Schätzungen im Rahmen der Schuldfeststellung am Beispiel der Rechtsprechung des BGH zu Vermögensdelikten und Serienstraftaten [1 ed.] 9783428553082, 9783428153084

Die zentrale Aufgabe des deutschen Strafprozesses besteht in der Ermittlung der materiellen Wahrheit. Gleichzeitig verla

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Schätzungen im Rahmen der Schuldfeststellung am Beispiel der Rechtsprechung des BGH zu Vermögensdelikten und Serienstraftaten [1 ed.]
 9783428553082, 9783428153084

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Schriften zum Strafrecht Band 319

Schätzungen im Rahmen der Schuldfeststellung am Beispiel der Rechtsprechung des BGH zu Vermögensdelikten und Serienstraftaten

Von

Dennis Federico Otte

Duncker & Humblot · Berlin

DENNIS FEDERICO OTTE

Schätzungen im Rahmen der Schuldfeststellung am Beispiel der Rechtsprechung des BGH zu Vermögensdelikten und Serienstraftaten

Schriften zum Strafrecht Band 319

Schätzungen im Rahmen der Schuldfeststellung am Beispiel der Rechtsprechung des BGH zu Vermögensdelikten und Serienstraftaten

Von

Dennis Federico Otte

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2015 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15308-4 (Print) ISBN 978-3-428-55308-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-85308-3 (Print & E-Book)

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Für Saida Aldamova, ohne deren Geduld und Unterstützung diese Arbeit so nicht entstanden wäre

Inhaltsübersicht A. Einleitung und Gang der Bearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 I. Der Begriff der Schätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 II. Freie Beweiswürdigung, subjektive Überzeugung und materielle ­Wahrheit im Spannungsverhältnis mit richterlichen Schätzungen . . . . . . . 26 C. Die Schätzklauseln im StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schätzung des Einkommens zur Bestimmung der Tagessatzhöhe gemäß § 40 III StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schätzungen des Sachwertes bei der Wertersatzeinziehung nach § 74c III StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schätzung der Höhe sowie des Umfangs des Erlangten im Zusammenhang mit der Verfallsanordnung nach § 73b StGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schätzungen im Adhäsionsverfahren nach §§ 403 ff. StPO i. V. m. § 287 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Schätzung des Schuldumfanges .  . . . . III. Die wesentlichen Grundsätze des BGH für eine ordnungsgemäße Schätzung des Schuldumfanges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis auf Grundlage der Bildung von Fallkategorien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52 52 76 90 119 127 129 129 129 163 174

E. Schlussbetrachtungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Anhang 1: Ergebnis der Maximum-Likelihood-Schätzung . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Stichwortverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung und Gang der Bearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 I. Der Begriff der Schätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1. Allgemeines Verständnis der Schätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2. Aufwandsschätzungen in der Projektplanung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 a) PERT-Schätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 b) Constructive Cost Model (COCOMO)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 3. Schätzung im mathematischen Sinne, am Beispiel der MaximumLikelihood-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 4. Die Delphi-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 5. Zusammenfassung . .  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 a) Das Verhältnis des Schätzergebnisses zur Wirklichkeit  . . . . . . . . . 24 b) Die der Schätzung zugrundeliegende Motivation . . . . . . . . . . . . . . 24 c) Verhältnis zum Begriff der Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. Freie Beweiswürdigung, subjektive Überzeugung und materielle Wahrheit im Spannungsverhältnis mit richterlichen Schätzungen . . . . . . . . . . . 26 1. Normbedeutung und Regelungsgehalt des § 261 StPO  . . . . . . . . . . . . 26 2. Die Freiheit der Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3. Die subjektive Überzeugung des Richters als notwendige, aber nicht allein hinreichende Bedingung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 a) Die einseitig objektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 aa) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 bb) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 b) Die einseitig subjektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 aa) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 bb) Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 c) Die objektivierende Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 aa) Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 bb) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 d) Bewertung und Konsequenzen für die richterliche Rechtspraxis der Schätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 4. Grundsatz „in dubio pro reo“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 5. Konsequenzen für die Revisibilität der richterlichen Überzeugungsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 C. Die Schätzklauseln im StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

6 Inhaltsverzeichnis I. Schätzung des Einkommens zur Bestimmung der Tagessatzhöhe gemäß § 40 III StGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2. Das Tagessatzsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 3. Schätzungen nach § 40 III StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 a) Schätzung immensurabler Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Schätzungen von theoretisch feststellbaren Faktoren, deren exakte Feststellung jedoch praktisch unmöglich ist . .  . . . . . . . . . . 60 c) Prozessökonomisch motivierte Schätzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 4. Schätzverfahren und Darstellung im Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 5. Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 a) Grundsatz der richterlichen Überzeugung und Amtsaufklärungspflicht nach §§ 261, 244 II StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 aa) Immensurable Faktoren und unüberwindbare Beweisschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 bb) Prozessökonomisch motivierte Schätzung . . . . . . . . . . . . . . . . 67 b) Zweifelsgrundsatz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 aa) Zweifelsgrundsatz und Schätzergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (1) Schätzung als rechtlicher oder tatsächlicher Vorgang . . . . 70 (2) Zweifelssatz und Wahrscheinlichkeitsurteil . . . . . . . . . . . . 71 (a) Immensurable Faktoren und unüberwindbare Beweisschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (b) Prozessökonomisch motivierte Schätzungen . . . . . . . . 74 bb) Zweifelsgrundsatz und Schätzgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . 75 II. Schätzungen des Sachwertes bei der Wertersatzeinziehung nach § 74c III StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Regelungsgehalt und allgemeine Voraussetzungen der Einziehung . . . 76 2. Rechtsnatur der Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 a) Einziehung nach § 74 II Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 b) Einziehung nach § 74 II Nr. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 c) Einziehung nach § 74 III StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 d) Einziehung nach § 74a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3. Wertersatzeinziehung   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Allgemeine Voraussetzungen und ratio legis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 c) Schätzungsbefugnis nach § 74c III StGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 d) Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 aa) Grundsatz der richterlichen Überzeugung nach § 261 StPO und Amtsermittlungsgrundsatz nach § 244 II StPO . . . . . . . . . 85 (1) Immensurable Faktoren und unüberwindbare Beweisschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (2) Prozessökonomisch motivierte Schätzungen . . . . . . . . . . . 86 bb) Grundsatz „in dubio pro reo“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

Inhaltsverzeichnis7 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 III. Schätzung der Höhe sowie des Umfangs des Erlangten im Zusammenhang mit der Verfallsanordnung nach § 73b StGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Regelungsgehalt und allgemeine Voraussetzungen des Verfalls  . . . . . 91 2. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Rechtsnatur des Verfalls vor Einführung des Bruttoprinzips . . . . . 96 b) Rechtsnatur des Verfalls nach Einführung des Bruttoprinzips durch Art. 3 AWG / StGBÄndG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 aa) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 bb) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (1) Änderung der Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (2) Beibehaltung der Rechtsnatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (3) Vermittelnde Auffassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (1) Die Bestimmung der Rechtsnatur im Allgemeinen . . . . . . 104 (2) Die Bestimmung der Rechtsnatur des Verfalls . . . . . . . . . 107 c) Konsequenzen aus der partiellen Einordnung des Verfalls als Strafsanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 aa) Anrechnung des Verfalls auf die Hauptstrafe . . . . . . . . . . . . . . 111 bb) Weitergeltung des Nettoprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3. Schätzungsklausel in § 73b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Hintergrund und Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Umfang der Schätzungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 c) Vereinbarkeit der Schätzung mit den Grundsätzen des Strafprozessrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 aa) Grundsätzliches  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 bb) Verfahrensökonomie als Legitimation der Schätzbefugnis aus § 73b StGB?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 IV. Schätzungen im Adhäsionsverfahren nach §§ 403 ff. StPO i. V. m. § 287 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Grundsätze und Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Anwendbare Verfahrensgrundsätze . .  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3. Die Schätzung im Adhäsionsverfahren   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Keine Einschränkung der fundamentalen Verteidigungsgarantien des Angeklagten durch Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche im Adhäsionsverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Die Frage des Schuldspruchs und der Haftungsbegründung  . . . . . 124 c) Die Frage der Schadenshöhe . .  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 d) Stellungnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

8 Inhaltsverzeichnis II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Schätzung des Schuldumfanges .  . . . . 1. Schätzungen zur Feststellung der Schadenshöhe bei Vermögens­ delikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) BGH, 36, 320 („Kassenarztfall“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sachverhalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Vorgehen des Landgerichtes . .  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Urteilsbegründung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) BGHSt 38, 186 („Arbeitsgemeinschaft Rheinausbau I“)  . . . . . . . . aa) Sachverhalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Vorgehen des Landgerichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Urteilsbegründung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) BGH, Beschl. v. 31.8 1994 – 2 StR 256 / 94 („Arbeitsgemeinschaft Rheinausbau II“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) BGH, Urt. v. 11. Juli 2000 – 1 StR 93 / 00 (Missbrauchstat­ bestand) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sachverhalt .  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Vorgehen des Landgerichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Urteilsbegründung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) BGHSt 54, 69 und BVerfG, Beschl. v. 7. Dezember 2011 – 2 BvR 2500 / 09, 2 BvR 1857 / 10 (Al-Qaida-Fall) . . . . . . . . . . . . . . aa) Sachverhalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Vorgehen des OLG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Entscheidungsbegründung des BGH  . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Urteilsbegründung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schätzungen bei Serienstraftaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) BGH, Beschl. v. 16.5.1994 – 3 StR 118 / 94 („sexueller Missbrauch 1“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sachverhalt und Vorgehen des Landgerichtes  . . . . . . . . . . . . . bb) Die Urteilsbegründung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) BGHSt 40, 374 („Beihilfe zur Hehlerei“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sachverhalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Vorgehen des Landgerichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Urteilsbegründung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) BGH, Urt. v. 19.7.1995 – 2 StR 758 / 94 („Weinpanscher-Fall“)  . aa) Sachverhalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Vorgehen des Landgerichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Entscheidungsbegründung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . d) BGH Urt. v. 16.10.1996 – 2 StR 204 / 96 („sexueller Missbrauch 2“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sachverhalt und Vorgehen des Landgerichtes  . . . . . . . . . . . . . bb) Die Urteilsbegründung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) BGH Beschl. v. 12.11.1997 – 3 StR 559 / 97 („sexueller Missbrauch 3“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

129 129 129 130 130 131 134 134 135 136 138 139 139 140 142 143 143 144 144 145 149 149 149 149 150 150 151 152 153 153 154 154 156 156 157 158

Inhaltsverzeichnis9 aa) Sachverhalt und Vorgehen des Landgerichtes  . . . . . . . . . . . . . 158 bb) Die Entscheidungsbegründung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 f) BGH, Urt. v. 12.8.1999 – 5 StR 269 / 99 („Zigarettenschmuggel“)  159 aa) Sachverhalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 bb) Das Vorgehen des Landgerichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 cc) Die Urteilsbegründung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 g) BGH, Urt. v. 28. Mai 2002 – 5 StR 55 / 02 („Sexueller Missbrauch 4“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 aa) Sachverhalt und Vorgehen des Landgerichtes  . . . . . . . . . . . . . 161 bb) Die Urteilsbegründung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 h) BGH, Urt. v. 21.04.2004 – 5 StR(540 / 03) (Sozialversicherungsbetrug) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 aa) Sachverhalt und Vorgehen des Landgerichtes  . . . . . . . . . . . . . 161 bb) Urteilsbegründung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 III. Die wesentlichen Grundsätze des BGH für eine ordnungsgemäße Schätzung des Schuldumfanges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Keine Schätzung von Tatbestandsmerkmalen – Die Unhaltbarkeit des Trennungsparadigmas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Tateinheitliche Vermögensdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 b) Serienstraftaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2. Die Tragfähigkeit der Schätzgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 3. Schätzung als Ultima Ratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis auf Grundlage der Bildung von Fallkategorien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Grundproblem: Vereinbarkeit der Schätzung mit dem Grundsatz der richterlichen Überzeugung nach § 261 StPO .  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 a) Ansicht der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Ansichten im Schrifttum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 aa) Die Schätzung als logische Schlussfolgerung – das Konzept der inneren und äußeren Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 bb) Die Unzulänglichkeit des Indizien-Argumentes . . . . . . . . . . . . 182 cc) Das Verhältnis zum Sachverständigen als förmlichem Beweismittel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2. Kategorie 1 – Schätzung immensurabler Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . 184 a) Immensurabilität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 aa) Submissionsbetrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 bb) Missbrauchstatbestand  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 cc) Gefährdungsschaden im „Al-Qaida-Fall“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 dd) Fazit: Immensurabilität als wesentlicher Faktor der Untrennbarkeit zwischen qualitativer Begründung des Tatbestandsmerkmals und quantitativer Ausfüllung der Schadens- bzw. Schuldhöhe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

10 Inhaltsverzeichnis b) Die Vereinbarkeit der Schätzung mit den Grundsätzen des Strafprozessrechtes unter dem Gesichtspunkt der Immensurabilität bzw. der speziellen Charakteristika der Kategorie 1 . . . . . . . . . . . . 198 aa) Grundsatz der richterlichen Überzeugung nach § 261 StPO  . 198 (1) Die Reduktion der Anforderungen an die richterliche Überzeugung vor dem Hintergrund der Immensurabilität . 198 (2) Anforderungen an die Tragfähigkeit der Schätzung . . . . . 204 bb) Amtsermittlungsgrundsatz § 244 II StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 cc) Zweifelsgrundsatz und Fair-Trial-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 c) Zusammenfassung Kategorie 1 .  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Kategorie 2 – Schätzung von theoretisch messbaren Faktoren, deren Messung jedoch unüberwindbare praktische Probleme entgegenstehen . .  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 a) Die praktische Unmöglichkeit der Feststellung . . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Die Vereinbarkeit der Schätzung mit den Grundsätzen des Strafprozessrechtes unter dem Gesichtspunkt der theoretischen Mensurabilität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 aa) Grundsatz der richterlichen Überzeugung 261 StPO  . . . . . . . 217 (1) Serienstraftaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 (a) Die numerische Quantifizierung des „Gesamtgeschehens“ als Grundlage der Würdigung des Unrechtsgehaltes von Serienstraftaten gegen das Vermögen . . . . 217 (b) Übertragung auf Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (c) Gerechtigkeitserwägungen als ultimative Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 bb) Amtsermittlungsgrundsatz § 244 II StPO  . . . . . . . . . . . . . . . . 226 cc) Zweifelsgrundsatz und „Fair-Trial“-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . 229 (1) Anwendbarkeit des Zweifelsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . 229 (2) Wirkung „contra reum“?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (a) Rechtsgrundlage und dogmatische Einordnung des „Fair-Trial“-Prinzips  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 (b) Recht auf effektive Verteidigung im Rahmen des „Fair-Trial“-Prinzips nach Art. 6 EMRK  . . . . . . . . . . 234 (c) Schätzung von Serienstraftaten aus der Sicht des Rechtes auf effektive Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . 235 (d) Fazit   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 dd) Rechtskraft und Rechtshängigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 c) Lösungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 aa) Lösungen auf prozessualer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 (1) Die gleichartige Verbrechensmenge  . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 (a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 (b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

Inhaltsverzeichnis11 (2) Prozessualer Feststellungszusammenhang im Wege der erweiterten Anwendung des Rechtsinstituts der Wahlfeststellung   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 (a) Grundsätze   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 (b) Kritik . .  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 (3) Lösung über § 154 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 bb) Lösungen auf materieller Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (1) Materieller Zusammenhang zwischen den Einzelakten einer Serienstraftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (2) Die Serienstraftat im Kontext der verschiedenen materiellen Handlungseinheitskonstrukte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 (a) Natürliche Handlungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (b) Tatbestandliche Handlungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (c) Materielle Tateinheit aufgrund institutionalisierten Systems .  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (d) Gesamtschadenssaldo als Bindeglied zwischen den Einzeltaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 cc) Zusammenfassung und eigener Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . 251 4. Kategorie 3 – Schätzung aus prozessökonomischen Gründen  . . . . . . 253 a) Kosten-Nutzen-Abwägung als Motivation der Schätzung in „Kassenarzt“- und „Hehlerei-Beihilfe“-Entscheidung . . . . . . . . . . . 253 b) Die Vereinbarkeit der Schätzung mit den Grundsätzen der StPO . 254 aa) Besonderheiten der Urteile hinsichtlich Tatbestandsbezug der Schätzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 bb) Grundsatz der richterlichen Überzeugung . .  . . . . . . . . . . . . . . 256 (1) Wahrscheinlichkeit, Prozessökonomie und Rationalität . . 256 (2) Prozessökonomie als Grundlage einer „quantité négligeable“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 cc) Amtsermittlungsgrundsatz und Zweifelsgrundsatz . . . . . . . . . . 263 c) Überschneidungen zwischen Verständigung im Strafverfahren und prozessökonomisch motivierter Schätzung . . . . . . . . . . . . . . . . 266 aa) Materielle Wahrheit und Verständigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 bb) Die Verfahrensabsprache als synallagmatischer Vertrag . . . . . 269 cc) Legitimationswirkung der Verfahrensabsprache für die prozessökonomisch motivierte Schätzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 d) Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 E. Schlussbetrachtungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Anhang 1: Ergebnis der Maximum-Likelihood-Schätzung . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Stichwortverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302

A. Einleitung und Gang der Bearbeitung Bei unbefangener Betrachtung des Wortes „Schätzung“ kann es zunächst verwunderlich erscheinen, dass die Frage der Zulässigkeit und der Modalitäten von Schätzungen in Strafurteilen in der rechtswissenschaftlichen Literatur der letzten zehn Jahre eher stiefmütterlich behandelt wurde – wird unter dem Begriff Schätzung nach dem allgemeinen Sprachgebrauch doch der Versuch verstanden, auf Grundlage einer mehr oder weniger sicheren Tatsachengrundlage durch Vermutung und Wahrscheinlichkeitserwägungen zu einem Ergebnis zu gelangen. Dabei grenzt sich der Begriff der Schätzung also z. B. von dem der Feststellung oder Berechnung dadurch ab, dass das hierbei erzielte Ergebnis per definitionem in den allermeisten Fällen nur eine Annäherung an die Wirklichkeit sein kann, eine Übereinstimmung mit dieser also in jedem Fall nur auf dem Zufall beruhen kann. Zwar bestehen mit Sicherheit Unterschiede zwischen dem mathematisch-naturwissenschaftlichen und dem alltäglichen Verständnis, das meist die rasche und grobe Annäherung an die Realität durch Erfahrung, Augenschein oder Intuition erfasst. Begrifflich gilt dennoch, dass unabhängig davon, wie groß der Sachverstand und die Erfahrung des Schätzenden auch sein mag und wie präzise die Tatsachengrundlagen und Hochrechnungsmethoden sind, auf denen die Schätzung beruht, dem Schätzvorgang die Unsicherheit in Bezug auf die Richtigkeit seines Ergebnisses immanent ist. Während der Begriff der Schätzung somit auf der einen Seite stets von dem des „Messens bzw. Berechnens“ abzugrenzen ist, muss man sich auf der anderen Seite über die grundsätzlichen terminologischen Überschneidungen mit dem Begriff des „Mutmaßens“ im Klaren sein.1 Der in § 261 StPO kodifizierte Grundsatz der richterlichen Überzeugung verlangt jedoch vom Richter Gewissheit – wenn auch eine persönliche – bezüglich der entscheidungserheblichen Tatsachen. Danach bedarf es auf Seiten des Richters der Gewissheit von den entscheidungserheblichen Tatsachen in dem Maße, dass vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen. Die Aufgabe des Richters besteht nach der Konzeption des deutschen Strafprozesses – anders als etwa im Rechtskreis des „Common Law“ und im deutschen Zivilprozess – zudem in der eigenständigen Erforschung der materiellen Wahrheit. Mit der Erforschung der materiellen Wahrheit sind zugleich die wesentlichen Zielsetzungen sowie die entscheidenden Grundlagen der Realisierung materieller Gerechtigkeit durch das Strafurteil benannt. Jede Entwicklung in der 1  Ähnlich:

Fischer, StraFo 2012, S. 429, 430.

14

A. Einleitung und Gang der Bearbeitung

Rechtsprechung, die Maßstäbe der Wahrscheinlichkeit in die richterliche Überzeugungsbildung mit einbezieht, muss also entsprechende Grundsatzfragen aufwerfen.2 Auch das Bundesverfassungsgericht weist in seinem die Verfassungswidrigkeit der Vermögensstrafe feststellenden Urteil darauf hin, dass „Vorschriften, die den Richter schätzen lassen, […] auf Fälle zugeschnitten sind, in denen der zu ermittelnde Wert nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden kann. Sie führen mit ungenauer Feststellung oder pauschaler Berechnung eines Umstandes, der für die rechtliche Entscheidung tragend ist, einen Unsicherheitsfaktor ein, der das Ergebnis mitbestimmt. Eine Schätzung führt – auch wenn sie auf eine hinreichende Schätzgrundlage gestützt ist und eine der Wirklichkeit möglichst nahe kommende Feststellung zu erreichen sucht – immer die erhöhte Möglichkeit einer Abweichung von der Realität mit sich.“3

Ist es also mit den Strukturprinzipien des Strafprozessrechtes vereinbar, dass der Richter zur Aufdeckung des einem Urteil zu Grunde liegenden tatsächlichen Sachverhaltes auf Schätzungen zurückgreift bzw. ist er dazu vielleicht sogar nach der Instruktionsmaxime verpflichtet, sofern keine andere Möglichkeit der Beweiserhebung besteht? Ausgehend von der oben beschriebenen Natur der Schätzung kann dies – vorbehaltlich einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung – grundsätzlich nur dann der Fall sein, wenn der mit der Schätzung erreichte Grad an (Un-)Sicherheit als für die Zwecke des Strafprozesses noch ausreichend angesehen werden kann. Krause wirft diesbezüglich richtigerweise die Frage nach dem Bestehen einer „quantité négligeable“ im Strafrecht auf, beantwortet diese jedoch nach dem hier zugrundeliegenden Verständnis insofern in unzureichender Art und Weise, als dass er allein auf die Anforderungen an die richterlichen Feststellungen und Urteilsbegründungen abstellt.4 Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch einer spiegelbildlichen Betrachtungsweise, indem sie zunächst die Natur der den Schätzungen zugrundeliegenden Faktoren bzw. die der Schätzung zugrundeliegenden Motivationen herauszuarbeiten und zu kategorisieren versucht. Darauf aufbauend wird herauszuarbeiten sein, dass es im Hinblick auf ein harmonisches Zusammenspiel der Schätzung mit den Grundsätzen der Strafprozessordnung nicht mit einer Betrachtung der „Richterperspektive“ getan sein kann, sondern die dezisive Relevanz der Natur des zu schätzenden Faktors für die Beantwortung der Frage nach dem Bestehen einer „quantité négligeable“ Beachtung finden muss. Dafür erscheint zunächst eine Auseinandersetzung mit dem Begriff und den verschiedenen Erscheinungsformen der Schätzung sowie den von der auch Salditt, StV 1990, S. 151, 152. Urteil vom 20. März 2002, Az. 2 BvR 794 / 95. 4  Krause, StraFo 2002, S. 249. 2  So

3  BVerfG,



A. Einleitung und Gang der Bearbeitung15

Schätzung ggf. tangierten Grundsätzen des deutschen Strafprozesses im ersten Kapitel notwendig. Das anschließende zweite Kapitel befasst sich mit den gesetzlich ausdrücklich geregelten Schätzklauseln des Sanktionsrechtes, da diese z. T. als Argumentationsgrundlage für die Zulässigkeit einer Schätzung im Rahmen des Schuldumfanges verwendet werden. Dabei soll auch ein Blick auf die Schätzung im Zusammenhang mit dem Adhäsionsverfahren als straf-zivilprozessualer Hybrid gerichtet werden. Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit soll die anschließende Untersuchung sowohl von richterlichen Schätzungen im Rahmen der Schuldfeststellung als auch das entsprechende Verhältnis zu den Lehren und Grundsätzen des Straf- und Strafprozessrechtes sein (Grundsatz der materiellen Wahrheit, Amtsermittlungsgrundsatz, Grundsatz der richterlichen Überzeugung, Recht auf effektive Verteidigung „fair trial“). Als Beispiel dient die Rechtsprechung des BGH zu Vermögensdelikten und Serienstraftaten. Dafür sollen im dritten Kapitel der vorliegenden Arbeit zunächst entsprechende ausgewählte Urteile dargestellt sowie die wichtigsten Merkmale und Kriterien des BGH für eine ordnungsgemäße Schätzung zusammengefasst und diskutiert werden. Anschließend erfolgt der Versuch eine Kategorisierung der Urteile anhand der Natur des zu schätzenden Faktors, sowie die Bewertung dieser Rechtsprechungspraxis und eine Diskussion entsprechender Lösungsvorschläge im Rahmen der gebildeten Kategorien.

B. Grundlagen I. Der Begriff der Schätzung 1. Allgemeines Verständnis der Schätzung Nach dem allgemeinen Verständnis wird unter dem Begriff schätzen das „auf Erfahrung gestützte näherungsweise Bestimmen eines Wertes ohne exaktes Messen“ verstanden.5 Prägendes Element der Schätzung ist, dass ihr Ergebnis im Regelfall vom tatsächlichen Wert abweicht. Das Schätzergebnis ist dementsprechend mit Fehlern behaftet. Es handelt sich in der Regel nur um einen Wahrscheinlichkeitswert. Erhebungen und Messungen werden nach diesem allgemeinen Verständnis des Begriffs durch Augenschein, Intuition oder Erfahrungswerte ersetzt. Umgangssprachlich werden häufig Synonyme wie „π mal Daumen“ oder „über den Daumen peilen“ verwendet. Neben diesem allgemeinen und grundlegenden Verständnis des Begriffs der Schätzung existieren noch eine Vielzahl weiterer Begriffe, Ausprägungen und Methoden der Schätzung in verschiedenen Bereichen. Diese sollen im Folgenden – freilich ohne Anspruch auf Vollständigkeit – kurz dargestellt werden. 2. Aufwandsschätzungen in der Projektplanung a) PERT-Schätzung Die PERT-Schätzungsmethode (Program Evaluation and Research Technique, auch „gewichtete Drei-Zeiten-Methode“ genannt) dient der Schätzung von Zeit und Aufwand im Bereich des Projektmanagements. Die Methode wurde Anfang der 1960er Jahre im Zusammenhang mit dem Polaris-Projekt entwickelt. Bei der UGM-27 Polaris handelt es sich um eine strategische Mittelstreckenrakete, die von den Vereinigten Staaten von Amerika entwickelt worden ist. Eine Besonderheit der Entwicklung bestand darin, dass sowohl Forschungs- als auch Entwicklungs- und Fertigungsaufträge erstmalig direkt an Zulieferfirmen vergeben wurden. Entsprechende Teile waren von 5  Duden.



I. Der Begriff der Schätzung17

diesen nie zuvor hergestellt worden. Auf Erfahrungswerte in Bezug auf den damit verbundenen Zeitbedarf konnte deshalb nicht zurückgegriffen werden. Dementsprechend bedurfte es zur erfolgreichen Durchführung eines derart komplexen Projektes einer Methode zur vereinfachten Planung und Schätzung des jeweils notwendigen Zeitbedarfes. Die Methode wird auch heute noch im Zusammenhang mit groß angelegten, meist einmalig durchgeführten Infrastruktur-, Forschungs- und Entwicklungsprojekten eingesetzt, die sich durch eine hohe Unsicherheit sowie einen geringen Grad an verfügbarem Erfahrungswissen auszeichnen.6 Dabei werden zunächst die zur Vollendung des jeweiligen Projektes notwendigen Arbeitsschritte und deren Reihenfolge bestimmt. Die für die Vollendung eines Arbeitsschrittes benötigte Zeit ergibt sich bei PERT nicht durch die Schätzung eines jeweils entsprechenden (einzelnen) Zahlenwertes. Vielmehr wird von einer Wahrscheinlichkeitsverteilung im Sinne einer BetaVerteilung ausgegangen. Dafür wird im nächsten Schritt die jeweils optimale, also geringstmögliche (O), normale (N) sowie pessimistischste (also höchstmögliche) notwendige Zeit (P) zur Vollendung des jeweiligen Arbeitsschrittes geschätzt. In einem dritten Schritt ergibt sich aus der Beta-Verteilung dann anhand folgender Formel die für den jeweiligen Arbeitsschritt erwartetet Zeit (Te):7 (O + 4 × N + P) ÷ 6 = Te

Die sich daraus für jeden Arbeitsschritt ergebenden Zeiträume können nun in einem Gantt-Diagramm (oder Netzdiagramm) dargestellt werden, so dass die jeweiligen zeitlichen Wechselbeziehungen der benötigten Arbeitsschritte untereinander einen Gesamtfahrplan zur Realisierung des Projektes ergeben. Als Vorteile der PERT-Methode gelten Einfachheit und Sachlichkeit der einzugebenden Daten sowie die Klarheit der erzielten Resultate. Deren Einfachheit stellt dabei jedoch gleichzeitig ihre wesentliche Schwäche dar. PERT basiert letztlich auf mehr oder weniger nachvollziehbaren Annahmen eines Individuums. Dementsprechend führt PERT häufig zu falschen und irreführenden Ergebnissen.8

6  Pagnoni,

Project Engineering, S. 65. Project Engineering, S. 88. 8  Pagnoni, Project Engineering, S. 97. 7  Pagnoni,

18

B. Grundlagen

b) Constructive Cost Model (COCOMO) Bei COCOMO handelt es sich um ein algorithmisches Modell zur Schätzung von Kosten und Aufwand im Bereich der Softwareentwicklung. Durch diese Methode wird ein Zusammenhang zwischen Software-Metrik, also den durch mathematische Funktionen errechneten und in Kennzahlen ausgedrückten Eigenschaften von Software, und den jeweiligen Kosten bzw. dem Aufwand der Software-Produktentwicklung hergestellt. Das Verfahren wurde im Jahre 1981 vom Softwareingenieur Barry W. Boehm entwickelt. Zentrales Element und Basis von COCOMO stellt die Anzahl der auszuliefernden Codezeilen in KDSI (kilo – delivered source instructions) dar. Source Instructions sind vom Programmierer eingegebene Computeranweisungen. Als DSI (delivered source instructions) zählt nur diejenige Software, die dem Kunden nach Abschluss des Projektes tatsächlich übergeben wird – nicht also Support- oder Testsoftware, die beim Programmierer verbleibt.9 In einem nächsten Schritt muss der Komplexitätsgrad des zu realisierenden Projektes bestimmt werden. Hier wird zwischen drei verschiedenen Komplexitätsstufen unterschieden: organic mode (einfach), semidetached mode (durchschnittlich) und embedded mode (komplex). Während es sich in der einfachen Komplexitätsstufe um kleine bis mittelgroße Projekte handelt, für die das jeweilige Programmierteam bereits auf entsprechende Erfahrungen zurückgreifen kann, handelt es sich bei den anderen um mittlere bis große, für die nur teilweise auf Erfahrung zurückgegriffen werden kann (semidetached). Hinzu kommen Neuentwicklungen, etwa im Bereich der ­ ­Sicherheitstechnik, die sich zudem durch ihre unflexiblen Strukturen auszeichnen (embedded). Für jeden Komplexitätsgrad fließt ein entsprechender Koeffizient in die Berechnung mit ein.10 Der Aufwand eines Projektes wird bei COCOMO in Personenmonaten (PM) ausgedrückt. Dieser errechnet sich durch die Multiplikation des Komplexitätskoeffizienten (m) mit der Potenz der jeweils angesetzten Metrikzahl (KDSI): PM = m × KDSI

n

Organic Mode – PM = 2,4 × KDSI

1,05

Semidetached Mode – PM = 3,0 × KDSI Embedded Mode – PM = 3,6 × KDSI 9  Boehm,

Software engineering economics, S. 118. Software engineering economics, S. 121.

10  Boehm,

1,12

1,2



I. Der Begriff der Schätzung19

Zur Errechnung der Gesamtarbeitsdauer aus dem Gesamtaufwand geht COCOMO jedoch nicht davon aus, den Personenmonatswert durch die Anzahl der verfügbaren Programmierer zu teilen. COCOMO berücksichtigt hingegen, dass bestimmte Arbeitspakete aufeinander aufbauen und nur nacheinander abgearbeitet werden können. Die Gesamtarbeitsdauer eines Projektes (TDEV – time to develope) ist erneut vom Komplexitätsgrad abhängig und berechnet sich nach folgender Formel: TDEV = 2,5 × PM

n

Organic Mode – TDEV = 2,5 × PM

0,38

Semidetached Mode – TDEV = 2,5 × PM Embedded Mode – TDEV = 2,5 × PM

0,35

0,32

Im sogenannten erweiterten COCOMO (auch intermediate COCOMO) werden darüber hinaus noch weitere Kostenfaktoren berücksichtigt. Der errechnete Basiswert wird anhand dieser Faktoren entweder erweitert oder verringert. Die einzelnen Faktoren beruhen auf Erfahrungswerten (etwa großer Softwareunternehmen). Als solche kommen z. B. die Größe der zu erstellenden Datenbank und der Speicherbedarf des Systems, die Komplexität des Ein- und Ausgabeverfahrens, Auswirkungen von Fehlern im System (von störend bis lebensbedrohlich o. ä.) in Betracht. Das Zutreffen der einzelnen Kostenfaktoren wird für das entsprechende Projekt auf einer Skala von „hoch“ bis „gering“ bewertet. Jedem Wert auf der Skala ist dabei ein entsprechender numerischer Wert zugeordnet. Die Kostenfaktoren werden dann zu einem Gesamtfaktor multipliziert und dann mit dem Basiswert des Projektaufwandes (PM) multipliziert: Angepasster Wert = Basiswert × (Faktor 1 × Faktor 2 × Faktor 3)11

3. Schätzung im mathematischen Sinne, am Beispiel der Maximum-Likelihood-Methode In der Mathematik versteht man unter dem Begriff Schätzung die genäherte Ermittlung (Approximation) von Zahlenwerten oder Parametern aufgrund vorhandener Werte. Das Schätzergebnis ergibt sich hier also aufgrund mathematischer Formeln. Entsprechende Methoden kommen vor allem in der mathematischen Statistik häufig zur Anwendung. Man bedient sich hier ma11  Boehm,

Software engineering economics, S. 132.

20

B. Grundlagen

thematischer Schätzmethoden, um Schätzfunktionen zu bestimmen, mit Hilfe derer Informationen über Parameter einer Grundgesamtheit ermittelt werden sollen. Zur Bestimmung der Schätzfunktionen bestehen verschiedenste Methoden. Die wohl verbreitetste stellt die Maximum-Likelihood-Methode dar.12 Als Maximum-Likelihood-Schätzung bezeichnet man in der Statistik eine parametrische Schätzung, die nach bestimmten Grundsätzen errechnet worden ist. Statistischen Untersuchungen werden in der Regel mittels Stichproben durchgeführt, da die Untersuchung einer gesamten Population aus finanziellen und praktischen Gründen nicht möglich ist. Bei Maximum-Likelihood handelt sich um ein Schätzverfahren, durch das man anhand einer Stichprobe die Parameter der Verteilung einer bestimmten Grundgesamtheit schätzen kann. Die Anwendung der Maximum-Likelihood-Methode setzt zunächst voraus, dass eine hinreichend große Stichprobe einer bestimmten Grundgesamtheit besteht und dass die Verteilungsform der Merkmale in dieser untersuchten Population bekannt ist. Das Grundprinzip der Maximum-Likelihood-Methode besteht dann darin, denjenigen Parameter zur Schätzung zu benutzen, der die Wahrscheinlichkeit des Auftretens der in der Stichprobe beobachteten Messung maximiert.13 Die Maximum-Likelihood-Methode kommt etwa in folgenden Fallgestaltungen zur Anwendung: 100 Tiere einer bestimmten Spezies werden in einem abgegrenzten Gebiet ausgewildert. Untersucht wird, wie viele Tiere einer Spezies in diesem abgegrenzten Gebiet nach einer bestimmten Zeit noch leben. Eine vollständige Erhebung ist aus praktischen oder ökonomischen Gründen nicht möglich. Um nun eine Aussage über die Populationsgröße zu erhalten, werden in dem betreffenden Gebiet 20 entsprechende Exemplare der Spezies eingefangen, markiert und wieder auf freien Fuß gesetzt. In der Zwischenzeit ist es zu einer Durchmischung der markierten und nicht markierten Tiere in dem betreffenden Gebiet gekommen. Nach einer gewissen Zeit werden erneut 20 Tiere eingefangen. Davon sind 6 markiert. Zur Vereinfachung wird davon ausgegangen, dass beide Stichproben in einem Zeitraum nach Aussetzung stattgefunden haben, in dem es den Tieren nicht möglich war, sich fortzupflanzen.14 Die Wahrscheinlichkeit (P) dafür, dass bei einer Populationsgröße von N (vorliegend N ≤ 100) in einer Stichprobe von 20 Tieren genau 6 von 20 12  Dormann,

Parametrische Statistik, S. 51. Statistik S. 91. 14  Beispiel aus Gründen der Verständlichkeit vereinfacht nach: Cramer / Kamps, Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik, S. 242. 13  Bortz / Schuster,



I. Der Begriff der Schätzung21

markierten Tieren gefunden werden, ergibt sich nach der Formel für die Hypergeometrische Verteilung:

P=

æç20ö÷ çç ÷÷ è6ø

æN - 20ö÷ * çç ÷ èç 14 ø÷ æç N ö÷ çç ÷÷ è20ø

Um nun darauf zu schließen, welche Populationsgröße in Anbetracht der Stichprobenergebnisse am wahrscheinlichsten ist, wird folgendermaßen vorgegangen: Die Wahrscheinlichkeit für das in der zweiten Stichprobe eingetretene Ereignis – sechs von zwanzig eingefangene Tiere sind markiert – wird jeweils unter den Annahmen N = 34, N = 35, …, N = 100 nach obiger Formel berechnet. Für jeden Wert von N ergibt sich eine entsprechende Wahrscheinlichkeit, unter der jeweiligen Annahme, in der zweiten Stichprobe sechs markierte Tiere aufzufinden. Die sich daraus für jeden einzelnen Wert ergebenden Wahrscheinlichkeiten werden verglichen. Derjenige Wert, für den sich die höchste rechnerische Wahrscheinlichkeit ergibt, stellt folglich den nach den Grundsätzen der Maximum-Likelihood-Methode ermittelten Schätzer dar. Im vorliegenden Fall liegt der Wert bei N = 66 (siehe Anhang 1). Die mit 22,86617 % wahrscheinlichste Populationsgröße liegt also bei sechsundsechzig Tieren. Dabei handelt es sich um das mathematisch wahrscheinlichste Ergebnis. Dass sich daraus keine belastbaren Aussagen in Bezug auf die Realität ableiten lassen, ergibt sich, wenn man die verschiedenen Wahrscheinlichkeitswerte vergleicht (siehe Anhang 1). Die Wahrscheinlichkeit einer Populationsgröße von achtundfünfzig bis siebenundsiebzig unterscheidet sich vom rechnerisch wahrscheinlichsten Wert nur aufgrund der Stellen nach dem Komma. Eine präzise Berechnung des jeweiligen Wertes ist auch nach dieser Methode – wie grundsätzlich im Bereich der Wahrscheinlichkeitsrechnung – nicht möglich. Der Präzisionsgrad der Maximum-Likelihood-Schätzung hängt entscheidend von der jeweiligen Populationsgröße und der Stichprobengröße sowie ihrer Durchführung ab. 4. Die Delphi-Methode Bei der Delphi-Methode – auch Delphi-Befragung oder Delphi-Verfahren genannt – handelt es sich um eine Schätzmethode, die eingesetzt wird, um zukünftige Entwicklungen, etwa in Wissenschaft, Wirtschaft und Technik,

22

B. Grundlagen

möglichst genau einzuschätzen. Sie basiert auf einem Befragungsverfahren mit Rückkopplung. Namensgeber des Verfahrens ist das berühmte Orakel von Delphi, von dem man in der griechischen Antike Ratschläge für die Zukunft erwartete. Das Verfahren wurde Anfang der 1950er Jahre von der US-Amerikanischen Rand-Corporation, einer der ersten „Denkfabriken“, vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und des sich abzeichnenden Wettrüstens mit der Sowjetunion entwickelt. Es bestand also ein starkes (amerikanisches) Bedürfnis nach realistischer Einschätzung des Status der sowjetischen Aufrüstungsbemühungen und der Folgen denkbarer militärischer Auseinandersetzungen. Hierzu wurde eine theoretische Grundlage zur Einschätzung bestimmter Sachverhalte, auf Grundlage von Expertenmeinungen, erarbeitet und experimentell überprüft.15 Da im langjährigen Verlauf der Anwendung der Delphi-Methode verschiedene Ausprägungen und Varianten entstanden sind, orientiert sich die nachfolgende Darstellung an einem Standard-Delphi-Prozess. Dieser basiert auf der ersten öffentlichen und nicht-militärischen Delphi-Befragung von Gordon und Helmer aus dem Jahre 1964, deren Zweck es war, Aussagen über langfristig wirksame gesellschaftliche Entwicklungsperspektiven aufzuzeigen.16 Die Delphi-Methode beruht auf der schriftlichen Befragung von ausgewählten Experten mittels Fragebögen. Sie wird in verschiedenen Phasen durchgeführt. In einer Vorbereitungsphase wird der Gegenstand der Befragung festgestellt. Im Falle der Befragung von Gordon und Helmer wurden sechs aussagekräftige Einflussfaktoren für die Vorhersage langfristiger gesellschaftlicher Entwicklungen ausgewählt. Dabei handelte es sich um revolutionäre wissenschaftliche Entdeckungen, Bevölkerungswachstum, Automation, Fortschritt in der Raumfahrt, Wahrscheinlichkeit eines Krieges und künftige Waffensysteme. Grundsätzlich werden bei diesem Verfahren dann für die jeweiligen Bereiche getrennte Expertengruppen (Panel) eingerichtet. Außerdem werden Abläufe und Strukturen der Befragung erarbeitet, die Fragebögen gestaltet und insbesondere die Antwortkriterien festgelegt. Im Falle der Befragung von Gordon und Helmer entschied man sich für eine viermalige Wiederholung der anonymen schriftlichen Befragung. Dadurch sollte gewährleistet werden, dass die jeweils befragte Person unbeeinflusst von zeitlichen und sozialpsychologischen Restriktionen ihre Meinung als Experte kundtun kann. Die so entstehende statistisch aggregierte Gruppenmeinung wird zur Rückkopplung verwendet. Außerdem werden die Befrag15  Seeger,

Die Delphi-Methode, S. 52. Report on a Long Range Forecasting Study; Seeger, Die Delphi-Methode, S. 6. 16  Gordon / Helmer,



I. Der Begriff der Schätzung23

ten aufgefordert, anonyme Kommentare zur Begründung ihrer Meinung und Einschätzung abzugeben. Im Falle der Häufung bestimmter Argumente werden diese ebenfalls in aggregierter Form zur Rückkopplung verwendet.17 In der ersten Phase (Explorationsphase) erhalten die als Experten für einen bestimmten Teilbereich festgelegten Teilnehmer und Teilnehmerinnen entsprechende Fragebögen. Hier werden sie gebeten – etwa im Bereich „revolutionäre wissenschaftliche Entdeckungen“ – Erfindungen zu benennen, die innerhalb der kommenden 50 Jahre von dringender Priorität sein werden. Aus den Antworten wird eine Liste der wichtigsten technischen Herausforderungen erstellt.18 In der zweiten Phase (Initialphase) werden die Teilnehmer und Teilnehmerinnen erneut per Fragebogen gefragt, wie die Wahrscheinlichkeit der Realisierung der sich aus der ersten Erhebungsphase ergebenden prioritären Problemstellungen innerhalb standardisierter Zeiträume eingeschätzt wird. In einer dritten Phase (Angleichungsphase) werden die Teilnehmer und Teilnehmerinnen über den gemeinsamen Konsens bezüglich der zeitlichen Vorhersage der zehn wichtigsten Ereignisse informiert. Daneben werden Teilnehmer und Teilnehmerinnen mit abweichenden Einschätzungen in Bezug auf die Priorität gebeten, anonym entsprechende Begründungen zu nennen. Auch wurden 17 weitere Fragestellungen, über die kein Konsens erzielt werden konnte, neu dargestellt und es wird dabei nach den Gründen für den Dissens in Bezug auf den Eintritt der jeweiligen Ereignisse gefragt. Das Resultat nach erneuter statistischer Auswertung war eine erhebliche Korrektur der zeitlichen Bandbreiten und Angleichung der zeitlichen Voraussagen.19 In der vierten Phase (Endphase) werden die in Phase 3 erzielten Ergebnisse mitsamt Begründungen und Kommentaren erneut den Teilnehmern zugeführt. Auf dieser Grundlage sollte erneut eine Revision und Korrektur der Einschätzungen erreicht werden. Resultat war eine erneute Konvergenz der Einschätzungen. Abschließend konnte eine Liste von 31 Forschungsfragestellungen erstellt werden, über die weitestgehend Konsens bestand.20 Als Vorteil einer solchen Methode gilt, dass gruppendynamische Verzerrungen, wie sie in einer offenen Diskussion entstehen, weitestgehend vermieden werden, ohne auf die Vorteile des Austausches von Ansichten zu verzichten. Auch handelt es sich um eine vergleichsweise billige Vorgehensweise.

17  Seeger,

Die Die 19  Seeger, Die 20  Seeger, Die 18  Seeger,

Delphi-Methode, Delphi-Methode, Delphi-Methode, Delphi-Methode,

S. 7. S. 8. S. 8. S. 9.

24

B. Grundlagen

Andererseits wird an der Delphi-Methode besonders bemängelt, dass ihr Ergebnis abhängig von der Auswahl der zu befragenden Experten sei. Gleiches gilt für ihre Grundannahme, dass Experten über ein besonderes Wissen verfügen, das über das normale Maß hinausgehe und in Kombination zur Vorhersage der Zukunft genutzt werden könne. 5. Zusammenfassung a) Das Verhältnis des Schätzergebnisses zur Wirklichkeit Die hiesige Betrachtung erhebt, wie oben bereits erwähnt, keinesfalls den Anspruch einer allumfassenden Darstellung der verschiedenen Schätzmethoden bzw. Ausprägungen des Begriffs der Schätzung. Vielmehr sollten holzschnittartig einige bedeutsame Methoden dargestellt werden, um entsprechende Schlüsse in Bezug auf den Begriff der Schätzung insgesamt ziehen zu können. Dieser Befund ergibt – wenn auch wenig überraschend – zunächst eindeutig Folgendes: Alle hier dargestellten Schätzmethoden gleichen sich insofern, als dass sie nicht geeignet sind, präzise Daten in Bezug auf einen in der Wirklichkeit tatsächlich bestehenden Zustand zu liefern. Der Grad der Belastbarkeit der durch die Anwendung entsprechender Schätzmethoden gelieferten Ergebnisse ist stets von den jeweils zu Grunde liegenden Annahmen abhängig. Darüber hinaus trägt auch die Standardisierung der Schätzvorgänge durch Übertragung in mathematische Formelsprache zwar zur Nachvollziehbarkeit und vereinfachten Handhabung der Schätzung, nicht jedoch zur Steigerung ihrer Genauigkeit bei – insofern ist der Begriff der Hochrechnung mit dem der Schätzung als wesensgleich anzusehen. Denn die Grundlage aller Schätzmethoden besteht in einem „menschlichen Element“, das entweder auf der Durchführung einer Stichprobe (Maximum-Likelihood-Methode) oder auf dem Ansetzen entsprechender Erfahrungswerte (PERT, COCOMO und Delphi-Methode) beruht. Letzteres stellt streng genommen schon selbst eine Schätzung dar, auch wenn dies – wie etwa im Rahmen der Delphi-Methode – in einem standardisierten Verfahren erfolgt, bei dem durch Aggregation entsprechender Schätzungen ein Ergebnis erzielt wird, von dem man hofft, es liege näher an der Realität als die bloße Schätzung eines Einzelnen. b) Die der Schätzung zugrundeliegende Motivation Aufschlussreich kann die vorliegende Betrachtung jedoch in Bezug auf die der Schätzung zu Grunde liegenden Szenarien und Motivationen sein. Die diversen Schätzmethoden sind danach für Fälle entwickelt, in denen eine genaue Berechnung des in Frage stehenden Gegenstandes schon theoretisch



I. Der Begriff der Schätzung25

nicht bzw. im Moment der Betrachtung nicht möglich ist (wie etwa bei der Delphi-Methode), da es sich um zukünftige Ereignisse handelt. Gleiches gilt für Fälle, in denen die Erreichung von Sicherheit in Bezug auf den fraglichen Untersuchungsgegenstand zwar theoretisch grundsätzlich möglich ist, jedoch praktische Gründe eine Erhebung verhindern. Letztlich kommt die Schätzung auch dort zur Anwendung, wo die sichere Klärung der jeweils bestehenden Fragestellung sowohl theoretisch, als auch praktisch möglich ist, jedoch einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten würde. Die Anwendung entsprechender Schätzmethoden dient dabei der Vereinfachung und Orien­tierung. Während sie in den Fällen unmöglicher Feststellung die einzige Methode zur Erlangung von Daten ist, der ihr immanente Schätzfehler also irrelevant ist, rechtfertigt sie sich in den Fällen der Schätzung aus Aufwandsgründen dadurch, dass sie einen für den jeweiligen Moment der Betrachtung ausreichenden und deshalb hilfreichen Grad an (Un-)Präzision erreicht. Diese Dreiteilung in Bezug auf die der Schätzung zugrundeliegende Motivation soll im weiteren Verlauf als Ausgangspunkt und Struktur der Analyse von Schätzungen im Strafverfahren dienen. c) Verhältnis zum Begriff der Prognose Abschließend bedarf es noch einer Abgrenzung zum Begriff der Prognose. Dieser ist im Allgemeinen definiert als: „Voraussage einer künftigen Entwicklung bzw. künftiger Zustände (…)“, während unter dem Begriff „Prognostizieren“ „(…) den voraussichtlichen Verlauf künftiger Entwicklungen vorhersagen“ verstanden wird.21 So verstanden ist den Begriffen der Prognose und der Schätzung die Unsicherheit ihres Ergebnisses gemein. Denn alle Verfahren, mit denen sich ein zukünftiger Zustand präzise voraussagen lassen (sollen), sind dem Begriff der Berechnung unterworfen. Während die Prognose sich also ausschließlich auf die Zukunft bezieht, ist die Schätzung zeitlich nicht eingeschränkt. Sie kann sich sowohl auf Vergangenheit und Gegenwart, als auch auf die Zukunft beziehen. Der Begriff der Prognose, der zwar im StGB nicht ausdrücklich verwendet wird, jedoch etwa bei der Entscheidung der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 StGB in Form der Legalprognose eine Rolle spielt, kann demnach als ein Unterfall der Schätzung verstanden werden.

21  Duden.

26

B. Grundlagen

II. Freie Beweiswürdigung, subjektive Überzeugung und materielle Wahrheit im Spannungsverhältnis mit richterlichen Schätzungen 1. Normbedeutung und Regelungsgehalt des § 261 StPO Bei § 261 StPO handelt es sich um eine das gesamte Strafverfahren bestimmende Grundsatznorm.22 Der wesentliche Aussagegehalt der Norm betrifft zunächst den Prozess der tatrichterlichen Beweiswürdigung und Entscheidungsfindung. In Bezug auf ersteres statuiert § 261 StPO, dass der Richter nicht an gesetzliche Beweisregeln gebunden ist und trifft des Weiteren eine Aussage über den grundsätzlich erforderlichen Grad subjektiver Überzeugung des Richters als Basis der Urteilsbildung. Weiter erfolgt eine Konkretisierung der Grundlage der richterlichen Entscheidungsfindung insofern, als dass diesbezüglich allein der Inbegriff der Hauptverhandlung in Betracht kommt. Insgesamt stehen die Grundsätze des Inbegriffs der Verhandlung, der freien Beweiswürdigung sowie der richterlichen Überzeugung in einem engen, sich gegenseitig bedingenden Zusammenhang.23 Durch diese Anbindung der Entscheidungsfindung an den Inbegriff der Hauptverhandlung werden zugleich die Beweisprinzipien des Strengbeweises abgesichert, wodurch die Qualität des Erkenntnisprozesses garantiert werden soll. Zudem lassen sich der Norm auch andere Strukturprinzipien, etwa das Prinzip der Trennung von Beweiserhebung und Beweiswürdigung, sowie das Beweis­ antizipationsverbot entnehmen.24 2. Die Freiheit der Beweiswürdigung Die Freiheit der Beweiswürdigung besteht darin, dass der Richter bei der Bewertung von in der Hauptverhandlung erhobenen Beweisen nicht an gesetzliche Beweisregeln, etwa in Bezug auf die Beweiskraft oder die zwingende Überzeugungsbildung, gebunden ist. Diese Ungebundenheit des Richters besteht hinsichtlich jeder denkbaren Beweissituation und ist grundsätzlich sowohl von Quantität, als auch Qualität des Beweismaterials unabhängig.25 Die Entwicklung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung von 22  Sander, in: Löwe / Rosenberg § 261, Rn. 1; Velten, in: § SK-StPO, § 261, Rn. 1; Schmitz, Die strafrichterliche Beweiswürdigung außerstrafrechtlicher Vorfragen, S. 76. 23  Schmitz, Die strafrichterliche Beweiswürdigung außerstrafrechtlicher Vorfragen, S. 76. 24  Velten, in: SK-StPO, § 261, Rn. 1. 25  Schmidt, Grundsätze der freien Beweiswürdigung im Strafprozess, S.  66; Schmitz, Die strafrechtliche Beweiswürdigung außerstrafrechtlicher Vorfragen, S. 77; Roxin / Schünemann, Strafverfahrensrecht S. 80; Schäfer, StV 1995, S. 147, 148.



II. Freie Beweiswürdigung, subjektive Überzeugung und materielle Wahrheit 27

einer positiven Beweistheorie, also einem System den Richter bindender Beweisregeln, wie sie etwa die Constitutio Criminalis Carolina aus dem Jahre 1532 – als erstem strafprozessualen Dokument hohen legislativen Niveaus26 – vorsah, vollzog sich im Wesentlichen in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Durchsetzen der stark durch v. Savigny geprägten Einsicht, dass eine formale Indizienlehre als generalisierende Durchschnittserfahrung nicht geeignet zur Erforschung und Aufdeckung der materiellen Wahrheit ist, da sich allgemeingültige Regeln, die mit Sicherheit in jedem Einzelfall Geltung beanspruchen können, nicht aufstellen lassen und der Wert eines Beweismittels einer abstrakten Beurteilung nicht zugänglich ist.27 Einzige beachtliche Rechtsregel bei der Bildung der subjektiven Überzeugung ist – von den Anforderungen an den rationalen „Unterbau“ des Urteils abgesehen – der Grundsatz „in dubio pro reo“. Mit dem Prinzip der materiellen Wahrheit ist der wesentliche Anspruch des Strafprozesses benannt.28 Ziel dessen ist folglich die Ermittlung der materiellen Wahrheit. Begrifflich sind hier jedoch zunächst Wahrheit und Wirklichkeit zu unterscheiden. Der Begriff der Wirklichkeit beschreibt zunächst die tatsächlichen Zustände und Vorgänge der Außenwelt. Wahrheit ist hingegen stets auf Gedanken oder Aussagen eines Subjektes bezogen, deren Bezugspunkt wiederum die Zustände und Vorgänge der Außenwelt sind. Eine Aussage ist folglich wahr, wenn sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt („aedequatio rei et intellectus“). Damit ist die onthologisch-methaphysischeKorrespondenztheorie benannt, die dem in § 244 II StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz der materiellen Wahrheit in Strafprozess zugrunde liegt.29 26  Ausgehend von dem in den italienischen Staaten geläufigen Inquisitionsprozess gab die CCC dem Richter erstmals detailliert vor, auf welchem Wege er die Wahrheit zu ermitteln habe und insbesondere unter welchen Voraussetzungen er dabei Folter anwenden durfte. Dabei sah die CCC ein zweistufiges Beweisverfahren vor, wobei das Vorliegen bestimmter Indizien auf erster Stufe zur Anwendung von Folter und auf zweiter Stufe zur Verurteilung des Angeklagten führte. Dem Richter wurde durch die CCC auf beiden Stufen eine sehr detaillierte Indizienlehre vorgegeben. In Ermangelung von Indizien auf beiden Ebenen kam es zum Freispruch. 27  Zur historischen Entwicklung der richterlichen Beweiswürdigung und richter­ lichen Überzeugung vom germanischen bis ins heutige Recht siehe Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozess, S. 5 ff.; Schmitz, Die Strafrechtliche Beweiswürdigung außerstrafrechtlicher Vorfragen, S. 19 ff.; ferner: Jerouschek, GA 1992, 493; Fezer, NStZ 1987, S. 194; Meurer, FS-Kirchner, S. 249. 28  Schmidt, Grundsätze der freien Beweiswürdigung im Strafprozess, S. 125. 29  Neumann, Wahrheit im Recht, S. 14 ff.; Volk, Wahrheit und materielles Recht, S. 7; Käßler, Wahrheitsforschung im Strafprozess, S. 9; Stamp, Die Wahrheit im Strafverfahren S. 37; Greger, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 28; Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozessrecht, S. 125; Trüg /  Kerner, in: FS-Böttcher, S. 191, 192.

28

B. Grundlagen

Diesbezüglich negiert etwa Kant die Feststellbarkeit der Wahrheit schon grundsätzlich. Die Wirklichkeit sei nur mittels subjektiver Erkenntnis wahrnehmbar, weshalb die tatsächliche Wirklichkeit niemals festgestellt werden könne. Aufgrund der Abhängigkeit von der subjektiven Erkenntnis bestätige sich nur ebendiese. Wahrheit sei folglich stets nur etwas gedanklich Vorstellbares, da die Wirklichkeit in ihrem Bedeutungsgehalt durch den Menschen selbst bestimmt sei. Die Gewissheit der Übereinstimmung zwischen Bewusstsein eines Subjektes und der Wirklichkeit sei demnach unmöglich.30 Eine Diskussion dieses Konzeptes würde jedoch den Rahmen der vorliegenden juristischen Arbeit deutlich sprengen. Demnach muss die Prämisse der Feststellbarkeit einer objektiven Wirklichkeit dieser Arbeit im weiteren Verlauf zugrunde gelegt werden. Geht man also davon aus, das der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung der über Jahrhunderte gereiften Einsicht davon folgt, dass sich das Prinzip der materiellen Wahrheit nur – oder zumindest relativ am besten – sichern lässt, wenn dem Gericht ebendiese Freiheit eingeräumt ist,31 so offenbart sich der enge Sachzusammenhang zwischen § 261 und § 244 II StPO.32 3. Die subjektive Überzeugung des Richters als notwendige, aber nicht allein hinreichende Bedingung Nach heute fast unbestrittener Auffassung fußt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung in § 261 StPO nicht nur auf der Freiheit von formellen Beweiswürdigungsregeln, sondern auch auf dem Grundsatz der subjektiven Überzeugung des Richters. Die Entscheidungsgrundlage besteht aus der – auf der schlüssigen nachvollziehbaren und logischen Argumentation sowie der vollständigen Würdigung aller Beweismittel basierenden – vollen persönlichen Überzeugung des Richters.33

30  Kant, Logik S. 50; siehe auch: Lampe, FS-Pfeiffer, S. 353; zur Frage des Konzeptes einer objektiven Wahrheit und der grundsätzlichen Unzulänglichkeiten des menschlichen Erkenntnisvermögens sowie der diesbezüglichen Kontroverse zwischen Dogmatikern und Skeptikern. 31  Hanack, JuS 1977, S. 727. 32  Hanack, JuS 1977, S. 727; Schmitz, Die strafrichterliche Beweiswürdigung außerstrafrechtlicher Vorfragen, S. 76. 33  Hanack, JuS 1977, S. 727; Schmitz, Die strafrichterliche Beweiswürdigung außerstrafrechtlicher Vorfragen, S. 76; Velten, in: SK-StPO, § 261 Rn. 6; Eschelbach, in: Graf-StPO, § 261, Rn. 42.



II. Freie Beweiswürdigung, subjektive Überzeugung und materielle Wahrheit 29

Die richterliche Überzeugung wird gemeinhin als innere Stellungnahme des Richters zum Gegenstand der Untersuchung,34 persönliches „Für-WahrHalten“,35 individuelle Nichtbezweiflung36 oder innerliche Bejahung,37 kurzum: persönliche Gewissheit verstanden. Es handelt sich um einen höchstpersönlichen Akt des Richters, der nicht nur vom Intellekt bestimmt ist, sondern bei dem auch eine auf Gefühl und Erfahrung basierende Wertung im Sinne eines schöpferischen Aktes vorgenommen wird,38 weshalb zwei Personen, ohne methodische Fehler zu begehen, sogar dann zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen können, wenn ihnen dasselbe Beweismaterial präsentiert wird.39 Sie muss in Bezug auf die Begehung einer rechtswidrigen Tat, die Täterschaft sowie die Schuld des Angeklagten bestehen. Eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare Gewissheit ist hingegen nicht erforderlich.40 Solange der Richter jedoch – konkrete und vernünftige – Zweifel an der Täterschaft oder Schuld des Angeklagten hegt, fehlt es an einer für die Verurteilung ausreichenden subjektiven Überzeugung. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ kommt zur Anwendung.41 In diesem Sinne sind jedoch nur auf konkreten Umständen beruhende vernünftige Zweifel relevant und nicht bereits theoretische bzw. solche, die sich bereits im Hinblick auf die Unzulänglichkeiten des mensch­ lichen Erkenntnisvermögens ergeben können.42 34  BGH Urt. v. 9.11.2010  – 5 StR 297 / 10; Sander, in: Löwe / Rosenberg § 261, Rn. 7. 35  Fezer, StV 1995, 95, 99. 36  Fincke, GA 1973, 266, 272. 37  Herdegen, in: FS-Kleinknecht, S. 173, 177. 38  Fezer, StV 1995, S. 95, 99; Rieß GA 1978, S. 138, 139; Lampe, FS-Pfeiffer, S. 353; Herdegen, FS-Kleinknecht, S. 173, 174. 39  Velten, in: SK-StPO § 261, Rn. 2; Hanack, JuS 1997, S. 727; Fezer, StV 1995, S. 95, 100 weist auf die missverständliche Benutzung des Wortes „frei“ im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung hin und stellt richtigerweise heraus, dass die Möglichkeit der hier erwähnten Diskrepanz der Ergebnisse nicht Ausfluss einer gesetzlichen Würdigungsfreiheit, sondern allein der Personengebundenheit des Gewissheitserlebnisses ist. Vgl. zur Richterpsychologie im Zusammenhang mit der Überzeugungsfindung: Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozess, S. 427 ff. 40  BGH NJW 1951, 83; 1967, 359; BGHSt 36, 320, 324; Eschelbach, in: GrafStPO, § 261, Rn. 42; Hanack, JuS 1977, S. 728; BGH NJW 1951, 83; 1967, 359; BGHSt 36, 320, 324. 41  RGSt 66, 163; BGH NStZ 1988 237; BGH VRS 39, 103; 62, 120; Fezer StV 1995, 100; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Teil 1. Kap. 1, Rn. 90; Sander, in: Löwe / Rosenberg, § 261, Rn. 7; Eschelbach, in: Graf-StPO, § 261, Rn. 42. 42  RGSt 66, 163; BGH NJW 1951, 83; MDR 1951, 122; BGH VRS 39, 103; BGH NStZ 88, 237; NStZ 98, 475 f.; NStZ-RR 2007, 86, 87; NStZ 2007, 115, 11; Kusch, NStZ 1997, S. 376, 377; Miebach, NStZ 1990, S. 24, 28; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Teil 1. Kap. 1, Rn. 90; Sander, in: Löwe / Rosenberg § 261, Rn. 8; Eschelbach, in: Graf-StPO, § 261, Rn. 42.

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B. Grundlagen

Das Erfordernis einer persönlichen Überzeugung des Richters als Grundlage der Verurteilung und die Anforderungen an eine gesicherte Tatsachengrundlage – obgleich aus heutiger Sicht eine nahezu gesicherte Erkenntnis – ist jedoch in Rechtsprechung und Literatur nicht immer unumstritten gewesen. Die diesbezügliche Entwicklung der Rechtsprechung sowie die in der Literatur vertretenen verschiedenen Auffassungen sollen im Folgenden besonders im Hinblick auf den hiesigen Untersuchungsgegenstand kurz dargestellt und diskutiert werden. Denn insbesondere nach dem oben zum Begriff der Schätzung Gesagten, kommt der Frage, welche Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung richtigerweise zu stellen sind, entscheidende Bedeutung für die Einordnung einer richterlichen Schätzung als den Grundsätzen des Strafprozessrechtes entsprechend (oder eben nicht) zu. Zur Veranschaulichung der zahlreichen, sich teilweise überschneidenden Ansichten wird auf eine Kategorisierung in Anlehnung an Schmidt zurückgegriffen.43 Die nachfolgende Darstellung ist dabei an einer Chronologie der Rechtsprechung von Reichsgericht und BGH orientiert. a) Die einseitig objektive Theorie aa) Rechtsprechung Aufbauend auf den allgemeinen Unzulänglichkeiten des menschlichen Erkenntnisvermögens entschied der 1. Strafsenat des Reichsgerichts44 in einer viel kritisierten Entscheidung unter beinahe wörtlichem Rückgriff auf ein entsprechendes zivilgerichtliches Urteil,45 dass sich der Richter bei der ­Überzeugungsbildung mit einem so hohen Grad von Wahrscheinlichkeit der schuldhaften Begehung des Täters zufrieden geben könne, wie er bei möglichst erschöpfender und gewissenhafter Anwendung der vorhandenen Mittel entstehe. Denn ein absolutes, das Gegenteil ausschließendes Wissen sei dem menschlichen Wesen grundsätzlich fremd. Verlange man im Zusammenhang mit der Überzeugungsbildung einen derart hohen Grad an Sicherheit, so würde die Rechtsprechung unmöglich. Daher müsse das Bewusstsein des Richters von der hohen Wahrscheinlichkeit des entsprechenden historischen Vorgangs als Überzeugung von der Wahrheit genügen.46 43  Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozess, S.  94 ff. 44  RGSt 61, 202 ff. 45  RGZ 15, 338 f. 46  Anders hingegen: Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozess, S. 80 ff.; sieht die Ausführungen des RG durch eine kurz da­rauf ergangenen Entscheidung des 3. Strafsenats (RGSt 66, 163 ff.) relativiert. In dieser



II. Freie Beweiswürdigung, subjektive Überzeugung und materielle Wahrheit 31

bb) Literatur Zu den Vertretern einer einseitig objektiven Herangehensweise lässt sich insbesondere Geyer zählen.47 Abermals ist Ausgangspunkt der Überlegung die allgemeine Unzulänglichkeit der menschlichen Erkenntnis. Da ein im Hauptverfahren geführter Beweis demnach niemals zu einer absoluten Gewissheit, sondern bestenfalls zu einer Erkenntnis führen könne, welche die Möglichkeit des Gegenteils nicht ausschließe, sondern als denkbar zulasse, könne auch der Richter höchstens zu einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung mit dem jeweiligen historischen Vorgang gelangen. Dieses von Geyer als „juristische Gewissheit“ bezeichnete Konzept beschränke sich notgedrungen auf das Wissen von der hohen Wahrscheinlichkeit und das gleichzeitige Bewusstsein, dass es unvernünftig wäre, der entgegengesetzten – weniger wahrscheinlichen – Annahme zu folgen. Eine subjektive Überzeugung im Sinne einer inneren Stellungnahme des Richters wird von Geyer nicht verlangt. Auch Heescher verzichtet bei seinem Versuch einer gänzlichen Neubestimmung der richterlichen Überzeugungsbildung auf das Erfordernis einer subjektiven Überzeugung des Richters.48 Die Entscheidung des Richters habe sich am Horizont eines verständigen, lebenserfahrenen Richters zu orientieren. Nicht die eigene innere Gewissheit sei ausschlaggebend, sondern vielmehr die Frage, ob entsprechende Tatsachen nach diesem „verobjektivierten“ Richterhorizont als bewiesen anzusehen seien. Ein solches Vorgehen verlange gerade nicht die persönliche Überzeugung, sondern den weitestgehenden Verzicht auf eigene Einstellungen und Stellungnahmen. Bei der Frage, wie jeder andere verständige Richter den Sachverhalt entschieden hätte, genüge eine bloße Wahrscheinlichkeitsfeststellung im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit. hatte der 3. Strafsenat zur vorhergehenden Entscheidung dahingehend erläuternd Stellung bezogen, dass der Tatrichter von der Schuld des Täters voll überzeugt sein müsse. In der entsprechenden Entscheidung hatte die Vorinstanz den Täter lediglich aufgrund von abstrakten Zweifeln freigesprochen. Bei Zugrundelegung des zutreffenden Überzeugungsbegriffs hatte auch die Vorinstanz bereits eine hinreichende Überzeugung von der Schuld des Täters gewonnen. Davon ging der 1. Strafsenat trotz missverständlicher Äußerungen aus. Der Kontroverse um RGSt 61, 202 liege laut Schmidt lediglich ein missverständliche Formulierung des 1. Strafsenates zugrunde. Im Gegensatz dazu wohl richtigerweise die überwiegende Literatur: Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 100; Herdegen, NStZ 1987, S. 193, 196; Fincke, GA 1973, 279; wonach gerade die von Schmidt herangezogenen Urteile als Beispiele für die Uneinheitlichkeit und Unvereinbarkeit der Reichsgerichtsrechtsprechung zur richterlichen Überzeugungsbildung stehen. 47  Geyer, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafproceßrechtes, S. 692. 48  Heescher, Untersuchungen zum Merkmal der freien Überzeugung, S. 65.

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B. Grundlagen

b) Die einseitig subjektive Theorie aa) Rechtsprechung Insbesondere die frühe Rechtsprechung des BGH zeigt insofern teilweise Subjektivierungstendenzen, als dass die persönliche Gewissheit des Richters hier zum alleinigen Kriterium einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung erhoben wird. In der entsprechenden Leitentscheidung des BGH heißt es diesbezüglich, die persönliche Gewissheit des Tatrichters sei für die Verurteilung „notwendig, aber auch genügend“.49 Es heißt weiter: „Ebenso wenig wie der Tatrichter gehindert werden kann, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen, ebenso wenig kann ihm vorgeschrieben werden, unter welchen Voraussetzungen er zu einer bestimmten Schlussfolgerung und einer bestimmten Überzeugung kommen muss (…). Schließlich kann eine Überzeugung auch bei höchstmöglicher Wahrscheinlichkeit ihrer Richtigkeit nicht gefordert werden. Wollte daher das Revisionsgericht eine auf wirkliche letzte Zweifel gestützte Freisprechung beanstanden, weil es auf Grund der festgestellten Beweisanzeichen zu dem Ergebnis kommt, dass eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für die Schuld des Angeklagten vorliege, so würde es die Grenzen seiner Aufgabe überschreiten. Andererseits kann die persönliche Überzeugung auch dann nicht verlangt werden, wenn ein bestimmter historischer Sachverhalt als hochgradig wahrscheinlich angesehen werden muss.“

Für die Überzeugung genüge ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit.50 Allerdings gebe es wissenschaftliche Erkenntnisse, denen eine unbedingte, den Gegenbeweis ausschließende Beweiskraft zukomme. Der Richter sei insofern den Gesetzen des Denkens und der Erfahrung unterstellt. Wo also eine Tatsache aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse feststeht, ist für richterliche Überzeugungsbildung kein Raum mehr. Das Gewicht der tatsächlichen Grundlage tritt demnach hinter die Überzeugung zurück. Die Überzeugung ist unabhängig von verbindlichen normativen Kriterien und argumentativen Standards. Eine Einschränkung erfahren diese rein subjektiven Kriterien nur insofern, als dass im Einzelfall gegen allgemein anerkannte Erfahrungssätze bzw. Denkgesetze oder wissenschaft­ liche Erkenntnisse verstoßen würde.51 49  BGHSt

10, 208; ähnlich auch schon in BGH GA 1954, 152. auch: BGH NStZ 1983, 277, 278; 1984, 180; 1986, 549. 51  Velten, in: § SK-StPO, § 261, Rn. 6; Fezer, StV 1995, S. 95, 99; Herdegen, NStZ 1987, 164; ders., StV 1992, 530 f.; Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozessrecht, S. 92. Anders hingegen: Schäfer, StV 1995, S. 147; 148 der insbesondere darauf hinweist, dass die für eine einseitige „Subjektivierung“ der tatrichterlichen Überzeugung angeführte Formulierung des BGH in BGHSt 10, 208, wonach die persönliche Gewissheit für die Verurteilung notwendig und ausreichend im Rahmen eines teilweise freisprechenden Urteils sei. In der ent50  So



II. Freie Beweiswürdigung, subjektive Überzeugung und materielle Wahrheit 33

bb) Literatur Auch verschiedene Exponenten der älteren Literatur betonen einseitig die persönliche Gewissheit des Tatrichters als konstitutives Kriterium. So insbesondere Scanzoni, der zunächst auf der Unzulänglichkeit des menschlichen Erkenntnisprozesses aufbaut.52 Während absolutes Wissen der menschlichen Natur nicht entspreche, könne der Richter hingegen über absolute Überzeugung verfügen. Ebendies entspreche der Anforderung des Gesetzgebers, ausgehend vom Wortlaut des § 261 StPO. Danach schöpfe der Richter sein Urteil aus der Überzeugung – nicht hingegen aus dem Wissen. Eine Verurteilung könne demnach auch in Fällen erfolgen, in denen der Tatrichter nicht absolut sicher wisse, ob der Angeklagte schuldig sei, nicht hingegen in Fällen, in denen sich auch noch so leise Zweifel ergeben – es also an seiner diesbezüglichen Überzeugung fehle.53 Demnach ist nach Scanzoni nicht das Bewusstsein von der bestehenden hohen Wahrscheinlichkeit der Schuld des Täters ausschlaggebend, sondern ein von der Vorstellungswert vermittelter Glaube vom Vorliegen bestimmter Tatsachen.54 Die subjektive Überzeugung des Tatrichters stellt sich nach den hier dargestellten Ansichten als notwendige und gleichzeitig hinreichende Bedingung der Verurteilung dar. c) Die objektivierende Theorie aa) Rechtsprechung Auch die jüngere Rechtsprechung des BGH erachtete zunächst die volle persönliche Überzeugung des Richters als Ausgangspunkt und unverzichtbare Grundlage einer jeden Verurteilung. Der leiseste Zweifel an der Schuld des Angeklagten mache eine Verurteilung unmöglich. Die grundsätzliche Unzulänglichkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens stehe einer persönlichen Überzeugung also nicht entgegen. Vielmehr seien, da die gedankliche sprechenden Entscheidung hatte das LG sich von einem Tötungsvorsatz des Angeklagten nicht überzeugen können und stattdessen wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Die Wendung, wonach es allein auf die Überzeugung des Tatrichters ankomme, müsse so verstanden werden, dass ohne diese die Verurteilung nicht möglich sei. Gleiches gelte für: BGH NStZ 1983, 277, 278; 1984, 180; 1986, 86; auch Albrecht, NStZ 1983, S. 486, 492 und Maul, FS-Pfeiffer, S. 409, 416 weisen in ihren jeweiligen Untersuchungen darauf hin, dass trotz der auf eine einseitig subjektivierenden Standpunkt hindeutenden Formulierung des BGH jedoch faktisch eine enge Kontrolldichte der dem Urteil zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen besteht. 52  Scanzoni, JW 1928, S. 2181, 2182 f. 53  Scanzoni, NJW 1951, S. 222. 54  Vgl. Baum, Das Wesen der freien Beweiswürdigung, S. 28; Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozeß, S. 95.

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oder abstrakte Möglichkeit eines Irrtums stets bestehe, nur solche Zweifel beachtlich, die als vernünftig gelten und ihren Anknüpfungspunkt im jeweiligen konkreten Sachverhalt hätten, nicht hingegen bloß theoretische bzw. abstrakte Zweifel.55 Im Laufe der Zeit modifizierte der BGH seine Rechtsprechung zur richterlichen Überzeugung (zunächst ausgehend von BGHSt 10, 208, wobei allem Anschein nach noch rein subjektive Kriterien fruchtbar gemacht wurden) immer stärker dahingehend, dass die vom Tatrichter gezogenen Schlussfolgerungen zwar möglich sein müssten, sich jedoch nicht so weit von den im Urteil zugrunde gelegten Tatsachengrundlagen entfernen dürften, dass sie nur noch als lediglich Vermutungen oder Verdachtsmomente erscheinen. Um die entsprechende revisionsgerichtliche Überprüfung zu ermöglichen, müssten die Urteilsgründe auf einer objektiv tragfähigen Tatsachengrundlage und einer verstandesmäßig einsichtigen, logisch-rationalen und daher intersubjektiv nachvollziehbaren Beweiswürdigung beruhen.56 In jüngsten Entscheidungen des BGH erfolgte nochmals eine Verschärfung der Anforderungen insofern, als dass neben der subjektiven Überzeugung auf der einen und dem Bestehen einer hinreichenden Tatsachengrundlage auf der anderen Seite explizit die objektiv hohe Wahrscheinlichkeit des festgestellten Sachverhaltes als Grundlage der Überzeugungsbildung selber gefordert wird. Eine solche hohe Wahrscheinlichkeit des festgestellten Sachverhaltes bestehe nur dann, wenn rational vermittelbare und vernunftmäßig einsichtige Zweifel nicht bestünden.57 Wörtlich heißt es: „Der Angeklagte darf nicht verurteilt werden, wenn Umstände vorliegen oder (als nicht widerlegbar) zu seinen Gunsten angenommen werden müssen, die aus rationalen (intersubjektiv vermittelbaren und einsichtigen) Gründen nicht den Schluss gestatten, dass die Übereinstimmung von Zeugenaussagen und dem tatsächlichen Geschehen in hohem Maße wahrscheinlich ist […]. Nach ständiger Rechtsprechung […] können bloße abstrakte, theoretische, unvernünftige Zweifel, Zweifel, für die es keine reale Grundlage gibt und übertriebene (überspannte) Anforderungen an die von Tatgericht zu erlan55  BGHSt 25, 365, 367; BGH NJW 1951, 122, 167; 359, 360; MDR 1978, 338, 339; VRS 24, 207, 210; 39, 103; BGH Beschl. v. 24.1.2008  – 3 StR 486 / 07; vgl. auch: OLG Koblenz VRS 45, 118, 119; 46, 37, 38; OLG Celle NJW 1976, 2030, 2031. 56  BHG NStZ 1981, 33; 1982, 478; 1986, 373; 1987, 473 f.; 1988, 236, 237; 1990, 501; 1992, 48; NStZ / PM 1986, 208; StV 1982, 256; NJW 1990, 2073, 2074; NStE Nr. 4, 64, 93, 107 zu § 261 StPO; BGHR Vermutung Nr. 1, 2, 3, 4, 6, 8 zu § 261 StPO; vgl. auch OLG Düsseldorf NZV 1992, 328. 57  BGHSt 38, 186, 193; BGH NStZ-RR- 1996, 202; NStZ-RR 1997, 42, 43; NStZ 1997, 376, 377; NStZ-RR 1999, 139; BGH NJW 1988, 3273; 1992, 921, 923; NJW 1999, 1526 1562.



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gende Gewissheit das für die Verurteilung, nach der Lebenserfahrung ausreichende Maß an Sicherheit nicht in Frage stellen. Daraus folgt, dass andererseits Gründe, die zu vernünftigen Zweifeln in einer für den Schuldspruch relevanten Frage Anlass geben, einer Verurteilung entgegenstehen […]. Der vernünftige Zweifel hat seine Grundlage in rationaler Argumentation, welche die Indizien, die zugunsten des Angeklagten sprechen, vollständig und in ihren sachverhaltsbedeutsamen Aspekten erfasst. Wo er Platz greift, ist das für eine Verurteilung erforderliche Beweismaß der hohen Wahrscheinlichkeit nicht zu erreichen.“58 Die Rechtsprechung des BGH zur richterlichen Überzeugungsbildung weist somit starke Objektivierungstendenzen auf. bb) Literatur Diese objektivierende, sowohl auf subjektiver Überzeugung, als auch auf objektiv hoher Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit des Beweisergebnisses beruhende Theorie kann mittlerweile als allgemein herrschende Auffassung in der Literatur angesehen werden.59 Insbesondere Herdegen tritt dafür ein, die tatrichterlichen Sachverhaltsfeststellungen einem intersubjektiv akzeptablen Kriterium der Gültigkeit zu unterstellen.60 Bezugspunkt des Beweismaßes ist also zunächst die Beziehung zwischen dem vom Richter in der Hauptverhandlung wahrgenommenen Beweisstoff und der daraus abgeleiteten Sachverhaltshypothese (inklusive des auf Hilfstatsachen beruhenden Beweiswertes der Behauptungen). Das Beweismaß bezieht sich also auf zwei parallel 58  BGH

NJW 1988, 3273. StV 1995, 95, 99; ders., FS-Hanack, S. 331; Schäfer, StV 1995, 147, 148; Jähnke, FS-Hanack, S. 355, 360; BGH NStZ; Herdegen, FS-Hanack, S. 311, 323; ders., NJW 2003, 3513, 3515; Jerouschek, GA 1992, 493; Krauser, FS-Peters, 45; Fricke, GA 1973, 272; Sander, in: Löwe / Rosenberg § 261, Rn. 179; Fezer, StV 1995, S. 95, 99; Roxin / Schünemann, Strafverfahrensrecht, S. 79; wohl auch: Lampe, FS-Pfeiffer S. 373; Peters, Strafprozeß, 4. Aufl. § 37, XI; Stree, in dubio pro reo, S. 40; Otto, NJW 1978, S. 1, 7; kritisch hingegen Velten, in: SK-StPO, § 261, Rn. 6: hält eine solche Voraussetzung für „überflüssig und sinnlos“ und vergleicht sie mit der Anforderung, das Urteil müsse „absolut gesehen richtig sein“. Denn der Tatrichter könne niemals feststellen, ob eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit vorläge, da er sich die der Entscheidung zugrundeliegende Gründe niemals vollständig bewusst machen könne. Ähnlich: Foth, NStZ 1992, S. 444, wonach die Struktur des Revisionsverfahrens und § 337 StPO einer so weitgehenden Revisibilität der richterlichen Überzeugung entgegenstünden. 60  Herdegen, FS-Hanack, S. 311, 328; anstatt vieler Autoren mit sich größtenteils deckenden und nur in Nuancen – namentlich dem Grad der Wahrscheinlichkeit (hohe Wahrscheinlichkeit oder an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit) – unterscheidbaren Ansichten. 59  Fezer,

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ablaufende Argumentationsprozesse. Beide Argumentationsprozesse vereint ihre Zweckbestimmung: Sie dienen der Rechtfertigung der vom Richter vorgenommenen Aussage. Herdegen führt weiter aus, nirgendwo in der Wissenschaft genüge zur Rechtfertigung der Inanspruchnahme einer Gültigkeit einer bestimmten Aussage der alleinige Verweis auf die Überzeugung des Behauptenden – wie in letzter Konsequenz jedoch in der subjektivierenden Theorie artikuliert. Nichts anderes gelte für die Verurteilung. Vielmehr sei sogar das Gegenteil der Fall: Der Ausspruch, wonach der Angeklagte eine rechtswidrige schuldhafte Tat begangen habe, bedürfe vielmehr der besonderen Begründung. Die Kriterien angemessener Argumentation differieren je nach Gegenstandsbereich (etwa mathematischer, naturwissenschaftlicher oder geschichtswissenschaftlicher Argumentation). Ihre Rolle besteht jedoch unabhängig vom Gegenstandsbereich in der Statuierung von normativen – intersubjektiv anerkannten – bereichsadäquaten Standards für die Begründung von Aussagen und in der argumentativen Qualität, so dass der mit den Aussagen verknüpfte Geltungsanspruch als annehmbar gelten kann. Die richterliche Argumentation zeichnet sich gerade dadurch aus, dass die Qualität des Beweisstoffes selbst durch den Richter argumentativ bestimmt werden muss. Dementsprechend kommt als Kriterium einer Argumentation nicht die Wahrheit in Betracht, sondern allein die Folgerichtigkeit – womit für das Beispiel des Beweiswerts der Aussagen gemeint ist, dass mithilfe intersubjektiv nachvollziehbarer und akzeptabler Argumente einer Aussage das Prädikat der Glaubhaftigkeit verliehen wird. Ebendies wird durch das Beweismaß der hohen Wahrscheinlichkeit ermöglicht. Das Beweismaß der hohen Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne meint also insbesondere nicht die quantitative Wahrscheinlichkeit (etwa im Sinne der mathematischen Statistik). Gemeint ist vielmehr die Qualität der argumentativen Beziehung zwischen Beweis und Folgerung, bzw. die rationale Glaubwürdigkeit der Rechtfertigung der jeweiligen Sachverhaltsannahmen und Beweisqualitätsannahmen. Die dabei gewählten Schlussregeln bestimmen den Grad der Stärke der Konklusionen. Der Grad der Stärke der Konklusionen bestimmt wiederum die Nähe zur logischen Ableitungsbeziehung. Das Beweismaß der hohen Wahrscheinlichkeit verlangt folglich einen Stärkegrad, der einer deduktiven Ableitung nahe kommt. Die Nähe zur Deduzierbarkeit müsse verlangt werden, um solche richterlichen Schlüsse auszuschließen, die nur theoretisch möglich seien. Die Argumentation des Richters müsse sich also auf Schlussregeln stützen, die seine Folgerungen – intersubjektiv – als in hohem Maße plausibel erscheinen lassen. Dadurch werde der notwendige Schutz vor Fehleinschätzungen des Richters erreicht.



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d) Bewertung und Konsequenzen für die richterliche Rechtspraxis der Schätzung Allen hier wiedergegebenen Meinungen ist – zumindest soweit es ihre Darstellung in der Literatur betrifft – gemein, dass sie bei Zugrundelegung der jeweils anderen Ansicht durch den Richter eine Verfehlung der materiellen Wahrheit im Urteil befürchten. In der Tat erscheint die möglichst zuverlässige Ermittlung der materiellen Wahrheit im Sinne der Korrespondenz­ theorie – als Zielvorgabe des Strafprozesses – ein sinnvolles Leitmotiv bei der Auslegung des § 261 StPO zu sein. Gerade vor diesem Hintergrund steht einer Erhöhung der objektiven Wahrscheinlichkeit zum alleinigen Beweismaß – wie von den Vertretern der einseitig objektivierenden Theorien befürwortet – schon der Einwand entgegen, dass dies für den Richter die Gefahr birgt, sich mit der Aufklärung einer bloßen Wahrscheinlichkeit zu begnügen. Da die persönliche Verantwortung des Richters für das Urteil so nicht mehr ohne Weiteres besteht, entsteht die Befürchtung eines negativen Einflusses auf den Aufklärungseifer und den Wahrheitsfindungsaufwand des Richters.61 Die persönliche Gewissheit sei ferner unverzichtbar, da dem Richter das Urteil als höchstpersönliche Aufgabe überantwortet sei. Ohne ein solches Kriterium könne die darin liegende sachliche Sicherungsfunktion nicht mehr erfüllt werden, da der Richter nicht mehr mit seiner Person und Persönlichkeit hinter dem Urteil stehe – das Urteil verliere an Überzeugungskraft.62 Insbesondere der Wortlaut des § 261 StPO spricht gegen das Beweismaß der alleinigen objektiven Wahrscheinlichkeit. Der Wortlaut unterstreicht zunächst die richterliche Überzeugung von der Wahrheit, nicht hingegen das Wissen von dieser als Grundlage des Schuldspruches.63 Schmidt bemängelt weiter die fehlende Tauglichkeit der verschiedenen Wahrscheinlichkeitsbegriffe als Beweismaß der richterlichen Überzeugung.64 Dies gilt zunächst für den naturwissenschaftlichen bzw. numerischen Wahrscheinlichkeitsbegriff, demgemäß die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses als Anzahl der für den Eintritt des Ereignisses günstigen Fälle, dividiert durch die Anzahl der überhaupt möglichen Fälle, definiert wird. Die völlige 61  Döhring, Die Erforschung des Sachverhaltes im Prozess, S. 447; Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozessrecht, S. 110. 62  Hanack, JuS 1977, S. 729; Sander, in: Löwe / Rosenberg, § 261, Rn. 9. 63  Finke, GA 1973, S. 266, 268; Herdegen, FS-Kleinknecht, S. 179; ders., StV 1992, S. 527, 532; Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 152; Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozessrecht, S. 124. 64  Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozessrecht, S.  111 ff.

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Unbrauchbarkeit einer so verstandenen Wahrscheinlichkeit als Beweismaß im Strafverfahren ergibt sich zunächst daraus, dass dem Richter, anders als dem empirisch vorgehenden Naturwissenschaftler, kein Datensatz an wiederholbaren und gleichartig verlaufenden Fällen zur Verfügung steht.65 Die Aufgabe des Richters ist vielmehr durch die entscheidungserhebliche Einzigartigkeit der jeweils zu beurteilenden Fälle bestimmt, weshalb der Gesetzgeber sich in Abwendung von der positiven Beweistheorie gerade für ein System der freien Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung entschieden hat. Besonders in Bezug auf die Beurteilung eines Einzelfalles erlaubt der numerische Wahrscheinlichkeitsbegriff nur eine formalistische Wahrscheinlichkeitsaussage. Diese würde sich hier allenfalls auf die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Einzelereignisses in einer unbegrenzten Folge beschränken, nicht hingegen auf die Wahrheit einer Einzelfallhypothese.66 Doch auch bei Zugrundelegung eines auf Einzelfälle anwendbaren logischen Wahrscheinlichkeitsbegriffes reduzieren sich die Bedenken gegen das Beweismaß der objektiven Wahrscheinlichkeit nicht. Logische Wahrscheinlichkeit meint den Grad der Plausibilität einer Hypothese aufgrund der zur Verfügung stehenden Informationen.67 Zunächst handelt es sich bei einem so ermittelten Wahrscheinlichkeitswert nicht um einen absoluten, sondern um einen relativen, also auf die jeweils zugrunde gelegten Informationen bezogenen Wahrscheinlichkeitswert. Dabei geht es letztlich auch um eine subjektive – und damit nicht mit den Prämissen der einseitig objektiven Theorien vereinbare – Wahrscheinlichkeitsaussage. Denn bei der Ermittlung des Wahrscheinlichkeitswertes – als dem Wert der logischen Relation zwischen Hypothese und Information – bedarf es stets der subjektiven Einschätzung des Informationsgehaltes durch das Individuum. Die Wahrscheinlichkeitsaussage ist somit zwangsweise abhängig von dem zur Verfügung stehenden Grad des Erfahrungswissens. Somit erweist sich der logische Wahrscheinlichkeitsbegriff als Grundlage des Beweismaßes richterlicher Überzeugung vom Standpunkt der Vertreter der einseitig objektiven Theorie als grundsätzlich ungeeignet. Gerade der Ausschluss jeglicher Subjektivität ist auf dieser Grundlage zunächst nicht möglich. 65  Maasen, Beweisprobleme in Schadenersatzprozeß, S. 6 verweist hingegen auf die dem Richter aufgrund seines Erfahrungswissens zur Verfügung stehenden vergleichbaren und ähnlichen Tatsachen und Fälle, weshalb die Notwendigkeit einer Wiederholung nicht bestehe. 66  So auch: Nell, Wahrscheinlichkeitsurteile in juristischen Entscheidungen, S. 23; Kindhäuser, Jura 1988, S. 290, 295; Greger, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 42. 67  Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozessrecht, S. 113; Kindhäuser, Jura 1998, 293; Nell, Wahrscheinlichkeitsurteile in juristischen Entscheidungen, S. 27 f.



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Darüber hilft man sich auf Seiten der Vertreter der einseitig objektiven Theorien jedoch mit einer Bestimmung der Beurteilungsperspektive hinweg. Die Beurteilung des jeweiligen Wahrscheinlichkeitsgrades soll nach den Kriterien einer streng rational handelnden Person erfolgen, wodurch es zu einer Lösung von jeglicher Personenbezogenheit kommen soll.68 Heescher stellt diesbezüglich auf die Richterperspektive ab.69 Die Wahrscheinlichkeitseinschätzung soll sich also an der Frage orientieren, wie andere – objektiv und rational handelnde – Richter entschieden hätten. Diesbezüglich kämen sowohl die Perspektive eines durchschnittlichen, als auch eines optimalen Richters in Betracht. Jedoch wird auch einem so gearteten Objektivierungsversuch richtigerweise die fehlende Praktikabilität entgegengehalten.70 Dies gilt zunächst für das Abstellen auf den Horizont eines Durchschnittsrichters. So ist völlig unklar, anhand welcher Kriterien die Bestimmung eines entsprechenden Beurteilungsstandards erfolgen soll. Weiter erweist sich eine solche Objektivierung jedoch auch im Hinblick auf die möglichst präzise Ermittlung der materiellen Wahrheit als kontraproduktiv. Insbesondere für den Fall, dass die individuellen Fähigkeiten des Tatrichters die eines – wie auch immer zu bestimmenden – Durchschnittsrichters übersteigen, käme dies einem freiwilligen Verzicht des Richters auf eine besser begründete Grundlage der Überzeugungsbildung gleich. Käßer macht darauf aufmerksam, dass dies insbesondere vor dem Hintergrund des § 244 II StPO sinnlos ist. Denn dieser statuiert die richterliche Pflicht zur bestmöglichen Wahrheitserforschung im Zusammenhang mit der Beweiserhebung. Folglich wäre es widersprüchlich, gerade im Bereich der Beweiswürdigung von diesem Standard nach unten abzuweichen.71 Schmidt weist ferner richtigerweise darauf hin, dass der dafür vom Richter erforderliche gedankliche Vorgang – sei es beim Abstellen auf den Durchschnitts-, als auch den Idealrichter – die menschliche Fähigkeit zur Selbstreflektion überstrapaziert.72 Denn bleibt der Tatrichter hinter den Anforderungen an einen idealen – oder durchschnittlichen – Richter zurück und kommt er zu dem Ergebnis, dass seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten 68  Greger, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 46; Käßer, Wahrheitserforschung im Strafprozess, S. 50. 69  Heescher, Untersuchungen zum Merkmal der freien Überzeugung in § 286 ZPO und 261 StPO, S. 65. 70  Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozessrecht, S. 117; Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 167; Käßer, Wahrheitsforschung im Strafprozess, S. 62. 71  Käßer, Wahrheitsforschung im Strafprozess S. 62. 72  Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozess, S. 117.

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sich nicht mit der „verobjektivierten“ Perspektive deckt, so müsste er konsequenterweise die Fehlerhaftigkeit seiner eigenen Überzeugung erkennen und diese revidieren. Im gegenteiligen Fall müsste der Richter die eigenen Zweifel als nicht fundiert erkennen und somit zu einer Überzeugung von der Schuld des Angeklagten gelangen. Dass der pflichtgemäß handelnde Richter einen Unterschied zwischen dem eigenen Handeln und dem Handeln eines optimalen Richters erkennen kann, erscheint in der Tat unrealistisch.73 Decken sich hingegen individuelle Fähigkeiten mit denen der jeweiligen „verobjektivierten“ Perspektive, so liegt im Ergebnis stets nur eine rein subjektive Entscheidung vor. Vor diesem Hintergrund spricht nicht zuletzt eine historische Auslegung des § 261 StPO entschieden gegen ein solches Beweismaß. Dieser ist als Gegenmodell zur positiven Beweistheorie entwickelt worden. Dementsprechend ist schon das Grundkonzept, den Richter aufgrund einer an objektiven Kriterien ausgerichteten Wahrscheinlichkeit ggf. gegen seine innere Überzeugung entscheiden zu lassen, als verfehlt anzusehen.74 Dies erklärt sich, wie bereits skizziert, aus der Ausrichtung des Strafprozesses auf die materielle Wahrheit. Deren zuverlässige Ermittlung ist zwar nicht allein durch ein subjektives Element der Zustimmung des Richters verbürgt. Jedoch ermöglicht es, im Gegensatz zur positiven Beweistheorie, einen hinreichenden Bezug zum jeweiligen Einzelfall. Dies allein bedeutet unter dem Gesichtspunkt der materiellen Wahrheit, bereits eine qualitative Steigerung. Das von den Vertretern der einseitig objektiven Theorien verfolgte Ziel einer Ausschaltung der subjektiven Elemente richterlicher Stellungnahmen im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung kann demnach weder bei Zugrundelegung des objektiven, noch des logischen Wahrscheinlichkeitsbegriffes erreicht werden. Ein solcher Verzicht auf die Stellungnahme des Richters ist darüber hinaus auch nicht mit dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des § 261 StPO vereinbar. Vor allem aber gefährdet ein solcher Denkansatz die Ermittlung der materiellen Wahrheit als Zielvorstellung des Strafprozesses. Steht damit fest, dass für die Frage des Beweismaßes nicht allein auf objektive Kriterien abgestellt werden kann, es also stets auch eines Elementes der subjektiven zustimmenden Stellungnahme des Tatrichters bedarf,75 so auch: Velten, in: SK-StPO, § 261, Rn. 6. Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozeßrecht, S. 124. 75  Auf Seiten der Vertreter einseitig objektiver Theorien wird – ausgehend von der allgemein anerkannten Unzulänglichkeit menschlichen Erkenntnisvermögens – schon die Möglichkeit einer subjektiven Stellungnahme des Richters insofern negiert, als dass vom Richter nicht subjektiv mehr verlangt werden könne als objektiv möglich 73  So

74  Schmidt,



II. Freie Beweiswürdigung, subjektive Überzeugung und materielle Wahrheit 41

bedeutet dies jedoch noch nicht, dass diese subjektive Stellungahme für das Beweismaß allein konstituierend sein kann. Insbesondere Vertreter der einseitig objektiven Theorie halten einen solchen Standpunkt für insoweit gefährlich, als er im Prozess der Beweisführung als Einfallstor irrationaler und unkontrollierbarer Erwägungen fungieren könne.76 Unabhängig davon, dass die hier beschriebene Möglichkeit der Pervertierung eines Konzeptes immer besteht und somit für sich betrachtet noch kein schlüssiges Gegenargument liefert, erscheint jedoch die praktische Konsequenz der einseitig subjektiven Theorie, nämlich dass der Tatrichter jeden beliebigen Sachverhalt als feststehend betrachten kann, sofern er nur keine konkreten Zweifel an ihm hat,77 als durchaus bemerkenswert. Zunächst lässt sich ein wesentliches Argument gegen die einseitig objektive Theorie in modifizierter Form auch gegen ihr einseitig subjektives Pendant benutzen: Denn auch der alleinige Rückzug des Richters auf das Gewissheitsgefühl, bei gleichzeitigem Unterlassen von Wahrscheinlichkeitserwägungen, kann die Verkürzung der rationalen Entscheidungskomponente bedeuten und somit zu einem unbemerkten Einfallstor für Vorurteilselemente werden.78

sei. Demnach könne sich die subjektive Stellungnahme stets nur auf ein Fürwahrscheinlichhalten beschränken. Dies sei insofern gleichbedeutend mit dem Fürwahrhalten: so etwa Heescher, Untersuchungen zum Merkmal der freien Überzeugung in § 286 ZPO und § 261 StPO, S. 177. Einer solchen Ausgestaltung des subjektiv zustimmenden Elementes wird jedoch von der überwiegenden Literatur richtigerweise entgegenhalten, dass die Begriffe der Wahrheit und der Wahrscheinlichkeit nicht vergleichbar seien sowie, dass dies trotz der Unzulänglichkeit menschlichen Erkenntnisvermögens ein Fürwahrhalten nicht ausschließe. Fürwahrhalten bedeute nicht auch stets sicheres Wissen. Vielmehr könne eher eine Parallele zum Begriff des Glaubens gezogen – verstanden als subjektiv zureichendes aber objektiv unzureichendes Fürwahrhalten – gezogen werden; vgl. dazu etwa: Velten, in: SK-StPO § 261, Rn. 6; Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozeßrecht, S. 128; über die genaue Ausgestaltung des Fürwahrhaltens besteht freilich Uneinigkeit. Dabei handelt es sich nach der hier vertretenen Auffassung jedoch allein um sprachliche Differenzen. Unabhängig von der Bezeichnung als „sichere bzw. volle Überzeugung“ oder „Nichtbezweifeln“ etc. besteht über den materiellen Gehalt des subjektiven Beweismaßes insofern Einigkeit, als dass hier stets ein subjektives Fürwahrhalten sowie das Nichtbestehen konkreter Zweifel gefordert wird. 76  Heescher, Untersuchungen zum Merkmal der freien Überzeugung in § 286 ZPO und § 261 StPO, S. 180; Rieß, GA 1978, S. 265. 77  Zweifel, die sich allein aus der grundsätzlichen Unzulänglichkeit menschlichen Erkenntnisvermögens ergeben (sog. philosophische Zweifel) sowie solche, für die keine konkreten Anhaltspunkte im Sachverhalt bestehen (abstrakte Zweifel), kommen nicht in Betracht. 78  Fincke, GA 1973, S. 266, 267.

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B. Grundlagen

Die Wahrscheinlichkeit bzw. Unwahrscheinlichkeit einer Annahme bzw. eines Zweifels erlangt im Rahmen der einseitig subjektiven Theorie keinerlei Relevanz für die Beweiswürdigung des Tatrichters. So fehlt es an der Verurteilungsvoraussetzung der richterlichen Überzeugung schon beim Bestehen des „leisesten Zweifels“, andererseits bedarf es zur Verurteilung auch nur der Möglichkeit, nicht etwa der Wahrscheinlichkeit des festgestellten Sachverhaltes.79 Gleichwohl habe der Richter bei seiner Überzeugungsbildung die Regeln der Rationalität und Logik, die Erfahrungssätze und die wissenschaftlich erwiesenen Tatsachen zu berücksichtigen. Diesbezüglich weist Schmidt jedoch richtigerweise darauf hin, dass die im Rahmen der Beweiswürdigung getroffene Entscheidung des Tatrichters (zugunsten einer von mehreren, im Vergleich zu anderen jedoch als unwahrscheinlich eingestuften Tatvariante) zwar nicht gegen die Gesetze der Logik verstieße, da diese allein die Richtigkeit des Denkvorgangs, nicht jedoch des Denkinhaltes verbürgen, jedoch einen Verstoß gegen die eigenen Erfahrungssätze bedeuten würde und insofern als irrational gelten müsse.80 Denn diese Erfahrungssätze suggerierten eben gerade, dass gegen die Überzeugung des Richters – von der Schuld oder Unschuld des Angeklagten – mehr Gründe sprechen als für das Gegenteil. Das aus einer so gebildeten Überzeugung hervorgegangene Urteil steht somit auf einer irrationalen Grundlage. In diesem Zusammenhang ist nochmals zu unterstreichen, dass das in § 261 StPO verbriefte Postulat der Rationalität zum Zweck der bestmög­ lichen Ermittlung der materiellen Wahrheit im Urteil besteht. Ebendiesem Postulat ist nicht entsprochen, wenn dem Richter zugestanden wird, einen aus seiner Sicht unwahrscheinlichen Sachverhalt zugunsten oder zulasten des Angeklagten anzunehmen.81 Es setzt vielmehr voraus, dass der vom Richter angenommene historische Sachverhalt inhaltlich so fundiert ist, dass er von ihm für gewiss erachtet werden darf, da die Frage der Verurteilung andernfalls allein von der Richterpersönlichkeit abhinge.82 Demnach ist zunächst festzuhalten, dass weder die subjektive Überzeugung des Tatrichters, noch die objektive Wahrscheinlichkeit der Täterschaft des Angeklagten allein die Verurteilung zu tragen vermögen. Die hier unter dem Oberbegriff der objektivierenden Theorien zusammengefasste Ausge79  BGHSt 10, 208, 210; 26, 56, 63; GA 1954, 152, 153; VRS 39, 103, 104; OLG Celle JR 1977, 82, 83; Scanzoni, JW 1928, 2182; Niese, GA 1954, 148, 150. 80  Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozessrecht, S. 131. 81  So auch: Schmidt, Die Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozessrecht, S. 131. 82  Lampe, FS-Pfeiffer, S. 372; Herdegen, FS-Kleinknecht S. 178; Nell, Wahrscheinlichkeitsurteile in juristischen Entscheidungen, S. 47; Peters, JR 1977, S. 84.



