist so schön, das ist ähm emotionell jetzt.“69 Durch Kretschmers Kommentierung der Situation wird zudem eine solche extrem emotionale Reaktion auf einen Shopping-Tag legitimiert: „Aber es ist süß, ne, dass sie das so genießt. Ich find’ das wunderbar. Das ist auch was Besonderes und wenn man das so genießen kann wie unsere Carmen, dann würd ich sagen, hat die alles richtig gemacht!“ 70 Ein entsprechender Genuss setzt allerdings voraus, dass der Einkaufstag erfolgreich für eine Kandidatin verläuft. Sobald nicht die richtigen Konsumobjekte gefunden werden oder die Zeit zu knapp wird, weicht ein solcher Genuss schnell Stress und Frustration. Insgesamt kann festgestellt werden, dass in der Serie Shopping Queen häufig die emotionalen Genusspotenziale des Konsums in Szene gesetzt werden. Der moderne Hedonismus ist somit ein wichtiger Aspekt in der Serie. Hierbei werden alle Genusspotenziale vorgeführt, die auch Andreas Reckwitz in Bezug auf das Konsumieren beschreibt: die Freude über semiotisch-sinnlich genossene Konsumobjekte, der Genuss der eigenen Person als individuelles und genießendes Konsumsubjekt und der Genuss der eigenen soziale Attraktivität. Hinzu kommt noch ein weiteres Genusspotenzial, das neben den oben genannten, ebenfalls bereits in Kapitel 4.3 thematisiert wurde: Das Genießen des semiotisch-
67 Vgl. SQ [787], 53:44-54:01. 68 Vgl. SQ [790], 59:15-59:19. 69 SQ [786], 53:19-53:25. 70 SQ [786], 53:29-53:37.
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sinnlichen Einkauferlebnisses, das die Shopping Queen-Kandidatinnen immer dann erleben, wenn ihr Einkaufstag erfolgreich verläuft.
7.7
PANOPTISCHE ANORDNUNGEN UND DIE BEGEHRENSERFÜLLUNG NACH DER SICHTBARKEIT DES EIGENEN SELBST
Fragt man nach den Motiven der Shopping Queen-Kandidatinnen für ihre Teilnahme an dem Dokutainment-Format, reichen die in den vorangegangenen Kapiteln thematisierten allgemeinen Konsummotive (zum Beispiel die konsumbasierte Expression des eigenen individualästhetischen Selbst oder die Genusspotenziale des Konsumierens) sicherlich nicht als Begründung für ihr Mitmachen aus. Diese Ziele könnten schließlich auch in alltäglichen Einkaufssituationen, ohne ein Kamerateam an der Seite, erreicht werden. Zudem würde in diesem Fall auch die Shopping Queen-Teilnahme für die Kandidatinnen nicht einen so hohen Stellenwert einnehmen, wie ihn beispielsweise Carmen direkt in der ersten Episode der zu analysierenden Shopping Queen-Woche demonstriert. Auf die Frage, weshalb sie nicht ihren Ehemann, der sich zum Zeitpunkt der Dreharbeiten auf Mallorca befindet, in den Urlaub begleitet hat, erwidert sie: „Ja… ich … Shopping Queen [lacht]. Ich geh’ nicht nach Mallorca wenn Shopping Queen ist!“71 Carmen zieht also ihre Teilnahme an der Sendung einem Urlaub mit ihrem Mann auf Mallorca vor. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie diesen Umstand darstellt, impliziert darüber hinaus, dass die Möglichkeit der Absage ihrer Teilnahme zugunsten dieses Urlaubs für sie zu keiner Zeit bestanden hat. Hierdurch wird der hohe Stellenwert deutlich, den das mediale Ereignis Shopping Queen für Carmen hat. Da sie einen einfachen Einkaufstag sicherlich auch auf Mallorca hätte einplanen können, um das Konsumieren mit ihrem Urlaub zu verbinden, liegt es auf der Hand, dass das Hauptmotiv für ihre Teilnahme an der Sendung über die oben aufgeführten allgemeinen Konsummotive hinausgehen muss. Es ist davon auszugehen, dass ihre Teilnahmemotivation stärker mit der televisuellen Inszenierung des Konsum-Wettkampfs in Verbindung steht. Alle Kandidatinnen haben in der Serie die Möglichkeit, ihr Selbst in Szene zu setzen und ihre Konsumkompetenz durch den Modeexperten Guido Maria Kretschmer bewerten zu lassen. Das Serienformat bietet ihnen also die Gelegenheit, ihr Selbst anderen Individuen (und zwar Kretschmer, den anderen Kandidatinnen und dem TV-Publikum) zu präsentieren und es dadurch öffentlich-medial sichtbar werden
71 SQ [786], 3:31-3:36.
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zu lassen. Die Gründe für dieses Streben nach einer öffentlichen Selbstpräsentation werden deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass sich (Konsum-) Subjekte – wie bereits ausführlich in den vorangegangenen Kapiteln erläutert – in ihrem permanenten Selbstoptimierungsstreben an anderen Individuen ausrichten und dabei gleichzeitig den Blickwinkel der anderen auf sich selbst imaginieren.72 In diesem Zusammenhang „manifestiert sich ein Selbst, das sich im Akt der öffentlichen Manifestation erst bildet, indem es ‚in Erscheinung’ tritt“ 73. Mediale Selbstinszenierungsformate wie Shopping Queen bieten den Kandidatinnen hierbei die Möglichkeit für ein solches öffentliches In-ErscheinungTreten. Das Besondere an massenmedial vermittelten Präsentationen des eigenen Selbst ist in diesem Zusammenhang, dass die sich präsentierenden Individuen die auf sich gerichteten Blicke anderer lediglich imaginieren und nicht direkt wahrnehmen können. Die Shopping Queen-Kandidatinnen können ihre Beobachter nicht sehen, wissen aber, dass sie während ihrer Aktivitäten im Rahmen der Sendung durchgängig gefilmt werden und dass dieses Filmmaterial (oder zumindest ein Teil davon) von Kretschmer und von den Zuschauern vor dem Fernseher später betrachtet und beurteilt werden kann. Diese vorherrschende Blick- und Sichtbarkeitsordnung weist Parallelen mit dem Disziplinierungsinstrument des benthamschen Panopticons auf, welches Foucault in seinem Buch Überwachen und Strafen als architektonische Manifestation der Disziplinarmacht aufgreift. Wie bereits in Kapitel 2.2.2 erläutert, handelt es sich bei dem Panopticon um eine Überwachungsanlage, in der, von einem zentralen Beobachtungsturm aus, die verschiedenen Insassen in ihren Zellen jederzeit in ihrem Verhalten kontrolliert werden können. Da Letztere aber nicht die Beobachtungsposition einsehen können und somit nicht wissen, wann diese besetzt ist und wann nicht, zeigen sie durchgängig das von ihnen gewünschte Verhalten – auch dann, wenn gar keine tatsächliche Überwachung stattfindet.74 Als eine ähnliche panoptische Anordnung kann auch das Verhältnis zwischen den Shopping Queen-Kandidatinnen und Guido Maria Kretschmer beziehungsweise den Serienrezipienten beschrieben werden. Weil die Kandidatinnen wissen, dass ihre Handlungen von den Zuschauern und Kretschmer beobachtet werden, passen sie ihr Konsumverhalten zum Großteil an die imaginierten Erwartungen dieser Instanzen (und dabei insbesondere an die möglichen Erwartungen von Kretschmer, der für die meisten Kandidatinnen die Funktion eines Idols einnimmt) an. 72 Vgl. z.B. Kapitel 4.3 und Kapitel 5. 73 Bublitz (2010), S. 195. 74 Vgl. hierzu auch Foucault (1976), S. 256 ff.
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Das Bewusstsein der Kandidatinnen über die Beobachterposition des Designers sowie ihr Streben danach, dessen Erwartungen zu erfüllen wird beispielsweise in der Episode 789 deutlich, wenn die Einkaufsbegleitung der Kandidatin Imke bei deren Anprobe eines Kleides zur Kamera gerichtet fragt: „Guido, was sagst du?“75 Anders als bei der von Foucault beschriebenen panoptischen Kontrolle, geht es in diesem Zusammenhang allerdings nicht um eine reine Disziplinierung der Teilnehmerinnen in Form ihrer zwangsweisen Unterwerfung unter einen kontrollierenden Blick. Der Blick von Guido Maria Kretschmer und den Serienrezipienten wird vielmehr begehrt, da er dem angeblickten Subjekt eine Existenzbestätigung durch dessen öffentliches In-Erscheinung-Treten offeriert.76 Ähnlich wie es Hannelore Bublitz in Bezug auf die Blickordnung zwischen Talkshowteilnehmern und ihren Zuschauern erläutert, wird auch in der Serie Shopping Queen der panoptische Blick von Kretschmer und den Fernsehzuschauern zu einem durch Ermächtigungsphantasien und unkalkulierbare Beobachtungen geprägten Subjektivierungsinstrument der Kandidatinnen: „Der Blick der Anderen ist, gekoppelt an Ermächtigungsbestrebungen und -phantasien des angeblickten und erblickten Subjekts, konstitutiv für die eigene Selbstoptik und das Selbstverhältnis. Gleichzeitig entzieht sich gerade dadurch, dass jede Optik durch ein Moment des Anderen betroffen ist, das mir entgeht, obwohl es mich real angeht‘ (Schwering 2000: 134) der Blickwinkel des anderen.“ 77
Hierbei wird die medial präsentierte konsumbasierte Selbstdarstellung der Shopping Queen-Kandidatinnen für diese zu einer Möglichkeit, sich selbst in einem, wie es Spetsmann-Kunkel in Bezug auf die Selbstinszenierungen von Talkshow-Gästen bezeichnet, „Diskurs der Selbstprüfung“78 zu positionieren, was sich wiederum subjektivierend auf die Kandidatinnen auswirkt. Zielperspektive dieser Selbstprüfungen ist dabei eine soziale Integration bei gleichzeitiger Expression der eigenen Individualität und Andersartigkeit. 79 Die Selbstprüfung zielt aber nicht darauf ab, ein inneres, bereits autonom entstandenes Subjekt durch eine mediale Selbstinszenierung zu überprüfen – eine solche Auffassung würde dem bereits in Kapitel 2.1 erläuterten Subjektivierungsverständnis, das 75 SQ [789]; 30:45-30:47. 76 Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Hannelore Bublitz zu den Motiven der Selbstpräsentation von Subjekten in Talkshows: Bublitz (2010), S. 187. 77 Bublitz (2010), S. 187. 78 Spetsmann-Kunkel (2004), S. 92. 79 Vgl. Bublitz (2010), S. 193.
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dieser Studie zugrunde liegt, widersprechen. Sie verweist auch nicht auf eine Verinnerlichung von Werten und Normen, „vielmehr ermöglicht sie, dass man sich einer öffentlichen Art des Erscheinens ausliefert. Aber nicht einmal hier wird ein bereits konstituiertes Subjekt enthüllt, sondern es wir die Praxis der Selbstkonstitution selbst vollzogen“80, denn das öffentliche Sichtbarwerden eines Individuums ist konstitutiv für dessen Subjektbildung. In diesem Zusammenhang entsteht eine Blickordnung, die Tholen in seinen Ausführungen zu Talkshows als „das innengewendete Panopticon der Kontrollgesellschaft“81 bezeichnet. Hiermit beschreibt er die massenmediale Abwandlung des seit den protestantischen Bekenntniszwängen nach innen gerichteten panoptischen Kontrollblicks, der nun einer „Selbstfindung im ‚Darstellungshandeln‘“82 weicht. Diese panoptische Rahmenstruktur lässt sich nicht nur in Talkshows, sondern – wie beschrieben – auch in der Serie Shopping Queen feststellen. Sie gibt den teilnehmenden Kandidatinnen eine imaginierte Sicherheit, denn auf Basis des von ihnen gezeigten Darstellungshandelns werden sie (zumindest zeitweise) zu einem sichtbaren Element im gesellschaftlichen Gefüge. 83 „Im Prinzip geht es darum, aus der Unauffälligkeit und damit verbundenen Unsichtbarkeit für andere herauszutreten […] und dadurch wenigstens für kurze Zeit einen prominenten Stellenwert einzunehmen.“84 Die Blicke von anderen Individuen und die damit einhergehende eigene öffentliche Sichtbarkeit werden allerdings auch noch aus einem weiteren Grund begehrt: Sie ermöglichen den angeblickten Subjekten soziale Aufmerksamkeit, die in der gegenwärtigen Kommunikations- und Unterhaltungskultur als eine Währung gesellschaftlicher Anerkennung fungiert.85 Die Subjekte, welche sich, wie die Shopping Queen-Kandidatinnen, mit Hilfe medialer (Unterhaltungs-) Formate öffentlich in Szene setzen, befinden sich in diesem Zusammenhang also in einem „Wettbewerb um überregionale Sichtbarkeit“ 86 und konkurrieren innerhalb eines „Kulturalisierungs- und Kreativitätsdispositivs“87 um die Aufmerksamkeit und somit um die Anerkennung anderer Individuen. Diese Aufmerksamkeit und Anerkennung basiert auf der Zurschaustellung möglichst origineller und einzigartiger Persönlichkeiten vor möglichst vielen Zuschauern. 80 Butler (2003), S. 120 zit. n. Bublitz (2010), S. 195. 81 Tholen (2002), S. 152. 82 Tholen (2001), S. 4. 83 Vgl. Bublitz (2010), S. 196. 84 Ebd. 85 Vgl. z.B. Reichert (2008), S. 60 ff. 86 Reckwitz (2015), S. 5. 87 Reckwitz (2015), S. 4.
