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German Pages 702 [704] Year 2022
Thea Göhring Diskursive Kämpfe
Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie
Herausgegeben von Éva Buchi, Claudia Polzin-Haumann, Elton Prifti und Wolfgang Schweickard
Band 475
Thea Göhring
Diskursive Kämpfe Agonalität im politischen Sprachgebrauch am Beispiel des französischen Präsidentschaftswahlkampfs 2017
Die Arbeit wurde gefördert durch die Studienstiftung des deutschen Volkes.
ISBN 978-3-11-099545-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-098153-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-098176-6 ISSN 0084-5396 Library of Congress Control Number: 2022943730 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Vorwort Die vorliegende Arbeit stellt die leicht überarbeitete und stellenweise gekürzte Fassung meiner Dissertation dar, die im Wintersemester 2021/2022 von der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn angenommen wurde. Die Dissertation entstand unter der Betreuung meines Doktorvaters Franz Lebsanft, dem ich durch die langjährige Tätigkeit am Lehrstuhl wertvolle Erfahrungen in Forschung, Lehre und akademischer Selbstverwaltung verdanke und der mich nach dem Abschluss des Studiums zur Promotion ermutigt hat. Für die beeindruckende fachliche Förderung, die außergewöhnliche Unterstützung sowie das große Vertrauen gebührt ihm mein größter Dank. Zu Dank verpflichtet bin ich darüber hinaus den Mitgliedern der Prüfungskommission Paul Geyer und Daniela Pirazzini und im Besonderen Felix Tacke für die Erstellung des Zweitgutachtens und wertvolle Hinweise. Besonders freue ich mich über die Auszeichnung der Arbeit mit dem KurtRingger-Preis durch die Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz sowie über ihre Aufnahme in die Reihe Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie. Den Reihenherausgebern Éva Buchi, Claudia Polzin-Haumann, Elton Prifti und Wolfang Schweickard danke ich ebenso wie Ulrike Krauß und Gabrielle Cornefert für die hervorragende Unterstützung bei der Drucklegung. Für die Bereitstellung der benötigten finanziellen Mittel bin ich wiederum Franz Lebsanft zu Dank verpflichtet. Die Studienstiftung des deutschen Volkes schuf durch die ideelle und finanzielle Förderung den notwendigen Rahmen, um mich auf meine Forschungsarbeit konzentrieren zu können, was ich besonders zu schätzen weiß. Dankbar bin ich auch dem Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg für die Möglichkeit zu einem Forschungsaufenthalt in der dortigen Bibliothek sowie die freundliche Unterstützung und den inspirierenden Austausch, insbesondere mit dessen Leiter Frank Baasner. Danken möchte ich auch Ekkehard Felder für die Möglichkeit, meine Arbeit im Rahmen des Kolloquiums am Europäischen Zentrum für Sprachwissenschaften in Heidelberg vorstellen zu dürfen, sowie die anregenden Diskussionen zum Thema der Agonalität. Mein sehr persönlicher Dank gilt meinen lieben Kollegen und Freunden am Lehrstuhl, insbesondere Désirée Cremer, Sebastian Greußlich, Judith Harzheim, Anne Real, Judith Strunck und Felix Tacke. Ich danke euch für die wichtige fachliche wie freundschaftliche Unterstützung, für die gute Zusammenarbeit sowie die wunderbare gemeinsame Zeit, an die ich mich immer gerne zurückerinnern werde.
https://doi.org/10.1515/9783110981537-202
VI
Vorwort
Schließlich möchte ich all jenen danken, die mich privat begleitet und unterstützt haben. Dies ist zuallererst meine Mutter, der ich für den bedingungslosen Rückhalt und die stetige, liebevolle Begleitung auf meinem Weg danke. Mein größter Dank gebührt Andreas, nicht nur für die zeitaufwändige Korrektur der gesamten Arbeit, sondern auch für das uneingeschränkte Verständnis, den bereichernden Austausch und die immerwährende Unterstützung. Ihm widme ich dieses Buch. Bonn, im Juli 2022
Thea Göhring
Inhalt Vorwort
V
Abkürzungsverzeichnis
XI
Abbildungsverzeichnis
XIII
Tabellenverzeichnis
XV
1 1.1 1.2 1.3
Einleitung 1 Gegenstand und Zielsetzung Forschungsstand 7 Aufbau der Arbeit 14
2 2.1 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3
Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs 15 Definitorische Vorüberlegungen 16 Konzeptioneller Ursprung 20 Das Agonale als Anthropologikum 26 Vom griechischen zum universellen Merkmal 27 Das Agonale in der Sprache 31 Kriterien eines linguistischen Agonalitätsbegriffs 34 Zur Ausgangslage 34 Agonalität als kompetitive Opposition 40 Agonalität und das Streben nach Diskurs- und Deutungshoheit 43 Agonalität und (Sprach-)Spiel 51 Agonalität als «guter Streit»? 56 Die Rolle des Dritten 62 Definition von Agonalität 65 Linguistische Bestimmbarkeit von Agonalität 66 Semantische Kämpfe 67 Agonalitätsindikatoren 70 Agonale Zentren 74 Semantische Dimensionen der Agonalität 77 Framing 78 Diskursive Kämpfe 80
2.4.4 2.4.5 2.4.6 2.5 2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4 2.6.5 2.6.6
2
VIII
2.7 2.7.1 2.7.2
3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.6 3.6.1 3.6.2 3.6.3 3.6.4 4 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2
Inhalt
Agonalität und politischer Sprachgebrauch 84 Was ist politischer Sprachgebrauch? 85 Zur Affinität zwischen politischem Sprachgebrauch und Agonalität 88 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen Zum Diskursbegriff 96 Zum Diskurs als Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung 103 Die Anfänge der Diskursforschung in den 1950er Jahren: Harris und Coseriu 104 Die disziplinäre Etablierung der Diskursforschung in den 1960er Jahren: von Benveniste bis Foucault 108 Sprachwissenschaftliche Diskursforschung heute 113 Diskurs und Diskursanalyse: Grundzüge eines Programms 118 Das Drei-Ebenen-Modell Eugenio Coserius 118 Diskurs – eine Entwirrung 125 Diskursanalyse – eine Ortsbestimmung 131 Diskursive Aushandlung 135 Sprache und Handeln 136 Diskurs und Handeln 141 Diskurs- und Texttraditionen 145 Die diskursive Konstituierung von Sinn 149 Zum Sinnbegriff 150 Die Kontextabhängigkeit des Sinns 161 Wissen als Voraussetzung der Sinnkonstitution 167 Akteure 175 Zum Akteursbegriff 176 Akteure als Träger von Rollen 183 Ideology brokers 191 Diskursgemeinschaften 195 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse 203 Erhebung, Aufbereitung, Auswertung: Die Heuristik im Überblick 203 Methodologische Grundprinzipien 205 Für eine hermeneutisch-pragmatische Analyse politischen Sprachgebrauchs 205 Diskursanalyse als Mehrebenenanalyse 207
95
IX
Inhalt
4.2.3 4.2.4 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.4 5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.2.1 5.1.2.2 5.1.2.3 5.1.2.4 5.1.2.5 5.2 5.3 6 6.1 6.1.1 6.1.1.1 6.1.1.2 6.1.1.3 6.1.1.4 6.1.1.5 6.1.1.6 6.1.1.7 6.1.1.8 6.1.1.9 6.1.2 6.1.2.1 6.1.2.2
Kombination quantitativer und qualitativer Verfahren 218 Musterhaftigkeit des Sprachgebrauchs und Analyse sprachlicher Muster 224 Analyseansätze 236 Analyse von Agonalitätsindikatoren 237 Analyse agonaler Diskurshandlungen 239 Analyse akteursbedingter Spezifika von Agonalität 243 Analyse textsortenbedingter Spezifika von Agonalität 247 Synthese: Die Heuristik im Detail 249 Kontext – Korpus – Transkription 251 Kontext: der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017 251 Die Wahlsequenz von 2017: eine «révolution électorale»? Die Spitzenkandidaten 265 Jean-Luc Mélenchon 265 Benoît Hamon 267 Emmanuel Macron 269 François Fillon 272 Marine Le Pen 275 Korpus 277 Transkription 286 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse 291 Agonalitätsindikatoren 291 Grammatische Agonalitätsindikatoren 292 Adversativität, Konzession und Substitution 293 Komparation 302 Kondition 306 Negation 309 Modalität 314 Genus Verbi 326 Temporalität 329 Begleiter der Agonalität: Verstärkung und Abschwächung 332 Zwischenfazit 339 Lexikalische Agonalitätsindikatoren 342 Überblick: Wörterbuchkategorien und Agonalität 344 Opposition 347
252
X
6.1.2.3 6.1.2.4 6.1.2.5 6.1.2.6 6.1.2.7 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5 6.2.6 6.2.7 6.2.8 6.2.9 6.2.10 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.3.5 6.3.6 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.4.5 6.4.6 6.4.7
Inhalt
Konkurrenz 357 Kampf und Krieg 367 Streit 383 Wahrheit 393 Zwischenfazit 402 Agonale Diskurshandlungen 403 Gegenüberstellung 404 Selbstbildkonstruktion 408 Fremdbildkonstruktion 416 Stellungnahme 425 Negative Wertung 431 Dissens und Konsens 435 Angriff und Verteidigung 441 Kampf um die Wahrheit 446 Kampf um das Rederecht 453 Zwischenfazit 458 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität 460 Jean-Luc Mélenchon 462 Benoît Hamon 473 Emmanuel Macron 485 François Fillon 497 Marine Le Pen 509 Zwischenfazit 523 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität 527 Wahlkampftextsorten 528 Wahlprogramme 530 Professions de foi 539 TV-Duelle 549 TV-Interviews 562 Reden 570 Zwischenfazit 578
7
Fazit und Ausblick
8
Appendix
9
Bibliographie
Index
683
581
591 597
Abkürzungsverzeichnis Parteien FN LFI LR LREM MoDem PS RN UMP
Front National La France Insoumise Les Républicains La République En Marche! Mouvement Démocrate Parti Socialiste Rassemblement National Union pour un Mouvement Populaire
Sprechersiglen ACC BH CJ DP EM FF GB JLM LF LS MLP NSC PUB RE
Anne-Claire Coudray Benoît Hamon Christophe Jakubyszyn David Pujadas Emmanuel Macron François Fillon Gilles Bouleau Jean-Luc Mélenchon Laurence Ferrari Léa Salamé Marine Le Pen Nathalie Saint-Cricq Publikum Ruth Elkrief
https://doi.org/10.1515/9783110981537-204
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 Abbildung 2 Abbildung 3 Abbildung 4 Abbildung 5 Abbildung 6 Abbildung 7 Abbildung 8 Abbildung 9 Abbildung 10 Abbildung 11 Abbildung 12 Abbildung 13 Abbildung 14 Abbildung 15 Abbildung 16 Abbildung 17 Abbildung 18 Abbildung 19 Abbildung 20 Abbildung 21 Abbildung 22 Abbildung 23 Abbildung 24 Abbildung 25 Abbildung 26 Abbildung 27 Abbildung 28 Abbildung 29 Abbildung 30
Typologie von Agonalitätsindikatoren 72 Coserius Drei-Ebenen-Modell (cf. Coseriu 1988/2007, 75, 89) 123 Systematische Erfassung von Agonalität in der Sprache auf der Grundlage des Drei-Ebenen-Modells von Coseriu 124 Typen kontextuellen Wissens nach Winter-Froemel (2013, 156) 164 Akteurstypologie 182 Beteiligungsrollen nach Goffman (1981) 187 Rollentypologie 189 Die Diskurslinguistische Mehr-Ebenen-Analyse (DIMEAN) nach Spitzmüller/Warnke (2011, 201) 210 Modifizierte Fassung der intratextuellen Ebene des DIMEAN-Modells 215 Methodischer Ansatz: die Heuristik im Detail 249 Transkriptionskonventionen 289 Die Transkriptionssoftware ELAN (Screenshot, © Max Planck Institute for Psycholinguistics/The Language Archive) 290 Darstellung von Zeit in Anlehnung an Comrie (1985, 2, Abb. 1) 329 376 Das syntaktisch-semantische Muster ‹KAMPF/KÄMPFEN FÜR/GEGEN› Typologie sprachlicher Handlungen zur Inanspruchnahme und Absprache von Wahrheit 451 Agonale Diskurshandlungen im Gesamtkorpus 459 Agonale Diskurshandlungen bei verschiedenen Akteuren 460 Agonale Diskurshandlungen in verschiedenen Textsorten 460 Signifikanz von Begriffen aus dem Themenbereich Frankreich/Nation bei verschiedenen Akteuren 466 Signifikanz von Begriffen aus dem Themenbereich Populismus bei verschiedenen Akteuren 466 Signifikanz von Begriffen aus dem Themenbereich positive Zukunft bei verschiedenen Akteuren 476 Relative Häufigkeit von Ausdrücken aus dem semantischen Feld des Kampfs bei verschiedenen Akteuren 482 Signifikanz der Pronomina je und nous bei verschiedenen Akteuren 493 Signifikanz von Begriffen aus dem Themenbereich Erneuerung bei verschiedenen Akteuren 500 Relative Häufigkeit von Ausdrücken aus dem semantischen Feld der Wahrheit bei verschiedenen Akteuren 504 Signifikanz der Präpositionen pour und contre bei verschiedenen Akteuren 517 Relative Häufigkeit von Ausdrücken aus dem Themenbereich Terrorismus bei verschiedenen Akteuren 519 Agonale Diskurshandlungen in Wahlprogrammen 533 Formen der Stellungnahme in Wahlprogrammen 534 Agonale Diskurshandlungen in professions de foi 541
https://doi.org/10.1515/9783110981537-205
XIV
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 31 Abbildung 32 Abbildung 33 Abbildung 34 Abbildung 35
Formen der Stellungnahme in professions de foi 542 Titelseiten der professions de foi (CNCCEP 2017) 545 Marine Le Pen, Profession de foi, 05.2017, S. 4 (Auszug) 548 Agonale Diskurshandlungen in TV-Duellen 554 Relative Häufigkeit von Begriffen aus dem Bereich Kampf um die Wahrheit in verschiedenen Textsorten 557 Abbildung 36 Agonale Diskurshandlungen in TV-Interviews 566 Abbildung 37 Agonale Diskurshandlungen in Wahlkampfreden 573 Abbildung 38 Kontinuum der Textsorten nach dem Grad ihrer Agonalität 578
Tabellenverzeichnis Tabelle 1 Tabelle 2 Tabelle 3 Tabelle 4 Tabelle 5 Tabelle 6 Tabelle 7 Tabelle 8 Tabelle 9 Tabelle 10 Tabelle 11 Tabelle 12 Tabelle 13 Tabelle 14 Tabelle 15 Tabelle 16
Ergebnisse der französischen Präsidentschaftswahl 2017 254 Ergebnisse ausgewählter Parteien im zweiten Wahlgang der französischen Parlamentswahlen 2017 256 Zusammensetzung des Gesamtkorpus, gegliedert nach Medialität und Zeitraum 277 Zusammensetzung der Teilkorpora für korpusvergleichende Analysen 278 Grade und Versprachlichungsmittel der Intensität in Anlehnung an Le bon usage und GMF 334 Übersicht: Grammatik und Agonalität 340 Thematische Kategorien mit Bezug zur Agonalität im Thésaurus Larousse 345 Agonalitätsindikatoren im Thésaurus Larousse 345 Versprachlichungsmittel von Opposition 348 Versprachlichungsmittel von Konkurrenz 359 Versprachlichungsmittel von Kampf und Krieg 369 Versprachlichungsmittel von Streit 385 Versprachlichungsmittel von Wahrheit 394 Funktionen von Wahlprogrammen nach Kercher/Brettschneider (2013, 273) 532 Liste der häufigsten Substantive und Adjektive im Korpus 592 Schlüsselbegriffe in den akteursbezogenen Teilkorpora 594
https://doi.org/10.1515/9783110981537-206
1 Einleitung Wettbewerb, Wettkampf, Wettstreit, Wetteifer und Konkurrenz spielen in zahlreichen Lebensbereichen über räumliche und zeitliche Grenzen hinweg eine Rolle. Dies gilt zum Beispiel für den Sport. Sportliche Wettkampfveranstaltungen, in denen die sportlichen Leistungen der Beteiligten aneinander oder anhand eines festgelegten Maßstabs gemessen werden, prägen die Welt des Sports und den Alltag aller Berufs- und auch nicht weniger Amateursportler.1 Vergleichbare Veranstaltungen gibt es in Musik und Kunst. Vom Musikwettbewerb und Malwettbewerb über den Dichterwettstreit bis hin zum Poetry-Slam oder Battle-Rap sind die Darsteller dazu aufgerufen, ihr Können unter Beweis zu stellen und sich an anderen zu messen. Neben institutionalisierten Wettkampfveranstaltungen wie diesen – die Reihe ließe sich lange fortsetzen, man denke nur an Jugend musiziert, Jugend komponiert, Jugend malt, Jugend tanzt, Jugend debattiert, Jugend forscht, Jugend hilft etc. – sind zahlreiche Lebensbereiche auf einer höheren Abstraktionsebene von einem kompetitiven Moment geprägt. Dies gilt zum Beispiel für die Wirtschaft. Der wirtschaftliche Wettbewerb steuert die Verteilung von Gütern und ist Motor für Fortschritt, die Entwicklung neuer Produkte und das Streben nach möglichst kostengünstiger Produktion. Der Markt wird durch die Konkurrenz zwischen Angebot und Nachfrage bestimmt; der Wettbewerb ist damit das wichtigste Gestaltungselement der Marktwirtschaft. Auch die Wissenschaft lebt, neben Kooperation, von Konkurrenz. Das Einwerben von Drittmitteln, die Platzierung in Top-Journals, der Kampf um einen Spitzenplatz im Ranking – all das prägt, neben der Zusammenarbeit, die für das Generieren wissenschaftlicher Erkenntnis mindestens ebenso essentiell ist, den wissenschaftlichen Alltag. Auch das alltägliche Leben ist immer wieder von Konkurrenz geprägt. Im privaten oder beruflichen Umfeld, zwischen Familienmitgliedern, Freunden oder Kollegen kann es zu Rivalitäten und damit verbundenen Auseinandersetzungen kommen. Nicht zuletzt ist auch die Politik in besonderem Maße von Wettbewerb und Konkurrenz geprägt. Politische Akteure kämpfen um die Durchsetzung eigener Positionen und Interessen, sie konkurrieren um Posten, um Wählerstimmen, um die Macht. Für demokratische Systeme, für die Meinungsvielfalt und ein Mehrparteiensystem unerlässlich sind, ist der Wettbewerb sogar unabdingbare Voraussetzung und damit geradezu konstitutiv. Das, was die Konzepte der Konkurrenz, des Wettbewerbs, Wettkampfs, Wettstreits oder Wetteifers im Kern verbindet, wird in der Sprachwissenschaft als Agonalität bezeichnet.
Hier und im Folgenden beziehen sich männliche Formen gleichermaßen auf das männliche, weibliche und diverse Geschlecht (generisches Maskulinum). https://doi.org/10.1515/9783110981537-001
2
1 Einleitung
Agonalität kommt von gr. ἀγών ‘Versammlung(splatz), (Wett-)Kampf(platz)’ (Binder 2006). Der Begriff hat seinen chronologischen und konzeptionellen Ursprung im griechischen Agon, sportlichen oder künstlerischen Wettkampfveranstaltungen im antiken Griechenland, zu deren berühmtesten die bis heute bestehende Tradition der Olympischen Spiele zählt. Über Friedrich Nietzsche als Interpret der Antike findet der Begriff des Agonalen Ende des 19. Jahrhunderts Eingang in die philosophisch-wissenschaftliche Diskussion und entwickelt sich im Laufe des 20. und 21. Jahrhunderts zu einem wichtigen kulturtheoretischen und sozio-politischen Terminus. Im Anschluss an den Theoretiker der Postmoderne Jean-François Lyotard und dessen Idee einer agonistique générale kann der Anspruch auf linguistische Bestimmbarkeit von Agonalität erhoben werden. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht lässt sich Agonalität dabei vorläufig bestimmen als «Wettkampf um Geltungsansprüche» (Felder 2013, 13), als «Beschreibung der kontroversen Aushandlung von Wissen mit sprachlichen Mitteln» (Mattfeldt 2020a).
1.1 Gegenstand und Zielsetzung Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die sprachwissenschaftliche Untersuchung von Agonalität im politischen Sprachgebrauch am Beispiel des französischen Präsidentschaftswahlkampfs 2017. Agonalität kann dabei als sprachlicher Ausdruck eines allgemeinen Phänomens aufgefasst werden, dem Prinzip des Wettbewerbs, Wettkampfs, Wettstreits, Wetteifers und der Konkurrenz, das sowohl Individuen als auch Gesellschaften weltweit prägt und, wie oben deutlich geworden ist, in zahlreichen Lebensbereichen eine Rolle spielt. Das Agonale kann als Anthropologikum gelten, als eine «Grundfigur menschlicher Natur» (Nullmeier 2000, 166).2 Damit kann die Erforschung von Agonalität als sprachlichem Ausdruck des Agonalen einen Beitrag zum Verständnis eines grundlegenden Wesenszugs des Menschen und dessen Manifestation in der Sprache als dem wichtigsten Medium menschlicher Kommunikation leisten. Zwar prägt Agonalität, wie oben gezeigt, den Sprachgebrauch in zahlreichen Lebensbereichen, doch gilt dies in besonderem Maße für die Politik. Wettbewerb und Konkurrenz spielen in der Politik eine zentrale Rolle. Für demokratische Systeme ist der politische Wettbewerb geradezu konstitutiv: Die Demokratie lebt vom Parteiensystem und damit von der Vielfalt unterschiedlicher Meinungen und Positionen, die im Diskurs ausgehandelt werden. Da politisches Handeln zu einem wesentlichen Teil durch sprachliches Handeln erfolgt, wird der politische Wettbe-
Cf. auch Weiler (1981, XI); Poplutz (2010).
1.1 Gegenstand und Zielsetzung
3
werb vor allem mit und durch Sprache ausgetragen. Der politische Sprachgebrauch ist daher in besonderem Maße von Agonalität geprägt, wobei der Grad der Agonalität je nach kommunikativem Kontext variieren kann. Als hochgradig agonal kann der Wahlkampf gelten, bei dem es neben dem Werben für die eigene Position immer auch darum geht, sich von anderen abzugrenzen, Divergenzen offenzulegen und sich gegenüber anderen durchzusetzen. Die Konfrontation mag dabei zuweilen über das erforderliche Maß hinausgehen und zur besseren Unterhaltung des Publikums inszeniert werden, ein Phänomen, das mit Holly (1993, 192) als «Confrontainment» beschrieben werden kann. Nichtsdestotrotz ist die Tatsache, dass Wahlkampfkommunikation durch Agonalität charakterisiert ist, legitim – um nicht zu sagen, eine Notwendigkeit –, da der außersprachliche Kontext eine Situation der Konkurrenz vorgibt und die politischen Akteure damit zum Wettkampf geradezu aufgerufen sind. Darauf, dass die Politik insgesamt und der Wahlkampf im Speziellen als hochgradig agonale Kontexte wahrgenommen und konzeptualisiert werden, deuten nicht zuletzt Ausdrücke wie dt. politischer Kampf, Wahlkampf, Rennen um die Präsidentschaft, frz. bataille politique, guerre politique, bataille électorale, course à l’Élysée oder auch engl. (to) run for president hin, die sich als Ausdruck der konzeptuellen Metapher POLITIK bzw. WAHLKAMPF IST KAMPF/ KRIEG beschreiben lassen. Spätestens seit der nach der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA im November 2016 neu entbrannten Diskussion um die Frage nach der Wahrheit, die sich unter anderem an Begriffen wie Fake News, alternative Fakten und dem vermeintlichen Eintritt in ein sogenanntes postfaktisches Zeitalter entzündet, kann die Relevanz von Agonalität, vom «Wettkampf um Geltungsansprüche» und der «kontroversen Aushandlung von Wissen mit sprachlichen Mittlen» (cf. supra) für die Politik als unbestritten gelten. Befördert durch jüngere gesellschaftliche Entwicklungen wie das Erstarken populistischer Bewegungen, die nicht selten als Bedrohung repräsentativer Demokratie wahrgenommen werden (cf. Decker 2006), oder auch die zunehmende Mediatisierung der Politik und die damit verbundene Frage, inwiefern sich die Logik der Politik der Logik der Medien anpasst (cf. Meyer 2006; Luginbühl 2017), lässt dies das Bedürfnis nach einer Überprüfung der Wahrheitsbedingungen wachsen, dem Medienvertreter mit sogenannten «Faktenchecks» nachzukommen suchen. Damit rückt das Erheben von Ansprüchen auf Gültigkeit und Wahrheit von Aussagen und die Aushandlung derselben im Diskurs nicht nur in den Fokus der Aufmerksamkeit, sondern erscheint auch in einem neuen Licht. Mit der Arbeit wird insgesamt ein vierfaches Ziel verfolgt: 1. die Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs auf der Grundlage des Forschungsstands innerhalb wie außerhalb der Sprachwissenschaft sowie der theorie- und ideengeschichtlichen Hintergründe des Konzepts,
4
1 Einleitung
2.
die Entwicklung eines geeigneten theoretischen Rahmens für die sprachwissenschaftliche Untersuchung von Agonalität auf der Grundlage der linguistischen Theoriebildung, 3. die Entwicklung eines ebensolchen methodologischen Rahmens, 4. die empirische Anwendung des zuvor entwickelten theoretischen und methodischen Ansatzes zur Untersuchung sprachlicher Manifestationen von Agonalität. Der Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs (Ziel 1) liegt die Annahme zugrunde, dass das Agonale als ein das Wesen des Menschen grundsätzlich prägendes Prinzip auch in der Sprache als dem zentralen Medium menschlicher Kommunikation seinen Ausdruck findet bzw. durch dieses mitkonstruiert wird. Agonalität kann in der Sprache abgebildet werden, die Sprache kann aber auch zur Entstehung oder Verstärkung von Agonalität beitragen. Für die Definition von Agonalität aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist die Theorie- und Ideengeschichte des Begriffs des Agonalen insoweit aufzuarbeiten, als dass sich daraus systematische Erkenntnisse für eine Gegenstandsbestimmung aus sprachwissenschaftlicher Sicht ergeben. Diese setzt am konzeptionellen Ursprung des Begriffs in der griechischen Antike an, setzt sich mit der wissenschaftlichen Rezeption des Begriffs seit dem 19. Jahrhundert, die von philosophisch-kulturwissenschaftlichen bis hin zu wirtschafts- und politikwissenschaftlichen Ansätzen reicht, fort und schließt mit sprachwissenschaftlichen Ansätzen. Auf dieser Grundlage werden verschiedene Kriterien eines linguistischen Agonalitätsbegriffs diskutiert und in einer Definition von Agonalität zusammengeführt. Um den auf diese Weise bestimmten Agonalitätsbegriff für die linguistische Untersuchung anwendbar zu machen, werden verschiedene Ansätze zur linguistischen Bestimmbarkeit von Agonalität vorgestellt. Besonderes Augenmerk soll dabei auf ein Phänomen gelenkt werden, das, wie der Titel der Arbeit ankündigt, im Zentrum des Interesses steht und das ich diskursive Kämpfe nennen möchte. Der Ansatz der diskursiven Kämpfe ist terminologisch wie konzeptionell angelehnt an den der semantischen Kämpfe,3 der in der Sprachwissenschaft bereits auf eine lange Tradition zurückblicken kann, hebt diesen aber auf die Ebene des Diskurses. Diskursive Kämpfe sind agonale Aushandlungsprozesse, die sich auf sämtliche Ebenen der einzelsprachlichen Strukturiertheit erstrecken. Sie stehen im Zeichen des Strebens nach Diskurs- und Deutungshoheit
Unter semantischen Kämpfen wird ein strategisches Sprachhandeln auf der Ebene der Lexik verstanden, das sich in Bedeutungskonkurrenz, Benennungskonkurrenz oder Sachverhaltsfixierung manifestieren kann (cf. Felder 2006b; cf. auch Kapitel 2.6.1).
1.1 Gegenstand und Zielsetzung
5
und sollen den Akteuren zu möglichst großer Hör- bzw. Sichtbarkeit verhelfen. Diskursive Kämpfe zeichnen sich durch den Einsatz für sie charakteristischer sprachlicher Handlungen, sogenannter agonaler Diskurshandlungen, aus. Gegenstand diskursiver Kämpfe sind akteursgebundene Perspektivierungen der Wirklichkeit, die im Diskurs in Konkurrenz zueinander treten. Diese lassen sich durch die Analyse des diskursiv konstituierten Sinns erschließen, der über das im Diskurs aktualisierte Wissen zugänglich gemacht wird; als Sinn wird dabei im Anschluss an Coseriu (1988/2007, 79) der sprachliche Inhalt auf der individuellen Ebene bezeichnet. Mit dem Ansatz der diskursiven Kämpfe werden die «Wettkämpfe um Geltungsansprüche», also die agonalen Aushandlungsprozesse selbst, und mit diesen die Akteure als Handlungsträger sowie der Sinn als das, was Gegenstand der Aushandlung ist, in den Fokus gerückt. Das auf diese Weise bestimmte Konzept der Agonalität mit einem Fokus auf agonalen Aushandlungsprozessen soll im Rahmen eines um Perspektiven der Pragmalinguistik und der Kognitiven Linguistik erweiterten diskursanalytischen Ansatzes modelliert werden (Ziel 2). Dabei werden verschiedene diskursanalytische Ansätze auf mögliche Synergieeffekte hin untersucht und in einem gemeinsamen Ansatz zusammengeführt. Der Fokus liegt dabei auf der Verknüpfung des romanistischen Ansatzes der Diskurstraditionenforschung, wie er von Eugenio Coseriu begründet und von Schlieben-Lange, Koch, Oesterreicher, Wilhelm, Lebsanft, Schrott und anderen weiterentwickelt wurde, auf der einen Seite und des germanistischen Ansatzes der Diskurslinguistik, wie er von Busse, Teubert, Spitzmüller, Warnke, Felder und anderen vertreten wird, auf der anderen Seite. Darüber hinaus wird für eine handlungstheoretische Fundierung linguistischer Diskursanalyse plädiert. Aufbauend auf Ansätze der linguistischen Pragmatik wird der Fokus auf die Handlungsdimension von Sprache gelegt; im Hinblick auf Agonalität rücken damit von Agonalität geprägte sprachliche Aushandlungsprozesse und in diesen zum Einsatz kommende agonale Diskurshandlungen in den Fokus der Aufmerksamkeit. Darüber hinaus möchte ich mich für die Integration einer kognitiven Dimension in den diskursanalytischen Ansatz aussprechen. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass das, was Gegenstand der agonalen Aushandlungsprozesse ist, nämlich die konkurrierenden Perspektivierungen der Wirklichkeit, mentale Repräsentationen und damit letztlich kognitiver Natur sind. Für die Operationalisierung des theoretischen Ansatzes wird ein methodischer Ansatz entwickelt (Ziel 3), der auf vier methodologischen Grundprinzipien fußt – der hermeneutisch-pragmatischen Herangehensweise, dem Prinzip der Mehrebenenanalyse, der Kombination quantitativer und qualitativer Verfahren und der Musterhaftigkeit des Sprachgebrauchs – und in vier Analyseansätzen konkretisiert wird. Letztere betreffen vier diskursrelevante Phänomene, die in der empirischen Analyse in den Blick genommen werden: (grammatische und lexika-
6
1 Einleitung
lische) Agonalitätsindikatoren, agonale Diskurshandlungen, akteursbedingte Spezifika von Agonalität und textsortenbedingte Spezifika von Agonalität. Der Analyse der sprachlichen Manifestationen von Agonalität (Ziel 4) liegen vier Fragestellungen zugrunde, die jeweils eines der oben benannten diskursrelevanten Phänomene betreffen: – Wie manifestiert sich Agonalität an der sprachlichen Oberfläche, d.h. welche (grammatischen und lexikalischen) Mittel deuten an der sprachlichen Oberfläche auf das Vorhandensein von Agonalität hin? – Wie werden Wettkämpfe um Geltungsansprüche im Diskurs ausgehandelt; welche sprachlichen Handlungen kommen in agonalen Aushandlungsprozessen zum Einsatz? – Wie gestaltet sich Agonalität im Sprachgebrauch unterschiedlicher Akteure? Gibt es akteursbedingte Spezifika von Agonalität und wenn ja, welche? – Wie gestaltet sich Agonalität in verschiedenen Textsorten? Gibt es textsortenbedingte Spezifika von Agonalität und wenn ja, welche? Diese Fragestellungen werden auf der Grundlage eines für diese Untersuchung eigens zusammengestellten Korpus untersucht. Korpuslinguistische Methoden ermöglichen neue Zugriffe auf Diskurse und neue Erkenntnisse über Diskurse, aber auch die Korpuslinguistik profitiert von diskursanalytischen Theorien und Methoden. Das hier untersuchte Korpus setzt sich aus 34 Diskursen bzw. Texten zusammen, die insgesamt 344.290 Token umfassen. Untersucht werden die fünf Spitzenkandidaten im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017, Jean-Luc Mélenchon (La France Insoumise), Benoît Hamon (Parti Socialiste), Emmanuel Macron (En Marche!), François Fillon (Les Républicains) und Marine Le Pen (Front National, seit Juni 2018 Rassemblement National); mit Wahlprogrammen, professions de foi, TV-Duellen, TV-Interviews und Reden werden verschiedene, für den Wahlkampf typische Textsorten in den Blick genommen; der Untersuchungszeitraum reicht vom 1. Februar bis zum 7. Mai 2017. Das Korpus zeichnet sich durch eine große innere Ausgewogenheit aus, die eine gute Vergleichbarkeit einzelner Teilkorpora gewährleistet, ist zugleich aber durch eine gewisse Diversität im Hinblick auf Akteure und Textsorten charakterisiert, wodurch nicht nur ein entsprechender bias vermieden, sondern auch die Untersuchung akteurs- und textsortenbedingter Spezifika ermöglicht wird. Durch die Analyse des Korpus soll nicht nur ein Beitrag zur Untersuchung der sprachlichen Manifestationen von Agonalität geleistet werden, sondern auch der zuvor entwickelte linguistische Agonalitätsbegriff praktisch erprobt und der theoretische und methodische Ansatz zur sprachwissenschaftlichen Untersuchung von Agonalität validiert werden. Nicht zuletzt soll die Analyse auch zum Verständnis der französischen Präsidentschaftswahl 2017 als einer in vielfacher Hinsicht außergewöhnlichen Wahl beitragen.
1.2 Forschungsstand
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Die französische Präsidentschaftswahl 2017 gilt nicht zu Unrecht als «révolution électorale» (Cautrès/Muxel 2019b), bricht sie doch auf vielfältige Weise mit gängigen Mustern und Erwartungen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Fünften Republik trat der scheidende Präsident nicht zu einer zweiten Amtszeit an. Ebenfalls zum ersten Mal in der Geschichte der Fünften Republik zog kein Vertreter der beiden großen Parteien, die Frankreich seit Jahrzehnten regiert hatten, in den zweiten Wahlgang ein. Die Vertreter rechts- bzw. linksextremer, populistischer Parteien, Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon, erzielten historische Erfolge. Neuer französischer Präsident wurde Emmanuel Macron nach einem fulminanten Aufstieg (beinahe) aus dem Nichts. All diese Besonderheiten machen aus dem französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 ein besonders interessantes Untersuchungsobjekt, zu dessen Verständnis die vorliegende Arbeit ebenfalls einen Beitrag leisten soll.
1.2 Forschungsstand Im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand ist der Forschungsstand in drei Bereichen von Interesse: Agonalität, politischer Sprachgebrauch und der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017. Das Phänomen der Agonalität stieß lange Zeit vor allem außerhalb der Sprachwissenschaft auf Interesse. Mit Jacob Burckhardt (1898–1902) und Friedrich Nietzsche (Homers Wettkampf, 1872, KGW 3/2) findet der Begriff des Agonalen Ende des 19. Jahrhunderts Eingang in die philosophisch-wissenschaftliche Diskussion. Ausgehend von den Agonen der griechischen Antike wird das Agonale hier als die Gesellschaft des antiken Griechenlands insgesamt prägendes Prinzip angesehen. Es gilt als Movens für Strebsamkeit und Eifer, als der Demokratie zuträgliches und vor Tyrannei schützendes Prinzip. Im Laufe des 20. und 21. Jahrhunderts findet der Begriff des Agonalen Eingang in zahlreiche Disziplinen und etabliert sich zunehmend als kulturtheoretischer und sozio-politischer Terminus.4 Den Anfang machen sozialphilosophische und sozialwissenschaftliche Theorien mit Vertretern wie Max Weber, Karl Jaspers oder Carl Schmitt, bei denen das Agonale zunächst eine Relativierung erfährt. Eine Wendung ins Allgemeine erhält das Agonale bei Johan Huizinga (1939/2013), der mit dem von Burckhardt und Nietzsche geprägten Gedanken bricht, dass es sich bei dem Agonalen um ein exklusives Merkmal der Gesellschaft des antiken Griechenlands handele. Darauf aufbauend wird das Agonale heute in der Regel als eine
Der folgende Überblick orientiert sich an Nullmeier (2000, 147–289).
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1 Einleitung
«anthropologische Grundkonstante» (Poplutz 2010; cf. auch Weiler 1981, XI; Nullmeier 2000, 166) aufgefasst, als ein universales Prinzip, das alle Gesellschaften jenseits räumlicher und zeitlicher Grenzen prägt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde das Interesse am Agonalen durch die zunehmende Beschäftigung der Altertumswissenschaft und der historischen Sportwissenschaft mit dem antiken Agon befördert (z.B. Duchemin 1945/1968; Weiler 1974; 1981; Laser 1987; Scheliha 1987; Poliakoff 1989; Decker 1995; Golden 1998; Metcalf 2018). Mit Hannah Arendt hält der Begriff des Agonalen Einzug ins Politische (cf. Ackerman/Honig 2011; Marchart 2011) und spielt heute unter anderem in den Theorien agonaler Demokratie um Chantal Mouffe, Ernesto Laclau u.a. eine zentrale Rolle, die den konstitutiven Charakter und das positive Potenzial des Agonalen für Politik und Gesellschaft hervorheben (z.B. Mouffe 2013; cf. Westphal 2018). Daneben findet der Begriff des Agonalen auch in wirtschaftswissenschaftlichen Theorien zum ökonomischen Wettbewerb (cf. Blum 2020) sowie in literatur- und kulturtheoretischen Ansätzen (z.B. Ascher 2021; Israel/Kraus/Sasso 2021) Verwendung. Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive besonders interessant sind dabei zwei Ansätze, auf deren Grundlage der Anspruch auf linguistische Bestimmbarkeit von Agonalität erhoben werden kann: die Idee einer agonistique générale des Theoretikers der Postmoderne François Lyotard (1979; 1983) sowie die Überlegungen zu einer «kommunikativen Kultur des Konflikts» von Jan und Aleida Assmann (Assmann/Assmann 1990; Assmann 1992). Im Gegensatz zu anderen Disziplinen findet der Terminus in der Sprachwissenschaft erst spät Verwendung und kann insgesamt als wenig etabliert gelten. Insbesondere in der französischsprachigen Sprachwissenschaft sind die Ansätze vereinzelt und sehr heterogen. Hervorzuheben sind die konversationsanalytischen Arbeiten Kerbrat-Orecchionis (v.a. 1990–1994, vol. 2, 141–155) und AndréLarochebouvys (1984, 28, 149–162), die das Agonale in eine konzeptionelle Nähe zum Streit rücken (so auch Holly 2018). Weiterhin werden Beziehungen zwischen dem Agonalen und der Polemik aufgezeigt (Albert/Nicolas 2010b; Amossy 2014). Im deutschsprachigen Raum zieht der Begriff in jüngerer Zeit vermehrt das Interesse der germanistischen Diskurslinguistik auf sich. Ausgehend von der Annahme, dass Diskurse der Aushandlung von Wissen dienen und diese Aushandlung selten konsensuell verlaufe, sondern meist von Konflikten geprägt sei, wird Agonalität hier als «Grundprinzip der Wissenskonstitution» (Warnke 2009, 135) aufgefasst. In diesem «Wettkampf um Geltungsansprüche» (Felder 2013, 13) spielten vor allem semantische Kämpfe eine zentrale Rolle (cf. Warnke 2009, 114). Das zugrundeliegende Verständnis von Agonalität beschreibt Mattfeldt (2018) – in der meines Wissens ersten und bislang einzigen monographischen Untersuchung von Agonalität aus sprachwissenschaftlicher Sicht – dabei als «eine breit verstandene kompetitive Opposition oder Polarität» (Mattfeldt 2018, 56), die sich an der sprachlichen Ober-
1.2 Forschungsstand
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fläche manifestiere und sich in verschiedene semantische Dimensionen aufgliedern lasse. Im Mittelpunkt des Interesses der germanistischen Agonalitätsforschung steht das auf Ekkehard Felder (2012; 2013; 2015; 2018a) zurückgehende Konzept der agonalen Zentren, worunter zentrale Streitpunkte im Diskurs zu verstehen sind, die durch grundlegende und umstrittene handlungsleitende Konzepte (cf. Felder 2006c, 18) modelliert werden können. Die Untersuchung agonaler Zentren ist inzwischen Gegenstand zahlreicher Studien und hat in jüngerer Zeit auch Eingang in die romanistische Diskursforschung gefunden (Issel-Dombert 2020; Kailuweit 2020a; 2020b; Weiland 2020). In der vorliegenden Arbeit sollen die verschiedenen Ansätze der Agonalitätsforschung zusammengeführt und unter Einbezug der theorie- und ideengeschichtlichen Hintergründe des Konzepts für die Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs nutzbar gemacht werden. Darüber hinaus soll der Blick auf das gelenkt werden, was für Agonalität als «Beschreibung der kontroversen Aushandlung von Wissen mit sprachlichen Mitteln» (Mattfeldt 2020a) geradezu konstitutiv ist, bislang in der Forschung aber wenig Aufmerksamkeit erhalten hat, nämlich die agonalen Aushandlungsprozesse selbst. Diese möchte ich in Weiterführung des Konzepts semantischer Kämpfe diskursive Kämpfe nennen (cf. Kapitel 1.1). Die Erforschung politischen Sprachgebrauchs, der in besonderem Maße von Agonalität gekennzeichnet ist, kann bereits auf eine lange Tradition zurückblicken. Als Pionierarbeiten im deutschsprachigen Raum sind Klemperers LTI. Notizbuch eines Philologen (1947/1987) und das Wörterbuch des Unmenschen von Sternberger/Storz/Süskind (1957) zur Sprache der Nationalsozialisten zu nennen. Ab den 1960er Jahren findet die Erforschung politischen Sprachgebrauchs zunehmend Verbreitung und hat sich, insbesondere in der germanistischen Sprachwissenschaft, wo sie im Anschluss an Burkhardt (1996) als Politolinguistik bezeichnet wird,5 verstärkt disziplinär etabliert. Davon zeugt nicht zuletzt die wachsende Zahl (germanistischer) Einführungen (Dieckmann 1969/1975; Girnth 2002/2015; Schröter/Carius 2009; Niehr 2014c), Handbücher (Niehr/Kilian/Wengeler 2017; Roth/Wengeler/Ziem 2017) und weiterer generischer Werke (u.a. Holly 2012; Klein In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Untersuchung politischen Sprachgebrauchs in erster Linie über ihren Gegenstand definiert, nicht aber über eigene Theorien oder Methoden verfügt, möchte ich davon absehen, von ihr als einer eigenen (Teil-)Disziplin der Sprachwissenschaft zu sprechen. Vielmehr möchte ich sie als ein Forschungsfeld auffassen, das sich durch eine genuin interdisziplinäre Ausrichtung im Sinne einer Anknüpfbarkeit an zahlreiche Teilbereiche der Sprachwissenschaft und andere Disziplinen auszeichnet. Dies zeigt sich von Beginn an in der engen Verbindung zur Rhetorik (zur politischen Rhetorik cf. das Handbuch politische Rhetorik, Burkhardt 2019b), setzt sich mit Semantik und Lexikologie fort und wird später durch Textlinguistik, Diskursanalyse, Pragmalinguistik, Kognitive Linguistik und zahlreiche weitere (Teil-)Disziplinen ergänzt (cf. infra).
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1 Einleitung
2014b).6 In der Romanistik sucht man vergleichbare Überblickswerke zwar (noch) vergeblich, doch zeugen eine Vielzahl von monographischen Untersuchungen (z.B. Tanzmeister 2000 zur italienischen Lega Nord; Becker 2004 zum politischen Wortschatz in Spanien; Lindenbauer/Metzeltin/Wochele 2005 zum Verfassungswortschatz in Rumänien; Visser 2005 zur Wortbildung am Beispiel der extême droite française; Castro Zambrano 2015 zu politischen Diskursen in Lateinamerika; Weiland 2020 zu politischen Diskursen in Frankreich), Sammelbänden (z.B. Hennemann/Schlaak 2015; Issel-Dombert/Wieders-Lohéac 2018; Große/Schlaak/ Weiland 2019), Themenheften (z.B. Born 2005), Handbuchartikeln (z.B. Narvaja de Arnoux 2021) und programmatischen Schriften (z.B. Coseriu 1987; Lebsanft 2018) von dem großen Interesse, das der Erforschung politischen Sprachgebrauchs auch hier entgegengebracht wird. In Frankreich ist die Untersuchung politischen Sprachgebrauchs disziplinär weniger etabliert, aber ebenfalls ein viel erforschter Bereich.7 Auch hier setzt die Erforschung des politischen Sprachgebrauchs in den 1960er Jahren ein, wobei insbesondere die Forschungen um Jean Dubois zum politisch-sozialen Wortschatz in Frankreich (Dubois 1962; 1969) sowie die Arbeiten der Groupe de SaintCloud um Maurice Tournier, die für die Entwicklung der Lexikometrie bekannt ist (Tournier 1975; 1992–2002; Geffroy/Guilhaumou/Moreno 1985–2006), wegweisend sind.8 Kristallisationspunkt «politolinguistischer» Forschung in Frankreich sind u.a. verschiedene Zeitschriften, allen voran die 1989 von Maurice Tournier gegründete Zeitschrift Mots. Les langages du politique, aber auch die Zeitschriften Langages und Langage & société mit entsprechenden Beiträgen bzw. Themenheften (z.B. Langages 23, 1971; 41, 1976; 62, 1981; 117, 1995). Daneben sind freilich auch zahlreiche monographische Arbeiten (z.B. Le Bart 1998; Charaudeau 2005; Bacot 2011) und Sammelbände (z.B. Biglari/Colas-Blaise/Tore 2014; Corcuera Manso/Gaspar Galán/Djian/Vicente/Bernal 2016) zu verzeichnen. Auch jenseits des deutsch- und französischsprachigen Raums ist die Untersuchung politischen Sprachgebrauch ein wichtiges Forschungsfeld. Im englischsprachigen Raum wird dies durch mehrere Handbücher eindrucksvoll bezeugt (Semetko/Scammell 2012; Reinemann 2014; Kenski/Jamieson 2017;
Einen Überblick über die «politolinguistische» Forschung in der Germanistik bietet die von Girnth/Hofmann (2016) zusammengestellte Bibliographie. Fiala (2014) spricht in diesem Zusammenhang gar von einer «passion française». Für einen Überblick über die Erforschung politischen Sprachgebrauchs in Frankreich cf. Bacot (2005); Bacot/Coulomb-Gully/Honoré/Le Bart/Oger/Plantin (2010); Scholz/Fiala (2017). Zu den Anfängen der Erforschung politischen Sprachgebrauchs in Frankreich aus historischer Sicht cf. Guespin (1971).
1.2 Forschungsstand
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Wodak/Forchtner 2018). Zum spanischsprachigen Raum cf. bereits Alvar (1987); für neuere Überblicke cf. z.B. Bolívar (2018) und Llamas Saíz (2018). Im Fokus der Untersuchung politischen Sprachgebrauchs stand lange Zeit der politische Wortschatz. Dies zeigt sich in wegweisenden frühen Arbeiten (in Deutschland z.B. Klemperer 1947/1987; Sternberger/Storz/Süskind 1957; Strauß 1986; Klein 1989b; in Frankreich Dubois 1962; Tournier 1975; 1992–2002), setzt sich aber auch bis weit ins 21. Jahrhundert hinein fort (für aktuelle Überblicke aus deutschsprachiger Sicht cf. Klein 2016; 2017b; Busse 2017; Drommler 2017; Niehr 2017; Wengeler 2017; Ziem 2017a; 2017b). In Frankreich wird die wortschatzorientierte Analyse in besonderem Maße befördert durch die Lexikometrie und ihre Weiterentwicklung, die Logometrie, die sich für die Untersuchung lexikalisch-semantischer Strukturen mit quantitativen Analysemethoden interessieren. Sie stellen bis heute wichtige Paradigmen dar, wie zum Beispiel die Arbeiten der Forschungsgruppe Mesure du discours. Observatoire du discours politique français um Damon Mayaffre (z.B. Mayaffre 2000; 2005a; 2005b; 2013; 2021), die in der Öffentlichkeit viel Beachtung findenden Analysen Cécile Alduys (Alduy/ Wahnich 2015; Alduy 2017) und zahlreiche weitere Arbeiten (z.B. Calvet/Véronis 2008; Labbé/Monière 2008; 2013) zeigen. Wichtige Impulse erfuhr die Erforschung des politischen Wortschatzes zudem durch die in den 1970er Jahren entstehende Begriffsgeschichte, die sich – so der Grundgedanke des epochemachenden Werks Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland von Brunner/Koselleck/Conze (1972–1997) – der Untersuchung des Bedeutungswandels von Begriffen in ihrem jeweiligen, kulturell, gesellschaftlich und politisch geprägten, historischen Kontext verschreibt. Ähnliche Unterfangen finden sich auch in Frankreich, z.B. mit dem im Umfeld der Groupe de SaintCloud entstandenen Dictionnaire des usages socio-politiques (1770–1815) (Équipe 18ème siècle et Révolution 1985–2006). Mit der kommunikativ-pragmatischen Wende in den 1970er Jahren rücken neue Gegenstände in den Fokus der Untersuchung politischen Sprachgebrauchs. Sie zeigt sich nun zunehmend text- und diskursorientiert, was die Einbindung weiterer Theorien und Methoden wie Sprechakt-, Konversations-, Text- und Argumentationsanalyse nach sich zieht. Insbesondere in der germanistischen Sprachwissenschaft hat dies zu einer immer engeren Verzahnung von «Politolinguistik» und Diskursanalyse geführt (cf. Girnth 1996; 2012; Felder 2010; Spieß 2011b; Niehr 2013),9 doch auch die romanistische Diskurstraditionenforschung wurde für die Analyse politischer Diskurse bzw. Texte fruchtbar gemacht (cf. Becker 2004, insb. 34–48; Lebsanft 2006b; 2015b; 2018). Heute ist die Untersuchung politischen
Für einen Forschungsüberblick cf. Felder/Jacob (2017); Spitzmüller (2017).
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1 Einleitung
Sprachgebrauchs ein breites Feld, das sich für Besonderheiten im politischen Wortschatz interessiert, aber auch, um nur einige Beispiele herauszugreifen, für politische Text- und Diskurstraditionen, für Gegenstände der Pragmalinguistik (Funktionen und Strategien, Sprachhandlungen, Argumentationen) und der Kognitiven Linguistik (Frames, Framing), für Kampagnen, multimodale Kommunikation und vieles mehr. Durch Impulse aus Text- und Diskurslinguistik haben sich das Interesse und insbesondere der Gegenstandsbereich der Erforschung politischen Sprachgebrauchs entschieden erweitert und verschoben. Genau hier setzt das Konzept der diskursiven Kämpfe an, indem es die Untersuchung sprachlicher Aushandlungsprozesse, die, wie die Untersuchung politischen Sprachgebrauchs allgemein, lange Zeit auf den Wortschatz fixiert war, von der Wortebene auf die Ebene des Diskurses hebt. Dies wird exemplarisch anhand des französischen Präsidentschaftswahlkampfs 2017 untersucht. Als ein vergleichsweise junges Phänomen ist der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017 noch recht wenig erforscht.10 Die meisten Arbeiten stammen aus dem politik- und sozialwissenschaftlichen Bereich. Hervorzuheben sind u.a. die von Perrineau (2017c) und Cautrès/Muxel (2019b) herausgegebenen Sammelbände, die auf der Grundlage groß angelegter Wählerbefragungen den Wahlausgang und das Wählerverhalten zu erklären und daraus verallgemeinerbare Schlüsse in Bezug auf die aktuelle Situation der französischen Politik zu ziehen suchen. Spezifischere Themen stehen im Fokus weiterer Studien, z.B. genderbezogene Aspekte (La Découverte 2018), die Stichwahl zwischen Macron und Le Pen (Evans/Ivaldi 2018), kommunikative Strategien (Maarek/Mercier 2018b), die Rolle der Medien (Kuhn/Perry 2018b; Theviot 2019b), Emotionen (Ballet 2020; 2021) oder das Format des meeting électoral (Sécail 2020). Hinzu kommen verschiedene Themenhefte (z.B. Kuhn 2017b) und zahlreiche Aufsätze. Weitestgehender Konsens besteht zwischen diesen Arbeiten hinsichtlich der Einzigartigkeit der Wahl, da sie auf vielfältige Weise mit üblichen Mustern und Erwartungen bricht (cf. dazu ausführlicher Kapitel 5.1). Ebenfalls der Aktualität des Untersuchungsgegenstands geschuldet ist die Tatsache, dass sich die Erforschung desselben, aber auch die Phänomene selbst, sprich die politische Situation in Frankreich, ständig weiterentwickeln. Aus Gründen der Praktikabilität können entsprechende Weiterentwicklungen nicht laufend Berücksichtigung finden. Ein vorläufiger Schlussstrich wurde Ende 2020 gezogen. Neben Literatur zum französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 kann sich auch Literatur zu früheren französischen Präsidentschaftswahlkämpfen als aufschlussreich erweisen. Einen Überblick bis einschließlich 2007 bietet die thematische Bibliographie von Barbet/Mayaffre (2009); zur Wahl von 2012 cf. u.a. Maarek (2013); Charadeau (2013); Labbé/Monière (2013); Perrineau (2013).
1.2 Forschungsstand
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Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017 bislang nur wenig erforscht. Zum einen liegen mit Alduy (2017) und Mayaffre (2017; 2021, 53–120) logometrische Analysen vor, die den Sprachgebrauch (potenzieller) Kandidaten vergleichend untersuchen. Die im Vorfeld der Wahl durchgeführte und erschienene Studie11 von Cécile Alduy hat zum Ziel, «[de] décode[r] la logique profonde du discours des présidentiables» (Alduy 2017, 18). Als présidentiable gilt, wer zum Zeitpunkt der Studie als wahrscheinlicher Präsidentschaftskandidat gehandelt wird.12 Die monographische Studie liefert wertvolle und profunde Erkenntnisse zum Sprachgebrauch zentraler Figuren des politischen Lebens in Frankreich, doch bleiben einige Kandidaten, nicht zuletzt der zukünftige Präsident Emmanuel Macron, ebenso wie der Wahlkampf selbst, d.h. die campagne officielle, außen vor. Im Gegensatz dazu untersucht Mayaffre (2017; 2021, 53–120) den Sprachgebrauch der fünf Spitzenkandidaten während der campagne officielle (2021 mit einem Fokus auf Macron), ist jedoch deutlich knapper. Zum anderen liegt mit Kerbrat-Orecchioni (2019) eine umfassende, monographische Untersuchung des TV-Duells der beiden Spitzenkandidaten Marine Le Pen und Emmanuel Macron vor dem zweiten Wahlgang vor. Aufbauend auf der Analyse aller vorhergehenden TV-Duelle vor dem zweiten Wahlgang in der Fünften Republik (Kerbrat-Orecchioni 2017) zeigt Kerbrat-Orecchioni aus konversationsanalytischer Sicht, dass das Duell von 2017 in vielfältiger Weise die Tradition dieses Genres fortschreibt, teilweise aber auch den Konventionen entgegensteht, indem es sich z.B. durch einen gesteigerten Grad der Dialogizität und der Aggressivität auszeichnet. Die vorliegende Untersuchung baut auf diese Studien auf, indem sie dort gewonnene Erkenntnisse für das hier verfolgte Vorhaben fruchtbar macht, geht zugleich jedoch über diese hinaus, indem sie denselben Untersuchungsgegenstand – den französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 – im Hinblick auf Agonalität im politischen Sprachgebrauch und damit vor dem Hintergrund eines anderen theoretisch-methodologischen Rahmens und unter einer anderen Fragestellung untersucht.
Das Korpus reicht von 2014 bis 2016 (cf. Alduy 2017, 18); die Verschriftlichung der Ergebnisse erfolgte von August bis Anfang Dezember 2016 (cf. Alduy 2017, 20); erschienen ist das Werk im Januar 2017 (Umschlag). Dies sind François Fillon, François Hollande, Alain Juppé, Marine Le Pen, Jean-Luc Mélenchon und Nicolas Sarkozy.
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1 Einleitung
1.3 Aufbau der Arbeit Die Arbeit gliedert sich in fünf thematische Kapitel, die von einer Einleitung (Kapitel 1) und einem Fazit (Kapitel 7) gerahmt werden. Kapitel 2 und 3 bilden den theoretischen Teil der Arbeit. Kapitel 2 hat die Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs zum Ziel. Auf der Grundlage des Forschungsstands innerhalb wie außerhalb der Sprachwissenschaft sowie der theorie- und ideengeschichtlichen Hintergründe des Konzepts wird eine Definition von Agonalität als kompetitive Opposition zwischen zwei oder mehr konkurrierenden Perspektivierungen der Wirklichkeit, die sich in kompetitiven Sprachspielen manifestiert, vorgeschlagen. In Kapitel 3 wird auf der Grundlage der linguistischen Theoriebildung ein theoretischer Ansatz für die sprachwissenschaftliche Untersuchung von Agonalität entwickelt. Dabei handelt es sich um einen pragmalinguistisch und kognitionslinguistisch fundierten diskursanalytischen Ansatz, der Agonalität als ein an der Schnittstelle von Diskurs, Handeln und Kognition angesiedeltes Phänomen zu erfassen sucht. Kapitel 4 ist der Operationalisierung dieses theoretischen Ansatzes für die empirische Analyse gewidmet und bildet damit das «Scharnier» zwischen dem theoretischen (Kapitel 2 und 3) und dem anwendungsbezogenen (Kapitel 5 und 6) Teil der Arbeit. In Kapitel 4 wird ein methodischer Ansatz für die sprachwissenschaftlichen Untersuchung von Agonalität entwickelt. Darauf folgt der anwendungsbezogene Teil der Arbeit (Kapitel 5 und 6). In Kapitel 5, das der Trias Kontext – Korpus – Transkription gewidmet ist, wird der Kontext, in den der Untersuchungsgegenstand eingebettet ist, der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017, dargelegt, das der Untersuchung zugrunde liegende Korpus beschrieben sowie der Prozess der Transkription beleuchtet. Gegenstand von Kapitel 6 ist die empirische Analyse sprachlicher Manifestationen von Agonalität auf der Grundlage des Untersuchungskorpus. Folgende Phänomene stehen dabei im Fokus: – Agonalitätsindikatoren, d.h. grammatische und lexikalische Mittel, die an der sprachlichen Oberfläche Agonalität anzeigen, – agonale Diskurshandlungen, d.h. sprachliche Handlungen, die der Aushandlung konkurrierender Perspektivierungen im Diskurs dienen, – akteursbedingte Spezifika von Agonalität und – textsortenbedingte Spezifika von Agonalität. Die Analyse sprachlicher Manifestationen von Agonalität erfolgt exemplarisch anhand des französischen Präsidentschaftswahlkampfs 2017.
2 Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs Die Sprache ist eine Waffe, haltet sie scharf! Kurt Tucholsky (1929/1989)
Während das Phänomen des Agonalen in anderen Disziplinen bereits auf eine lange Forschungstradition zurückblicken kann, gilt dies für die Sprachwissenschaft nicht in gleichem Maße. Arbeiten zur Agonalität sind, auch wenn sie in jüngerer Zeit zunehmen, insgesamt eher rar, verschiedene Ansätze stehen teilweise disparat nebeneinander, eine umfassende theoretische Fundierung des Begriffs bleibt häufig aus. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, einen Beitrag zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs zu leisten. Neben der Zusammenführung bereits bestehender sprachwissenschaftlicher Ansätze, die bislang aussteht, ist dazu die Theorien- und Ideengeschichte des Begriffs des Agonalen insoweit aufzuarbeiten, als dass sich daraus systematische Erkenntnisse für eine Gegenstandsbestimmung aus sprachwissenschaftlicher Sicht ergeben. Diese Aufarbeitung setzt am konzeptionellen Ursprung des Begriffs in der griechischen Antike an und setzt sich mit der wissenschaftlichen Rezeption des Begriffs seit dem 19. Jahrhundert, die von philosophisch-kulturwissenschaftlichen über wirtschafts- und politikwissenschaftliche bis hin zu sprachwissenschaftlichen Ansätzen reicht, fort. Nach einigen definitorischen Vorüberlegungen (Kapitel 2.1) wird zunächst der Ursprung des Begriffs in der griechischen Antike in den Blick genommen, der chronologisch und konzeptionell als Ausgangspunkt für eine Begriffsbestimmung von Agonalität fungieren kann (Kapitel 2.2). Wie die wissenschaftliche Auseinandersetzung gezeigt hat, handelt es sich bei dem Agonalen jedoch nicht um ein genuines Merkmal der griechischen Antike, sondern um ein Anthropologikum, um einen Wesenszug, der dem Menschen grundsätzlich eigen ist (Kapitel 2.3). Das Agonale kann in vielfältigen Ausdrucksmitteln in Erscheinung treten; dazu zählt auch die Sprache als dem Menschen eigenes Ausdrucksmittel und zentrales Medium der menschlichen Kommunikation. Von dieser Annahme ausgehend werden verschiedene Kriterien eines linguistischen Agonalitätsbegriffs herausgearbeitet (Kapitel 2.4), auf deren Grundlage schließlich eine Definition von Agonalität aus linguistischer Sicht vorgenommen wird (Kapitel 2.5). Um den auf diese Weise entwickelten Agonalitätsbegriff für die sprachwissenschaftliche Untersuchung operationalisierbar zu machen, werden im Anschluss daran verschiedene Zugänge für eine linguistische Bestimmbarkeit von Agonalität herausgestellt (Kapitel 2.6). Ein möglicher Ansatz ist die Analyse agonaler Aushandlungsprozesse, die ich, in Anlehnung an die Bezeichnung semantische Kämpfe, diskursive Kämpfe nennen https://doi.org/10.1515/9783110981537-002
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2 Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
möchte (Kapitel 2.6.6). Abschließend wird der besondere Zusammenhang zwischen Agonalität und politischem Sprachgebrauch, dem Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit, in den Blick genommen (Kapitel 2.7). An dieser Stelle sei noch eine terminologische Präzisierung vorgenommen. Wie allgemein üblich, verwende ich den Ausdruck Agon, um auf das Konzept des Agons in der griechischen Antike zu referieren. Um in Abgrenzung davon ein Konzept zu bezeichnen, das nicht auf die griechische Antike beschränkt ist, sondern eine anthropologische Grundkonstante darstellt, verwende ich den Ausdruck das Agonale. Das Agonale ist somit ein allgemein menschliches Prinzip, das zahlreiche Lebensbereiche prägt und sich in verschiedenen Ausdrucksformen manifestieren kann. Um wiederum spezifisch auf die Manifestation des Agonalen in der Sprache Bezug zu nehmen, verwende ich in Anlehnung an Warnke (2009) den Ausdruck Agonalität.
2.1 Definitorische Vorüberlegungen In diesem Kapitel werden auf der Grundlage einer etymologischen, morphologischen und semantischen Analyse des Begriffs erste definitorische Vorüberlegungen zu Agonalität angestellt. Ziel ist zunächst keine spezifisch linguistische, sondern eine allgemeine Annäherung an den Begriff. In einem ersten Schritt wird in diachroner Perspektive der etymologische Ursprung des Begriffs beleuchtet, um im Anschluss daran in synchroner Perspektive die Bedeutung des Begriffs durch eine morphologische und, auf der Grundlage einer kontrastiven Untersuchung der Definition des Begriffs durch einschlägige Referenzwörterbücher, eine semantische Analyse zu erschließen. Agonalität geht auf gr. ἀγών (agṓn) zurück. Die Bedeutung von ἀγών ist nicht unumstritten, zumal sie im Laufe der Zeit auch verschiedenen Wandeln unterlag. Mit Binder (2006) kann sie hier vorläufig als ʻVersammlung(splatz), (Wett-)kampf (platz)ʼ paraphrasiert werden.13 Nach gängiger Lehrmeinung ist das altgriechische Substantiv ἀγών (agṓn) eine Derivation des Verbs ἄγω (ágō) ʻtreiben, leiten, führen; ziehen, gehenʼ (cf. GEW, s.v. ἄγω; Chantraine 1968, s.v. ἄγω; Beekes 2009, s.v. ἄγω).14 Auf gr. ἄγω ist auch lat. ago (ēgī, āctum, ere) zurückzuführen, trans. ʻin Bewegung setzen, treibenʼ, intrans. ʻhandeln, tätig seinʼ (cf. Georges, Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Bedeutung von ἀγών und dem konzeptionellen Ursprung des Begriffs in der griechischen Antike cf. Kapitel 2.2. Ellsworth (1972, 248–257) stimmt dem zu, hebt allerdings hervor, dass diese Herleitung zwar formal, nicht aber semantisch plausibel sei, da zwischen den Bedeutungen von ἄγω und ἀγών kein klarer Zusammenhang hergestellt werden könne. Cowgill (1978) schlägt daher vor, ἀγών nicht auf
2.1 Definitorische Vorüberlegungen
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s.v. ago). Lat. ago führt in zahlreichen modernen Sprachen zur Bildung von Verben, die im weitesten Sinne ʻhandelnʼ bedeuten, zum Beispiel dt. agieren, engl. (to) act, frz. agir, it. agire, sp. actuar, port. agir. Etymologisch betrachtet kann somit eine direkte Verbindung zwischen den Konzepten AGONALITÄT und HANDELN hergestellt werden. Neben der Etymologie vermag aus synchroner Perspektive auch eine morphologische Analyse des Ausdrucks Agonalität Aufschluss über seine Bedeutung zu geben. Die Basis ist das Substantiv Agon, aus dem durch Derivation mittels des Suffixes -al (< lat. -ālis), das die Bedeutung ʻrelationalʼ zum Ausdruck bringt (cf. Fleischer/Barz 1992/2012, 349), das Adjektiv agonal entsteht. Die Bedeutung von agonal lässt sich in etwa als ʻin Bezug auf den Agonʼ paraphrasieren. Durch syntaktische Konversion kann aus dem Adjektiv agonal das Substantiv das Agonale gebildet werden, das ich zur Bezeichnung eines allgemeinen Prinzips verwende, das zahlreiche Ausdrucksformen und Lebensbereiche des Menschen prägt. Wenn es hingegen spezifisch um das Agonale in der Sprache geht, verwende ich in Anlehnung an Warnke (2009) den Ausdruck Agonalität. Das Substantiv Agonalität entsteht durch Derivation des Adjektivs agonal mittels des Suffixes -ität, das meist zur Bildung von Bezeichnungen von Eigenschaften und Zuständen verwendet wird (cf. Fleischer/Barz 1992/2012, 243). Morphologisch betrachtet kann die Bedeutung von Agonalität damit als ʻvom Agon geprägte(r) Eigenschaft oder Zustand von Spracheʼ paraphrasiert werden. Vor dem Hintergrund der im Weiteren zugrunde gelegten sprachtheoretischen Verortung (cf. Kapitel 3) ist dabei zu präzisieren, dass Agonalität nicht Sprache als abstraktes System charakterisiert, sondern den Gebrauch, den Sprecher in einem bestimmten Kontext von Sprache machen, kurz: den Diskurs. Morphologisch betrachtet beschreibt Agonalität also eine Eigenschaft bzw. einen Zustand von Diskursen.15 Zu guter Letzt soll die Bedeutung von Agonalität durch eine semantische Analyse erschlossen werden. Dies erfolgt durch die kontrastive Untersuchung entsprechender Definitionen in einschlägigen Wörterbüchern,16 wobei folgende ἄγω, sondern auf ἀγείρω (ageírō) ʻversammelnʼ zurückzuführen, was semantisch plausibler sei und formal durch eine neue Form der r/n-Alternation erklärt werden könne. Von gr. ἀγείρω stammt auch ἀγορά (agorá) (cf. GEW, ss.vv. ἀγορά, ἀγείρω). Als Agora wird der politische, religiöse, gesellschaftliche und wirtschaftliche Mittelpunkt der griechischen Polis bezeichnet. Agon wird vielfacht mit Agora in Verbindung gebracht (cf. z.B. Burckhardt 1898–1902, vol. 4, 115; Huizinga 1939/2013, 59), was semantisch naheliegt – die Agora diente als Versammlungsort –, etymologisch allerdings nur begründbar wäre, wenn Cowgill (1978) im Recht läge. Zum Diskursbegriff cf. Kapitel 3.1 und 3.3.2. Als Nachschlagewerke stellen Wörterbücher umfassende Informationen bezüglich grammatischer und semantischer Eigenschaften der einzelnen Lemmata bereit und enthalten syn-
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2 Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
Referenzwerke herangezogen werden: Le Grand Robert (GR) und Le Trésor de la langue française informatisé (TLFi) für das Französische,17 der Duden für das Deutsche und das Oxford English Dictionary (OED) für das Englische. Zunächst ist zu konstatieren, dass keines dieser Wörterbücher das Lemma Agonalität – bzw. äquivalente Begriffe in anderen Sprachen – verzeichnet. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Ausdruck wenig frequent und wenig etabliert ist, was eine fundierte Begriffsbestimmung umso erforderlicher macht. Als Ausgangspunkt für die semantische Analyse können stattdessen andere Ausdrücke der gleichen Wortfamilie fungieren, wie Agon, agonal, Agonie, Agonismus, Agonist, Antagonist, Agonistik und agonistisch.18 Durch die gemeinsame etymologische Basis ist ihnen allen eine abstrakte Grundbedeutung gemeinsam, die auch die Bedeutung von Agonalität prägt. Diese wird im Folgenden auf der Grundlage einer kontrastiven Analyse der Definitionen von Agon und agonal (bzw. deren Äquivalente in den jeweiligen Sprachen) ermittelt, die als Basis und zugehöriges relationales Adjektiv einen geeigneten Ausgangspunkt für die Ermittlung der Grundbedeutung darstellen. Die französischen Referenzwerke definieren agone (zu agôn gibt es keinen Eintrag) als antike Festveranstaltung, in deren Rahmen sportliche oder künstlerische Wettkämpfe stattfanden: «Antiq. Fêtes romaines qui comprenaient des luttes athlétiques et des concours artistiques» (GR, s.v. agone; Hervorhebung im Original). «ANTIQ. Fête, jeux publics où se déroulaient des luttes athlétiques, avec fréquemment des concours intellectuels ou artistiques (méd., mus., philol., etc.)» (TLFi, s.v. agone; Hervorhebung im Original).
Der Duden gibt zwei Bedeutungsvarianten von Agon an: «[…] Gebrauch: griechische Antike […] 1. sportlicher und musischer Wettkampf 2. Streitgespräch als Hauptbestandteil der attischen Komödie» (Duden, s.v. Agon; Hervorhebungen im Original).
chronisch wie diachronisch relevante Hinweise. Sie vermögen so Aufschluss zu geben über die Bedeutung der Lemmata. Dabei ist freilich zu bedenken, dass Wörterbücher kein getreues Abbild des allgemeinen Sprachgebrauchs, sondern das Werk von Lexikographen sind. Der Dictionnaire de l’Académie française (DAF) und der Larousse wurden ebenfalls konsultiert, verzeichnen aber keine einschlägigen Lemmata. Bzw. deren Äquivalente in den jeweiligen Sprachen; im Französischen u.a. agôn, agone, agonal, agonie, agoniste, antagoniste und agonistique, im Englischen u.a. agon, agonal, agony, agonist, antagonist, agonistic and agonistics.
2.1 Definitorische Vorüberlegungen
19
Die erste Bedeutung, ‘sportlicher und musischer Wettkampf’, weist eine semantische Nähe zu den Definitionen der französischen Referenzwerke auf, doch werden unterschiedliche Bedeutungsnuancen akzentuiert: Die französischen Wörterbücher legen den Fokus auf die Festveranstaltung als Ganzes, in deren Rahmen Wettkämpfe stattfanden, der Duden hingegen stellt den Wettkampf selbst ins Zentrum der Definition (diese beiden Bedeutungsvarianten koexistierten bereits in der Antike, cf. Kapitel 2.2). Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass der Duden – im Gegensatz zum GR, der den Agon dezidiert in der römischen Antike situiert, und zum TLFi, der auf die Antike im Allgemeinen referiert, – ausschließlich auf die griechische Antike verweist. Die zweite im Duden angegebene Bedeutung bezieht sich auf eine musterhafte literarische Form, das ‘Streitgespräch als Hauptbestandteil der attischen Komödie’, die eine durch die Literaturwissenschaft erfolgte Terminologisierung aufgreift (cf. Kapitel 2.2). Das OED bietet die umfassendste Definition des Begriffs. Die im OED aufgeführten wörtlichen Bedeutungsvarianten (I.1 und I.2) ähneln den im Duden angegebenen Bedeutungsvarianten, allerdings gibt das OED unter I.1 sowohl die Festversammlung als Ganzes («a public celebration of games») als auch den Wettkampf selbst («contest») an und führt damit die Definitionen der bislang diskutierten französischen und deutschen Wörterbücher zusammen. Darüber hinaus führt das OED eine weitere, abstrakte Bedeutungsvariante an (II.3): «I. Literal senses. 1. A public celebration of games, including athletic, dramatic, and musical contests, in the ancient Greek or Roman world; a contest for a prize at such games. 2. A verbal contest or dispute between two characters in an ancient Greek play. II. In figurative contexts or extended uses. 3. A painful struggle, esp. a psychological one; a conflict, fight, competition.» (OED, s.v. agon; Hervorhebungen im Original).
Ein solcher Verweis auf die abstrakte Bedeutungsvariante ʻ(Wett-)Kampf, Konfliktʼ, besonders im psychologischen Sinne, findet sich in den übrigen Referenzwerken lediglich in den Definitionen des Adjektivs agonal: «Hist. Relatif aux jeux publics de l’Antiquité. – (Mil. xxe). Psychol. Qui concerne certains jeux de compétition.» (GR, s.v. agonal; Hervorhebungen im Original). «A.– ANTIQ. Relatif aux jeux publics. […] B.– PHILOS., PSYCHOL. «Qui concerne la lutte, le combat (...) peut caractériser certaines formes de jeu.» (PIÉRON 1963).» (TLFi, s.v. agonal; Hervorhebungen im Original). «[…] Gebrauch: bildungssprachlich […] kämpferisch, streitbar; auf [Wett]kampf ausgerichtet» (Duden, s.v. agonal; Hervorhebungen im Original).
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2 Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
«1. Of or relating to an agon or public celebration of games. 2. Characterized by competition; competitive; conflictual.» (OED, s.v. agonal; Hervorhebungen im Original).
In der Zusammenschau der Definitionen von Agon und agonal in den Referenzwörterbüchern wird deutlich, dass das antike Konzept des Agons stets den Ausgangspunkt für die Definition darstellt und teilweise durch die abstraktere Bedeutung ʻ(Wett-)Kampfʼ ergänzt wird. Ein Vergleich der Definitionen zeigt, dass folgende Bedeutungskomponenten rekurrent sind: – Die Veranstaltungen, anlässlich derer Agone stattfinden, werden als öffentliches Fest charakterisiert («fête», «jeux publics», «public celebration»). Es handelt sich um öffentliche Veranstaltungen, die geplant und organisiert sind und der Unterhaltung eines Publikums dienen. – Die Veranstaltungen und auch der Agon selbst werden als Spiele charakterisiert («jeux publics», «games»). – Das Agonale wird als Kampf beschrieben («lutte», «combat», «[Wett]kampf», «struggle», «fight»). Dabei kann es sich sowohl im wörtlichen Sinne um einen Kampf handeln, in dem sich zwei oder mehr Akteure gegenüberstehen, als auch im übertragenen Sinne um einen inneren, psychologischen Kampf, den eine Person mit sich selbst austrägt. – Dieser Kampf kann den Charakter eines Wettkampfs oder Wettbewerbs annehmen («concours», «compétition», «Wettkampf», «contest», «competition»). Die Akteure befinden sich in einer Situation der Konkurrenz und des Sich-Messens, in der sie danach streben, sich gegenseitig zu überbieten. – Auslöser für (Wett-)Kämpfe kann ein streitbarer Gegenstand oder Konflikt sein («streitbar», «conflict», «conflictual»). Diese Bedeutungskomponenten gilt es im Folgenden ausführlicher zu erörtern und daraufhin zu prüfen, ob sie Eingang in einen linguistischen Agonalitätsbegriff finden können.
2.2 Konzeptioneller Ursprung Zum Kampf der Wagen und Gesänge, Der auf Korinthus’ Landesenge Der Griechen Stämme froh vereint, Zog Ibykus, der Götterfreund. Friedrich Schiller, Die Kraniche des Ibykus (1798, 267)
Seinen konzeptionellen Ursprung hat das Agonale, wie in Kapitel 2.1 bereits angeklungen ist, im Agon der griechischen Antike. Dieser kann somit als chronologi-
2.2 Konzeptioneller Ursprung
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scher und konzeptioneller Ausgangspunkt für eine allgemeine Begriffsbestimmung des Agonalen sowie eine linguistische Begriffsbestimmung von Agonalität fungieren. Im Folgenden wird dieser konzeptionelle Ursprung in drei Schritten erschlossen. Zunächst wird aus semasiologischer Perspektive untersucht, welche Bedeutungen der Ausdruck ἀγών hatte und welchen Veränderungen diese im Laufe der Zeit unterlagen; daraufhin wird der Fokus auf den bereits in der griechischen Antike bestehenden Zusammenhang zwischen Agon und Sprache gelenkt; abschließend wird dargelegt, worin allgemein und abstrahiert betrachtet der konzeptionelle Kern des griechischen Agons gesehen werden kann. Gr. ἀγών ist ein polysemer Ausdruck, dessen Bedeutung im Laufe der Zeit verschiedenen Veränderungen unterlag. Üblicherweise werden drei Bedeutungsvarianten unterschieden:19 1. ʻVersammlung, in deren Rahmen Wettkämpfe abgehalten werdenʼ 2. ʻOrt der Versammlung bzw. des Wettkampfsʼ 3. ʻWettkampfʼ Der gängigen Lehrmeinung zufolge hatte ἀγών anfänglich lediglich die Bedeutung ʻVersammlungʼ;20 erst im Laufe der Zeit habe sich die Bedeutung des Begriffs verengt, sodass ἀγών nun ausschließlich der Bezeichnung von Versammlungen diente, in deren Rahmen Wettkämpfe stattfanden. Demgegenüber zeigt Ellsworth (1972, 2–3, 7–23) auf der Grundlage einer umfassenden Studie sämtlicher Belege des Begriffs, dass der Ausdruck ἀγών immer schon im Zusammenhang mit Wettkämpfen verwendet wurde, also weder jedwede Versammlung noch jedweden Ort einer Versammlung bezeichnen konnte, sondern nur eine Versammlung, in deren Rahmen Wettkämpfe stattfanden, und nur einen Platz oder Ort, an dem Wettkämpfe ausgetragen wurden (so auch Weiler 1974, 26). Dem soll hier dadurch Rechnung getragen werden, dass die oben angegebene Bedeutungsvariante 1 nicht ʻVersammlungʼ, sondern ʻVersammlung, in deren Rahmen Wettkämpfe abgehalten werdenʼ lautet. Konsens herrscht hingegen bezüglich der Ansicht, dass die unter 1 und 2 angeführten Bedeutungsvarianten zuerst bestanden, wohingegen sich die unter 3 angeführte erst später herausbildete, und zwar als sich die Bedeutung von
So bereits in Paulys Realencyclopädie (Meier 1893, 836) und auch im Neuen Pauly (Binder 2006). Cf. auch Ellsworth (1972, 1–2); Weiler (1974); Cowgill (1978, 29); Laser (1987, T11–T13); Poplutz (2010). Cf. z.B. Meier (1893, 836) ʻVersammlung, Kampfplatzʼ; Chantraine (1968, s.v. ἀγω) ʻassemblée, rassemblementʼ; Cowgill (1978, 29) ʻassembly, gatheringʼ; Laser (1987, T11) ʻVersammlung, Ansammlungʼ; Decker (1995, 39) ʻVersammlungʼ.
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2 Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
der Versammlung zu der Aktivität, mit der diese assoziiert wurde, verschob.21 Ellsworth (1972, 1–2) datiert die ersten beiden Bedeutungsvarianten auf das archaische, die dritte hingegen auf das klassische Zeitalter; zwischen beiden bestehe jedoch kein klarer Bruch, sondern ein fließender Übergang. Parallel dazu konnte ἀγών stets auch metonymisch den Ort bezeichnen, an dem die Versammlung bzw. der Wettkampf stattfand. Im klassischen Zeitalter bezeichnet ἀγών einen organisierten und klaren Regeln unterliegenden Wettkampf, der im Rahmen öffentlicher Versammlungen22 ausgetragen wurde. Agone, wie sie auch Friedrich Schiller in den eingangs zitierten Versen beschreibt, waren in der griechischen Antike weit verbreitet und erfreuten sich großer Beliebtheit; zu den bekanntesten unter ihnen zählt zweifelsohne die bis heute bestehende Tradition der Olympischen Spiele. Agone konnten verschiedener Natur sein; als grobe Kategorisierung kann folgende, bereits bei Meier (1893, 837–838) attestierte Dreiteilung fungieren: 1. gymnischer Agon: sportliche Wettkämpfe, z.B. Wettlauf, Springen, Speerwerfen, Diskuswerfen, Ringkampf, Boxkampf, Pankration oder Allkampf; 2. hippischer Agon: Wagen- oder Pferderennen; 3. musischer Agon: Wettkämpfe in Kunst, Musik, Dichtung, Theater, Tanz und Rede.23 Wie diese Einteilung zeigt, erstreckte sich der Agon auf zahlreiche Bereiche. Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive besonders interessant ist dabei der Bereich der Sprache. «Findet dieser Wettbewerb im sprachlichen Bereich statt, wird [Agon] zu einem eigentlich rhetorischen Begriff, der das Vermögen, in einer sprachlich-rhetorischen Disziplin gegen einen Kontrahenten anzutreten und sich gegen ihn durchzusetzen, erfaßt» (Neumann 1992/2013; cf. auch Hölkeskamp 2000; Höhl 2020). Agone sprachlicher Natur beruhen auf dem Prinzip der agonalen Gegenüberstellung von Rede und Gegenrede. Bereits für die Griechen gehörte die Rhetorik zum Agon (cf. Neumann 1992/2013; Ueding/Steinbrink 2011, 175); als Unterkategorie des musischen Agons prägte der rhetorische
Cf. Meier (1893, 836); Chantraine (1968, s.v. ἀγω); Ellsworth (1972, 1–2); Weiler (1974, 25–30); Cowgill (1978, 29); Laser (1987, T11–T13). Die Versammlungen konnten diverse Anlässe haben. Vielfach belegt sind Leichenfeiern; darin wurzelt Meulis (1968) These, dass der Ursprung des Agons ausschließlich im Totenkult zu suchen sei, die heute jedoch umstritten ist (cf. Binder 2006). Zum Agon im Bereich des Sports cf. Gardiner (1930/1955); Weiler (1981); Laser (1987); Poliakoff (1989); Decker (1995); Golden (1998); Durand (1999); Gutsfeld/Lehmann (2013). Zum Agon in Dichtung, Literatur, Mythos und Tragödie cf. Duchemin (1945/1968); Froleyks (1973); Weiler (1974); Scheliha (1987); Neumann (1992/2013); Barker (2009).