II. Freie Beweiswürdigung, subjektive Überzeugung und materielle Wahrheit 43

staltung der freien richterlichen Überzeugungsbildung hingegen entspricht am ehesten der gesetzgeberischen Intention und Zielvorstellung des Strafprozesses. Rechtsfehlerfrei gebildete tatrichterliche Überzeugung setzt dementsprechend nach heute herrschender Meinung – um den Angeklagten vor Fehleinschätzungen des Tatrichters zu schützen und somit die Ermittlung der materiellen Wahrheit bestmöglich zu garantieren83 – das subjektive Fürwahrhalten des Richters auf der Basis einer intersubjektiv nachvollziehbaren objektiven Beweisgrundlage von einer Aussagekraft voraus, die entsprechende, vom Tatrichter gezogene Schlüsse unter rational-logischen Gesichtspunkten als naheliegend bzw. hochgradig plausibel erscheinen lässt. Auf Grundlage dieses Rationalitätspostulats stehen nunmehr allein die auf dem konkreten Sachverhalt beruhenden und gleichzeitig als vernünftig einzustufenden Zweifel an der Schuld des Angeklagten der Verurteilung entgegen. Andererseits reicht allein die Möglichkeit eines vom Tatrichter gezogenen Schlusses zu Ungunsten des Angeklagten nicht mehr aus. Ist man sich in Literatur und Rechtsprechung heutzutage über die Notwendigkeit einer solchen Objektivierung grundsätzlich einig; so gehen die Ansichten in Bezug auf die genauen Modalitäten der Bestimmung der objektiven hohen Wahrscheinlichkeit allerdings durchaus auseinander.84 Vergleicht man die von den hier nachgebildeten Meinungstendenzen jeweils gestellten Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung, so offenbart sich der Zusammenhang zum Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Eine vom Tatrichter vorgenommene Schätzung des Schuldumfanges stellt sich unter dem Gesichtspunkt der richterlichen Überzeugungsbildung nach § 261 StPO sowohl auf Grundlage der einseitig objektiven, als auch der einseitig subjektiven Theorie als kaum problematisch dar. Dies gilt insbeson83  Vgl. Peters, JR 1980, S. 169; Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozessrecht, S. 133. 84  Eine diesbezügliche tiefergehende Darstellung ist nach Ansicht des Verfassers in Anbetracht des hiesigen Untersuchungsgegenstandes nicht notwendig, auf sie wird deshalb verzichtet. Zur Vertiefung sei jedoch in Bezug auf die Rechtsprechung hingewiesen auf: Detter, FS-50 Jahre BGH, 2000, 679, 684; der die zwischen den einzelnen Senaten des BGH z. T. bestehenden Unterschiede aufzeigt. Hier wird größtenteils intuitiv und auf Grundlage von Einzelfallentscheidungen vorgegangen. Dazu vgl. auch: Sander, in: Löwe-Rosenberg, § 261, Rn. 179; Eschelbach, in: Graf-StPO, § 261, Rn. 32; In der Literatur wird, um eine Objektivierung zu erreichen, teillweise auf einen normativen Wahrscheinlichkeitsbegriff unter Geltung des Additivitätsaxioms ­ sowie des Bayes-Theorems abgestellt: So etwa Nell, Wahrscheinlichkeitsurteile in juristischen Entscheidungen, s. 47; Eschelbach, in: Graf-StPO, § 261, Rn. 32; andere hingegen stellen auf das Kriterium der Nachvollziehbarkeit durch andere Richter ab: So etwa Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 168; Peters, wieder andere versuchen den Begriff der Evidenz fruchtbar zu machen: so etwa Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozess; S. 151 ff.; Vgl. auch: Stuckenberg, in: KMR § 261, Rn. 24.

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B. Grundlagen

dere für die einseitig objektive Theorie. Denn ein Beweismaß, das sich in dem Grad an Wahrscheinlichkeit, der bei möglichst erschöpfender und gewissenhafter Anwendung der vorhandenen Mittel entsteht, erschöpft, ist weitestgehend identisch mit dem Ergebnis einer relativen Wahrscheinlichkeitsberechnung – also einer sich auf das Verhältnis zu einem bestimmten Informationsgrundlage beziehenden Berechnung. Probleme ergeben sich hier allenfalls im Hinblick auf das erforderliche Maß der gewissenhaften Verwertung und Beschaffung von Informationen. Einzig bei der als prozessökonomisch motiviert zu klassifizierenden Schätzung85 entstünden Friktionen, wobei die Problematik jedoch weitestgehend von der Frage der richterlichen Überzeugung weg, hin zum Amtsermittlungsgrundsatz nach § 244 II StPO verschoben wäre. Ähnlich verhält es sich, sofern man das für die Verurteilung des Angeklagten notwendige Beweismaß allein in der Rechtfertigung vor dem „forum internum“ des Tatrichters erblickt. Liegt es allein am Tatrichter, einen bestimmten Sachverhalt als feststehend zu behandeln, sofern keine entsprechenden persönlichen Zweifel bestehen und sich die Kontrollmöglichkeit der Überzeugung anhand der zugrundeliegenden objektiven Grundlagen auf eine Willkürkontrolle in Form der Einhaltung anerkannter Erfahrungssätze, wissenschaftlicher Erkenntnisse und Denkgesetze dergestalt beschränkt, dass diese lediglich möglich, nicht jedoch zwingend sein müssen, so stellt sich auch die relative Schätzung als eine grundsätzlich zulässige Erkenntnisquelle und die darauf beruhende Überzeugung als rechtsfehlerfrei erlangt dar. Anders jedoch, sofern man das erforderliche Beweismaß im Einklang mit der heute herrschenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung in dem oben beschriebenen Zusammenwirken aus subjektiver Überzeugung und tragfähiger – logisch-rational elaborierter und eine intersubjektiv nachvollziehbare objektiv Wahrscheinlichkeit statuierender – konkreter Tatsachenfeststellungen erblickt. Sieht man einerseits die materielle Wahrheit bzw. den tatsächlichen historischen Vorgang als Bezugspunkt des richterlichen „forum internum“ – nicht also die Richtigkeit des Schätzergebnisses – an und besteht andererseits die Notwendigkeit der Rechtfertigung vor diesem „forum internum“ anhand eines aus rational lückenlosen Schlüssen bestehenden Unterbaus, wird die Problematik offensichtlich. Der Richter müsste sich hier demnach fragen lassen, wie er aufgrund der Anwendung einer Methode, die schon begriffslogisch nur die ungefähre Annäherung an die Wirklichkeit erlaubt (und bei der Abweichungen bewusst einkalkuliert sind), eine zweifelsfreie Überzeugung von ebendieser gewonnen haben will. Dies gilt – wie im weiteren Verlauf der Arbeit zu zeigen sein wird – in besonderem Maße dann, wenn der durch Schätzung erlangte Wahrscheinlichkeitsbereich normativ durch Anwendung des Zweifelssatzes abgeschnitten wird. 85  Vgl.

Punkt B. I. 5. b).



II. Freie Beweiswürdigung, subjektive Überzeugung und materielle Wahrheit 45

Damit ist die grundsätzliche Problematik bei der Überzeugungsbildung aufgrund von Schätzungen nach der herrschenden objektivierenden Theorie skizziert.86 Eine genaue Bewertung muss und soll allein anhand des jeweiligen Einzelfalls erfolgen, es wird insofern, etwa in Bezug auf die Schätzung im Rahmen der Schuldfeststellung, auf das dritte Kapitel der vorliegenden Arbeit verwiesen. 4. Grundsatz „in dubio pro reo“ Der Grundsatz, dass im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden ist, ergibt sich als Konsequenz schon aus § 261 StPO.87 Obgleich er nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist, wird er aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Schuldgrundsatz (Art. 20 III GG) sowie Art. 6 II EMRK und Art 14 IPBPR gefolgert.88 Der „in dubio pro reo“ Grundsatz dient dabei als „Entscheidungsregel“, die im Falle eines auf unsicherer Tatsachengrundlage beruhenden Zweifels besagt, wie der Richter zu entscheiden hat.89 Insbesondere die Bezeichnung als „Beweisregel“90 scheint unzutreffend, da dies suggeriert, der Zweifelsgrundsatz schreibe dem Tatrichter ungeachtet seiner Überzeugung vor, dass zweifelhaft günstige Tatsachen als erwiesen anzusehen seien.91 Die Anwendung des Zweifelsgrundsatzes setzt zunächst voraus, dass Zweifel hinsichtlich des Bestehens oder Nichtbestehens tatsächlicher Umstände vorliegen. Nicht in den Anwendungsbereich fallen hingegen Zweifel hinsichtlich reiner Rechtsfragen, die es anhand von Auslegung und wertender Subsumption zu klären gilt.92 Während die Anwendbarkeit hinsichtlich die Prozessvoraussetzungen und Prozesshindernisse betreffender tatsächlicher 86  Diametral entgegengesetzt dazu Krause, StraFo 2002, S. 249, 250 ff. sowie Hofmann, StraFo 2003, S. 70, 74 die Schätzung und richterliche Überzeugungsbildung auch auf Grundlage der h. M. als miteinander problemlos vereinbar ansehen und die bestehenden Friktionen nach der hier vertretenen Auffassung entweder verkennen oder beschönigen. 87  Hellmann, Strafprozessrecht, § 16, Rn. 808. 88  Montenbruck, in dubio pro reo, S. 126; Beulke, Strafprozessrecht, § 23, Rn. 66. 89  Frisch, in: FS-Henkel, S. 281; Zopfs, in dubio pro reo, S. 307; Ranft, Strafprozessrecht, Rn. 1639; Sander, in: Löwe / Rosenberg, § 261, Rn. 104; Pfeiffer, StPO §261, Rn. 16; Meyer-Goßner, § 261, Rn. 26; Sander, in: Löwe / Rosenberg, § 261, Rn. 103. 90  So etwa Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 118. 91  Zopfs, in dubio pro reo S. 308, Beulke, Strafprozessrecht, § 23, Rn. 74. 92  BGHSt 14, 68, 73; Ott, in: KK, § 261, Rn. 61; Sander, in: LR, § 103, Rn. 105; Roxin / Schünemann, Strafprozessrecht, § 45, Rn. 64; Pfeiffer, StPO, § 261, Rn. 18; Beulke, Strafprozessrecht, § 23, Rn. 69; Zopfs, in dubio pro reo, S. 269.

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B. Grundlagen

Zweifel umstritten ist,93 soll der Zweifelsgrundsatz nach h. M. stets in Bezug auf solche Tatsachenzweifel anwendbar sein, die Relevanz für die Schuldund Rechtsfolgenfrage entfalten.94 Dies impliziert auch, dass der Zweifelsgrundsatz nur dort zur Anwendung kommen kann, wo Zweifel hinsichtlich des Vorliegens von Tatsachen bestehen, die unmittelbar für die mit der Schuld- und Rechtsfolgenfrage verbundene negative Statusveränderung für den Angeklagten relevant sind. Als relevante Zweifel in diesem Sinne können deshalb nur solche gelten, die sich in tatsächlicher Hinsicht auf Voraussetzungen beziehen, welche ihrerseits in der Lage sind, inhaltlich eine Entscheidung über die mit der Schuld- und Rechtsfolgenfrage einhergehende negative Statusveränderung des Angeklagten zu tragen.95 Zudem kann der Grundsatz nur für endgültige Zweifel zur Anwendung kommen. Dies setzt demnach voraus, dass eine erschöpfende Sachaufklärung stattgefunden hat, das Gericht also alle verfügbaren Mittel der Aufklärung verwendet hat, um zu einer abschließenden Feststellung zu gelangen.96 Erkennt man die Aufklärung der materiellen Wahrheit im Sinne der Korrespondenztheorie als zentrales Anliegen des Strafprozesses an, so können auch Zweifel im Sinne des „in dubio pro reo“ Grundsatzes nur solche sein, die trotz aller Aufklärungsbemühungen nicht beseitigt werden können. Zopfs führt diesbezüglich aus, dass, sofern die rechtsstaatlich gebotene Strafe als Mittel des Rechtsgüterschutzes angesehen wird, der Staat die sich daraus ergebende Aufgabe nur in adäquater Weise erfüllen kann, wenn er in der Entscheidung über die Strafe gerade die Frage des tatsächlichen Bestehens eines entsprechenden strafrechtlich relevanten Verhaltens (im Sinne eines historischen Sachverhaltes) beantwortet.97 Eine auf dem Zweifelsgrundsatz beruhende Entscheidung bedeute, „diesem Anliegen im konkreten Fall nicht gerecht“ werden zu können, da die jeweils getroffene Entscheidung gerade nicht durch den ermittelten historischen Lebenssachverhalt und die darauf beruhende staatliche Reaktion auf ein strafwürdiges (oder nicht strafwürdiges) Verhalten, sondern auf der „rechtsethischen Wertung“ des Zweifelsgrundsatzes beruhe. Insofern kann „der darin zum Ausdruck kommenden Unfähigkeit, eine Entscheidung über die Notwendigkeit des Rechtsgüterschutzes zu treffen“ nur subsidiäre Bedeutung zukommen, da sich das Strafrecht andernfalls „selbst aufgeben“ würde. Eine Entscheidung, die auf dem Außerachtlassen wesentlicher aufklärbarer Umstände beruht, kann somit undazu etwa: Zopfs, in dubio pro reo, S. 19 ff. Strafprozessrecht, § 23, Rn. 71, Pfeiffer, § 261, Rn. 17. 95  Zopfs, in dubio pro reo. S. 269 ff.; Beulke, Strafprozessrecht, § 23, Rn. 67. 96  BGHSt 13, 328; BGH NStZ 2006, S. 650; BGH NStZ 2008, S. 216, 218; Beulke, Strafprozessrecht, § 23, Rn. 67; Becker, in: Löwe / Rosenberg, § 244, Rn. 46. 97  Zopfs, in dubio pro reo, S. 273. 93  Siehe

94  Beulke,



II. Freie Beweiswürdigung, subjektive Überzeugung und materielle Wahrheit 47

ter verschiedensten Gesichtspunkten revisibel sein (Grundsätze der Überzeugungsbildung, Amtsaufklärungspflicht). Eine Verletzung des Zweifelsgrundsatzes ergibt sich daraus jedoch nicht, da dieser erst nach erschöpfender Aufklärung überhaupt anwendbar sein kann.98 5. Konsequenzen für die Revisibilität der richterlichen Überzeugungsbildung Dementsprechend ist in Rechtsprechung und Lehre mittlerweile anerkannt, dass die richterliche Überzeugungsbildung als solche einer – zumindest eingeschränkten – revisionsrichterlichen Kontrolle unterliegt.99 Schäfer begründet diese Entwicklung damit, dass die Revisionsgerichte nicht gewillt gewesen seien, eine sachlich-rechtliche Prüfung eines Sachverhaltes vorzunehmen, dessen Unrichtigkeit im Sinne der Nichtübereinstimmung mit dem historischen Geschehen sich schon aus den Urteilsgründen ergebe.100 Dass eine solche revisionsrichterliche Kontrolle nur eingeschränkt erfolgen kann, ergibt sich sowohl aus dem Wesen der richterlichen Überzeugungsbildung, als auch aus dem Wesen des Revisionsrechtes. Denn es handelt sich bei der richter­ lichen Überzeugungsbildung um einen höchstpersönlichen – auf Gefühlen und Erfahrungen des Tatrichters beruhenden – Akt, dessen Grundlagen zudem aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft werden müssen, weshalb das Revisionsgericht die so geschöpfte Überzeugung zwar durch ihre eigene ersetzen, jedoch nur in begrenztem Maße nachvollziehen kann. Die Revision ist nach § 337 StPO jedoch gerade kein ersetzendes, sondern vielmehr ein auf die Prüfung von Gesetzesverletzungen abzielendes Verfahren auf Grundlage der schriftlichen Urteilsgründe.101 Dementsprechend wird die Freiheit des Tatrichters bei der Würdigung der Beweise und der Überzeugungsbildung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch stets betont. Sei das Tatgericht aufgrund der Hauptverhandlung zu einer bestimmten Überzeugung gelangt, so könne diese vom Revi­ sionsgericht nicht allein deshalb in Frage gestellt werden, weil die dabei gezogenen Schlüsse denkbar, aber nicht zwingend sind bzw. ein anderer an gleicher Stelle noch gezweifelt hätte. Freiheit der Beweiswürdigung bedeutet an dieser Stelle auch die Freiheit, einen objektiv möglichen Zweifel zu überwinden. Gleiches gilt für den umgekehrten Fall des Richters, der – nach 98  Sander,

in: Löwe / Rosenberg, § 261, Rn. 104. JuS 1977, S. 727, 730 weist darauf hin, dass die revisionsrichterliche Kontrolle der richterlichen Überzeugungsbildung in jüngerer Zeit durch das Institut der Darstellungsrüge im Einzelfall erweitert zu sein kann. 100  Schäfer, StV 1995, S. 147, 148. 101  Hanack, JuS 1977, S. 727, 730. 99  Hanack,

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B. Grundlagen

rechtsfehlerfreier Würdigung aller relevanten Beweismittel – die notwendige persönliche Überzeugung nicht erlangen konnte, obwohl schon nach den Urteilsgründen ein anderer Geschehensablauf als wahrscheinlich anzusehen ist.102 Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist es dem Revisionsgericht deshalb grundsätzlich verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine eigene zu ersetzen.103 Insbesondere das vom BGH z. T. bis heute formulierte Paradigma von der Notwenigkeit des Beruhens der richterlichen Überzeugung auf möglichen, nicht jedoch zwingenden Schlüssen,104 ist gelegentlich als einseitig subjektive Auslegung des Begriffs Überzeugung verstanden und dementsprechend heftiger Kritik ausgesetzt gewesen.105 Dies konnte jedoch, insbesondere von Albrecht und Maul, insofern entkräftet werden, als dass ihnen der Nachweis einer beachtlichen Kontrolldichte des BGH bei Überprüfung der objektiven Grundlagen der tatrichterlichen Überzeugung gelang.106 Schäfer bezeichnet die Formel, wonach Schlüsse des ­Tatrichters einer revisionsgerichtlichen Kontrolle dann entzogen seien, wenn sie nur möglich seien, sogar als „gegenstandslos“.107 Es wird dementsprechend klar, dass sich – entgegen dieser immer wiederkehrenden Bekundungen des BGH von der Bindung des Revisionsgerichtes an die Überzeugungsbildung des Tatrichters – schon früh eine komplexe Kontrolldogmatik entwickelt hat. So wurden Verstöße des Tatrichters gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze und gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse ebenso als der Revision zugängliche Rechtsfehler angesehen wie das Fehlen einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage und einer erschöpfenden Beweiswürdigung als „Unterbau“ der richterlichen Überzeugung. Die gerichtliche Überzeugung, die auf bloß intuitiven Einsichten oder Vermutungen allein 102  BGHSt 10, 208; 25, 367; 26, 63; 29, 20; Schäfer, StV 1995, S. 147, 148; Sander, in: Löwe / Rosenberg, § 261, Rn. 12; BGH NJW 1967, 360. 103  BGH Urt. v. 15.2.2005 – 5 StR 449 / 04; Urt. v. 20.6.2007 – 2 StR 161 / 07; Urt. v. 9.11.2010 – 5 StR 297 / 10; BGHSt 10, 208, 210; BGH NJW 1967, 359, 360. 104  BGHSt, 10, 208; 29, 18, 20. 105  Herdegen, StV 1992, S. 527. 106  Albrecht, NStZ 1983, S. 486, 492; Maul, FS-Pfeiffer, S. 409, 416. 107  Schäfer, StV 1995, S. 147 148 der insbesondere darauf hinweist, dass die für eine einseitige „Subjektivierung“ der tatrichterlichen Überzeugung angeführte Formulierung des BGH in BGHSt 10, 208, wonach die persönliche Gewissheit für die Verurteilung notwendig und ausreichend im Rahmen eines teilweise freisprechenden Urteils geschehe. In der entsprechenden Entscheidung hatte das LG sich von einem Tötungsvorsatz des Angeklagten nicht überzeugen können und stattdessen wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Die Wendung, wonach es allein auf die Überzeugung des Tatrichters ankomme, müsse so verstanden werden, dass ohne diese die Verurteilung nicht möglich sei. Ebenso in BGH NStZ 1983, 277, 278; 1984, 180; 1986, 86. Kritisch: Velten, in: § SK-StPO, § 261, Rn. 6; Fezer, StV 1995, S. 95, 99; Herdegen, NStZ 1987, 164; ders., StV 1992, 530 f.



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beruht, kann die Verurteilung des Angeklagten demnach nicht tragen – und sei sie auch noch so ausdrücklich in den Urteilsgründen betont.108 Mit Denkgesetzen etc. sind die häufig in der Literatur als Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung bezeichneten Grundsätze angesprochen.109 Unter dem Begriff „Denkgesetze“ werden vor allem die Regeln der Logik verstanden. Dementsprechend muss eine Argumentation des Richters widerspruchsfrei, folgerichtig und frei von Zirkelschlüssen, Rechtsfehlern und Begriffsverwechselungen sein.110 Weiter ist der Richter verpflichtet, bestimmte Erfahrungssätze zu beachten. Entsprechende Erfahrungssätze sind nach Erkennbarkeit und Gültigkeitsgrad zu differenzieren. So bestehen etwa Erfahrungssätze, die für jedermann aufgrund eigener Erfahrung unmittelbar einsichtig sind, während andere Erfahrungssätze nur für einen begrenzten Kreis bzw. in einem bestimmten zeitlichräumlichen Kontext erkennbar sein können.111 Hinsichtlich des Gültigkeitsgrades ist zwischen allgemeingültigen, ausnahmslos zutreffenden Erfahrungssätzen und solchen zu unterscheiden, die lediglich einen irgendwie gearteten Wahrscheinlichkeitsgrad anzeigen. Erstere sind für den Richter – soweit als im jeweiligen Fall erkennbar einzuordnen – verbindlich.112 Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse sind vom Richter zwingend zu beachten.113 Diese können sowohl auf rational erschlossenen Gesetzmäßigkeiten im Sinne von Denkgesetzen, als auch auf empirisch gewonnenen Erfahrungssätzen beruhen.114 Zur Feststellung des Vorliegens solcher gesicherten Erkenntnisse wird sich das Gericht meist der Hilfe eines Sachverständigen bedienen müssen.115 In diesem Zusammenhang muss jedoch beachtet werden, dass sich eine einheitliche Terminologie nicht herausgebildet hat. Teilweise besteht eine Schnittmenge zwischen den Begriffen Denkgesetz, 108  BGH wistra 2005, 106; BGH NStZ-RR 2008, 273; 2009, 352, 352; BGH ­ eschl. v. 7.7.2010  – 2 StR 100 / 10; BGH Beschl. v. 18.6.2008  – 2 StR 225 / 08; B Schäfer, StV 1995, S. 147, 148. 109  So etwa: Sander, in: Löwe / Rosenberg, § 261, Rn. 41; Velten, in: SK-StPO, § 261, Rn. 16. 110  BGHSt 3, 214; 19, 34; 28; 311; BGH StV 1982, 343; 1986, 467; 1995, 341; 1996, 583; Eschelbach, in: Graf-StPO, § 261, Rn. 35; Sander, in: Löwe / Rosenberg, § 261, Rn. 44. 111  Sander, in: Löwe / Rosenberg, § 261, Rn. 45. 112  BGHSt 31, 89; Hellmiß, NStZ 1992, 24; Sander, in: Löwe / Rosenberg § 261, Rn. 46. 113  Fezer, StV 1995, S. 95, 97; Eschelbach, in: Graf-StPO § 261, Rn. 36. 114  Sander, in: Löwe / Rosenberg § 261, Rn. 51; Eschelbach, in: Graf-StPO § 261, Rn. 36; Fezer, StV 1995, S. 95, 97. 115  Sander, in: Löwe / Rosenberg § 261, Rn, 52.

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Erfahrungssatz und gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis; diese Begrifflichkeiten werden nicht einheitlich verwendet. Mit einigen Stimmen in der Literatur ist einer Bezeichnung als „Grenzen der Beweiswürdigung“ richtigerweise entgegenzuhalten, dass den hier angesprochenen Grundsätzen vor dem Hintergrund der Zielsetzung der freien Beweiswürdigung als Mittel zur Wahrheitserforschung, schwerlich eine begrenzende Funktion zukommen kann. Vielmehr ist einer so intendierten Beweiswürdigung die Orientierung an den Gesetzen der Logik und Rationalität sowie den empirisch eruierten Grundsätzen der Naturwissenschaft immanent. Demnach wäre eine Bezeichnung als „Grundlagen der Beweiswürdigung“ eher zutreffend.116 Insgesamt zeigt eine genaue Analyse der BGH-Rechtsprechung, dass in Bezug auf die Revisibilität der richterlichen Überzeugung zwischen der Konstellation des freisprechenden Urteils (also des Fehlens der tatrichterlichen Überzeugung) einerseits, und der Konstellation der tatrichterlichen Verurteilung differenziert werden muss.117 Spricht der Tatrichter den Angeklagten frei, weil er sich von dessen Schuld nicht überzeugen kann, so ist dies allein unter dem Gesichtspunkt der Verkennung der Anforderungen an die Überzeugungsbildung gemäß § 261 StPO revisibel – da es sich insofern um eine im Rahmen des § 336 StPO liegende Rechtsfrage handelt. Eine solche Verkennung liegt insbesondere vor, wenn der Richter zu niedrige oder überspannte Anforderungen an das erforderliche Maß an Gewissheit stellt. Im Falle des Freispruchs etwa, wenn die Überzeugungsbildung des Richters an bloßen abstrakten, theoretischen oder unvernünftigen Zweifeln scheitert, die nicht auf einer ausreichenden realen Grundlage stehen und insofern das „nach der Lebenserfahrung ausreichende Maß an Sicherheit“ nicht in Frage stellen. Dies gilt ganz besonders für grundsätzliche Zweifel an der menschlichen Erkenntnisfähigkeit. Liegt ein solches Versäumnis seitens des Tatrichters hingegen nicht vor, ist auch der Freispruch durch das Revisionsgericht nicht angreifbar.118 Anders verhält es sich hingegen im Falle des verurteilenden Tatrichters. Hier kommt der persönlichen Überzeugung in der Tatsacheninstanz zunächst die Bedeutung einer notwendigen Bedingung zu. Diese allein genügt jedoch noch nicht für eine Verurteilung. Vielmehr unterzieht der BGH das Urteil hier einer eingehenden Prüfung hinsichtlich der tatsächlichen Grundlagen der richterlichen Überzeugung. Neben den oben bereits dargestellten Grundsät116  Schmitz, Die strafrichterliche Beweiswürdigung außerstrafrechtlicher Vorfragen, S. 78; Meurer, FS-Oehler S. 357, 375; Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 322; Schmidt, Grundsätze der freien Beweiswürdigung im Strafprozessrecht, S. 67. 117  So schon Schäfer, StV 1995, S. 147, 149. 118  BGHSt 10, 208, 210, Sander, in: Löwe / Rosenberg § 261, Rn. 178; Hanack, JuS 1977, S. 730; Schäfer, StV 1995, S. 147, 149.



II. Freie Beweiswürdigung, subjektive Überzeugung und materielle Wahrheit 51

zen zur Beachtlichkeit relevanter Einsichten von allgemeiner Gültigkeit119 (Denkgesetze, Erfahrungssätze und gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse) sowie einer erschöpfenden Beweiswürdigung120 erstreckt sich die Prüfung dabei auch auf das Bestehen einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen und daher intersubjektiv nachvollziehbaren Tatsachengrund­ lage.121

119  BGH Beschl. v. 24.1.2008 – 3 StR 486 / 07; Sander, in: Löwe / Rosenberg § 261, Rn. 178, Hanack, Jus 1977, S. 730; Velten, in: SK-StPO, § 261, Rn. 6; Fezer, StV 1995, S. 95; Schäfer, StV 1995, 147. 120  BGH Beschl. v. 24.1.2008  – 3 StR 486 / 07; BGH StV 1982, 210; 1983, 360; 1990, 439; Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozessrecht, S. 77; Fezer, StV 1995, S. 95; Schäfer StV 1995, 147; Hanack, Jus 1977, S. 730; Sander, in: Löwe / Rosenberg § 261, Rn. 178, Velten, in: SK-StPO, § 261, Rn. 6; BGH Beschl. v. 24.1.2008 – 3 StR 486 / 07; BGH StV 1982, 210; 1983, 360; 1990, 439. 121  BGH NStZ 1982, 478; Fezer, StV 1995, S. 95, 100; Lampe, FS-Pfeiffer, S. 353, 371.

C. Die Schätzklauseln im StGB Das StGB enthält verschiedene Schätzklauseln im Zusammenhang mit der Bemessung monetärer Sanktionen. Auch im Zusammenhang mit dem Adhäsionsverfahren kann nach einhelliger Auffassung geschätzt werden. Die jeweiligen Vorschriften erlauben z. T. ausdrücklich die Schätzung als Methode der richterlichen Entscheidungsfindung, geben jedoch keinerlei Aufschluss darüber, unter welchen Voraussetzungen die Vornahme einer Schätzung jeweils möglich sein soll. Dies – sowie das Verhältnis der gesetzlichen Schätzklauseln zu den Grundsätzen des Strafverfahrens – soll im Folgenden untersucht werden. Entsprechend des Ansatzes der vorliegenden Arbeit ist die Analyse der Schätzklauseln dabei an der jeweils zugrundeliegenden Motivation der Schätzung bzw. Eigenart des durch Schätzung festzustellenden Faktors orientiert.122

I. Schätzung des Einkommens zur Bestimmung der Tagessatzhöhe gemäß § 40 III StGB Zum Verständnis der im Zusammenhang mit der Schätzklausel aus § 40 III StGB bestehenden Problematiken bedarf es zunächst einer kurzen Einführung in das in § 40 StGB kodifizierte System der Geldstrafe sowie der entsprechenden Entstehungsgeschichte der Norm. 1. Entstehungsgeschichte Die aktuelle Reglung des § 40 StGB wurde mit dem 2. StrRG im Jahre 1975 in das StGB eingeführt. § 40 StGB enthält das sogenannte Tagessatzsystem zur Bemessung der Geldstrafe. Die Geldstrafe stellt neben der Haftstrafe die zweite (mildere) Hauptstrafe des StGB dar.123 Die Geldstrafe als Hauptstrafe war grundsätzlich bereits in der ursprünglichen Fassung des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 enthalten.124 Dabei war der jeweilige Mindestbetrag für Verbrechen und Vergehen mit 3 Mark, für 122  Eine solche Dreiteilung nimmt in Bezug auf die positiv normierten Schätzklauseln auch schon Hellmann, GA 1997 S. 503 vor. 123  Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 58; Häger, in: LK, Vor § 40 Rn. 33. 124  Häger, in: LK, Vor § 40 Rn. 3.



I. Schätzung des Einkommens zur Bestimmung der Tagessatzhöhe53

Übertretungen mit 1 Mark im Allgemeinen Teil bestimmt, während die Höchstbeträge bei den jeweiligen Tatbeständen des Besonderen Teils geregelt waren. Diese waren jeweils unterschiedlich und betrugen zunächst höchstens 6000 Mark, nach dem den Wucher betreffenden Gesetz vom 24. Mai 1880 15000 Mark.125 Ausgehend von der soziologischen Schule Franz von Liszts trat die strafrechtliche Reformbewegung schon früh für eine Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe zu Gunsten einer vermehrten Anwendung der Geldstrafe ein.126 Dabei wurde besonders der aus der englischen Aufklärungsphilosophie stammende Gedanke der „Opfergleichheit“ im Schrifttum aufgegriffen.127 Nach diesem Konzept sollten die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten zentraler Anknüpfungspunkt für die Höhe der Geldstrafe sein.128 Der Gedanke, das Tageseinkommen des Angeklagten als entsprechenden Anknüpfungspunkt heranzuziehen, wurde hingegen von dem Dänen Carl Torp und dem Schweden Johan Thyrén am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelt. Bis zum Jahre 1931 hatten sowohl Finnland, als auch Schweden entsprechende Systeme eingeführt.129 In Radbruchs Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1922 kommt der Geldstrafe zentrale Bedeutung im Strafensystem zu.130 Die Vorschriften über die Geldstrafen sind von 1921 bis 1924 mehrfach geändert worden, wobei es im Wesentlichen um die Ermöglichung von Ersatzgeldstrafen anstelle kurzer Freiheitsstrafen ging.131 Mit dem 1. StrRG von 1969 erfolgte eine weitere Einschränkung der kurzfristigen Freiheitsstrafe unter sechs Monaten, wodurch der Anwendungsbereich der Geldstrafe dem entsprechend weiter ausgedehnt wurde. Mit dem 2. StrRG von 1975 erfolgte die Einführung des Tagessatzsystems für die Geldstrafenbemessung, nach dem Vorbild damaliger skandinavischer Rechtsordnungen.132 Die Bemessung der Geldstrafe erfolgt nunmehr in einem zweistufigen System: In der ersten Phase wird die Anzahl der Tagessätze gemäß § 46 StGB nach dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat, unter Heranziehung sämtlicher Strafzumessungstatsachen, mit Ausnahme der finanziellen 125  Häger,

in: LK, vor § 40 Rn. 3. Liszt, Lehbuch, § 63; Allfeld / Meyer, Lehrbuch, § 51 II m. w. N.; Häger, in: LK, Vor § 40 Rn. 4. 127  Grebing, ZstW 88, S. 1054, 1054 f. 128  Häger, in: LK, Vor § 40 Rn. 4; Grebing, ZstW 88, S. 1049, 1054 f. 129  Thornstedt, ZstW 86, S. 595 m. w. N. 130  Radbruch, Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches. 131  Häger, in: LK, vor § 40 Rn. 5. 132  Vogler, JR 1978, S. 353; Fischer, StGB, Vor § 40 Rn. 1; Häger, in: LK, Vor § 40 Rn. 8; Jescheck / Albrecht, Die Geldstrafe im deutschen und ausländischen Recht S.  855 ff. 126  v.

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C. Die Schätzklauseln im StGB

Belastungsfähigkeit des Täters, bemessen, während in der zweiten Phase die Höhe des jeweiligen Tagessatzes an den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten ausgerichtet wird. Anknüpfungspunkt dafür stellt gemäß § 40 II S. 2 StGB grundsätzlich das dem Angeklagten täglich zur Verfügung stehende Nettoeinkommen dar.133 Um die Tagessatzhöhe konkret festzusetzen, müssen zudem nach § 40 II S. 1 StGB die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters berücksichtigt werden.134 Teilweise kann sich eine dritte Phase anschließen, in der dem Angeklagten gemäß § 42 StGB eine Zahlungsfrist bewilligt oder gestattet wird, die Strafe in Teilbeträgen zu zahlen, sofern die sofortige Zahlung für ihn unzumutbar ist.135 Dieses System wird weiter durch § 459 ff. StPO ergänzt, wonach in bestimmten Fällen auf die Vollstreckung der Geldstrafe verzichtet werden kann, wobei es sich hierbei nicht um ein Instrument der Strafzumessung handelt. Die heutige Fassung der Vorschrift entstammt dem 42. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 29. Juni 2009, mit dem die Tagessatzobergrenze in Abs. II S. 3 von 5.000 auf 30.000 Euro angehoben worden ist. 2. Das Tagessatzsystem Durch die Trennung der ersten und zweiten Phase soll die Erreichung des Grundsatzes der Opfergleichheit gewährleistet werden, um deretwillen der Gesetzgeber das Tagessatzsystem eingeführt hat.136 Die Strafe soll danach unabhängig von den Einkommensverhältnissen der Angeklagten jeweils gleich schwer wirken. Die Notwendigkeit der Herstellung dieser sogenannten Opfergleichheit erklärt sich bei einer vergleichenden Betrachtung mit der Freiheitsstrafe. Diese entzieht allen dazu Verurteilten die Freiheit, sich ungehindert fortzubewegen. Zwar wird das Strafübel der Geldstrafe zum Teil ähnlich, und zwar als Konsumverzicht durch Entzug des Geldes als objektivierter Freiheit verstanden,137 jedoch besteht hier die Besonderheit, dass die jeweilige Strafempfindlichkeit des Angeklagten entscheidend von seinen individuellen Einkommens- und Vermögensverhältnissen abhängt.138 Opfergleichheit bedeutet also nichts anderes als die Gewährleistung einer einheitlichen Straf-

133  Radtke,

in: MüKo, § 40 Rn. 1. Strafrechtliche Sanktionen, S. 67. 135  Häger, in: LK, Vor § 40 Rn. 50. 136  Häger, in: LK, Vor. § 40 Rn. 52; Radtke, in: MüKo, § 40 Rn. 2. 137  Düring, FS-Apelt, S. 13 31, 47; Köpp, DriZ 1984, S. 314, 315; Zipf, Die Geldstrafe, S. 53; Häger, in: LK, Vor § 40 Rn. 44; Meier, Strafrechtliche Sanktionen S. 53; Vogler, JR 1994, S. 353, 355; Meyer, MDR 1987, S. 17, 18. 138  Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S.  58–65; Maurach / Gössel / Zipf, § 63 Rn. 118. 134  Maier,



I. Schätzung des Einkommens zur Bestimmung der Tagessatzhöhe55

empfindlichkeit, unabhängig von Sichtzugehörigkeit und Einkommensverhältnissen.139 Grundsätzlich mussten die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten auch vor dem 2. StrRG bei der Geldstrafenbemessung berücksichtigt werden. Allerdings flossen sie mit der Tatschuld untrennbar in eine bestimmte Geldsumme ein. Nunmehr ist der Akt der Anpassung der Geldstrafe an die finanziellen Verhältnisse des Täters verselbstständigt und nimmt eine zentrale Bedeutung ein. Durch eine Steigerung der Genauigkeit soll das Ziel der Opfergleichheit, nicht im Sinne einer arithmetischen Gerechtigkeit im Einzelfall, sondern vielmehr im Sinne einer relativen Gerechtigkeit im Verhältnis der Angeklagten untereinander erreicht werden.140 Entscheidend für die Erreichung des Ziels der Opfergleichheit ist folglich erstens die Trennung der oben beschriebenen Schritte und zweitens die differenzierte Betrachtung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters. Was die Höhe des Tagessatzes, ausgehend von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten, angeht, so stellt wie oben beschrieben das täglich zur Verfügung stehende Nettoeinkommen gemäß § 40 II S. 2 StGB den zentralen Anknüpfungspunkt der Bemessung dar. Nicht durchgesetzt hat sich damit die Lösung, wonach die Tagessatzhöhe jeweils nach den zumutbaren Einbußen bestimmt werden soll.141 Ausgehend von den erzielbaren Einkünften, dem verwertbaren Vermögen und dem tatsächlichen Lebenszuschnitt wird hier danach gefragt, welchen Betrag der Täter bei Berücksichtigung seiner Unterhalts- und sonstigen Zahlungsverpflichtungen sowie seiner persönlichen Verhältnisse im Durchschnitt täglich entbehren kann. Dabei verbleibt dem Täter derjenige Betrag, den er als notwendigen Lebensunterhalt benötigt, wobei eine Orientierung an den Freigrenzen für die Pfändbarkeit des Arbeitseinkommens (§§ 850 ff. ZPO) möglich wäre.142 Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich beim Begriff des „Nettoeinkommens“ um einen rein strafrechtlichen Begriff handelt, der keinesfalls identisch mit dem der steuerpflichtigen Einkünfte i. S. d. § 2 I EStG ist. So zählen zum Nettoeinkommen i. S. d. § 40 StGB auch steuerfreie Einnahmen (§ 3 EStG). Andererseits haben nicht alle steuerrechtlich abzugsfähigen Ausgaben (z. B. Freibeträge, Sonderausgabenabzug oder außergewöhnliche Belastung) Einfluss auf die Berechnung des Nettoeinkommens.143 Das Nettoeinkommen berechnet sich demnach aus den Einnahmen des Angeklagten, 139  BGHSt

27, 70, 73. ZstW 88, S. 1049, 1098. 141  So etwa im österreichischen Rechtssystem: vgl. Fabrizy, StGB, § 19 Rn. 3. 142  Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 63; vgl. § 49 II S. 2 AE. 143  Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 65. 140  Grebing,

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C. Die Schätzklauseln im StGB

abzüglich Steuern und Sozialabgaben, sowie vergleichbaren Ausgaben für private Zwecke, Krankenversicherung, Betriebsausgaben und Werbungskosten.144 Die Quelle der Einnahmen, etwa aus nichtselbstständiger Arbeit, Vermietung, Kapitalvermögen oder aber auch grundsätzlich einkommenssteuerfreie Einnahmen aus Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe, ist dabei irrelevant.145 Bei nicht erwerbstätigen Ehegatten sowie Schülern und Studenten bestimmt sich das Nettoeinkommen nach dem tatsächlich gewährten (Bar oder Natural-) Unterhalt. Dies schließt bei Studenten auch staatliche Förderungsleistungen (z. B. BAFÖG) ein.146 Auch ein etwaiger (z. T. saisonaler) Zuverdienst, etwa durch einen Nebenjob, ist durch die Bildung eines Durchschnittswertes zu berücksichtigen.147 Dabei ist der entscheidende Bezugspunkt für die Berechnung der Einkommenssituation der Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Hauptverhandlung.148 Zwar stellt das dem Angeklagten täglich durchschnittlich verfügbare Nettoeinkommen den grundsätzlichen Anknüpfungspunkt der Berechnung dar, jedoch ist das Gericht hierauf keinesfalls festgelegt. So eröffnet § 40 II S. 2 StGB weiter die Einbeziehung des potentiell verfügbaren Einkommens. Hintergrund der Regelung ist, dass der Täter seine finanzielle Leistungsfähigkeit nicht mit Blick auf die zu erwartende Geldstrafe bewusst herabsetzen können darf. Bei Abstellen auf die tatsächliche finanzielle Leistungsfähigkeit würde die Strafwirkung der Geldstrafe (Opfergleichheit) unterlaufen.149 Um zu verhindern, dass sich der Angeklagte der Wirkung einer Geldstrafe entzieht, kann dasjenige Einkommen zu Grunde gelegt werden, das von ihm in zumutbarer Weise erzielbar wäre, sofern er zumutbare Erwerbsmöglichkeiten ohne billigenswerten Grund unterlässt. Individuelle Leistungsfähigkeit sowie tatsächliche Arbeitsmarktsituation sind dabei zu berücksichtigen.150 Diesbezüglich gilt jedoch nach nahezu einhelliger Auffassung, dass dieses potentiell erzielbare Einkommen nur dann zur Grundlage der Tagessatzbemessung gemacht werden darf, wenn ansonsten das von der Geldstrafe erwartete Einwir144  Maurach / Gössel / Zipf; § 59 Rn. 51; Albrecht, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, § 40 Rn. 25. 145  Streng, Sanktionenrecht Rn. 109; Horn, in: SK-StGB, § 40 Rn. 8; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder, § 40 Rn. 9; Fischer, StGB, § 40 Rn. 7. 146  OLG Köln JMBL. NRW 1983, 126; OLG Köln NJW 1976, 636; LG Offenburg NStZ 2006, 40. 147  OLG Frankfurt NJW 1976, 635, 636; OLG Köln NJW 1976, 636; Horn, in: SK-StGB, § 40 Rn. 12; Frank, MDR 1976, 628 f.; Maurach / Gössel / Zipf 1989, § 59 Rn. 54. 148  BGHSt 28, 360 (362). 149  Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 66. 150  BayObLG NstZ S. 88, 499; OLG Düsseldorf NStZ 98, S. 464; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 66; Frank, MDR 1976, S. 626, 627 f.; Maurach / Gössel / Zipf, § 59 Rn. 56.



I. Schätzung des Einkommens zur Bestimmung der Tagessatzhöhe57

kungsziel nicht erreicht würde;151 teilweise wird die Sinnhaftigkeit dieser Regelung unter kriminalpolitischen Gesichtspunkten grundsätzlich in Frage gestellt.152 Es handelt sich hierbei zweifelsfrei um die Einräumung einer Schätzungsbefugnis durch den Gesetzgeber (dazu genauer im Folgenden). Über das Nettoeinkommen als Anknüpfungspunkt hinaus müssen jedoch auch die weiteren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Fest­ legung der konkreten Tagessatzhöhe gemäß § 40 II S. 1 StGB berücksichtigt werden. So müssen etwa Unterhaltsleistungen, die vom Täter Dritten gegenüber erbracht werden, in Bezug auf das Nettoeinkommen schmälernd Berücksichtigung finden. Auch dies ist letztlich Ausfluss des Prinzips der Opfergleichheit, das konsequenterweise gebietet, kinderlose Ledige nicht mit unterhaltspflichtigen Familienvätern und Müttern gleich zu behandeln.153 Dabei verbietet sich jedoch jeder Schematismus,154 entscheidend sind dabei die vom Angeklagten tatsächlich erbrachten geldwerten Unterhaltsleistungen.155 Die Frage, ob und inwieweit sonstige angemessene Zahlungsverpflichtungen des Angeklagten mindernd Berücksichtigung finden müssen, ist in Rechtsprechung und Wissenschaft noch nicht abschließend geklärt, es werden verschiedenste Ansichten und Lösungswege vertreten.156 Problematisch ist insbesondere die Berechnung der Tagessatzhöhe bei Personen ohne eigenes Einkommen. Aus demselben Grund muss auch ein unter Umständen vorhandenes Vermögen in die Berechnung mit einfließen. Schon aus der Orientierung am Nettoeinkommen ergibt sich, dass es grundsätzlich nicht Aufgabe der Geldstrafe ist, vorhandenes Vermögen abzuschöpfen.157 Eine Miteinbeziehung vorhandener Vermögenswerte kann jedoch abermals unter dem Aspekt der unterschiedlichen Strafempfindlichkeit geboten sein.158 So ist es einem vermögenden Angeklagten wesentlich besser möglich, den temporären Entzug seines Nettoeinkommens zu verkraften. Nach der diesbezüglich in der Recht151  BayObLG NstZ S. 88, 499; OLG Düsseldorf NstZ 98, S. 464; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 66; Frank, MDR 1976, S. 626, 627 f.; Maurach / Gössel / Zipf § 59 Rn. 56. 152  Dazu: Krehl, NStZ 1989, S. 463; Radtke, in: MüKo, § 40 Rn. 90. 153  Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 67. 154  Fischer, StGB, § 40 Rn. 21. 155  BayObLG NStZ 1988, 499 m. Anm. Terhort; Krehl, NStZ 1989, S. 463, 464 f. 156  Für die Berücksichtigung bei der Frage der Zahlungserleichterungen Horn, in: SK-StGB § 40 Rn. 7; im Ergebnis auch: Streng, Sanktionenrecht, Rn. 115; für die Berücksichtigung zur Verhinderung unbilliger Härten Lackner / Kühl, § 40 Rn. 7. 157  Krehl, NStZ 1988, S. 62. 158  Streng, Sanktionenrecht, Rd. 110.

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C. Die Schätzklauseln im StGB

sprechung geltenden Leitlinie ist die Einbeziehung des Vermögens geboten, um erhebliche Verstöße gegen das Prinzip der Opfergleichheit zu vermeiden, weswegen kleine und mittlere Vermögen grundsätzlich unberücksichtigt bleiben.159 In entsprechenden Fällen kann die Tagessatzhöhe über der jeweiligen Obergrenze des Nettoeinkommens angesetzt werden.160 Teilweise wird eine Abweichung von dem oben erläuterten System der Zweistufigkeit für bestimmte Fälle diskutiert. Dabei geht es um Fälle, bei denen aus dem Zusammenspiel einer großen Tagessatzzahl und gleichzeitiger voller Ausschöpfung der Tagessatzhöhe das Entstehen einer entsozialisierenden Wirkung der Geldstrafe befürchtet wird. In diesem Zusammenhang wird – wohl zutreffend – auf die dem Tagessatzsystem (d. h. verglichen mit dem Einbußeprinzip) im Zusammenhang mit dem Nettoeinkommensprinzip innewohnende Rigorosität hingewiesen. Die Wirkung der Geldstrafe steige danach bei hoher Zahl von Tagessätzen nicht arithmetisch, sondern progressiv.161 Sofern der Angeklagte hier also z. B. nicht auf ein entsprechendes Vermögen zurückgreifen kann, wird eine Minderung der Tagessatzhöhe um 10–30 % zur Wahrung der Grundsätze des § 46 I S. 2 StGB für gerechtfertigt erachtet.162 Dafür wird insbesondere auch der Wortlaut des § 40 StGB ins Feld geführt. So gehe dieser zwar vom Nettoeinkommen als Anknüpfungspunkt der Bemessung aus, verpflichte jedoch keinesfalls dazu, dem Angeklagten sein ganzes Nettoeinkommen zu entziehen. Spezialpräventive Abweichungen sind danach zulässig, bedürfen jedoch einer entsprechenden Begründung.163 Dem wird – wohl zu Recht – entgegenhalten, der progressive Rigorismus hoher Strafen sei keine Eigentümlichkeit der Geldstrafe. Dies gelte für die Freiheitsstrafe genauso, wenn nicht sogar in besonderem Maße. Die vermeintliche Notwendigkeit dieser Manipulation der Tagessatzhöhe beruhe auch auf einem verfehlten Verständnis der Ersatzfreiheitsstrafe, die hiernach nur als Druckmittel zur Sicherstellung der Bezahlung der Geldstrafe dient. Der von vornherein völlig zahlungsunfähige Angeklagte komme nicht in den Genuss einer solchen Herabsetzung der Tagessatzhöhe, ihm wird mit der Ersatzfreiheitsstrafe ein ungleich höheres Strafübel zugemutet. Dies alles beruhe auf einer ungerechtfertigten Überhöhung materieller Gesichtspunkte im Vergleich zur Freiheitsstrafe.164 Vogler verortet die Frage einer zu be159  BayObLG,

NJW 1987, 2029; OLG Köln, StV 2001, 347. Sanktionenrecht, Rn. 110; Maurach / Gössel / Zipf, 1989, § 59 Rn. 49; Jescheck / Weigend, Lehrbuch, § 73 II 3d. 161  Tröndle, in: LK § 40 Rn. 21. 162  BGHSt 26, 325 ff., OLG Stuttgart, NJW 1995, 67 f.; Horn, JR 1977, S. 95 96 ff.; Streng, Sanktionenrecht, Rn. 113; Maurach / Gössel / Zipf, § 59 Rn. 38. 163  BGH NStZ 1989, 178; Horn, in: SK-StGB § 40 Rn. 6. 164  Vogler, JR 1978, S. 354. 160  Streng,



I. Schätzung des Einkommens zur Bestimmung der Tagessatzhöhe59

fürchtenden entsozialisierenden Wirkung der Freiheitsstrafe hingegen im Einklang mit dem in § 40 StGB normierten Tagessatzsystem im ersten Schritt, also bei der Festsetzung der Tagessatzhöhe. Denn da es sich bei der Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB um ein Surrogat der Geldstrafe als echter Kriminalstrafe (und keinesfalls um eine Form der Erzwingungshaft) handle, haben deren mögliche Vollstreckung und die entsprechenden spezialpräventiven Erwägungen i. S.d § 46 I S. 2 StGB bereits bei der Festlegung der Tagessatzanzahl Berücksichtigung zu finden.165 In diesem Zusammenhang wird auch die großzügige Einräumung von Ratenzahlung nach § 42 StGB diskutiert.166 3. Schätzungen nach § 40 III StGB Nach § 40 III StGB ist dem Richter gestattet, die Feststellung der finanziellen Verhältnisse des Angeklagten, die die Grundlage für eine Entscheidung über Höhe und Anzahl der Tagessätze darstellen, per Schätzung vorzunehmen. Dabei nennt das Gesetz jedoch keinerlei Voraussetzungen dafür, wann und wie eine solche Schätzung vorzunehmen ist. Denkbar wäre die Vornahme einer Schätzung aus prozessökonomischen Gründen, sowie wegen Beweisschwierigkeiten. Auch kann die Notwendigkeit einer Schätzung daraus resultieren, dass die Tagessatzbemessung auf Faktoren beruht, die sich einer Bewertung grundsätzlich entziehen. Um die grundsätzlichen Voraussetzungen einer Schätzung des Einkommens nach § 40 III StGB zu bestimmen, bedarf es einer an der jeweiligen Motivation ausgerichteten Differenzierung. a) Schätzung immensurabler Faktoren Teilweise können sich einzelne Faktoren, die in die Bemessung des jeweiligen Tagessatzes einfließen sollen, einer exakten wertmäßigen Berechnung grundsätzlich entziehen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der Berechnung des Tagessatzes nach § 40 III S. 2 StGB dasjenige (fiktive) Nettoeinkommen zugrunde gelegt werden soll, das dem Täter potentiell zur Verfügung stehen könnte. Die Einbeziehung des potentiellen Einkommens rechtfertigt sich damit, dass der Täter keinen Vorteil daraus ziehen soll, sein Einkommen bewusst niedrig zu halten und seine Arbeitskraft brach liegen zu lassen.167

165  Vogler,

JR 1978, S. 355; so auch Heghmanns, NStZ 1994, 521 ff. Sanktionenrecht, Rn. 113. 167  Hellmann, GA 1997, S. 508. 166  Streng,

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C. Die Schätzklauseln im StGB

Zum anderen kann dies bei Einkommen der Fall sein, die nicht als Lohn, Gehalt oder sonstige Vergütung erzielt werden wie z. B. bei nicht berufstätigen Hausfrauen. In beiden Fällen ist die Schätzung für den Richter unabdingbar, da es sich jeweils um Tatsachen handelt, die einem vollen Beweis grundsätzlich nicht zugänglich sind, deren Berücksichtigung bei der Bemessung des Tagessatzes jedoch vom StGB ausdrücklich vorgeschrieben ist. b) Schätzungen von theoretisch feststellbaren Faktoren, deren exakte Feststellung jedoch praktisch unmöglich ist Eine weitere Fallkonstellation, in der die Feststellung des Einkommens einer Schätzung bedarf, besteht im Fall von Beweisschwierigkeiten. Damit ist eine Konstellation gemeint, in der entsprechende Umstände zwar grundsätzlich dem Beweis zugänglich sind, jedoch einzelne oder alle Grundlagen für die Bemessung des Tagessatzes infolge von Beweisschwierigkeiten nicht oder nicht exakt ermittelt werden können. Dies kann z. B. diejenigen Fälle betreffen, in denen die Einholung von Auskünften bei den Finanzbehörden am Steuergeheimnis gemäß § 30 AO scheitert.168 Dabei sah der Gesetzgeber des 2. StRG den Fall der Beweisschwierigkeiten grundsätzlich sogar als einzigen Anwendungsfall der Vorschrift. Eine Schätzung sollte danach nur als Ultima Ratio möglich sein, und zwar für den Fall, dass entsprechende Beweiserhebungen nicht möglich sind. Im zweiten Bericht des Sonderausschusses heißt es diesbezüglich, der Richter solle „die ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel voll ausschöpfen und die Bemessungsgrundlagen nur insoweit schätzen, als solche Beweismittel fehlten.“169 Dies wird von der h. M. offensichtlich anders gesehen (dazu unten). In der vorliegenden Konstellation ist jedoch zu beachten, dass die Aufklärung der Vermögensverhältnisse des Angeklagten in den allermeisten Fällen zumindest theoretisch möglich sein wird. So dürfen, falls es erforderlich ist, Privatund Geschäftsräume des Angeklagten durchsucht und Beweismittel wie z. B. Kontoauszüge, Sparbücher, Depotaufstellungen, Selbstauskünfte für Kredite, Grundbuchauszüge, Steuerbescheide usw. beschlagnahmt werden.170 Vor diesem Hintergrund wird klar, dass es sich bei der hier beschriebenen Fallgestaltung, in der einer gänzlichen Aufklärung der Vermögensverhältnisse des Angeklagten unüberwindbare Beweisschwierigkeiten entgegenstehen, um Ausnahmekonstellationen handelt. Dies ist besonders bei rechtswidrig erzieltem Einkommen der Fall, da hier entsprechende Beweisschwierigkeiten beetwa: Wieczorek, wistra 87, S. 173; Köpp, DriZ 1984, S. 315. V / 4095. 170  BVerfG, NJW 1995, 385; Hellmann, GA 1997, S. 510. 168  Dazu

169  BT-Drs.



I. Schätzung des Einkommens zur Bestimmung der Tagessatzhöhe61

stehen können. Ausgehend vom § 40 StGB zugrunde liegenden Prinzip der Opfergleichheit, wonach sowohl dem wohlhabenden, als auch dem weniger wohlhabenden Angeklagten bei ansonsten gleichen Umständen dasselbe Vermögensopfer abverlangt werden soll, erweist sich die Schätzung in diesen Fallkonstellationen sogar als erforderlich. Denn Opfergleichheit wäre kaum realisierbar, wenn bei unaufklärbaren Bemessungsgrundlagen stets insofern zu Gunsten des Angeklagten entschieden würde, als dass pauschal die geringstmöglichen Einkommensverhältnisse als Grundlage der Berechnung herangezogen würden. Denn dies würde im Gegensatz zum Prinzip der Opfergleichheit eine Benachteiligung derjenigen Angeklagten nach sich ziehen, die ihre Vermögensverhältnisse offen legten bzw. in Bezug auf die keine Beweisschwierigkeiten bestünden. Das Strafübel des Konsumverzichtes kann auch auf das Individuum nur dann entsprechend wirken, wenn die Geldstrafe ausreichend (hoch) bemessen ist. Auch die Unterschreitung des tatsächlichen Einkommens des Angeklagten, etwa beruhend auf der bloßen Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ in Fällen von Beweisschwierigkeiten, würde das Prinzip der Opfergleichheit verletzen. Da sich die Schätzbefugnis des Richters in § 40 III StGB allerdings nur auf die Höhe der Einkünfte erstreckt, bedarf es als Grundlage jedoch stets der richterlichen Überzeugung, dass dem Angeklagten überhaupt aus einer bestimmten Quelle Einkünfte zugeflossen sind.171 c) Prozessökonomisch motivierte Schätzungen Die praktisch weitaus bedeutendste Fallgestaltung betrifft Schätzungen aus prozessökonomischen Gründen. So kann die exakte Feststellung der Vermögensverhältnisse des Angeklagten einen nicht unerheblichen Ermittlungsaufwand erfordern. Dabei wird die Einräumung der Schätzungsbefugnis in § 40 III StGB von der h. M. als Möglichkeit verstanden, den jeweils erforderlichen Aufklärungsaufwand auf ein dem Gewicht des Unrechts- und Schuldgehalts in der Strafsache angemessenen Umfang zu begrenzen und von den Grundsätzen der §§ 261, 244 und 245 StPO insofern abzuweichen.172 Intention des § 40 III StGB soll danach „eindeutig die Stärkung der Verfahrensökonomie“ sein.173 171  OLG Celle, NJW 1984, 185, 186; Hellmann, GA 1997, S. 510; Krehl, NStZ 1993, S. 336, 337; Häger, in: LK, § 40 Rn. 70; Schäfer / Sander / Van Gemmeren, Strafzumessung, Rn.  101 f.; Grebing, ZStW 88, S. 1049. 172  OLG Celle, NJW 1984, 185 (186); OLG Koblenz, VRS 65, 355; Radtke, in: MüKo, § 40 Rn. 103; Grebing, ZStW 88, S. 1049; Fischer, StGB, § 40 Rn. 18; Häger, in: LK Rn. 70; Streng, Sanktionenrecht, Rn. 116; Horn / Wolters, in: SK-StGB, § 40 Rn. 15; Stree, JR 1983, S. 205; Grebing, ZStW 1978, S. 1049, 1099; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder § 40 Rn. 20. 173  Radtke, in: MüKo, § 40 Rn. 20.

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C. Die Schätzklauseln im StGB

Dementsprechend soll eine Schätzung nicht nur möglich sein, wenn der Angeklagte keine, nur unvollständige oder unglaubwürdige Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen macht, sondern auch, wenn die Ausschöpfung entsprechender Beweismittel, gemessen an der Höhe der zu erwartenden Geldstrafe, einen unverhältnismäßig hohen Aufwand bedeuten würde. In diesen Fällen sollen eingehende Nachforschungen bei einer zu erwartenden Geldstrafe von unter 60 Tagessätzen grundsätzlich entbehrlich sein.174 Letzteres gilt jedoch auch nach h. M. dann nicht, wenn sich die Einkommensverhältnisse ohne wesentlichen Aufwand feststellen lassen.175 Diesbezüglich wird vor allem argumentiert, dass umfangreiche Beweiserhebungen angesichts des Bagatellcharakters der zu beurteilenden Delikte unverhältnismäßig seien.176 Neben den verfahrensökonomischen Aspekten wird diesbezüglich auch auf die unverhältnismäßige Ausforschung des Privatlebens des Angeklagten und eine befürchtete Stigmatisierung hingewiesen, eine solche könne durch Schätzungen verhindert werden.177 Damit verbunden ist die Frage, ob mit der Begrenzung der Amtsaufklärungspflicht auch eine Erweiterung der Ablehnungsmöglichkeiten für Beweisanträge einhergeht. Gemeint sind Beweisanträge, die auf die Bemessungsgrundlagen der Tagessatzhöhe gerichtet sind. Dies wird unterschiedlich beurteilt; teilweise wird argumentiert, die von § 40 III StGB eindeutig intendierte Stärkung der Verfahrensökonomie sowie der Umstand, dass der Angeklagte über die erforderlichen Informationen in der Hauptverhandlung regelmäßig verfügen könne, sprächen dafür, dass Beweisanträge – außer in den Fällen des § 244 III bis V StPO – auch dann abgelehnt werden können, wenn sie auf die Erhebung in der Hauptverhandlung abwesender Beweismittel abzielen. Dies gelte für alle Verfahrensbeteiligten.178 Andere sprechen sich dafür aus, Beweisanträge auch außerhalb des Anwendungsbereiches des § 244 StPO ablehnen zu können, wenn sie sich nicht nur auf die Ermittlung von Anhaltspunkten beschränken, die nach der Lebenserfahrung eine hinreichend sichere Schätzung der Bemessungsgrundlagen erlauben und das Gericht den damit verbundenen Aufwand für unangemessen hält.179 174  Fischer, StGB, § 40 Rn. 26; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder, § 40 Rn. 20; Häger, in: LK, § 40 Rn. 70. 175  Radke, in: MüKo, § 40 Rn. 104. 176  Grebing, ZstW 88, S. 1049, 1099; Horstkotte, 13. Deutscher Verkehsgerichtstag; S. 81; Scheffler / Matthies, in: AnwKom-StPO § 40 Rn. 56. 177  Streng, Sanktionenrecht, Rn. 116; Meier, Sanktionenrecht, S. 69; Stree, JR 1983, S. 205; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder, § 40 Rn. 19; Albrecht, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, § 40 Rn. 47. 178  Radtke, in: MüKo, § 40 Rn. 105; Häger, in: LK, § 40 Rn. 71; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder, § 40 Rn. 20. 179  Hofmann, StraFo 2003, S. 70, 76.



I. Schätzung des Einkommens zur Bestimmung der Tagessatzhöhe63

Wieder andere halten die §§ 244 III, IV, 245 II StPO für uneingeschränkt gültig.180 Darüber hinaus wird behauptet, die Schätzungsbefugnis verfolge den strategischen Zweck, den Angeklagten dazu zu bewegen, überhaupt Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen zu machen bzw. unglaubwürdige Angaben zu korrigieren, um der Gefahr einer ungünstigen Schätzung zu entgehen. Gerade bei Selbstständigen und Angehörigen freier Berufe würden Angaben häufig verweigert. Hier entfalte der strategische Zweck des § 40 III StGB im dialektischen Rahmen des Strafprozesses erst seine volle Wirkung.181 Unter anderem durch bewusste Überschätzung soll der Angeklagte zu Angaben veranlasst werden.182 Die Zulässigkeit einer bewussten Überschätzung der Leistungsfähigkeit wird jedoch nach verbreiteter Auffassung als unzulässig angesehen.183 In der Literatur wird dem vereinzelt entgegengehalten, eine solche Interpretation der Regelung des § 40 III StGB ignoriere die Vorstellung des Sonderausschusses, auf dessen Vorschlag hin die entsprechende Regelung in das StGB eingefügt wurde. Danach solle der Richter „die ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel voll ausschöpfen und die Bemessungsgrundlagen nur insoweit schätzen, als solche Beweismittel fehlen.“184 Die Notwendigkeit solcher prozessökonomisch motivierten Schätzungen beruhe schon grundsätzlich auf einer starken Überzeichnung der mit der Beweiserhebung verbundenen Belastung im Einzelfall. Weiter wird ganz grundsätzlich in Frage gestellt, ob prozessökonomische Erwägungen das Unterlassen der gebotenen Aufklärung bei der Verhängung von Strafen rechtfertigen können. Dass dies die absolute Ausnahme darstelle, ergäbe sich schon aus §§ 420 IV, 411 II S. 2 StPO. Danach sei eine solche Abweichung eben nur im beschleunigten Verfahren und im Verfahren nach Einspruch gegen einen Strafbefehl vorgesehen.185 Eine Schätzung soll danach nur als Ultima Ratio zulässig sein.186 Außerdem wird der Behauptung, § 40 III StGB ermächtige den Richter zur Schätzung bei fehlenden oder unzuverlässigen Angaben des Angeklagten, 180  Krehl, Tagessatzhöhe, S. 267; Fischer, StGB § 40 Rn. 19; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder, § 40 Rn. 21; Maurach / Zipf, § 59 III Rn. 77; Albrecht, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, Rn. 48. 181  Häger, in: LK, § 40 Rn. 72; Meyer, MDR 1975, 191; Grebing, ZStW 88, S. 1049, 1101; Horstkotte, 13. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 89. 182  Grebing, ZStW 88, S. 1049, 1101; Horstkotte, 13. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 89. 183  Häger, in: LK, § 40 Rn. 72; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder, § 40 Rn. 20. 184  Köpp, DriZ 1984, S. 315; Hellmann, GA 1997, S. 509; BT-Drs. V / 4095, S. 21. 185  Hellmann, GA 1997, S. 514. 186  Hellmann, GA, 1997, S. 515; im Ergebnis wohl auch: Maurach / Gössel / Zipf, § 59 III Rn. 77.

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C. Die Schätzklauseln im StGB

entgegengehalten, dies sei nur schlüssig, wenn eine Verpflichtung des Angeklagten bestünde, seine Einkommensverhältnisse offen zu legen. Da es sich um strafzumessungsrelevante Tatsachen handle, liege die Beweislast hier beim Richter.187 4. Schätzverfahren und Darstellung im Urteil Das Gericht hat die zur Schätzung benötigten tatsächlichen Grundlagen konkret und zu seiner Überzeugung festzustellen.188 Diesbezüglich sollen im Falle von Angestelltenverhältnissen die Angaben zum Beruf, Familienstand und der Zahl unterhaltsberechtigter Kinder insoweit genügen, als dass auf dieser Grundlage die von den statistischen Landesämtern herausgegebenen Einkommenstabellen als entsprechende Schätzgrundlagen herangezogen werden können.189 Anders ist es bei selbstständig tätigen Angeklagten. Hier erscheint es ungleich schwieriger, tragfähige Schätzgrundlagen zu statuieren, denn das Gericht muss, z. B. bei Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit, regelmäßig die Art der Tätigkeit feststellen, um davon ausgehend auf Grund von Erfahrungswerten, auf die Höhe des Einkommens zu schließen. Als entscheidende Indizien werden jedoch vor allem der sich offenbarende Lebensstandard des Angeklagten sowie der Aufwand, den er für seine Verteidigung betreibt, herangezogen.190 Wohnsituation, Kfz-Typ, die Beauftragung eines teuren Verteidigers, sogar die Kleidung des Angeklagten soll diesbezüglich herangezogen werden.191 Zur Schätzung der Einkünfte eines Studierenden kann auf die Bedarfsregelsätze nach § 13 BAföG zurückgegriffen werden.192 Dabei müssen die tatsächlichen Grundlagen der Schätzung – mit den in der Hauptverhandlung zulässigen Beweismitteln – festgestellt sein und unterliegen der revisionsgerichtlichen Kontrolle.193 Dem entsprechend gilt für die tatsächlichen Grundlagen der Schätzung nach h. M.194 der Grundsatz „in du187  Hellmann,

GA 1997, S. 513; im Ergebnis auch: Radtke, in: MüKo, § 40 Rn. 12. Celle, JR 1983, 205; OLG Hamm, NJW 1978, 230; OLG Koblenz VRS 65, 355; Radtke, in: MüKo § 40 Rn. 106. 189  Albrecht, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, § 40 Rn. 49. 190  OLG Celle, JR 1983, S. 203. 191  Lackner / Kühl, § 40 Rn. 15; Scheffler / Matthies, in: AnwKom-StPO §  40 Rn. 59; Albrecht, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, § 40 Rn. 49. 192  LG Offenburg, NStZ 06, S. 40. 193  OLG Frankfurt, StV 1984, 157; OLG Düsseldorf, VRS 89, 32. 194  BGH NStZ 1989, S. 361; Ising, Die Feststellung des Nettoeinkommens, S. 122; Krehl, Tagessatzhöhe, S.  239 m. w. N.; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 78; Saliger, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, § 73b Rn. 2; Horn / Wolters, in: SK-StGB; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder, § 40 Rn. 20; Häger, in: LK, § 40 Rn. 61; Tröndle, JR 1977, 250, 251. 188  OLG



I. Schätzung des Einkommens zur Bestimmung der Tagessatzhöhe65

bio pro reo“, nicht hingegen für das auf korrekt festgestellten Schätzungsgrundlagen beruhende Schätzergebnis.195 Die festgestellten Schätzgrundlagen sind in der Hauptverhandlung zu erörtern. Dadurch soll zum einen dem Gebot des rechtlichen Gehörs genüge getan werden und zum anderen die Entschließungsfreiheit des Angeklagten insofern gesichert werden, als dass es ihm so freigestellt werden soll, seine Vermögensverhältnisse offen zu legen oder die Schätzgrundlagen bzw. das Schätzergebnis des Gerichtes zu akzeptieren.196 Die Gerichte sollen jedoch auch nach dem Mündlichkeitsprinzip nicht verpflichtet sein, das Ergebnis der Schätzungen vor Urteilsverkündung offen zu legen.197 Der Schätzvorgang und das darauf beruhende Ergebnis als solches liegen danach im pflichtgemäßen Ermessen des Richters und sind durch das Revisionsgericht nur in Bezug auf die grundsätzliche Vertretbarkeit des Ergebnisses überprüfbar.198 In Bezug auf die Darstellung des gesamten Schätzvorganges im Urteil gilt folgendes: Die festgestellten tatsächlichen Grundlagen der Schätzung sind nach ganz h. M. so im Urteil darzustellen, dass das Revisionsgericht deren Tragfähigkeit nachprüfen kann.199 Uneinigkeit besteht hingegen darüber, ob auch das Vorliegen der Voraussetzung einer Schätzung der Darstellung im Urteil bedarf. Die Notwendigkeit einer solchen Darstellung wird teilweise mit dem Argument bejaht, der Doppelcharakter des § 40 III StGB, der auch eine sachlich-rechtliche Komponente beinhalte, erfordere Ausführungen des Tatgerichtes zum Vorliegen der Voraussetzungen im Urteil.200 Häger hingegen verneint dies. Danach soll diese Frage lediglich auf die Aufklärungsrüge hin überprüfbar sein.201

NStZ 1989, 361 = wistra 1989, 223; Tröndle, JR 1977, 251. StGB, Rn. 26a; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder, § 40, Rn. 21; Häger, in: LK Rn. 73. 197  Horn, in: SK-StGB, § 40 Rn. 15; Radke, in: MüKo; § 40 Rn. 107. 198  BGHSt 27, 228, 230. 199  OLG Frankfurt, StV 1984, 157; OLG Koblenz, VRS 65, 355; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder, § 40 Rn. 21a; Fischer, StGB § 40 Rn. 26a. 200  Radtke, in: MüKo, § 40 Rn. 108; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder, § 40 Rn. 21a. 201  Häger, in: LK, § 40 Rn. 74. 195  BGH

196  Fischer,

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C. Die Schätzklauseln im StGB

5. Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der StPO a) Grundsatz der richterlichen Überzeugung und Amtsaufklärungspflicht nach §§ 261, 244 II StPO aa) Immensurable Faktoren und unüberwindbare Beweisschwierigkeiten Was das Ergebnis der Schätzung angeht, welches sich seiner Natur nach als Wahrscheinlichkeitsangabe darstellt, so lassen sich grundsätzliche Friktio­ nen mit dem Prinzip der richterlichen Überzeugung aus § 261 StPO vermuten. In Bezug auf die Schätzung immensurabler Faktoren hingegen negiert Hellmann das Bestehen entsprechender Reibungen im Hinblick auf die Beschaffenheit des zu schätzenden Faktors.202 Der Grundsatz der richterlichen Überzeugung bliebe schon auf Grund der Immensurabilität des entsprechenden Faktors unberührt, denn der Richter könne „den entsprechenden Wert nur schätzen“. Dieser Gedankengang erscheint im Ergebnis plausibel, die dafür gelieferte Begründung hingegen ist nach der hier vertretenen Auffassung in dieser Form jedoch ungenügend. Auch erscheint sie in diesem Zusammenhang unnötig. Mit § 40 III StGB besteht eine klare gesetzgeberischen Willensäußerung des Gesetzgebers dahingehend, dass eine Modifikation des § 261 StPO vorgenommen werden soll. Danach soll die Überzeugung von der wahrscheinlichen Übereinstimmung des im Wege der Schätzung ermittelten Wertes mit der Wirklichkeit ausreichen.203 Die tiefschürfende Problemdarstellung in Bezug auf das Verhältnis zwischen Schätzergebnis und richterlicher Überzeugung erübrigt sich deshalb an dieser Stelle – es wird insofern auf das dritte Kapitel der vorliegenden Arbeit und die eingehende Analyse der richterlichen Praxis der Schätzung der Schuldhöhe verwiesen. Gleiches gilt in Bezug auf die zweite hier dargestellte Kategorie. Der Gesetzgeber hatte die Schätzung gerade als Mittel zur Wahrung der Opfergleichheit für Fälle unüberwindbarer Beweisschwierigkeiten vorgesehen.204 Vor diesem Hintergrund wird die Schätzungsbefugnis und die damit einhergehende Modifikation des § 261 StPO als Ultima Ratio für gerechtfertigt erachtet.205 Eine Modifikation des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 244 II StPO findet in diesem Zusammenhang also gerade nicht statt. Im Gegenteil dient die Schätzung in beiden Fallkonstellationen der weitest möglichen Aufklärung.

202  Hellmann,

GA 1997, S. 503, 507. auch: Zopfs, in dubio pro reo, S. 292. 204  BT-Drs. V / 4095. 205  Meier, Sanktionenrecht, S. 68; Hellmann, GA 1997, S. 509. 203  So



I. Schätzung des Einkommens zur Bestimmung der Tagessatzhöhe67

bb) Prozessökonomisch motivierte Schätzung Grundsätzliche Friktionen mit dem Prinzip der richterlichen Überzeugung bestehen selbstverständlich auch im Zusammenhang mit den prozessökonomisch motivierten Schätzungen. Fraglich ist indes, ob die mit § 40 III StGB angeordnete Schätzungsmöglichkeit auch für den Fall prozessökonomisch motivierter Schätzungen gilt und somit nicht nur § 261 StPO, sondern auch die Amtsaufklärungspflicht nach § 244 II StPO betrifft. Wie bereits oben angedeutet, wendet die wohl h. M. den § 40 III StGB auch in dieser Fallgestaltung an und betrachtet ihn somit als Mittel zur Vermeidung eines unverhältnismäßigen Aufwandes. Prozessökonomisch motivierte Schätzungen stehen bei der praktischen Anwendung des § 40 III StGB sogar im Vordergrund.206 Bezüglich der Frage der Rechtfertigung einer solchen rein prozessökonomisch motivierten Schätzung gilt es zunächst festzuhalten, dass der insoweit sehr offene Wortlaut des § 40 III StGB weder für, noch gegen die h. M. ins Feld geführt werden kann. Neben den bereits in der Literatur gegen eine solche Handhabung der Schätzungsbefugnis hervorgebrachten Argumenten sprechen insbesondere historisch systematische Gesichtspunkte dagegen. Zum einen erweist sich das Hauptargument der Befürworter, wonach der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Schätzung der Bemessungsgrundlagen in Bagatellfällen gebiete, bei näherem Hinsehen als zirkelschlüssig. Systematisch lässt sich zunächst einwenden, dass der Anwendungsbereich der Geldstrafe am unteren Ende der Unrechtsschwereskala durch die Einstellungsmöglichkeiten nach §§ 153; 153a StPO begrenzt wird. Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich schon bezweifeln, ob die Geldstrafe das gesetzlich vorgesehene Institut zur Aburteilung von „Bagatellunrecht“ ist. Der Gesetzgeber hat im Vergleich zur Rechtslage vor dem 2. StrRG eine Regelung geschaffen, die in vielerlei Hinsicht komplizierter ist als das vorher bestehende System der Geldstrafenbemessung. Vorrangiges Ziel war dabei die Schaffung von Opfergleichheit. Hält man sich vor Augen, dass der wesentliche Anwendungsbereich der Geldstrafe in der Aburteilung von Taten des unteren ­Unrechtsspektrums liegt, so erscheint es widersinnig, vom Leitgedanken des Tagessatzsystems gerade in sogenannten Bagatellfällen abzuweichen. Soweit mit der bei diesen Bagatellen unverhältnismäßigen Ausforschung des Privatlebens und einer befürchteten Stigmatisierung des Angeklagten durch Beweiserhebungen in Bezug auf seine finanziellen Verhältnisse argumentiert wird, scheint dies auf den ersten Blick ein grundsätzlich nachvollziehbares Anliegen darzustellen, auch wenn hier schon fraglich ist, ob und 206  Hellmann,

GA 1997, S. 503, 511.

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C. Die Schätzklauseln im StGB

wie sich dieser Stigmatisierungsgedanke in die strafprozessuale Dogmatik einreiht. Man stelle sich etwa vor, eine Durchsuchung nach § 102 StPO würde unterlassen, um die Nachbarn des Verdächtigten nicht zu verschrecken. Ausgehend von der dem § 40 III StGB zu Grunde liegenden gesetzgeberischen Intention der Erreichung von (Opfer-) Gleichheit, stellt sich diese Argumentation jedoch als verfehlt dar. So ist auch innerhalb des Anwendungsbereiches der Geldstrafe zunächst keineswegs klar, wo und wie die Grenze zwischen Bagatellen und den eine Ausforschung des Privatlebens des Angeklagten rechtfertigenden Nicht-Bagatellen zu ziehen ist. Auch vor diesem Hintergrund würde die konsequente Umsetzung dieses Argumentes entgegen der klaren gesetzgeberischen Intention zu einer Vertiefung der Ungleichheit führen, da bestimmte Angeklagte eine Ausforschung ihres Privatlebens dulden müssten, andere hingegen nicht. Knüpft man mit der h. M. die Zulässigkeit prozessökonomisch motivierter Schätzungen an das Verhältnis von Tatschwere und Ermittlungsaufwand, so ergibt sich die logische Konsequenz, dass etwa wohlhabende Angeklagte, deren finanzielle Situation sich als unübersichtlich darstellt (weil von einer Vielzahl verschiedenster Einnahmequellen und Vermögenspositionen bestimmt), einer wesentlich geringeren Gefahr der Ausforschung ihres Privatlebens ausgesetzt sind als etwa Angestellte oder Bezieher staatlicher Leistungen. Dass dies in krassem Gegensatz zur Ratio des § 40 StGB steht, ist unmittelbar einsichtig. Betrachtet man weiter die Entstehung des § 40 III StGB im Wege des 2. StrRG, so ist erneut darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber offensichtlich eine Steigerung der Genauigkeit bei der Bemessung der individuellen Leistungsfähigkeit – zur Erreichung eines höheren Maßes an relativer Gerechtigkeit – intendiert hat. Die obigen Ausführungen zu den verschiedenen Berechnungs- und Bemessungsgrundlagen der Geldstrafe zeigen, dass eine enorme Verkomplizierung zu Gunsten des übergeordneten Zieles (der Erreichung von Opfergleichheit) durch möglichst genaue Ermittlung der jeweils individuellen Tagessatzhöhe in Kauf genommen worden ist. Dies wird selbst von Befürwortern der prozessökonomisch motivierten Schätzung wie Häger eingeräumt, der in der Steigerung der Komplexität den zu zahlenden Preis für die Erreichung eines entsprechend höheren Maßes an Opfergleichheit sieht.207 Betrachtet man also § 40 III StGB im Kontext des Tagessatzsystems, wird klar, dass die Einführung dieser Norm schwerlich mit Gründen der Verfahrenserleichterung in Verbindung gebracht werden kann. Eine Gesamtschau der historischen Motivation zur Einführung des Tagessatzsystems sowie seiner Systematik spricht eher für den gegenteiligen Befund. Das wird nicht zuletzt auch durch die Tatsache gestützt, dass der Gesetzgeber sich in § 40 StGB ausdrücklich für das Nettoeinkommensprinzip und damit gegen 207  Häger,

in: LK StGB, Vor 40 Rn. 11.



I. Schätzung des Einkommens zur Bestimmung der Tagessatzhöhe69

das Einbußeprinzip entschieden hat. Letzteres ist grundsätzlich weniger an der Gleichbehandlung der jeweiligen Angeklagten im Verhältnis zueinander als vielmehr an der Schaffung einer für jeden Angeklagten individuell tragbaren Einzellösung orientiert. So lassen sich die Parameter dessen, was der Angeklagte täglich zum Bestreiten seines Lebensunterhaltes benötigt, wesentlich besser objektivieren und demnach auch einer Schätzung zuführen. Auch diese bewusste Entscheidung des Gesetzgebers spricht dafür, dass die Schätzungsbefugnis aus § 40 III StGB lediglich als Ultima Ratio intendiert ist. Bedenken hinsichtlich einer prozessökonomisch motivierten Schätzung ließe sich zwar entgegnen, dem Angeklagten stünde es jederzeit frei, Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen zu machen, um so die Gefahr einer für ihn ungünstigen Schätzung abzuwenden. Dies greift jedoch insofern zu kurz, als der Grundsatz der Opfergleichheit auch bei Unterschätzung des jeweiligen Einkommens verletzt wird, und zwar im Verhältnis zu denjenigen Angeklagten, deren Einkommen sich problemlos ermitteln lässt. Opfergleichheit bedeutet in diesem Sinne nichts Anderes als relative Gerechtigkeit. Auch zeigt schon ein genauerer Blick auf die Praxis, dass die Rechtsprechung es mit der Feststellung der entsprechenden – individuellen – Hilfstatsachen als Schätzgrundlagen eben nicht gerade genau nimmt. So sollen als Grundlage der Schätzung des Einkommens eines Studenten die BAFÖG-Sätze gelten. Dieses Beispiel zeigt, dass ein Schätzergebnis, beruhend auf entsprechenden Grundlagen, im Einzelfall richtig sein kann, jedoch auf keinen Fall sein muss – was hier für Abweichungen sowohl nach oben, als auch nach unten gelten kann. Gleiches gilt, wenn Beruf, Größe und Lage der Wohnung, Automodell sowie Kleidung oder die Beauftragung eines teuren Verteidigers he­ rangezogen werden; dass dies im Einzelfall keine ausreichende Grundlage für die Einschränkung der möglichen Einkommensvarianz und damit eine realistische Beurteilung der individuellen Vermögensverhältnisse des Angeklagten darstellen kann, wird sogar von manchen Exponenten in der Literatur zugegeben, die eine prozessökonomisch motivierte Schätzung für grundsätzlich zulässig halten.208 Bei allem Verständnis für die in der Praxis bestehenden Notwendigkeiten der Prozessökonomie und Beschleunigung kann weder aus systematischer, noch aus teleologischer Sicht davon gesprochen werden, dem § 40 III StGB läge der Zweck der Verfahrensvereinfachung zu Grunde. Gleiches gilt für Aspekte des Täterschutzes, die als Argument eher konstruiert und vorgeschoben erscheinen. Eine Modifikation der Grundsätze aus § 244 II StPO (und somit auch des § 261 StPO für prozessökonomisch motivierte Schätzungen), mithin also die völlige Auflockerung der vom Gesetzgeber intendierten Sub208  So

etwa: Albrecht, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, § 40 Rn. 50.

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C. Die Schätzklauseln im StGB

sidiarität der Schätzung, ist von § 40 III StGB also nicht gedeckt. Dies gilt auch für eine Modifikation des Beweisantragsrechtes gemäß § 244 III ff. ­StPO.209 Eine von der h. M. befürwortete Modifikation der Beweisrechtsgrundsätze findet keinerlei Stütze im Gesetz. Bezüglich der Schätzungen aus prozessökonomischen Gründen ist, ausgehend vom Grundsatz der Opfergleichheit, zunächst folgendes zu konstatieren: Sie tangieren sowohl den Grundsatz der Opfergleichheit, als auch die Grundsätze aus § 261 StPO und § 244 II StPO. b) Zweifelsgrundsatz Auch ist fraglich, ob und inwiefern die Schätzklausel des § 40 III StGB mit dem Grundsatz „in dubio pro reo“ harmoniert. Die Beantwortung dieser Frage bedarf einer Differenzierung zwischen den unterschiedlichen mög­ lichen Bezugspunkten des Zweifelsgrundsatzes. aa) Zweifelsgrundsatz und Schätzergebnis (1) Schätzung als rechtlicher oder tatsächlicher Vorgang Die wohl überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum will, wie oben dargestellt, in Bezug auf die Anwendbarkeit des Zweifelsgrundsatzes bei Schätzungen zwischen der Schätzgrundlage und dem Schätzergebnis differenzieren. Während es sich bei der Bestimmung der Schätzgrundlagen um einen Vorgang der Tatsachenfeststellung handle, für den der Zweifelsgrundsatz deshalb uneingeschränkte Geltung beanspruchen müsse, könne dies für das Schätzergebnis, obwohl sich dieses zweifelsfrei auf eine Voraussetzung für eine negative Statusveränderung bezieht (weshalb der Anwendungsbereich des Zweifelsgrundsatzes eröffnet ist), schon deshalb nicht gelten, weil es sich um einen rechtlichen Vorgang handle, für den gerade entscheidend sei, ob ein Umstand hochwahrscheinlich ist.210 Der Zweifelsgrundsatz werde also gerade durch die Besonderheit der Schätzung als bloßem Wahrscheinlichkeitsurteil ausgeschlossen, denn es sei nicht der güns209  So auch Fünfsinn, NStZ 1987, S. 100; Hellmann, GA 1997, 503, 511; in eine ähnliche Richtung: Zopfs, in dubio pro reo, S. 291; Krehl, Tagessatzhöhe, S. 280; auch: Maurach / Gössel / Zipf, § 59 III Rn. 41, 74; wonach die Schätzung nur als U ­ ltima Ratio zulässig sein soll. Jedoch insofern inkonsequent, als dass die Schätzung auch dann noch als Ultima Ratio angesehen wird, wenn „die mit einem vertretbaren Ermittlungsaufwand verbundene Beweismöglichkeiten nicht mehr ersichtlich sind.“ 210  Zopfs, in dubio pro reo, S. 289.



I. Schätzung des Einkommens zur Bestimmung der Tagessatzhöhe71

tigste, sondern derjenige Wert zugrunde zu legen, der der Wirklichkeit am nächsten kommt.211 Die auf diesen Kriterien beruhende Differenzierung zwischen Schätzergebnis und Schätzgrundlage kann indes kaum überzeugen. Auf tönernen Füßen steht dies schon, soweit auf eine Unterscheidung zwischen Tatsachenfeststellungen (Schätzgrundlage) auf der einen, und rein rechtlichen Vorgängen (Schätzergebnis) auf der anderen Seite abgestellt wird. Tatsächlich ähnelt die Schätzung von ihrer Vorgehensweise strukturell dem Vorgehen beim Indi­ zienbeweis.212 So werden bei der Schätzung Schätzgrundlagen mit entsprechenden Erfahrungssätzen, mit dem Ziel der Feststellung desjenigen Wertes, der am wahrscheinlichsten dem tatsächlichen entspricht, in Beziehung gesetzt. Der dabei gesuchte Wert ergibt sich gerade erst aus dem Zusammenspiel der jeweiligen Schätzgrundlagen. Insofern ist nicht einsichtig, weshalb es sich dabei um einen ausschließlich rechtlichen Vorgang handeln soll. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall – die Schätzung stellt einen tatsächlichen Vorgang dar. Davon abzugrenzen ist die der tatsächlichen Durchführung einer Schätzung vorgelagerte rechtliche Frage des Beweismaßes. Dieses wird im Fall der Geldstrafe durch § 40 III StGB bestimmt, der besagt, dass die wahrscheinliche Übereinstimmung des ermittelten Wertes mit der Wirklichkeit in Abweichung von § 261 StPO genügt.213 (2) Zweifelssatz und Wahrscheinlichkeitsurteil Darüber hinaus trifft es zwar grundsätzlich zu, dass das korrekte Ergebnis der Schätzung nicht das für den Angeklagten günstigste, sondern das am wahrscheinlichsten mit der Realität übereinstimmende ist. Insofern wäre ein pauschales „Beschneiden“ des Schätzergebnisses dahingehend, dass maßgeblich stets nur der für den Angeklagten günstigste Wert sein kann (unter mehreren unterschiedlich wahrscheinlichen Werten), unter Gesichtspunkten der Opfergleichheit keinesfalls akzeptabel.214 Vielmehr bedarf es erneut einer 211  BGH, NStZ 1989, S. 361; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 78; Fischer, StGB, § 40 Rn. 19; Herzog, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, § 73b Rn. 2 f.; Lackner, § 40 Rn. 17; Schönke / Schröder / Stree, § 40 Rn. 20; Häger, in: LK, § 40 Rn. 61; Horn / Wolters, in: SK-StGB, § 4 Rn. 15; Gerbing, JZ 1980, S. 544; Krehl, Tagessatzhöhe, S. 241; Ising, Die Feststellung des Nettoeinkommens, S. 122. 212  Aus dieser z. T. bestehenden strukturellen Ähnlichkeit zwischen Indizienbeweis und Schätzung können jedoch keinesfalls Rückschlüsse dahingehend gezogen werden, dass die Schätzung problemlos zu einer richterlichen Überzeugung im Sinne des § 261 StPO zu führen geeignet ist. 213  Zopfs, in dubio pro reo, S. 289. 214  Missverständlich insofern Hellmann, GA 1997, S. 503, 507, der davon spricht, dass in den Fällen, in denen die jeweilige Beschäftigung unterschiedlich entlohnt

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C. Die Schätzklauseln im StGB

differenzierten Betrachtungsweise der jeweils möglichen Schätzungsergebnisse und der Natur des zu schätzenden Faktors bzw. der der Schätzung zugrundeliegenden Motivation. (a) Immensurable Faktoren und unüberwindbare Beweisschwierigkeiten Diesbezüglich bietet sich zunächst erneut eine Betrachtung der Schätzung von immensurablen Faktoren sowie der Schätzung aufgrund unüberwindbarer Beweisschwierigkeiten an. Wo als Resultat der Schätzung ein bestimmter Wahrscheinlichkeitspunkt innerhalb eines Wahrscheinlichkeitsrahmens kulminiert (diesbezüglich sei auf das Ergebnis der eingangs beispielhaft durchgeführten Maximum-Likelihood-Schätzung verwiesen),215 also eine Punktwertschätzung vorliegt, bleibt für den Zweifelsgrundsatz in der Tat weder Raum noch Notwendigkeit. Denn dieser würde das Bestehen eines relevanten Zweifels voraussetzen. Ein solcher Zweifel besteht in Anbetracht dessen, dass § 40 III StGB hier die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung des ermittelten Wertes mit der Wirklichkeit ausreichen lässt, gerade nicht. Anders hingegen dort, wo das Ergebnis der Schätzung einen gleichwertigen Wahrscheinlichkeitsbereich ergibt, also mehrere Werte als gleich wahrscheinlich mit der Realität übereinstimmend gelten müssen. In diesem Fall ist zunächst aus Sicht des Zweifelssatzes zu konstatieren, dass die ermittelten Tatsachen den Schluss nicht auf lediglich einen, sondern auf die Möglichkeit mehrerer Geschehensabläufe zulassen. In anderen Worten: Die Möglichkeit, dass einer der in diesem gleichwertigen Wahrscheinlichkeitsbereich enthaltenen Werte der Wirklichkeit entspricht, ist für den Richter jeweils exakt gleich überzeugend wie die Möglichkeit eines anderen, in diesem Bereich befind­ lichen Wertes. Demnach besteht ein den Anwendungsbereich des „in dubio pro reo“ Grundsatzes eröffnender Zweifel. Gleichwohl wird die Anwendbarkeit des „in dubio pro reo“-Grundsatzes im Zusammenhang mit der Schätzung immensurabler Faktoren trotz Bestehen eines relevanten Zweifels von mancher Seite in Zweifel gezogen. Zopfs etwa argumentiert, für die Anwendung des Zweifelsgrundsatzes sei in dieser Konstellation schon kein Raum, da es sich „hier nicht um solche Zweifel handelt, die trotz aller Bemühungen verbleiben, sondern solche, die ungeachtet aller Bemühungen von vornherein bestehen.“216 Insofern fehle es an wird, zumindest in Bezug auf immensurable Faktoren stets „der unterste Betrag zugunsten des Angeklagten zugrunde gelegt werden müsse“, denn es bleibe ein Rahmen, innerhalb dessen das Einkommen liege; zum Verhältnis von „innerer“ und „äußerer Rationalität“ der Schätzung siehe D. IV. 1. c) aa). 215  Siehe Anhang 1.



I. Schätzung des Einkommens zur Bestimmung der Tagessatzhöhe73

der für eine Anwendbarkeit des Zweifelsgrundsatzes vorausgesetzten Endgültigkeit des Zweifels. Die dabei vorgenommene Differenzierung mutet jedoch nach Ansicht des Verfassers rabulistisch an. Diese Argumentation scheint auf der Prämisse zu beruhen, dass im Falle immensurabler Faktoren eine Aufklärungsbemühung im Sinne des § 244 II StPO nicht stattfindet. Nach der hier vertretenen Auffassung handelt es sich bei der Schätzung im Falle der Immensurabilität jedoch gerade um eine adäquate Bemühung zur Erforschung der Wahrheit. Davon scheint letztlich auch Zopfs auszugehen, wenn er die Schätzung als tatsächlichen Vorgang zur Ermittlung entsprechender Werte einordnet, weshalb seine Argumentation sich hier in gewisser Hinsicht im Kreis zu drehen scheint.217 Ordnet das Gesetz in 40 III StGB also eine Abweichung von § 261 StPO dahingehend an, dass die Überzeugung des Richters vom höchstmöglichen Wahrscheinlichkeitswert als ausreichend angesehen werden kann und ergibt die Schätzung nicht einen Wahrscheinlichkeitspunktwert, sondern einen Bereich gleichwertiger Wahrscheinlichkeiten, so besteht Zweifel lediglich hinsichtlich der Auswahl eines der gleichwertigen, aus den Ermittlungsbemühungen hervorgegangenen Werte. Eine hinreichende Erklärung für die so vorgenommene Differenzierung bleibt Zopfs hier also schuldig. Auch erklärt er nicht, nach welchen Grundsätzen der Tatrichter den entsprechenden Wahrscheinlichkeitswert sonst auszuwählen hat – wenn nicht nach dem Zweifelsgrundsatz. Der Logik seiner Argumentation folgend bliebe letztlich nur eine willkürliche Entscheidung des Richters übrig. Ähnliches gilt in Bezug auf die Schätzungen aufgrund unüberwindbarer Beweisschwierigkeiten. Auch hier wird die Anwendbarkeit des „in dubio pro reo“-Satzes vereinzelt mit dem Argument abgelehnt, die auf Grundlage einer Schätzung verbleibenden Zweifel ließen sich nicht mit denjenigen vergleichen, die nach misslungener Überzeugungsbildung verblieben. Denn dort wo – wie im Anwendungsbereich des § 40 III StGB – die Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung des ermittelten Wertes mit der Wirklichkeit ausreicht, ließen sich diejenigen Zweifel, die daraus entstehen, dass der geschätzte Wert nur wahrscheinlich dem wirklichen Wert entspricht, nicht von den methodischen Zweifeln, also denjenigen abgrenzen, die in Bezug auf die Schätzung des wahrscheinlichen Wertes selbst entstünden. Es fehle somit an einem „Fixpunkt“, anhand dessen rechtlich irrelevante von erheblichen Zweifeln abgegrenzt werden könnten.218 Zwingend erscheint diese Argumentation in 216  Zopfs,

in dubio pro reo, S. 290. in dubio pro reo, S. 289. 218  Arzt, Ketzerische Bemerkungen zum Prinzip in dubio pro reo, S. 10; Zopfs, in dubio pro reo, S. 292; ähnlich auch Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 242 im Zusammenhang mit der Problemlage bei Prognosen. 217  Zopfs,

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C. Die Schätzklauseln im StGB

ihrer Pauschalität jedoch keinesfalls. Zunächst ist keineswegs gesagt, dass sich – im Falle des § 40 III StGB – keine Erfahrungswerte für die Einschätzung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters finden lassen,219 so dass ihrer Anwendung auf den Angeklagten im konkreten Fall etwas entgegensteht.220 Weiter setzt die Durchführung der Schätzung nach dem oben Gesagten schon voraus, dass die relevanten Schätzgrundlagen soweit ermittelt sind, dass die durchzuführende Schätzung auf einer tragfähigen Grundlage steht. Solange somit Zweifel bestünden, welche „die Schätzung des wahrscheinlichen Wertes selbst hindern“, müsste konsequenterweise schon eine Schätzung unterbleiben. Demnach ist der Zweifelssatz grundsätzlich auch auf das Schätzergebnis im Zusammenhang mit der Schätzung immensurabler Faktoren sowie beim Bestehen unüberwindbarer Beweisschwierigkeiten anwendbar. Der maßgebliche Wahrscheinlichkeitswert ist also für den Fall, dass die Schätzung nicht zu einem bestimmten Punktwert, sondern einem Bereich gleichwertiger Wahrscheinlichkeiten führt, aus Gründen des Zweifelssatzes am unteren Ende dieses Bereiches anzusiedeln.221 (b) Prozessökonomisch motivierte Schätzungen Besonders in Bezug auf prozessökonomisch motivierte Schätzungen stellt sich die Frage des Verhältnisses eines entsprechenden Schätzungsergebnisses zum Zweifelsgrundsatz. Daran, dass der geschätzte Wert Grundlage einer für den Angeklagten negativen Statusveränderung (Höhe der Geldstrafe) ist, kann auch hier kein Zweifel bestehen. In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch die Frage, ob auch ein relevanter Zweifel im Sinne des „in dubio pro reo“-Grundsatzes gegeben ist. Unabhängig davon, ob § 40 III StGB die Überzeugung von der wahrscheinlichen Übereinstimmung mit der Wirklichkeit auch in diesem Fall als ausreichend statuiert, sowie unabhängig von der Art des Schätzungsergebnisses (Punktwertschätzung oder Wertbereichsschätzung), ist der Anwendungsbereich des Zweifelsgrundsatzes, wie bereits dargestellt,222 nur dann eröffnet, wenn auch ein endgültiger Zweifel vorliegt, der Schätzende also seiner Aufklärungspflicht nachgekommen ist. Ob dies der Fall ist, hängt freilich davon ab, welche Anforderungen an die Aufklärungspflicht gestellt werden. Geht mit § 40 III StGB, wie nach h. M. vertre219  Krehl,

Tagessatzhöhe, S. 240. Gemmeren, Strafzumessung, S 34. 221  So auch: Hellmann, GA 1997, S. 503, 507, 516; Schaeffer, Die Bemessung der Tagessatzhöhe unter Berücksichtigung der Hausfrauenproblematik, S. 230; Schäfer /  Sander / Van Gemmeren, Strafzumessung, S. 34, 388. 222  Vgl. Punkt B. II. 4. 220  Schäfer / Sander / Van



I. Schätzung des Einkommens zur Bestimmung der Tagessatzhöhe75

ten, auch eine Einschränkung der Aufklärungspflicht nach § 244 II StPO insofern einher, als dass diese im Hinblick auf die Bedeutung der Sache eingeschränkt wird,223 so bestünde ein endgültiger Zweifel, zumindest solange die Aufklärungsbemühungen im angemessenen Verhältnis zur Bedeutung stehen. Die besseren Argumente sprechen indes gegen eine prozessökonomisch motivierte Schätzung im Zusammenhang mit § 40 III StGB. Auf Grundlage der hier vertretenen Auffassung muss also konstatiert werden, dass der Zweifelsgrundsatz für prozessökonomisch motivierte Schätzungen keine Anwendung finden kann. bb) Zweifelsgrundsatz und Schätzgrundlagen Ähnliche Fragen stellen sich im Zusammenhang mit den tatsächlichen Grundlagen der Schätzung. Nahezu einhellig hält man den Zweifelsgrundsatz auf die Ermittlung der Schätzgrundlagen für uneingeschränkt anwendbar.224 Anders hingegen Zopfs, der vom Ziel der Schätzung als möglichst akkurater Annäherung an den Wirklichkeitszustand ausgehend die Befürchtung äußert, die Anwendung des Zweifelsgrundsatzes könne zu einer Verfälschung des Schätzergebnisses dahingehend führen, dass dieses hinter dem wirklichen Wert zurückbleibe.225 Denn die Anwendung des „in dubio“-Grundsatzes bringe mit sich, dass vom Angeklagten eventuell zu tätigende Aufwendungen jedenfalls Berücksichtigung finden müssten, während entsprechende Ein­ nahmequellen hingegen völlig außer Betracht zu bleiben hätten. Um zu verhindern, dass somit eine verfälschte Schätzgrundlage entstehe, seien auch mögliche Einnahmequellen im Rahmen der jeweiligen Möglichkeit des Bestehens (also mit einem geringeren Aussagewert behaftet) zu berücksichtigen. Dem ersten Anschein nach mutet diese Argumentation überzeugend an. In der Tat ist vorderstes Ziel der Schätzung, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des bei der Geldstrafe geltenden Prinzips der Opfergleichheit, die weitest mögliche Annäherung an die Realität. Zopfs’ zunächst unbestreitbar logisch anmutende Schlusskette bringt jedoch ein Folgeproblem mit sich, und zwar 223  Anstelle vieler hier Schäfer / Sander / Van Gemmeren, Strafzumessung, S. 34; 388; hier wird der gesetzgeberische Wille ganz unverhohlen für belanglos erklärt, wenn es heißt, die Auffassung des Sonderausschusses habe sich „nicht durchgesetzt“. 224  BGH, NStZ 1989, S. 361; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 78; Häger, in: LK, § 40 Rn. 72; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder § 40 Rn. 20; Fischer, StGB, § 40 Rn. 19; Herzog, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, § 73b Rn. 2 f.; Lackner /  Kühl, § 40 Rn. 17; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder, § 40 Rn. 20; Häger, in: LK, § 40 Rn. 61; Horn / Wolters, in: SK-StGB, § 40 Rn. 15; wohl auch Hellmann, GA 1997, S. 503, 507; Tröndle, JR 1977, 251; Grebing, JZ 1980, S. 543, 544; Krehl, Tagessatzhöhe, S. 241; Ising, Die Feststellung des Nettoeinkommens, S. 122. 225  Zopfs, in dubio pro reo, S. 294.