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„Wollte man sich [im Rahmen insbesondere früher vorherrschender disziplinärer Sichtbarkeitsordnungen; J. E.] dem panoptischen Blick am liebsten entziehen, will das Subjekt nun um nahezu jeden Preis Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sichtbarkeit ist kein Schrecken mehr, sondern eine Verheißung, Unsichtbarkeit kein Sehnsuchtsziel mehr, sondern der soziale Tod.“88
Die panoptische Blick- und Sichtbarkeitsordnung der Serie Shopping Queen offeriert den Kandidatinnen also einerseits eine subjektbildende Existenzbestätigung und Selbstvergewisserung durch deren öffentliches In-Erscheinung-Treten. Andererseits ermöglicht sie ihnen das Erlangen sozialer Aufmerksamkeit und Anerkennung. Auf diese Weise wird sie zu einem Subjektivierungsinstrument und zugleich zu einem wichtigen Motiv für die Teilnahme der Kandidatinnen an der Sendung.
88 Ebd.
8
8.1
Zwischenfazit: Konsumbasierte Subjektbildung im Rahmen des Dokutainment-Formats Shopping Queen
ZUSAMMENFASSUNG DER ANALYSEERGEBNISSE
Mit Hilfe der vorangegangenen Analyse der Serie Shopping Queen konnte die zuvor entwickelte theoretische Perspektive einer konsumbasierten und medial orientierten Subjektkonstitution expliziert und auf ein aktuelles Medienangebot übertragen werden. Es wurde gezeigt, wie sich in der Sendung Konsumsubjekte auf Basis der im Theorieteil dieser Studie erläuterten Selbst- und Fremdführungstechniken bilden und inwiefern das hierbei gezeigte (Konsum-)Verhalten Orientierungsimpulse (im Sinne einer kommunikativen Normalisierung von konsumbasierten Subjektivierungspraxen) für die Subjektkonstitution der Serienrezipienten offeriert. Zudem konnte die Analyse den entwickelten theoretischen Ansatz um einen weiteren Aspekt ergänzen, indem sie deutlich werden ließ, dass sich Konsumsubjekte in der analysierten Sendung auch auf Grundlage einer panoptischen Blickordnung konstituieren, die ein elementares Charakteristikum von Dokutainment-Formaten darstellt. Um einen vollständigen Überblick über alle subjektivierenden Elemente und Strukturen der Fernsehserie zu ermöglichen, werden im Folgenden die Ergebnisse der konsumsoziologischen Serienanalyse resümierend zusammengefasst. Die analytische Betrachtung der Vox-Serie Shopping Queen hat unter anderem deutlich werden lassen, dass sich die in ihr inszenierten Konsumsubjekte in einem Spannungsfeld von (genussvoller und gesellschaftlich geforderter) Selbstexpression und sozialer Anschlussfähigkeit konstituieren. Dabei wird ihre konsumbasierte Selbstinszenierung meist als optimierungsfähig dargestellt. Die
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Hauptaufgabe der Kandidatinnen besteht vor diesem Hintergrund darin, auf Basis konkurrenz- und gewinnorientierter Konsumabwägungen und unter Berücksichtigung der Vorgaben des Serienformats1, den eigenen Look zu perfektionieren. Auf diese Weise sollen schließlich möglichst positive Bewertungen von Guido Maria Kretschmer und von den Konkurrentinnen erlangt werden. Die Serien-Teilnehmerinnen müssen also in Bezug auf Konsumhandlungen ähnlich wie gewinnorientierte Unternehmer agieren, um den Titel der Shopping Queen erhalten zu können. Vor diesem Hintergrund kann man sie, in Anlehnung an die Ausführungen von Ulrich Bröckling, als Unternehmer ihres konsumbasierten Selbst betrachten. Die auf diese Weise in Szene gesetzte Optimierbarkeit hinsichtlich verschiedener Kaufentscheidungen steht dabei in einem engen Zusammenhang mit kontingenten Konsumstrukturen, die einen fundamentalen Bestandteil des Dokutainment-Formats darstellen. Sie werden in der Serie insbesondere durch die Präsentation entgrenzter Konsumoptionen bei gleichzeitig fehlenden Richtlinien hinsichtlich eines sozial anerkannten Konsumverhaltens inszeniert. Obwohl die konsumbezogene Kontingenz in jeder Episode auf verschiedenen Ebenen begrenzt wird (durch die Vorgabe eines Einkaufsthemas sowie durch die Beschränkung des zur Verfügung stehenden Budgets und Zeitrahmens), bieten sich den Kandidatinnen im Rahmen des medialen Wettstreits dennoch unzählige Kaufoptionen. Sie stehen daher vor vielfältigen Möglichkeiten, mit Hilfe verschiedener Güter nahezu jede Facette des eigenen Selbst authentisch in Szene zu setzen und so die Anerkennung anderer zu erhalten. Hierfür gilt es, die (Konsum-)Freiheiten der kontingenten Individualisierungsgesellschaft gezielt zu nutzen, um das eigene individuelle aber zugleich auch sozial anschlussfähige Profil zielgerichtet zu schärfen und hierdurch Alleinstellungsmerkmale im Rahmen einer allgemeinen sozialen Anschlussfähigkeit zu erzeugen. Die Konsumkontingenz erweist sich hier also als Chance und Motor für eine gelungene Selbstexpression. Gleichzeitig erschwert die Optionenvielfalt den Kandidatinnen aber auch die Auswahl spezifischer Güter, weil die unüberschaubaren Alternativen stets noch bessere Möglichkeiten der authentischen Selbstinszenierung und der Darstellung der eigenen Stilsicherheit verheißen, die zuvor eventuell noch nicht entdeckt wurden. In diesem Zusammenhang fungiert die Konsumkontingenz in der Serie Shopping Queen also als eine Folie, auf der die Entscheidungszwänge der Teilnehmerinnen inszeniert werden. Der erfolgreiche Umgang
1
Gemeint sind hier die notwendigen Bestandteile eines als vollständig verstandenen Looks, das Shopping-Motto, die zur Verfügung stehende Zeit sowie das verfügbare Budget.
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mit der Optionenvielfalt im Rahmen von Kaufentscheidungen ist dabei die Voraussetzung zum Erlangen des Titels der Shopping Queen. Vor dem Hintergrund der dargestellten Einkaufsbedingungen konstituieren sich die in Szene gesetzten Konsumsubjekte bei Shopping Queen in einem Kontext von disziplinären Fremdführungs- und gouvernementalen Selbstführungstechniken.2 Erstgenannte lassen sich einerseits in Bezug auf die soeben dargestellten Kontingenzbegrenzungen in der Serie finden. Die themenbezogene Einschränkung von Kaufoptionen durch die Vorgabe eines Shopping-Mottos inklusive der zu erwerbenden Bestandteile eines kompletten Looks sowie die Begrenzung der Einkaufszeit und des Einkaufsbudgets fungieren als eine Disziplinartechnik. Durch sie werden die Kandidatinnen in ihrem subjektivierenden Konsumverhalten an vorgegebenen Standards ausgerichtet und dadurch in Form disziplinärer Fremdführung in ihrer Subjektkonstitution gelenkt. Andererseits weisen auch die Serienelemente des Style-Checks, der Ausgabenübersicht sowie der Punkte-Vergabe und die damit einhergehenden Rankings der Kandidatinnen Strukturen einer disziplinären Normalisierung auf. Mit ihrer Hilfe werden die verschiedenen Charakteristika und Konsumhandlungen der Shopping Queen-Kandidatinnen in miteinander vergleichbare Datensätze und Parameter zerlegt. Auf diese Weise werden jene im Sinne von Foucault zunächst individualisiert (vereinzelt) und können so schließlich mit ihren verschiedenen (Konsum-)Eigenschaften in Normalitätsspektren eingeordnet werden, zu deren Konstitution sie selbst beitragen. Neben diesen Charakteristika einer disziplinären Normalisierung verfügen die dargestellten Serienelemente aber auch über flexible Normalisierungsstrukturen, denn letztlich werden den Teilnehmerinnen im Rahmen der dargestellten Normalisierungsprozesse keine festen Normen oder Zielperspektiven für zukünftige Konsumhandlungen vorgegeben. Vielmehr kann die Positionierung der eigenen Person in den oben dargestellten Normalitätsspektren als ein Orientierungsimpuls für flexible Normalisierungsprozesse aufgefasst werden, mit deren Hilfe das eigene Konsumverhalten in Bezug auf gesellschaftliche Anschlussfähigkeit bewertet werden kann. Die drei dargestellten Serienelemente können daher als Normalisierungsinstrumente aufgefasst werden, welche sowohl Strukturen der disziplinären als auch der flexiblen Normalisierung in sich vereinen. Es wird vor diesem Hintergrund deutlich, dass neben subjektivierenden Fremdführungsprozessen auch gouvernementale Selbstführungstechniken bei der Konstitution der in Shopping Queen inszenierten Konsumsubjekte eine wichtige 2
Eine ausführliche Darstellung disziplinärer Fremdführungstechniken und gouvernementaler Selbstführungstechniken befinden sich in Kapitel 2.2.2. Vgl. hierzu z.B. auch Foucault (1976) und Foucault (2006a).
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Rolle spielen. Sie bilden sich in diesem Zusammenhang insbesondere auf Basis flexibler Normalisierungsprozesse. Neben der kommunikativen Normalisierung im Rahmen der drei gerade beschriebenen Serienelemente, wird diese Selbsttechnologie insbesondere während der Einkaufstouren der Kandidatinnen erkennbar. So orientieren sich die Teilnehmerinnen bei ihren subjektbildenden Konsumhandlungen häufig an Informationen, die ihnen einen Eindruck davon vermitteln, welche Kaufentscheidungen eine hohe soziale Anschlussfähigkeit haben dürften und ihnen somit letztlich eine gute Bewertung von Kretschmer und ihren Mitstreiterinnen sichern können. Hierfür greifen sie auf die StylingRatschläge von Guido Maria Kretschmer zurück, die ihnen aus vergangenen Sendungen im Groben bekannt sind oder orientieren sich an ihren eigenen bisherigen Einkaufserfahrungen. Darüber hinaus vermitteln ihnen auch die Ratschläge und Meinungen ihrer Shopping-Begleitungen und verschiedener Verkäufer einen Eindruck davon, welche Kaufentscheidungen sozial akzeptiert werden und welche als anormal bewertet und somit negative gesellschaftliche Reaktionen mit sich bringen würden. Aus einer normalisierungstheoretischen Perspektive betrachtet, konstruieren die einzelnen Subjekte in diesem Zusammenhang aus den so erhaltenen Informationen ein mentales Normalitätsfeld, das sich aus den unterschiedlichsten Facetten möglicher Konsumhandlungen und -einstellungen zusammensetzt.3 Um eine möglichst hohe soziale Anerkennung – und damit einhergehend möglichst viele Punkte für ihren zusammengestellten Look – zu erhalten, müssen die Shopping Queen-Teilnehmerinnen ihren Konsum in diesem Feld verorten. Dabei genügt es allerdings nicht, sich lediglich mit dem eigenen Kaufverhalten in dem konstruierten Normalitätsfeld zu positionieren. Vielmehr muss jede Kandidatin ihre individuelle Nische in diesem Feld finden, um so nicht nur dem gesellschaftlichen Anspruch nach sozialer Anschlussfähigkeit gerecht zu werden, sondern auch die soziale Forderung nach der Demonstration eines individuellen Stils zu erfüllen.4 Nur eine individuelle und authentische Ausgestaltung des eigenen Konsums ermöglicht es dabei, einen unverwechselbaren Stil und damit Alleinstellungsmerkmale zu kreieren. Nur so können die Kandidatinnen die Anerkennung anderer Individuen – in Form positiver Bewertungen von Kretschmer, den anderen Teilnehmerinnen und dem Fernsehpublikum – erlangen. Hierbei gilt es, sich als ein kreatives und authentisches Kon-
3
Eine ausführliche Darstellung entsprechender flexibler Normalisierungsprozesse be-
4
Andreas Reckwitz spricht in diesem Zusammenhang von einer Subjektkonstitution,
findet sich in Kapitel 3.2.3. Vgl. hierzu z.B. auch Link (2009). die sich im Rahmen eines ästhetischen und ökonomischen Codes vollzieht. Vgl. Reckwitz (2006a), S. 588 ff.