2.2 Konzeptioneller Ursprung
23
Agon zahlreiche Bereiche, von der Rede über die Dichtung bis hin zu Theater, Literatur und Philosophie. Formen des rhetorischen Agons sind bereits lange vor der theoretischen Grundlegung der Rhetorik belegt. So werden schon in der Ilias Redewettkämpfe geschildert, in denen die Redner ihr rednerisches Geschick und ihre Überzeugungskraft unter Beweis stellen (cf. Neumann 1992/2013). Besondere Berühmtheit erlangte die Tradition des sogenannten Dichterwettkampfs, in dem sich Dichter gegenseitig mit ihren Dichtungen zu übertreffen suchten; ein solcher DichterAgon soll auch zwischen Homer und Hesiod stattgefunden haben (cf. Froleyks 1973; Scheliha 1987). Spätestens mit Aristoteles findet der Agon Eingang in die Theorie der Rhetorik. Ausgehend von der durch Aristoteles (Rhetorik, 1. Buch, 3. Kapitel) geprägten Einteilung der Redegattungen in génos symbuleutikón (politische Rede), génos dikanikón (Gerichtsrede) und génos epideiktikón (Prunk- oder Festrede; Herrscherlob) lassen sich die Redegattungen in zwei Kategorien einteilen: agonale Redegattungen, in denen strittige Sachverhalte verhandelt werden und die durch die Gegenüberstellung von Rede und Gegenrede geprägt sind (génos symbuleutikón und génos dikanikón), und nicht-agonale Redegattungen, die von nur einer Position geprägt sind (génos epideiktikón) (cf. Zinsmaier 1999, 385, Anm. 57; Ueding/Steinbrink 2011, 26 in Anlehnung an Buchheit 1960, 125). Während letztere von ein und derselben durchgehenden Haltung geprägt sind – so wird etwa in einer Lobrede der Redegegenstand ausschließlich positiv dargestellt –, ist für die beiden ersteren das Abwägen von Argumenten und Gegenargumenten, das Erwägen von Für und Wider und damit die Gegenüberstellung unterschiedlicher Positionen von zentraler Bedeutung. Der Agon spielt nicht nur in der Redekunst, sondern auch in Tragödie und Komödie eine zentrale Rolle (cf. Duchemin 1945/1968; Scheliha 1987). In der Tradition des Dichterwettkampfs wurden Agone zunächst zwischen Tragödien- und Komödiendichtern ausgetragen und bald auch zwischen den Schauspielern selbst. Schließlich verfestigte sich der Agon zu einer musterhaften literarischen Form, die zu einem der Hauptbestandteile der attischen Tragödie und Komödie wurde. In der Literaturwissenschaft firmiert diese «agonale Wechselrede zwischen antagonistischen Partnern» unter dem Terminus technicus des Streitgesprächs (Kiening 2007, 525; cf. auch Gruber 1996; Renaud 2013). Nicht zuletzt zeigt sich der Zusammenhang zwischen Agon und Sprache auch im Bereich der Philosophie (cf. Lloyd 1987; Metcalf 2018). Bereits die von den Vorsokratikern geprägte Dialektik und das Prinzip des platonischen Dialogs lassen sich in eine Nähe zum Agon rücken, doch «die entscheidendsten Impulse erfuhr das agonistische Verfahren der Griechen unbestreitbar durch die Sophisten» (Neumann 1992/2013). Mit der Eristik entwickelten die Sophisten eine regelrechte Streitkunst, dessen Kern die Gegenüberstellung von Rede und Gegenrede,
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2 Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
das Disputieren von pro und contra ausmachte. So gesehen kann der Agon im weiteren Sinne auch als Mittel der Wissensfindung in der griechischen Antike betrachtet werden. Zu den drei oben genannten im archaischen und klassischen Zeitalter bestehenden Bedeutungsvarianten traten später durch Bedeutungserweiterung und -verschiebung weitere Bedeutungsvarianten hinzu. Ab dem Anfang des 5. Jahrhunderts v. Chr. weitete sich die Bedeutung von ἀγών auf weitere Formen kompetitiver Tätigkeiten und Lebensbereiche aus. Dies betraf zunächst Auseinandersetzungen im Krieg und vor Gericht; ab der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. fand der Ausdruck für nahezu jede Form der Auseinandersetzung, vom Streit bis hin zum Mord24, Verwendung (cf. Ellsworth 1972, 56–94; Weiler 1974, 30–36). Von diesem Zeitpunkt an lässt sich von einer allgemeinen Bedeutung von ἀγών als ʻWettkampfʼ sprechen: «In the second half of the fifth century, ἀγών is used for contests of any kind: contests of words, intelligence, opinion, etc. When this happens, it is correct to conclude that ἀγών has the meaning ʻcontestʼ in general» (Ellsworth 1972, 56).25 Ausgehend von der griechischen Antike hat sich der Begriff über die römische Antike und das christlich geprägte Mittelalter und darüber hinaus weiterverbreitet und verschiedene Konzeptualisierungen erfahren.26 Vor dem Hintergrund der großen Ausdifferenziertheit bzw. Ausdifferenzierung des Konzepts fragt sich umso mehr, worin der konzeptionelle Kern des griechischen Agons besteht. Dieser ist in dem im archaischen und klassischen Zeitalter vorherrschenden Verständnis des Ausdrucks ἀγών zu suchen, das die Grundlage für alle späteren Begriffsverwendungen darstellt. Den Kern des griechischen Agons formuliert Homer paradigmatisch in der Ilias (VI, 208): «Immer der erste zu sein und ausgezeichnet vor andern». Der griechische Agon steht somit nicht nur «für Wettkampf, Wettstreit, für ein SichMessen», sondern «zudem für Motive des Sich-Auszeichnens, des Wetteifers, des Besser-sein-Wollens bzw. Der-Beste-sein-Wollens» (Nullmeier 2000, 149, Anm. 4). Im Agon streben die Gegner jeweils danach, der Beste zu sein, denn wer die besten Leistungen erzielt, wird mit einem Preis belohnt und als «Held» gefeiert (cf. Laser 1987, T8–T9; Nullmeier 2000, 152–153). Die Bedeutung des In diesem Zusammenhang ist auch der Begriff Agonie ʻTodeskampf, Todesangstʼ < gr. agōnía < gr. agṓn zu verorten. Neben diesen Bedeutungen ist noch eine weitere Bedeutung attestiert, und zwar wurde in der Mythologie auch die Personifikation des Wettstreits als Agon bezeichnet. Der Kult des Agons ist ausschließlich bei Pausanias belegt (cf. Reisch 1893). Zum Agon im antiken Rom cf. Hölkeskamp/Beck (2019); zum Agon im Mittelalter cf. Bougard/Le Jan/Lienhard (2012). Einen knappen Überblick über den Agon in nachklassischer Zeit bietet Binder (2006).
2.2 Konzeptioneller Ursprung
25
Agons liegt im Streben nach Ehre (τιμή) begründet, die den Teilnehmern zuteilwird, wenn sie sich durch entsprechende Leistung und Vortrefflichkeit (ἀρετή) hervortun. Im Agon geht es darum, dem anderen überlegen zu sein, ihm aber nicht zu schaden. Der Agon ist eine Begegnung unter Gleichen, bei der sich die Beteiligten wohl als Gegner, nicht aber als Feinde betrachten; es geht vielmehr darum, zu siegen denn zu besiegen. Durch festgeschriebene Regeln, etwa in Bezug auf Ablauf, Teilnehmer, Publikum etc., nimmt der Agon in einem «geordnete[n] Gegeneinander» (Nullmeier 2000, 151; Hervorhebung im Original) institutionalisierte Form an. Zentrale Bedeutung kommt dabei den Schiedsrichtern zu, deren Aufgabe nicht nur darin besteht, über die ordnungsgemäße Durchführung des Agons zu wachen, sondern insbesondere auch auf der Grundlage eines im Voraus festgelegten Maßstabs über den Sieg zu entscheiden (cf. Decker 1995, 120–126). Neben den Kämpfenden und den Schiedsrichtern gehört zu den am Agon Beteiligten auch das Publikum. Das Publikum kann, auch wenn ihm keine Entscheidungsmacht zukam, als «der eigentliche ‹Nährboden› des Agons» (Laser 1987, T83) gelten, denn «die Öffentlichkeit ist Gradmesser, Anreiz und Zeuge der sportlichen Leistung, die nie im Verborgenen gedeihen kann» (Decker 1995, 127). Abstrahiert betrachtet lässt sich der griechische Agon auf zwei zentrale Momente zurückführen: das der Differenz und das der Konkurrenz. Das Moment der Differenz resultiert daraus, dass es im Agon darum geht, die Leistungen der Beteiligten zu vergleichen, mit dem Ziel, einen Unterschied zwischen ihnen festzustellen. Der Agon ist eine «arena for the creation and expression of difference among individuals and groups» (Golden 1998, I).27 Das Moment der Differenz zieht das Moment der Konkurrenz nach sich, denn wenn es aus Perspektive des Dritten darum geht, einen Unterschied zwischen den Leistungen der Beteiligten auszumachen, so kann dies unter den Beteiligten ein Gefühl der Konkurrenz entfachen: Sie streben jeweils danach, dem bzw. den anderen überlegen zu sein und besser bzw. der Beste zu sein. Wie die Ausführungen zeigen, hat das Verständnis von Agon in der griechischen Antike eine sehr spezifische Ausprägung erfahren. Die Bedeutung von gr. ἀγών ist daher nicht deckungsgleich mit der Bedeutung von gegenwartssprachlichen Ausdrücken, mit denen er paraphrasiert wird, z.B. dt. Wettkampf, Wettstreit, frz. combat, concours, concurrence, lutte oder engl. contest. Aus diesem Grund plädiere ich für die Beibehaltung des griechischen Ausdrucks bzw. auf dieser Basis beruhender Derivationen in den jeweiligen Einzelsprachen, z.B. agonal, das Agonale und Agonalität. Golden stellt das Prinzip der Differenz ins Zentrum des griechischen Verständnisses des Agons: «I argue that Greek sport is implicated in what I call a discourse of difference» (Golden 1998, X).
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2 Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
Aus dem antiken griechischen Verständnis von ἀγών im archaischen und klassischen Zeitalter lassen sich folgende Merkmale extrahieren: – am Agon sind mindestens zwei Akteure beteiligt; – die Akteure treten sich als Gleiche gegenüber, d.h. der Gegner wird nicht als Feind, sondern als Rivale betrachtet; – das Ziel besteht darin, den Gegner zu überbieten, ohne ihm dabei jedoch zu schaden; – der Agon unterliegt Regeln, d.h. er folgt einem geordneten Ablauf und es besteht ein gemeinsamer Maßstab, anhand dessen – i.d.R. durch einen Dritten – über den Ausgang geurteilt wird; – der Agon wird von einem Publikum rezipiert und verfolgt; – zwischen den Akteuren wird eine Differenz ausgemacht; – die Akteure befinden sich in einer Situation der Konkurrenz. Diese, das antike griechische Verständnis von ἀγών charakterisierenden Bedeutungskomponenten gilt es ausführlicher zu untersuchen und auf ihre Anwendbarkeit auf einen linguistischen Agonalitätsbegriff hin zu überprüfen.
2.3 Das Agonale als Anthropologikum Ausgehend von der griechischen Antike als konzeptionellem Ursprung des Agons galt das Agonale lange als ein exklusives Merkmal der Gesellschaft des antiken Griechenlands. Diese, maßgeblich durch Jacob Burckhardt und Friedrich Nietzsche Ende des 19. Jahrhunderts geprägte These wird heute nicht mehr geteilt. Spätestens mit dem Kulturtheoretiker Johan Huizinga Anfang des 20. Jahrhunderts brach sich die Auffassung Bahn, dass das Agonale ein universelles Prinzip sei, ein Prinzip, das nicht nur die Gesellschaft des antiken Griechenlands, sondern bereits die frühen Hochkulturen Mesopotamiens und Ägyptens, die Kulturen der Etrusker und Römer und viele nachfolgende Kulturen bis in die heutige Zeit prägte und prägt.28 Ausgehend von der Entwicklung des Agonalen von einem griechischen zu einem universellen Merkmal lässt sich das Agonale als Anthropologikum begreifen, als ein dem Menschen grundsätzlich eigener Wesenszug (Kapitel 2.3.1). Wenn das Agonale als anthropologische Grundkonstante begriffen werden kann, so ist davon auszugehen, dass es auch in der Sprache als wichtigstem Kommunikationsmittel des Menschen Niederschlag findet (Kapitel 2.3.2). Diese Auffassung wird maßgeblich befördert durch den Theoretiker der Postmoderne
Cf. Weiler (1981, 53–73, 215–276); Decker (1995, 15–26).
2.3 Das Agonale als Anthropologikum
27
Jean-François Lyotard und findet sich auch im kulturtheoretischen Ansatz Jan und Aleida Assmanns, zwei zentralen Bezugspunkten der linguistischen Agonalitätsforschung.
2.3.1 Vom griechischen zum universellen Merkmal Im wissenschaftlichen Diskurs des späten 19. Jahrhunderts wird das Agonale zunächst als genuin griechisches Merkmal aufgefasst; zu den prominentesten Vertretern dieser Ansicht zählen die Philosophen Jacob Burckhardt und Friedrich Nietzsche. Den Bruch mit dieser Vorstellung und die Umdeutung des Agonalen zum universellen Merkmal vollzieht spätestens der Kulturhistoriker Johan Huizinga.29 In seiner posthum erschienen Griechischen Kulturgeschichte prägt Burckhardt die Idee des «koloniale[n] und agonale[n] Mensch[en]» (Burckhardt 1898–1902, vol. 4, 58) und deklariert das Agonale zum allgemeinen Lebensprinzip in der griechischen Polis:30 «Das tägliche Leben von Jugend auf, die Agora, die Gespräche, der Krieg usw. taten das übrige zur Ausbildung des einzelnen. Es entstand eine Existenz, wie sie auf Erden weder vorher noch nachher noch anderswo vorgekommen ist: Alles vom Agon durchdrungen und beherrscht und ausgehend von dem Grundfundament, daß durch das Erziehen (παιδεύειν) alles zu erreichen sei […]» (Burckhardt 1898–1902, vol. 4, 115).
Auf dieser Prämisse gründet die von Burckhardt vertretene These, dass das Agonale in der Natur des griechischen Volkes liege, das heißt, dass dem griechischen Volk eine genuin «agonale Triebkraft» innewohne: «Mit ihnen [= den griechischen Aristokraten von der dorischen Völkerwanderung bis zum 6. Jahrhundert v. Chr.] beginnt im Großen dasjenige agonale Wesen, derjenige Wettstreit unter Gleichen, welcher dann in zahllosen Gestaltungen das ganze Tun und Denken der Hellenen durchzieht» (Burckhardt 1898–1902, vol. 1, 173). Auch Nietzsche, der an der Universität Basel Kollege Burckhardts war,31 begriff das Agonale als ein zentrales Prinzip der griechischen Polis.32 Sein Ver-
Für einen Überblick über diese Frühphase der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Agonalen cf. Reckermann (1971). Ähnliche Gedanken hatte zuvor bereits Ernst Curtius (1875) – der Großvater des Romanisten Ernst Robert Curtius – geäußert. Zu einem potenziellen Austausch zwischen Nietzsche und Burckhardt in Bezug auf das Konzept des Agons cf. Acampora (1998, 559). Zwar finden die Ausdrücke Agon bzw. agonal bei Nietzsche recht selten Verwendung, doch zeugen folgende Zeilen in einem Brief an Erwin Rhode vom 25. Juli 1872 von einer intensiven
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2 Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
ständnis des griechischen Agons, das insbesondere in der 1872 verfassten Schrift Homers Wettkampf zum Ausdruck kommt, wurzelt in der Gegenüberstellung der bösen und der guten Eris nach Hesiod (cf. Kapitel 2.4.5). Während die böse Eris zur «That des Vernichtungskampfes» reize, rege die gute Eris zur «That des W e t t k a m p f e s» an (KGW 3/2, 281; Hervorhebung im Original). Der Wettkampf sei der «der ewige Lebensgrund des hellenischen Staates», dessen Bedeutsamkeit für die griechische Antike nicht unterschätzt werden könne: «Jeder große Hellene giebt die Fackel des Wettkampfs weiter; an jeder großen Tugend entzündet sich eine neue Größe» (KGW 3/2, 282). Kern des hellenischen Wettkampfgedankens sei das «Wettspiel der Kräfte» (KGW 3/2, 283): Die Wettkämpfenden fordern sich immer wieder gegenseitig zu neuen heldenhaften Taten heraus, weisen sich jedoch gleichzeitig gegenseitig in die Schranken. Für Nietzsche ist der Wettkampf daher «Stimulanzmittel» und «Schutzmittel» zugleich (KGW 3/2, 283): «[…] ein Gedanke, der […] voraussetzt, daß, in einer natürlichen Ordnung der Dinge, es immer m e h r e r e Genies giebt, die sich gegenseitig zur That reizen, wie sie sich auch gegenseitig in der Grenze des Maaßes halten. Das ist der Kern der hellenischen WettkampfVorstellung: sie verabscheut die Alleinherrschaft und fürchtet ihre Gefahren, sie begehrt, als S c h u t z m i t t e l gegen das Genie – ein zweites Genie» (KGW 3/2, 283; Hervorhebungen im Original).
Als «Stimulanzmittel» rege der Wettkampf den Einzelnen immer wieder zu Höchstleistungen an und trage so zu seiner Weiterentwicklung bei: «Jede Begabung muß sich kämpfend entfalten» (KGW 3/2, 283). Da jedoch der Einzelne auch Teil der Gesellschaft und des Staates ist, sei dies wiederum von Nutzen für das Gemeinwohl. Nietzsche sieht im Wettkampf bzw. Agon daher ein Erziehungsideal in der griechischen Polis, ein «pädagogisches und politisches Prinzip» (Reckermann 1971): «Für die Alten aber war das Ziel der agonalen Erziehung die Wohlfahrt des Ganzen, der staatlichen Gesellschaft. Jeder Athener z.B. sollte sein Selbst im Wettkampfe soweit entwickeln, als es Athen vom höchsten Nutzen sei und am wenigsten Schaden bringe» (KGW 3/2, 283). So habe das Agonale maßgeblich zur politischen und kulturellen Blüte des antiken Griechenlands beigetragen und wird von Nietzsche letztlich als ein der Demokratie förderliches Prinzip und «Schutzmittel» vor Tyrannei aufgefasst. In der Konsequenz koinzi-
und über einen längeren Zeitraum währenden Beschäftigung mit der Thematik: «Ich habe einen Entwurf zur nächsten Schrift unter den Händen, genannt ‹Homers Wettkampf›. Du magst nur immer lachen über die Unermüdlichkeit meiner agonalen Betrachtungen; diesmal kommt etwas heraus» (KGB 2/3, 35). Zum Agonalen bei Nietzsche cf. Acampora (1998; 2013) (kritisch dazu Siemens 2015); Aichele (2000, 112–136); Pădurean (2008, 83–108); Tuncel (2013); Baratella (2019); Siemens/Pearson (2019).
2.3 Das Agonale als Anthropologikum
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diert bei Nietzsche dann auch der Verfall des Agons mit dem Verfall Griechenlands: «Athen [und] Sparta […] haben […] durch Thaten der Hybris ihren Untergang herbeigeführt, zum Beweise dafür, daß ohne Neid[,] Eifersucht und wettkämpfenden Ehrgeiz der hellenische Staat wie der hellenische Mensch entartet» (KGW 3/2, 286). Zwar ist Nietzsches Konzeption des Agonalen maßgeblich durch die Vorstellung des Agonalen als spezifisch griechisches Merkmal geprägt, doch enthält sie auch zwei Aspekte, die auch für ein allgemeines Konzept des Agonalen fruchtbar gemacht werden können: den Wettkampfcharakter und die positive Bewertung des Agonalen. Der Wettkampfcharakter resultiert daraus, dass sich im Agon stets mindestens zwei Akteure gegenüberstehen, die sich aneinander messen und jeweils danach streben, der Beste zu sein. In einer solchen Situation der Konkurrenz fordern sich die Akteure gegenseitig heraus und streben danach, sich gegenseitig zu überbieten. Das Ziel besteht vielmehr in einem «Überflügeln» denn in einem Besiegen des anderen. In dieser Tatsache wiederum liegt die positive Bewertung des Agons begründet. Diese resultiert aus der schöpferischen, produktiven Kraft, die Nietzsche dem Agon zuschreibt (cf. Baratella 2019). Diese schöpferische Kraft bezieht sich sowohl auf den einzelnen am Wettkampf Beteiligten als auch auf die Gemeinschaft: Im Agon erbringt der Einzelne Höchstleistungen, wodurch ein Progress des Individuums stattfindet; dadurch, dass der Einzelne Teil einer Gemeinschaft ist, kommen die Leistungen des Einzelnen wiederum der Gemeinschaft zugute. Der Agon ist damit sowohl dem Wohl des Einzelnen als auch dem Gemeinwohl zuträglich. Eben darin wurzelt die schöpferische, produktive Kraft des «Wettkampfs» im Unterschied zur zerstörerischen Kraft des «Vernichtungskampfs»; jener schließt auch den Einsatz niederträchtiger Mittel nicht aus, das Gegenüber wird als Feind betrachtet, dem auch Schaden zugefügt werden kann. Acampora (1998; 2013) zufolge bildet diese Unterscheidung zwischen «creative and destructive modes of contest» (Acampora 1998, 566) den Kern des nietzscheanischen Konzepts des Agonalen. Ausgehend von Burckhardt und Nietzsche, die den Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Agonalität markieren, wird das Agonale im Laufe des 20. und 21. Jahrhunderts zunehmend Gegenstand philosophischkulturwissenschaftlicher, aber auch sozial- und politikwissenschaftlicher Forschung.33 Den Ausgangspunkt nimmt die Rezeption im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in Sozialphilosophie und Sozialwissenschaft mit Max Weber, Karl Jaspers und Carl Schmitt, bei denen das Agonale zunächst eine Relativierung erfährt. Als wegweisend sollte sich der Ansatz Johan Huizingas (1939/2013) er-
Der folgende Überblick orientiert sich an Nullmeier (2000, 147–289).
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weisen, der mit der von Burckhardt und Nietzsche geprägten These bricht, dass es sich bei dem Agonalen um ein exklusives Merkmal der Gesellschaft des antiken Griechenlands handele. Diese These hatte noch einige Zeit Anhänger gefunden (u.a. Ehrenberg 1935; 1960/1965; Berve 1949/1966), wird heute jedoch gemeinhin nicht mehr vertreten.34 Aus der Kritik an Burckhardt und Ehrenberg heraus entwickelte Huizinga die These, dass das Agonale kein spezifisch hellenisches, sondern ein universelles Merkmal sei. Huizinga zufolge liegt das Agonale «in der menschlichen Natur selber, die stets nach Höherem strebt», begründet (Huizinga 1939/ 2013, 88). Bei Huizinga wird das Agonale damit zu einer «Grundfigur menschlicher Natur» (Nullmeier 2000, 166; Hervorhebung im Original). Diese Überlegungen stellt Huizinga in seinem Werk Homo Ludens im Rahmen einer allgemeinen Theorie des Spiels an35 und liefert damit den entscheidenden Anstoß zur Veränderung in der Konzeption des Agonalen weg von einem kulturspezifischen hin zu einem universellen Phänomen. Auf dieser Grundlage lässt sich das Agonale als Anthropologikum deuten, als ein dem Menschen grundsätzlich eigener Wesenszug. Über zeitliche und räumliche Grenzen hinweg prägte und prägt das Agonale zahlreiche Gesellschaften und spielt in vielen Lebensbereichen eine Rolle. Das Agonale besitzt eine «biologischanthropologische Komponente, die […] als eine Konstante im menschlichen Verhalten erscheint» (Weiler 1981, XI); es ist eine «universelle Verhaltensweise des Menschen» (Weiler 1981, XI), eine «anthropologische Grundkonstante, die naturgemäß in allen menschlichen Kulturen eine Rolle spielt» (Poplutz 2010). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde das Interesse am Agonalen durch die zunehmende Beschäftigung der Altertumswissenschaft und der historischen Sportwissenschaft mit dem antiken Agon befördert (z.B. Duchemin 1945/1968; Weiler 1974; 1981; Laser 1987; Scheliha 1987; Poliakoff 1989; Decker 1995; Golden 1998; Sportwissenschaftliche Fakultät Leipzig 2008; Metcalf 2018). Mit Hannah Arendt, deren Ideen wiederum die Ansätze von Seyla Benhabib und Bonnie Honig prägten, hält der Begriff Einzug ins Politische.36 Parallel dazu entwickelte sich ein in der Tradition poststrukturalistischer und postnietzscheanischer Ansätze stehender Forschungsstrang. Zu diesem zählt zum einen die französische Schule um Gilles Deleuze und Félix Guattari mit ihren Philosophien der Differenz und zum anderen die Theorien agonaler Demokratie, wie
Für einen Überblick über die Kontroverse aus der Retrospektive cf. Weiler (1974, 2–8). Zum Zusammenhang zwischen Agonalität und Spiel cf. Kapitel 2.4.4. Zum Agonalen bei Arendt cf. Marchart (2011); zum Agonalen in der Arendt-Rezeption cf. Ackerman/Honig (2011).
2.3 Das Agonale als Anthropologikum
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sie zum Beispiel von Ernesto Laclau, Chantal Mouffe, William E. Connolly, James Tully und Anja Rüdiger vertreten werden. Diesen Ansätzen ist gemeinsam, dass sie den konstitutiven Charakter und das positive Potenzial des Agonalen für Politik und Gesellschaft hervorheben. Dies zeigt sich zum Beispiel in Chantal Mouffes Theorie des «agonistischen Pluralismus», der zufolge es Hauptaufgabe der Demokratie sei, Konflikt und Antagonismus in Agonismus umzuwandeln, da dieser einer pluralistischen Demokratie förderlich sei (u.a. Mouffe 2013; zu Theorien agonaler Demokratie cf. Westphal 2018). Darüber hinaus findet der Begriff des Agonalen auch in weiteren Bereichen und Disziplinen Anwendung, so zum Beispiel in wirtschaftswissenschaftlichen Theorien zum ökonomischen Wettbewerb (cf. z.B. Blum 2020). Wie dieser kurze Überblick zeigt, ist das Konzept des Agonalen heute Gegenstand verschiedenster Disziplinen, die es für ihre jeweiligen Belange fruchtbar zu machen verstehen. Der Begriff des Agonalen hat sich nicht nur zu einem kultur- und politikwissenschaftlichen Grundbegriff entwickelt (cf. Nullmeier 1998), sondern spielt auch in zahlreichen anderen Disziplinen eine Rolle, von der Philosophie über die Sozialwissenschaften bis hin zu den Wirtschaftswissenschaften. Das Agonale wird immer mehr zu einem Narrativ, auf das mit generalistischem Gestus der Anspruch erhoben zu werden scheint, als Deutungsmuster für verschiedenste Konstellationen und Entwicklungen fungieren zu können.37 Die Anwendung und Anwendbarkeit des Konzepts auf vielfältige Lebensbereiche und Kulturen bezeugen einmal mehr die Universalität desselben und damit den Status des Agonalen als Anthropologikum.
2.3.2 Das Agonale in der Sprache Als Anthropologikum prägt das Agonale zahlreiche Lebensbereiche und manifestiert sich in diversen Ausdrucksformen des Menschen. Dies gilt auch für die Sprache als zentralem Medium menschlicher Kommunikation. Auch wenn die sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit Agonalität, also der Manifestation des Agonalen in der Sprache, erst vergleichsweise spät einsetzt und bis heute bei weitem nicht etabliert zu sein scheint, zeigen bereits einige frühe, philosophischkulturwissenschaftliche Ansätze, dass das Agonale auch die Sprache erfasst, und erlauben so, eine Brücke zu einer sprachwissenschaftlichen Herangehensweise zu schlagen. Dazu zählen allen voran die Überlegungen des Theoretikers der
Cf. auch Bröckling (2014). Exemplarisch illustriert dies die germanistische Dissertation zu «agonale(n) Konstellationen in der Kaiserchronik» von Baumgartner (2013).
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2 Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
Postmoderne Jean-François Lyotard sowie der Kulturtheoretiker Jan und Aleida Assmann. In seinem Werk La condition postmoderne (1979) (dt. Das postmoderne Wissen, 1986/2012) verfolgt Lyotard das Ziel, die Rolle, die das Wissen als unentbehrliches Element des Funktionierens der Gesellschaft im postindustriellen und postmodernen Zeitalter spielt, zu bestimmen (cf. Lyotard 1979, 11). In der Wissensgesellschaft spielt die Sprache eine zentrale Rolle, da Wissen zu großen Teilen sprachlich vermittelt ist und Sprache ein zentrales Instrument für die Produktion und Weitergabe von Wissen ist. Die sprachliche Aushandlung von Wissen erfolgt durch das Tätigen und Kombinieren sprachlicher Äußerungen, das sich in Form von Regeln beschreiben lässt – ebenso wie ein Spiel gewissen Regeln unterliegt. In diesem Gedanken gründet Wittgensteins Konzept der Sprachspiele (cf. Kapitel 2.4.4), das Lyotard aufgreift und mit der Idee des Agonalen verknüpft. Daraus resultiert seine These einer «allgemeinen Agonistik»: «[…] tout énoncé doit être considéré comme un ‹coup› fait dans un jeu. Cette dernière observation conduit à admettre un premier principe qui sous-tend notre méthode: c’est que parler est combattre, au sens de jouer, et que les actes de langage relèvent d’une agonistique générale» (Lyotard 1979, 23; meine Hervorhebung).38 Die Ansicht, «que parler est combattre», ist die Grundannahme, die jeder Untersuchung des Agonalen in der Sprache zugrunde liegt: Mit und durch Sprache wird gekämpft, werden divergierende Ansichten ausgefochten, wird der Gegner zu besiegen versucht. Von dieser Prämisse ausgehend ist es möglich, von Agonalität in der Sprache zu sprechen und diese linguistisch zu untersuchen. Diese Überlegungen zu einer allgemeinen Agonistik greift Lyotard in seinem Werk Le différend (1983) (dt. Der Widerstreit, 1987/1989) auf und spezifiziert sie im Hinblick auf das Konzept des Widerstreits. Widerstreit meint dabei eine Situation des Konflikts zwischen mindestens zwei Akteuren, die den Konflikt mangels einer für beide Argumentationen angemessenen Urteilsregel nicht selbst beilegen können: «À la différence d’un litige, un différend serait un cas de conflit entre deux parties (au moins) qui ne pourrait pas être tranché équitablement faute d’une règle de jugement applicable aux deux argumentations» (Lyotard 1983, 9). Um den Widerstreit beizulegen, bedarf es eines Dritten, der darüber entscheidet, welche Argumentation siegt. Der Widerstreit wird so zu einem «jeu à trois» (Lyotard 1983, 47): «Nous croyons à la décision du tiers en matière de réalité. Nous pensons que le succès devant le tiers est le signe du
Den Ausdruck acte de langage übernimmt Lyotard von Searle (dt. Sprechakt, engl. speech act); den Ausdruck agonistique führt er auf gr. agôn zurück, das er mit frz. joute wiedergibt (cf. Lyotard 1979, 23, Anm. 34).
2.3 Das Agonale als Anthropologikum
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vrai. Nous croyons à l’agonistique» (Lyotard 1983, 47). Damit stellt Lyotard ein Merkmal des Agonalen in den Fokus, das bereits im griechischen Agon Geltung hatte, aber nicht in alle Konzeptionen des Agonalen Eingang gefunden hat, die Beurteilung über den Sieg durch einen Dritten (cf. ausführlicher Kapitel 2.4.6). Auch Jan und Aleida Assmann thematisieren das Agonale in Bezug auf Sprache. Zwar entwickeln sie keine umfassende Theorie wie diejenige der allgemeinen Agonistik Lyotards, prägen aber zwei zentrale Ideen, die für eine sprachwissenschaftliche Konzeption nutzbar gemacht werden können. Die erste ist die Auffassung des Agonalen als kommunikative Form des Konflikts im Gegensatz zu einer unkommunikativen Form des Konflikts (cf. Assmann/Assmann 1990). Dem liegt die Grundannahme zugrunde, dass Kultur auf Konflikt beruht, der in der Kommunikation ausgetragen wird. Hesiods Unterscheidung zwischen einer guten und einer bösen Eris aufgreifend (cf. Kapitel 2.4.5), unterscheiden sie zwischen einer kommunikativen, kulturfördernden und einer unkommunikativen, kulturzerstörenden Form des Konflikts: «Hesiods Gegenüberstellung von gutem (agonalem) und bösem (aggressivem) Streit läßt sich als Unterscheidung zwischen einer ‹kommunikativen› und einer ‹unkommunikativen› Form des Konflikts lesen. Die erste sieht im anderen den Rivalen, die zweite den Feind. Im ersten Falle bleiben die Gegenspieler im Rahmen einer gemeinsamen Ordnung, im zweiten Falle wird Gemeinsamkeit aufgekündigt und zerstört» (Assmann/Assmann 1990, 11–12).
Das Agonale wird hier als «kommunikative Form des Konflikts» bzw. «guter Streit» konzeptualisiert und unterliegt damit einer positiven Bewertung. Der zweite zentrale Aspekt bezieht sich auf das Agonale als eines der zentralen Prinzipien der Hypolepse (cf. Assmann 1992). Hypolepse beschreibt die Bezugnahme von Texten auf andere Texte im Sinne einer Frühform der Intertextualität. Die Hypolepse sei u.a. dadurch charakterisiert, dass bei der Bezugnahme auf einen früheren Text dessen Wahrheitsanspruch kontrolliert werde, wodurch ein «Wettkampf» zwischen dem früheren und dem späteren Text in Bezug auf Wahrheitsansprüche entstehe: «Das Prinzip der Hypolepse bezieht sich auf diese Prozesse der Wahrheitskontrolle und der Artikulation eines Verdachtes, die sich auf die Differenz von Mitteilung und Information beziehen. Es sind polemische, agonistische Prinzipien. Sie regeln so etwas wie Wettkampfbedingungen unter den Texten; daher spricht der amerikanische Altphilologe H. v. Staden von ‹agonistischer Intertextualität›. Unter den Bedingungen hypoleptischer Kommunikation wird Schriftkultur zu einer Kultur des Konflikts» (Assmann 1992, 286; meine Hervorhebungen).
Die Ansätze Lyotards und Assmann/Assmanns bestätigen die in der Konzeption des Agonalen als Anthropologikum gründende Annahme, dass sich das Agonale auch auf die Sprache als zentralem Medium menschlicher Kommunikation erstreckt. Für eine sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Agonalen
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2 Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
bedarf es eines linguistischen Agonalitätsbegriffs, der theoretisch fundiert, methodologisch operationalisierbar und für die empirische Untersuchung anwendbar ist. Ziel des folgenden Kapitels ist es, geeignete Kriterien für einen solchen zu entwickeln.
2.4 Kriterien eines linguistischen Agonalitätsbegriffs Wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, kann sich das Agonale unter anderem in der Sprache manifestieren. Bereits in der griechischen Antike gab es Agone sprachlicher Natur: Es wurden Wettkämpfe in den Bereichen Dichtung, Theater und Rede ausgetragen, die literarische Form des Streitgesprächs etablierte sich und agonale Techniken dienten allgemein als Mittel der Wissensfindung (Kapitel 2.2). Als Anthropologikum prägt das Agonale jedoch nicht nur das antike Griechenland, sondern zahlreiche Gesellschaften und Kulturen und manifestiert sich in verschiedensten Lebensbereichen und Ausdrucksformen (Kapitel 2.3). Dies gilt auch für die Sprache. Eine sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Agonalen in der Sprache – wofür im Folgenden der Ausdruck Agonalität verwendet wird – erweist sich daher als möglich und, um das Phänomen sprachlicher Agonalität zu erfassen, als notwendig. Dafür bedarf es eines linguistischen Agonalitätsbegriffs, auf dessen Grundlage die sprachwissenschaftliche Untersuchung von Agonalität operationalisiert werden kann. Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, geeignete Kriterien für einen solchen zu entwickeln. Dazu wird zunächst ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand zur Agonalität in der Sprachwissenschaft geboten (Kapitel 2.4.1), um dann einzelne definitorische Merkmale eines linguistischen Agonalitätsbegriffs zu diskutieren (Kapitel 2.4.2–2.4.6). Diese gründen einerseits in der sprachwissenschaftlichen Forschung, greifen andererseits aber auch Aspekte auf, die im Rahmen der definitorischen Vorüberlegungen, der Beschäftigung mit dem Agon in der griechischen Antike und der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Agonalen außerhalb der Sprachwissenschaft diskutiert wurden.
2.4.1 Zur Ausgangslage Als Untersuchungsgegenstand der Sprachwissenschaft scheint Agonalität weder fest etabliert noch hinreichend erfasst. Im Folgenden soll – mit einem Fokus auf dem französisch- und deutschsprachigen Raum – ein Überblick über bestehende Ansätze der Agonalitätsforschung geboten werden, um dann mögliche Synergieeffekte zwischen diesen auszuloten und auf dieser Grundlage sowie unter Rück-
2.4 Kriterien eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
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griff auf die in den vorherigen Kapiteln geschilderte Theorie- und Ideengeschichte des Begriffs zu einem theoretisch fundierten, linguistischen Agonalitätsbegriff zu gelangen. In Frankreich finden sich bereits sehr früh sprachwissenschaftliche Arbeiten, die auf den Agonalitätsbegriff rekurrieren. Selten jedoch wird der Begriff umfassend theoretisiert noch bilden die verschiedenen Ansätze einen gemeinsamen Forschungsstrang; es handelt sich vielmehr um einzelne, aber dadurch nicht minder aufschlussreiche Arbeiten. Chronologisch ist der Ansatz von Danielle André-Larochebouvy (1984) an den Anfang zu stellen, die sich mit dem Agonalen aus einer konversationsanalytischen Perspektive befasst. In ihrem Werk La conversation quotidienne verfolgt André-Larochebouvy das Ziel, die Regelhaftigkeit verbaler Interaktion zu beschreiben. Sie setzt dabei zwei Regelsysteme an, die sie in Anlehnung an den Soziologen Roger Caillois (1958/1967)39 als jeu agonal und jeu mimétique (cf. André-Larochebouvy 1984, 28) bezeichnet und wie folgt definiert: «Sous le terme de jeu agonal (du grec agôn: combat) seront regroupés tous les aspects compétitifs de la conversation: discussions, disputes, confrontations diverses, même aimables. Défendre son point de vue dans une conversation est un jeu de nature agonale. La fonction de la conversation est alors différenciative, elle permet au locuteur d’affirmer son individualité, son originalité par rapport au groupe. Sous le terme de jeu mimétique (du grec mimesis: imitation […]) seront regroupés tous les aspects imitatifs de la conversation, jeux de rôles et d’entente entre les participants» (André-Larochebouvy 1984, 28; Hervorhebungen im Original).
Die beiden Gesprächstypen – jeu agonal und jeu mimétique – seien vor allem analytisch trennbar; in der Praxis würden sie nur selten in Reinform, sondern zumeist in Kombination auftreten. Ebenfalls im Bereich der Konversationsanalyse zu verorten ist der Ansatz Catherine Kerbrat-Orecchionis, eine der führenden Forscherinnen auf dem Gebiet der verbalen Interaktion in Frankreich. Kerbrat-Orecchionis Verständnis des Agonalen setzt an der Beziehung zwischen den Gesprächsteilnehmern an. Diese definiert Kerbrat-Orecchioni (1990–1994, vol. 2, 35–36; Hervorhebungen im Original) über drei Dimensionen: die «relation horizontale» (soziale Distanz), die «relation verticale» (Hierarchie bzw. Macht) und die «attitude discursive» (diskursive Haltung bzw. Einstellung). Innerhalb letzterer unterscheidet Kerbrat-Orecchioni zwischen einer «[relation] conflictuelle» und einer «[relation] consensuelle», die sie in Anlehnung an den Philosophen Francis Jacques (1991) als agonal und irénique40
Dabei distanziert sich André-Larochebouvy (1984, 28) mit dem Ausdruck mimétique leicht von Caillois, der den englischen Ausdruck mimicry verwendet.
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bezeichnet (cf. Kerbrat-Orecchioni 1990–1994, vol. 2, 141–142; Hervorhebungen im Original). Agonal wird damit als Äquivalent zu conflictuel und in Opposition zu consensuel verwendet. Wie André-Larochebouvy geht auch Kerbrat-Orecchioni davon aus, dass beide Dimensionen nicht in Reinform existieren, sondern sich im Gespräch abwechseln; darin, das richtige Verhältnis zwischen beiden zu finden, bestehe die Herausforderung eines jeden Gesprächs: «Tel est le statut paradoxal du dialogue: que sa survie se situe quelque part entre harmonie et cacophonie, ‹iréné› et ‹agôn›, reconnaissance d’une identité et revendication d’une différence» (Kerbrat-Orecchioni 1990–1994, vol. 2, 149). Agonal meint bei Kerbrat-Orecchioni somit zunächst eine mögliche Beziehung zwischen den Gesprächsteilnehmern; da diese jedoch wiederum das Gespräch prägt, manifestiert sich Agonalität auch im Gespräch und wird so auch zu einem Merkmal von Gesprächen. In späteren Arbeiten greift Kerbrat-Orecchioni den Begriff des Agonalen immer wieder auf (z.B. Kerbrat-Orecchioni 1996, 60; 2017, 167–225; auch Doury/Kerbrat-Orecchioni 2011), eine umfassende Konzeptualisierung bleibt aber aus. Resümierend lässt sich festhalten, dass Agonalität in der französischen Sprachwissenschaft insbesondere aus konversationsanalytischer Sicht untersucht wurde bzw. wird, wobei Agonalität als Merkmal konfliktbehafteter, dissensorientierter Kommunikation im Gegensatz zu konsensorientierter Kommunikation konzeptualisiert wird.41 Im deutschsprachigen Raum stößt Agonalität in jüngerer Zeit vermehrt auf das Interesse der germanistischen Diskurslinguistik.42 Diskurse werden hier als Orte der Aushandlung von Wissen aufgefasst, wobei unter Bezugnahme auf das Konzept der semantischen Kämpfe (cf. Felder 2006b; cf. auch Kapitel 2.6.1) davon ausgegangen wird, dass die Aushandlung von Wissen selten konsensuell verläuft (cf. Warnke 2009; Spitzmüller/Warnke 2011, 43). Wissen sei häufig umkämpft und daher in der Regel das «Resultat von agonalen Diskursen» (Warnke 2009, 114; cf. auch Spitzmüller/Warnke 2011, 43). Agonalität könne damit als «ein Grundprinzip der Wissenskonstitution» (Warnke 2009, 135) und die «Kontroverse» als «Standardfall sprachlicher Wissenskonstituierung» gelten (Warnke 2009, 135; cf. auch Liebert/Weitze 2006). Konfligierende Geltungsansprüche auf Wahrheiten und Aussagen kristallisierten sich in handlungsleitenden Konzepten, die Felder in Weiterführung von Lyotard (1979; 1983) und Assmann/Assmann (1990) bzw. Assmann (1992) agonale Zentren nennt (Felder 2012; 2013; 2015;
Frz. irénique ‘friedliebend, friedfertig, friedlich’ < lat. IRENICUS < gr. eirênikos < gr. eirênê ‘Frieden’ (cf. DWDS, s.v. irenisch; TLFi, s.v. irénique). Eine ähnliche Konzeptualisierung von Agonalität entwirft der Germanist Holly (2018). Zu dieser Spielart linguistischer Diskursforschung sowie dem dort zugrunde gelegten Diskursbegriff cf. Kapitel 3.2.3.
2.4 Kriterien eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
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2018a). Agonalität selbst wird dabei zunächst nicht explizit definiert, aber paraphrasiert als «Wettkampf[…] um Einfluss, Geltung, Hörbarkeit usw.» (Warnke 2013, 76), als «Wettstreit diskursiv geprägter Weltausschnitte» (Felder 2012, 165), der sich in «kompetitive[n] Sprachspiele[n]» (Felder 2012, 136) manifestiere. Eine umfassende und systematische Untersuchung und explizite Definition von Agonalität nimmt erstmals Mattfeldt (2018) in der von Ekkehard Felder betreuten Dissertation Wettstreit in der Sprache. Ein empirischer Diskursvergleich zur Agonalität im Deutschen und Englischen am Beispiel des Mensch-Natur-Verhältnisses vor. Ausgehend von Felders Verständnis von Agonalität als «Wettstreit konfligierender Positionen oder Sachverhalte» (Mattfeldt 2018, 1) wird Agonalität hier wie folgt definiert: «Agonalität geht auf Wettkämpfe in der Antike zurück und bezeichnet eine breit verstandene kompetitive Opposition oder Polarität, die nicht zwingend an menschliche Akteure gebunden ist. Agonalität manifestiert sich auf der sprachlichen Oberfläche (weit verstanden und damit auch visuelle Inhalte einschließend)» (Mattfeldt 2018, 56).
Ausgangspunkt der Definition ist die Anknüpfung an den konzeptionellen Ursprung in der Antike («Agonalität geht auf Wettkämpfe in der Antike zurück»). Es folgt der definitorische Kern, die Paraphrasierung von Agonalität als «kompetitive Opposition oder Polarität», der auf eine semantische Analyse der Lexeme Wettkampf und Wettbewerb, die Mattfeldt (2018, 55) als deutschsprachige Äquivalente von Agon angibt, zurückgeht.43 Nach dem ergänzenden Hinweis, dass Agonalität «nicht zwingend an menschliche Akteure gebunden ist», schließt die Definition mit einer forschungspraktischen Anwendung des Begriffs auf Sprache. In einem gewissen Spannungsverhältnis zu dieser Definition steht die von Mattfeldt (2020a) in den Wörterbüchern zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft (WSK) Online vorgenommenen Definition von Agonalität «in der Diskurslinguistik» als «Beschreibung der kontroversen Aushandlung von Wissen mit sprachlichen Mitteln». Während Agonalität in Mattfeldt (2018) als kompetitive Opposition und damit als Zustand, als Verhältnis, in dem Sachverhalte zueinander stehen, definiert wird, wird Agonalität nun als kontroverse Aushandlung von Wissen und damit als Handlung, als Tätigkeit definiert. Beide Aspekte sind zweifelsohne von zentraler Relevanz und in der Praxis eng miteinander verwoben, aus theoretisch-konzeptioneller Sicht meines Erachtens aber klar zu trennen,
Wenngleich die Definition im Kern, wie in Kapitel 2.4.2 gezeigt wird, angemessen ist, ist es meines Erachtens sinnvoller, von der Semantik des Ausdrucks Agon selbst auszugehen (wie es in den Kapiteln 2.1 und 2.2 dieser Arbeit getan wird), da die Bedeutungen äquivalenter Ausdrücke in anderen Sprachen nie vollkommen deckungsgleich mit der Bedeutung des ursprünglichen Ausdrucks sind.
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2 Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
weshalb ich Agonalität in einem abstrakteren, breiter anwendbaren Sinne als Beschreibung eines Zustands und agonale Aushandlungsprozesse vielmehr als Manifestation von Agonalität im sprachlichen Handeln auffassen möchte (cf. Kapitel 2.5). Die in der germanistischen Diskurslinguistik entwickelten Ansätze zur Erforschung von Agonalität haben, wie zuvor bereits die Diskurslinguistik, jüngst wiederum Eingang in die deutschsprachige Romanistik gefunden. So wird etwa das von Felder entwickelte Konzept der agonalen Zentren auf Anwendungsgebiete der Romanistik übertragen, wie die Analyse sprachlicher Konflikte in Katalonien (Issel-Dombert 2020), die Diskussion um Sicherheit und Überwachung in Frankreich (Weiland 2020) sowie agonale Diskurse im Katalonien des 18. und 19. Jahrhunderts (Kailuweit 2020a) und im Spanien zur Zeit nach dem Bürgerkrieg (Kailuweit 2020b). Die Arbeiten Rolf Kailuweits sind insofern hervorzuheben, als dass sie Impulse für eine Schärfung des Konzepts von Agonalität aus theoretischer Sicht bieten. In Weiterführung von Foucault (1966; 1969) und Lyotard (1983) beschreibt Kailuweit (2020a; 2020b) agonale Diskurse als Machtgefüge, in denen sich hegemoniale und subversive Positionen gegenüberstehen: «Je nach historischem Kontext manifestieren sich Machtkonstellationen, so dass die Position, die der Text zu einem Streitthema (Agon) einnimmt, dominant (hegemonial) oder nicht dominant erscheinen kann. […] Es ist ein Zeichen für die Hegemonialität eines Diskurses, dass er Gegendiskurse ignoriert und seinen Geltungsanspruch gewissermaßen als unumstößlich präsentiert. Nicht hegemoniale Diskurse müssen dagegen ihren Geltungsanspruch in Abgrenzung zu hegemonialen Diskursen formulieren» (Kailuweit 2020a, 20–22).
Stellt man die beiden Ansätze – den französischen, konversationsanalytischen und den deutschen, diskursanalytischen – gegenüber, so lassen sich im Hinblick auf die Konzeptualisierung von Agonalität sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede konstatieren. Die zentrale Gemeinsamkeit besteht darin, dass Agonalität in beiden Ansätzen als ein Phänomen aufgefasst wird, das Formen des Sprachgebrauchs charakterisiert, die in besonderem Maße von Dissens und Auseinandersetzung, von Kampf und Wettkampf geprägt sind. Daneben gibt es aber auch zwei zentrale Unterschiede. Zum einen wird Agonalität aus Sicht der Konversationsanalyse als Eigenschaft von Gesprächen konzeptualisiert, während Agonalität aus Sicht der Diskursanalyse als Eigenschaft von Diskursen aufgefasst wird. Dieser Unterschied resultiert aus den unterschiedlichen Untersuchungsgegenständen der beiden (Teil-)Disziplinen, der Konversation, sprich der mündlichen Interaktion im Gespräch im Fall der Konversationsanalyse und dem Diskurs im Fall der Diskursanalyse. Der schillernde Begriff des Diskurses wird in der Sprachwissenschaft unterschiedlich gefasst; in der germanistischen Diskurslinguistik, in deren Fokus Agonalität bislang überwiegend stand, wird unter Diskurs die Gesamtheit
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aller Aussagen zu einem Thema verstanden.44 Der zweite Unterschied zwischen beiden Ansätzen besteht darin, dass in der Konversationsanalyse von einer Zweiteilung der Gesprächstypen in agonale und «irenische» bzw. «mimetische» Kommunikation ausgegangen wird, während in der Diskursforschung Agonalität nicht innerhalb eines Oppositionspaars, sondern als grundlegende Eigenschaft eines jeden Diskurses konzeptualisiert wird. Die in der Konversationsanalyse propagierte Zweiteilung wird jedoch insofern relativiert, als dass sie lediglich analytisch vorgenommen werden könne, während in der Praxis stets eine Kombination beider Typen vorherrsche. Diese Differenzen in der Konzeptualisierung von Agonalität gilt es zu überbrücken, um einen möglichst breit anwendbaren linguistischen Agonalitätsbegriff zu entwickeln. Beide Ansätze weiterführend möchte ich Agonalität daher zum einen als eine Eigenschaft begreifen, die sowohl medial mündliche als auch medial schriftliche Kommunikation prägen und sich sowohl in einem einzelnen Gespräch oder Text als auch in einer Menge zusammengehöriger Gespräche oder Texte manifestieren kann. Agonalität ist ein Phänomen, das weder auf Gespräche noch auf thematische Diskurse beschränkt ist, sondern eine Eigenschaft kontextbedingter Sprachverwendung im Allgemeinen und umfasst als solche sowohl medial mündliche als auch medial schriftliche Sprachverwendung. Zum anderen möchte ich, den diskursanalytischen Ansatz weiterführend, Agonalität nicht in Differenz zu etwas anderem, sondern als Phänomen in sich begreifen. Daraus folgt, dass Agonalität etwas ist, das grundsätzlich jeden Text bzw. Diskurs prägen kann, allerdings, wie auch der konversationsanalytische Ansatz nahelegt, in unterschiedlichem Ausmaß. Darüber hinaus sind sprachwissenschaftliche Ansätze von Interesse, die nicht Agonalität an sich zum Gegenstand haben, sondern verschiedene Phänomene, die sich an der Schnittstelle zu Agonalität bewegen, und die damit wertvolle Anknüpfungspunkte für einen linguistischen Agonalitätsbegriff liefern können. Dazu zählen z.B. Streit (cf. Spiegel 1995; 2021; Holly 2018; Gruber 2021) und Streitgespräch (cf. Gruber 1996; Deppermann 1997; Renaud 2013), Widerspruch (cf. François/Larrivée/Legallois/Neveu 2013; Warnke/Acke 2018; Lossau/ Schmidt-Brücken/Warnke 2019; Warnke/Hornidge/Schattenberg 2020),45 Konflikt (cf. Aubert 1963; Schank/Schwitalla 1987; Schwitalla 2001b), Kontroverse (cf. Lie-
Damit wird ein transtextuelles, themenorientiertes Verständnis von Diskurs zugrunde gelegt. Cf. ausführlicher Kapitel 3.1 und 3.2.3. Der Widerspruch als Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung scheint in jüngerer Zeit zur Konsolidierung eines eigenen Forschungsparadigmas, einer «Linguistik des Widerspruchs», zu führen. Paradigmatische Titel wie La linguistique de la contradiction (François/ Larrivée/Legallois/Neveu 2013) oder Contradiction Studies – so der Titel einer von Lossau und
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bert/Weitze 2006) und Polemik (cf. Stauffer 2013; Gloning 2019)46. Mitunter findet der Begriff des Agonalen in diesen Zusammenhängen sogar Verwendung (z.B. Albert/Nicolas 2010a; Amossy 2014; Holly 2018), wird jedoch in der Regel nicht in seinem Verhältnis zum beleuchteten Phänomen betrachtet oder gar terminologisiert.47 Im Folgenden wird, wenn es sich als notwendig bzw. zielführend erweist, auch auf Arbeiten aus diesen Bereichen Bezug genommen, um einen linguistischen Agonalitätsbegriff zu entwickeln. Aufbauend auf diesem Überblick zur sprachwissenschaftlichen Agonalitätsforschung sollen nun verschiedene Kriterien für einen sprachwissenschaftlichen Agonalitätsbegriff diskutiert und auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden.
2.4.2 Agonalität als kompetitive Opposition Ein relativ weites Verständnis von Agonalität ist das von Mattfeldt (2018) als kompetitive Opposition beschriebene. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass ein solches Verständnis von Agonalität einen sinnvollen Ausgangspunkt für die Entwicklung eines linguistischen Agonalitätsbegriffs darstellt. Es lässt sich nicht nur bis auf den Agon der griechischen Antike zurückführen, sondern prägt auch zahlreiche Konzeptionen des Begriffs innerhalb wie außerhalb der Sprachwissenschaft und zeichnet sich aufgrund seines weiten Verständnisses durch eine breite Anwendbarkeit aus. Bereits der Agon im antiken Griechenland lässt sich im Kern auf ein Verständnis als kompetitive Opposition zurückführen. Der gymnische, hippische oder musische Agon beruht darauf, dass ein Akteur antritt und – entweder in der direkten Begegnung mit einem oder mehreren anderen Akteuren oder indirekt über einen zugrunde liegenden Bewertungsmaßstab – mit anderen in Kon-
Warnke seit 2019 herausgegebenen Reihe – deuten darauf ebenso hin wie die im Titel des Aufsatzes von Warnke/Acke (2018) formulierte Frage Ist Widerspruch ein sprachwissenschaftliches Objekt?, die wohl nicht zufällig an den epochemachenden Aufsatz Ist Diskurs ein sprachwissenschaftliches Objekt? von Busse/Teubert (1994) erinnert. Die polémique bzw. der discours polémique stößt insbesondere in der französischen Forschung auf reges Interesse. Bereits Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahr sind erste wegweisende Arbeiten zu der Thematik erschienen (v.a. Felman 1979; Kerbrat-Orecchioni 1980b; Maingueneau 1983); bis heute scheinen die Aktualität und Relevanz der Thematik, wie entsprechende Arbeiten bezeugen, ungebrochen (z.B. Declercq/Murat/Dangel 2003; Albert/Nicolas 2010b; Amossy/Burger 2011; Amossy 2014; Montero 2016; Rolland-Lozachmeur 2016). Für weitere Literatur cf. die von Brilliant/Housiel (s.a.) erstellte Bibliographie. Für eine nennenswerte Ausnahme s. Mattfeldt (2020b) zum Verhältnis zwischen Agonalität und Widerspruch.
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kurrenz tritt. Der Agon ist eine Situation der Konkurrenz, in der die Beteiligten danach streben, dem anderen überlegen zu sein: «Immer der erste zu sein und ausgezeichnet vor andern» (Homer, Ilias, VI, 208). Auch zahlreichen sprachwissenschaftlichen Ansätzen liegt ein Verständnis von Agonalität als kompetitive Opposition zugrunde. Laut Felder (2012, 136; meine Hervorhebung) manifestiert sich Agonalität in «kompetitive[n] Sprachspiele[n]», Mattfeldt (2018, 56; meine Hervorhebung) definiert Agonalität als eine «kompetitive Opposition oder Polarität»; André-Larochebouvy (1984, 28; meine Hervorhebung) zufolge umfasst das jeu agonal «tous les aspects compétitifs de la conversation». All diese Definitionen enthalten das Adjektiv kompetitiv, so dass das kompetitive Moment als ihr kleinster gemeinsamer Nenner gelten kann. Das kompetitive Moment impliziert eine Opposition (cf. infra), sodass das hier propagierte Verständnis von Agonalität als kompetitive Opposition inhaltsseitig mit diesen Ansätzen im Einklang steht. Ausdrucksseitig ist es direkt an die Definition Mattfeldts angelehnt. Ein Verständnis von Agonalität als kompetitive Opposition vereint zwei Teilaspekte, das kompetitive Moment und die Opposition. Das kompetitive Moment besagt, dass etwas in Konkurrenz zu etwas anderem tritt. Die semantische Kontiguität zwischen kompetitiv und Konkurrenz schlägt sich auch in den Definitionen dieser Begriffe in Referenzwörterbüchern nieder: «auf Wettbewerb beruhend; kompetitiv; konkurrierend» (DWDS, s.v. kompetitiv, Synonyme). «1. auf Wettbewerb ausgerichtet, in einem Wettbewerb bestehen könnend […]» (Duden, s.v. kompetitiv). «1. das Konkurrieren [besonders im wirtschaftlichen Bereich] 2. auf einem bestimmten Gebiet, besonders in einer sportlichen Disziplin, stattfindender Wettkampf, Wettbewerb […]» (Duden, s.v. Konkurrenz). «1. wirtschaftlicher Wettbewerb, Rivalität 2. (sportlicher) Wettkampf, Wettstreit […]» (DWDS, s.v. Konkurrenz).
All diese Definitionen rekurrieren neben kompetitiv und Konkurrenz auch auf Ausdrücke, die das Morphem Wett- enthalten. Auch in der (sprach-)wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Agonalität finden entsprechende Termini häufig Verwendung.48 Termini, die das Morphem Wett- enthalten, z.B. Wettkampf, Wett-
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bewerb, Wettstreit, stehen damit in enger Verbindung zu Agonalität. Zugleich wecken diese Lexeme Assoziationen an eine Wette, eine ʻAbmachung zwischen zwei Personen, nach der derjenige, der mit seiner Behauptung recht behält, vom anderen etwas (z.B. Geld) bekommtʼ (Duden, s.v. Wette). Dies ist eine recht spezifische Bedeutungskomponente, die zwar in Verbindung mit Agonalität eine Rolle spielen kann, aber nicht muss. Zwar kann eine Wette zu Agonalität führen, doch setzt Agonalität keine Wette voraus. Ich möchte daher den allgemeineren Termini kompetitiv und Konkurrenz den Vorzug gegenüber Lexemen mit dem Morphem Wett- geben, wenn es darum geht, das Phänomen der Agonalität in seinem Wesen zu erfassen.49 Der zweite Teilaspekt ist der der Opposition. Dieser findet Eingang in die Definition Mattfeldts (2018, 56) von Agonalität als «kompetitive Opposition oder Polarität», spiegelt sich aber auch in der Konzeption von Agonalität als Phänomen der Differenz. So spricht etwa André-Larochebouvy (1984, 28) von der «fonction […] différenciative» des jeu agonal, Kerbrat-Orecchioni (1990–1994, vol. 2, 149) zufolge manifestiert sich eine agonale Beziehung zwischen den Gesprächspartnern in der «revendication d’une différence» und Golden (1998, X) beschreibt bereits den griechischen ἀγών als einen «discourse of difference». Opposition bezieht sich dabei ganz allgemein auf die Relation eines Gegensatzes; dieser muss nicht zwingend bipolar sein, sondern kann auch über drei oder mehr Pole verfügen. Für das Verhältnis zwischen kompetitivem Moment und Opposition gilt, dass das kompetitive Moment eine Opposition impliziert, das Gegenteil jedoch nicht zutrifft. Das kompetitive Moment impliziert eine Opposition, weil zwei oder mehr Objekte, die miteinander konkurrieren, notwendigerweise in Opposition zu einander stehen, da ohne einen Gegensatz keine Konkurrenz entstehen kann. Eine Opposition hingegen impliziert nicht zwangsläufig eine Konkurrenz, da Objekte auch nebeneinander bestehen können, ohne miteinander zu konkurrieren. Eine Verkürzung von Agonalität auf den Aspekt der Konkurrenz – wie sie etwa Mattfeldt (2018, 55) vornimmt: «Agonalität bedeutet damit grundsätzlich: Etwas tritt in Konkurrenz mit etwas anderem» – ist zulässig, da dieser den Aspekt der Opposition impliziert; eine Verkürzung auf den Aspekt der Opposition ist hingegen nicht zulässig, da eine Opposition zwar Voraussetzung
Felder z.B. beschreibt Agonalität als «Wettstreit diskursiv geprägter Weltausschnitte» (Felder 2012, 165; meine Hervorhebung) und als «diskursive[n] Wettkampf um Geltungsansprüche» (Felder 2013, 13; meine Hervorhebung); bei Mattfeldt (2018, u.a. 54–56) ist die Rede von Wettkampf, Wettbewerb und Wettstreit. Auch Nietzsche verwendet in seinen Ausführungen über den griechischen Agon häufig das deutsche Lexem Wettkampf – nicht zuletzt im Titel seiner Schrift Homers Wettkampf –, seltener auch Wettspiel. Daher verwende ich auch den Ausdruck diskursive Kämpfe statt diskursive Wettkämpfe.
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für Agonalität ist, aber allein nicht ausreicht, um von Agonalität sprechen zu können. Agonalität bezeichnet damit eine kompetitive Opposition oder, kurz gefasst, eine Konkurrenz.
2.4.3 Agonalität und das Streben nach Diskurs- und Deutungshoheit Agonale Diskurse zeichnen sich dadurch aus, dass die an ihnen beteiligten Akteure den Diskurs zu dominieren und ihre eigene Perspektive gegenüber den Perspektiven anderer dominant zu setzen suchen. Sie stehen daher stets im Zeichen des Strebens nach Diskurs- und Deutungshoheit. Die Frage nach Diskursund Deutungshoheit und ihrem Zusammenhang mit Agonalität fußt auf einer im Kern sprachtheoretischen und -philosophischen Debatte, in deren Zentrum ebenso zentrale wie komplexe Fragen wie die nach dem Verhältnis zwischen Sprache und Wirklichkeit und die Frage nach der Wahrheit stehen. Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden, um auf dieser Grundlage die Konzepte der Diskurs- und Deutungshoheit zu bestimmen und in ihrem Zusammenhang mit Agonalität zu beleuchten. Ausgangspunkt ist die grundlegende erkenntnistheoretische Frage nach dem Zusammenhang zwischen Sprache und Wirklichkeit. Bereits Wilhelm von Humboldt hat auf die erkenntnistheoretische Funktion von Sprache hingewiesen: «Wie der einzelne Laut zwischen den Gegenstand und den Menschen, so tritt die ganze Sprache zwischen ihn und die innerlich und äußerlich auf ihn einwirkende Natur. Er umgiebt sich mit einer Welt von Lauten, um die Welt von Gegenständen in sich aufzunehmen und zu bearbeiten. […] Der Mensch lebt mit den Gegenständen hauptsächlich, ja, da Empfinden und Handeln in ihm von seinen Vorstellungen abhängen, sogar ausschließlich so, wie die Sprache sie ihm zuführt» (Humboldt 1836, 58–59).
Bis heute wird die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Sprache und Wirklichkeit (nicht nur) in der Sprachwissenschaft kontrovers diskutiert.50 Vereinfacht dargestellt lassen sich drei Positionen unterscheiden: – Die Sprache dient der Wiedergabe der Realität; sie hat rein repräsentative Funktion. Dies entspricht der Position der Abbildtheorie, wie sie zum Beispiel Ludwig Wittgenstein in seinem Tractatus logico-philosophicus entwirft (Wittgenstein 1921/1960).
Aktuelle Einblicke in diese Diskussion bietet der von Ekkehard Felder und Andreas Gardt herausgegebene Sammelband Wirklichkeit oder Konstruktion? Sprachtheoretische und interdisziplinäre Aspekte einer brisanten Alternative (Felder/Gardt 2018).
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Die Sprache dient nicht (nur) der Wiedergabe der Realität, sondern prägt auch die Wahrnehmung der Realität sowie die Denkweise einer Sprachgemeinschaft; die Sprache hat eine kognitive Funktion. Diese, durch die Sapir-Whorf-Hypothese51 angestoßene Position führte zum sogenannten linguistischen Relativismus bzw. Determinismus. Die empirische Realität an sich ist nicht objektiv erfassbar, sondern nur in Form der durch Sprache konstruierten Wirklichkeit; die Sprache hat wirklichkeitskonstruierende Funktion. Dies entspricht einer konstruktivistischen Sicht, wie sie insbesondere durch Berger/Luckmann in ihrem epochemachenden Werk Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie propagiert wird (Berger/Luckmann 1969/2010; engl. Original 1966).
Ich möchte im Folgenden eine Position vertreten, der zufolge sich Wirklichkeit zum einen in Sprache manifestiert, zum anderen aber auch durch Sprache mitgeformt wird. Diese Mittler-Position entspricht keiner der oben dargelegten Positionen in ihrer Reinform, sondern vereint verschiedene ihrer Elemente. Auf der einen Seite gilt, dass mit Sprache sehr wohl auf Wirklichkeit referiert wird, dass Sprache also die Wirklichkeit repräsentiert. Auf der anderen Seite gilt aber auch, dass mit Sprache die Wirklichkeit nicht eins zu eins abgebildet wird, sondern dass es stets verschiedene Möglichkeiten der Darstellung gibt, die Ausdruck unterschiedlicher Perspektivierungen der Wirklichkeit sind: «Nicht die ‹Wirklichkeit als solche› wird mittels der Sprache beschrieben, sondern die in sprachlicher Brechung erkannte Wirklichkeit, sodass ihre Beschreibung die Perspektive immer schon in sich trägt» (Gardt 2017, 4; meine Hervorhebung). Die Wirklichkeit wird, wie Köller (2004) zeigt, nie objektiv und in Gänze, sondern stets von einem bestimmten Standpunkt aus und hinsichtlich bestimmter Aspekte wahrgenommen; Perspektivität kann daher als «eine apriorische Grundgegebenheit menschlicher Wahrnehmungsmöglichkeiten» (Köller 2004, 9) aufgefasst werden. Perspektivierungen im Sinne einer spezifischen Sicht oder Betrachtungsweise der Wirklichkeit sind – auch wenn die eindeutige Zuordnung einer Perspektivierung zu einem Akteur in der Praxis nicht immer eindeutig möglich ist – stets an Akteure52 gebunden; es handelt sich somit um akteursgebundene Perspektivierungen der Wirklichkeit.
Ausgehend von der Sprachauffassung seines Lehrers Edward Sapir entwickelte Benjamin Lee Whorf die These, «der zufolge Sprachen das Denken und die Wahrnehmung ihrer jeweiligen Sprecher determinieren» (Bußmann 2008, 599; cf. Whorf 1956/1969). Zum Akteursbegriff cf. Kapitel 3.6.1.
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Eine zentrale Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist die nach dem Verhältnis von Sprache und Wahrheit. Werden Aussagen als Ausdruck unterschiedlicher Perspektivierungen der Wirklichkeit aufgefasst, können sie dann überhaupt auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft und beurteilt werden? Die Frage, wie die Wahrheitsbedingungen im Diskurs zu betrachten sind, wird in verschiedenen Ansätzen unterschiedlich beantwortet. In der Pragmalinguistik würde man mit Grice davon ausgehen, dass eine Aussage wahr oder falsch sein kann und dass sich der Sprecher grundsätzlich des seiner Aussage zugrunde liegenden Wissens bewusst sein kann. Das wird in der Maxime der Qualität deutlich: «– ‹Try to make your contribution one that is true.› – 1. Do not say what you believe to be false. – 2. Do not say that for which you lack adequate evidence» (Grice 1975, 46).
Die Frage, was genau wahrheitswertfähig ist, wird in der Pragmatik kontrovers diskutiert. Gemeinhin wird der propositionale Gehalt einer Aussage (das Gesagte, bestehend aus Referenz und Prädikation) als wahrheitswertfähig betrachtet, der kommunikative Gehalt (das Gemeinte, die illokutionäre Kraft des Sprechakts) hingegen nicht (cf. Liedtke 2011).53 Eine gegensätzliche Auffassung in Bezug auf Wahrheitsbedingungen charakterisiert den Konstruktivismus. Dieser fußt auf der von Berger/Luckmann vertretenen These, dass Wirklichkeit gesellschaftlich konstruiert werde und dass es Aufgabe der Wissenssoziologie sei, die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit zu analysieren. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass das, was wir als Wirklichkeit bezeichnen, nicht a priori existiert, sondern von Menschen hergestellt und damit kontingent ist. Der Sprache komme die zentrale Rolle zu, diese Wirklichkeit zu objektivieren und zu legitimieren; sie sei «das wichtigste Zeichensystem der menschlichen Gesellschaft» (Berger/Luckmann 1969/2010, 39), das «Hauptinstrument» (Berger/Luckmann 1969/2010, 69) der Wirklichkeitskonstruktion. Das Konzept der Wahrheit wird hier obsolet, denn wenn es keine objektive Wirklichkeit gibt, kann auch keine Aussage auf die Übereinstimmung mit derselben hin untersucht werden. An die Stelle der Frage der Wahrheit rückt die Frage der Wirkmächtigkeit einer Aussage im Diskurs: Eine Aussage ist dann erfolgreich, wenn sie sich im Diskurs gegenüber anderen
Zu den Wahrheitsbedingungen aus Sicht der Pragmatik cf. weiterführend Liedtke/Tuchen (2018).
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durchsetzt, da ihr mehr Glauben geschenkt wird als anderen, unabhängig davon, ob sie wahr ist oder nicht. Der sozialkonstruktivistische Ansatz wurde in der Linguistik rezipiert und liegt auch vielen diskursanalytischen Ansätzen zugrunde. Unter dem Schlagwort der diskursiven Konstruktion von Wirklichkeit wird hier davon ausgegangen, dass nicht mittels Sprache auf Wirklichkeit referiert wird, sondern dass mittels Sprache eine Wirklichkeit erzeugt, konstruiert wird. Eine solche Position vertreten z.B. Spitzmüller/Warnke (2011) in expliziter Anknüpfung an Berger/Luckmann. Ihr Ansatz fußt auf einer Umdeutung des Jakobson’schen Modells der Referenz zur Projektion: «Sprache erscheint dann aber nicht (nur) als Medium der Erfassung von Wirklichkeit, sondern als Mittel zur Evokation von mentalen ‹Projektionen›» (Spitzmüller/Warnke 2011, 62). Diese mentalen Projektionen lassen sich durch eine Analyse des im Diskurs ausgehandelten Wissens erschließen. Auch hier wird die Frage der Wahrheit dieses Wissens obsolet: «Fraglich ist dann nicht die Wahrheit dieses Wissens im Sinne von ‹Richtigkeit›, sondern die Plausibilität bzw. Überzeugungskraft von Argumenten» (Spitzmüller/Warnke 2011, 57–58).54 In anderen Ansätzen, auch innerhalb der Diskurslinguistik, wird die These der diskursiven Konstruktion von Wirklichkeit hingegen relativiert und die Notwendigkeit des Wahrheitskonzepts betont (cf. z.B. Felder 2018b; Warnke 2018a, XXXI–XXXII). Einen besonderen Kunstgriff zur Lösung dieses Spannungsverhältnisses stellt die von Felder (2013; 2018b) propagierte Unterscheidung zwischen Daten als intersubjektiv akzeptierten Gegebenheiten und Fakten als in Diskursen hergestellten Deutungen, die auch umstritten sein können, dar: «Individualisierte Wissensbestände bestehen aus intersubjektiv unstrittig Vorgegebenem (Daten) und aus durch Deutung gewonnenem Gemachten (Fakten)» (Felder 2013, 14).55 Auf dieser Grundlage gestaltet sich die Frage, ob es sich um Wirklichkeit oder Konstruktion handele, nur als eine «vermeintliche Alternative»: «Daten haben einen objektivierten Status, weil intersubjektiv unstrittig, Fakten sind die daraus plausibel gemachten Sachverhalte (also Konstruktionen), die wiederum auf Wirklichkeit zurückwirken. Unser Wissen ist durch Daten und Fakten konstituiert (Tatsachen) und letztlich auf dieser Grundlage graduell durch Plausibilität objektivierbar» (Felder 2018b, 395).
Eine gleichermaßen radikalkonstruktivistisch orientierte Haltung vertritt z.B. auch Konerding (2015, 78): «So sollte bewusst bleiben, dass die Ausdrücke Wissen und Wahrheit diskursgebundene deklarative Rahmen identifizieren, die, in einschlägigen kulturellen Traditionen und Diskursen funktional, selbst wieder kulturspezifische symbolisch-verbale Modellierungen sind». Die Begrifflichkeiten sind auf die Etymologie zurückzuführen: Datum ‘das Gegebene’ < lat. DARE ‘geben’ vs. Faktum ‘das Gemachte’ < lat. FACERE ‘machen’.
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In eine ähnliche Richtung weist das von Langacker (2008; 2015) im Rahmen seiner Kognitiven Grammatik geprägte Konzept des construal.56 Construal bezeichnet die spezifische Art, wie die Bedeutung im Diskurs, in einer konkreten Kommunikationssituation von einem Sprecher hergestellt und gestaltet wird: «The term construal refers to our manifest ability to conceive and portray the same situation in alternate ways» (Langacker 2008, 43; Hervorhebung im Original). Dem Begriff des construal stellt Langacker den des content gegenüber, der sich auf den konzeptuellen «Inhalt» bezieht. «An expression’s meaning depends on both the conceptual content invoked and how that content is construed. Content is roughly comparable to truth conditions, a state of affairs, or the objective situation described; in a conceptualist semantics, it amounts to the neutral apprehension of a situation, conceived in its own terms. But since the world does not just imprint itself on our brains, conception is never really neutral − it consists in mental activity, being shaped by the previous experience, capabilities, and current state of the conceptualizer. Thus every conception and every linguistic expression construes the content invoked in a certain manner» (Langacker 2015, 120–121; Hervorhebung im Original).
Die von Langacker getroffene Unterscheidung zwischen content und construal lässt sich mit derjenigen Felders zwischen Daten und Fakten insofern parallelisieren, als dass content bzw. Daten im Hinblick auf Wahrheitsbedingungen beurteilbar sind, construal bzw. Fakten hingegen der Tatsache Rechnung tragen, dass ein und derselbe Sachverhalt im Diskurs unterschiedlich perspektiviert werden kann und weniger nach seiner Wahrheit denn nach seiner Gültigkeit beurteilt wird. Im Anschluss an Felder (2013; 2018b) und Langacker (2008; 2015) und im Einklang mit dem oben erläuterten Verständnis des Zusammenhangs zwischen Sprache und Wirklichkeit möchte ich Wahrheit durchaus als etwas begreifen, das im Diskurs entsteht, jedoch nicht ausschließlich menschengemacht im radikalkonstruktivistischen Sinne ist.57 Ein allgemeinsprachliches Verständnis von Wahrheit als Übereinstimmung von Kenntnissen oder Wissensbeständen mit der
Cf. auch Kapitel 3.5.1. Dass Wahrheit nicht ausschließlich im Diskurs konstruiert wird und das Konzept der Wahrheit damit nicht obsolet ist, mag folgendes Beispiel stützen: Im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 unterstellte Le Pen Macron, dass dieser ein Konto in einem Steuerparadies (den Bahamas) habe, das er nicht deklariert habe (cf. Kapitel 6.2.3, Beleg 80c). Nachdem Macron Le Pen daraufhin angeklagt hatte, leitete die Pariser Staatsanwaltschaft Vorermittlungen wegen «fausses nouvelles en vue de détourner les suffrages, faux, usage de faux et recel de faux» (Le Monde/AFP 2017) ein und stellte fest, dass Macron kein solches Konto besitze. Le Pens Aussage erwies sich damit eindeutig als unwahr und lässt sich als Versuch interpretieren, das Ansehen ihres Gegners zu beschädigen.
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Wirklichkeit voraussetzend,58 kann eine Aussage dann als wahr gelten, wenn ihr propositionaler Gehalt mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das Urteil darüber mag bei intersubjektiv unstrittigen Sachverhalten einhelliger ausfallen als bei individuellen Perspektivierungen und Deutungen. Letztlich werden Aussagen immer dann als gültig anerkannt, wenn sie für wahr gehalten werden. Das Urteil hängt daher immer auch von der Plausibilität der Aussage ab und ist damit, je nach Art der Aussage, graduell objektivierbar. Für Agonalität und damit auch für die sprachwissenschaftliche Untersuchung derselben ist die Kategorie der Wahrheit von zentraler Bedeutung. Agonale Diskurse zeichnen sich dadurch aus, dass konfligierende Ansprüche auf Gültigkeit und Wahrheit von Aussagen erhoben und diskursiv ausgehandelt werden. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn die Faktenlage ungeklärt ist oder verschiedene Ansichten zur Wahrheit existieren. Bei der Untersuchung von Agonalität geht es daher ganz wesentlich «um die Ermittlung von Geltungsansprüchen in Diskursen, man könnte auch sagen – um Wahrheitsansprüche» (Felder 2013, 21). Dass der Mensch ein starkes Bedürfnis nach Wahrheit zu verspüren scheint, zeigt die Diskussion um den vermeintlichen Eintritt in ein sogenanntes «postfaktisches Zeitalter», um «Fake News» und «alternative Fakten», die spätestens seit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA im November 2016 neu entbrannt ist (cf. z.B. Brodnig 2017; Gloy 2019; Lehner/Tacelli 2019; Revault d’Allonnes 2019; Uhlmann 2019). Begriffe wie postfaktisch, Fake News und alternative Fakten, die aus Sicht des Konstruktivismus irrelevant sein müssten, sind in aller Munde.59 Die Phänomene – und teilweise auch die Begriffe – gibt es zwar schon
Cf. z.B. «1.a) das Wahrsein; die Übereinstimmung einer Aussage mit der Sache, über die sie gemacht wird; Richtigkeit. b) wirklicher, wahrer Sachverhalt, Tatbestand. 2. Erkenntnis (als Spiegelbild der Wirklichkeit), Lehre des Wahren» (Duden, s.v. Wahrheit); «2. Lang. cour. a) [P. oppos. à erreur, ignorance] Connaissance conforme à ce qui existe ou a existé; expression de cette connaissance. b) Conformité d’une affirmation à la réalité» (TLFi, s.v. vérité; Hervorhebungen im Original); «1. […] b) Cour. Connaissance conforme au réel; son expression; les faits qui lui correspondent en tant qu’ils sont exprimés, connus ou à connaître (opposé à erreur, ignorance ou à invention, mensonge, cit. 7)» (GR, s.v. vérité; Hervorhebungen im Original). Auf die Relevanz der Begriffe deuten auch die metalinguistischen Auseinandersetzungen um dieselben hin. Von der Gesellschaft für deutsche Sprache wurde postfaktisch 2016 zum Wort des Jahres gekürt (cf. Gesellschaft für deutsche Sprache e.V.), alternative Fakten war, so die Jury der Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres 2017, Unwort des Jahres 2017 (cf. Janich 2018) und die unabhängige Initiative Anglizismus des Jahres deklarierte Fake News zum Anglizismus des Jahres 2016 (cf. Stefanowitsch 2017).
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lange,60 neu aber ist, dass sie jetzt, befördert durch das Internet, sehr schnelle Verbreitung finden und sehr viele Menschen erreichen. Die neu entbrannte Diskussion um die Frage nach der Wahrheit lässt das Bedürfnis nach einer Überprüfung der Wahrheitsbedingungen wachsen, dem man mit sogenannten «Faktenchecks» nachzukommen sucht. Die Wahrheitsproblematik spielt auch im öffentlich, speziell politischen Sprachgebrauch eine zentrale Rolle (cf. Carbonell 2021), was sich auch im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 zeigt. Der Kampf um die Wahrheit, die Berufung auf und Einforderung von Fakten und Faktizität prägten die Diskurse der Kandidaten;61 die Diskussion um (vermeintliche?) Fake News, deren Wahrheitsgehalt Journalisten in Faktenchecks zu überprüfen suchten, war allgegenwärtig;62 die Wiederherstellung von Glaubwürdigkeit in die Politik und die Politiker war, befeuert durch verschiedene politische Skandale, allen voran die Affaire Fillon, eines der zentralen Ziele der Kampagne. Aus diesen Erkenntnissen ergeben sich, um zur eingangs gestellten Frage zurückzukehren, wesentliche Implikationen für die Konzepte von Diskurs- und Deutungshoheit und ihr Verhältnis zu Agonalität. Alltagssprachlich bezeichnet Deutungshoheit die «alleinige Befugnis, etwas zu deuten; [das] alleinige Recht zu interpretieren, wie sich etwas verhält» (Duden, s.v. Deutungshoheit). In der Sprachwissenschaft wurde die Relevanz von Deutungshoheit vielfach herausgestellt. Deutungshoheit wird dabei häufig, insbesondere in der kritischen Diskursanalyse, mit Macht in Verbindung gebracht: Diejenigen Akteure, denen es gelingt, ihre Deu-
Als fake news zum Beispiel wurden bereits Ende des 19. Jahrhunderts Falschmeldungen in Zeitungen bezeichnet, doch ist der Begriff seit dem Wahlkampf Donald Trumps im Herbst 2016 Legion. Den Begriff alternative facts, der im Unterschied zu fake news keine absichtlichen Falschmeldungen, sondern Aussagen, an die der Sprecher tatsächlich glaubt, bezeichnet, prägte im Januar 2017 Trumps Beraterin Kellyanne Conway. Cf. z.B. «Moi, je dis, et je répète, ça suffit la grande mystification de cette campagne, la grande falsification des idées, des postures, des enjeux, des mots!» (BH, Rede, 19.04.2017); «On peut être factuel» (EM, TV-Duell, 04.04.2017); «[L]es politiciens du système [agissent] CONTRE les faits, CONTRE le réel, CONTRE les évidences» (MLP, Rede, 26.03.2017); «[…] nous parlons de ce qu’est la République elle-même, sa vérification dans les faits» (JLM, TV-Duell, 04.04.2017); «[…] moi je dis la vérité aux Français» (FF, TV-Interview, 20.04.2017). Wichtige Websites bzw. Rubriken größerer Medien, die sich dem Durchführen von Faktenchecks in Frankreich verschrieben haben, sind u.a. «Désintox» von Libération, «Les Décodeurs» von Le Monde, «Le Scan politique» von Le Figaro sowie der «Fact Check» von AFP. Im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 spielten Fake News und Fact-Checking eine zentrale Rolle (cf. Kuhn/Perry 2018a, 118–119; Nicey/Bigot 2019; Theviot 2019a, 15–18, 24–26). Von Fake News betroffen waren vor allem die Kandidaten Macron – insbesondere hinsichtlich der sogenannten MacronLeaks (cf. Mercier 2017, 122–126; Downing 2019) – und Juppé. – Nach der Wahl wurde ein Gesetz zur Eindämmung von Fake News verabschiedet (cf. Légifrance 2018).
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tung, ihre Interpretation eines Sachverhalts dominant zu setzen, verfügen über die Deutungshoheit und damit über Macht (cf. Felder 2006b; Jäger/Jäger 2007; Maeße 2017). Als ein zentrales Mittel im Kampf um die Deutungshoheit gelten zum Beispiel semantische Kämpfe (cf. Felder 2006b; cf. auch Kapitel 2.6.1). Die Frage sprachlicher Deutungshoheit steht auch im Zentrum des Konzepts des Framings, das der Frage nachgeht, wie mit Sprache bestimmte Deutungsmuster bewusst oder unbewusst vorgegeben werden (cf. Kapitel 2.6.5). In Abgrenzung zur Deutungshoheit, die sich auf die Interpretation von Sachverhalten und damit auf inhaltliche bzw. – im weitesten Sinne – qualitative Fragen bezieht, begreife ich Diskurshoheit als ein vielmehr quantitativ orientiertes Konzept. Die Diskurshoheit bezieht sich auf die Frage, wie viel Raum ein Akteur im Diskurs63 einnimmt. Die Dominantsetzung spezifischer Deutungen (Deutungshoheit) kann ein Mittel auf dem Weg zur Diskurshoheit sein, doch kann Diskurshoheit auch durch andere Mittel erlangt werden, zum Beispiel indem ein Akteur den Diskurs rein quantitativ dominiert, indem er etwa mehr spricht als andere, lauter spricht als andere, andere nicht zu Wort kommen lässt oder ihnen gar den Zugang zum Diskurs verweigert. Die Deutungshoheit kann zur Diskurshoheit verhelfen, sie kann sich aber auch nur auf einen Teilaspekt innerhalb eines Diskurses beziehen und dann nicht ausreichen, um den gesamten Diskurs zu dominieren. Bereits Foucault hat das Streben nach Diskurshoheit als zentral herausgestellt: «[...] le discours – la psychanalyse nous l’a montré –, ce n’est pas simplement ce qui manifeste (ou cache) le désir; c’est aussi ce qui est l’objet du désir; et puisque – cela, l’histoire ne cesse de nous l’enseigner – le discours n’est pas simplement ce qui traduit les luttes ou les systèmes de domination, mais ce pour quoi, ce par quoi on lutte, le pouvoir dont on cherche à s’emparer» (Foucault 1971, 12).
In Weiterführung von Foucault können Deutungs- und Diskurshoheit als Zeichen von Macht gewertet werden. Die machttheoretische Dimension spielt insbesondere in der Kritischen Diskursanalyse (cf. z.B. Wodak/Meyer 2001/2016a, 4–10), aber auch in deskriptiven Ansätzen wie der germanistischen Diskurslinguistik eine zentrale Rolle (cf. z.B. Warnke 2015; 2018a). In Sprache spiegeln sich Machtverhältnisse wider, Sprache kann dazu dienen, Machtverhältnisse zu verfestigen oder zu unterlaufen (cf. Spitzmüller/Warnke 2011, 100). Durch Sprache wird somit Macht und Herrschaft ausgeübt. Die Macht liegt dabei nicht in der Verantwortung der Sprache an sich, sondern in der Verantwortung derjenigen, die sich ihrer bedienen. Die Macht der Sprache führt so zu einer Macht der Akteure: Wer die Macht über die Sprache hat, hat die Deutungs- bzw. Diskurshoheit. Im politi-
Diskurs kann dabei vorläufig definiert werden als die an Individuen gebundene, konkrete Realisierung von Sprache im Kontext (cf. ausführlicher Kapitel 3.3.2).
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schen Sprachgebrauch ist diese Tatsache von besonderer Brisanz, da Sprache in der Politik nicht nur als Mittel der Deutungs- und Diskurshoheit, sondern auch als Mittel der realen Machtausübung fungiert (cf. Klein 2010). Sie wird zur Sprache der Mächtigen, deren Macht durch außersprachliche Faktoren legitimiert ist, aber durch die Sprache auf die Wirklichkeit zurückwirkt. Das Streben nach Diskurs- und Deutungshoheit ist ein zentrales Merkmal agonaler Diskurse. In agonalen Diskursen treten verschiedene akteursgebundene Perspektivierungen der Wirklichkeit in Konkurrenz und werden Gegenstand sprachlicher Aushandlungsprozesse. Auf eigene Aussagen wird dabei stets der Anspruch auf Wahrheit bzw. Gültigkeit erhoben, wobei entscheidend für den Ausgang eines solchen Kampfs weniger der tatsächliche Wahrheitsgehalt von Aussagen, als vielmehr die Glaubwürdigkeit, mit der der jeweilige Akteur sie zu vertreten vermag, ist. Wer die Macht hat, vermag «Wahrheiten» durchzusetzen, indem er andere von der Plausibilität seiner Aussagen überzeugt (cf. Kailuweit 2020a, 21–22) – zugleich verhilft das Durchsetzen von «Wahrheiten» aber auch zu mehr Macht. Der Kampf um die Wahrheit ist umso relevanter, wenn es sich um bestimmte Perspektivierungen («Fakten» bzw. construal) handelt, kann aber auch, wie die Relevanz von Faktenchecks belegt, für vermeintlich intersubjektiv akzeptierte Gegebenheiten («Daten» bzw. content) relevant sein. Dabei ist zu betonen, dass es bei der Untersuchung von Agonalität nicht darum geht, nach dem Vorbild von Faktenchecks über den tatsächlichen Wahrheitsgehalt von Aussagen zu urteilen, sondern darum, zu untersuchen, wie Ansprüche auf Wahrheit mit der ordinary language geltend gemacht und ausgehandelt werden. Vor dem Hintergrund der erneut entbrannten Diskussion um die Frage nach der Wahrheit, die Frage danach, wie Wahrheit ausgehandelt wird und ob es unumstößliche Wahrheiten gibt, tritt die Relevanz von Agonalität und der wissenschaftlichen Untersuchung derselben umso stärker zu tage: «Wettstreit und Agonalität im Diskurs werden zum gesellschaftlichen Programm und zum Zielpunkt wissenschaftlicher Methodologie» (Felder 2018b, 395).