76

C. Die Schätzklauseln im StGB

ergibt sich daraus ein Problem der Grenzziehung. Zunächst ist nicht klar, wie sich das jeweilige Verhältnis der erwiesenen zu den möglichen Schätzgrundlagen darstellen soll. Der obigen Argumentation folgend käme somit eine Schätzung auch für Fälle in Betracht, in denen das Bestehen keiner einzigen Einnahmequelle als erwiesen angesehen werden kann. Auch ist nicht klar, nach welchen Kriterien der in Bezug auf die jeweilige Einnahmequelle bestehende Zweifel gewichtet und berücksichtigt werden soll. Geht der Richter vorher nach einer Art binärem System vor (0 = erwiesen, 1 = nicht erwiesen), so müsste er nunmehr verschiedene Zweifelsstufen (etwa von 0 bis 99) für jede einzelne mögliche Einnahmequelle bestimmen und in die Schätzung einfließen lassen. Das Ergebnis wäre tatsächlich eher das Gegenteil des von Zopfs Angestrebten, nämlich eine weitere Entfernung von der Wirklichkeit. Mit einer Anwendung des „in dubio“-Grundsatzes auf die Schätzgrundlagen scheint das mit der Schätzung verfolgte Ziel der Annäherung an die Wirklichkeit letztlich sicherer erreicht zu werden als ohne.

II. Schätzungen des Sachwertes bei der Wertersatzeinziehung nach § 74c III StGB Die Vorschrift des § 74c III StGB ermöglicht es, den Wert eines Gegenstandes bzw. einer Belastung im Falle der Wertersatzeinziehung zu schätzen. Dabei handelt es sich um eine Vorschrift im Regelungskomplex der Einziehung nach §§ 74 ff. StGB. Folglich bedarf es zunächst einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem Regelungsgehalt der §§ 74 ff. StGB. 1. Regelungsgehalt und allgemeine Voraussetzungen der Einziehung Die Einziehung setzt zunächst stets das Vorliegen einer vorsätzlichen (zumindest versuchten) Straftat oder Vorbereitungshandlung sowie deren zumindest vermindert schuldfähige Begehung voraus. § 74 StGB regelt die (fakultative) Einziehung von Tatprodukten sowie Tatmitteln bzw. Tatwerkzeugen, z. T. bestehen darüber hinausgehende Sondertatbestände, nach denen die Einziehung zwingend vorgeschrieben ist (Vgl. § 74 IV StGB). Als Einziehungsobjekte kommen grundsätzlich sowohl Sachen, als auch Rechte in Betracht. Unter den Begriff der Tatprodukte (instrumenta producta) fallen all jene Gegenstände, die unmittelbar durch die Tat erschaffen wurden oder deren gegenwärtige Beschaffenheit unmittelbar aus der Tat selbst resultiert wie etwa gefälschte Urkunden oder Falschgeld.226 226  Podolsky / Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 92.



II. Schätzungen des Sachwertes bei der Wertersatzeinziehung77

Nicht von § 74 StGB erfasst sind hingegen solche Gegenstände, die den aus der Tat resultierenden Gewinn darstellen. Diesbezüglich gelten die Regelungen zum Verfall nach §§ 73 ff. StGB als lex spezialis (dazu unten). Der Begriff der Tatmittel bzw. Tatwerkzeuge (instrumenta sceleris) erfasst alle Gegenstände, die zur Begehung oder Vorbereitung einer Tat gebraucht oder bestimmt sind. In Bezug auf Tatwerkzeuge muss es hier jedoch mindestens zu einem strafbaren Versuch derjenigen Tat gekommen sein, für die die Gegenstände bestimmt waren.227 Nicht erfasst sind hingegen die sog. Beziehungsgegenstände, also solche Gegenstände, die notwendiger Bezugspunkt der Tat selbst sind, ohne deren Produkt zu sein, etwa der PKW beim Fahren ohne Fahrerlaubnis. Solche Beziehungsgegenstände können nur dort einer Einziehung unterliegen, wo dies ausdrücklich gesetzlich normiert ist (so etwa in § 33 BtMG für BTM oder § 56 I Nr. 1 WaffG).228 Auch bedarf es stets des Vorliegens der Voraussetzungen des § 74 II StGB; dem entsprechend muss es sich gemäß § 74 II Nr. 1 StGB um Gegenstände (Sachen oder Rechte) handeln, die dem Täter oder Teilnehmer der Tat gehören oder zustehen. Eine Ausnahme dazu stellt § 74a StGB dar, wonach unter bestimmten Voraussetzungen auch die Einziehung solcher Gegenstände erlaubt ist, die im Zeitpunkt der Entscheidung einer dritten Person gehören oder zustehen.229 § 74 II Nr. 2 StGB erlaubt die Einziehung darüber hinaus, unabhängig von Eigentumsverhältnissen und Zugehörigkeit, auch für die Fälle, in denen die entsprechenden Gegenstände nach Art und Umständen eine generelle Gefahr für die Allgemeinheit darstellen, oder in denen die konkrete Gefahr besteht, dass diese für die Begehung rechtswidriger Taten eingesetzt werden. Darüber hinaus eröffnet § 75 StGB die Einziehung von Gegenständen und Rechten, die sich im Zeitpunkt der Entscheidung im Eigentum von juristischen Personen oder Personenhandelsgesellschaften befinden. Voraussetzung ist, dass hier ein vertretungsberechtigtes Organ oder ein Vertreter in Wahrnehmung von Angelegenheiten der Vertretenen Gesellschaft gehandelt hat und ihm gegenüber aufgrund dieser Handlung die Einziehung eines Gegenstandes nach §§ 74 f. StGB zulässig wäre. Entsprechende Vereitelungshandlungen des Organs oder Vertreters werden der Gesellschaft nach § 74c StGB zugerechnet, so dass auch hier eine Wertersatzentziehung möglich ist.230 227  BGJ,

Beschl. vom 5.3.2003 – 2 StR 526 / 02. Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 93. 229  Podolsky / Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 94. 230  Podolsky / Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 98. 228  Podolsky / Brenner,

78

C. Die Schätzklauseln im StGB

Dabei sind von § 75 StGB ausdrücklich nicht die GbR oder sonstige Formen der gesetzlichen oder gewillkürten Vertretung erfasst. Weiter stellt § 74b I StGB ausdrücklich klar, dass die Anordnung einer (fakultativen) Einziehung, soweit sie Strafcharakter hat, nur möglich ist, sofern sie schuldangemessen ist. § 74 b II und III StGB eröffnet die Möglichkeit, weniger einschneidende Maßnahmen als die Einziehung anzuordnen. 2. Rechtsnatur der Einziehung Eine formale Festlegung der Rechtsnatur der Einziehung findet sich, anders als etwa in den StGB-Entwürfen von 1925, 1927 und 1930, im heutigen Gesetzestext nicht. So zählte die Einziehung, etwa im Entwurf von 1927, noch explizit zu den Nebenstrafen und Nebenfolgen. Gleichzeitig unterstrich die Gesetzesbegründung zu §§ 52 bis 54 ausdrücklich den Doppelcharakter der Einziehung als Strafsanktion einerseits und Sicherungsmaßnahme andererseits. Demgegenüber ist die Einziehung im Entwurf von 1936 ausdrücklich als Sicherungsmaßnahme ausgestaltet, wobei jedoch von einer Einziehung unter Gesichtspunkten der schuldangemessenen Strafe abgesehen werden konnte.231 Angesichts der aus der Doppelnatur resultierenden Einordnungsschwierigkeiten ist vom Gesetzgeber im Rahmen der Neuregelung des StGB im Jahr 1968 bewusst darauf verzichtet worden, eine eindeutige Festlegung zu treffen. Dies ist auch im Rahmen des 2. StRRG aufrecht gehalten worden. Der Vorschlag des Alternativ-Entwurfs, wonach die Einziehung ausschließlich als Sicherungsmaßregel auszugestalten sei, fand demnach ausdrücklich keinen Eingang in den Gesetzestext.232 Bei der Bestimmung der Rechtsnatur der Einziehung bedarf es folglich stets einer differenzierten Betrachtung der Anordnungsvoraussetzungen, genauer gesagt steht die Frage der Rechtsnatur in unmittelbaren Zusammenhang mit den §§ 74 II, III, 74a StGB. a) Einziehung nach § 74 II Nr. 1 StGB Die Einziehung nach § 74 II Nr. 1 StGB wird demgemäß überwiegend als Strafsanktion verstanden. Sie soll den Täter neben der Hauptstrafe als Übel am Vermögen treffen.233 Insoweit wird z. T. auch von einer „gegenständlich 231  Schmidt,

in: LK, § 74 Rn. 1. 2. Bericht des BT-Sonderausschusses, BT-Drucks. V. 4095, S. 41. 233  BGHSt, 3, 163, 164; 4, 305, 307; 5, 155, 163; 6, 62; 8, 205, 214; 10, 28, 33; 16, 47; BGH NJW 1983, 2710; BGH NStZ 2001, 312; Podolsky / Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 90; Lenz, Einziehung und Verfall, S. 11; Dietrichs, Strafrechtliche Einziehung, S. 13, 20; Joecks, in: 232  Vgl.



II. Schätzungen des Sachwertes bei der Wertersatzeinziehung79

spezifizierten Vermögensstrafe“ gesprochen.234 So richtet sie sich nur gegen Täter und Teilnehmer, auch ist ihre Anordnung nicht zwingend. Die Norm verfolgt nach h. M. sowohl Gedanken der Spezial- und Generalprävention, als auch der Vergeltung. Dem Täter und der Rechtsgemeinschaft soll aufgezeigt werden, dass mit dem Verlust von Gegenständen zu rechnen ist, sofern diese zur Begehung von Straftaten missbraucht werden. Die Frage der Anordnung einer Einziehung richtet sich gemäß § 74b StGB nicht nach Schuld-, sondern nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten und stellt somit den einzigen normierten Fall dar, in dem der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf eine Strafe Anwendung findet. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob ein Gegenstand eingezogen wird, nach h. M. eine Frage der Strafzumessung dar.235 Die kumulierte Übelszufügung, bestehend aus Hauptstrafe und Einziehung, muss demnach insgesamt schuldangemessen sein.236 Teilweise wird diesbezüglich auch mit dem Verwirkungsgedanken argumentiert; danach sei das sozialwidrig gebrauchte Eigentum mit einem Makel behaftet.237 Ein Teil der Lehre betrachtet die Einziehung nach § 74 II Nr. 1 StGB hingegen lediglich als strafähnlich. Allerdings bleibt dabei stets offen, inwiefern sich die strafähnliche Sanktion von der Strafsanktion unterscheidet. Insbesondere die Bemessung erfolgt hier nach denselben Grundsätzen, weshalb sich diese Ansicht, mit Ausnahme der Bezeichnung in der Sache, nicht von der h. M. unterscheidet.238

MüKo, § 74 Rn. 2; Schmidt, in: LK, § 74 Rn. 4; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 356; Hellmann, GA 1997, S. 519. 234  Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 194; Joecks, in: MüKo, § 74 Rn. 2; Eser, in: Schönke / Schröder, Vor § 74 Rn. 14. 235  BGH NJW 1993, 2710; BGH NStZ 1985, 382; BGH NStZ 1996, 435; BGH NStZ 1999, 451; BGH StV 1989, 529; 1999 436; 2003 444; Beschl. v. 1.9.1998 – 4 StR 367 / 98; Lackner / Kühl, § 74 Rn. 1; BGH v. 6.6.2001  – 2 StR 205 / 01; BGHR § 46 I; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 356; Herzog, in: Kindhäuser / Neumann /  Paeffgen, § 74 Rn. 39; Fischer, StGB, § 74 Rn. 2; Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, S. 49. 236  BGH, Beschl. v. 14.10.1970  – 3 StR 180 / 70; OLG Saarbrücken NJW 1975, 65, 66; OLG Hamm NJW 1975, 67; OLG Düsseldorf VRS 51, 439; Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 194; Lackner / Kühl, StGB § 74 Rn. 1; Schmitd, in: LK, § 74b Rn. 3; Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, S. 50; zur verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit des Nebeneinander von Tagessatzsystem und Geldsummensystem bei der Anordnung der Einziehung neben einer Hauptstrafe: Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 206 ff. 237  Schmidt, in: LK, § 74 Rn. 4; Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, S. 49. 238  Jescheck / Weigend, Lehrbuch § 76 II 1; Horn / Wolters, in: SK-StGB, § 74 Rn. 3.

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C. Die Schätzklauseln im StGB

Einer anderen Ansicht nach liege der Schwerpunkt der Einziehung nach § 74 I, II Nr. 1 StGB hingegen nicht auf dem Schuldausgleich, sondern auf dem Gedanken der Sicherung der Allgemeinheit (ohne den grundsätzlich strafähnlichen Charakter der Einziehung zu verneinen). Dafür spreche insbesondere § 76a StGB, der es ermögliche, die Einziehung unabhängig von einer Hauptbestrafung anzuordnen. Der Richter legt danach je nach den Umständen des Einzelfalls mehr Gewicht auf den einen oder den anderen Gesichtspunkt.239 Auch hiernach wird die Legitimation letztlich im Strafcharakter gesehen, weshalb sich keine Unterschiede bezüglich der Rechtsnatur ergeben. b) Einziehung nach § 74 II Nr. 2 StGB Bei der Einziehung nach§ 74 I Nr. 2 StGB steht hingegen der Sicherungszweck im Vordergrund. Hier dient die Einziehung primär der Gefahrenabwehr.240 Deshalb ist in diesen Fällen die Einziehung auch mit Wirkung gegen den tatunbeteiligten Dritten zulässig, sei es, weil aus der Beschaffenheit des Einziehungsgegenstandes Gefahren für die Allgemeinheit drohen oder weil die Benutzung zur Begehung rechtswidriger Taten zu befürchten ist. Allerdings ist zu beachten, dass die Anordnung der Einziehung – anders als in den Fällen der Maßregeln der Sicherung (im technischen Sinne) – nach §§ 61 ff. StGB grundsätzlich im (pflichtgemäßen) Ermessen des Richters steht. Demnach bleibt auch bei § 74 II Nr. 2 StGB ein Rest von Strafähnlichkeit bestehen. Teilweise wird auch vertreten, es handle sich um ein Mischinstitut aus Strafe und Sicherungsmaßnahme.241 c) Einziehung nach § 74 III StGB Die Einziehung nach § 74 III StGB besitzt eindeutig Sicherungscharakter. So genügt für die Anordnung der Einziehung nach § 74 III StGB auch die schuldlose Begehung durch den Täter. Andererseits fügt sich auch § 74 III StGB nicht nahtlos in die Systematik der Maßregeln der Sicherung nach § 61 ff. StGB ein und zwar, weil die Einziehung sich auch gegen den tatunbeteiligten Eigentümer der Sache richten kann. Etwaige Entschädigungs­ ansprüche wegen Enteignung regeln §§ 74e f. StGB. Dementsprechend wird 239  Lackner / Kühl,

§ 46 Rn. 1. Saarbrücken NJW 1975, 65, 66; Schmidt, in: LK, § 74 Rn. 7; Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, S. 50; Podolsky / Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 90. 241  Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 196; Schäfer, in: LK, § 74 10 Aufl. Rn. 7; Schmidt, Prinzip der Zweispurigkeit, S. 157. 240  OLG



II. Schätzungen des Sachwertes bei der Wertersatzeinziehung81

die Einziehung nach § 74 III StGB als Sicherungsmaßnahme sui generis eingeordnet.242 d) Einziehung nach § 74a StGB In Bezug auf die Einziehung nach § 74a StGB wird je nach Wirkung der Maßnahme differenziert. § 74a StGB ermöglicht die Einziehung von Gegenständen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung Dritten (d. h. nicht Tatbeteiligten) gehören oder zustehen, unabhängig von den Voraussetzungen des § 74 II Nr. 2, III StGB. Eine solche Einziehung wird demnach als Strafsanktion verstanden, sofern sie gegenüber dem Täter oder Teilnehmer wirkt. Gegenüber dem Eigentümer der Sache, der nicht Tatbeteiligter ist, soll sie hingegen strafähnlichen Charakter haben.243 Der dem Eigentümer gemachte Vorwurf besteht in diesem Fall darin, dem Täter eine schuldhafte „Quasi-Beihilfe“ geleistet zu haben bzw. durch Abnahme der Sache im Sinne einer „QuasiHehlerei“ die Einziehung vereiteln zu wollen. 3. Wertersatzeinziehung a) Allgemeine Voraussetzungen und ratio legis § 74c StGB ergänzt die Einziehung nach §§ 74 und 74a StGB um eine Regelung, mit der Umgehungsschutz gewährleistet werden soll. Die Wert­ ersatzeinziehung ist in ihrem Anwendungsbereich grundsätzlich auf Fälle des § 74 II Nr. 1 StGB beschränkt und demnach nicht auf Fälle der Sicherungseinziehung anwendbar. Daneben kann sie jedoch auch auf die Einziehungstatbestände außerhalb des StGB, wie etwa § 33 BTMG, angewendet werden. So setzt die Einziehung nach § 74 II Nr. 1 StGB stets voraus, dass der Täter oder Teilnehmer im Zeitpunkt der Entscheidung Eigentümer der Sache bzw. Inhaber des Rechtes sein muss, das eingezogen werden soll.244 Die Einziehung könnte somit durch eine zeitlich der Gerichtsentscheidung vorausgehende Verwertung, Veräußerung oder einen Verbrauch umgangen werden. § 74c I StGB ermöglicht deshalb die Einziehung des Wertes der Sache. Dies ist jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut des § 74 I StGB nur bis zur Grenze des objektiven Verkehrswertes der Sache möglich, eine Unterschreitung des Wertes der Sache stellt § 74c I StGB hingegen in das Ermessen des Richters. 242  Schmidt, in: LK, § 74 Rn. 6; Joecks, in: MüKo, § 74 Rn. 2; Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, S. 50. 243  BGHSt 9, 164, 172; Schmidt, in: LK, § 74 Rn. 8. 244  BGHSt 28, 369, 370.

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C. Die Schätzklauseln im StGB

Auch kann eine Wertersatzeinziehung nach § 74c II StGB in den Fällen angeordnet werden, in denen die Sachsubstanz zwar beim Angeklagten vorhanden bleibt, der entsprechende wirtschaftliche Wert jedoch durch Belastung gegenüber einem Dritten entzogen wird. Hier bemisst sich die Höhe des Wertersatzes nach der Höhe der Belastung. b) Rechtsnatur Die Wertersatzentziehung ist in ihrem Anwendungsbereich auf Fälle beschränkt, in denen der einzuziehende Gegenstand im Moment der Tat dem Täter oder Teilnehmer gehörte; demnach handelt es sich um Fälle des § 74 II Nr. 1 StGB. Ausdrücklich nicht mehr erfasst sind somit die Fälle des § 74a StGB, bei denen etwa der Gegenstand dem tatunbeteiligten Dritten gehört und dieser einer Einziehung durch Veräußerung zuvorkommt. Ebenfalls nicht anwendbar ist die Wertersatzeinziehung auf eine Vereitlung von Sicherungseinziehungen nach § 74 II Nr. 2, III StGB. Da es sich also um die Reaktion auf eine schuldhafte Pflichtverletzung handelt, wird der Wertersatzentziehung konsequenterweise Strafcharakter beigemessen.245 Über die genaue Einordnung in die Systematik der strafrechtlichen Sanktionen besteht jedoch Uneinigkeit. So wird die Wertersatzeinziehung z. T. trotz der Möglichkeit einer selbstständigen, von der Hauptstrafe unabhängigen Anordnung nach § 76a StGB als Nebenstrafe angesehen.246 Weiter begründet die Anordnung der Wertersatzeinziehung zwar einen schuldrechtlichen Zahlungsanspruch gegen den Adressaten, der mit den Mitteln des Vollstreckungsrechtes betrieben wird.247 Auch sind nach § 74 IV StGB die Regeln zur Zahlungserleichterung gemäß § 42 StGB anwendbar. Nichtsdestotrotz soll es sich hier lediglich um eine an die Stelle der Einziehung tretende Ersatzsanktion und demnach nicht um eine Geldstrafe im technischen Sinne handeln.248 Eine Anordnung von Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB kommt ebenso wie eine Anrechnung nach § 51 StGB nicht in Betracht. 245  Eser, in: Schönke / Schröder, § 74c Rn. 1; Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, S. 74; Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 197. 246  Herzog, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, § 74 Rn. 2; Fischer, StGB, § 74c Rn. 1. 247  BGHSt 28, 369, 370; Eser, in: Schönke / Schröder, § 74c Rn. 13; Joecks, in: MüKo, § 74c Rn. 16; Schmidt, MDR 80, S. 969, 972. 248  BGHSt 6, 307; Fischer, StGB § 74c Rn. 7; Joecks, in: MüKo § 74c Rn. 16; Horn / Wolters, in: SK-StGB, § 74c Rn. 2; a. A. Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion S. 215 der verlangt, dass der Wertersatzeinziehung das Tagessatzsystem zugrunde gelegt werden muss.



II. Schätzungen des Sachwertes bei der Wertersatzeinziehung83

c) Schätzungsbefugnis nach § 74c III StGB § 74c III StGB gestattet es dem Richter, den Wert der Sache sowie den Wert der Belastung zu schätzen. Dies betrifft nach h. M. stets diejenigen Fälle, in denen es grundsätzlich an hinreichenden Anhaltspunkten für den Wert der Sache fehlt oder in denen der genaue Wert nur durch eine zeitaufwändige Bestimmung aller entsprechender wertbestimmender Faktoren ermittelt werden könnte.249 Dabei soll im Zweifel immer vom geringsten Schätzwert ausgegangen werden.250 Nicht vom Anwendungsbereich der Schätzungsbefugnis erfasst ist hingegen die Frage, ob überhaupt entsprechende Gegenstände durch die Tat hervorgebracht und zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden sind bzw. ob diese entsprechend den Voraussetzungen des § 74c StGB verwertet worden sind. Diese Grundlagen müssen zur tatrichterlichen Überzeugung feststehen. Die Schätzung kommt demnach immer nur hinsichtlich der Höhe des Wertes, nicht hingegen des „ob“ der Einziehung in Betracht.251 Dass die Norm nach der Vorstellung des Gesetzgebers insgesamt der Verfahrenserleichterung dienen soll, ergibt sich hier schon aus den entsprechenden Gesetzgebungsmaterialien.252 Umstritten ist indes die genaue Auswirkung der Schätzungsbefugnis auf die Grundsätze der richterlichen Aufklärungspflicht sowie auf das Beweisantragsrecht. Nach h. M. sollen hier die zu den §§ 287, 813 ZPO entwickelten Grundsätze aus Rechtsprechung und Schrifttum unter Berücksichtigung der strafrechtlichen Prozessmaximen Anwendung finden.253 Demnach muss das Gericht nicht alle für die genaue Berechnung der Rechtsfolgen notwendigen Einzelheiten klären. Vielmehr genügt die Ermittlung von Anhaltspunkten zu Art und Umfang des Erlangten, die eine nach der Lebenserfahrung hinreichend wahrscheinliche Annahme erlauben. Der Richter soll demnach von den Grundsätzen des § 261 StPO sowie vom Strengbeweis befreit sein, die Amtsaufklärungspflicht nach § 244 II StPO ist im Interesse der Prozessökonomie modifiziert.254 Das die damit normierte Abweichung von den Grundsätzen des Strafprozesses in ihren Auswirkungen keinesfalls als trivial angesehen werden können, ergibt sich schon daraus, dass die Schätzungsbefugnis aus § 74c III 249  Schmidt,

Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, S. 78. in: MüKo, § 74c Rn. 14; Eser, in: Schönke / Schröder, § 74c Rn. 8. 251  BGH NStZ-RR 2001, S. 327, 328; Schmidt, in: LK, § 74c Rn. 18; Eser, in: Schönke / Schröder, § 73b Rn. 2; Joecks, in: MüKo, § 74c Rn. 18. 252  BT-Drs. IV / 650, 244, zu § 109 Abs. 6 E 1962; BT-Drs. V / 4095, 40 f. 253  Fischer, StGB, § 73b Rn. 5; Schmidt, in: LK, § 74 Rn. 18. 254  BGHSt 43, 321; BGH Urt. v. 28.11.1997  – 3 StR 114 / 97; BGH Beschl. v. 10.09.2003 – 1 StR 147 / 03; Schmidt, in: LK, § 74c Rn. 18. 250  Joecks,

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C. Die Schätzklauseln im StGB

StGB in engem Zusammenhang nicht nur mit § 74 II Nr. 1 StGB, sondern insbesondere mit § 74c I StGB steht. Dieser beschränkt die Höhe der Wertersatzeinziehung auf den objektiven Verkehrswert der Sache. Wer also wie Herzog behauptet, § 74c III StGB erlaube es, die „Höhe des Wertersatzes“ zu schätzen,255 setzt sich dem Vorwurf aus, die Binnensystematik des § 74c StGB nicht verstanden zu haben – oder schlimmer noch – zu ignorieren. So bezieht sich die Schätzungsbefugnis auf den Wert der Sache, die Höhe des Wertersatzes steht hingegen bis zur Obergrenze des objektiven Verkehrswertes gemäß § 74c I StGB im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichtes. Daraus resultiert die Möglichkeit, den objektiven Verkehrswert auch in Bezug auf unteilbare Sachen zu unterschreiten. Andererseits statuiert der objektive Verkehrswert nach oben hin eine strikte Grenze, was aus systematischen Gründen insofern unumgänglich ist, als es sich bei der Wertersatzeinziehung, wie oben gezeigt, um eine Ersatzsanktion zur Einziehung bzw. „gegenständlich spezifizierte Vermögensstrafe“ handelt. Die Überschreitung dieses Rahmens würde demnach zumindest eine gesetzeswidrige übermäßige Strafe bedeuten. Des Weiteren könnte die Rechtsnatur der Wertersatzeinziehung als Ersatzsanktion eine solche Überschreitung sogar in die Nähe der umstrittenen Fallgruppe der nichtigen Urteile rücken. Die Nichtigkeit einer Entscheidung wird nach überwiegender Meinung in den Fällen angenommen, in denen ein so schwerwiegender Mangel besteht, dass es unter Berücksichtigung der Belange des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit einerseits und der Gerechtigkeit andererseits schlechthin unerträglich wäre, das entsprechende Urteil als rechtsverbindlich anzusehen.256 Welche Gesichtspunkte für eine Nichtigkeit leitend sein sollen, wird nicht einheitlich beurteilt. Ohne an dieser Stelle auf die Spezifika dieser umstrittenen Rechtsfigur einzugehen, soll jedoch darauf hingewiesen werden, dass eine solche Nichtigkeit unter anderem für die Fälle der Verhängung einer dem deutschen Strafrecht unbekannten Sanktion diskutiert wird.257 Genau hier könnte die inhaltliche Nähe zum Fall der überhöhten Wert­ ersatzeinziehung gesehen werden. Eben weil es sich bei der Wertersatzeinziehung nicht um eine Geldstrafe handelt, liegt in einem solchen Fall insbesondere keine bloß quantitative Übersteigerung eines vorgegebenen Strafrahmens vor. Aus der Rechtsnatur der Wertersatzeinziehung als Ersatzsanktion, also Ersatz für einen der Einziehung unterliegenden Gegenstand, resultiert die strikte Begrenzung auf den entsprechenden Wert der Sache. Dabei beschränkt sich der Anwendungsbereich des § 74c StGB ausdrücklich auf die 255  Herzog,

in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, § 74c Rn. 9. Strafprozeß, § 55 I; Radke, in: Radke / Hohmann, Einl. Rn. 92; Kühne, in: Löwe / Rosenberg, Einl. K, Rn. 105. 257  Luther, ZstW 70; 98; Kühne, in: Löwe / Rosenberg, Einl. Absch. K. Fn. 388. 256  Peters,



II. Schätzungen des Sachwertes bei der Wertersatzeinziehung85

Fälle des § 74 II Nr. 1 StGB, also auf solche der vorsätzlichen, rechtswidrigen und schuldhaften Begehung einer entsprechenden Tat. Unter anderem deshalb wird die (Wertersatz-) Einziehung als Strafsanktion klassifiziert. Ein über den objektiven Wert der Sache hinausgehender Geldbetrag stünde jedoch in keiner Beziehung zu eben dieser vorwerfbaren Tat. Das deutsche Strafrecht enthält keine Norm, die zur Einziehung des überschüssigen Geldbetrages berechtigen würde. Unabhängig davon, ob man die Rechtsfigur des nichtigen Urteils im konkreten Fall oder auch ganz grundsätzlich anerkennt oder nicht – was zugegebenermaßen keineswegs zwingend ist – die mit einer überhöhten Wertersatzeinziehung verbundene rechtsstaatliche Problematik in Bezug auf die Legitimität eines solchen Urteils scheint kaum übersehbar zu sein. In diesem Zusammenhang bedarf es einer differenzierten Betrachtung des § 74c I StGB, soweit es die darin beschriebene Obergrenze der Wertersatzeinziehung betrifft. Auch hier lässt sich erneut zwischen den schon im Zusammenhang mit § 40 III StGB erwähnten drei Grundkonstellationen der Schätzung unterscheiden. d) Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der StPO aa) Grundsatz der richterlichen Überzeugung nach § 261 StPO und Amtsermittlungsgrundsatz nach § 244 II StPO (1) Immensurable Faktoren und unüberwindbare Beweisschwierigkeiten Das oben Gesagte ist unbestritten, soweit es um Gegenstände geht, deren Verkehrswert sich im Zeitpunkt der Entscheidung einer eindeutigen Festsetzung grundsätzlich entzieht, wie etwa der Wert eines Kraftfahrzeuges. Die Festsetzung des Wertes eines KFZ erfordert eine Schätzung, selbst wenn Fabrikat, Alter, Kilometerleistung und andere wertbildende Faktoren zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt sind. Sofern eine exakte Feststellung des Wertes grundsätzlich nicht möglich, die Schätzung also in jedem Fall notwendig ist, kann es auch keine strikte Wertobergrenze geben. Die Obergrenze des Wertersatzes ist hier flexibel und bestimmt sich allenfalls nach Kriterien der Sachlichkeit und Vertretbarkeit. Will der Richter den vollen Wertersatz einziehen, so kann er dies auf Grund einer entsprechenden Schätzung tun, sofern es sich um eine Sache handelt, deren Wert sich auch von einem Laien (etwa durch Einholung von Vergleichen) vertretbar schätzen lässt. Regelmäßig wird der Richter jedoch ein Sachverständigengutachten einholen müssen, wenn er den Sachwert bis zur Obergrenze einziehen will. Andernfalls kann er, wie bereits oben erwähnt, nach § 74c I StGB einen

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C. Die Schätzklauseln im StGB

Teil des Sachwertes einziehen, von dem bereits nach den vorliegenden Umständen und zugänglichen Informationen nach Laienansicht sicher ist, dass er dem Wert des Gegenstandes mindestens entspricht. In § 74c III StGB normiert der Gesetzgeber also eine notwendige Abweichung vom Grundsatz des § 261 StPO dahingehend, dass die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung des geschätzten mit dem wirklichen Wert als ausreichend zu erachten ist. § 244 II StPO ist insofern zunächst nicht tangiert. Gleiches gilt, sofern unüberwindbare Beweishindernisse bestehen, wie etwa bei – zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits konsumierten – Betäubungsmitteln. Hier hinge eine Festsetzung des Wertes entscheidend vom Wirkstoffgehalt ab, der sich jedoch nicht mehr eindeutig feststellen, sondern allenfalls etwa anhand des Einkaufspreises schätzen ließe. Gleiches gilt für den Fall, dass das zur Jagdwilderei benutze Gewehr nicht mehr auffindbar ist.258 Sofern also eine Feststellung des Sachwertes grundsätzlich möglich ist, jedoch unüberwindbare Beweisschwierigkeiten einer Ermittlung wesentlicher wertbildender Faktoren entgegenstehen, offenbart sich das Spannungsverhältnis zwischen § 74c I und III StGB besonders deutlich. Denn hier verlangt § 74c I StGB die strikte Einhaltung einer Wertobergrenze der Sache, die jedoch unter Anwendung des in § 74c III StGB genannten Mittels nicht immer gewährleistet werden kann, da es sich bei der Schätzung von Natur aus um eine Methode der Annäherung an die Wahrheit auf Grundlage von Wahrscheinlichkeitserwägungen handelt. Insbesondere hier entfaltet sich somit die verfahrensvereinfachende Funktion der Schätzung. Durch diese wird der Anwendungsbereich der Wertersatzeinziehung überhaupt erst gesichert. Sie muss als Ultima Ratio insbesondere in den Fällen der zwingenden Einziehung möglich sein, um zu verhindern, dass der Angeklagte die Anordnung einer Einziehung aktiv vereiteln kann. Die Auflösung des oben angesprochenen Spannungsverhältnisses kann in dieser Konstellation nur durch die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ auf das Schätzergebnis erreicht werden. (2) Prozessökonomisch motivierte Schätzungen Wie bereits erwähnt, sieht die ganz h. M. die Schätzungsbefugnis in Bezug auf die Wertersatzeinziehung – auch in Anbetracht des insofern eindeutig bekundeten gesetzgeberischen Willens – als Verfahrensvereinfachung an.259 Hellmann hingegen stellt die verfahrensvereinfachende Wirkung der Schätzungsbefugnis nach § 74 c III StGB jedoch schon grundsätzlich in Frage. Er 258  Beispiel

entnommen aus: Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion S. 195. GA 1997, S. 520.

259  Hellmann,



II. Schätzungen des Sachwertes bei der Wertersatzeinziehung87

wendet ein, die Schätzung des Wertes könnte nur dann eine Verfahrenserleichterung darstellen, wenn dies mit der Möglichkeit des Richters einhergehen würde, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu verzichten. Der damit erreichte prozessökonomische Gewinn sei jedoch so gering, dass er die Gefahr einer Überschreitung des von § 74c I StGB zur absoluten Obergrenze der Wertersatzeinziehung erklärten objektiven Verkehrswertes durch Schätzung nicht rechtfertigen könne. In diesem Fall bestehe die Gefahr einer übermäßigen Strafe. Da sowohl die Frage des Wertersatzes, als auch die Frage der entsprechenden Höhe des einzuziehenden Betrages von § 74c I StGB in das Ermessen des Richters gestellt werden, ließe sich eine Verfahrenserleichterung hingegen dadurch erreichen, dass der Richter bei der Festlegung des einzuziehenden Betrages von einem Wert ausgeht, von dem schon nach laienhafter Einschätzung sicher ist, dass er den Verkehrswert unterschreitet. In diesem Fall könne auf die Einholung eines Gutachtens verzichtet werden. Dies gelte im Besonderen für die Fälle, in denen die Ermittlung der wertbestimmenden Faktoren zwar grundsätzlich möglich, jedoch mit erheblichem Zeit– und Kostenaufwand verbunden sei. Eine Modifikation der Amtsaufklärungspflicht bestehe demnach nicht, insbesondere bestehe auch in diesen Fällen keine über § 244 III, IV StPO hinausgehende Möglichkeit zur Ablehnung von Beweisanträgen. Sofern der Wert in voller Höhe eingezogen werden soll, müsse demnach eine umfassende Ermittlung der wertbestimmenden Faktoren erfolgen. Um eine unverhältnismäßig aufwändige Beweisaufnahme zu vermeiden, könne der Richter jedoch denjenigen Teilbetrag einziehen, von dem nach den verfügbaren Informationen sicher ist, dass er dem Wert des Gegenstandes mindestens entspricht. Zudem weist Hellmann darauf hin, dass § 430 I StPO dem Gericht die Möglichkeit eröffnet, mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft in jeder Lage des Verfahrens die Verfolgung der Tat auf andere Rechtsfolgen zu beschränken, sofern die Einziehung einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde. Dies spräche dagegen, dass § 74c III StGB den behaupteten prozessökonomischen Zweck verfolge. § 430 I StPO wäre überflüssig, wenn das Gericht Beweisschwierigkeiten durch Schätzung überwinden dürfte. Insbesondere eine Ablehnung von Beweisanträgen sei demnach nur unter den Voraussetzungen des § 244 III, IV StPO möglich, etwa, wenn das Gericht die notwendige Sachkunde besitzt. Eine Ablehnung wegen Erwiesenheit der unter Beweis gestellten Tatsache darf nur dann erfolgen, wenn ein Betrag eingezogen werden soll, der unter dem objektiven Verkehrswert der Sache liegt und mit Sicherheit mindestens dem Wert der Sache entspricht.260 260  Hellmann,

GA 1997, S. 520.

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C. Die Schätzklauseln im StGB

Hellmanns Kritik ist nachvollziehbar. Die oben skizzierte h. M. geht davon aus, die Frage der Schätzung des Wertersatzes sei in diesem Fall (gemeint ist der bewusste Verzicht auf die Ermittlung der wertbildenden Faktoren) eine prozessökonomische Abwägung zwischen der Bedeutung der Strafsache und dem jeweils nötigen Ermittlungsaufwand, also eine Verhältnismäßigkeitsfrage. Auch die grundsätzliche Frage der Anordnung einer Einziehung ist gemäß § 74b StGB nach h.M eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Handelt es sich um eine Abwägungs- und Verhältnismäßigkeitsfrage, so müsste konsequenterweise folgendes gelten: Auch die Möglichkeit einer Überschätzung des objektiven Verkehrswertes und dem entsprechend die Gefahr der überhöhten Wertersatzeinziehung, mithin also die Frage der unangemessenen Sanktionsfolge für den Angeklagten, muss im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsabwägung ins Gewicht fallen. Betrachtet man diesen Abwägungsfaktor, so stellt man fest, dass er auch im Fall von Bagatellunrecht nicht nur stabil bleibt, sondern sogar geeignet ist, das Ergebnis der Abwägung vollends umzukehren. Denn je geringer der Unrechtsgehalt der abzuurteilenden Tat, desto weniger scheint die Möglichkeit einer gesetzeswidrigen Überschreitung des objektiven Verkehrswertes der Sache akzeptabel. Betrachtet man weiter die Vielzahl der vom Gesetzgeber angebotenen Alternativen zur Entlastung des Verfahrens, wie etwa die ausdrückliche Möglichkeit nach § 430 I StPO, aus prozessökonomischen Gesichtspunkten auf die Einziehung zu verzichten, oder etwa die in § 74c I StGB angelegte Möglichkeit, einen Wert anzusetzen, der schon nach der Sachkunde des Richters in jedem Fall unter dem Verkehrswert der Sache liegt, kann die Schätzung nicht mehr als mildestes Mittel gelten. Zieht der Richter einen Teil des Sachwertes ein, von dem nach den gegebenen Umständen schon aus Laiensicht feststeht, dass er dem Wert der Sache mindestens entspricht, so beruht eine damit einhergehende Verfahrenserleichterung nicht auf der Schätzungsbefugnis, sondern auf dem in § 74c I StGB eingeräumten Ermessen des Richters. Demnach sind kaum Fälle denkbar, in denen die Schätzung des Sachwertes aus prozessökonomischen Gründen – mithin also der bewusste Verzicht auf eine vollständige Ermittlung wertbildender Faktoren trotz entsprechender Möglichkeit – verhältnismäßig erscheint. Das Abwägungsergebnis erscheint in diesem Fall vorgezeichnet. bb) Grundsatz „in dubio pro reo“ Bezüglich des Zweifelssatzes gilt größtenteils das bereits zu § 40 III StGB Gesagte. Handelt es sich bei dem zu schätzenden Faktor um einen immensurablen, so kann der Zweifelsgrundsatz höchstens dort Anwendung finden, wo das Ergebnis sich als Wertbereichs- und nicht als Punktwertschätzung darstellt.



II. Schätzungen des Sachwertes bei der Wertersatzeinziehung89

Im Falle der unüberwindbaren Beweisschwierigkeiten besteht die konkrete Gefahr der Überschreitung des objektiven Wertrahmens aufgrund der Schätzung. Dieser Gefahr scheint die h. M. dadurch entgegenwirken zu wollen, dass sie annimmt, im Zweifel sei stets der geringste Schätzbetrag heranzuziehen. Dies ist unter dem Gesichtspunkt des Zweifelssatzes korrekt, sofern es sich um den – der Schätzung entsprungenen – zahlenmäßig geringsten Wert eines aus gleich wahrscheinlichen Werten bestehenden Wertbereiches handelt. Ansonsten kann sich eine pauschale Orientierung an dem zwar möglichen, aber nicht wahrscheinlichsten und zugleich zahlenmäßig geringsten Wert gerade nicht auf den Grundsatz „in dubio pro reo“ stützen. Denn geht mit der Schätzbefugnis in § 74c III StGB eine Modifikation des Grundsatzes der richterlichen Überzeugung nach § 261 StPO dahingehend einher, dass die Überzeugung von der im Wege der Schätzung erreichten Wahrscheinlichen Übereinstimmung des Schätzergebnisses mit der Wirklichkeit als ausreichend zu erachten ist, so kann sich ein relevanter Zweifel nur hinsichtlich der gleich wahrscheinlichen Werte innerhalb eines Wertbereiches ergeben. Das pauschale Abstellen auf den nicht wahrscheinlichsten, jedoch zahlenmäßig geringsten Wert ist schon insofern bemerkenswert, als sich eine solche Vorgehensweise schon gar nicht als korrekte Schätzung darstellt. Das korrekte Ergebnis einer Schätzung zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es sich um jenes handelt, welches in Abhängigkeit von Schätzgrundlagen und angewandter Schätzmethode am wahrscheinlichsten ist. Zwischen diesem und dem geringstmöglichen (und daher für den Täter schonendsten) Sachwert kann durchaus ein signifikanter Unterschied bestehen – was wiederum in der Natur der Schätzung als „Annäherung an die Wahrheit“ liegt. Obgleich es dem Richter nach § 74c I StGB ausdrücklich gestattet ist den Sachwert zu unterschreiten, muss man sich darüber im Klaren sein, dass in diesem Fall vom Regelungsgehalt des § 74c III StGB, der die Schätzung erlauben soll, kaum etwas übrig bleibt. Im Falle der prozessökonomisch motivierten Schätzung gilt das Gleiche, obgleich der Anwendungsbereich des Zweifelssatzes – welcher das Bestehen eines endgültigen Zweifels voraussetzt – hier schon nur unter der Voraussetzung eröffnet sein kann, dass man mit der h. M. eine Begrenzung der Aufklärungspflicht aus der Unverhältnismäßigkeit des Ermittlungsaufwand heraus zulässt. Läge eine solche Unverhältnismäßigkeit weiterer Ermittlungen vor, so wäre dem Aufklärungsgrundsatz genüge getan. 4. Fazit Somit gleicht der Befund zur Schätzung im Zusammenhang mit der Wert­ ersatzeinziehung dem bereits zur Geldstrafe Gesagten. Mit § 74c III StGB hat der Gesetzgeber eine Modifikation des Grundsatzes der richterlichen

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C. Die Schätzklauseln im StGB

Überzeugungsbildung nach § 261 StPO dahingehend vorgesehen, dass die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit als ausreichend erachtet wird. Ihr Anwendungsbereich beschränkt sich im Wesentlichen auf die Fälle, in denen der exakte Wert einer Sache nicht genau feststellbar ist oder in denen sich entsprechende wertbildende Faktoren aufgrund unüberwindbarer Beweisschwierigkeiten nicht ermitteln lassen. In diesen Fällen komplementiert die Schätzungsbefugnis den Regelungskomplex der Wertersatzeinziehung. Dies gilt erst recht in Fällen, in denen das Gesetz die Einziehung obligatorisch vorsieht. Der darüber hinausgehende Beitrag zur Verfahrenserleichterung ist jedoch gering. Als problematisch erscheint die Schätzung insbesondere, soweit sie sich auf prozessökonomische Erwägungen stützt. Bei genauerem Hinsehen kann auch § 74c III StGB nur einen geringen Beitrag zur Verfahrenserleichterung bieten, soweit dies auf prozessökonomischen Erwägungen, die aus der Abwägung des Anklagevorwurfs mit dem Ermittlungsaufwand beruhen, fußt. Eine solche lässt sich auf Grundlage einer prozessökonomischen KostenNutzen-Abwägung zumindest nicht erreichen, sofern man die mit der Schätzung einhergehende Gefahr der Überschreitung des objektiven Sachwertes ins Kalkül einbezieht. Eine mit § 74c III StGB verbundene Modifikation des Amtsermittlungsgrundsatzes sowie der Grundsätze des Beweisantragrechtes muss somit als problematisch angesehen werden. Dieses Ergebnis deckt sich insofern mit der Ratio der §§ 74c StGB, als das danach insbesondere Lücken, die einer grundsätzlich zulässigen Einziehung entgegenstehen, geschlossen werden sollen,261 sowie mit dem Rechtsgedanken des § 74b StGB.

III. Schätzung der Höhe sowie des Umfangs des Erlangten im Zusammenhang mit der Verfallsanordnung nach § 73b StGB Auch § 73b StGB sieht die Möglichkeit einer Schätzung vor, um die Höhe und / oder den Umfang des durch eine rechtswidrige Tat Erlangten bzw. die Höhe des zivilrechtlichen Anspruchs, den das Tatopfer gegen den Täter oder Teilnehmer hat, festzustellen. Bei § 73b StGB handelt es sich um eine Norm aus dem Regelungskomplex des Verfalls. Auch in diesem Zusammenhang bedarf es demnach zunächst einer kurzen Betrachtung der §§ 73 ff. StGB.

261  BT

Drs. V / 1319, S. 57.



III. Schätzung der Höhe sowie des Umfangs des Erlangten91

1. Regelungsgehalt und allgemeine Voraussetzungen des Verfalls Die Verfallsregelungen in §§ 73 ff. StGB haben erst im Zuge des 2. StrRG Einzug in das StGB gefunden. Die Grundvoraussetzungen einer Verfallsanordnung sind in § 73 I StGB geregelt. Die Anordnung des Verfalls eines Gegenstandes setzt zunächst stets das Vorliegen einer rechtswidrigen Straftat voraus, die der Betroffene als Täter oder Teilnehmer begangen hat. Diesbezüglich genügt auch der strafbare Versuch.262 Weiter muss der Täter / Teilnehmer „etwas“ für oder aus der Tat erlangt haben. Dabei findet die Vorschrift des § 25 StGB keine Anwendung. Die Verfallsanordnung setzt also stets voraus, dass der Täter / Teilnehmer auch einen tatsächlichen wirtschaftlichen oder faktischen Vorteil aus der Tat gezogen hat.263 Die ursprüngliche Fassung des Gesetzes verlangte noch das Vorliegen eines aus der Tat erlangten „Vermögensvorteils“. Mit dem 3. AWG / StGBÄndG vom 28.02.1992 ist dieser Begriff durch das Wort „etwas“ ersetzt worden. Ziel der Reform sollte die Verfahrenserleichterung bei der Vermögensabschöpfung gerade in Fällen der organisierten (BTM-) Kriminalität sein.264 Das ursprünglich nach dem 2. StrRG geltende Nettoprinzip sollte durch das sog. Bruttoprinzip ersetzt werden. War es nach dem Nettoprinzip noch möglich, Aufwendungen, die zur Herbeiführung der Tat entstanden sind, von dem der Verfallsanordnung unterliegenden Betrag abzuziehen, so ist dies nach dem heute geltenden Nettoprinzip nicht mehr möglich. Dem Verfall soll nunmehr der gesamte Taterlös ohne Rücksicht auf etwaige Gegenleistungen, Aufwendungen oder Kosten der Tat unterliegen.265 Aus der Systematik des § 73 StGB lässt sich weiter darauf schließen, dass das Erlangte selbst unmittelbar für oder aus der Tat des Täters entstammen muss. Denn nach § 73 II StGB werden auch die mittelbaren Tatvorteile, wie etwa Nutzungen oder Surrogate, dem Verfall unterworfen. Im Umkehrschluss wird ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Unmittelbarkeitszusammenhangs in § 73 I StGB hineininterpretiert. Das Bestehen eines solchen Unmittelbarkeitszusammenhangs ist unproblematisch, soweit zwischen der Herstellung von Verfügungsgewalt über das Erlangte und der Tat keine weiteren Verfügungsakte zwischengeschaltet sind. 262  Schmidt, in: LK, § 73 Rn. 14; Joecks, in: MüKo, § 73 Rn. 18; Podolsky / Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 23. 263  Joecks, in: MüKo, § 73 Rn. 23; Podolsky / Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 39. 264  BT-Drs. 12 / 1134, S. 12. 265  BGH NStZ 94, S. 123 f.; NstZ 2001, S. 312; Podolsky / Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrikeitenverfahren, S. 24.

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C. Die Schätzklauseln im StGB

Allerdings treten besonders im Bereich der Wirtschaftsdelikte, etwa bei Fällen der Korruption im Zusammenhang mit Auftragsvergabe, häufig Konstellationen auf, bei denen zwischen der Tat und dem Erlangen der Verfügungsgewalt mehrere Zwischenakte bestehen. Dies spricht jedoch nach Ansicht des BGH auch im Bereich der Wirtschaftsdelikte grundsätzlich nicht gegen einen entsprechenden Unmittelbarkeitszusammenhang.266 Danach bedarf es in solchen Fällen allerdings einer genauen Betrachtung des erlangten Vermögensvorteils.267 Weiter unterliegen nur solche Vermögensvorteile dem Verfall, die dem Täter oder Teilnehmer durch eine von der Anklage umfasste und vom Tatrichter festgestellte Tat zugeflossen sind.268 Nach § 73e StGB ist zudem Voraussetzung, dass der erlangte Gegenstand oder das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung dem vom Verfall Betroffenen gehört bzw. zusteht. § 73e StGB normiert weiter die Wirkung der Verfallsanordnung. Danach geht der für verfallen erklärte Gegenstand bzw. das Recht mit Rechtskraft des Urteils in das Eigentum des Staates über. Auch ergibt sich aus § 73e StGB, dass dem Gericht bei der Anordnung des Verfalls kein Ermessen zusteht. Liegen die Voraussetzungen des Verfalls vor, so hat das Gericht über den Gegenstand oder das Recht grundsätzlich zwingend den Verfall anordnen.269 Um die Anordnung des Verfalls zu ermöglichen, kann das Erlangte auf Grundlage der §§ 111b I i. V. m. §§ 111e, 111f und 111c StPO sichergestellt werden.270 Die Anordnung des Verfalls ist nach § 73 I S. 2 StGB ausgeschlossen, soweit dadurch die Ansprüche des durch die Tat Geschädigten beeinträchtigt würden. Ziel der Vorschrift ist es, einerseits zu verhindern, dass der Täter entsprechende Vermögensvorteile zweifach (und zwar einerseits an den Staat und andererseits an den Geschädigten) abführen muss. Andererseits soll verhindert werden, dass dem Täter durch Anordnung des Verfalls Mittel entzo266  BGH

NJW 2000, 297. NStZ 2000, 480; BGHSt 47, 369; BGH Urt. v. 3.11.2005 in dem die Rechtsprechung hier lediglich den bei der Durchführung eines durch Korruption erlangten Vertragsabschlusses zu erwartenden Gewinn (u. U. durch Berechnung branchenüblicher Gewinnaufschläge), nicht etwa dessen wirtschaftlichen Wert, als unmittelbar aus der Tat Erlangtes ansieht, weicht sie im Ergebnis deutlich vom Bruttoprinzip ab. 268  BGHSt 28, 369; Podolsky / Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 27. 269  Saliger, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, § 73c Rn. 1; Joecks, in: MüKo, § 73c Rn. 1; Podolsky / Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf-und Ordnungswiedrikeitenverfahren; S. 28. 270  Podolsky / Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 28. 267  BGH



III. Schätzung der Höhe sowie des Umfangs des Erlangten93

gen würden, die er zur Befriedigung der zivilrechtlichen Ansprüche des Verletzten benötigt.271 Die Anordnung des Verfalls scheidet demnach immer dann aus, wenn es einen individuell Geschädigter gibt und diesem ein Ausgleichsanspruch zustände, wobei es nur auf dessen rechtliche Existenz, nicht hingegen auf die Geltendmachung des Anspruchs ankommt.272 Als Geschädigte kommen sowohl natürliche, als auch juristische Personen und Personengesamtheiten sowie in bestimmten Konstellationen (etwa bei Steuerdelikten) auch der Staat in Betracht.273 Die Anordnung des Verfalls ist allerdings nur in der Höhe des jeweils bestehenden Anspruchs ausgeschlossen, etwa bei Verletzung des Urheberrechtes. Ein Anspruch des Geschädigten ist hier gemäß § 106 UrhG auf den erzielten Gewinn beschränkt. In Bezug auf den aus Urheberrechtsverletzung resultierenden Erlös muss nach dem Bruttoprinzip hingegen der Verfall angeordnet werden (abzüglich des Gewinns).274 Nach § 73 II S. 1 StGB erstreckt sich der Verfall auf die gezogenen Nutzungen. Gleiches gilt nach § 73 II S. 2 StGB für Surrogate, wobei die Anordnung des Verfalls von Ersatzgegenständen ausdrücklich im Ermessen des Gerichtes steht; in diesem Fall ist die Anordnung des Wertersatzverfalls (dazu unten) nach § 73a StGB zwingend.275 Über § 73 III StGB ist die Anordnung des Verfalls auch in Bezug auf einen Tatunbeteiligten möglich. Dies betrifft sowohl Fälle, in denen der Täter in offener Stellvertretung für einen anderen handelt,276 als auch solche, in denen Dritte durch oder aus einer rechtswidrigen Tat faktisch Vorteile erlangen, ohne dass ein nach außen erkennbarer Vertretungsfall vorliegt,277 und Fallgestaltungen, in denen der Täter das Taterlangte absichtlich auf Dritte übertragen hat, um der Verfallsanordnung zu entgehen.278 271  Joecks, in: MüKo, § 73 Rn. 44; Podolsky / Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrikeitenverfahren. S. 45. 272  Podosky / Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrikeitenverfahren, S. 45. Allerdings lässt die Rechtsprechung von diesem Grundsatz zahlreiche Ausnahmen zu. Dazu: BGH wistra 83, 256; BGH NStZ 1995 S. 219; OLG München, NStZ 2004, 443; BGH wistra 2006, 380; OLG München, NStZ 2004, 443. 273  BGH NStZ 2001, S. 155 ff.; BGH NJW 2001, 693; BGH NStZ 1999, 560; BGH NStZ 2000, 589. 274  Beispiel entnommen aus: Podolsky / Brenner, Vermögensabschöpfung im Strafund Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 48. 275  Podolsky / Brenner, Gewinnabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 63. 276  Schmidt, in: LK, § 73, Rn. 60; Podolsky / Brenner, Gewinnabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigtkeitenverfahren, S. 66. 277  BGH NJW 2000, 297; BGH NJW 1991, 371; OLG Düsseldorf NJW 1979, 992, Podolsky / Brenner, Gewinnabschöpfung im Staf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 68. 278  BGH NJW 2000, 297.

94

C. Die Schätzklauseln im StGB

Ferner ermöglicht § 73 IV StGB den sogenannten dritteigentümerbezogenen Verfall. Danach ist die Anordnung des Verfalls auch dort möglich, wo der tatbeteiligte Vorteilsempfänger kein Eigentum an dem aus der Tat entstandenen Vorteil erlangt hat und gleichzeitig der Eigentümer als Dritter vorwerfbar in die Tat verwickelt ist.279 Enorme praktische Relevanz kommt dem Wertersatzverfall nach § 73a StGB zu. So gründen sich ca. 90 % der Verfallsanordnungen materiell auf § 73a StGB, was sich vor allem daraus ergibt, dass der für die Anordnung nach § 73 I StGB notwendige Beweis, dass es sich bei bestimmten Vermögensgegenständen gerade um solche handelt, die aus der angeklagten Straftat stammen, nur schwer zu führen ist.280 Dabei statuiert § 73a StGB einen Geldanspruch, der auf den Wert des Erlangten gerichtet ist. Der Wertersatzverfall ist nach § 73a StGB grundsätzlich in zwei Fällen möglich. Erstens in Fällen, in denen der Verfall aufgrund der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich ist. So etwa, wenn das Erlangte wie bei der illegalen Abfallbeseitigung nicht gegenständlicher Natur ist, hier werden lediglich Aufwendungen erspart. Gleiches gilt etwa, wenn durch die Tat lediglich Gebrauchsvorteile erlangt worden sind.281 Ferner ermöglicht § 73a StGB den Verfall von Wertersatz, sofern die Verfallsanordnung nach § 73 StGB aus einem anderen Grund nicht möglich ist. In der Praxis wird häufig auf diese Alternative zurückgegriffen. Dies ist etwa der Fall, wenn das aus der Tat Erlangte unauffindbar ist, sowie, wenn der qualifizierte Nachweis darüber, dass es sich bei Vermögenswerten um solche handelt, die der angeklagten Tat entstammen, nicht möglich ist. Gleiches gilt für den Fall, dass das Gericht von der Anordnung des Verfalls bei Surrogaten nach § 73 II S. 2 StGB absieht. Die Anordnung von Wertersatzverfall ist auch möglich, sofern das Taterlangte eine Werteinbuße erfahren hat, also zum Zeitpunkt des Verfalles nach § 73 I StGB der aktuelle Wert hinter dem Wert im Moment des Erlangens zurückbleibt. Die Wertdifferenz kann hier nach § 73a StGB abgeschöpft werden.282 Auf Spezifika der Vorschrift zum erweiterten Verfall nach § 73d StGB soll hier nicht näher eingegangen werden. Dabei handelt es sich um eine Vorschrift, die mit dem Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels 279  Joecks, in: MüKo, § 73 Rn. 82; Podolsky / Brenner, Gewinnabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 73. 280  Podolsky / Brenner, Gewinnabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 75. 281  Joecks, in: MüKo, § 73a Rn. 5; Schmidt, in: LK, § 73a Rn. 5; Podolsky / Brenner, Gewinnabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 76. 282  Podolsky / Brenner, Gewinnabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 78.



III. Schätzung der Höhe sowie des Umfangs des Erlangten95

und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) in Kraft getreten und im Jahre 1992 in das Strafgesetzbuch eingefügt worden ist. Danach hat das Gericht beim Vorliegen bestimmter rechtswidrig begangener Straftaten, bei denen auf § 73d StGB verwiesen wird, den Verfall von Vermögensgegenständen anzuordnen, wenn Umstände die Annahme rechtfertigen, dass diese für oder aus entsprechenden Taten erlangt worden sind, ohne dass ein Nachweis über entsprechende konkrete Taten geführt werden muss.283 Die Verfassungsmäßigkeit der Norm ist immer wieder angezweifelt,284 jedoch letztlich vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden.285 In den Fällen des Verfalls nach § 73 I StGB sowie des Wertersatzverfalls nach § 73a StGB und des erweiterten Verfalls nach § 73d StGB findet die Härtevorschrift des § 73c StGB Anwendung. Nach § 73c I S. 1 StGB hat die Anordnung des Verfalls zu unterbleiben, soweit dies eine unbillige Härte für den Betroffenen darstellen würde.286 Dies ist der Fall, wenn die Auswirkungen des Verfalls im Einzelfall außer Verhältnis zu den damit verfolgten Zwecken stünden. Dabei bedarf es jedoch besonderer Umstände, die die Vollstreckung des Verfalls im Einzelfall als unbillige Härte außerhalb des Verfallszwecks erscheinen lassen. So etwa, wenn der Betroffene durch die Anordnung des Verfalls in seiner Existenz gefährdet würde. Die Vorschrift des § 73c I StGB wird dabei vom BGH sehr restriktiv ausgelegt. Allein dass Aufwendungen nach dem Bruttoprinzip nicht mehr länger entlastend Berücksichtigung finden, stellt für sich genommen ausdrücklich noch keine unbillige Härte dar.287 Auch darf die Verfallsanordnung nicht nur unterbleiben, um dem Betroffenen aus Resozialisierungserwägungen Vermögenswerte zu belassen.288 Auch die Tatsache, dass der Betroffene Sozialhilfe bezieht, steht der Anordnung des Verfalls nicht entgegen.289 Aus der Systematik des § 73c I S. 1 und 2 StGB ergibt sich, dass im Falle des bloßen Nichtmehrvorhandenseins des Wertes des Erlangten im Vermögen des Betroffenen gleiches gilt, es bedarf demnach zusätzlicher Umstände.290 Anders ist es jedoch, wenn die Verfallsanordnung nach § 73 III StGB einen tatunbeteiligten Dritten trifft. 283  Podolsky / Brenner, Gewinnabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 80. 284  Etwa: Eser, FS-Stree / Wessels, S. 833, 846; Hoyer, GA 1993, S. 406, 413. 285  BVerfG NJW 2004, S. 2073. 286  Podolsky / Brenner, Gewinnabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 31. 287  BGH Urt. vom 3.7.2003 – 1 StR 453 / 02. 288  BGH NStZ 1995, 495. 289  BGH StV 1995, 635. 290  BGH NStZ 2000, 89.

96

C. Die Schätzklauseln im StGB

Hier können in Bezug auf die Frage des Vorliegens eines Härtefalles nach § 73c StGB unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 818 III BGB sachgerechte Ergebnisse erzielt werden.291 § 73 I S. 2 StGB räumt dem Gericht bei der Anordnung des Verfalls Ermessen ein, sofern das Erlangte im Zeitpunkt der Anordnung nicht oder nicht mehr in vollem Umfang vorhanden ist. Dabei kommt es in diesem Zusammenhang nach Ansicht des BGH jedoch nicht darauf an, dass Vermögen vorhanden ist, das einen unmittelbaren Zusammenhang zur begangenen Tat aufweist. Entscheidend ist, dass der Betroffene grundsätzlich über Vermögen verfügt, das wertmäßig den anzuordnenden Verfallsbetrag übersteigt. Denn hier sei nach Ansicht des BGH davon auszugehen, dass der Wert des Erlangten noch im Vermögen vorhanden ist. Solange und soweit der Betroffene über Vermögen verfügt, besteht zumindest in Bezug auf eine Verfallsanordnung in der entsprechenden Höhe kein Ermessen des Gerichtes.292 Dies gilt jedoch nicht in Bezug auf Vermögenswerte, die in keinem denkbaren Zusammenhang mit der abgeurteilten Straftat stehen.293 Auch kann nach § 73 I S. 2 2. Alt StGBvon der Verfallsanordnung abgesehen werden, sofern das Erlangte von geringem Wert ist. Der entsprechende Wert wird bei 50–100 € angesetzt.294 2. Rechtsnatur Über die Rechtsnatur der Verfallsvorschriften besteht weitgehend Uneinigkeit. Da es sich um einen Faktor handelt, dem auch für die Erörterung der entsprechenden Schätzungsklausel nach § 73b StGB (dazu unten) eine entscheidende Bedeutung zukommt, bedarf es hier einer genaueren Betrachtung. a) Rechtsnatur des Verfalls vor Einführung des Bruttoprinzips Im Entwurf des StGB (E) 1962 war der Verfall noch als strafähnliche Maßnahme ausgestaltet und knüpfte folglich an eine schuldhaft-rechtswidrige Handlung an. Ihn zu einer Nebenstrafe auszugestalten, hatte schon der 291  BGH 292  BGH

NJW 2002, 3339. Urt. v. 20.3.2001  – 1 StR 12 / 01; BGH NStZ 2000, 480 ff.; BGH wistra

2000, 298. 293  BGH NStZ 2003, 257; anders hingegen der 1. Strafsenat (BGH NJW 2006, 2500), der nur dann ein Ermessen als gegeben ansieht, wenn der Täter völlig unabhängig von der etwaigen Herkunft entsprechender Vermögenswerte über keinerlei Vermögen mehr verfügt. 294  Podolsky / Brenner, Gewinnabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 39.



III. Schätzung der Höhe sowie des Umfangs des Erlangten97

E 1962 nicht vorgesehen. Vielmehr trat man für die Möglichkeit einer eigenständigen Anordnung ein, wie sie dann auch in § 76a StGB umgesetzt war. Seit dem Eingang der Verfallsregelungen in das StGB durch das 2. StrRG knüpft § 73 I StGB hingegen an die Begehung einer schuldlos-rechtswidrigen Tat an.295 Gleichwohl bestand auch schon vor Einführung des Bruttoprinzips durch Art. 3 AWG / StGBÄndG z. T. Streit über die Rechtsnatur des Verfalls. Der Gesetzgeber hatte es unterlassen, die Rechtsnatur des Verfalls ausdrücklich zu bezeichnen; aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich jedoch, dass der Verfall weder als Strafe, noch als Sicherungsmaßnahme ausgestaltet sein sollte. Vielmehr sollte es sich um eine Maßnahme eigener Art, zur Ergänzung der Strafe handeln.296 Die ältere Rechtsprechung sah den Verfall noch als Nebenstrafe an.297 Auch Teilen der damaligen Literatur zufolge sei der Verfall zumindest in wesentlichen Elementen strafähnlich. Hier wird jedoch weiter nach der jeweiligen Anwendungsmodalität differenziert. Handelt der Täter schuldhaft, so liegt eine Strafsanktion vor. Im gegenteiligen Fall oder wenn sich die Anordnung gegen einen unbeteiligten Dritten richtet, sei der Verfall allein als Nicht-Tolerierung der rechtswidrigen Vermögenslage durch den Staat anzusehen.298 Die spätere Rechtsprechung299 und damals h. L.300 sahen den Verfall im Einklang mit dem Gesetzgeber hingegen als Maßnahme sui generis an. Der Verfall diene nicht der Bestrafung des Betroffenen, sondern der Abschöpfung eines durch Straftat, also in illegitimer Art und Weise, erlangten Vermögensvorteils. Es handle sich danach um eine Wiederherstellungsmaßnahme. Eser spricht in diesem Zusammenhang von einer quasikondiktionellen Ausgleichsmaßnahme.301

295  Schmidt,

in: LK, Vor § 73 Rn. 11. V / 4095, S 39 ff.; Entwurf StGB 1962, S. 241 ff.; AE-StGB, S. 196 ff.; SA-Protokolle V / S. 541 ff. 297  BGHSt 5, 155; 163; 11, 345, 348; 13, 328, 329. 298  Zipf, JuS 1974, S. 273, 279 f.; Eberbach, NStZ 1987, S. 486; Arzt, NStZ 1990, S. 1, 5, Fn. 30; Köhler / Beck, JZ 1991, S. 797, 798. 299  BGHSt 30, 46, 47 f.; 31, 145, 146. 300  Schmidt, in: LK, § 73 Rn. 7 f.; Lackner / Kühl, StGB, § 73 Rn. 1; Jescheck / Weigend, Lehrbuch, § 76 I 1; Güntert, Gewinnabschöpfung als strafrechtliche Sanktion, S. 17; Mitsch, JA 1993, S. 304, 306; Dannert, Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Eigentumsentziehungen, S.  26 ff.; Eberbach, NStZ 1987, S. 486, 487. 301  Eser, in: Schönke / Schröder, StGB 24. Aufl., Vor § 73 Rn. 19 f. 296  BT-Drs.

98

C. Die Schätzklauseln im StGB

b) Rechtsnatur des Verfalls nach Einführung des Bruttoprinzips durch Art. 3  AWG / StGBÄndG Mit Einführung des Bruttoprinzips erfolgt nunmehr keine Saldierung der erlangten Vermögenswerte mit den getätigten Aufwendungen und Ausgaben mehr. Der Verfall erstreckt sich nicht länger nur auf den Überschuss dieses Saldierungsprozesses, sondern pauschal auf alles aus der Straftat Erlangte. Die damit verbundenen Auswirkungen auf die Rechtsnatur des Verfalls werden unterschiedlich beurteilt. aa) Rechtsprechung Nach Ansicht der Rechtsprechung302 ändert auch die Umstellung auf das Bruttoprinzip nichts an der Rechtsnatur des Verfalls als kondiktionsähnlichem Ausgleichsanspruch des Staates. In der entsprechenden Leitentscheidung303 des Bundesverfassungsgerichtes heißt es dazu unter anderem: „Die mit den strafrechtlichen Verfallsvorschriften beabsichtigte generalpräventive Wirkung soll nach dem Willen des Gesetzgebers auf andere Weise erzielt werden: Indem der Staat dem Täter deliktisch Erlangtes wegnimmt, führt er ihm, wie auch der Rechtsgemeinschaft vor Augen, dass strafrechtswidrige Bereicherungen nicht geduldet werden und Straftaten sich nicht lohnen. Der vermögensordnende Eingriff soll die Unverbrüchlichkeit und die Gerechtigkeit der Rechtsordnung erweisen und so die Rechtstreue der Bevölkerung stärken. […] Schließlich hat das Rechtsinstitut des Verfalls auch nicht deshalb strafähnlichen Charakter angenommen, weil der Gesetzgeber parallel zur Neuregelung des § 73d StGB das bis dahin im Verfallrecht geltende Nettoprinzip (Abschöpfung des Tat­ erlöses abzüglich Tatkosten) durch das Bruttoprinzip (Abschöpfung des erlangten Etwas, des Taterlöses ohne Abzug für die Tat geleisteter Aufwendungen) ersetzt hat. […] Der betroffene Straftäter soll deliktisch erlangte Gegenstände nicht behalten; die mit der Bereicherung des Täters verbundene Störung der Rechtsordnung soll nicht auf Dauer bestehen bleiben; die Gewinnabschöpfung soll verhindern, dass die bereits eingetretene Störung der Vermögensordnung auch zukünftig fortdauert. […] Mit dieser präventiven Zielsetzung wirkt der erweiterte Verfall nicht wie eine Strafsanktion. Seine Anordnung erfolgt nicht, um dem Betroffenen die Begehung der Herkunftstat vorzuhalten und über sie ein sozialethisches Unwerturteil zu sprechen. Sie zielt vielmehr darauf, einen rechtswidrigen Zustand für die Zukunft zu beseitigen. […] Der Gesetzgeber hat dem Rechtsinstitut des Verfalls durch die Einführung des Bruttoprinzips den kondiktionsählichen Charakter nicht genommen. Vielmehr hat er sich eine an Wortlaut und Gesetzessystematik der §§ 812 ff. BGB orientierte Sichtweise des zivilrechtlichen Bereicherungsrecht zu 302  BGH NStZ 1995, 491, 491; NJW 1998, 1723, 1728; NStZ 2001, 312; BGH Urt. v. 21.08.2002, 1 StR 115 / 02, S. 10 ff. 303  BVerfG NJW 2004, 2073.



III. Schätzung der Höhe sowie des Umfangs des Erlangten99 eigen gemacht. Danach beschränkt sich die Funktion der §§ 812 ff. BGB nicht auf die Abschöpfung noch vorhandener Vermögenswerte; vielmehr ist die Kondiktion ein eigenständiges Instrument zur Korrektur irregulärer Vermögenszuordnungen, das allein den gutgläubigen Bereicherungsschuldner vor Vermögenseinbußen schützt (§ 818 III BGB), während es dem Bösgläubigen Verlustrisiken zuweist (§ 818 IV, § 819 BGB; vgl. BGHZ 53, 144, 147 f.; 55, 128, 135 und 57, 137). […] Der Rechtsgedanke des 817 Satz 2 BGB, wonach das in ein verbotenes Geschäft Investierte unwiederbringlich verloren sei, solle deshalb auch beim Verfall Anwendung finden. … Das Vertrauen der Bevölkerung in die Gerechtigkeit und die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung kann Schaden nehmen, wenn Straftäter deliktisch erlangte Vermögenswerte dauerhaft behalten dürfen. Eine Duldung solcher strafrechtswidriger Vermögenslagen durch den Staat könnte den Eindruck hervorrufen, kriminelles Verhalten zahle sich aus, und damit staatlich gesetzten Anreiz zur Begehung gewinnorientierter Delikte geben. Die strafrechtliche Gewinnabschöpfung ist ein geeignetes Mittel um dies zu verhindern. Sie kann der Bevölkerung den Eindruck vermitteln, der Staat unternehme alles ihm rechtsstaatlich Mögliche, um die Nutznießung von Verbrechensgewinnen zu unterbinden.“

bb) Literatur (1) Änderung der Rechtsnatur Einer weit verbreiteten Auffassung zufolge kann der Verfall nach Einführung des Bruttoprinzips nicht länger als Wiederherstellungsmaßnahme gelten, dieser habe nunmehr Straf- bzw. strafähnlichen Charakter angenommen. Hoyer etwa untersucht die Geltung der Unschuldsvermutung im Zusammenhang mit dem erweiterten Verfall und weist hier zunächst darauf hin, dass allein die Tatsache, dass der Verfall keine Schuld voraussetzt, nicht gegen dessen Charakterisierung als Straf- oder strafähnliche Sanktion spreche.304 Es sei zirkelschlüssig, aus der Tatsache, dass der Verfall unabhängig von einer Schuldfeststellung angeordnet werden könne, auf die fehlende Strafähnlichkeit zu schließen, um im nächsten Schritt wiederum die fehlende Strafähnlichkeit mit der Unabhängigkeit von der Schuldfeststellung zu begründen. Die Einführung des Bruttoprinzips führe dazu, dass der Täter auch dann mit dem Verfall rechnen müsse, wenn er keinen Vorteil oder sogar einen wirtschaftlichen Nachteil aus der Tat erlitten habe. Dies widerspreche dem allgemeinen Grundsatz des Bereicherungsrechtes, wonach die Herausgabepflicht des Bereicherten keinesfalls zu einer Verminderung seines Vermögens führen dürfe, weshalb der Verfall keinesfalls mehr als kondiktionsähnlicher Anspruch gelten könne. Zwar bestehe auch im Bereicherungsrecht die Möglichkeit einer Haftung trotz Wegfalls der Bereicherung nach §§ 818 IV, 819 BGB, diese ergebe sich jedoch aus den „allgemeinen Vorschriften“, nicht aus 304  Hoyer,

GA 1993, S. 406, 413.

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C. Die Schätzklauseln im StGB

dem Bereicherungsrecht selbst, und sei auf Restitution desjenigen Schadens gerichtet, der aus der schuldhaften Verletzung der Restitutionspflicht aus Bereicherungsrecht entstanden sei. Auch sei der Verfall keine schadensersatz­ ähnliche Maßnahme. Der Verfall ließe sich demnach nicht als Geltendmachung eines pauschalierten Schadensersatzes für der Allgemeinheit durch den Täter zugefügte Schäden verstehen, denn auch das Schadensersatzrecht bezwecke den Schadensausgleich und nicht die Schadensüberkompensation. Nach dem Bruttoprinzip sei jedoch lediglich die Vermögensverschiebung von der Allgemeinheit zum Täter, und nicht in die entgegengesetzte Richtung, etwa in Form von Steuer- oder Entgeltzahlungen, von Bedeutung. Der Täter würde also zu Zwecken in Anspruch genommen, die über den Schadensausgleich hinausgingen. Der Verfall könne nach Einführung des Bruttoprinzips weder als kondiktionsähnlich, noch als schadenersatzgleich verstanden werden. Vielmehr werde durch den Verfall nunmehr Verbrechensprävention betrieben. Angesichts dessen erstrecke sich auch die Unschuldsvermutung auf den Verfall. Auch Eser hält den Bereich der bloßen Ausgleichsmaßnahme mit der Umstellung auf das Bruttoprinzip für verlassen.305 Ein über die reine Gewinnabschöpfung hinausgehender Verfall stelle ein gegen den Täter selbst gerichtetes und tatvergeltendes Strafübel dar. Lampe sieht im Verfall nach dem Bruttoprinzip keine Ausgleichsmaßnahme mehr. Vielmehr handle es sich – wie bei der Einziehung – um eine Enteignung von Gegenständen mit Deliktsbezug.306 Joecks hingegen hält allein den Umstand, dass dem Täter ein über die Abschöpfung des Profits hinausgehendes Übel zugefügt wird, in Bezug auf die Frage der Rechtsnatur des Verfalls für nicht entscheidend. Beim Verfall fehle es an einem personalen Unwerturteil. Insofern könne der Verfall jedenfalls nicht als „klassische“ Strafe bezeichnet werden, weshalb auch nicht das Schuldprinzip, sondern lediglich die Eigentumsgarantie nach Art. 14 GG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Maßstab in Frage kommen, letzterer sei in § 73 c StGB ausdrücklich geregelt.307 Geiger zufolge widerspricht eine isolierte Betrachtung des aus der Tat Erlangten, ohne Saldierung mit den getätigten Ausgaben und Aufwendungen dem Tatbegriff des Art. 103 III GG sowie dem Begriff der Tat im prozessualen Sinn und den Instituten von Tateinheit und -mehrheit im materiellen Strafrecht.308 305  Eser,

in: FS für Stree / Wessels, S. 844. JZ 1994, S. 123, 131. 307  Joecks, in: MüKo, Vor § 73 Rn. 14. 308  Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 304, 307. 306  Lampe,



III. Schätzung der Höhe sowie des Umfangs des Erlangten101

Darüber hinaus sei eine solche Betrachtungsweise mit Grundprinzipien des Bereicherungsrechts nicht vereinbar. Dieses diene der Wiederherstellung und keinesfalls der Schlechterstellung. Das von den Befürwortern des Bruttoprinzips herangezogene Argument des § 817 S. 2 BGB sei nicht stichhaltig, denn § 817 S. 2 BGB beruhe auf dem Gedanken, dass dem gesetzeswidrig Handelnden nicht das Recht zur Rückforderung seiner Leistung zustehe. Im Rahmen einer strafrechtlichen Verurteilung gehe es allerdings nicht um die Frage einer Rückforderung des gesetzeswidrig Handelnden, sondern um einen staatlichen Eingriff von außen in den gesetzeswidrigen Leistungsvorgang. Außerdem verhindere § 817 S. 2 BGB nicht nur die Rückforderung von gesetzeswidrig erfolgten Leistungen, sondern stehe vielmehr auch einer Rückgabe von entsprechend erhaltenen Leistungen entgegen, schaffe also sowohl Vor-, als auch Nachteile für den Betroffenen. Das Bruttoprinzip greife hingegen einseitig ein und schaffe lediglich einen Nachteil. Der Verfall nach dem Bruttoprinzip könne vielmehr nur dann noch als Wiederherstellungsmaßnahme charakterisiert werden, wenn der Wiederherstellungszweck den von einer solchen Maßnahme verursachten Grundrechtseingriff in seiner Gesamtheit legitimiere. Durch den Verfall nach dem Bruttoprinzip werde jedoch regelmäßig nicht der vor der Begehung der Straftat bestehende Zustand hergestellt, sondern ein wirtschaftlich schlechterer Zustand. Der Wiederherstellungszweck kann jedoch schon begrifflich nur einen Grundrechtseingriff legitimieren, der darauf abzielt, den vor der Tat bestehenden Zustand wiederherzustellen, nicht hingegen die Schlechterstellung des Täters. Die Verfallsanordnung nach dem Bruttoprinzip müsste demnach durch andere Zwecke gerechtfertigt sein. Als solche kämen insbesondere Sicherungszwecke nicht in Betracht, denn es sei nicht ersichtlich, welche Form von Sicherung mit einem Eingriff in das Vermögen des Täters, über den Betrag des Nettogewinns hinaus, erreicht werden könne. Ein solch schlechterstellender Grundrechtseingriff lasse sich demnach allein über Strafzwecke legitimieren – bei der Schlechterstellung des Täters handelt es sich um ein grundsätzlich zur Verfolgung von Strafzwecken geeignetes Übel. Ähnlich argumentiert auch Dannert, die insbesondere die Einordnung als quasi-kondiktionelle Ausgleichsmaßnahme auf Grundlage des Grundgedankens des § 817 S. 2 BGB ablehnt. Denn nach dieser Vorschrift werde bei der Rückabwicklung verbotener oder sittenwidriger Geschäfte lediglich staatliche Hilfe versagt; dies legitimiere noch keine Übertragung von rechtswidrig transferierten Vermögenswerten auf den Staat selbst.309

309  Dannert,

S. 28.

Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Eigentumsentziehungen,

102

C. Die Schätzklauseln im StGB

(2) Beibehaltung der Rechtsnatur Vereinzelte Stimmen in der Literatur gehen hingegen im Einklang mit der Rechtsprechung davon aus, dass mit der Umstellung auf das Bruttoprinzip keine Änderung der Rechtsnatur des Verfalls einhergeht. Krey / Dierlamm bezeichnen die Umstellung als sachgerecht und lassen insofern keine Zweifel in Bezug auf die Charakterisierung des Verfalls als Wiederherstellungsmaßnahme aufkommen.310 Gleiches gilt für Katholnigg, der das wirtschaftliche Risiko im Zusammenhang mit der Begehung einer Straftat ausschließlich dem Täter zuordnet und insofern bemängelt, dass dieser nach dem Nettoprinzip im Ergebnis keinen Verlust erlitten hätte.311 Das Bruttoprinzip entspreche insbesondere dem Rechtsgedanken des § 817 S. 2 BGB, wonach das in ein verbotenes Geschäft Investierte unwiederbringlich verloren sei. Auch Altenhain sieht im Verfall weiterhin eine Wiederherstellungsmaßnahme, jedoch ohne eine entsprechende Begründung zu nennen.312 Podolsky / Brenner stellen darauf ab, dass der Charakterisierung des Verfalls als strafähnliche Maßnahme der Boden entzogen sei, da § 73 StGB an die Begehung einer schuldlos rechtswidrigen Tat anknüpft. Es handle sich danach um eine öffentlich-rechtliche Abschöpfung illegitimen Vermögens.313 Schmidt geht davon aus, dass die Rechtsnatur des Verfalles von dessen Zweck bestimmt sei. Dieser liege in der Gewinnabschöpfung und damit dem Ausgleich unrechtmäßiger Vermögensverschiebungen. Der Verfall stelle demnach eine Rechtsfolge eigener Art zur Ergänzung der zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Vermögensordnung dar. Zwar würden hiermit auch spezial- und generalpräventive Zielsetzungen verfolgt, solche seien allerdings in einem gewissen Umfang auch den bereicherungsrechtlichen Restitutionsansprüchen immanent. Auch der Übergang vom Netto- auf das Bruttoprinzip ändere an dieser Rechtsnatur nichts. Insbesondere könne der Verfall nicht als strafähnlich angesehen werden, da dessen Anordnung schuldunabhängig sei.314 Wallschläger zufolge beziehe sich das durch den Verfall nach dem Bruttoprinzip beim Täter entstehende wirtschaftliche Defizit allein auf solche Vermögenswerte, die freiwillig zur Vorbereitung und Durchführung der Tat aufgewendet wurden.315 310  Krey / Dierlamm,

JR 1992, S. 353; 357. JR 1994, S. 353, 356. 312  Altenhain, in: Matt / Renzikowski, § 73 Rn. 1. 313  Podolsky / Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, S. 17. 314  Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, S. 9, 10. 315  Wallschläger, Die strafrechtlichen Verfallsvorschriften, S. 28. 311  Katholnigg,



III. Schätzung der Höhe sowie des Umfangs des Erlangten103

(3) Vermittelnde Auffassung Weitere Autoren hingegen vertreten insofern vermittelnde Auffassungen, als dass sie sich weder auf die Zuordnung des Verfalls zu den Strafsanktionen, noch auf dessen Charakterisierung als quasi-kondiktionelle Ausgleichsmaßnahme festlegen. Hellmann etwa geht davon aus, dass der Verfall so lange noch als Ausgleichs- bzw. Wiederherstellungsmaßnahme gelten müsse, wie der Täter oder Teilnehmer keine nennenswerten Aufwendungen gemacht hat, so dass sich Netto- und Bruttogewinn entsprechen. Ginge die Abschöpfung über den Nettogewinn hinaus, so müsse die Verfallsanordnung hingegen zumindest als strafähnlich gelten.316 So ähnlich auch Eser, der im Verfall nach dem Bruttoprinzip dann ein tatvergeltendes Strafübel sieht, wenn der Bereich der gewinnabschöpfenden Ausgleichsmaßname überschritten wird. Eser spricht insofern von einer „ambivalenten Eigentumssanktion“.317 Wolters / Horn halten die gesetzgeberische Entscheidung, den Verfall nicht einer der beiden Spuren des Strafrechts zuzuordnen, für materiell gerechtfertigt. Der grundsätzliche Zweck des Verfalls bestehe in der Beseitigung des rechtswidrigen Vermögenszustandes, was weder den Strafen, noch den Maßregeln entspreche. Gleichzeitig könne die Maßnahme jedoch auch zur Spezial- und Generalprävention beitragen. Auch könne dem Verfall eine Sicherungsfunktion insofern zukommen, als dass rechtswidrig erlangte Tatvorteile häufig zur Begehung weiterer rechtswidriger Taten eingesetzt würden. Abschöpfung würden über den aus der Tat erlangten Vermögensvorteil hinaus auch als Übelszufügung empfunden, darüber hinaus also auch präventive und repressive Elemente enthalten. Aufgrund des klaren gesetzgeberischen Anliegens könne der Verfall gleichwohl nicht wie von Eser als ambivalente Eigentumssanktion bezeichnet werden. Entscheidend für die Bestimmung der Rechtsnatur sei der vom Gesetzgeber unterstrichene Beseitigungs- bzw. Wiederherstellungszweck. Gegen den Strafcharakter des Verfalls, auch nach dem Bruttoprinzip, spräche insbesondere, dass der jeweilig abgeschöpfte Vermögenswert nicht mit der Höhe des verschuldeten Unrechts verbunden sei und der Gesichtspunkt des Ausgleichs individueller Schuld dem Verfall daher nicht immanent sei. Es sei nicht einleuchtend, warum der Verfall durch die gesetzliche Neuregelung seinen Ausgleichscharakter verloren habe, obwohl der Gesetzgeber durch die Verwendung des Begriffs „etwas“ erkennbar an das Bereicherungsrecht anknüpfen wollte. Den Verfallsvorschriften könne allerdings schon nicht die Ermächtigung entnommen werden, einen über den 316  Hellmann, 317  Eser,

GA 1997, S. 521. in: Schönke / Schröder, § 73 Rn. 19.

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C. Die Schätzklauseln im StGB

Betrag des Nettoerlangten hinausgehenden Vermögensverlust beim Verfallsbetroffenen zu bewirken.318 cc) Stellungnahme Die oben beschriebene Kontroverse betrifft zweifelsfrei eine der ältesten und umstrittensten Fragen des Sanktionsrechtes. Dies verwundert insofern nicht, als dass dieses Rechtsgebiet ohne eine klare Dogmatik auskommt. Die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen einzelnen Sanktionsformen ergibt sich zunächst aus dem deutschen System der Zweispurigkeit des Strafrechts (bzw. Dreispurigkeit, berücksichtigt man die vom Gesetzgeber mit dem Institut des Verfalls verfolgten Intentionen). Hierbei handelt es sich um ein Spezifikum des deutschen Strafrechtes – dem englischen Rechtsysstem etwa ist eine Differenzierung zwischen Strafen und Maßregeln fremd. (1) Die Bestimmung der Rechtsnatur im Allgemeinen Welche Kriterien bei der Klassifikation einer Sanktion heranzuziehen sind, ist weder im Grundgesetz, noch einfachgesetzlich definiert. Zwar werden hierzulande in Strafrechtswissenschaft und Praxis Kriterien aufgestellt, anhand derer sich die Rechtsnatur einer Sanktion, etwa als Strafe, bestimmen lassen soll. Eine Strafe ist danach charakterisiert durch die Zufügung eines Übels und die Verfolgung einer präventionsorientierten Zweckrichtung (Spezial- und Generalprävention). Auch enthält die Strafe ein sozialethisches Unwerturteil über die Verhaltensweise des Täters. Qualitative Unterschiede zwischen den einzelnen Sanktionen  – etwa zwischen Ordnungswidrigkeiten und Geldstrafen sowie Freiheitsstrafen und Maßregeln – lassen sich jedoch anhand dieser Kriterien kaum widerspruchsfrei erklären. Diese Dogmatik wird darüber hinaus auch nicht immer stringent durchgehalten und ist Anknüpfungspunkt für zahlreiche Kontroversen. Auf Grundlage dieser herkömmlichen Abgrenzungskriterien ergeben sich gewisse logische Brüche, wenn etwa Sanktionen wie das Absehen von der Strafe (§ 60 StGB) im Kanon der Sanktionen des StGB bei den Strafsanktionen verortet werden.319 Nicht ohne Grund spricht Eser320 im Zusammenhang mit dem Verfall von einer „ambivalenten Eigentumssanktion“. Betrachtet man die Vielzahl möglicher Auswirkungen, Rechtsreflexe und Zweckrichtungen der Sanktionen in 318  Wolters / Horn,

in: SK-StGB, § 73 Rn. 3 ff. Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 239. 320  Eser, in: Schönke / Schröder, § 73 Rn. 19. 319  Geiger,



III. Schätzung der Höhe sowie des Umfangs des Erlangten105

einem grundsätzlich dreispurigen Sanktionssystem, so könnte in diesem Zusammenhang auch von einer generellen Polyvalenz der Sanktionen gesprochen werden. Insbesondere die Ausführungen von Wolters / Horn machen die mannigfaltigen Wirkungsmöglichkeiten und Rechtsreflexe im Zusammenhang mit der Sanktion Verfall deutlich.321 Betrachtet man lediglich die Zweckrichtung einer Sanktion, so wäre die Abgrenzung zwischen Strafe und Maßregel kaum noch möglich. Ähnliches gilt für die isolierte Betrachtung der Wirkung. Nicht abgestritten werden kann etwa, dass Anordnung einer Maßregel vom jeweils Betroffenen durchaus als Übelszufügung von einigem Gewicht empfunden werden kann. Bei ihrer Anordnung fehlt es zwar weiter am Ausspruch eines Unwerturteils, die mit der Verhängung einer Maßregel verbundene gesellschaftliche Stigmatisierung ist für den Täter jedoch mindestens genauso empfindlich, wenn nicht sogar noch stärker. Ähnliches gilt für die Abgrenzung zwischen Geldtrafe und Bußgeld, sowie im Zusammenhang mit Auflagen etwa der Geldauflage bei Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 III StGB. Insbesondere das für die Einordnung als Strafe konstitutive Merkmal des sozialethischen Unwerturteils stellt sich bei näherer Betrachtung sogar als vollkommen akzidental dar. So handelt es sich bei dem Begriff der sozial­ ethischen Missbilligung zunächst nicht um einen strafrechtsspezifischen Begriff, sondern um einen aus dem Bereich der allgemeinen Moral und Sittlichkeit. Auch nicht kriminalisierten Verhaltensweisen sind nach allgemeiner sittlicher Wertung mit einem sozialethischen Unwert behaftet und werden deshalb missbilligt. Folglich kann dem Begriff der sozialethischen Missbilligung als Unterscheidungsmerkmal zur Bestimmung und Abgrenzung von Sanktionen im Strafrecht nur ein spezifisch strafrechtliches Verständnis zu Grunde liegen, welches darauf beruht, dass dem entsprechenden Verhalten einen gesteigerter sozialethischer Unwert innewohnt. Der einer Strafe also immanente sozialethische Unwert, im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs, ist jedoch nicht auf die Strafe begrenzt, sondern kann etwa auch in einem Bußgeld enthalten sein, mit dem eine Ordnungswidrigkeit geahndet wird. Der darin enthaltene sittliche Vorwurf ist in der Regel jedoch geringer als bei einer Straftat. Mit dem Verweis auf das bloße Bestehen oder Nichtbestehen eines sozialethischen Unwertgehaltes ist also noch nichts über die Rechtsnatur der jeweiligen Sanktion gesagt. Sofern die h. L. also etwa bei der Frage der Abgrenzung zwischen Strafe und Ordnungswidrigkeit abstellt, so kann nur der oben erwähnte spezielle strafrechtliche Begriff gemeint sein. Diese spezielle strafrechtliche Bedeutung resultiert jedoch unmittelbar aus der Entscheidung des Gesetzgebers zur strafrechtlichen Sanktionierung des Verhaltens selbst. Der Begriff des sozialethischen Unwertes im strafrecht­ 321  Wolters / Horn,

in: SK-StGB, § 73 Rn. 3 ff.

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C. Die Schätzklauseln im StGB

lichen Sinn ist demnach ein normativer Begriff, der an die Bezeichnung als Straftat geknüpft ist. Er ist einer Subsumtion unzugänglich und daher für eine Abgrenzung bzw. Bestimmung der Rechtsnatur unwesentlich.322 Auch auf die Art und Weise der Sanktionsverhängung sowie deren Bezeichnung kann nicht abgestellt werden.323 Eine Abgrenzung anhand dieser Kriterien führt unweigerlich in zirkuläre Argumentationsmuster nach dem Motto: „darf nicht sein – kann nicht sein“. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Es bedürfte zunächst der Klärung der Rechtsnatur, um daraus anschließend Folgen für deren Verhängung und Einordnung abzuleiten. Entscheidend kann deshalb nur das verfassungsrechtliche Zusammenspiel von Eingriff (in Form der jeweiligen Sanktion) und jeweiliger Rechtfertigung sein. Jede Bezeichnung einer Sanktion in einer gewissen Art und Weise – wie für den Verfall durch den Gesetzgeber etwa in § 11 I Nr. 8 StGB vorgenommen – kann nur als ordnungstechnische Zusammenfassung gelten, solange nicht das entsprechende verfassungsrechtliche Verhältnis von Eingriff und Rechtfertigung eine solche Einordnung oder Rechtsnatur auch stützt. Anknüpfungspunkt der Bestimmung der Rechtsnatur einer Sanktion ist zunächst stets der beim Betroffenen eintretende konkrete Grundrechtseingriff. Dieser muss durch die damit verfolgte Intention gerechtfertigt sein. Die Zwecksetzung einer Sanktion determiniert ihre Rechtsnatur, weil sich aus ihr der Grund und Sinn des Eingriffs ergibt. Der konkrete Grundrechtseingriff stellt somit das Mittel der Zweckerreichung dar und determiniert die jeweilige Sanktionsunterart. Die Entscheidung über die mit einer Sanktion verfolgte Intention trifft grundsätzlich der Gesetzgeber.324 Gesetzgeberische Intention und Rechtsnatur können jedoch nicht automatisch als deckungsgleich angesehen werden. Der Gesetzgeber ist bei der Zweckauswahl stets an die Werteordnung des Grundgesetztes gebunden.325 Folglich kann sich die Rechtsnatur der Sanktion nur aus der – in Anbetracht des jeweiligen Grundrechtseingriffs – verfassungslegitimen Zwecksetzung ergeben, Zweck und Wirkung bedingen sich somit gegenseitig. Insbesondere die in diesem Zusammenhang bedeutsamen Fragen des Verfassungsbezugs des Straf- und Sanktionenrechtes scheinen nicht hinreichend geklärt; zwar sind einzelne Teilaspekte dieses Themenkomplexes in verschie322  Geiger,

Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 85. BVerfGE 20, S. 323. 324  BVerfGE 19, S. 342, 347; 21, S. 378, 384; 21, S. 391, 403 ff.; 28, S. 264, 276; 32, S. 40, 48 ff.; 35, S. 311, 320; 64, S. 261, 275; 70, S. 297 ff.; 91, S. 1, 28 ff.; BVerfG NStZ 1995, S. 174 f. 325  Dazu: Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 67. 323  Vgl.



III. Schätzung der Höhe sowie des Umfangs des Erlangten107

denen wissenschaftlichen Arbeiten betrachtet worden,326 eine umfassende wissenschaftliche Diskussion dieser essenziellen Fragen hat jedoch bisher nicht stattgefunden. (2) Die Bestimmung der Rechtsnatur des Verfalls Auch im Mittelpunkt der hiesigen Kontroverse steht letztlich das Zusammenspiel von Zweck und Wirkung des Verfalls. Während die Rechtsprechung und die meisten Vertreter rechtsprechungsnaher Auffassungen in der Literatur bei der Frage der Kriterien zur Bestimmung der Rechtsnatur des Verfalls eher auf dessen Zweck abstellen, liegt der Schwerpunkt derer, die den Verfall nach dem Bruttoprinzip nunmehr für eine Strafsanktion halten, auf dessen Wirkung beim Betroffenen. Bei beidem handelt es sich jeweils um wichtige Teilaspekte, die jedoch nicht isoliert, sondern – wie oben angedeutet – in ihrem Zusammenspiel betrachtet werden müssen. Dass die mit einer Sanktion verfolgte Zielsetzung prägend für deren Rechtsnatur ist, verdient grundsätzliche Zustimmung. Gesetzgeberische Intention und Rechtsnatur können jedoch nicht automatisch als deckungsgleich angesehen werden. Eine einseitige Betonung der Sanktionswirkung beim Betroffenen hingegen führt, wie oben dargestellt, zu unauflösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten und taugt somit ebenfalls nicht als Kriterium. Wie enorm die Konfusion ist, wenn versucht wird, die Rechtsnatur einer Sanktion losgelöst vom damit verbundenen verfassungsrechtlichen Verhältnis von Eingriff und Rechtfertigung zu erörtern, kann exemplarisch an den Ausführungen Schmidts dargestellt werden. Danach verfolgt der Verfall den „Zweck des Ausgleichs unrechtmäßiger Vermögensverschiebungen“ – woraus die Rechtsnatur des Verfalls als Wiederherstellungsmaßnahme resultiere – und „entfaltet dabei spezial- und generalpräventive Wirkung, wie sie in gewissem Umfang auch den Bereicherungsansprüchen nicht abzusprechen ist.“327 Warum hier allerdings der Ausgleich unrechtmäßiger Vermögensverschiebung gerade den Zweck der Sanktion darstellt, während die Spezial- und Generalprävention als deren Wirkweise begriffen wird, ist nicht klar, ja stellt sich 326  So etwa: Dannert, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Eigentumseinziehungen zur Verfolgung und Verhinderung von Straftaten; Stree, Deliktsfolgen und Grundgesetz; Eser, Die strafrechtlichen Sanktionen gegen das Eigentum; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte; Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat; zur mangelnden Auseinandersetzung der deutschen Strafrechtswissenschaft mit dem Bezug zum Verfassungsrecht: Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht. 327  Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, S. 9, 10.

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C. Die Schätzklauseln im StGB

im Endeffekt sogar als willkürlich dar. Denkbar wäre zunächst auch, dass ­beides – also Spezial- und Generalprävention sowie Vermögensausgleich – als Zwecke gleichberechtigt nebeneinander stehen. Bei genauerer Betrachtung erscheint jedoch zumindest nach dem Bruttoprinzip vielmehr das Gegenteil der Fall zu sein: Der mit dem Verfall verfolgte Zweck liegt in der Spezial- und Generalprävention, seine Wirkung, oder besser gesagt das Mittel zur Erreichung dieses Zwecks, ist der Entzug des Vermögens des Täters. Klarer wird das Zusammenspiel von Zweck und Wirkung demnach, wenn man die Betrachtung des Verfalls auf seine essenziellen Gesichtspunkte reduziert. Betrachtet man den Verfall als Grundrechtseingriff, der der verfassungsrechtlichen Legitimation bedarf, so tritt die Widersprüchlichkeit und Ungenauigkeit in den Aussagen Schneiders et al. sowie des BVerfG offen zutage. Ausgangspunkt einer solchen Betrachtung ist stets die Sanktionswirkung – der Grundrechtseingriff. Ein solcher muss durch den damit verfolgten Zweck legitimiert sein. Andersherum stellt die Wirkung des Verfalls das Mittel zur Erreichung des Zwecks dar. Die mit dem Verfall verfolgte Intention entspricht demnach dann seiner Rechtsnatur, wenn sie geeignet ist, den entsprechenden Grundrechtseingriff zu legitimieren.328 Beim Verfall besteht die Sanktionswirkung für den Betroffenen in einem Eingriff in Art. 14 GG (bzw. Art. 2 GG) durch Entzug von Vermögensgegenständen. Entzug und Verschiebung von Vermögenswerten stellen folglich das Mittel, nicht hingegen den Zweck der Sanktion dar. Genau andersrum verhält es sich mit einer spezial- bzw. generalpräventiven Wirkung des Verfalls. Unabhängig davon, ob man von einer solchen Wirksamkeit staatlicher Sanktionen überzeugt ist, aus der Sicht des Grundrechtsträgers stellt sich diese unmittelbar nicht als Sanktionswirkung dar – weil für den Eingriff in ein Grundrecht des jeweiligen Grundrechtsträgers völlig irrelevant. Es handelt sich allenfalls um die erhoffte – oder behauptete – Folge staatlicher Sanktionierung und stellt somit allenfalls das Ziel eben dieser dar.329 Die Argumentation Schmidts, aber auch der anderen Vertreter der entsprechenden Auffassung, stellt sich somit bei näherer Betrachtung als wenig überzeugend dar. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass dem Verfall, wie oben erwähnt, auch spezial- und generalpräventive Wirkung zukommen soll, wobei darauf verwiesen wird, dass dies teilweise auch für das Bereicherungsrecht gelte. Eine solche Argumentation wirkt artifiziell. Unabhängig davon, ob man eine spezial- und generalpräventive Intention des Bereicherungsrechtes bejaht, ist jedoch bereits von zahlreichen Autoren überzeugend dargestellt worden, dass die Schlechterstellung des Betroffenen nach dem 328  So

auch: Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 240. Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 240.