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sumsubjekt zu präsentieren, das mit Hilfe verschiedener Güter die unterschiedlichen Facetten seines Selbst ausdrückt. Neben dieser medialen Inszenierung subjektivierender Selbst- und Fremdführungstechniken werden in der Serie Shopping Queen die Kandidatinnen aber auch als genießende Konsumsubjekte inszeniert. Hierbei stehen insbesondere das Vergnügen an semiotisch-sinnlich genossenen Waren, der Genuss der eigenen Person als individuelles, genießendes Subjekt, das Genießen der eigenen sozialen Attraktivität sowie die Freude über semiotisch-sinnliche Einkaufserlebnisse im Mittelpunkt.5 Während die ersten drei genannten Genusspotenziale in fast jeder Shopping Queen-Episode thematisiert werden, kommt das Genießen der Shoppingsituation allerdings nur dann zustande, wenn der Einkauf erfolgreich und im richtigen zeitlichen Timing verläuft. Sobald eine Kandidatin Schwierigkeiten hat, die richtigen Kleidungsstücke und Accessoires etc. zu finden und unter Zeitdruck gerät, erfährt sie in der Einkaufssituation anstelle von Vergnügen vielmehr Stress und Frustration. Doch trotz dieser Möglichkeit von negativen Emotionen, wird das Konsumieren insgesamt als ein lustvolles Erlebnis in der Serie inszeniert. Dadurch verdeutlicht das Format emotionale Mehrwerte, die mit Konsumhandlungen einhergehen können. Bei der Auswahl verschiedener Objekte ist aber das erwartete Genusspotenzial einer Ware nur eins von mehreren Kriterien, welche die Shopping QueenKandidatinnen bei der Darstellung ihrer Kaufentscheidungen demonstrieren. Ihr primäres Auswahlkriterium ist vor allem die Eignung eines Objektes für eine individualästhetische Darstellung des eigenen Selbst im Rahmen des vorgegebenen Einkaufthemas. Nur wenn ein Konsumobjekt diese Anforderung erfüllt, kann es für einen Kauf in Betracht gezogen werden. Erst dann werden von den Konsumsubjekten in der Serie weitere Objektmerkmale berücksichtigt, welche als sekundäre Auswahlkriterien aufgefasst werden können. Hierzu zählen, neben den erläuterten sinnlich-semiotischen Genusspotenzialen, auch die materielle beziehungsweise qualitative Produktbeschaffenheit sowie die Kombinierbarkeit eines Konsumguts mit weiteren Objekten. Insgesamt kann also festgehalten werden, dass am Beispiel der Serie Shopping Queen die medien- und konsumbasierte Subjektivierungstheorie, die im Theorieteil dieser Studie entfaltet wurde, expliziert werden konnte. Die Analyse des Dokutainment-Formats zeigte, dass die verschiedenen subjektbildenden Aspekte dieser theoretischen Perspektive in der untersuchten Fernsehserie eine fundamentale Rolle spielen. So werden in dem TV-Format verschiedene Konsumsubjekte in Szene gesetzt, die auf Basis verschiedener Fremd- und Selbst5
Diese Genusspotenziale des Konsumierens werden im Allgemeinen auch von Andreas Reckwitz beschreiben. Vgl. hierzu z.B. Reckwitz (2006a), S. 563.
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führungstechniken diverse Kaufentscheidungen treffen und dabei ihr Selbst in einem Spannungsfeld von sozialer Anschlussfähigkeit und individueller Selbstexpression darstellen. Sie sind darum bemüht, sich als ein authentisches, kreatives und genießendes Konsumsubjekt darzustellen, das die vielfältigen Kaufoptionen der kontingenten Individualisierungsgesellschaft kompetent nutzt, um auf diese Weise sowohl soziale Aufmerksamkeit und Anerkennung als auch auf Konsum bezogene Genüsse zu erfahren. Neben der Explikation des zuvor entwickelten theoretischen Ansatzes, konnte die Analyse – wie bereits zu Beginn des Kapitels angedeutet – zudem dazu beitragen, die theoriebasierten Überlegungen dieser Studie um einen weiteren subjektbildenden Aspekt zu erweitern. Gemeint ist hier die Ergänzung des theoretischen Ansatzes um die Subjektivierungsfunktion von panoptischen Sichtbarkeitsordnungen, die sich in Dokutainment-Formaten wie Shopping Queen zwischen den Serienkandidaten und den sie bewertenden Instanzen beziehungsweise dem Publikum etablieren. In der Serie Shopping Queen realisiert sich diese Sichtbarkeitsordnung auf Grundlage der besonderen Beobachterposition, welche der Modeexperte Kretschmer und die Rezipienten der Serie einnehmen. Diese spielt eine wichtige Rolle bei der Subjektbildung der Serienteilnehmerinnen: Kretschmer und die Zuschauer sind dazu in der Lage, nahezu alle Handlungen und Aussagen der Kandidatinnen zu verfolgen, wodurch die Teilnahme an der Sendung den Shopping Queen-Anwärterinnen die Chance offeriert, ihr Selbst öffentlich-medial sichtbar werden zu lassen. Dieses öffentliche InErscheinung-Treten verheißt den Teilnehmerinnen dabei nicht nur eine soziale Aufmerksamkeit (die in der Postmoderne ein begehrtes Gut darstellt 6), sondern ist darüber hinaus auch konstitutiv für deren Subjektbildung, da jene durch sie zu einem sichtbaren Element im gesellschaftlichen Gefüge werden. Die Besonderheit dieser massenmedial vermittelten Subjektivierung liegt darin, dass die Shopping Queen-Kandidatinnen die Blicke, welche Kretschmer und die Fernsehzuschauer auf sie richten, nicht direkt wahrnehmen können. Jene werden lediglich von ihnen imaginiert. Diese Blickordnung erhält dabei eine subjektbildende Funktion, die Parallelen mit dem Disziplinierungsinstruments des Bentham’schen Panopticons aufweist.7 Das Verhältnis zwischen den Shopping Queen-Kandidatinnen und Guido Maria Kretschmer beziehungsweise zwischen den Teilnehmerinnen und den Serienrezipienten ähnelt hierbei der Beziehung, die im Panopticon zwischen den Insassen und dem Aufseher besteht. Weil die Kandidatinnen wissen, dass sie bei ihren Konsumhandlungen jederzeit 6
Vgl. hierzu auch Reichert (2008), S. 60 ff.
7
Weitere Ausführungen zu dem Bentham’schen Panopticon finden sich in Kapitel 2.2.2. Vgl. hierzu auch Foucault (1976), S. 251 ff.
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beobachtet werden könnten, passen sie – ähnlich wie die Insassen im Panopticon – ihr Verhalten an die imaginierten Erwartungen der Beobachter an. Im Unterschied zu der von Foucault beschriebenen panoptischen Kontrolle, handelt es sich bei der medialen Kontrolle der Shopping Queen-Subjekte allerdings nicht um deren zwangsweise Unterwerfung unter einen kontrollierenden Blick. Die Blicke von Kretschmer und den Fernsehzuschauern werden hier vielmehr begehrt, weil sie den Kandidatinnen eine Existenzbestätigung versprechen. Damit fungieren sie weniger als ein Disziplinierungsinstrument, sondern stellen vielmehr ein Begehrensobjekt dar, das im Rahmen von Selbstführungsprozessen von Individuen angestrebt wird. Vor diesem Hintergrund werden die unsichtbaren Blicke zu einem Subjektivierungsinstrument, da sich die Shopping QueenSubjekte durch das öffentliche In-Erscheinung-Treten konstituieren. Gleichzeitig verheißen die imaginierten Blicke aber auch Aufmerksamkeit, die in der Gegenwartsgesellschaft zu einem umkämpften und begehrten Gut avanciert, da sie „Personen, Gruppen, Waren und Märkten die benötigte Anerkennung und Valenz“8 verschafft. Das Dokutainment-Format Shopping Queen inszeniert und konstituiert aber nicht nur die Subjektivität seiner Teilnehmerinnen. Durch die Darstellung verschiedener Konsumpraxen und (konsumbasierter) Subjektivierungsprozesse offeriert die Serie auch den Fernsehzuschauern verschiedene Orientierungsimpulse, die sich im Sinne einer kommunikativen Normalisierung auf die Subjektbildung der Zuschauer auswirken können. Auch wenn jeder Zuschauer die gezeigten Inhalte aktiv und vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen und Wertvorstellungen rezipiert und somit individuelle Bedeutungen und Sinnzusammenhänge aus dem Gesehenen ziehen kann, kann Shopping Queen in diesem Zusammenhang als ein kulturelles Forum fungieren, das verschiedene Diskurse zu Konsumpraxen und Selbstinszenierungsmöglichkeiten in Umlauf bringt und darüber hinaus das Potenzial besitzt, auf die Normalitätsvorstellungen der Zuschauer einzuwirken. Abschließend kann festgestellt werden, dass die Fernsehserie Shopping Queen ausführlich die von Dominik Schrage beschriebene Konsumentenrolle und die mit ihr einhergehenden Anforderungen und Strukturen des Konsumierens inszeniert. Dabei werden dem Zuschauer detaillierte Konsumbeispiele präsentiert und es wird dargestellt, wie konsumbasierten Subjektivierungsprozesse in einem Spannungsfeld von Selbst- und Fremdführungspraxen verlaufen können. Durch die Inszenierung entsprechender Inhalte, offeriert die Sendung ihren Zuschauern diverse Orientierungsimpulse für deren eigene konsumbasierte Subjektbildung, welche von diesen aktiv rezipiert werden. Damit bietet sie ihnen 8
Reichert (2008), S. 60.
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nicht nur angenehme Unterhaltungswerte, sondern auch Orientierung stiftende Applikationsfolien für eine individuelle Selbstbildung.
8.2
DIE SERIE SHOPPING QUEEN ALS SUBJEKTKONSTITUIERENDES DISPOSITIV
Die in der vorangegangenen Analyse ermittelten subjektkonstituierenden Diskurse, Praxen, Instanzen und Strukturen der Serie Shopping Queen fungieren, wie bereits zu Beginn des Kapitels 6.2 erläutert, in ihrer Gesamtheit und im Rahmen ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander als ein Mikrodispositiv eines übergeordneten Medien- und Konsumdispositivs.9 So ist das Dokutainment-Format Shopping Queen auf der einen Seite, als Teil des aktuellen Medienprogramms, ein weniger umfassender Mechanismus eines übergeordneten, die gesamte Gesellschaft durchdringenden Mediendispositivs. Es stützt dessen Strategien und Rationalitäten, indem es den Rezipienten verschiedene Angebote offeriert, welche jenen dabei helfen, sich selbst sozial zu verorten und ihnen unter anderem Möglichkeiten zur Herstellung sozialer Anschlussfähigkeit und authentischer Selbstexpression präsentiert. Dadurch prägt es – wie auch das übergeordnete Mediendispositiv als Ganzes – spezifische Selbstverhältnisse und Machtstrukturen. Hierbei dürfen die sich in diesem Rahmen konstituierenden Subjekte allerdings nicht nur als Effekt der medialen Anordnungen und Inhalte verstanden werden. Sie wirken gleichzeitig auch ihrerseits auf das Medienprogramm ein und konstituieren es dadurch mit.10 Auf der anderen Seite ist die Serie Shopping Queen aber auch ein Teilelement eines übergeordneten gesamtgesellschaftlichen Konsumdispositivs, dessen Strukturen und Kalküle sie festigt. Sie liefert den Zuschauern Impulse für zukünftige Einkäufe und offeriert ihnen Wissen über sozial angesehene Konsumpraxen sowie über die Möglichkeiten einer emotional geprägten, individuellen Selbstexpression mit Hilfe von Gütern und Dienstleistungen. Wie auch das übergeordnete Konsumdispositiv als Ganzes, stützt das Shopping QueenDispositiv damit konsumbasierte Subjektivierungsprozesse, die sich in einem Spannungsfeld einer individualästhetischen Selbstexpression auf der einen Seiten und sozialer Anschlussfähigkeit auf der anderen Seite vollziehen.
9
Die Definition eines Mikrodispositivs befindet sich auf Seite 148.