2.4.4 Agonalität und (Sprach-)Spiel Das Agonale wird häufig in eine konzeptionelle Nähe zum Spiel gerückt. Die Verbindung zwischen dem Agonalen und dem Spiel lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen (cf. Kapitel 2.2); später wurde sie insbesondere von Huizinga (1939/2013) und Lyotard (1979) propagiert und fand auch Eingang in sprachwissenschaftliche Ansätze (z.B. bei André-Larochebouvy 1984 und Felder, u.a. 2012). Im Folgenden soll gezeigt werden, dass der Aspekt des Spiels gewinnbringend in ein linguistisches Agonalitätskonzept integriert werden kann, wobei im Anschluss
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an Lyotard für eine Nutzbarmachung des Wittgenstein’schen Spielbegriffs plädiert wird. In der griechischen Antike wurde ausdrucks- wie inhaltsseitig zwischen ἀγών ʻAgonʼ und παιδιά ʻSpielʼ unterschieden (cf. Huizinga 1939/2013, 59; Laser 1987, T4–T6). Das Spiel (παιδιά) wurde primär mit kindlichem Tun assoziiert,64 diente der Freude und dem Lebensgenuss und wurde mit geringerer Ernsthaftigkeit betrieben als der Agon (ἀγών) (cf. Huizinga 1939/2013, 59; Laser 1987, T4–T6). Agon und Spiel unterscheiden sich zudem im kompetitiven Moment, das für den Agon konstitutiv ist, für das Spiel hingegen nicht. Diese konzeptionelle Trennung zwischen Agon und Spiel wurde bereits in der römischen Antike aufgehoben (cf. Huizinga 1939/2013, 46); lat. LUDUS dient sowohl der Bezeichnung des Spiels im Sinne des kindlichen Spiels als auch der Bezeichnung des Spiels im Sinne eines Wettkampfs (cf. Georges, s.v. ludus). Dieses zweifache Verständnis von Spiel dominiert bis heute. So wird unter Spiel nicht nur eine «Tätigkeit, die ohne bewussten Zweck zum Vergnügen, zur Entspannung, aus Freude an ihr selbst und an ihrem Resultat ausgeübt wird», (Duden, s.v. Spiel, 1a) verstanden, sondern auch ein «nach bestimmten Regeln erfolgender sportlicher Wettkampf, bei dem zwei Parteien um den Sieg kämpfen» (Duden, s.v. Spiel, 1d). Dass Letzteres nicht nur für das Deutsche gilt, indizieren exemplarisch die Bezeichnungen für eine der bekanntesten sportlichen Wettkampfveranstaltungen, die zudem ihren Ursprung in der griechischen Antike hat, die Olympischen Spiele, frz. Jeux olympiques, engl. Olympic Games. Entsprechend wird auch auf die Agone der griechischen Antike heutzutage mit dem Ausdruck Spiel referiert (z.B. Huizinga 1939/2013, 59–60; Laser 1987; Poliakoff 1989; Pădurean 2008). Eine Konzeptualisierung von Wettkämpfen als Spiel ist aus heutiger Perspektive somit üblich und deckt sich mit dem Verständnis, das ab der römischen Antike, nicht aber in der griechischen Antike vorherrschte. Eine allgemeine Theorie des Spiels, die auch den griechischen Agon einschließt, entwirft Huizinga in seinem Werk Homo Ludens. Huizingas Ansatz, die «Kultur als Spiel» (Huizinga 1939/2013, 56) zu begreifen, gründet in der Annahme, dass das Spiel kulturschaffend und sinnstiftend sei; im Spiel liege der Ursprung jeder kulturellen Entwicklung: «Die antithetische und agonistische Grundlage der Kultur ist im Spiel gegeben, das älter und ursprünglicher ist als alle Kultur» (Huizinga 1939/2013, 88). Dabei legt Huizinga folgenden, erweiterten Spielbegriff zugrunde:
Dies wird nicht zuletzt durch die Etymologie nahegelegt, cf. gr. παίς ʻKindʼ.
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«Der Form nach betrachtet kann man das Spiel also zusammenfassend eine freie Handlung nennen, die als ‹nicht so gemeint› und außerhalb des gewöhnlichen Lebens stehend empfunden wird und trotzdem den Spieler völlig in Beschlag nehmen kann, an die kein materielles Interesse geknüpft ist und mit der kein Nutzen erworben wird, die sich innerhalb einer eigens bestimmten Zeit und eines eigens bestimmten Raums vollzieht, die nach bestimmten Regeln ordnungsgemäß verläuft und Gemeinschaftsverbände ins Leben ruft, die ihrerseits sich gern mit einem Geheimnis umgeben oder durch Verkleidung als anders von der gewöhnlichen Welt abheben» (Huizinga 1939/2013, 22; Kursivierung im Original).
Auf der Grundlage einer vergleichenden Untersuchung von Bezeichnungen für ʻSpielʼ sowie von Formen des Spiels in verschiedenen Sprachen und Kulturen kommt Huizinga trotz der oben referierten Widersprüche zu dem Schluss, dass auch der griechische Agon als Spiel bezeichnet werden könne (cf. Huizinga 1939/ 2013, 39–40, 59–61). Die zentrale Gemeinsamkeit des Agonalen und des Spiels bestehe in der «Vorstellung eines an Regeln gebundenen wechselseitigen Erproben des Geschicks» (Huizinga 1939/2013, 59). Der Aspekt der Regelhaftigkeit stellt in der Tat die entscheidende Schnittstelle zwischen dem Agon und dem Spiel dar (cf. ausführlicher infra), doch ist Huizingas Spielbegriff dennoch für einen linguistischen Agonalitätsbegriff nur eingeschränkt geeignet. Zum einen ist das kompetitive Moment, das als konstitutives Merkmal von Agonalität begriffen werden kann (cf. Kapitel 2.4.2), in Huizingas Definition des Spiels nicht enthalten; zum anderen umfasst Huizingas Definition von Spiel einige Aspekte, die meines Erachtens nicht uneingeschränkt auf Agonalität zutreffen. Dazu zählt zum Beispiel, dass das Spiel Huizinga zufolge eine Handlung ist, die «als ‹nicht so gemeint› und außerhalb des gewöhnlichen Lebens stehend empfunden wird». Dies gilt weder für Agone im antiken Griechenland noch für sportliche Wettkämpfe heutzutage, die mit Ernsthaftigkeit betrieben werden und Teil des gewöhnlichen Lebens sind, ganz besonders im Fall von Berufssportlern. Genauso wenig gilt dies für Agonalität in der Sprache: Agonale Diskurse zeichnen sich dadurch aus, dass konkurrierende Perspektivierungen der Wirklichkeit versprachlicht und ausgehandelt werden, was neue Perspektivierungen, Einstellungen und realitätsverändernde Maßnahmen zur Folge haben kann.65 Geeigneter für die Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs verspricht hingegen das Konzept des Sprachspiels nach Ludwig Wittgenstein zu sein, das sich in zahlreichen Bereichen der Sprachwissenschaft als äußerst wirkmächtig
Dies gilt in besonderem Maße für den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit, den Wahlkampf: Dieser hat einen sehr direkten Bezug zum gewöhnlichen Leben, da der Ausgang des Wahlkampfs darüber entscheidet, wer in Zukunft die politische Macht innehaben und das politische Leben gestalten wird.
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erwiesen hat (für einen Überblick cf. Dascal/Hintikka/Lorenz 1996). Wittgenstein prägt den Begriff des Sprachspiels in einem seiner Hauptwerke, den 1953 posthum erschienenen Philosophischen Untersuchungen. Als Sprachspiel beschreibt Wittgenstein eine komplexe Kommunikationseinheit – zum Beispiel Behauptung, Frage, Befehl –, die aus sprachlichen Einheiten wie Zeichen, Worten und Sätzen besteht: «Wieviele Arten der Sätze gibt es aber? Etwa Behauptung, Frage und Befehl? – Es gibt unzählige solcher Arten: unzählige verschiedene Arten der Verwendung alles dessen, was wir ‹Zeichen›, ‹Worte›, ‹Sätze›, nennen. Und diese Mannigfaltigkeit ist nichts Festes, ein für allemal Gegebenes; sondern neue Typen der Sprache, neue Sprachspiele, wie wir sagen können, entstehen und andre veralten und werden vergessen» (Wittgenstein 1953/2003, § 23; Hervorhebungen im Original).
Ein Sprachspiel lasse sich, ebenso wie ein Brettspiel oder andere Arten von Spielen, anhand von Regeln beschreiben, wobei ein deskriptiver Regelbegriff zugrunde gelegt wird. Die Regeln, denen ein Sprachspiel folgt, beruhen auf dem wiederholten Ausführen von Sprachspielen und damit auf gesellschaftlicher Konvention; sie können zwar fixiert werden, sind aber häufig implizit und werden unbewusst befolgt: «Es kann nicht ein einziges Mal nur ein Mensch einer Regel gefolgt sein. Es kann nicht, ein einziges Mal nur, eine Mitteilung gemacht, ein Befehl gegeben, oder verstanden worden sein, etc. – Einer Regel folgen, eine Mitteilung machen, einen Befehl geben, eine Schachpartie spielen sind Gepflogenheiten (Gebräuche, Institutionen). Einen Satz verstehen, heißt, eine Sprache verstehen. Eine Sprache verstehen, heißt eine Technik beherrschen» (Wittgenstein 1953/2003, § 199; Hervorhebung im Original).
Das Befolgen von Regeln beschreibt Wittgenstein als eine Tätigkeit, eine «Praxis»: «Darum ist ‹der Regel folgen› eine Praxis» (Wittgenstein 1953/2003, § 202). Genau dieser Aspekt der Tätigkeit soll mit dem Begriff des Sprachspiels betont werden: «Das Wort ‹Sprachspiel› soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform» (Wittgenstein 1953/ 2003, § 23; Hervorhebungen im Original). Die Metapher des Spiels bringt zum Ausdruck, dass das Sprechen als eine regelgeleitete Tätigkeit, als eine konventionalisierten Handlungsmustern folgende Praxis begriffen wird. Indem Wittgenstein das Sprechen als eine Tätigkeit begreift, erweist sich sein Ansatz auch als anschlussfähig an ein handlungsorientiertes Verständnis von Sprache, wie es in Kapitel 3.4 entwickelt wird. Das Sprechen begreift Wittgenstein dabei als eine von vielen menschlichen Tätigkeiten, die er unter dem Terminus Lebensformen fasst, und unterstreicht damit die Einbettung sprachlicher in nichtsprachliche Tätigkeiten.
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Der auf Wittgenstein zurückgehende Begriff des Sprachspiels hat auch Eingang in die Agonalitätsforschung gefunden. Hervorzuheben ist allen voran Lyotard, der seinen Ansatz einer «allgemeinen Agonistik» explizit auf den Wittgensteins’schen Spielbegriff gründet (cf. Lyotard 1979, 22). Auch bei Felder, der bezüglich der «Agonalität der Kommunikation» auf Lyotard verweist (cf. Felder 2012, 136), lässt sich damit zumindest mittelbar ein Bezug zu Wittgenstein herstellen. Darüber hinaus findet der Begriff des Sprachspiels Eingang in die Beschreibung agonaler Zentren als «eine[m] sich in kompetitiven Sprachspielen manifestierenden Wettkampf» (Felder 2012, 136; meine Hervorhebung). Nicht zuletzt spielt der Spielbegriff bei AndréLarochebouvy als Bestandteil der Bezeichnungen jeu agonal und jeu mimétique eine zentrale Rolle, wobei jeu wie folgt definiert wird: «Un jeu est une activité impliquant deux ou plusieurs joueurs, non finalisée, aléatoire, soumise à un système de règles qui en définissent les contraintes et les limitations» (AndréLarochebouvy 1984, 25).66 Wie diese Ansätze zeigen, lässt sich der Begriff des Sprachspiels sehr gut für einen linguistischen Agonalitätsbegriff fruchtbar machen. Dies ist im Kern auf den Aspekt der Regelgeleitetheit zurückzuführen: Sowohl das Sprechen als auch das Spielen beruhen auf dem wiederholten Ausüben von Handlungen, die sich in Form von Regeln beschreiben lassen. Der dabei zugrunde gelegte Regelbegriff ist deskriptiver Natur; er beschreibt das Übliche, das Konventionelle und umfasst sowohl explizit fixierte als auch implizite Regeln, die von den Akteuren bewusst oder auch unbewusst befolgt werden.67 Eine Anwendung des Wittgenstein’schen Sprachspielbegriffs auf Agonalität hat folglich auf der Grundannahme zu beruhen, dass auch von Agonalität geprägtes Sprechen Regeln folgt. «Die diskursive Auseinandersetzung ist insofern als Agon zu verstehen, als sie gewissen, wenn auch stets neu auszuhandelnden Regeln folgt» (Kailuweit 2020a, 22). Diese durch Agonalität bedingten Regeln lassen sich frei nach Wittgenstein als «Regeln des agonalen Sprachspiels» beschreiben. Wittgensteins Sprachspielbegriff zugrunde
Auch diese Definition enthält das zentrale Merkmal der Regelgeleitetheit. Dem Merkmal des Zufälligen («aléatoire») ist insofern zuzustimmen, als dass ein Text oder Diskurs nie vorherbestimmt oder vorhersagbar ist. Einem Zweck kann ein Text oder Diskurs jedoch sehr wohl dienen, weshalb das Merkmal der Zweckfreiheit («non finalisée») zu hinterfragen ist. Von einer Mindestanzahl von zwei Spielern geht André-Larochebouvy aus, da sich ihre Definition auf mündliche Gespräche bezieht, an denen im Normalfall mindestens zwei Sprecher beteiligt sind. Dies variiert in Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren, zum Beispiel dem Akteur und der Textsorte. Explizit fixierte Regeln bestehen beispielsweise in der Alltagskonversation im Normalfall nicht, in Textsorten wie dem TV-Duell hingegen schon, etwa bezüglich des Rederechts und der Redezeit. Dennoch unterliegt auch die Alltagskonversation Konventionen, die sich als Regeln beschreiben lassen und deren sich die Sprecher mehr oder weniger bewusst sein können.
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legend arbeitet Lyotard (1979, 22–23) drei Merkmale des agonalen Sprachspiels heraus: – die Regeln sind nicht einfach gegeben; sie resultieren aus der sprachlichen Praxis und sind das Ergebnis eines expliziten oder impliziten «Vertrags» («contrat») zwischen den Sprechern; – ein Spiel besteht aus der Gesamtheit der Regeln, die es beschreiben; es gibt kein Spiel ohne Regeln und eine Änderung der Regeln bewirkt eine Änderung des Spiels; – jede sprachliche Äußerung entspricht einem Spielzug. Linguistisch perspektiviert manifestieren sich diese Regeln in Form von Regelmäßigkeiten als Muster im Text und können so durch den Analysierenden ex post in deskriptiver Manier expliziert werden. Ziel einer Untersuchung von Agonalität ist somit die Erschließung der Regeln des agonalen Sprachspiels, die Ermittlung der Regelmäßigkeiten agonalen Sprechens.
2.4.5 Agonalität als «guter Streit»? Von den Ursprüngen in der griechischen Antike über die philosophischen Thesen Burckhardts und Nietzsches bis hin zu modernen Ansätzen in Kultur-, Argumentations- und Demokratietheorie unterliegt das Agonale vielfach einer positiven Wertung. Dies wirft die Frage auf, inwiefern Agonalität als «guter Streit» in Abgrenzung zu «bösem Streit» (Assmann/Assmann 1990, 11) konzeptualisiert werden kann. Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über die positive Bewertung des Agonalen in verschiedenen Ansätzen geboten, um im Anschluss daran die Frage zu diskutieren, inwiefern eine Konzeptualisierung von Agonalität als «guter Streit» Eingang in einen linguistischen Agonalitätsbegriff finden kann. Die positive Bewertung des Agonalen lässt sich bis zu den Ursprüngen des Konzepts in der griechischen Antike zurückzuverfolgen. Im antiken Griechenland stand der Agon im Zeichen des Strebens nach Ehre; die Sieger des Agons wurden als Helden gefeiert und der Agon als Begegnung unter Gleichen aufgefasst, deren Ziel darin bestand, den anderen zu überflügeln, ohne ihm jedoch zu schaden (cf. Kapitel 2.2). Die explizit fixierten Regeln, denen der Agon unterlag, sorgten dafür, dass diesen Prinzipien Rechnung getragen wurde. Die positive Bewertung des Agons wurde durch Burckhardt und Nietzsche rückwirkend verstärkt und festgeschrieben und auf die Konzeptualisierung des Agonalen als grundlegendes Prinzip der griechischen Polis ausgeweitet (cf. Kapitel 2.3.1). Neben den Agones hat ein weiterer Aspekt maßgeblichen Einfluss auf die positive Bewertung des Agonalen in der griechischen Antike, und zwar der Zusam-
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menhang zwischen Agon und guter Eris. Dem zugrunde liegt die Hesiod’sche Unterscheidung in eine gute Eris (< gr. ἔρις ʻStreit, Zankʼ), die den Menschen strebsam sein lasse, zur Arbeit ansporne und dazu führe, dass sich Reichtum und Wohlstand mehren, und eine böse Eris, die zerstörerisch wirke und zu Feindschaft und Hader führe: «Nicht ist nur eine Eris geboren, sondern auf Erden sind es zwei. Die eine kann jeder Verständige loben, Abscheu verdient die andre. Verschieden sind sie geartet. Nährt doch die eine nur die böse Feindschaft und häßlichen Hader ungestüm, kein Sterblicher liebt sie, sondern gezwungen nach der Unsterblichen Willen ehrt man die drückende Eris. Älter die andre, da Nacht sie gebar, die finstere Göttin, und sie setzte der hohe, im Luftraum behauste Kronide in die Wurzeln der Erde, den Männern zu größerem Segen. Selbst noch den Trägen erweckt sie in gleicher Weise zur Arbeit. Jeden ergreift ja die Lust zur Arbeit, wenn er des andern Reichtum sieht, schon eilt er zu pflügen, zu pflanzen und das Haus zu bestellen. Der Nachbar läuft mit dem Nachbarn um die Wette nach Wohlstand; so nützt diese Eris den Menschen. Töpfer eifert mit Töpfer, und Maurer eifert mit Maurer, und der Bettler beneidet den Bettler, der Sänger den Sänger» (Hesiod, Werke und Tage, 11–26).
Auf der Grundlage der Hesiod’schen Unterscheidung zwischen guter und böser Eris wird vielfach ein Zusammenhang zwischen guter Eris und Agon bzw. dem Agonalen hergestellt (cf. Weiler 1974, 12–13; Laser 1987, T7–T8; Poliakoff 1989, 161; Assmann/Assmann 1990, 11; Acampora 1998, 561; Nullmeier 2000, 148; Neumann 2013). Die gute Eris und das Agonale treffen sich im Streben nach etwas Besserem; beide bewirken, dass der Einzelne danach strebt, mehr zu erreichen und «größeren Segen» zu erfahren. Das Streben nach dem Besseren wird durch den Agon, durch den Lauf «um die Wette nach Wohlstand» verstärkt, der letztlich zu einer Mehrung des Wohlstands führt. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht besonders interessant ist der Ansatz von Assmann/Assmann (1990), in dem agonaler Streit als eine lösungsorientierte Form kommunikativen Handelns konzeptualisiert und damit positiv bewertet wird (cf. Kapitel 2.3.2). Ein weiterer Aspekt, der maßgeblich zu einer positiven Bewertung des Agonalen beiträgt, ist die Betrachtung des Agonalen als ein der demokratischen Debatte zuträgliches Prinzip. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass es das Wesen der Demokratie ausmacht, dass ein Pluralismus an Meinungen und Standpunkten herrscht, die es diskursiv auszuhandeln gilt; dabei kann es zwar durchaus um die Herbeiführung eines Konsenses, nie aber um eine grundlegende Nivellie-
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rung aller Unterschiede gehen.68 Diese Auffassung des Agonalen als ein der Demokratie zuträgliches Prinzip prägte bereits die Arbeiten Nietzsches (cf. Kapitel 2.3.1) und findet sich heute u.a. in der Argumentationstheorie bei Ruth Amossy sowie in den Theorien agonaler Demokratie. Gegenstand der argumentationstheoretischen Arbeiten Amossys (2000/ 2016; 2008; 2010; 2011; 2014) ist die Polemik, die wie folgt definiert wird: «[L]a polémique, qui traite de questions d’intérêt public, est une gestion verbale du conflictuel caractérisée par une tendance à la dichotomisation qui rend problématique la quête d’un accord» (Amossy 2014, 58; Hervorhebung im Original). In ihrer Apologie de la polémique – so der programmatische Titel des Werks – entwickelt Amossy (2014) die These, dass die Polemik einen legitimen Platz in der demokratischen Debatte hat und haben soll: «Il s’agit de faire sa juste place à une rhétorique du dissensus, c’est-à-dire à une gestion du conflit d’opinion sur le mode du dissentiment, et non d’une quête de l’accord» (Amossy 2014, 42). Den Ursprung der auf diese Weise konzeptualisierten Polemik führt Amossy auf die Debattenkultur im antiken Griechenland zurück, in der der rhetorische Agon in seiner reinsten Form zum Ausdruck komme: «Tel est le sens de l’agon: une confrontation réglée soumise à un ensemble de contraintes et visant à une quête commune sinon de la vérité, du moins de la solution la plus raisonnable. La régulation formelle et l’obéissance aux décrets de la raison font du débat agonique un échange policé où les opinions se mesurent entre elles non pas dans l’arbitraire de la force brute, mais à travers l’arbitrage de la raison» (Amossy 2014, 20; Hervorhebung im Original).
Die positive Bewertung der Polemik, die Amossys «Apologie der Polemik» mit sich bringt, erstreckt sich somit auch auf den Agon, in dem Amossy den konzeptionellen Ursprung Polemik sieht. Wie Amossy begreifen auch die Vertreter der Theorien agonaler Demokratie, zu denen u.a. Ernesto Laclau, Chantal Mouffe, William E. Connolly, James Tully und Anja Rüdiger gehören, das Agonale als ein der Demokratie zuträgliches Prinzip und heben den konstitutiven Charakter und das positive Potenzial des Agonalen für Politik und Gesellschaft hervor (cf. Nullmeier 2000, 170–188; Westphal 2018). Exemplarisch sei hier der von Chantal Mouffe entwickelte An-
Noch einen Schritt weiter geht der Literaturtheoretiker Karl Heinz Bohrer, wenn er in seinem Werk Selbstdenker und Systemdenker die Bedeutsamkeit des agonalen Prinzips für das Denken insgesamt hervorhebt: «Das Denken, dem es um wirkliche Erkenntnis geht, sucht die Auseinandersetzung. Der Verdacht gegen das konventionelle Argument hält den Geist beweglich. […] [Bohrers] Essays beweisen die Kraft des agonalen Denkens, als Zugang zur ehrlichen Erkenntnis der Dinge» (Bohrer 2011; Klappentext).
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satz des «agonistischen Pluralismus» genannt, demzufolge die Hauptaufgabe der Demokratie darin bestehe, Konflikt und Antagonismus in Agonismus, der einer pluralistischen Demokratie förderlich sei, umzuwandeln: «Conflict in liberal democratic societies cannot and should not be eradicated, since the specificity of pluralist democracy is precisely the recognition and the legitimation of conflict. What liberal democratic politics requires is that the others are not seen as enemies to be destroyed, but as adversaries whose ideas might be fought, even fiercely, but whose right to defend those ideas is not to be questioned. To put it in another way, what is important is that conflict does not take the form of an ‹antagonism› (struggle between enemies) but the form of an ‹agonism› (struggle between adversaries)» (Mouffe 2013, 7).
Die Unterscheidung zwischen Antagonismus und Agonismus69 kann – auch wenn Mouffe darauf nicht explizit Bezug nimmt – mit der Hesiod’schen Unterscheidung zwischen guter und böser Eris parallelisiert werden. Auch die Theorien agonaler Demokratie schreiben sich damit in die Tradition der positiven Bewertung des Agonalen und dessen Abgrenzung von negativ bewerteten Formen ein. Die überwiegend positive Bewertung des Agonalen steht im Kontrast zu einigen wenigen Ansätzen, in denen das Agonale in die Nähe zu «bösem Streit» gerückt wird und zumindest teilweise einer negativen Bewertung zu unterliegen scheint. Dies betrifft insbesondere die konversationsanalytischen Arbeiten Kerbrat-Orecchionis und André-Larochebouvys. Zwar diskutiert Kerbrat-Orecchioni (1990–1994, vol. 2, 154) auch eine potenzielle positive Verwendungsweise des Agonalen – «sans-doute faudrait-il distinguer entre un bon, et un mauvais usage de l’agôn» –, kommt jedoch zu dem Schluss, dass in der Regel dessen negative Kraft überwiege: «Nous dirons donc […] que le conflit peut parfois stimuler l’échange, mais plus communément, il le fragilise et le met en péril» (KerbratOrecchioni 1990–1994, vol. 2, 155). In der Konsequenz ist sie der Ansicht, dass agonale Kommunikation zu physischer Gewalt und im Extremfall zum Tod der Kommunikationsteilnehmer führen könne (cf. Kerbrat-Orecchioni 1990–1994, vol. 2, 147). In die Nähe zu «bösem Streit» wird agonale Kommunikation außerdem durch die Nennung folgender Textsorten als typischen Formen agonaler Kommunikation gerückt: «altercation, dispute, prise de bec, chamaillerie, querelle, démêlé, polémique, scène de ménage, engueulade, empoignade» (Kerbrat-
Eine Anwendung dieser Unterscheidung auf Sprache und auf politischen Sprachgebrauch im Speziellen nimmt Göhring (2019) vor, wenn sie zeigt, dass in der Differenz zwischen agonaler und antagonistischer Logik der zentrale Unterschied zwischen politischem und populistischem Diskurs besteht: Während der politische Diskurs von einer agonalen Logik geprägt ist, ist der populistische Diskurs, indem er auf Sündenbockrhetorik und Feindbildkonstruktion beruht, von einer antagonistischen Logik geprägt.
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Orecchioni 1990–1994, vol. 1, 128); «discussions, disputes, confrontations diverses» (André-Larochebouvy 1984, 28). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwiefern agonaler Sprachgebrauch aus linguistischer Perspektive in eine konzeptionelle Nähe zu «gutem» oder «bösem Streit» gerückt werden kann. Dazu bedarf es zunächst einer näheren Bestimmung des Konzepts von Streit. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht lässt sich Streit als eine Form verbaler Konfliktaustragung beschreiben, die «auf unterschiedlichen Handlungszielen, Meinungen und Situationsannahmen beruh[t]» und in der «die Beteiligten ihre unterschiedlichen Standpunkte, Interessen, Sichtweisen etc. in einer ‹unkooperativen›,70 das Gesicht (face)71 des Streitgegners verletzenden Weise artikulieren» (Schwitalla 2001b, 1374; cf. auch Spiegel 1995; 2021; Gruber 2021). Spiegel (1995, 19–20) stellt vier Merkmale von Streit heraus: – Streit beruht auf einem Konflikt zwischen mindestens zwei Akteuren, deren divergierende Standpunkte sich verbal manifestieren; – im Streit findet ein charakteristischer Gesprächsstil Verwendung, der tendenziell emotional ist; – die Akteure verfügen über eine Streitbereitschaft; – ein Akteur manifestiert direkt oder indirekt, dass er sich durch den anderen enttäuscht, verletzt oder bedroht sieht. Im Streit kommen sprachliche Mittel zum Einsatz, die sich der Unhöflichkeit (cf. Brown/Levinson 1987; Bousfield 2008; Culpeper 2011) oder auch der verbalen Gewalt bzw. Aggression (cf. Windisch 1987; Moïse/Auger/Fracchiolla/Schultz-Romain 2008; Bonacchi 2017b; Klinker/Scharloth/Szczęk 2018; Kuße 2019; aus historischer
Mit dem Ausdruck unkooperativ wird indirekt auf das von Herbert Paul Grice (1975, 45) geprägte Kooperationsprinzip Bezug genommen, dem zufolge sich ein Sprecher im Gespräch grundsätzlich kooperativ verhält, das heißt, dass er Gesprächsbeiträge macht, die dem Zweck und Ziel des Gesprächs förderlich sind: «Make your conversational contribution such as is required, at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged». Der Hörer wiederum geht davon aus, dass der Sprecher das Kooperationsprinzip befolgt, und versucht entsprechend, den Gesprächsbeitrag des anderen sinnvoll zu interpretieren. Mit dem Ausdruck Gesicht (face) wird auf das von Goffman (1959; 1967a) entwickelte Konzept des face Bezug genommen, das sich auf das öffentliche, gewünschte Selbstbild eines Individuums bezieht. Die – sprachlichen und nicht-sprachlichen – Formen der Herstellung und Aufrechterhaltung des face werden als face work bezeichnet (cf. Goffman 1967b); ins Deutsche wurde der Terminus mit Imagepflege übersetzt. Goffmans Konzept des face bildet den Ausgangspunkt für die von Brown/Levinson (1987) entwickelte allgemeine, universell anwendbare un in der Linguistik breit rezipierte Theorie der Höflichkeit.
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Perspektive Lobenstein-Reichmann 2008) zuordnen lassen. Während verbale Gewalt eine starke Imageverletzung darstellt, wie es etwa bei Spott, Lästerung, Schmähung und Beschimpfung der Fall ist, stellt Unhöflichkeit eine abgeschwächte und indirektere Form verbaler Gewalt dar. Bonacchi (2017a, 20) zufolge ist Unhöflichkeit «primär mit sprachlichem und kulturellem Wissen», verbale Gewalt dagegen «mit Emotionen und psychophysischen Zuständen emotionaler Ladung verbunden». Vor diesem Hintergrund lässt sich das Verhältnis, in dem Agonalität und Streit zu einander stehen, näher bestimmen. Beiden Konzepten ist gemeinsam, dass sich konkurrierende Perspektivierungen sprachlich manifestieren und Gegenstand sprachlicher Aushandlungsprozesse sind. Sie unterscheiden sich jedoch im Hinblick auf die Haltung und Absicht der beteiligten Akteure: Während sich agonale Diskurse dadurch auszeichnen, dass sich die Sprecher wohl als Gegner, nicht aber als Feinde begreifen, ist für Streit eine feindliche Haltung dem anderen gegenüber charakteristisch. In agonalen Diskursen streben die Akteure danach, dem bzw. den anderen überlegen zu sein, wollen ihm bzw. ihnen jedoch keinen Schaden zufügen. Dies gilt nicht für Streit, der dadurch charakterisiert ist, dass sich die Sprecher in einer unkooperativen, das Gesicht des Gegners verletzenden Weise verhalten. Dies wirkt sich auch auf für die jeweiligen Kommunikationsformen charakteristischen sprachlichen Handlungen aus: Während im Streit sprachliche Handlungen zum Einsatz kommen, die eine Imageverletzung darstellen, wie im Fall von Unhöflichkeit, Spott, Lästerung, Schmähung, Beleidigung und Beschimpfung, zeichnen sich agonale Diskurse durch sprachliche Handlungen aus, die «lediglich» eine kompetitive Opposition indizieren, zum Beispiel das Äußern von Dissens oder die Gegenüberstellung zweier Perspektivierungen. Diese Unterschiede besitzen in der Theorie zwar ihre Gültigkeit, sind in der Praxis aber schwer aufrechtzuerhalten. Im Hinblick auf die Haltung und Absicht der Akteure gilt, dass sich die Beurteilung derselben in der Regel dem unmittelbaren Zugriff des Analysierenden entzieht, da dieser zumeist nicht wissen kann, was der Sprecher wirklich denkt und fühlt. Zwar lassen sich aus dem Gesagten Rückschlüsse auf die Haltung und Absicht des Sprechers ziehen, doch können genau genommen nur Aussagen des Sprechers auf Metaebene – die allerdings höchst selten sind und auch nicht zwangsläufig der Wahrheit entsprechen müssen – wirklich Aufschluss über dieselbe geben. Die Interpretation des Analysierenden ist somit stets nur eine von vielen möglichen Interpretationen, nie aber die exakte Rekonstruktion der Haltung und Absicht des Sprechers. Im Hinblick auf die zum Einsatz kommenden sprachlichen Handlungen gilt, dass hier zwar ein gradueller Unterschied zwischen für Streit und für agonale Diskurse charakteristischen sprachlichen Handlungen besteht, aber ein fließender Übergang zwischen beiden herrscht. So sind beispielsweise eine Beschimpfung auf der einen und das Bezie-
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2 Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
hen einer Gegenposition auf der anderen Seite an den jeweiligen Extrema dieses Kontinuums anzusiedeln, Handlungen wie das Vornehmen einer negativen Wertung oder die Absprache der Wahrheit stehen hingegen in der Mitte und können sowohl im Streit als auch in agonalen Diskursen zum Einsatz kommen. Die Unterscheidung zwischen «gutem» und «bösem Streit» ist damit zwar theoretisch haltbar, nicht aber empirisch umsetzbar. Aufgrund dieser mangelnden Operationalisierbarkeit für die linguistische Analyse soll die Konzeptualisierung als «guter Streit» und eine damit einhergehende positive Bewertung von Agonalität keinen Eingang in einen linguistischen Agonalitätsbegriff finden.72 Dabei sei hervorgehoben, dass Agonalität nicht mit Streit gleichzusetzen ist und auch keinesfalls einer negativen Wertung unterliegt; vielmehr ist Agonalität als wertfreies Konzept aufzufassen.
2.4.6 Die Rolle des Dritten Ein Aspekt, der im Zusammenhang mit dem Agon bzw. dem Agonalen immer wieder diskutiert wird, ist die mögliche Einbindung eines Dritten. Dem zugrunde liegt die Frage danach, wie viele Beteiligte Agonalität voraussetzt und welche Rolle diese spielen. Diese Frage wird in der Forschung unterschiedlich beantwortet. In einigen Ansätzen wird die Beteiligung mindestens zweier Akteure vorausgesetzt. Diese Position vertritt zum Beispiel Kerbrat-Orecchioni (1980a, 8–9): «[L]a polémique implique l’existence de deux ‹débatteurs› au moins, c’est-à-dire de deux énonciateurs, occupant dans un même champ spéculatif deux positions antagonistes». Diese Position teilt auch André-Larochebouvy, wenn sie das «jeu [agonal]» als «une activité impliquant deux ou plusieurs joueurs» definiert (André-Larochebouvy 1984, 25). In konversationsanalytischer Tradition werden die Akteure hier als unmittelbar am Gespräch Beteiligte aufgefasst, als diejenigen, die miteinander diskutieren und debattieren; KerbratOrecchioni (1980a, 24) beschreibt ihre Rollen als «polémiqueur» und «destinataire du message polémique». Auf diese Weise an der Kommunikation beteiligt können zwei, aber auch mehr Akteure sein.73 In anderen Ansätzen wird darüber hinaus die Einbindung eines Dritten angenommen. Dies hat in der soziologischen Theoriediskussion schon lange Tradition
Cf. auch Mattfeldt (2018, 56). Die von Kerbrat-Orecchioni (1980a, 25) formulierte Frage «peut-on concevoir des polémiques engageant trois ou quatre camps antagonistes?» ist meines Erachtens eindeutig mit ja zu beantworten. Dies legen auch die Formulierungen «deux ‹débatteurs› au moins» bzw. «deux ou plusieurs joueurs» nahe.
2.4 Kriterien eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
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(s. bereits Simmel 1908; für einen Überblick cf. Lindemann 2010, 494–497). In der Agonalitätsforschung findet sich ein solcher Ansatz zum Beispiel in Lyotards «Agonistik des Diskurses», wenn der Widerstreit als «jeu à trois» (Lyotard 1983, 47) konzeptualisiert und der Kern der Agonistik im Erfolg vor dem Dritten gesehen wird (cf. Kapitel 2.3.2). Eine solche Position wird auch in der Forschung zum discours polémique vielfach vertreten. So hält zum Beispiel Amossy (2011, § 10) unter Bezugnahme auf Plantin (2003, 383) fest: «Les actants du débat polémique incluent non seulement un proposant et un opposant (fonctions que peuvent remplir différents acteurs), mais aussi un tiers, face auquel et souvent pour lequel, se joue la confrontation des discours.» Vergleichbares formuliert Roux (2013, 26): «Le discours polémique, littéraire ou non, est caractérisé, sur le plan énonciatif, par une situation d’énonciation tripolaire: le discours se déploie dans le cadre de l’opposition entre deux adversaires, le polémiste et sa cible, opposition portée à la vue d’un tiers, le destinataire, qui joue le rôle de témoin et d’arbitre.» Wie in diesen Darstellungen deutlich wird, handelt es sich beim tiers nicht um einen primär an der Kommunikation beteiligten Akteur; er ist vielmehr ein «unbeteiligter» Dritter, der das Geschehen von außen beobachtet; «c’est […] l’auditoire potentiel, la masse de tous ceux qui, d’une manière ou d’une autre, peuvent avoir accès au combat» (Albert/Nicolas 2010a, 22). Gleichwohl kommt diesem «unbeteiligten» Dritten eine zentrale Rolle zu, da er der eigentliche Adressat ist und über den Ausgang des Geschehens entscheidet: «le Tiers […] reste à conquérir […]. C’est à lui que s’adressent les adversaires, c’est avec lui qu’ils contractent leur ‹pacte› commun» (Albert/Nicolas 2010a, 21–22). Der Dritte ist folglich sehr wohl am Geschehen beteiligt, jedoch auch auf andere Art und Weise als die anderen Akteure; er kann nur insofern als unbeteiligt beschrieben werden, als dass er anwesend ist, aber nicht unmittelbar zu den konkurrierenden Akteuren zählt (s. auch Luhmanns Konzept des «beteiligten Unbeteiligten»).74 Auch in zahlreichen anderen Bereichen wird ein solcher Dritter postuliert. Bereits Dieckmann (1981, 265–269) prägte in Anlehnung an Edelman den Begriff der trialogischen Kommunikation und nennt beispielhaft die Plenardebatte sowie das Fernsehinterview. Neuere Ansätze zur Rolle des Dritten finden sich zum Beispiel in Charaudeau/Montes (2004). Auf der Grundlage dieser Ausführungen möchte ich im Hinblick auf Agonalität davon ausgehen, dass agonale Diskurse die Beteiligung mindestens zweier Akteure voraussetzen; die Einbindung eines Dritten hingegen erachte ich als möglich, aber nicht notwendig. Die Beteiligung mindestens zweier Akteure ist
Cf. Luhmann (1969/2017, 121–128; 1981/2016, 92–112; 2010/2015, 353–446).
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2 Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
Konsens aller oben referierten Ansätze. Für agonale Diskurse ist sie deshalb erforderlich, weil Agonalität die Konkurrenz verschiedener, akteursgebundener Perspektivierungen der Wirklichkeit beschreibt, die wiederum die Existenz mindestens zweier Akteure voraussetzen, denen diese zugeschrieben werden können. Die Zahl der beteiligten Akteure ist dabei nicht auf zwei beschränkt, sondern kann auch darüber hinaus gehen. Diese Akteure sind nicht nur Träger der konkurrierenden Perspektivierungen, sondern auch Handlungsträger im Diskurs; sie sind die Protagonisten agonaler Aushandlungsprozesse. Darüber hinaus kann ein Dritter in agonale Diskurse eingebunden sein. Historisch betrachtet scheint der Dritte essentiell, spielte er doch für den Agon der griechischen Antike eine konstitutive Rolle: Zu den an einem Agon Beteiligten zählten neben den aktiv Kämpfenden immer auch die Schiedsrichter und das Publikum, deren Aufgabe darin bestand, über den Ablauf des Agons zu wachen und über dessen Ausgang zu urteilen. Übertragen auf agonale Diskurse ist davon auszugehen, dass ein Dritter dann eingebunden ist, wenn es Rezipienten gibt, die zu keinem Zeitpunkt in die Rolle der Produzenten schlüpfen; sie sind Publikum, Zuschauer, Zuhörer. Typische Beispiele sind etwa TV-Duelle und TV-Interviews, in denen dem Fernseh- und ggf. Studiopublikum die Rolle des Dritten zukommt. Trotz seiner «Unbeteiligtheit» ist der Dritte von besonderer Relevanz, da er der eigentliche Adressat ist und über Sieg und Niederlage entscheidet. Seine Relevanz steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zur linguistischen Analyse, da sich der Dritte zumeist dem unmittelbaren Zugriff des Analysierenden entzieht, so zum Beispiel auch die Fernsehzuschauer im Fall des TV-Duells oder TVInterviews. Trotz alledem können agonale Diskurse auch ohne die Einbindung eines Dritten erfolgen. Dies gilt zum Beispiel für agonale Aushandlungsprozesse in der Alltagskommunikation, im privaten Umfeld, an denen in der Regel kein Dritter beteiligt ist und die sich auch nicht an einen Dritten richten. Wenngleich die Einbindung eines Dritten damit nicht als konstitutives Merkmal von Agonalität gelten kann, ist hervorzuheben, dass der Dritte in der Politik häufig eine zentrale Rolle spielt. Die besondere Relevanz des Dritten gerade für die politische Kommunikation stellte bereits Lyotard (1983, 215–216) heraus: «Dans les démocraties modernes, un supplément important à ce genre est apporté par la rhétorique de type ‹judiciaire› où il s’agit de persuader, non l’adversaire, mais le tiers qui est juge. C’est la polémique publique, la campagne d’opinion, la propagande: l’autre a tort, j’ai donc raison; il est indigne de votre confiance (on vise l’éthos de l’orateur adverse), il vous détourne de vos vraies fins (on vise le pathos de l’auditeur), tel n’est (donc) pas mon cas.»
2.5 Definition von Agonalität
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Von Öffentlichkeit und Mehrfachadressierung geprägt75 richtet sich politisches Sprachhandeln vielfach an einen Dritten, der, da in absentia, wenn überhaupt nur sekundär adressiert zu werden scheint, je nach Handlungszusammenhang aber letztlich primärer Adressat ist. Dies gilt für den Wahlkampf in besonderem Maße: Im Wahlkampf suchen die Kandidaten nicht die politischen Gegner zu überzeugen, sondern die Wähler, denn nicht die politischen Akteure selbst, sondern die Wähler entscheiden mit ihrer Stimmabgabe darüber, wer den Sieg davonträgt. Die Relevanz des Dritten für den Wahlkampf im Speziellen bestätigt auch KerbratOrecchioni (2017, 217), wenn sie die Rolle der Fernsehzuschauer eines politischen TV-Duells wie folgt beschreibt: «[L]es téléspectateurs […] sont les principaux arbitres du duel qui se déroule sous leurs yeux, et à qui il revient non seulement de compter les points tout au long du débat mais aussi, quelques jours plus tard, de convertir le score en bulletins de vote.» Der Erfolg vor dem Dritten ist hier das eigentliche Ziel politischen Sprachhandelns.
2.5 Definition von Agonalität Auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen soll nun der Versuch einer linguistischen Definition von Agonalität unternommen werden. Diese fußt auf der in den vorigen Kapiteln vorgenommenen breiten Auseinandersetzung mit dem Begriff, die von seinem konzeptionellen Ursprung in der griechischen Antike über die theorie- und ideengeschichtliche Rezeption in verschiedenen Disziplinen bis hin zu verschiedenen Kriterien eines linguistischen Agonalitätsbegriffs reicht. An die Definition wird der Anspruch gestellt, alle konstitutiven Aspekte von Agonalität zu berücksichtigen und in einem konsistenten Ansatz zusammenzuführen; zudem soll ein weites Verständnis von Agonalität zugrunde gelegt werden, das eine möglichst breite Anwendbarkeit des Begriffs erlaubt. Agonalität ist auf gr. ἀγών zurückzuführen und bezeichnet eine breit verstandene kompetitive Opposition zwischen zwei oder mehr konkurrierenden Perspektivierungen der Wirklichkeit, die verschiedenen Akteuren zugeordnet werden können. Agonalität manifestiert sich in kompetitiven Sprachspielen.76
Ausgangspunkt der Definition ist die Anknüpfung an den chronologischen und konzeptionellen Ursprung des Begriffs, den ἀγών der griechischen Antike. Es folgt das «Herzstück» der Definition, die Paraphrasierung von Agonalität als
Cf. ausführlicher Kapitel 2.7.1. Die Definition ist an die in Kapitel 2.4.1 dargelegte Definition Mattfeldts (2018, 56) angelehnt, modifiziert diese jedoch auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen.
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2 Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
«breit verstandene kompetitive Opposition zwischen zwei oder mehr konkurrierenden Perspektivierungen der Wirklichkeit». Agonalität beschreibt eine Situation der kompetitiven Opposition; eine kompetitive Opposition ist eine Relation des Gegensatzes, der darüber hinaus von einem kompetitiven Moment geprägt ist, kurz: eine Situation der Konkurrenz. Die kompetitive Opposition oder auch Konkurrenz besteht zwischen zwei oder mehr Perspektivierungen, d.h. akteursgebundenen Sichtweisen der Wirklichkeit, die im Diskurs in Konkurrenz zu einander treten. Damit setzt Agonalität die Beteiligung mindestens zweier Akteure voraus; die Einbindung eines «unbeteiligten» Dritten ist möglich, aber nicht zwingend erforderlich.77 Die konkurrierenden Perspektivierungen werden im Diskurs ausgehandelt; diese agonalen Aushandlungsprozesse lassen sich als kompetitive Sprachspiele beschreiben. Ziel der linguistischen Analyse agonaler Diskurse ist somit die Identifikation der «Regeln des agonalen Sprachspiels». Dem liegt die Annahme zugrunde, dass sich Agonalität sprachlich manifestiert. Diese sprachlichen Manifestationen von Agonalität erstrecken sich auf die Gesamtheit sprachlicher Mittel und Verfahren, die in Texten bzw. Diskursen zum Einsatz kommen. Von dieser Definition von Agonalität ausgehend, kann nun der Frage nachgegangen werden, wie sich Agonalität linguistisch bestimmen lässt, sprich welche Herangehensweisen es gibt, Agonalität in konkreten Texten bzw. Diskursen zu untersuchen.
2.6 Linguistische Bestimmbarkeit von Agonalität Auf der Grundlage der in Kapitel 2.5 vorgenommenen Definition von Agonalität kann der Anspruch auf linguistische Bestimmbarkeit von Agonalität erhoben werden. Dabei stellt sich die Frage, wie sich Agonalität linguistisch bestimmen lässt, d.h., welche Herangehensweisen es gibt, Agonalität konkret in Texten bzw. Diskursen zu untersuchen. Im Folgenden sollen sechs Ansätze vorgestellt werden, die eine Antwort auf diese Fragen bieten.
Da der «unbeteiligte» Dritte nicht als konstitutiv für Agonalität erachtet wird (cf. ausführlicher Kapitel 2.4.6), findet er keinen Eingang in die Definition. Vergleichbares gilt für die Frage nach einer möglichen Konzeptualisierung von Agonalität als «gutem Streit» und einer damit verbundenen positiven Bewertung von Agonalität. Diese wird zwar durch die Forschungsliteratur nahegelegt, lässt sich aber für die linguistische Analyse von Agonalität nicht operationalisieren. Agonalität wird hier daher weder positiv noch negativ bewertet, sondern als wertfreies Konzept definiert.
2.6 Linguistische Bestimmbarkeit von Agonalität
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Den Auftakt bildet der Ansatz der semantischen Kämpfe, der auf die längste und umfassendste Forschungstradition zurückblicken kann (Kapitel 2.6.1). Das Konzept der Agonalitätsindikatoren ist zwar deutlich weniger etabliert, wird aber in verschiedensten Ansätzen innerhalb der Agonalitätsforschung angesetzt und kann daher als ihr kleinster gemeinsamer Nenner gelten (Kapitel 2.6.2). Ein Ansatz, der erst in jüngerer Zeit entwickelt wurde und insbesondere in der germanistischen Diskurslinguistik Verbreitung findet, inzwischen aber auch Eingang in die romanistische Diskursforschung gefunden hat, ist das auf Felder zurückgehende Konzept der agonalen Zentren (Kapitel 2.6.3). Auf einer abstrakteren Ebene ist der von Mattfeldt entwickelte Ansatz der semantischen Dimensionen der Agonalität zu verorten (Kapitel 2.6.4). Ebenfalls in Verbindung mit Agonalität kann das aus der Kognitiven Linguistik stammende Konzept des Framings gebracht werden (Kapitel 2.6.5). In Weiterführung der bereits bestehenden Ansätze möchte ich ein Konzept entwickeln, das den Fokus auf einen handlungsorientierten Zugriff und damit auf die agonalen Aushandlungsprozesse selbst legt. Dieses möchte ich diskursive Kämpfe nennen (Kapitel 2.6.6).
2.6.1 Semantische Kämpfe Semantische Kämpfe sind schon lange Gegenstand der Forschung. Die Auseinandersetzung mit der Thematik setzt in den 1970er/1980er Jahren ein und umfasst neben der wissenschaftlichen auch die öffentlich-politische Debatte. Besonderes Augenmerk wird ihr in der an Politik interessierten Sprachwissenschaft (u.a. Keller 1977; Drigeard/Tournier 1989; Klein 1989b; Stötzel 1990; Liedtke/Wengeler/ Böke 1991; Stötzel/Wengeler 1995; Felder 2006b; Charaudeau 2015; Issel-Dombert/ Wieders-Lohéac 2018), in der begriffsgeschichtlich orientierten Politik- und Geschichtswissenschaft (u.a. Koselleck 1972; 1979/2013; Bergsdorf 1979; 1983; 1991; Greiffenhagen 1980) und nicht zuletzt in der praktischen Politik (u.a. Biedenkopf 1973; 1982; Geißler 1985; Glotz 1985; Hombach 1991; Domard 2018) geschenkt. Maßgeblich angestoßen wurde die Diskussion in Deutschland durch den damaligen CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf, der im Jahr 1973 auf dem 22. Bundesparteitag der CDU Folgendes konstatierte: «Sprache, liebe Freunde, ist nicht nur ein Mittel der Kommunikation. Wie die Auseinandersetzung mit der Linken zeigt, ist Sprache auch ein wichtiges Mittel der Strategie. Was sich heute in unserem Land vollzieht, ist eine Revolution neuer Art. Es ist die Revolution der Gesellschaft durch die Sprache. Die gewaltsame Besetzung der Zitadellen staatlicher Macht ist nicht länger Voraussetzung für eine revolutionäre Umwälzung der staatlichen Ordnung. Revolutionen finden heute auf andere Weise statt. Statt der Gebäude der Regierungen werden die Begriffe besetzt, mit denen sie regiert, […] die Begriffe, mit denen wir
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2 Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
unsere staatliche Ordnung, unsere Rechte und Pflichten und unsere Institutionen beschreiben. Die moderne Revolution besetzt sie mit Inhalten, die es uns unmöglich machen, eine freie Gesellschaft zu beschreiben, und es damit auch unmöglich machen, in ihr zu leben» (Biedenkopf 1973, 61).
Die Debatte um das Besetzen von Begriffen wurde von Biedenkopf und anderen Politikern fortgesetzt (cf. u.a. Biedenkopf 1982; Geißler 1985; Glotz 1985; Hombach 1991), aber auch von der Sprachwissenschaft aufgegriffen. Jene erkannte die Relevanz der Thematik, stellte aber die Problematik des Ausdrucks heraus, da weder Begriff noch besetzen sprachwissenschaftlich fixierte Termini und damit nur bedingt operationalisierbar sind (cf. u.a. Liedtke/Wengeler/Böke 1991; Klein 1991; 2017b; Wengeler 2017). Sprachwissenschaftlich etabliert haben sich hingegen insbesondere zwei Ausdrucksweisen: Wortkampf (auch Kampf um Wörter oder Kampf um Begriffe)78 und semantische Kämpfe79; im Französischen finden die Äquivalente bataille de(s) mots bzw. combat de(s) mots80 und bataille sémantique bzw. combat sémantique81 Verwendung. Ich möchte im Folgenden den von Keller (1977) geprägten und durch Felder (2006b) prominent gemachten Terminus semantische Kämpfe verwenden, der inzwischen in der Erforschung politischen Sprachgebrauchs fest etabliert ist (cf. Klein 2016). Mit Felder (2006c, 17) können semantische Kämpfe wie folgt definiert werden: «Unter ‹semantischem Kampf› wird […] der Versuch verstanden, in einer Wissensdomäne bestimmte sprachliche Formen als Ausdruck spezifischer, interessengeleiteter Handlungsund Denkmuster durchzusetzen. Dies kann auf unterschiedliche Weise geschehen: mittels Benennungsfestlegungen, Bedeutungs- oder Sachverhaltsfixierungsakten.»
Semantische Kämpfe können unterschiedliche Formen annehmen. In Anlehnung an die drei Konstituenten, in die sich das sprachliche Zeichen analytisch zerlegen lässt – Ausdruck (Bezeichnung), Konzept (Bedeutung) und Sachverhalt (Referenzobjekt) – werden drei Formen semantischer Kämpfe unterschieden (cf. Felder 2006c, 17, 36–37; cf. auch Klein 2016, 608): 1. Bezeichnungskonkurrenz: Unterschiedliche Ausdrücke werden zur Bezeichnung ein- und desselben Sachverhalts gebraucht. Felder (2006c, 17) spricht in diesem Zusammenhang von «Benennungsfestlegungen». Mit den unter-
Cf. u.a. Greiffenhagen (1980); Geißler (1985); Glotz (1985); Klein (1989b; 2017b); IsselDombert/Wieders-Lohéac (2018). Cf. Keller (1977); Koselleck (1979/2013); Stötzel (1990); Sötzel/Wengeler (1995); Felder (2006b); Klein (2016). Cf. u.a. Windisch (1987); Drigeard/Tournier (1989); Charaudeau (2015); Alduy (2017). Cf. u.a. Alduy/Wahnich (2015); Alduy (2017); Domard (2018).
2.6 Linguistische Bestimmbarkeit von Agonalität
2.
3.
69
schiedlichen Ausdrücken werden jeweils andere Aspekte des Sachverhalts in den Vordergrund gerückt. Bsp.: Den FN und seine Anhänger bezeichnet Le Pen als nationaux, Macron hingegen als nationalistes. Bedeutungskonkurrenz: Ein- und derselbe Ausdruck wird in unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht. Felder (2006c, 17) spricht hier von «Bedeutungsfixierungsakten». Mit einer solchen Umdeutung von Begriffen kann auch – muss aber nicht – eine Umwertung einhergehen. Auf die Bedeutungskonkurrenz bezieht sich auch das sogenannte Besetzen von Begriffen. Bsp.: Le Pen bezeichnete sich selbst und ihre Anhänger als patriotes, woraufhin Macron diesen Begriff übernahm und als Bezeichnung für sich und seine Anhänger verwendete. Der Begriff wird so von zwei verschiedenen Akteuren in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet, die jeweils versuchen, ihn für sich zu «besetzen».82 Sachverhaltsfixierungskonkurrenz: Vermeintlich oder tatsächlich identische Referenzobjekte werden durch die Verwendung spezifischer Ausdrücke auf unterschiedliche Weise konstituiert. Bsp.: Im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union setzt sich die französische Regierung für eine sogenannte Europe de la défense ein. Mélenchon bezeichnet diese stattdessen als Europe de la guerre, worin sich seine pazifistische, aber auch seine EU-kritische Haltung spiegelt.
Semantische Kämpfe stehen in direktem Zusammenhang zu Agonalität. Semantische Kämpfe sind eine Form strategischen Sprachhandelns, das im Zeichen des Strebens nach Deutungshoheit steht. Sie haben den Zweck, eine bestimmte Deutung bzw. Perspektivierung der Wirklichkeit dominant zu setzen. Sie zeugen damit vom Vorhandensein konkurrierender Perspektivierungen und sind folglich Ausdruck von Agonalität. In Anlehnung an Hermanns (1986; 1989) setzt Klein (1989b, 12–13, 23–27) als Sonderfall der Bedeutungskonkurrenz die Kategorie der deontischen Bedeutungskonkurrenz an (cf. auch Niehr 2014a; 2014c, 67–69; Klein 2016, 608–609, 612–613). Diese liege vor, wenn mit einem Ausdruck nicht nur eine Umdeutung vorgenommen werde, sondern damit zugleich auch eine Umwertung und eine implizite Aufforderung zur Handlung einhergehe. So sei etwa mit der Bezeichnung von Dingen oder Personen als Unkraut, Unrat, Ungeziefer oder Parasit der implizite Appell verbunden, diese Dinge oder Personen zu vernichten (cf. Niehr 2014a, 67). Mit Lebsanft (2018, 24–25) ist die Tatsache, Ausdrücken grundsätzlich ein solches «deontisches (handlungsanweisendes) Potential» (Niehr 2014c, 66) zuzuschreiben, kritisch zu sehen, da die Bedeutung bzw. der Sinn von Ausdrücken nicht kontextfrei, sondern vielmehr im Zusammenhang der Gesamtaussage und vor dem Hintergrund des jeweiligen Kontexts zu beurteilen ist.
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2 Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
Im Kampf um Deutungshoheit ist, wie der Ansatz der semantischen Kämpfe zeigt, die Lexik von besonderem Interesse. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Tatsache, Dinge zu benennen, die sogenannte Nomination, bei der Darstellung und Perspektivierung von Sachverhalten von besonderer Wichtigkeit ist. Hinzu kommt, dass auch durch einen Referenzausdruck bereits eine Prädikation erfolgt, die, da der Prädikationscharakter nicht offensichtlich ist, vom Rezipienten leichter akzeptiert wird und vom Produzenten keine Rechtfertigungsgründe fordert (cf. Girnth 2002/2015, 65–73). Die Lexik ist daher auch im Hinblick auf Agonalität von besonderem Interesse. Dies gilt für politischen Sprachgebrauch in besonderem Maße, wie die umfassende Forschung zu semantischen Kämpfen im politischen Sprachgebrauch, aber auch zur Lexik im Allgemeinen bezeugt.83 Ohne die Relevanz der Lexik in Abrede stellen zu wollen, muss jedoch hervorgehoben werden, dass zum einen auch die Lexik nicht isoliert, sondern nur im gesamten Äußerungszusammenhang betrachtet werden sollte, und dass zum anderen nicht nur die Lexik, sondern sämtliche Bereiche der Sprache für die Perspektivierung und Aushandlung konkurrierender Perspektivierungen eine Rolle spielen. Mit dem Konzept der diskursiven Kämpfe soll ein Konzept entwickelt werden, dass dieser Tatsache Rechnung zu tragen sucht (Kapitel 2.6.6).
2.6.2 Agonalitätsindikatoren Ein weiterer Ansatz zur linguistischen Bestimmung von Agonalität sind Agonalitätsindikatoren. Agonalitätsindikatoren werden – unter Verwendung unterschiedlicher Terminologie – von zahlreichen Ansätzen innerhalb der Agonalitätsforschung als Analysekategorie benannt und können damit als ihr kleinster gemeinsamer Nenner gelten. Der Ausdruck Agonalitätsindikatoren stammt von Felder (u.a. 2015, 110) und Mattfeldt (2018, u.a. 56), deren Terminologie ich damit übernehme; bei AndréLarochebouvy (1984, 151) entsprechen dem die signaux agonaux; Kerbrat-Orecchioni (1990–1994, vol. 2, 142–144; 2017, 169) spricht von marqueurs d’agôn bzw. agonèmes. Agonalitätsindikatoren sind sprachliche Mittel, die Agonalität, also eine
Die Lexik stand von Anfang an im Zentrum der Untersuchung politischen Sprachgebrauchs. Dies bezeugen Pionierarbeiten wie Dubois (1962) und Tournier (1975; 1992–2002) in Frankreich und Strauß/Zifonun (1986) und Klein (1989a) in Deutschland. Später gelangten auch andere Bereich in den Fokus der Aufmerksamkeit, doch spielt die Lexik bis heute eine wichtige Rolle in der «Politolinguistik». Aktuelle Forschungsüberblicke zur Lexik im politischen Sprachgebrauch bieten die entsprechenden Beiträge zum Handbuch Sprache und Politik (Busse 2017; Drommler 2017; Klein 2017b; Niehr 2017; Ziem 2017a) sowie zum Handbuch Sprache in Politik und Gesellschaft (Wengeler 2017; Ziem 2017b).
2.6 Linguistische Bestimmbarkeit von Agonalität
71
kompetitive Opposition, anzeigen. Agonalitätsindikatoren ermöglichen einen oberflächennahen, direkten Zugriff auf Agonalität im Diskurs und bieten so einen guten Ausgangspunkt für die Analyse von Agonalität auf einer höheren Abstraktionsebene, zum Beispiel für agonale Zentren, semantische Dimensionen der Agonalität oder diskursive Kämpfe. In der Forschung werden unterschiedliche Typen von Agonalitätsindikatoren unterschieden. Felder und Mattfeldt interessieren sich für Agonalitätsindikatoren verbaler Natur, wobei sie zwischen grammatischen und lexikalischen Agonalitätsindikatoren unterscheiden (cf. Felder 2018a, 32; Mattfeldt 2018, 102–189). Erstere sind grammatische Phänomene, die Agonalität anzeigen, wie zum Beispiel die Verneinung; letztere beziehen sich auf Lexeme, die aufgrund der ihnen inhärenten Semantik Agonalität indizieren, z.B. Auseinandersetzung, widersprechen, umstritten, dagegen (die Beispiele sind Felder 2018a, 32 entnommen). Lexikalische Agonalitätsindikatoren können unterschiedlichen Wortarten angehören; Mattfeldt (2018, 172–176) nennt Substantive, Verben, Adjektive, Adverbien, Konjunktionen und Präpositionen. Formal kann es sich bei Agonalitätsindikatoren nach Mattfeldt (2018, 57, 186) um Morpheme, Lexeme, Syntagmen, Sätze oder satzübergreifende Strukturen handeln. Wie Kerbrat-Orecchioni herausstellt, können Agonalitätsindikatoren nicht nur verbaler, sondern auch nonverbaler und paraverbaler Natur sein (cf. Kerbrat-Orecchioni 1990–1994, vol. 2, 145) und sich darüber hinaus auch auf die Ebene der Gesprächsorganisation beziehen (cf. Kerbrat-Orecchioni 2017, 194–195, 224). Dies reflektiert den konversationsanalytischen Ansatz KerbratOrecchionis. Mit der Unterscheidung in marqueurs d’agôn und agonèmes (cf. ausführlicher infra) legt Kerbrat-Orecchioni darüber hinaus den Fokus auf die Funktion entsprechender Einheiten. Letzteres gilt auch für André-Larochebouvy (1984, 159–163), die die sogenannten «signaux agonaux» anhand ihrer Funktionen in drei Kategorien einteilt, die in der Reihenfolge ihrer Aufzählung einen zunehmenden Grad der Agonalität aufweisen: 1. Die «signaux de différenciation et de distanciation» dienen dazu, «[de] marquer la spécificité du locuteur par rapport aux autres participants». Dazu zählen Wendungen wie moi, je, je ne vois pas pourquoi oder auch das Adverb mais. 2. Zu den «signaux d’opposition» zählen z.B. das Adverb quand même, die Negationspartikel non und Formen des «refus» bzw. der «réfutation» (z.B. ce n’est pas vrai). 3. Die «signaux de polémique» dienen in der Regel dazu, dem Gegenüber eine Abfuhr («rebuffade») zu erteilen oder ihn zu beleidigen («insulte»). Die Formen können sehr divers sein und gehen oft mit Anspielungen und Ironie einher.
72
2 Zur Explikation eines linguistischen Agonalitätsbegriffs
Die verschiedenen Ansätze zusammenfassend lassen sich in formaler Hinsicht folgende Typen von Agonalitätsindikatoren unterscheiden: Typ
Beispiel
nonverbal paraverbal verbal
Kopfschütteln Anheben der Lautstärke anti-, mais, combat, je ne suis pas d’accord Verneinung Unterbrechung
Gesprächsorganisation
lexikalisch grammatisch
Abbildung 1: Typologie von Agonalitätsindikatoren.
Neben formalen sind jedoch auch funktionale Aspekte von besonderer Relevanz. Dies schlägt sich nicht nur in der Klassifikation der Agonalitätsindikatoren nach funktionalen Kriterien bei André-Larochebouvy nieder, sondern auch in der von Kerbrat-Orecchioni (1990–1994, vol. 2, 142–144; 2017, 169) vorgeschlagenen Zweiteilung in formale Einheiten, die sogenannten marqueurs d’agôn, und funktional-pragmatische Einheiten, die sogenannten agonèmes. Demzufolge beruht ein agonème in formaler Hinsicht auf einem marqueur d’agôn, einem Oberflächenphänomen, weist darüber hinaus jedoch semantisch-pragmatische Eigenschaften auf, aus denen sein «agonaler Wert» (valeur agonale) erst resultiert. Als Beispiel nennt Kerbrat-Orecchioni die Unterbrechung: Diese kann ein marqueur d’agôn sein, wird aber erst dadurch, dass der Sprecher durch diese Unterbrechung einen Dissens markiert oder einen Angriff auf den Gegner verübt, Teil eines agonème; wenn ein Sprecher hingegen den anderen unterbricht, um seine Zustimmung auszudrücken, hat die Unterbrechung keine agonale Funktion und ist nicht Teil eines agonème (cf. Kerbrat-Orecchioni 2017, 169). Agonalitätsindikatoren sind folglich als eine in hohem Maße kontextabhängige Kategorie zu begreifen (cf. auch Kerbrat-Orecchioni 1990–1994, vol. 2, 142–144; 2017, 169). Kontextunabhängig kann über eine bestimmte Form lediglich gesagt werden, dass sie über ein mehr oder weniger großes agonales Potenzial verfügt; ihr tatsächlicher agonaler Wert aber ist im Einzelfall und in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext zu bestimmen. Neben der Kontextabhängigkeit weisen Agonalitätsindikatoren nach Mattfeldt (2018, 67) weitere zentrale Eigenschaften auf. Agonalitätsindikatoren können
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mehr oder weniger stark agonal wirken (Grad/Stärke der Agonalität), mehr oder weniger frequent sein (Häufigkeit), diskursabhängig oder diskursunabhängig sein (Diskursspezifik).84
Für die Identifikation von Agonalitätsindikatoren bedarf es geeigneter Kriterien, die es erlauben, ein sprachliches Mittel als Agonalitätsindikator zu klassifizieren. Mattfeldt (2018, 56–57) nennt dafür folgende Kriterien: – «Sie müssen auf eine Gegenüberstellung verweisen bzw. diese beschreiben, sie als faktisch charakterisieren oder sie andeuten – sie müssen also die Agonalität an sich markieren oder – sprachlich einen Wettstreit konstruieren oder benennen, also die Akteure, die den Wettstreit austragen, in Konkurrenz setzen oder – die Existenz eines Konflikts implizieren oder – metasprachlich darauf hinweisen, dass Konfliktparteien oder Wettstreit existieren.» Diese Kriterien sollen auch der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegen, wobei sie auf der Grundlage der hier entwickelten Definition von Agonalität wie folgt modifiziert werden: – Agonalitätsindikatoren müssen auf eine kompetitive Opposition verweisen bzw. diese beschreiben, sie als faktisch charakterisieren oder sie andeuten – sie müssen also die Agonalität an sich markieren oder – sprachlich eine Konkurrenz konstruieren oder benennen, also die Akteure, die sprachlich partizipieren, in Konkurrenz setzen oder – die Existenz widerstreitender Perspektivierungen implizieren oder – metasprachlich darauf hinweisen, dass eine kompetitive Opposition existiert. Erfüllt ein sprachliches Mittel eines dieser Kriterien, handelt es sich um einen potenziellen Agonalitätsindikator. Ein methodischer Ansatz, wie die Analyse von Agonalitätsindikatoren in der Praxis erfolgen kann, wird in Kapitel 4.3.1 beschrieben. In der Identifikation von Agonalitätsindikatoren kann eines der zentralen Ziele der Untersuchung von Agonalität gesehen werden. Das umfassendste Inventar sprachlicher Agonalitätsindikatoren hat Mattfeldt (2018) für das Deutsche und Englische erarbeitet. Für das Französische steht ein solches noch aus; erste Diskursabhängige Agonalitätsindikatoren können zum Beispiel frequente Wörter und Schlüsselwörter in einem bestimmten Diskurs sein; diskursunabhängige Agonalitätsindikatoren sind Wörter, die unabhängig vom jeweils untersuchten Diskurs über ein sehr hohes agonales Potenzial verfügen.
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Ansätze bieten u.a. André-Larochebouvy (1984, 152–163), Kerbrat-Orecchioni (1990–1994, vol. 2, 141–155; 2017, 167–225), Münch (2018, 12–13) und Weiland (2020, 128). Eines der zentralen Ziele der vorliegenden Arbeit besteht darin, einen Beitrag zur Inventarisierung von Agonalitätsindikatoren im Französischen zu leisten. Ohne die Relevanz von Agonalitätsindikatoren in Frage zu stellen, sei abschließend zu bedenken gegeben, dass Agonalität auch vorhanden sein kann, ohne dass dies an der sprachlichen Oberfläche durch Agonalitätsindikatoren angezeigt wird.85 Die Agonalität bleibt dann implizit; ein solches implizites Vorhandensein von Agonalität kann nur bedingt durch einen Zugriff über die sprachliche Oberfläche und ganz sicher nicht automatisiert erschlossen werden, sondern erfordert vielmehr Analyseverfahren des Impliziten. Dem wird im hier entwickelten methodischen Ansatz durch eine hermeneutisch-pragmatische Herangehensweise Rechnung getragen (cf. Kapitel 4.2.1).
2.6.3 Agonale Zentren Um die Untersuchung von Agonalität im Diskurs – verstanden als Gesamtheit der Aussagen zu einem Thema – linguistisch zu operationalisieren, entwickelt Felder (2012; 2013; 2015; 2018a) das Konzept der agonalen Zentren. Agonale Zentren sind zentrale «Streitpunkte» (Felder 2012, 118) im Diskurs, also in Bezug auf das Oberthema relevante und besonders umstrittene inhaltliche Aspekte: «Unter agonalen Zentren verstehe ich einen sich in Sprachspielen manifestierenden Wettkampf um strittige Akzeptanz von Ereignisdeutungen, Handlungsoptionen, Geltungsansprüchen, Orientierungswissen und Werten in Gesellschaften» (zuerst in Felder 2012, 163). Agonale Zentren liegen vor, wenn in Bezug auf ein handlungsleitendes Konzept86 konfligierende Standpunkte vertreten werden, die die Akteure bewusst oder unbewusst durchzusetzen versuchen. In agonalen Zentren kristallisieren sich «zentrale und umstrittene Grundannahmen – also konfligierende Geltungsansprüche von Wahrheitsaussagen» (Felder 2015, 109). Diese umstrittenen Grundannahmen sind Gegenstand diskursiver Aushandlungsprozesse, sogenannter «kompetitive[r] Sprachspiele» (Felder 2012, 163). Agonale Zentren zeugen von einem «Wettkampf» konkurrierender Perspektivierungen, von einem Cf. auch Kerbrat-Orecchioni (2017, 222–223). Handlungsleitende Konzepte sind «Konzepte bzw. Begriffe der sprachlichen Inhaltsseite, welche die Textproduzenten bei der Konstituierung und Vermittlung von Sachverhalten unbewusst verwenden oder bewusst versuchen durchzusetzen» (Felder 2006c, 18).
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«Wettstreit diskursiv geprägter Weltausschnitte […], die alle um möglichst breite Akzeptanz und Gültigkeit werben» (Felder 2012, 165). Agonale Zentren können im Diskurs verschiedenen Transformationsprozessen unterliegen und sind daher nicht statisch, sondern dynamisch (cf. Felder 2015, 109; 2018a, 31). In der Regel haben agonale Zentren eine dichotomische Struktur, d.h., dass sich zwei konfligierende Standpunkte im Hinblick auf einen zentralen Streitpunkt gegenüberstehen, doch seien neben bipolaren auch tripolare agonale Zentren denkbar (cf. Felder 2015, 110–111; 2018a, 32). Zur Bestimmung agonaler Zentren entwickelt Felder einen ausdifferenzierten methodischen Ansatz, der sich in das von ihm entwickelte Untersuchungsprogramm der pragma-semiotischen Textarbeit einschreibt. Ausgehend von der Annahme, dass agonale Zentren auf sprachlichen Mustern beruhen, erfolgt ihre Analyse auf der Grundlage wiederkehrender Ausdrücke im Diskurs (cf. Felder 2015, 111; 2018a, 33). Dies kann mittels eines grammatischen oder eines lexikalischen Zugangs erfolgen. Der grammatische Zugang setzt an konzessiven, adversativen und substitutiven Konnektoren87 an, die eine Inkompatibilität von Sachlagen präsupponieren und daher als Agonalitätsindikatoren aufgefasst werden. Es gilt, die Kookkurrenzpartner, also die Lexeme, die überzufällig häufig in der kotextuellen Umgebung (in der Regel 10 Tokens vor und nach dem Konnektor) der Konnektoren auftreten, zu ermitteln. Der lexikalische Zugang erfolgt über eine Analyse der Kotexte diskursspezifischer und diskursunspezifischer Agonalitätsindikatoren. Die Ergebnisse werden sogenannten «Sinnbezirken» zugeordnet, auf deren Grundlage in einem «induktiv hermeneutischen Verfahren» die agonalen Zentren «als abstrahierte Dichotomien handlungsleitender Konzepte» benannt werden (Felder 2015, 111). Agonale Zentren sind somit letztlich «Konzepte mittleren Abstraktionsgrades, die sich induktiv aus der Textlektüre ergeben» (Felder 2015, 110). Agonale Zentren wurden zum Beispiel in Diskursen über die Sterbehilfe (Felder 2015), das Mensch-Natur-Verhältnis (Mattfeldt 2018), Sicherheit und Überwachung in Frankreich (Weiland 2020) oder auch in Sprachpflegediskursen in Deutschland und Frankreich (Neusius 2021) untersucht. Agonale Zentren in Diskursen über Sterbehilfe sind z.B. «Selbstbestimmung des Patienten ist grundsätzlich möglich» vs. «Fremdbestimmung des Patienten ist vorherrschende Realität» oder auch «Freier Wille des Patienten ist grundsätzlich ermittelbar» vs. «Wille des Patienten ist stets beeinflusst und von außen instruiert» (cf. Felder 2015). Agonale Zentren weisen insofern eine Nähe zu semantischen Kämpfen auf, als dass beide Konzepte Aufschluss über umstrittene inhaltliche Aspekte geben. Der Unterschied zwischen den Konzepten wird darin gesehen, dass agonale Zen-
Zu Konnektoren cf. Kapitel 6.1.1.1.
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tren vom Standpunkt des Analytikers aus gedacht seien, semantische Kämpfe hingegen vom Standpunkt der Akteure aus: «Agonale Zentren sind vom Diskursanalytiker herausdestillierte und benannte handlungsleitende Konzepte, die als Streitpunkte einer diskursiven Auseinandersetzung ex post, induktiv und mit hermeneutischem Erkenntnisinteresse ausgemacht werden können. Im Unterschied dazu fokussiert der Ansatz des semantischen Kampfes die Perspektive der Diskursakteure, die bestimmte sprachliche Muster (bewusst oder unbewusst) zur Durchsetzung ihrer Wirklichkeitskonstitution (Perspektive) präferieren» (Felder 2012, 138).
Die auf diese Weise getroffene Unterscheidung lässt sich in zweierlei Hinsicht hinterfragen. Zum einen ist davon auszugehen, dass auch Akteure grundsätzlich die Fähigkeit besitzen, umstrittene inhaltliche Aspekte in Bezug auf ein Thema zu erkennen und zu benennen; wer dies bestreitet, muss zumindest anerkennen, dass Akteure über derartige Streitpunkte in Kenntnis gesetzt werden können und diese dann kognitiv und sprachlich verarbeiten können. Zum anderen ist auch denkbar, dass auch semantische Kämpfe vom Analytiker konstruiert werden können, ohne dass die Akteure diese gezielt ausgefochten hätten (Felder selbst weist darauf hin, dass die Verwendung sprachlicher Muster zur Durchsetzung einer bestimmten Wirklichkeitskonstitution durch die Akteure auch unbewusst erfolgen kann). Insgesamt mag zwar von einer unterschiedlichen Perspektivierung beider Konzepte ausgegangen werden, doch kann dies weder bedeuten, dass die Akteure bei agonalen Zentren keine Rolle spielen würden, noch dass semantische Kämpfe nicht auch vom Analytiker rekonstruiert würden. Insgesamt scheint der konzeptionell und vor allem methodisch sehr ausdifferenzierte Ansatz der agonalen Zentren vor allem dann besonders gewinnbringend, wenn Gegenstand der Untersuchung ein bestimmtes Thema ist, zumeist ein Thema von gesamtgesellschaftlicher Relevanz und Brisanz, wie zum Beispiel der Sterbehilfediskurs, und wenn darüber hinaus die Untersuchung auf der Grundlage eines sehr großen Korpus erfolgt. Zeichnet sich das untersuchte Material nicht durch ein gemeinsames Thema aus, ist die Untersuchung agonaler Zentren nur bedingt möglich bzw. sinnvoll. Zum einen sind die ermittelten relevanten Lexeme dann sehr heterogen und ihre Zuordnung zu Sinnbezirken ist nicht oder nur schwer möglich; zum anderen steht die Erschließung des Themas nicht im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. Ein kleines Korpus wiederum liefert zu wenig Treffer für die zu analysierenden adversativen, konzessiven und substitutiven Konnektoren, weshalb die entsprechenden Kotexte keine ausreichende Datengrundlage für die Analyse agonaler Zentren bieten. Beides trifft auf die vorliegende Arbeit zu, weshalb ich auf eine Analyse agonaler Zentren verzichten möchte. Die grundsätzliche Relevanz agonaler Zentren und ihrer Analyse soll damit jedoch keineswegs in Abrede gestellt werden.
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2.6.4 Semantische Dimensionen der Agonalität Während agonale Zentren diskursspezifisch sind, indem sie Streitpunkte in Bezug auf ein konkretes Thema darstellen, entwickelt Mattfeldt (2018) mit den sogenannten semantischen Dimensionen der Agonalität eine Herangehensweise, die Agonalität unabhängig von einem spezifischen Diskursthema zu bestimmen sucht. Semantische Dimensionen der Agonalität sind allgemeine (d.h. diskursunspezifische) semantische Kategorien, die Teilbedeutungen von Agonalität darstellen: «Unter Dimensionen der Agonalität werden hier semantische Muster verstanden, die sich mit unterschiedlichen sprachlichen Indikatoren auf der Sprachoberfläche zeigen und eine Abstraktionsebene über den agonalen Zentren, die sich ganz konkret auf Diskurse beziehen […], stehen» (Mattfeldt 2018, 69). Mattfeldt (2018, 69–102, 142) unterscheidet zwölf semantische Dimensionen der Agonalität:88 1. AGONALITÄT DER EXPLIZITEN GEGENÜBERSTELLUNG: prototypische Dimension der Agonalität, in der zwei Sachverhalte, Akteure oder Konzepte explizit kontrastiert werden 2. AGONALITÄT DER ZEITLICHEN GEGENÜBERSTELLUNG: Gegenüberstellung von zwei oder mehr Zeitpunkten, oft verbunden mit einer Auf- oder Abwertung einer der Zeitebenen 3. AGONALITÄT DER RELEVANZKONKURRENZ: Zwei oder mehr Sachverhalte, Ansichten oder Akteure konkurrieren im Diskurs um Relevanz. 4. AGONALITÄT DER (NEGATIVEN) WERTUNG: Ein Sachverhalt, ein Akteur etc. werden explizit bewertet; besonders wichtig ist dabei die negative Wertung. 5. AGONALITÄT DER NEGATIVEN EMOTIONEN: Negative Emotionen dienen dazu, einen Sachverhalt o.ä. abzuwerten; sie können außerdem dem Gegner zugeschrieben werden, um ihn als nicht rational zu charakterisieren. 6. AGONALITÄT VON SCHEIN UND SEIN: Die Faktenlage ist ungeklärt oder es existieren verschiedene Ansichten zur Wahrheit. 7. AGONALITÄT DER LEXIKALISCHEN GEGENÜBERSTELLUNG: Durch Weltwissen und lexikalisches Wissen wird implizit klar, dass es Konfliktpotenzial gibt. 8. AGONALITÄT DER EXTERNEN HANDLUNGSAUFFORDERUNG: Ein Akteur wird durch andere Akteure oder eine äußere Situation zu einer Verhaltensweise gebracht, die er sonst möglicherweise nicht gewählt hätte. Dabei spielen Aspekte wie Macht und Machtgefälle, Zwang und Verbot eine Rolle. 9. AGONALITÄT DER ENTSCHEIDUNGSTHEMATISIERUNG: Eine Entscheidungssituation zwischen mindestens zwei entgegengesetzten Alternativen wird thematisiert.
Die folgende Darstellung ist angelehnt an Tabelle 14 in Mattfeldt (2018, 186–189).
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10. BEENDEN DES AGONALEN ZUSTANDS: Mit dem Beilegen eines Konflikts wird auch der zuvor stattgefundene Konflikt aufgegriffen. 11. AGONALITÄT DER NICHT EINGETRETENEN OPTION: Eine fiktionale Welt, die eine Alternative zur eingetretenen Option bildet, wird thematisiert. 12. AGONALITÄT DER NEGATION: Mit Negationen wird die Gültigkeit einer Proposition außer Kraft gesetzt. Die semantischen Dimensionen der Agonalität erlauben es, das konzeptionell sehr breit angelegte Phänomen der Agonalität in verschiedene inhaltliche Facetten zu untergliedern. Dies erscheint in zweifacher Hinsicht als besonders gewinnbringend: Zum einen wird das Konzept der Agonalität auf diese Weise in seiner Vielfalt und Ausdifferenziertheit erfasst und damit theoretisch geschärft; zum anderen lassen sich die sprachlichen Manifestationen von Agonalität den verschiedenen semantischen Dimensionen von Agonalität zuordnen, weshalb die semantischen Dimensionen eine stützende und kategorisierende Funktion bei der empirischen Analyse haben können. Letzteres führt Mattfeldt vor Augen, indem sie prototypische Korrelationen zwischen semantischen Dimensionen der Agonalität auf der einen Seite und Agonalitätsindikatoren auf der anderen Seite herausarbeitet. Dieses Vorgehen soll in der vorliegenden Arbeit auf Agonalitätsindikatoren im Französischen übertragen und auf weitere Analysekategorien – agonale Diskurshandlungen im Speziellen – ausgeweitet werden.
2.6.5 Framing Ein weiterer Ansatz, der mit Agonalität in Verbindung gebracht werden kann, ist das jüngere, aus der Kognitiven Linguistik stammende Konzept des Framings. Aufbauend auf der These, dass Frames als Wissensrahmen unser Denken strukturieren (cf. grundlegend Minsky 1974 und Fillmore 1985 sowie den Überblick bei Busse 2012), bezeichnet Framing den Prozess der gezielten Einbettung von Sachverhalten in bestimmte Deutungsrahmen: «That is what framing is about. Framing is about getting language that fits your worldview. It is not just language. The ideas are primary – and the language carries those ideas, evokes those ideas» (Lakoff 2004, 4; cf. auch Wehling 2017). Dabei wird davon ausgegangen, dass es sich beim Framing um einen Automatismus handele, bei dem der Mensch durch sprachlich induziertes Framing emotional konditioniert werde: «Frames bewerten und interpretieren also. Und sie sind erst einmal über Sprache – etwa jener in öffentlichen Debatten – in unseren Köpfen aktiviert, so leiten sie unser Denken und Handeln an, und zwar ohne dass wir es merkten» (Wehling 2016, 18); «Unsere Erfahrungen langen gleich einer unsichtbaren Hand in unser Gehirn
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und formen es, ohne dass wir etwas davon mitbekämen» (Wehling in Lakoff/ Wehling 2008/2014, 18). Framing weist insofern einen Bezug zu Agonalität auf, als dass das Konzept des Framings der Frage nachgeht, wie mit Sprache bestimmte Deutungsmuster bewusst oder unbewusst vorgegeben werden (cf. Lakoff 2004; Lakoff/Wehling 2008/2014; Wehling 2016; 2017). In Diskursen können verschiedene Deutungsmuster konkurrieren und damit Ausdruck von Agonalität sein. Die Relevanz von Framing für Agonalität wird auch dadurch unterstrichen, dass Framing, wie Lakoff (2004, 15) nicht zuletzt explizit fordert, gezielt in der Politikberatung eingesetzt wird: «What we need to do […] is to set up institutes within the universities and outside the universities. We have to do research, we have to write books, we have to endow professorships to teach these people the right way to think».89 Die Anwendungsmöglichkeiten der Framing-Theorie demonstriert Lakoff (2004) am Beispiel der US-amerikanischen Politik und Wehling (2016), durch Lakoff inspiriert (cf. Lakoff/Wehling 2008/2014), am Beispiel der deutschen Politik. Die Framing-Theorie an sich und ihr gezielter Einsatz in der Politikberatung sind, wie etwa die öffentliche Kontroverse um das Framing-Manual von Elisabeth Wehling für die ARD deutlich gemacht hat,90 nicht unumstritten. Aus theoretischer Sicht steht dabei insbesondere die Annahme, dass es sich beim Framing um einen Automatismus handele, im Fokus. Auch wenn Sprache zweifelsohne zu einem großen Teil unbewusst wirken kann und wirkt, ist doch zu hinterfragen, inwiefern es sich dabei um einen unaufhaltsamen Automatismus handelt. Wie Lebsanft (2018, 21) in Bezug auf politische Diskurse bzw. Texte richtigerweise darlegt, sind «die sprachlich und argumentativ zugrundeliegenden Muster solcher Texte für die Adressaten politischer Rede prinzipiell durchschaubar und rational hinterfragbar». Zugleich gilt freilich, dass sich gerade die Kommunikation im Wahlkampf an ein breites Publikum richtet, das – grob verallgemeinert – in der Summe durchaus empfänglich für «geframte» Botschaften ist, wenngleich einzelne hinter die kognitive und rhetorische Fassade zu schauen in der Lage (und bereit) sind. Aufgrund dieser prinzipiell bestehenden Möglichkeit – sowie
Ein solches Institut ist zum Beispiel das in Washington, D.C. sitzende FrameWorks Institute, das sich die Sprachberatung durch Framing zur Kernaufgabe macht: «The FrameWorks Institute is a nonprofit think tank that advances the mission-driven sector’s capacity to frame the public discourse about social and scientific issues. The organization’s signature approach, Strategic Frame Analysis®, offers empirical guidance on what to say, how to say it, and what to leave unsaid» (FrameWorks Institute 2019). Das von Elisabeth Wehling für die ARD verfasste Framing-Manual (Berkeley International Framing Institute 2017) wurde 2019 bei Netzpolitik.org veröffentlicht. Zur Kontroverse cf. das Interview mit Elisabeth Wehling in Die Zeit (Cwiertnia/Wehling 2019).
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vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Framing (noch) nicht empirisch nachweisbar ist – erscheint eine radikal kognitivistische Sicht zumindest mit gewissen Herausforderungen behaftet; Herausforderungen, denen gerade eine hermeneutisch-pragmatische Herangehensweise, wie sie in Kapitel 4.2.1 expliziert wird, zu begegnen vermag.