329  Geiger,



III. Schätzung der Höhe sowie des Umfangs des Erlangten109

Bruttoprinzip weder durch die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Bereicherungsrecht und Verfallsrecht, noch durch den Rechtsgedanken des § 817 S. 2 BGB plausibel gemacht werden kann. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass insbesondere die Rechtsprechung betont, § 817 S. 2 BGB enthalte keinen allgemeingültigen Rechtsgedanken.330 Sofern von verschiedenen anderen Autoren die Einordnung des Verfalls als Strafsanktion mit dem Argument verneint wird, dass deren Anordnung schuldunabhängig sei, ist dem in der Literatur richtigerweise widersprochen worden, wobei auf die Zirkelschlüssigkeit einer solchen Argumentation hingewiesen worden ist. Ist somit festgestellt, dass sich das taugliche Kriterium zur Bestimmung der Rechtsnatur einer Sanktion, wie oben bereits erwähnt, grundsätzlich nur aus der verfassungsrechtlich legitimen Zielsetzung ergeben kann, so stellt sich im nächsten Schritt die Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Verfalls. Dieser könnte als Eingriff in Art. 14 GG klassifiziert werden. Der Schutzbereich des Art. 14 GG erfasst eigentumsfähige Positionen in ihrem konkreten Bestand, wobei Innehaben, Nutzung und Verfügung geschützt werden. Eigentumsfähige Positionen sind grundsätzlich die vom Gesetzgeber zu einem bestimmten Zeitpunkt gewährten Rechte, insbesondere das Eigentum nach bürgerlichem Recht.331 Demnach können vom Schutzbereich des Art. 14 GG zunächst nur solche Positionen umfasst sein, in Bezug auf die auch wirksam Eigentum entstanden ist. Eine von dieser Prämisse unabhängige Frage ist, ob der Schutzbereich auch solche Positionen umfasst, die – zwar wirksam – aber in rechtswidriger Art und Weise erlangt worden sind. Ein ehemals verbreitetes Verständnis von Art. 14 GG, wonach nur solche Positionen dem Schutzbereich unterstehen, die auch „wohlerworben“332 sind bzw. wonach das Eigentumsrecht durch eine strafbare Handlung verwirkt sei,333 gilt nach heute wohl h. M. zurecht als überholt.334 Dies wird sowohl mit Art. 14 GG, als auch damit begründet, dass der einfache Gesetzgeber in diesem Fall grundrechtsfreie Räume schaffen könnte. Der Verfall wird nach h. M. weiter als Inhaltsund Schrankenbestimmung und nicht als Enteignung klassifiziert.335 330  BGHZ

44, S. 1, 17. in: Jarass / Pieroth, Art. 14 Rn. 5; Dannert, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Eigentumsentziehungen, S. 48. 332  BGHSt 26, 248, 254; insofern unklar: BGHSt 47, 369, 376. 333  Weber, NJW 1950, 401, 402; Düring, AöR 81, 117, 149; Gilsdorf, JZ 1958, 641, 643. 334  Dannert, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Eigentumsentziehungen, S. 51; Wolters / Horn, in: SK-StGB, § 73 Rn. 3c; Wallschläger, Die strafrechtlichen Verfallsvorschriften, S.  40 ff.; Julius, ZStW 1997, S. 58 ff. 335  Dazu: Dannert, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Eigentumsentziehungen, S. 56. 331  Jarass,

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C. Die Schätzklauseln im StGB

Ein solcher Eingriff in die Güterordnung ist grundsätzlich durch den Reparationszweck bis zum Punkt der Wiederherstellung des vormals bestehenden (rechtmäßigen) Vermögenszustandes, also bis zu dem Betrag gerechtfertigt, der dem Tatgewinn abzüglich der getätigten Aufwendungen und Ausgaben entspricht. Sofern also der Verfall nicht über diesen Betrag hinausgeht bzw. vom Täter keine nennenswerten Ausgaben oder Aufwendungen getätigt worden sind, handelt es sich beim Verfall um eine staatliche Sanktion, die den legitimen Zweck der Wiederherstellung des vor der Straftat bestehenden Vermögenszustandes dient, um so das Fortbestehen der rechtswidrigen Vermögenslage zu verhindern und die Grundlage für eine effektive Bestrafung des Täters zu schaffen. Der Verfall entsprechender Vermögenswerte ist zur Erreichung dieses legitimen Zwecks auch geeignet, erforderlich und angemessen. Insofern stellt der Verfall in dieser Konstellation durchaus eine Wiederherstellungsmaßnahme dar, die in ihrer Struktur an einen bereicherungsrechtlichen Ausgleichsanspruch erinnert. Eine durch Abschöpfung des Netto-Taterlöses eventuell eintretende spezial- und generalpräventiven Wirkung stellt einen bloßen Rechtsreflex dar.336 Geht die Entziehung von Vermögenswerten jedoch über diesen Betrag hinaus und erstreckt sich auf den Brutto-Netto-Saldo, so verlässt der Verfall den Bereich der Abschöpfung des rechtsgrundlosen (weil rechtswidrigen) Vermögensvorteils und stellt somit eine Schlechterstellung des Täters im Vergleich zum Zustand vor der Tat dar. Im Unterschied zur Abschöpfung nach dem Nettoprinzip besteht hier also eine Übelszufügung, nicht länger nur eine Wiederherstellung. Besteht also eine Schlechterstellung des Täters im Vergleich zum vor der Tat bestehenden rechtmäßigen Zustand, so kann dies durch den Zweck der Wiederherstellung der rechtmäßigen Vermögensordnung nicht länger legitimiert werden. Insbesondere Wolters / Horn ist insofern beizupflichten, als dass auch Sicherungszwecke als Legitimation herangezogen werden können. So könnte die Vermutung aufgestellt werden, dass rechtswidrig erlangtes Vermögen auch zur Begehung weiterer zukünftiger Straftaten eingesetzt werden könnte. Dies kann jedoch zunächst nur für die Abschöpfung des Vermögens bis zur Grenze des Brutto-Netto-Saldos gelten, denn eine darüber hinausgehende Abschöpfung des Vermögens über den Nettogewinn hinaus ist weder geeignet, noch erforderlich, um Sicherungsaufgaben zu erfüllen. Da es dem Vermögen als solchem weiter an einer spezifischen Gefährlichkeit fehlt, bedürfe es auch im Fall der Abschöpfung des Nettogewinns aus Sicherungsüberlegungen weiterer tatsächlicher Anhaltspunkte für eine entsprechende Verwendungsabsicht durch den Betroffenen, da ein solcher Eingriff in Art. 14 GG 336  Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 240; Dannert, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Eigentumsentziehungen, S. 56.



III. Schätzung der Höhe sowie des Umfangs des Erlangten111

ansonsten unangemessen wäre. Bei der mit dem Verfall von Vermögenswerten eintretenden Sicherungswirkung handelt es sich folglich allenfalls um einen (erwünschten) Rechtsreflex. Insofern kommen als Legitimation nur die präventiven und repressiven Strafzwecke in Betracht. Die Abschöpfung von Vermögenswerten muss diesbezüglich auch als grundsätzlich geeignetes Mittel gelten. Insgesamt handelt es sich um eine verhältnismäßige Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 I 2 GG.337 Dies klingt, wie oben bereits dargestellt, letztlich auch schon in der entsprechenden Entscheidung des BVerfG sowie in den Auffassungen einiger den Strafcharakter des Verfalls verneinender Autoren (insbesondere Schmidt) an, jedoch ohne dass daraus entsprechende Konsequenzen gezogen worden wären. Demnach ist zu konstatieren, dass mit der Einführung des Bruttoprinzips eine Änderung des Strafcharakters des Verfalls eingetreten ist, sofern Vermögen über den Betrag des Nettogewinns abgeschöpft wird. In diesem Fall handelt es sich um eine Strafsanktion. c) Konsequenzen aus der partiellen Einordnung des Verfalls als Strafsanktion Ist somit festgestellt, dass dem Verfall zumindest nach dem Bruttoprinzip Strafcharakter zukommt, so stellt sich im nächsten Schritt die Frage, welche Konsequenzen für den Umgang mit den Verfallsvorschriften daraus erwachsen. Dies wird ähnlich kontrovers diskutiert. Zunächst besteht grundsätzlich Einigkeit darüber, dass der Verfall, sofern er zu einer Abschöpfung des Bruttoerlöses führen soll, nur in Bezug auf schuldhaft handelnde Täter zur Anwendung gelangen kann. Nach der Einordnung des Verfalls als Strafsanktion zwingt das Schuldprinzip in Bezug auf schuldlos handelnde Täter zur Anwendung des Nettoprinzips.338 aa) Anrechnung des Verfalls auf die Hauptstrafe Weiter wird in Bezug auf die Abschöpfung des Bruttoerlöses bei schuldhaft handelnden Tätern von einem Teil der Literatur die Anrechnung des strafenden Verfallsanteils auf die Hauptstrafe für notwendig erachtet, da an337  Dannert, Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Eigentumsentziehungen, S. 833, 853; Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion S. 240, 307. 338  Dannert, Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Eigentumsentziehungen, S. 833, 853; Eser, in: Schönke / Schröder, Vor§ 73 Rn. 19; Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 308.

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C. Die Schätzklauseln im StGB

sonsten eine Schuldüberschreitung zu befürchten sei. Dies setzt zunächst voraus, dass zwischen Netto- und Bruttoerlangtem differenziert wird. Es bedarf demnach einer Feststellung der Höhe des Betrages des Nettoerlangten im Urteil, um darzustellen, welcher Teil des Verfalls vom Wiederherstellungszweck getragen ist und welchem hingegen Strafcharakter zukommt. In Bezug auf den strafenden Teil des Verfalles bedarf es im nächsten Schritt einer Ermittlung seines Gewichtes bei der Bemessung der Strafe entsprechend dem Tagessatzsystem. Es bedarf also einer Anpassung der jeweiligen Haupt- und Nebenstrafen, um insgesamt eine schuldangemessene Strafe zu garantieren.339 Der Rechtsprechung zufolge – die bereits den Strafcharakter des Verfalls nach dem Bruttoprinzip verneint – besteht keinerlei Konflikt mit dem Schuldprinzip. Sie hält konsequenterweise eine strafmildernde Berücksichtigung für unnötig. Übermäßige Belastungen sollen hingegen durch Anwendung der Härtevorschrift in § 73c StGB ausgeglichen werden.340 bb) Weitergeltung des Nettoprinzips Andere Stimmen in der Literatur treten zu recht für eine Auslegung des Begriffs „etwas“ in § 73 StGB ein, die eine Weitergeltung des Nettoprinzips auch für schuldhaft handelnde Täter ermöglicht.341 Ausgangspunkt einer solchen Überlegung ist die mit der Reform des Verfallsrechts verfolgte gesetzgeberische Intention. So ist das eigentliche gesetzgeberische Anliegen nicht die Einführung des Bruttoprinzips per se, sondern die Vereinfachung und Effektivierung der Gewinnabschöpfung auf Grundlage der §§ 73 ff. StGB. Geiger weist darauf hin, dass ebendies, in Anbetracht der aus rechtsdogmatischer Sicht unumgänglichen Klassifizierung des Verfalls als Strafsanktion und der daraus resultierenden Folgen für die Anwendung des Verfalls, nicht gegeben ist. Das Bruttoprinzip ist demnach derart zurückgedrängt, dass von der ursprünglichen gesetzgeberischen Intention nichts übrig bleibt. Tatsächlich tritt sogar eine Verkomplizierung des Strafzumessungsvorganges ein. Denn im Falle des – obligatorischen – Verfalles zwinge der Schuldgrundsatz weiterhin zu einer Ermittlung des Nettoerlangten, wie oben dargestellt; die Strafzumessung wird um einen weiteren komplexen Schritt erweitert. Dass der Gesetzgeber durch die Einführung des Begriffs „etwas“ das Bruttoprinzip einführen wollte, sei sekundär. Geiger spricht hier von einem „ge339  Eser, FS-Stree / Wessels, S. 833, 853; Eser, in: Schönke / Schröder, Vor § 73 Rn. 19. 340  BVerfGE 110, 1, 15; BGH NStZ 2001, 312. 341  Wolters / Horn, in: SK-StGB, § 73 Rn. 3; Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 310.



III. Schätzung der Höhe sowie des Umfangs des Erlangten113

setzgeberischen Fehlgriff“, da das zur Vereinfachung gedachte Mittel „Bruttoprinzip“ für die Erreichung des angestrebten Ziels kontraproduktiv ist.342 Primäres Ziel bei der Reform des Verfallsrechtes sei die Schaffung eines möglichst einfachen und effektiven Verfallsrechtes gewesen. Nachdem das Bruttoprinzip keinen ausdrücklichen Niederschlag im Gesetzestext gefunden habe, gebiete gerade die gesetzgeberische Intention eine Auslegung des Begriffs „etwas“ dahingehend, dass das wesentlich weniger komplexe Nettoprinzip gelte. Wie oben bereits dargestellt, treten auch Wolters / Horn dafür ein, die Abschöpfung des Vermögens auf den (Netto-)„Gewinn“ zu beschränken. Dieses Ergebnis wird, im Gegensatz zu Geiger, nicht durch Auslegung des Begriffs „etwas“ als Antwort auf die Einstufung des Verfalls nach dem Bruttoprinzip als Strafsanktion erzielt. Vielmehr erstrecke sich die Vermögensabschöpfung auch nach Einführung des Wortes „etwas“ nur auf den Gewinn, also den Betrag der die (Werbungs-)Kosten übersteige. Zur Begründung wird ebenfalls die gesetzgeberische Intention herangezogen. Danach sei es „nicht ohne Weiteres verständlich, warum der Verfall durch die Neufassung seinen Ausgleichcharakter verloren haben sollte, obwohl der Gesetzgeber mit der Verwendung des Begriffs etwas erkennbar an das Bereicherungsrecht anknüpfen wollte.“343 Dadurch wird schon die Kontroverse um eine Veränderung der Rechtsnatur des Verfalls umgangen. Im Ergebnis dürfte dies freilich auf dasselbe hinauslaufen. d) Zwischenergebnis Die Untersuchung der Rechtsnatur des Verfalls hat ergeben, dass dieser zumindest so lange als quasi-kondiktionelle Ausgleichmaßnahme gelten kann, wie die Grenze des Brutto-Netto-Saldos nicht überschritten wird. Einem sich darüber hinaus auf das Bruttoerlangte erstreckenden Verfall würde grundsätzlich Strafcharakter zukommen, so dass de lege lata ein Konflikt mit dem Schuldprinzip entstehe. Folglich besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Anwendung des Verfalls für schuldlos handelnde Täter auf das ­Nettoprinzip beschränkt ist. In Bezug auf schuldhaft handelnde Täter wird hingegen eine Anrechnung auf die Hauptstrafe diskutiert. Vorzugswürdig erscheint jedoch die insbesondere von Geiger vorgeschlagene grundsätzliche Weitergeltung des Nettoprinzips auch für schuldhaft handelnde Täter.344 Eine solche Lösung entspricht am ehesten der eindeutigen gesetzgeberischen Intention bei der Reform des Verfallsrechtes. Angesichts des offenen Wortlau342  Geiger,

Die Rechtsnatur der Sanktion S. 308 ff. in: SK, § 73 Rn. 3. 344  Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 309. 343  Wolters / Horn,

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C. Die Schätzklauseln im StGB

tes des § 73 StGB liegt eine solche Interpretation im Rahmen einer zulässigen Auslegung. Demnach lässt sich insgesamt feststellen, dass der Verfall auf die Abschöpfung des (Netto-)Gewinns beschränkt ist. Eine solche Maßnahme ist insgesamt vom Zweck der Wiederherstellung des ursprünglichen rechtmäßigen Vermögenszustandes gedeckt. Demnach lässt sich der Verfall auch weiterhin insgesamt als quasi-kondiktionelle Ausgleichsmaßnahme und im Kanon der strafrechtlichen Sanktionen insofern als Maßnahme sui generis einordnen. Gleiches gilt für den Wertersatzverfall nach § 73a StGB; dieser dient denselben Zielen und teilt insofern die Rechtsnatur des Verfalls.345 Auf eine tiefergehende Darstellung der Rechtsnatur des erweiterten Verfalls nach § 73d StGB kann an dieser Stelle verzichtet werden, da diese für den Untersuchungsgegenstand (§ 73b StGB) irrelevant ist. Zwar wird in § 73d II StGB auf die Schätzklausel in § 73b StGB verwiesen, dies gilt jedoch nur sinngemäß, d. h. nur hinsichtlich des (erweiterten) Wertersatzverfalls.346 3. Schätzungsklausel in § 73b StGB a) Hintergrund und Allgemeine Voraussetzungen § 73b StGB ermächtigt das Gericht, Werte, die für §§ 73, 73a StGB von Bedeutung sind, zu schätzen. Die Schätzklausel des § 73b StGB ist über § 73d II StGB auch auf den erweiterten Verfall sinngemäß anwendbar, jedoch nur im Zusammenhang mit dem Wertersatzverfall eines ursprünglich dem erweiterten Verfall unterliegenden Gegenstandes, nicht etwa in Bezug auf das Vermögen des Täters.347 Der aktuelle Wortlaut der Vorschrift beruht ebenfalls auf Art. 3 AWG / StGBauÄndG aus dem Jahre 1992. Der Vorschrift liegen nach allgemeiner Auffassung prozessökonomische Überlegungen zugrunde. Detaillierte Feststellungen über Art und Umfang der einer Verfalls­ anordnung unterliegenden Vermögensgegenstände können zum Teil kompliziert, mitunter sogar gänzlich unmöglich sein. Das Gericht soll von der Pflicht, entsprechende Feststellungen zu treffen, unter bestimmten Voraussetzungen befreit werden.348 Der Verfall muss zunächst grundsätzlich zulässig sein. Ob überhaupt verfallsfähige Vermögensgegenstände vom Täter erlangt worden sind, muss wie die Begehung der verfallsbegründenden Straftat selber zur tatrichterlichen 345  Schmidt,

in: LK, § 73a Rn. 2. StGB, § 73d Rn. 17; Eser, in: Schönke / Schröder, § 73d Rn. 17. 347  Schmidt, in: LK, § 73d Rn. 53; Joecks, in: MüKo, § 73d Rn. 35. 348  BT-Drucks. V / 4095, S. 40. 346  Fischer,



III. Schätzung der Höhe sowie des Umfangs des Erlangten115

Überzeugung feststehen. Gleiches gilt für das Bestehen zivilrechtlicher Ausgleichsansprüche des Geschädigten gemäß § 7 IS. 2 StGB, diesbezüglich kommt eine Schätzung folglich nicht in Betracht.349 Eine Schätzung ist weiter nur zulässig, sofern konkrete Feststellungen ausgeschlossen sind – wobei die Entscheidung darüber im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichtes liegt350 – oder einen unverhältnismäßigen Aufwand an Zeit oder Kosten erforderlich machen.351 Im Übrigen setzt die Vornahme einer Schätzung durch den Richter voraus, dass eine solide Schätzgrundlage besteht, d. h. der Sachverhalt dementsprechend weit aufgeklärt ist352, teilweise wird es sogar für zulässig erachtet, von der Verfallsanordnung gänzlich abzusehen, sofern das Gericht sich nicht in der Lage sieht, Anhaltspunkte für die Höhe der Einnahmen des Täters zu ermitteln.353 Die zu § 287 ZPO entwickelten Grundsätze gelten nach ganz h. M. entsprechend. In Bezug auf die Frage, wann der Aufklärungspflicht genüge getan und ab wann sich das Gericht mit der Schätzung begnügen darf, kommt es demnach auf den Einzelfall an. Hier spielt insbesondere eine Rolle, ob die Aufklärung der entsprechenden Tatsachen in der Hauptverhandlung möglich ist oder ob es hingegen einer Beweisaufnahme bedarf, die außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der in Frage stehenden Rechtsfolge stünde.354 Der Zweifelsgrundsatz findet bei der Ermittlung der Schätzgrundlagen Anwendung, nicht jedoch auf die Schätzung selber.355 Die Schätzgrundlagen und ihre Bewertung durch das Gericht müssen im Urteil dargelegt werden.356 Als entsprechende Schätzgrundlage kommt etwa der Einkaufspreis von Betäubungsmitteln in Frage.357 Gleiches gilt für die Differenz zwischen der Einkaufsmenge und der sichergestellten Menge BTM, sofern der Verkauf der übrigen Menge feststeht.358 Trotz des Standortes im Strafgesetzbuch handelt es sich bei § 73b StGB um eine strafprozessrechtliche Vorschrift.359 Die Grundsätze der Entscheidungsfindung sollen dahingehend abgeändert sein, dass der Richter vom Strengbeweis befreit ist und die Amtsaufklärungspflicht nach § 244 II StPO 349  Eser,

in: Schönke / Schröder, § 73b Rn. 2; Joecks, in: MüKo, § 73b Rn. 3. Urt. v. 20.4.1989 – 4 StR 73 / 89, NStZ 1989, 361. 351  BT-Drucks. V / 4095, S. 40 f. 352  BGH NStZ 01, S. 327 f. 353  Joecks, in: MüKo, § 73b, Rn. 8; Körner, § 33 BtMG Rn. 85. 354  BT-Drucks. V / 4095 S. 40; Prot. V / 1025. 355  BGH NStZ 1989, 361; BGH StV 1992, 26, BGH NStZ-RR 00, 57. 356  BGH NStZ-RR, 2001, 328. 357  BGH NStZ-RR 2000, 57. 358  BGH NStZ-RR 2002, 208. 359  Wolters / Horn, in: SK-StGB, § 73b Rn. 1; Schmidt, in: LK, § 73b Rn. 2. 350  BGH

116

C. Die Schätzklauseln im StGB

im Interesse der Prozessökonomie modifiziert wird. Die „vermutliche Wertannahme“ des Richters wird hier für ausreichend erachtet.360 b) Umfang der Schätzungsbefugnis Unter den oben genannten Voraussetzungen ermöglicht § 73b StGB zunächst eine Schätzung des Umfangs des vom Täter, Teilnehmer oder Dritten erlangten Vermögensvorteils. Davon erfasst sind etwa auch die gezogenen Nutzungen und Surrogate, sofern die Verfallsanordnung sich auf diese bezieht – so etwa der Umfang der vom Täter erlangten Bestechungsgelder sowie ihrer Surrogate.361 Gleiches gilt für den Differenzwert nach Wertminderung eines Gegenstandes gemäß § 73a S. 2 StGB. Auch kann der Wert des Erlangten geschätzt werden. Dies ist insbesondere für den Wertersatzverfall nach § 73a StGB von Bedeutung, etwa, wenn das Erlangte nicht in der Übertragung einer Sache oder eines Rechtes, sondern einem Vorteil anderer Art – etwa einem Gebrauchsvorteil oder ersparten Aufwendungen – besteht. Gleiches gilt für den Fall, dass das Erlangte zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr im Vermögen des Verfallsbetroffenen ist. Auch der Wert von Surrogaten soll – obwohl im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt – geschätzt werden dürfen. Gleiches gilt für diejenigen Werte, die für die Anwendung der Härtefallvorschrift nach § 73c StGB von Bedeutung sind.362 Die Schätzbefugnis gilt weiter in Bezug auf die Höhe des – einer Verfalls­ anordnung grundsätzlich entgegenstehenden – Anspruchs des Verletzten gemäß § 73 I S. 2 StGB, so etwa bezüglich der Ansprüche des Fiskus auf Zahlung von Einkommensteuer für die vom Täter erhaltenen Bestechungsgelder.363 c) Vereinbarkeit der Schätzung mit den Grundsätzen des Strafprozessrechtes aa) Grundsätzliches Die Zulässigkeit der Schätzung nach § 73b StGB in Fällen kategorischer Unmöglichkeit entsprechender Feststellungen sowie in Fällen, bei denen 360  BGH

Rn. 5.

361  BGH,

NStZ-RR 00, 57; Joecks, in: MüKo, § 73b Rn. 8; Fischer StGB, § 73c

NStZ-RR 2004, S. 242, 244. StGB, § 73b Rn. 3; Schmidt, in: LK, § 73b Rn. 7. 363  BGH, NStZ-RR 2004, S. 242, 244. 362  Fischer,



III. Schätzung der Höhe sowie des Umfangs des Erlangten117

Feststellungen zwar grundsätzlich möglich sind, ihnen jedoch unüberwindbare Beweishindernisse entgegenstehen, ist offensichtlich. Hier handelt es sich bei der Schätzung um einen Notbehelf, der als Ultima Ratio eingreift, um die zwingende Anordnung des Verfalls zu ermöglichen. Während der Gesetzgeber hier eine Modifikation des § 261 StPO dahingehend vornimmt, dass bereits Wahrscheinlichkeitserwägungen des Richters ausreichend sind, besteht ein Konflikt mit dem Amtsermittlungsgrundsatz nach § 244 II StPO in diesen Konstellationen nicht. Auch beim Verfall lässt sich somit feststellen, dass die Schätzung in den hier bekannten Konstellationen vor dem Hintergrund der grundsätzlich zwingenden Anordnung des Verfalls, ein ausreichendes Maß an Präzision bzw. ein noch tolerierbares Maß an Unpräzision erreicht. Insbesondere Friktionen mit dem Zweifelsgrundsatz können auf Grundlage einer Einordnung der Rechtsnatur des Verfalles als quasi-kondiktionelle Ausgleichsmaßnahme nicht entstehen, setzt doch die Anwendbarkeit des Zweifelsgrundsatz stets das Bestehen eines Zweifels hinsichtlich einer unmittelbar schuld- und strafrelevanten Tatsache voraus. bb) Verfahrensökonomie als Legitimation der Schätzbefugnis aus § 73b StGB? Im Falle der prozessökonomisch motivierten Schätzung trifft dies nicht ohne Weiteres zu, es bedarf einer genaueren Betrachtung. Diesbezüglich muss der Ausgangspunkt in der oben erörterten Klassifikation der Rechtsnatur des Verfalles liegen. Anders als bei Geldstrafe und Einziehung handelt es sich nach der hier vertretenen Auffassung beim Verfall – wegen der Weitergeltung des Nettoprinzips – nicht um eine Strafsanktion, sondern eine quasikondiktionelle Ausgleichsmaßnahme zur Herstellung des vor der Tat bestehenden Vermögenszustandes. Der Verfall erfüllt damit einen Zweck, der dem des Bereicherungsrechtes ähnelt. Von der ganz h. M. wird deshalb auf die zu § 287 ZPO entwickelten Grundsätze zurückgegriffen. Durch die Regelung des § 287 ZPO wird eine Beweiserleichterung für das Vorliegen der haftungsausfüllenden Kausalität sowie die Höhe des Schadens im Zivilprozess erzielt.364 Denn nach Maßgabe des § 286 ZPO den Beweis darüber zu führen, ob ein Schaden entstanden ist bzw. wie hoch dieser ist, kann zum Teil mit erheblichen praktischen Problemen behaftet sein. Um die Konsequenz einer Entwertung der materiellrechtlich bestehenden Schadensersatzansprüche zu vermeiden, erleichtert § 287 ZPO die Darlegungslast des Geschädigten, indem die Anforderungen 364  Z. T. wird die Schätzungsbefugnis in § 287 ZPO auch für die Frage der haftungsbegründenen Kausalität für anwendbar erachtet. So etwa: Foerste, in: Musielak ZPO, § 287 Rn. 5.

118

C. Die Schätzklauseln im StGB

an die Substantiierung des jeweils Vorgebrachten herabgesetzt werden. Auch wird dem Richter die Befugnis eingeräumt, in Abweichung von § 286 ZPO die Aufnahme der von den Parteien angebotenen Beweisen abzulehnen, um innerhalb der Parteianträge nach eigenem Ermessen über den Schaden zu entscheiden,365 wobei dies allerdings nicht für solche Beweisanträge gilt, die für die entsprechende Frage aufschlussreich und mit verhältnismäßigen Mitteln umsetzbar sind.366 Auf eine Beweisaufnahme, etwa auch im Wege des Sachverständigenbeweises, darf ferner nur dann verzichtet werden, wenn eine hinreichende Grundlage für die Ermessensentscheidung des Gerichtes besteht.367 Anstelle der Beweisaufnahme wird dem Richter durch § 287 ZPO bei der Frage der Schadensermittlung also die Befugnis eingeräumt, auf Wahrscheinlichkeitserwägungen und Schätzungen zurückgreifen, sofern die Beweiserhebung unmöglich oder mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten behaftet ist.368 Die Schätzung darf allerdings nicht willkürlich erfolgen, ­sondern bedarf einer Darlegung und ggf. des Beweises (von hinreichenden Schätzgrundlagen als Anknüpfungstatsachen) durch den Kläger.369 Die Schätzung der Schadenshöhe aus prozessökonomischen Gründen ist demnach im Zivilprozess ausdrücklich erlaubt. Dies könnte auch die Zulässigkeit einer prozessökonomisch motivierten Schätzung des Richters bei der Anordnung des Verfalls nach § 73b StGB nahelegen. Gleichwohl wird die ausschließlich prozessökonomisch motivierte Schätzung auch im Zusammenhang mit § 73b StGB angezweifelt. Gegen die Übertragung der Grundsätze aus § 287 ZPO wendet Hellmann ein, die Gewinnabschöpfung durch das Rechtsinstitut des Verfalles diene nicht dem Ausgleich von Parteiinteressen, vielmehr handle es sich um eine einseitige staatliche Maßnahme. Aus einer rein prozessökonomischen Handhabung des § 73b StGB resultiere letztlich jedoch eine Beweislastumkehr zu Ungunsten des Täters. Zwar habe der Täter durch seine Handlung den Anlass zur Verfallsanordnung gegeben. Eine Mitwirkungspflicht des Täters an der Aufklärung des aus der Straftat erzielten Gewinns ergebe sich dadurch jedoch nicht. Die Schätzung nehme eine Abweichung von der Wirklichkeit zum Nachteil des Täters bewusst in Kauf. Die faktische Mitwirkungspflicht des Täters an der Ermittlung des ihm aus der Tat entstandenen Gewinnes bedeute zwangsweise auch eine Mitwirkungspflicht an der Aufklärung des Tatvorwurfes selbst. Auch die Vorschriften über den erweiterten Verfall nach § 73d StGB 365  Leipold,

in: Stein / Jonas, § 287 Rn. 27. in: Zöller, § 287 Rn. 1. 367  Ahrens, in: Wieczorek / Schütze, § 287 Rn. 1. 368  Leipold, in: Stein / Jonas, § 287 Rn. 29; BGH JR 1961, 500; BGH NJW-RR 1993, 898, 900 f. 369  Foerste, in: Musilak ZPO, § 287 Rn. 7. 366  Greger,



IV. Schätzungen im Adhäsionsverfahren119

erweckten den Eindruck, dem Täter die objektive Beweislast insofern aufzubürden, als dass sie bereits die objektiv hohe Wahrscheinlichkeit der deliktischen Erlangung genügen ließen. Die entsprechende Vorschrift werde jedoch durch den BGH zu Recht dahingehend verfassungskonform ausgelegt, dass der Richter zur Überzeugung von der deliktischen Erlangung aufgrund erschöpfender Beweiswürdigung gelangen müsse.370 Die von Hellmann geäußerten Bedenken sind nachvollziehbar. Auch wenn die strukturelle Ähnlichkeit des Verfalls mit dem Bereicherungsrecht offensichtlich ist und man diesen insofern nicht dem Bereich der Strafsanktionen, sondern dem der außerstrafrechtlichen Ausgleichsmaßnahmen zuordnet, bleibt die enge Verschränkung mit der Schuld- und Straffrage klar. Bezugsgegenstand der Verfallsanordnung ist das aus der Straftat Erlangte. Dies stellt gleichzeitig einen Anknüpfungspunkt für die Frage des Erfolgsunwertes bei der Strafrahmenbemessung durch den Richter dar, kann jedoch auch im Rahmen der Frage der Verfahrenseinstellung nach dem Opportunitätsprinzip gemäß §§ 153 ff. StPO Bedeutung erlangen. Insofern kann auch hier die rein prozessökonomisch motivierte Schätzung im Hinblick auf die im Strafprozess geltende Beweislast als problematisch angesehen werden.

IV. Schätzungen im Adhäsionsverfahren nach §§ 403 ff. StPO i. V. m. § 287 ZPO 1. Grundsätze und Regelungsgehalt Das Adhäsionsverfahren nach §§ 403 ff. StPO bietet dem Verletzten oder seinem Erben die Möglichkeit, die durch die Straftat entstandenen vermögensrechtlichen Ansprüche geltend zu machen. Dabei handelt es sich nicht um ein eigenständiges gerichtliches Verfahren, sondern um einen besonderen Teil des Strafverfahrens.371 In diesem Fall folgt die Entscheidung über den zivilrechtlichen Anspruch nicht etwa dem Strafurteil nach, sondern bildet mit ihm eine Einheit dergestalt, dass im selben Urteil sowohl über strafrechtliche Schuld, als auch über zivilrechtliche Ersatzpflicht entschieden wird.372 In Bezug auf die zivilrechtliche Ersatzpflicht erwächst das Urteil in volle Rechtskraft und kann mit den Mitteln der ZPO vollstreckt werden. Das Hauptanliegen dieses besonderen Verfahrens ist nach heute herrschender Anschauung einerseits ein prozessökonomisches, dadurch dass mehrere – jeweils straf- und zivilrechtliche – Gerichtsverfahren mit evtl. unterschied­ 370  Hellmann,

GA 1997, S. 522. JuS 2005, S. 327. 372  Hilger, in: Löwe-Rosenberg, Vor § 403 Rn. 7. 371  Dallmeyer,

120

C. Die Schätzklauseln im StGB

lichem Ausgang verhindert werden. Daneben soll das Adhäsionsverfahren den Opferschutz stärken, in dem ihm eine schnelle und einfache Durchsetzung seiner Ersatzansprüche ermöglicht wird.373 Die praktische Relevanz des Adhäsionsverfahrens ist gering.374 Nicht zuletzt deshalb unternahm der Gesetzgeber sowohl im Jahre 1986 (Opferschutzgesetz) als auch 2004 (Opferrechtsreformgesetz) legislatorische Veränderungen an den §§ 403 ff. StPO. 2. Anwendbare Verfahrensgrundsätze Das Adhäsionsverfahren zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Kombination straf- und zivilprozessrechtlicher Elemente aus. Dallmeyer bezeichnet diese als „eigenartig“,375 Meier / Dürresprechen in diesem Zusammenhang als „Notwendigkeit zur kreativen Fortentwicklung des Rechtes“,376 während Feigen vom Adhäsionsverfahren als „Fremdkörper in der Strafprozessordnung“ spricht.377 Grundsätzlich folgt das Adhäsionsverfahren dabei strafprozessualen Maximen. Nicht zuletzt deshalb bietet es dem Adhäsionskläger zahlreiche Vorteile bei der Durchsetzung seiner aus der Straftat erwachsenen vermögensrecht­ lichen Ansprüche. So ist das Gericht auch für die Richtigkeit und Vollständigkeit der anspruchsbegründenden Tatsachen im Adhäsionsverfahren verantwortlich. Es gilt folglich nicht der zivilrechtliche Verhandlungsgrundsatz, sondern der Amtsermittlungsgrundsatz nach § 244 II StPO. Demnach werden alle für die Frage der zivilrechtlichen Ersatzpflicht notwendigen Beweismittel vom Gericht erhoben. Der Adhäsionskläger unterliegt hier also nicht der zivilprozessualen Darlegungslast.378 Gleichzeitig ist das Gericht – dem Rechtsgedanken des § 308 I ZPO entsprechend – jedoch nicht befugt, über den Antrag des Adhäsionsklägers hinauszugehen.379 Außerdem gilt der Grundsatz der richterlichen Überzeugung nach § 261 StPO. Eingeschränkt werden diese strafprozessualen Maximen nach einhelliger Auffassung dadurch, dass dem Adhä373  Rieß, FS-Dahs, S. 425, 430; Dallmeyer, JuS, 2005, S. 327, 328; Weiner / Ferber, Handbuch des Adhäsionsverfahrens, S. 25; Meier / Dürre, JZ 2006, S. 18, 19. 374  Zu den Gründen etwa: Loos, GA 2006, S. 195; 197. 375  Dallmeyer, JuS 2005, S. 328. 376  Meier / Dürre, JZ 2006, S. 19. 377  Feigen, Otto-FS. S. 879, 882. 378  Rieß, FS Dahs, S. 426; Dallmeyer, JuS 2005, S. 329; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 599; Greiner, ZRP, 2011, S. 132; Kurth / Pollähne, in: Heidelberger Kommentar StPO, § 404 Rn. 14. 379  Kurth / Pollähne, in: Heidelberger Kommentar, § 404 Rn. 14; BGHR StPO § 404 Abs. 1 – Antragstellung 2.



IV. Schätzungen im Adhäsionsverfahren121

sionskläger die zivilprozessualen Beweiserleichterungen des § 287 ZPO zugestanden werden.380 Danach darf der Richter sowohl die haftungsausfüllende Kausalität sowie die Schadens- bzw. Schmerzensgeldhöhe (nach umstrittener Ansicht auch die haftungsbegründende Kausalität) schätzen. Insoweit soll auch die Ablehnung von Beweisanträgen über die in § 244 III StPO hinaus genannten Gründe zulässig sein. Eine rein summarische Schätzung ist nicht zulässig.381 Ein weiterer nicht unerheblicher Vorteil im Zusammenhang mit der Beweisaufnahme besteht für den Adhäsionskläger gegenüber dem Zivilprozess darin, dass er hier selbst als Zeuge aussagen kann. Im Zivilprozess hingegen ist die Möglichkeit der Parteivernahme beschränkt.382 Die Entscheidungsformen im Adhäsionsverfahren sind hingegen – auch durch das Opferrechtsreformgesetz aus dem Jahr 2004 – an den Entscheidungsformen des Zivilprozessrechtes orientiert. Dies gilt zunächst gemäß § 406 I 2 StPO für die Möglichkeit, Grund- bzw. Teilurteile zu fällen. Vorteilhaft für den Adhäsionskläger ist in diesem Zusammenhang besonders, dass weder Prozessurteil noch negative Sachentscheidung im Adhä­ sionsverfahren möglich sind. Wird der Beschuldigte nicht wegen der anspruchsbegründenden Straftat verurteilt bzw. ist der Anspruch unbegründet oder unzulässig, so ergeht eine vollständige oder teilweise Absehensentscheidung nach § 406 I S. 3 StPO. Diese erwächst nach § 406 III S. 3 StPO nicht in Rechtskraft, der Anspruch kann also weiterhin vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden.383 Der Adhäsionskläger geht durch das Adhäsionsverfahren also keinerlei Risiko in Bezug auf den von ihm verfolgten Ersatzanspruch ein. Die stattgebende Sachentscheidung im Adhäsionsverfahren hingegen steht nach § 406 III S. 1 StPO einem im bürgerlichen Rechtsstreit ergangenen Urteil gleich. Das im Adhäsionsverfahren ergehende Urteil ist also in Bezug auf die zivilrechtliche Seite ein Vollstreckungstitel im Sinne des § 704 I ZPO. Die Rechtskraft folgt den Regeln der StPO, tritt jedoch nicht vor der Rechtskraft des Schuldspruchs ein.384 Das Gericht hat daraufhin die Entscheidung gemäß § 406 III S. 2 für vorläufig vollstreckbar zu erklären.385

380  Loos, GA 2006, S. 196; Dallmeyer, JuS 2005, S. 329; Meyer-Goßner, StPO, § 404 Rn. 16; Velten, in: SK-StPO, § 404 Rn. 12. 381  Stöckel, KMR StPO, § 404 Rn. 12. 382  Weiner / Ferber, Handbuch des Adhäsionsverfahrens, S. 25. 383  Meier / Dürre, JZ 2006, S. 23; Dallmeyer, JuS 2005, S. 329. 384  Kauder, in: AnwKom-StPO, §  406 Rn. 14; Meyer-Goßner, § 406, Rn. 6; Meier / Dürre, JZ 2006, S. 23. 385  Merz, in: Radtke / Hohmann, § 406 Rn. 8.

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C. Die Schätzklauseln im StGB

Durch das OpferRRG hat der Gesetzgeber im Jahre 2004 zusätzlich die Möglichkeit geschaffen, das Verfahren mittels vollstreckbarem Prozessvergleich nach § 405 StPO zu beenden. Auch die Möglichkeit des Anerkenntnisurteils gemäß § 406 II StPO i. V. m. § 307 I ZPO ist geschaffen worden. 3. Die Schätzung im Adhäsionsverfahren Zwar besteht zum Teil schon grundsätzliche Kritik am Konzept des Adhäsionsverfahrens,386 die hiesige Darstellung beschränkt sich jedoch in Anbetracht des zugrundeliegenden Untersuchungsgegenstandes allein auf die Vereinbarkeit der richterlichen Schätzung mit den Grundprinzipien des Strafprozessrechtes, sowie eventuell damit verbundenen Problematiken. Bei Anwendbarkeit des § 287 I ZPO im Adhäsionsverfahren ist dem Gericht eine Schätzung sowohl in Bezug auf die haftungsausfüllende Kausalität, als auch die Schadenshöhe (nach umstrittener Ansicht auch der haftungsbegründenden Kausalität) möglich. Besonders vor dem Hintergrund, dass eine solche durch den Gesetzgeber in §§ 403 ff. StPO zumindest nicht ausdrücklich für zulässig erklärt worden ist, stellt sich auch im Adhäsionsverfahren die Frage der Vereinbarkeit von Schätzung mit den Grundsätzen des Strafprozesses, handelt es sich beim Adhäsionsverfahren doch im Prinzip um die Durchsetzung eines zivilrechtlichen Anspruchs mit strafprozessualen Mitteln. Andererseits ergibt sich aus der Gesamtkonzeption des Adhäsionsverfahrens – insbesondere nach dem OpferRRG – als zivil- und strafprozessualer Hybrid, die Notwendigkeit, Maximen beider Prozessordnungen möglichst widerspruchsfrei miteinander zu vereinen. a) Keine Einschränkung der fundamentalen Verteidigungsgarantien des Angeklagten durch Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche im Adhäsionsverfahren Ausgangspunkt einer solchen Überlegung kann jedoch nur sein, dass dem Angeklagten – der gleichzeitig Adhäsionsbeklagter ist – aus seiner prozessualen Doppelrolle keine Nachteile in Bezug auf die – teilweise verfassungsrechtlich verbrieften – rechtsstaatlichen Fundamentalgarantien des Strafverfahrens erwachsen dürfen. Während die pauschale Behauptung Kuhns wonach ein „Interessenkonflikt zwischen straf- und zivilrechtlicher Verteidigung in der Regel nicht zu erwarten“ sei,387 in letzter Konsequenz nicht nachvoll386  Dazu: Brause, ZRP 1985, S. 103; Fey, AnwBl. 1986, S. 491; Krey / Wilhelmi, Otto-FS, S. 933. 387  Kuhn, JR 2004, S. 397, 400.



IV. Schätzungen im Adhäsionsverfahren123

ziehbar erscheint, wird in Bezug auf die Einschätzung Köckerbauers wonach „gewisse Einschränkungen der Beschuldigtenrechte gerade zu den Grundvoraussetzungen des Adhäsionsverfahrens gehören“ nicht klar,388 ob dies als Beschreibung der faktischen Zustandes oder hingegen als gutheißende Wertung zu verstehen ist. Die Einschränkung der fundamentalen Verteidigungsrechte durch die Vermischung von Schuld- und Straffrage mit der Entscheidung über zivilrecht­ liche Ersatzansprüche im Adhäsionsverfahren erscheint jedoch inakzeptabel. So sind im Gesetz keinerlei Anhaltspunkte für eine entsprechende Einschränkung auch etwa zu Gunsten des Angeklagten oder aus Gründen der Prozessökonomie zu finden. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall, wenn das Gesetz in § 406 I S. 4 StPO die Möglichkeit eines Absehens von der Entscheidung im Adhäsionsverfahren ausdrücklich von der Eignung zur Erledigung im Strafverfahren abhängig macht. Auch der BGH scheint grundsätzlich auf diesem Standpunkt zu stehen, wenn er in einer Entscheidung389 – welche allerdings zum alten Recht ergangen ist – die Möglichkeit eines Anerkenntnisurteils im Adhäsionsverfahrens mit der Begründung ablehnt, der Angeklagte könne sich andernfalls genötigt fühlen, einen vom Adhäsionskläger in ungerechtfertigter Höhe gestellten Anspruch anzuerkennen, um keine Zweifel in Bezug auf seine Reue beim Gericht aufkommen zu lassen und ein milderes Urteil zu erreichen. Auch Loos stellt diesbezüglich klar, dass „die rechtsstaatlichen Anforderungen des Strafverfahrensrechtes gegenüber den vermögensrechtlichen Interessen des Geschädigten Vorrang genießen“.390 Insbesondere Rieß weist in seinem Gutachten zum 55. Deutschen Juristentag daraufhin, dass dem Angeklagten durch die Verfolgung der vermögensrechtlichen Interessen im Adhäsionsverfahren keine Beeinträchtigung seiner Verteidigungsmöglichkeiten entstehen darf.391 Ausgehend von diesem notwendigen Grundkonsens gilt es im nächsten Schritt die Frage zu erörtern, ob eine Anwendung des § 287 ZPO im Adhäsionsverfahren mit den Prinzipien der Strafprozessordnung vereinbar ist bzw. ob Friktionen mit den fundamentalen Rechten des Angeklagten entstehen. Diesbezüglich bietet sich eine Differenzierung zwischen der Frage der Haftungsbegründung und der Schadenshöhe an.

388  Köckerbauer, Das Adhäsionsverfahren nach der Neuregelung durch das Opferschutzgesetz, S. 119. 389  BGHSt 37, 263 f. 390  Loos, GA 2006, S. 203; ebenso: Feigen, in: Otto-FS, S. 883. 391  Rieß, 55. DJT, Rn. 69.

124

C. Die Schätzklauseln im StGB

b) Die Frage des Schuldspruchs und der Haftungsbegründung Teilweise wird die Schätzungsbefugnis des Richters aus § 287 ZPO auch auf die Frage der haftungsbegründenden Kausalität ausgeweitet.392 Obwohl der Gesetzgeber die Befugnis zur Schätzung und somit die grundsätzliche Abweichung von dem Prinzip der richterlichen Überzeugungsbildung nach § 261 StPO – anders als im Sanktionenrecht – nicht ausdrücklich angeordnet hat, erscheint die Anwendbarkeit des § 287 ZPO im Adhäsionsverfahren gleichwohl bzw. erst recht sinnvoll. Obgleich man die Konstruktion des Adhäsionsverfahrens schon einer grundsätzlichen Kritik unterziehen könnte, kann ihr gesetzgeberisches Anliegen – die Einsparung von Justizressourcen und die Ermöglichung einer schnellen Opferentschädigung – nur erreicht werden, wenn die faktische Durchsetzbarkeit des zivilrechtlichen Anspruchs im Adhäsionsverfahren nicht durch die strikte Anwendung der strafprozessualen Maximen (hier insbesondere § 261 und § 244 II StPO) erschwert wird. Die Schwierigkeiten, die sich dem Adhäsionskläger beim Beweis, etwa der Kausalität oder Schadenshöhe, stellen können, machen eine Anwendung des § 287 ZPO auch im Adhäsionsverfahren unumgänglich, zumindest wenn man diesem nicht den letzten Rest praktischer Relevanz rauben möchte. Die Möglichkeit der Schätzung im Bereich des Adhäsionsverfahrens entspringt folglich seiner Natur als straf- und zivilprozessualem Hybrid. Weiter ist Bezugsobjekt der Schätzung im Adhäsionsverfahren – auch soweit es die Frage der Haftungsbegründung betrifft – zunächst allein der zivilrechtliche Anspruch und seine Voraussetzungen. Dass diese immer auch einen Zusammenhang zu straf- und schuldrelevanten Tatsachen aufweisen, ist offensichtlich. Allerdings führt dies zumindest im Bereich der Haftungsbegründung nicht zu Friktionen mit den Verteidigungsrechten des Angeklagten im Strafprozess. Denn die Zuerkennung des zivilrechtlichen Anspruchs im Adhäsionsverfahren kann nach § 406 I S. 1 StPO nur erfolgen, sofern der Angeklagte wegen einer entsprechenden Straftat schuldig gesprochen wird.393 Die materiellen und beweismäßigen Voraussetzungen der strafrechtlichen Verletzungsdelikte müssen also stets erfüllt sein, damit eine – wie etwa im Fall der § 7 I, II StVG ggf. an geringere materielle und beweismä392  Foerste, in: Musielak ZPO, § 287 Rn. 5; im Ergebnis auch: Hanau, die Kausalität der Pflichtwidrigkeit 1971, 177 ff.; Gottwald, Schadenszurechnung und Schadensschätzung, S. 78; ähnliche Tendenzen z. T. auch in der Rechtsprechung, wonach bei Verletzungstatbeständen der Vollbeweis nur in Bezug auf ein konkrete Gefährdung erbracht werden muss, während sich die Frage, ob dies auch zur Verletzung führt, nach § 287 ZPO beurteilt: BGH DB 1959, 170; BGHZ 58, 48, 55 f.; LG Lübeck ZfS, 2000, 436, 437. 393  Kurth / Pollähne, in: Heidelberger Kommentar StPO, § 406 Rn. 1.



IV. Schätzungen im Adhäsionsverfahren125

ßige Anforderungen geknüpfte – zivilrechtliche Ersatzpflicht im Adhäsionsverfahren nachfolgen kann394. Auch für den Fall, dass die Schätzungsbefugnis aus § 287 ZPO auf die Frage der haftungsbegründenden Kausalität ausgeweitet wird, besteht folglich kaum ein Berührungspunkt zur strafprozes­ sualen Stellung des Angeklagten – jedenfalls soweit es um die Frage der Schuld auf der einen und der haftungsbegründenden Kausalität auf der anderen Seite geht. c) Die Frage der Schadenshöhe In Bezug auf die grundsätzliche Notwendigkeit und Anwendbarkeit der Schätzung und dem damit verbundenen teilweisen Dispens von den Grundsätzen des §§ 261, 244 II StPO gilt das zu Punkt a) Gesagte entsprechend. Sowohl Loos als auch Feigen weisen in diesem Zusammenhang allerdings darauf hin, dass es bei Anwendung der Schätzungsbefugnis aus § 287 ZPO im Zusammenhang mit der Frage der Höhe des geltend gemachten Anspruchs zu Friktionen mit dem verfassungsrechtlich verbrieften395 Schweigerecht (nemo tenetur se ipsum accusare) des Angeklagten kommen kann. Zunächst steht auch die zivilrechtlich zu beurteilende Schadenshöhe in engem Zusammenhang mit dem strafrechtlichen Vorwurf. Diese kann sowohl für die Strafzumessung, als auch für die Frage einer eventuellen Einstellung nach dem Opportunitätsprinzip Bedeutung erlangen.396 Der schweigende Angeklagte verliert hinsichtlich der Höhe des zivilrechtlichen Anspruchs den Schutz des § 244 II StPO sowie des „in dubio“-Prinzips, da der Richter sich statt mit der vollständigen Erhebung aller Beweise mit der bloßen Wahrscheinlichkeit der Schadenshöhe zufriedengeben kann. Dies gilt zwar grundsätzlich nicht auch für den strafrechtlichen Vorwurf. Allerdings unterstreicht insbesondere Loos das Bestehen einer zumindest mittelbar-faktischen Beeinträchtigung des Schweigerechtes dadurch, dass der Angeklagte sich genötigt fühlen kann, seine Strategie des Schweigens aufzugeben, um den Risiken einer für ihn nachteiligen Schadensschätzung durch eigene Einlassungen und Beweisanträge entgegenzuwirken.397 394  Loos,

GA 2006, 205. BVerfGE 38, 105, 113; 55, 144, 150; 56, 37, 43; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 124 ff.; Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133 Rn. 66. 396  Loos, GA 2006, S. 206; Feigen, Otto-FS, S. 885. 397  Loos weist darauf hin, dass die Frage inwiefern lediglich mittelbarer Zwang als Verletzung des nemo-tenetur-Prinzips angesehen werden kann umstritten ist. Dazu: Böse, wistra 1999, 451, 453 ff.; Aselmann, Die Selbstbelastungs- und Verteidigungsfreiheit, S.  87 ff.; Stürner, NJW 1981, 1757, 1758. 395  Dazu:

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C. Die Schätzklauseln im StGB

Der Angeklagte sei folglich genötigt, die Risiken einer zivilrechtlichen Verurteilung im Falle des Schweigens mit denen abzuwägen, welche in strafrechtlicher Hinsicht durch seine Einlassungen – insbesondere vor dem Hintergrund der Möglichkeit, dass lediglich teilweise Schweigen des Angeklagten gegen ihn zu verwenden – entstünden. Diese Abwägung könne insbesondere bei noch nicht vorbestraften Angeklagten häufig zulasten des Schweigens ausfallen. Um den Angeklagten in entsprechenden Konstellationen vor einer solchen – mittelbaren – Beeinträchtigung seines „nemo-tenetur“-Rechtes zu schützen, tritt Loos für eine Anwendung des § 406 I S. 2, 4 StPO ein.398 Danach hat das Gericht von einer Ermittlung und Entscheidung über die Schadenshöhe aus verfassungsrechtlichen Gründen als nach § 406 I S. 4 StPO ungeeignet abzusehen und sich gemäß § 406 I S. 2 StPO auf ein Grundurteil zu beschränken. Unter entsprechender Anwendung des § 406 V S. 1 StPO sollen die Beteiligten bereits unmittelbar im Anschluss an den fehlerhaften Versuch, den Angeklagten zu vernehmen, darüber informiert werden, dass eine Aufklärung der Schadenshöhe über das nach § 46 II StGB unerlässliche Maß nicht hinausgehen wird, wenn sich die Feststellung der Schadenshöhe nach Aktenlage als wahrscheinlich schwierig darstellt. Dies gilt auch für die Bemessung des Schmerzensgeldes, wobei Loos ausdrücklich darauf hinweist, dass eine Interpretation des insoweit neu geschaffenen § 406 I S. 6 StPO nicht der Beschränkung auf ein Grundurteil, sondern lediglich einem gänz­lichen Absehen von der Entscheidung im Adhäsionsverfahren entgegensteht.399 Andernfalls bestünden vor dem Hintergrund der oben genannten Berührungspunkte mit dem nemo-tenetur-Grundsatz Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm. d) Stellungnahme Die von Loos angebotene Lösung verdient Zustimmung. Zwar entstehen die beschriebenen Friktionen mit dem nemo tenetur-Grundsatz lediglich durch mittelbaren Zwang. Zusätzlich zu beachten ist jedoch, dass der Grundsatz „in dubio pro reo“ – im Gegensatz zu den sonstigen hier besprochenen Fällen der Schätzung aus dem Sanktionenrecht – im Zusammenhang mit der Aufstellung der Schätzgrundlagen gerade nicht gilt. Die Gefahr für den Angeklagten, einem Anspruch in ungerechtfertigter Höhe ausgesetzt zu sein und somit die gewählte Strategie des Schweigens faktisch nicht aufrecht halten zu können, ist im Falle des Adhäsionsverfahrens also alles andere als theoretisch. Sie beruht zwar teilweise auf dem Grundkonzept des Adhäsionsverfah398  Loos, 399  So

GA 2006, S. 207. auch: Meyer-Goßner, § 406 Rn. 13; Ferber, NJW 2004, 2562, 2565.



V. Zusammenfassung127

rens als Durchsetzung eines zivilrechtlichen Anspruchs mit strafprozessualen Mitteln. Eine Auflösung dieses dem Adhäsionsverfahren immanenten Rollenkonfliktes (Kombination etwa der Rollen des Angeklagten und Adhäsionsbeklagten) zulasten des Angeklagten erscheint vom Gesetzgeber nicht gewollt. Der Wortlaut des § 406 StPO, der, wenn auch durch die jüngste Reform zumindest für den Fall des Schmerzensgeldes stark eingeschränkt, auf die Eignung zur Erledigung im Strafverfahren abstellt, beweist vielmehr das Gegenteil. Die grundsätzlich zu befürwortende Anwendung des § 287 ZPO im Adhäsionsverfahren bezweckt nicht die Besserstellung des Adhäsionsklägers, erst recht nicht um den Preis der Schlechterstellung des Adhäsions­ beklagten bzw. Angeklagten. Bezweckt ist lediglich, ein gegenüber dem Zivilverfahren mindestens gleiches Durchsetzbarkeitsniveau des Anspruchs zu gewährleisten. Insofern eröffnet das Gesetz selbst – darauf weist Loos hin – einen gangbaren und wohl auch verfassungsrechtlich gebotenen Weg. Zur Stärkung der praktischen Relevanz des Adhäsionsverfahrens dürfte dies freilich nicht beitragen.

V. Zusammenfassung Sofern also, etwa von Seiten der Rechtsprechung, das Bestehen positivrechtlicher Schätzklauseln im Sanktionenrecht pauschal als argumentative Grundlage für die Zulässigkeit auch der Schätzung im Rahmen des Schuldumfanges benutzt wird (dazu unten),400 so muss zunächst konstatiert werden, dass die hier durchgeführte Analyse ein differenziertes Bild hinsichtlich der Reichweite der mit den Schätzklausen einhergehenden Ermächtigung ergibt. So ergibt der diesbezügliche Befund in Bezug auf § 40 III StGB zunächst, dass die Schätzung zwingend notwendig ist, sofern sie Faktoren betrifft, die sich einer exakten Feststellung schon grundsätzlich entziehen. Ähnlich verhält es sich für solche Faktoren, deren exakte Feststellung zwar theoretisch möglich ist, jedoch mit unüberwindbaren praktischen Schwierigkeiten behaftet ist. Für diese Fälle hat der Gesetzgeber eine notwendige Modifikation der Grundsätze des § 261 StPO vorgenommen. Der Richter, der insofern korrekt vorgeht, als er seine Schätzung auf in der Hauptverhandlung mit den zulässigen Beweismitteln erhobene tragfähige Schätzgrundlagen aufbaut, kann bzw. muss sich hier mit einer bloßen Wahrscheinlichkeitsüberzeugung zufrieden geben, wenn keine anderen Möglichkeiten der Beweiserhebung bestehen. Eine irgendwie geartete Friktion mit dem Aufklärungsgrundsatz nach § 244 II StPO besteht in dieser Konstellation nicht. 400  Vgl.

hierzu die Leitentscheidung BGHSt 36, 320, 237.

128

C. Die Schätzklauseln im StGB

Anders verhält es sich, wenn sowohl die theoretische als auch praktische Möglichkeit der Beweiserhebung in Bezug auf die Einkommensverhältnisse des Täters besteht. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung in der Praxis dient § 40 III StGB nach der hier vertretenen Auffassung nicht der prozessökonomisch motivierten Umgehung aufwändiger Beweiserhebungen. Ähnlich fällt der Befund in Bezug auf die Schätzung im Zusammenhang mit der Einziehung nach § 74c III StGB sowie der Verfallsanordnung nach § 73b StGB aus. Die vom Gesetzgeber hier ebenfalls vorgenommene Modifikation des § 261 StPO komplementiert im ersten Fall die Wertersatzeinziehung für die Fälle nicht feststellbarer Faktoren. Beim Verfall handelt es sich richtigerweise schon nicht um eine Strafsanktion, sondern einen quasi-kondiktionelle Ausgleichsmaßnahme, weshalb in diesem Zusammenhang Schätzungsermächtigung bereits ihrer Natur nach eine gewisse Nähe zu § 287 ZPO aufweist. Bedenken ergeben sich in beiden Fällen jedoch erneut in Bezug auf die ausschließlich prozessökonomisch motivierte, also trotz bestehender – sowohl theoretischer als auch praktischer – Möglichkeit der Ermittlung durchgeführte Schätzung. Die sich in Bezug auf die Schätzung der Schadenshöhe im Zusammenhang mit dem Adhäsionsverfahren ergebenden Bedenken hinsichtlich des Schweigerechtes und des nemo-tenetur-Prinzips lassen sich durch eine umsichtige Anwendung des Gesetzes begegnen.

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges I. Grundsätzliches In Ermangelung einer etwa mit § 40 III StGB etc. vergleichbaren gesetzgeberischen Willensäußerung stellt sich die Betrachtung der richterlichen Praxis der Schätzungen zur Ermittlung der Schuldhöhe als sehr viel komplexer als die Untersuchung der gesetzlichen Schätzklauseln im StGB dar. Aufgrund des Fehlens dieses klaren gesetzgeberischen Willens ergibt sich für die Schätzung der Schuldhöhe eine wesentlich andere Diskussionsgrundlage. Im Folgenden sollen zunächst ausgewählte Urteile aus dem Bereich der Vermögensdelikte sowie der „Serienstraftaten“ zusammengefasst und in Fallgruppen eingeordnet werden. Die dabei gebildeten Fallgruppen sind nicht immer uneingeschränkt; z. T. ist die Zuordnung von Entscheidungen auch in mehrere Fallgruppen möglich. Die Zuordnung erfolgt dann aufgrund des nach hier vertretener Ansicht bestehenden Schwerpunktes des Einzelfalles. Auf dieser Grundlage soll zunächst versucht werden, die sich daraus ergebenden wesentlichen Grundsätze der Rechtsprechung für die Schätzung der Schuldhöhe zusammenzufassen und kritisch darzustellen. Im Anschluss soll der Versuch einer Kategorisierung anhand der bereits aus dem ersten Teil bekannten Einteilung – also aufgrund der jeweiligen Eigenart der zu schätzenden Faktoren bzw. der zugrunde liegenden Motivation – erfolgen, um so eine differenzierte Betrachtung der mit der Schätzung zusammenhängenden strafprozessualen Probleme zu ermöglichen.

II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Schätzung des Schuldumfanges 1. Schätzungen zur Feststellung der Schadenshöhe bei Vermögensdelikten a) BGH, 36, 320 („Kassenarztfall“) Bei dem als „Kassenarztfall“ bekanntgewordenen Urteil des 4. Strafsenats handelt es sich wohl um die grundlegene Entscheidung in Bezug auf die Schätzung der Schuldhöhe. Dies ist insbesondere deshalb der Fall, weil sich der BGH neben der bloßen Schätzung der Schuldhöhe mit der Frage der

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Zulässigkeit einer mengenmäßigen Erfassung menschlichen Verhaltens durch mathematisch-statistische Wahrscheinlichkeitsrechnung beschäftigen musste. Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: aa) Sachverhalt Dem Angeklagten, einem niedergelassenen Arzt, wurde Abrechnungsbetrug gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse zur Last gelegt. Nach den Feststellungen des Landgerichtes trug der Angeklagte auf den Abrechnungsunterlagen der jeweiligen Krankenkassen nicht oder nicht in dem entsprechenden Umfang erbrachte Leistungen ein, um so unberechtigt Kassenarzt­ honorare zu erlangen. Der Angeklagte nahm die angefallenen Krankenscheine dabei vor jedem Quartalsende nach Hause und brachte sie am nächsten Tag wieder mit in seine Praxis, wo sie gesammelt und dann bei der kassenärzt­ lichen Vereinigung eingereicht wurden. Ab 1983 / 1984 verglich der Angeklagte dabei ferner anhand eines Computerausdrucks die von ihm vorzunehmenden Gebühreneintragungen mit dem Durchschnitt der Eintragungen seiner Fachgruppe. bb) Das Vorgehen des Landgerichtes Das Landgericht hatte festgestellt, dass der Angeklagte in den Jahren 1981 bis 1983 auf diese Weise unberechtigte Kassenarzthonorare in Höhe von 128.042 DM sowie in den Jahren 1984 und 1985 in Höhe von 100.469,54 DM bezogen hatte. Diese Feststellungen des Landgerichtes, das sich besonderen Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Sachverhaltes ausgesetzt sah – was der 4. Strafsenat grundsätzlich anerkannte – beruhten auf der Vernehmung von 62 Pa­ tienten aus den Jahren 1984 und 1985, die bereits im Ermittlungsverfahren nach dem Zufallsprinzip ausgesucht worden waren. Durch Vernehmung von Patienten und Gegenüberstellung ihrer Aussagen mit den vom Angeklagten vorgenommenen Eintragungen auf den Behandlungsausweisen wurde festgestellt, wie oft in Bezug auf die jeweiligen Patienten zu Unrecht Leistungen abgerechnet worden waren. Daraus errechnete das Landgericht eine „Beanstandungsquote“ für die einzelnen Leistungen, d. h. es hat in Bezug auf jede Einzelleistung das Verhältnis der unrichtigen Eintragungen zur Summe aller eingetragenen Leistungen bei den vernommenen Patienten bestimmt. Unter Einrechnung einer Streuungsbreite ist diese Beanstandungsquote sodann in einem mathematisch-statistischen Verfahren auf alle in den Jahren 1984 und 1985 behandelten Patienten hochgerechnet worden. Die so ermittelte – oben genannte – Schadenssumme für diesen Zeitraum betrachtet es als



II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Schätzung des Schuldumfanges 131

zu 99,5 % mathematisch-statistisch korrekt. Diese prozentuale Wahrscheinlichkeit wird vom Landgericht als „Vertrauensuntergrenze“ bezeichnet. Patienten aus den Jahren 1981 bis 1983 wurden durch das LG indes nicht vernommen. Die vom Landgericht diesbezüglich dazugezogenen Sachverständigen legten jedoch dar, dass die oben dargestellte Hochrechnung unter der Voraussetzung der Gleichmäßigkeit des Verhaltens des Angeklagten auch auf diese Zeitspanne übertragbar sei. Den Beweis für die Gleichmäßigkeit des Verhaltens des Angeklagten sah das Landgericht durch die Bekundungen des vernommenen Praxispersonals geführt. cc) Die Urteilsbegründung des BGH Der 4. Strafsenat stellte zunächst klar, dass – anders als vom Landgericht angenommen – mangels eines auf Herbeiführung eines Gesamterfolges gerichteten Gesamtvorsatzes, keine fortgesetzte Handlung vorläge. In Bezug auf die für die Abrechnungszeiträume von 1981 bis 1983 errechnete Schadenssumme beanstandete der 4. Strafsenat, diese beruhe auf unzureichender Beweisgrundlage und sei insofern rechtsfehlerhaft. Diesbezüglich wird weiter ausgeführt, der BGH habe bereits in seinem Urteil vom 17. Mai 1978 Bedenken dagegen erhoben, dass Schuldfeststellungen im Wege der Hochrechnung, basierend auf der Tatsache, dass der Täter sich bei anderer Gelegenheit schon einmal entsprechend verhalten habe, getroffen würden. Eine solche Vorgehensweise käme letztlich einer Verdachtsstrafbarkeit gleich. Hingegen sei es zulässig, Hochrechnungen zur Überprüfung eines Geständnisses und damit zur Absicherung auf anderen Wegen gewonnener Beweis­ ergebnisse anzustellen. In Bezug auf den Zeitraum von 1981 bis 1983 seien hingegen verfügbare Beweismittel nicht erhoben worden. Die Hochrechnung sei hier eine Schlussfolgerung aus der ermittelten Beanstandungsquote für die Jahre 1984 / 85. Eine Hochrechnung sei weiter nur einwandfrei, wenn sich anhand von entsprechenden Beweisen bestätige, dass das Verhalten des Angeklagten gleichmäßig gewesen sei. Die allein durch die Befragung des Praxispersonals gewonnene Überzeugung des Landgerichtes von der Gleichmäßigkeit des Verhaltens des Angeklagten könne nicht gleichzeitig als Voraussetzung und Bestätigung der Hochrechnung dienen. Zur Überzeugungsbildung blieben dem Landgericht demnach lediglich die in den Jahren 1984 / 85 begangenen strafbaren Handlungen sowie Zeugenaussagen des Praxispersonals, aus denen sich nach Meinung des Landgerichtes ergab, dass der Angeklagte zuvor in gleicher Weise tätig geworden war. Darauf konnten sich jedoch die Feststellungen, der Angeklagte habe in den Jahren 1981 bis 1983 betrügerisch Schäden in der oben genannten Höhe verursacht, nicht stützen.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

In Bezug auf die Abrechnungszeiträume 1984 und 1985 beanstandete der 4. Strafsenat den Schuldspruch hingegen – bis auf die Annahme einer fortgesetzten Handlung – nicht. Diesbezüglich sah es der 4. Strafsenat durch die Aussagen der 62 vernommenen Patienten als erwiesen an, dass der Angeklagte jeweils am Quartalsende gefälschte Abrechnungsunterlagen eingereicht und somit den Tatbestand des Betruges erfüllt hatte. Auch in Bezug auf die Ermittlung der Schadenshöhe – mithin also des Schuldumfanges – aufgrund von statistischen Hochrechnungen führt der 4. Strafsenat aus, diese seien unbedenklich. So wird zunächst darauf verwiesen, dass der Richter nach § 261 StPO über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung entscheidet und es sich bei statistischen Wahrscheinlichkeitsrechnungen lediglich um ein Mittel der logischen Schlussfolgerung handle, das dem Richter nach § 261 StPO ebenso zu Verfügung stünde wie andere mathematische Methoden. Dies sei durch die Rechtsprechung vielfach anerkannt worden. Als entsprechende Beispiele wird hier auf den Beweis der Vaterschaft im Zivilprozess, der auf biostatistischer Wahrscheinlichkeitsrechnung beruhe (BGHZ 61, 165, 172; BGH NJW 1987, 2286), auf die Anerkennung erbkundlicher Gutachten – die ebenso auf ­Wahrscheinlichkeitsrechnung beruhen – als Beweismittel im Strafverfahren (BGHSt 5, 34, 35) sowie auf die Bestimmung der Fahruntüchtigkeitsgrenze bzw. Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration aus einer festgestellten Trinkmenge auf den Tatzeitwert (BGHSt 21, 157, 160; BA 1985, 77) verwiesen. Gleichwohl weist der 4. Strafsenat darauf hin, dass Bezugspunkt der Schätzung in den oben genannten Beispielen jeweils äußere Umstände waren, während es beim vorliegenden Sachverhalt hingegen um die Beurteilung eines über einen längeren Zeitraum hinweg andauernden menschlichen Verhaltens ging. Auch dieses sei jedoch einer mengenmäßigen Erfassung durch mathematisch-statistische Wahrscheinlichkeitsrechnung zugänglich. Denn die durch den Angeklagten vorgenommenen unrichtigen Eintragungen waren nicht Ausfluss einer singulären Willensbildung, sondern vielmehr einer massenhaften Wiederholung, wobei der Angeklagte typisierte Verhaltensmuster entwickelte. Ein solches Verhalten kann zum Zweck der Schadensberechnung statistisch hochgerechnet werden, wenn „gesichert ist, dass der Täter sein Verhalten über den entsprechenden Zeitraum gleichmäßig beibehalten hat bzw. Veränderungen zuverlässigen Eingang in die Berechnung finden.“ An diesen Beweis seien: „hohe Anforderungen zu stellen, weil bereits geringe Abweichungen bei der Hochrechnung erhebliche Auswirkungen haben können.“



II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Schätzung des Schuldumfanges 133

Diesbezüglich ist es nach Ansicht des 4. Strafsenates weiter notwendig, dass der Tatrichter die Stichprobe näher auf etwaige Auffälligkeiten, die der Annahme gleichmäßigen Verhaltens des Angeklagten entgegenstehen, untersucht. Als solche kommen etwa Unterbrechungen oder Häufungen in bestimmten Zeiträumen in Betracht. Dem ist das Landgericht nachgekommen. Weiter ist durch den im Verfahren zugezogenen Sachverständigen bestätigt, dass die über den Zeitraum von acht Quartalen aus der Stichprobe erzielten Ergebnisse auf eine Gleichwertigkeit deuten. Auch ist dies durch detaillierte Aussagen der dazu vernommenen Arzthelferinnen bestätigt. Darüber hinaus entsprach das Landgericht nach Auffassung des 4. Straf­ senates seiner Pflicht zur Beurteilung der – für die korrekte Durchführung einer Hochrechnung – ausreichenden Größe der Stichprobe sowie seiner Pflicht zur Beurteilung der von den Sachverständigen angewandten Schätzmethode. Folglich erfüllt das Landgericht nach Auffassung des 4. Strafsenates die für eine Erfassung menschlichen Verhaltens durch mathematisch-statistische Wahrscheinlichkeitsrechnung bestehenden Voraussetzung, weshalb die vorgenommene Schätzung der Schadenshöhe für die Abrechnungszeiträume von 1984 und 1985 nicht beanstandet wurde. Der 4. Strafsenat führt weiter aus, dass „die Wahrscheinlichkeitsrechnung, welche schon begrifflich eine völlige Gewissheit ausschließe, dem nicht entgegenstehe, da das Landgericht die der Hochrechnung innewohnende Streuung berücksichtigt und die ermittelte Vertrauensguntergrenze als mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,5 % zutreffend festgestellt hat.“

Die nach diesen Grundsätzen bestimmte Schadenshöhe habe keine Bedeutung für die Grenzen der Rechtskraft des Urteils, sie diene lediglich der Rechtsfolgenbemessung. Eine Schätzung der Schadenshöhe sei auch dann rechtlich einwandfrei möglich, wenn ihre tatsächlichen Grundlagen „eine gewisse Bandbreite“ aufwiesen, wie sich aus § 40 III StGB – der vorsehe, dass die tatsächlichen Grundlagen für die Tagessatzbemessung geschätzt werden dürfen – ergebe. Die 4. Strafkammer beendet ihre Urteilsbegründung mit dem Hinweis, die Vernehmung aller Patienten des Angeklagten hätte zu großen Verzögerungen geführt und wenigstens zeitweise die Beschlagnahme der Patientenkartei des Angeklagten erfordert. Dies hätte einen zeitlichen und personellen Aufwand erfordert, der den Rahmen der Hauptverhandlung in Anbetracht des Gewichtes des Anklagevorwurfes gesprengt hätte. Weiter heißt es: „Sofern der neue Tatrichter das Verhalten des Angeklagten in diesem Zeitraum als Abfolge selbstständiger Betrugstaten würdigt, ist er nicht gehindert, durch ergänzende Feststellungen aus der Gesamtschadenssumme bestimmte Einzelbeträge den jeweiligen Taten zuzuordnen.“

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Nach der Aufgabe der Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung durch den BGH wäre dies also stets erforderlich. b) BGHSt 38, 186 („Arbeitsgemeinschaft Rheinausbau I“) In dieser zu einem Fall des Submissionsbetruges ergangenen Entscheidung des 2. Strafsenats werden die zur Schätzung im Kassenarztfall entwickelten Grundsätze aufgegriffen und weitergeführt. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: aa) Sachverhalt Die aus den Firmen B. & B. AG, H. AG, K. GmbH &Co. KG, M Bauunternehmung GmbH & Co. KG bestehende Bietergemeinschaft „Rheinausbau“ hatte im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung durch das Wasser- und Schifffahrtsamt Bingen am 7. und 27 Februar 1980 einen Auftrag zum Ausbau einer Schifffahrtsrinne erhalten. An der öffentlichen Ausschreibung hatten sich unter anderem auch die Firmen D. & W. AG, Mo. GmbH & Co. KG, O. GmbH als Bietergemeinschaft „Rheinregulierung“ sowie die Firmen Hi. GmbH und P.v.W. als Bietergemeinschaft „Hi / P.v.W“ beteiligt. Bereits im Jahre 1978 hatten Vertreter der genannten Firmen jedoch eine Kartellvereinbarung über die Vergabe von Wasserbauarbeiten getroffen. Auf Grundlage dieser Vereinbarung einigten sich die Kartellmitglieder im Jahre 1979 nach mehreren Besprechungen über die Höhe der jeweiligen Angebotspreise für das Bauvorhaben Ehrental. Dadurch sollte eine Vergabe des Auftrages an die Bietergemeinschaft Hi. / P.v.W sichergestellt werden. Entsprechend der Kartellvereinbarung wurden folgende Angebote abgegeben: Bietergemeinschaft HI / P.v.W – 18.900.000 DM, Bietergemeinschaft Rheinregulierung 19.665.000 DM, Bietergemeinschaft Rheinausbau 18.845.000 DM. Daneben wurden noch weitere, höhere, ebenfalls vom Kartell kontrollierte Angebote anderer Firmen abgegeben. Vor Abgabe dieser Angebote hatten die Mitglieder des Kartells eine sog. Nullbasis für das Angebot bestimmt. Dabei handelte es sich um das arithmetische Mittel der von den Firmen intern genannten Angebotspreise, unter Vernachlässigung des jeweils höchsten und niedrigsten Gebotes. Diese Nullbasis wurde bei 15 Mio. DM angesetzt und entsprach 100 %. Die Gebote der anderen Kartellmitglieder sollten mit 104 % und 106,5 %, die der übrigen durch das Kartell kontrollierten Firmen noch höher angesetzt werden. Die von der Nullbasis ausgehenden Angebotsbeträge wurden dabei jeweils um diejenigen Beträge erhöht, die der Begünstigte im Falle des Zuschlages jeweils an die anderen Kartellmitglieder sowie die übrigen kontrollierten



II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Schätzung des Schuldumfanges 135

­ nternehmen, die Schutzangebote abgaben, (sog. Präferenzzahlungen) zahU len sollte. Danach sollte die Bietergemeinschaft Hi. / P.v.W für den Fall des erhaltenen Zuschlages 3,85 Mio. DM an die übrigen Kartellmitglieder sowie 1,3 Mio. DM an die weiteren Unternehmen (sog. Außenseiter) zahlen. Für den Fall der Vergabe des Auftrages an ein anderes Kartellmitglied hatte dieses an die Firma Hi. und die Firma P.v.W jeweils 550.000 DM Präferenzvergütung zu zahlen, sowie die Abfindungen der weiteren Unternehmen zu übernehmen. Den Zuschlag erhielt wider Erwarten die Bietergemeinschaft Rheinausbau. Eine Auswertung durch das Wasser- und Schiffartsamt Bingen hatte ergeben, dass das entsprechende Angebot Vergünstigungen enthielt, unter deren Berücksichtigung sich das Angebot als günstiger als die der anderen beiden Kartellmitglieder darstellte. Bei Unterzeichnung des entsprechenden Auftrages garantierten die Angeklagten, keine Preisabsprachen getroffen zu haben und verpflichteten sich außerdem zur Zahlung einer Vertragsstrafe für den Fall, dass aus Anlass der Vergabe des Auftrages eine Abrede getroffen wurde, die als unzulässige Wettbewerbsbeschränkung klassifiziert werden konnte. Nach Auftragserteilung erfolgte eine Beteiligung der Bietergemeinschaft Rheinregulierung im Umfang von 42 % der Bauunternehmung. Der fällige Gesamtbetrag von 15.581.651,93 DM fiel aufgrund einer nachträglichen Begrenzung des Auftragsvolumens geringer aus als noch während des Ausschreibungsverfahrens veranschlagt. Die Schlusszahlung erfolgte am 14. Dezember 1983. Daraufhin verlangten die Bauunternehmen Hi. und P.v.W. von der Bietergemeinschaft Rheinausbau aufgrund des abredewidrigen Unterlaufens der Preisabsprache Schadenersatz in Höhe von 2. Mio. DM. Diesbezüglich einigte man sich auf eine Zahlung von 1,6 Mio. DM. Auch forderte nach Bekanntwerden der Preisabsprache die Bundesrepublik Deutschland Schadenersatz. Der entsprechende Rechtsstreit endete mit einem Vergleich. bb) Das Vorgehen des Landgerichtes Das Landgericht sprach die Angeklagten (Vertreter der Bietergemeinschaften Rheinausbau und Rheinregulierung) frei. Es führte aus, dass zwar die Tatbestandsmerkmale der Täuschung, der Irrtumserregung und auch der Vermögensverfügung i. S. d. § 263 StGB vorlägen, es jedoch nicht möglich sei festzustellen, dass die Bundesrepublik einen Vermögensschaden erlitten habe. Die von der Bieter- und Arbeitsgemeinschaft Rheinausbau geleisteten Bauarbeiten hätten objektiv trotz verbotener Preisabsprachen dem Angebotspreis entsprochen. Für die Frage, ob ein Schaden der BRD bestünde, sei man vom hypothetischen Marktpreis abhängig. Das unterbreitete Angebot sei jedoch

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

angemessen und auskömmlich gewesen. Es lag zudem unterhalb der Vor­ kalkulation des Wasser- und Wirtschaftsamtes sowie innerhalb des vom zugezogenen Sachverständigen errechneten Bereichs angemessener Gebote (14.027.460 DM bis 16.157.050 DM). Ein Schaden könne auch nicht damit begründet werden, dass der BRD durch das Verhalten der Angeklagten die Chance entgangen sei, auf dem freien Markt ein günstigeres Angebot zu erhalten. Denn eine solche Chance sei erst dann als wirtschaftlicher Schaden i. S. d. § 263 StGB anzusehen, wenn sich die Möglichkeit günstiger Angebote zu einer konkreten Aussicht verdichtet habe, so dass sie dementsprechend als Vermögensbestandteil betrachtet werden könne. Zudem seien günstigere Angebote von sog. Außenseitern nicht eingegangen. Etwaige günstigere Angebote von Mitgliedern des Kartells könnten keine Berücksichtigung finden. cc) Die Urteilsbegründung des BGH Nach Ansicht des 2. Strafsenats hält die Verneinung des Betrugsschadens durch das Landgericht einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, da der Wert der für das Bauvorhaben angebotenen und erbrachten Leistungen fehlerhaft bestimmt worden sei. Der BGH stellt diesbezüglich zunächst fest, dass Waren und gewerbliche Leistungen, die in einem freien Markt angeboten werden, keinen festen Preis besitzen. Folglich bestehe grundsätzlich kein objektiver, abstrakter Maßstab für die Einschätzung des Wertvergleichs zwischen Leistung und Gegenleistung. Der Wert von Waren und Dienstleistungen ergebe sich vielmehr erst aus dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage und werde deshalb stets von Zeit, Ort, Art und Inhalt des jeweiligen Geschäftes beeinflusst. Als entscheidend für den vorliegenden Fall erachtet der 2. Strafsenat, dass sich ein aus den oben genannten Faktoren zusammengesetzter Marktpreis noch nicht gebildet hatte und dieser sich auch aufgrund der getroffenen Absprache nicht hatte bilden können. Aufgrund der Abhängigkeit des Marktpreises von den oben genannten Faktoren sei das Gesamtvorhaben ferner nicht mit anderen Angeboten vergleichbar. Erst durch die Ausschreibung selbst wäre deshalb eine Wettbewerbssituation entstanden, in der mehrere Angebote abgegeben worden wären, von denen das nach den Bestimmungen der §§ 23 ff VOB / A günstigste von der Vergabestelle auszuwählen gewesen wäre. Allein das nach diesem Verfahren ermittelte Angebot stelle somit den – sonst nicht zu ermittelnden – Marktpreis und relevanten Wert der ausgeschriebenen Arbeiten dar. Der Betrugsschaden könne demnach nicht durch den Vergleich des unter Ausschaltung des Wettbewerbs erzielten Preises mit dem von der Vergabe­ behörde geschätzten Preis ermittelt werden. Dieser ergebe sich vielmehr aus



II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Schätzung des Schuldumfanges 137

der Differenz zwischen dem geforderten Preis und dem bei funktionsfähigem Wettbewerb erzielbaren Preis. Der 2. Strafsenat verweist ferner darauf, dass auch im Schrifttum mehrheitlich die Auffassung vertreten werde, bei Ausschaltung des Wettbewerbs durch Submissionsabsprachen komme es auch dann zu einem Vermögensschaden i. S. d. § 263 StGB, wenn der in diesem Zusammenhang erzielte Preis angemessen sei.401 Die entsprechend im Schrifttum vertretene Gegenmeinung402 verwirft er. Hat der 2. Strafsenat damit grundsätzlich festgestellt, dass auch im Falle des Submissionsbetruges ein Betrugsschaden entstehen kann und woraus er sich ergibt, so unterstreicht er in Bezug auf die Feststellung eines solchen weiter, dass es sich dabei vor allem um eine Frage der tatrichterlichen Beweiswürdigung handle. Ausreichend sei in diesem Zusammenhang die Überzeugung des Tatrichters – etwa gestützt auf Indizien – dass der Auftraggeber ohne Absprache und darauf beruhende Täuschung ein geringeres Entgelt hätte zahlen müssen. Die „absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende, von niemandem anzweifelbare Gewissheit von einem solchen Sachverhalt“ sei hingegen nicht erforderlich. Sei der Tatrichter also vom Bestehen eines Betrugsschadens – aufgrund entsprechender Indizien – überzeugt, so könne seine Höhe unter Beachtung des Zweifelssatzes geschätzt werden, wobei diesbezüglich auf die oben dargestellte Entscheidung im „Kassenarztfall“ (BGHSt 36, 320, 328) verwiesen wird. Diesbezüglich führt der 2. Strafsenat weiter aus: „Hypothetische Wettbewerbspreise sind feststellbar. Im Kartellrecht ist die Feststellung solcher Preise häufig erforderlich, sie wird in zahlreichen Fällen zur Berechnung des Bußgeldrahmens nach § 38 IV GWB bestimmenden Mehrerlöses vorgenommen. Statistische Untersuchungen weisen Durchschnittswerte für die durch Preisabsprachen von Bauunternehmen erzielten Mehrerlöse aus.“

Der 2. Strafsenat moniert demnach, dass das Landgericht hätte prüfen müssen, ob durch die Absprachen die Entstehung eines günstigeren Marktpreises verhindert wurde. Das Landgericht hätte sich demnach mit den zahlreichen Indizien auseinandersetzen müssen, die dafür sprechen, dass die Bundesrepublik Deutschland die entsprechenden Arbeiten zu einem wesentlich geringeren Preis hätte vergeben können. Als entsprechende Indizien sieht der BGH zunächst, dass Kartellabsprachen schon grundsätzlich dem Zweck 401  Ingenstau / Korbion, VOB / A, § 25 Rn. 29; Tiedemann, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, Vor § 38 Rn. 58 f.; Baumann / Arzt, ZHR 134; 50 ff.; Schmid, wistra 1984, 1 ff., Beulke, JuS 1977, 35, 38 f.; Echler, BB 1972, 1347, 1349 ff. 402  Lackner, in: LK 10. Aufl., § 263 Rn. 195, 343; Jaath, in: Schäfer-FS, S. 89, 100; Bruns, NStZ 1983, 385, 388 ff.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

dienen, ihren Mitgliedern höhere als die sonst erzielbaren Preise einzubringen. Weiter könne bereits die Bekanntgabe der Unternehmen, die sich an einer Wettbewerbsabsprache beteiligten, die Bildung des Wettbewerbspreis für den Auftraggeber nachteilig beeinträchtigen. Denn das ordnungsgemäß durchgeführte Ausschreibungsverfahren zeichne sich insbesondere dadurch aus, dass die von den Bietern abzugebenden Gebote bis zum Ablauf der Anbietungsfrist geheim zu halten seien. Es liege nahe, dass die Angebote der Bieter, in Unkenntnis der Angebote entsprechender Konkurrenten, schärfer kalkuliert worden wären. Für das Bestehen eines Schadens spreche ferner auch die Art und Weise der Angebotsberechnung durch das Kartell. Diesbezüglich sei zunächst der sog. Nullpreis von 15 Mio. DM bestimmt worden. Dieser sei anschließend um die aufgrund der Kartellabsprache an Kartellmitglieder sowie dritte Unternehmen zu zahlenden Ausgleichszahlungen auf 18.900.000 DM inklusive Mehrwertsteuer erhöht worden. Die Tatsache, dass Ausgleichszahlungen an Kartellmitglieder und Dritte geleistet worden seien, sei ein gewichtiges Indiz dafür, dass die Kartellmitglieder erfolgreich das Ziel verfolgten, einen den Marktpreis übersteigenden Preis zu erlangen. Diese Indizien seien vom Landgericht nicht beachtet worden, weil es den Begriff des hypothetischen Marktpreises fehlerhaft bestimmt habe. c) BGH, Beschl. v. 31.8 1994  – 2 StR 256 / 94 („Arbeitsgemeinschaft Rheinausbau II“) Nach Zurückverweisung an das Landgericht im oben dargestellten Fall Arbeitsgemeinschaft Rheinausbau I hatte dieses die Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen das Kartellrecht mit einer Geldbuße von 4000 DM belegt. Sowohl die Angeklagten, als auch die Staatsanwaltschaft legten daraufhin erneut Revision ein, wobei die Angeklagten sich gegen die Verhängung der Geldbuße wandten, während die Staatsanwaltschaft geltend machte, die Angeklagten seien wegen Betruges zu verurteilen. Obwohl der 2. Strafsenat das Verfahren im Ergebnis mit Zustimmung des Generalbundesanwaltes und der Angeklagten gemäß § 153 II StPO – im Hinblick auf die lange Verfahrensdauer – einstellte, bestätigte es die oben dargestellte Rechtsprechung zur Strafbarkeit des Submissionsbetruges nicht nur nochmals, sondern erweiterte sie insofern, als dass er feststellte, auch der sog. Unterkostenpreis könne als maßgeblicher Wettbewerbspreis zur Berechnung des Schadens in Betracht kommen, wenn im Einzelfall feststehe, dass der Anbieter zu diesem Preis zuverlässig leisten kann.



II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Schätzung des Schuldumfanges 139

d) BGH, Urt. v. 11.  Juli 2000  – 1 StR 93 / 00 (Missbrauchstatbestand) In der vorliegenden Entscheidung erfolgt eine weitere Ausweitung der oben dargestellten Rechtsprechung auf den Tatbestand der Untreue. aa) Sachverhalt Der Angeklagte wurde am 14. November 1991 zum Konkursverwalter des Bekleidungswerkes A-GmbH bestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die AGmbH noch einen Auftragsbestand von 167.000 Vorbestellungen für die nächste Saison im Wert von ca. 10 Mio. DM. Entsprechende Rohstoffe im Wert von 3,5 Mio. DM waren bereits geliefert und im Besitz der A-GmbH, jedoch noch nicht bezahlt. Von diesen Rohstoffen waren bereits 65.000 Teile zugeschnitten und in ausländische Produktionsstätten zur Weiterverarbeitung verbracht worden. Mehrere Großkunden drängten auf termingerechte Auslieferung der Ware, teilweise traten sie von entsprechenden Verträgen zurück. Der Angeklagte bot daraufhin einer mit ihm befreundeten Person H. – die ebenfalls Inhaber einer Kleiderfabrik war – an, Aufträge von der A-GmbH zu kaufen. Da H. das hiermit verbundene Risiko nicht alleine zu tragen gewillt war, einigten sich der Angeklagte und H. auf die Gründung einer GbR, welche die Großkundenaufträge von der A-GmbH übernehmen sollte. Dabei entwarf der Angeklagte sowohl den Gesellschaftsvertrag, als auch den Kaufvertrag zur Übernahme der Aufträge. Beides legte er H. am 18. November zur Unterschrift vor. Der Gesellschaftsvertrag sah eine Gewinn- und Verlustbeteiligung des H. zur Hälfte sowie der Ehefrau des Angeklagten zu einem Viertel und der beiden Kinder des Angeklagten zu jeweils einem Achtel vor. Im Kaufvertrag war ein Betrag von 65.000 DM für die benötigten Rohwahren – ausschließlich der noch entstehenden Lohnkosten – vereinbart. Am 29. November 1991 erreichte der Geschäftsführer der A-GmbH eine Zusage seitens der Großkunden bezüglich der Abnahme der vorbestellten Waren. Gläubigerausschuss und Kreditversicherer der Lieferanten erklärten sich am 3. Dezember desselben Jahres mit einem Auftragsverkauf einverstanden; bei dieser Gelegenheit wies der Angeklagte darauf hin, dass die Konkursmasse nicht ausreiche, um die mit der Fortführung der Produktion anfallenden Kosten zu decken. Am gleichen Tag noch unterzeichnete der Angeklagte als Konkursverwalter der A-GmbH einen Kaufvertrag mit der durch H. vertretenen GbR über den Verkauf des Großkundenauftragsbestandes sowie aller entsprechender Rohstoffe, soweit diese in den Lagern der A-GmbH vorhanden waren. Die A-GmbH verpflichtete sich, die GbR bei der Durchführung zu unterstützen und dafür, soweit notwendig, alle personalen und sachlichen Mittel gegen

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

vollen Ersatz aller entstehenden Auslagen zu Verfügung zu stellen. Die AGmbH verpflichtete sich ferner, auf Verlangen die Lieferungen unter ihrem Namen (mit dem Zusatz i.K.) in Rechnung zu stellen. Bei der A-GmbH eingehende Gelder sollten auf einem nicht zum Konkursverfahren gehörenden Konto verwahrt und gegen Rechnung an die GbR ausbezahlt werden. Als Kaufpreis wurden 300.000 EUR vereinbart. Diese beinhaltete die Materialkosten und die erwarteten Lohnkosten vorbehaltlich der endgültigen Abrechnung. Der Kaufpreis war zwei Wochen nach Vorlage der Endabrechnung fällig. Über diese Maßnahmen berichtete der Angeklagte in der Gläubigerversammlung am 16. Dezember 1991. Ein Großteil der halbfertigen Produkte wurde bis Januar 1992 von den im Ausland befindlichen Produktionsstätten zur A-GmbH verbracht, wo sie von dieser endbehandelt und an Kunden ausgeliefert wurden. Die A-GmbH stellte die Waren bei den Kunden zeitgleich unter eigenem Namen in Rechnung. Dies erfolgte zunächst mit dem Vermerk „Zahlung mit schuldbefreiender Wirkung auf das Konto des Konkursverwalters“, ab Januar 1992 hingegen mit dem Vermerk „Zahlung mit schuldbefreiender Wirkung auf das Konkurssonderkonto“. Die anfangs noch auf dem Konto des Konkursverwalters eingegangenen Zahlungen in Höhe von 49.045 DM wurden sukzessive auf das Konkurssonderkonto umgebucht. Ab März 1992 schickte H. als Vertreter der GbR für die „ausgeführten Lieferungen“ bis zum 30. April 1992 drei Rechnungen an die A-GmbH, in Höhe von insgesamt 1.020.440 DM. Der Angeklagte überwies der GbR da­ raufhin vom Konkurssonderkonto bis zum 26. Mai 1992 einen Betrag von 931.776 DM. Die von H. für die GbR angefertigte Ergebnisrechnung wies einen Überschuss von 552.601 DM auf. Die jeweiligen Anteile am Überschuss wurden auf die entsprechenden Konten gutgeschrieben. Der Angeklagte stellte der GbR anschließend einen Betrag von 320.713 DM für die „Abwicklung der Großkundenaufträge“ in Rechnung. H. überwies, nachdem er vom Rechnungsbetrag einen Teilbetrag abgezogen hatte, an die A-GmbH einen Betrag in Höhe von 316.179 DM. bb) Das Vorgehen des Landgerichtes Das Landgericht hatte den Angeklagten zunächst durch Urteil vom 6. März 1997 wegen Untreue zum Nachteil der A-GmbH verurteilt. Dieses Urteil war vom 1. Strafsenat des BGH auf Revision des Angeklagten hin aufgehoben worden, weil es die Annahme des Landgerichtes, der Verkauf sei ein Scheingeschäft zur Verschleierung der späteren Geldentnahme, als nicht erwiesen ansah.



II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Schätzung des Schuldumfanges 141

Nach Zurückverweisung an eine andere Strafkammer des Landgerichtes war der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden. Zunächst lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der am 3. Dezember 1991 geschlossene Kaufvertrag lediglich zum Schein geschlossen worden sei. Gleiches gelte für die Annahme, dass der Kaufvertrag nur für den Fall erfüllt werden sollte, dass die Ausführung der Warenlieferung tatsächlich Gewinn einbrachte. Außerdem läge kein Missbrauch der Verfügungsbefugnis vor. Beim Abschluss des Kaufvertrages am 3. Dezember 1991 seien zumindest subjektiv kaufmännische Maßstäbe beachtet worden. Denn es habe sich nicht um ein unwirtschaftliches Geschäft gehandelt, weder durch Verkauf des Auftragsbestandes unter Wert, noch durch Gewinnentzug dadurch, dass die gezahlten Gegenleistungen der GbR und nicht der A-GmbH zugeflossen seien. In Bezug auf die Frage des Verkaufes des Auftragsbestandes unter Wert hatte das Landgericht den Marktwert des Auftragsbestandes – sachverständig beraten – geschätzt. Als Grundlagen der Schätzung hatte es einerseits die Tatsache herangezogen, dass die Bonität der Kunden außer Frage stand, sowie andererseits, dass diese auf einer mangelfreien und pünktlichen Lieferung bestanden. Weiter fand die gefährdete Leistungsfähigkeit der A-GmbH, der zwischenzeitliche Produktionsstillstand bei ihr, sowie die Tatsache, dass Halbfertigprodukte im Ausland lagerten, Berücksichtigung. Auch waren die Gläubiger der A-GmbH, die der Angeklagte aufgefordert hatte, auf eine weitere Produktionstätigkeit und Handlungsfähigkeit der A-GmbH hinzuarbeiten, wegen des bestehenden wirtschaftlichen Risikos zunächst nicht bereit gewesen, diese zu unterstützen. Das Landgericht führte diesbezüglich aus, eine genaue Bestimmung des Marktwertes sei unter diesen Voraussetzungen nicht möglich. Es ordnete das Geschäft jedenfalls als „mit einem nicht unerheblichen Risiko behaftet“ ein. Gleichwohl wurde durch das Landgericht eine Schätzung des annähernden Marktwertes vorgenommen. Als entscheidenden Ausgangspunkt dafür betrachtet es letztlich den tatsächlichen Wert der Rohstoffe, der im Kaufvertrag mit 65.000 DM veranschlagt war. Diesen Betrag hat das Landgericht auf 33 % des Gesamtkaufpreises geschätzt. Auf dieser Grundlage hat es – unter Berichtigung einiger Rechnungen – einen Gesamtwarenwert in Höhe von 347.338 DM errechnet. Von diesem Gesamtwert hat es – da sich große Teile des Materials (Halbfertigprodukte) im außereuropäischen Ausland befanden, einen Abschlag von 62,5 % vorgenommen, so dass sich ein letztlicher Marktwert des Auftragsbestandes von 120.351 DM ergab.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

cc) Die Urteilsbegründung des BGH Gegen den Freispruch wurde Revision seitens der Staatsanwaltschaft eingelegt. Diese wurde vom 1. Strafsenat verworfen. Dazu wird ausgeführt, das Urteil halte einer sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand. Das Landgericht habe zu Recht sowohl den Treuebruchs-, als auch den Missbrauchstatbestand aus tatsächlichen Gründen verneint. In Bezug auf den Treuebruchstatbestand sei ein heimlicher Vorbehalt, den Vertrag nur zu erfüllen, falls sich die Abwicklung als profitabel erweist, nicht nachweisbar. Ein Missbrauch könne allerdings trotzdem vorliegen, wenn es sich bei dem abgeschlossenen Kaufvertrag um ein unwirtschaftliches Geschäft gehandelt hätte. Durch ein solches treuwidriges Geschäft wäre zugleich ein Schaden, entweder durch Verkauf unter Wert oder durch Unterlassen eines lohnenden Eigengeschäftes, entstanden. Nach den zwischen GbR und A-GmbH getroffenen vertraglichen Vereinbarungen sollte die A-GmbH – gleichsam als Subunternehmerin der GbR – aufgrund eines Werkvertrages entsprechende Kleidungsstücke fertigen. Die fertigen Produkte sollten durch die A-GmbH im Außenverhältnis im eigenen Namen verkauft und fakturiert werden, wobei die entsprechenden Gelder auf das nicht zur Konkursmasse gehöhrende Sonderkonto überführt werden sollten. Diese treuhänderisch vereinnahmten Verkaufserlöse sollten anschließend nach Rechnungsstellung durch die GbR an diese abgeführt werden. Damit verrechnet werden sollten die von der A-GmbH getätigten Aufwendungen für Fertigungslöhne, Personalkosten, Zölle und Materialien. Der Gewinn der GbR hätte somit in der Differenz zwischen den Verkaufserlösen und dem in der Endabrechnung festgeschriebenen endgültigen Kaufpreis bestanden. Die nach Ansicht des 1. Strafsenats wesentliche Frage sei somit erstens die des Verkaufs unter Marktwert. Diesbezüglich sei entscheidend, ob sich der Marktwert der Ware aus ex ante Sicht im Zeitpunkt des Vertragsschlusses als wesentlich höher als die mit 300.000 DM veranschlagte Gegenleistung darstellt. Zweitens, ob der A-GmbH durch den Verkauf im Zeitpunkt des Vertragsschlusses sicher zu erwartender Gewinn entzogen worden sei. Diesbezüglich führt der erste Strafsenat aus, dass es „in der Natur der Sache“ läge, „daß die so vorzunehmende Bewertung von Wert und Chancen des Auftragsbestandes mit erheblichen Risiken behaftet“ sei. Zwar habe „die ex-post-Betrachtung gezeigt, daß die Realisierung des Auftragsbestandes zu einem Gewinn führte, der rund 600.000 DM über dem Kaufpreis lag. Der erforderliche Vermögensvergleich war jedoch ex ante vorzunehmen. Dabei hat das sachverständig beratene Landgericht alle maßgeblichen Schätzgrößen rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt. Es war nicht gehalten, alle Parameter, wie etwa den genauen Lager-



II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Schätzung des Schuldumfanges 143 ort und das Verhalten der Großkunden, noch näher abzuhandeln. Bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses kam das Landgericht zu einem Marktwert, der um rund ein Fünftel über dem Kaufpreis lag. Eine solche für eine Prognose bei einer Konkursverwaltung eher marginale Differenz belegt kein unwirtschaftliches Geschäft. Noch viel weniger kann hieraus ein (bedingter) Schädigungsvorsatz hergeleitet werden.“

e) BGHSt 54, 69 und BVerfG, Beschl. v. 7.  Dezember 2011  – 2 BvR 2500 / 09, 2 BvR 1857 / 10 (Al-Qaida-Fall) aa) Sachverhalt Die Problematik der als „Al-Qadia-Fall“ bekannt gewordenen, zunächst vom OLG Düsseldorf im Jahr 2007 entschiedenen Rechtssache besteht neben der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Rechtsinstitutes des „Gefährdungsschadens“ bei § 263 StGB und seiner Ermittlung bzw. Bezifferung auch in der Frage der Zulässigkeit der Verwendung von Informationen einer präventiv polizeilichen Wohnraumüberwachung im Urteil. Letzteres ist jedoch für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand irrelevant und bleibt insofern unberücksichtigt. Das OLG Düsseldorf verurteilte die Beschwerdeführer der anschließenden Verfassungsbeschwerde wegen versuchten bandenmäßigen Betruges in 28 tateinheitlichen begangenen Fällen – sowie wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung – jeweils zu längeren Freiheitsstrafen. Nach den Feststellungen des OLG beschlossen die Beschwerdeführer, Geldmittel für ihre gemeinsamen Zwecke zu beschaffen, indem sie Lebensversicherungsverträge mit Bezugsberechtigung jeweils anderer Beschwerdeführer abschlossen. Anschließend sollte ein der Beschwerdeführer ins Ausland reisen und durch Bestechung von Amtspersonen inhaltlich unrichtige Dokumente (Sterbeurkunde und polizeilicher Unfallbericht) beschaffen, um gegenüber den Versicherungsunternehmen einen tödlichen Unfalls zu belegen und so den Anspruch auf die Versicherungsleistungen geltend zu machen. Es wurden zu diesem Zweck zwischen 2004 und 2005 insgesamt 28 Anträge auf Abschluss von Lebensversicherungen mit einer gesamten garantierten Todesfallsumme von 4.325.985 EUR gestellt. Tatsächlich wurden insgesamt nur 9 Versicherungsverträge mit einer garantierten Todesfallsumme von 1.264.092 EUR abgeschlossen. 19 Anträge wurden aufgrund polizeilicher Warnhinweise abgelehnt.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

bb) Das Vorgehen des OLG Nach Ansicht des OLG lagen – neben der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung – 28 versuchte Betrugstaten vor, da die „Beantragung von Lebensversicherungen schon den ersten Teilakt der mehrstufigen Tatausführung“ darstelle.403 Zwar seien noch weitere Täuschungshandlungen notwendig gewesen, deren zeitnahe Verwirklichung sowie die Art und Weise ihrer Ausführung hätte jedoch bereits festgestanden. Dies begründe eine konkrete Gefahr für das Vermögen der Versicherungsunternehmen. Gleichwohl liege in Bezug auf die 9 Fälle abgeschlossener Versicherungsverträge mangels Auszahlung der erstrebten Versicherungssumme noch keine Tatvollendung vor. Gleichzeitig bestehe in diesen Fällen auch noch keine schadensgleiche konkrete Vermögensgefährdung, da die Ausreise des jeweiligen Beschwerdeführers erst zu einem späteren Zeitpunkt geplant war, weil die Ermittlungsbehörden zu diesem Zeitpunkt bereits umfassende Kenntnis von den Einzelheiten der Tatplanung hatten. cc) Die Entscheidungsbegründung des BGH Der BGH änderte auf Revision der Beschwerdeführer die Schuldsprüche ab. Danach waren die Beschwerdeführer – neben der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung – des Betruges in 9 sowie des versuchten Betruges in 19 Fällen schuldig. Die Verurteilung wegen tateinheit­ lichen versuchten Betruges in 28 Fällen halte einer rechtlichen Überprüfung nicht in vollem Umfang stand, da die Annahme eines versuchten Erfüllungsbetruges rechtlich nicht haltbar sei. Denn zur Auszahlung der Versicherungssumme bestünden noch wesentliche Zwischenschritte. Hingegen liege in den Fällen der erfolgreichen Beantragung vollendeter Eingehungsbetrug vor. Zunächst sei in allen Fällen zumindest konkludent darüber getäuscht worden, die Versicherungsprämien dauerhaft zahlen zu wollen und den Versicherungsschutz allein zur Abdeckung des vertraglich vereinbarten zukünftigen Risikos zu nutzen, was zu einer entsprechenden Fehlvorstellung der Versicherungsunternehmen führte. Der in den Fällen der abgeschlossenen Versicherungsverträge bestehende Schaden ergebe sich aus dem Vergleich der beiderseitigen Vertragsverpflichtungen. Denn die von den Tätern zu zahlende Versicherungsprämie stelle angesichts der fehlenden Erfüllungsbereitschaft des Beschwerdeführers kei403  Das OLG – sowie im Weiteren der BGH – differenziert zwischen der täterschaftlichen Begehungsweise und der Teilnahme an den versuchten Betrugstaten der jeweiligen Beschwerdeführer. Da dies für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand irrelevant ist, wird auf eine eingehende Darstellung verzichtet.