10 Vgl. Fiske (2011) sowie die Ausführungen in Kapitel 3.1.3.
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Wie es, in Anlehnung an Markus Stauffs Ausführungen11, für Mikrodispositive charakteristisch ist, prägt das Shopping Queen-Dispositiv aber lediglich spezifische Milieus beziehungsweise spezifische soziale Gruppen: die Gruppe der Shopping Queen-Rezipienten und die Gruppe der Shopping Queen-Teilnehmer. Dabei festigt es aber, wie bereits erläutert, die Strategien und Rationalitäten des übergeordneten Medien- und Konsumdispositivs und weist somit auch eine gesamtgesellschaftliche Relevanz auf. Denn wie das übergeordnete Gesamtdispositiv, kann auch die Serie Shopping Queen als eine Antwort „auf einen gesellschaftlichen Notstand (urgence)“12 verstanden werden: Sie bietet Handlungsoptionen in Bezug auf die problematische und risikobehaftete Aufgabe von Individuen der Gegenwart, ihr Selbst im Rahmen kontingenter Möglichkeiten individuell und eigenverantwortlich zu bilden13, indem sie den Zuschauern Applikationsfolien für konsumbasierte Subjektivierungsprozesse offeriert. Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln die subjektbildenden Elemente und Strukturen des Shopping Queen-Dispositivs einzeln dargestellt und erläutert wurden, werden diese im Folgenden, inklusive ihrer Anordnung und ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander, in einen subjektivierungstheoretischen Gesamtzusammenhang gesetzt. Dies wird durch eine zusammenfassende Beschreibung des Shopping Queen-Dispositivs ermöglicht, welche dessen Konstruktionslogiken und Funktionsweisen sowie die strategischen Kalküle verschiedener Dispositiv-Instanzen herausstellt und unter einer subjektivierungstheoretischen Perspektive beleuchtet. Auf diese Weise können die subjektkonstituierenden Potenziale der Serie umfassend beleuchtet und resümiert werden. Zur Beschreibung und Erläuterung des Dispositivs wird hierbei auf die Leitfragen Bezug genommen, die Andrea Bührmann aus Foucaults Vorgehen im Rahmen entsprechender analytischer Betrachtungen ableitet.14 Als erstes wird in diesem Zusammenhang die Frage beantwortet, welche (konsumbezogenen) Erkenntnisse und Wissensgegenstände im Shopping Queen-Dispositiv hervorgebracht werden und wer als Autorisierungsinstanz der verschiedenen diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken15 fungiert. Anschließend soll aufgezeigt werden, 11 Vgl. Stauff (2004), S. 144 f. 12 Foucault (2003), zit. n. Link (2014), S. 239. 13 Weitere Ausführungen zu den Risiken der Individualisierungsgesellschaft befinden sich in Kapitel 2.2.1. 14 Vgl. Bührmann (2005), § 36. 15 Bührmann erwähnt in ihrem Aufsatz an dieser Stelle lediglich Diskurse und lässt nicht-diskursive Praktiken als Untersuchungsgegenstand außen vor (vgl. Bührmann 2005 §36). Da Foucault aber „Gesagtes ebenso wie Ungesagtes“ (Foucault 2003, S. 392) als grundlegende Elemente eines Dispositivs betrachtet, werden hier auch
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wer die entsprechenden Diskurse und Konsumpraxen konstituiert beziehungsweise am Laufen hält und welche Ziele hierbei verfolgt werden. Als drittes wird darauf eingegangen, mit Hilfe welcher Machttechniken konsumbezogene Wissensgegenstände und Alltagsroutinen innerhalb verschiedener Machtverhältnisse im Shopping Queen-Dispositiv konstituiert werden. Die erste Frage nach den Erkenntnissen und Wissensgegenständen, die in dem Serien-Dispositiv hervorgebracht werden, lässt sich dahingehend beantworten, dass in dem Dokutainment-Format mit Hilfe verschiedener Diskurse und nichtdiskursiver Konsumpraktiken, (konsumbezogene) Wissensgegenstände geschaffen werden, welche eine wichtige Rolle bei der (konsumbasierten) Subjektbildung von Individuen spielen. So werden im Rahmen des Shopping QueenDispositivs unter anderem Kenntnisse über gesellschaftlich akzeptierte Konsumpraxen auf verbaler und non-verbaler Ebene verbreitet. Hierbei vermitteln insbesondere die konsumbezogenen Ansichten, Bewertungen und Handlungsweisen von Kretschmer, den Kandidatinnen und ihren Einkaufsbegleitungen sowie von diversen Verkäufern die Erkenntnis, dass sich ein sozial akzeptiertes und gefordertes Konsumverhalten durch die Ausgestaltung eines individuellen aber zugleich auch sozial anschlussfähigen Konsumstils auszeichnet. Die konsumierten Waren müssen in diesem Zusammenhang die Individualität eines Konsumenten authentisch (re-)präsentieren und sich darüber hinaus durch eine möglichst hohe materielle Qualität16 auszeichnen sowie zu einer gelungenen Kombination mit anderen konsumierten Objekten verschmelzen. Neben dem Wissen über die verschiedenen Aspekte eines gesellschaftlich anerkannten Konsumverhaltens, werden in dem Shopping Queen-Dispositiv zudem Kenntnisse über die hedonistischen Potenziale eines entsprechenden Konsums hervorgebracht. So vermitteln die verschiedenen Kandidatinnen, während nicht-diskursive Praxen, wie Konsumroutinen bzw. -habitualisierungen etc. bei der Analyse konstruierter Wissensgegenstände im Shopping Queen-Dispositiv berücksichtigt. Diese werden in einer späteren Publikation von Andrea Bührmann zusammen mit Werner Schneider auch von dieser im Rahmen entsprechender Forschungsfragen miteinbezogen (vgl. Bührmann/Schneider 2008). 16 Der Erwerb von qualitativ sehr hochwertigen Waren ist zwar für die Shopping QueenKandidatinnen, aufgrund der Begrenzung des zur Verfügung stehenden Einkaufsbudgets auf 500 Euro, nicht oder nur teilweise möglich, aber die gezeigten Reaktionen von Kretschmer und den Serienkandidatinnen auf qualitativ minderwertigere oder höherwertigere Waren lassen dennoch deutlich werden, dass die hochwertige Qualität von konsumierten Produkten als wichtiger Indikator für ein kompetentes Konsumverhalten angesehen wird.
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des Einkaufens sowie in Interviews oder bei der Präsentation ihrer Wohnung und ihres zusammengestellten Shopping Queen-Looks, auf verbaler und non-verbaler Ebene die verschiedenen Formen von Genuss, welche mit Konsumhandlungen einhergehen können. Zu nennen sind hier konkret der Genuss der eigenen Person als ein sich individuell ausdrückendes Subjekt, die Freude über die eigene soziale Attraktivität, welche durch ein kompetentes Konsumverhalten erlangt werden kann sowie das Genießen von Konsumsituationen als semiotisch-sinnliches Einkaufserlebnisse. Eine weitere wichtige Erkenntnis, die im Rahmen des Shopping QueenDispositivs gebildet wird, ist darüber hinaus das Wissen, dass die konsumbasierte Konstitution des eigenen Selbst nie abgeschlossen ist. Die kontingenten Konsummöglichkeiten der Postmoderne stellen stets (vermeintlich) bessere Kaufoptionen und damit eine permanente Ausbaufähigkeit der konsumbasierten Selbstinszenierung in Aussicht und treiben damit das stetige Optimierungsstreben von Subjekten im Rahmen ihrer konsumbasierten Selbstexpression voran. Der Modedesigner Guido Maria Kretschmer fungiert in diesem Zusammenhang in seiner Rolle des Konsumexperten als Autorisierungsinstanz der dargestellten konsumbezogenen Wissensgegenstände. Seine Expertise über Mode verleiht ihm die Kompetenz, die Relevanz und Korrektheit verschiedener Diskursinhalte und Konsumpraxen abzusegnen und diese so als gültig beziehungsweise verbreitungswürdig zu verifizieren. Dies geschieht allerdings nicht auf Basis einer explizit ausgewiesenen Funktion im Regelwerk des DokutainmentFormats, sondern wird lediglich implizit erkennbar, wenn beispielsweise Kretschmers Kommentierungen deutlich werden lassen, dass er seine Vorrangstellung in Bezug auf Konsumbewertungen unhinterfragt voraussetzt oder wenn die Kandidatinnen ihre vorherigen Konsumansichten ändern, sobald diese nicht mit Kretschmers Ansichten übereinstimmen. Letzterer Aspekt wird im Rahmen der analysierten Shopping Queen-Episoden zum Beispiel an den Kommentaren der Kandidatin Valerie deutlich. Diese weist die Kritik ihrer Mitstreiterinnen an der Wahl der von ihr gekauften Schuhe zunächst eindeutig zurück. 17 Als Kretschmer am Ende der Woche jedoch dieselbe Kritik äußert, wird diese von Valerie plötzlich als nachvollziehbar und korrekt eingeschätzt. Hierbei ändert sie nicht nur grundlegend ihre Einschätzung zu den von ihr ausgewählten Schuhen. Die Kandidatin gibt letztlich sogar vor, nie eine andere Meinung in diesem Zusammenhang gehabt zu haben.18
17 Vgl. SQ [788], 57:17 – 57:31. 18 Vgl. SQ [790], 58:58 – 59:04.
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Neben den verschiedenen im Dispositiv zirkulierenden diskursiv- und nichtdiskursiv vermittelten konsumbezogenen Wissensgegenständen, spielen im strategischen Gefüge eines Dispositivs zudem die verschiedenen Instanzen eine wichtige Rolle, die (Konsum-)Diskurse und (Konsum-)Praxen konstituieren. Entsprechende Instanzen gestalten und verbreiten die oben dargestellten Diskursinhalte und die verschiedenen nicht-diskursiven Praktiken vor dem Hintergrund verschiedener Zielsetzungen. Im untersuchten Shopping Queen-Dispositiv lassen sich insgesamt vier solcher Instanzen ausmachen: Erstens die Modebranche mit Guido Maria Kretschmer als Vertreter, zweitens die verschiedenen Konsumsubjekte, welche von den Shopping Queen-Kandidatinnen repräsentiert werden, drittens das Mediensystem, welches als Rahmen der dargestellten Subjektbildung fungiert und viertens die Rezipienten des Dokutainment-Formats. Im Folgenden werden die strategischen Kalküle beziehungsweise die strategischen Funktionen dieser Instanzen des Shopping Queen-Dispositivs eingehend beleuchtet. Eine strategische Zielsetzung, welche von der Modebranche mit der Verbreitung der zuvor beschriebenen Konsumdiskurse und Konsumpraxen verfolgt werden kann, ist zunächst ihre Selbstlegitimation. So belegen die Diskursinhalte, welche die gesellschaftliche und individuelle Relevanz des Konsumierens sowie dessen Orientierung stiftenden und subjektbildenden Funktionen in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken, die Bedeutsamkeit der Modeindustrie. Diese beliefert einen zentralen Zweig des Konsummarktes und stellt dabei den Konsumenten nicht nur materielle Waren zur Verfügung, sondern offeriert diesen auch sinnlich-semiotische Angebote, wodurch sie ihnen die Möglichkeit für eine individualästhetische Selbstexpression bietet. Diskurse mit einer entsprechenden Thematik weisen somit die Modeindustrie als einen wichtigen Pfeiler der postmodernen Gesellschaft aus. Des Weiteren legitimieren Diskurse und Konsumpraxen, welche eine hohe materielle Qualität von Modeartikeln als einen grundlegenden Faktor für eine gelungene konsumbasierte Selbstinszenierung vermitteln, auch die enormen finanziellen Aufwendungen, welche auf die Konsumenten bei einem Kauf kostspieliger Designerwaren, wie sie von Modeschöpfern wie Guido Maria Kretschmer entworfen werden, zukommen. Entsprechende Güter werden in der Regel als qualitativ hochwertig angesehen, da sie von Modekoryphäen designt werden. Der Nutzen, den sie dadurch den Konsumenten im Rahmen von deren konsumbasierten Selbstexpressionen verschaffen, scheint vor diesem Hintergrund die hohen Ausgaben für entsprechende Produkte zu rechtfertigen, wodurch auch die hohe soziale Anerkennung für High-Fashion-Designerstücke an sich legitimiert wird.