2.6.6 Diskursive Kämpfe Ein Aspekt, der in der Agonalitätsforschung immer wieder aufscheint, ist der der sprachlichen Aushandlungsprozesse. Es geht um «[d]ie agonale Aushandlung von Geltungsansprüchen in Diskursen» (Mattfeldt 2018, 158), um die «Durchsetzung von interessegeleiteten Handlungs- und Denkmustern» (Warnke 2009, 135); es ist die Rede von der «agonalen Auseinandersetzung» (Kämper 2018, 66) und der «Aushandlung strittiger Themen» (Müller 2018a, 97); Agonalität manifestiere sich in «kompetitive[n] Sprachspiele[n]» (Felder 2012, 136 sowie Kapitel 2.5), in einem «jeu agonal» (André-Larochebouvy 1984, 28). Diesen Aspekt der sprachlichen Aushandlung möchte ich ins Zentrum stellen und einen Ansatz entwickeln, der es erlaubt, eben jene Prozesse sprachlicher Aushandlung, die für agonale Diskurse so zentral zu sein scheinen, zu erfassen. Zu ihrer Bezeichnung schlage ich den Ausdruck diskursive Kämpfe vor. Im Folgenden soll erläutert werden, was unter diskursiven Kämpfen zu verstehen ist und worin die Relevanz derselben für agonale Diskurse und deren Analyse besteht. Dazu wird das Phänomen zunächst ausdrucks- und inhaltsseitig in den Blick genommen, um auf dieser Grundlage schließlich zu einer Definition des Konzepts zu gelangen. Das Konzept der diskursiven Kämpfe knüpft ausdrucks- wie inhaltsseitig an das der semantischen Kämpfe an, hebt dieses aber zugleich auf die Ebene des Diskurses. Ausdrucksseitig schreibt der Terminus diskursive Kämpfe die Tradition einer Beschreibungssprache fort, mit der signalisiert wird, dass mit und um Sprache gekämpft wird. Diese Idee ist keineswegs neu: Schon lange ist die Rede vom Wortkampf, von semantischen Kämpfen, vom Besetzen von Begriffen, vom Wort als Waffe, vom Krieg der Worte oder auch vom verbalen Krieg.91 All diese Formulierungen beruhen letztlich auf einer konzeptuellen Metapher, mittels der Eigenschaften aus der Quelldomäne KAMPF auf die Zieldomäne SPRA Dies gilt sowohl für die linguistische Fachsprache als auch für die Alltagssprache. Auch betrifft es nicht nur das Deutsche, sondern auch andere Sprachen. Exemplarisch seien für das Französische genannt: combat/bataille des mots, combat/bataille sémantique, lutte verbale, duel langagier, guerre verbale, guerre des mots.
2.6 Linguistische Bestimmbarkeit von Agonalität
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übertragen werden. Bereits Lakoff/Johnson (1980, 4) beschreiben diese, von ihnen als ARGUMENT IS WAR bezeichnete Metapher, deren Pertinenz seitdem durch zahlreiche Studien bezeugt wurde.92 In der kognitiven Metapherntheorie wird davon ausgegangen, dass konzeptuelle Metaphern nicht nur die Sprache, sondern auch das menschliche Denken und Handeln grundlegend prägen – so die Grundannahme des epochemachenden Werks Metaphors We Live By von George Lakoff und Mark Johnson (Lakoff/Johnson 1980). Angewandt auf den Ausdruck diskursive Kämpfe folgt daraus, dass dieser Zeugnis davon ablegt, dass Sprache bzw. der Gebrauch, der von Sprache durch die Sprecher in einem bestimmten Kontext gemacht wird, als Kampf konzeptualisiert wird.93 Aufschluss darüber, was es bedeutet, Sprache als Kampf zu konzeptualisieren, vermag eine semasiologische Analyse von Kampf zu geben.94 Im Duden wird der semantische Inhalt des Lexems wie folgt wiedergegeben: CHE
«1. größere militärische Auseinandersetzung feindlicher Truppen 2. a) handgreiflich, auch mit Waffen geführte, heftige Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehreren [persönlichen] Gegnern b) heftig ausgetragene Kontroverse zwischen Gegnern hinsichtlich ihrer Auffassungen, Interessen, Ziele c) (Sport) sportlicher Wettkampf 3. fortgesetzte angestrengte Bemühung zur Erreichung oder Verhinderung von etwas 4. innerer Zwiespalt, inneres Ringen um etwas» (Duden, s.v. Kampf).
Wie die Definition zeigt, verfügt Kampf über mehrere Bedeutungsvarianten und ist somit polysem. Das Spektrum reicht von wörtlichen bis hin zu abstrakten Bedeutungsvarianten, die sich in verschiedenen semantischen Merkmalen unterscheiden. Zu diesen zählt zum einen die Frage, ob zwei oder mehr Akteure an
Z.B. Ritchi (2003); Deignan (2008); Vereza (2008); Rolland-Lozachemeur (2016); Winters (2020). Cf. auch Kapitel 6.1.2.4. Frametheoretisch gesprochen wird durch den Ausdruck diskursive Kämpfe der KampfFrame aktiviert und als Deutungsrahmen für Sprache vorgegeben. In der Kognitiven Linguistik werden Frames als Wissensrahmen begriffen, die eine «grundlegende Ordnungsstruktur von semantischem Wissen sowie ein analytisches Werkzeug zur Untersuchung ebendieser Strukturen» (Ziem 2014, 154) darstellen. Als bildhafte Ausdrücke geben konzeptuelle Metaphern einen Deutungsrahmen vor und sind damit untrennbar verbunden mit Frames. Diese Analyse müsste darüber hinaus auf weitere Sprachen übertragen werden. Im Französischen ist die Lage ungleich komplexer, da das Konzept KAMPF (mindestens) mittels dreier Ausdrücke versprachlicht werden kann, bataille, combat und lutte. Wie eine semasiologische Analyse dieser Ausdrücke zeigt, sind alle drei polysem und im Hinblick auf manche ihrer Teilbedeutungen synonym; auf eine detaillierte Analyse wird an dieser Stelle aus Gründen der Praktikabilität verzichtet (cf. aber Kapitel 6.1.2.4).
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dem Kampf beteiligt sind (trifft auf Bedeutungsvarianten 1 und 2 zu) oder ob der Kampf von nur einem Akteur alleine ausgetragen wird (3 und 4), und zum anderen die Frage, ob zum Kampf notwendigerweise auch physische Taten gehören (1, 2a, 2c) oder ob er ausschließlich mit Worten (2b, 3, 4) oder sogar ganz ohne Worte und Taten ausgefochten wird (3 und 4). Im Hinblick auf die Frage, was es bedeutet, Sprache als Kampf zu konzeptualisieren, erweist sich insbesondere Definition 2b, die sich auf Sprache bezieht, als aufschlussreich. In Anlehnung an diese Definition ließen sich mit Sprache ausgetragene Kämpfe als heftig ausgetragene Kontroverse zwischen zwei oder mehr Gegnern, die unterschiedliche Auffassungen, Interessen und Ziele vertreten bzw. verfolgen, paraphrasieren. Während mit dem Substantiv Kämpfe die Tradition einer fest etablierten Beschreibungssprache fortgeschrieben wird, geht das Adjektiv diskursiv über bereits bestehende Ansätze hinaus. Der Ausdruck diskursive Kämpfe kann, wenngleich diese oder ähnliche Formulierungen gelegentlich bereits Verwendung finden,95 weder als terminologisiert noch als umfassend theoretisiert gelten. Das Adjektiv diskursiv verweist darauf, dass diese Kämpfe im Diskurs ausgetragen werden und sich auf den gesamten Diskurs erstrecken. Ohne den Diskursbegriff an dieser Stelle umfassend beleuchten zu können (cf. dafür Kapitel 3.1 und 3.3.2), kann er hier im Anschluss an Coseriu vorläufig definiert werden als die an Individuen gebundene, konkrete Realisierung von Sprache im Kontext. Für das Konzept der diskursiven Kämpfe ergeben sich daraus folgende Implikationen: – Diskursive Kämpfe sind ein Phänomen des Sprachgebrauchs, also keine Eigenschaft der Sprache als abstraktem System, sondern des Gebrauchs, der von Sprache durch die Sprecher in einer bestimmten Situation gemacht wird. – Diskursive Kämpfe lenken den Fokus auf das Sprechen als Tätigkeit und legen damit einen handlungsorientierten Sprachbegriff nahe (die Kampfmetapher lässt sich bereits als ein Hinweis darauf deuten, ist Kämpfen doch letztlich eine Form des Handelns). – Indem diskursive Kämpfe den Fokus auf das sprachliche Handeln lenken, werden die Akteure als Handlungsträger in den Mittelpunkt gerückt. – Diskursive Kämpfe erstrecken sich auf den Diskurs in seiner Gesamtheit. Sie können sich auf sämtlichen Ebenen des Sprachlichen – von der Ebene der Morpheme über die Wortebene, die Ebene der Mehrwortverbindungen,
Cf. z.B.: «Solche Streitpunkte werden hier als agonale Zentren (im Sinne diskursiver Wettkämpfe um Geltungsansprüche) bezeichnet» (Felder 2012, 118; Kursivierung im Original, meine Unterstreichung); «Die auf diese Weise rhetorisch ausgetragenen Konflikte können auch als frühe Formen eines diskursiven Kampfs um Begriffe beschrieben werden» (Burkhardt 2019a, 6; meine Hervorhebung).
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die Satz- und die Textebene bis hin zur transtextuellen Ebene – manifestieren und schließen verbales ebenso wie para- und nonverbales Material ein.96 Einzelne Elemente diskursiver Kämpfe treten nie isoliert auf, sondern sind stets in eine Vielzahl sprachlicher und außersprachlicher Kontexte eingebettet, die es bei der Analyse zu berücksichtigen gilt. Der Ansatz der diskursiven Kämpfe stellt damit die Kontextualität des Sprechens in den Fokus. Diskursive Kämpfe werden innerhalb von Diskursuniversen ausgetragen. Diskursuniversen, auch Diskurs- oder Wissensdomänen genannt, sind bestimmte gesellschaftliche Bereiche wie zum Beispiel die Politik. In Abhängigkeit vom jeweiligen Diskursuniversum können diskursive Kämpfe eine spezifische Ausprägung erfahren. Diese lassen sich als Diskurstraditionen beschreiben, die von der jeweiligen Diskursgemeinschaft getragen werden und sich in Form von Mustern im Text manifestieren. Diskurstraditionen können sich in Textsorten niederschlagen.
Für die inhaltsseitige Bestimmung des Ausdrucks diskursive Kämpfe ist nicht zuletzt der Zusammenhang zum Konzept der Agonalität zentral. Diskursive Kämpfe sind eine Form der Manifestation von Agonalität im Diskurs, die sich auf von Agonalität geprägte sprachliche Aushandlungsprozesse bezieht. Agonale Aushandlungsprozesse beschreiben ein System sprachlicher Handlungen, die dazu dienen, konkurrierende Perspektivierungen der Wirklichkeit im Diskurs auszuhandeln. Die Typen sprachlicher Handlungen, die in diskursiven Kämpfen zum Einsatz kommen, möchte ich agonale Diskurshandlungen nennen (cf. ausführlicher Kapitel 6.2). Auf der Grundlage dieser Ausführungen lassen sich diskursive Kämpfe wie folgt definieren: Unter diskursiven Kämpfen ist das Phänomen zu verstehen, dass Ansprüche auf Gültigkeit von Aussagen als Ausdruck konkurrierender Perspektivierungen in Diskursen ausgehandelt werden. Diskursive Kämpfe werden von Diskursakteuren ausgetragen und stehen im Zeichen des Strebens nach Diskurs- und Deutungshoheit. Diskursive Kämpfe können sich auf sämtlichen Ebenen des Sprachlichen manifestieren.
Aus analytischer Sicht besteht das Ziel einer Untersuchung diskursiver Kämpfe in einer Untersuchung der sprachlichen Handlungen, die in diskursiven Kämpfen eine Rolle spielen. Im Einzelnen geht es dabei darum, zu ermitteln,
Zu den verschiedenen Ebenen des Sprachlichen vgl. Kapitel 4.2.2.
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welche Typen und mögliche Subtypen sprachlicher Handlungen zum Einsatz kommen (z.B. Äußerung von Dissens, Absprache der Wahrheit, Gegenüberstellung), welche sprachlichen Mittel prototypischerweise zur Realisierung welcher sprachlicher Handlungen gebraucht werden (Korrelationen zwischen agonalen Diskurshandlungen und Agonalitätsindikatoren), welche inhaltlichen Facetten der Agonalität durch welche sprachlichen Handlungen mitkonstruiert werden (Korrelationen zwischen agonalen Diskurshandlungen und semantischen Dimensionen der Agonalität).
Der zentrale Mehrwert des Ansatzes der diskursiven Kämpfe für die linguistische Bestimmbarkeit von Agonalität besteht darin, dass er den Fokus auf das sprachliche Handeln legt und damit einen pragmalinguistischen Zugriff auf agonale Diskurse erlaubt. Dem liegt eine handlungsorientierte Auffassung von Sprache zugrunde, die der Tatsache Rechnung trägt, dass menschliches Handeln zu einem großen Teil durch sprachliches Handeln erfolgt. Diskutieren, Streiten, eine Gegenposition beziehen, Widerspruch einlegen – all das sind Handlungen, die mit und durch Sprache vollzogen werden. Sie alle dienen der Aushandlung konkurrierender Perspektivierungen; sie zeigen, dass mit und durch Sprache gekämpft wird, oder, um es mit Lyotard (1979, 23) zu sagen, «que parler est combattre». Durch diesen pragmalinguistischen Zugriff unterscheidet sich der Ansatz der diskursiven Kämpfe von anderen Ansätzen zur linguistischen Bestimmbarkeit von Agonalität wie zum Beispiel semantischen Kämpfen, die den Fokus auf einen lexikalischen Zugriff legen, oder agonalen Zentren, die einen themenorientierten Zugriff wählen. Die verschiedenen Ansätze sind dabei nicht als einander ausschließend, sondern im Gegenteil als komplementär zueinander zu begreifen.
2.7 Agonalität und politischer Sprachgebrauch Zwar kann Agonalität grundsätzlich den Sprachgebrauch in zahlreichen Lebensbereichen prägen, doch gilt dies in besonderem Maße für die Politik. Dies kommt in zahlreichen Aspekten zum Ausdruck und ist auf verschiedene Gründe zurückzuführen. Bevor jedoch der spezifische Zusammenhang zwischen Agonalität und politischem Sprachgebrauch beleuchtet werden kann (Kapitel 2.7.2), muss zunächst geklärt werden, was unter politischem Sprachgebrauch überhaupt zu verstehen ist (Kapitel 2.7.1).
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2.7.1 Was ist politischer Sprachgebrauch? Für die Beantwortung der Frage, was politischer Sprachgebrauch eigentlich ist, erweisen sich einige grundlegende Unterscheidungen als hilfreich, die Eugenio Coseriu in seinem Aufsatz Lenguaje y política (1987) getroffen hat. Coseriu legt dar, dass das Verhältnis zwischen Sprache und Politik grundsätzlich aus zwei Perspektiven betrachtet werden könne: Vom Standpunkt der Sprache aus betrachtet gehe es um politische Aktivitäten, die den Gebrauch bestimmter Sprachen oder einen spezifischen Sprachgebrauch betreffen, darum, was wir Sprachpolitik nennen (política del lenguaje); umgekehrt, vom Standpunkt der Politik aus betrachtet, gehe es um den Gebrauch, der von Sprache in der Politik gemacht wird, um die Sprache der Politik (lenguaje de la política). Bezüglich des letztgenannten Bereichs, der allein Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist, trifft Coseriu (1987, 11) eine weitere Unterscheidung, der zufolge der Ausdruck Sprache der Politik auf drei Weisen verstanden werden könne: (i) als politischer Wortschatz («léxico político»), (ii) als politisch-ideologischer Sprachgebrauch («modo de emplearse los signos lingüísticos en la política») und (iii) als Gesamtheit der sprachlichen Verfahren, die in politischen Diskursen bzw. Texten verwendet werden («conjunto de procedimientos propios de los discursos políticos»). Wenn in dieser Arbeit von politischem Sprachgebrauch die Rede ist, so ist damit Letzteres gemeint; in der vorliegenden Arbeit soll folglich ein Beitrag zur Ermittlung derjenigen sprachlichen Verfahren geleistet werden, die politischen Diskursen bzw. Texten eigen sind. Daran schließt sich die Frage an, was unter politischen Diskursen bzw. Texten zu verstehen ist. An dieser Stelle möchte ich mich zunächst auf die Klärung des Begriffs des Politischen beschränken.97 Dafür erweist sich die einflussreiche Definition Walther Dieckmanns als nützlich, der Sprache in der Politik als «staatliches oder auf den Staat bezogenes Reden» definiert (Dieckmann 1969/1975, 29). Auf dieser Grundlage lässt sich zwischen einer Bestimmung von politischem Sprachgebrauch im engeren und im weiteren Sinne unterscheiden: Während sich staatliches Reden lediglich auf Diskurse bzw. Texte bezieht, die von politischen Funktionsträgern über politische Themen in entsprechenden Kontexten produziert werden, bezieht sich auf den Staat bezogenes Reden auf die Gesamtheit aller auf Politik bezogenen Diskurse bzw. Texte und schließt damit beispielsweise auch die mediale Berichterstattung und private wie gesellschaftliche Diskussionen über politische Themen ein. In der vorliegenden Arbeit wird ein enges Begriffsverständnis zugrunde gelegt und politischer Sprachgebrauch somit ausschließlich auf
Für eine Klärung des Diskurs- bzw. Textbegriffs sei auf Kapitel 3.3.2 verwiesen.
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Diskurse bzw. Texte bezogen, die von politischen Funktionsträgern über politische Themen in entsprechenden Kontexten produziert werden. Auf der Grundlage dieser Bestimmung von politischem Sprachgebrauch lässt sich fragen, inwiefern es überhaupt legitim ist, von politischem Sprachgebrauch zu sprechen. Was unterscheidet politischen Sprachgebrauch von dem Sprachgebrauch in anderen Bereichen? In der Politik wird keine eigene Sprache gesprochen; politische Akteure bedienen sich, wenn sie Deutsch, Französisch, Englisch etc. sprechen, derselben einzelsprachlichen Systeme wie andere Akteure. Dennoch zeichnet sich politischer Sprachgebrauch durch einige Eigenschaften aus, die für diesen charakteristisch sind und die ihn, wenn auch nicht grundlegend, so doch zumindest tendenziell und in ihrer spezifischen Kombination, vom Sprachgebrauch in anderen Bereichen unterscheiden. Mit Girnth (2002/2015, 39–50) lassen sich diese Eigenschaften auf für politischen Sprachgebrauch charakteristische Merkmale und Sprachfunktionen sowie auf typische Handlungsfelder in der Politik zurückführen. Nach Girnth (2002/2015, 39–42) zeichnet sich politische Sprachverwendung durch vier Merkmale aus: 1. Öffentlichkeit und Massenmedialität: «Politische Kommunikation findet zu einem großen Teil öffentlich statt und wird über die Massenmedien Fernsehen, Presse, Rundfunk und Internet verbreitet» (Girnth 2002/2015, 40). «[A]ls Grundprinzip und Voraussetzung freiheitlicher Demokratie» ist die Öffentlichkeit politischer Sprachverwendung die Bedingung der Möglichkeit öffentlichpolitischer Meinungsbildung und politischer Teilhabe der Bürger in demokratischen Systemen (Girnth 2002/2015, 40). Öffentlichkeit und Massenmedialität führen dazu, dass politische Sprachverwendung oft mehrfachadressiert, d.h. an mehrere Personen(-gruppen) gleichzeitig gerichtet ist (cf. Kühn 1995).98 2. Gruppenbezogenheit und Repräsentanz: Einzelne politische Akteure gehören i.d.R. einer größeren Gruppe an, die sie repräsentieren. Zwischen den jeweiligen Gruppen herrscht häufig eine Situation der Konkurrenz, in der
So adressieren sich beispielsweise in einem TV-Duell die debattierenden politischen Akteure gegenseitig, gleichzeitig adressieren sie aber auch die Moderatoren, ggf. ein Studiopublikum und darüber hinaus in jedem Fall das Fernsehpublikum. Aufgrund dieser Vervielfachung der Kommunikationsebenen hat zuerst Edelman (1964) die These von der «Doppelung der Realität des Politischen» aufgestellt, die auch als Inszeniertheit bezeichnet wird (cf. Girnth 2002/2015, 40; cf. auch Holly 1990; 2012, 4–10). Demzufolge betreiben politische Akteure eine gezielte Darstellungspolitik, um nicht nur andere politische Akteure, sondern auch das Massenpublikum zu überzeugen. Der Inszenierungscharakter politischen Sprachgebrauchs kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Von einer kritischen Perspektive auf diesen Inszenierungscharakter politischen Sprachgebrauchs, der durch die massenmediale Vermitteltheit potenziell verstärkt wird, zeugen die Ausdrücke Politainment und Mediokratie (cf. Girnth 2002/2015, 41).
2.7 Agonalität und politischer Sprachgebrauch
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jede Gruppe danach strebt, die Eigengruppe auf- und die Fremdgruppe abzuwerten. 3. Institutionsgebundenheit: Politischer Sprachgebrauch ist an spezifische institutionelle Gegebenheiten geknüpft, die einerseits dem parlamentarischdemokratischen System und andererseits dem medialen System entspringen. 4. Diskursgebundenheit: Politischer Sprachgebrauch ist immer in übergreifende funktionale und thematische Zusammenhänge eingebettet; einzelne Äußerungen beziehen sich stets auf Vergangenes und sind zugleich auf Zukünftiges ausgerichtet. Neben den vier Merkmalen zeichnet sich politischer Sprachverwendung durch einige für diesen besonders charakteristische Sprachfunktionen aus. In Anlehnung an Grünert (1984) unterscheidet Girnth (2002/2015, 46–50) vier charakteristische Funktionen der Sprache in der Politik: 1. Die regulative Sprachfunktion präge die Kommunikation der Regierenden gegenüber den Regierten; sie werde zum Beispiel in Verfassungen, Gesetzen und Verboten realisiert. 2. Im Gegensatz dazu bestimme die poskative Sprachfunktion die Kommunikation der Regierten gegenüber der Regierenden; sie realisiere sich zum Beispiel in Aufrufen, Flugblättern und Manifesten. 3. Die informativ-persuasive Sprachfunktion sei die wichtigste Funktion politischer Sprachverwendung. Sie diene der Information und Überzeugung der Adressaten und werde zum Beispiel in Wahlreden und Wahlslogans realisiert. 4. Die integrative Sprachfunktion diene dazu, «Gruppen zu definieren, nach außen abzugrenzen und nach innen zu stabilisieren» (Grünert 1984, 34, zit. nach Girnth 2002/2015, 48). Sie realisiere sich zum Beispiel in Gedenkreden und Parteiprogrammen. Die Sprachfunktionen stehen in Verbindung mit typischen Handlungsfeldern in der Politik. Die fünf zentralen Handlungsfelder in der Politik sind nach Girnth (2002/2015, 44–45): 1. öffentliche-politische Meinungsbildung, 2. innerparteiliche Willensbildung, 3. politische Werbung, 4. Meinungs- und Willensbildung in Institutionen und 5. politische Bildung. Wahlkampfkommunikation – die im Fokus dieser Arbeit stehende Form politischen Sprachgebrauchs – ist primär dem Handlungsfeld der politischen Werbung zuzuordnen, das durch die informativ-persuasive Sprachfunktion dominiert wird (was freilich nicht ausschließt, dass auch andere Handlungsfelder und Sprachfunktionen eine wenn auch untergeordnete Rolle spielen können). Die Finalität politischer Diskurse bzw. Texte, die Coseriu, die rhetorische Kategorie der
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Persuasion aufgreifend,99 wie folgt beschreibt, tritt hier besonders deutlich zutage: «El texto político debe ser ‹eficaz›, debe conseguir que ‹el otro›, el oyente o destinatario, haga algo, actúe de determinado modo o adopte una determinada actitud» (Coseriu 1987, 16; cf. auch Lebsanft 2018, 19).
2.7.2 Zur Affinität zwischen politischem Sprachgebrauch und Agonalität Auf der Grundlage der in Kapitel 2.7.1 vorgenommenen Bestimmung von politischem Sprachgebrauch kann nun die besondere Affinität zwischen politischem Sprachgebrauch und Agonalität in den Blick genommen werden. Ziel der folgenden Ausführungen ist es, zu erläutern, worin diese begründet liegt und wie sich diese gestaltet. Nicht nur der politische Sprachgebrauch, auch die Politik selbst ist in besonderem Maße von Wettbewerb und Konkurrenz geprägt – und damit davon, was in der vorliegenden Arbeit als das Agonale bezeichnet wird. In der politikwissenschaftlichen Forschung wird der politische Wettbewerb als Governance-Mechanismus100 und damit als zentrales Steuerungsprinzip politischgesellschaftlicher Einheiten aufgefasst (cf. Benz 2007). Er bewirkt die «Koordinierung von Handlungen im Hinblick auf die Erreichung gesellschaftlicher Werte oder kollektiver Güter bzw. Leistungen» (Benz 2007, 56). Durch den politischen Wettbewerb werden Interessensgegensätze, die auf ein gemeinsames Ziel bzw. Gut gerichtet sind – zum Beispiel ein politisches Amt, eine inhaltliche Position oder eine politische Maßnahme –, koordiniert (cf. Benz 2007, 54). In der politikwissenschaftlichen Forschung werden fünf Formen politischen Wettbewerbs unterschieden: Ämterbzw. Parteienwettbewerb, Steuer- bzw. Regulierungswettbewerb, Anbieterwettbewerb, Leistungswettbewerb und Systemwettbewerb (cf. Benz 2007, 57–64). Für
«Die situations-interessierten Parteien wenden sich in P a r t e i r e d e n an den Situationsmächtigen und versuchen, diesen durch Überredung (πείθειν, persuadere) zur Änderung (oder Beibehaltung) der Situation in dem der jeweiligen Partei günstigen Sinne zu beeinflussen» (Lausberg 1963/1990, 15, § 6; Hervorhebungen im Original); «Die volle Gewinnung des Situationsmächtigen für die eigene Parteimeinung heißt persuadere (πείθειν), persuasio (πειθώ)» (Lausberg 1963/1990, 33, § 65; Hervorhebungen im Original). Der Begriff der Governance wird in der Politikwissenschaft uneinheitlich definiert. Nach Möltgen-Sicking/Winter (2019, 3) werde er üblicherweise «als Oberbegriff für verschiedene Formen sozialer Handlungskoordination […] benutzt, ‹um die Gesamtheit der in einer politischen Ordnung mit- und nebeneinander bestehenden Formen der kollektiven Regelung gesellschaftlicher Sachverhalte zu bezeichnen› (Mayntz 2010, 37)». Für einen Überblick zum Governance-Begriff cf. neben Möltgen-Sicking/Winter (2019, 3–5) auch Benz/Dose (2004/2010).
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demokratische Systeme gilt der Wettbewerb sogar als unabdingbare Voraussetzung und damit als geradezu konstitutiv (cf. Breton 1996).101 Was im Hinblick auf Wettbewerb und Konkurrenz für die Politik insgesamt gilt, gilt in besonderem Maße für den Wahlkampf. Im Wahlkampf werben verschiedene Parteien oder Kandidaten für sich und das von ihnen vertretene Programm, mit dem Ziel, potenzielle Wähler von sich und ihrem Programm zu überzeugen. Das dominierende – wenn auch nicht das einzige – Ziel der Wahlkampfkommunikation ist die Persuasion der Adressaten, die zum Gewinn von Wählerstimmen und letztlich zum Machterwerb bzw. -erhalt führen soll. Das Werben für die eigene Position ist dabei untrennbar verbunden mit dem impliziten Eintreten gegen die Positionen der anderen, mit der Offenlegung und Aushandlung konkurrierender Perspektiven. Der Wahlkampf ebenso wie die Wahlkampfkommunikation sind daher in besonderem Maße von Wettbewerb und Konkurrenz geprägt (cf. Gruner 1991; Kriechbaumer/Panagl 2002; Klein 2013c; Strömbäck/ Kiousis 2014; Bacot/Gaboriaux/Le Bart/Mayaffre 2016). Dieses besondere Maß an Wettbewerb und Konkurrenz, das die Politik und den Wahlkampf im Speziellen prägt, schlägt sich im Sprachgebrauch nieder bzw. wird durch diesen mitkonstruiert. Dies ist umso relevanter, als dass Sprache für die Politik eine besonders zentrale Rolle spielt. Sprache ist, wie Girnth (2002/2015, 1) treffend formuliert, «nicht nur irgendein Instrument der Politik, sondern überhaupt erst die Bedingung ihrer Möglichkeit». In der Politik geht es darum, Standpunkte darzulegen, Positionen zu begründen, Entscheidungen zu rechtfertigen, verschiedene Optionen zu diskutieren, Abzulehnendes zu kritisieren. Politische Akteure handeln mit und durch Sprache; sie halten Reden, führen Debatten, verfassen oder ändern Gesetze, Partei- und Wahlprogramme, Stellungnahmen. Wenn die Sprache zentrales Instrument und sogar Bedingung der Möglichkeit von Politik ist und Politik in besonderem Maße von Konkurrenz und Wettbewerb geprägt ist, so gilt dies auch für politischen Sprachgebrauch. «Politische Kommunikation ist geprägt durch Wettbewerb und die Konfrontation der Meinungen. Die politischen Akteure stellen sich dem Wettbewerb mit dem politischen Gegner, wobei sie in der Regel als Repräsentanten bestimmter Gruppen, Parteien, Verbände etc. agieren. Grob gesagt lassen sich, je nach Standpunkt, eine positiv bewertete Eigengruppe und eine negativ bewertete Fremdgruppe unterscheiden. Die Mitglieder der Eigengruppe besitzen gleiche Deutungs- und Interpretationsmuster, die ein gruppenspezifisches Bewusstsein konstituieren. Alles, was in Zusammenhang mit der Eigengruppe steht, wird als
Diese Position wird auch in den Theorien agonaler Demokratie vertreten (cf. Kapitel 2.3.1 und 2.4.5).
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positiv, alles, was von den Einstellungen der Eigengruppe abweicht, wird als negativ bewertet. In dem Gegensatz von Eigen- und Fremdgruppe zeigt sich das für politische Handeln typische Schwarz-Weiß-Denken» (Girnth 2002/2015, 41).
Der politische Wettbewerb wird mit und durch Sprache ausgetragen; die Sprache ist das Medium agonaler Aushandlungsprozesse in der Politik.102 Daher ist der politische Sprachgebrauch in besonderem Maße von Agonalität geprägt – Schild (2019a, 491) spricht gar von einer grundsätzlichen «Konfliktorientierung […] politischer Sprache». Das sprachliche Handeln der politischen Akteure wird durch den Wettbewerb um die Macht bestimmt (cf. Klein 2011b), wobei die Sprache in der Politik nicht nur als Mittel im Kampf um Deutungs- und Diskurshoheit, sondern auch als Mittel der realen Machtausübung fungiert (cf. Klein 2010). Die Politik ist daher durch einen spezifischen Zusammenhang zwischen Sprache, Wettbewerb und Macht geprägt. Nicht nur (Sprach-)Wissenschaftler konstatieren die zentrale Rolle der Sprache für die Politik und das besondere Maß an Wettbewerb und Konkurrenz – sprich Agonalität –, das diese prägt, auch die politischen Akteure selbst scheinen sich dessen bewusst zu sein. Dies zeigt zum Beispiel die in Deutschland in den 1970er und 1980er Jahren geführte sprachkritische Debatte um den Wortkampf und das Besetzen von Begriffen, die gemeinsam von (Sprach-)Wissenschaftlern und Politikern wie Kurt Biedenkopf, Heiner Geißler, Peter Glotz und Bodo Hombach geführt wurde.103 Auch im französischsprachigen Raum scheint man sich der Bedeutung semantischer Kämpfe bewusst zu sein. Dies illustriert exemplarisch folgende viel zitierte Aussage Bruno Gollnischs, Politiker des Front National, heute Rassemblement National: «Les batailles politiques sont des batailles sémantiques […]. Celui qui impose à l’autre son vocabulaire lui impose ses valeurs, sa dialectique, et l’amène sur son terrain à livrer un combat inégal» (Gollnisch 1996, zit. nach Alduy/Wahnich 2015, 23). Die ungebrochene Aktualität und Gültigkeit dieser Aussage wird mehr als zwanzig Jahre später durch folgendes Statement Eric Domards, ebenfalls Politiker des Rassemblement National und Sonderberater Marine Le Pens, unterstrichen: «Le combat politique est aussi un combat sémantique. […] Les mots ont un sens, ils ont le sens que veulent bien
Dies hat die Politik mit einigen Lebensbereichen gemeinsam, wie zum Beispiel der Wissenschaft, unterscheidet sie aber auch von anderen, wie etwa Sport, Musik oder bildender Kunst, in denen Medium des Wettbewerbs nicht die Sprache, sondern körperliche, musische oder künstlerische Fähigkeiten sind. Frucht dieses gezielten Austauschs zwischen (Sprach-)Wissenschaft und Politik sind zum Beispiel die von Heringer (1982), Stötzel (1985) und Liedtke/Wengeler/Böke (1991) herausgegebenen Sammelbände.
2.7 Agonalität und politischer Sprachgebrauch
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leur donner ceux qui les utilisent comme une arme politique pour discréditer, diaboliser leurs adversaires» (Domard 2018). Derartige Aussagen bezeugen nicht nur, dass sich die politischen Akteure selbst der Agonalität politischen Sprachgebrauchs bewusst zu sein scheinen, sondern zeigen auch, dass bei den politischen Akteuren ganz grundsätzlich ein metasprachliches Bewusstsein darüber zu bestehen scheint, wie wichtig die Sprachverwendung insgesamt zur Erreichung ihrer Ziele ist. Dies findet nicht zuletzt seinen Niederschlag darin, dass politische Sprachverwendung nicht nur wissenschaftlich erforscht wird, sondern dass entsprechende Erkenntnisse auch gezielt in der politischen Sprachberatung eingesetzt werden (cf. Roth 2004; 2017). Dies gilt auch für das aus der Kognitiven Linguistik stammende Konzept des Framings (cf. Kapitel 2.6.5). Dass politischer Sprachgebrauch in besonderem Maße von Deutungskämpfen, von Konfrontation und Polarisierung, von Konfliktaustragungen und Konkurrenz geprägt ist, zeigen auch eine Vielzahl von Arbeiten zu semantischen Kämpfen in der Politik,104 zu Unhöflichkeit105 und verbaler Gewalt bzw. Aggression106 im politischen Sprachgebrauch sowie zu politischer Polemik.107 Wie diese Arbeiten unter anderem belegen, sind insbesondere manche Textsorten stärker von Konfrontation und Konkurrenz geprägt als andere, so zum Beispiel das TV-Duell108 und – in deutlich geringerem Maße – die parlamentarische Debatte.109 Wenngleich der Terminus Agonalität in diesen Arbeiten zumeist nicht explizit Verwendung findet und Phänomene wie Unhöflichkeit, verbale Gewalt oder Polemik auch nicht gleichzusetzen sind mit Agonalität, deuten diese Forschungen doch auch auf eine besondere Affinität zwischen politischem Sprachgebrauch und Agonalität hin. Dass Phänomene wie Unhöflichkeit und verbale Gewalt im politischen Sprachgebrauch zum Einsatz kommen können, ist gerade in Zeiten, in denen Phänomene wie die Hassrede zunehmende Verbreitung erfahren110 und die Re-
Für Literaturhinweise cf. Kapitel 2.6.1. Z.B. Blas Arroyo (2001); Lahiani (2010); Kerbrat-Orecchioni (2010; 2017; 2019); Rodríguez Pedreira (2016); Fernández García (2017); Holly (2017a). Z.B. Luginbühl (1999; 2007); Detrie (2008); Oger (2008); Desmarchelier (2015); Rodríguez Pedreira (2016); Rolek (2017); Klinker (2018); Scharloth (2018). Z.B. Amossy/Burger (2011); Burger (2011); Jacquin (2011) sowie die entsprechenden Beiträge zu Rolland-Lozachmeur (2016). Cf. z.B. Blas Arroyo (2001); Luginbühl (1999; 2007); Lahiani (2010); Kerbrat-Orecchioni (2010; 2017; 2019); Rodríguez Pedreira (2016); Fernández García (2017). Cf. z.B. Detrie (2008); Rolek (2017). Der Ausdruck Hassrede (frz. discours de haine; in beiden Sprachen ist auch der englische Ausdruck hate speech geläufig) ist nicht eindeutig definiert. Im Allgemeinen ist darunter eine
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levanz politischer Korrektheit111 vermehrt in Frage gestellt wird, nicht in Abrede zu stellen. Gleichwohl ist anzunehmen, dass Unhöflichkeit und verbale Gewalt im politischen Sprachgebrauch eher die Ausnahme denn die Regel darstellen. Dies bestätigt auch Kerbrat-Orecchioni (2017) auf der Grundlage einer empirischen Untersuchung der TV-Duelle zwischen den Spitzenkandidaten der französischen Präsidentschaftswahlen von 1974 bis 2012: «Mais en même temps, si les débatteurs doivent frapper le plus fort possible ils doivent aussi veiller à la ‹dignité du débat›, faire preuve de fair-play et rester corrects envers un partenaire d’interaction qui prétend au même titre accéder à la fonction suprême (il serait donc tout à fait malvenu de le traîner dans la boue). Ces duels ne doivent pas dégénérer en pugilats, et l’on ne va guère y rencontrer les phénomènes les plus caractéristiques, d’après la littérature, du ‹K-O verbal› (Windisch 1987) ou de la ‹violence verbale› (Moïse et al. 2008), comme le tutoiement indu, les mots grossiers et injurieux, la menace, l’invective ou l’insulte caractérisée» (Kerbrat-Orecchioni 2017, 168; cf. auch Kerbrat-Orecchioni 2019, 104–110).
Dass politischer Sprachgebrauch für gewöhnlich nicht die typischen Merkmale verbaler Gewalt aufweist, lässt sich wohl primär auf die Institutionengebundenheit politischen Sprachgebrauchs zurückführen: Sowohl das parlamentarischdemokratische System als auch das mediale System geben – bewusst formulierte und fixierte oder auch unbewusst und implizit herrschende – Regeln in Bezug auf die Angemessenheit (aptum) des Sprachgebrauchs vor. Der politische Sprachgebrauch wird von Dritten in Bezug auf seine Angemessenheit beurteilt, was sich unter anderem darin zeigt, dass Fälle extremer verbaler Gewalt im politischen
öffentliche Form verbaler Herabsetzung von Personen oder Gruppen zu verstehen (cf. Meibauer 2013; Scharloth 2017; Monnier/Seoane/Hubé/Leroux 2021). Die zunehmende Verbreitung der Hassrede erfolgt v.a. über das Internet. Umfragen zufolge ist die Wahrnehmbarkeit der Hassrede in den letzten Jahren in Deutschland stetig gestiegen (cf. Landesanstalt für Medien NRW/forsa 2018); auch die Frequenz der Ausdrücke Hassrede und hate speech hat ab dem Jahr 2010 einen exponentiellen Anstieg erfahren (cf. DWDS, ss.vv. Hassrede, hate speech). Das Prinzip politischer Korrektheit (frz. politiquement correct; beides Lehnübersetzungen des engl. Ausdrucks political correctness) sieht vor, Ausdrücke, die auf eine Person oder Gruppe diskriminierend wirken könnten, zu meiden und ggf. durch andere zu ersetzen. Befürworter der politischen Korrektheit sehen darin eine notwendige Form des Respekts diesen Personen(-gruppen) gegenüber; Kritiker lehnen das Prinzip der politischen Korrektheit als Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung ab (cf. Forster 2010). Von einer solchen Einstellung zeugen etwa folgende Äußerungen Marine Le Pens: «Il faut pour cela avoir le courage de rendre à la France et aux Français leurs libertés et rompre avec le politiquement correct et l’économiquement correct qui étouffe notre pays et notre économie» (Le Pen 2015a); «Nous, nous refusons de plier devant le politiquement correct s’il est politiquement débile ou suicidaire» (Le Pen 2015b).
2.7 Agonalität und politischer Sprachgebrauch
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Sprachgebrauch häufig Auslöser öffentlicher Debatten sind.112 Aber auch die politischen Akteure selbst scheinen sich des Maßstabs der Angemessenheit bewusst zu sein: «Es müsste im Interesse der Demokratie ernsthaft versucht werden, gewisse Grenzen bei der Auseinandersetzung einzuhalten, innerhalb und außerhalb des Parlaments», konstatierte bereits Konrad Adenauer (1952; zit. nach Konrad-Adenauer-Stiftung s.a.). In der Regel scheinen politische Akteure selbst verbale Gewalt zu meiden; mehr noch: Sie suchen sogar, einen Beitrag zu ihrer Eindämmung, zum Beispiel durch die Möglichkeit der strafrechtlichen Verfolgung, zu leisten.113 Insgesamt kann verbale Gewalt somit als markiert und eher untypisch für politischen Sprachgebrauch gelten. Typischer für politischen Sprachgebrauch scheinen Auseinandersetzungen, Diskussionen, Meinungsverschiedenheiten und Kontroversen zu sein, die, im Zeichen der Angemessenheit stehend, in einem geregelten, gemäßigten Rahmen verlaufen. Das Konzept der Agonalität sucht genau diese Formen sprachlicher Aushandlungsprozesse zu erfassen und scheint daher besonders geeignet, diese für politischen Sprachgebrauch so zentrale Dimension zu erschließen.
Zum Beispiel hat das TV-Duell zwischen Macron und Len Pen vom 03.05.2017 in diesem Sinne Schlagzeilen gemacht. Dieser «combat brutal» habe mit den üblichen Regeln gebrochen und durch seine Aggressivität schockiert: «Jusqu’à présent, sous la Ve République, le débat présidentiel d’avant second tour était une joute télévisuelle aux codes partagés par les deux compétiteurs […]. De tout cela, il n’a été nullement question mercredi soir» (Pietralunga/Bonnefous/Faye 2017). Gegenstand der Diskussion waren bzw. sind auch eine Reihe von Aussagen, die Emmanuel Macron als Wirtschaftsminister (cf. Le Monde 2016) bzw. Präsident (cf. Courtois 2017) getätigt hat und die als unangemessen für einen Politiker betrachtet werden. Einen solchen Versuch stellt z.B. das vom Europarat herausgegebene Manual on Hate Speech (Weber 2009) dar, cf. Struth (2019).
3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, auf der Grundlage der linguistischen Theoriebildung einen theoretischen Ansatz zur Untersuchung von Agonalität, so wie sie in Kapitel 2 bestimmt wurde, zu entwickeln. Den theoretischen Rahmen bildet die Diskursanalyse. Zunächst wird ein Überblick über den Diskursbegriff (Kapitel 3.1) und den Diskurs als Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung (Kapitel 3.2) geboten, um auf dieser Grundlage den dieser Arbeit zugrunde liegenden diskursanalytischen Ansatz zu explizieren (Kapitel 3.3). Die darauffolgenden Unterkapitel sind den drei zentralen Komponenten gewidmet, die für die Untersuchung agonaler Diskurse von Bedeutung sind: die diskursive Aushandlung (Kapitel 3.4), die Kategorie des Sinns (Kapitel 3.5) und die Akteure (Kapitel 3.6). Agonalität wurde in Kapitel 2 definiert als kompetitive Opposition zwischen zwei oder mehr akteursgebundenen, konkurrierenden Perspektivierungen der Wirklichkeit, die Gegenstand sprachlicher Aushandlungsprozesse, sogenannter diskursiver Kämpfe sind. Der Aspekt der diskursiven Aushandlung steht im Fokus von Kapitel 3.4, in dem eine zu deren Erfassung notwendige handlungstheoretische Fundierung linguistischer Diskursanalyse vorgenommen wird. Kapitel 3.5 ist dem gewidmet, was Gegenstand der agonalen Aushandlungsprozesse ist: akteursgebundene, konkurrierende Perspektivierungen der Wirklichkeit. Aufschluss über diese gibt der Sinn, weshalb eine der Hauptaufgaben linguistischer Diskursanalyse in der Analyse der diskursiven Konstitution von Sinn besteht. Sinn wird dabei als kommunikativ-kognitive Größe aufgefasst und der diskursanalytische Ansatz damit neben der handlungstheoretischen Fundierung um eine kognitive Dimension erweitert. Kapitel 3.6 ist denjenigen gewidmet, die Träger der diskursiven Aushandlungsprozesse sowie der im Diskurs konkurrierenden Perspektivierungen sind, den Akteuren. Als Handlungsträger stehen die Akteure im Mittelpunkt einer handlungsorientierten Diskursanalyse. Auf diese Weise wird ein pragmalinguistisch und kognitionslinguistisch fundierter diskursanalytischer Ansatz entwickelt, der Agonalität als ein an der Schnittstelle von Diskurs, Handeln und Kognition angesiedeltes Phänomen zu erfassen sucht. Zuvor sei noch eine kurze terminologische Präzisierung im Hinblick auf den Terminus Diskursanalyse und mit diesem verwandte Termini vorgenommen. Der Ausdruck Diskursanalyse kann bereits auf eine lange Tradition zurückblicken und wird disziplinenübergreifend als Oberbegriff für die Analyse von Diskursphänomenen verwendet. In jüngerer Zeit finden daneben zahlreiche weitere Termini Verwendung, zum Beispiel der das theoretische Moment betohttps://doi.org/10.1515/9783110981537-003
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
nende Ausdruck Diskurstheorie oder der Ausdruck Diskursstudien (engl. discourse studies), der das analytische mit dem theoretischen Moment zu verbinden sucht (cf. Angermuller/Maingueneau/Wodak 2014a, 5–7). Letzteres gilt auch für den Ausdruck Diskursforschung, der zudem verwendet wird, wenn «nicht nur auf einzelne empirische Studien Bezug genommen wird, sondern über eine zusammenhängende Gruppe diskursbezogener Fallstudien Aussagen gemacht werden» (Reisigl 2014b, 107). Gegenüber diesen Ausdrücken, die allesamt Dachtermini darstellen, zeichnet sich der Ausdruck Diskurslinguistik dadurch aus, dass er eine spezifische Spielart diskursanalytischer Forschung bezeichnet, die sich in der deutschsprachigen Germanistik herausgebildet hat. In der vorliegenden Arbeit wird der Terminus Diskurslinguistik verwendet, wenn auf eben dieses Paradigma Bezug genommen werden soll; ansonsten werden die Ausdrücke Diskursanalyse und Diskursforschung als allgemeine Oberbegriffe quasi synonym gebraucht.
3.1 Zum Diskursbegriff «Der Diskursbegriff ist einer der wirkmächtigsten Leitbegriffe der neueren Geistes-, Kulturund Gesellschaftswissenschaften. Wie andere dieser Begriffe, bietet er der Forschung nicht nur eine neue Perspektive auf gegebene Sachverhalte, sondern kategorisiert, bündelt und benennt Eigenschaften von Sachverhalten in einer Weise, dass ein neuer Gegenstand der intellektuellen Auseinandersetzung entsteht und zum Thema der wissenschaftlichen Analyse wird » (Gardt 2017, 2).
Der Diskursbegriff hat bereits seit geraumer Zeit Hochkonjunktur. Seine außergewöhnliche Wirkmacht, die Gardt ihm zu Recht attestiert, kommt nicht nur darin zum Ausdruck, dass er immer häufiger,114 sondern auch in den unterschiedlichsten Kontexten – von der Alltagssprache bis hin zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung in zahlreichen Disziplinen – Verwendung findet. Dabei wird der Begriff in den jeweiligen Kontexten in unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht, was ihn zu einem schillernden Begriff werden lässt. Nicht selten wird beklagt, dass er sich zu einem «Allerwelts- und Modewort» (Schalk 1997, 56), zu einem Begriff von «notorische[r] Unschärfe» (Mahler 2010, 155) entwickelt habe. Dies ist primär auf drei Gründe zurückzuführen: Erstens war der Diskursbegriff zunächst – und ist immer noch – ein alltagssprachlicher Begriff; als solcher unter Dies belegt für das Deutsche die Wortverlaufskurve von Diskurs im DWDS: Während das Lexem von 1770 bis 1940 eher selten verwendet wurde, steigt die Frequenz seitdem stetig an, von 0,79 Okkurrenzen pro Millionen Tokens in den 1940er Jahren auf 8,09 Okkurrenzen pro Millionen Tokens in den 2010er Jahren (cf. DWDS-Wortverlaufskurve zu Diskurs, Basis: Referenz- und Zeitungskorpora, aggregiert, frei).
3.1 Zum Diskursbegriff
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liegt er, wie die meisten alltagssprachlichen Begriffe, keiner terminologischen Fixierung und kann somit unterschiedliche oder auch nicht klar umrissene Bedeutungen haben. Zweitens ist der Diskursbegriff auch ein fachsprachlicher Terminus. Als solcher findet er in zahlreichen Disziplinen Verwendung, die ihn für ihre jeweiligen Forschungsinteressen fruchtbar machen und ihn dabei jeweils unterschiedlich definieren. Drittens herrscht selbst innerhalb einer Disziplin häufig kein Konsens bezüglich einer einheitlichen Definition des Begriffs. Dies gilt auch für die Sprachwissenschaft. Die Klärung des zugrunde liegenden Verständnisses von Diskurs – ebenso wie von Diskursanalyse – ist daher eine conditio sine qua non einer jeden diskursanalytischen Arbeit. Dies ist nicht möglich ohne ein Wissen um die Vielfalt der Diskursbegriffe und die Entwicklungen, die diese im Laufe der Zeit genommen haben, weshalb im Folgenden ein entsprechender Überblick geboten wird.115 Der Diskursbegriff hat seinen Ursprung in lat. DISCURSUS ʻdas Auseinanderlaufen; das Hinundherlaufen, das Hinundherrennen, das Umherlaufen, das Umherrennen, Sich-Umhertummelnʼ (cf. Georges, s.v. discursus), zu lat. DISCURRERE ʻauseinander laufen, sich ausbreiten, sich zerstreuen, abschwenken; hin und her laufen, -rennen, -reiten, -fahrenʼ (cf. Georges, s.v. discurro). Im Altlateinischen wird der Begriff auf vielfältige Weise verwendet, häufig zur Beschreibung von Bewegungen, insbesondere im militärischen Kontext; eine Bedeutung im Sinne von ʻRedeʼ oder ʻGesprächʼ findet sich hier noch nicht (cf. Schalk 1997, 61–64). Dies ändert sich ab dem 13. Jahrhundert, als der Begriff Einzug in die mittelalterliche Logik und Erkenntnistheorie hält: Diskurs wird hier zu einem philosophischen Terminus, der sich auf die Verstandestätigkeit, auf das menschliche bzw. wissenschaftliche Wissen bezieht (cf. Schalk 1997, 64). Eine Verwendung des Diskursbegriffs im Zusammenhang mit Sprache lässt sich ab der Zeit der italienischen Renaissance beobachten (cf. Schalk 1997, 81–83). Discorso bezeichnet hier «ausgehend von seiner primären Bedeutung von ‘Umherlaufen’ eine Aneinanderreihung – zumeist weitschweifiger – Äußerungen in der Volkssprache» (Bernsen 2001, 16; cf. auch Stierle 1984). Zentral für die Herausbildung und Konzeption des Diskursbegriffs der italienischen Renaissance ist, dass zu dieser Zeit das Wahrheitskonzept des Mittelalters relativiert wird und damit der Status des Wissens und die Suche nach Erkenntnis eine neue Dimension erlangen (cf. Bernsen 2001, 20; cf. auch Zwierlein 2006, der am Beispiel Macchiavellis discorso als «Methodenbegriff» bestimmt). Von hier aus breitet sich der Diskursbegriff als Be-
Zur Geschichte des Diskursbegriffs cf. Schalk (1997); Bernsen (2001, 10–30); Zwierlein (2006, 34–39); Mahler (2010, 155–156); Böhler/Gronke (2013); Angermuller (2014b, 77); Niehr (2014c, 12–15).
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
zeichnung verschiedener Formen mündlichen wie schriftlichen Sprachgebrauchs in verschiedenen Nationalsprachen aus (cf. Schalk 1997, 81). Ins Mittel- und Neufranzösische wird discours unter Einfluss von cours aus lat. DISCURSUS in dieser, sich auf die Sprache beziehenden Bedeutung – sprich über italienische Vermittlung (cf. Schalk 1997, 83) – entlehnt, die sich als ‘Auseinandersetzung’ (cf. FEW, s.v. discursus) oder auch ‘conversation, entretien’ (DHLF, s.v. discours; TLFi, s.v. discours) beschreiben lässt.116 Im Laufe der Zeit erfährt der Diskursbegriff im Französischen unterschiedliche Bedeutungsverschiebungen und -erweiterungen, bezieht sich jedoch stets auf verschiedene Formen mündlichen oder schriftlichen Sprachgebrauchs.117 Zunächst bezeichnet discours ‘un entretien, un récit et un exposé suivi (écrit ou oral) spécialisé dans quelques domaines, parmi lesquels la politique’; im 17. Jahrhundert bildet sich unter dem Einfluss der Logik die Bedeutung ‘expression verbale de la pensée’ heraus (vor 1613);118 zeitgleich sind auch die heute nicht mehr gebräuchlichen Bedeutungen ‘raisonnement, examen attentif, conversation’ zu verzeichnen; im 20. Jahrhundert hält der Begriff Einzug in verschiedene Disziplinen und erfährt damit weitere fachsprachliche Prägungen. Durch französische Vermittlung wird der Begriff wiederum in zahlreiche weitere Sprachen, wie das Deutsche (cf. DWDS, s.v. Diskurs; HWRh, s.v. Diskurs) oder Englische (cf. OED, s.v. discourse sowie Mills 1997/2004, 2), entlehnt. Der Diskursbegriff als ein in Bezug auf das Denken oder Sprache gebrauchter Begriff war lange Zeit ein überwiegend fach- bzw. bildungssprachlicher Terminus, bevor er schließlich auch Eingang in die Alltagssprache fand. Bereits im Spätlateinischen finden sich die frühen metaphorischen Verwendungen bei Gelehrten und Geistlichen wie Albertus Magnus und Thomas von Aquin (cf. Schalk 1997, 65–67). Auch im Französischen wird der Begriff in dieser Bedeutung zunächst überwiegend von Philosophen und Wissenschaftlern wie Montaigne oder Descartes gebraucht (cf. Schalk 1997, 84–85). Mit der Zeit findet der Begriff auch Eingang in die Alltagssprache, wo er in unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht wird. Als alltagssprachlicher Terminus ist der Diskursbegriff, wie entsprechende Wörterbuchdefinitionen zeigen, hochgradig polysem. Die im Französischen geläufigste Bedeutung ist die einer Rede im Sinne eines Vortrags vor einem Publikum: ‘Développement oratoire fait devant une réunion de personnes’ (GR, s.v. discours2), ‘Développement oratoire sur un thème déterminé, conduit d’une manière méthodique, adressé à un auditoire’ (TLFi, s.v. discoursB.1). Diese ist Der Erstbeleg von frz. discours wird auf 1503 (Edition 1534) datiert (cf. DHLF, s.v. discours; TLFi, s.v. discours). Der folgende Überblick ist dem DHLF, s.v. discours entnommen. In diesem Zusammenhang ist auch die Entstehung des Terminus parties du discours ‘Wortarten’ zu verorten (cf. DHLF, s.v. discours, Erstbeleg 1637).
3.1 Zum Diskursbegriff
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wohl, wie die Markierung im GR als «spécialt.» indiziert, durch Bedeutungsverengung aus der heute veralteten Bedeutung ‘Ensemble d’énoncés produits par une personne ou un ensemble de personnes’ (GR, s.v. discours1) bzw. ‘Paroles adressées à une ou plusieurs personnes’ (TLFi, s.v. discoursA.2) hervorgegangen. Als weitere veraltete Bedeutung wird im TLFi ‘Écrit didactique traitant d’un sujet précis’ (TLFi, s.v. discoursA.1) und als weitere geläufige Bedeutung ‘Propos suivis, d’une certaine longueur, que l’on tient en conversation’ (TLFi, s.v. discoursB.2) angeführt. Hinzu kommen weitere, spezifische Bedeutungen («Emplois partic.[uliers]», TLFi), zu denen u.a. fachsprachlich markierte Bedeutungen aus dem Bereich der Sprachwissenschaft, ʻExpression verbale de la penséeʼ (GR, s.v. discours4) oder ʻActualisation du langage par un sujet parlantʼ (TLFi, s.v. discoursC.1.a)), sowie fachsprachlich markierte Bedeutungen aus den Bereichen Logik und Philosophie, ʻPensée discursive, raisonnementʼ (GR, s.v. discours5) und ʻMode de pensée qui atteint son objet par une suite d’énoncés organisésʼ (TLFi, s.v. discoursC.2), zählen. Während der Diskursbegriff im Französischen – ebenso wie in anderen romanischen Sprachen, z.B. it. discorso oder sp. discurso – als alltagssprachlicher Begriff weit verbreitet ist, scheint er im Deutschen nach wie vor überwiegend auf fach- bzw. bildungssprachliche Kontexte beschränkt zu sein. Dies bezeugen u.a. die entsprechenden Markierungen des Begriffs im Duden, der drei Bedeutungen von Diskurs anführt: «1. methodisch aufgebaute Abhandlung über ein bestimmtes [wissenschaftliches] Thema. Gebrauch bildungssprachlich 2. [lebhafte] Erörterung; Diskussion. Gebrauch bildungssprachlich 3. Gesamtheit der von einem Sprachteilhaber tatsächlich realisierten sprachlichen Äußerungen. Gebrauch Sprachwissenschaft» – (Duden, s.v. Diskurs; Hervorhebungen im Original).
Usuelle Wortverbindungen wie öffentlicher Diskurs, politischer Diskurs, gesellschaftlicher Diskurs, wissenschaftlicher Diskurs, einen Diskurs führen119 deuten darauf hin, dass Diskurs in der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion in Deutschland überwiegend zur Bezeichnung des Sprachgebrauchs in einem bestimmten Bereich – Öffentlichkeit, Politik, Gesellschaft, Wissenschaft etc. – oder zur Bezeichnung einer spezifischen Debatte, die in einem solchen Bereich geführt wird, verwendet wird. Nicht nur in der Alltags-, auch in der Fachsprache ist der Diskursbegriff ein hochgradig polysemer Terminus. Zwar werden fachsprachliche Termini im Gegensatz zu alltagssprachlichen Begriffen i.d.R. gezielt definiert, um möglichst
Die Beispiele sind den im Duden angeführten typischen Verbindungen von Diskurs (cf. Duden, s.v. Diskurs) sowie dem DWDS-Wortprofil zu Diskurs (cf. DWDS, s.v. Diskurs) entnommen.
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große Eindeutigkeit und begriffliche Präzision zu erlangen, doch hat der Diskursbegriff vielfältige Definitionen erfahren. Zum einen findet er in verschiedenen Disziplinen Verwendung, in denen er in Abhängigkeit vom Gegenstand, Erkenntnisinteresse sowie den theoretischen und methodischen Prämissen jeweils unterschiedlich definiert wird.120 Diese reichen – um nur einige Beispiele herauszugreifen – von der Sprachwissenschaft über die Literaturwissenschaft bis hin zu Sozialwissenschaft, Kulturwissenschaft, Philosophie und Geschichtswissenschaft und umfassen somit eine große Bandbreite der Geistes-, Kulturund Gesellschaftswissenschaften. Zum anderen besteht selbst innerhalb einer Disziplin zumeist kein Konsens bezüglich einer einheitlichen Definition des Begriffs. Dies gilt auch für die Sprachwissenschaft, «[d]enn obwohl Diskurs und Text seit geraumer Zeit linguistisch terminologisiert sind, bietet vor allem der erstere der beiden Begriffe ganz erheblichen Interpretationsspielraum, mit einschneidenden Konsequenzen für Forschungsschwerpunkte und -perspektiven» (Lebsanft/Schrott 2015a, 13; Hervorhebungen im Original). Indem sich die sprachwissenschaftliche Diskursforschung weiter ausdifferenziert, erfährt auch der Diskursbegriff immer weitere Prägungen und Nuancierungen.121 Überblicke über den Diskursbegriff in der Sprachwissenschaft sind bereits vielfach geboten worden, etwa in allgemeinen sprachwissenschaftlichen Lexika,122 in spezifischen diskursanalytischen Lexika,123 in allgemeinen sprachwissenschaftlichen Handbüchern,124 in spezifischen diskursanalytischen Handbüchern125 und in zahlreichen Einzelveröffentlichungen.126 Der folgende Überblick erhebt daher kei-
Auf die verschiedenen Prägungen, die der Diskursbegriff außerhalb der Sprachwissenschaft erfahren hat, kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Cf. die entsprechenden Beiträge in dem von Angermuller/Nonhoff/Herschinger/Macgilchrist/Reisigl/Wedl/ Wrana/Ziem (2014) herausgegebenen «Handbuch der interdisziplinären Diskursforschung» (S. 39–339) und dem von Wrana/Ziem/Reisigl/Nonhoff/Angermuller (2014) herausgegebenen «Wörterbuch der interdisziplinären Diskursforschung» (S. 75–84). Von den Veränderungen, denen der Diskursbegriff in der Sprachwissenschaft im Laufe der Zeit unterliegt, zeugt auch ein Vergleich der verschiedenen Auflagen des Lexikons der Sprachwissenschaft, der zeigt, dass zum einen die Zahl der Verwendungsweisen des Diskursbegriffs im Laufe der Zeit zunimmt und dass sich zum anderen die Reihenfolge der Einträge, die ihre Gewichtung in der Forschung spiegelt, ändert (cf. Lebsanft/Schrott 2015a, 13–14). Z.B. in der International Encyclopedia of Linguistics (Chafe 2003), im Lexikon der Sprachwissenschaft (Bußmann 2008, 140–142) und im Metzler Lexikon Sprache (Ehlich 2016a). Z.B. im Dictionnaire d’analyse du discours (Maingueneau 2002b) und in DiskursNetz. Wörterbuch der interdisziplinären Diskursforschung (Reisigl 2014a). Z.B. Warnke (2015) im Handbuch Sprache und Wissen. Z.B. Angermuller (2014c, 17–20) in Diskursforschung. Ein interdisziplinäres Handbuch. U.a. Maingueneau (1976, 11–16; 1996/2009, 44–47; 2014, 17–38); Mahler (2010); Becker (2015b); Lebsanft/Schrott (2015a, 13–19); Gardt (2017); Lüdtke (2019, 336–428).
3.1 Zum Diskursbegriff
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nen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern zielt lediglich darauf ab, anhand einiger ausgewählter Beispiele die Vielfalt der Diskursbegriffe in der Sprachwissenschaft zu illustrieren. Dabei werden gezielt besonders einflussreiche sowie sehr disparate Diskursbegriffe herausgegriffen. Diskurs als transphrastische Einheit. Dieser, auf Harris (1952) zurückgehende Diskursbegriff gründet in der Annahme, dass nicht der Satz die oberste Struktureinheit der Sprache ist, sondern dass es auch eine Strukturiertheit jenseits des Satzes gibt. Diskurs bezeichnet dann eine satzübergreifende Einheit und steht folglich in Opposition zu Satz: «Quand on oppose discours et phrase, le discours est considéré comme une unité linguistique ‹transphrastique›, c’està-dire constituée d’un enchaînement de phrases» (Maingueneau 2014, 18). Diskurs als Gespräch. In der Konversationsanalyse, Gesprächslinguistik und Interaktionalen Linguistik wird Diskurs häufig äquivalent zu Konversation, Gespräch oder verbale Interaktion gebraucht (cf. Coulthard 1977/1985; Brünner/ Fiehler/Kindt 1999). Dieser Diskursbegriff bezieht sich ausschließlich auf medial mündlichen Sprachgebrauch und definiert sich folglich in Opposition zu medial schriftlichem Sprachgebrauch; diese Opposition wird zuweilen mittels des Begriffspaars Diskurs vs. Text wiedergegeben.127 Diskurs als Sprechhandlung. In der Funktionalen Pragmatik128 wird der Terminus Diskurs «zur Bezeichnung von strukturierten Ensembles von Sprechhandlungen verwendet» (Ehlich 2016a, 154). Das in Abgrenzung zu Searles Konzept des Sprechakts entwickelte Konzept der Sprechhandlung steht für selbstständige, zweckgerichtete Handlungseinheiten, die in einer konkreten Sprechsituation geäußert werden und sich aus mehreren Sprechakten zusammensetzen können (cf. Ehlich 2016c). Dieser Diskursbegriff bezieht sich ebenfalls ausschließlich auf mündlichen Sprachgebrauch; ihm gegenübergestellt wird der Textbegriff, der dem schriftlichen Sprachgebrauch vorbehalten ist (cf. auch Rehbein 2001, 928–929).
Cf. z.B. Coulthard (1977/1985, 3): «I have chosen to maintain a distinction between spoken discourse and written text». Die Funktionale Pragmatik ist ein sprachtheoretischer Ansatz, der ab Anfang der 1970er Jahre in der deutschsprachigen Linguistik durch Konrad Ehlich und Jochen Rehbein entwickelt wurde und der sich, wie die Bestandteile seines Namens signalisieren, durch zwei Aspekte auszeichnet: Zum einen handelt es sich um einen pragmalinguistischen Ansatz, in dem Sprache als Handeln aufgefasst und somit ein dezidiert handlungsorientiertes Sprachverständnis zugrunde gelegt wird; zum anderen steht die Funktionalität sprachlichen Handelns im Zentrum des Interesses, indem ausgehend von kommunikativen Funktionen Form-FunktionsKorrelationen untersucht werden. Das Ziel der Funktionalen Pragmatik besteht in der Rekonstruktion der Systematizität des sprachlichen Handelns in historisch-sozialen Kontexten (cf. Ehlich 1991; Redder 2008).
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
Diskurs als Sprachgebrauch. Dies ist das weitestmögliche Verständnis von Diskurs. Dieser Diskursbegriff bezieht sich auf die Gesamtheit mündlichen wie schriftlichen Sprachgebrauchs; er entspricht in etwa dem Saussure’schen Begriff der parole und steht folglich in Opposition zur langue: «La langue définie comme système de valeurs virtuelles s’oppose au discours, à l’usage de la langue dans un contexte particulier, qui filtre ces valeurs et peut en susciter de nouvelles. On est au plus près de l’opposition saussurienne langue/parole» (Maingueneau 2002b, 185; Hervorhebungen im Original; cf. auch Maingueneau 2014, 18).129 Dieser Diskursbegriff dominiert insbesondere in der anglophonen Diskursforschung (cf. Schiffrin/Tannen/Hamilton 2001a, 1). So ist etwa Fasold (1990, 65) der Ansicht, dass «the study of discourse is the study of any aspect of language use», und für Renkema/Schubert (2018, 3) gilt: «discourse studies is the study of verbal communication». Zuweilen findet sich dieser Diskursbegriff auch in der germanistischen (Felder/Müller/Vogel 2012a, 5) und romanistischen Diskursforschung (cf. Lebsanft 2006b, 532). Diskurs als individuelle Tätigkeit. Dieser Diskursbegriff wird u.a. von Coseriu (zuerst 1955/1956), Benveniste (u.a. 1970) und Brown/Yule (1983) vertreten. Diskurs bezieht sich hier auf die an Individuen gebundene, konkrete Realisierung von Sprache im situativen Kontext – und unterscheidet sich eben darin von dem Saussure’schen Konzept der parole (cf. supra). Dem Diskurs als Tätigkeit wird der Text als Produkt dieser Tätigkeit gegenübergestellt. Diskurs und Text beziehen sich somit gleichermaßen auf mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauch, unterscheiden sich jedoch im Hinblick auf die Opposition Tätigkeit vs. Produkt. Diskurs als transtextuelle Einheit. Der Diskurs als transtextuelle Einheit bezeichnet eine Menge von Texten, zwischen denen ein irgendwie gearteter Zusammenhang besteht und die von verschiedenen Akteuren unabhängig voneinander – räumlich oder zeitlich versetzt oder simultan – produziert werden. Diskurs wird hier als «transversales Sprachphänomen der Aussagenstrukturierung» (Warnke 2015, 221) verstanden. Ausgehend von der Annahme, dass ein Text keine abgeschlossene Größe ist, sondern in textübergreifende Strukturen eingebettet ist, wird nicht mehr «nur» von einer Strukturiertheit oberhalb der Grenze des Satzes ausgegangen, worin der Kern des transphrastischen Diskursbegriffs besteht, sondern auch von einer Strukturiertheit oberhalb der Grenze des Texts. Häufig wird dabei das Kriterium der Thematizität zugrunde gelegt, d.h., dass zwischen den verschie Demgegenüber nehmen andere – zu Recht – eine Differenzierung zwischen parole und discours vor. Dies gilt zum Beispiel für Émile Benveniste, der zeigt, dass parole und discours nicht gleichzusetzen sind und sich discours folglich nicht in alleiniger Abgrenzung zur langue bestimmen lässt (cf. Kapitel 3.2.2 sowie Lebsanft/Schrott 2015a, 16–17; cf. auch Kapitel 3.2.1).
3.2 Zum Diskurs als Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung
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denen Texten, aus denen sich ein Diskurs zusammensetzt, ein thematischer Zusammenhang besteht. Davon zeugen Definitionen von Diskursen als «virtuelle Textkorpora» (Busse/Teubert 1994, 14), als «thematisch bestimmte Mengen von Texten» (Konerding 2009a, 165), als «Dialog zu einem Thema» (Hermanns 1995, 88), «Zeitgespräch» (Hermanns 1995, 88) oder «Auseinandersetzung mit einem Thema» (Gardt 2007, 30). Dieser Diskursbegriff dominiert insbesondere in der germanistischen Diskursforschung (cf. u.a. Busse/Teubert 1994; 2013; Gardt 2007; 2017; Warnke 2007a; 2015; 2018a; Warnke/Spitzmüller 2008a; Spitzmüller/Warnke 2011) und der Kritischen Diskursanalyse (cf. u.a. van Dijk 1985; Jäger 1993/1999; Fairclough 1995/2010; Wodak/Chilton 2005). Diskurs als Erörterung mit dem Ziel der Wahrheitsfindung. Diesem auf Habermas (1981) zurückgehenden Diskursbegriff liegt die Auffassung zugrunde, dass Kommunikation stets auf bestimmten Prämissen beruht, wobei der Diskurs eben diese Prämissen thematisiert und somit auf einer metasprachlichen Ebene angesiedelt ist. Wie diese kurze und keineswegs vollständige Auflistung verschiedener Diskursbegriffe zeigt, gibt es allein in der Sprachwissenschaft eine Vielzahl von Diskursbegriffen, die in Abhängigkeit von ihrer theoretischen und methodischen Verortung jeweils unterschiedliche Akzente setzen und mit denen entscheidende Konsequenzen für die jeweiligen Forschungsschwerpunkte und -perspektiven einhergehen. Entsprechend ist auch die Zahl diskursanalytischer Ansätze innerhalb der Sprachwissenschaft ausgesprochen vielfältig, wie im folgenden Kapitel deutlich werden wird.
3.2 Zum Diskurs als Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung So vielfältig wie die Ausprägungen des Diskursbegriffs sind auch die Spielarten der Diskursforschung. In unterschiedlichen Disziplinen, aber auch innerhalb einer Disziplin haben sich eine Vielzahl diskursanalytischer Ansätze herausgebildet. Auch in der sprachwissenschaftlichen Diskursforschung herrscht kein Konsens über «[e]in geschlossenes, von einer Position aus durchformuliertes und allgemein als verbindlich anerkanntes Theoriegebäude» (Gardt 2007, 36). Umso notwendiger erscheint es, einen Überblick über den Diskurs als Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung zu bieten, der es ermöglicht, den in dieser Arbeit vertretenen Ansatz innerhalb dieser Vielfalt zu verorten und mit anderen Diskursbegriffen und Spielarten diskursanalytischer Forschung in Beziehung zu setzen. Dabei wird zunächst die Entstehung der sprachwissenschaftlichen Diskursforschung in den 1950er Jahren in den Blick genommen (Kapitel 3.2.1), im
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
Anschluss daran wird die zunehmende disziplinäre Etablierung, die die Diskursforschung in den 1960er Jahren in Frankreich erfahren hat, betrachtet (Kapitel 3.2.2) und schließlich wird ein Überblick über die sprachwissenschaftliche Diskursforschung heute geboten (Kapitel 3.2.3). Dabei wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben, sondern ein Schwerpunkt auf für die folgenden Ausführungen relevante Aspekte gelegt.
3.2.1 Die Anfänge der Diskursforschung in den 1950er Jahren: Harris und Coseriu Der Diskursbegriff hält in den 1950er Jahren durch zwei Ansätze Einzug in die Sprachwissenschaft, die als Pionierleistungen der sprachwissenschaftlichen Diskursforschung gelten können: der Entwurf einer distributionalistisch und formal vorgehenden discourse analysis des US-amerikanischen Linguisten Zellig S. Harris (1952) und die nur kurze Zeit später durch Eugenio Coseriu (1955/ 1956) propagierte funktionale lingüística del hablar. In seinem 1952 erschienenen Aufsatz Discourse analysis entwirft Harris ein Untersuchungsprogramm für die Analyse von «connected speech (or writing)» (Harris 1952, 1). Mit diesem verfolgt er ein zweifaches Ziel: die Analyse sprachlicher Strukturen «beyond the limits of a single sentence at a time» (Harris 1952, 1) auf der einen Seite und die Untersuchung der «connection between behavior (or social situation) and language» (Harris 1952, 2) auf der anderen. Das erste Ziel betrifft die Analyse satzübergreifender Strukturen. Indem Harris von einer Strukturiertheit jenseits der Einheit des Satzes ausgeht, leitet er eine neue Ära ein, die sich über die Grenzen des Satzes, der lange als oberste Struktureinheit der Sprache galt,130 hinwegsetzt und die Analyse transphrastischer Strukturen zum Gegenstand hat. Zu diesem Zweck entwickelt er ein distributionalistisch und formal angelegtes Untersuchungsprogramm, das es ermöglicht, systematische Textstrukturen herauszuarbeiten. Konsequenterweise wurde sein Ansatz vielmehr denn als Grundstein einer Diskursanalyse oder Diskurslinguistik als «Gründungsurkunde» der Textlinguistik begriffen (so Lebsanft/Schrott 2015a, 15 in Anlehnung an Szemerényi 1982, 38; cf. auch Warnke 2015, 225), was paradigmatisch darin zum Ausdruck kommt – oder dadurch befördert wurde –, dass der Titel seines Aufsatzes im Deutschen mit Textanalyse wiedergegeben wurde (Harris 1976). Paradigmatisch mag dafür die Auffassung des bedeutendsten Vertreters des amerikanischen Strukturalismus, Leonard Bloomfield (1933, 170), stehen, der den Satz als «an independent form, not included by virtue of any grammatical construction in any larger linguistic form» definiert.
3.2 Zum Diskurs als Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung
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So findet denn auch Harris’ Diskursbegriff in der heutigen Sprachwissenschaft eher selten Verwendung und die Analyse satzübergreifender Strukturen wird vielmehr als genuiner Gegenstand der Text- und Gesprächslinguistik betrachtet (cf. Brinker/Antos/Heinemann/Sager 2000–2001). Das zweite Ziel, die Untersuchung der Beziehung zwischen Sprache und Kultur, beruht auf der Feststellung, dass jede Äußerung stets in eine außersprachliche Situation eingebettet ist, weshalb der außersprachliche Kontext bei der Analyse sprachlicher Äußerungen stets Berücksichtigung finden muss. Diese Idee, die Harris nicht systematisch ausarbeitet, wurde später insbesondere durch die von Dell Hymes und John Gumperz mitbegründete Ethnomethodologie und Ethnographie des Sprechens aufgegriffen. Wenn Harris (1952, 1) discourse als «connected speech (or writing)» definiert, so ist damit folglich eine satzübergreifende, mündlich oder schriftlich geäußerte sprachliche Einheit gemeint, die auf grammatischen Verknüpfungsregeln beruht und in einen außersprachlichen Kontext eingebettet ist. Nur wenige Jahre später legt Eugenio Coseriu mit seinem Aufsatz Determinación y entorno (1955/1956) den Grundstein einer «Linguistik des Sprechens», der «lingüística del hablar», die er systematisch in seinem «Drei-Ebenen-Modell» des Sprechens ausarbeitet (cf. Kapitel 3.3.1).131 Gegenstand derselben ist, wie der Name schon sagt, das Sprechen, also der Sprachgebrauch bzw., in Worten Saussures, die parole. Dabei plädiert Coseriu dafür, den Saussure’schen Ausdruck parole durch hablar zu ersetzen – «conviene sustituir el término parole, que puede resultar ambiguo, por el de hablar (actividad lingüística)» (Coseriu 1955/1956, 31) –, da er die Saussure’sche Dichotomie von langue und parole für unzulänglich hält (cf. Coseriu 1988/2007, 60–61). Mit dem Ausdruck hablar möchte Coseriu zum Ausdruck bringen, dass es ihm um das Sprechen als Tätigkeit geht: «el lenguaje se da concretamente como actividad, ο sea, como hablar» (Coseriu 1955/1956, 31). Das Sprechen als individuelle Tätigkeit nennt Coseriu (1955/1956, 31) – offenbar in Anlehnung an Antonio Pagliaro –132 discurso: «[E]n lo particular, [el hablar] es el discurso (el acto o la serie de actos) de tal individuo en tal oportunidad». Der Diskurs ist in eine Vielzahl sprachlicher und außersprachlicher Kontexte eingebettet, die Coseriu unter Rückgriff auf Bühlers Theorie der
Das 2021 erschienene Handbuch Manual de lingüística del hablar (Loureda/Schrott) gibt nicht nur einen systematischen Überblick über die «Linguistik des Sprechens» in der romanistischen Forschung, sondern zeugt auch von der ungebrochenen Aktualität dieses Paradigmas. Vergleichbares gilt für Lüdtke (2019). In der Tat interpretiert Pagliaro (1955, 5) den Saussure’schen Begriff der parole als «il momento soggettivo della lingua, l’atteggiamento particolare che la funzionalità del sistema assume nell’atto in cui si attua come discorso» (zit. nach Lebsanft/Schrott 2015a, 15; dies ist das Zitat, das Coseriu 1955/1956, 29 – in spanischer Übersetzung – anführt).
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
Umfelder systematisch ausdifferenziert. Unglücklicherweise wurde Coserius discurso – ebenso wie Saussures parole – ins Deutsche ausgerechnet mit Rede übersetzt (Coseriu 1975), wodurch die von Coseriu gezielt vorgenommene Abgrenzung von den Begrifflichkeiten Saussures verloren geht. Auf dieser Grundlage fordert Coseriu – neben einer Linguistik des Sprechens – eine systematische Linguistik des Diskurses (oder des «Textes»): «Die Aufmerksamkeit der Sprachwissenschaftler galt aber bis heute vor allem der historischen Ebene der Sprachtechnik, d.h. den Einzelsprachen. […] [doch] sollte man die Bedeutung der beiden anderen Ebenen nicht außer acht lassen; denn neben der Linguistik der Einzelsprachen ist Raum für eine Linguistik des Sprechens und für eine Linguistik des Diskurses (oder des ‹Textes›), die für ein wirkliches Verständnis der Sprache genauso notwendig sind» (Coseriu 1988/1992, 255; Hervorhebungen im Original).
Den Ansätzen Harris’ und Coserius ist gemeinsam, dass beide für eine Neuausrichtung der Sprachwissenschaft stehen, deren Gegenstand nicht die Sprache als abstraktes System, sondern der Sprachgebrauch, die konkrete Verwendung von Sprache im Kontext, ist. In diesem Sinne lässt sich das Entstehen der Diskursforschung als Gegenbewegung zu dem damals vorherrschenden strukturalistischen Paradigma begreifen,133 dessen Gegenstand gerade nicht der Sprachgebrauch, sondern die Sprache als abstraktes System ist. Der Strukturalismus ist in seinen Grundzügen auf die Ideen Ferdinand de Saussures zurückzuführen, die im Cours de linguistique générale (1916/2013) festgehalten wurden und bis heute wegweisend für die sprachwissenschaftliche Forschung sind. Bekanntermaßen prägte Saussure die Dichotomie von langue, dem abstrakten Sprachsystem, und parole, der Sprachverwendung (cf. Saussure 1916/2013, 80). Im Gegensatz zur langue habe die parole keine Struktur, sondern sei «accessoire et plus ou moins accidentel» (Saussure 1916/2013, 80). Um dieser vermeintlichen Strukturlosigkeit Ausdruck zu verleihen, wählt Saussure gezielt den Terminus parole und meidet den Terminus discours, da dieser, wie seine Kritik am deutschen Begriff Rede zum Ausdruck bringt, eine Strukturiertheit nahelege: «Rede correspond à peu près à ‹parole›, mais y ajoute le sens spécial de ‹discours›» (Saussure 1916/2013, 80; Hervorhebung im Original). Aufgrund der Strukturlosigkeit der parole müsse das primäre Interesse der Sprachwissenschaft der langue gelten: «Il faut se placer de prime abord sur le terrain de la langue et la prendre pour norme de toutes les autres manifestations du langage» (Saussure 1916/2013, 72). Die Untersuchung der parole sei zwar nicht ausgeschlossen, doch sei die langue der eigentliche Gegenstand der Sprachwissenschaft: «On peut à la rigueur conserver le nom de linguistique à Cf. auch Lebsanft/Schrott (2015a, 14); Weiland (2020, 34–35).
3.2 Zum Diskurs als Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung
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chacune de ces deux disciplines et parler d’une linguistique de la parole. Mais il ne faudra pas la confondre avec la linguistique proprement dite, celle dont la langue est l’unique objet» (Saussure 1916/2013, 90). Die Diskursforschung nimmt somit eine klare Gegenposition zum Strukturalismus ein, wenn sie fordert, den Sprachgebrauch zum Ausgangspunkt der Untersuchung zu machen und ausgehend von diesem Rückschlüsse auf das Sprachsystem zu ziehen. Während dies bei Harris noch vergleichsweise implizit bleibt, fordert Coseriu ganz explizit eine «radikale Änderung des Gesichtspunkts» (Coseriu 1988/2007, 57): «[…] parece necesario un cambio radical de punto de vista: no hay que explicar el hablar desde el punto de vista de la lengua, sino vice-versa. Ello porque el lenguaje es concretamente hablar, actividad, y porque el hablar es más amplio que la lengua: mientras que la lengua se halla toda contenida en el hablar, el hablar no se halla todo contenido en la lengua. En nuestra opinión, hay que invertir el conocido postulado de F. de Saussure: en lugar de colocarse en el terreno de la lengua, ‹hay que colocarse desde el primer momento en el terreno del hablar y tomarlo como norma de todas las otras manifestaciones del lenguaje› (inclusive de la ‹lengua›)» (Coseriu 1955/1956, 32; cf. auch Coseriu 1988/2007, 29–31).
Der Forderung, den Sprachgebrauch zum primären Gegenstand der Sprachwissenschaft zu machen, liegt die Annahme zugrunde, dass dieser nicht, wie Saussure behauptet hatte, frei von Strukturiertheit sei. Dabei ist bezeichnend, dass, gerade wenn es darum geht, auf Aspekte der Systematizität des Sprachgebrauchs hinzuweisen, der von Saussure gezielt gemiedene Ausdruck discours – bzw. dessen Äquivalente in anderen Sprachen – Verwendung findet. Aus diesem Grund sind auch, obwohl die Entstehung der Diskursforschung eine Hinwendung zur parole markiert, discours und parole nicht gleichzusetzen, worauf früh bereits Maingueneau (1976, 5) hingewiesen hat: «On définit souvent le discours comme un terme qui remplacerait celui de parole (Saussure) et s’opposerait donc à langue; s’il en était ainsi, l’analyse du discours n’aurait aucun fondement. En effet, s’il est nécessaire de remonter au Cours de linguistique générale de Saussure, c’est précisément pour construire le concept de discours sur une remise en cause de celui de parole et non pour reconduire ce dernier» (Hervorhebungen im Original).
Mit dem Terminus discours wird, in Abgrenzung zu dem der parole, der Feststellung Ausdruck verliehen, dass der Sprachgebrauch auch jenseits der Satzgrenze eine systematische Strukturiertheit aufweist. Dieser Kerngedanke trug maßgeblich zur Entstehung der Diskursanalyse bei und wurde, wie die Ansätze Harris’ und Coserius paradigmatisch illustrieren, in der Diskursforschung von Anfang an systematisch entwickelt: «Der Gedanke, dass die Strukturiertheit satzüberschreitender Äußerungen – sei es als Diskurs, sei es als Text – sich der Verwendung von Mustern verdankt, der Sprecher bei ihrer
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Verfertigung entsprechend spezifischen, vorgefundenen Regeln folgt und diese gegebenenfalls überschreitet und dazu beiträgt, sie zu verändern, ist in der Textlinguistik und in der linguistischen Diskursanalyse von Beginn an systematisch ausgebaut worden» (Lebsanft/Schrott 2015a, 21).
Diese Grundannahmen, die Ergebnis der Überwindung des strukturalistischen Paradigmas sind und maßgeblich zum Entstehen der sprachwissenschaftlichen Diskursforschung in den 1950er beigetragen haben, sollten auch für die weitere Entwicklung der sprachwissenschaftlichen Diskursforschung prägend sein.