II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Schätzung des Schuldumfanges 145

nen äquivalenten Ausgleich für die durch den Vertrag eingegangenen Verpflichtungen dar. Die Inanspruchnahme des Versicherers durch die Täter sei sicher zu erwarten gewesen. Die Leistungswahrscheinlichkeit sei gegenüber dem vertraglich vereinbarten Einstandsrisiko signifikant erhöht, nicht zuletzt, weil der Versicherer sich diesem nur durch Beleg der Unredlichkeit entziehen konnte. Dies hätte den Beweis etwa der Unrichtigkeit entsprechender Todesanzeigen erfordert. Eine spätere Auszahlung der Versicherungssumme stelle sich demnach nur noch als Schadensvertiefung dar. Bezüglich der Schadenshöhe erkennt der BGH, dass sich diese „als problematisch erweisen“ könne. Entsprechende Schwierigkeiten führten allerdings lediglich dazu, dass der Tatrichter „unter Beachtung des Zweifelssatzes im Wege der Schätzung Mindestfeststellungen zu treffen“ habe. Hierzu müsse er sich „erforderlicherweise der Hilfe von Sachverständigen aus dem Gebiet der Versicherungsmathematik bzw. Versicherungsökonomie und / oder des Bilanzwesens bedienen.“ Der 3. Strafsenat verweist hier auf einen Beschluss des 1. Strafsenats404 in dem es heißt: „Wenn eine genaue Feststellung zur Schadenshöhe zum Zeitpunkt der Vermögensverfügung nicht möglich ist, wird der Tatrichter im Hinblick auf die Besonderheiten des Strafrechts Mindestfeststellungen zu treffen haben. Dies kann durch Schätzung im Rahmen des dabei eingeräumten Beurteilungsspielraums geschehen.“

Andererseits widerspricht der BGH sich selbst und der eben noch proklamierten Lösung, wenn er weiter ausführt, dass die Berechnung nach bilanziellen Maßstäben sich im vorliegenden Fall „deshalb als schwierig darstellt, weil es für die Bewertung der Verpflichtung aus einem täuschungsbedingt abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag keine anerkannten Richtgrößen gibt.“

Diese Schwierigkeiten ließen allerdings „den Schaden nicht entfallen“. In allen Fällen der gescheiterten Beantragung der Lebensversicherung liege ein versuchter Betrug vor. dd) Urteilsbegründung des BVerfG Die Beschwerdeführer greifen mit der Verfassungsbeschwerde das Urteil des OLG sowie des BGH an. Hinsichtlich des Schuldspruchs wegen vollendeten Betrugs wurde dabei die Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2, Art. 103 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 2 GG gerügt. Diesbezüglich heißt es, der Schuldspruch wegen tateinheitlichen vollendeten und versuchten Betruges verstoße, soweit er auf der Annahme des BGH 404  BGHSt

30, 388, 390.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

beruhe, dass sich der Beschwerdeführer mit Abschluss von Lebensversicherungsverträgen eines vollendeten Betruges schuldig gemacht habe, gegen Art. 103 Abs. 2 GG und das darin kodifizierte strikte Bestimmtheitsgebot. Einer Entscheidung darüber, ob auch ein Verstoß Art. 101 I S. 2 GG oder Art. 103 I GG besteht, bedürfe es nicht. Das Bestimmtheitsgebot gelte einerseits für die Legislative, statuiere darüber hinaus jedoch auch ein an die Judikative gerichtetes Verbot der strafbegründenden Analogie. Analogie wird hier nicht im technischen Sinne verstanden. Gemeint sei vielmehr das Verbot der Rechtsanwendung über die Wortlautgrenze der Sanktionsnorm hinaus. Die Entscheidung über den Schutz eines Rechtsgutes mit den Mitteln des Strafrechtes obliege dem Gesetzgeber. Die Auslegung der Tatbestandsmerkmale durch die Gerichte dürfe demnach nicht dazu führen, dass die Eingrenzungsfunktion der Tatbestandsmerkmale umgangen werde.405 Während das BVerfG die Annahme einer konkludenten Täuschung als mit dem Wortsinn des § 263 StGB noch vereinbar einordnet, hält es die Annahme, dass bereits mit Abschluss entsprechender Lebensversicherungsverträge ein Schaden entstanden sei bzw. nach Vorstellung der Beschwerdeführer entstehen würde, mit Art. 103 Abs. II GG für nicht vereinbar. Das BVerfG betont jedoch, dass dies nicht die grundsätzliche Annahme einer schadensgleichen konkreten Vermögensgefährdung und den darauf beruhenden Eingehungsbetrug als Ausgangspunkt dieser rechtlichen Überlegung des BGH betrifft. Es sei jedenfalls grundsätzlich mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz vereinbar, einen gegenwärtigen Vermögensschaden bereits in der konkreten Gefahr eines zukünftigen Verlustes zu sehen. Das BVerfG verweist diesbezüglich erneut auf die kurz vorher ergangene Grundsatzentscheidung zum Untreuetatbestand.406 Bereits hier hatte es 405  Wie bereits in der vorhergehenden Grundsatzentscheidung zur Verfassungs­ mäßigkeit des Untreuetatbestandes (BVerfGE 126, 170) betont das BVerfG auch in Bezug auf den Tatbestand des Betruges, nicht auf eine Vertretbarkeitskontrolle ­ beschränkt zu sein. Dies ergebe sich aus dem in Art. 103 II GG zum Ausdruck ­ ­kommenden strengen Gesetzesvorbehalt, welcher die Kontrolldichte erhöhe. Die Bestimmung der äußersten Grenze eines Straftatbestandes bedeute letztlich eine Entscheidung über die Strafbarkeit und somit die Abgrenzung zwischen den Kompetenzen der Judikative und Legislative – dies falle in den originären Zuständigkeitsbereich des BVerfG. Von einigen Kommentatoren im Schrifttum wird dies als bedenkliche Positionierung des BVerfG als Superrevisionsinstanz gewertet: vgl. etwa Kraatz, JR 2012, 329. 406  In BVerfGE 126, 170, 223 ff. hatte es die Rechtsfigur des Gefährdungsschadens bzw. der schadensgleichen konkreten Vermögensgefährdung bereits für grundsätzlich mit dem Wortlaut des § 266 StGB und somit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz vereinbar erklärt. Gleichzeitig stellte es mit dem Darstellungs- und Quantifizierungsgebot – neben anderen für den hiesigen Untersuchungsgegenstand



II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Schätzung des Schuldumfanges 147

diesbezüglich ausgeführt, dass die begrenzende Funktion des Tatbestandsmerkmales des Vermögensschadens – welches § 263 StGB als Vermögensund Erfolgsdelikt kennzeichne – durch diese Rechtsfigur jedoch nicht in verfassungswidriger Art und Weise überdehnt werden dürfe. Die einen Gefährdungsschaden begründenden Verlustwahrscheinlichkeiten dürften nicht so diffus sein oder sich in so niedrigen Bereichen bewegen, dass der Eintritt des Schadens ungewiss bleibe. Die bloße Möglichkeit des Schadenseintritts oder abstrakte Gefährdung genüge nicht. Um eine Überdehnung des Tatbestandsmerkmals zu verhindern, müsse – von einfach gelagerten Fällen abgesehen, in denen die bloße Darlegung der Umstände für eine Bezifferung ausreiche – der Vermögensschaden der Höhe nach beziffert und dies in nachvollziehbarer Weise in den Urteilsgründen dargelegt werden. Bezüglich der Bezifferungsmodalitäten führt das BVerfG weiter aus: Bei bestehenden Unsicherheiten könne der Mindestschaden im Wege einer tragfähigen Schätzung ermittelt werden. Normative Gesichtspunkte könnten zwar in die Bewertung des Schadens einfließen, dürften die wirtschaftliche Betrachtung allerdings nicht überlagern oder verdrängen. Dem Beschreibungs- und Quantifizierungsgebot sei in der Entscheidung des BGH gerade nicht entsprochen worden. Ein Schuldspruch wegen Betruges (bzw. versuchten Betruges) setze voraus, dass Darlegung und Bezifferung eines Mindestschadens durch das Gericht erfolge – bzw. ein Evidenzfall vorliege, in dem bereits durch die Beschreibung der Gegebenheiten die Darlegung des Mindestschadens sicher möglich ist. Weder das eine noch das andere ist in der entsprechenden BGH Entscheidung jedoch der Fall. Im Verdikt des BGH wird zunächst nur darauf hingewiesen, dass eine Bestimmung nach bilanziellen Maßstäben insofern problematisch sei, als es an anerkannten Richtgrößen mangele. Diese Schwierigkeiten stünden jedoch der Annahme eines Vermögensschadens insofern nicht entgegen, als dass dieser im Wege der Schätzung, unter Rückgriff auf den Zweifelsgrundsatz, bestimmt werden könne. Allerdings fehle es hier bereits jeglicher Angabe darüber, anhand welcher Kriterien eine solche Schätzung zu erfolgen habe. Weiter sei ein Mindestweniger bedeutsamen Grundsätzen wie dem Verschleifungsverbot – jedoch ergänzende aus Art. 103 II GG folgende Grundsätze von Verfassungsrang auf. Ersterer statuiert die Pflicht des Richters die Voraussetzungen und Umstände des Gefährdungsschadens, also den Unterschied zwischen gesolltem und tatsächlichem Zustand, zu konkretisieren, letzter die Pflicht die damit einhergehende Vermögenseinbuße zu beziffern. Zur grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bestätigung des Gefährdungsschadens vgl. auch schon BVerfG Beschl. v. 10.3.2009 – 2 BvR 1980 / 07, NStZ 2009, S. 560 ff.; BVerfG Beschl. v. 23.6.2010  – 2 BvR 2559 / 08, 105, 491 / 09; BVerfG, NStZ 1998, 506.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

schaden hier auch nicht ohne weiteres greifbar – es liege also kein Evidenzfall und somit keine Ausnahme vom Quantifizierungsgebot vor. Da im Falle des Gefährdungsschadens die Schadenshöhe entscheidend von der Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Verlustes abhinge, sei Grundvoraussetzung einer schätzungsweisen Bestimmung des Mindestschadens die Tragfähigkeit der diesbezüglichen Schätzung. Allein der Hinweis des BGH auf die Möglichkeit der Hinzuziehung von Sachverständigen aus den Gebieten der Ver­ sicherungsmathematik bzw. Versicherungsökonomie könne die für einen Schuldspruch notwendige Darlegung nicht ersetzen. Der BGH überdehne mit der Annahme eines gegenwärtigen Vermögensschadens durch Abschluss entsprechender Lebensversicherungsverträge die Grenzen des Tatbestandsmerkmales Vermögensschaden in verfassungswidriger Art und Weise. Diesem sei in seiner tatbestandsbegrenzenden Funktion keine ausreichende Bedeutung beigemessen worden, da die Ausführungen des BGH dazu – wie oben dargestellt – z. T. vage, z. T. jedoch auch offen widersprüchlich seien. Zunächst fehlte es hier an Erwägungen dazu, inwiefern überhaupt tragfähig eingeschätzt werden könne, wie hoch zum Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Tatausführung, also die spätere manipulationsbedingte Auszahlung durch die Versicherung, war. Weiter sei etwa die Annahme des BGH, die Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen sei „sicher zu erwarten gewesen“ zunächst nicht von den festgestellten Sachverhaltsannahmen gedeckt, stünde aber des Weiteren in offenem Widerspruch zu nachfolgenden Ausführungen in Bezug auf eine „signifikante Erhöhung der Leistungswahrscheinlichkeit“. Insbesondere dies deute nach Ansicht des BVerfG darauf hin, dass der BGH letztlich nicht auf einen konkreten Schaden abstelle, sondern für die Feststellung eines Vermögensschadens lediglich abstrakte Risiken genügen lasse, die jeder Vertragsschluss mit einem unredlichen Vertragspartner mit sich bringe. Dies stelle unter dem Gesichtspunkt des Betruges als Vermögensdelikt einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG dar. Wenngleich die Schätzung als Mittel zur Bestimmung des Schuldumfanges nicht zentraler Gegenstand des vorliegenden Bundesverfassungsgerichtsurteiles ist, so spielt sie dennoch eine prominente Rolle im vorliegenden Verdikt. Diesbezüglich ist zunächst zu konstatieren, dass die Schätzung als Mittel zur Bestimmung eines Mindestschuldumfanges, wie vom BGH vorgesehen, durch das BVerfG hier zumindest als dem Grunde nach gebilligt angesehen werden kann. Gleichzeitig erfolgt eine ausdrückliche Betonung des Darstellungs- und Quantifizierungsgebotes  – diese erfahren verfassungsrechtliche Weihen. Die insbesondere mit letzterem einhergehende Zuwendung des BVerfG zum wirtschaftlichen Schadensbegriff, unter weitgehender Zurückdrängung juristisch-normativer Elemente, hat Ausstrahlungskraft auch auf



II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Schätzung des Schuldumfanges 149

das Institut der Schätzung der Schuldhöhe bei Vermögensdelikten. Ihre logische Konsequenz ist die Notwendigkeit der Einbeziehung eines Mindestmaßes wirklichkeits-widerspiegelnder Fakten in den Schätzvorgang, die in der unmissverständlichen Forderung des BVerfG nach tragfähigen Schätzgrundlagen Ausdruck findet. 2. Schätzungen bei Serienstraftaten a) BGH, Beschl. v. 16.5.1994  – 3 StR 118 / 94 („sexueller Missbrauch 1“)407 aa) Sachverhalt und Vorgehen des Landgerichtes Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Dabei hatte es zurückgerechnet vom sicheren Endzeitpunkt der Heimunterbringung des Kindes M. am 25.11.1991 allein aufgrund seiner Bekundungen, es sei „in der 3. oder vierten Klasse mit dem Angeklagten losgegangen“ und „so über etwa 1½ Jahre gegangen, jede Woche drei bis viermal, manchmal nur unterbrochen durch wenige Monate“ die erste Tat in das Frühjahr 1990 verlegt. Die Tatfrequenz war ohne weitere Anhaltspunkte auf 70 Fälle (etwa einmal wöchentlich) „heruntergerechnet“ und insgesamt zu einer fortgesetzten Handlung verbunden worden. bb) Die Urteilsbegründung des BGH Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, soweit es um die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs des Kindes M. geht. Der BGH führt diesbezüglich aus, dass die Annahme fortgesetzter Handlung durch das LG seit dem Beschluss des Großen Senats für Strafsachen des BGH vom 3.5.1994 rechtlich ausgeschlossen sei und der Angeklagte hierdurch beschwert sei. Dieses im Gesetz nicht geregelte Institut sei nicht mehr auf die Tatbestände der §§ 173, 174, 176 und 263 StGB, sondern nur noch allenfalls dann anwendbar, wenn es zur sachgerechten Erfassung des verwirklichten Unrechtes und der Schuld unumgänglich sei. In den genannten Tatbeständen führe die Beurteilung als fortgesetzte Tat zur verfälschenden Änderung des Delikts­ charakters vom Tätigkeits- und Erfolgsdelikt hin zu einem Dauerdelikt. Im vorliegenden Fall widerspreche die Zusammenfassung von über mehrere Monate oder Jahre andauernden, für sich jeweils tatbestandsmäßigen 407  BGH

NStZ 1994, S. 393.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Verhaltensweisen dem Sinn des Deliktstatbestandes. Die entsprechende Verurteilung des Angeklagten auf Grundlage einer fortgesetzten Handlung zeige, wie diese Rechtsfigur den Richter zu pauschalen Feststellungen verleite, was zur Besorgnis Anlass gibt, dass sich der Richter von einer in ihren Grenzen unklaren Gesamtvorstellung und nicht von der Überzeugung der Tatbestandsverwirklichung im Einzelfall leiten lasse. Dies führe auch zur erheblichen Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeit des Angeklagten. Die Feststellungen des LG genügten nicht den Anforderungen an eine Urteilsgrundlage. In einer neuen Hauptverhandlung müsse das Landgericht vielmehr einzelne, in Tatmehrheit stehende Straftaten feststellen. Es muss dabei von den unterschiedlichen selbständigen Taten in ihrer Individualität ausgehen. Die Straftaten seien also aufgrund der Angaben des Opfers soweit wie möglich zu individualisieren und – wie bei anderen Tatbeständen auch – einzeln nacheinander in ihrem konkreten Ablauf festzustellen. Zu guter Letzt führt der dritte Strafsenat aus, im Vordergrund stünden die Sachverhaltsermittlungen, nicht hingegen die Tatfrequenz. Diese Taten sind in ihren unterschiedlichen Handlungsabläufen vom Ausgangspunkt an,mit den unterschiedlichen Details zur Tatausführung und zum Tatort, mit den Komplikationen jeweils als einzelne Straftaten in dem gegebenen Tatzeitraum, notfalls auch ohne genauere zeitliche Einordnung, unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes festzustellen und abzuurteilen. Es komme grundsätzlich nicht auf eine geschätzte und dann heruntergerechnete Anzahl von Straftaten an, sondern auf all dass, was mit der für eine Urteilsgrundlage erforderlichen Überzeugungskraft für jede einzelne Straftat bekundet wird. Der Richter dürfe sich nicht von einer Gesamtvorstellung des strafbaren Verhaltens in einem Zeitraum bestimmen lassen, sondern muss von der Tatbestandserfüllung und dem konkreten Schuldumfang bei jeder individuellen Straftat überzeugt sein. In der neuen Verhandlung müsse das Landgericht ferner beachten, dass es den Angeklagten aufgrund der zugelassenen Anklage nicht wegen 70 selbstständiger Straftaten verurteilen kann. Denn ausreichend konkretisiert im Sinne der §§ 155, 200 I 1, 207 I StPO seinen in der Anklage lediglich die dort angegebene 13 Fälle zwischen Frühjahr und November 1991. b) BGHSt 40, 374 („Beihilfe zur Hehlerei“) aa) Sachverhalt Der Angeklagte A betrieb ein Geschäft mit dem An- und Verkauf von Edelmetallen; von August 1984 bis Mai 1990 erstellte er fingierte Rechnungen für den in der gleichen Branche tätigen, gesondert verfolgten K. Diese dienten einerseits der Verkürzung der Steuer durch K, sowie andererseits als



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Herkunftsnachweise für die von ihm in großem Umfang ohne Rechnung angekauften Edelmetalle. B ging dabei davon aus, dass es sich bei 30–40 % der hierbei angekauften Metalle um Diebesgut handelte und er war bereit, den K bei den entsprechenden Hehlereien zu unterstützen. Aus dem Urteilszusammenhang ergibt sich, dass die Kammer aus „prozessökonomischen Gründen“ keine näheren Aufklärungen zur strafbaren Herkunft des Diebesgutes durch K vorgenommen hat. Sie ging allerdings davon aus, dass K tatsächlich in der Vorstellung handelte, gestohlene Waren anzukaufen; das Ausstellen der Rechnungen durch B. wurde durch K entlohnt. Gleichzeitig ließ B sich seinerseits entsprechende Rechnungen über die Vorlieferung von Edelmetallen durch den Mitangeklagten M erstellen. Diese Rechnungen nutzte B seinerseits, um gegenüber dem Finanzamt Steuern zu verkürzen. M erstellte darüber hinaus ebenfalls fingierte Rechnungen für die von K geführte Firma „H“. bb) Das Vorgehen des Landgerichtes Die Kammer stellte im Einzelnen folgende fünf Straftaten des B jeweils im Rahmen einer fortgesetzten Handlung fest: Erstens eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung des B. durch Erstellen der fingierten Rechnungen von April 1985 bis Mai 1990, sowie tateinheitlich eine Beihilfe zur versuchten gewerbsmäßigen Hehlerei aufgrund der Angabe des umfassend geständigen B, wonach 30–40 % der angekauften Ware Diebesgut seien. Zweitens habe B auch für eine andere von K betriebene Firma „G“ von Januar bis Juli 1987 entsprechende fingierte Rechnungen ausgestellt, weshalb er ebenfalls wegen Beihilfe zur versuchten Hehlerei strafbar sei. Von einer Verfolgung der Tat unter dem Gesichtspunkt der Beihilfe zur Steuerhinterziehung wurde nach § 154a StPO abgesehen. Drittens liegt bezüglich der vom M ausgestellten und durch B zur Verkürzung der Steuern benutzten fingierten Rechnungen ebenfalls eine fortgesetzte Steuerhinterziehung in zwei Fällen vor. Schließlich veränderte B von Januar 1988 bis Mai 1990 in 31 Fällen nachträglich die von früheren Kunden unterschriebenen Auftragsbelege, um von ihm ohne Beleg angekaufte Waren mit fingierten Belegen versehen zu können, was das LG als Urkundenfälschung klassifizierte. Was den Angeklagten M betrifft, so gilt Folgendes: Hier wird erstens durch das Ausstellen der von Dezember 1987 bis November 1988 fingierten Rechnungen an K eine Beihilfe zur Steuerhinterzie-

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

hung in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten gewerbsmäßigen Hehlerei angenommen. Diesbezüglich habe der Angeklagte ab dem September 1988 bei den von ihm nach diesem Zeitpunkt gefertigten 40 Rechnungen zumindest billigend in Kauf genommen, dass mit deren Hilfe das durch K erlangte Diebesgut „legalisiert“ werde. Was die Erstellung der Rechnungen gegenüber B im Zeitraum von November 1987 bis Dezember 1988 angeht, so verurteilt das LG den B wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung. cc) Die Urteilsbegründung des BGH Die Revision der B und M bleibt ohne Erfolg, da der 5. Strafsenat nach einer sachlichen Überprüfung des Urteils keine Rechtsfehler sieht. Allerdings sieht der 5. Strafsenat sich in Bezug auf die Verurteilung wegen Beihilfe zur versuchten gewerbsmäßigen Hehlerei zu folgenden Anmerkungen veranlasst: Eine genaue Klärung, welche der durch die Angeklagten erstellten Rechnungen für welche konkrete deliktisch erlangte Ware als Erwerbsnachweis von K verwendet worden war, sei mit Zustimmung der StA aus prozessökonomischen Gründen unterblieben. Allerdings habe der Tatrichter sich zumindest davon überzeugt, dass K. in dem oben aufgezeigten Umfang Waren erwarb, in Bezug auf die er zumindest mit der Vorstellung handelte, dass es Diebesgut sei. Deshalb war das Gericht hier zulässigerweise von versuchter gewerbsmäßiger Hehlerei des K ausgegangen. Die Feststelllungen des LG beruhen, anders als in der Revision des M. angegriffen, nicht auf bloßen Vermutungen. Das LG habe seine Überzeugung im Sinne des § 261 StPO vielmehr einwandfrei gebildet. Bezüglich der Frage des Bestehens des Hehlerei-Tatbestandes griff es diesbezüglich auf das glaubhafte Geständnis des B zurück, der von K über entsprechende Vorgänge in dessen Unternehmen unterrichtet worden war. Auch hinsichtlich der Konkretisierung der Haupttat genügen die Feststellungen den rechtlichen Anforderungen. Zunächst sei die Menge des durch K im Wege der Hehlerei angekauften Diebesgutes aufgrund der Angaben des B bestimmt worden. Hierbei handelt es sich ersichtlich um die Feststellungen eines vom Tatrichter als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfangs. Weiter werde der Tatrichter „vielfach gehalten sein, bei einer Tatserie die Einzelakte so konkret und individualisiert zu ermitteln und festzustellen, dass sich daraus die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Deliktstatbestandes für jede Einzeltat nachprüfbar ergibt. Dies hat die Strafkammer hier aus prozessökonomischen Gründen unterlassen. Sie hat den Umfang der Hehlerei stattdessen im Wege der Schätzung ermittelt. Dies ist



II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Schätzung des Schuldumfanges 153 hier (…) rechtlich nicht zu beanstanden, da sich das Ergebnis der Schätzung nicht zum Nachteil“

des Angeklagten auswirkt. „Eine Bestimmung des Schuldumfanges im Wege der Schätzung ist grundsätzlich zulässig. Unumgänglich wird eine solche Schätzung namentlich dann sein, wenn Belege über kriminelle Geschäfte abhandengekommen sind oder von vornherein fehlten.“

Diesbezüglich heißt es ferner: „Zur Bestimmung des Schuldumfanges ist es (…) zulässig, einen rechnerisch bestimmten Teil des Gesamtgeschehens bestimmten strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen im Wege der Schätzung zuzuordnen. Die Feststellungen der Zahl der Einzelakte [sic] und die Verteilung des festgestellten Gesamtschadens auf diese Einzelakte erfolgt nach dem Grundsatz „in dubio pro reo.“ Jede andere Betrachtung, die von einer eingeengten, jeden Einzelfall isoliert beurteilenden Sichtweise ausgeht, würde bei fehlenden Belegen zum Ausschluss, in vielen anderen Fällen zur Erschwerung der Bestrafung bei zweifellos strafbarem Gesamtverhalten führen. Solches ist von der Rechtsprechung bislang im Bereich von Verurteilungen wegen fortgesetzter Handlung unproblematisch vermieden worden. Der Verzicht auf dieses Rechtsinstitut kann nicht zu Strafbarkeitslücken führen, die der Gerechtigkeit wiederstreiten würden.“

Zu guter Letzt sei der Angeklagte M auch weder dadurch, dass der Tatrichter davon abgesehen hatte, die Mindestzahl der Hehlerei-Taten des K. festzustellen, noch dadurch, dass er zugunsten der Angeklagten eine nur versuchte Hehlerei angenommen hatte, beschwert. Grundsätzlich seien die Verurteilungen des B und M zwar nicht mit dem Beschluss des Großen Strafsenates (BGHSt 40, 138) vereinbar, sofern sie auf die Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung abstellen. Allerdings fehle es diesbezüglich schon an einer Beschwer. Ferner sei es möglich, die in der jeweiligen Übergabe der Scheinrechnungen zu erblickenden Beihilfehandlungen durch die entsprechende vorherige Zusage zu einer einheitlichen Gehilfentat im Sinne der psychologischen Beihilfe zusammenzufassen, so dass letztlich eine tateinheitliche Beihilfe geleistet worden sei. c) BGH, Urt. v. 19.7.1995  – 2 StR 758 / 94 („Weinpanscher-Fall“)408 aa) Sachverhalt Die Angeklagten, Mitarbeiter der Firmengruppe P, die zahlreiche Weingüter und Weinvertriebsfirmen unterhielt, war am Verkauf von 633 im Einzelnen bezeichneten Weinpartien beteiligt. Diese waren nach den weinrecht­ 408  BGH

NJW 1995, S. 2933.

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lichen Bestimmungen aufgrund verschiedener Mängel (z. B. waren deutsche Weine mit Weinen anderer Anbaugebiete verschnitten und Drittlandweine verbotswidrig untereinander verschnitten worden, sowie z. T. verkaufte Weine nicht mit den Ausfuhrdokumenten identisch gewesen) verkehrsunfähig. bb) Das Vorgehen des Landgerichtes Die Anklage erblickte in dem oben beschriebenen Verhalten ein Vergehen gegen das Weingesetz in Tateinheit mit Betrug. Das Landgericht sprach den Angeklagten hingegen frei. Es setzte sich in seiner Urteilsbegründung intensiv mit der Konzernstruktur und den Betriebsabläufen der einzelnen Unternehmensteile sowie mit den einzelnen Angeklagten und ihren jeweiligen Positionen im Unternehmen auseinander. Neben weiteren Umständen, die der erhobenen Anklage entgegenstehen könnten, konstatierte das Landgericht insbesondere, dass sich die beanstandeten Weinpartien nicht bestimmten Handlungen der Angeklagten zuordnen lassen. Die Begründung einer Verantwortlichkeit des jeweiligen Angeklagten sei unter diesen Umständen nicht möglich („unbehebbares Informationsdefizit“). Bezüglich der in der Anklage aufgeführten Weinpartien ordnete das Landgericht die diesbezüglich von der StA aufgeführten Auffälligkeiten den z. T. vorher dargestellten verschiedenen Fehlerquellen zu, erklärte die Auffälligkeiten für nicht beweiserheblich oder führte sie darauf zurück, dass die Flaschenetiketten bei den untersuchten Weinen unrichtig gewesen seien, so dass ein anderer Wein als der in der Kellerbuchhaltung ausgewiesene geprüft worden sei. Auch erklärte das Landgericht die von den Beteiligten im Laufe des Verfahrens abgelegten Geständnisse für unverwertbar oder unglaubhaft und konstatierte, dass die Ermittlung und Vernehmung der „mehreren Hunderttausend“ Geschädigten nicht durchführbar sei. cc) Die Entscheidungsbegründung des BGH Zunächst moniert der zweite Strafsenat die Ausführungen des Landgerichtes insofern, als dass die immer wiederkehrende tadelnde Erwähnung der StA die Besorgnis nähre, dass das LG seine Aufgabe zur eigenständigen Ermittlung aller entscheidungserheblichen Tatsachen verkannt habe. Ob bereits darin ein Sachmangel zu sehen sei, könne jedoch hier offen bleiben, da jedenfalls weitere zahlreiche Rechtsfehler bestünden, die zur Aufhebung des Freispruchs führen müssten. Soweit das Landgericht von der Unmöglichkeit der Zuordnung der jeweiligen beanstandeten Weinpartien zu entsprechenden Handlung der Angeklagten und der daraus folgenden Unmöglichkeit der Begründung der Verant-



II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Schätzung des Schuldumfanges 155

wortlichkeit eines jeden Angeklagten ausgeht, beruhe dies schon auf einer unzutreffenden rechtlichen Grundlage. Auch der Beschluss des Großen Senates für Strafsachen des BGH zur fortgesetzten Handlung habe nichts daran geändert, dass auch bei mehreren Beteiligten die Frage von Tateinheit und Tatmehrheit für jeden Täter einzeln zu prüfen und zu entscheiden sei. Insofern sei nicht entscheidend, ob jeder einzelnen beanstandeten Weinpartie entsprechende Maßnahmen eines bestimmten Angeklagten zuzurechnen sind, sondern umgekehrt, welches Verhalten zurechenbar eine entsprechende Schadensfolge ausgelöst hat. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass für alle Beteiligten gemeinschaftliches Handeln in Betracht käme, wobei Mittäterschaft und Beihilfe auch durch Beteiligungen an Vorbereitungshandlungen begründet werden könnten. Die Zurechnung zur Täterschaft erfordere insbesondere nicht zwangsweise die eigenhändige Verwirklichung des Tatbestandes, so dass Mitglieder der Leitungsebene eines Unternehmens, das schädigende Produkte in Verkehr bringe, auch dann strafrechtliche Verantwortung treffe, wenn sie das Produkt in Kenntnis des Mangels weitervertrieben. Insofern bedürfe es der vom Landgericht als unmöglich erachteten Feststellung schon nicht. Ebenfalls als unzutreffend bezeichnet der zweite Strafsenat die Ausführungen des Landgerichtes, wonach eine Verurteilung wegen Betruges ausscheide, da die Abnehmer der Weine nicht hätten ermittelt werden können und insofern nicht festgestellt werden könne, ob diese einem Irrtum erlegen seien. Beim Betrug handle es sich um ein Vermögensdelikt, weshalb allein entscheidend ist, ob die Ware ihren Preis wert war. Bei Weinen, die nicht verkehrsfähig sind, ist dies zu verneinen. An einem Irrtum der Abnehmer fehle es deshalb nur, wenn ihnen die Minderwertigkeit gleichgültig gewesen wäre. Allerdings sei die Annahme, die Abnehmer hätten trotz Kenntnis der Minderwertigkeit im vorliegenden Fall den vollen Preis bezahlt, völlig fernliegend. Aus welchen Gründen des Landgericht ferner davon ausgeht, verfahrensrechtlich zur Feststellung von Ort und Zeit des Verkaufes der Weine gehalten zu sein, erschließt sich dem zweiten Strafsenat nicht. Ferner moniert der zweite Strafsenat, dass das Landgericht sich gehindert sah, den Schuldumfang hinreichend konkret festzustellen. Das Landgericht verwies diesbezüglich insbesondere darauf, dass 2,45 Mio. Liter Wein vernichtet sowie viele Bestellungen storniert worden seien. Die Bedenken des Landgerichtes hängen nach Ansicht des zweiten Strafsenates mit der bereits eingangs dargelegten unzutreffenden Rechtsauffassung davon zusammen, dass die Zahl der Weinpartien der Zahl der Straftaten entspreche. Davon unabhängig verkenne das Landgericht jedoch bereits die Anforderungen, die von der Rechtsprechung an den notwendigen Umfang der Feststellungen bei Serienstraftaten gestellt werden. Stehe ein strafbares Verhalten des Täters

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fest, so könne die Bestimmung des Schuldumfanges im Wege der Schätzung erfolgen (wobei auf die Kassenarztentscheidung – BGHSt 36, 320 – sowie die Entscheidung Arbeitsgemeinschaft Rheinausbau – BGHSt 38, 186 – verwiesen wird). Bezüglich der Schätzungsmöglichkeit führt der zweite Strafsenat – die Wortwahl des fünften Strafsenates aus der Entscheidung BGHSt 40, 374 zum Teil genau übernehmend – aus: „Bei einem strafbaren Gesamtverhalten, wie es Serientaten darstellen, ist es zulässig, einen rechnerisch bestimmten Teil des Gesamtgeschehens bestimmten strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen im Wege der Schätzung zuzuordnen. Die Feststellung der Zahl der Einzelakte [sic] und die Verteilung des Gesamtschadens auf diese erfolgt nach dem Grundsatz ‚in dubio pro reo.‘ Ein solches Verfahren ist stets zulässig, wenn sich Feststellungen auf andere Weise nicht treffen lassen; auch insofern ist durch die Entscheidung des BGH zur fortgesetzten Handlung rechtlich keine neue Lage entstanden.“

Dass sich für die Schätzung keine ausreichend sicheren Grundlagen gewinnen ließen, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Darüber hinaus erachtet der zweite Strafsenat zentrale Punkte der Beweiswürdigung des Landgerichtes als rechtsfehlerhaft, da zahlreiche, auf systematische Verschnitte der Weine deutende Indizien nicht hinreichend Berücksichtigung fanden. Auch rügt es die rechtsfehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrages der Anklage durch das Landgericht, das einen Belastungszeugen nicht gehört hatte. Die Revision der Staatsanwaltschaft dringt demnach sowohl mit der Sachrüge, als auch mit der Verfahrensrüge durch. Der zweite Strafsenat des BGH hebt das freisprechende Urteil auf und verweist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Landgericht zurück. d) BGH Urt. v. 16.10.1996  – 2 StR 204 / 96 („sexueller Missbrauch 2“)409 aa) Sachverhalt und Vorgehen des Landgerichtes Der Angeklagte lockte im Sommer 1990 das damals achtjährige Tatopfer in sein Wohnmobil, wo er wiederholt sexuelle Handlungen an ihm vornahm. Das sachverständig beratene Landgericht hatte nicht genau feststellen können, wie oft der Angeklagte das Opfer sexuell missbraucht hatte. Aufgrund der Angaben des Opfers war es dem Landgericht jedoch möglich, sechs verschiedene Handlungsvariationen zu unterscheiden. Die Strafkammer hält es jedoch für möglich, dass diese Tatvarianten Teil eines einheitlichen Ge409  BGH

NStZ 1997, S. 280.



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schehens waren. Eine weitere Zuordnung war nicht möglich. Die Strafkammer hat deshalb nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ angenommen, dass der Angeklagte alle festgestellten Tatvarianten jeweils ein Mal im Rahmen einer einheitlichen Tat im Sinne des § 176 StGB verwirklicht hat. bb) Die Urteilsbegründung des BGH Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge durch den zweiten Straf­ senat hat keine Rechtsfehler zulasten des Angeklagten ergeben. Das Vorgehen des Landgerichtes – insbesondere in Bezug auf die Zusammenfassung der Tatvariationen zu einer einzelnen Tat – begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Die verschiedenen Formen des sexuellen Missbrauchs seien jeweils rechtsfehlerfrei festgestellt worden. Durch die materiell-rechtliche Zusammenfassung der Handlungsvarianten sei der Angeklagte nicht benachteiligt. Die zweite Strafkammer weist darauf hin, dass der BGH in Bezug auf Serienstraftaten im Bereich der Vermögensdelikte bereits entschieden habe, dass die Zuordnung einer Schadenssumme zu den Einzeltaten nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ zu erfolgen habe, wenn sich weitere Feststellungen nicht treffen lassen; hier wird auf BGHSt 40, 374 (Beihilfe zur Hehlerei) verwiesen. Hierbei dürfe sich der Tatrichter insbesondere der Schätzung bedienen. Dieser Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, dass sich der wesentliche Unrechtsgehalt entsprechender Serientaten erst bei einer Würdigung des Gesamtumfangs der strafbaren Tätigkeit offenbare. Diesbezüglich seien Schadens- und Mengenangaben entscheidend. Die notwendige Aufteilung etwa bei einer Betrugsserie ist „kein zwingendes Gebot der Gerechtigkeit, sondern der Konkurrenzregeln des StGB.“ Inwiefern sich diese Grundsätze auf Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter übertragen lassen, sei bisher nicht geklärt, bedürfe jedoch im vorliegenden Fall auch keiner abschließenden Entscheidung. Gegen eine solche Übertragung auf Sexualdelikte spricht, dass sich deren Unrecht nicht numerisch durch Addition als Gesamtschaden oder Gesamterfolg erfassen lässt. Weiter heißt es wörtlich: „Schätzungen scheiden ohnehin aus. Die Schuld des Täters ergibt sich in diesen Fällen vielmehr in erster Linie aus der konkreten Art der Tatbestandsverwirklichung, also den Umständen der jeweiligen Einzeltat. Deshalb können Bedenken dagegen bestehen, nicht hinreichend individualisierte Tatvarianten, deren Zusammenhang mit bestimmten Handlungen nicht feststellbar ist, materiell-rechtlich zu einer Tat zusammenzufassen oder bestimmten Tatkomplexen sachlich oder zeitlich zuzuordnen. Ein solches Vorgehen birgt die Gefahr in sich, dass dem Angeklagten eine Tat angelastet wird, die er so niemals begangen hat. Lässt sich nicht ausschließen, dass die Zuordnung der Tatvarianten die Qualität der begangenen Tat in ihrem

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Unrechts- und Schuldgehalt zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst, so wirkt sich die Zuordnung nicht zugunsten, sondern zum Nachteil des Angeklagten aus.“

Eine Zusammenfassung könne deshalb nur erfolgen, sofern keine Un­ sicherheit in Bezug auf die Zahl und den Schuldgehalt der einzelnen Tatbestandsverwirklichungen besteht. Die einzelnen Tatbestandsverwirklichungen müssten deshalb durch den Tatrichter ohne Einschränkungen, wie selbstständige Taten, festgestellt werden. Bei der Strafzumessung müsse der Tatrichter sich darüber im Klaren sein, „dass die Verurteilung wegen einer einzigen Tat keine Entsprechung in der Wirklichkeit zu haben braucht.“ Diesen Anforderungen genüge das vorliegende Urteil jedoch, denn der Tatrichter habe die verschiedenen Ausführungsvarianten zu seiner sicheren Überzeugung festgestellt und diese seinem Schuldspruch zugrunde gelegt. Es sei ausgeschlossen, dass er bei der Strafzumessung einen aufgrund der Zusammenfassung des Geschehens verzerrten Unrechts- oder Schuldgehalt zugrunde gelegt habe. e) BGH Beschl. v. 12.11.1997  – 3 StR 559 / 97 („sexueller Missbrauch 3“)410 aa) Sachverhalt und Vorgehen des Landgerichtes Der Angeklagte fasste ab April 1991 seine Tochter B. fast täglich, außer an Tagen, an welchen sie ihre Regel hatte, unter der Kleidung gezielt an ihr Geschlechtsteil und an ihre Brust. Unter Berücksichtigung der monatlichen Regelblutung von 7 Tagen, einer einwöchigen Klassenfahrt sowie 2 Tagen im Juli 1991 anlässlich der Eröffnung eines Weinhandels, an der die Ehefrau des Angeklagten und ein weiterer Zeuge teilnahmen, berührte er das Opfer bis zu ihrem Auszug im Juli 1991 insgesamt mindestens 40 Mal in der geschilderten Weise in der Wohnung in W. Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen 40-fachen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen zu einer Gesamtstrafe. bb) Die Entscheidungsbegründung des BGH Der 3. Strafsenat hält die pauschalen Feststellungen des Landgerichtes für keine ausreichende Grundlage, um einen bestreitenden Angeklagten wegen 40 selbstständiger Taten zu verurteilen. Nicht etwa die aufgrund einer ungenauen Schätzung des Tatopfers „fast täglich“ hochgerechnete Gesamtzahl 410  BGH

NStZ 1998, S. 208.



II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Schätzung des Schuldumfanges 159

von Straftaten sei entscheidend, sondern die tatrichterliche Überzeugung von der Begehung einer jeden individuellen Straftat gemäß § 261 StPO. Der 3. Strafsenat weist darauf hin, dass psychologische Erkenntnisse auf die Gefahr der Verwischung von Tatfrequenzen nach längerer Zeit hindeuten. Die vom LG angenommene Mindestanzahl von 40 Delikten sei nicht ausreichend begründet. Es sei nicht ausgeschlossen, dass es sich tatsächlich um weniger Taten handle. Die Feststellungen des LG seien somit objektiv willkürlich und demnach rechtlich nicht zulässig. Bei wenigen konkretisierten Taten – im Verfahren gegen den Angeklagten wurde nur ein einziges Tatgeschehen konkretisiert – dürfe der Richter die Anzahl der weiteren (nicht konkretisierten) Fälle nicht ohne Angabe von Anhaltspunkten schätzen, die belegten, dass eine noch geringere Anzahl von Taten ausgeschlossen ist. Um eine bestimmte Anzahl von Straftaten einer in allem gleichförmig verlaufenden Serie festzustellen, müsse der Richter darlegen, aus welchen Gründen er die Überzeugung gerade von dieser Mindestzahl von Straftaten gewonnen hat. Das bedeutet nicht, dass er bei einer gleichförmigen Tatserie immer nur eine einzige Tat aburteilen könne. In aller Regel würden es mindestens zwei, meist mehr Taten sein. Ausgeschlossen sei aber, dass ohne nähere Begründung aufgrund einer ungenauen Schätzung eine objektiv willkürliche Zahl von Straftaten festgelegt werde. Darüber hinaus moniert der BGH die Feststellungen zum Tatgeschehen des Landgerichtes. Zwar dürften insbesondere bei lange zurückliegenden Taten keine übersteigerten Anforderungen an die Individualisierung gestellt werden, jedoch dürfe aus der unzureichenden Konkretisierung auch keine Beschränkung der Verteidigungsmöglichkeit des Angeklagten resultieren. Im vorliegenden Fäll wäre von einer 22jährigen Zeugin zu erwarten gewesen, dass diese die begangenen Straftaten genauer schildert. Dabei steht weniger die zeitliche Einordnung, sondern vielmehr die Art und Weise der Begehung im Vordergrund. f) BGH, Urt. v. 12.8.1999  – 5 StR 269 / 99 („Zigarettenschmuggel“)411 aa) Sachverhalt Der Angeklagten wurde zur Last gelegt, in der Zeit vom 1.2. bis 27.10.1997 in 553 Fällen zum Teil mehrmals täglich unversteuerte und unverzollte Zigaretten aus Polen in einem Pkw über die Grenze nach Deutschland verbracht zu haben. Die Zigaretten waren dabei jeweils beim Grenzübertritt nicht den zuständigen Zollbehörden gestellt worden. Dabei waren neben der Angeklag411  BGH

NStZ 1999, S. 581 = wistra 1999, S. 426 = StV 2000, S. 600.

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ten auch andere Personen beteiligt, es seien Eingangsangaben i.H. von 1.180.449,10 DM verkürzt worden. bb) Das Vorgehen des Landgerichtes Die Angeklagte war vom LG frei gesprochen worden. Zwar war das LG davon überzeugt, dass die Angeklagte in erheblichem Umfang als Mitglied einer Bande Zigaretten geschmuggelt hätte, jedoch sei es weder möglich gewesen festzustellen, wie oft die jeweiligen Schmuggelfahrten vorgenommen worden seien, noch wann entsprechende Fahrten stattgefunden hätten, sowie wie viele Zigaretten dabei jeweils verbracht worden seien. Die erforderliche Individualisierung der Einzeltaten sei auf dieser Grundlage nicht möglich. cc) Die Urteilsbegründung des BGH Die Revision der StA, welche sich gegen den Freispruch vom Tatvorwurf des Schmuggels richtete, griff mit der Sachrüge durch. Nach Ansicht des fünften Strafsenates weist die Beschwerdeführerin zu Recht darauf hin, dass der Tatrichter die Anforderungen an die Konkretisierung des Tatvorwurfes überspannt hätte. Zwar sei es bei Tatserien grundsätzlich erforderlich, die Einzelakte der Serie so konkret und individualisiert zu ermitteln und festzustellen, dass sich daraus die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Tatbestandes ergebe – hier verweist der fünfte Strafsenat auf die vorher ergangene Entscheidung BGHSt 40, 374. Stehe aber, wie im vorliegenden Fall, bei Vermögensstraftaten nach Überzeugung des Tatrichters ein strafbares Verhalten insgesamt fest, so kann die Bestimmung des Schuldumfanges im Wege der Schätzung erfolgen. Diesbezüglich verweist der fünfte Strafsenat auf die Entscheidung zum „Kassenarztfall“ in BGHSt 36, 320. Eine Schätzung ist ferner stets zulässig, wenn sich Feststellungen auf anderem Wege nicht treffen lassen. Sie ist in einem Fall wie dem vorliegenden – in dem über die kriminellen Geschäfte keine Belege oder Aufzeichnungen vorhanden sind – sogar unumgänglich. Es müsse der als erwiesen angesehene Mindestschuldumfang festgestellt werden. Die Feststellung der Einzelakte, sowie die Verteilung des Schadens auf diese, habe nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ zu erfolgen. Lediglich in Extremfällen, in denen sich im Rahmen der Schätzung konkrete Kriterien für die Aufteilung des festgestellten Mindestschuldumfanges auf die Einzeltaten trotz sorgfältiger Würdigung aller Beweisan­ zeichen nicht feststellen lassen, gebiete der Zweifelsgrundsatz die Annahme lediglich einer Tat. Stehe hingegen die Schuld als solche fest, so komme ein Freispruch nicht in Betracht.



II. Ausgewählte Rechtsprechung zur Schätzung des Schuldumfanges 161

g) BGH, Urt. v. 28.  Mai 2002  – 5 StR 55 / 02 („Sexueller Missbrauch 4“)412 aa) Sachverhalt und Vorgehen des Landgerichtes Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, das im Jahre 1984 geborene Opfer in der Zeit von 1993 / 1994 bis zum 14. September 1997 im Genitalbereich gestreichelt und mit ihr vaginal verkehrt zu haben. Neben weiteren Handlungen – in Bezug auf die eine Einstellung des Verfahrens durch Prozessurteil erfolgte – hat das Landgericht den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. bb) Die Urteilsbegründung des BGH Der 5. Strafsenat verwirft die von der Staatsanwaltschaft erhobene Sachrüge. Soweit die Staatsanwaltschaft beanstandet hatte, dass das Tatgericht trotz der auf eine größere Anzahl sexueller Übergriffe hinweisenden Angaben des Opfers nur in sechs Fällen zu einer Verurteilung gelangt war, ist dies nach Auffassung des 5. Strafsenates nicht zu beanstanden. Zwar sei die Ermittlung des Mindestschuldumfanges unter bestimmten Voraussetzungen im Wege der Schätzung auf tragfähiger Grundlage möglich. Dies hätte der Bundesgerichtshof auch für Taten, die sich wie im vorliegenden Fall gegen höchstpersönliche Rechtsgüter richteten, bereits entschieden. Vor diesem Hintergrund wäre im vorliegenden Fall eine andere Bewertung nicht undenkbar gewesen. Gleichwohl müsse die vom Landgericht vorgenommene Würdigung hingenommen werden, denn das Tatgericht hätte umfassend begründet, warum es hinsichtlich weiterer Tatvorwürfe nicht zu einer Überzeugung im Sinne des § 261 StPO hatte gelangen können. h) BGH, Urt. v. 21.04.2004  – 5 StR(540 / 03) (Sozialversicherungsbetrug)413 aa) Sachverhalt und Vorgehen des Landgerichtes Der Angeklagte betrieb ein Einzelunternehmen als Eisenflechter. Diesbezüglich unterließ er es in den Jahren 1996 bis 1999, einen Teil der in seinem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer der zuständigen AOK zur Sozialversicherung anzumelden. Außerdem teilte er falsche Lohnsummen mit. 412  BGH 413  BGH

NStZ 2002, S. 659. wistra 2004, S. 298.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen Betruges in 15 Fällen, betreffend die Jahre 1997–1999. Bezüglich des Jahres 1996 sprach das Landgericht den Angeklagten vom Vorwurf des Betruges frei, da es „trotz durchgeführter Beweisaufnahme nicht möglich war, den einzelnen Monaten mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit Mindestbeträge zuzuordnen.“ Das Landgericht führt weiter aus, es sei nicht auszuschließen, dass in einzelnen Monaten überhaupt keine Sozialversicherungsbeiträge angefallen seien. Rechtlich sei es aber nicht zulässig, den Vorwurf auf das gesamte Jahr zu beziehen. bb) Urteilsbegründung des BGH Der Freispruch bezüglich des Jahres 1996 hält der rechtlichen Nachprüfung durch den 5. Strafsenat nicht stand. Zunächst wird hier angeführt, dass das Urteil des Landgerichtes schon nicht den Anforderungen an ein freisprechendes Urteil genügt. Denn das LG hatte es schon unterlassen mitzuteilen, welche Tatsachen es nach der Beweisaufnahme hinsichtlich des in Rede stehenden Tatvorwurfes für erwiesen erachtet. Die Urteilsgründe ließen schon nicht erkennen, ob und inwieweit etwa Feststellungen zum Umfang der im Jahr 1996 schwarz ausgezahlten Löhne getroffen werden konnten. Aus der Formulierung, dass den einzelnen Monaten keine Mindestbeträge zuordenbar waren, sei jedoch zu schließen, dass eine Überzeugung des LG hinsichtlich der Tatsache, dass der Angeklagte auch im Jahre 1996 seinen Verpflichtungen gegenüber der Sozialversicherung nicht nachgekommen sei, grundsätzlich bestehe. Dies vorausgesetzt, sei das LG jedoch gehalten gewesen, zur Bestimmung des Schuldumfanges einen rechnerisch bestimmten Teil des Gesamtgeschehens bestimmten strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen im Wege der Schätzung zuzuordnen. An dieser Stelle erfolgt ein Verweis auf die (eigene) Rechtsprechung in Gestalt von BGHSt 40, 374, sowie die daraus und aus den nachfolgenden Urteilen bereits bekannte wortgetreue Formel von der Feststellung und Verteilung nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ sowie der Zulässigkeit und Unumgänglichkeit der Schätzung.



III. Die wesentlichen Grundsätze des BGH163

III. Die wesentlichen Grundsätze des BGH für eine ordnungsgemäße Schätzung des Schuldumfanges 1. Keine Schätzung von Tatbestandsmerkmalen – Die Unhaltbarkeit des Trennungsparadigmas a) Tateinheitliche Vermögensdelikte Insbesondere der Leitentscheidung BGHSt 36, 320 ist deutlich der Trennungsgrundsatz hinsichtlich Schätzungen zu entnehmen. Hier heißt es bezüglich der beanstandeten Feststellungen des Tatrichters zum Tatgeschehen aus den Jahren 1981 bis 1983: „das Landgericht hat Beweismittel, welche einen unmittelbaren Beweis des Tatgeschehens in den Jahren 1981 bis 1983 ermöglicht hätten, nicht benutzt. Auch die Hochrechnung ist eine Extrapolation (…) aus der Beanstandungsquote, die es für die nachfolgenden Jahre 1984 / 1985 ermittelt hat. (…) Daher stand dem Landgericht nicht etwa eine durch andere Beweismittel überprüfte Hochrechnung oder umgekehrt ein durch Hochrechnung untermauertes Ergebnis von Zeugenvernehmungen zur Verfügung. Die aus der Vernehmung des Praxispersonals erlangte Überzeugung des Landgerichtes, dass der Angeklagte sich stets gleichartig verhalten habe, konnte als Voraussetzung der Hochrechnung nicht zugleich ihrer Bestätigung dienen. Dem Landgericht blieben für seine Überzeugungsbildung somit lediglich die 1984 / 1985 begangenen strafbaren Handlungen des Angeklagten und die Zeugenbekundungen, aus denen sich nach seiner Meinung ergab, dass dieser zuvor in gleicher Weise tätig geworden war. Darauf konnte die Feststellung, dass der Angeklagte an jedem Quartalsende von Anfang 1981 bis Ende 1983 betrügerisch Schäden in bestimmter Höhe verursacht hat, jedoch nicht gestützt werden.“414

Auf diesen in dieser Leitentscheidung erstmals ausdrücklich aufgestellten Trennungsgrundsatz wird oftmals sowohl von Seiten der Rechtsprechung,415 als auch des Schrifttums rekurriert.416 Es handelt sich wohl um den am häufigsten wiederholten und am deutlichsten akzentuierten Grundsatz der Schätzdogmatik. Klar zu sein scheint: Der Schätzung ist stets nur die Schadens- bzw. Schuldhöhe, nie jedoch das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals dem Grunde nach zugänglich. Das sich dieses Trennungsparadigma außerhalb der gesetzlich normierten Schätzklauseln des StGB nicht in jedem Fall aufrechterhalten lässt, da eine 414  BGHSt

36, 320, 323 ff. 40, 374, 377; BGHSt 38, 186, 193; BGH StV 2000, S. 600; BGH NStZ 1999, S. 581; BGH NJW 1995, S. 2933, 2934. 416  Ott / Bundschuh, JA 2005, S. 453, 454; Krause, Strafo 2002, S. 249; 250 ff.; Hinrichs, wistra 2013 S. 161, 165; Schlösser, NStZ 2012, S. 473, 477, ders., StV 2008, S. 548, 552; Vogel, „Schätzungen“, in: Krekeler, Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 1990. 415  BGHSt

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

präzise Differenzierung zwischen dem Bestehen des Tatbestandsmerkmals dem Grunde nach und der Schadens- bzw. Schuldhöhe nicht immer ohne weiteres möglich ist, ergibt sich anhand einer genaueren Analyse der hier dargestellten Urteile. Ausgangspunkt muss der „Kassenarztfall“ (BGHSt 36, 320) sein. Aus den Besonderheiten dieses Falles ergibt sich, dass eine solche Trennung hier zunächst durchaus möglich ist. Denn in der BGHSt 36, 320 zugrundeliegenden Fallgestaltung waren durch den Tatrichter Zeugenaussagen sowohl des Praxispersonals, als auch der Patienten erhoben worden. Aus diesen ergab sich durch Gegenüberstellung der Aussagen (insbesondere der Patienten hinsichtlich der erhaltenen Behandlungsleistungen) mit den abgerechneten Behandlungen zunächst das Vorliegen von Täuschungshandlungen etc. gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung am jeweiligen Quartalsende. Wichtiger noch ermöglichte diese Gegenüberstellung auch die genaue Quantifizierung eines Mindestschadens für die jeweils einzelnen Betrugstaten (wobei das Landgericht hier zunächst von einer fortgesetzten Handlung, also dem Bestehen eines einheitlichen Betruges ausging). Erst darauf aufbauend erfolgt eine „Hochrechnung“ der Gesamtschadenssumme. Mag man gegen diese Vorgehensweise des BGH auch Bedenken erheben (dazu genauer Punkt D / IV / 4), liegt jedoch in der hier durchgeführten Schätzung grundsätzlich nur die quantitative Ausfüllung des Tatbestandsmerkmals Schaden, nicht etwa seine qualitative Begründung. Letztere beruht bereits auf der Auswertung der Zeugenaussagen. Aus diesen ergibt sich zudem eine verhältnismäßig genaue zeitliche Spezifikation der jeweiligen Tatbegehungszeiträume sowie der Tatbegehungsanzahl. Eine solche Trennung zwischen qualitativer Begründung des Tatbestandsmerkmals und seiner quantitativen Ausfüllung, trotz teilweiser Schätzung der letzteren, beruht hier jedoch auf den Gegebenheiten des Einzelfalls und ist – was weithin übersehen zu werden scheint – nicht verallgemeinerungsfähig und somit nicht ohne weiteres auf alle vom BGH der Schätzung zugeführten Fälle übertragbar. Dies verdeutlichen einige der oben dargestellten Entscheidungen. Besonders im Zusammenhang mit den Entscheidungen „Rheinausbau I u. II.“ wird die sachliche Unzulässigkeit der Übertragung der Grundsätze aus BGHSt 36, 320 offenbar. Unter ausdrücklichem Verweis auf die in dieser Entscheidung aufgestellten Schätzungsprinzipien geht der BGH hier davon aus, die Überzeugung vom Vorliegen des Tatbestandsmerkmals Schaden dem Grunde nach zunächst aufgrund entsprechender Indizien gewinnen zu können. In Bezug auf diesen ersten Schritt ist zunächst nach Güte und Überzeugungskraft der vom BGH genannten Indizien zu differenzieren. Diese sind im Schrifttum oftmals angezweifelt worden. Dies wohl mit Recht, soweit der BGH pauschal darauf verweist, dass Submissionsabsprachen nicht gebildet



III. Die wesentlichen Grundsätze des BGH165

und erhalten würden, wenn sie den Mitgliedern nicht helfen, höhere Gewinne zu erzielen. Das Bestehen eines diesbezüglich zwingenden, weil allgemeingültigen Erfahrungssatzes ist angesichts der Historie und Heterogenität des Phänomens der Submissionskartelle hier gerade nicht ersichtlich. Angesichts der Tatsache, dass § 261 StPO gerade als Gegenstück zu den der positiven Beweistheorie entsprechenden Kriterien generalisierter Durchschnittserfahrung fungiert, wirkt das Abstellen auf dieses vermeintliche Indiz eher anachronistisch. Etwas anders verhält es sich hingegen, sofern der BGH hier auf die vereinbarte und durchgeführte Zahlung von Ausgleichsgeldern an andere Unternehmen in Millionenhöhe abstellt. In der Tat ist darin ein gewichtiges Indiz für das Übersteigen des Marktpreises durch den Zuschlagspreis zu s­ehen. Trotzdem ergibt sich daraus – und darin ist ein entscheidender Unterschied zum „Kassenarztfall“ zu sehen  – noch keine genaue Quantifizierung des Mindestschadens. Erst im zweiten Schritt soll – auf Grundlage der sicheren Überzeugung vom Vorliegen des Tatbestandsmerkmales „Vermögensschaden“ – sodann durch Schätzung der „hypothetische Marktpreis festgestellt“ [sic!] und somit die Schadens- und Schuldhöhe durch Bildung der Differenz zwischen Markt und Zuschlagspreis spezifiziert werden. Die logische Untrennbarkeit der quantitativen Ausfüllung des Tatbestandsmerkmals und seiner qualitativen Begründung unter diesen Voraussetzungen ergibt sich hier jedoch schon aus folgender Kontrollüberlegung: Ergäbe sich in einem – mit sachverständiger Beratung durchgeführten und grundsätzlich ergebnisoffen zu führenden – Schätzverfahren ein wahrscheinlicher Marktwert, der mindestens dem Zuschlagspreis entspräche, so müsste der Richter die eigene, vormals aufgrund von Indizien gewonnene Überzeugung vom Vorliegen des Tatbestandsmerkmales „Vermögensschaden“ konsequenterweise revidieren. In anderen Worten: Ohne „Feststellung“ des hypothetischen Marktpreises kein Tatbestandsmerkmal Vermögensschaden. Eine argumentative Schlussfolgerung, die die volle subjektive Überzeugung vom Vorliegen des Tatbestandsmerkmales des Vermögensschadens auf Indizien, ohne Einbeziehung des hypothetischen Marktpreises selbst, stützt, könnte nur als irra­ tional und widersprüchlich bezeichnet werden. Eine Übertragung der für den „Kassenarztfall“ entwickelten Grundsätze ist demnach nicht ohne weiteres möglich. Anders als dort besteht in den Entscheidungen zum Submissionsbetrug keine wirklichkeitswiderspiegelnde Faktengrundlage, aus der sich unmittelbar die Quantifizierung eines Mindestschadens ergibt. Besonders in jenen Bereichen des (Wirtschafts)Strafrechtes, in denen die Operationalisierung normativer Tatbestandsmerkmale notwendig von der Quantifizierung lebenswirklicher Tatsachen abhängt, erreicht das Trennungsparadigma deutlich seine logischen Grenzen. Dies wird insbesondere im

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Zusammenhang mit der zum „Missbrauchstatbestand“ ergangenen Entscheidung deutlich. Im Unterschied zu den Entscheidungen „Arbeitsgemeinschaft Rheinausbau I und II“ wird die (künstliche) Trennung zwischen Tatbestandsmerkmal und Schadens- bzw. Schuldhöhe hier vom BGH nicht vorgenommen. Ein Verweis auf BGHSt 36, 320 erfolgt nicht. Allzu evident ist wohl die Unumgänglichkeit der Operationalisierung des normativen Tatbestandsmerkmales Missbrauchs durch Quantifizierung des Marktwertes. Hängt die Frage des Missbrauchs der Vertretungsmacht von der Unwirtschaftlichkeit des Geschäftes, also der Differenz zwischen Verkaufs- und Marktwert, ab und ist letztere durch Schätzung ermittelt worden, so ist die Schätzung in diesem Fall neben ihrer Bedeutung für die Quantifizierung des Vermögensnachteils auch zumindest teilweise deckungsgleich mit der qualitativen Begründung des Tatbestandsmerkmals Missbrauch dem Grunde nach.417 Erst auf Grundlage dieser Schätzung wird das Gericht zur Beantwortung der unter normativen Gesichtspunkten zu entscheidenden Frage befähigt, ob die so festgestellte Marktwert-Verkaufspreis-Relation das Tatbestandsmerkmal erfüllt. Ähnlich verhält es sich im „Al-Qaida Fall“. Diesbezüglich wird im Schrifttum, wie etwa von Seiten Hinrichs418, vorgebracht, das Problem der Schätzung werde durch das BVerfG „missverständlich beantwortet.“ Das BVerfG gebe „im Anschluss an Ausführungen zu Schwierigkeiten bei der Ermittlung des konkreten Nachteils unter Verweis auf entsprechende Rechtsprechung des BGH vor: Soweit Unsicherheiten verbleiben, ist unter Beachtung des Zweifelssatzes der Mindestschaden im Wege der Schätzung zu ermitteln.“

Die Frage nach dem Vorliegen eines strafbarkeitsbegründenden Schadens dürfe aber nicht geschätzt werden, sondern müsse zur Überzeugung des Gerichtes feststehen. Weiter heißt es, zu einer „Verurteilung wegen der Bewirkung eines Gefährdungsschadens dürfe es nur kommen, wenn die in Konkretisierung der Voraussetzungen eines Gefährdungsschadens verlangte Wahrscheinlichkeit einer Vermögenseinbuße mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehe. Das Analogieverbot liefe ins Leere, wenn man zuließe, dass die Strafgerichte die Frage nach dem Vorliegen von Tatbestandsvoraussetzungen einer Strafnorm auf Grundlage einer Schätzung bejahen.“

Ähnlich auch Schlösser, der konstatiert, eine Schätzung könne sich stets nur „auf die empirische Seite der Schadenshöhe beziehen und nicht auf ihre normativen Voraussetzungen.“419 Im Falle des Fehlens der normativen Vo­

auch: Fischer, StraFo 2012, S. 429, 430. wistra 2013, S. 161, 165. 419  Schlösser, NStZ 2012, 473, 477. 417  So

418  Hinrichs,



III. Die wesentlichen Grundsätze des BGH167

raussetzungen scheide die Möglichkeit der Schadensschätzung aus.420 Beide Autoren rekurrieren hier ausdrücklich auf die Entscheidung des BGH im „Kassenarztfall“. Geht man jedoch wie BGH und BVerfG davon aus, dass die Möglichkeit der Vollendung des Betrugstatbestandes bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses aufgrund eines Gefährdungsschadens besteht und ist das Bestehen eines Gefährdungsschadens vom Grad der Eintrittswahrscheinlichkeit des schädigenden Ereignisses abhängig – nach Ansicht des BGH hier die erfolgreiche manipulationsbedingte Geltendmachung der Versicherungssumme durch die Täter bei gleichzeitiger nichtäquivalenter Gegenleistung in Form der vereinbarten Versicherungsprämie – so ist der für die Bejahung des Tatbestandsmerkmals dem Grunde nach entscheidende Faktor fraglos in der Leistungswahrscheinlichkeit der Versicherungsgesellschaft aufgrund der geplanten Manipulation zu sehen. Gleichzeitig bedarf es, wie vom BVerfG herausgestellt, einer Quantifizierung des durch diese Gefährdung unmittelbar eingetretenen wirtschaftlichen Schadens. Liegt dieser in der Differenz zwischen vereinbarter Versicherungsprämie und derjenigen Versicherungsprämie, die bei zutreffender Annahme von der (manipulationsbedingten) Leistungswahrscheinlichkeit berechnet worden wäre, so ergibt sich abermals, dass eine gänzliche Trennung zwischen denjenigen Faktoren, die das Tatbestandsmerkmal „Schaden“ qualitativ begründen (Grad der Gefährdung des Vermögens)421 und seiner quantitativen Ausfüllung nicht trennscharf möglich ist. Beide Ebenen sind von der Quantifizierung ein und desselben Faktors  – der Leistungswahrscheinlichkeit – geprägt.422 Umso erstaunlicher erscheint insbesondere die von Hinrichs vorgenommene Lesart des bundesverfassungsrechtlichen Verdiktes. Entsprechende Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes erscheinen dem Verfasser insbesondere hinsichtlich des Bezugspunktes der Schätzung alles andere als „missverständlich“. Hier heißt es wortwörtlich: 420  Schlösser,

StV 2008, 548, 552. den zahlreichen divergierenden Ansichten zur „Höhenmarke“ der erforderlichen Eintrittswahrscheinlichkeit bzw. Abgrenzung abstrakter von konkreten Gefahren im Zusammenhang mit der Rechtsfigur des Gefährdungsschadens siehe: Hinrichs, wistra 2013 161, 163; Lenckner, JZ 1971, 320, 321; Cramer, Vermögensbegriff, S.  131 ff.; Tiedemann, in: LK, § 263 Rn. 172; Dierlamm, in: MüKo, § 266 Rn. 195; Hoyer, in: SK-StGB, § 263, Rn. 234. 422  So auch Rübenstahl, HRRS 2012, 501, 504; Dannecker, in: Graf / Jäger / Wittig, § 263 Rn. 95; dieser Befund lässt sich freilich nicht ohne Weiteres auf die vielgestaltigen Fallgestaltungen der Rechtsfigur des Gefährdungsschadens insgesamt übertragen, sondern kennzeichnet zunächst nur die hier dargestellte Konstellation aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles. Eine logische Trennung zwischen den einzelnen Vorgängen der Bewertung der Gefahr auf Tatbestandsebene einerseits und der Bestimmung der Schadenshöhe andererseits, ist theoretisch denkbar. 421  Zur

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

„Das Tatbestandsmerkmal des Vermögensschadens begrenzt die Betrugsstrafbarkeit und kennzeichnet § 263 StGB als Erfolgsdelikt. Verlustwahrscheinlichkeiten dürfen daher nicht so diffus sein oder sich in so niedrigen Bereichen bewegen, dass der Eintritt eines realen Schadens ungewiss bleibt. (…) Da die Schadenshöhe entscheidend von der Wahrscheinlichkeit und vom Risiko eines zukünftigen Verlustes abhängt, setzt die Bestimmung eines Mindestschadens voraus, dass die Verlustwahrscheinlichkeit tragfähig eingeschätzt [!] werden kann.“423

Auch das Bundesverfassungsgericht erkennt also nach Lesart des Verfassers die Doppelrelevanz der Leistungswahrscheinlichkeit bzw. Verlustwahrscheinlichkeit sowie die Notwendigkeit einer Schätzung dieses tatbestands­ relevanten Faktors.424 Die vermeintliche Trennung beider Ebenen beruht, ähnlich wie beim Submissionsbetrug, auf einer Art Zirkelschluss, in dem zunächst ein Vermögensschaden festgestellt werden soll, ohne diesen quantitativ bestimmen zu können, um anschließend die Zulässigkeit der Schätzung zur Quantifizierung der Schadenshöhe damit zu begründen, dass ein Schaden schon feststehe.425 Tatsächlich ist die Mindestfeststellung des Vermögensschadens schon bezüglich der Frage des Bestehens des Tatbestandsmarkmals dem Grunde nach geboten.426 Ohne eine solche auf wirklichkeitswiderspiegelnder Faktengrundlage getroffene Mindestfeststellung wirkt sich die Schätzung der Schadenshöhe stets auch konstituierend auf die qualitative Begründung des Vermögensschadens aus.427 Eine Ausnahme vom Befund der Unhaltbarkeit des Trennungsparadigmas bildet unter den hier untersuchten Entscheidungen zu Vermögensdelikten deshalb nur der „Kassenarztfall“. Die unreflektierte Übertragung und Verallgemeinerung der in diesem Fall aufgestellten Maximen beruht auf der Verkennung der für diesen Fall entscheidenden Faktoren, nämlich der tatsächlich bereits schätzungsunabhängig erfolgten Quantifizierung des Mindestschadens. Die Möglichkeit einer solchen Vorgehensweise ergibt sich im „Kassenarztfall“ aus der Natur der entsprechend ausschlaggebenden Faktoren. Diese sind dem Beweis schon grundsätzlich zugänglich – also mensurabel. Ist damit die in bestimmten Konstellationen bestehende enge logische Verknüpfung zwischen der Annahme eines Tatbestandsmerkmals dem Grunde nach und der Quantifizierung der Schuld- bzw. Schadens423  BVerfG,

NJW 2012, 907, 916. und zur Deckungsgleichheit mit der Immensurabilität des Faktors siehe unten Punkt D. III. 1. 425  Ähnlich auch Thielmann / Groß-Bölting / Strauß, HRRS 2010, 38, 47 in Bezug auf die Frage der Erheblichkeit der Ermittlung der Schadenshöhe im Al-Qaida Fall. 426  Thielmann / Groß-Bölting / Strauß, HRRS 2010, 38, 47. 427  Anders hingegen: Bittmann, wistra 2013, 449, 451, wonach das Bestehen des Schadens der Quantifizierbarkeit logisch vorgelagert und insofern für dessen „Ob“ nicht konstituierend ist. 424  Dazu



III. Die wesentlichen Grundsätze des BGH169

höhe dargelegt, so wird es im weiteren Verlauf der Arbeit nötig sein, die Immensurabilität der Faktoren als hierfür entscheidenden Gesichtspunkt he­ rauszuarbeiten. b) Serienstraftaten Beinahe noch offensichtlicher ist die Untrennbarkeit von Tatbestands- und Schuldebene in Bezug auf die Schätzung bei Serienstraftaten. Ausgangspunkt dafür ist zunächst die faktische Aufgabe428 der Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung durch den Großen Strafsenat des BGH429. Durch diese rückt die jeweilige Einzeltat und ihre individualisierte Ermittlung als Anknüpfungspunkt der vom Richter festzustellenden strafrechtlichen Verantwortung endgültig in den Vordergrund.430 Insbesondere im Hinblick auf die in Serie begangenen Vermögensdelikte geht der BGH jeweils von der Überzeugung des Tatrichters vom Bestehen eines strafbaren Gesamtverhaltens aus; in Bezug auf Sexualdelikte ist er hier etwas vorsichtiger. Einzige Ausnahme ist hier die Entscheidung „Sexueller Missbrauch 4“, in der der 5. Strafsenat wohl 428  Dass mit der Entscheidung des Großen Strafsenates faktisch eine völlige Aufgabe der Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung einhergeht, ist im Schrifttum die wohl überwiegende Auffassung. So etwa Geppert, NStZ 1996, S. 57, 59 der darauf hinweist, dass diejenigen Fälle, in denen der Große Strafsenat eine Weitergeltung der fortgesetzten Handlung für möglich hielt, tatsächlich allesamt schon der Kategorie der rechtlichen, weil tatbestandlichen Handlungseinheit unterfallen. Im Ergebnis auch: Zopfs, StV 2000, S. 601; Zschockelt, NStZ 1994, S. 361; Lackner / Kühl, Vor § 52 Rn. 16; Günther, in: SK-StPO, vor 52, Rn. 64 f.; Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 79; anders hingegen Stree, in: Schönke / Schröder, § 52 Rn. 31 sowie Wolfslast /  Schmeissner, JR 1996, S. 338, 339. Beide Autoren sprechen jedoch in Bezug auf den möglichen weiteren Anwendungsbereich der fortgesetzten Handlung nicht von zwingenden tatbestandsimmanenten Kriterien, sondern Problemen der prozessualen Nachweisbarkeit als Rechtfertigung der Weitergeltung des Rechtsinstitutes aus und setzten sich damit in Widerspruch zur Entscheidung des Großen Strafsenates. 429  BGHSt 40, 138. 430  So waren es – neben weiteren zahlreichen Unzulänglichkeiten – besonders die unzureichenden, pauschalen, nicht selten summarischen und stereotyp erfolgten Tatsachenfeststellungen im Zusammenhang mit einer auf fortgesetzten Tat beruhenden Verurteilung, die letztlich zur Aufgabe der Rechtsfigur führten und den Großen Strafsenat in seiner Aufgabeentscheidung (BGHSt 40 138, 159) zu dem Hinweis veranlassten, dass in Bezug auf „die Sachverhaltsaufklärung, Tatfeststellung und Darstellung im Urteil für die fortgesetzte Handlung keine anderen Anforderungen gelten, als bei einer größeren Zahl gleichartiger, rechtlich aber selbstsständiger Straftaten. Die Urteilsgründe müssen die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Für fortgesetzte Taten und Serien selbstständiger Taten ist daher gleichermaßen notwendig, die der Verurteilung zu Grunde gelegten Teilakte und Einzeltaten so konkret und individualisiert zu ermitteln und festzustellen, dass sich daraus die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Deliktstatbestendes nachprüfbar ergibt …“.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

aufgrund unglücklicher Wortwahl von einem Mindestschuldumfang spricht.431 Auf dieser Grundlage ließe sich nun ein Gesamtschaden auf die Anzahl der – ebenfalls der Schätzungsmöglichkeit unterliegenden – „Einzelakte“ verteilen. Dekuvrierend erscheint hier bereits die Wortwahl: Wenn sowohl der fünfte,432 als auch der zweite Strafsenat433 die Begriffe „Gesamtgeschehen“ oder „Einzelakt“ in diesem Zusammenhang benutzen, handelt es sich hier zunächst insofern um eine in höchstem Maße unangemessene Wortwahl, als dass dadurch suggeriert wird, die jeweiligen Einzeltaten bildeten Teile einer irgendwie gearteten Gesamtheit. Dies kann – geht man von der Aufgabe der Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung aus – etwa in dem BGHSt 40, 374 zugrundeliegendem Sachverhalt allenfalls dann Richtigkeit beanspruchen, wenn man die jeweiligen Einzelakte in nicht mehr nachzuvollziehender Weise unter den Begriff der natürlichen Handlungseinheit zusammenfassen würde.434 Die Verwendung der entsprechenden Vokabeln macht jedoch nur Sinn, wenn eine Verbindung der Einzelelemente besteht.435 Gleiches gilt für den Begriff des „Mindestschuldumfanges“. In BGH NStZ 1997, 280 verwendet der zweite Strafsenat den Begriff „Gesamtschaden“ augenscheinlich als Synonym für den der „Schadenssumme“, wobei Verfahrensgegenstand doch grundsätzlich nur die Summanden sind436. In besonders pointierter Art und Weise fragt Bohnert hier deshalb: „Ob Tatserie, ob Gesamttat, ob Mindestzahl – es ist derselbe Widerspruch. Mindestzahl von was? Das einzelne kann nicht zu sich das Mindeste sein; es ist oder ist nicht.“437

In der Tat ist es vor dem Hintergrund der Aufgabe der fortgesetzten Handlung und der daraus resultierenden dezisiven Relevanz der selbstständigen, isolierten Einzeltat im Sinne der Tatmehrheit kaum nachvollziehbar,438 weshalb eine irgendwie geartete Gesamtbetrachtung stattfinden soll. Nicht minder dekuvrierend ist es dann auch, wenn der fünfte Strafsenat davon spricht, dass die schätzungsweise Bestimmung der Einzeltaten zur Ermittlung des Schuldumfanges geschehe – ist doch der einzig relevante Schuldumfang, derjenige der jeweiligen Einzeltat selber, nicht hingegen derjenige, 431  BGH

NStZ 2002, 659. wistra 2004, S. 298, 299; BGHSt 40, 374, 376; BGH NStZ 1999, 581. 433  BGH NJW 1995, S. 2933. 434  Zur Anwendbarkeit der Rechtsfigur der natürlichen Handlungseinheit auf „zeitlich gestreckte Vorsatztaten und den damit verbundenen Problemen siehe: Geppert, NStZ 1996, S. 57, 60. 435  Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 85. 436  Bohnert, NStZ 1995, S. 460, 461; Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 85; Geppert, NStZ 1996, S. 63; Zieschang, GA 1997, S. 466. 437  Bohnert, NStZ 1995, S. 460, 461. 438  Zieschang, GA 1997, S. 457, 466; Bohnert NStZ 1995, S. 460. 432  BGH



III. Die wesentlichen Grundsätze des BGH171

der sich aus der Addition von – auf Schätzungen beruhenden – Einzeltaten ergibt.439 Nicht ganz unerheblich dürfte in diesem Zusammenhang auch ein Blick auf den entscheidenden Spruchkörper sein. So scheint es kaum dem Zufall geschuldet, dass vier der fünf hier dargestellten Entscheidungen zur Schätzung der Tatanzahl bei in Serie begangenen Vermögensdelikten – insbesondere BGHSt 40, 374, die quasi als Leitentscheidung im Bereich der Serienstraftaten gelten kann – der Feder des fünften Strafsenates entstammen. Dieser hatte sich trotz aller Schwierigkeiten und Divergenzen, insbesondere mit dem dritten Strafsenat, immer wieder als Befürworter einer Fortführung der Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs hervorgetan.440 Und so scheint der fünfte Strafsenat auch relativ unverhohlen seinem Ärger über die Entscheidung des Großen Strafsenates Ausdruck zu verschaffen, wenn er in der Hehlerei-Beihilfe-Entscheidung ausführt: „Jede andere Betrachtung, die von einer eingeengten, jeden Einzelfall isoliert beurteilenden Sichtweise ausgeht, würde bei fehlenden Belegen zum Ausschluss, in vielen anderen Fällen zur Erschwerung der Bestrafung bei zweifellos strafbarem Gesamtverhalten führen. Solches ist von der Rechtsprechung bislang im Bereich von Verurteilungen wegen fortgesetzter Handlung unproblematisch vermieden worden. Der Verzicht auf dieses Rechtsinstitut kann nicht zu Strafbarkeitslücken führen, die der Gerechtigkeit widerstreiten würden.“441

Ist demnach die Einzeltat Ausgangspunkt der strafrechtlichen Verantwortung des Täters, so werden – trotz der noch so deutlichen Betonung der insgesamt bestehenden Überzeugung des Richters von einem strafbaren, wie auch immer gearteten Gesamtverhalten des Täters – durch die Schätzung der Zahl der Einzelakte immer auch die diesen Einzelakten zugrundeliegenden strafbarkeitsbegründenden Tatbestandsmerkmale geschätzt. Dass ein strafbares Verhalten als solches schon festgestellt ist und die Schätzung lediglich die Quantifizierung des Schuldumfanges betrifft, lässt sich unter diesen Umständen also gerade nicht behaupten.442 Im krassen Gegensatz zu den aus439  Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 89; Zopfs, StV 2000, S. 601 spricht hier davon, dass die Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung zumindest in der Wortwahl des BGH weiterlebe; Zieschang, GA 1997, 454, 465 zufolge ist darin eine „stillschweigende Aufrechterhaltung der Rechtsfigur der fortgesetzen Handlung“ sowie ein „Etikettenschwindel“ zu sehen; Zschockelt, JA 1997, 411, 416 zufolge ist die „Frage nach Gesamtgeschehen und Gesamtschaden inkonsequent und unrichtig gestellt“. 440  Dazu: Geppert, NStZ 1996, S. 57, 58. 441  BGHSt 40, 374, 377. 442  So wohl auch Bohnert, NStZ 1995, S. 460, 461 der in Bezug auf BGHSt 40, 374 der darauf hinweist, dass die Schätzung den Angeklagten insofern beschwert, als dass sie etwa die Tatbestandsmerkmale „Steuervorteil“ oder „Schaden“ usw. erfüllt, unabhängig davon, ob die Feststellung auf dem Geständnis beruht. Ähnlich Zopfs StV 2000, S. 601, 602 der in Bezug auf BGH NStZ 1999, S. 581 zu Recht feststellt,

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

drücklich durch den BGH in der als Leitentscheidung fungierenden „Kassenarztentscheidung“ aufgestellten Prämissen ist die Rechtskraft durch die Schätzung hier unmittelbar betroffen.443 Die als Voraussetzung der Schätzung angenommene Überzeugung vom strafbaren Gesamtgeschehen kann hier (in gewisser Hinsicht paradoxerweise) nicht auf die jeweiligen konkreten Einzeltaten übertragen – diese sind jeweils der Schätzung selbst entsprungen – obwohl Anknüpfungspunkt der strafrechtlichen Verantwortung grundsätzlich die Überzeugung von der konkreten Einzeltat sein müsste. Die Schätzung stellt sich in diesen Fällen also als qualitative Feststellungsgrundlage dar.444 Dies scheint die Rechtsprechung nach Ansicht des Verfassers in gewisser Hinsicht selbst einzuräumen, wenn sie konstatiert, die notwendige Aufteilung des Gesamtschadens auf die jeweiligen Einzelakte sei: „kein zwingendes Gebot der Gerechtigkeit, sondern der Konkurrenzregelungen des Strafgesetz­ buches.“445 Wenn Ott / Bundschuh also anmahnen, auch die Aufgabe der fortgesetzten Handlung könne einer Gesamtschau nicht entgegenstehen, zumal sich die Gesamtheit lediglich auf das Tatsachenmaterial beziehe und auch bei voneinander unabhängigen Delikten die Frage nach dem insgesamt verwirklichtem Unrecht zu stellen erlaubt seien müsse,446 so stellt dies bestenfalls eine minimalisierende Beschönigung dar. Denn tatsächlich findet methodisch nicht lediglich eine Gesamtschau statt. Vielmehr wird von der Summe als Ausgangspunkt auf das Vorliegen und die Größe der einzelnen Summanden geschlossen, obgleich doch eigentlich das Gegenteil der Fall sein müsste. Das Propagieren einer strikten Trennung zwischen der Überzeugung vom Vorliegen des Tatbestands einerseits und des Schuldumfangs als alleinigem Bezugspunkt der Schätzung andererseits stellt sich also auch hier (bzw. insbesondere hier) als Illusion dar. Insbesondere der in BGHSt 40, 374 durch den 5. Strafsenat zur Legitimation der Schätzung erfolgte Verweis auf den „Kassenarztfall“ (BGHSt 36, 320) ist deshalb kaum sinnhaft.447 Die Übernahme der in BGHSt 36, 320 aufgestellten Grundsätze kann demnach erneut nur als äußerst unreflektiert bezeichnet werden. Gleiches gilt für die Schätzung bei in Serie begangenen Sexualstraftaten (sofern sie denn für zulässig erachtet wird). Die Höchstpersönlichkeit der betroffenen Rechtsgüter macht eine ökonomische Betrachtung des Gesamtdass das OB der fraglichen Straftat hier anders als bei BGHSt 36, 320 nicht schon zur tatrichterlichen Überzeugung feststeht, sondern Gegenstand der Schätzung ist. 443  So auch Ott / Bundschuh, JA 2005, S. 453, 455. 444  Im Ergebnis wohl auch: Zopfs, StV 2000. S. 601, 602; Bohnert, NStZ 1995, S. 460, 461. 445  BGH, NStZ 1997, 280. 446  Ott / Bundschuh, JA 2005, S. 453, 454, die Autoren sprechen davon, dass alles andere bedeuten würde, das „Kind mit dem Bade auszuschütten“. 447  So auch Zopfs, StV 2000, S. 601, 602.



III. Die wesentlichen Grundsätze des BGH173

schadens als Ausgangspunkt unmöglich. Geht man von der Maßgeblichkeit der individuellen Einzeltat für den Schuldspruch aus, so kann sich auch bei höchstpersönlichen Rechtsgütern in Bezug auf die Schätzung der Tatzahl nichts anderes ergeben als bei Vermögensdelikten. Mehr noch, versteht man die in diesem Zusammenhang von den verschiedenen Strafsenaten des BGH gemachten Aussagen hinsichtlich der Maßgeblichkeit der einzelnen Straftat und ihrem individuellen Gepräge448 als Ausgangspunkt einer jeden strafrechtlichen Verantwortung in diesen Fällen nicht als bloße Lippenbekenntnisse, so muss es unmittelbar einleuchten, dass die Schätzung der Zahl der Einzeltaten hier nicht lediglich den Schuldumfang, sondern immer auch die Tatbestandsebene und damit die Frage des Bestehens der Schuld dem Grunde nach betreffen muss. 2. Die Tragfähigkeit der Schätzgrundlage Befasst man sich mit den Anforderungen des BGH an die Tragfähigkeit der Schätzungsgrundlagen als Basis einer Schätzung im Rahmen der Schuldfeststellung, ergibt sich ein höchst uneinheitliches Bild. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als die Frage, welche der diesbezüglichen Faktoren einzubeziehen sind, für die adäquate Beurteilung einer Wahrscheinlichkeit notwendig ist, allerdings von dem im jeweiligen Einzelfall fraglichen Faktor selbst und seiner Interdependenz zu jeweils anderen Faktoren abhängt. Somit dürfte sich die Frage der Kriterien einer Tragfähigkeit naturgemäß einer ab­ strakten Beantwortung weitgehend entziehen. Auffällig ist vielmehr die zwischen den jeweiligen Urteilen bestehende Diskrepanz hinsichtlich des Grades der Auseinandersetzung mit den jeweils als tragfähig angesehenen Schätzgrundlagen im Einzelnen. Die Spannweite reicht hier von Urteilen, in denen auf die Angabe der für die adäquate Wahrscheinlichkeitsbeurteilung entscheidenden Faktoren beinahe gänzlich verzichtet wird, wie etwa in der „Zigarettenschmuggel“-Entscheidung. In diese Kategorie  kann auch die „Al-Quaida“-Entscheidung eingeordnet werden. Hier hatte der BGH einerseits betont, dass es keinerlei anerkannte Richtgrößen für die Beurteilung eines Gefährdungsschadens gebe, gleichzeitig jedoch pauschal auf den Rückgriff auf Sachverständige aus dem Bereich der Ver­ sicherungsmathematik verwiesen. Nur unwesentlich Anderes gilt in Bezug auf die Submissionsbetrugsentscheidung. Hier beschränkt sich das Gericht darauf, auf Indizien hinzuweisen, die für das Bestehen eines Schadens dem Grunde nach sprechen sollen. Anhand welcher Faktoren und Methoden allerdings der Schadensbetrag ge448  So

etwa BGH NStZ 1998, S. 208; BGH NStZ 1994, S. 393.

174

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

schätzt werden soll, bleibt weitgehend offen. Dem stehen die Entscheidungen zum Missbrauchstatbestand sowie die „Kassenarzt“-Entscheidung entgegen. In ersterer hatte der BGH sich ausdrücklich mit den jeweils in Frage kommenden Basisfaktoren der Schätzung auseinandergesetzt und eine deutliche Grenze zwischen jenen gezogen, die es für die Tragfähigkeit der Schätzung als relevant bzw. irrelevant erachtete. Ähnlich verhält es sich in der „Kassenarzt“-Entscheidung; hier hatte der BGH sich intensiv mit der Beanstandungsquote und der Regelhaftigkeit des Täterverhaltens als Basisfaktoren sowie mit der angewandten Schätzmethode befasst. 3. Schätzung als Ultima Ratio Auch bezüglich der Frage, ob die Schätzung nur als Ultima Ratio, für den Fall einer – wie auch immer gearteten – Unmöglichkeit der Beweiserhebung erlaubt sein soll, scheint Uneinigkeit zu bestehen. Während die überwiegende Mehrzahl der hier analysierten Urteile eine Schätzung nur als Ultima Ratio zu erlauben scheint,449 hat man den Eindruck, dass einige auch die Möglichkeit einer prozessökonomisch motivierten Schätzung offen lassen.450 Die Frage der einer Schätzung zugrunde liegenden Motivation bzw. der Natur des jeweils zu schätzenden Faktors soll im Folgenden den Anknüpfungspunkt einer Analyse der entsprechenden Urteile darstellen. Eine Aus­ einandersetzung mit der Frage, ob es sich bei der jeweiligen Schätzung um eine Ultima Ratio handelt oder andere Motivationen zugrunde liegen sowie welche Folgen sich daraus ergeben, soll im Folgenden anhand von entsprechenden Fallgruppen dargestellt werden.

IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis auf Grundlage der Bildung von Fallkategorien 1. Grundproblem: Vereinbarkeit der Schätzung mit dem Grundsatz der richterlichen Überzeugung nach § 261 StPO Es stellt sich somit die Frage, ob die Vornahme einer Schätzung in der vorliegenden Fallgestaltung mit dem geltenden Strafprozessrecht in Einklang gebracht werden kann. Der Schwerpunkt der rechtlichen Problematik liegt dabei auf dem Zusammenspiel mit dem Grundsatz der richterlichen Überzeu449  BGHSt 38, 186; BGH NStZ 1999, S. 581; BGH wistra 2004, S. 298; BGH NJW 1995, S. 2933; so auch Hofmann, StraFo 2003, S. 70, 76. 450  BGHSt 36, 320; BGHSt 40, 374; Ott / Bundschuh, JA 2005, S. 453, 454; Krause, StraFo 2002, S. 249, 251.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis175

gung nach § 261 StPO. Hier soll zunächst der Versuch eines abstrakten Problemaufrisses gemacht werden, um anschließend auf die Spezifika der einzelnen Fallgruppen sowie die sich daraus in den jeweiligen Einzelfällen ergebenden Folgen für weitere Grundsätze des Strafprozessrechtes eingehen zu können. a) Ansicht der Rechtsprechung An dieser Stelle der vorliegenden Arbeit bedarf es folglich erstmals einer umfassenden Beantwortung der Frage der Vereinbarkeit der hier dargelegten Schätzungspraxis mit dem Grundsatz der richterlichen Überzeugung. Die Rechtsprechung hatte eine solche schon früh als unbedenklich und mit diesem Grundsatz der richterlichen Überzeugung vereinbar erklärt. Eine solche sei „Sache des Tatrichters“ und nur angreifbar, wenn dieser dabei von unzutreffenden Erwägungen ausging.451 Insbesondere in der Leitentscheidung zur Schätzung des Schuldumfanges (Kassenarztfall) wird diese Rechtspraxis sogar ausdrücklich auf den Grundsatz der freien Beweiswürdigung in § 261 StPO gestützt.452 Danach zählten von gesicherten Tatsachenfeststellungen ausgehende statistische Wahrscheinlichkeitsrechnungen zu den Mitteln der logischen Schlussfolgerung. Diese stünden dem Richter ebenso zur Verfügung wie alle anderen mathematischen Methoden. Es wird ferner darauf verwiesen, dass auch im Zivilprozess etwa der Beweis der Vaterschaft anhand von biostatistischer Wahrscheinlichkeitsrechnung geführt werde. Auch seien Wahrscheinlichkeitsrechnungen bei der Statuierung der Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit berücksichtigt worden. Nicht zuletzt die §§ 40 III, 73 b und 74c III StGB sprächen für eine Zulässigkeit.453 Denn hieraus ergebe sich, dass die Rechtsfolgenbemessung auf einer Tatsachengrundlage möglich sei, die eine Streubreite aufweist, solange die Grenzen der Rechtskraft des Urteils nicht angetastet werden. Auch das BVerfG hatte in den jüngst ergangenen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Rechtsfigur des Gefährdungsschadens bei Untreue und Betrug die Möglichkeit der Schätzung ausdrücklich gebilligt – freilich ohne sich gesondert mit der Schätzung auseinanderzusetzten – solange diese auf einer „tragfähigen“ Grundlage stehe.454

451  BGH

NJW 1958, 1244, 1245. 36, 320. 453  So auch: Hofmann, StraFo 2003, S. 70, 76. 454  BVerfGE 126, 170; BVerfG, Beschl. v. 7. Dezember 2011 – 2 BvR 2500 / 09, 2 BvR 1857 / 10. 452  BGHSt

176

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

b) Ansichten im Schrifttum Ähnlich in der Literatur: Krause etwa erkennt in dem Spannungsverhältnis zwischen Schätzung und freier Beweiswürdigung den Schwerpunkt der rechtlichen Problematik.455 Der Richter sei bei seiner Überzeugungsbildung nach der neuen Interpretation des Grundsatzes an rationale Beweisgründe und ihre nachvollziehbare Darstellung im Urteil gebunden. Bei der Schätzung werde auf bestimmte Umstände anhand entsprechender Wahrscheinlichkeitsregeln geschlossen. Die Einstufung eines solchen Vorgehens als rational – und damit als unter dem Gesichtspunkt des § 261 StPO zulässig – hinge sowohl bezüglich der Frage des „ob“ als auch „wie“ der Schätzung von der Einhaltung bestimmter Kriterien ab. Bezüglich ersteren sei zunächst eine Schätzung von schuldbegründenden Merkmalen ausgeschlossen, diese müssen zur Überzeugung des Richters festgestellt sein. Das Postulat der Rationalität verlange weiter, eine Schätzung nur als Ultima Ratio vorzunehmen, da es rational nicht begründbar sei, auf eine Schätzung zurückzugreifen, wenn zuverlässige Möglichkeiten der Wahrheitsfindung bestehen. Bezüglich der Durchführungsmodalität der Schätzung bedürfe es des Vorliegens einer anerkannten Schätzmethode – weshalb die Schätzung menschlichen Verhaltens nur auf Grundlage eines umfassenden Geständnisses des Angeklagten zulässig sei. Es müssten weiter hinreichende Schätzgrundlagen vorliegen. Bezüglich des Schätzergebnisses und der diesbezüglichen richterlichen Überzeugung müsse der Richter „von der Richtigkeit des Ergebnisses überzeugt sein“. Eine solche Überzeugung soll sich anscheinend auch über die Darlegung von negativen Kontrollkriterien im Urteil konkretisieren. Der Richter müsse danach, wie bereits von der Rechtsprechung angedeutet, Anhaltspunkte angeben, die belegen, dass ein geringerer als der geschätzte Umfang auszuschließen sei. Insbesondere vergleicht Krause die Schätzung mit dem Indizienbeweis. Beide Vorgehensweisen seien strukturell identisch, denn in beiden Fällen wird anhand eines Wahrscheinlichkeitsschlusses auf das Bestehen bestimmter Tatsachen geschlossen. Der einzige Unterschied bestehe im jeweiligen Bezugspunkt, der im Falle des Indizienbeweises in einer Haupttatsache liege, die Schätzung beziehe sich hingegen stets auf Quantitäten. Hofmann zieht eine Analogie zu den Rechtsinstituten der Wahlfeststellung und Postpendenzfeststellung.456 Diese belegen, dass dem Strafrecht Verurteilungen auf Grundlagen, die nicht in vollem Umfang der Realität entsprechen, nicht grundsätzlich fremd seien. Die Schätzung und die damit wohl notwendigerweise einhergehende Abweichung vom Grundsatz der richterlichen Überzeugung – nur so kann Hofmann letztlich verstanden werden – seien 455  Krause,

Strafo 2002, S. 249, 250 ff. StraFo 2003, S. 70, 74.

456  Hofmann,



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis177

zudem aus dem Rechtsstaatlichkeitsprinzip heraus geboten. Denn sowohl BVerfG, als auch BGH hätten stets betont, dass der Rechtsstaat sich nur verwirklichen könne, wenn eine effektive Strafverfolgung sichergestellt sei. Zudem wird auf die konsequente Beachtung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ verwiesen.457 Anders hingegen Ott / Bundschuh, die es grundsätzlich nicht für möglich halten, auf Grundlage von Schätzwerten zu der nach § 261 StPO verlangten richterlichen Überzeugung zu gelangen, da die Schätzung begriffsnotwendig immer eine über die tatsächliche Schuld hinausgehende Verurteilung möglich mache.458 Auch durch die Beachtung von Sicherheitsabschlägen könnten keine Abhilfe geleistet werden, da solche nicht willkürfrei bestimmt werden könnte. Salditt bezeichnet die durch BGHSt 36, 320 erfolgte Legitimierung der Hochrechnung als Mittel zur Erreichung der erforderlichen tatrichterlichen Überzeugung trotz des Faktes, dass Wahrscheinlichkeitsaussagen begrifflich eine völlige Gewissheit des Täters ausschließen würden, als „alarmierend“.459 Der nach Art. 6 II EMRK notwendige gesetzliche Nachweis der Schuld sei im Falle der Schätzung nicht erbracht. Dieser setze eine durch förmliche Beweise vermittelte Überzeugung des Richters voraus. Unabhängig davon, ob sich die Wahrscheinlichkeitserwägungen im Falle der Schätzung auf ein Sachverständigengutachten stützten oder nicht,460 handele es sich letztlich um eine subjektive Überzeugung des Richters, der jedoch kein gesetzlicher Nachweis entspreche, was, nach heutigem Verständnis des Grundsatz der richterlichen Überzeugung (unabhängig vom Grad subjektiver Gewissheit) einer „bloßen Vermutung“ gleichkomme. c) Bewertung Soweit der BGH zur Begründung auf die Zulässigkeit von Schätzungen im Zivilprozess verweist, liegen entsprechende Einwände bereits nahe. Ein entsprechender Vergleich erscheint schon im Hinblick auf die gravierenden 457  In diese Richtung gehen letztlich wohl auch die Entscheidungen des 2. und 5. Strafsenates (BGHSt 40, 374; BGH NJW 1995, 2933; BGH NStZ 1999, 426; BGH wistra 2004, 298) im Hinblick auf die Schätzung bei Serienstraftaten. Hier wird zwar auf BGHSt 36, 320 verwiesen, insgesamt erfolgt eine Rechtfertigung letztlich über den Gedanken der Einzelfallgerechtigkeit wegen einer bestehenden Überzeugung des Richters vom strafbaren Verhalten insgesamt. 458  Ott / Bundschuh, JA 2005, S. 453, 454. 459  Salditt, StV 1990, S. 151. 460  Zum Verhältnis des Sachverständigen als förmliches Beweismittel siehe D. IV. 1. c) cc).