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Die Zirkulation von Diskursen und Praxen, welche eine hohe materielle Qualität von Waren als ein Gütemerkmal einer gelungenen konsumbasierten Selbstexpression vermitteln, trägt zudem zum Erreichen eines weiteren möglichen strategischen Ziels der Modebranche bei: dem Erlangen von möglichst hohen Gewinnmargen. Da der höhere Preis entsprechender Produkte häufig über den zusätzlich anfallenden Material- beziehungsweise Produktionskosten liegt, ermöglicht der Absatz entsprechender Waren der Produzentenseite in der Regel höhere Gewinne als der Absatz von Low-Budget-Produkten, die erst durch eine massenhafte Produktion und Vermarktung attraktive Gewinne möglich machen. Das Erzielen möglichst hoher Gewinne kann darüber hinaus über die Implementierung von Diskursen und Konsumroutinen verfolgt werden, die eine Absatzsteigerung von spezifischen Konsumobjekten generieren können. Hierbei spielen insbesondere Diskursthemen und Praktiken eine prägnante Rolle, welche die permanente Optimierbarkeit einer konsumbasierten Selbstexpression und die hedonistischen Potenziale verschiedener Konsumgüter propagieren und stützen, da sie den Konsumenten beständig Motive für weitere Kaufakte vor Augen führen. Die beschriebenen Konsumdiskurse und Konsumpraxen, die im Shopping Queen-Dispositiv zirkulieren, werden neben der Modeindustrie aber auch von den Konsumsubjekten in Person der Shopping Queen-Kandidatinnen am Laufen gehalten. Auch sie können hiermit verschiedene strategische Ziele verfolgen, die sich jedoch von denen der Modebranche unterscheiden. So werden die Konsumsubjekte die Verbreitung der entsprechenden Inhalte und Handlungsweisen vor allem aus dem Grund forcieren, dass diese ihnen eine Orientierung im Rahmen von (konsumbasierten) Subjektivierungsprozessen anbieten und ihnen die Möglichkeit der Selbstvergewisserung und der sozialen Integration in einer risikobehafteten Individualisierungsgesellschaft in Aussicht stellen. Zudem offerieren ihnen die verschiedenen Diskurse immer neue konsumierbare Begehrensobjekte, wodurch ihnen die Optionen für den Ausbau ihrer warenbasierten Selbstexpressionen nicht ausgehen. Auf diese Weise werden die konsumbezogenen Subjektivierungsprozesse am Laufen gehalten. Die dritte Instanz, die im Shopping Queen-Dispositiv, aufgrund von strategischen Kalkülen, Diskurse wie auch spezifische Strukturen konstituiert, ist – wie bereits erwähnt – das Mediensystem, welches in diesem Dispositiv als Rahmen von Subjektivierungsprozessen fungiert. Ein wichtiges Ziel des Mediensystems ist, ähnlich wie das der Modebranche, das Erzielen von betriebswirtschaftlichen Gewinnen. Diese werden insbesondere durch das Erreichen möglichst hoher Einschaltquoten erzielt, die ihrerseits entsprechend hohe Werbeeinnahmen generieren. Vor diesem Hintergrund gestalten Medienproduzenten ein Angebot, das
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eine Vielzahl an Rezipienten anspricht. Durch dieses betriebswirtschaftliche Kalkül der Medienbranche wird allerdings nicht nur finanzielles Kapital gebildet. Denn wie bereits in Kapitel 3.1.3 beschrieben, entsteht in diesem Prozess auch ein kulturelles Kapital für die Nutzer beziehungsweise Rezipienten der Medienangebote.19 So werden die offerierten Produkte von den Rezipienten mit persönlichen Bedeutungen versehen und für individuelle Zwecke genutzt. In diesem Zusammenhang können Medienangebote beispielsweise als „soziale Bänder“20 fungieren, mit deren Hilfe die Medienrezipienten beziehungsweise -nutzer miteinander kommunizieren und sich als Subjekte konstituieren. Eine entsprechende Funktion übernimmt auch die Serie Shopping Queen für die verschiedenen Kandidatinnen und Serienrezipienten. Hierbei etabliert das Serienformat Feedbackschleifen, die sich konkret in den Rückmeldungen und Bewertungen der Kandidatinnen und von Guido Maria Kretschmer hinsichtlich der Einkaufsergebnisse der einzelnen Kandidatinnen finden lassen. Diese Feedbacks, die durch die mediale Inszenierung der Einkäufe ermöglicht werden, geben den einzelnen Kandidatinnen Aufschluss über die soziale Einschätzung ihrer Konsumkompetenz und offerieren ihnen damit Orientierungsimpulse für eine erfolgreiche (konsumbasierte) Subjektkonstitution. Zudem wird auch die panoptische Blickordnung21 durch die mediale Rahmenstruktur des Shopping Queen-Dispositivs ermöglicht, die – wie bereits ausführlich erläutert – ebenfalls konstitutiv für die Subjektwerdung der Serienkandidatinnen ist. Das Mediensystem ist damit eine wichtige subjektivierende Instanz des Seriendispositivs. Es verfolgt zwar in erster Linie mit seinen Angeboten das Ziel, betriebswirtschaftliche Gewinne zu erzielen, schafft aber hierbei zugleich spezifische mediale Rahmenstrukturen, die eine fundamentale Rolle bei der Subjektbildung der Shopping Queen-Kandidatinnen spielen. Die Rezipienten der Serie bilden die vierte Instanz, die im Shopping QueenDispositiv Diskursinhalte und nicht-diskursive Praktiken konstituiert. Ihre Präferenzen in Hinsicht auf die Inhalte der Serie prägen nachhaltig die Strukturen und die Diskurse des Dokutainment-Formats, denn die Produzenten müssen, wie oben beschrieben, die Sendung auf eine Weise gestalten, welche die Zuschauer dazu veranlasst, sich diese anzuschauen. Die Diskurse und die strukturelle Gestaltung der Serie müssen also die Vorlieben möglichst vieler Zuschauer bedienen und an deren Welt- und Konsumansichten anschlussfähig sein. Nur so können hohe Einschaltquoten generiert und damit schließlich wirtschaftliche Ge19 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur populären Ökonomie von John Fiske in Kapitel 3.1.3. 20 Schrage (1997). 21 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 7.7.
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winne erzielt werden.22 Vor diesem Hintergrund prägen auch die inhaltsbezogenen Präferenzen und die (Konsum-)Vorstellungen der Zuschauer nachhaltig die Diskurse und die inszenierten Konsumpraxen des Shopping Queen-Dispositivs, auch wenn jene sich darüber meistens nicht im Klaren sind und die Serie insbesondere mit dem Ziel rezipieren, sich unterhalten zu lassen. Welche Diskurse des Formats sich auf die durch Marktforschung erhobenen Vorlieben der Zuschauer zurückführen lassen, lässt sich im Einzelnen allerdings nicht mit dem Untersuchungsdesign klären, das der vorangegangenen Analyse zugrunde lag. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Präferenzen und konsumbezogenen Einstellungen von Zuschauer zu Zuschauer variieren, so dass in diesem Zusammenhang auch keine verallgemeinernde Aussage zu dem TV-Publikum gemacht werden kann. Dennoch lässt sich feststellen, dass die diskursiven und nichtdiskursiven Praktiken, die im Shopping Queen-Dispositiv inszeniert werden, nachhaltig von den Serienrezipienten geprägt werden. Die dritte Fragestellung, welche in Foucaults Dispositivanalysen eine wichtige Rolle spielt, fokussiert, wie bereits erwähnt, auf die Machttechniken, mit deren Hilfe sich verschiedene Machtverhältnisse etablieren. Entsprechende Techniken hat auch die Analyse der Serie Shopping Queen aufgedeckt. So wurde gezeigt, dass das Dokutainment-Format auf Basis verschiedener Fremd- und Selbstführungstechniken (Konsum-)Subjekte hervorbringt: Einerseits die Konsumsubjekte in Person der Serienkandidatinnen und andererseits die Konsumsubjekte in Person der Serienrezipienten. Bei ersteren kommt dabei als Fremdführungstechnik beispielsweise die Ausrichtung ihrer Handlungen an Wettkampfregeln (wie zum Beispiel an die Zeitund Budgetvorgaben) zum Einsatz. Hierbei werden die einzelnen Kandidatinnen (beziehungsweise ihr Verhalten) an festgesetzten Standards ausgerichtet und dadurch subjektiviert. Auch die Einordnung der Teilnehmerinnen in statistisch konstituierte Normalitätsfelder und Rangreihungen, wie es beispielsweise im Rahmen des Kandidatenrankings am Ende jeder Episode zu beobachten ist, weist Merkmale der von Foucault beschriebenen disziplinären Fremdführung auf. Allerdings ist die Zielperspektive dieses Normalisierungsinstruments hinsichtlich der zukünftigen (Konsum-)Handlungen der Kandidatinnen nicht von starren Werten und Normen geprägt, weshalb es auch über Charakteristika einer gouvernementalen Selbsttechnologie verfügt. Auch in anderen Situationen werden die Shopping Queen-Teilnehmerinnen zu einer gouvernementalen Selbstführung beziehungsweise Selbstoptimierung 22 Vgl. hierzu auch die Ausführungen von John Fiske zur populären Ökonomie (Fiske 2001) sowie die Ausführungen dieser Studie auf S. 56 ff.
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geführt. So werden sie permanent dazu angehalten, sich im Rahmen ihrer Subjektkonstitution selbst zu führen und ihr konsumbasierte Selbstexpression stetig auszubauen und zu verbessern. Im Kontext entsprechender Selbstführungsprozesse bilden sich die Serien-Subjekte insbesondere auf Grundlage flexibler Normalisierungsprozesse. Hierbei konstruieren sie mit Hilfe von Informationen, welche sie durch diverse Konsumdiskurse oder auch aufgrund individueller Einkaufserfahrungen erlangt haben, ein mentales Normalitätsfeld, das die unterschiedlichsten Facetten von gesellschaftlicher Konsumnormalität umschließt und anormales Verhalten ausschließt. An diesem Normalitätsfeld richten sie ihr eigenes Einkaufsverhalten aus, um sich damit eine soziale Anschlussfähigkeit zu sichern, welche die Voraussetzung für soziale Anerkennung darstellt. Um eine solche Anerkennung schließlich auch tatsächlich zu erhalten, genügt es allerdings nicht, sich lediglich mit seinen eigenen Konsumpraxen an einer beliebigen Stelle in diesem Normalitätsfeld zu positionieren. Vielmehr muss jedes Subjekt seine individuelle Nische in dieser Konsumnormalität finden, um als ein individuelles und authentisches Konsumsubjekt wahrgenommen zu werden und so den Titel der Shopping Queen erlangen zu können. Neben der kommunikativen Normalisierung fungiert auch das Begehren der Kandidatinnen, durch die mediale Selbstinszenierung gesehen zu werden beziehungsweise gesellschaftlich in Erscheinung zu treten, im Shopping QueenDispositiv als eine Selbsttechnologie der Kandidatinnen, in der sich Formen von Fremd- und Selbstführungen verschränken. In diesem Zusammenhang konstituieren sich (Konsum-)Subjekte, wie bereits ausführlich in Kapitel 7.7 erläutert, im Rahmen einer gesellschaftlichen Aufmerksamkeitsökonomie durch ihr Sichtbarwerden im sozialen Gefüge. Die Blicke, welche andere Individuen (die Zuschauer und Kretschmer) auf die Shopping Queen-Kandidatinnen werfen (und die zum Großteil unsichtbar für die Kandidatinnen sind), stellen dabei ein Begehrensobjekt dar, das im Rahmen von Selbstführungsprozessen von den Teilnehmerinnen angestrebt wird und dabei subjektkonstitutiv ist. Neben der Konstitution von Konsumsubjekten in Person der Serienkandidatinnen, bringt das Shopping Queen-Dispositiv, wie bereits erwähnt, auch Subjekte in Person der Serienrezipienten auf Basis einer „Führung zur Selbstführung“23 hervor. Durch die mediale Präsentation des Dispositivs, einschließlich der sich in ihm vollziehenden konsumbezogenen Subjektivierungsprozesse, liefert es Orientierungspunkte und Applikationsfolien für eine konsumbezogene kommunikative Normalisierung der Zuschauer und nimmt somit Einfluss auf deren Subjektbildung. Es lässt sich also feststellen, dass die Rezipienten des Dokutainment-Formats nicht nur nachhaltig die Diskurse und Konsumpraxen inner23 Lessenich (2003), S. 87.
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halb des Shopping Queen-Dispositivs prägen, sondern dass umgekehrt auch das Dispositiv Einfluss auf ihre Subjektbildung nimmt. Abschließend kann resümierend festgestellt werden, dass das DokutainmentFormat Shopping Queen als ein Dispositiv aufgefasst werden kann. Sein Regelwerk und seine verschiedenen Akteure konstituieren über die Verbreitung bestimmter Diskurse, und (Konsum-)Routinen sowie durch die Etablierung unterschiedlicher Machtstrukturen ein Netz, das Subjekte hervorbringt und die entsprechenden Subjektivierungsprozesse reguliert. In diesem Zusammenhang übernimmt der Konsum eine so fundamentale subjektivierende und vergesellschaftende Funktion, dass in Anlehnung an die Ausführungen von Dominik Schrage festgestellt werden kann, dass im Shopping Queen-Dispositiv der Konsum zu einem postmodernen Vergesellschaftungsmodus wird, in welchem sich Subjekte grundsätzlich als Konsumsubjekte konstituieren und stilisieren. Der Konsum bildet im Shopping Queen-Dispositiv damit das grundlegende Fundament von Subjektivierungs- und Vergesellschaftungsprozessen.