3.2.2 Die disziplinäre Etablierung der Diskursforschung in den 1960er Jahren: von Benveniste bis Foucault Die disziplinäre Etablierung der Diskursanalyse setzt in den 1960er Jahren in Frankreich ein. Angestoßen durch die frühe Rezeption des Harris’schen Diskursbegriffs entwickelt sich die diskursanalytische Forschung in Frankreich zunächst innerhalb dreier Zentren, dem Laboratoire de lexicologie politique um Maurice Tournier in Saint Cloud, dem Centre de Recherches Linguistiques um Jean Dubois an der Université Paris X – Nanterre und dem Laboratoire de Psychologie sociale de Paris VII um Michel Pêcheux. Als «grande année […] de l’analyse du discours» (Maingueneau 2014, 12) kann das Jahr 1969 gelten, in dem gleich drei wegweisende Publikationen erscheinen: das von Dubois/Sumpf herausgegebene Themenheft der von Dubois mitbegründeten Zeitschrift Langages 13 mit dem Titel L’analyse du discours, das auch die französische Übersetzung des Aufsatzes von Harris enthält (Harris 1969), die Dissertation Michel Pêcheux’ mit dem Titel Analyse automatique du discours (1969) und nicht zuletzt Michel Foucaults einflussreiche Schrift L’archéologie du savoir (1969). Von besonders großer Wirkmacht für die Diskursanalyse in Frankreich und darüber hinaus waren bzw. sind insbesondere die Ansätze Émile Benvenistes und Michel Foucaults. Émile Benveniste, dem durch die frühe Auseinandersetzung mit Harris (Benveniste 1954/1968; cf. auch Lebsanft/Schrott 2015a, 16) die Einführung des Ausdrucks discours in die französische Sprachwissenschaft zu verdanken ist, kann als Gründungsvater der linguistique de l’énonciation, der «Äußerungslinguistik» gelten.134 Diese rückt die énonciation und damit die individuelle sprachliche Tä-
Die bereits in früheren Arbeiten entwickelten Ideen zur énonciation fasst Benveniste a posteriori in dem Aufsatz L’appareil formel de l’énonciation zusammen, der in dem 1970 erschienenen Themenheft der Zeitschrift Langages mit dem Titel L’énonciation enthalten ist. Zur
3.2 Zum Diskurs als Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung
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tigkeit ins Zentrum und kann somit, ähnlich wie die Ansätze Harris’ und Coserius, als Gegenbewegung zum strukturalistischen Paradigma aufgefasst werden (cf. Dessons 2006, 57–71). Der Terminus énonciation bezeichnet den individuellen Äußerungsakt eines Sprechers: «L’énonciation est cette mise en fonctionnement de la langue par un acte individuel d’utilisation» (Benveniste 1970, 12). Der énonciation wird das énoncé als Produkt dieser Tätigkeit gegenüberstellt.135 Den discours definiert Benveniste nun – wohl in Anlehnung an Charles Bally136 – über die énonciation: «Il faut entendre discours dans sa plus large extension: toute énonciation supposant un locuteur et un auditeur, et chez le premier l’intention d’influencer l’autre en quelque manière» (Benveniste 1959/1968, 241–242). Indem Benveniste den discours über die énonciation definiert, konstruiert er ihn zunächst in scharfer Abgrenzung zur langue: «l’énonciation suppose la conversion individuelle de la langue en discours» (Benveniste 1970, 13). Doch obwohl sich der discours in Abgrenzung zur langue definiere, sei er nicht mit der parole gleichzusetzen: «Le discours, dira-t-on, qui est produit chaque fois qu’on parle, cette manifestation de l’énonciation, n’est-ce pas simplement la ‹parole›? – Il faut prendre garde à la condition spécifique de l’énonciation: c’est l’acte même de produire un énoncé et non le texte de l’énoncé qui est notre objet» (Benveniste 1970, 13). Das Spezifikum des discours bestehe darin, dass er sich nicht auf das énoncé, das Produkt, sondern auf die énonciation, die Tätigkeit, bezieht, auf den «acte même de produire un énoncé» (cf. auch Dessons 2006, 59–60). Benvenistes Diskursbegriff definiert sich folglich, ähnlich wie Coserius Diskursbegriff, über den Aspekt der Tätigkeit und steht sowohl in Opposition zur langue als auch zur parole; er bezeichnet die «individuelle Aktualisierung der langue in der parole» (Lebsanft/Schrott 2015a, 16; Hervorhebungen im Original). Neben Benveniste ist Michel Foucault eine der zentralen Figuren der französischen Diskursforschung. Foucault hat zweifelsohne die größte Wirkungsmacht für die Gesamtheit der Diskursforschung über die Grenzen von Ländern und Disziplinen hinweg. Er selbst hat den Begriff des Diskurses – sowohl in verschiedenen Schriften als auch innerhalb ein und desselben Werks – vielfach
durch Benveniste begründeten linguistique de l’énonciation cf. Dessons (2006); Brunet/Mahrer (2011); Dufaye/Gournay (2013). Im deutschen Ausdruck Äußerung verwischen Benvenistes gezielt vorgenommenen begrifflichen Distinktionen, da Äußerung sowohl die Tätigkeit selbst als auch das Produkt der Tätigkeit bezeichnen kann. Um die Trennschärfe der Begriffe zu erhalten, werden in der Forschung üblicherweise die begrifflichen Neuschöpfungen Enunziation (énonciation) und Enunziat (énoncé) verwendet. «Toute énonciation de la pensée par la langue est conditionnée logiquement, psychologiquement et linguistiquement» (Bally 1932/1965, 35; cf. auch Lebsanft/Schrott 2015a, 17).
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und in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet – wie er nicht zuletzt selbst feststellt: «Quant au terme de discours dont on a ici usé et abusé dans des sens bien différents […]» (Foucault 1969, 141) –, was eine Klärung seines Diskursverständnisses zu einem komplexen Unterfangen macht. Den Versuch einer terminologischen Fixierung des Diskursbegriffs unternimmt Foucault in seiner programmatischen Schrift L’archéologie du savoir (1969). Ausgangspunkt ist die Dreiteilung in (i) performance verbale bzw. performance linguistique als Gesamtheit der sprachlichen Zeichen, (ii) formulation als individuellem Äußerungsakt und (iii) phrase bzw. proposition als grammatische bzw. logische Grundeinheiten einer formulation (Foucault 1969, 140). Dass nun diese Grundeinheiten einer formulation nicht einfach bedeutungsloses sprachliches Material bleiben, sondern dass mit ihnen etwas über die Welt ausgesagt werden kann, dass eine Beziehung zwischen den Wörtern (les mots) und den Dingen (les choses) besteht, verdanken sie ihrer Seinsweise (modalité d’existence) als Zeichen. Diese Seinsweise bezeichnet Foucault als énoncé:137 «On appellera énoncé la modalité d’existence propre à cet ensemble de signes: modalité qui lui permet d’être autre chose qu’une série de traces, autre chose qu’une succession de marques sur une substance, autre chose qu’un objet quelconque fabriqué par un être humain; modalité qui lui permet d’être en rapport avec un domaine d’objets, de prescrire une position définie à tout sujet possible, d’être situé parmi d’autres performances verbales, d’être doté enfin d’une matérialité répétable» (Foucault 1969, 140–141; Hervorhebung im Original).
Innerhalb der Gesamtheit von énoncés werden verschiedene ensembles d’énoncés unterschieden, die jeweils einer gemeinsamen formation discursive angehören. Unter einer formation discursive wiederum versteht Foucault ein System der Streuung (système de dispersion), das gemeinsamen Formationsregeln (règles de formation) unterliegt (Foucault 1969, 53). Mehrere énoncés gehören dann einer gemeinsamen diskursiven Formation (formation discursive) an, wenn sie sich durch gemeinsame Entstehensbedingungen und Verteilungsprinzipien auszeichnen. Als Beispiele solcher «familles d’énoncés» nennt Foucault (1969, 52) die Medi-
Demzufolge scheint Foucaults Verständnis von énoncé keineswegs deckungsgleich zu sein mit dem von Benveniste geprägten und heute in der Sprachwissenschaft dominierenden Konzept der Aussage im Sinne des Enunziats; eine solche Deutung, wie sie z.B. Warnke (2007a, 12) vornimmt, kommt einer starken Vereinfachung Foucaults gleich, der sich ja gerade nicht auf sprachliche Aussagen und Sprache im Allgemeinen beschränkt. Vielmehr scheint Foucault Enunziation und Enunziat in der formulation zu vereinen und mit dem énoncé ein weiteres, eigenes Konzept zu etablieren, das eine modalité d’existence sprachlicher Zeichen beschreibt.
3.2 Zum Diskurs als Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung
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zin, die Grammatik und die Ökonomie.138 Auf dieser Grundlage definiert Foucault discours schließlich als eine Menge von énoncés, die einer gemeinsamen diskursiven Formation angehören (cf. auch Foucault 1969, 153): «Et si je parviens à montrer […] que la loi d’une pareille série [de signes], c’est précisément ce que j’ai appelé jusqu’ici une formation discursive, si je parviens à montrer que celle-ci est bien le principe de dispersion et de répartition, non des formulations, non des phrases, non des propositions, mais des énoncés (au sens que j’ai donné à ce mot), le terme de discours pourra être fixé: ensemble des énoncés qui relèvent d’un même système de formation; et c’est ainsi que je pourrai parler du discours clinique, du discours économique, du discours de l’histoire naturelle, du discours psychiatrique» (Foucault 1969, 141; Hervorhebung im Original).
Das Ziel der Analyse von Diskursen besteht laut Foucault nun nicht in einer Analyse der Zeichen, aus denen die énoncés bestehen, sondern vielmehr in einer Analyse der Regeln, denen die Verwendung dieser Zeichen folgt. Vielmehr als um eine Analyse eines fertigen Objekts geht es um die Analyse einer Praxis, durch die das Objekt erst hervorgebracht wird: «Tâche qui consiste à ne pas – à ne plus – traiter les discours comme des ensembles de signes (d’éléments signifiants renvoyant à des contenus ou à des représentations) mais comme des pratiques qui forment systématiquement les objets dont ils parlent» (Foucault 1969, 66–67).139 Das, was durch die diskursive Praxis hervorgebracht wird, ist das Wissen (savoir): «Cet ensemble d’éléments, formés de manière régulière par une pratique discursive et qui sont indispensables à la constitution d’une science, bien qu’ils ne soient pas destinés nécessairement à lui donner lieu, on peut l’appeler savoir» (Foucault 1969, 238; Hervorhebung im Original). Diskurse sind deshalb Praktiken der Hervorbringung von Wissen (cf. auch Parr 2014, 234), weil in ihnen das Wissen einer Gesellschaft in Bezug auf einen bestimmten Gegenstand – etwa, um die oben genannten Beispiele aufzugreifen, die Medizin, die Ökonomie oder die Naturgeschichte – zu einer bestimmten Zeit aufscheint. Fou-
Der Analyse derartiger Wissensbereiche widmet sich Foucault in Les mots et les choses (1966) mit der Naturgeschichte, der Ökonomie und der Grammatik. Foucault zeigt, dass sich innerhalb dieser Wissensbereiche im Laufe der Geschichte wechselnde Ordnungssysteme herausgebildet haben, innerhalb derer jeweils eigene Werte und Wahrheiten gelten. Diese Ordnungssysteme, die die Bedingung der Möglichkeit von Wissen innerhalb einer bestimmten Epoche bestimmen, bezeichnet er als Episteme. Darin kann der zentrale Anknüpfungspunkt derjenigen Ansätze gesehen werden, die Foucault im Rahmen des konstruktivistischen Paradigmas rezipieren. In einer vergleichenden Zusammenschau diskursanalytischer Arbeiten, denen das Foucault’sche Diskursverständnis zugrunde liegt, zeigt Gardt (2007), dass diesen ein «konstruktivistische[s] Credo» gemein ist.
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
cault zufolge besteht die Aufgabe der Diskursanalyse darin, diskursive Praktiken der Hervorbringung von Wissen in ihrer Seins- und Funktionsweise neben anderen, nicht-diskursiven Praktiken, in die sie eingebettet sind, zu beschreiben. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei nicht auf sprachlichen oder sprachwissenschaftlichen Fragestellungen, sondern auf den diskursiven Formationen und den Regeln, denen diese gehorchen: «On voit en particulier que l’analyse des énoncés ne prétend pas être une description totale, exhaustive du ‹langage›, ou de ‹ce qui a été dit›. Dans toute l’épaisseur impliquée par les performances verbales, elle se situe à un niveau particulier qui doit être dégagé des autres, caractérisé par rapport à eux, et abstrait. En particulier, elle ne prend pas la place d’une analyse logique des propositions, d’une analyse grammaticale des phrases, d’une analyse psychologique ou contextuelle des formulations: elle constitue une autre manière d’attaquer les performances verbales, d’en dissocier la complexité, d’isoler les termes qui s’y entrecroisent et de repérer les diverses régularités auxquelles elles obéissent» (Foucault 1969, 142).
In L’Ordre du discours (1971) führt Foucault dieses Anliegen fort, indem er sich denjenigen Größen widmet, die die Ordnung des Diskurses regulieren: «Voici l’hypothèse que je voudrais avancer […]: je suppose que dans toute société la production du discours est à la fois contrôlée, sélectionnée, organisée et redistribuée par un certain nombre de procédures qui ont pour rôle d’en conjurer les pouvoirs et les dangers, d’en maîtriser l’événement aléatoire, d’en esquiver la lourde, la redoutable matérialité» (Foucault 1971, 10–11).
Foucault (1971, 10–39) identifiziert drei Prinzipien, die die Ordnung des Diskurses regulieren: (i) Ausschlussprinzipien (procédures d’exclusion) wirken von außen auf Diskurse und schränken die Macht von Diskursen ein; die wichtigsten Prinzipien des Ausschlusses sind das Verbot, die Ausgrenzung des Wahnsinns und der Wille zur Wahrheit. (ii) Prinzipien der Klassifikation, Anordnung und Verteilung (principes de classification, d’ordonnancement, de distribution) wirken von innen auf Diskurse und reduzieren das Zufällige im Diskurs. (iii) Prinzipien der Selektion unter den sprechenden Subjekten (l’auteur) regulieren den Zugang zum Diskurs. In L’Ordre du discours nimmt der Aspekt der Macht, dem in der FoucaultRezeption große Bedeutung beigemessen werden wird,140 erstmals einen zentralen Stellenwert ein. Foucault geht davon aus, dass Diskurse nicht nur Machtverhältnisse widerspiegeln, sondern auch Machtverhältnisse generieren können. Durch
Dies gilt insbesondere für die Kritische Diskursanalyse (cf. Kapitel 3.2.3), aber auch für manche deskriptiv orientierte diskurslinguistische Ansätze (cf. Warnke 2015; 2018a; Gardt 2017, 5).
3.2 Zum Diskurs als Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung
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Diskurse werde Macht ausgeübt und in Diskursen werde um Macht gekämpft: «[L]e discours n’est pas simplement ce qui traduit les luttes ou les systèmes de domination, mais ce pour quoi, ce par quoi on lutte, le pouvoir dont on cherche à s’emparer» (Foucault 1971, 12). Foucaults Werk ist in der Diskursforschung disziplinenübergreifend breit rezipiert worden und hat, wohl nicht zuletzt aufgrund seines vielschichtigen, unscharfen Charakters, insbesondere was den Diskursbegriff angeht, sehr heterogene Wirkungen hervorgerufen (cf. Angermuller 2014c, 27–28). Auch die sprachwissenschaftliche Diskursforschung beruft sich häufig auf Foucault, und dies obwohl Foucaults Interesse explizit nicht sprachlichen oder sprachwissenschaftlichen Fragestellungen galt, und sieht sich folglich mit den Unschärfen und Widersprüchlichkeiten seines Werks konfrontiert (cf. Warnke 2007a, 9–18).
3.2.3 Sprachwissenschaftliche Diskursforschung heute Heute ist die sprachwissenschaftliche Diskursforschung ein facettenreiches Feld, innerhalb dessen sich eine Vielzahl von Spielarten und Ansätzen herausgebildet haben, die sich nicht nur im Hinblick auf die jeweils zugrunde gelegten Diskursbegriffe und die aus diesen resultierenden Forschungsschwerpunkte und -perspektiven, sondern auch im Hinblick auf die gewählten theoretischen und methodischen Herangehensweisen unterscheiden. Die Zuordnung der einzelnen Ansätze zu den Traditionen bestimmter Länder, Sprachräume, Philologien oder Schulen vermag zwar eine erste Orientierung zu bieten, erweist sich jedoch letztlich als unzureichend. Synopsen der sprachwissenschaftlichen Diskursforschung sind immer wieder gegeben worden.141 Der folgende Überblick erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern setzt den Fokus auf für die folgenden Ausführungen relevante Ansätze. Auf eine besonders lange Tradition kann die Diskursanalyse insbesondere im frankophonen Raum zurückblicken, wo sie bereits ab den 1960er Jahren entsteht (cf. Kapitel 3.2.2). In theoretischer Hinsicht hat die analyse du discours französischer Prägung wichtige Impulse durch Émile Benveniste, den Gründungsvater der Äußerungslinguistik, sowie die Philosophen Michel Pêcheux
Cf. u.a. van Dijk (1985; 1997/2011); Schiffrin/Tannen/Hamilton (2001b); Charaudeau/ Maingueneau (2002); Gee/Handford (2012); Angermuller/Nonhoff/Herschinger/Macgilchrist/ Reisigl/Wedl/Wrana/Ziem (2014); Angermuller/Maingueneau/Wodak (2014b); Wrana/Ziem/ Reisigl/Nonhoff/Angermuller (2014); Spitzmüller (2017) (mit einem Fokus auf politischem Sprachgebrauch); Renkema/Schubert (2018); Warnke (2018b).
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und Michel Foucault erhalten; in methodologischer Hinsicht zeichnet sie sich durch ihr großes Interesse an lexiko- bzw. logometrischen und korpuslinguistischen Fragestellungen aus. Heute ist die analyse du discours französischer Prägung ein ausdifferenziertes Feld; Synopsen bieten u.a. das von Charaudeau/ Maingueneau (2002) herausgegebene Dictionnaire d’analyse du discours sowie die Überblickswerke von Maingueneau (1976; 1984; 1987; 1991; 1996/2009; 2014), der zweifelsohne als einer der Hauptvertreter der analyse du discours gelten kann, und Mazière (2005/2018). Auch im anglophonen Raum setzt die diskursanalytische Forschung bereits früh ein. Im Einklang mit dem in der anglophonen Diskursforschung häufig zugrunde gelegten weiten Diskursbegriff (cf. Kapitel 3.1) und in Abhängigkeit von der jeweiligen theoretischen Ausrichtung haben sich dabei ganz unterschiedliche Tendenzen und Strömungen herausgebildet, deren Inspirationsquellen von der Pragmalinguistik und der Soziolinguistik über die Interaktionale Linguistik und die Konversationsanalyse bis hin zur Korpuslinguistik reichen (für einen Überblick cf. Schiffrin/Tannen/Hamilton 2001b; Renkema/Schubert 2018). Wie im anglophonen Raum gibt es auch im deutschsprachigen Raum eine Vielzahl diskursanalytischer Ansätze. Diese schreiben sich u.a. in verschiedene Disziplinen bzw. einzelsprachliche Philologien ein, wenngleich es natürlich auch innerhalb dieser divergierende Ansätze ebenso wie disziplinenübergreifende Ansätze gibt. Die romanistische Forschung ist wesentlich geprägt durch den diskursanalytischen Ansatz Eugenio Coserius. In den letzten Jahren kommt im Rahmen des Coseriu’schen Ansatzes der Diskussion um Diskurs- bzw. Texttraditionen eine zentrale Rolle zu. Dieses durch Coseriu präfigurierte Konzept wurde von Schlieben-Lange (1983) aufgegriffen und von Koch (1987; 1997) und Oesterreicher (1997) entschieden weiterentwickelt.142 Inzwischen zeugen eine Fülle von Sammelbänden (Jacob/Kabatek 2001; Aschenberg/Wilhelm 2003; Schrott/Völker 2005; Kabatek 2008; Lebsanft/Schrott 2015b; Winter-Froemel/López Serena/Octavio de Toledo y Huerta/Frank-Job 2015; Octavio de Toledo y Huerta/ Fernández Alcaide/Leal Abad 2016; Kabatek 2018), Handbuchartikel (Wilhelm 2001; Schrott 2021), zahlreiche Einzelbeiträge und nicht zuletzt ein Handbuch (Winter-Froemel/Octavio de Toledo y Huerta 2023) von der Relevanz dieses Konzepts und der wissenschaftlichen Erforschung desselben. Indem die Diskursanalyse romanistischer Prägung mit dem Konzept der Diskurstraditionen die Traditionalität des Sprechens in den Fokus stellt, hat sie sich eine Dynamisierung des Diskursbegriffs zum Verdienst gemacht.
Zur Entstehung des Konzepts der Diskurstraditionen cf. Kabatek (2018, 13–20).
3.2 Zum Diskurs als Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung
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Parallel zu dem in der Romanistik dominierenden Paradigma der Diskurstraditionenforschung hat sich die Diskursanalyse auch in der Germanistik etabliert. Hier begegnet der Diskursbegriff zunächst im Rahmen der in den 1970er Jahren entstandenen Funktionalen Pragmatik.143 Ausgehend von der Definition des Diskurses als Sprechhandlung (cf. Kapitel 3.1) wird Diskursanalyse hier als ein Untersuchungsprogramm konzipiert, das die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen sprachlichem Handeln und sprachlichen Formen sowie zwischen sprachlichem Handeln und gesellschaftlichen Strukturen zum Ziel hat (cf. Ehlich 1994; 2016b; Rehbein 2001). Ab den 1980er Jahren haben sich in der Germanistik eine Vielzahl weiterer diskursanalytischer Ansätze und inzwischen auch eine veritable Diskurslinguistik etabliert,144 die sich, wie die Namensgebung signalisiert, als Diskursanalyse mit dezidiert linguistischen Fragestellungen, Konzepten und Methoden begreift. Diskurslinguistik ist als Dachterminus für eine Vielzahl verschiedener Ansätze aufzufassen, die mehrere zentrale Gemeinsamkeiten aufweisen. Erstens stehen sie alle mehr oder weniger explizit in der Tradition Michel Foucaults, zweitens sind sie meist – mehr oder weniger stark – konstruktivistisch perspektiviert, drittens wird Diskurs als transtextuelle Struktur und Diskursanalyse folglich als Analyse transtextueller Strukturen begriffen und viertens ist der Untersuchungsgegenstand zumeist ein bestimmtes Thema von gesamtgesellschaftlicher Relevanz oder Brisanz, das auf der Grundlage großer, medial schriftlicher Korpora analysiert wird.145 Dass von der Diskurslinguistik inzwischen als von einer «respektablen und durchaus respektierten Teildisziplin» (Warnke 2018a, XXVII) gesprochen werden kann, kommt nicht zuletzt in der Fülle von Publikationen zum Ausdruck, unter denen neben verschiedenen Einführungen (u.a. Spitzmüller/Warnke 2011; Niehr 2014b; Bendel Larcher 2015) insbesondere das von Warnke (2018b) herausgegebene Handbuch Diskurs hervorzuheben ist. Einen systematisch gegliederten Überblick über die entsprechende Literatur bietet die Bibliographie von Schmidt-Brücken (2016), die durch die Auswahl-Bibliographie zur (Linguistischen) Diskursanalyse nach Foucault (Busse/ Teubert 2013, 400–425) sowie das neuere Handbuch Diskurs ergänzt wird. Im Anschluss an die Diskurslinguistik hat sich in der germanistischen Forschung auch eine sogenannte «Angewandte Diskurslinguistik» herausgebildet.
Zur Funktionalen Pragmatik cf. Anm. 128. Einen Überblick über die verschiedenen Schulen der Diskursforschung innerhalb der deutschsprachigen Linguistik bieten Bluhm/Deissler/Scharloth/Stukenbrock (2000); cf. auch die entsprechenden Beiträge zum Wörterbuch der Diskursforschung, darunter u.a. Meier (2014a) zur Oldenburger Schule, Meier (2014b) zur Duisburger Schule, Schmidt-Brücken (2014a) zur Diskurslinguistik und Wengeler (2014) zur Düsseldorfer Schule. Cf. Jacob (2017, 5).
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
Als «praxisorientierte» (Roth/Spiegel 2013, 8) Spielart der Diskurslinguistik verfolgt sie das Ziel, «ihre Erkenntnisse auch für die Sprachpraxis, besonders im professionellen Bereich, nutzbar zu machen» (Roth/Spiegel 2013, 7), um so einen wichtigen Beitrag zur disziplinären Etablierung der Diskurslinguistik zu leisten: «Die Auseinandersetzung mit dem Anwendungspotenzial stellt für jede sprachwissenschaftliche Disziplin einen wichtigen Schritt zu ihrer Etablierung und Kanonisierung dar» (Roth/Spiegel 2013, 8). Parallel zu den Entwicklungen innerhalb der romanistischen und germanistischen Sprachwissenschaft findet die Diskursforschung im deutschsprachigen Raum auch in anderen Disziplinen Verbreitung. Ein an sprachwissenschaftliche Ansätze besonders anschlussfähiger und in der Germanistik stark rezipierter Ansatz ist die durch den Soziologen Reiner Keller begründete «Wissenssoziologische Diskursanalyse». Diese verbindet die Wissenssoziologie nach Berger/Luckmann (1969/2010) mit der Diskursforschung Foucaultscher Prägung und entwickelt auf dieser Grundlage ein Forschungsprogramm zur Analyse gesellschaftlicher Wissensverhältnisse und Wissenspolitiken (cf. Keller 2001/2011; 2005/2008). Während die sprachwissenschaftliche Diskursforschung im englisch-, deutsch- und französischsprachigen Raum bereits früh Verbreitung findet, setzt die Beschäftigung mit der Thematik im spanischsprachigen Raum vergleichsweise spät ein (cf. Bolívar 2007b, 9). Entsprechend zeichnet sich die hispanophone Tradition der análisis del discurso dadurch aus, dass sie verschiedene bereits bestehende diskursanalytische Ansätze in sich aufnimmt, diese in theoretischer und methodologischer Hinsicht weiterentwickelt und auf neue Gegenstände anwendet. Für Einführungen in die spanische Diskursanalyse cf. u.a. Lozano/Peña-Marín/Abril (1982/2004), Calsamiglia Blancafort/Tusón Valls (1999/ 2012), Narvaja de Arnoux (2006) und Covadonga López (2014). Einen Überblick über die Diskursanalyse im gesamten hispanophonen Raum bieten Cortés Rodríguez/Camacho Adarve (2003), Herrero Cecilia (2006) und Otaola Olano (2006); einen Schwerpunkt auf diskursanalytische Ansätze in Lateinamerika setzen Bolívar (2007a) und Londoño Zapata (2018). Quer zu den bislang beschriebenen Ansätzen steht das Paradigma der Kritischen Diskursanalyse (KDA) (engl. Critical Discourse Analysis, CDA bzw. Critical Discourse Studies, CDS). Dieses Anfang der 1990er Jahre entstehende Paradigma hat sich innerhalb der Diskursforschung inzwischen fest etabliert, wie die große Zahl an Publikationen, darunter insbesondere einige Sammelbände (cf. u.a. Wodak/Meyer 2001/2016b; Wodak/Chilton 2005; Hart/Cap 2014; Langer/Nonhoff/Reisigl 2019; Catalano/Waugh 2020), Überblickswerke (u.a. Fairclough 1995/ 2010) und ein Handbuch (Flowerdew/Richardson 2018), bezeugt. Der Terminus Kritische Diskursanalyse bezeichnet kein einheitliches Programm, sondern ist ein Oberbegriff für eine Vielzahl von Ansätzen, zu denen u.a. die Duisburger Schule
3.2 Zum Diskurs als Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung
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(Jäger 1993/1999), die Oldenburger Schule (Januschek 2007), der soziokognitive Ansatz van Dijks (van Dijk 2008), der sozialtheoretisch fundierte Ansatz Faircloughs (Fairclough 1993; 1995/2010), der soziosemiotische Ansatz van Leeuwens (van Leeuwen 2008) und der Wiener Ansatz der Kritischen Diskursanalyse (Reisigl 2001/2011; Reisigl/Wodak 2001/2016) zählen. Die Gemeinsamkeit dieser Ansätze – und ihr zentraler Unterschied zu deskriptiv orientierten diskursanalytischen Ansätzen – besteht darin, dass sie, wie der Zusatz Kritisch signalisiert, in der Tradition der Kritischen Theorie146 stehen. Entsprechend zeichnet sich die Kritische Diskursanalyse durch ihren normativen Anspruch und engagierten Gestus aus, demzufolge der Diskursanalytiker unter Berufung auf eigene Normen und Werte in Bezug auf den analysierten Diskurs Stellung beziehen soll: «Kritische Diskursanalyse, wie ich sie verstehe, legt die eigene Position offen und gibt ihr Engagement zu» (Jäger 1993/1999, 8); «It [Critical Discourse Analysis] is not just descriptive, it is also normative. It addresses social wrongs in their discursive aspects and possible ways of righting or mitigating them» (Fairclough 1995/2010, 11). Dieser kritischen Grundhaltung entsprechend liegt ein Hauptaugenmerk der Kritischen Diskursanalyse auf dem Verhältnis zwischen Sprache und Macht bzw. Herrschaft; das Paradigma der Kritischen Diskursanalyse situiert sich folglich im Spannungsfeld zwischen Linguistik und Ideologiekritik: «Die Kritische Diskursanalyse setzt sich zum Ziel, die ideologisch durchwirkten und oft opaken Formen der Machtausübung, der politischen Kontrolle und Manipulation sowie der diskriminierenden, beispielsweise sexistischen oder rassistischen, Unterdrückungsund Exklusionsstrategien im Sprachgebrauch sichtbar zu machen» (Wodak/Cillia/Reisigl/Liebhart/Hofstätter/Kargl 1998, 43).
Der Überblick über ausgewählte Spielarten sprachwissenschaftlicher Diskursforschung heute führt deutlich vor Augen, dass es sich bei dieser um ein sehr heterogenes Feld handelt, das sich nicht nur durch unterschiedliche Diskursbegriffe, sondern auch durch eine große Vielfalt theoretischer und methodischer Zugänge auszeichnet; hinzu kommt nicht zuletzt die große Bandbreite an Untersuchungsgegenständen. Vor dem Hintergrund dieses Wissens um die Vielfalt der Diskurs-
Der auf Max Horkheimer (1937) zurückgehende Begriff Kritische Theorie bezeichnete ursprünglich die von Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse in den 1930er Jahren in Frankfurt begründete Theorietradition der sogenannten Frankfurter Schule. Gegenwärtig wird der Begriff als allgemeine Bezeichnung für «eine Form der Theoriebildung [verwendet], die erstens auf eine normative Begründung ihrer selbst Wert legt, die zweitens an außertheoretisch repräsentierte soziale Träger adressiert ist und die drittens die von ihr zum Thema gemachten sozialen Verhältnisse so darstellt, daß sie der handelnden Disposition kollektiver Akteure zugänglich werden» (Dubiel 1971; Hervorhebungen im Original).
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begriffe und diskursanalytischer Spielarten kann nun der dieser Arbeit zugrunde liegende diskursanalytische Ansatz expliziert werden.
3.3 Diskurs und Diskursanalyse: Grundzüge eines Programms Die sprachwissenschaftliche Diskursforschung ist, wie in Kapitel 3.1 und 3.2 deutlich wurde, ein äußerst heterogenes Feld. In Anbetracht der großen Bandbreite an Diskursbegriffen und Spielarten diskursanalytischer Forschung tritt die Notwendigkeit einer klaren Positionierung innerhalb dieses Spektrums deutlich vor Augen, worin das Ziel des vorliegenden Kapitels besteht. Dazu wird zunächst eine systematische sprachtheoretische Verortung des vorliegenden Ansatzes vorgenommen. Als Grundlage dient dabei das Drei-Ebenen-Modell des Sprechens von Eugenio Coseriu, das zunächst beschrieben und erläutert und schließlich auf die Untersuchung von Agonalität angewandt wird (Kapitel 3.3.1). Im Anschluss daran wird geklärt, welches Verständnis von Diskurs (Kapitel 3.3.2) und Diskursanalyse (Kapitel 3.3.3) in der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegt wird. Im Zentrum stehen dabei insbesondere zwei Ansätze: die auf der Grundlage des Coseriu’schen Ansatzes entstandene und in der romanistischen Forschung dominierende Diskurstraditionenforschung und die maßgeblich durch Foucault inspirierte und innerhalb der germanistischen Forschung verankerte Diskurslinguistik. Zwischen beiden ergeben sich zahlreiche Synergieeffekte, die es systematisch auszuloten gilt. Auf diese Weise soll auch ein Beitrag zur diskursanalytischen Theoriebildung geleistet werden.
3.3.1 Das Drei-Ebenen-Modell Eugenio Coserius Als sprachtheoretischer Rahmen für den vorliegenden Ansatz fungiert die allgemeine Sprachtheorie Eugenio Coserius, die in dem bekannten «Drei-EbenenModell» systematisch ausgearbeitet wird (cf. Coseriu 1980/1994; 1988/1992, 250–265; 2007). Ausgangspunkt ist der zugrunde gelegte Sprachbegriff. Coseriu (1988/2007, 70) begreift das Sprechen als kulturelle Tätigkeit147 als «eine universelle allgemeinmenschliche Tätigkeit, die jeweils von individuellen Sprechern als Vertretern Darüber hinaus begreift Coseriu das Sprechen auch als psychophysische Tätigkeit. Das Sprechen setzt somit einerseits eine kulturelle und andererseits eine psychisch-physische Sprachkompetenz voraus, die gemeinsam die Sprachkompetenz in ihrer Gesamtheit bilden. Diese wird durch die Fähigkeit zu sprachbegleitenden Tätigkeiten (Mimik, Gestik etc.) ergänzt;
3.3 Diskurs und Diskursanalyse: Grundzüge eines Programms
119
von Sprachgemeinschaften mit gemeinschaftlichen Traditionen des Sprechenkönnens individuell in bestimmten Situationen realisiert wird». Aus dieser Definition lassen sich drei Ebenen des Sprechens ableiten, die universelle, die historische und die individuelle Ebene. Darüber hinaus lässt sich das Sprechen als kulturelle Tätigkeit – wie jede andere Tätigkeit auch – unter drei Gesichtspunkten betrachten: als die Tätigkeit an sich, als das der Tätigkeit zugrunde liegende Wissen und als das Produkt der Tätigkeit (cf. Coseriu 1988/2007, 71). Mit den drei Gesichtspunkten greift Coseriu (1955/1956, 31; 1988/2007, 10–15, 71) die Unterscheidung Wilhelm von Humboldts zwischen ἐνέργεια (Tätigkeit) und ἔργoν (Produkt) auf und ergänzt sie unter Rückgriff auf Aristoteles um die Kategorie der δύναμις (Wissen). Coseriu (1988/2007, 71) weist zu Recht darauf hin, dass es sich dabei «um Unterschiede des Gesichtspunkts handelt, unter denen dieselbe reale Sprechtätigkeit betrachtet wird, nicht um verschiedene reale Gegenstände». Ausgehend von den drei Ebenen und den drei Gesichtspunkten ergibt sich eine Kreuzklassifikation, die die Grundlage der Allgemeinen Theorie des Sprechens bildet (cf. Abbildung 2). Auf der universellen Ebene wird das Sprechen als allgemein-menschliche Tätigkeit betrachtet. Produkt des Sprechens als allgemein-menschliche Tätigkeit ist die Totalität aller Äußerungen, also die Gesamtheit dessen, was jemals gesagt wurde bzw. wird. Diese ist empirisch unendlich und kann somit nicht exhaustiv erfasst werden (cf. Coseriu 1988/2007, 74). Als allgemein-menschliche Tätigkeit setzt das Sprechen eine allgemeinsprachliche Kompetenz voraus, die Coseriu (1988/2007, 74) elokutionelles Wissen nennt. Das elokutionelle Wissen ist ein allgemeines Wissen darüber, «wie man spricht» (Coseriu 1980/1994, 56). Es beruht einerseits auf «allgemeinen Denkprinzipien», wie zum Beispiel den Prinzipien der Identität, des Nicht-Widerspruchs oder der Referenz, und andererseits auf der «Kenntnis der Sachen», also einer Kenntnis der Gegenstände und Sachverhalte, über die man spricht (Coseriu 1980/1994, 48). Die historische Ebene bezieht sich auf das Sprechen in einer bestimmten Einzelsprache. Die Einzelsprache tritt nie als konkretes Produkt in Erscheinung; sie kann lediglich in abstrahierter Form in Wörterbüchern und Grammatiken festgehalten werden (cf. Coseriu 1988/2007, 75). Das Sprechen in einer Einzelsprache beruht auf dem idiomatischen Wissen, das der einzelsprachlichen Kompetenz entspricht (cf. Coseriu 1988/2007, 74). Dabei handelt es sich um ein Wissen um historische Traditionen (cf. Coseriu 1988/2007, 70), die in einer
gemeinsam bilden sie die Allgemeine Ausdrucksfähigkeit des Menschen (cf. Coseriu 1988/ 2007, 64–68).
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
Sprachgemeinschaft geteilt werden und die sich auf verschiedene einzelsprachlich relevante Bereiche beziehen können (Lexik, Grammatik, Aussprache etc.). Die individuelle Ebene betrifft das Sprechen eines Individuums in einer bestimmten Situation. Das Sprechen als individuelle Tätigkeit nennt Coseriu Diskurs: «Zur Bezeichnung dieser individuellen Tätigkeit in einer bestimmten Situation schlage ich – nach dem franz. discours – den Terminus ‹Diskurs› vor. Im Deutschen sagt man für diese Ebene auch ‹Text›; dabei muß man aber daran denken, daß es hier zuerst um die Tätigkeit selbst geht und nicht um ihr Produkt» (Coseriu 1988/2007, 71; Hervorhebung im Original).
Der Diskurs wird auf der individuellen Ebene und unter dem Gesichtspunkt der Tätigkeit verortet und damit als individuelle Tätigkeit in einer bestimmten Situation konzeptualisiert; der Diskurs im Sinne Coserius ist somit die «jeweils an ein Individuum gebundene, konkrete Realisierung von Sprache im situativen Kontext» (Oesterreicher 1988, 359). An anderer Stelle definiert Coseriu Diskurs auch als «(el acto o la serie de actos) del tal individuo en tal oportunidad» (Coseriu 1955/1956, 31), als «Redeakte» (Coseriu 1988/2007, 85, 86) oder auch als «Sprechakt (oder die Reihe zusammenhängender Sprechakte) eines bestimmten Individuums in einer bestimmten Situation» (Coseriu 1988/2007, 253). Trotz der offenkundigen Affinität zu dem, was in der Sprachwissenschaft heutzutage mit Austin und Searle als Sprechakt bezeichnet wird, ist Coserius Diskursbegriff keinesfalls mit dem pragmalinguistischen Sprechaktbegriff gleichzusetzen.148 Dem Diskurs als Tätigkeit wird der Text als Produkt dieser Tätigkeit gegenübergestellt: «So ist das Produkt des individuellen Sprechens, d.h. des Diskurses, der Text, der in der Erinnerung bewahrt, der aufgezeichnet oder der aufgeschrieben werden kann» (Coseriu 1988/2007, 71). Die Opposition Diskurs vs. Text entspricht bei Coseriu somit nicht – wie etwa in der Konversationsanalyse (cf. Kapitel 3.1) – derjenigen zwischen gesprochener und geschriebener Sprache, sondern derjenigen zwischen Tätigkeit und Produkt. Als Sprechen in einer bestimmten Situation setzt der Diskurs ein Wissen darum voraus, «wie man Texte in bestimmten Situationen konstruiert» (Coseriu 1988/2007, 74); dieses Wissen nennt Coseriu (1988/2007, 74) expressives Wissen.149
Cf. auch Anm. 192. Die Wahl dieses Ausdrucks erläutert Coseriu (1988/2007, 87) wie folgt: «Der Terminus expressiv verweist auf keine besondere Tradition; es war aber kein besserer zu finden. Der Ausdruck diskursives Wissen (d.h. ʻWissen, das die discours bzw. Diskurse betrifftʼ) wäre nicht unmittelbar verständlich oder mißverständlich, und textuelles Wissen würde man eher als ʻWissen über Texteʼ verstehen und nicht als ʻWissen, das der Gestaltung von Texten zugrundeliegtʼ» (Hervorhebungen im Original).
3.3 Diskurs und Diskursanalyse: Grundzüge eines Programms
121
Das expressive Wissen bezieht sich auf die allgemeinen Determinationen des Sprechens, d.h. auf den Sprecher, den Adressaten, den Gegenstand und die Situation, und umfasst Normen der Diskurs- bzw. Textkonstitution, die sich auf diese Faktoren sowie auf die Gestaltung spezifischer Diskurse bzw. Texte beziehen (cf. Coseriu 1988/2007, 161–167). Die Kreuzklassifikation, die sich aus den drei Ebenen und den drei Gesichtspunkten ergibt, ergänzt Coseriu um zwei weitere Kategorien, anhand derer sich die drei Ebenen zusätzlich unterscheiden lassen: Urteil und Inhalt. «Die Urteile beziehen sich darauf, ob das Sprechen den üblichen normalen Erwartungen jeweils entspricht» (Coseriu 1988/2007, 77). Die Urteile beruhen auf dem ebenenspezifischen Wissen; das jeweilige Wissen ist Voraussetzung dafür, das Sprechen in Bezug auf die korrespondierende Ebene zu beurteilen. Die Urteile sind jeweils autonom, d.h., dass Urteile, die sich auf eine Ebene beziehen, unabhängig von den Urteilen sind, die sich auf eine andere Ebene beziehen; dies bestätigt die Existenz eines für die jeweiligen Ebenen spezifischen Wissens (cf. Coseriu 1988/2007, 77–78, 83). Auf der universellen Ebene unterliegt das Sprechen dem Urteil der Kongruenz. Das Sprechen gilt als kongruent, wenn es «klar, folgerichtig und zusammenhängend» ist, «vor allem was die allgemeinen Denkprinzipien angeht», und «sich auf die als allgemein vorauszusetzende Kenntnis der Sachen in einer gegebenen Gemeinschaft zu einer gegebenen Zeit [gründet]» (Coseriu 1980/1994, 56). Auf der historischen Ebene unterliegt das Sprechen dem Urteil der Korrektheit, das sich auf die sprachliche Richtigkeit bezieht. Das Sprechen wird als korrekt beurteilt, wenn es den einzelsprachlichen Traditionen entspricht und nicht durch Mängel von ihnen abweicht (cf. Coseriu 1988/2007, 81–82).150 Auf der individuellen Ebene unterliegt das Sprechen dem Urteil der Angemessenheit. Das Sprechen gilt dann als angemessen, wenn es den Erwartungen, die in dieser Situation an das individuelle Sprechen gestellt werden, entspricht (cf. Coseriu 1988/2007, 86–87). Mit dem Kriterium der Angemessenheit – gr. πρέπον (prepon), lat. decorum; aptum – greift Coseriu eine Kategorie auf, die in der Rhetorik bereits auf eine lange Tradition zurückblicken kann (für einen Überblick cf. Asmuth 2013). Bereits Aristoteles hält in seiner Rhetorik (Buch III, Kapitel 2,7,12) fest, dass eine
Auf der einzelsprachlichen Ebene setzt Coseriu (1980/1994, 55) neben dem Urteil der Korrektheit auch dasjenige der Exemplarität an; eine Unterscheidung, die in Coseriu (1988/2007) jedoch nicht mehr aufgegriffen wird. Während sich die Korrektheit auf die Richtigkeit sprachlicher Äußerungen bezieht, geht es bei der Exemplarität um das Beispielgebende, um das, was als Ideal angesehen wird und was in der Gesellschaft Prestige hat (zu Korrektheit und Exemplarität sowie zum Normbegriff bei Coseriu im Allgemeinen cf. Kabatek 2020).
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
«sprachliche Formulierung» dann als angemessen gilt, wenn sie «in der rechten Relation zu dem zugrundeliegenden Sachverhalt steht»: «Angemessenheit (πρέπον, aptum, decorum, proprietas) wird die sprachliche Formulierung besitzen, wenn sie Affekt und Charakter ausdrückt und in der rechten Relation zu dem zugrundeliegenden Sachverhalt steht. Die rechte Relation aber liegt vor, wenn man nicht über Erhabenes ohne Sorgfalt und über Geringfügiges erhaben spricht […].»
Die Angemessenheit nimmt eine besondere Stellung in der Beurteilung des Sprechens ein. Nicht nur in der modernen Rhetorikforschung gilt sie als «eine Art ‹Superprinzip›» (Sanders 1986, 176, zit. nach Asmuth 2013), als «das grundlegende regulative Prinzip der Rhetorik» (Ueding/Steinbrink 2011, 221), sondern auch für Coseriu (1988/2007, 179) ist sie «das allererste Kriterium, d.h. der primäre Maßstab, nach dem Texte bzw. Diskurse bewertet werden».151 Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Beurteilung einer Ebene durch die Beurteilung einer determinierteren Ebene zwar außer Kraft gesetzt werden kann, das Urteil der Angemessenheit jedoch durch kein anderes Urteil aufgehoben werden kann (cf. Coseriu 1988/2007, 117–127, 176–181). Neben der Kategorie des Urteils ergänzt Coseriu die Kreuzklassifikation um die Kategorie des Inhalts. Diese bezieht sich auf «Schichten des Bedeutens» bzw. «Ebenen der Funktionalität» (Coseriu 1980/1994, 262); sie entspricht dem, was gesagt wird. In inhaltlicher Hinsicht entspricht der universellen Ebene die Bezeichnung, der historischen Ebene die Bedeutung und der individuellen Ebene der Sinn. Bezeichnung verwendet Coseriu (1988/2007, 79) mehr oder weniger synonym zu Referenz und versteht darunter «die Beziehung zu außersprachlichen Gegenständen oder zur außersprachlichen ‹Wirklichkeit›, seien es nun die Sachverhalte selbst oder die entsprechenden Gedankeninhalte» (Coseriu 1988/ 2007, 262). Die Bezeichnung ist universell und liegt zu einem erheblichen Teil in der außersprachlichen Wirklichkeit begründet (cf. Cremer 2015, 13–14); so kann etwa mit verschiedenen Ausdrücken – verschiedener Sprachen oder einund derselben Sprache – auf ein und denselben Inhalt referiert werden. Die Bedeutung ist «der sprachlich gegebene Inhalt in einer Einzelsprache, d.h. die besondere Gestaltung der Bezeichnung in einer bestimmten Sprache» (Coseriu 1988/2007, 79). Die Bedeutung entsteht durch den Vollzug der Bezeich-
Von der Bedeutsamkeit der Angemessenheit zeugt auch die Tatsache, dass sie zur theoretischen Grundlage der linguistischen Sprachkritik bestimmt wird, die sich als «kritische Reflexion und Bewertung von Sprachgebrauch auf der Grundlage des Maßstabs funktionaler Angemessenheit» versteht (Kilian/Niehr/Schiewe 2010/2016, 1–4, hier 4; Hervorhebung im Original).
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3.3 Diskurs und Diskursanalyse: Grundzüge eines Programms
nung mit einzelsprachlichen Mitteln, etwa durch die Wahl eines konkreten Ausdrucks zur Bezeichnung eines Sachverhalts. Die Bedeutung hat historischen Status, da Einzelsprachen auf historischen Traditionen beruhen. Der individuellen Ebene entspricht in inhaltlicher Hinsicht der Sinn. «Der S i n n […] ist das mit dem Sagen ‹Gemeinte›, d.h. der besondere sprachliche Inhalt, der mittels der Bezeichnung und der Bedeutung ausgedrückt wird, der aber in einem individuellen Diskurs über beide hinausgeht und den Einstellungen, Absichten oder Annahmen des Sprechers entspricht» (Coseriu 1988/2007, 79; Hervorhebungen im Original).
Alle beschriebenen Konzepte werden in dem «Drei-Ebenen-Modell» des Sprechens systematisch verortet, das in Abbildung 2 dargestellt wird. Die Abbildung beruht im Kern auf der sich aus den drei Ebenen und den drei Gesichtspunkten ergebenden Kreuzklassifikation und ist um die Kategorien des Urteils und des Inhalts ergänzt. Dabei sei hervorgehoben, dass all diese Konzepte in analytischer Hinsicht zwar voneinander zu trennen sind, im konkreten Sprechen jedoch stets zusammenspielen. EBENE
Universelle Ebene Historische Ebene Individuelle Ebene
GESICHTSPUNKT Tätigkeit ἐνέργεια
Wissen δύναμις
Produkt ἔργoν
Sprechen im Allgemeinen konkrete Einzelsprache Diskurs
elokutionelles Wissen idiomatisches Wissen expressives Wissen
Totalität der Äußerungen (abstrakte Einzelsprache) Text
Urteil
Inhalt
kongruent/ inkongruent korrekt/ inkorrekt angemessen/ unangemessen
Bezeichnung Bedeutung Sinn
Abbildung 2: Coserius Drei-Ebenen-Modell (cf. Coseriu 1988/2007, 75, 89).
Auf der Grundlage des Drei-Ebenen-Modells kann auch das Phänomen der Agonalität systematisch erfasst und auf diese Weise sprachtheoretisch präzisiert werden. Agonalität lässt sich auf allen drei Ebenen des Sprachlichen verorten: Agonalität ist ein universelles Phänomen (universelle Ebene), das in den jeweiligen Einzelsprachen unterschiedlich versprachlicht (historische Ebene) und in konkreten sprachlichen Äußerungen realisiert wird (individuelle Ebene). In Abhängigkeit davon, welcher Ebene das primäre Erkenntnisinteresse gilt, stehen bei der Untersuchung von Agonalität unterschiedliche Fragen im Fokus. Auf der individuellen Ebene geht es um diskursspezifische Funktionen von Agonalität.
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
So lässt sich etwa fragen, welche von Agonalität zeugenden sprachlichen Verfahren sich im Diskurs manifestieren, welche situations- und kontextabhängigen Funktionen einzelne Manifestationen von Agonalität im Diskurs haben und ob es akteurs- oder textsortenspezifische Merkmale von Agonalität gibt. In der vorliegenden Arbeit wird dies exemplarisch anhand ausgewählter Diskurse der fünf Spitzenkandidaten im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 untersucht. Auf der historischen Ebene geht es um einzelsprachspezifische Formen von Agonalität. Hier lässt sich ermitteln, wie Agonalität in einer historischen Einzelsprache, zum Beispiel dem Französischen, versprachlicht wird. Ergebnis einer solchen Untersuchung kann die Aufstellung eines Inventars der Agonalitätsindikatoren einer Sprache sein. Auf der universellen Ebene geht es um Agonalität als übereinzelsprachliches Phänomen. Ein übereinzelsprachliches Phänomen ist Agonalität insofern, als dass Konkurrenz und kompetitive Sprachspiele in sämtlichen Sprachen der Welt – und sogar jenseits von Sprache – eine Rolle spielen, was auf das Agonale als Anthropologikum, als ein dem Menschen grundsätzlich eigener Wesenszug (cf. Kapitel 2.3) zurückzuführen ist. Auf der universellen Ebene sind zum Beispiel die übereinzelsprachlichen, semantischen Dimensionen von Agonalität (cf. Kapitel 2.6.4) zu verorten.
Universelle Ebene Historische Ebene Individuelle Ebene
Agonalität in der Sprache
Beispiel
Agonalität als übereinzelsprachliches Phänomen einzelsprachspezifische Formen von Agonalität diskursspezifische Funktionen von Agonalität
Übereinzelsprachliche Dimensionen von Agonalität Versprachlichung von Agonalität im Französischen Manifestationen von Agonalität im Sprachgebrauch der fünf Spitzenkandidaten im französischen Präsidentschaftswahlkampf
Abbildung 3: Systematische Erfassung von Agonalität in der Sprache auf der Grundlage des Drei-Ebenen-Modells von Coseriu.
Die vorliegende Untersuchung zielt darauf ab, Erkenntnisse über Agonalität auf allen drei sprachlichen Ebenen zu gewinnen. Als Ausgangspunkt fungiert dabei der Diskurs, der im Fokus einer diskursanalytischen Untersuchung steht und in dem alle drei Ebenen aktualisiert werden.
3.3 Diskurs und Diskursanalyse: Grundzüge eines Programms
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3.3.2 Diskurs – eine Entwirrung Ziel dieses Kapitels ist es, den im Folgenden zugrunde gelegten Diskursbegriff zu klären. Den Ausgangspunkt stellt – im Einklang mit der in Kapitel 3.3.1 vorgenommenen sprachtheoretischen Verortung – der die romanistische Sprachwissenschaft bis heute maßgeblich prägende (cf. Lüdtke 2019, 336–428) Diskursbegriff Coserius dar. Darüber hinaus werden, ohne die jeweiligen Diskursbegriffe zur Deckung bringen zu wollen, Verbindungslinien zu anderen Diskursbegriffen aufgezeigt und mögliche Synergieeffekte ausgelotet. Eine besondere Rolle wird dabei der transtextuelle Diskursbegriff spielen. Coseriu (1988/1992, 71) verwendet den Terminus Diskurs zur Bezeichnung des Sprechens als einer «individuellen Tätigkeit in einer bestimmten Situation» und definiert ihn damit über drei Aspekte: die Betrachtung des Sprechens unter dem Gesichtspunkt der Tätigkeit, die Verortung auf der individuellen Ebene und die Einbettung des Sprechens in eine bestimmte Situation bzw. einen bestimmten Kontext. Diskurs steht folglich für «jeweils an ein Individuum gebundene, konkrete Realisierung von Sprache im situativen Kontext» (Oesterreicher 1988, 359), für die «Rede oder [das] Sprechen als Tätigkeit des Einzelnen» (Lüdtke 2019, 341). Demgegenüber steht der Terminus Text für das Produkt des individuellen Sprechens. Ein Text kann schriftlich fixiert, auditiv aufgezeichnet oder schlicht in Erinnerung bewahrt werden. Diskurs und Text unterscheiden sich folglich im Hinblick auf die Opposition Tätigkeit vs. Produkt, beziehen sich aber gleichermaßen auf mündlichen wie schriftlichen Sprachgebrauch. Wenn sprachliche Äußerungen Gegenstand einer sprachwissenschaftlichen Untersuchung sind, sind es streng genommen schon keine Diskurse mehr, sondern Texte, da die Äußerungen nicht mehr aktuell getätigt werden, sondern bereits in irgendeiner Weise fixiert wurden. Die Aufgabe des Diskursanalytikers besteht dann darin, ausgehend vom Text Rückschlüsse auf den Diskurs zu ziehen. Von einem auf diese Weise bestimmten Diskursbegriff ausgehend können sowohl ein einzelner Diskurs bzw. Text als auch eine Menge von Texten bzw. Diskursen Gegenstand einer diskursanalytischen Untersuchung sein. Besteht die Materialgrundlage aus einem einzelnen Diskurs bzw. Text, können lediglich Fragen an dieses individuelle Diskurs- bzw. Textexemplar gestellt werden; setzt sich die Materialgrundlage hingegen aus mehreren Diskursen bzw. Texten zusammen, so lässt sich auch fragen, welche Merkmale die Gesamtheit dieser Diskurse bzw. Texte prägen. In den 1950er Jahren, als Coserius Ansatz entstand, war die Idee, dass es auch eine Strukturiertheit oberhalb der Grenze des Satzes, also auf der Ebene des Textes gibt, bahnbrechend (cf. Kapitel 3.2.1). Inzwischen hat die Diskursforschung gezeigt, dass es nicht nur eine Strukturiertheit auf der Ebene des Textes,
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
sondern auch jenseits textueller Grenzen gibt. Diese Idee wird einerseits in der romanistischen Diskurstraditionenforschung systematisch ausgearbeitet, indem textübergreifende musterhafte Strukturen, die sich zum Beispiel in Form von Textsorten verfestigen können, untersucht werden, und ist andererseits konstitutiv für den transtextuellen Diskursbegriff, der unter anderem in der germanistischen Diskurslinguistik vertreten wird (cf. Kapitel 3.2.3). Der von Coseriu (1980/1994) vorgeschlagene Begriff der Texttradition wurde von Schlieben-Lange (1983) übernommen und von Koch (1997) und Oesterreicher (1997) unter dem Begriff der Diskurstradition weiterentwickelt. Das Konzept der Diskurs- bzw. Texttraditionen wurzelt in der Annahme, dass – obwohl jeder Text bzw. Diskurs individuell und in eine spezifische Äußerungssituation eingebettet ist – der Sprecher doch nicht in jeder Äußerungssituation etwas völlig Neues schafft, sondern an bekannte Traditionen und Muster anknüpft. Diskurstraditionen lassen sich damit als tradierte sprachliche Gestaltungsprinzipien beschreiben, die sich in einzelnen Diskurs- bzw. Textexemplaren manifestieren, aber einer Menge von Diskursen bzw. Texten gemeinsam sein und sich zum Beispiel zu Textgattungen und -sorten verfestigen können (cf. Wilhelm 2001; Lebsanft/ Schrott 2015a; Kabatek 2018; Schrott 2021; cf. ausführlicher Kapitel 3.4.3). Wie die Diskurstraditionenforschung zeigt, sind die Anwendungsmöglichkeiten des Coseriu’schen Diskursbegriffs nicht auf die Analyse eines einzelnen Diskurses beschränkt, sondern schließen auch eine Menge von Diskursen ein. In dieser Hinsicht kann die romanistische Diskurstraditionenforschung von der auf textübergreifende Strukturen spezialisierten germanistischen Diskurslinguistik profitieren. Trotz der Synergieeffekte gilt, dass der Coseriu’sche Diskursbegriff und der transtextuelle Diskursbegriff nicht zur Deckung zu bringen sind: Im Fall des transtextuellen Diskursbegriffs steht der Singular Diskurs für eine Vielzahl von Texten, bei Coseriu hingegen muss zur Bezeichnung dieses Gegenstands der Plural Diskurse verwendet werden.152 Mit Coseriu gesprochen sind einzelne Diskurse bzw. Texte in ein Gefüge von Relationen zwischen Diskursen bzw. Texten eingebettet; mehrere Diskurse bzw. Texte bilden diskurs- bzw. textübergreifende Strukturen aus.
Exemplarisch lässt sich dies an der Bezeichnung politischen Sprachgebrauchs demonstrieren: Die Gesamtheit der Äußerungen, die zum politischen Sprachgebrauch gehören, können im Sinne Coserius nicht mit dem Singular politischer Diskurs bezeichnet werden, sondern müssen mit dem Plural politische Diskurse bezeichnet werden; Coseriu (1987, 17) selbst spricht von «el estudio de los discursos políticos», Lebsanft (2018, 17) von der «linguistischen Analyse politischer Diskurse» und Narvaja de Arnoux (2021) von «los discursos de la política».
3.3 Diskurs und Diskursanalyse: Grundzüge eines Programms
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Der transtextuelle Diskursbegriff hat im Zuge der Diskussion um das Phänomen der Intertextualität153 Einzug in die germanistische Diskursforschung gehalten; zudem ist er maßgeblich durch Foucault inspiriert, dessen Interesse der Erfassung des Wissens innerhalb eines gesellschaftlichen Bereichs zu einer bestimmten Zeit galt. Während Foucault in seinem Heimatland Frankreich von der sprachwissenschaftlichen Diskursforschung mit deutlich mehr Zurückhaltung rezipiert wird (cf. Maingueneau 1976, 15; 2014, 14), wird er durch weite Teile der germanistischen Diskursforschung in Deutschland als Grundverständnis für deren Ansatz herangezogen (cf. Gardt 2007, 28; 2017, 5; Warnke 2007a; 2018a, X; Wengeler 2013). Einige Vertreter reklamieren sogar die Begründung einer sogenannten Diskurslinguistik nach Foucault für sich (cf. Warnke 2007b; Warnke/Spitzmüller 2008a), «deren zentrales Merkmal die Ausrichtung an Foucault ist und die ihre Konzepte und Gegenstandsbereiche gemäß Foucault’scher Theoreme organisiert bzw. das heuristische Potential der Foucault’schen Arbeiten erkennt» (Warnke 2007a, 10). Foucaults Diskursbegriff hat über das Forschungsprogramm der Diskurssemantik (Busse 1987) Eingang in die germanistische Diskursforschung gefunden, das Busse/Teubert (1994) in ihrem programmatischen Aufsatz Ist Diskurs ein sprachwissenschaftliches Objekt? präzisieren (cf. auch Busse 2013). Die dort entwickelte Definition von Diskurs fungiert bis heute als zentraler Bezugspunkt der germanistischen Diskursforschung: «Unter Diskursen verstehen wir im forschungspraktischen Sinn virtuelle Textkorpora, deren Zusammensetzung durch im weitesten Sinne inhaltliche (bzw. semantische) Kriterien bestimmt wird. Zu einem Diskurs gehören alle Texte, die – sich mit einem als Forschungsgegenstand gewählten Gegenstand, Thema, Wissenskomplex oder Konzept befassen, untereinander semantische Beziehungen aufweisen und/oder in einem gemeinsamen Aussage-, Kommunikations-, Funktions- oder Zweckzusammenhang stehen, – den als Forschungsprogramm vorgegebenen Eingrenzungen in Hinblick auf Zeitraum/Zeitschnitte, Areal, Gesellschaftsausschnitt, Kommunikationsbereich, Texttypik und andere Parameter genügen, – und durch explizite oder implizite (text- oder kontextsemantisch erschließbare) Verweisungen aufeinander Bezug nehmen bzw. einen intertextuellen Zusammenhang bilden.
Der durch Julia Kristeva (1967) im Kontext poststrukturalistischer Theorien geprägte Ausdruck Intertextualität wurde sowohl in der Literatur- als auch in der Sprachwissenschaft breit rezipiert. Innerhalb der (Text-)Linguistik wird er unterschiedlich definiert (cf. den Überblick bei Fix 2000); nach Holthius (1993) kann er sich sowohl auf Beziehungen zwischen Texten innerhalb einer Textsorte als auch auf direkte oder indirekte Bezugnahmen eines Texts auf andere Texte beziehen. Als Arbeitsdefinition lässt sich von Intertextualität als der Gesamtheit der expliziten und impliziten Bezüge eines Texts zu anderen Texten und Textsorten ausgehen.
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
Konkrete (d.h. einer diskurssemantischen Untersuchung zugrundeliegende) Textkorpora sind Teilmengen der jeweiligen Diskurse» (Busse/Teubert 1994, 14).
Durch die Definition von Diskursen «im forschungspraktischen Sinn» wird dem Korpus, auf dem die sprachwissenschaftliche Untersuchung von Diskursen beruht, besonderes Gewicht beigemessen. Diskurse bestehen aus der Gesamtheit der ihnen zugehörigen Texte, von denen der Linguist allerdings nur eine Teilmenge analysieren kann; ein Korpus ist also stets eine Teilmenge des Diskurses und der gesamte Diskurs als «virtuelles Textkorpus» zu begreifen. Die Auswahl dieser Teilmenge, sprich die Zusammenstellung des Korpus, erfolgt nach festgelegten Parametern, die durch die Forschungsfrage bestimmt werden; die Analyseergebnisse werden maßgeblich durch die Zusammenstellung des Korpus bedingt. In diesem Zusammenhang stellt sich die zentrale Frage, wie sich die Zugehörigkeit eines Textes zu einem Diskurs entscheidet. Busse/Teubert geben als Kriterien einen thematischen Zusammenhang und/oder einen «gemeinsamen Aussage-, Kommunikations-, Funktions- oder Zweckzusammenhang» an (cf. supra). In der Praxis wird diese weite Bestimmung von Diskursen zumeist auf den thematischen Zusammenhang beschränkt und Diskurse folglich als «thematisch bestimmte Mengen von Texten» (Konerding 2009a, 165) bestimmt (cf. Kapitel 3.1). Gegenstand entsprechender Untersuchungen sind zumeist bestimmte Themen, die auf der Grundlage großer «thematische[r] Korpora» (Felder/Müller/Vogel 2012b) analysiert werden.154 Diese Fokussierung der germanistischen Diskursanalyse auf einen thematischen Diskursbegriff bestätigt auch Gardt (2007) auf der Grundlage einer vergleichenden Betrachtung verschiedener diskursanalytischer Arbeiten dieses Paradigmas, deren Diskursbegriff er wie folgt resümiert: «Ein Diskurs ist die Auseinandersetzung mit einem Thema, – die sich in Äußerungen und Texten der unterschiedlichsten Art niederschlägt, – von mehr oder weniger großen gesellschaftlichen Gruppen getragen wird, – das Wissen und die Einstellungen dieser Gruppen zu dem betreffenden Thema sowohl spiegelt – als auch aktiv prägt und dadurch handlungsleitend für die zukünftige Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Bezug auf dieses Thema wirkt» (Gardt 2007, 30).
Exemplarisch genannt seien die Analysen des Schulddiskurses nach 1945 (Kämper 2005), der Bioethikdebatte (Spieß 2011a; Müller 2015) oder des Mensch-Natur-Verhältnisses (Mattfeldt 2018).
3.3 Diskurs und Diskursanalyse: Grundzüge eines Programms
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Ohne die Relevanz thematisch orientierter diskursanalytischer Studien auch nur im Geringsten in Frage zu stellen, sind, wie auch Warnke (2015, 233) konstatiert, neben der Frage, welche Themen eine Gesellschaft bewegen, zahlreiche weitere Fragen relevant und interessant, etwa wie über etwas gesprochen wird, warum über etwas gesprochen wird, wer über etwas spricht, welche Funktion Texte oder Aussagen haben, in welchen Kontexten über etwas gesprochen wird etc. Derartige Fragen rücken durch die Fokussierung der Thematizität in den Hintergrund. Daher möchte ich dafür plädieren, Mengen von Texten, die in einem anderen als thematischen Zusammenhang stehen, verstärkt in den Blick diskursanalytischer Untersuchungen zu nehmen.155 Maingueneau (2014, 32) nennt fünf potenzielle Kriterien, die eine solche Zusammengehörigkeit bewirken können:156 1. Texte oder Äußerungen, die aus einer bestimmten Disziplin stammen (le discours de la géographie, le discours de l’astronomie) 2. Texte oder Äußerungen, die von einer gemeinsamen Positionierung geprägt sind (le discours communiste, le discours surréaliste) 3. Texte oder Äußerungen, die ein und dasselbe Thema zum Gegenstand haben (le discours sur la sécurité, le discours sur l’Afrique) 4. Texte oder Äußerungen, die innerhalb eines bestimmten gesellschaftlichen Bereichs entstehen (le discours journalistique, le discours administratif) 5. Texte oder Äußerungen, die für eine bestimmte Sprechergruppe charakteristisch sind (le discours des infirmières, le discours des mères de famille) Diese Kriterien lassen sich auf verschiedene Weise auf politischen Sprachgebrauch anwenden. Das zweite Kriterium – das erste Kriterium ist nur sehr bedingt anwendbar – kommt etwa dann zum Tragen, wenn es um den Sprachgebrauch politischer Parteien, Strömungen oder Bewegungen geht; die von diesen produzierten Texte oder Äußerungen sind von einer gemeinsamen Positionierung, von
Entsprechende Ansätze finden sich in der germanistischen Diskursanalyse bislang nur vereinzelt. Eine nennenswerte Ausnahme stellt die Untersuchung der kommunikativen Praxis des Entscheidens von Jacob (2017) dar. Grundlage der Untersuchung sind Texte bzw. Äußerungen, die in einem gemeinsamen Handlungszusammenhang, dem des Entscheidens, stehen, in diesem Fall parlamentarische Debatten. Um diese in theoretischer Hinsicht zu erfassen, plädiert Jacob für eine Kombination von Diskurslinguistik und Funktionaler Pragmatik. Kritisch reflektiert wird die thematische Fokussierung diskursanalytischer Forschung auch in Linke (2015, 71–73), deren alternativer Vorschlag – die Analyse von sich in Brüchen oder Lücken manifestierenden Veränderungen von Diskursen, die sie am Beispiel der Textsorte der Geburtsanzeige demonstriert, – deutlich an die Analyse von Diskurs- bzw. Texttraditionen, wie sie in der Romanistik gepflegt wird, erinnert. Die Beispiele sind ebenfalls Maingueneau (2014, 32) entnommen.
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einer parteipolitischen Ideologie geprägt.157 Auch das unter Punkt 3 genannte Kriterium der Thematizität, das dem in der germanistischen Diskurslinguistik vertretenen Verständnis von Diskurs entspricht, ist auf politischen Sprachgebrauch anwendbar. Gegenstand entsprechender Untersuchungen können zum Beispiel alle politischen Texte oder Äußerungen zu einem bestimmten Thema wie dem Klimawandel oder der Künstlichen Intelligenz sein. Das vierte Kriterium bezieht sich auf den politischen Sprachgebrauch in seiner Gesamtheit, d.h. auf alle Texte oder Äußerungen, die einem gesellschaftlichen Bereich, der Politik, zuzuordnen sind. Von einem solchen transtextuellen Diskursbegriff zeugt der häufig gebrauchte Ausdruck politischer Diskurs (frz. le discours politique).158 Auch das an fünfter Stelle genannte Kriterium lässt sich auf politischen Sprachgebrauch anwenden, nämlich wenn es um den Sprachgebrauch einer bestimmten Sprechergruppe geht, zum Beispiel der Abgeordneten, der Minister, der Präsidenten oder auch der Präsidentschaftskandidaten. Im Fall der vorliegenden Untersuchung greifen mehrere Kriterien ineinander. Zum einen entstammen alle hier untersuchten Texte bzw. Äußerungen einem gemeinsamen gesellschaftlichen Bereich, der Politik (Kriterium 4). Davon ausgehend besteht eines der zentralen Ziele der vorliegenden Untersuchung darin, diejenigen sprachlichen Verfahren zu identifizieren, die all diesen Diskursen bzw. Texten gemeinsam,159 also charakteristisch für politischen Sprachgebrauch sind. Zum anderen entstammen die Texte einem spezifischen Handlungsfeld innerhalb der Politik, dem Wahlkampf, in dem eine bestimmte Funktion dominiert, die informativ-persuasive Funktion. Die innerhalb eines Wahlkampfs hervorgebrachten Texte wurden von unterschiedlichen Akteuren an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten produziert. Sie eint nicht, dass sie ein und dasselbe Thema zum Gegenstand hätten – die Themenvielfalt innerhalb eines Wahlkampfs ist groß –, sondern dass sie in einem gemeinsamen funktionalen Zusammenhang stehen. Der Aspekt der Funktionalität ist gerade – aber nicht nur – für politischen Sprachgebrauch von besonderer Relevanz:
Davon, dass sich parteipolitisches Sprechen in textübergreifenden Strukturen manifestiert, zeugt auch die Tatsache, dass sich parteipolitisches Sprechen mit dem Konzept der Diskurstraditionen erfassen lässt (cf. Kapitel 3.4.3, Anm. 183). Im Einklang mit dem hier zugrunde gelegten Diskursbegriff müsste man in diesem Zusammenhang nicht von dem politischen Diskurs im Singular, sondern von politischen Diskursen im Plural sprechen (cf. Anm. 152). Unabhängig davon gilt, dass die entsprechenden Texte textübergreifende Gemeinsamkeiten aufweisen, die darauf zurückzuführen sind, dass sie einem gemeinsamen gesellschaftlichen Bereich, der Politik, entspringen. «[El] conjunto de procedimientos propios de los discursos políticos» (Coseriu 1987, 11; cf. auch Kapitel 2.7.1).
3.3 Diskurs und Diskursanalyse: Grundzüge eines Programms
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«Ahora bien, la finalidad general del texto político es la eficacia práctica; y la función que corresponde a tal finalidad es la que Bühler denomina ‹apelación›, función que se concentra en el oyente. El texto político debe ser ‹eficaz›, debe conseguir que ‹el otro›, el oyente o destinatario, haga algo, actúe de determinado modo o adopte una determinada actitud» (Coseriu 1987, 16).
Die Aufstellung Maingueneaus lässt sich damit um ein sechstes Kriterium ergänzen, das der Funktionalität: 6. Texte oder Äußerungen, die in einem funktionalen Zusammenhang stehen (le discours électoral/les discours électoraux, le discours publicitaire/les discours publicitaires; Wahlkampfdiskurs(e), Werbediskurs(e)) Durch die Analyse einer Menge von Texten, die einem gemeinsamen Handlungsfeld entspringen und daher in einem funktionalen Zusammenhang stehen, möchte die vorliegende Arbeit einen Beitrag zur Erforschung transdiskursiver bzw. transtextueller Strukturen leisten, die in einem funktionalen und damit in einem anderen denn thematischen Zusammenhang, der im Fokus der bisherigen Forschung stand, stehen. Wie die Ausführungen gezeigt haben, können für dieses Unterfangen zahlreiche Synergieeffekte, die sich zwischen dem Coseriu’schen Diskursbegriff und dem transtextuellen Diskursbegriff ergeben, fruchtbar gemacht werden.
3.3.3 Diskursanalyse – eine Ortsbestimmung Nachdem in Kapitel 3.3.2 der hier zugrunde gelegte Diskursbegriff geklärt wurde, soll nun erläutert werden, welche Konsequenzen sich daraus für die Auffassung von Diskursanalyse ergeben. Als Ausgangspunkt fungiert auch hier der Coseriu’sche Ansatz. Im Einklang mit Coseriu, der seine Text- bzw. Diskurslinguistik bekanntlich als eine «Linguistik des Sinns» konzipiert, wird die Analyse politischen Sprachgebrauchs als, «im Coseriu’schen Verständnis, eine Linguistik des ‹Sinns› politischer Diskurse bzw. Texte und ihrer Traditionen» (Lebsanft 2018, 19) aufgefasst (cf. Kapitel 3.5). Als zweiter zentraler Bezugspunkt fungiert erneut die germanistische Diskurslinguistik. Eine zentrale Gemeinsamkeit beider Ansätze besteht darin, «dass sie Muster und Techniken der Diskursgestaltung an der Schnittstelle von Sprache und Wissen rückgebunden an kulturelle Gruppierungen untersuchen» (Lebsanft/Schrott 2015a, 41). Während die Diskurslinguistik insbesondere von der Einsicht der Diskurstraditionenforschung in die Flexibilität und Dynamik von Diskurstraditionen sowie deren Einbettung in außersprachliche Kontexte profitieren kann (cf. Lebsanft/ Schrott 2015a, 41), kann die Diskurstraditionenforschung insbesondere im Hinblick auf die Akteure und deren Handeln von der auf Aushandlungsprozesse speziali-
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
sierten Diskurslinguistik profitieren (cf. Lebsanft/Schrott 2015a, 42). Diese Synergieeffekte werden in den folgenden Unterkapiteln systematisch herausgearbeitet und in einen konsistenten theoretischen Ansatz überführt. Zunächst jedoch soll das grundlegende Verständnis von Diskursanalyse, so wie es sich aus den beiden genannten Paradigmen ergibt, charakterisiert werden. Dabei sind vier Aspekte wegweisend. Erstens wird für eine deskriptive Diskursanalyse plädiert. Selbstverständlich steht auch ein Diskursanalytiker nie außerhalb des Diskurses, den er analysiert, weshalb jede diskursanalytische Untersuchung von einer bestimmten Perspektive geprägt ist, doch kann und sollte sie meines Erachtens dennoch deskriptiv und frei von jeglichem parteipolitischen Standpunkt sein. Ich distanziere mich daher explizit von der Kritischen Diskursanalyse, ohne freilich in Abrede stellen zu wollen, dass sich insbesondere im Hinblick auf theoretische und methodische Zugriffe zahlreiche Schnittmengen zwischen kritischen und deskriptiven Ansätzen ergeben können (cf. Meinhof/Reisigl/Warnke 2013). Zweitens möchte ich mich für eine gebrauchsbasierte Diskursanalyse aussprechen. Die Hinwendung zur Untersuchung des Sprachgebrauchs war bereits ausschlaggebend für das Entstehen der Diskursanalyse in den 1950er Jahren (cf. Kapitel 3.2.1) und prägt die diskursanalytische Forschung bis heute. Die gebrauchsbasierte Ausrichtung teilt die Diskursanalyse mit zahlreichen weiteren sprachwissenschaftlichen Teildisziplinen bzw. Paradigmen; besondere Prominenz hat sie in jüngerer Zeit in den usage-based theories160 erlangt, die in dieser
Für die usage-based theories ist, wie ihr Name signalisiert, die Gebrauchsbasiertheit geradezu definitorisch. Ausgehend von der Annahme, dass sich sprachliche Strukturen auf der Grundlage des tatsächlichen Sprachgebrauchs herausbilden – «language structure emerges from language use» (Tomasello 2003, 5) –, wird Sprache hier als dynamisches System aufgefasst, das einem ständigen durch den Sprachgebrauch induzierten Wandel unterliegt. Das sprachliche Wissen eines Sprechers wird daher als Produkt des Sprachgebrauchs und Grammatik und Lexikon werden als emergente kognitive Strukturen begriffen. Die usage-based theories interessieren sich u.a. für die Emergenz sprachlicher Strukturen und Bedeutung (Givón 1979/2018; Langacker 2009), für Effekte von Frequenz auf Gebrauch und Entwicklung von Sprache (Goldberg 2006; Bybee 2010) sowie für Fragen des Spracherwerbs (Tomasello 2003). Das Ziel der usage-based theories besteht darin, «to develop a dynamic theory of language that accounts for the effects of interactive and cognitive processes on the emergence of linguistic structure and meaning» (Diessel 2017). Das Entstehen der usage-based theories, das ab den 1980er Jahren im Zusammenspiel mit der Kognitiven Linguistik und der Konstruktionsgrammatik erfolgt, lässt sich als Gegenreaktion auf das damals vorherrschende, durch Noam Chomsky begründete generativistische Paradigma begreifen (sehr anschaulich schildert dies Randy Allen Harris 1993 in The Linguistics Wars). Im Generativismus gilt die competence und nicht die performance als primärer Untersuchungsgegenstand: «Mentalistic linguistics is simply theoretical linguistics that uses perfor-
3.3 Diskurs und Diskursanalyse: Grundzüge eines Programms
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Hinsicht im Einklang mit einer «Linguistik des Sprechens», wie sie bereits Coseriu forderte, stehen (cf. Kapitel 3.2.1; cf. auch Loureda/Schrott 2021). Gebrauchsbasierte Ansätze zeichnen sich dadurch aus, dass die Untersuchung auf der empirischen Analyse sprachlicher Daten, zum Beispiel auf einem Korpus,161 beruht. Die zunehmende Entwicklung und Verbesserung softwaregestützter Verfahren zur automatisierten Analyse sprachlicher Daten trägt dazu bei, dass nicht nur immer größere Datenmengen mit immer geringerem Aufwand analysiert werden können, sondern ermöglicht auch, Erkenntnisse zu gewinnen, die durch eine rein manuelle Analyse nicht oder nur mit allergrößtem Aufwand gewonnen werden könnten. Dies betrifft beispielsweise die Identifikation musterhafter sprachlicher Strukturen, wie sie in Verfahren der Kollokations- und Kookkurrenzanalyse Anwendung findet (cf. Kapitel 4.2.4). Das dritte Merkmal betrifft die interdisziplinäre Ausrichtung der Diskursanalyse (cf. Adam 2005; Narvaja de Arnoux 2006, 13–29; Angermuller/Nonhoff/Herschinger/Macgilchrist/Reisigl/Wedl/Wrana/Ziem 2014; Kämper/Warnke 2015). Als Teildisziplin der Sprachwissenschaft weist die Diskursanalyse zahlreiche Schnittmengen mit anderen sprachwissenschaftlichen Teildisziplinen auf. Dazu zählen insbesondere die Text- und Gesprächslinguistik als ihre theoretischen Vorläufer; je nach theoretischer Schwerpunktsetzung können aber auch Soziolinguistik, Pragmalinguistik, Kognitive Linguistik, Äußerungslinguistik, Ethnomethodologie, Ethnographie des Sprechens und weitere Teildisziplinen der Sprachwissenschaft eine Rolle spielen. Darüber hinaus können je nach Untersuchungsgegenstand weitere Disziplinen von Interesse sein, wie die Politikwissenschaft, wenn es um die Untersuchung politischen Sprachgebrauchs geht. Viertens wird Diskursanalyse als kulturorientiert und damit als Teil einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Sprachwissenschaft aufgefasst. Eine sol-
mance as data […] for the determination of competence, the latter being taken as the primary object of its investigation» (Chomsky 1965, 193). Ziel des Generativismus ist die Aufdeckung einer «mental reality underlying actual behavior» (Chomsky 1965, 4). Zwar können auch usage-based theories mentalistisch sein, stehen aber u.a. durch den gebrauchsbasierten Ansatz in scharfem Kontrast zum Generativismus. Die in den 1980er Jahren bestehende Opposition zwischen dem Generativismus und den usage-based theories erinnert in gewisser Weise an die in den 1950er Jahren bestehenden Opposition zwischen Strukturalismus und Diskursforschung. Als Vorläufer beider kann die bereits im 19. Jahrhundert bestehende Opposition zwischen den Junggrammatikern, die Sprachwandel auf dem Sprachsystem inhärente phonetische Gesetze zurückführten, und Gelehrten wie Hugo Schuchardt (1885) gesehen werden, der Sprachwandel durch das Individuum und den Sprachgebrauch erklärte. Zum Korpus der vorliegenden Arbeit sowie zur immer enger werdenden Verzahnung von Korpuslinguistik und Diskursanalyse cf. Kapitel 5.2.
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
che gründet in der Auffassung, dass Sprache und Sprechen in grundlegender Weise kulturgebunden sind, und trägt in ihrem Arbeiten der kulturellen Bedingtheit von Sprache und Sprechen Rechnung. «Sprachwissenschaft als Kulturwissenschaft» – so die durch Gardt (2003) geprägte und von Schrott (2014) aufgegriffene programmatische Formel – zu betreiben, bedeutet, «sprachliche Phänomene vor einem kulturellen Hintergrund [zu betrachten], sie also in einen politischen, gesellschaftlichen, philosophischen, religiösen, ökonomischen, technisch-naturwissenschaftlichen, ästhetischen und alltagsweltlichen Rahmen [zu stellen]» (Gardt 2012a, 294; cf. auch Gardt 2003, 272).162 Zwar sind weder die Erkenntnis der kulturellen Bedingtheit von Sprache und Sprechen noch das kulturbezogene Arbeiten in der Sprachwissenschaft neu,163 doch wird der explizite Ruf nach einer kulturwissenschaftlich orientierten Sprachwissenschaft verstärkt seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts laut.164 Eine kulturwissenschaftliche Orientierung ist nicht für alle Bereiche der Sprachwissenschaft gleichermaßen relevant.165 Für die Diskursanalyse ist sie zweifelsohne eine conditio sine qua non, da Historizität und Kulturalität des Sprechens im Zentrum diskursanalytischer Fragestellungen stehen. Eine kulturwissenschaftliche Orientierung avant la lettre wohnt bereits den Ansätzen Harris’ und Coserius inne, die schon früh auf die Einbettung des Sprechens in außersprachliche Umfelder hinweisen (cf. Kapitel 3.2.1). Heute kann eine kulturwissenschaftliche Orientierung der Diskursanalyse als Konsens weiter Teile der sprachwissenschaftlichen Diskursforschung gelten (cf. Teubert 2016).
Damit wird hier ein engeres Verständnis von Kulturwissenschaft zugrunde gelegt als in den cultural studies (cf. Gardt 2003, 271; 2012a, 294; Schrott 2014, 6). Entsprechende Traditionslinien in der Romanistik zeigt Schrott (2014, 4) auf. Er formierte sich zunächst im Bereich der Sprachgeschichtsschreibung, wobei die Forderung, «Sprachgeschichte als Kulturgeschichte» zu betreiben (cf. Gardt/Haß-Zumkehr/Roelcke 1999; Gardt 2012a; Spieß/Tienken 2019), nicht nur bedeutete, sprachliche Phänomene in historische und kulturelle Kontexte einzubetten, sondern Sprachgeschichte als Kulturgeschichte zu verstehen und zu konzipieren (cf. Schrott 2014, 4). Diese zunächst historisch ausgerichtete Forderung weitete sich schließlich auf die allgemeine Forderung, Sprachwissenschaft grundsätzlich als Kulturwissenschaft zu betreiben, aus (cf. Gardt 2003; Günthner/Linke 2007; Kämper 2007; Schrott 2014). Einen Überblick über die gegenwärtige kulturwissenschaftlich orientierte Sprachwissenschaft bietet das 2016 erschienene Internationale Handbuch zur Linguistik als Kulturwissenschaft (Jäger/Holly/Krapp/Weber/Heekeren 2016), das nicht zuletzt von der Etablierung dieser paradigmatischen Ausrichtung der Sprachwissenschaft zeugt. Eine komplettierende Darstellung aus romanistischer Perspektive, die in diesem Handbuch leider nur unzureichend Berücksichtigung findet (cf. Lebsanft 2019, insb. 67, 70), bietet Lebsanft (2021). Cf. Gardt (2003, 272); Schrott (2014, 6).
3.4 Diskursive Aushandlung
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Mit Blick auf die Analyse politischen Sprachgebrauchs, um die es im Folgenden gehen soll, ist festzuhalten, dass diese eben – frei nach Coseriu – Teil einer Linguistik des Diskurses bzw. des Textes ist und sein sollte, nicht einer Linguistik der Einzelsprachen oder einer Linguistik des Sprechens. Da sich politischer Sprachgebrauch, wie bereits Coseriu (1987, 16) konstatierte, allen voran über seine Funktionalität definiert, fällt «die Analyse der politischen Sprache methodisch mit den Verfahren der allgemeinen und der individuellen Diskurs- oder Textanalyse zusammen; sie ist also, im Coseriu’schen Verständnis, eine Linguistik des ‹Sinns› politischer Diskurse bzw. Texte und ihrer Traditionen» (Lebsanft 2018, 19). Ausgehend von dieser Ausrichtung der Diskursanalyse wird in den folgenden Kapiteln ein konkreter diskursanalytischer Ansatz für die diskursanalytische Untersuchung von Agonalität in politischen Diskursen bzw. Texten entwickelt, der auf drei zentralen Komponenten fußt: die diskursive Aushandlung und die damit einhergehende pragmalinguistische Fundierung linguistischer Diskursanalyse (Kapitel 3.4), der Sinns als das, was Gegenstand diskursiver Aushandlungsprozesse ist, und der damit einhergehenden Integration einer kognitiven Dimension (Kapitel 3.5) sowie den Akteuren, die als Handlungsträger und als Träger der sich in agonalen Diskursen manifestierenden konkurrierenden Perspektivierungen im Zentrum eines solchen diskursanalytischen Ansatzes stehen (Kapitel 3.6).
3.4 Diskursive Aushandlung Im vorliegenden Kapitel soll für eine handlungstheoretische Fundierung linguistischer Diskursanalyse plädiert werden. Eine solche ist unabdingbar, gilt das Untersuchungsinteresse Prozessen diskursiver Aushandlung, so wie es bei der Untersuchung diskursiver Kämpfe der Fall ist. Die Frage nach diskursiven Aushandlungsprozessen wirft die grundlegende Frage nach dem Zusammenhang zwischen Sprache und Handeln auf. Dieser ist Kapitel 3.4.1 gewidmet, in dem vor dem Hintergrund einer entsprechenden sprachtheoretischen Verortung eine Sprachauffassung entwickelt wird, die den Blick auf die Handlungspotenz von Sprache lenkt. Im Anschluss daran wird in Kapitel 3.4.2 der spezifische Zusammenhang zwischen Diskurs und Handeln in den Blick genommen. Aufbauend auf verschiedene, den Aspekt des Handelns fokussierende Spielarten der Diskursforschung wird ein auf die Analyse von Handlungen und Aushandlungsprozessen spezialisierter diskursanalytischer Ansatz entwickelt, der als Grundlage für die Untersuchung agonaler Aushandlungsprozesse im Diskurs fungieren kann. Für die Untersuchung diskursiver Aushandlungsprozesse lässt sich das auf Coseriu zurückgehende und durch die romanistische Diskurstradi-
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
tionenforschung prominent gewordene Konzept der Diskurs- bzw. Texttraditionen fruchtbar machen, dem Kapitel 3.4.3 gewidmet ist.