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

strukturellen Unterschiede der jeweiligen Prozessordnungen kaum haltbar zu sein, insbesondere angesichts des Prinzips der materiellen Wahrheit (Korrespondenztheorie) mitsamt Amtsermittlungsgrundsatz auf der einen Seite sowie des Prinzips der formellen Wahrheit auf der anderen Seite. Zudem wird die mit der Schätzung § 287 ZPO einhergehende Herabsetzung des Beweismaßes hin zu einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit oder gar einem richterlichen Ermessen – und die damit einhergehende Unvereinbarkeit mit dem Prinzip der vollen richterlichen Überzeugung – von der zivilprozessualen Literatur als solche erkannt und ausdrücklich benannt.461 Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Fehlens einer mit § 287 ZPO vergleichbaren Norm erscheint auch der Verweis auf die vereinzelten sanktionsrechtlichen Schätzklauseln des StGB zur Rechtfertigung der Rechtspraxis der Schätzungen der Schadenshöhe wenig überzeugend. Der entgegengesetzte Schluss scheint hier viel eher sinnhaft, nämlich, dass diese an vergleichsweise abgelegener Stelle stehenden Ermächtigungen eine ausdrückliche sanktionsrechtliche Ausnahme bilden sollen, die somit gerade die Unzulässigkeit von Schätzungen im Übrigen belegt.462 Darüber hinaus weisen die Schätzklauseln schon einen völlig anderen Bezugspunkt auf. Während diese prinzipiell keine Berührungspunkte mit der Schuldfrage aufweisen, liegt der Bezugspunkt der Schätzungen außerhalb des Sanktionsrechtes gerade in der Grundfrage von Fehlverhalten und seinem Ausmaß; insofern erscheint eine Vergleichbarkeit schon nur bedingt gegeben.463 aa) Die Schätzung als logische Schlussfolgerung – das Konzept der inneren und äußeren Rationalität Wie bereits im ersten Teil dieser Arbeit dargestellt, erfordert die tatrichterliche Überzeugung nach dem heute herrschenden objektivierenden Verständnis neben der subjektiven Überzeugung des Tatrichters auch einen rationalargumentativen Unterbau, der die zur tatrichterlichen Überzeugung führenden Schlüsse intersubjektiv nachvollziehbar macht. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, wenn die Rechtsprechung und Teile des Schrifttums zur Rechtfertigung auf die vermeintliche Rationalität der Schätzung im Sinne eines logischen Schlusses rekurrieren. Die dabei erfolgte Einordnung in den Bereich der mathematischen Methoden unterstreicht dies und bezweckt die Herstellung von Nähe zum Begriff der „Berechnung“ – also einer zweifelsfrei rationalen Schlussfolge, deren Ergebnis bei fehlerfreier Durchführung vieler: Leipold, in: Stein / Jonas, ZPO, § 287 Rn. 30. auch: Ott / Bundschuh, JA 2005, S. 454, 454; Zopfs, StV 2000 S. 601, 602; Eschelbach, in: Graf-StPO, § 261 Rn. 43. 463  Salditt, StV 1990, S. 151, 152. 461  Anstelle 462  So



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis179

einen bestehenden Naturzustand korrekt wiedergibt. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass die Rechtsprechung in ihrer Leitentscheidung den Begriff der „Hochrechnung“ verwendet.464 Die entsprechenden Begrifflichkeiten werden vom BGH insbesondere im Zuge seiner Ausweitung der in BGHSt 36, 320 erstmals statuierten Grundsätze nicht einheitlich benutzt. Ein Unterschied in der Sache besteht freilich nicht, was auch der BGH in der „Kassenarzt“-Entscheidung anerkennt.465 In beiden Fällen handelt es sich, wie im ersten Teil der Arbeit gezeigt, um Annäherungen an die Wirklichkeit.466 Eine differenzierte Betrachtung dieser Argumentation offenbart jedoch deren geringe Überzeugungskraft in der Sache. Stellt man auf die Rationalität und intersubjektive Nachvollziehbarkeit der zur richterlichen Überzeugung führenden Schlussfolge ab, so ergibt sich zwangsläufig die Frage, inwiefern es rational und insofern intersubjektiv nachvollziehbar sein kann, dass der Richter seine subjektive Überzeugung von der Wirklichkeit – denn dies ist der entscheidende Bezugspunkt – auf eine Schätzung stützt. Der darin offen zutage tretende Widerspruch lässt sich nicht mit einem Verweis auf die vermeintliche Rationalität der Schätzung, im Sinne einer numerischen Operationalisierbarkeit, überwinden. Die damit bezeichnete Rationalität betrifft alleine die innere Widerspruchsfreiheit der Schätzung – also die fehlerfreie Anwendung einer bestimmten Schätzmethode auf die entsprechenden Schätzgrundlagen. Dem entspricht die Überzeugung des Richters von der Richtigkeit seiner Schätzung. Damit ist jedoch noch nichts über Entsprechung des Schätzergebnisses zur Wirklichkeit gesagt. Dies würde die äußere Rationalität der auf der Schätzung beruhenden und zur subjektiven Überzeugung des Tatrichters hinführenden Schlussfolge voraussetzten. Mit äußerer Rationalität ist die Fähigkeit gemeint, zuverlässige Aussagen über konkrete Umstände der Wirklichkeit zu treffen. Die Entsprechung des Schätzergebnisses mit einem konkreten Sachverhalt der Wirklichkeit bleibt jedoch trotz fehlerfreier Anwendung der Schätzmethode – also innerer Rationalität – allenfalls zufällig. Sie erschöpft sich in einer Wahrscheinlichkeitsbereichsaussage, deren statistische Wahrscheinlichkeit ggf. in einem Punkt kulminiert. Beispielhaft sei diesbezüglich an dieser Stelle erneut auf das Ergebnis der vom Verfasser durchgeführten Maximum-LikelihoodSchätzung verwiesen (siehe Anhang 1). Der Anspruch einer intersubjektiv 464  BGHSt

36, 320. 36, 320 „Daher wäre eine Schätzung zulässig gewesen und auch eine ihr insoweit vergleichbare Hochrechnung ist als Grundlage der Rechtsfolgenbemessung nicht zu beanstanden.“ 466  So auch: Ott / Bundschuh, JA 2005, 453, 453. 465  BGHSt

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

nachvollziehbaren rationalen Schlusskette ist insofern gerade nur erfüllt, wenn deren Endpunkt in der Überzeugung von einer Wahrscheinlichkeit bzw. einem Wahrscheinlichkeitsbereich, nicht hingegen in der zweifelsfreien Überzeugung vom Bestehen oder Nichtbestehen eines konkreten Einzelfalls gesehen wird. Auch der in der Leitentscheidung BGHSt 36, 320 vorzufindende Verweis darauf, dass eine mathematische, den Beweis des Gegenteils denknotwenig ausschließende Sicherheit nicht notwendig sei, kann entsprechende Bedenken nicht zerstreuen. Mit dieser schon auf das Reichsgericht zurückgehenden Wendung wird gemeinhin das Verhältnis der richterlichen Überzeugung zu den – aus der grundsätzlichen Beschränktheit menschlichen Erkenntnisvermögens folgenden – abstrakten bzw. philosophischen Zweifeln umrissen. Bei den mit der Schätzung einhergehenden Zweifeln handelt es sich jedoch gerade nicht um abstrakte, sondern im Gegenteil um konkret auf die Übereinstimmung des jeweiligen Schätzergebnisses mit der Wirklichkeit bezogene Zweifel. Insbesondere davon, dass die Schätzung ein für die Anforderungen des § 261 StPO ausreichendes Maß an Unsicherheit erreicht kann, vor dem Hintergrund, dass Bezugspunkt des § 261 StPO die materielle Wahrheit im Sinne der Korrespondenztheorie ist, also grundsätzlich keine Rede sein. Mehr noch ist – gerade im Bereich der Vermögensdelikte – durch die jüngsten bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen zu Betrug und Untreue, die Notwendigkeit einer Bezifferung des Vermögensschadens betont und verfassungsrechtlich geweiht worden. Gleichwohl ist die Bezifferung des Vermögensschadens, auch unabhängig von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, als methodische Selbstverständlichkeit anzusehen.467 Dies ergibt sich schon aus § 267 III S. 1 StPO, wonach die Schadenshöhe einen bestimmenden Strafzumessungsgrund darstellt, sowie auch aus der in § 46 II StGB kodifizierten Pflicht, die verschuldeten Auswirkungen der Tat zu berücksichtigen. Die Bedeutung der Bezifferung, und damit auch der Schätzung als Bezifferungsmethode, beschränkt sich zudem – dies ist in der vorliegenden Arbeit belegt worden – auch nicht allein auf die Schuldhöhe (wie immer wieder von der Rechtsprechung proklamiert), sondern erlangt häufig eine Doppelbedeutung, sowohl für die Tatbestands- als auch Rechtsfolgenseite. Darüber hinaus erlangt sie etwa im Fall des § 263 V StGB durch den Verweis sowohl auf § 243 II StGB, als auch § 248a StGB, eine entscheidende Bedeutung für den jeweils einschlägigen Strafrahmen (ein besonders schwerer Fall des Betruges ist hier z. B. auch im Falle des banden- oder gewerbsmäßigen Vorgehens ausgeschlossen) und sogar für die Frage des Vorliegens von Prozessvoraussetzungen. Es ist insofern zu konstatieren, dass die mit einer Schätzung regelmäßig einhergehende Abweichung von der Wirklichkeit 467  So

auch: Schlösser, NStZ 2012, S. 473, 475; Bittmann, wistra 2013, S. 1, 3.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis181

grundsätzlich betrachtet sich gerade nicht im Bereich einer „quantité négligeable“468 bewegt. Eben dieses Problem der hier beschriebenen Vorgehensweise scheint die Rechtsprechung allerdings selber zu erkennen, weshalb sie sich – unter Berufung auf den Grundsatz „in dubio pro reo“ – z. T. genötigt fühlt, den gerade noch unter Anwendung der Schätzung als vermeintlich logischer Schlussfolge ermittelten Wahrscheinlichkeitsrahmen nach oben hin abzuschneiden. Allein der unterste Bereich dieses Rahmens ist somit für die tatrichterliche Überzeugung erheblich.469 Allerdings verringern sich die Probleme in Bezug auf die notwendige richterliche Überzeugung dadurch nicht. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall, ist doch das korrekte Ergebnis einer Schätzung allein das in Anbetracht der jeweiligen Schätzgrundlagen und Schätzmethode wahrscheinlichste. Fischer weist diesbezüglich zunächst richtigerweise darauf hin, dass ein solches Vorgehen nur als zutiefst irrational bezeichnet werden kann.470 Die subjektive Überzeugung des Tatrichters bezieht sich nunmehr auf ein Schätzergebnis, das bei korrekter Anwendung der Schätzmethode regelmäßig nicht mal mehr das wahrscheinlichste darstellt. In anderen Worten: Dem Vorgehen fehlt nicht nur die äußere, sondern nunmehr auch die innere Rationalität, so dass dieses, anders als im Normalfall der Schätzung, nicht mal mehr zur Überzeugung von der wahrscheinlichen Übereinstimmung des Schätzergebnisses mit der Wirklichkeit führen kann. In Bezug auf den von Krause vertretenen Ansatz muss dasselbe gelten, soweit er als Beleg der Rationalität der Schätzung allein auf die von der Rechtsprechung aufgeworfenen Kriterien rekurriert.471 Soweit Krause von den Prämissen der Rechtsprechung abzuweichen scheint, wie etwa in Bezug auf die Frage der prozessökonomisch motivierten Schätzung, die er als mit dem Postulat der Rationalität aus § 261 StPO nicht vereinbar erklärt, macht sich die Argumentation ebenfalls angreifbar.472 Prozessökonomisch motivierte Schätzungen lehnt er mit der Begründung ab, es sei irrational, auf Schätzungen zurückzugreifen, wenn bessere Möglichkeiten der Wahrheitsfindung bestünden. Unabhängig davon, dass eine derartige Schätzung richtigerweise massive Bedenken hervorruft, ist deren prozessökonomische Motivation jedoch nicht schlechterdings irrational. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall, auch und gerade eine Argumentation, die auf das Verhältnis von Kosten und Nutzen abstellt, folgt unverfälscht rationalen Gesichtspunkten. Fraglich 468  Krause,

StraFo 2002, S. 249. NStZ 1998, S. 208. 470  Fischer, StraFo 2012, S. 429; 431; in dieselbe Richtung auch: Krause, StraFo 2002, S. 249, 251. 471  Krause, StraFo 2002, S. 249. 472  Krause, StraFo 2002, S. 249, 251. 469  BGH

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

ist in diesem Zusammenhang vielmehr, wie man solche prozessökonomischen Gründe aus rechtsdogmatischer Sicht einordnet und, ob man ihnen gegenüber eventuell betroffenen rechtlichen Interessen des Angeklagten den Vorrang einräumt. Diesbezüglich soll an dieser Stelle der Untersuchung genügen, ernstliche Bedenken anzuzeigen und auf den weiteren Verlauf der hiesigen Untersuchung zu verweisen (genauer Punkt D / IV / 4). Zur Frage der Rationalität der auf einer Schätzung beruhenden, zu einer zweifelsfreien Überzeugung führenden Schlussfolge des Tatrichters können die Ausführungen Krauses hingegen nichts beitragen. bb) Die Unzulänglichkeit des Indizien-Argumentes Soweit Krause zur Legitimation auf einen Vergleich zwischen Indizienbeweis und Schätzung auf die „strukturelle Ähnlichkeit“ beider verweist, ist dies ebenfalls in letzter Konsequenz nicht überzeugend.473 Diesem Vergleich liegt zunächst die Idee des Indizienbeweises als einer Form des mittelbaren Beweismittels – also eines im Vergleich zu den anderen „direkten“ Beweismitteln minderwertigen Mittels zur Wahrheitserforschung – zugrunde, die sich bei näherer Betrachtung als unzutreffend herausstellt. Tatsächlich stellt sich der strafprozessuale Beweis strukturell durchgängig als Indizienbeweis dar. Er unterscheidet sich vom sog. „direkten“ Beweis allein durch die Anzahl der erforderlichen Schlüsse zur jeweiligen entscheidungserheblichen Tatsache. Die Überzeugung des Richters allerdings wird in beiden Fällen mittels Indizien gewonnen. Denn auch der Beweis durch Augenzeugen eröffnet dem Richter nur einen mittelbaren Schluss auf die jeweilige Haupttat­ sache. Ob deren Aussage der Wahrheit entspricht, muss der Richter abermals anhand anderer Beweismittel bzw. anhand von Erfahrungswissen eruieren.474 Aber der angestellte Vergleich ist in einem weiteren erheblichen Punkt unzulänglich. Damit ist die Rationalität einer auf konkrete Sachverhalts­ annahmen zulaufenden deduktiven Schlusskette angesprochen. Der Indizienbeweis vermag das Individuum – bei Außerachtlassung der allgemeinen Unzulänglichkeit menschlichen Erkenntnisvermögens – anhand eines deduktiven Schlusses vom Vorliegen einer konkreten Haupttatsache zu überzeugen und so innerhalb einer Gesamtschlussfolge hinsichtlich eines konkreten Tatvorwurfes, die Herstellung eines Grades an Sicherheit zu erreichen, der subjektiv und intersubjektiv als zwingend erscheinen kann. Dies ist mit der durch Schätzung ggf. erlangten punktuellen Wahrscheinlichkeitskulmination inner473  Krause,

StraFo 2002, S. 249. Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 60  ff.; Sander, in: Löwe / Rosenberg, § 261 Rn. 60; Grünwald, Beweisrecht, S. 86 ff.; Velten, in: SKStPO, Vor § 261 Rn. 4. 474  Engisch,



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis183

halb eines graduell abgestuften Wahrscheinlichkeitsbereiches keinesfalls identisch. Ein unter logischen Gesichtspunkten die subjektiv (und intersubjektiv) nachvollziehbare Überzeugung rechtfertigender deduktiver Schluss auf eine konkrete Tatsache ist auf dieser Basis nicht widerspruchsfrei erreichbar. Damit ist freilich nicht ausgeschlossen, dass die Beweislage im Einzelfall, trotz eines bruchstückhaften Gesamtbildes zur Verdichtung hin, zu einer subjektiven Überzeugung ausreicht. Die Lösung der hier dargestellten Problematik jedoch allein im Hinweis auf die tatrichterliche Überzeugung anhand von etwaigen Indizien im Einzelfall zu sehen,475 käme einer Verkürzung gleich und ist bei dem Versuch der Beantwortung der hier zugrundeliegende Forschungsfrage des Verhältnisses der tatrichterlichen Schätzung zu den Grundsätzen des Strafprozessrechtes nicht dienlich. Auch ist dies erkennbar nicht der Ansatzpunkt der hier dargestellten Urteile. Diese gehen vielmehr zumindest vordergründig von der Notwendigkeit der Schätzung aufgrund gänz­ licher Unmöglichkeit der Beweisführung aus.476 cc) Das Verhältnis zum Sachverständigen als förmlichem Beweismittel Auch die Inanspruchnahme eines (z. B. mathematischen) Sachverständigen ist nicht geeignet, die hier beschriebene grundsätzliche Problematik im Hinblick auf den Grundsatz der richterlichen Überzeugung abzumildern. Denn auch der Sachverständige ändert an die Natur der Schätzung als Wahrscheinlichkeitsaussage sowie an den oben beschriebenen Problematiken hinsichtlich „innerer und äußerer Rationalität“ nichts. Durch das entsprechende Gutachten wird diese Wahrscheinlichkeitsaussage lediglich fachmännisch bestätigt. Salditt spricht in diesem Zusammenhang davon, dass das Dazwischenschalten eines Sachverständigengutachtens hier lediglich dazu dient, den Wahrscheinlichkeits-Schlüssen den Anstrich des Zwingenden zu verleihen, also eine Verdachtsprognose auf einen besonders hohen Rang zu erheben, um letztlich das Fehlen formeller Beweismittel zu kaschieren.477

475  So wohl: Ott / Bundschuh, JA 2005, S. 453, 454; teilweise auch: Zopfs, StV 2000, 601, 602. 476  Wenngleich dies wie bereits oben dargestellt in Bezug auf BGHSt 36, 320 inkonsequent und bezüglich BGHSt 40, 374 sogar express verbis aus prozessökonomischer Motivation heraus geschieht. 477  Salditt, StV 1990, S. 151, 153.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

2. Kategorie 1 – Schätzung immensurabler Faktoren a) Immensurabilität Bei der Analyse der hier dargestellten Urteile fällt zunächst auf, dass bestimmte Fallkonstellationen dadurch geprägt sind, dass die genaue Feststellbarkeit der jeweils in Rede stehenden Größen schon grundsätzlich in Frage steht. Dabei handelt es sich insbesondere um Fälle aus dem Bereich des Wirtschaftsstrafrechtes. Die hier maßgeblichen Größen sind oft durch ein hohes Maß an Volatilität und Flexibilität geprägt. aa) Submissionsbetrug In die erste Kategorie lassen sich zunächst die Fälle der Schätzung im Zusammenhang mit Submissionsbetrug einordnen („Arbeitsgemeinschaft Rheinausbau I und II“). In diesem Fall stellt der BGH klar, dass sich ein Vermögensschaden der ausschreibenden Stelle in der Differenz zwischen dem tatsächlich vereinbarten Preis und dem Marktwert der Leistung ergibt, sofern letzter den vereinbarten Preis unterschreitet. In dieser vielfach diskutierten und häufig kritisierten Entscheidung des BGH führt er diesbezüglich insbesondere aus, für einen Wertvergleich zwischen Leistung und Gegenleistung gebe es „in der Regel keinen allgemeingültigen abstrakten Maßstab“. Der Wert von Waren und Dienstleistungen ergebe sich vielmehr erst „über Angebot und Nachfrage“. Weiter sei die Bewertung eines Wirtschaftsgutes von „Zeit, Ort, Art, Inhalt und Gegenstand des fraglichen Geschäftes sowie der jeweiligen Handelsstufe“ abhängig. Umso erstaunlicher erscheint es, wenn der BGH kurz darauf im Zusammenhang mit der Höhe eines solchen durch Submissionsabsprachen ver­ ursachten Vermögensschadens, ausführt: „Hypothetische Wettbewerbspreise sind feststellbar“ [sic]. Angesichts einer solch widersprüchlichen Aussage erscheint es kaum verwunderlich, dass sich die fragliche Entscheidung in der Literatur z. T. heftiger Kritik ausgesetzt sah.478 Verwunderlich ist eher, dass die offensichtliche Widersprüchlichkeit dieser Aussage von keinem der Kommentatoren in der notwendigen Deutlichkeit herausgestellt worden ist. Festzuhalten ist hier: Hypothetische Wettbewerbspreise sind ihrer Natur nach eben das, was sie sind: hypothetisch. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sie in jedem Fall nicht feststellbar sind. Ihre Feststellung würde eine Erhebung von in der Realität tatsächlich vorhandenen Daten erfordern. Mit der 478  Otto, ZRP 1996, S. 300; Lüderssen, wistra 1995, S. 243; Ranft, wistra 1994, S. 41; Geerds, Jura 1994, S. 309; Hefendehl, Jus 1993, S. 805; Hohmann, in: MüKo, § 298 Rn. 30; Moosecker, FS-Lieberknecht, S. 407.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis185

Klassifikation einer Größe als hypothetisch hat der BGH hingegen – im Ergebnis richtigerweise – klargestellt, dass es sich um eine Größe ohne Entsprechung in der Realität und somit eine fiktive Größe handelt. Die objektive Messung einer fiktiven Größe ist hingegen schon logisch ausgeschlossen. Ihre Quantifizierung kann nur aufgrund einer irgendwie gearteten Annäherung erfolgen bzw. ist auf einen Wahrscheinlichkeitsbereich beschränkt. Für die Beantwortung der – für den hier vorliegenden Untersuchungsgegenstand kernhaften – Frage nach der Realisierbarkeit einer präzisen Schadensfeststellung in Fällen von Submissionsabsprachen bedarf es zunächst eines Blickes auf die Grundannahme des BGH. Dieser geht wie bereits erwähnt davon aus, der Schaden ergebe sich aus der Differenz des tatsächlich vereinbarten Preises und des Marktwertes der Leistung. Der BGH macht diesbezüglich zunächst geltend, diese Entscheidung stehe einer früher zu einem vergleichbarem Sachverhalt ergangenen Entscheidung (BGHSt 16, 367) – in der noch die wertmäßige Angemessenheit als entscheidendes Kriterium betont wurde – nicht entgegen.479 Die in diesem Fall erfolgte Bildung eines Submissionskartells habe nicht zu einer Veränderung der Wettbewerbspreise geführt. Allein aus ihr ergebe sich noch nicht eine Ungleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung, sofern der Preis im Rahmen des Angemessenen liege. Ausgehend vom wirtschaftlichen Vermögensbegriff betont der BGH in „Arbeitsgemeinschaft Rheinausbau I und II“ den Vergleich zwischen Zuschlagspreis und Marktpreis als entscheidend. Dabei stellt er fest, dass als Marktpreis derjenige Angebotspreis gelten muss, der bei Durchführung eines ordnungsgemäßen Ausschreibungsverfahrens nach den Regeln der §§ 23 ff. VOB / A den Zuschlag verdient hätte. Sein Versuch, den Eindruck einer Kontinuität der Rechtsprechung zu wahren, misslingt indes. Beachtet man insbesondere, dass die Beeinflussung von Mitbietern dahingehend, dass diese das Unterbreiten günstigerer Angebote unterließen, vormals noch als unbeachtlich für das Vorliegen eines Betrugsschadens angesehen worden war, während nunmehr bereits die Bekanntgabe der mitbietenden Teilnehmer als Indiz für die Annahme eines solchen gelten 479  In der entsprechenden Entscheidung, die lange Zeit als Leitentscheidung die herrschende Auffassung von der Nichtstrafbarkeit des Submissionsbetruges geprägt hatte, sah der BGH die wertmäßige Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung als entscheidend an. Wörtlich hieß es damals: „Wenn der Handelnde, um diejenigen Vertragsgegner zu täuschen, andere dazu bestimmt, günstigere Angebote zu unterlassen, oder mit ihnen verabredet, dass sie seinem Partner nicht ernst gemeinte höhere Angebote unterbreiten, so sind solche Umstände für den Tatbestand des Betrugs gleichgültig. Denn sie besagen unmittelbar nichts darüber, dass die vom Handelnden angebotene Leistung der geforderten Gegenleistung nicht gleichwertig und der Handelnde durch den Austausch von Leistung und Gegenleistung den Vertragspartner in seinem Vermögen schädigen will.

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sollte, wird die Neuausrichtung des BGH evident. Tatsächlich hätte es einer Anrufung des Großen Senats des BGH bedurft.480 Gleichwohl erscheint das Abstellen auf die Differenz zwischen Zuschlagspreis und Marktwert, also der Vergleich zwischen Leistung und Gegenleistung, zumindest nach dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff stimmig.481 Durch das noch in der Vorinstanz vom LG sowie in der historischen Entscheidung BGHSt 16, 367 vom BGH vertretene und zur Verneinung eines Vermögensschadens benutze Angemessenheitsparadigma wird eine künstliche Trennung zwischen Marktpreis und angemessenem Preis hergestellt. Dies übersieht nach Ansicht des Verfassers, dass das Ausschreibungsverfahren gerade der Ermittlung des im Einzelfall angemessenen Preises dient.482 Wenn also etwa Joecks diesbezüglich ausführt, durch die Ausschreibung hätte eine Wettbewerbssituation hergestellt werden sollen, die der Vergabestelle bei der „Ermittlung des sonst nicht feststellbaren Marktpreises hätte helfen sollen“,483 so verfehlt dies den eigentlich entscheidenden Punkt, nämlich die Identität zwischen dem durch Ausschreibungsverfahren hergestellten, zuschlagsfähigen 480  Moosecker,

FS-Lieberknecht S. 414; Joecks, wistra 1992, S. 247, 250. auch Moosecker, FS-Lieberknecht S. 414; Baumann, NJW 1992, S. 1661, 1664, der richtigerweise darauf hinweist, dass die von der Vorinstanz gestellte Frage nach dem angemessenen Preis falsch gestellt ist. Denn ist der Marktpreis einer Leistung derjenige, der sich durch Wettbewerb ergibt, so spielen Angemessenheitserwägungen keine Rolle mehr; ähnlich Jaath, FS-Schäfer, S. 89, 99 der darauf verweist, dass die alte Rechtsprechung des BGH (BGHSt 16, 367) den fiskalischen Zweck des Ausschreibungsverfahren unbeachtet lässt. Dieser bestehe darin, den möglichst geringsten Preis zu erzielen, indem man die subjektiv unterschiedlichen Bewertungen eines Gutes durch die anbietenden Unternehmen transparent mache. Das Ausschreibungsverfahren diene hingegen nicht der Untersuchung der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung; Tiedemann, Wettbewerb und Strafrecht, S. 18 f. trat auch schon vor der entsprechenden Entscheidung für eine Strafbarkeit nach § 263 StGB ein. Er zieht eine Parallele zum Subventionsbetrug und sieht einen Vermögensschaden dementsprechend dann als gegeben an, wenn der Empfänger einer Leistung die diesbezüglichen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Eine auf Grundlage des Wettbewerbs kalkulierte Leistung entspricht der Gegenleistung, wenn die aufgrund von Vereinbarungen oder öffentl.-rechtl. Vorschriften normierten Wettbewerbsregeln eingehalten würden. Sowohl beim Subventions- als auch beim Submissionsbetrug bedinge die auf Vereinbarung bzw. Gesetz beruhende Normierung das Bestehen eines Schadens. Tiedemann erkennt jedoch an, dass eine Abgrenzung zur von § 263 StGB geschützten Dispositionsfreiheit schwierig ist. 482  Anders Joecks, wistra 1992, S. 251, der moniert durch eine solche Sichtweise würde „die vom Täter erbrachte Gegenleistung nicht mehr von einem wie auch immer zu ermittelnden Wert abhängen, sondern von dem Preis, den der Veräußerer von dem […] Käufer hätte erzielen können.“ Joecks verkennt jedoch die Widersprüchlichkeit seiner eigenen Aussage vor dem Hintergrund, dass er noch wenige Zeilen vorher dem BGH insofern zustimmt, als dass dieser den Wert einer entsprechenden Bauleistung durch Angebot und Nachfrage bestimmt sieht. 483  Joecks, wistra 1992, S. 247, 249. 481  So



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis187

Vergabepreis und dem Marktwert des Auftrages. In anderen Worten: Die ordnungsgemäße Ausschreibung hilft nicht bei der irgendwie gearteten Ermittlung des Marktwertes, dieser wird durch sie unmittelbar gebildet. Andere sinnvolle Bemessungskriterien kommen kaum in Betracht. Wer unter Selbstkosten anbietet, um eine Stammmannschaft über eine bestehende Flaute hinweg zu halten, bietet trotzdem einen angemessenen Preis an, insbesondere, da die Annahme, die öffentliche Hand hätte stets mindestens kostendeckende Preise zu zahlen, kaum haltbar ist. Dies würde dazu führen, dass private Unternehmer untereinander nicht-kostendeckende Preise vereinbaren könnten, um sich in Krisenzeiten über Wasser zu halten, während die öffentliche Hand verpflichtet wäre, als Überlebenshelfer für entsprechende Unternehmen zu fungieren.484 Hingegen erfährt die Entscheidung des BGH aus dem Lager der Vertreter des personalen Vermögensbegriffs weitgehende Kritik.485 Aber auch unter Vertretern des wirtschaftlichen bzw. wirtschaftlich-juristischen Vermögensbegriffs wird die mit der Entscheidung eingeleitete Kehrtwende in Bezug auf die Strafbarkeit von Submissionsabsprachen unter dem Gesichtspunkt des § 263 StGB kontrovers diskutiert. Während einige Autoren auf das Bestehen einer schadensgleichen konkreten Vermögensgefährdung durch Täuschung über das Bestehen eines Submissionskartells abstellen,486 wird von anderen diesbezüglich moniert, ein Vermögensschaden könne in einem so gelagerten Fall grundsätzlich nur dann entstehen, wenn die Möglichkeit eines günstigeren Angebots schon dem Vermögen des Getäuschten zurechenbar ist und insofern eine vermögenswertige Expektanz darstellen kann.487 Wieder andere 484  Baumann,

NJW 1992, S. 1661, 1664: Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, S. 178; ders., DWiR 1992, 120, 122; im Ergebnis wird hier zwar das Bestehen eines Schadens bejaht, jedoch wird der Vergleich zwischen gezahltem Preis und Marktwert für irrelevant und die Ermittlung des Wettbewerbspreis für unmöglich erachtet. Ein Schaden ergibt sich danach bereits durch die Verfehlung des mit der Vermögensverfügung verfolgten wirtschaftlichen Zwecks. Der Ausschreibende wolle in einem objektivierenden Verfahren denjenigen unter den Bietern auswählen, der sich als am leistungsfähigsten erweist. Durch die Abgabe des Angebots bekunde der Bieter, diesen wirtschaftlichen Zweck in seiner Person zu erfüllen. Da das Angebot diese Bedingung tatsächlich nicht erfüllt, wird der mit der Verfügung bezweckte wirtschaftliche Erfolg verfehlt; ähnlich Ranft, Jura 1992, 66, 73 wonach mindestens in das Angebot eine Kostensumme eingerechnet sei, die vom Gedanken der Zweckverfehlungslehre her eindeutig als Schaden zu klassifizieren ist. Dieser liegt in dem Betrag der Ausgleichszahlungen, da es sich dabei nicht um eine Gegenleistung für ausgeführte Arbeiten handeln soll, sondern sie solle den Zweck erfüllen, die Kartellabsprache zu finanzieren. 486  Baumann / Arzt, ZHR 134, S. 24, 51; Beulke, JuS 1977, S. 35, 38; Baumann, FS-Oehler, S. 291, 302; Riemann, Vermögensgefährdung und Vermögensschaden, S. 113. 487  Joecks, wistra 1992, 247, 251; Hefendehl, JuS 1993, S. 805, 812 wonach das Bestehen einer solchen vermögenswertigen Expektanz jedoch von der Möglichkeit 485  Geerds,

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Autoren bemühen das Prinzip der Subsidiarität des Strafrechtes, halten das Strafrecht also für grundsätzlich ungeeignet zur adäquaten Erfassung von Submissionsabsprachen und plädieren für eine ausschließliche Klärung im Bereich des Kartell- bzw. Ordnungswidrigkeitenrechtes.488 Ziel der vorliegenden Arbeit kann es nicht sein, in eine umfassende Diskussion der hier zum Vermögensbegriff und Vermögensschaden dargestellten Meinungen einzusteigen. Allerdings stellen sich die hier skizzierten Alternativvorschläge, trotz der z. T. berechtigten Kritik an der Rechtsprechung des BGH, insgesamt nur als Verschiebung des Problems dar. Insbesondere die Vertreter des personalen Vermögensbegriffs entgehen zwar den unzweifelhaft bestehenden Beweisschwierigkeiten in Bezug auf das Bestehen eines Vermögensschadens, können jedoch nach Ansicht des Verfassers keinen Beitrag zu der durch den BGH im Wege der Schätzung eruierten Frage der Schadenshöhe leisten. Dazu kommen grundsätzliche Bedenken gegen einen personalen Vermögensbegriff.489 Gleiches gilt für diejenigen, die auf eine schadensgleiche konkrete Vermögensgefährdung abstellen.490 Das Abstellen auf den Vergleich zwischen Marktpreis und Zuschlagspreis wie vom BGH vorgenommen harmonisiert zudem mit Perspektive des Kartellrechtes.491 Folgt man also der Logik des BGH, so ist Folgendes zu konstatieren: Die Feststellung der Schadenshöhe ist von einem Vergleich zwischen Zuschlagspreis und Marktwert der Leistung abhängig. Da es sich bei der angebotenen des Inhabers abhängt, die Entwicklung zum Vollrecht hinreichend abzuschirmen. Insbesondere die in die Nullpreiskalkulation eingeflossenen günstigeren Angebote kommen diesbezüglich nicht in Betracht, da entsprechende Bieter zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe eben nicht mehr bereit sind zu diesem günstigeren Preis zu leisten. Die bloß theoretische Möglichkeit eines günstigeren Angebotes könne nicht dem Vermögen zugerechnet werden, erst recht nicht, wenn nicht einmal Wahrscheinlichkeits­ erwägungen über das günstigere Angebot getroffen werden können. 488  Lüderssen, wistra 1995, 243, 245, hält die Entscheidung des BGH im Ergebnis für wohl politisch motiviert und durch die Erkenntnisse um den von Sutherland geprägten Begriff des white collar crime angestoßenen sowie dem Bedürfnis nach Demokratisierung und folglich Ausweitung des Strafrechtes auf Gebiete geschuldet, die vorher speziellen Regelungen wie dem Kartellrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht unterlagen. Dabei komme es zu einer Überreizung der strafrechtlichen Kausalitätsdogmatik, die ursprünglich für gänzlich andere Fallgestaltungen konzipiert gewesen sei. 489  Geerds, Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, S. 127, räumt ein, dass die Grenzziehung zwischen wirtschaftlichen und ideellen Zielen im Einzelfall erhebliche Probleme bereiten kann und der personale Vermögensbegriff insofern noch genauerer Durcharbeitung bedarf. 490  Baumann / Arzt, ZHR 134, 24, 51, gelangen durch das Abstellen auf die bloße Vermögensgefährdung auch ohne die Feststellung eines konkreten Schadens zur Strafbarkeit nach § 263 StGB. 491  Moosecker, FS-Lieberknecht, S. 414.



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Leistung um ein Unikat handelt, kann ihr grundsätzlich kein objektiver Wert zugeordnet werden. Der Wert einer solchen Leistung ergibt sich vielmehr aus einem Zusammenwirken mehrerer Faktoren – etwa Zeit, Ort, Art, Inhalt und Gegenstand des entsprechenden Geschäftes – im Rahmen des durch die VOB / A vorgesehenen objektivierenden Wettbewerbsverfahrens. Er entspricht gemäß §§ 23 ff. demjenigen Angebot, welches unter Beachtung aller wirtschaftlichen, aber auch technischen und ggf. gestalterischen Gesichtspunkte am günstigsten erscheint. Eben dieser durch die VOB / A angestrebte Wettbewerb zur Ermittlung des Markt- bzw. Wettbewerbspreises ist jedoch durch die Submissionsabsprache der Anbieter verhindert worden, so dass sich ein solcher nicht hatte bilden können. Auch durch die im Kartellrecht übliche Vergleichsmethode, auf die der BGH in seinem Urteil verweist, lässt sich der Wettbewerbspreis nicht wie vom BGH dargelegt „feststellen“. Versucht man diesbezüglich, wie im Kartellrecht üblich, auf den Vergleichsmarkt abzustellen, so kommen als entsprechende Referenzgrößen der räumliche, zeitliche sowie sachliche Vergleichsmarkt in Betracht. Selbst bei austauschbaren Vergleichsgütern oder homogenen Massegütern entstehen dabei nur selten klare Ergebnisse, weil die betreffenden räumlichen oder zeitlichen Märkte meist nicht uneingeschränkt vergleichbar sind.492 Bei einmaligen Leistungen wie im vorliegenden Fall gelangt die Vergleichsmethode hingegen vollends an ihre Grenzen. Denn es handelt sich um jeweils komplexe Bauausschreibungen, im Regelfall über unterschiedliche Objekte, wobei es angesichts der Notwendigkeit, einen Gesamtmarktpreis zu eruieren, auch nicht hilfreich ist, wenn im Einzelfall die Vergleichbarkeit einzelner Komponenten besteht.493 Jedoch scheitert die Vergleichsmethode angesichts der Abhängigkeit von Zeit, Ort, Art und Inhalt des Geschäftes auch in den – wohl seltenen – Fällen, in denen die Vergleichbarkeit mehrerer Projektausschreibungen ausnahmsweise besteht. Denn liegen entsprechende Ausschreibungen etwa zeitlich und örtlich auseinander, so bedarf es zur exakten „Feststellung“ des Marktpreises einer Berücksichtigung etwa der konjunkturellen Situation, des Arbeitsmarktes, der Rohstoffkosten sowie der jeweiligen Anbieterdichte und infrastrukturellen Gegebenheiten, also Größen, deren exakte Feststellbarkeit ebenfalls in Frage steht.494 Dazu kommt die Notwendigkeit der Einbeziehung genuin subjektiver Elemente (wie technischem Know-How) sowie des Elements der legitimen unternehmerischen Preisgestaltung eines jeden Anbie492  Moosecker,

FS-Lieberknecht, S. 423. FS-Schäfer, S. 100. 494  Moosecker, FS-Lieberknecht, S. 425; Bruns, NStZ 1983, 385, 388. 493  Jaath,

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

ters. Auch kommt noch erschwerend hinzu, dass auf Dauer praktizierte Submissionsabsprachen zu einer weiteren Erosion der Vergleichsbasis für eine Schadensfeststellung beitragen.495 Auch ein vergleichendes Verfahren zur Ermittlung des hypothetischen Marktpreises – wie z. B. im Kartellrecht praktiziert – führt demnach nicht weiter. Zahlreiche in der entsprechenden Modellrechnung zu berücksichtigende Variablen sind entweder nicht quantifizierbar oder empirisch nicht feststellbar.496 Es bleibt demnach festzuhalten, dass sich die exakte Bestimmung des Wettbewerbspreises vor dem Hintergrund einer den Wettbewerb verhindernden Bildung eines Submissionskartells als objektiv unmöglich darstellt.497 Dies rechtfertigt folglich die Einordnung der Fallgruppe in die Kategorie der unermesslichen Faktoren (Kategorie 1). bb) Missbrauchstatbestand Gleiches gilt für die hier dargestellte Entscheidung zum Missbrauchstatbestand (BGH, Urt. v. 11. Juli 2000 – 1 StR 93 / 00). Entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob es sich um ein unwirtschaftliches Geschäft handelt, ist auch hier die Bewertung des Marktpreises der Forderung aus ex ante Sicht des Zeitpunktes des Forderungsverkaufes und des darauf basierenden Vergleichs mit dem erzielten Kaufpreis. Ausschlaggebend für diesen ist neben der Bewertung der diesbezüglich involvierten Rohstoffe und Produk­ tionskapazitäten – für die im Wesentlichen das eben Gesagte entsprechend gelten kann – auch der Standort der Halbfertigprodukte in Jugoslawien, insbesondere aber die Frage der tatsächlichen Realisierbarkeit des Verkaufs, die wiederum zum großen Teil von der Bewertung künftiger Ereignisse, nicht zuletzt auch der Entwicklung von Einstellung und Absichten der an dem Geschäft beteiligten Individuen – namentlich der Großkunden und ihrer Bereitschaft an dem Geschäft festzuhalten und insofern von Imponderabilien – abhängt. Insofern spricht der BGH richtigerweise davon, dass die „Ermittlung“ des Marktwertes nicht mit letzter Sicherheit möglich sei.

495  Jaath,

FS-Schäfer, S. 110. auch: Jaath, FS-Schäfer, S. 110. 497  Im Ergebnis so auch: Baumann, NJW 1992, S. 1661, 1664; Jaath, FS-Schäfer, S. 92. 496  So



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cc) Gefährdungsschaden im „Al-Qaida-Fall“ Im Ergebnis noch deutlicher stellt sich der Immensurabilitäts-Befund in Bezug auf den oben vorgestellten Sachverhalt des Eingehungsbetruges bzw. Gefährdungsschadens im „Al-Qaida“-Fall dar. Dies ergibt eine Analyse der Schadensbegründung in diesem Fall. Auf die Missverständlichkeit des Begriffes „Gefährdungschaden“ bzw. „schadensgleiche konkrete Vermögensgefährdung“ ist im Schrifttum498 sowie vereinzelt auch in der Rechtsprechung499 richtigerweise hingewiesen worden, suggeriert dieser doch, dass allein die Gefährdung zur Verwirklichung eines Verletzungsdeliktes genüge. Ein solches Verständnis des Gefährdungsschadens, als dem Schaden gleichgestellte Gefährdung des Vermögens, sähe sich zu recht mit dem Vorwurf einer unzulässigen Analogie zuungunsten des Täters und somit eines Verstoßes gegen Art. 103 II GG konfrontiert.500 Diese Deutung des Begriffs „Gefährdungsschaden“ bzw. schadensgleicher Vermögensgefährdung basiert jedoch nach heute fast einhelliger Auffassung auf einem falschen Verständnis des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs und der daher zwangsläufigen wirtschaftlichen Betrachtungsweise der Vermögenspositionen des Getäuschten als Ausgangspunkt der Schadensfeststellung.501 Denn unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten bilden die Begriffe des Schadens und der Gefährdung keinesfalls ein Gegensatzpaar.502 Vielmehr ist hier nach dem Wert einer Vermögensposition unmittelbar nach der Vermögensverfügung zu fragen. Nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise kann ein Schaden allerdings nicht erst im völligen Verlust dieser Position gesehen werden, sondern vielmehr bereits darin, dass ihr vom Wirtschaftsverkehr aufgrund bestimmter Umstände ein geringerer Wert beigemessen wird. Dies gilt etwa für den Fall einer gefährdeten Vermögensposition gegenüber der ungefährdeten. Tatsächlich geht es also nicht um eine drohende, sondern um eine bereits eingetretene Vermögensminderung im Wege der Gefährdung. 498  Vgl. etwa: Hefendehl, in: MüKo, § 263 Rn. 566; Tiedemann, in: LK, § 263 Rn. 168; Fischer, StraFo 2012, S. 269, 271; Peglau, wistra 2012, S. 368, 371; Kraatz, JR 2012, S. 329, 332; Nack, StraFo 2008, S. 277, 278; Brüning, ZJS 2009, S. 300, 301; Ransiek / Reichling, ZIS 2009, S. 315; Baumanns, JR 2005, S. 227, 228; Otto, Jura 1991, S. 494, 495; Hinrichs, wistra 2013, S. 161, 163; Rengier, Strafrecht BT I, § 13 Rn. 84, der deshalb wohl richtigerweise auf den Begriff der „schädigenden konkreten Vermögensgefährdung“ abstellt. 499  BVerfG, wistra 2012, S. 102, 105; BGHSt 53, 199, 202; BGH wistra 2008, S. 343; BGH wistra 2009, S. 232, 239. 500  So etwa: Watzka, Über die Vermögensverfügung beim Betrug, S. 4; Naucke, Zur Lehre vom strafbaren Betrug, S. 200 ff. 501  Baumanns, JR 2005, S. 227, 229. 502  Baumanns, JR 2005, S. 227, 230.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Demnach besteht zwischen den Begriffen des Schadens und der Gefährdung kein qualitativer, sondern allenfalls ein quantitativer Unterschied503 – die Vermögensgefährdung bildet folglich richtigerweise eine besondere Vermögensminderungs- bzw. Schadenskategorie,504 die insofern denselben Voraussetzungen unterliegt wie alle anderen Schadensformen, deren Feststellung jedoch in vielen Fällen erheblich erschwert ist.505 Im „Al-Qaida“-Fall besteht der Schaden laut BGH in der täuschungsbedingten Vereinbarung einer, in Anbetracht des Manipulationsvorhabens zu geringen Versicherungsprämie. Die Beeinträchtigung der Vermögensposition ergibt sich also aus der Gefahr der manipulationsbedingten Inanspruchnahme der Versicherungsleistung bei nichtäquivalenter Gegenleistung. Erfolgt tatsächlich keine manipulationsbedingte Inanspruchnahme der Versicherungsleistung durch die Angeklagten, sondern kommt es hingegen zu einem echten Todesfall des Versicherungsnehmers, so entspricht dies dem vertraglich eingegangenen Risiko, weshalb Leistung und Gegenleistung äquivalent sind. In jedem Fall kann allein in der Auszahlung der Versicherungssumme – anders als noch vom OLG angenommen – keinesfalls der Schaden gesehen werden, da dieser auch ohne Manipulation der Angeklagten hätte ausgezahlt werden müssen. Der Struktur nach handelt es sich hierbei also um einen Gefährdungs­ schaden,506 ohne dass jedoch eine entsprechende ausdrückliche Bezeichnung durch den 1. Strafsenat erfolgt ist. Allerdings sieht sich schon die grundsätzliche Einordnung als Gefährdungsschaden durch den BGH z. T. erheblicher Kritik des Schrifttums ausgesetzt. Moniert wird, dass mit dem Abschluss des Versicherungsvertrages lediglich eine abstrakte Vermögensgefährdung eingetreten sei, die alleine noch nicht für die Begründung eines Vermögensschadens ausreichend sei. Denn 503  Kraatz, JR 2012, S. 329, 332 spricht in diesem Zusammenhang davon, die Anerkennung der durch die Gefährdung erfolgenden Herauslösung eines Bestandteils aus dem Vermögen sei auf Grundlage des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs eine „Selbstverständlichkeit“; Riemann, Vermögensgefährdung und Vermögensschaden, S. 7; Klein, Das Verhältnis von Eingehungs- und Erfüllungsbetrug, S. 63; Cramer, Vermögensbegriff und Vermögensschaden im Strafrecht, S. 125; Tiedemann, in: LK § 263 Rn. 168; Baumannns, JR 2005, S. 277, 278; Hinrichs, wistra 2013, S. 161, 162; BVerfG wistra 2010, S. 349, 380; BVerfG wistra 2012, S. 102, 105; BGH wistra 2008, S. 343; BGH wistra 2009, S. 232; Tenckhoff, in: FS-Lackner, S. 677, 679; Lenckner, JZ 1971, S. 320, 321; Schlösser, NStZ 2012, S. 473, 476. 504  Kraatz, JR 2012, S. 329; 332; Baumanns, JR 2005, S. 277, 278; Ransiek / Reichling, ZIS 2009, 315; Nack, StraFo 2008, 277, 278; so auch schon der 1. Strafsenat des BGH, wistra 2008, 343; BGH wistra 2009, 232. 505  Hinrichs, wistra 2013, S. 161, 163. 506  Schlosser, NStZ 2012, S. 473, 478.



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im vorliegenden Fall bedürfe es seitens der Täter noch weiterer wesentlicher Zwischenschritte zur Realisierung der Gefahr, weshalb die Annahme eines Vermögensschadens schon kategorisch nicht möglich sei.507 Das Abstellen auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im „Al-Qaida“-Fall bedeute eine Abwendung von der klassischen Dogmatik der schadensgleichen Vermögensgefährdung und führe zu einer unzulässigen Vorverlagerung des Vollendungszeitpunktes.508 Sehe man den Schaden bereits in der erhöhten Leistungswahrscheinlichkeit, so werde die Grenze zwischen Gefährdung und tatsäch­ licher Vermögenseinbuße in Richtung des Vorbereitungsstadiums verschoben.509 Schlösser510 zieht hier eine Parallele zur „Hoyzer“-Entscheidung511 und bezeichnet den eingetretenen Schaden in Anlehnung daran als „Prämienschaden“. Er führt weiter aus: „die zu geringe Prämienhöhe ist der Schaden, der sich durch den Vertragsabschluss […] realisieren sollte. Dieser realisiert sich nämlich nur dann, wenn der Versicherungsfall auf Grund einer Manipulation tatsächlich auch eintritt. Da für die Realisierung der Gefahr auch im Rahmen des Prämienschadens letztlich entscheidend ist, dass ein manipulierter Versicherungsfall eintritt, hätte der 3. Strafsenat ebenso gut auf diesen Zeitpunkt als Bezugspunkt eines Schadenseintritts abstellen und damit auf die Einführung eines Prämienschadens verzichten können.“

Ein Sachverhalt wie der vorliegende stehe der Annahme eines Gefährdungsschadens – aufgrund der wesentlichen Zwischenschritte hin zur Realisierung – grundsätzlich entgegen. Dies sei auch durch das BVerfG bestätigt, weshalb es im vorliegenden Verdikt „das Ende des Prämienschadens“512 einläutend einen solchen mit Verweis auf die lediglich abstrakte Natur der Schädigung schon grundsätzlich abgelehnt hätte. Der von Schlösser et al. gewählten Lesart des bundesverfassungsrechtlichen Urteiles kann nach Ansicht des Verfassers indes nicht vollumfänglich beigepflichtet werden. Eine kategorische Negation des Gefährdungsschadens im vorliegenden Fall kann ihm nicht entnommen werden. Im Gegenteil: Das BVerfG stellt zunächst ausdrücklich die Verfassungsmäßigkeit der Rechts­ figuren „Eingehungsbetrug“ und „Gefährdungsschaden“ fest. Weiter erfolgt eine ausdrückliche Betonung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise bei Ermittlung der geschützten Vermögensbestanteile, unter weitgehender Zurückdrängung normativer Aspekte des Vermögensbegriffs. 507  Saliger, FS-Samson, 455, 461; Schlosser, NStZ 2012, S. 473, 478; Thielmann /  Groß-Bölting / Strauß, HRRS 2010, 38, 49. 508  Schlosser, NStZ 2012, S. 473, 479; Thielmann / Groß-Bölting / Strauß, HRRS 2010, S. 38, 40. 509  Thielmann / Groß-Bölting / Strauß, HRRS 2010, 38, 49. 510  Schlösser, NStZ 2012, 473, 478. 511  BGHSt 51, 165, 175. 512  Schlösser, NStZ 2012 473, 479.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Allerdings kann das bundesverfassungsrechtliche Verdikt, trotz des ausdrücklichen Festhaltens an der Rechtsfigur des Gefährdungsschadens, in dem seit einigen Jahren schwelenden Streit um die Anforderungen an den Gefährdungsschaden zwischen erstem und zweitem Strafsenat des BGH nicht als Absage an die von ersterem ausgesprochenen Bedenken hinsichtlich der Rechtsfigur verstanden werden.513 Tatsächlich werden diese größtenteils geteilt, weshalb das BVerfG die schon zur Untreue aufgestellten Darlegungsund Bezifferungserfordernisse mit dem hiesigen Judikat auf den Betrug übertragen hat, freilich ohne dabei – das sei nochmals betont – die Möglichkeit des Gefährdungsschadens im vorliegenden Fall grundsätzlich auszuschließen.514 Das BVerfG stellt also klar, dass die Gefahr der Realisierung des Schadens, soll diese als schadensgleich (verstanden als gleich ein Schaden nicht gleich einem Schaden) bzw. konkret gelten und insofern dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen, in ihren Voraussetzungen dargestellt und der daraus entstehende Schaden quantifiziert werden muss – sofern nicht ein Evidenzfall besteht,515 in dem allein die Darstellung der gefahrbegründenden Umstände gleichbedeutend mit deren Quantifizierung ist.516 Es wird also nicht die Annahme eines Gefährdungsschadens als solche, sondern deren fehlende bzw. nicht ausreichende Konkretisierung aufgrund einer vage angedeuteten Schätzungsmöglichkeit moniert, wobei es jedoch, wie schon im Untreueverdikt, nicht die Möglichkeit der Schätzung als solche angreift, sondern allein die Notwendigkeit tragfähiger Schätzgrundlagen unterstreicht.517 Ist somit die grundsätzliche Möglichkeit des Eingehungsbetruges aufgrund der Rechtsfigur des Gefährdungsschadens dargestellt, so gilt es darauf aufbauend die bezüglich des Tatbestandsmerkmals „Schaden“ entscheidenden Faktoren für den Immensurabilitäts-Befund herauszuarbeiten. Diesbezüglich muss insbesondere in Bezug auf die Ansicht Schlössers grundsätzlich unterstrichen werden, dass nach dem wirtschaftlichen Schadensbegriff nicht die allerdings Saliger, NJW 2010, 3195, 3198. Frage, ob durch Aufstellen entsprechender Voraussetzungen die Annahme eines Gefährdungsschadens im vorliegenden Fall faktisch unmöglich gemacht wird, siehe: Kraatz, JR, 2012 S. 329, 333. 515  Ein Beispiel für einen Evidenzfall sieht Bittmann, wistra 2013, S. 1, 4, etwa in dem Fall, dass die gelieferten Partybrötchen auf den Boden gefallen waren, und damit ihre Verkehrsfähigkeit verloren hatten, was wohl mit einem gänzlichen Wertverlust einhergeht. 516  Weshalb auch Schlösser, NStZ 2012, 473, 478 ebendies trotz gegenteiliger Bezeichnung durch das BVerfG zu Recht gerade nicht als Ausnahme vom Quantifizierungserfordernis versteht. In dieselbe Richtung auch: Bittmann, wistra 2013, S. 1, 4. 517  Nach dem hiesigen Verständnis wird davon ausgegangen, dass die Schätzung sich hier sowohl auf die Schadenshöhe als auch auf das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals Schaden dem Grunde nach bezieht. Vgl. hierzu: Punkt D. III. 1. 513  So

514  Zur



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis195

tatsächliche „Realisierung des Schadens“, sondern bereits die Gefahr ihrer zukünftigen Realisierung ausschlaggebend für die Annahme eines Gefährdungsschadens sein kann. Allein in dieser ist u. U. nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise der einen Gefährdungsschaden begründende Minderwert des Vermögens zu erkennen, sofern die Gefahr sich als ausreichend konkret darstellt, um von rein abstrakten Möglichkeit – deren Gleichsetzung mit dem Vermögensschaden dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz nicht genügt – differenziert zu werden.518 Die Frage der Abgrenzung zwischen lediglich abstrakten und schadensgleichen / konkreten Gefährdungen erfolgt demnach über die Feststellung des Gefährdungsgrades also der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Im vorliegenden Fall betrifft dies die Leistungswahrscheinlichkeit der Versicherungsunternehmen. Schon die Gefahr einer erfolgreichen Manipulation führt also nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise zur Annahme eines Schadens, sofern sich diese als ausreichend wahrscheinlich519 darstellt und der aus dieser resultierende monetäre Minderwert quantifiziert werden kann.520 Denn auf Grundlage des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs ist die durch den Vertragsschluss erlangte Rechtsposition am Markt aufgrund einer über die vertragsimmanenten Gefahren hinausgehenden gefahrbedingten Nichtäquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung evtl. im Wert gemindert, wobei hier stets auf einen allwissenden – also um die erhöhte Leistungswahrscheinlichkeit wissenden – Markt abzustellen ist.521 Zu beachten ist, dass im vorliegenden Fall nach der hier vertretenen Auffassung die Frage sowohl des Vorliegens des Tatbestandsmerkmals Schaden dem Grund nach, als auch der Schadenshöhe von der Quantifizierung derselben Faktoren bestimmt ist. Insofern ließe sich auch eine Parallele zu der Fallgruppe des Gefährdungsschadens bei fehlender Erfüllungsbereitschaft ziehen. 518  BVerfGE

126, 170 ff.; BVerfG, Beschl. v. 7.12.2011 – 2 BvR 2500 / 09, S. 44 f. das BVerfG allerdings auf eine Festlegung der für die Annahme der ausreichenden Konkretheit notwendigen „Höhenmarke“ der Realisierungswahrscheinlichkeit verzichtet. Entsprechende Konkretisierungsvorschläge sind im Schrifttum zahlreich. So etwa: Bittmann, wistra 2012, 98; Fischer, StGB, § 266 Rn. 163a; Hefendehl, FS-Samson, S. 295; Joecks, FS-Samson, S. 355, 372; Für Hinrichs, wistra 2013, 161, 164 ist Mindestvoraussetzung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Er tritt insofern für eine Schadenswahrscheinlichkeitsuntergrenze von 51 % ein und weist diesbezüglich – unter Verwerfung der Voraussetzung der „Konkretheit“ – überzeugenderweise darauf hin, dass alle unter diesem Bereich liegenden Wahrscheinlichkeiten kaum als „schadensgleich“ angesehen werden können. 520  Anders hingegen: Saliger, FS-Samson, S. 455, der die Annahme eines Schadens im vorliegenden Fall als zunehmende Normativierung des Schadensbegriffes empfindet. A. A. Bittmann, wistra 2012, 98, 101. 521  Winkler, Der Vermögensbegriff beim Betrug, S. 96; Baumanns, JR 2005, 227, 232. 519  Wobei

196

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Sowohl die grundsätzliche Möglichkeit eines Gefährdungsschadens im vorliegenden Fall, als auch die Immensurabilität der dabei relevanten Faktoren ist im vorliegenden Fall entscheidend bedingt durch eine vom wirtschaftlichen Vermögensbegriff vorgegebenen Betrachtungsweise. Denn mit dieser Anerkennung dieser als Grundlage der Schadensberechnung und der damit einhergehenden Erkenntnis um die Abhängigkeit des Preisbildungsmechanismus von Angebot und Nachfrage, so dass sich notwendigerweise „auch Zukunftserwartungen der Marktteilnehmer auf den erzielbaren Preis und damit den Wert von Gegenständen auswirken,“522 muss auch die Erkenntnis um die Notwendigkeit der Einbeziehung immensurabler Faktoren bei der Schadensermittlung einhergehen. Sowohl die Frage des Vorliegens einer ausreichend hohen Wahrscheinlichkeit (gleichbedeutend mit dem Vorliegen des Tatbestandsmerkmals dem Grunde nach), als auch die Quantifizierung des eintretenden Schadens (s. o.) sind im vorliegenden Fall abhängig von der im Moment des Vertragsschlusses (dazu zwingt bereits das Simultanitätsprinzip)523 vorzunehmenden Bewertung der Eintrittsgefahr einer manipulationsbedingten Leistung der Versicherung. Dies macht deutlich, dass es sich bei den hier entscheidenden Faktoren um solche handelt, die betrachtet aus der dafür maßgeblichen Perspektive stets in der Zukunft angelegt sind.524 Es handelt sich somit um Faktoren, die sich einer genauen Bemessung zum Zeitpunkt der Betrachtung schon grundsätzlich entziehen und deren Abbildung regelmäßig nur innerhalb bestimmter Wahrscheinlichkeitsbereiche möglich ist – also um immensurable Faktoren. Bei dem der Bewertung dieser Faktoren zugrundeliegenden Vorgang handelt es sich also strukturell stets um einen prognostischen.525 Die Prognose wird nach dem hier zu Grunde gelten Verständnis des Autors stets als Unterfall der Schätzung verstanden.526

522  BVerfGE

126, 170, 223. 51, 165, 177; BGHSt 52, 182, 188; BGH, wistra 2009, 232, 233; Hinrichs wistra 2013, 161, 165. 524  Die grundsätzliche Problematik dieser Betrachtungsweise resultierend daraus, dass der Richter sich hier aus einer ex-post- in die ex-ante-Perspektive versetzen muss, wobei er gleichzeitig den tatsächlichen Ausgang des Geschehens (die tatsächlich realisierte oder nicht realisierte Gefahr) außer Acht lassen müsste, stellt sich im vorliegenden Fall gerade nicht, da die Täter hier vor einer möglichen Realisierung des Schadens festgenommen worden sind. Grundsätzlich dazu vgl. Hinrichs, wistra 2013, 161, 165, sowie Samson, Strafrechtliche Rahmenbedingungen für unternehmerische Entscheidungen, S. 109, 125. 525  So auch: Kraatz, JR 2012, S. 329, 333; Saliger, FS-Samson, S. 455, 471; wohl auch: Kindhäuser, in: Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, § 263 Rn. 316; Hefendehl, in: FS-Samson, S. 295, 301; Bittmann, wistra 2013, S. 1, 4; sowie Hinrichs, wistra 2013, S. 161, 165. 526  Vgl. Punkt B. I. 5. c). 523  BGHSt



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis197

Thielmann / Groß-Bölting / Strauß ist also grundsätzlich zuzustimmen, wenn sie die für die Schadensermittlung entscheidenden Faktoren im konkreten Fall als „nicht berechenbar“ bezeichnen.527 Gleichwohl ist in der auf dem Gefährdungsschaden beruhende grundsätzliche Annahme der Möglichkeit eines Vermögensschadens, trotz fehlender „Berechenbarkeit“ im vorliegenden Fall, keinesfalls eine dogmatische Aushöhlung des Betrugstatbestandes zu sehen, die sich aus dem vorherrschenden „politisch-juristischen Zeitgeist der Prävention“ erklärt. Erst Recht ist der Aussage der Autoren, wonach die fehlende Berechenbarkeit des Schadens ein starkes Indiz für das Fehlen eines solchen darstelle, zu widersprechen.528 Die Immensurabilität resultiert hier vielmehr notwendigerweise aus der Marktorientierung des wirtschaftlichen Vermögensbegriffes – welche die Annahme eines Gefährdungsschadens erst möglich macht – und der darauf basierenden Schadensermittlung. Die Be­ jahung des Tatbestandsmerkmals „Schaden“ sowie seine Quantifizierung im vorliegenden Fall ist notwendigerweise eine Frage der tragfähigen Schätzung der zukünftigen Realisierung einer Gefahr, d. h. der Tragfähigkeit der dabei verwendeten Schätzgrundlagen. dd) Fazit: Immensurabilität als wesentlicher Faktor der Untrennbarkeit zwischen qualitativer Begründung des Tatbestandsmerkmals und quantitativer Ausfüllung der Schadens- bzw. Schuldhöhe Obgleich der BGH in der Leitentscheidung BGHSt 36, 320 genauso wie die einschlägige Rechtsprechung die kategorische Unvereinbarkeit von Schätzung und der qualitativen Begründung eines Tatbestandsmerkmals dem Grunde nach betont, ergab schon eine nähere Betrachtung der oben dargestellten Urteile, dass sich die propagierte Trennung zwischen dem Bestehen des Tatbestandsmerkmals und seiner auf Schätzung beruhenden Quantifizierung hier nicht widerspruchsfrei durchhalten lässt. Die unreflektierte Übertragung der in der „Kassenarzt“-Entscheidung aufgestellten Grundsätze, ausgehend von einer grundverschiedenen wirklichkeitswiderspiegelnden Faktengrundlage, ist herausgestellt worden. Der eine Unzulässigkeit der Übertragung begründende Faktor ist im Wesentlichen in der schätzungsunabhängigen Quantifizierung des Mindestschadens im „Kassenarztfall“ identifiziert worden. Bringt man nun die oben herausgearbeitete Immensurabilität der in den jeweiligen Fallgestaltungen entscheidenden Faktoren in Anschlag, so wird klar, dass eine solche schätzungsunabhängige Quantifizierung des Mindestschadens nicht einfach unterlassen wurde, sondern, anders als im „Kassenarztfall“, schon logisch ausgeschlossen war. Damit ist wiederum die 527  Thielmann / Groß-Bölting / Strauß, 528  Thielmann / Groß-Bölting / Strauß,

HRRS 2010, 38, 39. HRRS 2010, 38, 46.

198

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Immensurabilität als Ursache der Unzulässigkeit der Übertragung der Grundsätze aus der „Kassenarzt-Entscheidung“ identifiziert. Sie bedingt deshalb auch immer die Untrennbarkeit zwischen qualitativer Begründung des Tatbestandsmerkmals (Schaden bzw. Missbrauch) dem Grunde nach und der Quantifizierung des Schadens bez. der Schuld. Ob dies auch die Unvereinbarkeit mit den Grundsätzen des Strafprozessrechtes bedeutet, soll im weiteren Verlauf der Arbeit untersucht werden. b) Die Vereinbarkeit der Schätzung mit den Grundsätzen des Strafprozessrechtes unter dem Gesichtspunkt der Immensurabilität bzw. der speziellen Charakteristika der Kategorie  1 aa) Grundsatz der richterlichen Überzeugung nach § 261 StPO (1) D  ie Reduktion der Anforderungen an die richterliche Überzeugung vor dem Hintergrund der Immensurabilität Ist somit dargelegt worden, dass der Verfasser die Schätzung für im Allgemeinen nicht vereinbar mit dem Grundsatz der tatrichterlichen Überzeugung nach § 261 StPO hält, stellt sich im nächsten Schritt die Frage, ob sich dieser Befund auch für die hier der Kategorie 1 zugeordneten Schätzungen un­ ermesslicher Faktoren bestätigt. Insbesondere die vieldiskutierten Entscheidungen „Rheinausbau I und II“ bedürfen hier nochmals einer genaueren Betrachtung. Der Umgang mit dieser Entscheidung und die Diskussion darüber stellen sich nach Ansicht des Verfassers als beispielhaft für das hier erörterte Problem dar. Der im Schrifttum mehrheitlich gegen die Rechtsprechung des BGH vorgetragene Einwand besteht in der „mangelnden Beweisbarkeit“529 des Vermögensschadens. Insbesondere die Ausführungen Hassemers sind beispielhaft für den Umgang des Schrifttums mit den vom BGH aufgestellten Grundsätzen zum Submissionsbetrug.530 Hier heißt es: „Der Senat sieht sich, angesichts dieser Beziehung von Markt und Preis, einer präzisen begrifflichen Definition des hypothetischen Marktpreises sowie einer genauen Bestimmung für eine Feststellung dieser Größe enthoben. Er hält nämlich das zentrale Problem (die Feststellung eines Vermögensschadens) vor allem für eine Sache der tatrichterlichen Beweiswürdigung des Einzelfalles. Auf diese Weise wird das Problem einer genauen rechtlichen Bestimmung des Vermögensschadens (Entweder – Oder) verschoben in unscharfe tatrichterliche Erwägungen […]. Der 529  Jaath, FS-Schäfer, S. 89; 108; Hassemer, JuS 1992, S. 616; anders etwa: Baumann, NJW 1992, S. 1661; 1664. 530  Hassemer, JuS 1992, S. 616; 617.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis199 Senat hält nämlich die Überzeugung des Tatrichters auf der Grundlage von Indi­ zien, aus denen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ergibt, dass der Auftraggeber ohne die Absprache und die Täuschung des Auftragnehmers ein nur geringeres Entgelt hätte versprechen und zahlen müssen, für ausreichend.“

Die Ausführungen des BGH sind, wie bereits oben angedeutet, in der Tat z. T. kritikwürdig. Sie erklären sich jedoch – dies wird im Schrifttum durchweg übersehen – aus der Logik der vom BGH im „Kassenarztfall“ aufgestellten und auf die vorliegende Entscheidung – unzulässigerweise – übertragenen Grundsätze heraus. Denn der BGH geht hier vom Topos der Trennung zwischen – der hier auf Indizien beruhenden – richterlichen Überzeugung über das Vorliegen eines Vermögensschadens auf der ersten, und von der schätzungsweisen Bestimmung der Schadenshöhe bzw. Schuldhöhe auf der zweiten Stufe aus, wobei also im ersten Schritt die Überzeugung von Vorliegen des Tatbestandsmerkmals dem Grunde nach, und erst im zweiten Schritt seine Quantifizierung erfolgen soll. Soweit Hassemer also ausführt, der BGH verschiebe das Problem der rechtlichen Feststellung des Tatbestandsmerkmals „Vermögensschaden“ in unscharfe tatrichterliche Erwägungen und erachte allein die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit eines solchen als ausreichend, ist dem aus der Logik der „Kassenarztentscheidung“ heraus nicht vollumfänglich zuzustimmen. Tatsächlich geht der BGH vom Bestehen der Möglichkeit voller tatrichterlicher Überzeugung bezüglich der Frage aus, ob der Zuschlagspreis den Marktpreis überschreitet und somit ein Vermögensschaden vorliegt. Erst im nächsten Schritt soll lediglich die Schadens- und Schuldhöhe geschätzt werden. Ist damit in der Logik der „Kassenarztentscheidung“ der Leseschlüssel zum Verständnis des Vorgehens des BGH identifiziert, so bedeutet dies keinesfalls auch die Billigung dieses Vorgehens durch den Verfasser. Denn die vom BGH propagierte strikte Trennung zwischen beiden Ebenen kann, wie bereits oben dargestellt, nicht widerspruchsfrei durchgehalten werden. Vielmehr bedingt die Notwendigkeit der Operationalisierung des Tatbestandsmerkmals „Schaden“ durch Quantifizierung faktischer Gegebenheiten die untrennbare Verknüpfung der Schätzung der Schadenshöhe mit dem Tatbestandsmerkmals dem Grunde nach. Weiter bestünden Hassemer zufolge Anzeichen dafür, dass höchstrichterliche Strafrechtsprechung und Literatur in Konstellationen wie der vorliegenden von der präzisen Feststellung von Einzelheiten abzusehen bereit seien.531 Als entsprechendes Beispiel aus der Rechtsprechung nennt er die „Leder-

531  Hassemer,

JuS 1992, S. 616; so auch: Lüderssen, wistra 1995, S. 243, 249.

200

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

spray-Entscheidung“ des BGH zur strafrechtlichen Produkthaftung.532 Hier habe der 2. Strafsenat einen „Ursachenzusammenhang als hinreichend akzeptiert, in welchem zwar andere in Betracht kommende Schadensursachen ausgeschlossen, nicht aber die Substanzen festgestellt waren, welche konkret zur fraglichen Verletzung geführt hatten.“

Es heißt weiter: „In derselben Manier könnte man auch bei Submissionsabsprachen auf die präzise Ermittlung des hypothetischen Marktpreises verzichten und argumentieren, diese müsse man – angesichts der strategischen Manipulation der Bieterkartelle – jedenfalls niedriger als das reale Angebot ansetzen.“

Diese Ausführungen – insbesondere in Gestalt des hier verwendeten Beispiels – illustrieren nach Ansicht des Verfassers besonders deutlich die Verkennung des eigentlich kernhaften Elementes der vorliegenden Fallgestaltung durch Literatur und Rechtsprechung. Denn in der beispielhaft zitierten „Lederspray-Entscheidung“ des 2. Strafsenats des BGH geht es primär um ein Beweisproblem, genauer gesagt, um die praktischen Probleme bei der theoretisch möglichen Isolierung einer bestimmten Substanz, nicht hingegen um die schon theoretische Unmöglichkeit der Feststellung des fragliche Faktors mit anderen Worten dessen Immensurabilität – ein Faktum, das weder von Literatur noch Rechtsprechung in ausreichendem Maße betont wird. Insofern ist es schon sprachlich und denklogisch verfehlt, vom „Verzicht der präzisen Ermittlung des hypothetischen Marktpreises“ zu sprechen. Auf die Widersprüchlichkeit des Begriffspaars, bestehend aus den Substantiven Ermittlung bzw. Feststellung einerseits, und des Adjektivs hypothetisch andererseits, ist bereits hingewiesen worden. Es gilt ferner herauszustellen, dass auf eine solche Ermittlung nicht „verzichtet“ worden ist. Der Verzicht setzt schon begriffslogisch die entsprechende Handlungsmöglichkeit voraus; aber eine solche besteht vorliegend gerade nicht.533 Stellt man also die Immensurabilität des entsprechenden Faktors in den Mittelpunkt der Betrachtung, so ergeben sich nach der hier vertretenen Auffassung weitreichende Implikationen für das Verhältnis einer derartigen Schätzung zu den Grundsätzen des Strafprozessrechtes. So ist Bezugspunkt der richterlichen Überzeugung nach § 261 StPO die Wirklichkeit, mithin der tatsächliche historische Vorgang. Die in § 244 II StPO kodifizierte Amtsaufklärungspflicht erhebt die Ermittlung der materiellen Wahrheit i. S. d. Korres­ pondenztheorie zur zentralen Zielvorgabe des Strafprozesses. Diesem An532  BGH

Urt. v. 06.07.1990 – 2 StR 549 / 89. der von Zopfs, in dubio pro reo, S. 295, in diesem Zusammenhang verwendete Begriff der „geborenen Beweisschwierigkeit“ stellt letztlich keine adäquate Umschreibung eines Phänomens dar das letztlich in einer Beweisunmöglichkeit besteht. 533  Auch



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis201

spruch ist Genüge getan, wenn die dem Urteil zugrundeliegende richterliche Überzeugung der Wirklichkeit entspricht. Die Immensurabilität eines Faktors ist hingegen gleichbedeutend mit dem Fehlen einer entsprechenden genauen Bezugsgröße in der Wirklichkeit. Daraus ergibt sich zwangsweise der zumindest teilweise Fiktionscharakter des entsprechenden Faktors. Dementsprechend erscheint es verfehlt, das Problem dieser Fallgestaltungen – etwa in Fällen des Submissionsbetruges – als eines der Beweisbarkeit zu bezeichnen und zu behandeln. Dass es sich in den der Kategorie 1 zugeordneten Fallgestaltungen um Konstellationen aus dem Bereich des Wirtschaftsstrafrechtes handelt, dürfte kaum dem Zufall geschuldet sein. Tatsächlich geht mit der sukzessiven Ausweitung des Geltungsbereiches des Strafrechtes auf immer neue und komplexere Bereiche lebensweltlicher Realität – insbesondere denen des Wirtschaftssystems mit seinen z. T. schwer fassbaren und volatilen Größen – wohl eine immer stärkere Notwendigkeit der Einbeziehung des „Unermesslichen“534 einher. Immensurable Faktoren sind dem Beweis aber, ihrer Natur entsprechend, nicht zugänglich. Naturgemäß kommt hier lediglich eine Annäherung, nicht hingegen eine Feststellung in Betracht. Dementsprechend kann die von § 261 StPO geforderte und auf die Wirklichkeit bezogene, volle subjektive Überzeugung des Tatrichters vom Vorliegen entsprechender Faktoren ebenfalls schon denklogisch nicht bestehen. Dies muss aber unter dem Gesichtspunkt des § 261 StPO keinesfalls zu einer kategorischen Unmöglichkeit der Verurteilung führen. Geht man vom Postulat der Rationalität in § 261 StPO aus, so drängt sich nach hier vertretener Auffassung vielmehr der gegenteilige Befund auf. Denn verlangt das Gesetz, wie in den hier dargestellten Fällen des Betruges und der Untreue, die Einbeziehung von Faktoren, deren genaue Feststellung schon ihrer Natur entsprechend nicht möglich ist, weil eine konkrete Bemessungsgröße fehlt, so ergibt sich aus dem in § 261 StPO angelegten Postulat der Logik und Rationalität zwangsweise eine Reduktion der an die richterliche Überzeugung bestehenden Anforderungen. Diese ist – in Anbetracht des Fehlens eines feststellbaren konkreten Zustandes bzw. eines bestimmten historischen Sachverhaltes in der Wirklichkeit – folglich in der Gestalt einer Überzeugung vom Vorliegen konkreter Umstände der Wirklichkeit nicht länger sinnfällig. Sie reduziert sich schon aus der Logik des § 261 StPO heraus notwendigerweise auf die tatrichterliche Überzeugung von der im Einzelfall höchsten ermittelbaren Wahrscheinlichkeit. Ist somit im ersten Schritt die Notwendigkeit und logische Konsistenz einer Reduktion der Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugung für die 534  Fischer,

StraFo 2012, S. 429, 431.

202

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Fallgestaltungen der Kategorie 1 dargelegt, so bedarf es im zweiten Schritt eines Blickes auf die Methode zur Gewinnung eines entsprechenden Wahrscheinlichkeitswertes. Als solche kommt hier aufgrund der bereits theoretischen Unmöglichkeit einer Messung des entsprechenden Faktors allein die Schätzung in Betracht. Nach der hier vertretenen Auffassung wird, wie bereits oben dargestellt, davon ausgegangen, dass die Schätzung grundsätzlich nicht geeignet ist, einen konkreten Sachverhalt zur Überzeugung des Individuums abzubilden. Sie erreicht stets nur ein für den jeweiligen Fall ausreichendes Maß an Ungenauigkeit. Ist man jedoch mit der schon theoretischen Unmöglichkeit der präzisen Feststellung entsprechender Faktoren konfrontiert, so wird klar, dass der durch die – korrekt durchgeführte – Schätzung erreichte Wahrscheinlichkeitsbereich bzw. Wahrscheinlichkeitspunktwert den höchst-möglichen Grad an erreichbarer Akkuratesse darstellt. Auf eine Abweichung nach oben oder unten kann es schon insofern nicht ankommen, als dass ein unter diesen Gesichtspunkten gewonnener Annäherungswert sich – in Ermangelung eines konkreten lebenswirklichen Korrelates – nicht in Kategorien von „wahr“ und „unwahr“ (i. S. v. der Wirklichkeit entsprechend), sondern lediglich in solchen von mehr oder weniger wahrscheinlich messen lässt. Dementsprechend stellt sich das mit der Schätzung verbundene, oben mit dem Begriff der „äußeren Rationalität“ bezeichnete Problem des deduktiven Schlusses von Schätzung auf konkrete Umstände der Wirklichkeit in den Fallgestaltungen der Kategorie  1 nicht. Ausreichendes Qualitätskriterium der durch den ­Richter vorzunehmenden Annäherung ist somit die „innere Rationalität“ der Schätzung. Die von Krause aufgeworfene Frage nach dem Bestehen einer „quantité negligeable“ im Strafprozess535 kann folglich, unter Verweis auf die hier der Kategorie 1 unterstellten Fallgestaltungen, mit ja beantwortet werden. Obgleich sich die obenstehenden Ausführungen am Beispiel der Entscheidung BGHSt 38, 186 orientieren, ist ihre Legitimität keinesfalls auf diese Fallgestaltung beschränkt. Tatsächlich gilt das Gesagte in mindestens gleichem Maße für die anderen beiden, der Kategorie 1 zugeordneten Entscheidungen. So etwa für das oben dargestellte Urteil zum Missbrauchstatbestand. Mehr noch, kann darin auch eine Bestätigung der hier dargestellten Annahmen des Verfassers gesehen werden. Im Unterschied zum Submissionsbetrug in den Entscheidungen „Arbeitsgemeinschaft Rheinausbau I und II“ wird die (künstliche) Trennung zwischen Tatbestandsmerkmal und Schadens- bzw. Schuldhöhe hier vom BGH nicht vorgenommen. Allzu evident ist wohl die zwingende Notwendigkeit der Operationalisierung des normativen Tatbestandsmerkmales „Missbrauchs“ durch Quantifizierung des Verkaufswertes. 535  Krause,

StraFo 2003, S. 249.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis203

Gleichwohl würde es wohl niemandem einfallen, die „Beweisbarkeit“ des Missbrauchstatbestandes auf Grund der volatilen Natur der diesbezüglich zu quantifizierenden faktischen Gegebenheiten anzuzweifeln. Wenngleich auch hier die Immensurabilität der wertbildenden Faktoren weder von der Rechtsprechung, noch vom Schrifttum in ausreichender Deutlichkeit hervorgehoben wird, ist jedoch klar, dass eine Quantifizierung aufgrund des Fehlens konkreter Bewertungskriterien in der Wirklichkeit hier allein in Form der Annäherung, folglich durch – ggf. sachverständig beratene – (Ein-)Schätzung des Richters erfolgen kann. Gleiches gilt für den „Al-Qaida“-Fall. Der einzige Unterschied besteht in der zeitlichen Zuordnung der ausschlaggebenden Faktoren. Sowohl in der Submissionsbetrugsentscheidung, als auch bezüglich des Missbrauchstatbestandes geht es um die Aufklärung vergangener Vorgänge. Wo auf Grundlage des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs im ausschlaggebenden Zeitpunkt Betrachtungen zukünftig zu erwartender Ereignisse für die Annahme des Bestehens des Tatbestandsmerkmals „Schaden“ sowie der Schadenshöhe notwendig sind, erlangen naturgemäß immensurable Faktoren unmittelbare Bedeutung für die Frage des Bestehens der Schuld und ihrer Quantifizierung. Die Immensurabilität ist hier also erst durch die zeitliche Zuordnung bedingt. Die dabei anzustellende Prognose kann mangels präzise messbarer Größen in der Gegenwart niemals zur – intersubjektiv nachvollziehbar gemachten – Überzeugung des Richters vom Vorliegen eines bestimmten Zustandes, sondern stets nur zur Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit eines Faktors führen. Somit ist zu konstatieren, dass sich das Vorgehen des BGH – soweit dieser etwa zur Festlegung des hypothetischen Marktpreises beim Submissionsbetrug auf eine Schätzung abstellt – nach der hier vertretenen Auffassung unter dem Gesichtspunkt des § 261 StPO als zumindest im Ergebnis teilweise richtig darstellt. Dies beruht seitens des BGH freilich nicht auf der Einsicht in die Immensurabilität des fraglichen Faktors, sondern auf der unzulässigen Übertragung der Grundsätze der „Kassenarzt“-Entscheidung, mithin der – unter logischen Gesichtspunkten kaum aufrechtzuhaltenden – Trennung zwischen Tatbestandsmerkmal des Vermögensschadens und seiner Quantifizierung, wodurch wohl gerade die (faktisch unumgängliche) Schätzung des Tatbestandsmerkmales kaschiert werden soll. Erkennt man die Immensurabilität des fraglichen Faktors als entscheidendes Element der hier untersuchten Fallgruppe, so ist nach den oben dargestellten Grundsätzen auch die vom BGH vorgenommene Trennung bedeutungslos. Die Immensurabilität der entsprechenden Faktoren und die darauf beruhende Reduktion der Anforderungen an § 261 StPO muss folgerichtig auch für Faktoren gelten, die unmittelbare Relevanz für das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals dem Grunde nach entfalten.

204

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Zumindest soweit es die Fallgestaltung des Submissionsbetruges betrifft, sei abschließend darauf hingewiesen, dass die praktische Relevanz des hier beschriebenen Problems mit der Einführung des § 298 StGB im Rahmen des Korruptionsbekämpfungsgesetzes aus dem Jahre 1997 freilich kaum noch vorhanden ist. Ein Unterschied in der Sache, zwischen einem auf das Erfordernis des Vermögensschadens verzichtenden, speziellen Betrugstatbestand der wettbewerbsbeschränkenden Absprache bei Ausschreibungen und einer für immensurable Faktoren geltenden Reduktion der Anforderungen an die richterliche Überzeugung besteht nach Ansicht des Verfassers kaum. Zwar ließe sich dagegen einwenden, dass es sich bei § 298 StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt zum Schutz überindividueller Rechtsgüter handelt, auffällig ist jedoch gleichwohl, dass §§ 263 und 298 StGB mit dem identischen Strafrahmen ausgestattet sind. (2) Anforderungen an die Tragfähigkeit der Schätzung Methodisch handelt es sich demnach weniger um eine „Feststellung“, als um eine „Festlegung“ durch den Richter. Dabei kann logische Konsequenz der Immensurabilität jedoch keinesfalls die richterliche Willkür sein, ist doch Ziel der Schätzung die möglichst akkurate Annäherung an die Wirklichkeit aufgrund einer – intersubjektiv nachvollziehbaren – subjektiven Wahrscheinlichkeitsüberzeugung des Richters. Grundvoraussetzung einer jeden Schätzung muss deshalb stets das Bestehen einer hinreichenden Tatsachengrundlage sein. Es stellt sich somit die Frage, wann Schätzgrundlagen als tragfähig angesehen werden können. Wie bereits dargestellt, lässt sich der Rechtsprechung des BGH hier kaum eine klare Tendenz entnehmen. Die Bandbreite der diesbezüglichen Aussagen in der Rechtsprechung reicht von äußerst ­vagen und z. T. widersprüchlichen (und deshalb auch zu Recht vom BVerfG monierten) Angaben im „Al-Qaida“-Fall bis hin zu verhältnismäßig substantiierten Angaben im Sinne eines „durch Hochrechnung untermauerten Ergebnisses von Zeugenvernehmungen“536 im „Kassenarztfall“. Auch aus dem Schrifttum ist kein hinreichender Versuch der Ausarbeitung abstrakter Mindestkriterien bekannt. Stattdessen begnügt man sich auch hier meist mit der Wiederholung verschiedener „Leerformeln“, etwa von der Unzulässigkeit „allgemeiner Überlegungen im luftleeren Raum“537 oder der „Tragfähigkeit der Parameter einer Schätzgrundlage.“538 Ist wie in den hier dargestellten Fällen der Kategorie 1 Ziel der richter­ lichen Überzeugungsbildung eine bestmögliche Annäherung an eine Größe 536  BGHSt

36, 320, 322. wistra 2013, 1, 3. 538  So etwa: Julius, in: Heidelberger Kommentar, § 261 Rn. 40. 537  Bittmann,



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis205

ohne Wirklichkeitskorrelat, so kann Mindestkriterium eines entsprechenden richterlichen Schätzvorganges nur die weitest mögliche Einbeziehung konkreter und messbarer Grundlagen sein. Zu verlangen ist also die Einbeziehung aller relevanten feststellbaren, wirklichkeitswiderspiegelnden Befunde in die Schätzgrundlage. Eine willkürfreie „Festlegung“ der gesuchten, zumindest partiell fiktionalen Größe setzt auf Ebene der tatsächlichen Grundlagen deshalb voraus, dass diese nicht ebenfalls fiktionalen Charakter aufweisen, um zu gewährleisten, dass darauf aufbauende Schätzung sich als Extrapolation wirklichkeitswiderspiegelnder, den Mitteln des Strengbeweis zugänglicher und für den Untersuchungsgegenstand relevanter Fakten darstellt. Vor dem Hintergrund der Unmöglichkeit der genauen Feststellung eines entsprechenden Wirklichkeitszustandes und in Anbetracht des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes539 in der Hauptverhandlung ist in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 244 III S. 2 2. Var. StPO davon auszugehen, dass die Schätzung keinesfalls unter Einbeziehung aller nur irgendwie denkbarer wirklichkeitswiderspiegelnder Fakten geschehen muss, sondern bereits als tragfähig gelten kann, wenn die für eine möglichst genaue Annäherung an die Wirklichkeit wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Freilich wird der Richter (gerade im Bereich des Wirtschaftsstrafrechtes) auf deskriptiver Ebene bezüglich der Auswahl entsprechender, die Schätzgrundlage bildender Fakten – also letztlich das Verhältnis zwischen Stichprobe und Aussagekraft – häufig auf sachverständige Beratung angewiesen sein.540 Dementsprechend befasst sich der Beschluss des BGH zur Schätzung im Zusammenhang mit dem Missbrauchstatbestand auch explizit mit der Frage der zu berücksichtigenden Ausgangsfaktoren bei der Bewertung eines Risikogeschäftes. Als solche werden hier etwa Faktoren wie der Wert der Rohstoffe und ihr Standort, die Bonität der Kunden sowie deren ausdrückliches Verlangen nach pünktlicher und mangelfreier Lieferung der Waren und die Produktionskapazitäten der A-GmbH als ausreichend erachtet, während der BGH eine weitergehende Spezifizierung der genauen Lagerumstände oder des Kundenverhaltens für nicht notwendig hält. Im Falle der Entscheidung zum Submissionsbetrug müssten für eine tragfähige Schätzung des Marktwertes der ausgeschriebenen Leistungen mindestens Faktoren wie der festgestellte Nullpreisbetrag, die vereinbarten Präferenzzahlungen sowie eventuelle Ansatzpunkte dafür, dass ein unter dem Nullpreisniveau bleibender Betrag gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 2VOB / A in offenbarem Missverhältnis zur Leistung steht, Berücksichtigung finden. Auf Basis dieser oder ähnlicher faktischer Grundlagen wird es dem Richter wohl regelmäßig möglich sein, eine selbst539  BGH

NStZ-RR 1996, 334; Meyer-Goßner, StPO, § 244 Rn. 54. wistra 2013, 1, 5.

540  Bittmann,

206

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

ständige Schätzung – unter Darstellung und Nachvollziehbarmachung der gewählten Schätzmethode im Urteil – durchzuführen. Als etwas anders stellt sich die Sachlage im „Al-Qaida“-Fall dar. Das BVerfG, das die Möglichkeit der Schadensschätzung zunächst für grundsätzlich verfassungskonform erklärt hatte, betont jedoch gleichzeitig, dass es vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebotes einer ­genauen Beschreibung und Bezifferung des Vermögensschadens bedarf. Da die Schadenshöhe entscheidend von der Wahrscheinlichkeit bzw. dem Risiko des zukünftigen Verlustes abhängt, setzt die Bestimmung eines Mindestschadens die tragfähige Einschätzung der Verlustwahrscheinlichkeit voraus. Das BVerfG kritisiert hier also ausdrücklich, dass der BGH Einlassungen bezüglich der Frage vermissen lasse, „inwiefern tragfähig geschätzt werden kann, wie hoch zum Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse die Wahrscheinlichkeit war, dass die Täter ihren Tatplan ausführen und die Versicherungsleistung später tatsächlich an sie ausgezahlt werden würde.“541

Dies setzt nach Ansicht des Verfassers in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem ein Lebensversicherungsvertrag – also ein Risikogeschäft – abgeschlossen wird, zunächst einmal in deskriptiver Hinsicht voraus, dass vertragsimmanente von täuschungsbedingten Risiken isoliert und die für und gegen den Eintritt des täuschungsbedingten Risikos sprechenden Faktoren dargestellt werden. Bei diesen handelt es sich nach hier vertretener Ansicht neben der Tatsache, dass der Angeklagte schon kurz vor der Ausreise nach Ägypten stand, dass schon konkrete Vorbereitungen begonnen hatten, dass Komplikationen existierten, mit denen sich die Versicherung bei der Verifikation der ausländischen Dokumente konfrontiert sah, insbesondere auch um den Umstand, dass die Angeklagten während der gesamten Dauer der Vorbereitung und Ausführung bereits unter kontinuierlicher polizeilicher Beobachtung standen; hinzu kam, dass die Polizei auch schon gegenüber einigen Versicherern informierend aktiv geworden war, so dass diese eine Weiterbearbeitung der Anträge auf Abschluss einer Lebensversicherung z. T. eingestellt hatten und so insgesamt bezweifelt werden kann, ob es zu einer Realisierung der Gefahr tatsächlich gekommen wäre.542 Bei Ausklammern dieses konkret wirklichkeitsabbildenden und dem Strengbeweis zugänglichen Faktums kann von einer tragfähigen Schätzgrundlage nach Ansicht des Verfassers schon nicht die Rede sein. Mit der Frage der für die Leistungswahrscheinlichkeit erheblichen Grundannahmen nicht deckungsgleich ist die Frage der tragfähigen Schätzung der Leistungswahrscheinlichkeit aufgrund dieser Kriterien. Bereits in grundsätz541  BVerfG, 542  So

NJW 2012, S. 907, 917. auch Joecks, wistra 2010, 179, 180; Saliger, FS-Samson, S. 4555, 478.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis207

licher Hinsicht wird die Umsetzbarkeit der Anforderungen des verfassungsrechtlichen Verdiktes – insbesondere hinsichtlich der Schadensbezifferung – trotz Schätzungsmöglichkeit für Fälle des Gefährdungsschadens im Schrifttum sehr divergent beantwortet. Hinrichs zufolge handelt es sich hierbei um eine „kaum zu bewältigende Kalamität.“543 Peglau hingegen sieht keinerlei Probleme.544 Einige Autoren betonen diesbezüglich stark die deskriptive Ebene des Vermögensschadens545 bzw. lassen, wie Becker, in Einzelfällen unter gänzlichem Verzicht auf eine genaue Bezifferung die bloße Beschreibung der Vermögenseinbuße genügen.546 Dies gilt vor dem Hintergrund des völligen Fehlens anerkannter Bewertungsmethoden für das täuschungsbedingte Risikoungleichgewicht (als Ausdruck des Vermögensschadens) im besonderen Maße für die hier vorliegende Konstellation des Versicherungsbetruges. Insbesondere, ob die Grundsätze des Bilanzwesens hier fruchtbar gemacht werden können, ist umstritten. Diese wohl besonders auf Hefendehl zurückgehende Auffassung547 war in der grundlegenden Untreueentscheidung vom BVerfG explizit aufgegriffen worden. Die Bewertungsmaßstäbe des Bilanzrechtes würden sich für eine Bewertung nach wirtschaftlichen Kriterien anbieten und seien „normativ sicher und damit für den Bürger vorhersehbar.“548 Ob dies tatsächlich zutrifft, scheint im Schrifttum gleichermaßen zustimmend und ablehnend bewertet zu werden. Insbesondere Hefendehl verweist auf die Nützlichkeit des Bilanzrechtes als heuristischem Hilfsmittel zur Präzisierung der Grenze zwischen Schaden und Nichtschaden im Zusammenhang mit dem „Phänomen der schädigenden Vermögensgefährdung“.549 Das Bilanzrecht sei sogar sedes materiae für die Beurteilung wirtschaftlich ungewisser Situationen. Entsprechende betriebswirtschaftliche Prognosemethoden stellten Erfahrungswerte dar, die zur Beantwortung der Frage der Überschreitung der Schwelle der Tatbestandsmäßigkeit herangezogen werden könnten. Allerdings bestehen auch gewichtige Einwände bezüglich der Tauglichkeit der Bilanzierungsvorschriften als Grundlage einer tragfähigen Schätzung im vorliegenden Fall. Joecks verweist darauf, dass in Bezug auf erschlichene 543  Hinrichs, Zur Untreuestrafbarkeit gemeindlicher Vertreter S. 161; ders., wistra 2013, S. 161, 165. 544  Peglau, wistra 2012, 368, 370. 545  Bittmann, wistra 2013, 1,5. 546  Becker, JR 2012, 82 ff. 547  Hefendehl, in: MüKo, § 263 Rn. 543  ff.; ebenso Tiedemann, in: LK, § 263 Rn. 172. 548  BVerfGE 126, 170, 211 f., 222 ff. 549  Hefendehl, FS-Samson, S. 295, 301.