9
9.1
Schlussbetrachtung
RESÜMEE
In der vorliegenden Studie wurde eine theoretische Perspektive auf die subjektbildenden Potenziale medial inszenierter Konsumbilder entwickelt und am Beispiel der Vox-Serie Shopping Queen konkretisiert und veranschaulicht. Hierdurch konnten die bisherigen Subjektivierungsdiskurse der Medien- und Konsumsoziologie um eine wichtige Facette erweitert werden, da die in wissenschaftlichen Diskussionen bereits teilweise thematisierten Subjektivierungsfaktoren Medien und Konsum nicht nur als zwei separate Komponenten einer postmodernen Subjektbildung fungieren. Sie entfalten insbesondere in ihrer Verschränkung, in Form einer massenmedialen Inszenierung von Konsumobjekten und Konsumpraxen, ihr subjektkonstituierendes Potenzial. Die Frage nach der Funktion von medial inszenierten Konsumbildern im Rahmen von Subjektivierungsprozessen stellte sich aus verschiedenen Gründen als bedeutsam dar. So ist der Konsum ein fundamentales Subjektivierungsmittel der Gegenwart, mit dessen Hilfe sich Individuen in eine vielfältig strukturierte Gesellschaft mit zahlreichen divergierenden sozialen Feldern integrieren können. Ermöglicht wird diese Integration durch den gemeinsamen Bezug von Subjekten auf den Konsumgütermarkt und auf eine konsumbasierte Selbstentfaltung. Medieninhalte unterstützen in diesem Zusammenhang diese subjektbildenden und vergesellschaftenden Funktionen des Konsums: Durch die mediale Präsentation von Konsumbildern, eröffnen sie den Rezipienten nicht nur (neue) Konsumoptionen, sondern präsentieren auch verschiedene Konsumpraxen und deren jeweilige soziale Anschlussfähigkeit. Beides prägt – so die These dieser Studie – nachhaltig die (selbst-)reflexiven und subjektbildenden Auswahlentscheidungen der rezipierenden Subjekte im Rahmen ihrer eigenen individualästhetischen Konsumhandlungen. Darüber hinaus wird der Konsum mit der steigenden Popularität von Dokutainment-Formaten, wie Shopping Queen, Vier Hochzeiten und eine Traumreise, Schrankalarm, Tüll und Tränen etc., zunehmend und explizit
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im Rahmen massenmedialer Unterhaltung thematisiert. Dabei inszenieren diese Formate nicht nur einzelne Konsumobjekte. Sie fokussieren auch insbesondere auf die konsumbasierte Selbstexpression und Selbstoptimierung verschiedener Individuen, die als spezifische Beispiele von gesamtgesellschaftlichen Subjektivierungspraxen betrachtet werden können und die gleichzeitig entsprechende Diskurse zu diesem Thema befeuern beziehungsweise in der Gesellschaft zirkulieren lassen. Vor diesem Hintergrund werden konsumbezogene Subjektivierungsprozesse zu einem zunehmend wichtigen Thema der aktuellen Unterhaltungskultur und bedürfen somit, nicht nur aus einer soziologischen Sicht, sondern auch aus einer medienwissenschaftlichen Perspektive betrachtet, einer eingehenden Beleuchtung. Im Rahmen der Entwicklung einer theoretischen Perspektive auf entsprechende konsumbasierte und medial vermittelte Subjektivierungsprozesse beleuchtete die Studie zunächst die allgemeinen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Merkmale postmoderner Subjektbildung. Dafür knüpfte sie insbesondere an die Individualisierungsthese Ulrich Becks und an Michel Foucaults Ansätze zur Disziplinarmacht und zur Gouvernementalität an. In diesem Zusammenhang wurde deutlich, dass sich die Subjekte der Gegenwart in einem Spannungsfeld verschiedener Fremd- und Selbstführungstechniken konstituieren. Subjektivierung vollzieht sich dabei im Rahmen von Vergesellschaftungsprozessen, welche sich insbesondere durch den Zerfall traditioneller Bindungen und durch kontingente Handlungsmöglichkeiten auszeichnen. Hierdurch können die einzelnen Individuen zwar ihr Selbst relativ frei entfalten, werden aber auch mit dem Risiko konfrontiert, falsche (Lebens-)Entscheidungen zu treffen und die daraus resultierenden Konsequenzen dann auch (er)tragen zu müssen. Vor dem Hintergrund der, sowohl von Beck als auch von Foucault skizzierten, individuellen Freiheiten und kontingenten Handlungsoptionen der Postmoderne zeigte die vorliegende Studie darüber hinaus auf, dass in der Gegenwartsgesellschaft jeder Einzelne ein Orientierungswissen1 und automatisierte Praxen einer individuellen Subjektbildung benötigt, um die für sich ‚richtigen‘ (Le bens-)Entscheidungen treffen zu können und so das eigene Leben erfolgreich zu entfalten. Im Anschluss an aktuelle medien- und konsumsoziologische Dis-
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Mit dem Terminus des Orientierungswissens sind keine strikten Vorbilder oder Handlungsvorgaben gemeint, welche die Individuen von ihrem sozialen Umfeld, den Medien etc. erhalten, sondern vielmehr Informationen und Applikationsfolien, die beispielsweise im Rahmen einer kommunikativen Normalisierung bei Subjektivierungsprozessen eine Rolle spielen.
Schlussbetrachtung
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kurse2 wurde dargestellt, dass die Subjekte der Gegenwart ein entsprechendes Orientierungswissen beziehungsweise individuelle Selbstmanangementpraxen unter anderem im Rahmen ihrer Medienrezeption und im Kontext individueller Konsumhandlungen ausbilden. In diesem Zusammenhang wurde erläutert, dass sowohl Massenmedien als auch postmoderne Konsumpraxen den verschiedenen Individuen Orientierungsimpulse für eine aktive und individuelle Subjektbildung offerieren und keineswegs starre Konsum- und Handlungsvorgaben auf gesellschaftlicher Ebene implementieren. Bei der näheren Beleuchtung der medienorientierten Subjektkonstitution fokussierte die Studie insbesondere auf die Subjektivierungsfunktion von massenmedialen Unterhaltungsangeboten. Es wurde deutlich, dass jene von den Rezipienten zwar in der Regel lediglich mit dem Ziel konsumiert werden, mit ihrer Hilfe Entspannung und Unterhaltung zu finden, dass aber entsprechende Medieninhalte gleichzeitig auch die Funktion eines kulturellen Forums übernehmen, in welchem verschiedene, für die Subjektbildung der Rezipienten relevante, Diskurse zirkulieren. Massenmediale Unterhaltungsangebote können daher eine wichtige Rolle bei der aktiven und individuellen Subjektbildung der Rezipienten spielen, auch wenn die von ihnen vermittelten Subjektivierungsimpulse von jenen in der Regel nur beiläufig und zumeist nicht bewusst wahrgenommen werden. Bei der näheren Betrachtung entsprechender Subjektivierungsprozesse bezog sich die Studie auf die Ausführungen von Michael Makropoulos zur Vergesellschaftungsfunktion der Massenkultur und spezifizierte dessen Ansatz in Hinblick auf mediale Unterhaltungsangebote. Es wurde aufgezeigt, dass letztere den Rezipienten einerseits vielfältige Widerspiegelungen der bereits erläuterten möglichkeitsoffenen Gesellschaftsstrukturen und Handlungsoptionen der Gegenwart offerieren. Dadurch führen sie jenen stetig neue und erweiterbare Optionen der Lebensführung und der Selbstexpression vor Augen und tragen zu einer Ausweitung und Positivierung von Kontingenz bei. Andererseits vermitteln Medieninhalte aber gleichzeitig auch Sicherheit und Orientierung stiftende Normalisierungsimpulse. So werden durch die mediale Darstellung verschiedener Lebenswelten und Handlungsmöglichkeiten gesellschaftliche Zonen von Normalität präsentiert, an denen sich die Rezipienten bei ihrer Lebensgestaltung und Subjektbildung orientieren können. Dieser Prozess wurde in Anlehnung an Michael Makropoulos als kommunikative Normalisierung bezeichnet. Im Gegensatz zu der von Foucault thematisierten disziplinären Normalisierung, deren Fokus auf der Verminderung individueller Kontingenz durch festgesetzte Ver2
Zu der Subjektivierungsfunktion von Medien vgl. z.B. Bublitz (2010), Spreen (2012), Süß (2010), Aufenanger (2008), zur konsumbasierten Subjektbildung vgl. z.B. Schrage (2009), Reckwitz (2006b).
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haltensvorgaben liegt, basiert die kommunikative Normalisierung dabei nicht auf der Reduktion von Handlungsalternativen durch rigorose Regeln und Handlungsvorschriften. Die medial inszenierten Normalitätsspektren dienen den Rezipienten im Rahmen ihrer Subjektbildung nicht als Imitationsvorlage, sondern stoßen vielmehr individuelle Selbstmanagementprozesse an, indem sie Orientierungsimpulse in Form von Applikationsfolien vermitteln. Diese unterstützen die Rezipienten bei einer eigenständigen Konstitution ihres Selbst. Um neben der Bedeutung von Medien auch die Rolle des Konsums bei individuellen Subjektivierungsprozessen umfassend nachzuzeichnen, setzte die Studie insbesondere die konsumsoziologischen (Subjektivierungs-)Theorien von Jean Baudrillard, Andreas Reckwitz und Dominik Schrage vor dem Hintergrund der gegenwärtigen kontingenten Gesellschaftsstrukturen und Handlungsoptionen zueinander in Bezug. Dadurch gelang es, eine theoretische Perspektive auf konsumbasierte Prozesse der Subjektbildung zu entfalten, welche die materiellen und die semiotischen Eigenschaften von Konsumgütern berücksichtigt und dabei sowohl auf die individualästhetischen als auch auf die integrativen Selbstmanagementpotenziale des postmodernen Konsums fokussiert. In diesem Zusammenhang wurde dargestellt, dass postmoderne Konsumpraxen als eine Selbsttechnologie im Sinne Foucaults aufgefasst werden können. Sie ermöglichen es dem einzelnen Individuum einerseits, im Rahmen von kontingenten Konsumoptionen und Kaufentscheidungen seine eigenen Bedürfnisse, seine Selbstsicht und sein anvisiertes Fremdbild zu thematisieren und sein Selbst mit Hilfe von zumeist emotional aufgeladenen Gütern individualästhetisch zu entfalten. Andererseits fungieren sie als ein Mittel der gesellschaftlichen Integration, die allerdings – anders als beispielsweise noch zu Zeiten der Angestelltenkultur – nicht auf einer gesellschaftlichen Eingliederung von Individuen durch deren Befolgung normativer Konsumvorgaben basiert, sondern auf dem gemeinsamen Bezug der verschiedenen Subjekte auf den Konsummarkt beziehungsweise auf eine konsumbasierte Selbstentfaltung. Diese Selbstentfaltung sollte dabei so gestaltet sein, dass die erworbenen Objekte es dem Einzelnen ermöglichen, sich seinem anvisierten konsumbasierten Ideal-Ich zu nähern und sich andererseits dem sozialen Umfeld auf eine Weise zu präsentieren, die auch von jenem als authentisch und individuell anerkannt wird.3 Das Konsumsubjekt der Gegenwart operiert damit innerhalb einer konsumistisch orientierten Innen- und Außenlenkung und steht vor der anspruchsvollen Aufgabe, bei gleichzeitiger gesellschaftlicher Anschlussfähigkeit ein individuelles Profil seiner selbst zu gestalten. 3
Anders als beispielsweise zu Zeiten der Angestelltenkultur, wird also eine konsumbasierte Integration nicht mehr durch Normalisierung hergestellt, sondern lediglich auf Basis von gesellschaftlicher Anschlussfähigkeit.