3.4.1 Sprache und Handeln Die sprachtheoretische Frage, ob Sprache als Handlung oder vielmehr als System aufzufassen ist, wird seit Jahrhunderten kontrovers diskutiert (cf. Ehlich 1996). In Anbetracht der Tatsache, dass Sprache kein Selbstzweck ist, sondern in konkreten Situationen durch Akteure zur Erreichung bestimmter kommunikativer Ziele verwendet wird (cf. Escandell-Vidal 2021), wird in der vorliegenden Arbeit eine handlungsorientierte Sprachauffassung vertreten. Eine solche lässt sich in ihren Ursprüngen bis auf Wilhelm von Humboldt und Karl Bühler zurückführen, wurde durch Sprachphilosophen wie Ludwig Wittgenstein, John Austin, John Searle und Herbert Paul Grice explizit propagiert und in der Pragmalinguistik systematisch zu einer Theorie sprachlichen Handelns ausgearbeitet. Vor dem Hintergrund dieser sprachtheoretischen Verortung wird im vorliegenden Kapitel ein handlungsorientier Sprachbegriff nachgezeichnet und für die Zwecke einer handlungstheoretischen Fundierung linguistischer Diskursanalyse nutzbar gemacht. Bereits 1836 prägte Wilhelm von Humboldt in seiner Schrift Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues den Gedanken, dass Sprache «kein Werk (Ergon), sondern eine Thätigkeit (Energeia)» sei: «Man muss die S p r a c h e nicht sowohl wie ein todtes E r z e u g t e s , sondern weit mehr wie eine E r z e u g u n g ansehen. […] Die S p r a c h e, in ihrem wirklichen Wesen aufgefasst, ist etwas beständig und in jedem Augenblicke V o r ü b e r g e h e n d e s. […] Sie selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Thätigkeit (Energeia). […] Sie ist nämlich die sich ewig wiederholende A r b e i t d e s G e i s t e s , d e n a r t i c u l i r t e n L a u t zum Ausdruck des G e d a n k e n fähig zu machen. Unmittelbar und streng genommen, ist dies die Definition des jedesmaligen Sprechens; aber im wahren und wesentlichen Sinne kann man auch nur gleichsam die Totalität dieses Sprechens als die Sprache ansehen» (Humboldt 1836, 39, 41; Hervorhebungen im Original).
Die auf Aristoteles zurückgehende Unterscheidung zwischen energeia (Tätigkeit) und ergon (Produkt) aufgreifend,166 begreift Humboldt Sprache in erster Linie als Tätigkeit (energeia). Seiner Sprachauffassung liegen folgende Leitgedanken zu Bei Aristoteles findet sich darüber hinaus der Begriff der dynamis, der das Vermögen bezeichnet, die Tätigkeit (energeia) zu vollziehen. Die aristotelische Unterscheidung zwischen energeia und dynamis hat unter dem Begriffspaar Akt vs. Potenz Eingang in die philosophische Diskussion gefunden (cf. Beere 2011). Den Aspekt der dynamis greift Humboldt nicht auf; Cose-
3.4 Diskursive Aushandlung
137
grunde (cf. Schwarz 1971): (i) Sprache ist kein fertiges Produkt, sondern unterliegt einem stetigen Wandel; sie ist nicht statischer, sondern dynamischer Natur; (ii) dieser Wandel vollzieht sich im Sprechen, also im Gebrauch, den Sprecher von der Sprache machen und der die einzige Erscheinungsform von Sprache ist; (iii) das Sprechen ist kein bloßes Tun, sondern eine schöpferische «Thätigkeit (Energeia)» im aristotelischen Sinne, eine «sich ewig wiederholende A r b e i t d e s G e i s t e s , d e n a r t i c u l i r t e n L a u t zum Ausdruck des G e d a n k e n fähig zu machen». Coseriu greift diese Humboldt’sche Unterscheidung zwischen ergon und energeia auf und ergänzt sie unter Rückgriff auf Aristoteles um die Kategorie der dynamis (cf. Kapitel 3.3.1). Zwar lasse sich Sprache grundsätzlich unter diesen drei Gesichtspunkten betrachten, doch sei Sprache stets vom Sprechen her zu erklären und nicht umgekehrt das Sprechen von der Sprache (cf. Kapitel 3.2.1). Vor diesem Hintergrund kommt Coseriu zu dem Schluss, «daß die Sprache (1) eine allgemein-menschliche Tätigkeit ist, die von Individuen (2) als Vertretern von gemeinschaftlichen Traditionen des Sprechenkönnens (3) individuell ausgeübt wird» (Coseriu 1988/2007, 59; meine Hervorhebung). Coseriu begreift Sprache folglich, wie Humboldt, als Tätigkeit. Im Hinblick auf den Begriff der Tätigkeit präzisiert er, dass mit dem aristotelischen Begriff der energeia nicht jedwede Art von Tätigkeit gemeint ist, sondern «eine bestimmte Art von Tätigkeit, nämlich eine schöpferische Tätigkeit» (Coseriu 1988/2007, 11). Die energeia erschöpft sich nicht in der Anwendung bereits vorhandenen Wissens, sondern ist eine schöpferische, kreative Tätigkeit, «die sich eines vorhandenen Wissens bedient, um etwas Neues zu sagen, und die neues sprachliches Wissen schaffen kann» (Coseriu 1988/2007, 71). Sie ist eine kulturschaffende Tätigkeit und als solche lernbar und traditionsbildend. Zwar ist der Begriff der Tätigkeit (energeia) – erst recht in der spezifisch aristotelischen Lesart – nicht mit Handlung gleichzusetzen, doch besteht zwischen einer Auffassung von Sprache als Tätigkeit und einer Auffassung von Sprache als Handlung eine Schnittmenge, die u.a. in der Betonung der dynamischen Natur von Sprache und in der Fokussierung des Sprachgebrauchs anstelle des Sprachsystems besteht. Insofern können diese Ansätze als Ausgangspunkt einer handlungsorientierten Sprachauffassung fungieren. Das Sprechen als Tätigkeit steht auch im Zentrum der Sprachtheorie von Karl Bühler, der nicht nur mit seinem bekannten «Organonmodell der Sprache» ein Modell des sprachlichen Zeichens und seiner Funktionen in der Kommunika-
riu hingegen wird alle drei Aspekte (energeia, dynamis, ergon) zur Grundlage seiner Sprachtheorie machen (cf. Kapitel 3.3.1).
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
tion entwickelt hat, sondern auch, und darauf wird in der sprachwissenschaftlichen Forschung weit seltener rekurriert, Ansätze einer Sprechhandlungstheorie formulierte.167 Das «Organonmodell der Sprache» stellt das sprachliche Zeichen in seinen Grundbezügen innerhalb eines «konkreten Sprechereignisses» (Bühler 1934, 24) dar. Das sprachliche Zeichen wird hier in seiner Beziehung zu Sender, Empfänger sowie Gegenständen und Sachverhalten betrachtet und die Leistung von Sprache auf dieser Grundlage als eine dreifache bestimmt: Ausdruck, Appell und Darstellung (cf. Bühler 1934, 28). Das Organonmodell ist daher nicht nur ein Zeichenmodell, sondern, indem Sprache hinsichtlich ihrer kommunikativen Funktionen betrachtet wird, auch ein Kommunikationsmodell. Sprache wird, wie der Name des Modells zum Ausdruck bringt, als Werkzeug der Kommunikation aufgefasst. In Anlehnung an Platons Kratylos-Dialog konzeptualisiert Bühler Sprache als «Werkzeug», als «organum, um einer dem andern etwas mitzuteilen über die Dinge» (Bühler 1934, 24). Indem Bühler das «konkrete Sprechereignis» in den Fokus seiner Theorie stellt, wird deutlich, dass er, wie bereits Wilhelm von Humboldt, Sprache unter dem Gesichtspunkt der Tätigkeit betrachtet. Darüber hinaus jedoch legt er bereits den Grundstein einer Sprechhandlungstheorie, indem er das «konkrete Sprechen» – vermutlich in Anlehnung an den Handlungsbegriff Max Webers168 – als Handlung begreift: «Es kann jedes geflügelte und nicht geflügelte Wort sub specie einer menschlichen Handlung betrachtet werden. Denn jedes konkrete Sprechen steht im Lebensverbande mit dem übrigen sinnvollen Verhalten eines Menschen; es steht unter Handlungen und i s t s e l b s t eine Handlung» (Bühler 1934, 51–52; Hervorhebungen im Original). Die sprachliche Tätigkeit bezeichnet Bühler als Sprechhandlung, der er das Sprachwerk gegenüberstellt (cf. Bühler 1934, 48–69). Der Terminus Sprechhandlung signalisiert, dass Sprechen als Handlung und der Sprecher folglich als Handelnder aufgefasst wird. Das Sprechen begreift Bühler dabei als eine von vielen Handlungen des Menschen, eine mit anderen Handlungsweisen «im Lebensverbande» stehende Handlung, und hebt damit die kontextuelle Einbettung sprachlicher Handlungen in andere, auch nicht-sprachliche Handlungen hervor. Mit dem Begriffspaar Sprechhandlung vs. Sprachwerk greift Bühler Humboldts Unterscheidung von energeia und ergon und die Saussure’sche Dichotomie von langue und parole auf, die er in modifizierter Form fortschreibt. Er stellt sich damit, in Anbindung an den aristoteli-
Cf. auch Spieß (2011a, 22–28). Weber (1922, 1) definiert Handeln als «menschliches Verhalten (einerlei ob äußerliches oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) […], wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden». In der Soziologie wird der Mensch in der Tradition Webers als handelndes Wesen begriffen (cf. Schimank 2000/2010, 44).
3.4 Diskursive Aushandlung
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schen Begriff der Praxis, dezidiert in die Tradition einer Auffassung von Sprache als Tätigkeit bzw. Handlung (cf. Bühler 1934, 48, 52–53). Während Wilhelm von Humboldt und Karl Bühler die Sprache als Tätigkeit fokussieren und damit als zentrale Wegbereiter einer handlungsorientierten Sprachauffassung gelten können, wird eine solche durch die Sprachphilosophen Wittgenstein, Austin, Searle und Grice, die auch als zentrale Impulsgeber der Pragmalinguistik gelten können, dezidiert propagiert. Ludwig Wittgenstein stellt Sprachgebrauch und Sprachhandeln in den Fokus seiner sprachphilosophischen Überlegungen. Wie in seinem Konzept des Sprachspiels169 zum Ausdruck kommt, begreift er Sprache als Tätigkeit, als regelgeleitete Praxis: «Das Wort ‹Sprachspiel› soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform» (Wittgenstein 1953/2003, § 23). Das Sprachspiel kann – wie jedes Spiel – anhand von Regeln beschrieben werden; es ist eine regelgeleitete Tätigkeit. Das Befolgen von Regeln begreift Wittgenstein als Praxis – «Darum ist ‹der Regel folgen› eine Praxis» (Wittgenstein 1953/2003, § 202) – und legt damit eine handlungsorientierte Sprachauffassung zugrunde. Durch die Beschreibung der Regeln, denen der Gebrauch eines Wortes in der Sprache folgt, lässt sich die Bedeutung eines Wortes erfassen; die Bedeutung eines Wortes ist folglich durch seinen Gebrauch festgelegt. Dies ist der Grundgedanke der bekannten Wittgenstein’schen «Gebrauchstheorie der Bedeutung»: «Man kann für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes ‹Bedeutung› − wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung – dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache» (Wittgenstein 1953/2003, § 43; Hervorhebungen im Original). Sowohl im Konzept des Sprachspiels als auch in der «Gebrauchstheorie der Bedeutung» kommt zum Ausdruck, dass Wittgenstein Sprache vom Sprechen her zu erklären sucht, das er als Tätigkeit, als regelgeleitete Praxis begreift. Dadurch wird nicht nur der Fokus auf den Sprachgebrauch gelegt, sondern auch eine handlungsorientierte Sprachauffassung zugrunde gelegt. Humboldt, Bühler und Wittgenstein haben mit ihren sprachhandlungstheoretischen Überlegungen keine fertige Theorie sprachlichen Handelns entwickelt, aber die Voraussetzungen für die systematische Ausarbeitung einer solchen geschaffen. Entsprechende Systematisierungskonzepte wurden einerseits mit der Sprechakttheorie von Austin und Searle und andererseits mit der Bedeutungsund Implikaturtheorie von Grice vorgelegt. Im Zentrum der durch John L. Austin (1962) und John R. Searle (1969) begründeten Sprechakttheorie steht, wie der Titel des 1962 erschienenen Werks How to
Zu Wittgensteins Konzept des Sprachspiels cf. auch Kapitel 2.4.4.
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
do things with words von John L. Austin programmatisch zum Ausdruck bringt, die Frage, wie mit Sprache Handlungen vollzogen werden. Als Grundelemente der menschlichen Kommunikation gelten dabei die sogenannten Sprechakte, verstanden als Äußerungen, mittels derer Handlungen vollzogen werden. Indem sie diese systematisch untersucht und klassifiziert, stellt die Sprechakttheorie eine systematische Theorie sprachlichen Handelns dar. Die Handlungspotenz von Sprache steht auch im Zentrum des Ansatzes von Herbert Paul Grice (1957; 1975; 1989). In seinem berühmten Aufsatz Meaning (Grice 1957) entwickelt Grice eine Bedeutungstheorie, deren Fokus auf nichtwörtlicher Bedeutung und der Untersuchung ihres Entstehens liegt. Zentral sind in diesem Zusammenhang die Implikaturen, mittels derer nicht-wörtliche Bedeutungen erschlossen werden können. Die Implikaturentheorie arbeitet Grice mit dem Kooperationsprinzip und den Konversationsmaximen systematisch aus. Austin, Searle und Grice können als zentrale Impulsgeber der Pragmalinguistik oder Pragmatik gelten, jener Teildisziplin der Sprachwissenschaft, die alle Arten des sprachlichen Handelns zum Gegenstand hat.170 Die Bezeichnung Pragmatik geht auf die allgemeine Zeichentheorie von Charles W. Morris (1938) zurück, der die Pragmatik als Lehre der Zeichenverwendung bestimmt und ihr die Semantik als Lehre der Zeichenbedeutung sowie die Syntax als Lehre der Zeichenkombinatorik an die Seite stellt: «pragmatics is that portion of semiotic which deals with the origin, uses, and effects of signs within the behaviour in which they occur; semantics deals with the signification of signs in all modes of signifying; syntactics deals with combinations of signs without regard for their specific significations or the relation to their behaviour in which they occur» (Morris 1946, 219; Hervorhebungen im Original; cf. auch Morris 1938, 6).
Die Pragmalinguistik widmet sich der Erforschung sprachlicher Zeichen in ihrer Beziehung zu den Zeichenbenutzern. Eines ihrer Hauptaugenmerke liegt auf der Beschreibung kontextabhängiger und nicht-wörtlicher Bedeutung sowie den Bedingungen ihres Entstehens. Zu diesem Zweck untersucht sie, wie Sprache gebraucht wird und welche Arten von Sprachhandlungen die Sprecher dabei einsetzen. Damit ist sie, wie ihr Name signalisiert (gr. pragma ‘Handlung, Sache’), in grundlegender Weise handlungsorientiert. Mit der sogenannten «pragmatischen Wende» ab den 1970er Jahren gewinnt die kommunikationsund handlungsorientierte Dimension von Sprache in immer mehr Teilbereichen
Für Einführungen in die Pragmatik bzw. Handbücher zur Pragmatik cf. Levinson (1983); Verschueren/Östman/Blommaert (1995); Horn/Ward (2004); Liedtke (2016); Huang (2017); Liedtke/Tuchen (2018).
3.4 Diskursive Aushandlung
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der Sprachwissenschaft an Bedeutung. Dies gilt auch für die Diskursanalyse, wie im nächsten Kapitel gezeigt werden wird.
3.4.2 Diskurs und Handeln Nachdem in Kapitel 3.4.1 die Grundlagen einer handlungstheoretischen Fundierung linguistischer Diskursanalyse gelegt wurden, kann nun erläutert werden, welche Konsequenzen sich daraus für die Diskursanalyse ergeben. Dazu wird zunächst ein kurzer Überblick über den Forschungsstand zum Zusammenhang zwischen Diskurs und Handeln geboten, um im Anschluss daran zentrale Aspekte einer handlungstheoretisch orientierten Diskursanalyse herauszuarbeiten. Eine Fokussierung des Aspekts des Handelns und eine damit einhergehende handlungstheoretische Fundierung linguistischer Diskursanalyse findet sich insbesondere in Ansätzen der anglophonen und germanistischen Diskursforschung.171 In der romanistischen Diskursforschung hingegen wurde dem Aspekt des Handelns bislang tendenziell wenig Beachtung geschenkt. Daher ist Lebsanft/Schrott (2015a, 42) zuzustimmen, wenn sie «[d]as Desiderat einer Ausweitung der Diskurstraditionenforschung auf die Akteure und deren Handeln» formulieren und festhalten, dass die romanistische Diskurstraditionenforschung in dieser Hinsicht «von den Methoden der auf Aushandlungsprozesse spezialisierten Diskursanalyse bzw. Diskurslinguistik [germanistischer Prägung] profitieren» könne. «[D]ie Verknüpfung des Diskursbegriffs mit dem Konzept des sprachlichen Handelns und damit seine grundsätzlich pragmatische Orientierung» stellt laut Gardt (2007, 29) eines der zentralen Merkmale der germanistischen Diskurslinguistik dar. Der Aspekt des Handelns spielt insbesondere in denjenigen Ansätzen der germanistischen Diskurslinguistik eine Rolle, die versuchen, den Diskurs handlungsorientiert (Busse 1987; 1988; Liebert 2004; Spieß 2011a; Spitzmüller/ Warnke 2011), interaktionsorientiert (Roth 2015) oder praxeologisch (Linke 2015; Müller 2015) zu begründen (s. auch den Überblick in Spieß 2018). Die Handlungsorientierung linguistischer Diskursanalyse liegt in der Auffassung begründet, dass ein Diskurs nicht nur das gesellschaftliche Wissen in Bezug auf ein bestimmtes Thema spiegele, sondern zugleich «handlungsleitend» auf die weitere Auseinandersetzung mit diesem Thema wirke (Gardt 2007, 30). Dabei wird nicht Für einen Überblick im anglophonen Raum cf. Zienkowski/Östman/Verschueren (2011), Schneider/Barron (2014) sowie die kurze Zusammenfassung bei Renkema/Schubert (2018, 13–40). Einen Überblick über handlungsorientierte Ansätze in der germanistischen Diskursforschung bietet Spieß (2018).
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
nur dem Handeln an sich, sondern auch sprachlichen Aushandlungsprozessen und den Akteuren als Handlungsträgern besondere Bedeutung beigemessen. Zu den zentralen Bezugspunkten für die Handlungsorientierung der germanistischen Diskurslinguistik zählen das Diskursverständnis Foucaults und die Pragmalinguistik (cf. Spieß 2018, 344–345). Foucaults Diskursverständnis kann insofern für einen handlungsbezogenen Diskursbegriff herangezogen werden, als dass er Diskurse als Praktiken der Hervorbringung von Wissen begreift und die Aufgabe der Diskursanalyse folglich in der Beschreibung der Seins- und Funktionsweise diskursiver Praktiken sieht. Unter diskursiven Praktiken versteht Foucault dabei eine Menge an Regeln, die die Bedingungen der Hervorbringung von Wissen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort und in Bezug auf einen bestimmten Gegenstand beschreiben: «Enfin ce qu’on appelle ‹pratique discursive› peut maintenant être précisé. […] c’est un ensemble de règles anonymes, historiques, toujours déterminées dans le temps et l’espace qui ont défini à une époque donnée, et pour une aire sociale, économique, géographique ou linguistique donnée, les conditions d’exercice de la fonction énonciative» (Foucault 1969, 153–154).
Die diskursive Praxis bezieht Foucault auch auf die Sprache und begreift konsequenterweise Sprechen als Tätigkeit bzw. Handlung: «Il s’agit de faire apparaître les pratiques discursives dans leur complexité et dans leur épaisseur; montrer que parler, c’est faire quelque chose, – autre chose qu’exprimer ce qu’on pense, traduire ce qu’on sait, autre chose aussi que faire jouer les structures d’une langue […]» (Foucault 1969, 272). Doch auch wenn es hier heißt, «que parler, c’est faire quelque chose», liegt Foucaults Denken kein pragmalinguistischer, sondern ein strukturalistischer Sprachbegriff zugrunde. Foucault begreift Sprache als entkontextualisierte Verbindung von signifié und signifiant («des ensembles de signes (d’éléments signifiants renvoyant à des contenus ou à des représentations)»), den Diskurs hingegen als kontextgebunden, als handlungs- und sinnorientiert (auf das «plus» ausgerichtet). Aus diesem «unnötigen Spagat zwischen Sprache und Diskurs» (Spitzmüller 2005, 42) spricht die strukturalistische Sprachauffassung Foucaults:172 «Tâche qui consiste à ne pas – à ne plus traiter les discours comme des ensembles de signes (d’éléments signifiants renvoyant à des contenus ou à des représentations) mais comme des pratiques qui forment systématiquement les objets dont ils parlent. Certes, les discours sont faits de signes; mais ce qu’ils font, c’est plus que d’utiliser ces signes pour
Cf. auch Busse (1987, 242–245); Spitzmüller (2005, 34–35, 41–42); Spieß (2011a, 96–99; 2018, 344–345).
3.4 Diskursive Aushandlung
143
désigner les choses. C’est ce plus, qui les rend irréductibles à la langue et à la parole. C’est ce ‹plus› qu’il faut faire apparaître et qu’il faut décrire» (Foucault 1969, 66–67; Hervorhebungen im Original).
In der Diskursforschung geht es gerade darum, Sprache nicht auf ein statisches und geschlossenes Zeichensystem zu reduzieren – «d’éléments signifiants renvoyant à des contenus ou à des représentations» –, sondern im Sinne eines handlungsorientierten Sprachbegriffs in ihrer Verwendung durch die Sprecher und damit in ihrer Situations- und Kontextabhängigkeit zu betrachten. Im Zentrum der Diskursforschung steht somit eben jenes plus, das Foucault aus dem Gegenstandsbereich der Sprachwissenschaft ausschließt. Obwohl Foucault also den Aspekt der diskursiven Praxis und damit des sprachlichen Handelns in den Fokus rückt, kann sein Ansatz aufgrund des strukturalistischen Sprachbegriffs nur bedingt als Grundlage eines handlungsorientierten Diskursbegriffs fungieren. Wohl nicht zuletzt aus diesem Grund wird in der germanistischen Diskurslinguistik – wie auch in der vorliegenden Arbeit (cf. Kapitel 3.4.1) – die Pragmalinguistik als zweiter zentraler Bezugspunkt für einen handlungsorientierten Diskursbegriff herangezogen. Aus einer handlungstheoretischen Fundierung ergeben sich wichtige Konsequenzen für die linguistische Diskursanalyse. Grundlage einer handlungsorientierten Diskursanalyse ist der in Kapitel 3.4.1 erläuterte handlungsorientierte Sprachbegriff, aus dem unter anderem folgt, (i) dass Sprache in ihrer Verwendung durch die Sprachbenutzer betrachtet wird, (ii) dass sich das Interesse auf kontextabhängige und nicht-wörtliche Bedeutung und die Bedingungen ihres Entstehens richtet und (iii) dass zu untersuchen gilt, wie Sprache von Sprechern gebraucht wird und welche Arten von Sprachhandlungen diese nutzen. Im Zentrum einer handlungsorientierten Diskursanalyse aber steht das sprachliche Handeln selbst. Dabei möchte ich den Fokus darauf lenken, was sich als diskursive Aushandlung beschreiben lässt. Der Ausdruck diskursive Aushandlung findet in der Diskursforschung vielfach Verwendung, ohne zumeist jedoch terminologisch präzise gefasst zu werden. Dies soll im Folgenden unter Rückgriff auf die Bestimmung, die der Begriff des Aushandelns (engl. negotiate) in der Konversationsanalyse erfahren hat, erfolgen. Mit Dieckmann/Paul (1983), die eine wort- und begriffsgeschichtliche Analyse des «Aushandelns» als Konzept der Konversationsanalyse vornehmen,173 lässt sich das Konzept des Aushandelns aus konversationsanalytischer Perspektive in
Zum Konzept des Aushandelns in der Konversationsanalyse cf. auch Kerbrat-Orecchioni (2012).
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
zweierlei Hinsicht bestimmen. Erstens gründe es in der Auffassung von «Kommunikation als Interpretationsprozeß» (Dieckmann/Paul 1983, 190), d.h., dass Bedeutung erst in der Kommunikation hergestellt wird und wechselseitige Verständigung daher stets die Interpretation des Gesagten durch die Kommunikationspartner voraussetzt. Zur Bezeichnung dieses Umstands sei der Begriff des Aushandelns genau genommen noch nicht von Nöten; zu seiner Bezeichnung genügen Ausdrücke wie definieren, konstituieren oder konstruieren (cf. Dieckmann/Paul 1983, 189). Zweites aber gründe das Konzept der Aushandlung in der Auffassung von «Kommunikation als Aushandlungsprozeß» (Dieckmann/Paul 1983, 192), d.h., dass Bedeutung auch umstritten sein kann und daher in der Kommunikation regelrecht «verhandelt» wird. Diese Auffassung setze voraus, dass «die Kommunizierenden […] den kommunikativen Prozeß selbst als etwas betrachten, was der Notwendigkeit des durch Aushandeln zu bewerkstelligenden Interessensausgleichs unterliegt» (Dieckmann/ Paul 1983, 193). Kommunikation als Aushandlungsprozess impliziere daher ein intentionales Bewusstsein der Kommunikationspartner. Überträgt man die von Dieckmann/Paul (1983) vorgenommenen Bestimmungen auf eine diskursanalytische Perspektive, lässt sich der Begriff der diskursiven Aushandlung wie folgt bestimmen:174 Erstens ist die diskursive Aushandlung ein Prozess der Herstellung von Sinn. Diese Auffassung gründet in der Annahme, dass der Sinn erst im Diskurs hergestellt wird und das Verstehen des Sinns daher eine Interpretations- bzw. Deutungsleistung erforderlich macht. Zweitens lässt sich diskursive Aushandlung als Prozess der «Verhandlung» verschiedener Sinnvorstellungen beschreiben. Dieser Auffassung liegt die Annahme zugrunde, dass verschiedene Deutungen im Diskurs konkurrieren und die Akteure danach streben, ihre jeweilige Deutung im Diskurs dominant zu setzen. Darin liegt die Relevanz des Konzepts der diskursiven Aushandlung für die Untersuchung von Agonalität begründet. In Bezug auf letztgenannten Aspekt stellt sich die von Dieckmann/Paul (1983) andiskutierte Frage, ob diskursive Aushandlung intentionales und bewusstes Handeln voraussetzt. Ohne diese Diskussion an dieser Stelle vertiefen zu können, kann aus pragmalinguistischer Sicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sprachliche Handlungen intentional, d.h. von einer kom-
Die hier vorgenommene Begriffsbestimmung grenzt sich damit explizit von dem in der germanistischen Diskurslinguistik vorherrschenden Verständnis ab, in der das Konzept der sprachlichen Aushandlung stets mit der Auffassung verbunden ist, dass der Diskurs zugleich «Repräsentation und Movens einer sprachlichen Interaktion zu gesellschaftlich relevanten Themen» ist (Lebsanft/Schrott 2015, 41; Hervorhebung im Original; cf. supra).
3.4 Diskursive Aushandlung
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munikativen Handlungsabsicht geleitete Akte sind (cf. Searle 1979).175 Dennoch geht es bei der Diskursanalyse, so wie ich sie begreife, nicht darum, Intentionen freizulegen; stattdessen richtet sich das Interesse darauf, welche Formen im Diskurs Verwendung finden und welche Funktionen mit ihnen verbunden sind.176 Aus diesem Grund möchte ich, wenn es um die Bezeichnung der Wirkweise sprachlicher Handlungen geht, auf den stark mit Intentionalität assoziierten Ausdruck Strategie verzichten und stattdessen von Funktionen sprechen. Prozesse diskursiver Aushandlung setzen sich aus kleineren Einheiten zusammen, den einzelnen sprachlichen Handlungen. Im Hinblick auf Agonalität rücken dabei diejenigen sprachlichen Handlungen in den Fokus, die für agonale Aushandlungsprozesse charakteristisch sind. Diese möchte ich – in Weiterführung des von Warnke/Spitzmüller (2008b, 32) und Spieß (2011a) gebrauchten Terminus Diskurshandlungen – agonale Diskurshandlungen nennen. Darin, diese zu ermitteln, besteht eines der zentralen Ziele der Analyse. Aus forschungspraktischer Sicht stellt sich dabei die Frage, wie sich diese ermitteln lassen. Da das Sprechen, wie die romanistische Diskurstraditionenforschung gezeigt hat, grundsätzlich gewissen Traditionen folgt, die sich in Form von Mustern im Text manifestieren, ist davon auszugehen, dass auch Prozesse der diskursiven Aushandlung Traditionen folgen und zur Ausbildung entsprechender Muster führen. Die Ermittlung agonaler Diskurshandlungen als Grundlage diskursiver Aushandlungsprozesse kann daher durch die Analyse sprachlicher Handlungsmuster erfolgen.177
3.4.3 Diskurs- und Texttraditionen Diskursive Aushandlungsprozesse können mithilfe von Diskurs- bzw. Texttraditionen genauer beschrieben und theoretisch präziser erfasst werden. Zwischen beiden Konzepten gibt es verschiedene Berührungspunkte, die auch für die Untersuchung agonaler Aushandlungsprozesse im politischen Sprachgebrauch fruchtbar gemacht werden können. Das Konzept der Diskurs- und Texttraditionen erweist sich damit als aufschlussreich im Hinblick auf politischen Sprachgebrauch und Agonalität. Das auf Coseriu zurückgehende Konzept der Diskurs- und Texttraditionen wurde in der romanistischen Diskurstraditionenforschung aufgegriffen und sys-
Cf. auch Gallardo Paúls (2021). In dieser Hinsicht stimmt der hier vertretene Ansatz mit dem von Spitzmüller/Warnke (2011, 51) überein. Zur Musterhaftigkeit des Sprachgebrauchs und der Analyse sprachlicher Muster aus methodologischer Sicht cf. ausführlicher Kapitel 4.2.4.
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
tematisch ausgearbeitet.178 Coseriu (1980/1994, 53–54), der den Ausdruck Texttraditionen prägt, unterscheidet zwei Formen der Texttraditionen: einzelsprachlich bedingte Texttraditionen, zum Beispiel Formen der Anrede und Begrüßung, und übereinzelsprachliche Texttraditionen, zum Beispiel literarische Gattungen. Schlieben-Lange (1983) überträgt das Konzept der Texttraditionen auf nichtliterarische Texte und definiert es pragmatisch, womit sie es gewissermaßen alltagstauglich macht. Sie geht davon aus, dass Texte der Bewältigung von Alltagsaufgaben dienen und sich die Funktionen von Texten aus den «Notwendigkeiten der gesellschaftlichen Organisation» (Schlieben-Lange 1983, 183) ergeben. In jedem Bereich der Gesellschaft entstehen eigene Texttraditionen (cf. Schlieben-Lange 1983, 183), die drei Ebenen betreffen können: (i) elementare sprachliche Handlungen wie fragen oder befehlen, (ii) Texttypen als komplexe Muster mehrerer sprachlicher Handlungen und (iii) Diskursuniversen als «Typen der Texttypen» (cf. Schlieben-Lange 1983, 139–140). Koch (1997) greift die Überlegungen Schlieben-Langes auf und systematisiert diese auf der Grundlage der Coseriu’schen Theorie.179 In Analogie zum Begriff Texttraditionen prägt er den Terminus Diskurstraditionen und damit ein Konzept, anhand dessen gezeigt werden kann, wie sich eine Texttradition im Diskurs etabliert. Aus der Perspektive der gegenwärtigen Diskurstraditionenforschung lassen sich Diskurstraditionen als tradierte sprachliche Gestaltungsprinzipien beschreiben, die auf einem Wissen um die Gestaltung von Diskursen beruhen (expressives Wissen) und sich in Form von Mustern im Text manifestieren. Diskurstraditionen werden von Diskursgemeinschaften ausgeübt und sind in einem Diskursuniversum verankert, in Abhängigkeit dessen sie ihren Sinn erhalten.180 Diskurstraditionen sind – wie der Veränderlichkeit implizierende Begriff der Tradition signalisiert – dynamisch und stehen in komplexen Beziehungen zu einander. Im Vergleich zu idiomatischen Traditionen einer Sprachgemeinschaft sind Diskurstraditionen weniger gefestigt, variantenreicher und verändern sich schneller (cf. Lebsanft/Schrott 2015a, 29–32). Sie können die Identität der Diskursgemeinschaft, die sie pflegt, stärken, sind aber auch potenziell diskonti-
Für einen Überblick cf. Wilhelm (2001); Lebsanft/Schrott (2015a); Kabatek (2018); Schrott (2021). Die Koch’sche Weiterentwicklung des Coseriu’schen Modells weist gewisse Asymmetrien auf, zu denen insbesondere die Dopplung der historischen Ebene, die Vermengung der Ebene der Individualität mit dem Gesichtspunkt der Aktualität sowie das Fehlen der Kategorie des Wissens auf der individuellen Ebene zählen. Die Diskussion wird in Lebsanft (2015a) systematisch ausdifferenziert. Zu Diskursgemeinschaften cf. ausführlicher Kapitel 3.6.4, zum Diskursuniversum cf. Kapitel 3.5.2.
3.4 Diskursive Aushandlung
147
nuierlich (cf. Lebsanft/Schrott 2015a, 37–39). Diskurs- und Texttraditionen können sich zu Textgattungen und -sorten verfestigen, die sich «als historisch verfestigte Kombinationen von Diskurstraditionen» (Lebsanft/Schrott 2015a, 28) beschreiben lassen. Das Konzept der Diskurs- und Texttraditionen kann damit auch als Ausgangspunkt für die Konzeptualisierung und Untersuchung von Textgattungen bzw. -sorten fungieren (cf. Ciapuscio 2021). Textsorten wie die Rede, das Interview oder auch das Wahlprogramm bestehen aus Diskurs- bzw. Texttraditionen; Variation und Wandel von Textsorten lassen sich auf die Veränderlichkeit und Varianz diskurstraditionellen Wissens zurückführen (cf. Lebsanft/Schrott 2015a, 28). Zur Erklärung der Gestaltung und auch der Veränderung von Textsorten ist daher neben den die jeweiligen Textexemplare prägenden Regelmäßigkeiten immer auch das diskurstraditionelle Wissen zu berücksichtigen, das der Produktion entsprechender Diskurse bzw. Texte zugrunde liegt.181 Im Sinne der Coseriu’schen Textlinguistik lassen sich Textsorten als «Arten komplexer Sprachhandlungen auf[fassen], die Textintentionstypen durch Textmuster realisieren, d.h. durch Bündel von traditionellen, im wesentlichen übereinzelsprachlichen Verfahren, nach denen einzelne Textexemplare verfaßt werden» (Lebsanft 2001, 294). Wie diese Definition zeigt, sind für eine Definition von Textsorten aus Sicht der Diskurstraditionenforschung unter anderem zwei Aspekte wegweisend, in denen auch die konzeptuelle Nähe von Diskurs- und Texttraditionen auf der einen Seite und diskursiven Aushandlungsprozessen auf der anderen Seite begründet liegt: die Handlungsdimension und damit die Funktionalität von Sprache182 sowie die Musterhaftigkeit des Sprachgebrauchs. Auf den engen Zusammenhang zwischen sprachlichem Handeln und Diskurs- und Texttraditionen hat bereits Schlieben-Lange (1983) hingewiesen, wenn sie Diskurstraditionen als (i) elementare sprachliche Handlungen, (ii) komplexe Handlungsmuster (Texttypen) oder (iii) Typen solcher Handlungsmuster (Diskursuniversen) beschreibt und damit pragmatisch definiert (cf. supra). Die Annahme der Musterhaftigkeit des Sprachgebrauchs,
Damit ähnelt Coserius Ansatz späteren Ansätzen, die im Zuge der kognitiven Wende in der Textlinguistik entstehen. Letztere führt zum Entstehen einer regelrechten Kognitiven Textlinguistik, die sich unter anderem dadurch auszeichnet, dass sie «Texte in einem Zusammenhang mit Wissen, Denken, Gedächtnis und darüber hinaus mit Wahrnehmung behandelt» (cf. Figge 2000, hier S. 96). Eine solche kognitive Textlinguistik entwickelt zum Beispiel Langacker im Rahmen seiner Kognitiven Grammatik mit den sog. Discourse Genres (cf. Langacker 2008, 477–485). Die Bedeutsamkeit der Funktionalität für die Bestimmung von Textsorten zeigt sich auch darin, dass die textfunktionale Analyse heute integraler Bestandteil der textlinguistischen Forschung ist (cf. Brinker 2000).
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
die bei Schlieben-Lange bereits anklingt, kann inzwischen als Konsens weiter Teile der Sprachwissenschaft gelten. Auch auf die enge Verknüpfung der Konzepte Muster und Tradition ist vermehrt hingewiesen worden (z.B. Lebsanft/Schrott 2015a, 39–40), ein Verhältnis, das es noch weiter auszudifferenzieren gilt (cf. ausführlicher Kapitel 4.2.4). Auf dieser Grundlage lässt sich das Konzept der Diskurs- und Texttraditionen wie folgt für diskursive Aushandlungsprozesse fruchtbar machen: Diskursive Aushandlungsprozesse können als Diskurstraditionen beschrieben werden, die sich in Form von Mustern im Text manifestieren. Sie bestehen – den Dreischritt Schlieben-Langes aufgreifend – (i) aus einzelnen sprachlichen Handlungen, (ii) die sich zu komplexen Handlungsmustern zusammenfügen können, (iii) die wiederum in Typen solcher Handlungsmuster eingebettet sind. Ziel der vorliegenden Untersuchung wird es sein, (i) einzelne sprachliche Handlungen zu identifizieren, die für agonale Aushandlungsprozesse im politischen Sprachgebrauch charakteristisch sind, sog. agonale Diskurshandlungen (Ebene des einzelnen Textexemplars); (ii) spezifische Kombinationen und Verteilungen solcher Handlungsmuster in verschiedenen Textsorten zu identifizieren und damit spezifische Ausprägungen agonaler Aushandlungsprozesse zu ermitteln, die für ausgewählte politische Textsorten charakteristisch sind (textübergreifende, aber textsortenimmanente Ebene); und daraus (iii) Schlüsse auf Typen von Handlungsmustern zu ziehen, die für politischen Sprachgebrauch insgesamt prägend und damit charakteristisch für das Diskursuniversum der Politik sind (textsortenübergreifende Ebene). Dies erfolgt durch die Analyse von Regelmäßigkeiten, die sich in Form von Mustern im Text manifestieren und die auf Diskurstraditionen schließen lassen. Das Konzept der Diskurs- und Texttraditionen erweist sich damit auch als aufschlussreich im Hinblick auf politischen Sprachgebrauch und Agonalität. Ersteres hat bereits Becker (2004, 36–37) gezeigt, wenn er konstatiert, dass sich Regelmäßigkeiten in politischen Diskursen als politische Diskurstraditionen beschreiben lassen: «Politische ‹Diskurse› folgen dabei Regeln, die sich – im Sinne Kochs (1997) – zu ‹Diskurstraditionen› verdichten».183 Letzteres soll in
Darüber hinaus zeigt Becker (2004, 43–44), dass sich auch parteipolitischer Sprachgebrauch «(als eine bestimmte Form gruppenspezifischen Sprechens) […] als eine Diskurstradition […] interpretieren [lässt], da er sich durch die Merkmale der Historizität und der Konventionalität auszeichnet. […] Parteipolitisches Sprechen ist insofern historisch bedingt und konventioneller Natur, als die Regeln, wie über politische Sachverhalte zu prädizieren ist bzw. in welcher Weise sprachliche Äußerungen (und damit auch lexikalische Einheiten) zu verstehen sind, gruppenspezifisch ausgehandelt und für die Sprechergruppe verbindlich festgelegt werden. Gleichzeitig bewegen sich solche Festlegungen im Rahmen und vor dem Hintergrund einer bestimmten Tra-
3.5 Die diskursive Konstituierung von Sinn
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der vorliegenden Untersuchung gezeigt werden. Dazu werden agonale Diskurse auf Regelmäßigkeiten hin untersucht, die Agonalität anzeigen. Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen ist davon auszugehen, dass sich zum einen einzelne sprachliche Handlungen identifizieren lassen, die von Agonalität zeugen (sog. agonale Diskurshandlungen), und dass sich zum anderen textsortenspezifische Handlungsmuster identifizieren lassen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass es textsortenbedingte Spezifika von Agonalität gibt und sich die verschiedenen Textsorten insbesondere im Hinblick auf die in ihnen zum Einsatz kommenden Handlungen unterscheiden. Diese Hypothesen gilt es in der Analyse (insb. Kapitel 6.2 und 6.4) zu überprüfen.
3.5 Die diskursive Konstituierung von Sinn Eine der Hauptaufgaben linguistischer Diskursanalyse besteht in der Analyse der diskursiven Konstituierung von Sinn. Sinn bezieht sich dabei auf den sprachlichen Inhalt auf der individuellen Ebene, darauf, was mit dem Gesagten gemeint ist bzw. wie es verstanden werden kann. Im Hinblick auf Agonalität sind vor allem konkurrierende Sinnvorstellungen von Interesse. In agonalen Diskursen wird Sinn ausgehandelt, es wird darum gekämpft, sprachlichen Einheiten einen bestimmten Sinn zuzuschreiben oder auch abzuerkennen, es geht darum, die eigene Sinnvorstellung gegenüber anderen dominant zu setzen. Aufgabe der Diskursanalyse ist es daher nicht nur, den Sinn zu erschließen, sondern auch, zu untersuchen, wie Sinn ausgehandelt wird, wie er entsteht und wie er verstanden wird: «Das Grundproblem einer ‹Linguistik des Sinns› ist das folgende: ‹Wie entsteht ‹Sinn› und wie versteht man ihn?›», konstatierte bereits Coseriu (1980/1994, 69). Im Folgenden wird zunächst eine Klärung des Sinnbegriffs vorgenommen, wobei Sinn als kommunikativ-kognitive Größe bestimmt wird (Kapitel 3.5.1). Daraufhin wird die Kontextabhängigkeit des Sinns in den Blick genommen und eine systematische Ausdifferenzierung der Kontextfaktoren, die den Sinn einer sprachlichen Einheit bedingen, vorgenommen (Kapitel 3.5.2). Schließlich geht es um die Kategorie des Wissens als zentrale Voraussetzung der diskursiven Konstitution von Sinn; Sinn wird auf der Grundlage des Wissens, über das ein Sprecher verfügt, hergestellt und kann durch die Explizierung des Wissens, das im Diskurs aktualisiert wird, erschlossen werden (Kapitel 3.5.3).
dition des Denkens, Handelns und vor allem des Sprechens einer Partei, die von ideologiegeschichtlichen, parteigeschichtlichen und allgemein-historischen Einflüssen und Erfahrungen geprägt sind».
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
Mit der Kategorie des Sinns und der mit dieser aufs Engste verbundenen Kategorie des Wissens rückt die kognitive Dimension von Sprache verstärkt in den Fokus. Diese hält mit der «kognitiven Wende» ab den 1960er Jahren zunehmend Einzug in die Sprachwissenschaft und führt zu einer verstärkten Berücksichtigung mentaler Entitäten.184 Auch die Diskursanalyse ist zunehmend von kognitionswissenschaftlichen Ansätzen geprägt (cf. Hart 2015; Tenbrink 2020; Schröder 2021).185 Während im vorherigen Kapitel somit der Schwerpunkt auf dem menschlichen Handeln und einer damit einhergehenden pragmalinguistischen Fundierung der Diskursanalyse lag, soll es in diesem Kapitel verstärkt um das menschliche Denken gehen und der handlungsorientierte diskursanalytische Ansatz um eine kognitive Dimension erweitert werden.
3.5.1 Zum Sinnbegriff Der Sinnbegriff ist ein zentraler Terminus der Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften, der seit der Antike im Zentrum der Diskussion um Fragen der Bedeutung, des Meinens und Verstehens steht. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie es kommt, dass wir mit Sprache die Welt ausdrücken. Diese Frage suchen zahlreiche sprachwissenschaftliche Bedeutungstheorien auf unterschiedliche Weise zu beantworten. Je nach theoretischem Ansatz wird dabei auch der Begriff der Bedeutung unterschiedlich definiert. Davon zeugt nicht zuletzt die Vielfalt an Ausdrücken, die innerhalb der verschiedenen Bedeutungstheorien Verwendung finden, z.B. dt. Sinn, Bedeutung, Bezeichnung, engl. content, meaning, reference, intension, extension, frz. signification, désignation. Im Folgenden wird, wenn vom sprachlichen Inhalt in Bezug auf Diskurse gesprochen werden soll, im Anschluss an Coseriu der Terminus Sinn verwendet. Der Begriff des Sinns ist nicht weniger schillernd als der der Bedeutung. Die Kategorie des Sinns ist Gegenstand verschiedener Disziplinen, von der Hermeneutik über Philosophie, Soziologie und Psychologie bis hin zur Sprachwissenschaft. In den verschiedenen Disziplinen, aber auch innerhalb einer Disziplin
Die Kognitive Linguistik sieht sich dabei vor das unlösbare Problem des Zirkels gestellt, dass Kognition nur mithilfe von Kognition erforscht werden kann. Dies gilt jedoch nicht minder für die Untersuchung von Sprache selbst und ist angesichts der Relevanz kognitiver Strukturen und Prozesse in Kauf zu nehmen. Gleiches gilt für die mit der Diskursanalyse eng verbundene Textlinguistik (cf. Figge 2000) und die für den hier entwickelten diskursanalytischen Ansatz bedeutsame Pragmalinguistik (cf. Sandra/Östman/Verschueren 2009; Schmid 2012a; Fischer 2017; Mazzone 2021).
3.5 Die diskursive Konstituierung von Sinn
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wird der Begriff jeweils unterschiedlich definiert186 und teilweise sogar in widersprüchlicher Bedeutung verwendet. Während etwa Gottlob Frege in seinem berühmten Aufsatz Über Sinn und Bedeutung (1892) den Ausdruck Sinn zur Bezeichnung der begrifflich-abstrakten Inhaltsseite (Intension) eines Lexems und Bedeutung zur Bezeichnung der Referenz verwendet,187 werden die Termini in anderen Ansätzen, u.a. bei Coseriu (1980/1994), Scherner (1984) und Brinker/Sager (2010), in genau umgekehrter Zuordnung verwendet. Dies zeigt einmal mehr die Notwendigkeit einer Klärung des Sinnbegriffs. Dass der Sinnbegriff, obwohl er ein in hohem Maße schillernder Begriff ist, dennoch ein nützlicher und sogar notwendiger Begriff für die linguistische Diskursanalyse ist, ist darauf zurückzuführen, dass, wie im Folgenden gezeigt wird, die Kategorie des Sinns genuin hermeneutisch-pragmatischer Natur und daher zentral für eine hermeneutisch-pragmatisch ausgerichtete Diskursanalyse ist.188 Als Kunst des ἑρμηνεύειν, d.h. des Verstehens, Auslegens, Interpretierens, Erklärens, ist die Hermeneutik die Lehre vom Sinn par excellence: «Die Leistung der H[ermeneutik] besteht grundsätzlich immer darin, einen Sinnzusammenhang aus einer anderen ‹Welt› in die eigene zu übertragen» (Gadamer 1971). Ausgehend von der Annahme, dass in Texten, aber auch in allen anderen menschlichen Schöpfungen Sinn ist, gilt es als hermeneutische Aufgabe, diesen Sinn zu erschließen. Auch die Sprachwissenschaft kann als hermeneutische, als «verstehende» Wissenschaft aufgefasst werden (cf. Hermanns 2003; Hermanns/ Holly 2007a; Biere 2008). Dies kann mit Hermanns (2003, 127) auf zwei Gründe zurückgeführt werden. Zum einen ist der Gegenstand der Linguistik – Sprache – durch das Verstehen bestimmt. Verstehen ist «die Grundbedingung, die conditio sine qua non, jeglichen gelingenden Kommunizierens» (Hermanns/Holly 2007b, 1). Darauf weist, wie auch Hermanns/Holly (2007b, 1) feststellen, bereits Saussure hin, wenn er Sprache als «l’ensemble des habitudes linguistiques qui permettent à un sujet de comprendre et de se faire comprendre» (Saussure 1916/2013, 186) definiert. Zum anderen verfährt die Sprachwissenschaft selbst – auch wenn dies Einen kurzen Überblick über verschiedene Sinnbegriffe in der Sprachwissenschaft bietet Rehbock (2016). Zu interdisziplinären Bezügen des sprachwissenschaftlichen Sinnbegriffs cf. Trabant (1975) und Müller (2001). Zum Sinnbegriff in Philosophie und Wissenschaftstheorie cf. Thiel (2018). Die Ausdrücke Morgenstern und Abendstern haben für Frege daher dieselbe «Bedeutung» (d.h., sie sind referenzidentisch), aber einen unterschiedlichen «Sinn» (d.h., sie unterscheiden sich in Bezug auf ihren sprachlichen Inhalt). Zur Frege’schen Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung und ihren Auswirkungen auf die analytische Philosophie cf. Thürnau (1971). Die Notwendigkeit einer solchen hermeneutisch-pragmatischen Fundierung betonen Klein (2006; 2007) und Lebsanft (2018) gerade auch in Bezug auf die Analyse politischen Sprachgebrauchs (cf. Kapitel 4.2.1).
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
nicht immer bewusst reflektiert wird – stets hermeneutisch, suchen Sprachwissenschaftler doch letztlich Sprache und das Funktionieren von Sprache zu verstehen. Auch die Diskursanalyse ist, wenn sie als Linguistik des Sinns konzipiert wird und die Erschließung des Sinns eine hermeneutische Aufgabe ist, in grundlegender Weise hermeneutisch und damit als hermeneutische Wissenschaft, als «Verstehenswissenschaft» aufzufassen (cf. auch Hermanns 2007; Keller/Schneider/ Viehöver 2015). Neben der Hermeneutik ist der zweite zentrale Bezugspunkt für eine an der Frage nach dem Sinn interessierte Diskursanalyse die Pragmatik und damit eine handlungstheoretische Grundlage. In der Soziologie wird Handeln im Anschluss an Max Weber als «sinnhaft motiviertes Verhalten» (Schimank 2000/ 2010, 48) und damit gerade über den Sinn definiert:189 «‹Handeln› soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußerliches oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden» (Weber 1922, 1; Hervorhebung im Original). Sinn definiert Weber weiter als etwas, was nicht objektiv gegeben ist, sondern was jeweils «subjektiv gemeint» ist, was also stets aufs Neue erschlossen und hergestellt wird:190 «‹Sinn› ist hier entweder a) der tatsächlich α. in einem historisch gegebenen Fall von einem Handelnden oder β. durchschnittlich und annähernd in einer gegebenen Masse von Fällen von den Handelnden oder b) in einem begrifflich konstruierten reinen Typus von dem oder den als Typus gedachten Handelnden subjektiv gemeinte Sinn. Nicht etwa irgendein objektiv ‹richtiger› oder ein metaphysisch ergründeter ‹wahrer› Sinn» (Weber 1922, 1; Hervorhebungen im Original).
Systematisch ausgearbeitet wird die Idee der Sinnhaftigkeit sozialen Handelns in der sogenannten «verstehenden Soziologie» von Alfred Schütz. Auf die Grundgedanken Max Webers und die Phänomenologie Edmund Husserls aufbauend entwickelt Schütz in seiner Arbeit zum «sinnhaften Aufbau der sozialen Welt» (1932) eine Theorie der Sinnhaftigkeit sozialen Handelns, die zu erklären sucht, wie sich der subjektive Sinn, den ein Akteur mit seinem Handeln verbindet, wissenschaftlich erfassen lässt. Auch hier ist der Sinn somit definitorisch für das Handeln. Die Kategorie des Sinns erscheint damit als konstitutiv für jede Handlungstheorie. Sie ist daher auch «im Ansatz der Pragmalinguistik notwendigerweise impliziert»
Cf. auch Kapitel 3.6.1. Zu der Frage, ob der Sinn objektiv gegeben ist oder subjektiv hergestellt wird, cf. infra.
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(Trabant 1975, 278)191 und somit auch konstitutiv für eine handlungstheoretisch fundierte Diskursanalyse. Vor dem Hintergrund dieser hermeneutisch-pragmatischen Fundierung kann nun der Sinnbegriff für die praktischen Belange einer Diskursanalyse bestimmt werden. Als Ausgangspunkt soll dabei der Sinnbegriff Eugenio Coserius fungieren, der die Kategorie des Sinns bekanntlich ins Zentrum seiner Diskursbzw. Textlinguistik stellt. Der Sinn entspricht bei Coseriu dem sprachlichen Inhalt auf der individuellen Ebene; ihm werden die Bedeutung auf der einzelsprachlichen Ebene und die Bezeichnung auf der universellen Ebene gegenübergestellt (cf. Kapitel 3.3.1). Der Sinn, den Coseriu auch unter dem Terminus der Textfunktion erläutert,192 steht für «die Gesamtheit dessen, was gerade durch den Text und nur durch den Text verstanden wird, die Gesamtheit der Inhalte, die nur als Textinhalte gegeben sind» (Coseriu 1980/1994, 63); er ist ein «Typ von Bedeutung, der nur im Diskurs oder im Text geschaffen wird und für Diskurs oder Text konstitutiv ist» (Lüdtke 2019, 425). «Der S i n n , der auf der Ebene des Diskurses übermittelt wird, ist das mit dem Sagen ‹Gemeinte›, d.h. der besondere sprachliche Inhalt, der mittels der Bezeichnung und der Bedeutung ausgedrückt wird, der aber in einem individuellen Diskurs über beide hinausgeht und den Einstellungen, Absichten oder Annahmen des Sprechers entspricht» (Coseriu 1988/ 2007, 79; Hervorhebungen im Original).
Der Sinn wird hier über das Meinen – im Gegensatz zum Sagen – definiert; der Sinn ist das, was der Sprecher meint, wenn er im Diskurs einen Gegenstand mittels einer bestimmten einzelsprachlichen Bedeutung bezeichnet. Der Sinn beruht auf Bezeichnung und Bedeutung, geht im konkreten Diskurs jedoch über beide hinaus und stellt damit eine «Inhaltsebene höherer Art» dar: «Sprachliche Zeichen haben Bedeutungen, mittels derer sie etwas Außersprachliches bezeichnen. Dieser komplexe Sachverhalt stellt auf einer höheren semiotischen Ebene wieder den Ausdruck für eine Inhaltsebene höherer Art dar, den Sinn» (Coseriu 1980/ 1994, 65). Um einen Text zu verstehen, genügt es nicht, Bezeichnung und Bedeutung zu verstehen, sondern es geht in erster Linie darum, den Sinn des Gesagten,
Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Ansatz Alfred Schütz’ als zentraler Bezugspunkt für den Sinnbegriff der Gesprächslinguistik und der pragmatisch orientierten Textlinguistik fungiert (cf. Müller 2001, 1199–1202; Brinker/Sager 2010, 117–121). Jörn Albrecht weist als Herausgeber der Textlinguistik zu Recht darauf hin, dass Coserius Konzept der Textfunktion trotz der offenkundigen Nähe zu dem von Austin und Searle geprägten Konzept des Sprechakts nicht mit diesem gleichgesetzt werden darf (cf. Coseriu 1980/1994, 61, Anm. 23). Der Terminus Textfunktion bezieht sich bei Coseriu vielmehr auf den Sinn einer Äußerung; maßgeblich zur Textfunktion tragen die Umfelder bei, in die eine Äußerung eingebettet ist (cf. Lüdtke 2019, 425–427). Zur Theorie der Umfelder cf. Kapitel 3.5.2.
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
also das, was eigentlich gemeint ist, zu erschließen: «Wenn man das Gesagte verstehen will, darf man es nicht nur als Bezeichnung in bezug [sic!] auf die außersprachliche Wirklichkeit und als Bedeutung in der Einzelsprache verstehen, sondern man muß auch seinen Sinn als Text erfassen. Mehr noch: Der Sinn ist der Inhalt, der jedem Sagen eigen ist» (Coseriu 1988/2007, 182). Durch die systematische Verortung des Sinnbegriffs in einer Allgemeinen Theorie des Sprechens und die in diesem Rahmen vorgenommenen begrifflichen Distinktionen entwickelt Coseriu einen theoretisch und terminologisch äußerst fundierten Sinnbegriff. Dennoch lässt sich sein Ansatz auch in verschiedener Hinsicht hinterfragen. Dazu zählen (i) die Frage, in welchem Verhältnis der Sinn zu anderen Formen des Bedeutens steht, (ii) die Frage der Objektivität des Sinns und (iii) die Frage, in welchem Verhältnis Meinen und Verstehen zu einander stehen. (i) Coseriu unterscheidet «drei Ebenen des Bedeutens» (Coseriu 1988/1992, 262), Sinn, Bedeutung und Bezeichnung. Kritik wurde insbesondere an der Kategorie der Bezeichnung und deren Beziehung zur Bedeutung geübt.193 Wie Gauger (1983) zeigt, meint Bezeichnung bei Coseriu dreierlei: das Bezeichnete (d.h. den Referenten), den Bezug auf das Bezeichnete (d.h. den Akt der Referenz) und die Sachkenntnis (d.h. das Wissen über den Referenten). In dieser Kritik wird, wie Lebsanft/Gleßgen (2004, 12) darlegen, ein Kerngedanke der sich später entwickelnden Kognitiven Linguistik präfiguriert, nämlich dass zwischen dem Akt der Referenz, dem Referenten, der Bedeutung und dem Wissen über den Referenten zahlreiche Verbindungslinien bestehen. Eine derartige Ausdifferenzierung findet sich in der Kognitiven Linguistik denn auch nicht mehr; stattdessen werden Bedeutungen als «geistige Repräsentationseinheiten definiert, die an sprachliche Formen geknüpft sind» (Schwarz 1992/2008, 59) (zur «Bedeutung» aus Sicht der Kognitiven Linguistik cf. ausführlicher infra). Indem sich der Sinn auf den sprachlichen Inhalt auf der individuellen Ebene bezieht, zielt er auf kontextabhängige Interpretationen sprachlicher Einheiten ab. Diese stehen auch im Fokus anderer Theorien sprachlicher Bedeutung wie zum Beispiel der Cognitive Pragmatics (cf. Schmid 2012b), der sémantique discursive (cf. Lecolle/Veniard/Guérin 2018) oder auch der Praktischen Semantik Jürgen Heringers (1974; 1977).
Ausführlich wird diese Problematik bereits bei Gauger (1983) und Raible (1983) diskutiert; cf. auch Lebsanft/Gleßgen (2004, 6–9, 12–17) und Cremer (2015, 12–13). Die Kritik am Coseriu’schen Begriff der Bezeichnung mündete im semiotischen Fünfeck von Raible (1983), das zwischen signans, signatum und designatum auf der virtuellen Ebene sowie nomen und denotatum auf der aktuellen Ebene unterscheidet.
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(ii) Im Hinblick auf die Frage der Objektivität des Sinns geht Coseriu davon aus, «daß der Sinn etwas Objektives ist, daß er objektiv durch die betreffenden Verfahren im Text ausgedrückt wird und daß alles, was man als Sinn des Textes verstanden hat, einschließlich der Kontexte, auf die sich der Text bezieht, objektiv gegeben ist» (Coseriu 1980/1994, 155). In einer kritischen Diskussion des Coseriu’schen Ansatzes zeigt Aschenberg (1999, 69–70, 76), dass der Sinn keine objektive Größe sein kann, indem sie auf die Subjektivität der Interpreten und deren Wissen verweist.194 Bereits Coseriu selbst weist darauf hin, dass «der Sinn in den Texten nicht nur sprachlich, sondern auch außersprachlich ausgedrückt wird» (Coseriu 1980/1994, 203) und Verfahren der Sinnstiftung auch von «den Kenntnissen und Erfahrungen» der Zeichenbenutzer abhängig sind (Coseriu 1980/1994, 135). Da jene stets subjektiv sind, kann vom Sinn als einer objektiv gegebenen Größe nicht gesprochen werden. Diese Auffassung wird auch in der Kognitiven Linguistik vertreten: «It is unanimously agreed in Cognitive Linguistics that meaning does not reside in linguistic units but is constructed in the minds of the language users» (Radden/Köpcke/Berg/Siemund 2007, 1). Dass der Sinn nicht objektiv gegeben ist, bedeutet jedoch nicht, dass er willkürlich ist.195 Zwar ist – so die Annahme der Pragmalinguistik – grundsätzlich dem Sprecher überlassen, was er «meint», genauso wie es dem Hörer überlassen ist, zu verstehen, was der Sprecher meint, doch gibt es durchaus Grenzen, innerhalb derer Sinnzuschreibungen akzeptabel sind oder nicht. Darauf deuten auch die Alltagskonzepte des «Missverständnisses», des «An-einander-Vorbeiredens», des «Hineininterpretierens» etc. hin.196 Während sich Sprecher und Hörer in der bidirektionalen Kommunikation darüber verständigen können, was der andere Cf. auch Cremer (2015, 14–15). Cf. auch Aschenberg (1999, 143): «Die Skepsis, […] die unsere Zweifel an Coserius These von der objektiven Gegebenheit des Sinns bestätigt und verschärft […], soll indes keineswegs zu der relativistischen Auffassung führen, Textverstehen und linguistische Textanalyse vollzögen sich als bloßes Spiel der Willkür. Denn fraglos etablieren die vom Autor gewählten sprachlichen Ausdrucksmittel ein Geflecht von ‹objektiv gegebenen› – und insoweit auch textanalytisch objektivierbaren – virtuellen Relationen, das die Auslegung des Sinnes lenkt, allerdings ohne sie (vollständig) zu determinieren, und das die unbestimmte Vielzahl theoretisch möglicher Auslegungen einschränkt, allerdings ohne nur eine dieser Möglichkeiten als die einzig ‹richtige› auszuzeichnen. In Orientierung an den sprachlichen Vorgaben des Textes wird der Textsinn vielmehr erst durch den Verstehenden jeweils aktualisiert und, unter anderem vermöge seiner Leistung, speziell auch die Umfelder des Textes produktiv zu erfüllen, konkretisiert». Raffiniert wird es – eine übliche Strategie im politischen Sprachgebrauch –, wenn etwas als «Missverständnis» zurückgewiesen wird, was kein solches ist. Systematisch genutzt wird dies, wie Alduy/Wahnich (2015) zeigen, im für den Front National typischen double discours, der sich dadurch auszeichnet, dass Aussagen getätigt werden, die von verschiedenen Adressatengruppen verschieden gelesen werden sollen (cf. Kapitel 6.3.5).
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meint, und so Missverständnisse überprüfen und ggf. beheben können, ist dies in der unidirektionalen Kommunikation, z.B. bei der Lektüre eines Texts, nicht möglich. Doch auch hier ist die Sinnzuschreibung nicht beliebig, sondern beruht auf bestimmen Konventionen und kann durch Dritte auf ihre Plausibilität hin überprüft werden. Als Maßstab des Verstehens gilt die Angemessenheit der Interpretation (cf. Gardt 2013, 38). (iii) Wie in diesen Ausführungen bereits anklingt, sind für die Kategorie des Sinns sowohl das Meinen als auch das Verstehen von Relevanz. Coseriu bestimmt den Sinn als Meinen – im Gegensatz zum Sagen – und damit als primär sprecherseitige Größe. Dies entspricht dem in der Pragmalinguistik traditionellerweise zugrunde gelegten Verständnis von Sinn, wie es durch Paul Herbert Grice in seinem epochemachenden Aufsatz Meaning (1957) geprägt wurde. Der Aspekt des Verstehens und damit die hörerseitige Dimension werden bei Coseriu ebenfalls mitgedacht,197 spielen jedoch insofern eine untergeordnete Rolle, als dass es bei der Interpretation des Gesagten in erster Linie um die Rekonstruktion des vom Sprecher Gemeinten geht, weniger um die Zuschreibung von Sinn durch den Hörer – eine logische Konsequenz aus der Annahme der Objektivität des Sinns. Dass sich der Sinn auf Meinen und Verstehen, auf Sprecher und Hörer gleichermaßen beziehen kann, zeigt Busse (1987)198 im Anschluss an den Psychologen Hans Hörmann (1976), dessen Werk den programmatischen Titel Meinen und Verstehen trägt:
Cf. z.B. «Und die Gesamtheit der Textfunktionen schließlich, die Gesamtheit dessen, was gerade durch den Text und nur durch den Text verstanden wird, die Gesamtheit der Inhalte, die nur als Textinhalte gegeben sind, wollen wir S i n n nennen» (Coseriu 1980/1994, 64; meine Kursivierung). Bei Dietrich Busse erscheint die Kategorie des Sinns bereits als zentrale Kategorie der Historischen Semantik (Busse 1987). In dieser entwickelt Busse ausgehend von der Begriffsgeschichte nach Koselleck ein Programm, das die historischen und sozialen Rahmenbedingungen des Bedeutungswandels einbezieht und das er unter Bezugnahme auf Foucault (historische) Diskurssemantik nennt. Die Hauptaufgabe der (historischen) Diskurssemantik bestehe darin, den Sinn, der einem bestimmten Lexem innerhalb einer bestimmten Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit zugeschrieben wird, zu ermitteln. Unter Einbezug der Kognitiven Linguistik arbeitet Busse diesen Ansatz später systematisch zu einem kognitiv-epistemologisch begründeten Programm aus, der sogenannten «Linguistischen Epistemologie» (cf. dazu Kapitel 3.5.3). Busses Ansatz unterscheidet sich im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse insofern von der Coseriu’schen Diskursbzw. Textlinguistik, als dass im Fokus ersterer die historische, im Fokus letzterer hingegen die individuelle Ebene steht. Auch die jeweils zugrunde gelegten Sinnbegriffe sind nicht – ebenso wenig wie die Diskursbegriffe – zur Deckung zu bringen. Dennoch kann Busses Ansatz für eine Modifizierung bzw. Erweiterung des Coseriu’schen Ansatzes fruchtbar gemacht werden, was dem Busses Ansatz zugrunde liegenden Modell kommunikativen Handelns zu verdanken ist.
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«Der Prozeß der Kommunikation verläuft, dies hat Hörmann gezeigt, bei beiden Vorgängen, Meinen und Verstehen, und beiden Beteiligten, Sprecher und Hörer, in der Richtung vom allgemeinen Sinn zur konkreten Äußerung. Erst wird der Sinnzusammenhang unterstellt, dann wird versucht, die Äußerung darauf zu beziehen, und so ihren Sinn, als Kontrast von sprachlicher Regel und allgemeinem Sinnbezug, zu verstehen» (Busse 1987, 143–144).
Auf die Relevanz des Verstehens als hörerseitigem Prozess weist auch die Hermeneutik hin, die sich ja gerade als Kunst des Auslegens, des Verstehens begreift (cf. supra). Der Prozess des Verstehens wird hier anhand des sog. «hermeneutischen Zirkels» modelliert, an dessen Ende die «Horizontverschmelzung» steht (Gadamer 1960). Der Prozess des Verstehens mündet, so Hörmann, in dem «subjektiven Gefühl ‹jetzt habe ich es verstanden›» (Hörmann 1987, 137). «Das Verstehens eines Textes stellt sich ein», wie Gardt (2013, 34) konstatiert, «kann sich aber in der Analyse auch geleitet nachvollziehen und im Nachhinein expliziert werden». Wird Sinn als auf das Meinen und das Verstehen gerichtete Größe begriffen, so stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis Meinen und Verstehen zu einander stehen. Die Frage, ob es nur einen gemeinten Sinn gibt, den es beim Verstehen zu rekonstruieren gilt, oder ob es mehrere zulässige Wege gibt, das Gesagte zu verstehen, ist eine der Grundfragen der Hermeneutik: «Erschöpft sich der Sinn eines Textes wirklich in dem ‹gemeinten› Sinn (mens auctoris)? Ist Verstehen nichts als die Reproduktion einer ursprünglichen Produktion?» (Gadamer 1971; Hervorhebung im Original). Zwar wird der mens auctoris, der (vermeintlichen) Intention des Autors, im Alltag häufig eine große Bedeutung beigemessen, doch ist der Sinn eines Diskurses bzw. Texts von dieser zu trennen (cf. Gardt 2013, 38–42).199 Der Sinn ist, wie oben erläutert, nicht objektiv gegeben, sondern Produkt eines individuellen Deutungsprozesses. Diskurse bzw. Texte haben keinen festen Sinn; dieser wird erst durch die Rezipienten geschafften bzw. «konstruiert» (cf. Gardt 2013, 34–36). Verstehen bedeutet daher nicht, einen vermeintlich ursprünglichen, richtigen Sinn zu rekonstruieren, sondern einen Diskurs bzw. Text vor dem Hintergrund des individuellen Wissenshorizonts immer wieder neu zu interpretieren. Der Sinn, den der Hörer bzw. Leser einem Diskurs oder Text beimisst, muss dabei nicht mit dem Sinn übereinstimmen, den ihm der Sprecher bzw. Schreiber beimisst (cf. Lüdtke 2019, 424). Gleichwohl ist die Deutung eines Diskurses bzw. Texts, wie oben erläutert, nicht beliebig, sondern hat sich im Rahmen des Angemessenen zu bewegen (cf. Gardt 2013, 36–38). Wird Sinn als eine auf das Meinen und das Verstehen bezogene und damit sowohl sprecher- als auch hörerseitige Kategorie definiert, so kann Sinn als
Cf. auch Raible (1997, 127–133).
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eine in grundlegender Weise kommunikative Größe aufgefasst werden.200 Sowohl die Sinnsteuerung durch den Sprecher als auch die Sinndeutung durch den Hörer vollziehen sich in der Kommunikation.201 Die kommunikative Zuschreibung von Sinn beruht auf den universellen Prinzipien menschlicher Kommunikation, die Grice in dem bekannten Kooperationsprinzip und den davon abgeleiteten Kommunikationsprinzipien formuliert hat.202 Demzufolge setzt das Gelingen menschlicher Kommunikation voraus, dass der Sprecher darauf vertraut, dass der Hörer das Gesagte «sinnvoll» interpretiert, und dass der Hörer darauf vertraut, dass der Sprecher etwas «Sinnvolles» zu sagen intendiert. Coseriu beschreibt diesen Zusammenhang mit dem dem Grice’schen Kooperationsprinzip entsprechenden «Prinzip des Vertrauens»:203 «Das Wissen bei der sinnvollen Interpretation auch des Sinnwidrigen ist ein Wissen darüber, mit welchen Maximen man spricht. Man nimmt bestimmte Grundlagen des Sprechens an, auch wenn im Einzelfall eventuell Abweichungen von diesen Grundlagen eintreten können, d.h. man nimmt im voraus an, daß derjenige, der spricht, es mit Kohärenz und sinnvoll tut. Wenn der Ausdruck auf den ersten Blick nicht kohärent ist, dann sucht man nach der Kohärenz. Man macht dies deswegen, weil man annimmt, daß das Sprechen sozusagen kohärent zu sein hat und weil man in dieser Hinsicht Vertrauen zu den anderen hat. […] Bei der Interpretation des Gesagten gilt also das Prinzip des Vertrauens. Erst ‹in zweiter Instanz›, d.h. nach erfolgloser Rückfrage oder dem Scheitern einer sinnvollen Interpretation, wird das Vertrauen entzogen» (Coseriu 1988/2007, 95–96).
Während die Auffassung des Sinns als kommunikative Größe in Coserius Ansatz durch das Prinzip des Vertrauens nur implizit zum Ausdruck kommt, wird sie bei Busse explizit gemacht. Busses Ansatz fußt auf einem auf Wittgenstein, Grice und Hörmann gründenden Modell kommunikativen Handelns (cf. Busse 1987, 115–144), «in dem Bedeutung als konkrete, situations- und kontextbezogene Konstitution von kommunikativem Sinn erscheint» (Busse 1988, 257). Sinn (bzw. «Bedeutung») wird hier als Ergebnis kommunikativen Handelns aufgefasst: «[S]prachliche ‹Bedeutung› stellt sich dann nämlich nicht als in sich abgeschlos-
Eine solche Auffassung des Sinns als kommunikative Größe steht auch im Einklang mit dem in Kapitel 3.4 entwickelten pragmatisch-kommunikativen Ansatz. Dabei lege ich einen weiten Kommunikationsbegriff zugrunde, der räumlich und zeitlich versetzte ebenso wie bi- und unidirektionale Kommunikation einschließt. Das Kooperationsprinzip, aus dem sich die vier Maximen – der Quantität, Qualität, Relation und Art und Weise – ableiten, sei hier nur kurz erinnert: «Make your conversational contribution such as is required, at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged» (Grice 1975, 45). Zur Parallele zwischen dem Grice’schen Kooperationsprinzip und dem Coseriu’schen Prinzip des Vertrauens sowie den sich daraus ergebenden Anschlussmöglichkeiten an das Konzept der Implikatur cf. Lebsanft (2005, 26–27).
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sene und statische Entität dar, sondern als situations- und kontextgebundenes Ergebnis konkreter kommunikativer Anstrengung zwischen Kommunikationspartnern, sich durch regelhafte Verwendung sprachlicher Zeichen miteinander zu verständigen» (Busse 1988, 251). Die Zuschreibung von Sinn in der Kommunikation setze nicht nur das voraus, was Grice im Kooperationsprinzip formuliert hat (cf. Busse 1987, 131), sondern auch das, was Busse (1987, 140) im Anschluss an Hörmanns (1976) Konzept der Sinnkonstanz die «intentionale Ausrichtung auf Sinn» nennt: «Erst die intentionale Ausrichtung auf Sinn macht es erklärlich, wieso der Sprecher damit rechnen kann, daß der Hörer auch kompliziertere Rekonstruktionsleistungen (wie sie bei der Implikatur erforderlich sind) zu erbringen gewillt ist» (Busse 1987, 140). Sinn als kommunikative Größe zu begreifen, impliziert, dass Sinn nicht von vorneherein fixiert, sondern Ergebnis sprachlichen Handelns ist. Sinn ist daher auch Gegenstand sprachlicher Aushandlungsprozesse und damit keine «in sich abgeschlossene» oder «statische Entität», sondern dynamisch. Doch ist Sinn nicht nur eine kommunikative, sondern auch eine kognitive Größe. Sinn ist nicht sinnlich wahrnehmbar, sondern wird mental repräsentiert und ist damit kognitiver Natur. Auch der Prozess der Sinnstiftung – sei es auf Seiten des Meinens oder des Verstehens – beruht auf einer Vielzahl von Konzeptualisierungs- und Kontextualisierungsleistungen und ist damit ein kognitiver Vorgang. Was in den hermeneutischen Wissenschaften schon lange präfiguriert wurde, wird von der Kognitiven Linguistik explizit gemacht (cf. Gardt 2013, 33): «Our concern is with the meanings of linguistic expressions. Where are these meanings to be found? From a cognitive linguistic perspective, the answer is evident: meanings are in the minds of the speakers who produce and understand expressions. It is hard to imagine where else they might be» (Langacker 2008, 27). Die Kategorie des Sinns ist insofern als kognitive Größe zu begreifen, als dass Sinn bzw. «Bedeutung» (meaning) mental repräsentiert wird (cf. Speed/Vinson/Vigliocco 2015; Dancygier 2017). In der Kognitiven Linguistik wurden verschiedene Modelle zur Repräsentation mentaler Strukturen entwickelt, die zur Beschreibung sprachlicher «Bedeutung» nutzbar gemacht werden können. Zu den bekanntesten zählen Frames (grundlegend s. Minsky 1974 und Fillmore 1985; für einen Überblick cf. Busse 2012), Idealized Cognitive Models (Lakoff 1987, insb. 68–76), Mental Spaces (Fauconnier 1985/2003) und Domains (Langacker 2008, insb. 43–54). Besonders gewinnbringend für das hier verfolgte Vorhaben verspricht der Ansatz Ronald Langackers zu sein. Während sich viele kognitive Ansätze für übereinzelsprachliche Strukturen und Prozesse interessieren und damit einen universellen, kulturunabhängigen Anspruch erheben, was im Widerspruch zu Diskursen steht als Phänomenen, die in einer bestimmten Kultur zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort verankert sind, interessiert sich
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Langacker auch für die Untersuchung kontextabhängiger Bedeutung im Diskurs, sogenannte «contextual interpretations» (Langacker 2008, 38 passim).204 Der Fokus liegt damit nicht auf dem content, dem konzeptuellen «Inhalt», sondern dem construal, der spezifischen Art, wie die Bedeutung im Diskurs, in einer konkreten Kommunikationssituation von einem Sprecher hergestellt und gestaltet wird:205 «Most broadly, a meaning consists of both conceptual content and a particular way of construing that content. The term construal refers to our manifest ability to conceive and portray the same situation in alternate ways» (Langacker 2008, 43; Hervorhebungen im Original). Domains wiederum sind «any kind of exception or realm of experience» (Langacker 2008, 44), die bei der Interpretation einer sprachlichen Einheit aktiviert werden. Eine zentrale Gemeinsamkeit der Ansätze Coserius und Langackers und wichtiges Wesensmerkmal des hier verfolgten Ansatzes ist, dass es um die Ermittlung individueller, kontextabhängiger Interpretationen geht, um den Sinn. Das hier entwickelte Verständnis von Sinn kann damit wie folgt resümiert werden: Sinn bezeichnet die individuelle Konzeptualisierung von Gegenständen im Kontext und ist eine kommunikativ-kognitive Größe. Der Sinn bezieht sich auf die individuelle Ebene des Bedeutens; er umfasst sowohl den semantischen als auch den pragmatischen Gehalt, also sowohl wörtliche als auch nicht-wörtliche Bedeutungen, und ist damit in grundlegender Weise kontextabhängig.206 Die Zuschreibung von Sinn erfolgt durch die an der Kommunikation Beteiligten; Sinn ist damit stets akteursgebunden.207 Der Sinn einer sprachlichen Einheit lässt sich erschließen – so die Grundannahme der «Gebrauchstheorien der Bedeutung» (cf. Anm. 160) –, indem der Gebrauch, der von einer sprachlichen Einheit durch die Sprecher gemacht wird, analysiert wird. In der vorliegenden Arbeit wird dies am Beispiel der fünf Spitzenkandidaten im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 auf der Grundlage eines Korpus untersucht. Für Agonalität ist die Kategorie des Sinns insbesondere dann von Relevanz, wenn kein Konsens bezüglich des Sinns besteht oder der Sinn Gegenstand agonaler Aushandlungsprozesse ist. Eines der Hauptziele der Untersuchung agonaler Diskurse im Hinblick auf die Kategorie des Sinns besteht somit darin, zu ermitteln, welche Sinnzuschreibungen im Diskurs konkurrieren und wie diese ausgehandelt werden. Agonale Diskurse sind dadurch charakterisiert, dass unterschiedliche Konzeptualisierungen ein und desselben Gegenstands existieren
Zur Kontextabhängigkeit des Sinns und Langackers Konzept der contextual interpretations cf. Kapitel 3.5.2. Zur Langacker’schen Dichotomie von content und construal cf. auch Kapitel 2.4.3. Zur Kontextabhängigkeit des Sinns cf. Kapitel 3.5.2. Zu Akteuren cf. Kapitel 3.6.
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und im Diskurs in Konkurrenz zu einander treten. Diese unterschiedlichen Konzeptualisierungen geben Aufschluss über die verschiedenen Perspektivierungen der Wirklichkeit der jeweiligen Akteure. In politischen Diskursen können diese Ausdruck von Ideologien im Sinne verfestigter Weltanschauungen, Grundeinstellungen oder Wertungen sein, die von einer Gruppe wie z.B. einer politischen Partei geteilt werden. Ist Sinn Gegenstand diskursiver Aushandlungsprozesse, wird darum gekämpft, sprachlichen Einheiten einen bestimmten Sinn zuzuschreiben oder auch abzuerkennen, um auf diese Weise die eigene Sinnvorstellung gegenüber anderen im Diskurs dominant zu setzen. Auf eigene Sinnvorstellungen wird dabei in der Regel der Anspruch auf Gültigkeit bzw. Wahrheit erhoben; den Sinnvorstellungen anderer wird dieser aberkannt.208 Derartige agonale Aushandlungsprozesse stehen im Zeichen des Strebens nach Diskursund Deutungshoheit.209 Im politischen Sprachgebrauch manifestiert sich dies insbesondere in semantischen, aber auch in diskursiven Kämpfen.
3.5.2 Die Kontextabhängigkeit des Sinns Dass Sinn in grundlegender Weise kontextabhängig ist, kann als unbestritten gelten. Doch wenn es darum geht, was Kontext eigentlich ist bzw. welche Typen von Kontexten es gibt, wird es deutlich komplizierter. Gegenüberstellungen wie Kontext vs. Kotext, Kontext vs. Situation, sprachlicher vs. außersprachlicher Kontext deuten bereits darauf hin, dass der Kontextbegriff in unterschiedlichen Ansätzen unterschiedlich bestimmt wird und dass diese Bestimmungen nicht oder allenfalls teilweise zur Deckung zu bringen sind. Im Folgenden soll unter Rückgriff auf ausgewählte Kontexttheorien mit einem Schwerpunkt auf romanistischen Ansätzen (Coseriu, Aschenberg, Winter-Froemel) eine Klärung des Kontextbegriffs und eine Ausdifferenzierung verschiedener Typen von Kontexten vorgenommen werden, die als Grundlage für eine als Linguistik des Sinns konzipierte Diskursanalyse fungieren können. Bereits Coseriu (1980/1994, 143) beschreibt die Kontextabhängigkeit des Sinns: «Eben deshalb ist der Kontext für jeden Text so wichtig, denn nur durch ihn, sei es durch den sprachlichen, sei es durch den außersprachlichen Kontext, erhält der Text seinen Sinn». Ausführlich wird diese Problematik bei Coseriu unter dem Stichwort der Zeichenrelationen diskutiert. Nach Coseriu beruht der Sinn eines sprachlichen Zeichens auf der Gesamtheit der Relationen, in
Zum Kampf um die Wahrheit in agonalen Diskursen cf. Kapitel 2.4.3 und 6.2.8. Zu Diskurs- und Deutungshoheit cf. Kapitel 2.4.3.
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denen ein sprachliches Zeichen zu anderen Faktoren steht. Der Sinn eines sprachlichen Zeichens entspricht daher der «Kombination aller Zeichenrelationen» (Coseriu 1980/1994, 137). Die verschiedenen Zeichenrelationen werden bei Coseriu (1980/1994, 71–146) systematisch ausdifferenziert, wobei zunächst zwischen den «Grundrelationen des sprachlichen Zeichens innerhalb eines einfachen Kommunikationsmodells» (Coseriu 1980/1994, 71) und «andere[n] Arten von Relationen» (Coseriu 1980/1994, 92) unterschieden wird. Innerhalb ersterer setzt Coseriu (1980/1994, 71–75) in Anlehnung an Bühlers Organonmodell drei Typen von Relationen an: (i) die Relationen des sprachlichen Zeichens zum Sprecher, (ii) die Relationen des sprachlichen Zeichens zum Adressaten und (iii) die Relationen des sprachlichen Zeichens zum Gegenstand. Die «andere[n] Arten von Relationen» beziehen sich auf das sprachliche Zeichen im Text und umfassen (i) «Relationen mit anderen Zeichen», (ii) «Relationen mit Zeichen in anderen Texten», (iii) «Relationen zwischen Zeichen und ‹Sachen›», (iv) «Relationen zwischen Zeichen und ‹Kenntnis der Sachen›» und (v) «Umfelder» (Coseriu 1980/1994, 92–137; Kursivierungen im Original). Die Umfelder, die sich auf alle «Gegenstände und Sachverhalte, die im Augenblick des Sprechens den Redeakt in irgendeiner Form determinieren» (Coseriu 1980/1994, 124), beziehen, differenziert Coseriu (1980/1994, 124–137) in Anlehnung an die Bühler’sche Umfeldtheorie systematisch aus, wobei er vier Typen von Umfeldern unterscheidet: Situation, Region, Kontext und Redeuniversum.210 Das Redeuniversum ist «das universelle System von Bedeutungen, zu dem ein Text gehört und durch das er seine Gültigkeit und seinen besonderen Sinn erhält» (Coseriu 1980/1994, 128). Als Beispiele nennt Coseriu (1980/1994, 134) «die Mythologie, die Literatur, die Wissenschaft, die Mathematik, unsere praktische Lebenswelt». Zur Bezeichnung der Kategorie des Redeuniversums hat sich in der romanistischen Forschung inzwischen der Terminus Diskursuniversum etabliert, den Schlieben-Lange (1983) einführt und sich damit wesentlich näher an dem Ausdruck bewegt, den Coseriu ursprünglich verwendet hatte, als er in Anlehnung an Urbans (1939) Konzept des universe of discourse vom universo de discurso sprach (Coseriu 1955/1956). Vergleichbare Konzepte finden sich auch in anderen Ansätzen, wenn auch unter variierender Terminologie. So widmet sich zum Beispiel das Forschungsnetzwerk Sprache und Wissen der Untersuchung der Wissenskonstitution in unterschiedlichen sog. Wissensdomänen wie der Religion, der Mathematik, der Literatur oder der Politik (cf. Felder 2008). Als Diskursdomänen (engl.
Die Grundlagen dieser in der Textlinguistik aufgegriffenen Klassifizierung der Umfelder entwickelt Coseriu bereits in seinem 1955/1956 erschienenen Aufsatz Determinación y entorno.
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discourse domains) werden im Handbuch Sprache – Kultur – Kommunikation (HSK 43; Jäger/Holly/Krapp/Weber/Heekeren 2016) u.a. die Bereiche Wissenschaft/Bildung, Literatur, Religion, Politik, Justiz und Alltag bezeichnet. Neben der terminologischen Verwandtschaft legen nicht zuletzt die jeweils angeführten Beispiele eine Kontiguität von Diskursuniversum, Wissensdomäne und Diskursdomäne nahe. Das Konzept des Diskursuniversums ist insofern von besonderer Relevanz für die Untersuchung politischen Sprachgebrauchs, als dass es dabei um den Sprachgebrauch in einem bestimmten Diskursuniversum geht, der Politik. Die Politik ist ein gesellschaftlicher Bereich, der sich durch gemeinsame Wissensbestände und Handlungsfelder auszeichnet; sie ist eines der «‹Bezugssysteme› unseres Redens» (Coseriu 1980/1994, 134). Der politische Sprachgebrauch setzt sich aus der Gesamtheit der Diskurse bzw. Texte zusammen, die zum Diskursuniversum der Politik gehören und durch das sie ihre Gültigkeit und ihren besonderen Sinn erhalten. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass sowohl semantische (cf. Felder 2006c) als auch diskursive Kämpfe stets innerhalb eines Diskursuniversums ausgetragen werden, weshalb das Konzept des Diskursuniversums auch im Hinblick auf Agonalität von Relevanz ist. Im Anschluss an Coserius Klassifikation der Umfelder, die zwar äußerst differenziert, aber auch höchst komplex und zuweilen recht heterogen erscheint, entwickelt Aschenberg (1999) eine reduzierte Typologie, die sich, wie Cremer (2015, 23) zu Recht feststellt, als «praktikabler» erweist. Dazu führt Aschenberg die Coseriu’schen Kategorien auf «drei elementare, d.h. funktional erforderliche und aufeinander nicht rückführbare Typen einschließlich ihrer definitorischen Komponenten» (Aschenberg 1999, 75; Hervorhebung im Original) zurück, Situation (außersprachlich), Rede- bzw. Diskurskontext (sprachlich) und Wissen (kognitiv): «1. die nicht-sprachliche Situation (im ‹herkömmlichen› Sinn) einschließlich der für die soziale Situation essentiellen Determinanten Raum, Zeit und Personen; 2. den Rede- bzw. Diskurskontext (‹positiv› und ‹negativ›, d.h. in seinen explizit artikulierten wie in seinen implizit angedeuteten oder gar verschwiegenen oder kaschierten Relationen); 3. das Wissen (mit den für sprachliche Zusammenhänge erforderlichen Komponenten (a) der sprachlichen Kompetenz, also als ‹elokutionelles›, ‹idiomatisches› und ‹expressives› Wissen […], und (b) des lebensweltlichen Wissens in seiner ganzen Vielfalt, also gemäß den Bestimmungen des Außer-Rede-Kontextes, und (c) des Redeuniversums)» (Aschenberg 1999, 75; Hervorhebungen im Original).