208

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Lebensversicherungen „kein Wirtschaftsprüfer eine Einzelwertberichtigung bzw. Rückstellung akzeptieren würde.“550 Er macht darauf aufmerksam, dass die für die Bildung von Rückstellungen für Versicherungsunternehmen einschlägigen Vorschriften §§ 341e ff. HGB zu entnehmen sind. Nach § 341e II Nr. 3 HGB sind hierbei grundsätzlich auch drohende Verluste aus dem Ver­ sicherungsgeschäft berücksichtigungsfähig. Bei deren Bildung seinen jedoch die Prinzipien des Risikokollektives zu berücksichtigen. Grundprinzip der Versicherungswirtschaft sei, dass der Versicherungsbestand stets auch verlustbringende Verträge enthalte, die von der Gefahrengemeinschaft getragen und erst durch Kombination mit gewinnbringenden Verträgen für das Unternehmen finanziell tragbar würden. Eine Drohverlustrückstellung könne deshalb erst vorgenommen werden, wenn das Risikokollektiv als Ganzes verlustträchtig werde.551 Ähnlich, wenngleich auf die allgemeinen Vorschriften rekurrierend, argumentiert Kraatz, wenn er darauf hinweist, dass die Bildung einer Drohverlustrückstellung hier gemäß § 249 I S. 1 HGB nur auf Grundlage konkreter Anzeichen für die Wahrscheinlichkeit eines bevorstehenden Verlustes gebildet werden darf und so die Vermutung, dass sich synallagmatische Rechte und Vertragspflichten wertmäßig gegenseitig ausgleichen und schwebende Geschäfte nicht zu bilanzieren sind, widerlegt werden kann.552 Um eine Rückstellung zu bilden, trage der Bilanzierende die Pflicht zur Darlegung und Glaubhaftmachung derjenigen Umstände, aus denen sich die Verlustwahrscheinlichkeit ergibt. Deren Kenntnis schließe jedoch gleichzeitig das Bestehen eines täuschungsbedingten Irrtums aus, weshalb die Bilanzvorschriften auf den Eingehungsbetrug nicht übertragbar seien. Auch eine „strafrechtliche Einfärbung“ der Bilanzierungsvorschriften, im Sinne eines Verzichtes auf die Kenntniserlangung, hält Kraatz im vorliegenden Fall nicht für zielführend, denn eine Rückstellung bedürfe hier stets noch der wertmäßigen Präzisierung, wobei dem Bilanzierenden jedoch ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt sei, der lediglich willkürfrei sein müsse.553 Insbesondere zur Klärung der kernhaften, vom BVerfG betonten Frage nach der tragfähigen Schätzung der Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme der Lebensversicherung zur Ermöglichung der aus verfassungsrechtlicher Sicht notwendigen Abgrenzung zwischen schadenskonstituierender Gefähr550  Joecks,

FS-Samson, 355, 372. FS-Samson, 355, 369 mit Verweis auf Wiedemann, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 341e Rn. 57; Hommel / Benkel, in: MüKo-HGB, § 341e Rn. 70; ebenso Kraatz, JR 2012, S. 329, 334. 552  Kraatz, JR 2012, 329, 334 mit Verweis auf: Hoyos / Ring, in: Beck’scher BilanzKommentar, § 249 Rn. 60; Wiedemann, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 249 Rn. 55; Hommel / Benkel, in: MüKo-HGB, § 341e Rn. 67. 553  Kraatz, JR 2012, 329, 334 mit Verweis auf Winkeljohann / Geißler, in: Beck’­ scher Bilanz-Kommentar, § 252 Rn. 32. 551  Joecks,



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis209

dung und bloßer Möglichkeit des Schadenseintritts kann damit nach Ansicht des Verfassers kein dezisiver Beitrag geleistet werden. Es zeigt sich vielmehr, dass auch die Tauglichkeit des Bilanzrechtes als Mittel der tragfähigen Schätzung mit grundlegenden Zweifeln behaftet ist. Insofern scheint die von Kraatz geäußerte Befürchtung, dass die Annahme eines Eingehungsbetruges aufgrund des Fehlens adäquater Bewertungskriterien in einem Fall wie dem vorliegenden wohl ausscheiden muss, nicht ganz unbegründet zu sein.554 bb) Amtsermittlungsgrundsatz § 244 II StPO Der sich aus der Klassifizierung als immensurabel für die Frage der richterlichen Überzeugung ergebende Befund überträgt sich auch auf den in § 244 II StPO kodifizierten Amtsermittlungsgrundsatz, statuiert dieser doch die Pflicht des Richters, alle zur Ergründung der materiellen Wahrheit notwendigen Beweismittel selbstständig zu erheben. Wird unter dem Begriff der Wahrheit das Verhältnis einer Aussage zur Wirklichkeit verstanden, so kann, in Ermangelung eines präzise feststellbaren Wirklichkeitszustandes, auch § 244 II StPO nur die Pflicht zur Annäherung an die Wahrheit statuieren. Die Schätzung harmoniert also in den Fällen der ersten Kategorie nicht nur mit dem Aufklärungsgrundsatz; da es sich in diesem Bereich bei der Schätzung nicht nur um eine taugliche, sondern auch um die einzig verfügbare Methode zur Gewinnung eines entsprechenden Annäherungswertes handelt, ist unter dem Gesichtspunkt der Amtsaufklärungsflicht konsequenterweise auch von der Pflicht des Tatrichters zur Durchführung der – auf tragfähiger Grundlage beruhenden – Schätzung auszugehen. Auch die Frage der Tragfähigkeit entsprechender Schätzgrundlagen weist eine enge Verknüpfung mit § 244 II StPO auf. In Bezug auf die Ablehnung entsprechender Beweisanträge gilt § 244 III–VI StPO entsprechend. cc) Zweifelsgrundsatz und Fair-Trial-Prinzip Ähnlich verhält es sich mit dem Zweifelsgrundsatz. Anders als im Anwendungsbereich der gesetzlich normierten Schätzklauseln des Sanktionenrechts bejaht die h. M. eine Anwendbarkeit des Zweifelsgrundsatzes auf das Schätz­ ergebnis.555 Zunächst handelt es sich bei allen im Rahmen der Kategorie 1 554  Kraatz, JR 2012, S. 329, 335; für den Bereich des täuschungsbedingten Abschlusses von Versicherungsverträgen zustimmend: Bittmann, wistra 2013, S. 449, 451. 555  Anstatt vieler zusammenfassend: Schäfer / Sander / Van Gemmeren, Strafzumessung, S. 388.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

diskutierten Faktoren um solche, die als unmittelbare Grundlage einer für den Angeklagten negativen Statusveränderung fungieren, weshalb der grundsätzliche Anwendungsbereich des Zweifelsgrundsatzes eröffnet ist. Weiter setzt die Anwendbarkeit des Zweifelsgrundsatzes das Vorliegen eines relevanten Zweifels voraus. Allein daraus, dass die Schätzung nach der hier vertretenen Auffassung schlechthin nicht zu einer Überzeugung vom Bestehen eines bestimmten Wirklichkeitszustandes führen kann, sondern lediglich eine Wahrscheinlichkeitsaussage ermöglicht, resultiert im Geltungsbereich der Kategorie 1 noch nicht automatisch das Bestehen eines relevanten Zweifels. Denn tritt nach der hier vertretenen Auffassung wie oben dargestellt, die Überzeugung von der wahrscheinlichen Übereinstimmung des Schätzergebnisses mit der Wirklichkeit an die Stelle der Überzeugung von der materiellen Wahrheit einer Tatsache, so bleibt für einen relevanten Zweifel (und somit für den Grundsatz „in dubio pro reo“) dort kein Raum, wo ein bestimmter Wahrscheinlichkeitspunkt innerhalb eines Wahrscheinlichkeitsrahmens kulminiert. Diesbezüglich sei etwa auf das Ergebnis der eingangs beispielhaft durchgeführten Maximum-Likelihood-Schätzung verwiesen (siehe Anhang 1). Ergibt sich als Ergebnis einer Schätzung hingegen ein Bereich gleichwertiger Wahrscheinlichkeiten, so ist zunächst aus Sicht des Zweifelssatzes zu konstatieren, dass die ermittelten Tatsachen den Schluss nicht auf lediglich einen, sondern auf die Möglichkeit mehrerer Geschehensabläufe zulassen; mit anderen Worten, die Möglichkeit, dass einer der in diesem gleichwer­ tigen Wahrscheinlichkeitsbereich enthaltenen Werte der Wirklichkeit entspricht, ist für den Richter jeweils exakt gleich überzeugend wie die Möglichkeit eines anderen, in diesem Bereich befindlichen Wertes. Demnach besteht ein den Anwendungsbereich des „in dubio pro reo“-Grundsatzes eröffnender Zweifel. Allerdings wird im Rahmen der ersten Kategorie die Geltung des „in dubio pro reo“-Grundsatzes in diesen Fällen teilweise schon grundsätzlich in Zweifel gezogen. Zopfs etwa argumentiert, für die Anwendung des Zweifelsgrundsatzes sei in dieser Konstellation schon kein Raum, da es sich „hier nicht um solche Zweifel handelt, die trotz aller Bemühungen verbleiben, sondern um solche, die ungeachtet aller Bemühungen von vornherein bestehen.“556 Diese Aussage Zopfs bezieht sich zwar ausdrücklich nur auf die positivrechtlich normierten Schätzklauseln des Sanktionenrechtes, lässt sich jedoch ihrer Struktur nach auf die Schätzung insgesamt verallgemeinern. Die dabei vorgenommene Differenzierung mutet jedoch nach Ansicht des Verfassers rabulistisch an. Diese Argumentation scheint auf der Prämisse zu beruhen, dass im Falle immensurabler Faktoren eine Aufklärungsbemühung im Sinne des § 244 II StPO nicht stattfindet. Nach der hier vertretenen Auf556  Zopfs,

in dubio pro reo, S. 290.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis211

fassung handelt es sich bei der Schätzung im Falle der Immensurabilität jedoch gerade um eine adäquate Bemühung zur Erforschung der Wahrheit. Bedingt die Immensurabilität des fraglichen Faktors die Reduktion der Anforderungen an § 261 StPO auf die Überzeugung von dem höchstmöglichen Wahrscheinlichkeitswert und ergibt die Schätzung jedoch nicht einen Wahrscheinlichkeitspunktwert, sondern einen Bereich gleichwertiger Wahrscheinlichkeiten, so besteht Zweifel lediglich hinsichtlich der Auswahl eines der gleichwertigen aus den Bemühungen hervorgegangenen Wertes. Eine hinreichende Erklärung für die so vorgenommene Differenzierung bleibt Zopfs hier also schuldig. Auch erklärt er nicht, nach welchen Grundsätzen der Tatrichter den entsprechenden Wahrscheinlichkeitswert sonst auszuwählen hat – wenn nicht nach dem Zweifelsgrundsatz. Der Logik seiner Argumentation folgend, bliebe letztlich nur eine willkürliche Entscheidung des Richters ­übrig. Demnach ist der maßgebliche Wahrscheinlichkeitswert für den Fall, dass die Schätzung nicht zu einem bestimmten Punktwert führt, aus Gründen des Zweifelssatzes am unteren Ende dieses Bereiches anzusiedeln. Dabei handelt es sich jeweils um Fragen des Einzelfalles, die sich einer abstrakten Beantwortung entziehen. Aus der Orientierung am höchsten ermittelbaren Wahrscheinlichkeitswert resultiert jedenfalls, dass ein – teilweise von der Rechtsprechung557 und Literatur vorgesehenes – pauschales Abschneiden der durch Schätzung erlangten Wahrscheinlichkeitsergebnisse zugunsten des zahlen­ mäßig niedrigsten Wertes – also des für den Angeklagten günstigsten Ergebnisses – nicht in Frage kommt.558 Selbstverständlich bezieht sich dies ausschließlich auf das Ergebnis der Schätzung, nicht etwa auf deren Schätzgrundlagen. Für die mensurablen, tatsächlichen Grundlagen der Schätzung muss der Zweifelsgrundsatz uneingeschränkte Geltung beanspruchen.559 Weitere Friktionen, etwa mit dem Fair-Trial-Prinzip, sind für die Schätzungen innerhalb der Kategorie 1 nicht ersichtlich. c) Zusammenfassung Kategorie 1 Zusammenfassend lässt sich zunächst konstatieren, dass das Strafrecht sich in bestimmten Konstellationen der Erfassung auch unmessbarer – immensura557  Etwa:

BGH NStZ 1998, 208. Zopfs, in dubio pro reo, S. 291. 559  Bezüglich der Frage der Anwendbarkeit des Zweifelsgrundsatzes auf die einer Schätzung zugrundeliegenden tatsächlichen Grundlagen wird auf den ersten Teil der Arbeit verwiesen. Vgl. Punkt C. I. 5. b) bb). 558  Ebenso:

212

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

bler – Faktoren nicht grundsätzlich entziehen kann. Die gilt einerseits schon vor dem Hintergrund der fortwährenden Ausweitung des Geltungsbereiches des Strafrechtes auf stetig komplexer werdende Aspekte lebensweltlicher ­Realität, die die Operationalisierung von Tatbestandsmerkmalen durch Quantifizierung von Merkmalen erfordert, die sich aus tatsächlichen Gründen einer exakten Feststellung entziehen. Andererseits stellt sich dies schon insofern als systemimmanent dar, als dass eine Ausrichtung der Vermögensdelikte am – marktorientierten – wirtschaftlichen Vermögensbegriff heutzutage als insbesondere von der Rechtsprechung weitgehend anerkannt gelten muss. Dies ist am Beispiel der schadensgleichen konkreten Vermögensgefährdung dargelegt worden. Die Anerkennung dieser Rechtsfigur ist ebenso logische Konsequenz einer wirtschaftlichen Betrachtung des Vermögens- und Schadensbegriffs wie die Anerkennung der Immensurabilität der dabei z. T. entscheidenden Faktoren. Es käme einer Verkürzung der wirtschaftlichen Realität gleich, würde man einen Vermögenswert stets nur nach dem binären Schema von Vollwert und Nullwert betrachten.560 Erkennt man also die Funktionsweise des Marktes als z. T. schadenskonstatierend an, so kann dies logischerweise auch die Notwendigkeit der Einbeziehung grundsätzlich immensurabler – weil etwa in der Zukunft liegender – Faktoren mit sich bringen. Zudem ist die Immensurabilität zentraler Faktoren als zumindest mitursächlicher Umstand für die logische Untrennbarkeit von Schuldumfang bzw. Schadenshöhe und dem Bestehen von Tatbestandsmerkmalen dem Grunde nach identifiziert worden. Stellt man die Immensurabilität der entscheidenden Faktoren für die hier diskutierten Fallgestaltungen heraus, so ergeben sich daraus nach der hier vertretenen Auflassung weitreichende Implikationen für das Verhältnis der Schätzung entsprechender Faktoren zu den Grundsätzen des Strafprozessrechtes. Die sich aus Ermangelung eines konkreten lebensweltlichen Zustandes ergebende, bereits theoretische Unmöglichkeit der Messung bedingt die Bedeutungslosigkeit der Kategorien von „wahr“ und „unwahr“ in diesen Fällen. Eine theoretische Abweichung nach oben oder unten ist dementsprechend vernachlässigbar (quantité négligeable). Einzig die Wahrscheinlichkeit eines entsprechenden Faktors kann vor diesem Hintergrund Relevanz erlangen. Die Schätzung ist demnach nicht nur zulässiges, sondern auch einziges mögliches Mittel zur bestmöglichen Annäherung an einen Zustand ohne Wirklichkeitskorrelat in den Fällen der Kategorie 1, weshalb sie hier sowohl mit § 261 StPO, als auch § 244 II StPO harmoniert. Dies setzt freilich voraus, dass die Schätzung auf einer Grundlage erfolgt, die all jene Fakten einbezieht, die eine Annäherung an die Realität möglichst verlässlich möglich machen. 560  Saliger, FS-Samson, S. 455, 470; Cramer, Vermögensbegriff und Vermögensschaden im Strafrecht, S. 118 ff.; Becker, HRRS 2009, 336 f.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis213

3. Kategorie 2 – Schätzung von theoretisch messbaren Faktoren, deren Messung jedoch unüberwindbare praktische Probleme entgegenstehen a) Die praktische Unmöglichkeit der Feststellung Die zweite Kategorie wird durch Fallgestaltungen konstituiert, in denen die genaue Feststellung der entscheidenden Faktoren zwar theoretisch möglich, jedoch aufgrund von praktischen Problemen nicht durchführbar ist – es fehlt also nicht schon grundsätzlich an einem bestimmten Wirklichkeitszustand. Bei der Analyse der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Schätzung bei Serienstraftaten wird deutlich sichtbar, dass die Vorgehensweise des BGH, soweit es in Serie begangene Vermögensstraftaten betrifft, vom Gedanken der numerischen Quantifizierung als Grundlage der Würdigung des Unrechtsgehaltes dieser in Serie begangenen Taten ausgeht.561 Diesem Grundgedanken entspringt offenbar eine dreigliedrige Herangehensweise, die ihren Anfangspunkt in der Bestimmung des „Gesamtschuldumfanges“ hat, um anschließend die Zahl der verwirklichten „Einzelakte“ und in einem dritten Schritt die Verteilung dieses „Gesamtschuldumfanges“ auf die „Einzelakte“ im Wege der Schätzung „nach dem Grundsatz in dubio pro reo zu bestimmen“. Somit setzt die auf der ersten Ebene vom Richter durchzuführende Schätzung bei der Frage des durch die „Tatserie“ insgesamt entstandenen Gesamtschadens an. Dieser erste Schritt erscheint mangels Addierbarkeit und wirtschaftlicher Quantifizierbarkeit der durch die gegen höchstpersönliche Rechtgüter gerichteten Sexualstraftaten zunächst nur für Vermögensdelikte sinnhaft, obgleich auch für Sexualstraftaten logischer Ausgangspunkt der Vorgehensweise die Überzeugung vom „Gesamtgeschehen“ zu sein scheint. Soweit es also Vermögensdelikte betrifft, verlangt eine Einordnung in die hiesige Kategorie 2, dass die genaue Quantifizierung des Vermögensschadens in den hier dargestellten Fällen nicht schon theoretisch unmöglich war. Im Verlauf der vorliegenden Arbeit ist bereits herausgestellt worden, dass die Unmöglichkeit der exakten Feststellung eines Vermögensschadens gerade auf Grundlage des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs keinesfalls die absolute Ausnahme darstellt. So scheinen der genauen Feststellung, etwa in dem der „Hehlerei-Beihilfe“-Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, we561  Ausdrücklich BGH NStZ 1997, S. 280: „Dieser Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, dass solche Serientaten ihren wesentlichen Unrechtsgehalt erst bei einer Würdigung des Gesamtumfangs der strafbaren Tätigkeit offenbaren, und dass dafür Schadens- oder Mengenangaben der entscheidende Gesichtspunkt sind.“

214

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

der theoretische noch praktische Beweisprobleme entgegenzustehen.562 Der genauen Feststellung der durch K begangenen Hehlereitaten sowie der dabei erlangten Edelmetalle und dementsprechend auch der Zuordnung der durch die Angeklagten jeweils geleisteten Beihilfehandlungen standen nach Aussage des Landgerichtes hier lediglich prozessökonomische Erwägungen insofern entgegen, als dass bereits ein anderthalbjähriges separates Verfahren gegen K durchgeführt worden war. Insofern muss diese Entscheidung in die Kategorie 3 eingeordnet werden.563 Im Zigarettenschmuggel-Urteil ist eine Schätzung auf dieser Ebene gar nicht durchgeführt worden bzw. als nicht notwendig erachtet worden; das Landgericht hatte die Höhe der verkürzten Eingangsabgaben auf 1.180.449,10 DM beziffern können. Anders ist es hingegen, soweit es den „Gesamtschaden“ in den „Sozialversicherungsbetrugs“- und „Weinpanscher“-Entscheidung angeht. Im ersten Fall ergibt sich die Schadenssumme aus dem Verhältnis zwischen den auf jeweils korrekten Lohnsummen beruhenden Sozialversicherungsbeiträgen und den tatsächlich entrichteten Beiträgen, ebenso ist es im letzten Fall. Hier ergab sich der Schaden nach Ansicht des 2. Strafsenates aus der mit dem ­illegalen Verschnitt resultierenden völligen Verkehrsunfähigkeit des verkauften Weines, weshalb die Höhe des Vermögensschadens im jeweiligen Einzelfall mit dem Kaufpreis identisch wäre (nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG564 zur Quantifizierungspflicht bei Vermögensdelikten könnte – sofern man freilich den Strandpunkt des 2. Strafsenat zur Frage des Vermögensschadens im vorliegenden Fall teilt565 – hier bereits ein Evidenzfall vorliegen, bei dem auf eine genaue Quantifizierung der Schadenssumme verzichtet werden kann bzw. bei der sich die Quantifizierung schon aus einer Beschreibung der schadenskonstituierenden Umstände für jedermann er­ gibt).566 Die genaue Feststellung der Schadenssumme kann in diesen Fällen also nicht schon als theoretisch unmöglich betrachtet werden. Hinsichtlich der zweiten Ebene – der Feststellung der jeweiligen Zahl der „Einzelakte“ – unterscheiden sich Vermögens- und Sexualdelikte zumindest in Bezug auf die grundsätzliche theoretische Mensurabilität der „Einzelakte“ 562  BGHSt

40, 374. D. IV. 4. 564  BVerfGE 126, 170, 223 ff.; BVerfG, Beschl. v. 7. Dezember 2011 – 2 BvR 2500 / 09, 2 BvR 1857 / 10. 565  Kritisch dazu: Samson, StV 1996, S. 93, 94. 566  Der Fall weist Ähnlichkeit zu der von Bittman, wistra 2013, S. 1, 4 als Beispiel für einen Evidenzfall aufgeführten Fallgestaltung auf. Dabei waren die gelieferten Partybrötchen auf den Boden gefallen, womit sie ihre Verkehrsfähigkeit komplett eingebüßt hatten, was mit einem gänzlichen Wertverlust einhergeht. 563  Siehe:



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis215

nicht voneinander. In Bezug auf die Vermögensdelikte betrifft dies also die „Weinpanscher“-, „Sozialbetrug“- und die „Zigarettenschmuggel“-Entscheidungen. Im ersten Fall war es dem Landgericht nach eigenen Angaben trotz erheblicher Anstrengungen nicht möglich, auch nur eines der vermeintlichen Betrugsopfer ausfindig zu machen (einen Umstand, den der BGH erstaunlicherweise für unbeachtlich erklärt)567 im letzten fehlte es nach Aussagen des Tatgerichtes an jeglicher Form der Unterlagen zu entsprechenden Schmuggelfahrten. Ebenso verhält es sich in der „Sozialversicherungsbetrugs“-Entscheidung sowie allen hier dargestellten Entscheidungen zum sexuellen Missbrauch aufgrund der Unfähigkeit des minderjährigen Tatopfers (als einzigem Zeugen der Tat) zur genauen Angabe von Tatzeit bzw. Tatort und Tatmodalitäten. Diese auf zweiter Ebene bestehenden Beweisschwierigkeiten bedingen mithin auch die praktische Unmöglichkeit der genauen Feststellung auf erster Ebene, soweit es die Weinpanscher- und die Sozialbetrugsentscheidung betrifft. Die „Hehlerei-Beihilfe“-Entscheidung (BGHSt 40, 374) fällt auch bezüglich der zweiten Ebene nicht in diese Kategorie. Hier gilt das zur ersten Ebene gesagte entsprechend. Auffällig ist, dass allen drei der hiesigen Kategorie 2 zugeordneten Ur­ teilen, soweit es Vermögensdelikte betrifft, letztlich zumindest kontrollde­ liktsähnliche Konstellationen zugrunde liegen – beim Betrug handelt es sich selbstverständlich nicht um ein klassisches Kontrolldelikt im kriminologischen Sinne. In allen Fällen ist die Tatbestandsverwirklichung durch ein Element der lediglich mittelbaren Opferbetroffenheit geprägt. Während dies im Fall des „Zigarettenschmuggels“ und „Sozialversicherungsbetruges“ schon unmittelbar einleuchtet, ergibt es sich im „Weinpanscher“-Fall erst durch Hervorheben der Tatsache, dass die Täuschung von den Opfern hier gänzlich unbemerkt geblieben zu sein scheint, ein Faktum, das im Prozess auch von der Verteidigung unter dem Gesichtspunkt des fehlenden Schadens betont worden ist.568 Unabhängig von der (umstrittenen) Frage, ob bereits beim Verschnitt des Weines mit anderem Wein aus Nicht-EU-Staaten ein minderwertiges Produkt entsteht, war dies von den vermeintlichen Betrugsopfern zumindest nicht bemerkt worden bzw. stand im Raum, ob sie für ein trotz illegalen Verschnittes gleichsam wohlschmeckendes Produkt nicht doch den vollen Preis zu zahlen bereit gewesen wären. Im Zusammenspiel mit der massenhaften Wiederholung des Deliktes (im Falle des Zigarettenschmuggels über 500 Mal) ergibt sich ein schier unüberwindbares Beweisproblem, insbesondere bezüglich der Konkretisierung einzelner inkriminierter Handlungen. Die genaue Feststellung ist in diesen Fällen also nicht schon theoretisch, 567  Siehe 568  Siehe

dazu: Samson, StV 1996 S. 93, 94. dazu: Samson, StV 1996, S. 93, 94.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

wohl aber faktisch unmöglich. Mit der massenhaften Wiederholung ist zugleich auch ein Faktor benannt, der sich bei näherer Betrachtung als entscheidend für die Abgrenzung zwischen erster und zweiter Kategorie darstellt und zwar, weil es sich stets um die Wiederholung menschlichen Verhaltens handelt. Das menschliche Verhalten als solches ist – vorbehaltlich etwaiger für die richterliche Entscheidung gänzlich irrelevanter philosophischer Zweifel569 – jedoch stets zumindest theoretisch feststellbar570 (anders als etwa bei den im Zusammenhang mit Kategorie 1 herausgearbeiteten Fällen, in denen sich die Immensurabilität des Faktors womöglich aus der wirtschaftlichen Betrachtungsweise selbst ergibt). Der Faktor der massenhaften Wiederholung bzw. Wiederholbarkeit (menschlichen Verhaltens) bedingt somit paradoxerweise gleichzeitig die theoretisch Mensurabilität und auch die praktische Immensurabilität (zu gleichen Teilen). In gewisser Hinsicht vergleichbar verhält es sich in Bezug auf die hier untersuchten Entscheidungen zu Sexualdelikten. Zwar gibt es hier fraglos ein unmittelbar von der Tat betroffenes Opfer. Es kann jedoch kaum dem Zufall geschuldet sein, dass allen hier im Zusammenhang mit einer Schätzung von Einzeltaten diskutierten Entscheidungen Konstellationen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger zugrunde liegen. Die Problematik im Hinblick auf die genaue zeitliche und örtliche Konkretisierung einzelner Missbrauchshandlungen auf Grundlage der Aussage von Kindern ist in der rechtswissenschaftlichen Literatur und Praxis hinlänglich bekannt und wird insbesondere im Zusammenhang mit den Anforderungen an die Bestimmtheit der Anklageschrift diskutiert.571 Die dritte Ebene – die Verteilung des „Gesamtschadens“ auf die jeweiligen „Einzelakte“ – folgt in Bezug auf die Klassifizierung zur entsprechenden Kategorie stets ihrem „Immensurabiltiäts-Schicksal“ der ersten und zweiten Ebene. Sind sowohl erste, als auch zweite Ebene mensurabel, besteht also ein dem Beweis zugänglicher Wirklichkeitszustand, so umfasst dieser logischerweise auch stets die dritte Ebene, die durch das Verhältnis der ersten beiden Ebenen zueinander konstituiert wird.

569  Kant,

Logik, S. 50. ist damit zugleich auch ein Faktor benannt, der die Schätzung erheblich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich macht. So ist nicht klar, auf welcher Grundlage das wiederholte menschliche Verhalten einer durch Schätzung erfolgenden Quantifizierung zugeführt werden kann. 571  BGH StV 1996 S. 197, 198; BGH NStZ 1995 S. 244, 245; BGH NStZ 1995 S. 200; BGHSt 40, S. 44, 46; siehe dazu auch: Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 80; Geppert, NStZ 1996, S. 63; Meier JZ 1991, S. 639, Zieschang, GA 1997, S. 457, 466; Geppert, NStZ 1996, S. 57, 62. 570  Paradoxerweise



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis217

b) Die Vereinbarkeit der Schätzung mit den Grundsätzen des Strafprozessrechtes unter dem Gesichtspunkt der theoretischen Mensurabilität aa) Grundsatz der richterlichen Überzeugung 261 StPO (1) Serienstraftaten (a) D  ie numerische Quantifizierung des „Gesamtgeschehens“ als Grundlage der Würdigung des Unrechtsgehaltes von Serienstraftaten gegen das Vermögen Nach dem der vorliegenden Arbeit zugrundeliegenden Ansatz ist die Schätzung dann mit dem Grundsatz der richterlichen Überzeugung kompatibel, wenn die mit der Schätzung regelmäßig einhergehende Abweichung von der Wirklichkeit als „quantité négligeable“ klassifiziert werden kann. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die gesuchte Größe sich einer genauen Messung schon grundsätzlich entzieht, was, wie oben dargestellt, für die der Kategorie 2 zugeordneten Urteile gerade nicht der Fall ist. Bezüglich der in Serie begangenen Vermögensdelikte scheinen einige ­ enate des Bundesgerichtshofes das Bestehen einer „quantité négligeable“ – S freilich ohne diesen Begriff ausdrücklich zu verwenden – über den Gedanken der Notwendigkeit einer numerischen Quantifizierung als Grundlage der Würdigung des Unrechtsgehaltes der Tatserie konstruieren zu wollen. Wörtlich heißt es: „Dieser Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, dass solche Serientaten ihren wesentlichen Unrechtsgehalt erst bei einer Würdigung des Gesamtumfangs der strafbaren Tätigkeit offenbaren und dass dafür Schadens- oder Mengenangaben der entscheidende Gesichtspunkt sind“.572

Durch die Betonung des „Gesamtumfanges“573 gerät die Konkretisierung der jeweiligen Einzeltat in den Hintergrund. Sind allein Schadens- oder ­Mengenangaben „entscheidend“, wäre die Herabstufung der jeweils in Tatmehrheit stehenden und so die Serie konstituierenden Einzeltaten zur bloßen „quantité négligeable“ die unmittelbare logische Konsequenz. Gleichzeitig wird der durch den Täter verursachte genaue Schaden – obgleich dieser einer Quantifizierung durch Addition eher zugänglich erscheint als die jeweiligen Einzelakte – dadurch gerade nicht zur vernachlässigbaren Größe. Ist dieser nach Aussage des BGH ja gerade „entscheidender“ Ansatz572  BGH 573  Auf

worden.

NStZ 1997, S. 280. die Inkonsequenz des Begriffes Gesamtumfang ist bereits hingewiesen

218

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

punkt der Würdigung einer Serienstraftat, weshalb es schon offensichtlich widersprüchlich ist, dass gerade er auf Grundlage des notorisch unsicheren Mittels der Schätzung ermittelt werden soll. Aber auch bezüglich der Schätzung auf der zweiten Ebene erscheinen die Prämissen des BGH inadäquat. Zunächst scheint die mit einer im Wege der Schätzung erreichten Quantifizierung der jeweiligen Einzelakte einhergehende Fiktionalisierung des dem Angeklagten zu Last gelegten Tatvorwurfes den BGH nicht zu stören. Nach Ansicht des 2. Strafsenats sei die „notwendige Aufteilung des Gesamtschadens etwa bei einer Betrugsserie […] kein zwingendes Gebot der Gerechtigkeit, sondern der Konkurrenzregelungen des Strafgesetzbuches“.574 Auch das Bestehen einer Überzeugung des Richters hinsichtlich eines „Gesamtgeschehens“ kann aber am Fiktionscharakter eines auf Schätzung beruhenden Tatvorwurfes grundsätzlich nichts ändern. Denn der Tatvorwurf kann nach Wegfall der fortgesetzten Handlung575 grundsätzlich nur in der Begehung einer bzw. mehrerer konkretisierter und jeweils zur Überzeugung des Tatrichters feststehender Einzeltaten bestehen. Die gesuchte Größe hat im Gegensatz zu den Fällen der Kategorie 1 jedoch gerade nicht selbst schon Fiktionscharakter. Erst recht kann also auf der zweiten Ebene nicht vom Bestehen einer „quantité négligeable“ ausgegangen werden. Tatsächlich ist das exakte Gegenteil der Fall. Vielmehr bedarf es vor dem Hintergrund der Ausgestaltung des deutschen Strafrechtes als Tatstrafrecht576 eines vollständigen Nachweises einer jeden Einzeltat zur tatrichterlichen Überzeugung577 i. S. d. 261 StPO, was jedoch durch die Schätzung nicht erreicht werden kann.578 Diesbezüglich kann, wie oben bereits dargestellt, auch dann bzw. gerade dann nichts Anderes gelten, wenn das nicht zu einem bestimmten Wert, sondern zu einem Wertbereich führende Schätzergebnis nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ an der untersten Grenze normativ abgeschnitten wird.579 574  Diese Aussage traf der 2. Strafsenat zwar in einem Urteil zur Schätzung bei Delikten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter, jedoch im Zusammenhang mit der Erläuterung der bisherigen (von 2. Strafsenat mitgeprägten) Rechtsprechung zur Schätzung bei in Serie begangenen Vermögensdelikten. 575  Vgl. Punkt D. III. 1. 576  Zieschang, GA 1997, S. 457, 465, 466. 577  Zieschang, GA 1997, S. 457, 465; Bohnert, NStZ 1995, S. 460, 461. 578  So auch: Ott / Bundschuh, JA 2005, S. 453, 454; Zieschang, GA 1997, S. 457, 467. 579  In diesem Fall fehlt es der Schätzung bereits an der für die ordnungsgemäße Durchführung erforderlichen „inneren Rationalität“. Bei dem erzielten Ergebnis handelt es sich demnach nicht mal mehr um das Wahrscheinlichste. Das Schätzergebnis und das darauf beruhende Urteil büßen so unter dem Gesichtspunkt der richterlichen Überzeugung nach § 261 StPO auch das letzte Bisschen Legitimität ein.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis219

Auch die vom BGH hier verwendeten Begrifflichkeiten sind in der Sache nicht dienlich. Dies gilt insbesondere für den Begriff der „Serienstraftat“. Dieser ist dem StGB völlig unbekannt. Es handelt sich hier vielmehr um einen in der Kriminologie und Kriminalistik verwendeten Begriff, der aber für die vom Tatrichter zu klärende Schuldfrage keine (nach Wegfall des Fortsetzungszusammenhangs erst recht) unmittelbare Bedeutung hat.580 Ein Tatvorwurf, der sich darauf stützt, der Täter habe eine „Serienstraftat“ begangen, deren jeweils die Serie konstituierenden Einzeltaten keine weitere Konkretisierung erfahren haben als eine auf Schätzung beruhende Angabe einer „Mindestanzahl“, setzt sich – neben der oben beschriebenen völligen dogmatischen Unzulänglichkeit – auch dem bereits gegen den Fortsetzungszusammenhang geltend gemachten Vorwurf aus, hier werde eine Lebensführung bestraft.581 Die auf der Schätzung beruhende mengenmäßige Quantifizierung der Einzeltaten ist nach Wegfall des Fortsetzungszusammenhanges demnach der falsche Ansatz582 und findet dogmatisch keinerlei Stütze.583 Kann es aufgrund der Schätzung schon keine den Anforderungen des § 261 StPO genügende Überzeugung von der Zahl der Einzeltaten geben, so gilt dies erst recht für die schätzungsweise Verteilung einer Gesamtschadensumme auf die jeweiligen „Einzelakte“. Vielmehr bedarf es der Feststellung des strafbaren Handelns samt des durch die jeweilige Handlung entstandenen Schadens. (b) Übertragung auf Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter? Ähnlich stellt sich die Sachlage auch in Bezug auf die Rechtsprechung des BGH zur Schätzung bei in Serie begangenen Sexualstraftaten dar. Eine Übertragung der Grundsätze zur Schätzung der Einzeltaten bei Vermögensdelikten findet hier nicht ohne weiteres statt, wobei der BGH auch nicht mit einer Stimme zu sprechen scheint. Zunächst betont insbesondere der 2. Strafsenat in „Sexueller Missbrauch 2“ im Rahmen eines obiter dictum, dass eine numerische, durch Addition erfolgende Erfassung solcher Taten im Rahmen eines „Gesamt­ schadens“ bzw. „Gesamterfolges“ nicht möglich sei,584 ebenso der 3. Straf580  Bohnert,

NStZ 1995, S. 460, 461. GA 1997, S. 457, 466; Geppert, NStZ 1996, S. 57, 58; Jähnke, GA 1989, S. 376, 390. 582  So auch Zschockelt, JA 1997, S. 411, 416, seines Zeichens Richter am BGH und Mitglied des 4. Strafsenates. 583  So auch Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 89 f. 584  BGH NStZ 1997, S. 280. 581  Zieschang,

220

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

senat.585 Hier erscheint die fehlende Eignung eines irgendwie gearteten ­„Gesamtschadens“ als Ausgangspunkt, angesichts der höchstpersönlichen Rechtsnatur der hierbei betroffenen Rechtsgüter, anders als bei Vermögensdelikten offenbar noch unmittelbar einleuchtend.586 Die Ansichten der Strafsenate hinsichtlich der schätzungsweisen Bestimmung der jeweiligen Einzeltaten scheinen dagegen auseinander zu gehen. Diesbezüglich heißt es beim 2. Strafsenat zunächst, die Schuld des Täters ergebe sich „in erster Linie aus der konkreten Art der Tatbestandsverwirk­ lichung, also aus den Umständen der jeweiligen Einzeltat“. Dem fügt er in geradezu ostentativer Gleichgültigkeit hinzu: „Schätzungen scheiden ohnehin aus.“587 Anders als der 2. Strafsenat scheint der 5. Strafsenat hingegen seiner – offensichtlich vom Trauma des Verlustes der fortgesetzten Handlung geprägten – bisherigen Linie treu zu bleiben, wenn er im Rahmen eines obiter dictum in der Entscheidung „Sexueller Missbrauch 4“588 die Ermittlung eines „Mindestschuldumfanges“ auch bei höchstpersönlichen Rechtsgütern für zulässig erklärt. Gemeint sein dürfte freilich nicht die Ermittlung des Mindestschuldumfanges, sondern der Mindesttatzahl im Wege der Schätzung.589 Der an dieser Stelle erfolgende Verweis auf BGH NStZ 2002, S. 1508 ist nicht aufschlussreich. Demgegenüber befindet sich der 3. Strafsenat zunächst auf der Linie des 2. Strafsenates, wenn er in „Sexueller Missbrauch 1“ konstatiert: „Im Vordergrund der Sachverhaltsermittlung stehen nicht Tatfrequenzen (mindestens einmal im Monat) […] sondern konkrete Lebenssachverhalte. Es kommt grundsätzlich nicht auf eine geschätzte und dann heruntergerechnete Anzahl von Straftaten an, sondern auf all das, was mit der für eine Urteilsgrundlage erforder­ lichen Überzeugungskraft für jede einzelne Straftat bekundet wird. Der Richter darf sich nicht von einer Gesamtvorstellung des strafbaren Verhaltens in einem Zeitraum bestimmen lassen, sondern muss von der Tatbestandserfüllung und dem konkreten Schuldumfang bei jeder individuellen Straftat überzeugt sein“.590

Angesichts dieser Ausführungen erscheint es umso erstaunlicher, wenn derselbe 3. Strafsenat in einem nur kurze Zeit später erfolgten Beschluss zum ähnlich gelagerten Fall „Sexueller Missbrauch 3“591 zwar in der Art und 585  BGH NStZ 1994, S. 393: „Der Richter darf sich nicht von einer Gesamtvorstellung des strafbaren Verhaltens in einem Zeitraum bestimmen lassen.“ 586  BGH NStZ 1997, S. 280. 587  BGH NStZ 1997, S. 280. 588  BGH Urt. v. 28.5.2002 – 5 StR 55 / 02. 589  So auch Ott / Bundschuh, JA 2005, S. 453, 456 die zutreffend darauf hinweisen, dass sich nur so der Verweis auf BGH NStZ 1998, 208 erklärt. 590  BGH NStZ 1994, S. 393. 591  BGH NStZ 1998, 208.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis221

Weise sehr vorsichtig,592 jedoch im Ergebnis auch die Schätzung einer Mindestanzahl der gegen höchstpersönliche Rechtsgüter gerichtete Einzeltaten für zulässig erachtet. Hier heißt es: „Bei nur wenigen konkretisierten Taten – im Verfahren gegen den Angeklagten wurde nur ein einziges Tatgeschehen konkretisiert – darf der Richter die Anzahl der weiteren (nicht konkretisierten) Fälle nicht ohne Angabe von Anhaltspunkten schätzen, die belegen, dass eine noch geringere Anzahl von Taten ausgeschlossen ist. Um eine bestimmte Anzahl von Straftaten einer in allem gleichförmig verlaufenden Serie festzustellen, muss der Richter darlegen, aus welchen Gründen er die Überzeugung gerade von dieser Mindestzahl von Straftaten gewonnen hat.“

Der Unterschied zwischen beiden Urteilen ergibt sich wohl aus der „Gleichförmigkeit“ der Serie im letzteren Fall. Auch ohne expliziten Verweis auf BGHSt 36, 320, durch den 3. Strafsenat erfolgt, fühlt man sich an den „Kassenarzt“-Fall erinnert. Hier war gerade die Überzeugung von der Gleichförmigkeit des Verhaltens zur Grundvoraussetzung der Schätzung erklärt worden. Vergleicht man die „Kassenarzt“-Entscheidung mit dem Urteil im Fall „Sexueller Missbrauch 3“, so fällt das Augenmerk auf die logischen Widersprüchlichkeiten, die letzterem zugrunde liegen. Zunächst ändert auch die gleichförmige Begehungsweise nach Wegfall der fortgesetzten Handlung nichts an der rechtlichen Selbständigkeit der einzelnen Delikte. Dogmatisch gesehen besteht kein Unterschied zwischen (in zeitlichem Abstand) durch den gleichen Täter begangenen gleichartigen Delikten und unter den gleichen Voraussetzungen begangenen verschiedenartigen Delikten (etwa Diebstahl, Betrug und Straßenverkehrsdelikte).593 Weiter hatte sich der Richter im „Kassenarzt“-Fall noch aufgrund von Urkunden und Zeugenaussagen von der grundsätzlichen Begehung und den Begehungsmodalitäten eines jeden Einzelaktes594 überzeugen können. Im Fall „Sexueller Missbrauch 3“ soll der Richter hingegen aufgrund der völligen Gleichförmigkeit der Einzeltaten deren Mindestanzahl schätzen dürfen, wobei die einzige Konkretisierung der jeweils selbstständigen Taten gerade erst im Wege der Schätzung erfolgt. Die Überzeugung von der völligen Gleichförmigkeit aller Einzeltaten kann der Richter jedoch schlechterdings nicht aufgrund einer Überzeugung von einem irgendwie gearteten Gesamtgeschehen erlangen, sondern erst durch Erfor592  Insbesondere der Verweis auf BGHSt 42, 107, einer zeitlich vorhergehenden Entscheidung, in der sich der 3. Strafsenat nach Lesart des Verfassers kategorisch gegen die Möglichkeit der Schätzung zugunsten einer Überzeugung von der Begehung jeweiliger individualisierter Einzeltaten auszusprechen scheint, stützt den Eindruck, dass eine Hinwendung zur Schätzung durch den 3. Strafsenat hier nur sehr zurückhaltend erfolgt. 593  So auch: Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 85. 594  Hier ist die Verwendung des Begriffes „Einzelakt“ noch insofern gerechtfertigt, als dass der Richter – wenn auch rechtlich unzutreffend – vom Vorliegen eines Fortsetzungszusammenhanges ausgegangen war.

222

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

schung des jeweiligen Einzelfalles selbst. Dies unterlässt er jedoch gerade zugunsten der Schätzung. Zschockelt weist hier richtigerweise darauf hin, dass selbst die kleinsten Besonderheiten des Einzelfalls unter Umständen, z. B. hinsichtlich der Frage des Bestehens einer minderschweren Begehungsweise, Relevanz erlangen können.595 Obgleich die Anforderungen an die Individualisierung von Sexualdelikten in Anklageschrift und Urteil – insbesondere den sexuellen Missbrauch Minderjähriger betreffend – bereits vor dem Aufkommen der durch die Rechtsprechung des 2. und 5. Strafsenates geprägten Schätzungsmöglichkeit bei Serienstraftaten höchst umstritten war,596 ist auch hier, spätestens mit dem Wegfall der fortgesetzten Handlung, die jeweilige Einzeltat der Anknüpfungspunkt. Ihre Individualisierung kann auch hier – wenn auch wenig überraschend – keinesfalls als „quantité négligeable“ bezeichnet werden. Nichts anderes tut die Rechtsprechung jedoch, wenn sie in „Sexueller Missbrauch 3“ die schätzungsbasierte Mindestanzahl genügen lässt und somit auf eine – wie auch immer geartete – Individualisierung der jeweiligen Straftaten vollends verzichtet.597 Die mit der Fiktionalisierung des Tatvorwurfes einhergehenden Schwierigkeiten gelten hier mindestens im gleichen Maße wie in Bezug auf in Serie begangene Vermögensdelikte; nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die Maßgeblichkeit des individuellen Lebenssachverhaltes von einigen Strafsenaten explizit betont wird. Gleiches gilt in Bezug auf das zur Schätzung des Mindestschuldumfanges unter vermeintlicher Anwendung des Zweifelssatzes Gesagte. Führt der 3. Strafsenat aus, die Schätzung der Einzeltaten sei nur zulässig, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass eine geringere Tatanzahl ausgeschlossen sei,598 so liegt darin zunächst die bereits mehrfach angesprochene Beschneidung des Schätzergebnisses nach oben hin, mit entsprechenden Folgen für die innere Rationalität des durchgeführten Schätzvorganges und die Überzeugungsbildung. Weiter stellt sich die Frage, wie solche Anhaltspunkte denn genau auszusehen haben. Denn auch eine nach dem Zweifelsgrundsatz beschnittene Mindestanzahl ändert nichts an dem Faktum, dass die jeweiligen Einzeltaten keine Individualisierung erfahren haben, sondern allenfalls in Form einer Tatfrequenz bestehen. Handelt es sich um einen Sicherheits­ 595  Zschockelt,

JA 1997, S. 411, 412. Ganzen: Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 79. 597  Geppert, NStZ 1997, S. 57, 60, spricht in diesem Zusammenhang von „höchst fragwürdigen Abstrichen an der unverzichtbar erforderlichen Konkretisierung der einzelnen Haupttaten“. 598  Krause, StraFO 2002, S. 249, 253, spricht in diesem Zusammenhang vom Erfordernis einer „Negativkontrolle“. 596  Zum



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis223

abschlag, so ist jedoch einzuwenden, dass ein solcher schon nicht willkürfrei erfolgen kann.599 Ergibt sich die Sicherheit hinsichtlich der Mindestanzahl hingegen daraus, dass die einzelnen Taten individualisiert wurden und jeweils zur Überzeugung des Tatrichters feststehen – so dass er deren Anzahl nur noch zu addieren braucht – handelt es sich bei dem entsprechenden Vorgang nicht um eine Schätzung, sondern lediglich um eine Addition der festgestellten Einzeltaten.600 In jedem Fall kann auch das Bestehen wie auch immer gearteter Anzeichen für die Annahme einer Mindestanzahl das zentrale Problem der fehlenden Individualisierung der Einzeltaten im Wege der Schätzung nicht beseitigen. Es ist also schon vom Standpunkt einer auf Gerechtigkeitserwägungen basierten Argumentation her widersprüchlich, wenn der 2. Strafsenat bei der Frage der Zulässigkeit der Schätzung in Bezug auf die Anzahl der Einzeltaten zwischen höchstpersönlichen und anderen Rechtsgütern differenzieren will. Eine den Anforderungen des § 261 StPO genügende richterliche Überzeugung von der individualisierten Einzeltat kann sich – da die Frage der Individualisierung demnach weder für Vermögensdelikte, noch für Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter als „négligeable“ bezeichnet werden kann – nach der hier vertretenen Auffassung durch die Schätzung der Einzeltaten nicht einstellen. Dieser Standpunkt wird von der wohl überwiegenden Mehrheit der Stimmen im Schrifttum geteilt. Zschokelt zufolge sei es unmöglich, aufgrund von Schätzung eine „richterliche Überzeugung von bestimmten Straftaten iS d § 261 StPO zu gewinnen.“601 Ebenso Ott / Bundschuh die konstatieren, dass die von manchen Strafsenaten des BGH für zulässig erachteten Schätzungen „nicht zur Bildung der vollen richterlichen Überzeugung führen können“,602 sowie Zieschang, der deshalb betont: „Hochrechnungen sowie Schätzungen haben zu unterbleiben.“603 (c) Gerechtigkeitserwägungen als ultimative Rechtfertigung In Anbetracht dieser dogmatischen und logischen Ungereimtheiten scheinen die Befürworter der Zulässigkeit einer solchen Schätzung zur Rechtfertigung dieser Praxis letztlich auf Gerechtigkeitserwägungen zurückzugreifen. 599  Ott / Bundschuh,

JA 2005, S. 453, 455. diesem Fall würde sich allenfalls die Frage stellen, welche Anforderungen man an die Konkretisierung der jeweiligen Einzeltaten stellt. Dies ist insbesondere im Zusammenhang mit Sexualdelikten gegen Minderjährige höchst umstritten, ist jedoch nicht mit der Frage der Schätzung und ihrer Zulässigkeit identisch. 601  Zschockelt, JA 1997, S. 411, 412. 602  Ott / Bundschuh, JA 2005, S. 453, 457. 603  Zieschang, GA 1997, S. 467; ebenso wohl: Zopfs, StV 2000, S. 601, 602; Bohnert, NStZ 1995, S. 460, 461. 600  In

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Und so findet sich in jeder der hier zitierten Entscheidungen zur Schätzung bei in Serie begangenen Vermögensstraftaten der iterative Hinweis darauf, dass die Zuordnung eines rechnerisch bestimmten Teils des Gesamtschadens zu „bestimmten strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen im Wege der Schätzung“ unumgänglich sei, „wenn Belege über kriminelle Geschäfte abhandengekommen sind oder von vornherein fehlten.“ Denn, so der BGH, „jede andere Betrachtung, die von einer eingeengten, jeden Einzelfall isoliert beurteilenden Sichtweise ausgehe“, führe „in vielen Fällen zum Ausschluss oder zur Erschwerung der Bestrafung bei zweifellos strafbarem Gesamtverhalten“. Angereichert wird dies meist mit dem Hinweis, entsprechende Konstellationen seien vormals unproblematisch von der Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs erfasst worden.604 Alles andere führe zu „Strafbarkeitslücken, die der Gerechtigkeit widerstreiten würden“605. Ähnlich auch Hofmann, der ausführt: „ernsthaft wird sicherlich niemand vertreten wollen, dass der Betrüger freizusprechen ist, der in unverjährter Zeit einen nachweisbaren Gesamtschaden betrügerisch verursacht hat, nur weil dessen Verteilung auf bestimmte Einzeltaten nicht zuverlässig möglich ist.606 Gleiches gilt für einen Sexualstraftäter, der erwiesenermaßen mehrere Tatvarianten an Sexualstraftaten begangen hat, die jedoch mit letzter ­Sicherheit nicht mehr auseinander gehalten werden können.“

Weiter leitet Hofmann die Notwendigkeit der Schätzung aus dem Rechtsstaatsprinzip, das die Effektivität der Strafverfolgung und Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege garantiere, ab. Die Analyse der hier dargestellten Urteile zeigt indes, dass es mit dem Gerechtigkeitsempfinden mancher Strafsenate nicht immer weit her ist. So verstrickt sich insbesondere der zweite Strafsenat aus Sicht des Verfassers in Widersprüchichkeiten, wenn er die Schätzung in Bezug auf Vermögensdelikte mit zwingenden Gerechtigkeitserwägungen rechtfertigt, jedoch in Bezug auf Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter zur Schätzung erklärt, diese schieden „ohnehin aus“.607 Wären Gerechtigkeitserwägungen tatsächlich tragend, so müssten diese doch in mindestens gleicher – wenn nicht sogar noch erheblicherer – Art und Weise für die in ihren Strafrahmen teilweise wesentlich schwerer wiegenden Sexualstraftaten (etwa § 176 StGB) gelten und so die Schätzung legitimieren. Allein die Höchstpersönlichkeit der betroffenen Rechtsgüter dient als taugliches Differenzierungskriterium nur, soweit es eine Schätzung des „Gesamtschadens“ als Ausgangspunkt betrifft – die Höchstpersönlichkeit steht, anders als bei Vermögensdelikten, einer irgend604  BGHSt

40, 374; BGH NJW 1995, S. 2933, 2934. 40, 374, 377; BGH NStZ 1997, 280. 606  Hofmann, StraFo 2003, S. 70, 75. 607  BGH NStZ 1997, S. 280. 605  BGHSt



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis225

wie gearteten Addition zu einem „Gesamtschaden“ schon offensichtlich entgegen. Hinsichtlich der Schätzung der durch den Täter verwirklichten Einzel­ taten bzw. der Tatfrequenz gilt dies nicht – in beiden Fällen handelt es sich um selbstständige, tatmehrheitlich begangene Einzelstraftaten. Vielmehr deutet die fehlende Übertragung der für Vermögensdelikte durch den 2. Strafsenat mitaufgestellten Grundsätze auf Sexualdelikte darauf hin, dass der 2. Strafsenat das dogmatische Fundament dieser offensichtlich aus praktischen Gründen gefundenen Lösungen nicht für ganz und gar tragfähig hält. Sein verständliches Unbehagen resultiert offenbar aus dem mit der Schätzung einhergehenden Fiktionscharakter der entsprechenden Feststellungen. Allzu offensichtlich scheint die Maßgeblichkeit der Einzeltat in Bezug auf Sexualstraftaten, deren Unrechtsgehalt – darauf weist die Rechtsprechung selbst hin – ganz erheblich von den Details der individuellen Begehungsweise geprägt ist. So betrachtet scheint es wohl, wie Fischer feststellt, insgesamt eine normative Entscheidung zu sein, wenn man das mit der Schätzung hier erreichte Maß an Wahrscheinlichkeit als ausreichend erachtet.608 Neben diesen offen zutage tretenden Widersprüchlichkeiten erweist sich diese auf Gerechtigkeitserwägungen abzielende Argumentation in den vorliegenden Fällen jedoch auch als zweischneidiges Schwert. Soweit der BGH auf die Unumgänglichkeit der Schätzung aufgrund fehlender Belege des Angeklagten verweist, ist dem zunächst die Selbstverständlichkeit entgegenzuhalten, dass die Unumgänglichkeit eines Vorgehens nicht auch seine Erlaubtheit erweist.609 Mehr noch, es sollte sich in Bezug auf die Billigkeit und Legitimität dieser Herangehensweise schon ein ganz grundsätzliches Unbehagen einstellen. Zopfs weist zu Recht darauf hin, dass die hieraus unmittelbar resultierende logische Konsequenz ist, dass der Tatrichter nur dann, wenn der Täter seine kriminellen Geschäfte sorgfältig aufgezeichnet hat, von der schuldhaften Tatbegehung im Einzelfall und dem daraus resultierenden Schaden überzeugt sein muss, während dann, wenn der Täter dies „vorwerfbar“ unterlassen hat, geschätzt werden darf.610 Die Gerechtigkeit dieses Ergebnisses kann schon in Anbetracht der verfassungsrechtlich verankerten Unschuldsvermutung und der daraus resultierenden Beweislast zugunsten des Angeklagten im Strafprozess bezweifelt werden. Insofern ist es auch mit der von Hofmann angeführten rechtsstaatlichen Notwendigkeit der Schätzung im Ergebnis nicht weit her. Tatsächlich stellt sich schon die grundsätzliche Frage, ob die von der Rechtsprechung befürchteten, der „Gerechtigkeit widerstreitenden Strafverfolgungslücken“ überhaupt existieren. Ist Voraussetzung der Verurteilung des 608  Fischer,

StraFo 2012, S. 429, 432. NStZ 1995, S. 460, 461; Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 86. 610  Zopfs, StV 2000, S. 601. 609  Bohnert,

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Angeklagten die rechtsstaatliche Feststellung jedes einzelnen strafbaren Ver­ haltens – ein Faktum, das selbst der die Schätzungsmöglichkeit vehement ­befürwortende 5. Strafsenat paradoxerweise im Grundsatz anzuerkennen scheint611 – so erscheint es auch verträglich, dass nicht feststellbare Handlungen – soweit es die rein praktische Unmöglichkeit der Feststellung betrifft – auch nicht bestraft werden.612 Jedenfalls erstaunt die Selbstverständlichkeit, mit der einige Strafsenate des BGH – sei es in Bezug auf Vermögens- oder Sexualdelikte – bereit zu sein scheinen, die Überzeugung von der Begehung einzelner individualisierter Straftaten zugunsten von auf Schätzungen beruhenden Gesamtschuldumfängen, Gesamtschadensmengen, Mindesttatanzahlen oder Tatfrequenzen dadurch aufzugeben, dass sie die Individualisierung von Einzeltaten zur „quantité négligeable“ erklären.613 Hatte BGHSt 36, 320 („Kassenarzt“-Entscheidung) noch wenigstens den Ansatz einer Diskussion um das Verhältnis der Schätzung zur richterlichen Überzeugung erkennen lassen, so scheint sich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Schätzung in den darauf folgenden Entscheidungen, insbesondere im Zusammenhang mit Serienstraftaten (zumindest soweit diese die Schätzung für zulässig halten), zu erübrigen – obgleich, wohlbemerkt, die „Kassenarzt“-Entscheidung auf völlig divergenten Prämissen beruht. bb) Amtsermittlungsgrundsatz § 244 II StPO Die hier untersuchten und der Kategorie 2 zugeordneten Fallgestaltungen sind gerade dadurch charakterisiert, dass die Feststellung eines theoretisch messbaren Zustandes aufgrund praktischer Hürden unterbleibt. Demnach setzt die Einordnung in die Kategorie 2 schon eine Ausschöpfung aller ­verfügbaren Beweismittel im Sinne des § 244 II StPO durch den Tatrichter voraus. Friktionen mit dem Amtsermittlungsgrundsatz entstehen insofern zunächst nicht. Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des BGH, zumindest insoweit, als dass er – in der weit überwiegenden Mehrzahl der ergangenen Urteile – die Zulässigkeit der Schätzung von der Unmöglichkeit der sonstigen Aufklärung abhängig macht.614 Die Schätzung dient hier also 611  In BGHSt 40, 374 heißt es vor den Ausführungen zur Notwendigkeit der Schätzung aus Gerechtigkeitsgesichtspunkten ausdrücklich: „vielfach wird der Tatrichter gehalten sein, bei einer Tatserie die Einzelakte so konkret und individualisiert zu ermitteln und festzustellen, dass sich daraus die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Deliktstatbestandes für jede Einzeltat nachprüfbar ergibt.“ 612  So auch: Zschockelt, JA 1997, S. 411, 416. 613  Ähnlich: Geppert, NStZ 1996, S. 57, 60; sowie: Erb, GA 1995, S. 430, 438 wenn auch im Zusammenhang mit den Problemen, die sich in Bezug auf Rechtskraft und Rechtshängigkeit durch das Vorgehen des BGH ergeben. 614  Vgl. dazu Punkt D. III. 3.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis227

erst der Überwindung bestehender (unüberbrückbarer) Beweisschwierigkeiten. Sofern hingegen Hofmann unter Verweis auf die Kassenarztentscheidung behauptet, die für die positivrechtlich normierten Schätzklauseln anerkannten Grundsätze könnten auf die hier vorliegenden Fälle übertragen werden, so dass die Beweisaufnahmen auch hier „auf die Erhebung einer Stichprobe beschränkt werden, wenn und soweit diese nach den […] Kriterien des BGH für eine Hochrechnung auf das Gesamtverhalten ausreichen ist“,615 muss dem erneut entgegengehalten werden, dass es sich dabei um eine unreflektierte Übertragung der Grundsätze aus BGHSt 36, 320 handelt. Denn da die jeweils individualisierte Einzelstraftat gerade nicht als „quantité négligeable“ gelten kann, und damit, anders als im der Kassenarztentscheidung vorgegeben, stets auch die Rechtskraft betroffen wäre, kann die auf einer Stichprobe beruhende Hochrechnung hier schlechthin nicht als „ausreichend“ gelten. Zudem hat Kapitel 2 der hier durchgeführten Untersuchung bereits verdeutlicht, dass die prozessökonomisch motivierte Schätzung auch im Zusammenhang mit den Schätzklauseln des Sanktionsrechtes alles andere als unproblematisch ist. Davon unterschieden werden muss jedoch die Frage, ob auch eine Pflicht zur Überwindung dieser Beweisschwierigkeiten im Wege der Schätzung auf Grundlage des Amtsermittlungsgrundsatzes besteht. Das Bestehen einer Pflicht zur Schätzung wird von vereinzelten Stimmen auch pauschal behauptet.616 Eine solche wird auch von Seiten des Verfassers angenommen, soweit es sich um Fallgestaltungen der Kategorie 1 handelt. Diese sind geprägt durch das Fehlen eines genau messbaren Wirklichkeitszustandes, weshalb sich die (auf tragfähigen Grundlagen beruhende) Schätzung letztlich als einziges Mittel der Annährung an einen Zustand mit partiellem Fiktionscharakter darstellt. Anders ist es jedoch in Bezug auf die Kategorie 2. Im Gegensatz zur ersten Kategorie besteht hier ein feststellbarer Wirklichkeitszustand, der demgemäß das Treffen wahrer Aussagen ermöglicht. Von einer Pflicht zur Schätzung könnte unter diesen Voraussetzungen nur gesprochen werden, wenn § 244 II StPO die Pflicht zur Einführung eines fiktionalen Sachverhaltes in den Prozess gebieten würde. Dass § 244 II StPO als Grundsatz der materiellen Wahrheit (Wahrheit verstanden als zutreffende Aussage über einen Wirklichkeitszustand) tatsächlich das exakte Gegenteil verlangen müsste, dürfte insofern für jedermann unmittelbar einsichtig sein. Nicht nur ist eine Pflicht zur Schätzung deshalb abzulehnen, vielmehr ist auch zu konstatieren, dass sich die Schätzung in einem der Kategorie 2 zuzuordnenden Sachverhalt in einem kaum übersehbaren Widerspruch zum Normbefehl des § 244 II StPO befindet. 615  Hofmann,

StraFo 2003, S. 70, 76. diese Richtung BGHSt 38, 186, 193; Krause, StraFo 2002, S. 249, 251; Haller / Conzen, Strafverfahren, Rn. 455. 616  In

228

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Sofern Hofmann erneut, unter Hinweis auf die Rechtsfigur der Wahlfeststellung, darauf verweist, dass dem deutschen Strafrecht auch ein gewisser Grad an Fiktionalität nicht fremd zu sein scheint,617 ist zunächst entgegenzuhalten, dass auch diese Rechtsfigur, insbesondere in Gestalt der ungleichartigen Wahlfeststellung, nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt des Art. 103 II GG schon länger umstritten ist und ihre Verfassungsmäßigkeit in jüngster Zeit auch von prominenten BGH-Richtern offen angezweifelt wird.618 Diese neueste Entwicklung dürfte vor allem auf die Beiträge Freunds katalysiert worden sein. Freund weist in überzeugender Art und Weise darauf hin, dass auch die alternative Begehung einer vergleichbaren Straftat nicht darüber hinweg hilft, dass die Strafbarkeitsvoraussetzungen jeweils einer der in Frage stehenden Straftaten nicht zweifelsfrei erfüllt sind.619 Weiter könne durch die bloße Addition zweier nicht nur unvollständig, sondern überhaupt nicht erfüllter gesetzlicher Sanktionsanordnungen keinesfalls eine neue gesetzliche Sanktionsanordnung entstehen. Auch die Sicherheit des Tatrichters hinsichtlich der alternativen Tatbestandserfüllung ändere an diesem Befund nichts.620 Die Ähnlichkeiten und Überschneidungen dieser Konstellation mit dem hier zu Grunde liegenden Untersuchungsgegenstand erscheint frappierend und macht deutlich, dass, anders als von Hofmann behauptet, allein der Verweis auf die Rechtsfigur der Wahlfeststellung nicht geeignet ist, die Schätzungspraxis einiger Strafsenate des BGH zu legitimieren. Diesbezüglich scheint ins Bild der hier durchgeführten Untersuchung zu passen, dass es gerade der 5. Strafsenat ist, der in seinem kürzlich ergangenen Beschluss621 der ablehnenden Haltung des 2. Strafsenates, unter Verweis auf die „Unvereinbarkeit mit unverzichtbaren Geboten der Gerechtigkeit“, entgegentritt.

617  Hofmann,

StraFo 2003, S. 70, 74. Beschl. 28.1.2014 – 2 StR. 495 / 12. 619  Freund, in: FS-Wolter, S. 35, 49, 53; zustimmend: von  Heintschel-Heinegg: http: /  / blog.beck.de / 2014 / 01 / 29 / demnächst-wird-der-bgh-das-institut-der-ungleichar tigen-wahlfeststellung-vermutlich-kippen, der deshalb davon ausgeht, die Rechtsfigur der ungleichartigen Wahlfeststellung werde, wie die des Fortsetzungszusammenhangs, „vermutlich kippen“. 620  In diese Richtung auch schon: Endruweit, Die Wahlfeststellung und die Problematik der Überzeugungsbildung, S. 251 ff., 264, 293 ff.; Alwart, GA 1992, S. 545, 550, 562 ff.; Köhler, Strafrecht AT 1997 S. 96; Schmidhäuser, Strafrecht AT, 2. Aufl. 1975, S. 144; Günther, Verurteilung im Strafprozess trotz subsumtionsrelevanter Tatsachenzweifel, S. 164; Mayer, Strafrecht AT, S. 417; Wolter, Wahlfestellung und in dubio pro reo, S. 47 ff. 621  BGH Beschl. v. 16.07.2014  – 5 StR. 39 / 14; in diese Richtung auch die einer ungleichartigen Wahlfeststellung zustimmenden Stimmen im Schrifttum: Tsai, Zur Problematik der Tatbestandsalternativen im Strafrecht, S. 187; Welz, Zum Verhältnis von Anstiftung und Beihilfe, S. 161. 618  BGH



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis229

Unabhängig von der Frage der Verfassungsmäßigkeit erscheint der von Hofmann angestellte Vergleich mit der Schätzung jedoch nur bedingt zutreffend. Der hierbei erreichte Fiktionsgrad ist ungleich höher. Während sich dieser bei der Wahlfeststellung im Rahmen einer konkretisierten Tatsachenbzw. Tatbestandsalternativität bewegt, geht es bei der Schätzung von Serienstraftaten um Taten, die teilweise über längere Zeiträume hinweg begangen worden sind und in Bezug auf die lediglich eine „gattungsmäßige“ Konkretisierung erfolgt.622 So wirft die Wahlfeststellung, im Gegensatz etwa zu den hier problematisierten Fällen der Schätzungen bei Serienstraftaten, auch keinerlei Probleme in Bezug auf Rechtskraft und Rechtshängigkeit auf, da die entsprechenden Alternativhandlungen im Eröffnungsbeschluss (bzw. bei einer Nachtragsanklage gemäß § 266 I StPO im Einbeziehungsbeschluss) jeweils benannt werden müssen, weil es sich nach h. M. grundsätzlich um prozessual selbstständige Einzeltaten handelt.623 cc) Zweifelsgrundsatz und „Fair-Trial“-Prinzip (1) Anwendbarkeit des Zweifelsgrundsatzes Den oben dargestellten erheblichen Bedenken gegen entsprechende Schätzungen wird von Seiten der Befürworter einer solchen Vorgehensweise entgegengehalten, dass der BGH hier jedoch den Zweifelssatz letztlich stets „konsequent zugunsten des Angeklagten anwende“.624 In der Tat betonen fast alle der hier untersuchten, eine Schätzungsmöglichkeit bei Serienstraf­ taten bejahenden Entscheidungen die Geltung des in dubio pro reo-Grundsatzes auf allen drei Ebenen der Schätzung. Vor Beantwortung der Frage, ob die durch die Schätzung hervorgerufene Fiktionalität sich letztlich ausschließlich zum Vorteil des Angeklagten auswirkt, bedürfte es allerdings zunächst eines Blickes auf die Anwendbarkeit des Zweifelsgrundsatzes. Auch diesbezüglich gilt es erneut zwischen den jeweiligen Schätzungsebenen zu differenzieren. Betrachtet man hier zunächst die auf der zweiten Ebene vorzunehmende Schätzung der durch den Einzeltäter begangenen Einzeltaten, so müsste es sich bei deren Anzahl (und Konkretisierung), um den Anwendungsbereich des Zweifelsgrundsatz zu eröffnen, zunächst um eine Voraussetzung handeln, die sich als unmittelbar aussagekräftig für die Entscheidung über eine nega-

diese Richtung auch: Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 120. zur h. M. anstatt vieler: Schlüchter, in: SK-StPO, 3. Aufl., § 261 Rn. 88; a. A. Behrendt, ZStW 94, S. 888, 911. 624  Hofmann, StraFo 2003, S. 70, 74. 622  In

623  Vgl.

230

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

tive Statusveränderung625 darstellt.626 Spätestens hier wird jedoch, zumindest in Bezug auf die in Serie begangenen Vermögensstraftaten, ein unübersehbarer logischer Bruch im argumentativen Konstrukt des BGH offenbar. So hatte dieser doch den Versuch unternommen, die sich aus dem Wegfall des Fortsetzungszusammenhangs ergebende logische Konsequenz der alleinigen Relevanz der individuellen Einzeltat als Anknüpfungspunkt des Anklagevorwurfs zu umgehen, indem er die Einzeltat zur „quantité négligeable“ erklärt hatte. Denn entscheidende Bedeutung für die Würdigung des Unrechtsgehaltes von Serienstraftaten soll doch nach dem Verständnis der entsprechenden BGH-Senate gerade dem „Gesamtumfang“ bzw. dem „Mindestschuldumfang“ zukommen, während die „Aufteilung des Gesamtschadens […] kein zwingendes Gebot der Gerechtigkeit, sondern der Konkurrenzregelungen des Strafgesetzbuches“ sei.627 Demnach ist sowohl die Frage des „Ob“ der Bestrafung, als auch die ihrer Höhe schon durch die Schätzung der Schadenssumme beantwortet, weshalb der Grundsatz „in dubio pro reo“ hier schon mangels Relevanz für eine potentielle negative Statusveränderung nicht zur Anwendung kommen dürfte. Sofern Zopfs deshalb den von den Befürwortern einer Schätzung in diesem Zusammenhang gemachten Hinweis auf diesen Grundsatz in sehr pointierter Art und Weise als „aus rechtsstaatlichen Gründen verordnetes Verdauungsmittel“ bezeichnet, scheint dies nicht ganz von der Hand zu weisen zu sein.628 Doch auch bezüglich der ersten Ebene bzw. der in Serie begangenen Sexualdelikte629 scheinen Schätzung von schuldrelevanten Faktoren und Zweifelgrundsatz im Bereich der Kategorie 2 nicht recht miteinander harmonieren zu wollen. In beiden Fällen (sowohl des zu schätzenden „Gesamtschadens“, als auch der Zahl der Einzeltaten bei Sexualdelikten) handelt es sich zweifelsfrei um „Bausteine“ einer für den Angeklagten negativen Statusveränderung, was den grundsätzlichen Anwendungsbereich des Zweifelsgrundsatzes eröffnet. Weiter kommt die Entscheidungsregel nur zur Anwendung, wenn auch ein relevanter Zweifel hinsichtlich dieses – das „Ob“ der negativen Statusveränderung unmittelbar beeinflussenden – Faktors besteht.630 Für 625  Hier die Frage der rechtswidrigen und schuldhaften Begehung der angeklagten Straftat. 626  Siehe B. II. 5. 627  BGHSt 40, S. 374, 376 f.; BGH StV 2000, S. 600; BGH NJW 1995, S. 2933, 2934; BGH NStZ 1997, S. 280; so auch Ott / Bundschuh JA 2005, S. 453, 455; Hofmann, StraFo 2003, S. 70, 75, „nicht gerechtfertigte Überbetonung der Bedeutung der Konkurrenzen“ 628  Zopfs, StV 2000, S. 601, 602. 629  Sowie grundsätzlich auch für die zweite Ebene der in Serie begangenen Vermögensdelikte, sofern man über die hier dargestellten logischen Unzulänglichkeiten hinweg zu sehen bereit ist.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis231

Faktoren, die der Kategorie 2 unterliegen, genügt die mit der Schätzung allenfalls erreichte Überzeugung (von der wahrscheinlichen Übereinstimmung eines entsprechenden Wertes außerhalb des Anwendungsbereiches der aus dem Sanktionsbereich bekannten gesetzlichen Schätzklauseln) gerade nicht den Anforderungen des § 261 StPO. Dieser verlangt als Voraussetzung einer für den Angeklagten negativen Statusveränderung vielmehr die volle (intersubjektiv nachvollziehbare) Überzeugung von der Übereinstimmung mit der Realität. Anders als im Zusammenhang mit den Fällen der Kategorie 1 kann es folglich auch nicht auf die Frage ankommen, ob das Schätzungsergebnis einen punktuellen Wahrscheinlichkeitshöhepunkt erreicht, oder sich in der bloßen Angabe eines gleichwertigen Rahmenwertes erschöpft. Selbst wenn der Wahrscheinlichkeitswert in einem bestimmten Bereich kulminiert, besteht mangels Überzeugung von der Übereinstimmung des ermittelten Wertes mit der Wirklichkeit auch weiterhin ein relevanter Zweifel hinsichtlich der Möglichkeit eines anderen (evtl. weniger wahrscheinlichen) Geschehensablaufs. Dabei handelt es sich, soweit es die hier untersuchte Kategorie 2 anbelangt, auch stets um einen endgültigen Zweifel, da das Schätzergebnis hier unter erschöpfender Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel im Sinne des § 244 II StPO erreicht worden ist. Da sich die Überzeugung des Tatrichters allein auf Grundlage der Schätzung auch für die übrigen daraus hervorgegangenen Werte nicht sicher erreichen lässt, wäre Konsequenz der Anwendung des Zweifelssatzes die Reduktion auf den für den Angeklagten günstigsten Wert.631 Dies müsste somit regelmäßig zum Verzicht auf die negative Statusveränderung, also zum Freispruch des Angeklagten führen. Wo die Befürworter der Schätzung dieser Konsequenz mit der Anforderung einer „Negativkontrolle“ dergestalt begegnen, dass die Schätzung Anhaltspunkte voraussetze, die belegten, dass der wirkliche Wert nicht geringer (zu verstehen als für den Angeklagten günstiger) ausfallen könne als der geschätzte Wert,632 bzw. darauf abstellen, dass unter dem Gesichtspunkt des Zweifelssatzes eine Schätzung des „Mindestumfangs“ stattzufinden habe, offenbaren sich erneut die logischen Grenzen der Schätzungspraxis. Das Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte bewirkt in der Tat, dass die Anwendung des Zweifelgrundsatzes nicht die Reduktion auf den Nullwert nach sich zieht, sondern auf den sich aus den Anhaltspunkten ergebenden Mindestwert. Ein solches Vorgehen kann allerdings kaum 630  Sofern Zopfs, in dubio pro reo, S. 291 ff., diesbezüglich davon ausgeht, dass der Zweifelssatz auf Fälle tatsächlicher Beweisschwierigkeiten nicht anwendbar ist, kann auf die Ausführungen zu C. I. 5. b) bb) verwiesen werden. 631  In Abhängigkeit von der jeweiligen Fallgestaltung und dem in Frage stehenden Faktor kann es sich dabei um den Nullwert oder einen negativen Wert handeln. 632  BGH NStZ 1998, 208; BGH, StV 1998, 472; Krause, StraFo 2002, S. 249, 253.

232

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

noch als „Schätzung“ bezeichnet werden.633 Vielmehr handelt es sich um eine simple, schulmäßige Anwendung des Zweifelsgrundsatzes, im Zusammenspiel mit § 261 StPO, bei der mangels Überzeugung des Tatrichters von der Voraussetzung für eine negative Statusveränderung, zugunsten einer für den Angeklagten weniger negativen, verzichtet wird. Die Schätzung wird nach diesem Verständnis zumindest im Bereich der zweiten Kategorie also vollständig obsolet.634 Demnach ist zu konstatieren, dass das gleichzeitige Bestehen von Schätzung und Zweifelsgrundsatz sich im Rahmen der Kategorie 2 nicht miteinander vereinen lässt. (2) Wirkung „contra reum“? Unabhängig davon, dass Schätzungen und Zweifelsgrundsatz im Anwendungsbereich der Kategorie 2 sich gegenseitig auszuschließen scheinen, bedarf es jedoch auch eines Blickes auf die nach der Rechtsprechungslösung eintretenden Folgen für den Angeklagten. Trifft es also zu, dass die durch die Schätzung entstehende Fiktionalität letztlich nicht zum Nachteil des Angeklagten erwächst, weil sich die Schätzung stets an einem Mindestmaß orientieren soll? Insbesondere in Bezug auf die sowohl bei Vermögensdelikten, als auch bei Sexualstraftaten erfolgende schätzungsweise Quantifizierung der jeweiligen Einzeltaten erscheint ein gehöriges Maß an Skepsis angebracht. Wie bereits herausgearbeitet, zeichnet sich die Schätzung der Einzeltaten sowohl bei Vermögens- als auch Sexualdelikten durch einen völligen Verzicht auf jegliche Konkretisierung der jeweils die Tatserie konstituierenden Einzelakte zugunsten einer auf Schadens- und Mengenangaben beruhenden Würdigung des Gesamtumfangs aus. Die mit diesem Individualisierungsverzicht einhergehenden problematischen Auswirkungen auf die Verteidigungsposition des Angeklagten waren bereits im Zusammenhang mit der fortgesetzten Handlung – die häufig durch ein summarisch und gleichsam pauschal festgestelltes Tatgeschehen geprägt war – bekannt und haben entscheidend zur letztlichen Aufgabe der Rechtsfigur geführt.635 Auch in Bezug auf die Schätzungspraxis des BGH bei Serienstraftaten erscheint die relevante 633  In diese Richtung auch: Fischer, StraFo 2012, S. 429, 432; im Ergebnis wohl auch Krause, StraFo 2002, S. 249, 250, jedoch auf einer kaum differenzierenden, pauschalen und insgesamt nicht überzeugenden Begründung beruhend; Ott / Bundschuh, JA 2005, S. 453, 455. 634  Freilich hängt die genaue Ausgestaltung der richterlichen Überzeugung in Bezug auf den Mindestwert von den jeweiligen Anforderungen an die Konkretisierung der Einzeltat ab. 635  Geppert, NStZ 1996, S. 57, 58; BGHR StPO § 267 I 1; BGHSt 40, 138, Rn. 26.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis233

Schwächung der Verwendungsmöglichkeiten als immer wiederkehrendes Argument in der diesbezüglich kritischen Literatur.636 Eine deutliche Erschwerung der Verteidigungsmöglichkeit des Angeklagten ergibt sich insbesondere daraus, dass das Fiktionalisierung des dem Angeklagten gemachten Tatvorwurfes – in Gestalt des Abstellens auf einen Gesamtumfang, mitsamt entsprechender nicht konkretisierter, sondern allenfalls anhand entsprechender Frequenzen bestimmter Einzeltaten – der Verteidigung die Führung des Alibibeweises nicht nur erschwert, sondern unter Umständen sogar völlig entzieht. Die Verteidigung müsste unter diesen Voraussetzungen den Alibi­ beweis auf einen entsprechenden (u. U. sehr langen) Gesamtzeitraum erstrecken, was ihr naturgemäß kaum möglich sein wird.637 Obgleich dies nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Grundsatz „in dubio pro reo“ als Entscheidungsregel steht,638 hindert nichts daran, die durch die oben beschriebene Rechtspraxis mittelbar eintretenden (negativen) Folgen für die prozessuale Situation des Angeklagten zu betrachten. Was hierbei im All­ gemeinen eher kryptisch als „Verteidigungsmöglichkeit“ umschrieben wird, lässt sich auch im Rahmen des – sowohl grundgesetzlichen, als auch in der EMRK garantierten – Fair-Trial-Grundsatzes verorten. An dieser Stelle in eine intensive Diskussion um die Dogmatik und die einzelnen Ausprägungen des Fair-Trial-Grundsatzes einzusteigen, würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit wohl sprengen. Es soll hier also lediglich ein Überblick der Problemlage, in Bezug auf die prozessuale Stellung des Angeklagten in der hier diskutierten Fallgestaltung gegeben werden.

636  Fischer, StraFo 2012, S. 429, 432; Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 90; in Bezug auf die „Kassenarzt“-Entscheidung: Salditt, StV 1990, S. 151, 153. 637  Deckers, NJW 1996, 3105; Zopfs, StV 2000, S. 601, 603. 638  Es sei an dieser Stelle erneut darauf hingewiesen: in dubio pro reo statuiert eine Entscheidungsregel, für Fälle, in denen der Richter über eine für den Angeklagten belastende Statusveränderung zu entscheiden hat und die Voraussetzungen dieser Statusveränderung zur völligen richterlichen Überzeugung feststehen müssen. Sofern es dem Richter hier nicht gelingt, zu einer Überzeugung hinsichtlich der für die Statusveränderung unmittelbar relevanten Voraussetzungen zu gelangen, muss er auf die Vornahme der belastenden Statusveränderung verzichten (vgl. Zopfs, in dubio pro reo, S. 263 ff.). Die Begehung der jeweiligen Einzeltaten statuiert hier die Voraussetzung der belastenden Statusveränderung Schuldspruch. Die Verteidigungsmöglichkeit des Angeklagten spielt insofern für die Anwendung des Zweifelsgrundsatzes unmittelbar keine Rolle.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

(a) R  echtsgrundlage und dogmatische Einordnung des „Fair-Trial“-Prinzips Unabhängig davon, dass das Fair-Trial-Prinzip in der strafrechtlichen Literatur häufig als Prozessmaxime klassifiziert wird,639 sehen das überwiegende strafrechtliche und verfassungsrechtliche Schrifttum640 sowie das Bundesverfassungsgericht641 es als in Art. 2 I i. V.m 20 III GG verankertes, einklagbares Grundrecht an. Die EMRK enthält im Gegensatz zum Grundgesetz eine Positivierung des Fair-Trial-Prinzips in Art. 6 EMRK. Nach Ansicht des ­ Bundesverfassungsgerichtes kommt der EMRK hierzulande der Rang eines einfachen Gesetzes zu, da sie gemäß Art 59 II GG mittels einfachen Transformationsgesetzes ratifiziert wurde. Die Völkerrechts-Freundlichkeit des Grundgesetzes gebiete jedoch, sowohl einfaches Recht als auch Verfassungsrecht im Lichte der EMRK auszulegen, wobei die Ex-Posterior-Regelung nicht anzuwenden sei.642 (b) R  echt auf effektive Verteidigung im Rahmen des „Fair-Trial“-Prinzips nach Art. 6 EMRK Die Garantie des „fair hearing“ aus Art. 6 I EMRK wird als allgemeine Garantie des fairen Verfahrens begriffen. Daneben bestehen weitere unbenannte Einzelrechte sowie explizit benannte Ausprägungen des Fair-TrialGrundsatzes; unter diesen fallen insbesondere die Verteidigungsrechte aus Art. 6 III EMRK. Sie genießen dieselbe hohe Wertschätzung, die der EGMR dem Recht auf ein faires Verfahren zukommen lässt.643 Das Prinzip des fairen 639  Gebot: BGHSt 29, 109 (112); 42, 170 (172); Recht: BGHSt 36, 305, (312); 43, 195 (203 f.); Anspruch: BGHSt 24, 125 (131); 29, 274 (278); 32, 345 (350 f.); 36, 305 (308 f.). Rzepka, Fairness im deutschen Strafverfahren, S. 129 ff.; Steiner, Fairnessprinzip im Strafprozess, 1995, S. 41 ff.; z. T. wird dieses sogar nur als deklaratorisches Gebot verstanden: Heubel, Fair Trial, S. 40 ff., S. 145; Krey, Strafverfahrensrecht, Rn. 474; Kindhäuser, Strafprozessrecht, 2. Aufl. 2010, § 18 Rn. 11; krit. Bottke, in: FS-Meyer-Goßner, S. 73, 81. 640  Bottke, FS-Meyer-Goßner, S. 73, S. 81; Pfeiffer / Hannich, in: KK, Einl. 28; Rogall, in: SK-StPO, Vor § 133, Rn. 101 f.; Degenhart, in: Sachs GG, Art. 103 Rn. 42 ff. m. w. N. Zusätzliche Verankerung im Sozialstaatsprinzip Roxin / Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 11 Rn. 11. 641  BVerfGE 26, 66 (71); 38, 105 (111 ff.); 57, 250 (274 ff.); 63, 45 (60). 642  BVerfGE 74, 358 (370); 82, 106 (114); 111, 307, 317; ebenso Dreier, in: Dreier GG, Vorbem. Rn. 22. Zur diesbezüglichen Entwicklung der Rechtsprechung: Schilling, Deutscher Grundrechtsschutz zwischen staatlicher Souveränität und menschenrechtlicher Europäisierung, S. 40 ff.; Brunhöber, ZiS 2010, S. 761, 763; a. A. etwa Hoffmann-Riem, EuGRZ 2002, S. 473, 475 m. w. N. 643  Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 161; Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, S. 400; Kühne, JZ 2003, S. 670, 671.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis235

Verfahrens wird nach allgemeiner Auffassung als Garantie von herausragendem Rang verstanden, weshalb Art. 6 EMRK nicht restriktiv auszulegen sei, was insbesondere für die Verteidigerrechte bedeutet, dass diese nicht lediglich in abstrakter Form gewährleistet werden dürfen, sondern es kommt auf ihre tatsächliche Verwirklichung an.644 Auch wenn sich bisher keine allgemeine Definition des Fairnessbegriffes herausgebildet hat, beweist die umfangreiche Rechtsprechung des EGMR, dass das Recht des Angeklagten auf wirksame Verteidigung einen konstitutiven Grundbaustein des Gesamtrechtes bildet.645 Insgesamt ist die Garantie einer wirksamen Verteidigung im Strafverfahren tragende materielle Essenz und Wesensgehalt hinter den verschiedenen benannten und unbenannten Verteidigungsrechten des Art. 6 EMRK, weshalb die verschiedenen inhaltlichen Ausprägungen auf Inhaltsebene zu „dem“ Recht des Angeklagten auf wirksame Verteidigung, im Sinne einer prozesssubjektwahrenden wirksamen Teilnahme zusammenfassen lassen.646 Dabei ergibt sich aus der Forderung nach wirksamkeitsverpflichtender Auslegung der EMRK die Konsequenz, dass die Überprüfung der Wahrung der benannten und unbenannten Verteidigungsrechte sich nicht auf die bloße Kontrolle der rein formalen Erfüllung beschränkt.647 Der EGMR betont hingegen in ständiger Rechtsprechung die Forderung nach einer nicht nur theoretischen, sondern im Einzelfall praktisch wirksamen Auslegung der Verteidigungsrechte.648 (c) S  chätzung von Serienstraftaten aus der Sicht des Rechtes auf effektive Verteidigung Entsprechende Urteile zu dem hier behandelten spezifischen Problem finden sich weder aus der Feder des Bundesverfassungsgerichtes649 noch des 644  Haeflinger / Schürmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, S. 131; Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 162; Schorn, Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte, S. 212; Vogler, ZStW 89, S. 761, 762. 645  EKMR, Jespers v. Belgium, 14.12.1981, Application No. 8403 / 78, Report of the Commission, S. 17; EKMR, Nielsen v. Denmark, 15.03.1961, Application No. 343 /  57, Report of the Commission, S. 79; Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 292; Demko, Menschenrecht auf Verteidigung, S. 240. 646  Demko, Menschenrecht auf Verteidigung, S. 237; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 361. 647  Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 89 ff. 648  EGMR, Artico v. Italy, 13.05.1980, A37, § 33; EGMR, Brennan, v. The United Kingdom, 16.10.2001, Reports 2001-X; EGMR, Czekalla v. Portugal, 10.10.2002, Reports 2002-VIII, § 60; EGMR, S. v. Switzerland, 28.11.1991, § 48; EGMR, Im­ brioscia v. Switzerland, 24.11.1993, A275, § 38; Jung, StV 1990, S. 515. 649  Mit Ausnahme der in der vorliegenden Arbeit bereits dargestellten Entscheidung (Al-Qaida-Fall), in der die Schätzung grundsätzlich für zulässig erachtet wird, die jedoch eine völlig andere Fallgestaltung betrifft.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

EGMR. Gleichwohl lassen sich insbesondere der EMRK bzw. der Rechtsprechung des EGMR bestimmte inhaltlich normative Vorgaben bezüglich des strafprozessualen Beweisrechtes und Beweisverfahrens entnehmen. Grundsätzlich betont der EGMR zwar die Kompetenz der Mitgliedsstaaten zur Ausgestaltung des Beweisverfahrens.650 Auf Basis des Art. 6 EMRK und seiner spezifisch auf den Menschenrechtsschutz des Angeklagten ausgerichteten Betrachtungsweise des Straf- und Beweisverfahrens, beurteilt der EGMR die Frage nach wirksamer Wahrung der Verteidigungsrechte des Angeklagten im Rahmen einer Gesamtabwägung des Verfahrens.651 Die im hiesigen Zusammenhang relevanten geschriebenen Verteidigungsrechte, etwa aus Art. 6 III EMRK (Informationsanspruch, Vorbereitungsgarantien, garantierte Verteidigungsformen), sowie die durch den EGMR entwickelten ungeschriebenen Ausprägungen des Verteidigungsrechtes, etwa in Form des Anspruchs auf rechtliches Gehör, des Rechtes auf Anwesenheit und Teilhabe, des Schweigerechtes und auch bestimmte Vorgaben zum Beweisrecht652, werden flankiert bzw. vervollkommnet durch das Rechtsprinzip der Waffengleichheit.653 Denn jedes einem Angeklagten zwar eingeräumte, jedoch in Bezug auf seine Geltendmachung ungleich behandelte Recht kann im Ergebnis nicht als tatsächlich wirksam bezeichnet werden. Insofern setzt Waffengleichheit die Gewährung einer geeigneten und nicht im Vergleich zur Anklage substanziell benachteiligten Verteidigungsmöglichkeit voraus,654 wobei dies im Hinblick auf die wirksamkeitsverpflichtende Auslegung nicht nur die formelle, sondern eine in der Sache materiell gleichwertige Gestaltungsmöglichkeit des Entscheidungsfindungsprozess bedeuten kann.655 Kühne bezeichnet das Prinzip der Waffengleichheit sogar als „Essenz“ des Rechtes auf ein faires Verfahren.656 650  Anstatt vieler: EGMR, P.S. v. Germany, 20.12.2001; Application No. 33900 / 96, § 19; EGMR, Vidal v. Belgium, 22.04.1992, A235-B,§ 33. 651  EGMR, Kostovski v. The Netherlands, 20.11.1989, A166, § 39: „provided the rights of the defence have been respected.“ Bzw bezogen auf das Beweisverfahren: „to acertain whether the proceedings considered as a whole, including the way in which evidence was taken, were fair; Gaede, Fairness als Teilhabe, 319; Demko, Menschenrecht auf Verteidigung, S. 313. 652  Siehe dazu: Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 319 ff. 653  Neumeister v. Austria, Nr. 8, § 22; Delcourt v. Belgium, Nr. 11, §§ 28 f.; Engel u. a. v. Netherlands, Nr. 22, § 91; Bönisch v. Austria, Nr. 92, §§ 29 ff.; Ekbatani v. Sweden, Nr. 134, § 30; Kühne, in: IntKommEMRK, Art. 6 N. 372; Ambos, ZStW 115, S. 583, 592 ff.; Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 305 ff.; Demko, Menschenrecht auf Verteidigung, S.  356 ff. 654  Demko, Menschenrecht auf Verteidigung, S. 356 ff.; Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 306. 655  Gollwitzer, Menschenrechte im Strafverfahren, Art. 6 MRK / Art. 14 IPBPR, S. 316 N 60; Kühne, in: IntKommEMRK, Art. 6 N 372.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis237

Demko bezeichnet die Quintessenz des Menschenrechtes auf ein faires Strafverfahren und damit insbesondere auch auf ein faires auf Tatsachenfeststellung abzielendes Beweisverfahren, als „ein wahrheitsgerichtetes Erkenntnisverfahren, welches auf seinem Weg zur Ermittlung der Wahrheit als ein Objektivität zu wahren habendes dialektisches Erkenntnisverfahren zu charakterisieren ist und hierbei von dem zu erfüllenden Erfordernis der Beachtung von These und Antithese geprägt ist.“657 Dies spiegelt sich insbesondere in der Forderung des EMRK nach einem kontradiktorischen („adversarialen“) Verfahren wieder. Auf dieser Grundlage und vor dem Hintergrund der oben dargestellten Anforderungen der EMRK wird die der hier dargestellten Fallgestaltung innewohnende Problematik besonders deutlich sichtbar. Diese zeichnet sich durch ein grundsätzliches und erhebliches strukturelles Ungleichgewicht zwischen Anklage und Verteidigung aus. Denn der – letztlich mit Gerechtigkeitsgesichtspunkten gerechtfertigten – Herabsetzung der Beweiserfordernisse hinsichtlich der jeweiligen Einzeltat für die Anklage entspricht spiegelbildlich eine Erhöhung auf Seiten der Verteidigung. Dieser ist mit dem Alibibeweis eines der wichtigsten Instrumente zur Ausarbeitung einer der Anklagethese entgegentretenden Antithese genommen (hinsichtlich entsprechender Einzeltaten in Ermangelung jeglicher Konkretisierung). Eine Entkräftung des Tatvorwurfes kann somit fast ausschließlich über die Widerlegung des Gesamtvorwurfes geschehen, was sich allerdings aufgrund seines insgesamt abstrakten und fiktionalen Charakters ebenfalls als äußerst diffizil erweisen muss. Von einer aus dem dialektischen Charakter des Erkenntnisverfahrens resultierenden Erforderlichkeit eines die Einheit von These und Antithese waffengleich gewährenden Beweisverfahrens (bzw. einer entsprechenden Beweiserhebungsphase)658 kann unter diesen Umständen kaum noch die Rede sein. Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund des aus der Menschenwürde abgeleiteten Gebotes der Prozesssubjektivität des Angeklagten als wesensgebendem Teil des Fair-Trial-Prinzips. Denn es verlangt, dass gerade der Angeklagte selbst und nicht etwa das Gericht – im Zusammenhang mit der Schätzung, etwa durch die (wie auch immer) auf dem Zweifelsgrundsatz beruhende Einführung eines Mindestumfanges – das Antithetische ins Strafverfahren einzubringen in der Lage ist.659 All dies bewegt sich im Er656  Kühne,

657  Demko,

in: IntKommEMRK, Art. 6 N. 372. Menschenrecht auf Verteidigung, S. 332; dazu auch: Müller, ZStrR

1979, S. 169. 658  Demko, Menschenrecht auf Verteidigung, S. 334. 659  In diese Richtung: Thiele, Wirtschaftskriminalität und Strafverfahren, S. 323; Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechtes, S. 139 ff.; Velten, Befugnisse der Ermittlungsbehörden zu Information und Geheimhaltung, S. 169; Demko, Menschenrecht auf Verteidigung, S. 334.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

gebnis gefährlich nah an einer Beweislastumkehr im Strafprozess. Der bestreitende, zur Wahrnehmung seines Rechtes auf antithetische Teilnahme am strafprozessualen Wahrheitsfindungsprozess willige Angeklagte könnte in einer solchen Situation, in der er also eine der Wirklichkeit nicht entsprechende Verurteilung verhindern will, letztlich auf den Ausweg der Aufgabe seines Schweigerechtes beschränkt sein, was eine unter Gesichtspunkten des Fair-Trial-Grundsatzes ebenfalls inakzeptable Konsequenz darstellt. (d) Fazit Eine Betrachtung der Rechtspraxis der Schätzung bei Serienstraftaten unter besonderer Einbeziehung der Wertungen der EMRK offenbart somit die Probleme, die diesbezüglich für die legitime Verteidigungsposition des Angeklagten entstehen. Der bloße Verweis auf die „konsequente Anwendung des Zweifelssatzes zugunsten des Angeklagten“660 scheint (unabhängig von den oben beschriebenen dogmatischen Unzulänglichkeiten bei Vermischung von Schätzung und Zweifelssatz im Bereich der Kategorie 2) deshalb insgesamt zu kurz gegriffen. dd) Rechtskraft und Rechtshängigkeit Ein Tatvorwurf, der sich im Urteil in einem zumindest partiell fiktionalen Gesamtgeschehen erschöpft, und dessen konstituierende Einzelakte keine weitere Konkretisierung und Individualisierung erfahren haben als die auf Schätzung beruhende Frequenzangabe, wirft naturgemäß auch Fragen hinsichtlich der Rechtskraft eines entsprechenden Urteils auf. In der Tat erscheint es fraglich, wie in Bezug auf den verfassungsrechtlich angeordneten Strafklageverbrauch zu verfahren ist, wenn nachträglich gleichartige Vorfälle sichtbar werden. Die hier von der Rechtsprechung angebotene Lösung ist denkbar einfach: Da das Problem von Tatbestandsverwirklichungen in Bezug auf die Verwechslung mit anderen gleichartigen, jedoch im Zusammenhang mit der Tatserie abgeurteilten Vorfällen nicht ausgeschlossen werden kann, kommt abermals der Zweifelsgrundsatz zur Anwendung, weshalb entsprechende Taten im Zweifel als mitabgeurteilt gelten sollen.661 Aus dogmatischer Sicht sieht sich eine solche Lösung von Seiten des Schrifttums z. T. nicht unerheblicher Kritik ausgesetzt. Erb verweist darauf, dass allein die Unbestimmtheit der getroffenen Feststellungen so zum rechtskraft-erweiternden Faktor werde.662 660  Hofmann,

StraFo 2003, S. 70, 74. NStZ 1994, S. 586; BGH NJW 1994, 1668; Hofmann, StraFo, 2003, S. 70, 74; Jähnke, GA 1989, 390. 661  BGH



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis239

Ähnliches ergibt sich in Bezug auf die Anklageschrift und die damit verbundene Rechtshängigkeit. Naturgemäß betrachtet die Rechtsprechung trotz Vorliegens von Tatmehrheit in den oben dargestellten Fällen die Angabe des „Gesamtgeschehens“ als ausreichend. So sollen etwa die Angabe von Tatopfer, Art und Weise der Gesamtbegehung sowie Tatzeitraum genügen.663 Moniert wird diesbezüglich insbesondere, dass somit ein im Verlauf der Hauptverhandlung entdeckter Gesetzesverstoß ohne Nachtragsanklage abgeurteilt werden könnte. Auch hier wirkt sich die Unbestimmtheit der Feststellungen letztlich als rechtshängigkeitserweiternder Faktor aus, da aufgrund der Unbestimmtheit der Einzelakte in der Anklageschrift jede hinzutretende Einzelhandlung von der Anklageschrift umfasst sein könnte. Dies würde insbesondere problematisch, wenn die jeweiligen Einzelakte in verschiedene örtliche Zuständigkeiten fallen würden.664 Die Serienmäßigkeit allein erlaube insofern keine Abstriche vom Grundsatz der Konkretisierung in der Anklageschrift.665 c) Lösungsvorschläge Somit sind die – nach Meinung des Verfassers – bestehenden Schwierigkeite des mit der Schätzung durch die entsprechenden Strafsenate zur Lösung des Problems der Serienstraftaten eingeschlagenen Weges dargestellt. Die Schätzung hat sich hier als gänzlich inadäquates Mittel erwiesen, da sie im Bereich der Kategorie 2 sowohl in Bezug auf den Grundsatz der richterlichen Überzeugung, als auch in Bezug auf den Zweifelsgrundsatz sowie teilweise sogar im Zusammenhang mit dem Aufklärungsgrundsatz zu erheblichen Friktionen führt. Im Anschluss gilt es, einen Überblick über einige zur Fallgruppe der „Serienstraftaten“ diskutierte Lösungsvorschläge zu liefern. aa) Lösungen auf prozessualer Ebene Obgleich die Konsequenz des Aufeinandertreffens rechtlicher Selbstständigkeit und unmöglicher Individualisierung der die „Tatserie“ konstituierenden Einzeltaten teilweise in der zwingenden Annahme eines Freispruchs gesehen wird – wenn auch einem unbefriedigenden Freispruch vor dem Hintergrund der Überzeugung des Richters von einem strafbaren „Gesamtgesche662  Erb,

GA 1995, S. 430; 437. Beschl. v. 29.11.1994 – StR 648 / 94; BGH NStZ 1995, 254; BGH NStZ, 1994, 502; BGH, Beschl. v. 8.12.1994 – 4 StR 536 / 94, BGH NStZ 1995, 244. 664  Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 87, fragt in diesem Zusammenhang, ob im Zweifel beide Gerichte Zuständig oder unzuständig sind bzw. wie diesem Dilemma sonst entgangen werden soll; Erb, GA 1995, S. 430, 437. 665  Erb, GA 1995, S. 430, 437. 663  BGH,

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

hen“, bilden sich im Schrifttum einige davon abweichende, gleichfalls auf der Annahme mehrerer selbstständiger Taten beruhende Lösungsvorschläge ab, von denen die wichtigsten hier dargestellt werden sollen. (1) Die gleichartige Verbrechensmenge (a) Grundsätze Die Rechtsfigur der gleichartigen Verbrechensmenge geht im Wesentlichen auf Nowakowsi666 zurück. Ansatzpunkt sind Fallgestaltungen, bei denen weder eine Individualisierung, noch eine Ermittlung der Begehungsanzahl der Einzeltaten möglich ist. Die fehlende Individualisierung verhindert danach weder die Anklage, noch die Verurteilung. Vielmehr genüge die Angabe einer Mindestzahl von Einzelakten. Obgleich die jeweiligen Einzeltaten nicht zu einer einheitlichen prozessualen Tat verbunden sein sollen, geht Nowakowski von einer prozessualen Einheit der Einzelakte insofern aus, als dass sich das Beweis- und Rechtsmittelverfahren nur auf die Gesamtverbrechensmenge beziehe. Mengenangaben seien insofern irrelevant, als dass nachträglich bekanntwerdende Einzelakte der Gesamtverbrechensmenge mindestens dem Grundsatz „in dubio pro reo“ unterfallen.667 Klumpe bezeichnet die Rechtsfigur insofern als „res mixta“ zwischen einheitlicher prozessualer Tat und völliger Selbstständigkeit der Einzelakte.668 Voraussetzung ist neben der Gleichartigkeit der Einzeltaten im Delikts­ typus die fehlende Individualisierbarkeit. Anknüpfungspunkt von Anklage und Urteil wird somit allein die individualisierbare Verbrechensmenge als solche, wobei die Individualisierung vornehmlich anhand des Tatzeitraumes erfolgt, was zur Folge hat, dass außerhalb des entsprechenden Zeitraums liegende Einzelakte nicht von der Verbrechensmenge umfasst werden. Daneben kann eine Individualisierung auch anhand des Tatortes geschehen, mit identischen Konsequenzen für die Behandlung der Einzeltaten, die diesem Kriterium nicht unterfallen. (b) Kritik Die Figur der gleichartigen Verbrechensmenge weist in ihren Grund­ voraussetzungen und Konsequenzen letztlich eine frappierende Ähnlichkeit 666  Nowakowski, Fortgesetztes Verbrechen und gleichartige Verbrechensmenge, S. 11, 55. 667  Nowakowski, Fortgesetztes Verbrechen und gleichartige Verbrechensmenge, S. 59, 60, 63 ff. 668  Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 110.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis241

mit dem hier dargestellten teilweise auf die Schätzung zurückgreifende Praxis einiger Strafsenate des BGH in Bezug auf die „Serienstraftat“ auf. Erb konstatiert deshalb, es handle sich dabei um eine Rezeption dieser Rechtsfigur.669 Während die Rechtsfigur sich in der österreichischen Strafrechtsdogmatik durchgesetzt hat,670 ist sie hierzulande weitgehend ignoriert worden.671 Sie basiert zwar nicht, wie die Lösung des BGH, teilweise auf Schätzungen, begegnet jedoch als ausschließlich von Pragmatismus getriebene Lösung im Ergebnis der identischen Kritik (im Hinblick auf die Individualisierung der Einzeltaten sowie ihrer dogmatischen Begründbarkeit). Dies gilt im Besonderen für die prozessuale Verknüpfung der Einzelakte, die sich, Nowakowskis Ansatz zufolge, eben ausdrücklich nicht aus dem Bestehen einer einheitlichen prozessualen Tat, sondern im Grunde nur aus der Schwierigkeit in Bezug auf die von der StPO aufgestellten Individualisierungserfordernisse ergibt.672 Insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine Individualisierung der Gesamtverbrechensmenge hier nur nach dem rudimentären Kriterium des Zeitraums erfolgen soll (der darauf beruhenden alleinigen Relevanz des Gesamtverhaltens) ist zu monieren, dass der Bereich des Tatstrafrechtes zugunsten einer strafbaren Lebensführung verlassen wird.673 Auch hier gelten die hinsichtlich der Einschränkung der legitimen Verteidigungsmöglichkeit des Angeklagten bereits geäußerten Bedenken.674 Klumpe stellt insofern fest, dass es sich bei dem von Nowakowski entwickelten Modell letztlich um einen nicht gangbaren Verzicht auf die in §§ 200, 264 StPO enthaltenen ­ Grundsätze handelt.675 (2) P  rozessualer Feststellungszusammenhang im Wege der erweiterten Anwendung des Rechtsinstituts der Wahlfeststellung (a) Grundsätze Auch Bohnert versucht sich in der Suche nach einem dogmatischen Fundament für die Herstellung einer prozessuale Beziehung der Einzelakte einer „Serienstraftat“, mit dem Ziel der Bewältigung der damit verbundenen Probleme von Rechtskraft, Rechtshängigkeit und Feststellungserfordernis.676 Zur 669  Erb,

GA 1995, S. 438. ÖJZ 1987, S. 323, 327; Triffterer, Österrr. Strafrecht AT 18 / 72. 671  Erb, GA 1995, S. 438. 672  Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 112 ff. 673  Jähnke, GA 1989, 390. 674  Deckers, NJW 1996, S. 3105 ff. 675  Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 114, 115. 676  Bohnert, NStZ 1995, S. 460; ähnlich Bittmann / Dreier, NStZ 1995, S. 105, 107. 670  Schmoller

242

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Erreichung eines solchen prozessualen Feststellungszusammenhangs schlägt er einen „gelockerten Gebrauch des Rechtsinstitutes der Wahlfeststellung“ vor, mit der die drohenden Strafbarkeitslücken vermieden werden könnten. Die Wahlfeststellung setzt zunächst voraus, dass die Straflosigkeit aller Handlungsalternativen zur richterlichen Überzeugung ausgeschlossen ist. Gleichzeitig bedarf es einer Anklage aller – grundsätzlich prozessual selbstständiger – alternativen Handlungen im Eröffnungsbeschluss. Daraus entsteht eine Beziehung zwischen den Einzelakten zueinander insofern, als dass diese Einzelakte in einem weiteren Verfahren selbst, wenn die Voraussetzungen einer eindeutigen Verurteilung vorlägen, dem Strafklageverbrauch unterlägen, denn es könnte hier nicht ausgeschlossen werden („in dubio pro reo“), dass die entsprechenden Einzelakte mit einem der bei der wahldeutigen Verurteilung verwendeten identisch sind. Durch eine Übertragung auf die Serienstraftat könnte somit die nach dem Verlust des Fortsetzungszusammenhangs weggefallene logische Verbindung zwischen den Einzeltaten begründet werden, weshalb auch das vom BGH praktizierte Abstellen auf Mindestzahlen an Sinnhaftigkeit gewönne. Gleichzeitig stünde die Frage des Strafklageverbrauches auf Grundlage des Zweifelssatzes auf einer angemessenen dogmatischen Grundlage.677 (b) Kritik Wie bereits angedeutet, lassen sich gewisse Parallelen zwischen den der Wahlfeststellung und „Serienstraftat“ zugrundeliegenden Fallgestaltungen durchaus nicht leugnen. So ist die Wahlfeststellung einerseits durch die trotz Ausschöpfung entsprechender Erkenntnisquellen bestehende Ungewissheit hinsichtlich der Erfüllung eines Straftatbestandes durch eine von mehreren Handlungen bei gleichzeitiger Gewissheit der Begehung (durch eine dieser Handlungen) geprägt.678 Als in gewisser Hinsicht ähnlich stellt sich die Situation bei der Serienstraftat dar. Die Begehung einer strafbaren Handlung steht hier zur richterlichen Überzeugung insgesamt fest. Zweifel bestehen hinsichtlich der jeweiligen Einzelakte. Die oben dargestellten Entscheidungen zeigen allerdings, dass die jeweiligen Einzeltaten sich dabei jedoch häufig schon nicht bezeichnen, geschweige denn individualisieren lassen. Wie bereits in anderem Zusammenhang erwähnt, bestehen nach Ansicht des Verfassers insgesamt fundamentale strukturelle Unterschiede zwischen Wahlfeststellung und Serienstraftat.679 So lassen sich bei der Wahlfeststellung mehrere alternativ zueinander stehende (bezeichnete und individualisierte) 677  Klumpe,

Probleme der Serienstraftat, S. 120, 121. Vieler: Jescheck / Weigend, Lehrbuch, § 16 III 2. 679  Vgl. Punkt D. IV. 3. b) bb). 678  Anstelle



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis243

Handlungen auch im Urteilstenor gegenüberstellen. Dies ist bei der Serien­ straftat gerade nicht der Fall, da man es in den oben dargestellten Fällen oft mit gänzlich unbekannten Handlungen zu tun hat. So betrachtet, beschränkt sich die von Bohnert angedeutete Lösung letztlich auf den Verzicht der Anforderung der Tatsachenalternativität zugunsten einer bloßen Herabsetzung der Feststellungsanforderungen.680 Da sich dies im Zusammenhang mit der Wahlfeststellung jedoch gerade aus der echten Tatsachenalternativität rechtfertigt, kann von einer Übertragbarkeit auf die Serienstraftat weder die Rede sein, noch darin ein Zugewinn gesehen werden. (3) Lösung über § 154 StPO Als prozessuale Lösung für die sich im Zusammenhang mit Serienstraf­ taten ergebenden Probleme wird z. T. auch die Möglichkeit der Aufklärung eines Mindestschuldumfanges, bei gleichzeitiger großzügiger Einstellung der restlichen Teile nach dem Opportunitätsprinzip, in Erwägung gezogen.681 Dies scheint zunächst vor allem vor dem Hintergrund einer insgesamt adäquaten Erfassung der Serienstraftaten zu ermöglichen, dass nach wohl herrschender Auffassung im Schrifttum sowie nach ständiger Rechtsprechung, die Berücksichtigung auch ausgeschiedenen Prozessstoffes im Strafmaß zulässig ist.682 Das setzt jedoch zunächst die Möglichkeit der Feststellung eines entsprechenden Mindestbestandes konkret individualisierter Einzeltaten voraus, was in den hier besprochenen Fallgestaltungen nach Ansicht des Verfassers gerade das entscheidende Problem darstellt. Insofern ändert auch die evtl. bestehende Möglichkeit einer großzügigen Einstellungspraxis nichts an der entsprechenden kernhaften Problemlage. Weiter setzt auch die Berücksichtigung von (nach dem Opportunitätsprinzip ausgeschiedenem) Prozessstoff im Strafmaß schon denklogisch die prozessordnungsgemäße Feststellung und den Nachweis der jeweiligen Einzelakte voraus.683

680  Klumpe, 681  Krause,

389.