Schlussbetrachtung
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Dabei werden die einzelnen Konsumakte durch ein in Aussicht gestelltes Glücksempfinden motiviert, welches sich sowohl durch die Möglichkeit der gelungenen individuellen Selbstentfaltung als auch durch deren soziale Anerkennung realisiert. Bei der Beleuchtung der konsum- und medienbezogenen Subjektivierungsprozesse wurde darüber hinaus verdeutlicht, dass sowohl die konsumbasierte ästhetische Selbstentfaltung von Subjekten als auch die medienorientierte kommunikative Normalisierung bei den einzelnen Individuen Optimierungsprozesse in Gang setzt, welche deren Selbstbildung ebenfalls nachhaltig prägen. So etablieren beispielsweise die beschriebenen medial inszenierten Normalitätsspektren einen fortlaufenden Vergleichsprozess zwischen verschiedenen Personen. Dadurch eröffnet sich für jeden Einzelnen, im Rahmen von Subjektivierungsprozessen, eine Zielperspektive, die nicht nur darauf verweist, ‚normal‘ zu sein, sondern erfolgreicher zu sein als das soziale Umfeld. Auf diese Weise wird auf lange Sicht das Normalitätsspektrum vieler Leistungsfelder in Richtung des positiven Anormalitätsbereichs verschoben, wodurch schließlich höhere Standards implementiert werden. Auf Basis der Sicherheit und Orientierung stiftenden Funktion der kommunikativen Normalisierung entsteht somit schließlich ein Dispositiv, das eine autonome Subjektkonstitution im Modus einer fortlaufenden Selbstoptimierung hervorbringt. Medieninhalte, die darüber hinaus eine entsprechende Selbstoptimierung offenkundig als erstrebenswert inszenieren, wurden in diesem Zusammenhang als besonders relevant identifiziert, da sie die dargestellten Optimierungsprozesse noch stärker vorantreiben. Die kommunikative Normalisierungsfunktion der Medien verkörpert somit keine disziplinäre Anpassung von Individuen an gesellschaftliche Standards. Medieninhalte stoßen vielmehr Selbstführungsprozesse an, welche eher auf Optimierung und weniger auf Anpassung fokussieren. Die Abkehr von einer sozialen Angleichung und die zunehmende Verfolgung von Optimierungsbestrebungen stellen dabei Entwicklungen dar, deren Ursprung in der Erosion des bürgerlichen Subjekts liegt, welches sich noch durch die Befolgung strikter Handlungsvorgaben auszeichnete. Aufgrund verschiedener ästhetischer Gegenbewegungen zur bürgerlichen Kultur, wurde dieser Subjekttyp von einem individualästhetischen Subjekt abgelöst. Kulturelle Bewegungen, wie die Romantik, die künstlerische Avantgarde-Bewegung und die Counter Culture der 1960er und 1970er Jahre, führten nach und nach zu gesamtgesellschaftlichen Einstellungsänderungen. Diese waren dadurch gekennzeichnet, dass nun stärker das innere Erleben als das äußerliche Handeln gewürdigt wurde. Dass eher das Besondere des Einzelnen im Fokus des Interesses stand als standardisierte Verhaltensmuster und dass die Zielsetzung permanenter Grenzüberschreitungen die Tradierung
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von Normalitäten ablöste. Die sich in diesem Zusammenhang bildenden Selbstund Weltbilder lassen somit auch die Relevanz von Angleichung an andere in den Hintergrund treten und fokussieren stattdessen eher auf die zuvor beschriebene Abgrenzung einzelner Individuen im Sinne einer permanenten Überbietung der Leistungen und Entwicklungen anderer Personen. Damit prägen sie maßgeblich die (konsumbasierten) Optimierungsbestrebungen der Gegenwart. Die medial vorangetriebene Optimierungsdynamik wurde auch durch den Bezug auf Ulrich Bröcklings Ausführungen zum unternehmerischen Selbst verdeutlicht. Dieses von Bröckling beschriebene Selbstverhältnis, welches er fest in den Subjekten der Gegenwart verankert sieht, fußt auf den unter anderem von Ratgeberliteratur in Umlauf gebrachten Appellen, sich bei der persönlichen Selbstentfaltung an den wirtschaftlichen Strategien des Unternehmertums zu orientieren. Die Subjekte der Gegenwart werden, Bröcklings Ausführungen zufolge, dazu angehalten, ihr Glück in Form sozialer Anerkennung und authentischer Selbstentfaltung mit ähnlichen Techniken zu maximieren, mit denen Unternehmer den Ausbau ihrer monetären Gewinne forcieren. Diese Studie hat gezeigt, dass ein solches auf permanente Selbstoptimierung zielendes Selbstverhältnis nicht nur von expliziter Ratgeberliteratur angestoßen werden kann, sondern von jeglichen Orientierung stiftenden Medieninhalten, welche Selbstoptimierungsbestrebungen positivieren. In diesem Zusammenhang wurde aber auch verdeutlicht, dass die Rezipienten die dargestellten medial vermittelten Impulse nicht unhinterfragt auf ihr eigenes Leben übertragen, sondern diese reflektieren und mit individuellen Bedeutungen versehen. Erst wenn sie Medieninhalte entsprechend dekodieren und als relevant und förderlich für die eigene Entwicklung beurteilen, werden sie möglicherweise auch die medial präsentierten Praxen der Selbstoptimierung in ihrem eigenen Leben anwenden. Der Konsum konnte im Zusammenhang mit den dargestellten medienbasierten Optimierungsbestrebungen von Subjekten einerseits als Erfolgswerkzeug identifiziert werden, da Waren und Dienstleistungen als Investitionsgüter im Rahmen von unternehmerisch ausgerichteten Subjektivierungsstrategien eingesetzt werden. Konsumgüter wurden damit als ein effizientes Mittel dargestellt, mit dessen Hilfe ein auf Optimierung zielendes Selbstmanagement vorangetrieben werden und gleichzeitig nach außen hin demonstriert werden kann. Andererseits wurde deutlich, dass die bereits erläuterten postmodernen Konsumpraxen auch an sich durch ihre sozialen und selbstexpressiven Funktionen eine Optimierungsdynamik forcieren, welche nicht nur (im Zusammenhang mit sich kongruent entwickelnden Glückserwartungen) als Motiv für immer weitere Konsumakte verstanden werden kann, sondern die auch die fortlaufende Perfektionierung der individualästhetischen Ausdifferenzierung und Präsentation der eigenen Per-
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son vorantreibt. Der Konsum erweitert also die zuvor beschriebene medial orientierte Selbstoptimierung einer unternehmerisch ausgerichteten Subjektivierungsform um den Aspekt einer individuellen Ästhetik, welche durch die konsumierten Güter eines Individuums in Szene gesetzt wird. Hierbei zielen die permanenten Optimierungsbestrebungen allerdings nicht nur auf die Steigerung eigener Leistungen ab, sondern insbesondere auch auf eine individuelle, jedoch auch sozial anschlussfähige, Selbstentfaltung. Auf Basis der detaillierten Beleuchtung der Subjektivierungsfunktionen von massenmedialen Unterhaltungsangeboten auf der einen Seite und postmodernen Konsumpraxen auf der anderen Seite fokussierte die Studie schließlich auf die subjektivierenden Potenziale, die beide Kulturfaktoren in ihrer Verschmelzung erhalten. Es konnte gezeigt werden, dass die in massenkulturellen Unterhaltungsangeboten häufig präsentierten Konsumvorbilder und Konsumpraxen den Rezipienten Orientierung stiftende Sinnangebote für deren eigenes subjektbildendes Konsumverhalten offerieren. In diesem Zusammenhang kann zum Beispiel die mediale Präsentation von Produkten und deren häufige symbolische Aufladung durch spezifische inhaltliche Rahmungen ihrer Inszenierung dazu führen, dass der Konsument sie in späteren Konsumentscheidungen als eine (neue) Möglichkeit seiner konsumbezogenen individualästhetischen Selbstexpression berücksichtigt oder auch verwirft. Hierdurch würde sich schließlich nicht nur seine nach außen gerichtete Selbstpräsentation verändern, sondern auch seine innere Selbstreflexion, welche sich wiederum auf sein Selbstverhältnis beziehungsweise seine Selbstsicht und somit auf seine Subjektkonstitution auswirkt. Darüber hinaus stellte die Studie unter Bezugnahme auf die Thesen von Hannelore Bublitz zur medial vermittelten Begehrensregulation dar, dass die Art der inhaltlichen und filmischen Inszenierung von Produkten den Rezipienten häufig suggeriert, die dargestellten Waren und Dienstleistungen seien bei dem Erreichen ihres konsumbezogenen Ideal-Ichs hilfreich. Hierbei wird den Zuschauern zunächst medial ein Mangel präsentiert, den jene eventuell in ihrem eigenen Leben feststellen können und der sie von ihrem Ideal-Ich trennt. Zur Beseitigung dieses Mangels wird im Anschluss eine konsumbezogene Lösung in den Fokus gerückt. Medieninhalte können also, durch eine spezifische Inszenierung von verschiedenen Gütern, bei den Rezipienten Begehrensobjekte erschaffen. Darüber hinaus liefern sie zugleich auch inhaltliche Rahmungen und Impulse für Phantasieszenarien, in denen die Rezipienten die Erfüllung ihres Begehrens nach einem Ideal-Ich mit Hilfe des entsprechenden Begehrensobjektes mental visualisieren beziehungsweise erproben können. Dadurch wird die
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Begehrenserfüllung für sie greifbarer und das Begehren nach dem entsprechenden Produkt wird weiter gestärkt. Doch nicht nur die mediale Präsentation und inhaltliche Einbettung von Konsumobjekten wurde als ein fundamentaler Faktor bei postmodernen Subjektivierungsprozessen identifiziert. Insbesondere die Inszenierung von konsumierenden Subjekten einschließlich ihrer verschiedenen Konsumpraxen wurde hierbei als besonders relevant beurteilt. In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, dass massenmediale (Unterhaltungs-)Angebote, durch die mehr oder weniger offensichtliche Implementierung von Konsumhandlungen in ihren verschiedenen Inhalten, die facettenreichen Normalitätsspektren des Konsumierens vermitteln – sei es in Hinblick auf die Konsummotive von medial präsentierten Subjekten, sei es in Bezug auf ihre verschiedenen Auswahlkriterien oder auch hinsichtlich ihrer Selbstpräsentation als kompetentes individualästhetisches Konsumsubjekt. Im Sinne einer kommunikativen Normalisierung offeriert damit die Präsentation von Konsumhandlungen in massenmedialen (Unterhaltungs-) Formaten den Rezipienten Orientierungsimpulse für deren eigene konsumbasierte Subjektkonstitution. Die Rezipienten können sich mit Hilfe dieser medial präsentierten Normalitätsspektren ein Bild darüber machen, welches Konsumverhalten gesellschaftlich als ‚normal‘ angesehen wird und welches nicht. Nur auf diese Weise können sie ihren eigenen Konsum so gestalten, dass er zwar authentisch ihr individuelles Selbst in Szene setzt, dabei aber auch zugleich anschlussfähig an gesellschaftliche Konsumvorstellungen ist. Im Empirie-Teil der Studie wurde die zuvor theoretisch entfaltete Subjektivierungsperspektive am Beispiel der Fernsehserie Shopping Queen mit Hilfe eines qualitativen deduktiv-induktiven Forschungsansatzes expliziert und erweitert. Dabei wurde der Frage nachgegangen, welche konsumbezogenen Bedeutungsund Sinnangebote das TV-Format Shopping Queen seinen Rezipienten offeriert und welche subjektbildenden Diskurse es somit in Umlauf bringt. Es galt also, die Frage zu beantworten, welche Diskussionsangebote, Applikationsfolien und Orientierung stiftenden Sinnangebote die Serie den Rezipienten unterbreitet, wenn sie die Funktion eines kulturellen Forums übernimmt, in dem gesellschaftliche Entwicklungen und Impulse aufgegriffen beziehungsweise thematisiert werden und welches so schließlich Einfluss auf Vergesellschaftungs- und Subjektivierungsprozesse von Rezipienten nimmt. Im Zuge der Beantwortung dieser Fragestellung wurde festgestellt, dass die Serie ihren Rezipienten sehr detailliert vor Augen führt, wie Subjektivierungsprozesse im Rahmen von medialen Strukturen und Impulsen sowie auf Basis einer konsumbasierten Selbstentfaltung aussehen können. Das Dokutainment-
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Format kann als Mikrodispositiv eines übergeordneten Konsum- und Mediendispositivs verstanden werden, in welchem sich (Konsum-)Subjekte in einem Netz von Institutionen, Diskursen, Praxen und Regelsystemen konstituieren. Die verschiedenen Institutionen beziehungsweise Akteure dieses Dispositivs (die Serienkandidatinnen, Guido Maria Kretschmer als Vertreter der Modebranche, das Mediensystem und die Serienrezipienten) bilden dabei vor dem Hintergrund individueller Motive4 verschiedene (Konsum-)Diskurse und Machtstrukturen aus, welche sich schließlich zu einem Netz zusammenfügen, das in seiner Gesamtheit (Konsum-)Subjekte hervorbringt und reguliert. Innerhalb der diskursiven und nicht-diskursiven Praxen, welche in den analysierten Shopping Queen-Episoden sichtbar wurden, zirkulieren in diesem Zusammenhang verschiedene Wissensgegenstände, wie zum Beispiel das Wissen um gesellschaftlich akzeptierte Konsumpraxen und die hedonistischen Potenziale des Konsumierens sowie die Erkenntnis, dass die konsumbasierte Konstitution des eigenen Selbst ein lebenslanger Prozess ist. Die entsprechenden Diskursinhalte bilden im Zusammenspiel mit den Handlungen der verschiedenen Akteure, den dargestellten (Konsum-)Objekten und dem Regelsystem der Sendung schließlich ein Netz, in welchem sich Subjekte in einem Spannungsfeld von disziplinärer Fremdführung und gouvernementaler Selbstführung konstituieren. Formen von Disziplinierung finden sich beispielsweise im Zusammenhang mit den in jeder Episode fest verankerten Serienelementen des Style Checks, der Ausgabenübersicht, oder der Punkte-Vergabe. Im Rahmen dieser Serienelemente werden die Kandidatinnen zunächst in vergleichbare Parameter und Datensätze zerlegt, um anschließend in Normalitätsspektren eingeordnet werden zu können. Es finden in diesem Zusammenhang also ähnliche Formen der Disziplinierung statt, wie sie Foucault in Bezug auf Disziplinarinstitutionen, wie Schulen, Krankenhäuser und dem Militär etc. beschreibt. Gouvernementale Selbstführungstechniken werden in der Serie zum Beispiel in Form kommunikativer Normalisierungsprozesse sichtbar, wenn sich die Teilnehmerinnen bei ihren subjektbildenden Konsumhandlungen an Informationen orientieren, die ihnen einen Eindruck davon vermitteln, welche Kaufentscheidungen eine hohe soziale Akzeptanz haben dürften und ihnen somit letztlich gute Bewertungen von Kretschmer und ihren Mitstreiterinnen sichern können. Hierbei greifen sie einerseits auf ihre bereits im Vorfeld erworbenen Konsumkenntnisse zurück und andererseits auf die Ratschläge und Meinungen von ihren Einkaufsbegleitungen und von Verkäufern. Da es aber nicht ausreicht, ein sozial anschlussfähiges Konsumverhalten zu demonstrieren, um Anerkennung zu erhal4
Für eine ausführliche Darstellung dieser Motive vgl. Kapitel 6.2.