Als «‹notwendige Bedingungen› textueller Sinnbildung, als ‹konstitutive Prinzipien› von Textualität» (Aschenberg 1999, 75) bilden diese drei Komponenten den Kern der von Aschenberg in texttheoretischer und textanalytischer Perspektive entwickelten Kontexttypologie.
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
Ausgehend von den Überlegungen Coserius und Aschenbergs entwickelt Winter-Froemel (2013; 2016) ein weiteres Kontextmodell, in dem Kontexte als mentale Repräsentationen begriffen werden. Wie Winter-Froemel (2013, 156) zu Recht anmerkt, besteht zwischen den drei Kontexttypen nach Aschenberg eine gewisse Asymmetrie, da auch Situation und Rede- bzw. Diskurskontext nicht objektiv gegeben sind, sondern entscheidend ist, «wie diese Umstände von den Kommunikationsteilnehmern internalisiert sind», sprich wie sie perspektiviert bzw. mental repräsentiert werden. Davon ausgehend plädiert Winter-Froemel (2013, 156) dafür, «den Bereich des Wissens als übergreifende Kategorie zu fassen», und innerhalb dieser zwischen sprachlichem und außersprachlichem Wissen sowie abstrakt/systembezogenem und aktuell/diskursbezogenem Wissen zu unterscheiden, und kommt so zu folgender Kreuzklassifikation: sprachlich
außersprachlich
abstrakt/ systembezogen
Sprachliche Kompetenz Wissen bezüglich der Grammatik und des Lexikons der Einzelsprache
Weltwissen Lebensweltliches/enzyklopädisches/ außersprachliches Wissen
aktuell/ diskursbezogen
Wissen bezüglich des sprachlichen Ko(n)texts
Wissen bezüglich der Situation
Abbildung 4: Typen kontextuellen Wissens nach Winter-Froemel (2013, 156).
Dem zugrunde liegt ein sprachtheoretischer Ansatz, der sich durch zwei Grundannahmen auszeichnet. Erstens wird von einer äußerungsbasierten Modellierung von Sprache ausgegangen und damit die Ebene des Diskurses, die individuellen Sprecher und ihre sprachlichen Handlungen in den Fokus gerückt. Vor diesem Hintergrund erscheinen Kontexte bzw. Typen kontextuellen Wissens als «explanatory concepts for linguistic usage», die ausgehend von konkreten Äußerungen zu erschließen sind (und nicht umgekehrt): «At the same time, sticking to the usage-based perspective adopted here, the various types of contextual knowledge, including the general, situation-independent types (see below), are intended as explanatory concepts for linguistic usage, which need to be perceived from the perspective of their realisation in concrete utterances» (Winter-Froemel 2016, 184).
Zweitens wird daran erinnert, dass Sprache sowohl Kommunikation als auch Kognition umfasst, und damit ein kommunikativ-kognitives Verständnis von Sprache zugrunde gelegt.
3.5 Die diskursive Konstituierung von Sinn
165
Die kommunikative Dimension findet ihren Niederschlag in einem pragmalinguistischen Zugang. So heißt es bei Winter-Froemel (2013, 139): «Es werden sowohl (im Sprachsystem) konventionalisierte (semantische) Bedeutungen als auch an konkrete Kommunikationskontexte gebundene, pragmatische Interpretationen eingeschlossen» (meine Hervorhebung). Eine solche Zuweisung der Kontextabhängigkeit zur Pragmatik findet sich auch bei Langacker (2008, 40), wenn er herausstellt, dass contextual interpretations nicht allein auf der Grundlage der Semantik zu erschließen sind, sondern auch den Einbezug der Pragmatik erfordern: «A distinction can be made between semantics and pragmatics. An expression’s full contextual understanding goes beyond what can be determined from established linguistic units» (Langacker 2008, 40). Die «Bedeutung» (meaning) eines Ausdrucks ergebe sich erst in Abhängigkeit vom Kontext – eine Ansicht, die durchaus an Coserius Konzeptualisierung von Sinn in Abgrenzung zur Bedeutung erinnert. Früh hat auch bereits Jürgen Heringer mit seiner Praktischen Semantik einen pragmalinguistischen Ansatz zur Erschließung des Sinns sprachlicher Einheiten entwickelt.211 Die Praktische Semantik gründet in der Annahme, dass Bedeutung keine feste Größe ist, sondern in der Kommunikation immer wieder neu ausgehandelt wird: «Die Bedeutungen von Ausdrücken sind […] nicht abgeschlossen, sondern sie verändern sich ständig, und zwar in und durch Kommunikationen. Darum kann natürlich eine solche Definition auch durch die jeweils stattfindende Kommunikation geändert werden. Das kann gerade der Sinn der Kommunikation sein. Wenn jemand von vorneherein die Bedeutung seiner Zeichen definitorisch festgelegt hätte, dann bräuchte er nicht mehr zu kommunizieren, weil er nichts Neues erfahren könnte» (Heringer 1974, 100, cf. auch 96–97).212
Wie dieses Zitat deutlich macht, liegt der Fokus der Praktischen Semantik auf der Untersuchung kontextabhängiger «Bedeutungen», bzw., in Worten Coserius, des Die von Heringer (1974; 1977) konzipierte Praktische Semantik ist eine in den 1970er Jahren entwickelte, in der aktuellen Diskussion (cf. Lebsanft 2006b, 533, 546; Busse 2009, 60–67; Kilian/Niehr/Schiewe 2010/2016, 17; Lebsanft 2018, 25–27) jedoch wieder aufgegriffene handlungsorientierte Bedeutungstheorie, die sich aus der Sprechakttheorie Austin und Searles sowie aus Wittgensteins Sprachspieltheorie herleitet und Bedeutung als Ergebnis des Befolgens von «Regeln» zu erklären sucht. Die Bedeutung eines Ausdrucks zu verstehen, heißt folglich, die Regeln seines Gebrauchs zu kennen. Cf. auch Busse (2009, 61–62): «Im Gegensatz zu den meisten der zuvor entstandenen Bedeutungsbegriffe der linguistischen Semantik geht die praktische Semantik nicht davon aus, dass es eine einheitliche Bedeutung eines Zeichens in einer Sprache gebe. Verständigungsprobleme, und alle Probleme, die bei dem Versuch einer Bedeutungsfeststellung, bei Bedeutungsbeschreibungen und bei der Textinterpretation auftreten, entstehen daraus, dass verschiedene Menschen in verschiedenen Situationen dieselben Wörter […] nach unterschiedlichen Regeln benutzen» (Hervorhebungen im Original).
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
Sinns. Zur Erschließung derselben ist, wie der Name Praktische Semantik bereits signalisiert, ein handlungsorientierter Zugang erforderlich, wie er später in der Pragmalinguistik systematisch ausgebaut wurde.213 Die kognitive Dimension erhält bei Winter-Froemel im Vergleich zu den Ansätzen Coserius und Aschenbergs, auf die sie aufbaut, besonderes Gewicht, indem Wissen als übergreifende Kategorie und Kontexte als mentale Repräsentationen aufgefasst werden: «In this sense, speaking of ‹contexts› needs to be understood as an abbreviation replacing the more correct term of ‹internalised contexts› or ‹contextual knowledge›» (Winter-Froemel 2016, 184). Eine solche kognitive Perspektivierung von Kontext findet sich auch bei Dietrich Busse. Busse (2007, 82) definiert Kontext als «den umfassenden epistemisch-kognitiven Hintergrund, der das Verstehen einzelner sprachlicher Zeichen(ketten) oder Kommunikationsakte überhaupt erst möglich macht». Dabei hebt er, wie Winter-Froemel, hervor, dass Kontexte nicht oder nicht nur «dingweltliche Entitäten», sondern «kognitive Repräsentation» sind: «Kontexte sind auch nicht nur oder nicht eigentlich dingweltliche Entitäten, sondern es interessiert linguistisch wie epistemologisch letztlich nur ihre kognitive Repräsentation, hier als epistemische Größen, die das verstehensrelevante Wissen bilden» (Busse 2007, 102). Wenn Busse (2007) dafür plädiert, Diskurslinguistik als Kontextualisierung – so der programmatische Titel seines Aufsatzes – zu betreiben, so entwirft er damit letztlich eine kognitiv fundierte Diskurslinguistik, der die Annahme zugrunde liegt, dass die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens erst durch dessen Kontextualisierung, d.h. die In-Bezug-Setzung des sprachlichen Zeichens zu den Kontexten, in die es eingebettet ist, erschlossen werden kann.214 Nicht nur Kontexte selbst sind kogni-
In diesem Zusammenhang spielt auch das Wissen eine zentrale Rolle, das in der Pragmalinguistik, auch bei Heringer, im Rahmen der Präsuppositionslehre, in der Kognitiven Grammatik Langackers als common ground diskutiert wird. Cf. dazu ausführlicher Kapitel 3.5.3. Busses Begriff der Kontextualisierung weist damit eine gewisse Nähe zu dem der Zeichenrelationen (Coseriu) auf. Busse (2007, 86) selbst weist darauf hin, dass «‹Kontextualisierung› und ‹Zeichenrelation› […] möglicherweise Begriffe für zwei verschiedene, komplementäre Perspektiven auf ein und denselben Sachverhalt [sind]. ‹Zeichenrelation› würde dann stärker von den gegebenen Zeichen ausgehend nach den durch sie aktivierten (aktivierbar gemachten) Wissensbeständen (epistemischen Elementen) fragen; ‹Kontextualisierung› wäre dagegen eine Perspektive, welche unter Ansetzung des Gegebenseins von Strukturen und Gliederungen im gesellschaftlichen Wissen danach fragt, wie Zeichen eingesetzt und verarbeitet werden, um bestimmte Ausschnitte dieses Wissensnetzes zu aktivieren». Damit legt Busse ein deutlich weiteres Verständnis von Kontextualisierung zugrunde als es in der Gesprächslinguistik (cf. Auer 1986; 1995; Auer/Di Lucio 1992) oder der Ethnographie des Sprechens (cf. Gumperz 1982) getan wird, wo der Terminus zumeist auf die aktuelle Kommunikationssituation beschränkt wird (cf. auch Busse 2007, 81, Anm. 2).
3.5 Die diskursive Konstituierung von Sinn
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tiver Natur, auch die Kontextualisierung ist ein epistemologisch-kognitiver Vorgang: «Kontextualisierung heißt daher immer: Verortung in einem Wissensraum» (Busse 2007, 102). Während es Busse dabei primär um die Ermittlung der für die Sinnkonstitution notwendigen «historisch-genealogischen Voraussetzungen und Wissensbewegungen» (Busse 2008b, 94) geht, die auf der historischen Ebene zu verorten sind, lenkt Winter-Froemel den Fokus auf die individuelle Ebene und den tatsächlichen Sprachgebrauch. Ihr Ansatz ist daher besonders geeignet für eine als Linguistik des Sinns konzipierte Diskursanalyse und soll daher auch im Folgenden als Grundlage fungieren. Mit Winter-Froemel kann unter Kontext all das verstanden werden, was von Sprecher und Hörer bei der Produktion und Rezeption von Äußerungen mitberücksichtigt wird bzw. alles, was bei einer sprachwissenschaftlichen Analyse derselben mitzuberücksichtigen ist. Damit wird ein sehr weiter Kontextbegriff zugrunde gelegt, der in gewisser Weise an das erinnert, was Langacker Current Discourse Space nennt: «The CDS [= Current Discourse Space] is a mental space comprising everything presumed to be shared by the speaker and hearer as the basis for discourse at a given moment» (Langacker 2008, 59). Darin, diesen Current Discourse Space bzw. all jene kontextuellen Wissensbestände, die einem Sprecher bzw. Hörer in einer konkreten Kommunikationssituation mental verfügbar sind, zu erschließen, besteht eine der Hauptaufgaben der kontextbezogenen Analyse einer als Linguistik des Sinns begriffenen Diskursanalyse.
3.5.3 Wissen als Voraussetzung der Sinnkonstitution Wissen ist, wie in Kapitel 3.5.2 deutlich wurde, von zentraler Relevanz für die diskursive Konstitution von Sinn. Die diskursive Konstitution von Sinn setzt verschiedene Wissensbestände voraus, auf die die Sprecher und Hörer bei der Herstellung und Interpretation von Sinn im Diskurs zurückgreifen und die in der Analyse geleitet nachvollzogen und im Nachhinein expliziert werden können. Sinn ist daher eine wissensorientierte Größe und Wissen eine zentrale Kategorie der Diskursanalyse. Nach einer kurzen Vorbemerkung zum Wissensbegriff wird im Folgenden die Rolle, die die Kategorie des Wissens in unterschiedlichen sprachwissenschaftlichen und v.a. diskursanalytischen Ansätzen spielt, in den Blick genommen, um auf dieser Grundlage das hier zugrunde gelegte Verständnis von Wissen und wissensorientierter Diskursanalyse zu erläutern. Der Wissensbegriff findet sowohl in der Alltags- als auch in der Fachsprache Verwendung. Als alltagssprachlicher Ausdruck bezieht sich Wissen auf die ʻGesamtheit der Kenntnisse, die jemand (auf einem bestimmten Gebiet) hatʼ, auf die
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
ʻKenntnis, das Wissen von etwasʼ (Duden, s.v. Wissen). Als fachsprachlicher Terminus wird der Wissensbegriff in Abhängigkeit von verschiedenen theoretischen Paradigmen – innerhalb und außerhalb der Sprachwissenschaft – unterschiedlich definiert, mit tiefgreifenden Konsequenzen für Forschungsschwerpunkte und -perspektiven. Der Wissensbegriff wird oft sehr weit und heterogen gefasst; teilweise wird sogar die Definierbarkeit von Wissen per se in Frage gestellt (cf. Beckermann 2001). Vor diesem Hintergrund soll hier zunächst auf eine terminologische Präzisierung des Wissensbegriffs verzichtet und stattdessen ein weites, an der standardsprachlichen Bedeutung von Wissen orientiertes Begriffsverständnis zugrunde gelegt werden. Dabei wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass Wissen mental repräsentiert wird und daher kognitiver Natur ist.215 Eine Schärfung des Wissensbegriffs soll im Folgenden auf der Grundlage einer Auseinandersetzung mit dem Wissensbegriff in verschiedenen sprachwissenschaftlichen Ansätzen erfolgen. Die Kategorie des Wissens spielt in verschiedenen linguistischen Theorien und Paradigmen eine Rolle. In der Pragmalinguistik wird Wissen vor allem im Rahmen der Präsuppositionslehre diskutiert. Präsuppositionen beruhen «auf der Annahme der gemeinsamen Kenntnis eines Bereichs und seiner ständigen Überprüfung» (Levinson 2000, 48; cf. auch Moeschler 2018). Diese «gemeinsame Kenntnis eines Bereichs» wird im Anschluss an Lewis (1969) und Schiffrin (1972) mutual knowledge (cf. Levinson 2000, 18), dt. wechselseitiges Wissen (cf. Levinson 1983, 16) genannt. Später haben sich zahlreiche weitere Begriffe wie geteiltes Wissen (Warnke 2009; Deppermann 2018) (engl. shared knowledge, Horton 2012) oder auch gemeinsames Wissen (z.B. Heringer/Öhlschläger/Strecker/Wimmer 1977; Heringer 1990; 2004/2017) etabliert, die viele Schnittmengen aufweisen, aber auch nicht gänzlich deckungsgleich sind. Große Verbreitung hat auch der auf Herbert C. Clark (1996) und Robert Stalnaker (2002) zurückgehende Terminus common ground erfahren. Das Konzept des common ground beruht auf der Annahme, dass jeder Sprecher zu jedem Zeitpunkt der Kommunikation Annahmen (engl. presuppositions) über das Wissen macht, das die anderen und auch er selbst darüber haben, was Gegenstand der Kommunikation ist. Common ground bezeichnet dieses, von den Sprechern als gemeinsam angenommene und als Hintergrundinformation vorausgesetzte Wissen, grounding die von den Spre-
Cf.: «[C]ognitive linguistics subscribe to a Generalization Commitment: a commitment to describing the nature and principles that constitute knowledge as an outcome of general cognitive abilities» (Evans 2012, 130; Hervorhebung im Original); «A more recent interpretation of the Cognitive Commitment takes it as a commitment to describe and explain language processing and knowledge in the way that it occurs or is represented in the speaker’s mind» (Divjak/Levshina/Klavan 2016, 450).
3.5 Die diskursive Konstituierung von Sinn
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chern zur Aushandlung des Sinns (engl. meaning negotiation) verwendeten Mittel und Verfahren. Die Fähigkeit der Herstellung eines common ground gilt als eines der wesentlichen Merkmale menschlicher Kommunikation: «The ability to create common conceptual ground – joint attention, shared experience, common cultural knowledge – is an absolutely critical dimension of all human communication» (Tomasello 2008, 5). Die Analyse des gemeinsamen Wissens216 folgt einem zweifachen Ziel. Zum einen kann sie Aufschluss geben über «intended meanings (i.e., speaker’s meaning) that are quite distinct from the linguistic content of what is actually said» (Horton 2012, 375; Hervorhebung im Original) und bietet damit einen geeigneten Ausgangspunkt für die Ermittlung individueller, kontextabhängiger Interpretationen sprachlicher Zeichen, kurz: den Sinn. Zum anderen geht es bei der Analyse des gemeinsamen Wissens darum, diejenigen kommunikativen Verfahren zu ermitteln, die die Kommunikationsteilnehmer anwenden, um die Grenzen des gemeinsamen Wissens auszuloten: «In principle, to explain how speakers and addressees convey and understand specific meanings, one must have an account for how interlocutors come to have knowledge about the knowledge they share – that is, how interlocutors come to have mutual knowledge» (Horton 2012, 377). Beide Ziele und damit die Kategorie des gemeinsamen Wissens insgesamt sind für die Untersuchung agonaler Diskurse äußerst relevant. Indem die Analyse des gemeinsamen Wissens Aufschluss geben kann über den Sinn, ist sie von zentraler Bedeutung für eine als Linguistik des Sinns begriffene Diskursanalyse. Verallgemeinernd betrachtet ist das gemeinsame Wissen für sämtliche «Gebrauchstheorien der Bedeutung» von Interesse, da diese ja gerade davon ausgehen, dass Bedeutung aus dem Sprachgebrauch emergiert und Bedeutung wiederum ein Wissen darüber voraussetzt, wie dieses Wort gebraucht wird:217 «An important consequence of adopting the usage-based thesis is that there is no principled distinction between knowledge of language and use of language, because knowledge emerges from use. From this perspective, knowledge of language is knowledge of how language is used» (Evans 2012, 135; Hervorhebung im Original). Im Hinblick auf Agonalität gilt darüber hinaus, dass insbesondere die Grenzen des gemeinsamen Wissens aufschlussreich zu sein versprechen, da sie auf Diskrepanzen im jeweiligen Wissen der Kommunikationsteilnehmer und damit einhergehende möglicherweise divergierende Sinnvorstellungen hindeuten. Eine Ich verwende den Begriff gemeinsames Wissen hier als Oberbegriff für alle oben genannten Konzepte (geteiltes/wechselseitiges Wissen, shared/mutual knowledge, common ground etc.). Zu Gebrauchstheorien der Bedeutung cf. auch Kapitel 3.3.3, insb. Anm. 160. Zu ihrer Begründung durch Ludwig Wittgenstein cf. Kapitel 3.4.1.
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Analyse der Grenzen des gemeinsamen Wissens lässt Rückschlüsse darauf zu, was in der Kommunikation besonders umstritten ist und welche Wissensbestände nicht geteilt werden. Die Grenzen des gemeinsamen Wissens werden in diskursiven Aushandlungsprozessen ausgelotet. Da die Aushandlung von Wissen selten konsensuell verläuft (cf. Warnke 2009, 114), sind solche Aushandlungsprozesse häufig von Agonalität geprägt. Daher ist die Analyse gemeinsamen Wissens und dessen Aushandlung zentral für die Untersuchung agonaler Aushandlungsprozesse im Diskurs. Einen besonders praktikablen Ansatz, wie sich diese Aushandlung von Wissen analysieren lässt, hat Jürgen Heringer in seiner Praktischen Semantik entwickelt.218 Die Praktische Semantik setzt sich zum Ziel, «den Agenten selbst die Möglichkeit [zu geben], Verständigungsprobleme zu verringern», und sucht daher eine Methode zu entwickeln, «deren Beherrschung den Agenten ermöglicht, Mißverstehen zu bemerken, seine Ursachen schneller herauszufinden und es beheben zu können» (Heringer 1974, 102). Zu diesem Zweck «systematisiert [die Praktische Semantik] die kommunikativen Strategien, die Kommunikationspartner anwenden, um das verschränkte implizite Wissen aufzudecken und dabei die Grenzen ihrer Gemeinsamkeiten auszuloten» (Lebsanft 2006b, 546). Die zur Identifizierung dieser kommunikativen «Strategien» zur Aufdeckung des gemeinsamen Wissens entwickelte Methodik beruht darauf, «den Zusammenhang der Handlungsmuster der Interaktionen und den Gebrauch der Zeichen in den Interaktionen» (Heringer 1974, 97) zu beschreiben. Diese Methodik kann, auch wenn der sprachkritische Gestus219 der Praktischen Semantik in der vorliegenden Arbeit nicht geteilt wird, für das hier verfolgte Vorhaben nutzbar gemacht werden, indem Handlungsmuster und Sprachgebrauchsmuster im Rahmen eines kommunikativ-pragmatischen Ansatzes systematisch analysiert werden (cf. Kapitel 4.2.4). Auch in der Diskursforschung spielt die Kategorie des Wissens eine zentrale Rolle. Am deutlichsten erkennbar wird dies im Forschungsprogramm der «Wissenssoziologischen Diskursanalyse», das den Begriff des Wissens bereits im Namen trägt (Keller 2005/2008). Doch auch die Diskursanalyse Coseriu’scher Prägung ist wissensorientiert. Dies zeigt sich allen voran in der Kategorie der dynamis bei Coseriu, einer zentralen Kategorie im Drei-Ebenen-Modell der Sprache, die sich in das elokutionelle Wissen auf der universellen Ebene, das idiomatische Wissen auf der historischen Ebene und das expressive Wissen auf der individuellen Ebene Zur Praktischen Semantik cf. auch Kapitel 3.5.2. Der bei Heringer (1974) bereits anklingende sprachkritische Gestus wird durch Heringer (1990) explizit gemacht, der eine «linguistische Pädagogik für den politischen ‹Wortkampf›» (Lebsanft 2006b, 546) entwickelt.
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gliedert (cf. Kapitel 3.3.1). In der Weiterentwicklung des Coseriu’schen Ansatzes durch Aschenberg (1999) werden diesen Typen sprachlichen Wissens zwei weitere, außersprachliche Typen von Wissen zur Seite gestellt, das lebensweltliche Wissen und das Redeuniversum (cf. Kapitel 3.5.2). Darauf aufbauend entwirft Winter-Froemel (2013; 2016) einen kognitionslinguistisch perspektivierten Ansatz, der das Wissen als übergeordnete Kategorie begreift und ihm damit besondere Relevanz beimisst. Sie differenziert dabei systematisch nach sprachlichen und außersprachlichen sowie situationsunabhängigem und situationsabhängigem Wissen (cf. Kapitel 3.5.2). In der auf Coseriu aufbauenden Diskurstraditionenforschung wurde darüber hinaus ein weiterer Wissenstyp prominent gemacht, das sogenannte diskurstraditionelle Wissen. Dieser verspricht für die Untersuchung diskursiver Aushandlungsprozesse besonders aufschlussreich zu sein, weshalb er in einem kurzen Exkurs ausführlicher beleuchtet wird. Das diskurstraditionelle Wissen betrifft die Gestaltung spezifischer Diskurse bzw. Texte. Es findet seinen Ausdruck in spezifischen Diskurs- bzw. Texttraditionen, die in Form von Textsorten verfestigte Gestalt annehmen können (cf. Kapitel 3.4.3). Das diskurstraditionelle Wissen gründet in den Normen der Diskurs- und Textkonstitution, die häufig nicht explizit als solche fixiert und von unterschiedlichem Verbindlichkeitsgrad sind (cf. Coseriu 1988/2007, 161–162).220 Diskurstraditionelles Wissen ist wesentlich durch Historizität und Traditionalität bedingt (cf. Lebsanft/Schrott 2015a). Weitere Merkmale diskurstraditionellen Wissens sind nach Schrott (2015) Kulturalität, da Diskurstraditionen kulturell bedingt sind, Textualität, da sie die Gestaltung von Texten anleiten, und Kooperativität, da sie als Anleitung zum sprachlichen Handeln wirken können. Insgesamt kann diskurstraditionelles Wissen als ein Wissen um die «kommunikativ angemessene […] Textgestaltung» (Schrott 2015, 115) begriffen werden. Die Kategorie des diskurstraditionellen Wissens ist für die Untersuchung agonaler Diskurse von besonderer Relevanz. Zum einen sind einzelne Diskursuniversen, wie z.B. die Politik, durch spezifische Diskurstraditionen und Textsorten charakterisiert (zu politischen Textsorten cf. Klein 2000; 2001), was folglich ein diskurstraditionelles Wissen um die Gestaltung entsprechender Diskurse bzw. Texte bei den jeweiligen Produzenten voraussetzt. Textsorten sind damit ein wichtiger Analysegegenstand und die Ermittlung textsortenbedingter Unterschiede ein zentrales Untersuchungsziel. Zum anderen kann davon ausgegangen werden,
Während Normen, die sich auf die allgemeinen Determinationen des Sprechens oder auf Textgattungen beziehen, tendenziell implizit und von geringem Verbindlichkeitsgrad sind, unterliegen Normen, die sich auf die Gestaltung spezifischer Textsorten und -arten beziehen, häufig einer expliziten Fixierung; besonders stark fixiert ist z.B. die Textsorte der Nachricht (cf. Coseriu 1988/2007, 161).
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dass sich das diskurstraditionelle Wissen auch auf die Gestaltung von Diskursen bzw. Texten im Hinblick auf Agonalität erstreckt (cf. Kapitel 3.4.3). Eine Analyse der textsortenbedingten Spezifika von Agonalität, wie sie in Kapitel 6.4 systematisch anhand ausgewählter politischer Textsorten vorgenommen wird, kann damit Aufschluss über dieses spezielle diskurstraditionelle Wissen geben. Besonderes Gewicht erfährt die Kategorie des Wissens nicht zuletzt in der germanistischen Diskursforschung, die die «Wissensanalyse» als Teil ihrer «Programmatik» begreift (cf. Warnke 2015, 232).221 Als erster zentraler Bezugspunkt fungiert dabei nach Warnke (2015, 231–232) Foucault, der Diskurse als Formationen gesellschaftlichen Wissens einer bestimmten Zeit auffasst (Foucault 1969; 1971). Mit Foucault ist Diskursanalyse daher als Genealogie, als Analyse der Genese und Genesebedingungen gesellschaftlichen Wissens in diskursiven Formationen zu verstehen. Als zweiten zentralen Bezugspunkt einer wissensorientierten Diskurslinguistik nennt Warnke (2015, 232) Dietrich Busse, der Foucaults Wissensbegriff linguistisch präzisiert und zur Grundlage seines in der «Historischen Semantik» (Busse 1987) präfigurierten Forschungsprogramms einer «Linguistischen Epistemologie» macht (Busse 2005; 2006; 2008a; 2008b). Ausgangspunkt derselben ist das Konzept des verstehensrelevanten Wissens, das sich auf «die Gesamtheit des für das angemessene Verstehen eines sprachlichen Mittels bei den Verstehenden notwendigerweise vorauszusetzenden (von ihnen zu aktivierenden) Wissens» (Busse 2012, 805) bezieht. Diskurslinguistik als Epistemologie – so der programmatische Titel (Busse 2008a) – zu betreiben, bedeutet folglich, die Gesamtheit des verstehensrelevanten Wissens zu erschließen: «Eine linguistische Diskursanalyse im Anschluss an die epistemologische […] Forschungsperspektive von Foucault sollte das verstehensrelevante und -ermöglichende Wissen in möglichst großer Breite theoretisch zu erfassen und empirisch zu beschreiben versuchen» (Busse 2008a, 62). Grundlage dieser Überlegungen ist die viel zitierte Aussage Charles Fillmores, der zufolge man nicht fragen solle «Was ist die Bedeutung dieser Form?», sondern vielmehr «Was muss ich wissen, um eine sprachliche Form angemessen verwenden zu können und andere Leute zu verstehen, wenn sie sie verwenden?»
Von der Relevanz der Kategorie des Wissens für die germanistische Diskurslinguistik zeugen auch die bei De Gruyter erscheinenden Reihen Sprache und Wissen (2007–) und Handbücher Sprachwissen (2015–). Besonders hervorzuheben sind die in diesen Reihen erschienenen Sammelbände Felder/Müller (2009), Felder/Gardt (2015) und Wengeler/Ziem (2018). Eine wichtige Rolle spielt auch das von Ekkehard Felder koordinierte Forschungsnetzwerk Sprache und Wissen, dessen Ziel in der Erforschung der «Formung von gesellschaftlich relevanten Wissensbeständen durch sprachliche Mittel» (Felder 2008, 271) besteht.
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(Fillmore, zit. nach Busse 2008a, 66).222 Mit diesem «Postulat der Verstehensrelevanz» (cf. Ziem 2008a, 150–172) habe Fillmore eine «‹epistemologische Wende› in der linguistischen Semantik» (Busse 2008a, 66) eingeläutet; Semantik sei von nun an «gleichzusetzen mit der Beschreibung des verstehensrelevanten Wissens in Bezug auf Sprachzeichen und/oder Texte» (Busse 2008b, 81). Das Ziel der «Linguistischen Epistemologie» ist die Analyse der «historisch-genealogischen Voraussetzungen und Wissensbewegungen, die dafür notwendig sind, dass ein bestimmter Sinn in einem bestimmten Kontext durch Nutzung bestimmter sprachlicher Zeichen, Aussagen (bzw. énoncés) und Texte zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt gesellschaftlich konstituiert werden konnte» (Busse 2008b, 94; Hervorhebungen im Original).
Sowohl Foucault als auch Busse geht es um die Wissensvoraussetzungen, die in einer Episteme «selbstverständlich» und damit unter Umständen völlig unbewusst sind. Dies betrifft eine der zentralen Fragen, die sich im Hinblick auf die Kategorie des Wissens stellen, die Frage nach der Verfügbarkeit des Wissens. Während der hermeneutische Ansatz, der traditionellerweise in weiten Teilen der Pragmalinguistik, aber auch der Konversationsanalyse, Gesprächs- und Textlinguistik vertreten wird, in dieser Frage der Auffassung ist, dass das vorausgesetzte Wissen kommunikativ immer ins Bewusstsein gehoben werden kann,223 nimmt der antihermeneutische Ansatz, dem Foucault und Busse zuzuordnen sind, die Position ein, dass es ein Wissen gibt, das dem Sprecher eigentlich nicht verfügbar ist. Im Einklang mit dem hier verfolgten hermeneutisch-pragmatischen Ansatz möchte ich den Fokus auf dasjenige Wissen lenken, das kommunikativ ins Bewusstsein gehoben werden kann. Nur dieses Wissen wird in der Kommunikation – explizit oder auch mehr oder weniger implizit – thematisiert und so dem Sprecher und dem Hörer, aber auch dem Analysierenden ex post zugänglich gemacht. Inwieweit das nicht oder nur teilweise thematisierte Wissen erschlossen werden kann, hängt maßgeblich vom Wissen des Analysierenden ab und setzt entsprechende Verfahren zur Aufde-
«[L]inguistic semanticists, like the philosophers and psychologists whose work they were echoing, have found it relevant to ask, not What do I need to know in order to use this form appropriately and to understand other people when they use it? but rather, What is the meaning of this form? […] It is apparent that the wrong question has been asked» (Fillmore 1971, 274; Hervorhebungen im Original). In der Gesprächslinguistik etwa wird die sogenannte display-These vertreten, der zufolge, «Gesprächsteilnehmer einander ‹aufzeigen› (‹display› […]), welchen Sinn und welche Bedeutsamkeit sie ihren Äußerungen wechselseitig zuschreiben» (Deppermann 2008, 50). Gesprächslinguisten sollten daher in der Lage sein, «zu explizieren, daß und wie die Äußerungen der Gesprächsteilnehmer im Sinne seiner Aussagen interpretiert werden können» (Deppermann 2008, 51).
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ckung des Impliziten voraus. Mögliche Wissensbestände, die dem Sprecher nicht verfügbar sind, entziehen sich hingegen dem Zugriff des Analytikers. Analysiert werden kann daher, wie Busse (2008a, 64–65) zu Recht konstatiert, nie die Gesamtheit des Wissens, sondern nur der im Diskurs aktualisierte Teil. Ein weiterer Aspekt, der die Ansätze Foucaults und Busses und mit ihnen weite Teile der germanistischen Diskurslinguistik ausmacht, ist die Tatsache, dass ihr Interesse der Beschreibung gesellschaftlich typisierter Wissensstrukturen gilt und damit nicht auf die individuelle, sondern die historische Ebene des Bedeutens abzielt. Dies zeigt sich besonders deutlich in frame-semantisch-inspirierten Ansätzen der germanistischen Diskurslinguistik, eine Verbindung, die vielfach propagiert und praktiziert wurde und wird (cf. Busse 2008b; Ziem 2008a; 2008b). Der Fokus einer Linguistik des Sinns aber liegt nicht auf dem gesellschaftlichen, sondern auf dem individuellen Wissen, das im Gebrauch, der von Sprache durch die Sprecher in einer konkreten Kommunikationssituation gemacht wird, aktualisiert wird. Dies gilt auch für die vorliegende Arbeit, die in erster Linie auf die Explikation individueller Zuschreibungen von Sinn durch die fünf Spitzenkandidaten im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 abzielt und damit deren jeweiliges individuelles Wissen, deren gemeinsames Wissen sowie die Aushandlung dieses Wissens in den Fokus rückt. Die Diskursanalyse Coseriu’scher Prägung bietet einen geeigneten Rahmen, Wissensstrukturen auf der individuellen Ebene des Bedeutens zu untersuchen, sie zugleich aber auch systematisch mit der historischen und der universellen Ebene in Bezug zu setzen. Eine weitere Frage, die im Hinblick auf die Kategorie des Wissens diskutiert wird, ist die Frage nach verschiedenen Typen des Wissens. Darauf, dass es verschiedene Typen von Wissen gibt, deuten eine Vielzahl alltagssprachlicher Begriffe wie Allgemeinwissen, Fachwissen, Expertenwissen, Grundwissen, Sachwissen, Spezialwissen, Sprachwissen oder Weltwissen hin.224 In der (Sprach-)Wissenschaft gibt es unterschiedliche Versuche, Wissen zu typologisieren. Einige Wissenstypologien wurden oben bereits im Zusammenhang mit der Kategorie des Wissens in der romanistischen Diskursforschung referiert (Coseriu, Aschenberg, WinterFroemel). Eine besonders weit verbreitete Unterscheidung, die auch diese Ansätze prägt, ist diejenige zwischen Sprachwissen, das sich auf Kenntnisse über Sprache bezieht, und Sachwissen, auch Weltwissen oder enzyklopädisches Wissen genannt, das sich auf die Kenntnis der Gegenstände, über die wir sprechen, bezieht. Eine weitere Unterscheidung ist die zwischen prozeduralem Wissen, auch Handlungswissen genannt, das der Sprecher intuitiv beherrscht, und deklarativem Wissen, das sich auf Kenntnisse bezieht, die dem Sprecher bewusst und somit «ab-
Die Beispiele sind der DWDS-Wortliste entnommen (cf. DWDS, s.v. *wissen).
3.6 Akteure
175
fragbar» sind (cf. Winograd 1975; cf. auch Konerding 2009b; 2015). Die «Abfragbarkeit» von Wissen, die sich darauf bezieht, dass ein Sprecher in der Kommunikation fragen kann «Wie meinst du das?», ist zentral für einen kommunikativen Ansatz wie den der Pragmatik. Eine wieder andere Unterscheidung ist die zwischen semantischem Wissen, das sich auf Begriffe, deren Bedeutung und die zwischen diesen bestehenden Relationen bezieht, und episodischem Wissen, das auf Erinnerungen an bestimmte Situationen, Ereignisse oder eigene Erfahrungen beruht (cf. Tulving 1972). Wenngleich die analytische Trennbarkeit verschiedener Typen von Wissen heuristisch von großem Wert ist, gilt, dass eine trennscharfe Unterscheidung in der Praxis nicht immer möglich ist. So wird insbesondere die Frage der Trennbarkeit von Sprach- und Sachwissen in der Sprachwissenschaft kontrovers diskutiert und nicht selten auch vehement abgelehnt (cf. Busse 1997; Ziem 2008a, 119–142). Ohne dieser Frage hier im Detail nachgehen zu können,225 steht doch außer Frage, dass im Hinblick auf die Kategorie des Sinns beide als eng miteinander verwoben auftreten. Mit dem Coseriu’schen Sinnbegriff sind, wie Oesterreicher (1988, 363) zu Recht feststellt, «die Grenzen des Sprachlichen erreicht», da der Sinn «nicht vom menschlichen Handeln in bestimmten Situationen ablösbar» ist. Insgesamt soll hier daher ein weiter Wissensbegriff zugrunde gelegt werden, der verschiedene Typen von Wissen einschließt, die analytisch trennbar sind, in der Praxis aber stets ineinandergreifen.
3.6 Akteure Als Handlungsträger stehen die Akteure im Mittelpunkt einer handlungsorientierten Diskursanalyse. Akteure sind, allgemein gesprochen, Handelnde und, aus sprachwissenschaftlicher Perspektive, sprachlich Handelnde. Als solche stehen sie am Ursprung der sprachlichen Handlungen, durch die Diskurse konstituiert werden. In agonalen Diskursen kommt den Akteuren darüber hinaus in zweifacher Hinsicht eine zentrale Rolle zu: Zum einen sind sie diejenigen, die die agonalen Aushandlungsprozesse austragen, zum anderen sind sie Träger der sich im Diskurs manifestierenden konkurrierenden Perspektiven. Trotz der zentralen Bedeutung, die der Kategorie der Akteure folglich in einer handlungsorientierten Diskursanalyse zukommt, fehlt bislang ein theoretisch und terminologisch ausdifferenziertes Akteurskonzept aus diskursanalytischer Perspektive. Ein solches zu entwickeln ist Ziel des vorliegenden Kapitels.
Cf. die ausführliche Diskussion bei Ziem (2008a, 119–142).
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
In diesem Zusammenhang stellt sich zunächst die Frage, welcher Akteursbegriff zugrunde gelegt wird (Kapitel 3.6.1). Im Anschluss daran wird gezeigt, dass Akteure als Träger von Rollen konzeptualisiert werden können und wie das Rollenkonzept für eine diskursanalytische Akteursanalyse gewinnbringend nutzbar gemacht werden kann (Kapitel 3.6.2). Von diesen Bestimmungen ausgehend werden zwei Kategorien von Akteuren in den Blick genommen, die einerseits für die Untersuchung von Agonalität und andererseits für die Untersuchung von politischem Sprachgebrauch von besonderem Interesse sind: ideology brokers (Kapitel 3.6.3) und Diskursgemeinschaften (Kapitel 3.6.4). Als ideology brokers werden diejenigen Akteure bezeichnet, denen es gelingt, ihre Perspektive im Diskurs dominant zu setzen; sie sind folglich im Hinblick auf Agonalität von zentraler Bedeutung. Das Konzept der Diskursgemeinschaft, das sich auf ein spezifisches Kollektiv von Akteuren bezieht, lässt sich gewinnbringend für die Untersuchung politischen Sprachgebrauchs nutzbar machen.
3.6.1 Zum Akteursbegriff Der Akteursbegriff geht auf lat. ACTOR ‘der In-Bewegung-Setzer, Treiber; der theatralisch Darstellende, der Darsteller, Spieler, Vertreter einer Rolle; der eine Verrichtung übernimmt’ (Georges, s.v. actor1) zurück. Ins Französische ist er als afrz., mfrz. actor, nfr. acteur in unterschiedlicher Bedeutung entlehnt worden: Vom 13. Jahrhundert an in der Bedeutung ‘Kläger, Sachwalter’, im 15. Jahrhundert in der Bedeutung ‘Vermittler’ und im 17. Jahrhundert in der Bedeutung ‘Schauspieler’ (cf. FEW, s.v. actor). Ab Mitte des 20. Jahrhunderts hat der Begriff eine Bedeutungserweiterung in Richtung der ursprünglichen Bedeutung im Lateinischen ‘auteur d’un acte, d’une action’ erfahren (cf. DHLF, s.v. actor). Im heutigen Französisch ist die bereits im Lateinischen belegte und im Französischen seit Molière dokumentierte Bedeutung ‘Schauspieler’ die dominierende Bedeutung des Terminus (‘Celui ou celle dont la profession est d’interpréter un personnage dans une pièce de théâtre ou à l’écran’, TLFi, s.v. acteurA; ‘Personne qui joue des rôles, représente des personnages à la scène ou à l’écran de manière habituelle ou fréquente’, GR, s.v. acteur1). Im übertragenen Sinne («fig.») wird der Terminus auch zur Bezeichnung eines Protagonisten gebraucht (‘Celui qui joue un rôle important, qui prend une part active à une affaire’, TLFi, s.v. acteurB; ‘Personne qui joue un rôle important, prend une part active (dans une affaire, un ouvrage)’, GR, s.v. acteur2). Hinzu kommt eine fachsprachliche Bedeutung im Bereich der Narratologie (‘Unité distincte et active du discours narratif, susceptible d’individuation’, GR, s.v. acteur3). Ins Deutsche wurde der Begriff, vermittelt durch das Französische, Mitte des 18. Jahrhunderts übernommen (DWDS, s.v. Akteur Etymologie). Akteur wird so-
3.6 Akteure
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wohl in Bezug auf eine handelnde Person (‘Handelnder, an einem bestimmten Geschehen Beteiligter; handelnde männliche Person’, Duden, s.v. Akteur1; ‘handelnde Person’, DWDS, s.v. Akteur2) als auch in Bezug auf einen Schauspieler gebraucht (‘Schauspieler; Spieler, Wettkämpfer’, Duden, s.v. Akteur2; ‘Schauspieler’, DWDS, s.v. Akteur2); die Bedeutung ‘Schauspieler’ wurde jedoch Anfang des 19. Jahrhunderts zugunsten von Schauspieler zurückgedrängt (cf. DWDS, s.v. Akteur Etymologie).226 Als wissenschaftlicher Terminus findet der Akteursbegriff zunächst vor allem in der Soziologie Verwendung. Als Akteure werden hier «die sozial Handelnden» (Schimank 2000/2010, 44) bezeichnet;227 definitorisch für Akteure im soziologischen Sinn ist somit das Handeln bzw. genauer das soziale Handeln. Unter Handeln wiederum wird im Anschluss an Max Weber eine spezifische Form von Verhalten verstanden, und zwar subjektiv sinnhaftes Verhalten (cf. auch Schimank 2000/2010, 28–38):228 «‹Handeln› soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußerliches oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden» (Weber 1922, 1; Hervorhebungen im Original). Soziales Handeln bezeichnet dabei im Gegenstand zu nicht-sozialem Handeln subjektiv sinnhaftes Verhalten, das auf andere bezogen ist. Soziales Handeln trägt zur Herausbildung sozialer Beziehungen und sozialer Ordnung bei: «‹Soziales› Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist» (Weber 1922, 1; Hervorhebungen im Original). Auf dieser Grundlage lässt sich der hier referierte soziologische Akteursbegriff paraphrasieren als ‘in sozialen Zusammenhängen subjektiv sinnhaft handelnde Menschen’.229 In der Sprachwissenschaft wird das sozialwissenschaftliche Konzept des Akteurs zunächst vor allem in der Soziolinguistik rezipiert. Zwar findet der Terminus Akteur hier nicht immer explizit Erwähnung, doch bestehen zwischen dem soziologischen Akteurskonzept und zentralen soziolinguistischen Konzepten wie Begriffsgeschichtlich interessant ist auch die Verbindung zwischen Akteur und Autorität, cf. Anm. 244. Für einen Überblick über die sozialwissenschaftliche Akteursforschung cf. Schimank (2000/2010); Lüdtke/Masuzaki (2011). Cf. auch Kapitel 3.5.1. Ausgehend von diesem allgemeinen Akteursbegriff wurden in der Soziologie verschiedene Akteurkonzepte und -modelle entwickelt, um Gesetzmäßigkeiten im Handeln von Akteuren zu finden. Zu den bekanntesten Akteurmodellen zählen Homo sociologicus, Homo oeconomicus, Emotional man und Identitätsbehaupter (cf. Schimank 2000/2010, 44–185). Auch wurden weitere soziologische Akteursbegriffe entwickelt, die über diese erste Bestimmung hinausgehen (z.B. durch Bruno Latour, s. infra).
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
«Rolle», «Identität», «Individuum», «Gruppe», «Netzwerk», «Gemeinschaft» zahlreiche Schnittmengen (cf. Ammon/Dittmar/Mattheier/Trudgill 2004). In jüngerer Zeit zieht der Akteursbegriff auch vermehrt das Interesse der sprachwissenschaftlichen Diskursforschung auf sich. Dies gilt neben der analyse du discours französischer Prägung (cf. Charaudeau 2002) insbesondere für die Wissenssoziologische Diskursanalyse (cf. Keller 2001/2011; 2005/2008) und die germanistische Diskurslinguistik (cf. Liebert 2004; Warnke/Spitzmüller 2008b; Felder/Müller 2009; Spieß 2011a; Spitzmüller/Warnke 2011; Dreesen 2013; für einen Überblick cf. Angermuller 2014a und Spieß 2018, 351–356).230 In den verschiedenen Ansätzen wird der Akteursbegriff jeweils unterschiedlich konzeptualisiert. So wird etwa in der analyse du discours ein kommunikationstheoretisch orientierter Ansatz verfolgt – «En analyse du discours, on parlera des acteurs de la communication pour désigner les locuteurs et interlocuteurs, externes à l’acte de langage, qui sont impliqués dans l’échange communicatif» (Charaudeau 2002, 21; Hervorhebungen im Original) –, während sich die Wissenssoziologische Diskursanalyse und die germanistische Diskurslinguistik durch eine stärker handlungsorientierte Herangehensweise auszeichnen, indem Akteure über Handlungsträgerschaft definiert werden (cf. Keller 2005/2008, 209; Spieß 2018, 351). Darüber hinaus werden, gerade in den verschiedenen germanistischen Ansätzen, zahlreiche unterschiedliche Akzente gesetzt, sodass von einem gemeinsamen diskursanalytischen Akteursbegriff keine Rede sein kann. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit der Entwicklung eines theoretisch und terminologisch ausdifferenzierten Akteurskonzepts aus diskursanalytischer Perspektive. Ein solches wird im Folgenden unter Rückgriff auf die oben beschriebenen Ansätze entwickelt. Dazu wird zunächst der Akteursbegriff geklärt, um im Anschluss daran zentrale, in Bezug auf das Akteurskonzept kontrovers diskutierte Aspekte zu erörtern. Abschließend wird eine im Einklang mit diesem Akteurskonzept stehende und für eine diskursanalytische Untersuchung geeignete Akteurstypologie entworfen. Im Folgenden wird der Akteursbegriff zur Bezeichnung derjenigen Instanzen verwendet, die durch ihr Handeln am Diskurs sprachlich partizipieren. Akteure entsprechen der Handlungsinstanz im Diskurs; sie sind Handlungsträger. Dieser Begriffsbestimmung liegt die grundlegende Bedeutung von Akteur als ʻHandelnderʼ zugrunde, die, einen sprachwissenschaftlichen Fokus setzend, eine Bedeutungsverengung zum ʻsprachlich Handelndenʼ erfährt. Der Ausdruck Akteur ersetzt damit traditionelle Bezeichnungen wie Sprecher/Hörer, Schrei-
Einen besonders zentralen Stellenwert räumen Spitzmüller/Warnke (2011) den Akteuren ein, indem sie ihnen im DIMEAN-Modell (zum DIMEAN-Modell cf. Kapitel 4.2.2) eine eigene Ebene widmen.
3.6 Akteure
179
ber/Leser, Sender/Empfänger etc. (cf. Charaudeau 2002; Spieß 2011a; Spitzmüller/Warnke 2011, 172), denen gegenüber er zwei zentrale Vorteile aufweist: Erstens fungiert er als Hyperonym dieser Bezeichnungen, d.h., dass er sich auf produzierende (Sprecher/Schreiber/Sender) wie rezipierende (Hörer/Leser/Empfänger) Instanzen sowie auf medial mündliche (Sprecher/Hörer) und medial schriftliche (Schreiber/Leser) Kommunikation beziehen kann. Zweitens wird durch den Ausdruck Akteur die Handlungsdimension in den Fokus gerückt, was bereits in der Etymologie und Semantik des Begriffs angelegt ist: Akteur < lat. ACTOR ʻHandelnderʼ, s. auch agieren ʻhandelnʼ. Der auf diese Weise bestimmte Akteursbegriff bedarf verschiedener Präzisierungen. Die erste bezieht sich auf die in der Akteursforschung kontrovers diskutierte Frage einer potenziellen Ausweitung des Akteursbegriffs auf nicht-menschliche Objekte. Aus dem in der Tradition Max Webers stehenden soziologischen Akteursbegriff sind nicht-menschliche Objekte traditionellerweise ausgeschlossen, da diese weder intentional noch interessegeleitet handeln können. Eine Ausweitung des Akteursbegriffs auf nicht-menschliche Objekte propagiert der Soziologe und Philosoph Bruno Latour (u.a. 2005), der auch nicht-menschlichen und unbelebten Objekten insofern Handlungsfähigkeit zuschreibt, als dass sie Handlungen und Handlungsspielräume menschlicher Akteure beeinflussen. Menschliche und nicht-menschliche Akteure verschmelzen dann zu sogenannten Aktanten. Das Aktantenkonzept besagt, dass Akteure nicht allein agieren, sondern immer nur gemeinsam in netzwerkartigen Handlungszusammenhängen.231 Akteure verwandeln sich daher in Akteur-Netzwerke, worin der Grundgedanke der AkteurNetzwerk-Theorie (ANT) besteht (zur ANT cf. Latour 1996; Belliger/Krieger 2006). In der sprachwissenschaftlichen Diskursforschung wird eine solche Ausweitung des Akteurskonzepts auf nicht-menschliche Objekte in einigen Ansätzen, zumeist unter Berufung auf Latour, vertreten (z.B. Spitzmüller/Warnke 2011; Mattfeldt 2018), von anderen aber auch abgelehnt (z.B. Spieß 2011a; Müller 2015). Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit, deren Untersuchungsgegenstand ausschließlich menschliche Akteure sind, erweist sich eine solche Ausweitung des Akteurskonzepts auf nicht-menschliche Objekte als nicht erforderlich. Werden Akteure, wie oben dargelegt, als sprachlich Handelnde konzeptualisiert und Sprache dabei als «eine artspezifische, dem Menschen eigene Ausdrucksform [aufgefasst], die sich durch Kreativität, die Fähigkeit zu begrifflicher Abstraktion
Als Illustration des Aktanten-Konzepts kann Latours (1994) Beispiel der Pistole fungieren. Weder die Pistole noch der Mensch, in dessen Hand sie sich befindet, agieren allein; sie agieren gemeinsam und verschmelzen so zu einem Aktanten. In Abhängigkeit davon, in wessen Hand sich die Pistole befindet – etwa in der eines Polizisten oder in der eines Kriminellen –, entstehen damit unterschiedliche Aktanten.
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
und die Möglichkeit zu metasprachlicher Reflexion von anderen Kommunikationssystemen unterscheidet» (Bußmann 2008, 643),232 so folgt daraus, dass nur menschliche Akteure zu sprachlichem Handeln fähig sind. Der Akteursbegriff wird daher im Folgenden auf menschliche Objekte beschränkt und Menschlichkeit als definitorisch für den hier zugrunde gelegten Akteursbegriff aufgefasst.233 Eine zweite Präzisierung bedarf das Akteurskonzept in Bezug auf sein Verhältnis zum Konzept des Subjekts. Dieses Verhältnis wird in der Akteursforschung kontrovers diskutiert (zu dieser Kontroverse cf. Link 2005; Keller 2005/ 2008, 209–223; Angermuller/Wedl 2014; Del Percio/Zienkowski/Angermuller 2014). Mit Angermuller/Wedl (2014, 168) lassen sich dabei vor allem zwei Positionen unterscheiden, von denen die erste in der Tradition der Weber’schen Handlungstheorie und die zweite in der Tradition der poststrukturalistischen Subjektkritik steht: «Gegenüber Handlungstheorien, die wie jene Webers ihren Ausgang von intentionalen und interessegeleiteten Akteuren nehmen, begreifen sie [poststrukturalistische Theorien] einen ‹Akteur› […] als einen diskursiven Effekt, d.h. als Zuschreibung von Agency durch den Gebrauch von Sprache bzw. als eine kommunikative Konstruktion durch Andere» (Angermuller/Wedl 2014, 168).
In handlungstheoretisch geprägten diskursanalytischen Ansätzen werden Akteure als diejenigen begriffen, die den Diskurs durch ihr sprachliches Handeln hervorbringen, wohingegen Akteure in poststrukturalistisch geprägten Theorien in antihermeneutischer Manier als Produkt der diskursiven Praxis aufgefasst werden. Während erstere die Akteure als dem Diskurs vorrangig begreifen, gehen letztere davon aus, dass Akteure erst im Diskurs konstituiert werden: «Akteure sind keine vor-diskursiven Entitäten, die am Ursprung der Sinnproduktion stehen. Sie werden, wie die soziale Ordnung, in der kommunikativen Praxis vielmehr erst konstruiert» (Angermuller/Wedl 2014, 176). Dieser konstruktivistisch perspektivierte Akteursbegriff ist maßgeblich durch Michel Foucault inspiriert,
Die Frage, ob Sprache wirklich ein dem Menschen eigenes Ausdrucksmittel ist oder ob auch andere lebende oder nicht-lebende Objekte wie zum Beispiel Tiere oder Pflanzen über eine Sprache verfügen, wird kontrovers diskutiert. Ohne auf diese Diskussion an dieser Stelle näher eingehen zu können, sei darauf hingewiesen, dass die Beantwortung dieser Frage in zentraler Weise vom zugrunde gelegten Sprachbegriff abhängt. Für weitere Informationen sei insbesondere auf die Forschungen der evolutionären Anthropologie, wie sie u.a. Tomasello (2008) betreibt, verwiesen. Dabei sind auch Akteure eingeschlossen, die im engeren Sinne nicht-menschlich sind, deren Handeln aber auf menschliches Handeln zurückgeführt werden kann (dies gilt etwa für überindividuelle Akteure, cf. infra). Somit lässt sich der hier zugrunde gelegte Akteursbegriff als ein zumindest mittelbar an Menschlichkeit gebundener beschreiben.
3.6 Akteure
181
der zu den Hauptvertretern der poststrukturalistischen Subjektkritik zählt. Foucault begreift das Subjekt als «une fonction vide, pouvant être remplie par des individus, jusqu’à un certain point, indifférents, lorsqu’ils viennent à formuler l’énoncé» (Foucault 1969, 123). Für den Diskurs folgt daraus, dass dieser nicht durch das Subjekt hervorgebracht wird, sondern selbst das Subjekt hervorbringt: «Le discours, ainsi conçu, n’est pas la manifestation, majestueusement déroulée, d’un sujet qui pense, qui connaît, et qui le dit: c’est au contraire un ensemble où peuvent se déterminer la dispersion du sujet et sa discontinuité avec lui-même» (Foucault 1969, 74). Ein solcher in der Tradition Foucaults stehender, konstruktivistisch perspektivierter Akteursbegriff wird auch von einigen Vertretern der germanistischen Diskurslinguistik vertreten, die Akteure als «anonyme Strukturpositionen» (Warnke 2007a, 14) begreifen, die sich im Diskurs manifestieren. Die Wissenssoziologische Diskursanalyse sieht darin eine Gleichsetzung von Akteur und Subjekt, die sie kritisiert und Akteure stattdessen – explizit im Widerspruch zu Foucault und entsprechenden diskursanalytischen Ansätzen – als Individuen und Kollektive konzeptualisiert, die im Diskurs verschiedene Subjektpositionen einnehmen können (cf. Keller 2005/2008, 221–223). Akteure seien zwar auch «Adressaten von Wissensbeständen und darin eingelassenen Wertungen», zugleich aber auch «selbstreflexive Subjekte, die in ihrer alltäglichen Be-Deutungsleistung soziale Wissensbestände als Regelbestände mehr oder weniger eigen-sinnig interpretieren» (Keller 2005/2008, 221). Im Folgenden wird – im Einklang mit der in Kapitel 3.4 vorgenommenen handlungstheoretischen Fundierung linguistischer Diskursanalyse und in Abgrenzung zu poststrukturalistischen Theorien – ein handlungsorientierter Akteursbegriff zugrunde gelegt, d.h., dass Akteure als sprachlich Handelnde begriffen werden, durch deren sprachliches Handeln der Diskurs konstituiert wird; Akteure sind dem Diskurs somit vorrangig. Das (sprachliche) Handeln der Akteure besteht in erster Linie darin, Diskurse zu produzieren und zu rezipieren. Der Ausdruck Akteur wird damit im engeren Sinne in Bezug auf die Agens-Instanzen verwendet, also diejenigen Instanzen, die am Diskurs sprachlich partizipieren, indem sie die Rolle des Produzenten oder Rezipienten des Diskurses einnehmen.234 Ein solcher Diskursbegriff steht in der Tradition des soziologischen Akteursbegriffs nach Max Weber und im Einklang mit dem in der Soziolinguistik und der Gesprächs- und Textlinguistik dominierenden Verständnis von Individuum und Subjekt (cf. Schönpflug 2004), mit dem Akteurskonzept der französischen analyse du discours (cf. Charaudeau 2002) und nicht zuletzt mit dem diskursanalytischen Ansatz Coserius
Zu Produzenten- und Rezipientenrolle cf. ausführlicher Kapitel 3.6.2.
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
und Benvenistes, die den Diskurs als individuelle sprachliche Tätigkeit begreifen und damit als eine Tätigkeit, die ein Individuum als sprachlich handelnde Instanz voraussetzt (cf. Kapitel 3.1). Aufbauend auf den auf diese Weise bestimmten Akteursbegriff soll nun eine für eine diskursanalytische Untersuchung geeignete Akteurstypologie entworfen werden. Als Ausgangspunkt kann die in der Soziologie übliche Akteurstypologie fungieren. Diese unterscheidet zunächst zwischen individuellen Akteuren, also einzelnen Menschen, und überindividuellen Akteuren, also Konstellationen wie Gruppen, soziale Bewegungen oder formale Organisationen (cf. Schimank 2000/ 2010, 45, 327–329). Innerhalb der überindividuellen Akteure wird weiter in kollektive und korporative Akteure unterschieden, wobei erstere lose Zusammenschlüsse, wie soziale Bewegungen, Gruppen oder Netzwerke, sind, korporative Akteure hingegen formale Vereinigungen wie Institutionen, Firmen, Medien oder Parteien. Letztere zeichnen sich im Gegensatz zu ersteren dadurch aus, dass sie «mittels bindender Vereinbarungen intentional produziert und reproduziert werden» (Schimank 2000/2010, 329).
Akteure
Typ
Beispiele
individuell
einzelne Individuen
überindividuell
kollektiv korporativ
soziale Bewegungen, Gruppen, Netzwerke… Institutionen, Firmen, Medien, Parteien…
Abbildung 5: Akteurstypologie.
Diese sozialwissenschaftliche Akteurstypologie lässt sich gewinnbringend in einen diskursanalytischen Ansatz überführen (cf. auch Spitzmüller/Warnke 2011, 172). So kann es im Hinblick auf die Diskursanalyse politischen Sprachgebrauchs etwa um den Sprachgebrauch einzelner Politiker (individuelle Akteure), politischer Parteien (überindividuelle, korporative Akteure) oder der Anhängerschaft von Politikern (überindividuelle, kollektive Akteure) gehen. Eine Präzisierung bedarf es aus sprachwissenschaftlicher Sicht im Hinblick auf das Konzept des überindividuellen Akteurs. Überindividuelle Akteure sind im engeren Sinne nicht-menschlich und damit auch, dem methodologischen Individualismus folgend, nicht handlungsfähig (cf. Schimank 2000/2010, 327–329). Wenn überindividuelle Akteure nicht-menschlich sind und Sprache als dem Menschen eigene Ausdrucksform aufgefasst wird (cf. supra), so wären überindividuelle Akteure im engeren Sinne auch nicht sprachfähig. Das sich daraus ergebende Paradox der Untersuchung des Sprachgebrauchs nicht-sprachbegabter Akteure lässt
3.6 Akteure
183
sich insofern auflösen, als dass sich überindividuelle Akteure stets aus einer mehr oder weniger großen Zahl individueller Menschen zusammensetzen – Scharpf (1997/2018) spricht in diesem Zusammenhang von «composite actors» –,235 die wiederum sprach- und handlungsfähig sind. Das Handeln eines überindividuellen Akteurs kann daher stets auf das Handeln individueller Akteure zurückgeführt werden: «Jeder überindividuelle Akteur ist eine Konstellation individueller Akteure; und sein Handeln ist demzufolge nichts anderes als das handelnde Zusammenwirken dieser Konstellation» (Schimank 2000/2010, 327). In diesem Sinne kann auch überindividuellen Akteuren, obwohl sie im engeren Sinne nicht menschlich sind, insofern Menschlichkeit und damit auch Handlungsfähigkeit und Sprachbegabung zugeschrieben werden, als dass sie sich aus Individuen zusammensetzen, auf die ihr Handeln zurückzuführen ist. Eine Akteursanalyse im Rahmen einer diskursanalytischen Untersuchung kann folglich an einer Klassifizierung der Akteure nach der in Abbildung 5 dargelegten Akteurstypologie ansetzen. Eine detailliertere Analyse eines Akteurs kann darüber hinaus durch eine Untersuchung der Rollen, die dieser einnimmt, erfolgen. Im Folgenden werden daher Akteure als Träger von Rollen in den Blick genommen.
3.6.2 Akteure als Träger von Rollen All the world’s a stage, And all the men and women merely players; They have their exits and their entrances; And one man in his time plays many parts William Shakespeare, As you like it (Akt II, Szene 7)
Der dem Bereich des Theaters entlehnte Ausdruck Rolle verweist auf die auch diesen berühmten Versen Shakespeares zugrunde liegende Metapher des theatrum mundi, mittels der die Welt als Theaterbühne konzeptualisiert wird, auf der alle Menschen gleich Schauspielern ihre jeweiligen Rollen spielen. Die wissenschaftliche Nutzbarmachung und terminologische Präzisierung dieser Idee ist maßgeblich dem Soziologen Erving Goffman zu verdanken, wie der programmatische Titel seines Werks The presentation of self in everyday life (1959), dt. Wir alle spielen Theater (1969/2017), mustergültig zum Ausdruck bringt. Davon aus-
Überindividuelle Akteure können damit letztlich als eine Art gedankliche Fiktion aufgefasst werden, die auch in Metaphern ihren Niederschlag findet, mittels derer zum Beispiel der Staat als Körper, die Partei als Mensch, oder die EU als Organismus beschrieben wird.
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
gehend werden Akteure in der Soziologie grundsätzlich als Träger sozialer Rollen konzeptualisiert. Das aus der Soziologie stammende Konzept der Rolle wurde in der Linguistik insbesondere innerhalb der Soziolinguistik (cf. Gerhardt 2004), der Gesprächslinguistik (cf. Schwitalla 2001a), der Textlinguistik (cf. Adamzik 2002; 2004; 2008; 2016), der Korpuspragmatik (cf. Müller 2015) und der Diskursforschung (cf. Spitzmüller/Warnke 2011; Deppermann 2014) aufgegriffen. Ziel dieses Kapitels ist es, den Rollenbegriff für ein diskursanalytisches Akteurskonzept nutzbar zu machen. Dazu wird unter Rückgriff auf den soziologischen Rollenbegriff und dessen Weiterentwicklungen innerhalb der Linguistik zunächst eine Klärung des Rollenbegriffs vorgenommen, um im Anschluss daran eine für eine Akteursanalyse im Rahmen einer diskursanalytischen Untersuchung geeignete Rollentypologie zu entwickeln. Die Soziologie interessiert sich insbesondere für die an der Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft stehende soziale Rolle, die wie folgt definiert wird:236 «Die soziale Rolle ist ein strukturiertes Bündel von Normen und Verhaltenserwartungen in zumeist institutionell vorgegebenen Handlungszusammenhängen, z.B. Familie, Schule, Arbeitsplatz. Das Rollenhandeln umfasst bestimmte Symbole und Gesten, die – wie das Sprechen – dem ‹gemeinten Sinn› Ausdruck geben. Soziale Rollen werden zwar von einzelnen Individuen ‹gespielt›, sind aber durch die jeweils relevanten Normen überindividuell in sozialen Positionen festgelegt» (Schäfers 2013/2019, 60; Hervorhebungen im Original).
Soziale Rollen sind somit einerseits durch an einen bestimmten Kontext gebundene Normen und andererseits durch die Erwartung, diesen zu entsprechen, definiert. Soziale Rollen entstehen durch die Verfestigung gesellschaftlich konventionalisierter Handlungsmuster und sind daher «das Ergebnis einer Abstraktion, welche Haltungen, Eigenschaften, Leistungen und Tätigkeiten für gleichrangige und/oder gleichartige Personen zu einem aus Handlungsregeln bestehenden Typisierungsschema zusammenfasst» (Gerhardt 1971, 226; 2004, 385). Dass die soziale Rolle auch die Sprache bzw. den Sprachgebrauch einschließt, liegt auf der Hand, da menschliches Handeln auch und zu einem nicht unwesentlichen Teil sprachliches Handeln umfasst. Das «Bündel von Normen und Verhaltenserwartungen», als das Schäfers die soziale Rolle beschreibt, erstreckt sich somit auch auf den Sprachgebrauch; auch im Bereich der Sprache werden in Abhängigkeit vom jeweiligen Handlungszusammenhang Sprechweisen tradiert, die zur Ausbildung von Typisierungsschemata führen. Diese Typisierungsschemata nehmen einerseits die Form von Normen
Für eine Einführung in das Konzept der sozialen Rolle in der Soziologie cf. Schäfers (2013/2019, 58–63).
3.6 Akteure
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an, mit denen sich der Sprachgebrauch beschreiben lässt, und andererseits die Form von Erwartungshaltungen, die an den Sprachgebrauch gestellt werden.237 Aus linguistischer Perspektive lässt sich der Rollenbegriff in Anlehnung an die Definition Schäfers somit als ein sich auch auf den Sprachgebrauch erstreckendes strukturiertes Bündel von Normen und Verhaltenserwartungen in kontextuell vorgegebenen Handlungszusammenhängen bestimmen. Akteure können aus linguistischer Perspektive insofern als Träger von Rollen konzeptualisiert werden, als dass sie in einer konkreten Situation in Abhängigkeit von verschiedenen Kontextfaktoren typisierten Handlungsmustern folgen, die u.a. sprachlicher Natur sind. Es gibt nicht nur eine, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher sozialer Rollen und Rollentypen. Um diese Rollenvielfalt systematisch zu erfassen und Akteure im Hinblick auf ihre Rollen untersuchen zu können, bedarf es einer ausdifferenzierten Rollentypologie. Als Ausgangspunkt für eine solche kann die in der Soziologie entwickelte Typologie sozialer Rollen fungieren. In der Soziologie werden nach dem Grad ihrer institutionellen Festigkeit drei Typen sozialer Rollen unterschieden (cf. Gerhardt 2004): 1. Statusrollen haben den höchsten Grad institutioneller Festigkeit; sie beruhen beispielsweise auf den Merkmalen Alter, Geschlecht, Ethnie und Nationalität. 2. Positionsrollen haben einen mittleren Grad institutioneller Festigkeit und beziehen sich auf verschiedene soziale Positionen, z.B. in Beruf, Kirche, Familie oder Partei. 3. Situationsrollen haben den geringsten Grad institutioneller Festigkeit und variieren in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation. Müller (2015), der die soziologische Kategorie der Rolle für die Sprachwissenschaft fruchtbar macht und eine systematische Untersuchung sprachlichen Rollenverhaltens unternimmt, fügt dieser Dreiteilung im Hinblick auf Diskurse eine weitere Kategorie hinzu, die Diskursrolle: «Eine Diskursrolle ist eine durch ein sprachliches Etikett ausgedrückte Selbst- und/oder Fremdzuschreibung von Sprecherinnen und Sprechern innerhalb eines Diskurses, die dadurch einer Akteursgruppe zuzuordnen sind, welche relativ zum Diskurs stabil ist» (Müller 2015, 37).238 Diskursrollen zeichnen sich dadurch aus, dass sie «immer nur relativ
Diese bilden die Grundlage für die Beurteilung des Sprachgebrauchs im Hinblick auf dessen Angemessenheit (aptum) in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation. Bei Coseriu ist die Angemessenheit neben der Kongruenz und der Korrektheit eines der drei Urteile, nach denen das Sprechen bewertet werden kann (cf. Coseriu 1988/2007, 86–89 sowie Kapitel 3.3.1). Den Ausdruck Diskursrolle übernimmt Müller (2015, 37) von Adamzik (2002; 2004; 2008); er sieht darin im Anschluss an Adamzik eine gute Möglichkeit, «soziokommunikativ begründ-
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
zum untersuchten Diskurs Geltung haben» (Müller 2015, 37); sie fallen häufig mit Positionsrollen zusammen – im Kontext der Bioethikdebatte, die Müllers Untersuchungsgegenstand ist, z.B. «Arzt», «Biologe», «Theologe» –, können aber auch von diesen abweichen – so etwa die bei Müller (2015) relevanten Diskursrollen «Betroffener» und «Laie». Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist diesen Rollentypen ein weiterer, genuin sprachlicher Rollentyp hinzuzufügen. Dieser bezieht sich auf die Teilnehmer an einer Kommunikation und kann mit dem in der Gesprächslinguistik in Anlehnung an den englischen Ausdruck participant/participation role (Levinson 1983, 68) geprägten Terminus Beteiligungsrolle bezeichnet werden (cf. Schwitalla 2001a). Aus textlinguistischer Perspektive zeigt Adamzik (2002; 2004; 2008; 2016), dass Beteiligungsrollen auch auf medial schriftliche und raum-zeitlich zerdehnte Kommunikation übertragbar sind, und bezeichnet sie als Kommunikantenrollen, einem Subtyp der Interaktionsrollen. Spitzmüller/Warnke (2011) übertragen das Konzept unter dem Etikett Interaktionsrollen in die Diskursforschung. Im Folgenden wird der in der Gesprächslinguistik übliche Terminus Beteiligungsrollen beibehalten. Beteiligungsrollen betreffen die Art der Beteiligung eines Akteurs an der Kommunikation und zielen damit auf die grundlegenden Fragen «Wer spricht?» und «Wer wird adressiert?» bzw. «Wer rezipiert?» ab. Diese Rollen sind, wie einschlägige Kommunikationsmodelle wie zum Beispiel das Bühler’sche Organonmodell zeigen, von konstitutiver Bedeutung für sprachliche Kommunikation.239 Sprachliche Kommunikation setzt stets eine Instanz voraus, die das Gesprochene hervorbringt, und eine, an die das Gesprochene gerichtet ist; sie kann nicht losgelöst von diesen Instanzen existieren. Für Diskurse und insbesondere für einen handlungsorientierten diskursanalytischen Ansatz sind Beteiligungsrollen insofern von zentraler Bedeutung, als dass sie eine Ausdifferenzierung der Akteure hinsichtlich ihrer Partizipationsmöglichkeiten am Diskurs erlauben. Akteure wurden in Kapitel 3.6.1 definiert als sprachlich am Diskurs partizipierende Handlungsinstanz, so dass die Frage nach der Art und Weise, wie sie am Diskurs partizipieren, auf die zentrale sprachliche Rolle der Akteure im Diskurs abhebt.
bare Gruppenetikette» zu erfassen, distanziert sich dabei aber von Adamziks Auffassung derselben als «Meinungs-/Gesinnungsgruppen». Im Organonmodell von Karl Bühler (1934) werden diese Rollen als Sender und Empfänger bezeichnet. In dem auf Bühlers Modell aufbauenden Kommunikationsmodell Roman Jakobsons (1960) entsprechen ihnen der addresser und der addressee. Bei Coseriu (1988/2007, 160) sind diese Instanzen Teil der «allgemeinen Determinationen des individuellen Sprechens» und firmieren als Sprecher und Adressaten (für einen Überblick über Kommunikationsteilnehmer aus Sicht des Coseriu’schen Paradigmas cf. auch Portolés 2021).
3.6 Akteure
187
Aus diskursanalytischer Sicht lassen sich Beteiligungsrollen als typisierte Handlungsschemata zur sprachlichen Teilhabe der Akteure am Diskurs beschreiben. Da Akteure auf unterschiedliche Weise am Diskurs beteiligt sein können, sind verschiedene Typen von Beteiligungsrollen zu unterscheiden. In gängigen Kommunikationsmodellen und auch in der sprachwissenschaftlichen Rollenforschung wird häufig von einer grundlegenden Zweiteilung in Produzenten- und Rezipientenrollen ausgegangen (cf. Schwitalla 2001a, 1355; Spitzmüller/Warnke 2011, 174–177; Adamzik 2016, 136–151). Davon zeugen auch tradierte Begriffspaare wie Sprecher/Hörer, Schreiber/Leser, Sender/Adressat, Produzent/Rezipient. Diese dyadische Konzeption ist jedoch in mehrfacher Hinsicht zu relativieren. Erstens sind, wie bereits Hymes (1972, 58–59) konstatiert, die Kategorien Produzent und Rezipient nicht mit Aktivität und Passivität zu parallelisieren, da auch der Rezipient niemals passiv ist. Bereits das Rezipieren selbst ist eine Aktivität und Produzent und Rezipient sind gleichermaßen an der Sinnproduktion im Diskurs beteiligt (cf. auch Schwitalla 2001a, 1355; Müller 2015, 32). Zweitens gilt, dass die Übernahme der jeweiligen Rolle durch einen Akteur im Laufe eines Diskurses immer wieder wechseln kann und daher nicht statisch, sondern dynamisch ist. Zudem ist auch die Beteiligungsrolle wie jede Rolle eine Rolle, die ein Akteur zusätzlich zu und zeitgleich mit anderen Rollen, wie Status-, Positions-, Diskurs- und Situationsrollen, verkörpern kann (s. Lahires Konzept des homme pluriel, cf. infra). Viertens darf die dyadische Konzeption nicht darüber hinwegtäuschen, dass es je nach Kontext und Situation eine unterschiedliche Anzahl an und unterschiedliche Typen von Produzenten und Rezipienten gibt (cf. Schwitalla 2001a, 1355–1356; Spitzmüller/Warnke 2011, 175–177; Müller 2015, 32–33). Vor diesem Hintergrund scheint eine Ausdifferenzierung der Produzenten- und Rezipientenrolle geboten. Eine solche wurde zum Beispiel von Goffman (1981) vorgeschlagen,240 der folgende Binnendifferenzierung unternimmt: Beteiligungsrollen
Produzentenrollen
animator author principal
Rezipientenrollen
ratified participants unratified participants
overhearers eavesdroppers
Abbildung 6: Beteiligungsrollen nach Goffman (1981).
Zuvor hat bereits Hymes (1972, 58–59) eine andere, etwas weniger ausdifferenzierte Einteilung in «adressor, adressee, hearer (audience), source, spokesman, adressees; etc.» vorgeschlagen.
188
3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
Auf der Produzentenseite wird eine Dreiteilung in animator, author und principal vorgenommen, ins Deutsche übersetzt als Animateur, Autor und Urheber (cf. Goffman 2005): «The term ‹speaker› is central to any discussion of word production, and yet the term is used in several senses, often simultaneously and (when so) in varying combinations, with no consistency from use to use. One meaning, perhaps the most dominant, is that of animator, that is, the sounding box from which utterances come. A second is author, the agent who puts together, composes, or scripts the lines that are uttered. A third is that of principal, the party to whose position, stand, and belief the words attest» (Goffman 1981, 226; Hervorhebungen im Original).
Mit dieser Ausdifferenzierung geht auch eine Dekomposition des Konzepts des speakers einher, da diese drei Sprecher-Rollen nicht zwangsläufig in einer Person zusammenfallen müssen. Dies lässt sich eindrücklich anhand des politischen Diskurses illustrieren. Wenn beispielsweise ein Politiker eine Rede hält, so ist er selbst als derjenige, der die Rede hält, der animator; die Rede wurde jedoch vielleicht von einem Redenschreiber geschrieben, der somit der author ist; der Inhalt der Rede entspricht womöglich nicht vollumfänglich der Einstellung des Politikers selbst, sondern der seiner Partei oder einer anderen Konstellation, die er repräsentiert, die dann der principal ist. Rezipientenseitig plädiert Goffman (1981, 131–134) zunächst für eine Zweiteilung in ratified participants, die direkt angesprochen werden, und unratified participants, die nicht direkt angesprochen werden (dt. adressierte und nichtadressierte Hörer, cf. Goffman 2005). Innerhalb letzterer differenziert er weiter zwischen over-hearers, die zufällig mithören, deren Mithören aber nicht unerlaubt ist, und eavesdroppers, die absichtlich mithören, obwohl es ihnen nicht gestattet ist (dt. Mithörer und Lauscher, cf. Goffman 2005). Die Binnendifferenzierung der Rezipientenrolle erweist sich als unerlässlich, möchte man beispielsweise dem Phänomen der Mehrfachadressierung Rechnung tragen, das ein zentrales Merkmal gerade des politischen Sprachgebrauchs darstellt (cf. Kapitel 2.7.1). Die Binnendifferenzierung der Rezipientenrolle ist insofern nicht mit der Binnendifferenzierung der Produzentenrolle zu parallelisieren, als dass es bei den Subtypen der Rezipientenrolle nicht möglich ist, dass ein Individuum mehrere Rezipientenrollen gleichzeitig übernimmt (cf. Adamzik 2002, 220; Spitzmüller/Warnke 2011, 176). Zusammenfassend können damit fünf Rollentypen unterschieden werden (s. Abbildung 7), die jeweils weitere Subtypen aufweisen können (s. Abbildung 6 im Fall der Beteiligungsrollen). Im Hinblick auf die Untersuchung politischen Sprachgebrauchs im Wahlkampf sind verschiedene Rollentypen relevant. Zentral ist die Rolle der (Präsidentschafts-)Kandidaten, die sowohl als Positions- als auch als Diskursrolle
3.6 Akteure
Rollentyp
Kriterium
Statusrolle Positionsrolle Diskursrolle Situationsrolle Beteiligungsrolle
Alter, Geschlecht, Ethnie, Nationalität… Beruf, Kirche, Familie, Partei… Diskurs Situation Art der Beteiligung an der Kommunikation
189
Abbildung 7: Rollentypologie.
einzustufen ist; sie verleiht den Akteuren naturgemäß eine gewisse Hör- bzw. Sichtbarkeit und Autorität (cf. Kapitel 3.6.3). Von besonderer Relevanz ist auch die Parteizugehörigkeit, die die Akteure als Vertreter eines Kollektivs von unterschiedlicher Größe, historischer Tradierung und ideologischer Prägung erscheinen lässt (Positionsrolle). Darüber hinaus können verschiedene Statusrollen zum Tragen kommen, die z.B. durch die Nationalität (Voraussetzung für die Kandidatur als französischer Präsidentschaftskandidat), das Geschlecht (Le Pen als einzige Frau unter den Spitzenkandidaten) oder die Herkunft (z.B. Hamon als Bretone, Macron aus Amiens) bedingt sind und die u.a. identitätsstiftend wirken können. Verschiedene Situationsrollen sind ebenfalls relevant; so macht es zum Beispiel einen Unterschied, ob ein Akteur als Redner bei einem meeting électoral oder als Gast in einem TV-Duell auftritt. Was die Beteiligungsrollen angeht, so sind im Hinblick auf (Präsidentschafts-)Kandidaten vor allem Produzentenrollen von Interesse (animator, author und principal), doch nehmen sie selbstverständlich auch Rezipientenrollen (zumeist ratified participants) ein. Die in Abbildung 7 dargelegte Rollentypologie ermöglicht es, die Rollenvielfalt der Akteure systematisch zu erfassen. Rollenvielfalt bedeutet dabei nicht nur, dass verschiedene Akteure verschiedene Rollen einnehmen können, sondern auch, dass ein und derselbe Akteur verschiedene Rollen einnehmen kann, und dies sowohl sukzessive als auch simultan. Lahire (1998) spricht in diesem Zusammenhang vom homme pluriel (engl. plural actor, Lahire 2011).241 So kann etwa ein politischer Akteur sukzessive die (Positions-)Rollen des Präsidentschaftskandidaten, des Präsidenten und des Altpräsidenten einnehmen. Ein politischer Akteur kann aber auch simultan als Präsidentschaftskandidat (Diskursrolle), als Mitglied einer bestimmten Partei (Positionsrolle), als Interviewter in einem TV-Duell (Situationsrolle) und als Produzent oder Rezipient (Beteiligungsrolle) agieren; auch sein Alter und sein Geschlecht (Statusrollen) mögen Einfluss auf sein Handeln
Das Phänomen, dass ein und dieselbe Person verschiedene Rollen einnehmen kann, kommt auch in der Metapher des «Huts», den jemand «aufsetzt», zum Ausdruck.
190
3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
haben. Die verschiedenen Rollen eines Akteurs wirken in der aktuellen Handlungssituation zusammen. Mit jeder Äußerung vermag der Akteur der einen oder anderen Rolle mehr oder weniger Gewicht zu verleihen und sich so in einem jeweils anderen Licht zu präsentieren, wodurch sein Selbst- und Fremdbild gleichermaßen einer konstanten Veränderung unterliegen. Goffman (1979; 1981) spricht in diesem Zusammenhang von footing:242 «A change in footing implies a change in the alignment we take up to ourselves and the others present as expressed in the way we manage the production and reception of an utterance. A change in our footing is another way of talking about a change in our frame for events. This paper is largely concerned with pointing out that participants over the course of their speaking constantly change their footing, these changes being a persistent feature of talk» (Goffman 1979, 5; 1981, 128; meine Hervorhebung).
Indem das Konzept des footing auf eine Wechselwirkung zwischen Selbst- und Fremdbild einerseits («the alignment we take up to ourselves and the others present») und sprachlicher Teilhabe andererseits («the way we manage the production and reception of an utterance») abhebt, betont es die zentrale Bedeutung des Sprechens für das Entstehen bzw. Einnehmen bestimmter Rollen durch die Sprecher. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Rollen der konkreten Situation vorrangig sind oder aber erst in ihr produziert werden. Mit Müller (2015, 35–36) kann davon ausgegangen werden, dass beides möglich ist und sich u.a. in Abhängigkeit vom jeweiligen Rollentyp entscheidet. So sind etwa Status- und Positionsrollen relativ fest an einen Akteur gebunden und bestehen unabhängig von konkreten Situationen; demgegenüber sind Diskurs- und insbesondere Situations- und Beteiligungsrollen variabler und kontextabhängiger. An das obige Beispiel des Präsidentschaftskandidaten im TV-Interview anknüpfend gilt etwa, dass die Diskursrolle der konkreten Situation vorrangig und sogar alleiniger Grund dafür ist, dass der Akteur überhaupt Gast in dieser TV-Sendung sein kann. Die Rolle als Interviewter hingegen nimmt der Akteur erst in der Situation des TV-Interviews selbst ein. Unabhängig davon gilt, dass sämtliche Rollentypen in der jeweiligen Situation aktualisiert werden und dass konkrete Handlungsmuster auch etwaigen Status- oder Positionsrollen des jeweiligen Akteurs zuwiderlaufen können.243
Zum Konzept des footing – ins Deutsche als Redestatus übersetzt (cf. Goffman 2005) – cf. Levinson (1988); Adamzik (2002, 218–222); Gerhardt (2004, 389); Bußmann (1983/42008, 195); Spitzmüller/Warnke (2011, 174–175, 177); Dreesen (2013); Müller (2015, 32–33). Dies betrifft etwa das Auftreten Marine Le Pens im TV-Duell vor dem zweiten Wahlgang, das nicht den Erwartungen, die an die Rolle des Präsidentschaftskandidaten bzw. der Präsidentschaftskandidatin gestellt werden, entsprach (cf. Kapitel 2.7.2, Anm. 112).
3.6 Akteure
191
Eine rollenbasierte Akteursanalyse vermag wichtige Erklärungsansätze für das Handeln der Akteure im Allgemeinen und ihr sprachliches Handeln im Speziellen zu geben, weshalb das aus der Soziologie stammende Rollenkonzept von großem Mehrwert für eine diskursanalytische Akteursanalyse zu sein verspricht. Dies empirisch zu überprüfen, ist eines der Ziele der Analyse (cf. Kapitel 6.3).