Probleme der Serienstraftat, S. 122. StraFo, 2002, S. 249, 251; angedeutet bei Jähnke, GA 1989, S. 376,

682  Jähnke, GA 1989, S. 376, 389; BGHSt 30, 147; BGHSt 31, 302; BGHSt 34, 209; Rieß, in: Löwe / Rosenberg, § 154 Rn. 56. 683  Ruppert, MDR 1994, S. 973, 975; Zopfs, StV 2000, S. 601, 602.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

bb) Lösungen auf materieller Ebene Diesbezüglich werden die Lösungen der Probleme hinsichtlich Rechtskraft, Rechtshängigkeit und Feststellungserfordernis bei Serienstraftaten z. T. auch schon auf Grundlage des materiellen Rechtes diskutiert. (1) M  aterieller Zusammenhang zwischen den Einzelakten einer Serienstraftat Die Möglichkeit einer Lösung dieser Komplikationen auf materieller Ebene basiert zunächst auf der von der überwiegende Auffassung vertretenen Prämisse der ausnahmslosen Überschneidung von der Annahme materiellrechtlicher Idealkonkurrenz mit dem Vorliegen einer prozessualen Tat (nicht anders herum).684 Weiterhin setzt dies insbesondere das Bestehen eines irgendwie gearteten materiellen Zusammenhangs zwischen den Einzeltaten einer Serienstraftat, im Sinne einer einheitlichen Unrechtsverwirklichung voraus,685 was, im Gegensatz zum Zusammenhang zwischen Idealkonkurrenz und prozessualer Tat, gemeinhin verneint wird.686 Auf Grundlage des materiellen Handlungsbegriffes als einem nicht am psychologischen Zusammenhang zwischen Willensentschluss und Willens­ ausführung von Elementarhandlungen ausgerichteten,687 sondern aufgrund der Anforderungen der §§ 52, 53 StGB normativ am sozialen Sinngehalt des Täterverhaltens orientierten strafrechtlichen Handlungsbegriff versucht Klumpe Gesichtspunkte herauszuarbeiten, die für eine materielle Unselbstständigkeit der in Serie begangenen Tatbestandsverwirklichungen sprechen.688 Während er diesbezüglich richtigerweise die Ungeeignetheit der Zahl der Erfolge bzw. der verwirklichten Tatbestände als Abgrenzungskriterium betont, spricht er hingegen in Anlehnung an Binding689 und Sauer690 dem Gesamtunwert (im Sinne eines quantitativ erstreckbaren Erfolges), wenn auch keine alleinige Aussagekraft, dann doch zumindest Indizwirkung für das Bestehen eines materiellen Zusammenhangs zu.691 Gleiches soll danach 684  So schon Schwinge, ZStW 1932, S. 205, 215  f.; Schlüchter, in: SK-StPO, 3. Aufl., § 264 Rn. 9. 685  Bohnert, NStZ 1995, S. 460, 462: „oft geleugneter materieller Zusammenhang“; ähnlich Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 125. 686  Vgl. Lackner (20. Auflage), Vor § 52 Rn. 16 m. w. N. 687  Dazu etwa: Puppe, JR 1996, S. 513, 515. 688  Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 126 ff. 689  Binding, Handbuch des Strafrechtes, S. 544. 690  Sauer, Grundlagen des Strafrechtes, S. 488. 691  „Denn es ist aus diesem Blickwinkel gleichgültig, ob etwa die Diebesbeute auf einmal oder Stück für Stück aus dem Haus des Opfers gebracht wird.“



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis245

im Falle eines engen zeitlichen Zusammenhangs der Tatbestandsverwirk­ lichung gelten. Ebenso hinsichtlich des Vorsatzes, da dadurch zum Ausdruck käme, dass der Täter ein Gesamtunrecht als Endziel oder die Verwirklichung von Einzelunrecht wolle. Selbstverständlich kommt als zusammenfassendes Element auf Basis eines normativen Handlungsbegriffs auch der Tatbestand selbst in Betracht. Davon ausgehend identifiziert Klumpe692 im Einklang mit einem nicht unerheblichen Teil des Schrifttums, in der Konstellation der „zeitlich gestreckten Vorsatztat“693 ein Beispiel für ebenjene materiellen Zusammenhänge zwischen Einzeltaten, da hier durch die auf den Enderfolg gerichteten Tatbegehung mehrerer Einzelakte einen neue Sinneinheit geschaffen werde, die eine Zusammenfassung (etwa im Wege des Fortsetzungszusammenhanges) nicht als bloße Fiktion erscheinen lasse.694 (2) D  ie Serienstraftat im Kontext der verschiedenen materiellen Handlungseinheitskonstrukte Obgleich die Analyse Klumpe’s u. a. im Hinblick auf den materiellen Zusammenhang in der Konstellation der „zeitlich gestreckten Vorsatztaten“ wohl grundsätzliche Zustimmung verdient, muss mit diesem Befund gleichzeitig auch die Erkenntnis um seine beschränkte Aussagekraft in Bezug auf die Fallgruppe der Serienstraftaten als ganze einhergehen. Denn bei der Gesamtlage der zeitlich gestreckten Vorsatztaten handelt es sich um eine absolute Ausnahmekonstellation, die im Grunde auch der Lehrbuchkriminalität zugeordnet werden könnte und keinesfalls als beispielhaft für das Phänomen der Serienstraftaten insgesamt gelten kann. So zeichnet sich keiner der in der vorliegenden Arbeit untersuchten Fälle von Serienstraftaten durch die diesbezüglich herausgestellte subjektive Komponente des Vorsatzes auf die stückweise Verwirklichung eines Endziels aus – zumindest geht dies aus den überlieferten Feststellungen nicht hervor. Gleiches gilt in Bezug auf einen engen zeitlichen Zusammenhang der Einzelakte. Ein solcher kann – das ist gerade das kernhafte Problem der Serienstraftaten – mangels Individualisierung der Einzelakte im Rahmen eines z. T. längeren zeitlichen Ablaufes des Geschehens schon nicht festgestellt werden. Ein entsprechender materieller Zusammenhang zwischen den Einzeltaten besteht somit für die hier untersuchten Fälle der Serienstraftaten gerade nicht. Dementsprechend erscheint es – nach Wegfall des Fortsetzungszusammenhangs – auch keine Grundlage 692  Klumpe,

Probleme der Serienstraftat, S. 132. entsprechendes Beispiel wird angeführt: Bankangestellter B nimmt sich vor, einen großen Geldbetrag durch tägliche Unterschlagung kleinerer Summen zu erlangen. Vgl. Geppert, NStZ 1996, S. 57, 60. 694  Gribbohm, NStZ 1993, S. 536; Jähnke, GA 1989, S. 376, 383; Geppert, NStZ 1996, S. 57, 60. 693  Als

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

für eine Lösung der mit der Serienstraftat verbundenen Probleme über die verschiedenen materiellen Handlungseinheitskonstrukte zu geben. (a) Natürliche Handlungseinheit Dies gilt zunächst für die natürliche Handlungseinheit. Unabhängig von den im Einzelnen unterschiedlichen Anforderungen an dieses Rechtsinstitut695 erscheinen die einzelnen Handlungen für die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit zu weit auseinander zu liegen. Doch selbst mit einer (äußerst) extensiven Anwendung dieses Rechtsinstitutes, hin zu einem faktischen Substitut des Fortsetzungszusammenhanges wäre im Ergebnis nichts gewonnen. So führten insbesondere Probleme der Rechtsunsicherheit zu einer Aufgabe des Fortsetzungszusammenhanges.696 Diese wären, in Anbetracht der zur natürlichen Handlungseinheit bestehenden Meinungsvielfalt, insofern in gleicher Weise gegeben.697 Nicht zuletzt gilt dies in Bezug auf das durch den BGH statuierte Kriterium der „natürliche Betrachtungsweise“.698 Eine Ausweitung der natürlichen Handlungseinheit könnte ferner nur über eine Erweiterung des Kriteriums eines räumlich-zeitlichen Zusammenhangs erfolgen, was zu einer endgültigen Auflösung der ohnehin schon schwer fassbaren Konturen des Rechtsinstitutes führen muss, was im Ergebnis der Situation vor Aufgabe des Fortsetzungszusammenhanges gleicht.699 (b) Tatbestandliche Handlungseinheit Ähnlich fällt der Befund in Bezug auf das Rechtsinstitut der tatbestand­ lichen Handlungseinheit aus. Die Zusammenfassung mehrerer Handlungen (im natürlichen Sinn) erfolgt hier durch den Gesetzeswortlaut selber, mit der Folge des Vorliegens einer einzigen Gesetzesverletzung. Wo eine serienhafte 695  Vgl. BGHSt 37, 289; BGHSt 39, 199; BGHSt 1992, 278; Wolter, JR 1994, S. 470; Rogall, JZ 1993, S. 1066, 1068. 696  Geppert, NStZ 1996, S. 57, 58. 697  Vgl. RGSt 58, 116; BGHSt 10, 130; BGH wistra 1994, 351; Sowada, Jura 1995, S. 245, 248; Kühl, Strafrecht AT, § 21 Rn. 14; Kindhäuser, JuS 1985, S. 100; Wolter, StV 1986, S. 315; Stree, in: Schönke / Schröder, Vor § 52 Rn. 22; Vogler, in: LK, § 52 Rn. 14; Lesch, JA 1996, S. 629. 698  Dieses Kriterium steht schon seit geraumer Zeit als unbestimmt, und letztlich auf willkürlicher richterlicher Intuition beruhend, in der Kritik Vgl. Kühl, AT, § 21 Rn. 17; Haft, Strafrecht AT, S. 276; Wessels / Beulke, Strafrecht AT, Rn. 785; Schlüchter / Duttge, NStZ 1996, S. 456, 466; Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 142. 699  So auch Geppert, NStZ 1996, S. 57, 60, der jedoch eine Anwendung der natürlichen Handlungseinheit, zumindest auf die Fälle der zeitlich gestreckten Vorsatz­ taten, für grundsätzlich denkbar hält. Kategorisch ablehnend: Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 144; Schlüchter, Strafrecht AT, S. 208.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis247

Tatbestandsbegehung einem Deliktstatbestand unterfällt, der durch pauschalierende Handlungsbeschreibung deutlich macht, dass ein gesamter, aus mehreren Einzelhandlungen bestehender Handlungstypus erfasst sein soll,700 ist die materiell-rechtliche Zusammenfassung dieser schon durch den Gesetzgeber angeordnet.701 Gleiches gilt in Bezug auf die vornehmlich im BTMG anzusiedelnden Fälle702 von Deliktstatbeständen, für welche die Vornahme mehrerer unterschiedlicher Handlungen am selben Tatobjekt notwendig ist.703 Soweit im Zuge der Entscheidung des Großen Strafsenates zur fortgesetzten Handlung eine extensive Auslegung der tatbestandlichen Handlungseinheit (als Substitut des Fortsetzungszusammenhanges) und eine damit verbundene Überdehnung des Rechtsinstitutes befürchtet wurde,704 betrifft dies größtenteils die Fälle der Unrechtsintensivierung, in denen also mehrere Tatbestandsverletzungen in engem situativen Zusammenhang begangen werden.705 Soweit dies vereinzelt mit dem Hinweis darauf, dass der Tatbestand eine Quantifizierung und somit auch eine Zusammenfassung der Tatbestandshandlungen zulasse, vertreten wurde,706 wendet Klumpe zunächst richtigerweise ein, dass allein die Möglichkeit der quantifizierenden Erfassung des tatbestandlich geschützten Rechtsguts noch nicht auch die Zusammenfassung verschiedener Handlungen in einen Tatbestand rechtfertige (anderenfalls wäre dies auf die eine oder andere Weise bei nahezu allen Tatbeständen des StGB stets möglich). Weiter unterstreicht er, dass nicht schon die im Tatbestand angelegte Möglichkeit der Zusammenfassung, sondern erst die begriffslogische Notwendigkeit einer Iteration selbstständiger Handlungen im Tatbestand (etwa die „Aussage“ i. S. d. § 153 StGB) deren Zusammenfassung zu einer einzigen Straftat zu tragen in der Lage ist.707 Unabhängig davon greifen jedoch bereits die Befürworter in ihren Bemühungen um die Begründung einer solchen tatbestandlichen Zusammenfassung auf definitorische Anleihen bei der natürlichen Handlungseinheit, insbesondere in Form des 700  Stree, in: Schönke / Schröder, Vor § 52 Rn. 16; so etwa in Bezug auf das „Paradebeispiel“ der geheimdienstlichen Agententätigkeit gemäß § 99 StGB; sowie etwa §§ 170d oder 180a StGB. 701  Rudolphi, NStZ 1997, S. 998; Schlüchter / Duttge / Klumpe, JZ 1997, S. 995, 998. 702  Etwa „Handel treiben“ i. S. d. §§ 29 I Nr. 1; 29a I Nr. 2 BtMG. 703  Wobei der 5. Strafsenat eine bedenkliche Ausweitung für die Fälle der „Rauschgiftsilos“ vornimmt. Anders der 3. und 4. Strafsenat, die die tatbestandliche Handlungseinheit hier nur auf das ursprüngliche Objekt beschränken. Zustimmend: Zschockelt, NStZ 1997, S. 226; wohl auch Geppert, NStZ, 1996, S. 57, 60. 704  Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 145, 152. 705  Beispielhaft nennt Klumpe hier etwa: „Die Beleidigung des Opfers in mehreren Sätzen“ sowie „Dieb trägt das Diebesgut einzeln aus einem Haus in seinen Wagen“. 706  Stree, in: Schönke / Schröder, Vor § 52 Rn. 17; Jescheck / Weigend, AT, § 66 III. 707  Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 153, 154, 157.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

bereits erwähnten engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen den Einzelhandlungen, zurück.708 Insofern kann auch die in dieser Form diskutierte Extension des Rechtsinstitutes der tatbestandlichen Handlungseinheit nicht als Lösung der hier thematisierten Fallgestaltungen in Frage kommen. (c) Materielle Tateinheit aufgrund institutionalisierten Systems Das Konzept des institutionalisierten Systems wird gemeinhin als Unterfall des Fortsetzungszusammenhangs begriffen.709 Allgemein gesprochen liegt ihm die Idee zugrunde, dass durch einen Grundentschluss und eine entsprechende Grundlagenhandlung ein bestimmtes Deliktsbegehungssystem institutionalisiert wird, was dazu führt, dass das vom Täter vorgesehene Delikt sich in zeitlich gestreckter Art und Weise verwirklicht. Aufgrund des institutionalisierten Systems bedarf es dabei, abgesehen von der Grundlagenhandlung, regelmäßig keines weiteren Tätigwerdens des Täters. Ausgangspunkt der zeitlich versetzten und ggf. bei unterschiedlichen Rechtsgutsträgern eintretenden Schäden ist somit ein und dieselbe Handlung.710 Dies wird insbesondere im Zusammenhang mit institutionalisierten Steuerstraftaten711 und BtM-Kriminalität712 diskutiert. Darüber hinaus soll eine Anwendung auch im Bereich des Betruges713 sowie der Sexualdelikte714 möglich sein. Als Beispiel für ersteres könnte etwa folgende Fallgestaltung gelten: A schaltet in einer Tageszeitung ein Inserat, indem er hochwertige Videofilme zu günstigen „Einkaufspreisen“ gegen Vorauszahlung anbietet. Tatsächlich handelt es sich um billigen Schund mit anderem als dem angezeigten Inhalt. Der Täter erhält nun im Laufe der folgenden Wochen mehrere Vorauszahlungen von entsprechend getäuschten Opfern.715 Insbesondere Bittmann / Dreier und Klumpe ist es gelungen zu beweisen, dass ein solches institutionalisiertes System, anders als gemeinhin angenommen, weniger Parallelen zum Fortsetzungszusammenhang als zum Rechts­ institut der Handlungseinheit im natürlichen Sinne aufweist, geht es doch um eine Willensbetätigung, die sich in größerem zeitlich-räumlichen Rahmen (darin ist der einzige wesentliche Unterschied zum klassischen Fall der 708  Sowada,

Jura 1995, S. 249. Vor § 52 Rn. 12; Zschockelt, NStZ 1995, 109; Bittmann / Dreier, NStZ 1995, 108. 710  Bittmann / Dreier, NStZ 1995, S. 108. 711  Z. B. BGH NStZ 1993, S. 545. 712  Geppert, NStZ 1996, S. 59 f.; Lackner / Kühl, Vor § 52 Rn. 12. 713  Bittmann / Dreier NStZ 1995, 108. 714  Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 165, 168. 715  Beispiel entnommen aus: Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 166. 709  Lackner / Kühl,



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis249

Handlungseinheit im natürlichen Sinne zu sehen) in verschiedenen Schäden realisiert.716 Somit gelingt es dem institutionalisierten System, verstanden als Spielart der Handlungseinheit, eine sehr viel engere Verknüpfung zwischen den Einzelakten herzustellen als es dem Fortsetzungszusammenhang möglich war. Während dieser nämlich allein auf der subjektiven Komponente aufbaut, beruht er im ersten Fall, neben der subjektiven Komponente des Grundentschlusses, auch auf einer objektiven Komponente des durch die Grundhandlung ausgelösten institutionalisierten Systems selber. Dies stellt somit eine deutlich besser fassbare Rechtfertigung für ihre Rechtsfolge – Zusammenfassung der Einzelakte zu einer einzigen Tat im Rechtssinne – dar.717 Obgleich dies also die Zusammenfassung (jeweiliger Einzelakte in den entsprechenden Fällen) auf ein solides Fundament zu stellen geeignet scheint, ist jedoch abermals auf die Limitiertheit eines solchen Ansatzes als Lösung der hier diskutierten Fallgestaltungen in ihrer Gesamtheit zu verweisen. Die Fälle des institutionalisierten Systems stellen – obgleich richtigerweise eher in der Sphäre der Handlungseinheit im natürlichen Sinne zu verorten – vielmehr eine eigene spezielle Fallgruppe der Serienstraftaten dar, die zur adäquaten Erfassung der hier diskutierten Urteile (soweit es Vermögensdelikte betrifft) keinerlei weitergehenden Nutzen entfaltet (man denke etwa an den „Zigarettenschmuggel“-Fall). Einzig in Bezug auf die „Weinpanscher“-Entscheidung scheinen gewisse Parallelen zum institutionalisierten System zu bestehen. Über die hier bestehende Feststellungsproblematik (ohne Nachweis des Bestehens entsprechender Tatopfer auch kein institutionalisiertes System) kann jedoch auch dieses Konstrukt nicht hinweg helfen. Im Ergebnis ähnlich verhält es sich in Bezug auf Sexualstraftaten. Hier steht auch nach dem hiesigen Ansatzpunkt kein wirkliches institutionalisiertes System im Vordergrund, sondern es wird auf ein System des engen häuslichen und familiären Beziehungsgeflechts abgestellt. Anknüpfungspunkt ist demnach das Ausnutzen der bestehenden familiären und häuslichen Enge, die zu einem häufigen Kontakt zwischen Täter und Opfer führe, dergestalt, dass es gleichsam automatisch zur mehrfachen Verwirklichung eines einmal gefassten Grundentschlusses komme, was der Täter im Rahmen seines Grundentschlusses antizipiert haben muss.718 Ein solches Konstrukt ähnelt jedoch vielmehr dem Fortsetzungszusammenhang alter Prägung. Das die Einzeltaten 716  Bittmann / Dreier, NStZ 1995, S. 108; Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 167, 168. 717  Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 168; kritisch dazu: Jähnke, GA 1989, S. 385 der insbesondere die Annahme, dass es innerhalb eingespielter Ein- und Verkaufssysteme (eines klassischen Falls des institutionalisierten Systems) keiner neuen Willensentschlüsse in Bezug auf die abzuschließenden Geschäfte bedarf, bestreitet. 718  Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 168.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

verbindende objektive Element wirkt hier konstruiert, weshalb eine Zusammenfassung letztlich allein aufgrund eines gesamtvorsatz-ähnlichen subjektiven Elementes erfolgt, was insofern erneut an eine im Wege dem Fortsetzungszusammenhang entsprungene Fiktion erinnert, als dass die Begehung von Sexualdelikten im allgemeinen aus dem augenblicklichen Nachgeben gegenüber triebhaften Regungen und weniger aus der zeitlich vorausschauenden Planung heraus entsteht.719 Eine Nähe zum Rechtsinstitut der Handlungseinheit im natürlichen Sinne besteht somit gerade nicht. Dementsprechend müsste eine auf diesem Konstrukt beruhende Zusammenfassung einzelner Handlungen (zu einer im Rechtssinne einzigen Tat) mit der Aufgabe des Fortsetzungszusammenhangs ebenfalls als obsolet angesehen werden.720 (d) Gesamtschadenssaldo als Bindeglied zwischen den Einzeltaten Dieser ebenfalls von Bittmann / Dreier entwickelte Ansatz basiert auf der Idee des Gesamtschadenssaldo als verbindendem Element der jeweiligen Einzeltaten, mit der Folge der Annahme einer einheitlichen Tat. Dies soll einerseits für Fallgestaltungen, in denen es nach dem jeweiligen Tatbestand gerade nicht auf die Einzeltat als solche ankommt, sondern für solche Einzeltaten gelten, die hinter den Gesamtschadenssaldo zurücktreten. Beispielhaft wird darauf verwiesen, dass, etwa im Steuerstrafrecht, jeweils einzeln eingereichte falsche Rechnungen, auch unter dem Gesichtspunkte einer stichtagsbezogenen Gesamtsaldierung, nur als Rechnungsposten relevant werden, weshalb die Steuerhinterziehung auch als einheitliche Tat betrachtet werden könnte. Eine solche Zusammenfassung sei auch für die Tatbestände des Betruges, der Untreue und des Bankrotts denkbar. Andererseits soll dies für Fallgestaltungen gelten, in denen das Gesamtausmaß eines durch eine Serienstraftat verursachten Schadens bekannt ist, sich jedoch keine Feststellungen zu Einzeltaten und Verteilung des Schadens treffen lassen. Hier soll das Bestehen des Gesamtsaldos die Einzeltatfeststellung insofern ersetzen, als dass diese durch den Gesamtsaldo als zu einer einheitlichen Tat verbunden gelten.721 Als überzeugende Lösung für die mit den Serienstraftaten verbundenen Problematiken kann dies freilich nicht gelten. Soweit es die erste Fallgruppe betrifft, ist regelmäßig bereits eine Zuordnung zu den Rechtsinstituten der natürlichen bzw. tatbestandlichen Handlungseinheit einschlägig, weshalb bereits die Frage nach dem Mehrwert eines entsprechenden Ansatzes gestellt werden muss. Ansonsten bleiben Bittmann / Dreier eine Begründung dafür, schon: Jähnke, GA 1989, S. 376, 389. diese Richtung: Zschockelt, NStZ 1995, 109. 721  Bittmann / Dreier, NStZ 1995, S. 105, 109. 719  So 720  In



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis251

warum die Gesamtsaldierung gerade zur Annahme einer materiellen Tateinheit führen kann, weitgehend schuldig, schon weil nahezu jede serienhafte Deliktsbegehung einer irgendwie gearteten Gesamtbetrachtung des Schadens zugänglich sein wird.722 cc) Zusammenfassung und eigener Lösungsvorschlag Insgesamt wird klar, welch erheblichen Friktionen mit den Grundsätzen der Strafprozessordnung durch die auf Schätzung basierende Behandlung der Fallgruppe der Serienstraftaten durch einige Senate des BGH ausgelöst werden. In Anbetracht der ähnlichen Problemlage im Zusammenhang des im Wege der Schätzung erfolgenden gänzlichen Verzichtes auf die konkrete Individualisierung entsprechender Einzeltaten, mithin dem nicht unerheblichen Fiktionsgrad eines derart erlangten Gesamtergebnisses, klassifizieren einige kritische Autoren die Rechtspraxis der Schätzung in diesem Bereich als einen faktischen Rückfall in das Rechtsinstitut des Fortsetzungszusammenhangs.723 Jedenfalls ist durch diese Rechtsprechungspraxis im Vergleich zum Fortsetzungszusammenhang nichts gewonnen. Tatsächlich scheint insgesamt sogar das Gegenteil der Fall zu sein, bedenkt man, dass der Fortsetzungszusammenhang wenigstens als Konstrukt der materiellen Handlungseinheit konzipiert war, während der Angeklagte sich nunmehr mit einer auf Schätzung basierten Gesamtstrafenbildung konfrontiert sieht. Im Gegensatz zum Fortsetzungszusammenhang, der in prozessualer Hinsicht von einem Interessenwiderstreit zwischen Strafverfolgung und Angeklagtem geprägt war, scheint sich die u. a. auf Schätzung basierende Behandlung der Serienstraftat zu einer einseitigen Benachteiligung des Angeklagten zu führen.724 Gleichzeitig scheint es weder auf materieller725 noch auf prozessualer Ebene adäquate Alternativkonzepte zur befriedigenden Erfassung von in Serie begangenen Straftaten zu geben. Die dieser Fallgruppe zugrunde liegende Konstellation kann nur als Dilemma bezeichnet werden. Der zweifelsfreien Überzeugung des Richters von der Begehung einer Straftat insgesamt steht auch: Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 175. mit diesem Rechtsinstitut vergleichend: Fischer, StraFo 2012, S. 429, 432; Zieschang, GA 1997, S. 457, 465 ff.; Geppert, NStZ 1996, S. 57, 63; Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 89. 724  So auch: Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 89. 725  Auf eine Darstellung des mittlerweile wohl als antiquiert zu bezeichnenden Konzepts des „Massenverbrechens“ muss im Rahmen der hier vorliegenden Arbeit verzichtet werden. Siehe dazu: Bauer, JZ 1967, S. 625, 628; gleiches gilt in Bezug auf das Konzept der normativen Sinneinheit dazu: Wolter, StV 1986, S. 320; Beide Konzepte waren von Seiten des Schrifttums erheblicher Kritik ausgesetzt. Siehe dazu: Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 159; 176. 722  So

723  Zumindest

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

die Unfähigkeit, den Nachweis über die Begehung konkreter Straftaten zu führen, gegenüber. Die Konsequenz muss jedoch nach Ansicht des Verfassers keineswegs allein in dem aus dem Zweifelsatz resultierenden Freispruch besehen.726 Vor dem Hintergrund dieser dilemma-artigen Situation spricht hingegen viel für die Konstruktion einer an Praktikabilitätsgesichtspunkten orientierten Lösung, die den legitimen Interessen von Anklage und Verteidigung gleichermaßen Rechnung trägt, und nicht, wie es nach der gegenwärtigen Schätzungspraxis der Fall ist, auf der Konstruktion eines Urteils basiert, dessen Fiktionsgrad seine Gesamtlegitimität erheblich zu beeinträchtigen droht. Diesbezüglich scheint sich ein erster Ansatzpunkt paradoxerweise aus der Rechtsprechung des BGH selbst zu ergeben, und zwar in Form der dem Zweifelssatz entspringenden konsequenten Annahme der Verursachung des „Gesamtschadens“ durch eine einzige Tat. Insbesondere Friktionen mit dem Grundsatz der richterlichen Überzeugung bestehen in diesem Fall gerade nicht. Dies setzt freilich zunächst voraus, dass ein solcher feststellbar bzw. – wie vom Verfasser in dieser Arbeit vertreten – zumindest aufgrund der Immensurabilität der ihn konstituierenden Faktoren ohne Verstoß gegen wesentliche Grundsätze des Strafprozessrechtes schätzbar ist. Weiter setzt dies dann, wenn entsprechende Qualifikationstatbestände an die Quantifizierung des Taterfolges anknüpfen, stets eine gegensätzliche Anwendung des Zweifelsgrundsatzes dahingehend voraus, dass bei der Frage des einschlägigen Strafrahmens „in dubio pro reo“ von der Begehung durch mehrere Einzelhandlungen ausgegangen werden muss. Anders ausgedrückt, muss die Schadenshöhe, sofern für den Strafrahmen relevant, stets unter dem die Anwendung eines Qualifikationstatbestandes eröffnenden Maß angesetzt werden. Hofmann verweist richtigerweise darauf, dass die mehrfache Anwendung des Zweifelsgrundsatzes zur gefestigten Rechtsprechung des BGH gehört.727 Vor diesem Hintergrund lassen sich auch Bedenken hinsichtlich einer für den Angeklagten letztlich nachteiligen – weil die Fiktion materiellrechtlicher Tateinheit begründenden – Wirkungsweise des Zweifelsgrundsatzes zerstreuen.728 Insbesondere kann in der Annahme von Tateinheit keine Beschwer des Angeklagten gesehen werden.729 Dem auf seine Verteidigungsposition verweisenden, mithin auf sein legitimes Recht auf Teilnahme am dialektischen Wahrheitsfindungsmechanismus des Strafprozessrechtes pochende, bestreitenden Angeklagten erscheint damit 726  So hingegen: Hefendehl, StV 1998, 474, 475; Bohnert, NStZ 1995, S. 460, 461; Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 86, 727  Hofmann, StraFo 2003, S. 70, 74. 728  So jedoch etwa: Klumpe, Probleme der Serienstraftat, S. 87; Bittmann / Dreier, NStZ 1995, S. 307. 729  Insofern richtig: Hofmann, StraFo, 2003, S. 70, 74.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis253

zunächst wenig geholfen. Tatsächlich ist ihm die Abwehr eines ebenso fik­ tionalen – wenn auch auf die lediglich einmalige Gesetzesverletzung beschränkten – Anklagevorwurfes wohl nicht minder erschwert. Ein entsprechender Ausgleich ließe sich in Anbetracht der spürbaren Beschneidung der Verteidigungsposition des Angeklagten etwa über die Gewährung eines pauschalen Strafnachlasses erreichen, wie dies z. B. im Zusammenhang mit der Rechtsfigur des „agent provocateur“ im Schrifttum diskutiert wird.730 Selbstverständlich kann es sich dabei nur um eine Verlegenheitslösung handeln.731 Auf diese Weise ließen sich allerdings der auf der Überzeugung des Tatrichters von der Gesamtschuld beruhende Strafanspruch des Staates und das legitime Verteidigungsinteresse des Angeklagten in Ausgleich bringen, ohne die Kapitulation des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes gegenüber dem Serienstraftäter erklären zu müssen. 4. Kategorie 3 – Schätzung aus prozessökonomischen Gründen a) Kosten-Nutzen-Abwägung als Motivation der Schätzung in „Kassenarzt“- und „Hehlerei-Beihilfe“-Entscheidung Erstaunlicherweise scheint gerade das vielzitierte Leiturteil BGHSt 36, 320, das gewissermaßen den Grundstein der hier untersuchten Schätzungspraxis gelegt hat, ein entsprechendes Vorgehen mit dem „zeitlichen und personellen Rahmen einer dem Gewicht des Anklagevorwurfs entsprechenden Hauptverhandlung“ zu begründen.732 Weiter heißt es hier, der Senat verkenne nicht, „dass sich der Tatrichter in Fällen der vorliegenden Art besonderen Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Sachverhaltes ausgesetzt sieht. Art und Zahl der Manipulationen auf den Krankenscheinen sind oftmals nur schwer oder nur mit außerordentlichem Aufwand feststellbar.“733

Insbesondere vor dem Hintergrund der hier durchgeführten Analyse der Urteile der Kategorie 1 und 2 kann eine solche Aussage nur erstaunen. Eine entsprechende Beweisführung ist hier sicher mit einem nicht unerheblichen Arbeitsaufwand verbunden. Der Vergleich mit den Urteilen der anderen Kategorien offenbart jedoch, dass von einer besonderen methodischen „Schwie730  BGHSt 32, 345, 355; BGHSt 33, 283 f.; BGH NStZ 1984; 519, 520; BGHSt 45, 321 ff.; Meyer-Goßner, Einl. Rn. 148a; Paeffgen, in: SK-StPO, Anh. Zu § 206a Rn.  28 f. 731  So schon Roxin / Schünemann, StPO, § 21 Rn. 20 in Bezug auf die Strafzumessungslösung bei Lockspitzeleinsatz. 732  BGHSt 36, 320, 328. 733  BGHSt 36, 320, 321.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

rigkeit“ der Beweisführung keine Rede sein kann. So genügt doch der ­Vergleich zwischen den Aussagen der jeweiligen Patienten – ggf. ergänzt durch das Praxispersonal – mit den am Quartalsende eingereichten Krankenscheinen. Damit besteht freilich eine Beweislage, die dem Tatrichter etwa im „Zigarettenschmuggel“-Fall oder den dargestellten Fällen des sexuellen Missbrauches mehr als willkommen sein dürfte. Von der theoretischen oder praktischen Unmöglichkeit der Beweiserhebung kann hier folglich keine Rede sein. Ähnlich verhält es sich in der „Hehlerei-Beihilfe“-Entscheidung.734 Während sich der durch Hehlerei entstandene Gesamtschaden nach Angabe des BGH zur Überzeugung des Tatrichters nachweisen ließ, wurde auf eine genaue Individualisierung der durch K im Wege der Hehlerei erlangten Objekte und dementsprechend auch auf eine Zuordnung der von B und M erstellten Rechnungen (also der entsprechenden Beihilfehandlungen) aus „prozessökonomischen Gründen“ verzichtet. Eine weitergehende Erörterung der Gründe, die zu einem völligen Verzicht auf die diesbezügliche Ermittlung führten, finden sich in diesem – ohnehin schwer verständlich verfassten Urteil735 – nicht. Nimmt man den 5. Strafsenat also beim Wort, muss grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass eine genaue Aufklärung der Hehlerei-Taten sowie eine entsprechende Zuordnung der jeweiligen Handlungen der Angeklagten B und M hier praktisch durchführbar gewesen wäre. Insofern müssen beide Entscheidungen, anders als die bisher untersuchten, im Hinblick auf die Natur des zu schätzenden Faktors und die ihm zugrundeliegenden Motivation in eine dritte Kategorie eingeordnet werden. Diese zeichnet sich demnach dadurch aus, dass die genaue Ermittlung der relevanten Faktoren sowohl theoretisch, als auch praktisch möglich ist, jedoch aus prozessökonomischen Gründen zugunsten der Schätzung unterbleibt. b) Die Vereinbarkeit der Schätzung mit den Grundsätzen der StPO aa) Besonderheiten der Urteile hinsichtlich Tatbestandsbezug der Schätzung Untersucht man beide der hiesigen Kategorie 3 zugeordneten Urteile, so fällt auf, dass diese sich – neben der Schätzungsmotivation selber – in weiteren erheblichen Gesichtspunkten von den bisher analysierten Urteilen unterscheiden. 734  BGHSt

40, 374. auch: Bohnert, NStZ 1995, S. 460, 461, der die Unübersichtlichkeit der entsprechenden Gedankengänge des BGH sowie die Kürze der angeführten Begründung beklagt. 735  So



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis255

Dies gilt zunächst für die „Kassenarzt“-Entscheidung. Bemerkenswert erscheint hier zunächst, dass es sich um den einzigen Fall handelt, bei dem die Schätzung keinen unmittelbaren Tatbestandsbezug und insofern auch keinen unmittelbaren Bezug zur Rechtskraft aufweist. So monierte der 4. Strafsenat gerade die fehlende Erhebung entsprechender Beweismittel für die Jahre 1981 bis 1983 durch das Tatgericht. Die Übertragung der für die Jahre 1984 / 85 aus der Befragung von Zeugen errechneten Beanstandungsquote auf die vorherigen Jahre sei als alleiniger Tatnachweis ungeeignet, weil dies im Ergebnis zu einer Verdachtsstrafe führen würde.736 Im Gegensatz dazu ergibt sich das Vorliegen der entsprechenden Tatbestandsmerkmale sowie die Individualisierung der jeweiligen Betrugstaten für die Jahre 1984 / 85 unabhängig von der Schätzung schon aus dem Vergleich der entsprechenden Patientenaussagen mit den jeweils am Monatsende bei der Kassenärztlichen Vereinigung eingereichten Krankenscheinen. Anders als bei den bisher untersuchten Entscheidungen – insbesondere bezüglich Vermögensstraftaten – entfaltet die Schätzung unabhängig davon, dass das Tatgericht hier vom Bestehen einer fortgesetzten Handlung ausgeht (nach Ansicht des BGH hier zu Unrecht), somit keine unmittelbare Relevanz für die Frage des Vorliegens des Tatbestandsmerkmals Schaden an sich, sondern unter Zugrundelegung der aus der Stichprobe entnommenen „Beanstandungsquote“ lediglich für dessen Höhe. Insgesamt erhebt der BGH also – wie bereits angedeutet – den fehlenden Tatbestandsbezug damit zur Voraussetzung einer Schätzung des Schuld­ umfanges.737 Vieles von dem, was etwa in Bezug auf die Schätzung im Rahmen der Kategorie 2 moniert wurde, scheint insofern zunächst für den „Kassenarzt“-Fall relativiert. Auch die „Hehlerei-Beihilfe“-Entscheidung weicht in gewissen Aspekten von dem bisher Untersuchten ab. Der Grund für die sowohl durch das Tatgericht als auch den 5. Strafsenat geradezu ostentativ präsentierte Unlust hinsichtlich der Ermittlung entsprechender Einzeltaten ist zunächst wohl in der Annahme fortgesetzter Handlung zu suchen. Der 5. Strafsenat hält das Urteil des LG zwar insofern ausdrücklich für mit dem Beschluss des Großen Strafsenates unvereinbar, die Angeklagten seien dadurch jedoch nicht beschwert. Es beruht offenbar auf der Grundlage der Annahme tateinheitlicher Beihilfe, wenn sowohl Tat- als auch Revisionsgericht hier auf eine Ermittlung der Einzelhandlungen aus „prozessökonomischen Gründen“ zugunsten der Schätzung verzichten. Das Tatgericht hatte sich darauf beschränkt, sich aufgrund der Aussage (des umfassend geständigen und über die Betriebsabläufe der von K betriebenen Unternehmen informierten) A davon zu überzeugen, dass K zumindest mit dem Vorsatz handelte, nicht näher konkretisierte ge736  BGHSt 737  Salditt,

36, 320, 323. StV 1990, S. 151, 152.

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D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

stohlene Waren in einem bestimmten Umfang anzukaufen. Auch dies hält der 5. Strafsenat hier für unerheblich, da sich die „Schätzung nicht zum Nachteil des Angeklagten auswirkt.“738 Beides ist jedoch ungenau. Grundsätzlich zutreffend ist zunächst, dass die Annahme einer fortgesetzten Handlung dem Angeklagten in Bezug auf die Annahme materiell-rechtlicher Tateinheit nicht zum Nachteil gereicht. Dies gilt jedoch keineswegs für die fortgesetzte Handlung insgesamt. Man denke etwa an die Verjährung sowie im Speziellen an die Konstellation eines bereits grundsätzlich der Verjährung unterfallenden ersten Teilaktes, der als einziger Teilakt einer entsprechenden Tatreihe qualifiziert ist. Doch auch hinsichtlich der Schätzung der Einzeltaten weist Bohnert völlig zurecht darauf hin, dass hier kaum von einer ausschließlichen Vorteilhaftigkeit für den Angeklagten gesprochen werden kann, da das Resultat der Schätzung hier unabhängig von dem Geständnis des A die Tatbestandsmerkmale derjenigen Delikte erfüllt, die zu einer materiell-rechtlichen Tat verbunden werden ­sollen.739 Dies gilt umso mehr in Bezug auf den bestreitenden M. Die Schätzung selbst ist damit unmittelbar strafbarkeitsbegründend. Anders als im „Kassenarzt“-Fall weist die Schätzung hier also einen unverkennbaren direkten Tatbestandsbezug auf. bb) Grundsatz der richterlichen Überzeugung (1) Wahrscheinlichkeit, Prozessökonomie und Rationalität Erneut stellt sich also die Frage, ob eine entsprechende Vorgehensweise mit dem Grundsatz der richterlichen Überzeugung nach § 261 StPO ver­ einbar ist. Bezüglich der „Kassenarzt“-Entscheidung führt der 4. Strafsenat selbst aus, dass es sich bei der „Hochrechnung“ des Schuldumfanges um „Wahrscheinlichkeitsaussagen, die begrifflich die völlige Gewißheit des Tatrichters ausschließen“ handelt.740 Während sich der „Hehlerei-Beihilfe“Entscheidung keine weitergehenden Angaben entnehmen lassen, kann im „Kassenarzt“-Fall auch der angegebene hohe Wahrscheinlichkeitsgrad von 99,5 % – ungeachtet des Grades an subjektiver Gewissheit – nichts daran ändern, dass es an einer durch förmliche Beweise vermittelten Überzeugung des Richters hinsichtlich der auf Schätzung beruhenden Schadenshöhe fehlt.741 Die entsprechende Prozentzahl darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hierbei um die Angabe einer mathematisch-statistischen Richtig738  BGHSt

40, 374, 376. NStZ 1995, S. 460, 461. 740  BGHSt, 36, 320, 325. 741  Salditt, StV 1990, S. 151, 152. 739  Bohnert,



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis257

keit der geschätzten Schadenssumme unter der Voraussetzung der Punktualität der zugrundeliegenden Schätzgrundlagen, keinesfalls also um eine Aussage über die Wirklichkeit handelt. Insofern betrifft dies die „innere Rationalität“ der Schätzung. Wie der 4. Strafsenat selbst erkennt, haben bereits kleinste Veränderungen in der Schätzgrundlage – hier in Form einer Stichprobe – große Auswirkungen auf das Schätzergebnis. Die Überzeugung des Richters kann sich hier also allein auf die Richtigkeit der auf Grundlage der (nach dem Zufallsprinzip ausgewählten) Stichprobe durchgeführten Extra­ polation beziehen, erschöpft sich somit in einer Überzeugung von der wahrscheinlichen Wahrheit (im Sinne der Korrespondenztheorie). Auch gesteigerte Anforderungen an den Beweis des gleichförmigen Verhaltens können an diesem Befund nichts ändern. Im „Kassenarzt“-Fall hatte das Praxispersonal die Einheitlichkeit des Täterverhaltens bestätigt. Dass sich darauf jedoch eine über eine Tendenz hinausgehende Aussage bezüglich der exakten mathematischen Linearität eines Verhaltens über 24 Monate stützen kann, muss – unabhängig davon, dass der 4. Strafsenat selbst bemerkt, dass die Beweispersonen dem Tatzeitraum weit entrückt waren742 – jedoch schon grundsätzlich bezweifelt werden. Vielmehr dürfte es sich dabei um eine, Praktikabilitätsgesichtspunkten geschuldete, Vereinfachung handeln. Auch der Fakt, dass die Schätzung hier nach Ansicht des Verfassers keinen unmittelbaren Tatbestandsbezug aufweist (also nicht das Bestehen, sondern nur die Höhe des Schadens geschätzt wird) ist insofern irrelevant, als dass § 261 StPO die richterliche Überzeugung für alle schuldrelevanten Umstände (also insbesondere die Höhe des Schadens) verlangt. Zu beachten ist ferner, dass der 4. Strafsenat die Annahme des Vorliegens einer fortgesetzten Handlung des Tatgerichtes als unzutreffend verworfen hatte. Die Konsequenz ist demgemäß auch schon zu diesem Zeitpunkt (vor Aufgabe dieser Rechtsfigur) die rechtliche Selbstständigkeit der jeweils zum Quartalsende begangenen Betrugstaten. Folglich hätte es somit auch einer Feststellung der jeweils durch die einzelne Straftat verursachten Schadenshöhe bedurft. Konsequenterweise hätte somit der hochgerechnete Gesamtschaden – mangels tatsäch­ licher Ansatzpunkte für eine differenzierte Betrachtung der Einzeltaten – zu gleichen Teilen auf die Zahl der entsprechenden Betrugstaten verteilt werden müssen, was den Fiktionscharakter dieser Feststellungen endgültig verdeutlicht. An der Natur der Schätzung als Annäherung an die Wirklichkeit lässt sich insofern auch hier genauso wenig ändern, wie an der Natur ihres Ergebnisses, das sich dementsprechend in der Überzeugung von der wahrschein­ lichen Übereinstimmung eines bestimmten Wertes mit der Realität erschöpft. Gleiches gilt in Bezug auf die „Hehlerei-Beihilfe“-Entscheidung. Auch die für die Angeklagten grundsätzlich nicht nachteilige Annahme tateinheitlicher 742  BGHSt,

36, 320, 324.

258

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Beihilfe zur versuchten Hehlerei kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entscheidung jeglicher Konkretisierung hinsichtlich der entsprechenden Einzeltaten des A und M entbehrt.743 Auch wenn der Richter „vielfach gehalten sei“, eine Feststellung individualisierter Einzeltaten vorzunehmen, sei der Umfang der Taten vorliegend geschätzt worden. Gleichwohl erklärt der 4. Strafsenat das Vorgehen des Tatgerichtes trotz der wohl bestehenden Möglichkeit der genauen Ermittlung, für „grundsätzlich zulässig“ und sogar für unumgänglich, wenn Belege über kriminelle Geschäfte nicht bestünden.744 Damit wird hier im Ergebnis auf die durch förmliche Beweismittel vermittelte Überzeugung vom Bestehen konkreter Taten zugunsten eines schätzungsbasierten diffusen Gesamtvorwurfes verzichtet. Es stellt sich somit erneut die Frage, ob hierin ein Verstoß gegen die Grundsätze des § 261 StPO zu sehen ist oder ob in den vorliegenden Fällen nicht eine Abweichung dieses Grundsatzes dahingehend gerechtfertigt ist, dass die bloße Überzeugung von einer wahrscheinlichen Übereinstimmung mit der Wirklichkeit als ausreichend erachtet werden kann. Soweit Krause die prozessökonomisch motivierte Schätzung schon grundsätzlich als unvereinbar mit dem von § 261 StPO postulierten Rationalitätsgebot ansieht, da es rational nicht begründbar sei,745 auf Schätzungen zurückzugreifen, sofern zuverlässigere Beweismittel beschaffbar sind, ist dem, wie bereits angedeutet, in dieser grundsätzlichen Form nicht zuzustimmen. Tatsächlich ist insofern das Gegenteil der Fall, als dass Kosten-Nutzen-Abwägungen durchweg von rationalen Erwägungen bestimmt sind, weshalb auch prozessökonomische Erwägungen in diesem Zusammenhang keineswegs pauschal als vernunftwidrig angesehen werden können. Vielmehr stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Strafprozessordnung sich eine solche ökonomische Logik zu Eigen macht. (2) Prozessökonomie als Grundlage einer „quantité négligeable“ Der BGH scheint diese Frage mit ja zu beantworten. So erklärt er die Unbedenklichkeit der Schätzung in den Worten der „Kassenarzt“-Entscheidung damit, dass der „zeitliche und personelle Rahmen einer dem Gewicht des Anklagevorwurfs entsprechenden Hauptverhandlung“ durch die Vernehmung entsprechender Zeugen gesprengt worden wäre. Damit macht der BGH nichts anderes, als die mögliche Abweichung des Schätzergebnisses von der Wirklichkeit unter der Voraussetzung eines Ungleichgewichtes zwischen Anklagevorwurf und Ermittlungsaufwand zur „quantité négligeable“ zu erklären. 743  Geppert,

NStZ 1996, S. 57, 63. 40, 374, 376. 745  Krause, StraFo 2002, S. 249, 251. 744  BGHSt



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis259

Bedenkt man, dass es keinerlei verbindliche Maßstäbe für den Vergleich von Anklagevorwurf und Ermittlungsaufwand zu geben scheint, es also gänzlich an Parametern zur Abgrenzung des noch ökonomischen vom unökonomischen Strafprozess fehlt,746 so scheint diese Herangehensweise jedoch direkt in eine tendenziell zirkuläre Argumentation einzumünden. Denn, wenn die Frage, ab wann der Zugewinn an Sicherheit als für die Zwecke des Strafprozesses nicht mehr erforderlich angesehen werden kann, mit dem Verweis auf die unausgeglichene Kosten-Nutzen-Relation beantwortet wird, führt dies zunächst zur weitergehenden Frage nach den Kriterien für die Bewertung einer entsprechenden Nichtäquivalenz zwischen Kosten und Nutzen. Will man nicht etwa die Anforderungen an die richterliche Überzeugung, zugespitzt gesprochen, nach dem Strafrahmen des jeweiligen Deliktes staffeln (wofür niemand ernsthaft eintreten dürfte), so könnte in Ermangelung verbindlicher Kriterien die Beantwortung der Frage, wann das Verhältnis zwischen Anklagevorwurf und Aufwand als unausgeglichen anzusehen ist, nur dahingehend beantwortet werden, dass dies etwa der Fall sein kann, wenn der durch vollumfängliche Erhebung aller Beweise erreichte Zugewinn an Sicherheit für die Zwecke des Strafprozesses im konkreten Fall nicht erforderlich ist – womit ein perfekter Zirkelschluss gezogen würde. Um also die Frage nach dem unausgeglichenen Verhältnis zwischen Anklagevorwurf und Ermittlungsaufwand zu beantworten, bedürfte es zunächst eines irgendwie gearteten Anhaltspunktes dafür, dass der hier mit der Schätzung erreichte Grad an (Un-)Sicherheit im konkreten Fall ausreichend ist. Erst die Unerheblichkeit einer weitergehenden Sicherheit des Richters macht unter den gegebenen Voraussetzungen einen über die bloße Feststellung der wahrscheinlichen Übereinstimmung mit der Wirklichkeit hinaus zu betreibenden Aufwand entbehrlich. Nicht hingegen kann andersrum der zu betreibende Aufwand die richterliche Überzeugung entbehrlich machen. Ein solcher Anhaltspunkt lässt sich hier jedoch gerade nicht finden. Vielmehr findet sich mit § 261 StPO eine Norm, die das Gegenteil zum Grundprinzip des Strafprozesses erklärt. Insbesondere die Schätzklauseln des Sanktionsrechtes können – anders als offenbar vom 4. Strafsenat angenommen, der hier insbesondere auf § 40 III StGB verweist747 – einen solchen Anhaltspunkt gerade nicht liefern. Unabhängig davon, dass die Existenz entsprechender Schätzklauseln und ihre systematische Stellung bereits gegen eine Schätzungsbefugnis des Gerichtes im Allgemeinen spricht, hat die Analyse im zweiten Kapitel der vorliegenden Arbeit gezeigt, dass § 40 III StGB richtigerweise schon gar keine Befugnis zur Schätzung aus prozessökonomischen Gründen enthält. Dort, wo eine solche von Gesetzgeber ausdrücklich angeordnet zu 746  Krause, 747  BGHSt

StraFo 2002, S. 249, 251. 36, 320, 327.

260

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

sein scheint (§§ 73b, 74c StGB), ist die prozessökonomisch motivierte Schätzung mit ganz erheblichen Bedenken verbunden.748 Weiter ist das besonders im Zusammengang mit den Fällen der Kategorie 2 stets hervorgebrachte Argument, wonach die Schätzung notwendig sei, um sonst entstehende Strafverfolgungslücken zu schließen, im Anwendungsbereich der Kategorie 3 aufgrund der grundsätzlich bestehenden Möglichkeit der Beweiserhebung gerade nicht schlüssig. Unabhängig von den logischen Brüchen bei der von Seiten des BGH angeführten Begründung (hinsichtlich der Abwägung von Anklagevorwurf und Ermittlungsaufwand), erscheint eine solche Vorgehensweise jedoch auch in ihrer Konsequenz, die letztlich darin zu sehen wäre, dass schwere Verbrechen umfassend aufgeklärt würden, während bei leichteren auf eine Aufklärung zumindest in Teilen verzichtet werden könnte, keinesfalls zwingend. Ein sachlich einleuchtender Grund für eine solche Differenzierung besteht nach Ansicht des Verfassers nicht. Ob infolgedessen allein prozessökonomische Erwägungen überhaupt als Rechtfertigung eines Abweichens von dem in § 261 StPO normierten Grundsatz der richterlichen Überzeugung herhalten können, ist jedoch unklar. Insbesondere erscheint hier fraglich, wie sich das Zusammenspiel von Beschleunigungsgebot und Grundsatz der materiellen Wahrheit darstellt und auswirkt. Während das Beschleunigungsgebot im Strafverfahren ursprünglich eher in seiner aus Art. 6 EMRK folgenden subjektiven Dimension als Recht des Beschuldigten auf zeitnahe Erledigung Relevanz erlangte,749 betont insbesondere die Rechtsprechung des BGH in jüngster Zeit zunehmend die dem Rechtsstaatsprinzip zu entnehmende objektive Dimension des Beschleunigungsgebotes als überindividuellem, verfahrenssicherndem Rechtsinstitut.750 In dieser Funktion dient das Beschleunigungsgebot nach Lesart der Rechtsprechung als Garantie einer „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“,751 weshalb es neben dem Schutz des Angeklagten durch Beschleunigung des Verfahrens auch beschleunigende Maßnahmen einschließt, die sich zu seinem Nachteil auswirken.752 Dementsprechend hat die Rechtsprechung gerade in jüngster Zeit die objektive Dimension des Beschleunigungsgebotes ange748  Vgl. dazu nochmals: Hellmann, GA 1997, 503, 510; Fünfsinn, NStZ 1987, S. 100. 749  EGMR, NJW 2001, 3693, 3694; Laue, GA 2005, 648; Tepperwien, FS-Widmaier, S. 583; siehe zur Entwicklung des Beschleunigungsgebotes insgesamt: Imme Roxin, StV 2010, 437. 750  Trüg, StV 2010, S. 528; Laue, GA 2005, S. 648, 649. 751  BVerfGE 33, 367, 368; BVerfGE 46, 214, 222; BVerfGE 53, 152, 160; BVerfGE, 74, 257, 262. 752  BGHSt 26, 228, 232; BVerfGE 41, 246, 250; BVerfG NStZ 2006, 680, 681.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis261

strengt, um Einschränkungen der Rechtsposition des Angeklagten zu rechtfertigen. So insbesondere im Zusammenhang mit der Widerspruchslösung bei unterbliebener Beschuldigtenbelehrung,753 in Bezug auf die Notwendigkeit der Ablösung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft bei seiner Berufung in den Zeugenstand,754 sowie im Zusammenhang mit der Frage der Beiordnung eines Pflichtverteidigers trotz des Bestehens eines Wahlverteidigers, wenn es letzterem nicht möglich ist, alle Termine zur Hauptverhandlung wahrzunehmen.755 Diese Beispiele scheinen also auf dem gleichen Paradigma wie die der Kategorie 3 zugeordneten Fälle prozessökonomisch motivierter Schätzungen zu beruhen. Richtigerweise wird diesbezüglich jedoch im Schrifttum die übergeordnete Stellung des Grundsatzes der materiellen Wahrheit im Strafprozess betont. Die Erforschung der Wahrheit gemäß § 244 II StPO stellt sowohl Ausgangspunkt, als auch Sinn und Ziel des Strafprozesses dar und erweist sich somit als Grundlage der Realisierung materieller Gerechtigkeit.756 Dementsprechend erscheint eine Einschränkung wesentlicher wahrheitsgewährleistender prozessualer Sicherungen der StPO auf Grundlage des Beschleunigungsgebotes nur dann akzeptabel, wenn die Beschleunigung im konkreten Fall selbst der Ermittlung des wahren Sachverhaltes dienlich ist.757 Das Beschleunigungsverbot in seiner objektiven Dimension muss somit seine Grenze dort finden, wo aus der Beschleunigung Beeinträchtigungen der Wahrheitsfindung entstehen, weshalb die Sorge um unnötige Verlängerung eines Verfahrens nur im Rahmen der bestmöglichen Wahrheitssuche Bedeutsamkeit erlangen kann.758 Eine Abwägung des Beschleunigungsverbotes mit der Wahrheitsfindung erscheint deshalb stets unzulässig.759 Auch eine Analyse der Systematik der Strafprozessordnung untermauert nach Ansicht des Verfassers einen solchen Befund. Tatsächlich finden sich zahlreiche Vorschriften in der StPO, denen prozessökonomische Erwägungen zugrunde liegen. Dazu zählen insbesondere die Einstellungsmöglichkeiten nach dem Opportunitätsprinzip, sei es aufgrund der Bagatellhaftigkeit be753  BGHSt

42, 15, 23. StV 2008, S. 172. 755  BVerfG StV 2006, S. 451; BGH NStZ-RR 2007, S. 149. 756  Trüg, StV 2010, S. 528, 531; Volk, in: FS-Dahs, 2006, S. 495, 496; Neumann, ZStW 101, S. 52; Wessel, JuS 1969, S. 1. 757  Kudlich, Gutachten C zum 68. DJT, S. C16; Landau, FS-Hassemer, S. 1073, 1074; Trüg, StV 2010, S. 528, 530 führt als Beispiel für die wahrheitssichernde Funktion des Beschleunigungsgebotes etwa Fälle an in denen die Ermittlung des wahren Sachverhaltes mit zunehmendem Zeitablauf beeinträchtigt würde. 758  Duttge / Neumann, HRRS 2010, S. 34, 37; Fezer, in: FS-Widmaier, S. 177, 184; Trüg, StV 2010, S. 528, 530. 759  Trüg, StV 2010, S. 528, 530; Kudlich, Gutachten C zum 68. DTJ, S. C73. 754  BGH

262

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

stimmter Straftaten, sei es auch aus dem Übergewicht anderer Straftaten heraus begründet.760 Gleiches gilt auch für das beschleunigte Verfahren nach §§  417 ff. StPO761 und das Strafbefehlsverfahren nach §§ 407 ff. StPO. Ist somit dargelegt, dass der Strafprozessordnung prozessökonomische Erwägungen durchaus nicht unbekannt sind, so gilt es zu analysieren, welche Folgen das Gesetz daraus für den Angeklagten ableitet. Soweit es die Einstellungsmöglichkeiten nach dem Opportunitätsprinzip als wohl eindeutigster und prominentester Ausprägung prozessökonomischer Erwägungen in der Strafprozessordnung angeht, ist der Befund eindeutig: Prozessökonomie wirkt sich hier ausschließlich zugunsten des Angeklagten, genauer gesagt, in Form eines partiellen Verzichtes auf Strafverfolgung aus.762 Als weniger evident stellt sich das Analyseergebnis in Bezug auf das beschleunigte Verfahren in §§ 417 ff. StPO dar. Auf den ersten Blick scheinen hier wesentliche Sicherungen des Angeklagten, im Vergleich zum normalen Prozessverlauf außer Kraft gesetzt. Dies betrifft etwa den Verzicht auf ein Zwischenverfahren, die kurze Ladungsfrist (§ 418 II S. 2 StPO) und die von § 420 I StPO vorgesehenen Erleichterungen der Beweisaufnahme.763 Allerdings ist zu beachten, dass die Möglichkeit der kurzen Ladungsfrist schon durch Art. 6 III lit. B EMRK, der das Recht auf angemessene Zeit zur Vorbereitung der eigenen Verteidigung normiert, flankiert wird. Weiter wird das Fehlen eines Zwischenverfahrens, zumindest teilweise, durch die Voraussetzungen des einfachen Sachverhalts und der klaren Beweislage,764 aber auch durch die in § 419 I 2 StPO vorgesehene Rechtsfolgengrenze kompensiert. Beweiserleichterungen sind gemäß § 420 III StPO von der Zustimmung des Angeklagten abhängig. Ferner ist zu beachten, dass der Angeklagte, etwa schon durch das Stellen von Beweisanträgen, die Klarheit der Beweislage als Voraussetzung des beschleunigten Verfahrens beseitigen kann.765 Faktisch handelt es sich insofern um ein Konsensualverfahren, dessen prozessökonomischer Effekt nur bei Einbeziehung des Angeklagten eintritt.766 Gleiches gilt für das Straf48, 331 ff.; Kindhäuser, Strafproessrecht, § 10 Rn. 11 ff. 12 / 6853, S. 34 f. 762  Krause, StraFo 2002, S. 249, 250; Salditt, StV 151, 153. 763  Zur Kritik am beschleunigten Verfahren siehe: Sprenger, NStZ 1997, S. 574, 575; Loos / Radtke, NStZ 1996, S. 7, 11 f.; Scheffler, NJW 1994, 2191, 2192 ff. 764  Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass beide Voraussetzungen nach h. M. kumulativ vorliegen müssen, um zu gewährleisten, dass die Sache zur sofortigen Verhandlung geeignet sein kann. Bei der Formulierung des § 417 StPO, die auf ein ­Alternativitätsverhältnis zwischen beiden Voraussetzungen abstellt, handelt es sich demnach um ein Redaktionsversehen. Vgl. Hellmann, Strafprozessrecht, Rn. 998; Kindhäuser, Strafprozessrecht, § 26 Rn. 51; Meyer-Goßner, § 417 Rn. 16; Loos /  Radtke, NStZ 1995, 569, 570; a. A.: König / Seitz, NStZ 1995, S. 1, 4. 765  Paeffgen, in: SK-StPO, § 417 Rn. 14. 766  Hellmann, Strafprozessrecht, Rn. 1006. 760  BGHSt

761  BT-Drs.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis263

befehlsverfahren. Soweit sich diesbezüglich Nachteile für den Angeklagten daraus ergeben, dass auf die Durchführung einer Hauptverhandlung verzichtet wird, steht es dem Angeklagten frei, durch Einspruch die Durchführung einer Hauptverhandlung zu erzwingen. Somit lässt sich festhalten, dass die untersuchten, an prozessökonomischen Erwägungen orientierten Rechtsinstitute der StPO, soweit sie die Ermittlung der Schuld- und Straffrage betreffen, in ihrer Wirkweise die Wahrheitsfindung entweder einseitig zu Gunsten des Angeklagten beschränken oder aber eine Kompensation entsprechender Nachteile für den Angeklagten vorsehen. Prozessökonomische Erwägungen als Grundlage einer den Angeklagten einseitig benachteiligenden Einschränkung der Wahrheitsfindung – wie im Falle der der Kategorie 3 zugeordneten Schätzung des Schuldumfanges767 – scheinen der gesetzlichen Systematik hingegen fremd zu sein.768 Die trotz der Möglichkeit einer Beweisaufnahme auf prozessökonomischen Gesichtspunkten basierende Schätzung erscheint insofern als Fremdkörper in der Strafprozessordnung. Insgesamt erscheinen prozessökonomische Gesichtspunkte als Grundlage der Klassifikation einer mit der Schätzung verbundenen möglichen Abweichung von der Wirklichkeit als „quantité négligeable“ keinesfalls geeignet zu sein. Somit kann eine Abweichung von den Grundsätzen des § 261 StPO dahingehend, dass die bloße Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit als ausreichend erachtet wird, nicht gerechtfertigt werden.769 cc) Amtsermittlungsgrundsatz und Zweifelsgrundsatz Friktionen mit dem Aufklärungsgrundsatz erscheinen im Zusammenhang mit einer prozessökonomisch motivierten – also auf die grundsätzlich mögliche Erhebung von bestehendem Beweismaterial verzichtende – Schätzung unvermeidbar. Zwar trifft es grundsätzlich zu, wenn Fischer diesbezüglich feststellt, dass eine Schätzung im Zusammenhang mit dem Amtsermittlungsgrundsatz als legitim gelten muss, wenn die mit der Näherung erreichte Wahrscheinlichkeitsaussage als hinreichend angesehen werden kann.770 Dies kann sich, wie soeben dargestellt, jedoch nicht allein aus prozessökonomischen Erwägungen ergeben. Vielmehr bedarf es zunächst eines irgendwie gearteten Ansatzpunktes, der die bloße Annäherung an die Wirklichkeit unter 767  Denn den Beweiserleichterungen der Anklage stehen auf Seiten des Angeklagten entweder die Gefahr einer Überschätzung („Kassenarzt“-Fall) oder aber der Verlust an effektiver Verteidigungsmöglichkeit des bestreitenden Angeklagten gegenüber. 768  A. A. Haller / Conzen, Strafverfahren, § 455. 769  So auch: Krause, StraFo 2002, S. 249, 250; Salditt, StV 1990, S. 151, 153. 770  Fischer, StraFo 2012, S. 429, 432.

264

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

strafprozessualen Gesichtspunkten als ausreichend erscheinen lässt.771 Alles andere als die erschöpfende Untersuchung der Tat (§ 264 StPO) birgt insbesondere die Gefahr, dass sich der Richter darauf beschränkt, leicht ermittelbare Schätzgrundlagen aufzuklären, während schwerer zu ermittelnde Beweise außer Acht gelassen werden.772 Ein solcher besteht – anders als im Bereich der gesetzlichen Schätzklauseln oder der Kategorie 1 – in der hier untersuchten Kategorie 3 gerade nicht. Insofern kann die Schätzung nach der hier vertretenen Auffassung weder in Bezug auf die Fälle der Kategorie 3, noch in Bezug auf die sonstigen, außerhalb des Anwendungsbereiches der gesetzlichen Schätzklauseln liegenden Schätzungen im Rahmen der Schuldfeststellung als Begrenzung der Aufklärungspflicht gelten.773 Denn davon, dass die bloße Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung eines Wertes mit der Wirklichkeit für die Zwecke des Strafrechtes als hinreichend gilt, kann nach der hier vertretenen Auffassung nur dann die Rede sein, wenn eine genaue Ermittlung der Wirklichkeit schon theoretisch ausgeschlossen ist (Kategorie 1). In diesem Zusammenhang stellt sich die Schätzung jedoch schon nicht als Begrenzung der Aufklärungspflicht, sondern vielmehr als ihre Ermöglichung dar. Dementsprechend stellt sich die prozessökonomisch motivierte Schätzung in den vorliegend der Kategorie 3 zugehörigen Fällen als Verletzung der Amtsaufklärungspflicht nach § 244 II StPO dar.774 Im „Kassenarzt“-Fall hätte insofern eine Aufklärung des durch die jeweiligen Betrugstaten verursachten Schadens anhand der verfügbaren Beweismittel (Urkunden und Zeugen) erfolgen müssen. Ebenso in der „Hehlerei-Beihilfe“-Entscheidung. Hier hätten zumindest einige der von K in der Vorstellung, es handle sich um Diebesgut angekaufte Waren ermittelt und die dementsprechenden Bei­ hilfehandlungen individualisiert werden müssen. Für eine an prozessökonomischen Gesichtspunkten orientierte, jedoch gleichfalls gesetzeskonforme Lösung schlägt Krause in Anbetracht der hier bestehenden grundsätzlichen Möglichkeit einer Beweiserhebung vielmehr die tatsächliche Aufklärung eines Teils der Straftaten bzw. der Schadenshöhe bei gleichzeitigem Verzicht auf Schätzung unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 154 StPO vor.775 Dies könne immer noch Grundlage einer angemessenen Bestrafung des Angeklagten sein. In der Tat erscheint kaum einwohl: Hofmann, StraFo 2003, S. 70, 76. StraFo 2002, S. 249, 250; wohl auch: Zopfs, in dubio pro reo, S. 291. 773  A. A. Fischer, StraFo 2012, S. 429, 432. 774  Im Ergebnis auch: Krause, StraFo 2002, S. 249, 250; Salditt, StV 1990, S. 151, 153; a. A. Hofmann, StraFo 2003, S. 70, 76, der die zu den gesetzlichen Schätzklauseln entwickelten Grundsätze für anwendbar hält. 775  Krause, StraFo 2002, S. 249, 251. 771  A. A.

772  Krause,



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis265

sichtig, warum die letztlich zu einer Fiktionalisierung des Tatvorwurfes führende Schätzung gegenüber einer solchen Lösung vorzugswürdig sein soll. Aus diesem Befund zum Amtsermittlungsgrundsatz ergeben sich Implikationen in Bezug auf den Zweifelsgrundsatz. Was die „Kassenarzt“-Entscheidung angeht, gilt es zunächst zu betonen, dass die Schätzung bzw. Hochrechnung nach Ansicht des 4. Strafsenates gerade nicht nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ erfolgen soll. Auch dies stellt insofern ein deutliches Alleinstellungsmerkmal der“ Kassenarzt“-Entscheidung im Vergleich zu allen zeitlich nachfolgenden Entscheidungen dar. Diese waren stets von der (problematischen) Kombination der Schätzung mit dem Zweifelssatz ausgegangen. Die Unbeachtlichkeit des Zweifelsgrundsatzes erklärt sich in diesem Fall daraus, dass der 4. Strafsenat ausdrücklich die Einordnung der Schätzung als Mittel der logischen Schlussfolgerung unterstreicht. Sie ist insofern konsequent, als dass die Schätzung, deren Ziel es ist, denjenigen Wert zu ermitteln, der am wahrscheinlichsten der Wirklichkeit entspricht, sich nicht pauschal am günstigsten, sondern allein am wahrscheinlichsten Wert orientieren kann, wenn zumindest die Überzeugung von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des ermittelten Wertes entstehen soll. Etwas anders verhält es sich in der „Hehlerei-Beihilfe“-Entscheidung. Im Gegensatz zur „Kassenarzt“-Entscheidung soll die Schätzung der Zahl der Einzelakte sowie die Verteilung des festgestellten Gesamtschadens hier nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ erfolgen. Was das Verhältnis von Schätzung und Zweifelsgrundsatz angeht, so gilt auf den ersten Blick das bereits zu Kategorie 2 Gesagte. Mangels Immensurabilität des zu schätzenden Faktors ist es im Ergebnis irrelevant, ob das Resultat der Schätzung in Form einer Punktwert- oder Wertbereichsschätzung besteht, denn auch im Falle der Punktwertschätzung (so etwa im „Kassenarzt“Fall) besteht – mangels intersubjektiv nachvollziehbarer Überzeugung von der Übereinstimmung des ermittelten Wertes mit der Realität sowie Insuffi­ zienz einer bloßen Überzeugung von der wahrscheinlichen Übereinstimmung – ein relevanter Zweifel. Auch die Orientierung an einem Mindestwert kann, wie bereits dargestellt, nicht zu einer Harmonisierung von Schätzung und Zweifelsgrundsatz führen. In Anbetracht der Tatsache, dass allerdings bereits der Aufklärungspflicht nach § 244 II StPO nicht nachgekommen worden ist, kann hier schon nicht vom Bestehen eines endgültigen Zweifels ausgegangen werden. Insofern dürfte der Anwendungsbereich des Zweifelsgrundsatzes konsequenterweise schon nicht eröffnet sein.776

776  So

wohl auch: Sander, in: Löwe / Roenberg, § 261 Rn. 104.

266

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

c) Überschneidungen zwischen Verständigung im Strafverfahren und prozessökonomisch motivierter Schätzung Es lässt sich somit konstatieren, dass es sich bei der prozessökonomisch motivierten Schätzung insgesamt um die einer Kosten-Nutzen-Abwägung entspringende Verfahrenserleichterung zu Gunsten der Justiz handelt. Die durch diese einkalkulierte Abweichung des erzielten Ergebnisses von der Wirklichkeit erreichte Verfahrenserleichterung für die Justiz, entspricht jedoch einer Benachteiligung auf Seiten des Angeklagten. Dies ergibt sich entweder aus der Möglichkeit der Überschätzung oder, falls eine Überschätzung nicht möglich ist (wie in der „Hehlerei-Beihilfe“-Entscheidung, bei der eine Konkretisierung der Einzeltaten völlig unterbleibt), in der auf Fiktionalisierung des Anklagevorwurfes beruhenden erheblichen Beschneidung der Verteidigungsmöglichkeit des bestreitenden Angeklagten. Gleichzeitig ist herausgearbeitet worden, dass weder der Grundsatz der Prozessökonomie, noch der Beschleunigungsgrundsatz als tragfähige Grundlage einer einseitig zu Lasten des Angeklagten gehende Abweichung vom Grundsatz der materiellen Wahrheit herhalten können. Es stellt sich somit die Frage, ob von einem Geständnis des Angeklagten ggf. legitimierende Wirkung auf die prozessökonomisch motivierte Schätzung ausgehen kann. Selbstverständlich setzt dies voraus, dass sich die genaue Schadenshöhe oder Tatindividualisierung nicht schon aus dem Geständnis selbst ergibt, weil die Schätzung ansonsten – unter der Voraussetzung der Glaubwürdigkeit des Geständnisses – schon obsolet würde. Diese legitimierende Wirkung des Geständnisses scheint etwa Krause zu suggerieren, wenn er im Zusammenhang mit der „Kassenarzt“-Entscheidung das Bestehen eines glaubhaften Geständnisses zur Voraussetzung einer entsprechenden Schätzung erhebt.777 Denn aus dem Geständnis des Angeklagten könne man insbesondere auf die Regelhaftigkeit des Tatverhaltens schließen, wodurch etwa im „Kassenarzt“-Fall bestehende methodische Ungereimtheiten zumindest abgemildert würden. Zwingend erscheint ein solcher Schluss in dieser Form allerdings noch keineswegs. Denn auch beim auf genauere Angaben zur Tat verzichtenden Schuldeingeständnis des Angeklagten handelt es sich grundsätzlich nur um ein reguläres Beweismittel, dessen Beweiskraft entscheidend von der Glaubwürdigkeit des Angeklagten abhängt. Anders als z. B. im als Parteiprozess ausgestalteten US-amerikanischen Strafprozess und dem dort praktizierten sog. „plea bargaining“ wird durch das Schuldeingeständnis weder der Grundsatz der materiellen Wahrheit eingeschränkt, noch steht dadurch der auf Ermittlung der materiellen Wahrheit gerichtete staatliche Straf777  Krause,

StraFo 2002, S. 249, 253.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis267

anspruch zur Disposition der Staatsanwaltschaft oder des Gerichtes.778 Es ist daran zu erinnern, dass jenes der StPO – und im Besonderen dem Amts­ ermittlungsgrundsatz – zugrundeliegende Konzept von materieller Wahrheit nicht etwa ein formalisiertes, diskursorientiertes Wahrheitsverständnis ist,779 sondern eine der Korrespondenztheorie entsprechende „adaequatio rei et intellectus“. Um eine Schätzung, trotz Möglichkeit der Wahrheitsermittlung, zu legitimieren, bedürfte es eines strafprozessualen Instrumentes, das die Möglichkeit der Abweichung vom Grundsatz der materiellen Wahrheit aus prozessökonomischen Erwägungen heraus möglich macht, ohne dabei die Nachteile dieser Abweichung einseitig den Angeklagten aufzubürden. Als solches Instrument käme etwa das Rechtsinstitut der Verständigung gemäß § 257c StPO in Betracht, vorausgesetzt, das dieses Abweichungen von der materiellen Wahrheit aus prozessökonomischen Gründen zulässt. aa) Materielle Wahrheit und Verständigung Das Verhältnis von materieller Wahrheit bzw. Aufklärungsgrundsatz zur strafprozessualen Verständigung scheint der Gesetzgeber auf den ersten Blick eindeutig gelöst zu haben. So erklärt § 257c I S. 2 StPO den Amtsermittlungsgrundsatz für unberührt, was grundsätzlich als Absage an das sog. Konsensprinzip gelten muss.780 Insofern besteht das Prozessziel auch im Falle der Verständigung weiterhin in der materiellen Wahrheitssuche.781 Über den tatsächlichen Wert dieser gesetzgeberischen Deklaration bestehen bereits seit Inkrafttreten des § 257c StPO im Jahre 2009 erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Dabei wird die sinnhafte Möglichkeit einer Kombination des auf Wahrheitsermittlung gerichteten Amtsermittlungsgrundsatzes mit der konsensualen Verständigung von gewichtigen Stimmen im Schrifttum offen in Zweifel gezogen.782 Denn Anknüpfungspunkt der Verständigung ist regelmäßig das Geständnis des Angeklagten. Diesem wird einerseits die für eine konsensuale Lösung 778  Hellmann,

Strafprozessrecht, S. 239. Trüg, StV 2010, S. 528, 533; Kühne, GA 2008, 361, 374. 780  Vgl. zum Konsensprinzip: Fezer, NStZ 2010, S. 177; Jahn / Kett-Straub, StV 2010, 271. 781  Beulke, Strafprozessrecht, § 19 IV 3 Rn. 395. 782  Fischer, StraFo 2009, 177, 181, 183; Fezer, NStZ 2010, 177, 179; Weßlau, FS-Müller, S. 789; Murrmann, ZIS 2009, S. 526, 532; Theile, MschrKrim, 2010, 147, 158; Trüg, StV 2010, 528, 533; Kudlich, Gutachten C zum 68. DJT, S. C65; Jahn / Müller, NJW 2009, S. 2625, 2631; Roxin / Schünemann, Strafprozessrecht, § 44 Rn. 65. 779  Dazu:

268

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

nötige strafmildernde, gleichzeitig aber auch die in Anbetracht des § 257c I S. 2 StPO erforderliche wahrheitssichernde Funktion beigemessen.783 Diesbezüglich stellt insbesondere Trüg zunächst fest, dass das Geständnis und dessen Inhalt regelmäßig als Grundstein und Mittelpunkt der ausgehandelten Verständigung fungieren.784 Ist jedoch das schuldspruchbegründende Geständnis Gegenstand der Verständigung, so werde zumindest mittelbar über die Schuld des Angeklagten verhandelt, weshalb das in § 257c II S. 3 StPO normierte Verbot des „fact bargaining“ insgesamt als „verklärend“ anzusehen sei. Weiter ist zu beachten, dass der richterliche Erkenntnishorizont zum Zeitpunkt einer Verständigung regelmäßig mit der Aktenlage identisch ist, weshalb diese Aktenlage gleichzeitig den Gradmesser für die Plausibilität eines entsprechenden Geständnisses darstellt.785 Dies hat zur Folge, dass das Gericht bei einem nach Aktenlage erfolgenden Geständnis weder Veranlassung noch Anhaltspunkte für weitergehende Aufklärungsbemühungen hat. Somit findet im Ergebnis ein Verzicht auf die in der Hauptverhandlung stattfindende Beweisaufnahme statt. Dies stellt sogar den wesentlichen sinnstiftenden Aspekt einer jeden – ja explizit mit prozessökonomischen Erwägungen begründeten – Verfahrensabsprache dar.786 Der im Sinne der Korrespondenztheorie wahrheitssichernden Funktion des Geständnisses wäre unter diesen Voraussetzungen nur dann entsprochen, wenn Akteninhalt (sowie der Inhalt eines Geständnisses) mit der Wirklichkeit deckungsgleich wären. Somit scheint § 257c StPO der Hauptverhandlung – und mit ihr insbesondere dem partizipatorisch-antithetischen Beweisaufnahmeverfahren – eine wahrheitssichernde Relevanz abzusprechen. Trüg weist darauf hin, dass einem solches Geständnis zwar noch strafmilderungslegitimierende, jedoch keinesfalls mehr wahrheitssichernde Funktion beigemessen werden kann.787 Das herrschende Schrifttum kommt insofern zutreffender Weise zum Ergebnis, die Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes im Rahmen der Verständigung sei ein „bloßes Postulat,“788 ein „Lippenbekenntnis“789 bzw. sei im Anwendungsbereich des § 257c StPO „außer Kraft gesetzt“.790

783  Kudlich,

Gutachten C zum 68. DJT, S. C48; Trüg, StV 2010, S. 528, 531. StV 2010, S. 528, 532. 785  So etwa: Bittmann, wistra 2009, S. 414, 415. 786  Fischer, StraFo 2010, S. 177, 181. 787  Trüg, StV 2010, S. 528, 533. 788  Fischer, StraFo 2009, S. 177, 186. 789  Meyer-Goßner, Ergänzungsheft StPO, § 257c Rn. 3. 790  Trüg, StV 2010, S. 528, 533; im Ergebnis auch: Roxin / Schünemann, Strafprozessrecht, § 44 Rn. 65; Theile, MschKrim 2010, S. 147, 158; Fezer, NStZ 2010, S. 177, 179; a. A. Hellmann, Strafprozessordnung, Rn. 689; Bittmann, wistra 2009, S. 414, 415. 784  Trüg,



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis269

Gestützt wird dies durch zahlreiche praktische Erfahrungsdarstellungen der Abspracherealität, welche nahelegen, dass die soeben abgebildeten theoretischen Besorgnisse hinsichtlich des Aushandelns der Schuldfrage sowie des Verzichtes auf Beweiserhebungen weitgehend zutreffend sind.791 Dies entspricht auch der – zugegebenermaßen sehr überschaubaren – praktischen Erfahrung des Verfassers aus dem Bereich der Strafverteidigung. In diesem Zusammenhang konnte der Verfasser miterleben, wie Angeklagte im Angesicht entsprechender Strafzusagen durch das Gericht im Rahmen „schlanker“ Geständnisse die Verantwortung für ihnen nach Aktenlage vorgeworfene Straftaten übernahmen, an denen sie im privaten Gespräch glaubhaft versichern konnten, nicht beteiligt gewesen zu sein. bb) Die Verfahrensabsprache als synallagmatischer Vertrag Ist somit herausgearbeitet worden, dass das prozessökonomisch legitimierte Rechtsinstitut der Verfahrensabsprache, zumindest faktisch, zu Abweichungen vom Grundsatz der materiellen Wahrheit, und somit zu einem jedenfalls teilweisen Verzicht auf die Wahrheitsermittlung berechtigt, gilt es nun, die weiteren prägenden Elemente der Verfahrensabsprache herauszuarbeiten. Diesbezüglich gilt, dass die Verständigung sich ihrer am Modell eines Austauschvertrages orientierten Natur entsprechend dadurch auszeichnet, dass die jeweiligen Prozesssubjekte ihre Handlungen nicht autonom an der eigenen Beurteilung der Prozesslage orientieren, sondern in ein synallagmatisches Verhältnis bringen.792 Prägendes Element ist somit ein auf dem Grundsatz der Verhandlungsgerechtigkeit beruhender Austausch gegenseitiger Konzessionen, bei dem auf der einen Seite das Geständnis des Angeklagten und auf der anderen die Aussicht auf eine Strafmilderung (gegenüber einer sonst zu erwartenden Strafe) durch das Gericht steht. Dabei ist Grund­ voraussetzung eines entsprechenden Austausches die Konnexität zwischen Leistung und Gegenleistung.793 cc) Legitimationswirkung der Verfahrensabsprache für die prozessökonomisch motivierte Schätzung Es lässt sich somit festhalten, dass die Schätzung sich in den hier dargestellten Fällen der Kategorie 3 als Abweichung von den Grundsätzen der richterlichen Überzeugung sowie dem Amtsermittlungsgrundsatz darstellt. vieler: Fischer, StraFO 2009, S. 177. Strafprozessrecht, § 17 Rn. 8; Beulke, Strafprozessrecht, § 19 IV 1 Rn. 394. 793  BGHSt 49, S. 84, 87; Beulke / Swoboda, JZ 2005, S. 67. 791  Anstelle

792  Roxin / Schünemann,

270

D. Schätzungen im Rahmen des Schuldumfanges

Die dabei erfolgende Fiktionalisierung des Anklagevorwurfs (und somit einhergehende Abweichung vom Grundsatz der materiellen Wahrheit) wirkt einseitig zu Lasten des Angeklagten; dies geschieht aus prozessökonomischen Erwägungen heraus. Gleichzeitig hat eine Analyse ergeben, dass eine solche einseitig den Angeklagten belastende Abweichung vom Grundsatz der materiellen Wahrheit sich allein aus prozessökonomischen Erwägungen heraus nicht rechtfertigen lässt. Vielmehr steht mit dem Rechtsinstitut der Verfahrensverständigung in § 257c StPO ein Instrument zur Verfügung, das zumindest faktisch den Verzicht auf die materielle Wahrheitsermittlung zulässt. Dies geschieht jedoch auf Grundlage eines synallagmatischen Austausches zwischen Angeklagtem und Gericht, also eines gegenseitigen Entgegenkommens. Ein Verzicht auf weitergehende Beweiserhebung trotz entsprechender Möglichkeit bei gleichzeitiger Schätzung, ließe sich nach Ansicht des Verfassers somit strukturell allenfalls unter den Voraussetzungen einer Prozessabsprache rechtfertigen. Erst unter diesen Voraussetzungen erscheint das Geständnis des Angeklagten, das seitens des Gerichtes mit entsprechenden Konzessionen gleichsam „he­ rausgehandelt“ worden ist, als Legitimation eines prozessökonomisch motivierten Verzichtes auf die weitergehende Wahrheitsermittlung (zugunsten eines z. T. fiktionalen Anklagevorwurfs) tragfähig. So hätte etwa im „HehlereiBeihilfe“-Fall in Bezug auf die dem geständigen A vorgeworfenen Beihilfehandlungen verfahren werden können.794 Dies bedeutet im Umkehrschluss auch, dass eine prozessökonomisch motivierte Schätzung, die nicht auf einem Element der konsensualen Verständigung beruht, unterbleiben muss. Freilich ist bereits das Konzept der Verfahrensverständigung als solches mit einer Vielzahl erheblicher Probleme belastet. Dies betrifft nicht nur das bereits angedeutete Verhältnis zu dem § 244 II StPO zugrunde liegenden und auf der Korrespondenztheorie beruhenden Wahrheitsbegriff.795 Auch unter den Gesichtspunkten des Legalitäts-, Öffentlichkeits-, Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsgrundsatzes, der Unschuldsvermutung, des „nemo-tenetur“Prinzips oder des Fair-Trial-Prinzips steht dieses Rechtsinstitut in der Kritik.796 Insbesondere, ob im Zusammenhang mit der Verfahrensabsprache aufgrund der weitgehenden Deformation der dem Inquisitionsprozess zugrundeliegenden Verfahrensbalance überhaupt von einem (nach der hier vertretenen 794  Wobei eine positivrechtliche Normierung der Verfahrensabsprache zum Entscheidungszeitpunkt selbstverständlich noch nicht bestand. 795  Trüg, StV 2010, S. 528, 533 sowie Kühne, GA 2008, S. 361, 374 regen in diesem Zusammenhang deshalb die Diskussion um die Einführung eines gegenüber § 244 II StPO relativierten, formalen und diskussionsorientierten Wahrheitskonzeptes an. 796  Anstelle Vieler: Roxin / Schünemann, § 17 Rn. 19 ff.



IV. Bewertung der Rechtsprechungspraxis271

Auffassung die Schätzung u. U. legitimierenden) autonomen, synallagmatischen Entgegenkommen zwischen Angeklagtem und Anklage gesprochen werden kann oder ersterer nicht vielmehr bereits zum bloßen Objekt des Verfahrens degradiert ist,797 darf schon bezweifelt werden. d) Fazit Die der Kategorie 3 untergeordneten Fälle der Schätzung zeichnen sich durch den Verzicht auf die grundsätzlich mögliche Beweiserhebung und Wahrheitsermittlung zugunsten der Ermittlung einer bloßen Wahrscheinlichkeit aus. Dies ist insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der richterlichen Überzeugung sowie des Amtsermittlungsgrundsatzes hoch problematisch. Allein prozessökonomische Erwägungen sind indes nicht geeignet, eine solche, den Angeklagten einseitig belastende Abweichung von zentralen Grundsätzen des Strafprozesses zu rechtfertigen. Strukturell scheint es vielmehr, zumindest faktisch, die Rolle der Verfahrensverständigung zu sein, auf Grundlage einer Legitimation durch Konsens prozessökonomische Erleichterungen der Justiz im Wege des teilweisen Verzichtes auf eine Wahrheitsermittlung (im Sinne des Korrespondenzprinzips) herzustellen. Eine prozessökonomisch motivierte Schätzung könnte hier also allenfalls auf der Grundlage einer Verständigung im Sinne des § 257c StPO legitimiert werden. Dabei handelt es sich allerdings ebenfalls um ein Rechtsinstitut, dessen harmonisches Einfügen in die Systematik der Strafprozessordnung mit guten Argumenten bestritten wird. Eine prozessökonomisch motivierte Schätzung beim bestreitenden Angeklagten muss somit jedenfalls unterbleiben.

797  Diese

Gefahr betonend: König, NJW 2012, 1915.

E. Schlussbetrachtungen Insgesamt scheint es in Zeiten, in denen die dem Beschleunigungsgrundsatz in seiner objektiven Dimension zu entnehmenden Rationalisierungsüberlegungen Konjunktur haben,798 kaum verwunderlich, dass auch die Schätzung im Rahmen der Schuldfeststellung in den Strafprozess Eingang gefunden hat. Bereits im Jahre 1990 schrieb Salditt in einem Kommentar zur „Kassenarzt“Entscheidung des BGH: „wenn einmal begonnen wird, Wahrscheinlichkeitsannahmen in einem noch so engen Bereich als Element strafrichterlichen Überzeugung zur Schuldfrage zu dulden, kann damit eine Entwicklung ausgelöst werden, die nur schwer einzudämmen wäre.“799

Aus heutiger Sicht und insbesondere vor dem Hintergrund der vorliegenden Arbeit erweist sich diese Aussage als geradezu prophetisch. In der Tat erscheint es schwer, sich des Eindrucks zu erwehren, dass mit diesem Urteil in Bezug auf die Akzeptanz der Schätzung auch außerhalb der gesetzlichen Schätzklauseln des Sanktionsrechtes, gleichsam die „Büchse der Pandora“ geöffnet worden sei. So beziehen sich nahezu alle nachfolgenden Entscheidungen zur Schätzung im Rahmen der Schuldfeststellung unmittelbar oder mittelbar auf BGHSt 36, 320. Dies geschieht jedoch insofern in unreflektierter Art und Weise, als dass die in diesem Urteil wesentliche aufgestellte Anforderung an die Schätzung – ihre strikte Trennung von den Fragen der Rechtskraft und Rechtshängigkeit der angeklagten Taten – entweder übersehen oder ignoriert wird. Die ebenfalls anzutreffende Behauptung des Bestehens einer strikten Trennung zwischen dem Schuldumfang als Bezugspunkt der Schätzung und der Frage der Tatbestandsverwirklichung dem Grunde nach hat sich (eben ausgenommen von der durch die Besonderheiten des Einzelfalles geprägten „Kassenarzt“-Entscheidung) im Rahmen dieser Arbeit als unhaltbar erwiesen. Davon ausgehend ermöglicht erst die differenzierte Betrachtung der Natur der jeweils zu schätzenden Faktoren eine stringente Beantwortung der eingangs gestellten, mit den Worten „quantité négligeable“ umschriebenen Frage nach dem Bestehen eines für die Zwecke des Strafprozesses ausreichenden Maßes an (Un-)Genauigkeit. 798  Trüg,

StV 2010, S. 528. StV 1990, S. 151, 153.

799  Salditt,



E. Schlussbetrachtungen273

Wo Legislative und Judikative den Geltungsbereich des Strafrechtes legitimerweise auf immer neue Bereiche lebensweltlicher Realität ausweiten bzw. ihn an immer komplexer werdende Gegebenheiten anpassen (müssen), bestehen gegen eine Schadensschätzung grundsätzlich weder unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der richterlichen Überzeugung, noch unter dem des Amtsermittlungsgrundsatzes oder unter anderen Aspekten Bedenken, sofern dies die Einbeziehung schon theoretisch immensurabler Faktoren voraussetzt. Dies kann insbesondere im Bereich des durch die Volatilität der entscheidenden Faktoren geprägten Wirtschaftsverkehrs der Fall sein. Bezieht sich der Geltungsanspruch des Strafrechtes auf grundsätzlich immensurable Faktoren, so steht die Schätzung keinesfalls im Widerspruch zum Anspruch des Strafprozesses auf Aufklärung der materiellen Wahrheit. Rückt man das Kriterium der „quantité négligeable“ in den Vordergrund der Betrachtung, so stellt sich die Schätzung hier nicht als Begrenzung, sondern als Erfüllung der richter­ lichen Aufklärungspflicht dar. Somit verschafft die Schätzung dem Wahrheitsanspruch des Strafprozesses hier überhaupt erst Geltung. Dies gilt unabhängig davon, ob die Schätzung neben der Schadenshöhe auch die Frage des Bestehens eines Tatbestandsmerkmales dem Grunde nach tangiert. Anders stellt sich die Situation hingegen in Bezug auf die Rechtsprechung zur Schätzung bei Serienstraftaten dar. Die Schätzung wird hier aus praktischen Beweisschwierigkeiten heraus legitimiert. Sie dient hier insbesondere nach dem Verständnis des 5. Strafsenates des BGH der Kompensation des aufgegebenen Rechtsinstitutes der fortgesetzten Handlung. Die damit verbundenen Probleme sind ähnlich, wenn nicht in ihrer Auswirkung sogar gravierender. Eine richterliche Überzeugung kann hier schon nicht in intersubjektiv nachvollziehbarer Art und Weise entstehen. Die Überzeugung von der lediglich wahrscheinlichen Übereinstimmung des Schätzergebnisses mit dem wirklichen Sachverhalt kann in Anbetracht der grundsätzlichen Beweismöglichkeit nicht ausreichen. Die Anwendbarkeit des Zweifelsgrundsatzes auf entsprechende Fallkonstellationen muss bereits bezweifelt werden. Wendet man ihn gleichfalls an, müsste dies die Schätzung konsequenterweise ad absurdum führen. Insbesondere bestehen gegen eine solche Vorgehensweise gewichtige Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Rechtes auf effektive Verteidigung als Ausfluss des „fair-trial“-Prinzips. Gleichzeitig scheint es weder im materiellen noch im formellen Strafrecht zufriedenstellende Lösungen für das Problem der Serienstraftaten zu geben. Mit der konsequenten Annahme einer einzigen Straftat bei ggf. doppelter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes (in Bezug auf evtl. unrechtsqualifizierende Tatquantitäten), sowie eines aus der weitreichenden Beschränkung der Verteidigungsmöglichkeit heraus notwendigen pauschalen Strafnachlasses, ist zumindest eine den ansonsten für die Legitimität des Urteils drohenden Schaden minimierende Lösung angeboten worden.

274

E. Schlussbetrachtungen

Die hier angesprochenen Probleme werden noch verschärft, wo eine Schätzung nicht aus Beweisschwierigkeiten, sondern aus prozessökonomischen Erwägungen heraus legitimiert wird. Der Verfasser kommt hier zum Ergebnis, dass prozessökonomische Gesichtspunkte allein nicht geeignet sind, die mit der Schätzung einhergehende Abweichung von den dem Wahrheitsermittlungsanspruch der Strafprozessordnung dienenden fundamentalen Grundprinzipien zu einseitigen Lasten des Angeklagten zu legitimieren. Eine aus prozessökonomischen Gesichtspunkten heraus legitimierte Abweichung vom Grundsatz der materiellen Wahrheit kann nach Ansicht des Verfassers allenfalls auf Grundlage eines synallagmatischen Vertrages, wie ihn das Rechtsinstitut der Verständigung im Prinzip vorsieht, möglich sein. Der sich aus der vorliegenden Arbeit ergebende Befund hinsichtlich der Zulässigkeit von Schätzungen im Rahmen des Schuldumfangs lässt sich dem Grunde nach auch auf die Rechtsprechung des BGH zur Schätzung im Zusammenhang mit BTM-Delikten übertragen. Soweit es sich dabei um die massenhafte Wiederholung von Straftaten im Sinne einer Serienstraftat handelt, wird die Problematik freilich häufig schon durch die weite Fassung des Gesetzeswortlautes im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit (etwa „Handel treiben“) entschärft. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang erneut auf die bedenkliche Ausweitung der natürlichen Handlungseinheit in den Fällen der sog. „Rauschgiftsilos“ durch den 5. Strafsenat. Ähnliche Betrachtungen wie in der vorliegenden Arbeit könnten grundsätzlich auch in Bezug auf die sog. „Rückrechnung“ der Blutalkoholkonzentration angestellt werden. Freilich bedürfte es diesbezüglich zunächst der Klärung zentraler Vorfragen, allen voran der, ob es sich bei der „Rückrechnung“ überhaupt um eine Schätzung oder nicht viel mehr um eine Berechnung handelt. Vor dem Hintergrund, dass die Einbeziehung individueller Abbauwerte von der Rechtsprechung bei der „Rückrechnung“ der Blutalkoholkonzentration abgelehnt wird,800 spricht vieles dafür, in diesem Zusammenhang von einer Schätzung auszugehen. Dies gilt erst recht in den Fällen, in denen keine Blutentnahme stattgefunden hat, sondern eine BAK zum Tatzeitpunkt nur aufgrund der Angabe von Trinkmengen „berechnet“ wird.801 Dementsprechend müsste dem hier vertretenen Ansatz weiter folgend die Frage gestellt werden, ob es sich bei der einer jeden Schätzung immanenten Abweichung des Ergebnisses vom Wirklichkeitszustand um eine „quantité négligeable“ handelt, weshalb die bloße Überzeugung des Richters von der wahrscheinlichen Übereinstimmung des Ergebnisses mit der Wirklichkeit als ausreichend erachtet werden kann. Angesichts dessen, dass die Frage von Strafbarkeit und Straffreiheit regelmäßig vom Erreichen fester BAK-Werte 800  Vgl.

BGHSt 37, 231. etwa: Haase, ZfS 2009, S. 149.

801  Dazu



E. Schlussbetrachtungen275

abhängt,802 lässt sich wohl kaum davon sprechen, dass die dem Schätzergebnis innewohnende Unsicherheit als grundsätzlich für das Strafrecht irrelevant zu klassifizieren ist. Dementsprechend stellt sich dem in dieser Arbeit vertretenen Ansatz zufolge auch hier die Frage, ob es sich bei der BAK zum Tatzeitpunkt um einen immensurablen Faktor handelt – in diesem Fall handelt es sich bei der Schätzung um das einzig verfügbare Mittel zur Annäherung an den gesuchten Wert, weshalb auch die bloße Überzeugung des Richters von der wahrscheinlichen Übereinstimmung ausreichen muss – oder eine genaue (wohl mindestens auf zwei Stellen nach dem Komma genau) Berechnung der Tatzeit-BAK, etwa auf Grundlage einer Blutuntersuchung, theoretisch möglich ist. Geht man davon aus, dass die bloße Überzeugung des Richters von der wahrscheinlichen Übereinstimmung des BAK-Schätzwertes nicht ausreichend ist und dass demnach ein relevanter Zweifel im Sinne des Zweifelsgrundsatzes vorliegt, so muss versucht werden, diese Unsicherheit über eine Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ auszugleichen. Dies passiert im Zusammenhang mit der BAK über die Zugrundelegung der entsprechenden minimalen bzw. maximalen Abbauwerte von 0,1 bzw. 0,2 Promille pro Stunde.803 Dem Grunde nach handelt es sich also auch hier (etwa in Bezug auf eine mögliche Strafbarkeit nach § 316 StGB) um eine Mindestschätzung, also die Schätzung unter Heranziehung der jeweils für den Angeklagten günstigsten Parameter. Anders als in den durch diese Arbeit untersuchten Fallgruppen – etwa den Serienstraftaten – handelt es sich jedoch bei den jeweiligen Grenzwerten seit BGHSt 37, 231 um solche, die von der Rechtsprechung als wissenschaftlich gesicherte verbindliche Unter- bzw. Obergrenzen propagiert werden. Erkennt man dies an, stellt eine „Mindestschätzung“ nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ für den an die allgemein anerkannten Erkenntnisse der Wissenschaft gebundenen Richter, anders als etwa im Fall der Serienstraftaten, grundsätzlich keinen Widerspruch dar, da er auf dieser Basis zur intersubjektiv nachvollziehbaren Überzeugung gelangen kann, dass der zugrunde gelegte Abbauwert keinesfalls unterschritten wird. Die adäquate Beantwortung der diesbezüglich hier angedeuteten Fragen bedürfte jedoch eines Maßes an Interdisziplinarität sowie eines Bearbeitungsumfanges, der den Rahmen der hier vorliegenden Arbeit deutlich sprengen würde, weshalb auf eine nähere Befassung mit diesem Themenkomplex verzichtet worden ist. Nach alledem soll die vorliegende Betrachtung mit den Worten Salditts abgeschlossen werden, der in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass 802  Bezüglich 803  Sowie

tionszeit.

der absoluten Fahruntüchtigkeit siehe etwa BGHSt 37, 88. eine dem jeweiligen Einzelfall angepasste Einbeziehung der Resorp­

276

E. Schlussbetrachtungen

die in der Strafprozessordnung und im Grundgesetz verankerte Unschuldsvermutung als Freiheitsrecht des Bürgers gegen des Staat betrachtet werde muss. Sie schützt den Bürger im Zweifelsfall besser als eine vorschnelle Verurteilung auf unsicherer Grundlage.804 Dem ist nichts hinzuzufügen.

804  Salditt,

StV 1990, S. 151, 153.

Anhang 1 Ergebnis der Maximum-Likelihood-Schätzung N

P

34

0,00278 %

35

0,01790 %

36

0,06365 %

37

0,16571 %

38

0,35322 %

39

0,65392 %

40

1,08986 %

41

1,67467 %

42

2,41232 %

43

3,29746 %

44

4,31667 %

45

5,45034 %

46

6,67470 %

47

7,96375 %

48

9,29104 %

49

10,63098 %

50

11,95985 %

51

13,25653 %

52

14,50288 %

53

15,68384 %

54

16,78752 %

55

17,80495 %

278

Anhang 1: Ergebnis der Maximum-Likelihood-Schätzung N

P

56

18,72988 %

57

19,55851 %

58

20,28914 %

59

20,92189 %

60

21,45835 %

61

21,90133 %

62

22,25457 %

63

22,52255 %

64

22,71024 %

65

22,82295 %

66

22,86617 %

67

22,84549 %

68

22,76644 %

69

22,63446 %

70

22,45482 %

71

22,23258 %

72

21,97255 %

73

21,67927 %

74

21,35701 %

75

21,00975 %

76

20,64115 %

77

20,25464 %

78

19,85332 %

79

19,44006 %

80

19,01745 %

81

18,58785 %

N

P

2,35742 %

45,11446 %



Anhang 1: Ergebnis der Maximum-Likelihood-Schätzung279 82

18,15338 %

83

17,71595 %

84

17,27726 %

85

16,83886 %

86

16,40207 %

87

15,96810 %

88

15,53798 %

89

15,11263 %

90

14,69283 %

91

14,27927 %

92

13,87251 %

93

13,47305 %

94

13,08128 %

95

12,69753 %

96

12,32207 %

97

11,95509 %

98

11,59674 %

99

11,24713 %

100

10,90630 %

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Stichwortverzeichnis Adhäsionsverfahren  15, 119 Alibibeweis  233, 237 Al-Qadia  143 ambivalente Eigentumssanktion  103 Amtsermittlungsgrundsatz  15, 47, 66, 67, 83, 85, 89, 115, 117, 120, 200, 209, 239, 263 Bemessungsgrundlagen  60, 61, 62, 63, 67, 68 Berechnung  13, 25, 178, 274 beschleunigtes Verfahren  262 Beschleunigungsgrundsatz  266, 272 Bestimmtheitsgrundsatz  146, 194, 195 Beweisanträge  62, 118, 125, 209 Beweislastumkehr  118, 238 Beweismaß  35, 36, 37, 38, 40, 41, 44, 71 Beweiswürdigungsregeln  28 biostatistische Wahrscheinlichkeitsrechnung  175 Blutalkoholkonzentration  132, 175, 274 Bruttoprinzip  91, 98 contra reum  232 Denkgesetze  32, 44, 48, 49, 51 effektive Verteidigung  15, 234, 235, 273 Effektivität der Strafverfolgung  224 Einbußeprinzip  58, 69 Erfahrungssätze  32, 42, 44, 48, 49, 51 Fair-Trial-Grundsatz  233, 234, 238 Fiktion  201, 218, 225, 227, 228, 229, 233, 251, 257

formelle Wahrheit  178 fortgesetzte Handlung  149, 151, 153, 169, 171, 219, 224, 230, 255 freie Beweiswürdigung  26, 27, 28, 33, 38, 47, 50, 175 Gefährdungsschaden  143, 166, 167, 173, 175, 191, 193, 207 Generalprävention  79, 103, 104, 107 Gerechtigkeit  223 Gesamterfolg  131, 157, 219 Gesamtschaden  153, 156, 172, 173, 213, 216, 218, 219, 220, 224, 226, 230, 252, 265 gleichartige Verbrechensmenge  240 Hochrechnung  24, 131, 132, 133, 163, 164, 177, 179, 204, 223, 227, 256, 265 hypothetischer Marktpreis  135, 203 Indizien  27, 35, 64, 137, 138, 156, 164, 165, 173, 176, 182, 183, 199 institutionalisiertes System  248, 249 Instruktionsmaxime  14 intersubjektive Nachvollziehbarkeit  34, 43, 203, 231, 265 Kartellabsprachen  134 Kartellrecht  137, 138, 188, 189, 190 Kontrolldelikt  215 Korrespondenztheorie  27, 37, 46, 178, 180, 200, 257, 267, 268, 270 Krankenkasse  130 Lederspray-Entscheidung  200 Legalprognose  25

Stichwortverzeichnis303 materielle Wahrheit  13, 26, 40, 46, 178, 180, 200, 209, 227, 260 methodische Zweifel  73 Mindestfeststellung  168 Missbrauchstatbestand  139, 142, 166, 174, 190, 202, 205 Natürliche Handlungseinheit  246 Nebenstrafe  82, 96, 97 nemo tenetur Grundsatz  125, 126 Nettoeinkommen  54, 55, 56, 57, 58, 59 Nettoprinzip  91, 98, 102, 110, 113 nichtige Urteile  84 normative Tatbestandsmerkmale  165 Opfergleichheit  53, 54, 55, 56, 57, 58, 61, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 75 Opferschutz  120 Opportunitätsprinzip  119, 125, 243, 261, 262 personaler Vermögensbegriff  187, 188 Pflicht zur Schätzung  227 philosophischer Zweifel  29, 30, 31, 33, 180, 216 plea bargaining  266 Postpendenzfeststellung  176 Prämienschaden  193 Prognose  25, 143, 196, 203 Prozessvergleich  266, 267, 268, 269, 270, 271, 274 Punktwertschätzung  72, 74, 88, 231, 265 Quantifizierungsgebot  146, 147, 148 quantité négligeable  14, 181, 212, 217, 218, 222, 226, 227, 230, 258, 263, 272, 273, 274 Rationalität  42, 50, 176, 178, 179, 201, 256 rechtliches Gehör  65, 236 Rechtsnatur der Sanktion  104 Rechtsstaatlichkeitsprinzip  177

Rechtsstaatsprinzip  224 Revisibilität  47, 50 Richterhorizont  31 richterliche Überzeugung  174, 177, 226 Rückstellungen  208 Sachverständiger  49, 131, 133, 136, 145, 148, 177, 183 Saldierung  98, 100 Schadensberechnung  132, 196 schadensgleiche konkrete Vermögensgefährdung  146, 187, 212 Schätzfunktionen  20 Schätzmethode  21, 89, 133, 174, 176, 179, 181, 206 Schuldnachweis  177 Schuldprinzip  100, 111, 112, 113 Schweigerecht  125 Sicherungsmaßnahme  78, 80, 81, 97 Sittlichkeit  105 Statistik  19, 20, 36, 64, 130, 132, 256 Steuergeheimnis  60 Stichprobe  20, 21, 24, 133, 205, 227, 255, 257 Strafbefehlsverfahren  262, 263 Strafempfindlichkeit  54, 57 Strafklageverbrauch  238, 242 strafrechtlicher Handlungsbegriff  244 Strafsanktion  78, 79, 81, 85, 97, 98, 107, 109, 111, 112, 113, 117, 128 synallagmatischer Vertrag  269 System der Zweistufigkeit  58 Tagessatzsystem  52, 54, 58, 59, 79, 82, 112 Tatbestandliche Handlungseinheit  246 Tatfrequenz  149, 150, 222, 225, 238 Tatmittel  77 Tatprodukte  76 Tatsachengrundlagen  13, 30, 34, 45, 51, 175, 204 Tatwerkzeuge  77 Trennungsparadigma  163, 165 Treuebruchstatbestand  142

304 Stichwortverzeichnis Unschuldsvermutung  225 Verdachtsstrafbarkeit  131 Verfahrensökonomie  61, 62, 117, 258 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  67, 79 Verkehrswert  84, 85, 87, 88 Vermögensstrafe  14, 79, 84 Vermögensvorteil  103 Vermutungen  34, 48, 152

Wahlfeststellung  176, 228, 229, 241, 242 Wahrscheinlichkeitspunktwert  73, 202, 211 Wertbereichsschätzung  74, 265 Wertersatzeinziehung  76, 81, 82, 84, 85, 86, 88, 89, 128 wirtschaftlicher Vermögensbegriff  185, 186, 191, 196, 203, 212

Waffengleichheit  236, 280

Zweispurigkeit  80, 104