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ten, müssen die Kandidatinnen gleichzeitig auch einen individualästhetischen Stil kreieren. Vor diesem Hintergrund präsentieren sich die Shopping QueenKandidatinnen zumeist als kreative Konsumsubjekte, welche das Konsumieren und die damit einhergehende Möglichkeit einer authentischen und aufmerksamkeitsgenerierenden Selbstexpression genießen und gleichzeitig die soziale Anschlussfähigkeit ihres Konsums berücksichtigen. Eine weitere subjektbildende Machtbeziehung, die bei der theoretischen Entfaltung des medien- und konsumbasierten Subjektivierungsansatzes zunächst nicht berücksichtigt wurde, deren Relevanz aber im Rahmen der sich anschließenden Serienanalyse deutlich wurde, ist die panoptisch-mediale Blickanordnung zwischen Kretschmer beziehungsweise dem Fernsehpublikum und den Kandidatinnen. Letztere wissen, dass ihre Konsumhandlungen durchgängig gefilmt und später Kretschmer sowie einem Millionenpublikum vor dem Fernseher vorgeführt werden, auch wenn sie selbst diese Personen und ihre Reaktionen nicht sehen können. Sie erhalten durch ihre Teilnahme an der Sendung damit die Möglichkeit, öffentlich-medial in Erscheinung zu treten. Dieses öffentliche Sichtbarwerden wirkt sich ebenfalls subjektbildend auf die Serienkandidatinnen aus. Die Betrachtung der empirischen Analyseergebnisse lässt erkennen, dass die Serie Shopping Queen ihren Rezipienten sehr detailliert die konsumbasierten Subjektivierungsprozesse ihrer Kandidatinnen präsentiert. Im Anschluss an die zuvor entwickelte subjektivierungstheoretische Perspektive offeriert sie ihren Zuschauern damit Sinnangebote hinsichtlich konsumbezogener Subjektivierungsmöglichkeiten, welche schließlich in Form einer kommunikativen Normalisierung Einfluss auf die konsumbasierte Subjektbildung der Zuschauer nehmen können.5 In diesem Zusammenhang fokussiert die Serie allerdings weniger auf die Präsentation verschiedener Güter, die den Rezipienten als attraktive Kaufoptionen vorgeführt werden, sondern vielmehr auf die allgemeinen Konsumpraxen der Teilnehmerinnen sowie auf deren Konsummotive. Dabei wird insbesondere die individualästhetische Selbstentfaltung bei gleichzeitiger sozialer Anschlussfähigkeit als fundamentale Kompetenz eines erfolgreichen und zufriedenen Konsumsubjekts inszeniert. Nur wenn eine Person über diese Kompetenz verfügt, kann sie den Titel der Shopping Queen gewinnen und gleichzeitig sich selbst als individuelles und authentisches Subjekt sowie die darauf basierende Anerkennung anderer Individuen genießen.
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Gleichzeitig werden die entsprechenden Serieninhalte aber auch von den Rezipienten geprägt. Die Medieninhalte und die Zuschauer stehen also in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander.
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Insgesamt gelang es in dieser Studie, eine theoretische Perspektive auf die Subjektivierungsleistung von medialen Konsumbildern zu entwickeln und damit die bisherigen medien- und konsumsoziologischen Subjektivierungsdiskurse um einen neuen Aspekt zu erweitern. Es wurde gezeigt, dass Medien und Konsumpraxen nicht nur als zwei separate subjektbildende Faktoren in der Gegenwartsgesellschaft eine Rolle spielen. Gerade ihre Verschmelzung, in Form medialer Konsuminszenierungen, stellt einen fundamentalen Subjektivierungsfaktor der Gegenwart dar. Die Explikation der entfalteten theoretischen Subjektivierungsperspektive am Beispiel der Fernsehserie Shopping Queen hat in diesem Zusammenhang einerseits dazu beigetragen, den entwickelten theoretischen Blickwinkel empirisch zu fundieren und die konsumbasierten Subjektivierungsstrukturen der Sendung sichtbar werden zu lassen. Andererseits konnten im Rahmen der Serien-Analyse die theoretisch hergeleiteten Ansätze um die Subjektivierungsfunktion der panoptischen Blickordnung in Dokutainment-Formaten erweitert werden. Darüber hinaus wurde im Rahmen der analytischen Betrachtung deutlich, dass Dokutainment-Serien wie Shopping Queen eine besondere Relevanz für medien- und konsumbasierte Subjektivierungsprozesse besitzen, da sie nicht nur vereinzelte Konsumbilder präsentieren und auf inhaltlicher Ebene rahmen. Vielmehr inszenieren sie ganze Konstitutionsprozesse von Konsumsubjekten und offerieren damit ihren Zuschauern, im Rahmen von kommunikativen Normalisierungsprozessen, Applikationsfolien für deren eigene konsumbasierte Subjektkonstitution.
9.2
AUSBLICK
Unter perspektivischen Gesichtspunkten eröffnen sich im Anschluss an diese Studie verschiedene weiterführende Forschungsfragen, die aus einer konsumund mediensoziologischen Perspektive von Erkenntnisinteresse sind. So bietet es sich beispielsweise an, mit Hilfe von Rezeptionsstudien der Frage nachzugehen mit welchen Bedeutungen die Shopping Queen-Zuschauer die in der Sendung präsentierten Subjektivierungspraxen versehen und inwiefern sich diese in ihrer Subjektbildung niederschlagen. Im Rahmen entsprechender Untersuchungen sollten dabei auch gesellschaftliche Aspekte, wie etwa milieuspezifische Deutungsmuster, berücksichtig werden, um so der Vielschichtigkeit der sozialen Realität zu entsprechen. Eine andere weiterführende Forschungsperspektive ist darüber hinaus die Analyse von Geschlechterrollen in der Serie Shopping Queen sowie deren Funk-
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tion im Rahmen von konsumbasierten Subjektivierungsprozessen. Bereits der Titel der Sendung macht deutlich, dass in dem Format lediglich eine Shopping Queen und nicht etwa ein Shopping King gesucht wird. In der Regel kämpfen in den verschiedenen Episoden auch tatsächlich nur Frauen um den oben genannten Titel.6 Mit dieser Fokussierung auf den weiblichen Konsumenten wird das Einkaufen als eine typische Frauendomäne inszeniert. Wie sich die mediale Inszenierung solcher Klischees in konsumbasierten Prozessen der Selbstbildung niederschlägt, wäre eine mögliche Fragestellung zukünftiger genderspezifischer Untersuchungen. In diesem Zusammenhang wäre es zudem von Interesse, mit Hilfe empirischer Analysen der Frage nachzugehen, in welchem Umfang sich entsprechende geschlechterbezogene Konsumklischees auch in anderen medialen Angeboten wiederfinden lassen beziehungsweise ob Konsum generell als eine eher weibliche Kategorie inszeniert wird. Hieraus ließe sich schließlich – vor dem Hintergrund der in dieser Studie dargestellten These, dass sich die Subjekte der Gegenwart als Konsumsubjekte konstituieren – die Forschungsfrage ableiten, ob eine entsprechende Situation auf lange Sicht eine Verweiblichung von Gesellschaft und Kultur bedingen könnte. Auch aus einem konsum- und medienethischen Blickwinkel eröffnen sich verschiedene forschungspraktische Anknüpfungspunkte an diese Studie. So bietet es sich unter anderem an, die verschiedenen Applikationsfolien, welche die Serie Shopping Queen offeriert, kritisch und vor dem Hintergrund ethischer Erwägungen zu reflektieren. Die vorangegangene Analyse des DokutainmentFormats hat gezeigt, dass die gesamte Sendung von einer Optimierungslogik durchzogen ist: Die Kandidatinnen sollen stets das Beste aus dem zur Verfügung gestellten Geld- und Zeitrahmen herausholen und sobald sie die Anforderungen von Kretschmer, den anderen Teilnehmerinnen oder dem Fernsehpublikum nicht erfüllen, werden sie konsequent abgewertet. Die Applikationsfolien, die von der Serie vermittelt werden, sind somit von einer Optimierungs- und Abwertungslogik geprägt, die es kritisch zu reflektieren gilt. Entsprechende Überlegungen las6
Männer spielen in der Serie höchstens als Einkaufsbegleitungen eine untergeordnete Rolle. Lediglich in dem Sonderformat „Pärchen-Spezial“ (Erstausstrahlung vom 02.01.13 bis zum 04.01.13) agieren sie als gleichberechtigte Teilnehmer an der Seite ihrer Partnerin und in dem Sonderformat „Männer-Spezial“ (Erstausstrahlung vom 27.01.14 bis zum 31.01.14) stehen sie kurzzeitig alleine im Fokus der Aufmerksamkeit. Da aber dem letztgenannten Sonderformat das Einkaufsmotto „Herr der Ringe – Finde das perfekte Outfit für deinen Heiratsantrag“ zugrunde liegt, lässt sich vermuten, dass auch in diesen Episoden viele klischeehafte konsumbezogene Geschlechterstereotypen inszeniert werden.
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sen sich dabei auch in eine größere Gesellschaftskritik einbinden, denn es muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass Shopping Queen, als Mikrodispositiv eines übergeordneten Konsum- und Mediendispositivs, nur ein spezifisches Beispiel für eine allgemeine Entwicklung ist, die sich in Hinblick auf Konsum und Optimierung gesamtgesellschaftlich vollzieht. Wie bereits an früherer Stelle erläutert, lässt sich im Konsumdispositiv der Gegenwart eine Optimierungslogik feststellen, die auf der Begehrensdynamik des Konsumierens fußt und welche in den unterschiedlichsten Lebensbereichen von Individuen sichtbar wird – sei es im Rahmen der (konsumbasierten) Optimierung des eigenen Körpers, in der konsumistischen Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen oder auch in der Inszenierung des eigenen Selbst mit Hilfe von Konsumobjekten, wie sie in dieser Studie thematisiert wurde. Auch wenn sich zunehmend Gegenbewegungen zu den Optimierungsappellen unserer Gesellschaft etablieren, fällt bei deren genaueren Betrachtung auf, dass auch diese zumeist nicht frei von den beschriebenen gesellschaftsweiten Selbstverbesserunglogiken sind. Oft führt gerade der Versuch ihrer Bekämpfung zu ihrer eigentlichen Festigung und zwar dann, wenn die Zielperspektive der Emanzipation von entsprechenden sozialen Erwartungen und Zwängen ihrerseits zu einem neuen impliziten Selbstoptimierungstrend avanciert. Eine kritische Reflexion entsprechender Entwicklungen bietet sich als weitere Perspektive für zukünftige Forschungsprojekte an. Darüber hinaus stellt sich in Hinblick auf konsumethische Forschungsperspektiven die Frage, inwiefern sich Individuen mit begrenzten finanziellen Mitteln vergesellschaften können, wenn Konsum als fundamentales Mittel der sozialen Integration fungiert. Entsprechende Überlegungen verdeutlichen die Notwendigkeit einer (staatlichen) finanziellen und sozialen Grundsicherung von Individuen sowie die Relevanz einer ethischen und soziologischen Auseinandersetzung mit diesem Thema. Aus einem medien- und konsumsoziologischen Blickwinkel erscheint es zudem sinnvoll, im Rahmen zukünftiger Forschungen mediale Inszenierungen von immateriellen Konsumobjekten im Rahmen von Subjektivierungsprozessen zu thematisieren und deren spezifische subjektbildende Potenziale zu untersuchen. Entsprechende konsumbasierte Selbstbildungsprozesse lassen sich beispielsweise in Folgeformaten von Shopping Queen, wie zum Beispiel Vier Hochzeiten und eine Traumreise oder Date my Style finden. Ein flüchtiger Blick auf diese Dokutainment-Sendungen zeigt, dass in ihnen nicht nur materielle Konsumobjekte zur Entfaltung des eigenen Selbst zum Einsatz kommen. Vielmehr werden auch emotionale Beziehungen, wie Partnerschaften, als ein auf den ersten Blick nicht kapitalistisch strukturierter Lebensbereich, konsumbasiert ausgehandelt.
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Inwiefern eine solche Ausweitung des Konsums sich auf die Subjektbildung von Individuen auswirkt, könnte ebenfalls eine Fragestellung zukünftiger Forschungsprojekte sein. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die Vielfalt der dargestellten Perspektiven, die sich aus den Erkenntnissen dieser Studie ergeben, nicht nur neue Forschungsfelder aufzeigt. Sie verdeutlicht auch die Relevanz der Ergebnisse dieser Studie für die Medienwissenschaften und für die Soziologie, da sie als Fundament für zahlreiche weiterführende Untersuchungen verstanden werden können.
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