3.6.3 Ideology brokers Im Hinblick auf agonale Diskurse rücken innerhalb der Gesamtheit der Akteure diejenigen Akteure besonders in den Fokus, denen es gelingt, ihre Perspektivierung der Wirklichkeit im Diskurs dominant zu setzen und so die Deutungs- und Diskurshoheit zu erlangen. Diese Akteure können mit Blommaert (1999b) als ideology brokers bezeichnet werden. Ideology brokers sind nach Blommaert (1999b, 9) «categories of actors who, for reasons we set out to investigate, can claim authority in the field of debate (politicians and policy-makers, interest groups, academicians, policy implementers, the organized polity, individual citizens).» Für das Konzept der ideology brokers ist, wie diese Definition deutlich macht, das Konzept der Autorität zentral. Der Autoritätsbegriff geht zurück auf lat. AUCTORITAS (cf. DWDS, s.v. Autorität; TLFi, s.v. autorité), eine Bildung zu lat. AUCTOR (cf. ThLL, s.v. auctoritas).244 Lat. AUCTORITAS hatte vielfältige Bedeutungen; insbesondere wurde der Begriff in politischen und sozialen Kontexten zur Bezeichnung der Würde, des Ansehens oder Einflusses kollektiver oder individueller Akteure gebraucht (cf. Nippel 2007; cf. ThLL, s.v. auctoritas). In diesem Sinne lassen sich Akteure, die Autorität besitzen (sprich ideology brokers), als Akteure beschreiben, die über ein solches Ansehen verfügen, dass sie Macht oder Einfluss auf andere ausüben – dies steht ganz im Einklang mit der gegenwärtigen Bedeutung von frz. autorité ‘pouvoir d’agir sur autrui’ (TLFi, s.v. autorité). Spitzmüller/Warnke (2011, 110), die das Konzept für die Diskursforschung fruchtbar gemacht haben, bezeichnen ideology brokers daher auch treffend als «diskurssteuernde Akteure».245
Zu lat. AUCTORITAS und seinem Verhältnis zu lat. AUCTOR cf. auch Heinze (1925, 349–355). Zwischen dem Autoritäts- und dem Akteursbegriff besteht insofern ein begriffsgeschichtlicher Zusammenhang, als dass afrz. actor vom 12. bis 16. Jahrhundert auch in der Bedeutung ‘Schöpfer, Autor, Schriftsteller’ gebraucht wurde; diese Bedeutung ist für lat. ACTOR nicht belegt, sondern geht daraus hervor, «dass im mlt. autor oft auctor geschrieben wurde, woraus dann die verwechslung [sic!] mit actor entstand» (FEW, s.v. actor). Cf. Warnke/Spitzmüller (2008b, 35); Spitzmüller/Warnke (2011, 110, 179–180). Für eine Definition von ideology brokers aus diskursanalytischer Perspektive cf. auch Schmidt-Brücken
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
Eine zentrale Frage, die auch im Eingangszitat von Blommaert aufgeworfen wird, ist, warum ein Akteur über Autorität verfügt. Nach Spitzmüller/Warnke (2011, 180) ist Autorität «nicht etwas sozial Vorgegebenes […], sondern ein Effekt diskursiver Positionierungen», entsteht also im Diskurs. Diese konstruktivistisch perspektivierte Ansicht ist aus handlungstheoretischer Perspektive insofern zu relativieren, als dass einem Akteur auch prädiskursiv eine gewisse Autorität zukommen kann. Autorität kann durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt sein, von denen manche auch dem Diskurs vorrangig sind, etwa im Fall bestimmter sozialer Rollen, die ein Akteur unabhängig vom Diskurs einnimmt (cf. Kapitel 3.6.2). Beispielsweise verfügen Akteure durch ihre Rollen als Präsidentschaftskandidaten bereits über eine gewisse Autorität. Dies sollte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Autorität dennoch von Kandidat zu Kandidat variieren kann und zudem im Diskurs bestätigt, ausgeweitet, hinterfragt oder auch untergraben werden kann. Autorität wird daher nicht nur im Diskurs repräsentiert, sondern ist immer auch Gegenstand diskursiver Aushandlungsprozesse: «Autorität wird sowohl im Diskurs repräsentiert als auch verhandelt und ausgehandelt» (Schmidt-Brücken 2014b, 190). Wie der Terminus ideology brokers signalisiert, verfügt ein Akteur dann über Autorität, wenn es ihm gelingt, seine «Ideologie» gegenüber den «Ideologien» anderer Akteure dominant zu setzen. Ideologien bestimmt Blommaert (1999b, 9) dabei wertneutral als «definitions of social realities» (Hervorhebung im Original) bzw. als «representations of reality». Ich spreche in diesem Zusammenhang von unterschiedlichen Perspektivierungen der Wirklichkeit (cf. Kapitel 2.4.3), die sich durch das im Diskurs aktualisierte Wissen erschließen lassen (cf. Kapitel 3.5).246 Auf dieser Grundlage lassen sich ideology brokers als (individuelle oder überindividuelle) Akteure beschreiben, denen es gelingt, ihre Perspektivierung der Wirklichkeit im Diskurs dominant zu setzen und so die Deutungs- und Diskurshoheit zu erlangen. Die verschiedenen Ideologien bzw. Perspektivierungen der Wirklichkeit treten im Diskurs in Konkurrenz zueinander – «various representations of reality […] are pitted against each other – discursively – with the aim of gaining authority for one particular representation» (Blommaert 1999a, 9) – und werden dann Gegenstand diskursiver Aushandlungsprozesse. Diese bezeichnet Blommaert (1999b, 9) als debates, worunter er im Anschluss an Silverstein/Urban (1996, 11) «more or less historically locatable periods in which a ‹struggle for (2014b). Eine Operationalisierung des Konzepts am Beispiel von Sprachpflegevereinen als ideology brokers bietet Neusius (2021, 504–560). Spitzmüller/Warnke (2011, 110) umschreiben Ideologien als «diskursiv verankerte Werthaltungen».
3.6 Akteure
193
entextualisation› takes place» versteht.247 Debates seien in besonderem Maße von «discursive struggle and contestation» (Blommaert 1999b, 8) geprägt, eine Beschreibung, in der das agonale Moment deutlich anklingt, weshalb debates mit agonalen Aushandlungsprozessen parallelisiert werden können. Im Kampf um Autorität spielen damit semantische248 und diskursive Kämpfe eine zentrale Rolle. Wichtige Analysekategorien, die auf die Aushandlung von Ideologien und den Kampf um Autorität hindeuten können, sind zum Beispiel «metapragmatische Äußerungen wie Autoritätenverweise, Betonungen eigener Expertise oder sprachliche Bewertungsstrategien […,] implizite Positionierungsstrategien […] und alle Arten von diskursivem ‹gate keeping›, von Kontroll(versuch)en der Zugangsmöglichkeiten zum Diskurs» (Spitzmüller/Warnke 2011, 180). In engem Zusammenhang mit dem Konzept der ideology brokers steht dasjenige der voice. Als voice bezeichnet Blommaert (2005) im Anschluss an Hymes (1996) die Fähigkeit eines Menschen, sich in einer bestimmten Situation verständlich zu machen, seine kommunikativen Ziele zu erreichen: «I […] defined voice […] in general as the ways in which people manage to make themselves understood or fail to do so. This capacity to make oneself understood, I argued, is a capacity to generate an uptake of one’s words as close as possible to one’s desired contextualisation. It is, in other words, the capacity to accomplish desired functions through language. More accurately, it is the capacity to create favourable conditions for a desired uptake» (Blommaert 2005, 68; Hervorhebung im Original).
Wie in dieser Definition deutlich wird, ergibt sich die voice sowohl in Abhängigkeit vom Akteur als auch vom Kontext. Zum einen können unterschiedliche Akteure über unterschiedlich starke voices verfügen, also über unterschiedlich stark ausgeprägte Fähigkeiten, ihre kommunikativen Ziele zu erreichen, zum anderen kann aber auch ein und derselbe Akteur je nach Kontext eine stärkere oder schwächere voice haben.249 Für Blommaert (2005, 68) ist voice «an eminently social issue»: Zwar manifestiert sich die voice eines Akteurs sprachlich
Entextualisation beschreibt den Prozess, dass Diskurse immer wieder de- und rekontextualisiert werden, wodurch stets neue Diskurse in neuen Kontexten entstehen, die dann zum Text werden: «Entextualisation refers to the process by means of which discourses are successively or simultaneously decontextualised and metadiscursively recontextualised, so that they become a new discourse associated to a new context and accompanied by a particular metadiscourse which provides a sort of ‹preferred reading› for the discourse. This new discourse has become a ‹text›: discourse lifted out of its interactional setting and transmitted together with a new context» (Blommaert 2005, 47). Cf. auch Spitzmüller/Warnke (2011, 180). Als Beispiel nennt Blommaert (2005) im Kontext der Immigration die schwache voice von Migranten gegenüber der stärkeren voice der Mitglieder der sie aufnehmenden Gesellschaft.
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
und ist durch eine linguistische Analyse ermittelbar, doch ist sie auch immer durch soziale Faktoren bedingt und wirkt auf die soziale Realität zurück. Blommaert macht dies anhand des Zusammenhangs, der zwischen voice einerseits und Macht und Ungleichheit andererseits besteht, deutlich: «Voice is the issue that defines linguistic inequality (hence, many other forms of inequality) in contemporary societies. An analysis of voice is an analysis of power effects – (not) being understood in terms of the set of sociocultural rules and norms specified – as well as of conditions for power – what it takes to make oneself understood» (Blommaert 2005, 5). Je stärker die voice eines Akteurs in einem bestimmten Kontext, desto größer dessen Macht (und umgekehrt); je stärker die voices der Akteure differieren, desto größer die Ungleichheit. Die Stärkung der voice der einen bedingt die Schwächung der voice der anderen.250 Spitzmüller/Warnke (2011) prägen in Anlehnung an Blommaerts Konzept der voice die Kategorie der Hörbarkeit. Unter Hörbarkeit verstehen Spitzmüller/ Warnke (2011, 60–61) die Fähigkeit eines Sprechers/Schreibers, sich im Diskurs Gehör zu verschaffen, also den Hörer/Leser zu erreichen. Die Hörbarkeit ist bei Spitzmüller/Warnke (2011) eines von sechs Regulativen der diskursiven Konstituierung von Wissen. Analog zur Hörbarkeit ließe sich die voice auch mit der Kategorie der Sichtbarkeit beschreiben. Die Frage der (Un-)Sichtbarkeit eines Akteurs und der damit verbundene Kampf um Sichtbarkeit haben unter dem Einfluss der modernen Massenmedien verstärkt an Bedeutung gewonnen (cf. Voirol 2005). Sowohl bei Hörbarkeit als auch bei Sichtbarkeit handelt es sich letztlich um Metaphern, die unter Bezugnahme auf verschiedene Sinne – die auditive und die visuelle Wahrnehmung – die Fähigkeit eines Akteurs beschreiben, im Diskurs verstärkt wahrgenommen zu werden. Im Hinblick auf Agonalität ist das Konzept der voice von besonderer Relevanz. Als «Prinzip des Wettkampfs um Einfluss, Geltung, Hörbarkeit usw.» (Warnke 2013, 76) zielt das Konzept der Agonalität geradezu auf den Kampf um Hör- bzw. Sichtbarkeit ab. Agonale Diskurse zeichnen sich dadurch aus, dass verschiedene Akteure über unterschiedlich große Deutungs- und Diskurshoheit verfügen und ihre jeweiligen Perspektivierungen in den diskursiven Kämpfen mehr oder weniger erfolgreich dominant setzen. Eine Analyse der voice der jeweiligen Akteure vermag Aufschluss darüber zu geben, wie groß diese ist, auf welche sprachlichen Mittel dies zurückzuführen ist und welche sozialen Strukturen und Machtgefälle sich darin spiegeln oder auch dadurch hervorgebracht werden. Die Fähigkeit, sich im Diskurs Hör- bzw. Sichtbarkeit zu verschaffen,
Auch diesen Zusammenhang vermag das oben genannte Beispiel aus dem ImmigrationsKontext zu illustrieren.
3.6 Akteure
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beruht auf dem Wissen um die entsprechende sprachliche Gestaltung von Diskursen und damit auf diskurstraditionellem Wissen (cf. Kapitel 3.5.3). Entscheidend ist dabei neben dem inhaltlichen Gehalt von Äußerungen vor allem auch deren sprachliche Gestaltung, die sämtliche Ebenen des Sprachlichen umfasst. Für die Untersuchung politischen Sprachgebrauchs ist das Konzept der voice darüber hinaus von besonderem Interesse, da die Politik ein Bereich ist, der in besonderem Maße von Machtkämpfen geprägt ist. Eine Untersuchung der voice im politischen Sprachgebrauch zielt auf die Identifikation derjenigen sprachlichen Mittel ab, die politische Akteure einsetzen, um ihre Hör- bzw. Sichtbarkeit zu mehren. Darin, diese zu ermitteln, besteht eines der Ziele der Analyse (v.a. Kapitel 6.3).
3.6.4 Diskursgemeinschaften Innerhalb der Gesamtheit der Akteure lassen sich verschiedene Teilmengen von Akteuren ausmachen, die gewisse Gemeinsamkeiten aufweisen; eine spezifische Ausprägung einer solchen Teilmenge ist diejenige der Diskursgemeinschaft. Im Folgenden wird das Konzept der Diskursgemeinschaft zunächst erläutert und auf den Bereich der Politik angewandt, um darauf aufbauend den Zusammenhang zwischen Diskursgemeinschaften und Agonalität zu erörtern. Das Konzept der Diskursgemeinschaft hat in verschiedenen Strömungen der Diskursforschung unterschiedliche Ausprägungen erfahren.251 Systematisch und differenziert ausgearbeitet wurde es insbesondere in der romanistischen Diskurstraditionenforschung.252 Das Konzept der Diskursgemeinschaft wurde bereits durch Coseriu präfiguriert, doch findet der Terminus Diskursgemeinschaft bei ihm noch keine Verwendung, sondern wurde erst später in Analogie zu dem von Schlieben-Lange (1983, 80) geprägten Ausdruck Textgemeinschaft gebildet. Mit Schlieben-Lange (1983, 28) lassen sich Diskursgemeinschaften
Für eine ausführliche vergleichende Betrachtung der verschiedenen Konzeptualisierungen cf. Richter (2015, 39–64). Einen Überblick über verschiedene Konzeptualisierungen der communauté discursive in der analyse du discours französischer Prägung bietet Maingueneau (2002a); für einen Überblick über das Konzept der discourse community im anglophonen Raum cf. Borg (2003); für die germanistische Forschung, in der dem Konzept bislang vergleichsweise wenig Beachtung geschenkt wurde, cf. zusammenfassend Busse (2014). Zu Diskursgemeinschaften in der romanistischen Diskursforschung cf. u.a. SchliebenLange (1983, 28, 80, 139); Coseriu (1988/2007, 86); Koch (1997, 49; 2008, 55); Wilhelm (2001, 473; 2011a; 2011b); Lebsanft (2005, 32; 2006b, 532, 535–537; 2015a, 107–110); Schrott (2014, 29–36); Lebsanft/Schrott (2015a, 23).
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als soziale oder kulturelle Gemeinschaften auffassen, die Träger gemeinsamer Diskurstraditionen sind (cf. auch Koch 1997, 49), zum Beispiel «Institutionen, Berufsgruppen, Dichterschulen» (Schlieben-Lange 1983, 80). Diskursgemeinschaften sind damit zweifach determiniert: durch soziale und/oder kulturelle Gemeinsamkeiten auf der einen Seite und durch sprachliche Gemeinsamkeiten auf der anderen. Dieser Grundgedanke prägt nicht nur die Konzeptualisierung von Diskursgemeinschaften in der Diskurstraditionenforschung, sondern findet sich auch in der Diskursforschung im frankophonen und anglophonen Raum wieder. So definiert etwa Maingueneau (2002a, 105) die communauté discursive im weiteren Sinne253 als «toute communauté de communication restreinte organisée autour de la production de discours, quelle qu’en soit la nature: journalistique, scientifique, etc. Leurs membres partagent un certain nombre de modes de vie, de normes, etc.». Eine auf diese Weise konzeptualisierte communauté discursive verfügt einerseits über geteilte Lebensweisen («modes de vie») und Normen («normes») und damit über soziale und kulturelle Gemeinsamkeiten und andererseits über gemeinsame kommunikative Praktiken («production de discours, quelle qu’en soit la nature») und damit über Gemeinsamkeiten im Sprachgebrauch. So zeichnen sich etwa die von Maingueneau als Beispiel angeführte journalistische oder wissenschaftliche Diskursgemeinschaft dadurch aus, dass ihre Mitglieder jeweils einer gemeinsamen Berufsgruppe angehören und Texte mit gleicher oder ähnlicher Finalität produzieren. In der in der anglophonen Diskursforschung dominierenden Konzeptualisierung von discourse communities nach Swales (1990) wird insbesondere der gemeinsame Sprachgebrauch der Mitglieder einer Diskursgemeinschaft hervorgehoben, wenn discourse communities über den Gebrauch gemeinsamer Textsorten («genres») und einer spezifischen Lexik definiert werden: «[…] 4. A discourse community utilizes and hence possesses one or more genres in the communicative furtherance of its aims. […] 5. In addition to owning genres, a discourse community has acquired some specific lexis».254 Verallgemeinernd lässt sich somit festhalten, dass das Konzept der Diskursgemeinschaft grundsätzlich auf der Idee der «Abhängigkeit
Davon unterscheidet er eine communauté discursive im engeren Sinne, cf. infra. Dies sind zwei der sechs konstitutiven Merkmale von discourse communities nach Swales (1990, 471–473). Die übrigen lauten: «1. A discourse community has a broadly agreed set of common public goals. […] 2. A discourse community has mechanisms of intercommunication among its members. […] 3. A discourse community uses its participatory mechanisms primarily to provide information and feedback. […] 6. A discourse community has a threshold level of members with a suitable degree of relevant content and discoursal expertise».
3.6 Akteure
197
des Sprachgebrauchs von der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe» (so Busse 2014, 108 in Anlehnung an Olsen 1993) beruht. Das auf diese Weise bestimmte Konzept der Diskursgemeinschaft lässt sich auf verschiedene Weise auf den Bereich der Politik anwenden. Im allgemeinsten Sinne kann die Gesamtheit der politischen Akteure als Diskursgemeinschaft aufgefasst werden. Diese definiert sich einerseits über soziale Gemeinsamkeiten, nämlich die Tatsache, dass sie politische Funktionsträger sind,255 und andererseits über sprachliche Gemeinsamkeiten, nämlich dass sie gemeinsame Diskurstraditionen ausüben. Als politische Diskurstraditionen können politische Textsorten gelten (cf. Lebsanft 2006b, 535; zu Textsorten im Bereich der Politik cf. Klein 2000; 2001). Darüber hinaus lassen sich im Bereich der Politik weitere Diskursgemeinschaften ausmachen, die jeweils Teilmengen der Diskursgemeinschaft der politischen Akteure in ihrer Gesamtheit darstellen. Dazu zählen zum Beispiel politische Bewegungen (cf. Koch 1997, 49), politische Parteien (cf. Becker 2004, 43–44; Lebsanft 2006b, 535) und politische Institutionen (cf. das von Schlieben-Lange 1983, 80 für Diskursgemeinschaften angeführte Beispiel der Institutionen). In sozialer Hinsicht eint diese Diskursgemeinschaften nicht nur, dass die ihr zugehörigen Akteure politische Funktionsträger sind, sondern dass sie darüber hinaus eine gemeinsame Position vertreten, die sich von der Position anderer Diskursgemeinschaften unterscheidet, oder dass sie sogar Mitglied einer formalen Vereinigung sind. Die sprachlichen Gemeinsamkeiten dieser Diskursgemeinschaften können sich neben der Verwendung politischer Textsorten auch auf weitere Bereiche der Sprache erstrecken, z.B. Lexik, Metaphern, Topoi und Argumentationsmuster. Gemeinsamkeiten im Sprachgebrauch in diesen Bereichen sind – unabhängig davon, ob sie bewusst oder unbewusst zum Einsatz kommen – Ausdruck der gemeinsamen Position einer politischen Partei, Bewegung oder Institution.256 Dies kann zu spezifisch parteipolitischen Ausprägungen politischer Textsorten führen, für die Grundsatz-, Partei- und Wahlprogramme als «Orte der gruppenspezifischen Festschreibung kollektiver Identitäten» prädestiniert sind (cf. Becker 2004, 44).
Dem liegt die in Kapitel 2.7.1 in Anlehnung an Dieckmann (1969/1975) vorgenommene Bestimmung von politischem Sprachgebrauch zugrunde, der zufolge politischer Sprachgebrauch im engeren Sinne als Sprachgebrauch politischer Funktionsträger definiert wurde. Diese Diskursgemeinschaft koinzidiert damit in gewisser Weise mit dem von Schlieben-Lange (1983, 80) und Koch (1997, 49) genannten Kriterium des gemeinsamen Berufs. Dies gilt in besonderem Maße für den Bereich der Lexik; eben darin wurzelt die Relevanz des Wortkampfs für die Politik (cf. Kapitel 2.7.2).
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
Dass politische Institutionen, Bewegungen oder Parteien als Diskursgemeinschaften aufgefasst werden können, lässt sich nicht nur im Rahmen der romanistischen Diskurstraditionenforschung begründen, sondern entspricht in besonderem Maße auch der Konzeptualisierung von Diskursgemeinschaften, wie sie u.a. in der französischen und der germanistischen Diskursforschung vertreten werden. So definiert Maingueneau (2002a, 105) die communauté discursive im engeren Sinne als ein Kollektiv, das eine gemeinsame Position vertritt, die innerhalb des «diskursiven Felds» mit anderen konkurriert, und nennt sogar explizit die politische Partei als Beispiel: «Dans cette perspective, la notion de communauté discursive permet surtout de caractériser les locuteurs relevant de positionnements (un journal, un parti politique, une école scientifique…) qui sont concurrents dans un même champ discursif» (Maingueneau 2002a, 105; Hervorhebungen im Original). Spitzmüller und Warnke verwenden den Terminus Diskursgemeinschaften in Anlehnung an den soziolinguistischen Begriff der Sprachgemeinschaft und an Foucaults (2010) Begriff der Diskursgesellschaft (frz. société de discours, cf. Foucault 1971) zur Bezeichnung von «Gruppierungen, die innerhalb des Diskurses mehr oder weniger ähnlichen diskursiven Praktiken verpflichtet sind bzw. sich als Kollektiv zu erkennen geben» (Spitzmüller/Warnke 2011, 181; cf. auch Warnke/Spitzmüller 2008b, 34–35). Ihre Konzeptualisierung weist insofern eine Schnittmenge mit der oben beschriebenen auf, als dass sie die Diskursgemeinschaft als ein Kollektiv begreifen, das eine gemeinsame Position vertritt: «Akteure agieren nicht selten in Gemeinschaften und nutzen dabei ihre Pluralität zur Stützung von Positionen» (Spitzmüller/Warnke 2011, 181).257 Im Hinblick auf das Konzept der Diskursgemeinschaft werden verschiedene Aspekte kontrovers diskutiert, die für ein vertieftes theoretisches Verständnis derselben von zentraler Bedeutung sind. Diese sollen im Folgenden in fünf Punkten erläutert werden. (i) Werden Diskursgemeinschaften über soziale bzw. kulturelle Gemeinsamkeiten sowie Gemeinsamkeiten im Sprachgebrauch definiert, stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis diese zu einander stehen. Aufschluss darüber gibt Coseriu, wenn er das Konzept der Diskursgemeinschaft in Abgrenzung zu demjenigen der Sprachgemeinschaft entwirft und die Verschiedenheit von Diskurs- und
Die Positionen, die Akteure innerhalb eines Diskurses einnehmen, stellen bei Spitzmüller/Warnke (2011, 172–187) neben den Interaktionsrollen und der Medialität eine von drei Kategorien der diskurslinguistischen Akteursanalyse dar.
3.6 Akteure
199
Sprachgemeinschaften auf den unterschiedlichen historischen Status von Einzelsprachen und Diskurstraditionen zurückführt:258 «Die Ebene der Texte ist jedoch nicht in dem Sinn historisch wie die Ebene der Einzelsprachen. Die Sprachgemeinschaften gelten nämlich gerade wegen des Sprachlichen als Gemeinschaften, z.B. die deutsche oder die französische Sprachgemeinschaft. Es gibt zwar auch bei Texten oder Textsorten Gemeinschaften. Sie sind es aber nicht deshalb, weil sie bestimmte Texte oder Textsorten verwenden. Es ist gerade umgekehrt: Sie sind zuerst Gemeinschaften, und eben deshalb verwenden sie diese oder jene Texte. Es gibt beispielsweise Texte, die nur Priester verwenden. Die Priester bilden aber nicht deshalb eine Gemeinschaft, weil sie diese Texte verwenden, sondern sie verwenden die Texte, weil sie Priester sind. Allenfalls kann man Gemeinschaften dadurch erschließen, daß man die gemeinsame Verwendung bestimmter Texte als Indiz nimmt» (Coseriu 1988/2007, 86).
Demzufolge begründet eine Einzelsprache eine Sprachgemeinschaft, eine Diskurstradition hingegen beruht auf einer Diskursgemeinschaft, begründet diese aber nicht. So wäre ein Sprecher, da er eine bestimmte Sprache spricht, Mitglied der entsprechenden Sprachgemeinschaft; im Gegenzug wäre er jedoch nicht, da er eine bestimmte Diskurstradition ausübt, Mitglied dieser Diskursgemeinschaft, sondern weil er dieser Diskursgemeinschaft angehört, übt er die entsprechenden Diskurstraditionen aus. Beispielsweise gehört jemand der Diskursgemeinschaft der politischen Akteure an, da er von Beruf zum Beispiel Abgeordneter ist, nicht etwa, weil er Plenardebatten führt; das Gegenteil ist der Fall: Weil er Abgeordneter ist, führt er Plenardebatten. Wie bereits Schlieben-Lange (1983, 28) in Anlehnung an Goffman (1971) betont, zeichnen sich Diskursgemeinschaften also in erster Linie durch soziale und kulturelle Gemeinsamkeiten aus; Diskursgemeinschaften sind primär sozial und kulturell und nur sekundär sprachlich determiniert (cf. auch Lebsanft 2015a, 109). (ii) Während der Unterschied in der Historizität von Sprach- und Diskursgemeinschaften noch allgemeiner Konsens in der romanistischen Diskurstraditionenforschung zu sein scheint,259 wird das Verhältnis von Diskurstraditionen zu Diskursgemeinschaften kontrovers diskutiert.260 Mit Lebsanft (2015a, 109) ist davon auszugehen, dass es keine «Korrelation von Diskursgemeinschaften und Diskurstraditionen» geben kann, da nicht «jeder einzelnen Diskurstradition
Albrecht (2003, 50) spricht in Bezug auf Diskurstraditionen daher von einer «Historizität aus zweiter Hand»; cf. auch Kabatek (2015). Zustimmend äußern sich u.a. Lebsanft (2005, 32; 2006b, 535–536; 2015a, 105), Koch (2008, 55), Wilhelm (2011b, 126) und Schrott (2014, 32). Zu dieser Diskussion cf. Lebsanft (2006b, 535–537; 2015a, 104–110); Wilhelm (2011b, 124–126, 129–130); Schrott (2014, 29–32).
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
(oder Bündeln von Diskurstraditionen) eine eigene Form von Gemeinschaft» entspricht. Zwar können kommunikative Praktiken ebenfalls zur Gemeinschafts- und Identitätsstiftung beitragen, wie Wilhelm (2011b) anhand der Scientific Community zeigt, doch wirken sie nicht im selben Maße identitätsstiftend wie eine gemeinsame Sprache.261 Diskurstraditionen vermögen vielmehr bereits bestehende Identität zu stärken denn genuin neue Identität zu stiften (cf. Lebsanft/Schrott 2015a, 37–39). (iii) Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Sprach- und Diskursgemeinschaften gilt, dass der gesellschaftliche Skopus einer Diskursgemeinschaft eine Sprachgemeinschaft sowohl unter- als auch überschreiten kann; nur in den seltensten Fällen sind Diskurs- und Sprachgemeinschaften deckungsgleich (cf. SchliebenLange 1983, 28, 139; Koch 1997, 49; Lebsanft 2006b, 535; Schrott 2014, 30–31). So ist etwa die Gesamtheit der politischen Akteure eine sehr große, Sprachgemeinschaften übergreifende Diskursgemeinschaft, wohingegen eine politische Partei eine deutlich kleinere Diskursgemeinschaft ist, die nur einen kleinen Teil einer Sprachgemeinschaft umfasst. (iv) Was die Beschaffenheit von Diskursgemeinschaften angeht, ist festzuhalten, dass Diskursgemeinschaften im Gegensatz zu Sprachgemeinschaften lockerer verbunden und schwächer konturiert sind und sich auf unterschiedliche Weise überlagern können; sie bilden «nur im Ausnahmefall ein klar abgrenzbares Kollektiv […], dessen Geschichte man erzählen kann» (Lebsanft/Schrott 2015a, 38; cf. auch Schrott 2014, 30–31). Die Stärke der Verbundenheit und der Konturiertheit ergeben sich in Abhängigkeit von der Anzahl der Gemeinsamkeiten, über die sich eine Diskursgemeinschaft definiert, und dem Grad der identitätsstiftenden Wirkmacht derselben. So ist etwa eine politische Partei deutlich stärker verbunden und konturiert als die Diskursgemeinschaft der politischen Akteure in ihrer Gesamtheit.262 Dass sich Diskursgemeinschaften auf unterschiedliche Weise überlagern können, ist u.a. darauf zurückzuführen, dass ein Akteur verschiedenen
Die gemeinschafts- und identitätsstiftende Kraft einer gemeinsamen Sprache kommt auch in der zentralen Rolle, die sie bei der Bildung von Nationalstaaten spielt, zum Ausdruck. Zur Sprachgemeinschaft und der gemeinschafts- und identitätsstiftenden Funktion von Sprache cf. Raith (2004) und Williams (2004). Diese starke Verbundenheit und Konturiertheit politischer Parteien als Diskursgemeinschaften manifestiert sich auch immer wieder in dem Problem des Ausschlusses eines Parteimitglieds aus einer Partei. Man denke nur an Fälle wie Thilo Sarrazin (2020 aus der SPD ausgeschlossen), Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen), Björn Höcke (AfD) oder Jean-Marie Le Pen (2015 aus dem FN ausgeschlossen).
3.6 Akteure
201
Diskursgemeinschaften zugleich angehören kann (cf. Wilhelm 2011a, 164). Um diese Unterschiede in der Beschaffenheit zwischen Diskurs- und Sprachgemeinschaften auch ausdrucksseitig kenntlich zu machen, schlägt Schrott (2014, 30) vor, «in Absetzung von den Sprachgemeinschaften» von «diskurstraditionelle[n] bzw. traditionelle[n] Konfigurationen» zu sprechen. Im Hinblick auf die Beschaffenheit der Diskursgemeinschaften weist die romanistische Konzeptualisierung eine gewisse Schnittmenge mit derjenigen von Spitzmüller/Warnke (2011, 181–182) auf, die Diskursgemeinschaften «nicht als homogene Gruppen, sondern als dynamische, vernetzte Gebilde» (Spitzmüller/Warnke 2011, 181) begreifen.263 Wenn von einer vielfältigen Überlappung von Diskursgemeinschaften ausgegangen wird, so impliziert dies zwangsläufig eine Vernetztheit und legt auch eine gewisse Dynamizität nahe, da ein Akteur nicht nur mehreren Diskursgemeinschaften zugleich angehören kann, sondern sich auch seine Zugehörigkeit zu Diskursgemeinschaften im Laufe der Zeit verändern kann. (v) Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen individuellen Akteuren und der Diskursgemeinschaft, der sie angehören, gilt grundsätzlich, dass individuelle Akteure als Repräsentanten der Diskursgemeinschaft agieren, doch ist dabei häufig weder das Kollektiv, als dessen Repräsentant das Individuum agiert, intensional und extensional klar bestimmt, noch ist die genaue Relation, in der ein Individuum zum Kollektiv steht, in der Regel vollumfänglich transparent. In der Politik etwa agieren individuelle politische Akteure häufig als Repräsentanten einer Diskursgemeinschaft, zum Beispiel einer politischen Partei, Bewegung oder Institution.264 Dennoch bleibt häufig unklar, wie dieses Kollektiv tatsächlich bestimmt ist. Dies kommt insbesondere in der Verwendung des Pronomens wir zum Ausdruck, dessen Referenz in der Regel opak ist, aber auch nicht aufgelöst, sondern strategisch genutzt wird: «Wer dieses Wir ist, wie groß es ist, welches Gewicht es de facto hat, bleibt dabei unklar, eine Diskursgemeinschaft mit einheitlicher Stimme und gemeinsamen Zielen wird damit jedoch zumindest suggeriert» (Spitzmüller/Warnke 2011, 181; Hervorhebungen im Original). Auch wenn ein individueller Akteur folglich als Repräsentant eines Kollektivs agiert bzw. sich als solcher inszeniert, kann daraus nicht geschlossen werden, dass tatsächlich die Gesamtheit dieses Kollektivs seine Position vertritt.
Ein zentraler Unterschied zwischen beiden Konzeptualisierungen besteht jedoch darin, dass das Konzept der Diskursgemeinschaft bei Spitzmüller/Warnke konstruktivistisch perspektiviert wird, da Diskursgemeinschaften hier letztlich als «Resultate von […] Identitätszuschreibungen» (Spitzmüller/Warnke 2011, 181) begriffen werden. Dies manifestiert sich zum Beispiel in Interviewerfragen wie «Sprechen Sie für Ihre Partei?» oder «Ist das in Ihrer Partei mehrheitsfähig?».
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3 Diskurs – Pragmatik – Kognition: Theoretische Grundlagen
Das Konzept der Diskursgemeinschaft kann auf verschiedene Weise für die Untersuchung von Agonalität fruchtbar gemacht werden. Ausgehend von dem Verständnis von Agonalität als kompetitive Opposition zwischen zwei oder mehr Perspektivierungen, die von verschiedenen Akteuren vertreten werden, besteht mittelbar auch eine kompetitive Opposition zwischen den Akteuren, deren Perspektivierungen divergieren. Diese Akteure können wiederum verschiedenen Diskursgemeinschaften angehören, sodass auch diese Diskursgemeinschaften mittelbar in Konkurrenz zueinander treten. Das Konzept der Diskursgemeinschaft erlaubt es somit, Situationen der Konkurrenz zwischen zwei oder mehr Kollektiven zu erfassen; jedes Kollektiv vertritt dabei eine gemeinsame Position und die verschiedenen Positionen der jeweiligen Kollektive treten dann in Konkurrenz zueinander. Konkurrenz zwischen Diskursgemeinschaften entsteht insbesondere dann, wenn – wie in den Begriffsbestimmungen Maingueneaus und Spitzmüller/Warnkes (cf. supra) deutlich wird – zwei oder mehr in irgendeiner Form aufeinander bezogene Diskursgemeinschaften unterschiedliche Positionen vertreten. Ein Paradebeispiel für derart konkurrierende Diskursgemeinschaften sind politische Parteien. Nicht nur hat die Partei als «politische Organisation mit einem bestimmten Programm, in der sich Menschen mit gleichen politischen Überzeugungen zusammengeschlossen haben, um bestimmte Ziele zu verwirklichen», (Duden, s.v. Partei) bereits institutionalisierte Form angenommen, sondern beruht das Konzept der Partei in demokratischen Systemen geradezu auf der Prämisse, dass es einen Pluralismus an Parteien gibt,265 die sich automatisch in einer Situation der Konkurrenz befinden. Bei der Untersuchung von Agonalität geht es bezogen auf Diskursgemeinschaften als kollektive Akteure – analog zu individuellen Akteuren – folglich darum, zu untersuchen, welcher Diskursgemeinschaft es auf welche Weise gelingt, ihre Perspektivierung im Diskurs dominant zu setzen. Die Diskursgemeinschaft, der dies gelingt, fungiert als ideology broker (cf. auch Spitzmüller/Warnke 2011, 182). Insgesamt ist festzuhalten, dass das Konzept der Diskursgemeinschaft in vielfacher Hinsicht von großem Mehrwert für die Untersuchung von agonalen Diskursen im Allgemeinen und von agonalen Diskursen im Bereich der Politik im Besonderen ist. In Kapitel 6.3 wird dies am Beispiel der Akteure im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 veranschaulicht.
Dies indiziert nicht zuletzt die Etymologie: dt. Partei < lat. PARS, PARTIS ʻ(An-)Teilʼ (cf. Duden, s.v. Partei).
4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse Ziel des vorliegenden Kapitels ist die Entwicklung eines methodischen Ansatzes zur Analyse agonaler Diskurse. Der methodische Ansatz dient der Operationalisierung des theoretischen Ansatzes; er sollte daher einerseits im Einklang mit dem zuvor entwickelten theoretischen Ansatz stehen und andererseits einen adäquaten Rahmen für die Analyse der sprachlichen Daten darstellen. In diesem Sinne bildet das vorliegende Kapitel das «Scharnier» zwischen dem theoretischen (Kapitel 2 und 3) und dem anwendungsbezogenen (Kapitel 5 und 6) Teil der Arbeit. Zunächst wird ein Überblick über die Heuristik geboten, die auf dem Dreischritt Erhebung – Aufbereitung – Auswertung beruht (Kapitel 4.1). Der letzte Schritt, die Datenauswertung, wird in den beiden darauffolgenden Unterkapiteln differenzierter ausgearbeitet, indem zunächst die der Auswertung zugrunde liegenden methodologischen Grundprinzipien erläutert werden (Kapitel 4.2), um im Anschluss daran die spezifischen Analyseansätze für die Korpusanalyse zu explizieren (Kapitel 4.3). Abschließend werden die Ausführungen in einer ausdifferenzierten Heuristik zusammengeführt, die in Abbildung 10 visualisiert wird (Kapitel 4.4).
4.1 Erhebung, Aufbereitung, Auswertung: Die Heuristik im Überblick Ziel der zu entwickelnden Heuristik ist es, empiriegestützt sprachliche Realisationen von Agonalität zu ermitteln, diese zu deuten und damit Erkenntnisse über Manifestationen von Agonalität in spezifischen Diskursen zu erlangen. Die empirische Fundierung, die im Einklang mit dem in Kapitel 3.3 aus theoretischer Perspektive entwickelten, gebrauchsbasierten diskursanalytischen Ansatz steht, setzt folgenden heuristischen Dreischritt voraus, der für empirisches Arbeiten in der Sprachwissenschaft allgemein charakteristisch ist: 1. Datenerhebung: Zunächst werden die Daten, die Gegenstand der Untersuchung sein sollen, erhoben. Konkret wird dafür ein Korpus erstellt, das nach bestimmten Kriterien zusammengesetzt ist und alle Texte, die Gegenstand der Analyse sind, enthält (cf. Kapitel 5.2).
https://doi.org/10.1515/9783110981537-004
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4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
2. Datenaufbereitung: Für die Datenaufbereitung werden die Daten zunächst fixiert, d.h. in einem für die Analyse geeigneten Format festgehalten, z.B. durch die Transkription mündlicher Daten (cf. Kapitel 5.3).266 Darauf folgt ihre Annotation. Als Annotation wird in der Korpuslinguistik die Anreicherung der Primärdaten mit zusätzlichen Informationen bezeichnet: «It [= corpus annotation] can be defined as the practice of adding interpretative, linguistic information to an electronic corpus of spoken and/or written language data» (Leech 1997, 2; Hervorhebung im Original). In der Korpuslinguistik haben sich dafür gewisse Annotationsstandards herausgebildet (für einen Überblick cf. Lehmberg/Wörner 2008). Im Fall der vorliegenden Untersuchung wurden eine Annotation der Primärdaten mit Metadaten (cf. Kapitel 5.3) und eine funktional-pragmatische Annotation des Korpus vorgenommen (cf. Kapitel 4.3.2). Auf eine Lemmatisierung sowie die Annotation von Wortarten (POS-tagging) und syntaktischen Konstituenten (parsing) wurde verzichtet, da sich dies im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse als nicht notwendig und teilweise sogar hinderlich erweist. So geht insbesondere mit der Lemmatisierung auch ein Informationsverlust einher, da gerade die Verwendung einer bestimmten Flexionsform entscheidend sein kann für die Interpretation des in Frage stehenden Ausdrucks (cf. Mayaffre 2005b, 8–9; Bubenhofer 2009, 124–129).267 3. Datenauswertung: Der letzte und umfassendste Schritt ist die Datenauswertung, d.h. die Analyse und Interpretation der sprachlichen Daten. Die Datenauswertung folgt verschiedenen methodologischen Grundprinzipien, die sich aus dem theoretischen Ansatz sowie dem verfolgten Erkenntnisinteresse ergeben und das methodische Vorgehen im Ganzen prägen. Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Prinzipien erfolgt die konkrete Analyse, der verschiedene Analyseansätze zugrunde liegen. Den methodologischen Grundprinzipien sowie den Analyseansätzen sind die beiden folgenden Unterkapitel gewidmet.
Im Fall der vorliegenden Arbeit liegen die medial mündlichen Primärdaten als Videodatei (.mp4) sowie als Transkription (.eaf- und .txt) vor; die medial schriftlichen Primärdaten ausschließlich als Textdatei (.pdf und .txt). Bereits Sinclair (1991, 8) hat für die Aufwertung von Wortformen (statt Lemmata) als Analyseeinheit argumentiert: «There is a good case for arguing that each distinct form is potentially a unique lexical unit, and that forms should only be conflated into lemmas when their environments show a certain amount and type of similarity». So weisen beispielsweise die Kookkurrenzprofile der Singularform Ohr und der Pluralform Ohren, wie Steyer (2011, 224–228) eindrücklich vor Augen führt, erhebliche Unterschiede auf.
4.2 Methodologische Grundprinzipien
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4.2 Methodologische Grundprinzipien Der hier entwickelte methodische Ansatz folgt im Kern vier Grundprinzipien. Erstens plädiere ich im Anschluss an Klein (2006) und Lebsanft (2018) für eine hermeneutisch-pragmatische Analyse politischer Diskurse (Kapitel 4.2.1). Zweitens spreche ich mich dafür aus, Diskursanalyse als Mehrebenenanalyse zu betreiben, und lege unter Rückgriff auf verschiedene diskursanalytische Mehrebenenmodelle ein entsprechendes Modell zugrunde (Kapitel 4.2.2). Drittens wird für eine Kombination quantitativer und qualitativer Verfahren plädiert (Kapitel 4.2.3). Das vierte und letzte Grundprinzip gründet in der Annahme der Musterhaftigkeit des Sprachgebrauchs und betrifft das damit verbundene Ziel, sprachliche Muster im Text bzw. Diskurs zu analysieren (Kapitel 4.2.4).
4.2.1 Für eine hermeneutisch-pragmatische Analyse politischen Sprachgebrauchs Auf der Grundlage des in Kapitel 3 entwickelten theoretischen Ansatzes einer hermeneutisch und pragmatisch fundierten Diskursanalyse sowie im Anschluss an Klein (2006; 2007) und Lebsanft (2018) wird im vorliegenden Kapitel in methodischer Hinsicht für eine hermeneutisch und pragmatisch fundierte Analyse politischen Sprachgebrauchs plädiert. Klein (2006) betrachtet – so der programmatische Titel seines Aufsatzes – Pragmatik und Hermeneutik als Gelingensbedingungen für Politolinguistik. Den Zusammenhang zwischen Pragmatik und Hermeneutik führt er auf die Kategorie des Sinns zurück: «Gegenstand der Pragmatik ist das Handeln, Gegenstand der Hermeneutik das Verstehen. Handeln ist menschliches Verstehen unter Sinnzuschreibung. Sinnzuschreibung aber ist identisch mit Verstehen. Daher gehören die Begriffe des Handelns und des Verstehens zusammen» (Klein 2006, 17). Dies ist gerade für politischen Sprachgebrauch von besonderer Relevanz, da hier Fragen der Sinnzuschreibung, des Verstehens, aber auch des Missverstehens eine zentrale Rolle spielen: «Undeutlichkeiten und Mehrdeutigkeiten im kommunikativen Handeln auf der einen, ideologisch und strategisch geleitetes Verstehen und Missverstehen auf der anderen Seite prägen politische Kommunikation in einem Maße, dass die Politolinguistik ihren Gegenstand verfehlen würde, wenn sie nicht zumindest auf der Analyseebene Ressourcen aus beiden ‹Disziplinen› in Anspruch nehmen würde» (Klein 2006, 17).
Auch Lebsanft (2018, 39) plädiert für «die Wiederaufnahme hermeneutischer und pragmatischer Methoden bei der Sinnentschlüsselung politischer Texte».
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4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
Die Analyse politischen Sprachgebrauchs begreift er dabei, in Weiterführung des Coseriu’schen Ansatzes, als «eine Linguistik des ‹Sinns› politischer Diskurse bzw. Texte und ihrer Traditionen» (Lebsanft 2018, 19). Damit steht auch hier die Kategorie des Sinns im Zentrum der Forderung eines hermeneutischpragmatischen Ansatzes.268 Für das konkrete methodische Vorgehen hat die hermeneutisch-pragmatische Ausrichtung zur Konsequenz, die Textanalyse als Basis der Diskursanalyse – so der programmatische Titel von Gardt (2013) – zu begreifen. Sinn – so wie er in Kapitel 3.5.1 definiert wurde – konstituiert sich in Texten, weshalb der Sinn nur durch die Analyse von Texten erschlossen werden kann. Die Textanalyse kann dabei an der Textoberfläche ansetzen und mit der Beschreibung der zu beobachtenden Phänomene beginnen, doch geht es in einem zweiten Schritt immer auch darum, diese Phänomene zu interpretieren und zu erklären. Beschreiben und Erklären wirken bei der Textanalyse stets zusammen.269 «Textanalyse als Basis der Diskursanalyse» zu begreifen, bedeutet daher nicht nur, dass der Ausgangspunkt der Diskursanalyse in der Analyse konkreter Texte besteht, sondern auch, dass eine der Hauptaufgaben der Diskursanalyse darin besteht, den Sinn von Texten bzw. Diskursen zu erschließen. Diskursanalyse ist daher stets hermeneutischinterpretativ ausgerichtet. Indem Textanalyse als Basis der Diskursanalyse aufgefasst wird, wird nicht nur der Forderung einer hermeneutisch und pragmatisch fundierten Analyse politischer Diskurse Rechnung getragen, sondern auch der aus theoretischer (Kapitel 3.3) wie methodischer (Kapitel 4.1) Perspektive formulierten Forderung nachgekommen, dass Diskursanalyse stets gebrauchsbasiert bzw. empiriegestützt sein
Während der Begriff des Sinns bei Coseriu und damit bei Lebsanft in einer allgemeinen Theorie des Sprechens verortet und auf dieser Grundlage in Abgrenzung zu Bezeichnung und Bedeutung präzise definiert wird (cf. Kapitel 3.3.1), bleibt bei Klein eine vergleichbar klare Bestimmung des Sinnbegriffs aus. Es findet sich lediglich der oben wiedergegebene Hinweis darauf, dass «Sinnzuschreibung […] identisch mit Verstehen» sei, sowie ein Verweis auf den «‹sinnvollen› Handlungsbegriff» nach Holly/Kühn/Püschel (1984). Diese wiederum verweisen bezüglich des Sinnbegriffs auf Alfred Schütz, der Sinn immer als einen prädizierten Sinn begreife (cf. Holly/Kühn/Püschel 1984, 289; zu Schütz’ Theorie der Sinnhaftigkeit sozialen Handelns cf. auch Kapitel 3.5.1). Wenngleich sich hier insofern eine Parallele zum Coseriu’schen Sinnbegriff aufzutun scheint, als dass dieser den Sinn als objektiv gegeben auffasst, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Sinnbegriffe Kleins und Lebsanfts deckungsgleich sind. Chomskys dichotomische Konzeption von beschreibender und erklärender Sprachwissenschaft (descriptive vs. explanatory) (cf. z.B. Chomsky 1966, 52–55) wird von Gardt (2003, 278, 282) daher zu Recht kritisiert, da sie zwar theoretisch, nicht aber in Bezug auf das konkrete sprachwissenschaftliche Arbeiten nachvollziehbar sei.
4.2 Methodologische Grundprinzipien
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sollte: Die Texte, die Gegenstand der Textanalyse sind, stellen eben diese empirische Datengrundlage dar. Eine verbreitete Form der Datengrundlage in diskursanalytischen Arbeiten sind Korpora. Korpora samt zugehöriger Software schaffen nicht nur die Basis für die Textanalyse, sondern sind auch ein geeignetes Mittel für die Operationalisierung einer hermeneutisch-pragmatischen Herangehensweise, da sich auf ihrer Grundlage sowohl aus hermeneutischer Perspektive die Konstituierung von Sinn untersuchen lässt – Haß (2007) spricht in diesem Zusammenhang von Korpus-Hermeneutik – als auch aus pragmatischer Perspektive Strukturen sprachlichen Handelns in den Blick genommen werden können, eine Aufgabe, der sich die sogenannte Korpuspragmatik verschrieben hat (cf. Felder/ Müller/Vogel 2012b; Aijmer/Rühlemann 2015). Dies gilt auch für die Analyse audiovisueller Kommunikate (cf. Holly 2007), die einen Großteil des Korpus der vorliegenden Arbeit ausmachen. Um die Vielfalt der Phänomene, die im Kontext einer hermeneutischpragmatischen Analyse eine Rolle spielen können, systematisch zu erfassen, können Mehrebenenmodelle einen geeigneten methodologischen Rahmen bieten.
4.2.2 Diskursanalyse als Mehrebenenanalyse Die Arbeit mit Mehrebenenmodellen ist (nicht nur) in der Diskursanalyse weit verbreitet.270 Dies gilt insbesondere für die Germanistik, in der verschiedene Mehrebenenmodelle für die diskursanalytische Forschung entwickelt wurden. Bereits Busse (1987, 261–266) unterscheidet mehrere «Ebenen der Diskursanalyse» und auch Böke/Jung/Niehr/Wengeler (2000, 18–28) sprechen von verschiedenen «Analyseebenen» von Diskursen. Differenziert ausgearbeitet wurden in der germanistischen Diskursforschung u.a. folgende Mehrebenenmodelle: das von Gardt seit 2002 erarbeitete Textsemantische Analyseraster (TexSem) (cf. Gardt 2002, 128–129; 2008, 207–210; 2012b, 64–67; 2013, 48–50), das von Spieß entwickelte Modell einer polydimensionalen, diskurslinguistischen Mehrebenenanalyse (cf. Spieß 2008; 2011a, 185–195), die Diskurslinguistische Mehr-Ebenen-Analyse (DIMEAN) von Spitzmüller und Warnke (erstmals in Warnke/Spitzmüller 2008b, 23–45; in revidierter Fassung in Spitzmüller/Warnke 2011, 197–201) sowie das Untersuchungsprogramm der Pragma-semiotischen Textarbeit von Felder (in seinen Grundzügen entwickelt in Felder 2003, 203–219; systematisch ausgearbeitet in Felder 2012, 127–130; 2015, 91–97; 2018a, 22–29).
Mehrebenenmodelle finden zum Beispiel auch in der Textlinguistik (cf. Heinemann 2000, 536–538; Stede 2007/2018) und in der Semantik (cf. Schwarz 2002) Verwendung.
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4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
In der deutschsprachigen Romanistik werden derartige Modelle, insbesondere das Textsemantische Analyseraster von Gardt und das DIMEAN-Modell von Spitzmüller und Warnke, als «beeindruckend ausgearbeitete heuristische Instrumente» (Lebsanft/Schrott 2015a, 41) wahrgenommen (cf. auch Becker 2015a, 14 und Schafroth 2015, 62–65) und dienen zahlreichen text- bzw. diskursanalytischen Arbeiten als methodologischer Rahmen. Genuin romanistische Analysemodelle sind hingegen selten. Weiland (2020, 116–138) versucht, dieses Manko zu beheben, indem sie auf der Grundlage einer vergleichenden Betrachtung von germanistischen Modellen und Ansätzen aus dem frankophonen Raum sogenannte Analyseebenen als linguistische Zugriffsweisen auf Diskurse herausarbeitet. Als Ausgangspunkte fungieren dabei insbesondere das DIMEAN-Modell sowie das von Roulet/Filliettaz/Grobet (2001) erarbeitete Modèle et instrument d’analyse et d’organisation du discours. Für den frankophonen Raum ist neben dem französistischen «Genfer Modell zur modularen Analyse der Organisation von Texten»271 von Roulet, Filliettaz und Grobet das von Delmas (2012) entwickelte, germanistische Modell der Analyse pluridimensionnelle du discours zu nennen, das speziell auf die Analyse politischen Sprachgebrauchs ausgerichtet ist. All diesen Modellen ist gemeinsam, dass sie – wie die Bezeichnung Mehrebenenmodell zum Ausdruck bringt – mehrere Ebenen vorsehen. Dabei handelt es sich nicht, wie Busse (1987, 261) zu Recht hervorhebt, um «Ebenen des Diskurses», «sondern [um] verschiedene Perspektiven der Betrachtung, bzw. Ebenen der Analyse».272 Mehrebenenmodelle sind keine Modellierungen von Diskursen, sondern Modellierungen der Methodologie für die Analyse von Diskursen. Die Ebenen sind lediglich analytisch trennbar, im Diskurs hingegen sind die verschiedenen Phänomene stets mit- und ineinander verwoben. Die Wahl der Ebenen hängt – ebenso wie die mögliche Wahl von Subebenen sowie die weitere Ausgestaltung der Ebenen im Hinblick auf die Analysekategorien – unmittelbar vom zugrunde liegenden theoretischen Ansatz sowie vom Erkenntnisinteresse ab.273 Die oben genannten Modelle weisen folglich erhebliche Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Anzahl, die Natur sowie die Ausgestaltung der jeweiligen Analyseebenen auf. Als Grundlage für die vorliegende Untersuchung soll das DIMEAN-Modell von Spitzmüller und Warnke fungieren. Im Folgenden wird das Modell zunächst dargestellt, dann einer kritischen Diskussion unterzogen und schließlich auf die vorliegende Untersuchung angewandt. Dabei sei betont, dass das Die Formulierung stammt von Weiland (2020, 113). Cf. auch Spitzmüller/Warnke (2011, 135), die von verschiedenen «Ebenen der diskurslinguistischen Untersuchung» sprechen. Cf. auch Jacob (2017, 225).
4.2 Methodologische Grundprinzipien
209
DIMEAN-Modell zwar als methodologischer Rahmen fungiert, damit jedoch weder eine Übernahme sämtlicher theoretischer Konzeptualisierungen, die dem Modell zugrunde liegen, noch eine Übernahme der gesamten Terminologie einhergeht.274 Das von Spitzmüller und Warnke entwickelte Modell der Diskurslinguistischen Mehr-Ebenen-Analyse (DIMEAN) basiert auf einer Dreiteilung in intratextuelle Ebene, Akteursebene und transtextuelle Ebene (cf. Abbildung 8). Die intratextuelle Ebene ist der Textanalyse im engeren Sinne gewidmet und gliedert sich in die wort-, die propositions- und die textorientierte Analyse. Auf der intratextuellen Ebene werden z.B. Schlag- und Schlüsselwörter, syntaktische Muster und Sprechakte sowie Textsorten und -funktionen analysiert, womit zentrale Elemente der «klassischen» Textlinguistik aufgegriffen werden. Im Zentrum des Modells steht die Akteursebene. Sie bildet das «Scharnier» (Spitzmüller/Warnke 2011, 136) zwischen intra- und transtextueller Ebene, da die Akteure als sogenannter Text-Diskurs-Filter fungieren: Einerseits bestimmen die Akteure darüber, welche Aussagen überhaupt Eingang in den Diskurs finden, andererseits unterliegen sie aber auch den Regeln des Diskurses, da sie keine Äußerungen außerhalb des Diskurses treffen können (cf. Spitzmüller/Warnke 2011, 173–174). Die Akteursebene gliedert sich in die Analyse von Medialität, Diskurspositionen und Interaktionsrollen. Das eigentliche Spezifikum des DIMEAN-Modells aber stellt die transtextuelle Ebene dar. Transtextualität wird dabei als ein Phänomen jenseits textueller Grenzen definiert:275 «Eine transtextuelle Analyse ist dann transtextuell, wenn sie nicht nur einzelne bzw. vereinzelte Texte untersucht – was auch eine traditionelle Aufgabe der Rhetorik und Stilistik oder Textlinguistik sein könnte –, sondern wenn sie eine Mehrzahl, besser: Vielzahl von
Dies betrifft allen voran den zugrunde gelegten Diskursbegriff, aber auch den Akteursbegriff sowie zahlreiche weitere Aspekte. Zu den in der vorliegenden Arbeit verwendeten Konzeptualisierungen und Begrifflichkeiten und ihren Differenzen zu anderen Ansätzen cf. Kapitel 2 und 3. Wenn es bei Spitzmüller und Warnke heißt, dass die transtextuelle Ebene die «diskursorientierte Analyse» betrifft (cf. Abbildung 8), so ist zu bedenken, dass Spitzmüller und Warnke Diskurs ja gerade über Transtextualität definieren (cf. Kapitel 3.2.3). Der Diskurs wird somit auf der transtextuellen Ebene und oberhalb der textuellen Ebene verortet (cf. auch Warnke 2013, 85). Dies ist nicht kompatibel mit dem in dieser Arbeit zugrunde gelegten Diskursbegriff, der auf einer Ebene mit dem Textbegriff steht, sich von diesem jedoch in der Gegenüberstellung Tätigkeit vs. Produkt unterscheidet (cf. Kapitel 3.3.2). In diesem Sinne begreife ich den Diskurs nicht als oberste Ebene, sondern als quer zu den Ebenen der einzelsprachlichen Strukturierung stehend (diese Position vertritt z.B. auch Linke 2015, 69; cf. auch die Diskussion in Warnke 2015, 226–227). Das von Spitzmüller und Warnke geprägte Konzept der transtextuellen Ebene kann in der vorliegenden Arbeit übernommen, nicht aber mit der diskursorientierten Analyse gleichgesetzt werden.
210
4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
Texten bzw. Aussagen in verschiedenen Texten, verschiedenen Medien, von verschiedenen Akteuren usw. analysiert, und zwar eine Vielzahl, die strukturelle Übereinstimmungen und Handlungsbezüge aufweist» (Spitzmüller/Warnke 2011, 187–188).
Auf der transtextuellen Ebene ist z.B. die Analyse von Ideologien, diskurssemantischen Grundfiguren, Frames und Topoi sowie von Intertextualität zu verorten.
Transtextuelle Ebene
Diskursorientierte Analyse
[…] Ideologien, Gouvernementalität, Mentalitäten Historizität Indexikalische Ordnungen, Sozialsymbolik Diskurssemantische Grundfiguren Frames, Topoi Intertextualität
Intratextuelle Ebene
Diskursprägung
Diskursregeln
Akteure
Textorientierte Analyse
Medialität
– – – –
[…] Handlungsmuster Kommunikationsformen Medium
Diskurspositionen
– – – – – –
[…] Soziale Stratifizierung, Macht Diskursgemeinschaften Ideology brokers Voice Vertikalitätsstatus
Interaktionsrollen
– – –
[…] Rezipientenrollen Produzentenrollen
Visuelle Textstruktur
– – – –
[…] Text-Bild-Beziehungen Typographie Materialität
Makrostruktur: Textthema(ta)
– – – –
[…] Metaphernfelder Lexikalische Felder Isotopie- und Oppositionslinien Themenentfaltung Textfunktionen Textsorte
Mesostruktur: Themen in Textteilen
– – –
Abbildung 8: Die Diskurslinguistische Mehr-Ebenen-Analyse (DIMEAN) nach Spitzmüller/ Warnke (2011, 201).
4.2 Methodologische Grundprinzipien
Propositionsorientierte Analyse
Textuelle Mikrostruktur: Propositionen
– – – – – – –
Wortorientierte Analyse
Mehrwort-Einheiten Einwort-Einheiten
– – – – – – –
211
[…] Syntaktische Muster Rhetorische Tropen und Figuren Metaphernlexeme Deontische Bedeutung Implikaturen, Präsuppositionen Sprechakte […] Okkasionalismen Schlagwörter Schlüsselwörter Nomina continuativa Nomina appellativa, Nomina collectiva Nomina propria
Abbildung 8 (fortgesetzt)
Das DIMEAN-Modell zeichnet sich dadurch aus, dass es eine Vielzahl von Phänomenen und Analysegegenständen zu erfassen vermag, die sich zudem, wie die Auslassungszeichen in der rechten Spalte signalisieren, beliebig ergänzen lassen. Es versteht sich daher zu Recht als «methodologische Synthese zentraler diskurslinguistischer Phänomene und Analysegegenstände» (Spitzmüller/Warnke 2011, 197). Gleichzeitig solle die große Ausdifferenzierung des Modells nicht erschlagend wirken, sondern dazu einladen, je nach Untersuchungsgegenstand und Erkenntnisinteresse den Fokus auf ausgewählte Ebenen und Analysegegenstände zu setzen, weshalb sich das Modell durch eine große Operationalisierbarkeit auszeichnet. Wie die Verfasser betonen, begreifen sie das Modell «nicht als Methode, die schrittweise, konsekutiv, in der Folge der Darstellung, abzuarbeiten ist, sondern als methodologischen Rahmen der Diskurslinguistik» (Spitzmüller/ Warnke 2011, 135).276 Vor dem Hintergrund des Modells lassen sich die analysier-
Ähnlich argumentiert auch Gardt (2012b, 64) im Hinblick auf das Textsemantische Analyseraster: «Bei einer Analyse kann es nicht darum gehen, das Raster mehr oder weniger mechanisch abzuarbeiten. Eine Analyse mag ausschließlich auf den Textsortencharakter von Texten abheben, eine andere lediglich auf die Metaphorik, die Text-Bild-Relationen, die argumentative Struktur der Texte, die Varietätenspezifik der Lexik oder auf einen anderen Einzelaspekt.
212
4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
ten Phänomene wiederum systematisch in den Gesamtzusammenhang einordnen, weshalb sich das Modell auch durch eine besondere Systematizität und Strukturiertheit auszeichnet. Durch theoretisch hergeleitete und klar definierte Ebenen und Subebenen erlaubt das Modell, alle analysierten Phänomene systematisch zu verorten und miteinander in Bezug zu setzen. Das DIMEAN-Modell verfügt somit über zahlreiche Stärken, die unzweifelhaft zu dem großen Erfolg des Modells auch über die Grenzen der germanistischen Diskursforschung hinaus beigetragen haben, zeigt jedoch auch gewisse Schwächen. So ist aus typologischer Sicht eine Asymmetrie der Kategorien innerhalb der intratextuellen Ebene zu konstatieren: Während die Binnendifferenzierung der wortorientierten Analyse sprachstrukturelle Ebenen betrifft (Einwort-Einheiten und Mehrwort-Einheiten), wird bei der textorientierten Analyse ein Bezug zum Textthema hergestellt. Dies ist wohl auf die starke Themenorientierung der germanistischen Diskursanalyse zurückzuführen, die zwar in sich nicht problematisch ist, aber eine Vernachlässigung anderer möglicher Untersuchungsaspekte zur Folge hat (cf. Kapitel 3.3.2). Um das Problem der kategorialen Asymmetrie und zugleich auch das Problem des Übergewichts thematischer Aspekte zu lösen, schlage ich vor, das Textthema nicht als Analyseebene, sondern als Untersuchungsgegenstand zu begreifen und daher in die rechte Spalte des Modells zu verschieben (cf. Abbildung 9). Gleichzeitig möchte ich für eine Ausdifferenzierung der Wortebene plädieren. Ausgehend von der Feststellung, dass die Untergliederung der intratextuellen Ebene dem Grad der sprachlichen Komplexität der sprachlichen Beschreibungsebenen folgt, gilt, dass je nach Feingliedrigkeit des Modells unterschiedliche Analyseebenen angesetzt werden können. Zieht man dabei Coserius Textlinguistik heran, so fällt auf, dass hier eine deutlich stärkere Binnendifferenzierung vorgenommen wird, indem sechs «Ebenen der einzelsprachlichen Strukturierung»277 unterschieden werden: «Minimale Elemente (bedeutungstragende), Wort, Wortgruppe, ‹Klausel›, Satz, Text» (Coseriu 1980/1994, 30–32, hier 30; Hervorhebungen im Original).278 In Anlehnung an Coseriu schlage ich vor, die intratextuelle Tatsächlich sind in textanalytischen Arbeiten häufig Kombinationen von Fragestellungen und Analysegegenständen üblich. Auch die sich durch die Analysegegenstände ergebenden Methoden der Analyse […] lassen sich in unterschiedlicher Weise kombinieren. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Dreiteilung des Analyserasters […] nicht die Chronologie der Analyse spiegelt, jedenfalls nicht konsequent». An anderer Stelle verwendet Coseriu (1980/1994, 45) in diesem Zusammenhang die Bezeichnung «Stufen der Kombinatorik», die besonders gut zum Ausdruck bringt, dass sich die einzelnen Stufen bzw. Ebenen durch eine jeweils komplexer werdende Kombinatorik unterscheiden. In anderen Ansätzen werden wieder andere Binnendifferenzierungen vorgenommen. So unterscheidet z.B. Felder (u.a. 2018a, 29) in seinem Untersuchungsprogramm der Pragma-
4.2 Methodologische Grundprinzipien
213
Ebene in fünf Subebenen zu untergliedern: die Ebene der Morpheme, die Wortebene, die Ebene der Mehrwortverbindungen, die Satzebene und die Textebene.279 Während die beiden letztgenannten den beiden oberen Strukturebenen im DIMEAN-Modell entsprechen, wird mit den drei übrigen eine größere Ausdifferenzierung unterhalb der Ebene des Satzes (Proposition bei Spitzmüller und Warnke) vorgenommen. Die Unterscheidung zwischen Wörtern und Mehrwortverbindungen findet sich auch bei Spitzmüller und Warnke (in ihrer Terminologie EinwortEinheiten und Mehrwort-Einheiten), doch werden die beiden Kategorien dort ohne weitere Begründung innerhalb einer «Analyseklasse» (Spitzmüller/Warnke 2011, 140) zusammengefasst. Ich plädiere dafür, für diese Kategorien zwei getrennte Ebenen anzusetzen, weil sie einen unterschiedlichen Grad der Komplexität, der ja gerade das Kriterium der Klassifizierung darstellt, aufweisen. Auch die Analyse von Morphemen als kleinsten bedeutungstragenden Einheiten halten Spitzmüller und Warnke für relevant, setzen für sie jedoch keine eigene Ebene an, da Morpheme «in der Regel […] in Wortformen realisiert» seien (Spitzmüller/Warnke 2011, 138). Dies ist zwar richtig, doch da auch bei Morphemen und Wörtern ein unterschiedlicher Komplexitätsgrad vorliegt, möchte ich auch für Morpheme eine eigene Analyseebene ansetzen.280 Ein weiterer Kritikpunkt am DIMEAN-Modell ist die vollständige Ausblendung mündlichen Sprachgebrauchs. Dies lässt sich auf das Primat der Analyse schriftlichen Sprachgebrauchs zurückführen, ein Erbe der Textlinguistik, das (nicht nur) die Spielart der Diskursforschung, in der auch der Ansatz von Spitzmüller und
semiotischen Textarbeit die Ebenen der Lexeme, Syntagmen, Sätze, Texte und Bilder; Spieß (2008, 248) differenziert zwischen Einzelwort, Ebene der Einzelhandlung, komplexer Sprachhandlung, Satzstrukturen, Einzeltext und textübergreifender Ebene. In konstruktionsgrammatischen Ansätzen, in denen sich derartige Ebenenmodelle sprachlicher Strukturierung ebenfalls finden, werden die einzelnen Ebenen als verschiedene Komplexitätsgrade sprachlicher Konstruktionen aufgefasst (z.B. Goldberg 2006, 5; Wulff 2013). Nicht berücksichtigt wird damit lediglich die Ebene der Klausel, die Coseriu wie folgt definiert: «Die Klausel existiert als autonome Ebene der einzelsprachlichen Strukturierung, wenn Kombinationen innerhalb eines Satzes möglich sind, bei denen ein Teil des Satzes den anderen kommentiert, wenn z.B. ein Element da ist, das die Gültigkeit der durch den Satz selbst ausgedrückten Aussage einschränkt oder wenigstens eine solche Einschränkung ankündigt. So heißt z.B. ‹Natürlich hat er das getan› nicht, daß jemand etwas auf natürliche Art und Weise getan hat, sondern es bedeutet, daß der Sprecher das ausgesagte Faktum für natürlich hält» (Coseriu 1980/1994, 31; Hervorhebungen im Original). Coseriu zufolge kann gerade die Eigenständigkeit der Ebene der Morpheme – ebenso wie die des Satzes – nicht angezweifelt werden: «Nur zwei dieser Ebenen sind rational notwendig, die minimalen Elemente und der Satz, mit ihnen haben wir a priori in jeder Sprache zu rechnen» (Coseriu 1980/1994, 206; Hervorhebungen im Original).
214
4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
Warnke zu verorten ist, prägt.281 Um auch medial mündlichen Sprachgebrauch in das Modell einzubeziehen, müsste das Modell um zwei weitere (Sub-)Ebenen ergänzt werden, die die Analyse paraverbalen (Intonation, Pausen, Sprechgeschwindigkeit, Lautstärke etc.) und nonverbalen Materials (Mimik, Gestik, Blickrichtung etc.) umfassen. Des Weiteren müssten Fragen der Gesprächsorganisation (turns, turn-taking etc.) in das Modell integriert werden. In diese Richtung zielt auch Roths (2015, 144–152) Kritik am DIMEAN-Modell. Roth kritisiert, dass das Modell der «Gesprächs- und Interaktionslinguistik […] keinen systematischen Platz einräumt» (Roth 2015, 147), und führt dies auf eine «pragmatische Lücke in DIMEAN» (Roth 2015, 147) zurück. Der pragmatischen Dimension werde zwar durch die Akteursebene ein zentraler Stellenwert eingeräumt, doch werde der Fokus zu sehr auf die Handelnden denn auf das Handeln selbst gelegt (cf. Roth 2015, 148). Das habe zur Folge, dass das methodische Instrumentarium, das für die Analyse des Handelns notwendig sei, im Modell fehle: «Man könnte sagen, dass DIMEAN mit der wichtigen Integration der Akteursebene in das diskurslinguistische Methodensetting zwar die diskurspragmatische Perspektive unweigerlich eröffnet, die Aufnahme und methodologische Diskussion der zu ihrer Bewältigung notwendigen Analysemethoden jedoch weitgehend schuldig bleibt» (Roth 2015, 149–150).
Um die gesprächs- und interaktionslinguistischen Analysekategorien einzubeziehen, sei, so Roth (2015, 147), eine «Erweiterung des DIMEAN-Modells um eine komplette Analyse-Ebene» erforderlich. Zwar halte ich den Einbezug gesprächsund interaktionslinguistischer Analysekategorien ebenfalls für unverzichtbar, doch sind diese meines Erachtens nicht auf einer separaten Ebene anzusiedeln, sondern innerhalb der intratextuellen Ebene: Gegenstand der Gesprächsanalyse sind mündliche Interaktionen, die von dem Coseriu’schen Text- (und Diskurs-)begriff eingeschlossen werden.282 Ich schlage daher vor, die verschiedenen Analysekategorien, die Gegenstand einer gesprächsanalytischen Untersuchung sein können, in der rechten Spalte des Modells unter Zuordnung zu einer entsprechenden Ebene zu ergänzen, z.B. der turn innerhalb der propositionsorientierten Analyse, das turn-taking innerhalb der textorientierten Analyse, Fragen der Intonation auf der (von mir ergänzten) paraverbalen Ebene etc.
Cf. Kapitel 3.2.3. Gespräche bestehen – wie Schriftstücke – aus verbalem und darüber hinaus aus para- und nonverbalem Material; in materieller Hinsicht sind sie daher problemlos auf der (hier erweiterten) intratextuellen Ebene erfassbar. Auch die Tatsache, dass gesprächs- und interaktionslinguistische Analysekategorien eine Betrachtung der Sprache aus handlungstheoretischer Sicht implizieren, rechtfertigt meines Erachtens keine eigene Analyseebene; wäre dies der Fall, müsste dies z.B. auch für die Analyse von Sprechakten gelten, die Spitzmüller und Warnke jedoch explizit auf der Ebene der Propositionen verorten.
4.2 Methodologische Grundprinzipien
215
Auf der Grundlage dieser Kritikpunkte möchte ich folgende Modifikation der intratextuellen Ebene vorschlagen (die in der rechten Spalte aufgeführten Analysekategorien sind lediglich exemplarisch zu verstehen und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit):
Intratextuelle Ebene
verbales Material
Texte
– – – – – – – – – –
[…] Text-Bild-Beziehungen Typographie Materialität Textthema(ta) Themen in Textteilen Themenentfaltung Textfunktionen Textsorte(n) turn-taking
Sätze
– – – – –
[…] syntaktische Muster Sprechakte turns petites phrases284
Abbildung 9: Modifizierte Fassung der intratextuellen Ebene des DIMEAN-Modells.
Im Einklang mit der oben erläuterten Unterscheidung von fünf Ebenen der sprachlichen Strukturierung (Morpheme, Wörter, Mehrwortverbindungen, Sätze und Texte) möchte ich von einer weiteren Untergliederung der Textebene in Subebenen, wie es Spitzmüller/Warnke tun, absehen. Die Relevanz der einzelnen, von ihnen dort angesetzten Aspekte soll damit keineswegs in Abrede gestellt werden, doch möchte ich diese nicht als Analyseebene, sondern als Untersuchungsgegenstand begreifen und verschiebe sie daher in die rechte Spalte. Eine petite phrase ist eine Äußerung, die von einem öffentlich bekannten Akteur in einer bestimmten Situation geäußert und im Nachgang in der öffentlichen und massenmedialen Diskussion aufgegriffen und diskutiert wird und sich dauerhaft in das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft einschreibt (cf. Krieg-Planque/Ollivier-Yaniv 2011; Le Séac’h 2015; Boyer/Gaboriaux 2018). Das Aufgreifen der Äußerung geht mit einer De- und Rekontextualisierung einher, die häufig von einer Umdeutung, Umwertung oder sogar Umformulierung begleitet ist. Die sich in diesem Zusammenhang stellende Frage, ob der Urheber eine solche Äußerung bewusst lanciert, mit dem Ziel, dass sie zur petite phase wird, oder ob die Äußerung erst durch andere zur petite phrase wird, entzieht sich wohl dem Zugriff des Analysierenden. Ähnliche Konzepte wie das der petite phrase sind zum Beispiel die formule (Krieg-Planque 2009), das von Josef Klein geprägte Konzept des sog. salienten politischen Satzes (Klein 2011a; 2013a; 2017a) oder auch der gerade für politischen Sprachgebrauch typische Slogan (Donalies 2017). All diesen Phänomenen gemeinsam ist die Tatsache, dass sie zwar in einen Text eingeschrieben sind, sich der «Ordnung des Textes» aber entziehen (cf. Maingueneau 2012).
216
4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
Mehrwortverbindungen – – – –
[…] n-Gramme Kollokationen Kookkurrenzen
Wörter
– – –
[…] Schlagwörter Schlüsselwörter
Morpheme
– –
[…] kleinste bedeutungstragende Einheiten
paraverbales vokale, Material sprachbegleitende Tätigkeiten
– – – – – – – –
[…] Lautstärke Stimmlage Sprechrhythmus Sprechtempo Pausen Intonation Phonation
nonverbales Material
– – – – – – –
[…] äußere Erscheinung Kleidung Körperhaltung Mimik Gestik Blickkontakt
nicht-sprachliche, sprachbegleitende Phänomene
Abbildung 9 (fortgesetzt)
Die in Abbildung 9 dargestellte modifizierte Fassung der intratextuellen Ebene des DIMEAN-Modells ist keineswegs als Infragestellung des Modells aufzufassen, sondern versteht sich lediglich als eine an die Bedürfnisse der vorliegenden Untersuchung angepasste, modifizierte und erweiterte Fassung der intratextuellen Ebene und folgt damit der ausdrücklichen Einladung der Autoren des Modells zu «weitere[n] Ergänzungen und Modifikationen» desselben (cf. Spitzmüller/Warnke 2011, 200). Insgesamt stellt das DIMEAN-Modell in seiner bei Spitzmüller und Warnke angelegten Form und unter Berücksichtigung der hier vorgenommenen Modifikationen und Erweiterungen einen geeigneten methodologischen Rahmen für die vorliegende Untersuchung dar. Dies liegt zum einen in seinen zentralen Stärken
4.2 Methodologische Grundprinzipien
217
der Ausdifferenziertheit, Operationalisierbarkeit und Systematizität begründet, ist zum anderen aber auch auf die spezifische Triadik der Ebenen und deren Passung mit dem hier gewählten Ansatz zurückzuführen. Mit der intratextuellen Ebene wird der Textanalyse besondere Bedeutung beigemessen, womit der hier vertretenen Auffassung nachgekommen wird, dass die Textanalyse die Basis der Diskursanalyse sein sollte (cf. Kapitel 4.2.1). Mit der Akteursebene wird die Handlungsdimension in den Fokus gerückt, was als methodologische Konsequenz aus dem handlungstheoretisch fundierten diskursanalytischen Ansatz gelten kann (cf. Kapitel 3.4). Mit der transtextuellen Ebene wird schließlich der Fokus auf das gelenkt, was verschiedenen Texten über textuelle Grenzen hinweg gemeinsam ist. Damit wird das in den Mittelpunkt gerückt, worauf die der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegende Fragestellung im Kern abzielt, nämlich die Frage nach der Manifestation von Agonalität im politischen Sprachgebrauch. Manifestationen von Agonalität lassen sich systematisch im DIMEAN-Modell verorten. Auf der transtextuellen Ebene gilt das Interesse z.B. in besonderem Maße von Agonalität geprägten Kommunikationszusammenhängen wie dem Wahlkampf oder auch konkurrierenden Perspektivierungen der Wirklichkeit durch verschiedene Akteure. Auf der Akteursebene werden Rollen, ideology brokers, voice und Diskursgemeinschaften im Hinblick auf die Hör- und Sichtbarkeit von Akteuren analysiert. Auf der intratextuellen Ebene ist u.a. die Analyse von Agonalitätsindikatoren zu verorten, die sowohl lexikalischer (z.B. combat, contre) als auch grammatischer (z.B. Adversativität, Negation) Natur sein können und sich auf die (Sub-) Ebenen der Morpheme (z.B. anti-), Wörter (z.B. Interjektionen wie hou!, Substantive wie combat) und Mehrwortverbindungen (z.B. ne…pas) erstrecken. Auf der Satzebene spielen agonale Diskurshandlungen eine Rolle, z.B. die Äußerung von Dissens oder die Gegenüberstellung. Auf der Textebene geht es um Diskurstraditionen mit agonalem Profil, die sich in Textsorten verfestigen können. Hier lassen sich textsortenbedingte Spezifika von Agonalität untersuchen, wobei insbesondere hochgradig agonale Textsorten wie etwa TV-Duell, Wahlkampfrede, Pamphlet und Flugblatt von Interesse sind. In der vorliegenden Arbeit liegt der Fokus auf der Analyse verbalen Materials, während para- und nonverbales Material nicht systematisch analysiert wird. Zum einen lässt das Korpusmaterial eine systematische Analyse insbesondere nonverbalen Materials nicht zu, da durch die Kameraführung nicht immer alle Sprecher zu sehen und Mimik, Gestik etc. damit oft gar nicht oder nur unzulässig erfasst sind. Zum anderen ist eine Analyse des gesamten verbalen, para- und nonverbalen Materials aus Gründen der Praktikabilität nicht durchführbar, da der Zeit- und Arbeitsaufwand zu groß wäre und zudem spezifische Transkriptionssysteme und Analysetools für para- und nonverbales Material erforderlich
218
4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
wären.285 Da para- und nonverbales Material aber zweifellos von zentraler Bedeutung für die Kommunikation und damit auch für die Analyse derselben ist, wird es punktuell einbezogen, wenn sich dies als praktikabel und zielführend erweist. Diskurse sind äußerst komplexe Phänomene, an die häufig auch äußerst komplexe Fragestellungen herangetragen werden. Der Mehrwert von Mehrebenenmodellen wie DIMEAN besteht darin, dass sie dieser Komplexität Rechnung zu tragen vermögen, indem sie einen ausdifferenzierten, strukturierten und operationalisierbaren methodologischen Rahmen bieten, vor deren Hintergrund möglichst viele und auch heterogene diskursrelevante Phänomene erfasst und systematisch in den Gesamtzusammenhang eingeordnet werden können. Aufgrund der Vielfalt der Analysegegenstände, die in Mehrebenenmodellen systematisch erfasst werden können, scheint es wenig sinnvoll, Diskursanalysen mit nur einem Analyseverfahren durchzuführen. Stattdessen scheint die Kombination verschiedener Verfahren sinnvoll, wobei insbesondere die Kombination quantitativer und qualitativer Verfahren gewinnbringend scheint.
4.2.3 Kombination quantitativer und qualitativer Verfahren In der Sprachwissenschaft scheinen sich quantitative und qualitative Verfahren teilweise gegenüberzustehen. Während quantitative Verfahren dazu genutzt werden, große, elektronisch lesbare Textmengen mit frequenzbasierten Methoden zu analysieren und so besonders häufige und/oder statistisch signifikante Strukturen sichtbar zu machen, legen qualitative Verfahren «ihren Schwerpunkt auf die Ermittlung, die Klassifizierung, die Einordnung und Interpretation von bestimmten Phänomenen» (Scherer 2006, 36). Auch räumen qualitative Verfahren dem Wissenschaftler bzw. dessen Fähigkeit zur Analyse und Interpretation einen größeren Stellenwert ein (cf. Corbin/Strauss 1990/2015, 4), weshalb quantitative Verfahren mitunter als objektiver gelten mögen. In dem das Handbuch Quantitative linguistics eröffnenden Beitrag stellt Köhler quantitative und qualitative Verfahren gegenüber, weist zugleich jedoch auf grundlegende Gemeinsamkeiten derselben hin: «Während sich die formalen Zweige der Linguistik auf die Behandlung qualitativer Eigenschaften von Sprachen und deren Elementen beschränkt [sic!], wobei sie sich dem entsprechend ausschließlich der qualitativen mathematischen Hilfsmittel der Mathematik (Algebra, Mengenlehre) und der Logik bedienen, macht die quantitative Linguistik (QL) die Vielzahl
Zur Transkription para- und nonverbaler Kommunikation und den damit verbundenen Herausforderungen cf. Sager (2001) und Selting (2001).
4.2 Methodologische Grundprinzipien
219
von quantitativen Eigenschaften zu ihrem Gegenstand, die zur Beschreibung und zum tieferen Verständnis der Entwicklung und der Funktionsweise von Sprachsystemen und ihren Bestandteilen nötig sind. Die Forschungsobjekte der QL selbst unterscheiden sich also nicht von denen anderer sprachwissenschaftlicher oder textologischer Disziplinen; auch das Erkenntnisinteresse macht den Unterschied nicht aus. Vielmehr bestehen die Differenzen in der Verschiedenheit ontologischer Ansichten (wird eine Sprache z.B. als eine Menge von Sätzen mit ihnen zugeordneten Strukturen aufgefasst oder z.B. als System, das ähnlich biologischen Organismen einer Evolution unterliegt etc.) und in der Verschiedenheit der verwendeten Konzepte» (Köhler 2005, 1; meine Hervorhebung).
Quantitative und qualitative Verfahren unterscheiden sich demnach sowohl in theoretischer als auch in methodischer Hinsicht, nicht aber, wie Köhler betont, im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand oder das Erkenntnisinteresse. Dies wirft die Frage einer möglichen Kombinierbarkeit quantitativer und qualitativer Verfahren auf. Nachdem quantitative und qualitative Forschung lange in «strikte[r] Opposition» zu einander gestanden hatten, wurde ab den 1990er Jahren eine verstärkte «Diskussion um das Verhältnis von qualitativen und quantitativen Verfahren, ihre wechselseitige Durchlässigkeit und Kombinierbarkeit in einem Forschungsprozess» (Kallmeyer 2004, 979) geführt und die Kombination quantitativer und qualitativer Verfahren auch in zahlreichen Forschungsprojekten praktiziert. Dies hat sogar zur Konsolidierung eines eigenen Forschungsparadigmas geführt, der sogenannten Mixed Methods-Forschung, die die Kombination quantitativer und qualitativer Forschungsmethoden innerhalb eines Forschungsprojekts vorsieht (cf. Johnson/Onwuegbuzie/Turner 2007, 123).286 Auch vielen diskursanalytischen Arbeiten liegt, zumindest implizit, ein Mixed Methods-Ansatz zugrunde. Zwar gibt es auch überwiegend quantitativ287 oder überwiegend qualitativ288 orientierte diskursanalytische Ansätze, doch wird die
Der Begriff Mixed Methods stammt ursprünglich aus der anglo-amerikanischen Methodendebatte in den Sozial- und Erziehungswissenschaften der 1990er Jahre. Inzwischen hat die Mixed Methods-Forschung zunehmend internationale und interdisziplinäre Verbreitung gefunden (cf. Tashakkori/Teddlie 1998/2008; 2002/2010; Creswell/Plano Clark 2006/2018; Plano Clark/Creswell 2008; Kuckartz 2014; Burzan 2016; Plano Clark/Ivankova 2016; Flick 2018). Quantitative Verfahren kommen insbesondere in Frankreich unter dem Einfluss der sog. Automatischen Diskursanalyse (Pêcheux 1969) und der Lexiko- bzw. Logometrie (u.a. Tournier 1975; Mayaffre 2005b; 2010; Labbé/Labbé 2013) bereits früh zum Einsatz und finden auch in der Diskursanalyse Anwendung (cf. Mayaffre 2005a). Besonderes Gewicht erfahren quantitative Verfahren außerdem in korpuslinguistisch ausgerichteten diskursanalytischen Ansätzen im anglophonen (z.B. Baker 2006) und germanophonen Raum, hier insbesondere in der Germanistik (z.B. Bubenhofer 2009; Bubenhofer/Scharloth 2013). Für einen Überblick über quantitative Methoden in der Diskursanalyse cf. Myhill (2005). Dies gilt etwa für die in der Tradition der qualitativen Sozialforschung stehende Wissenssoziologische Diskursanalyse nach Keller (u.a. 2005/2008), aber auch für führende Diskursana-
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4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
Kombination quantitativer und qualitativer Verfahren gerade in der Diskursanalyse vielfach praktiziert und auch immer wieder explizit gefordert (cf. u.a. Bubenhofer 2009, 103–105; 2013; Spitzmüller/Warnke 2011, 39; Kuck/Scholz 2013; Guilbert 2014; Weiland 2020, 152–158). Ihre binäre Gegenüberstellung hingegen wird – so Daniel Wrana, einer der führenden Diskursanalytiker im deutschsprachigen Raum, – «aus wissenschaftstheoretischer Sicht als unhaltbar und aus wissenschaftshistorischer Sicht als Mittel im diskursiven Kampf um die Etablierung und Absicherung von Erkenntnismodellen» (Wrana 2014, 641) abgetan.289 Die Kombination quantitativer und qualitativer Herangehensweisen kann von großem Mehrwert sein. Qualitative Verfahren sind für die linguistische Analyse sprachlicher Daten letztlich unumgänglich, denn auch bei quantitativen Verfahren müssen die Zusammenstellung des Korpus sowie die Auswahl der Analysekategorien inhaltlich begründet und die Analyseergebnisse interpretiert werden (cf. auch Weiland 2020, 156–157). «[L]e quantitativiste est toujours d’une certaine manière un qualitativiste malgré lui», stellt Mayaffre (2014, § 51) daher zu Recht fest.290 Folglich wäre nur denkbar, auf quantitative Verfahren zu verzichten. Da aber das Kriterium der Frequenz entscheidend ist, um Sprache und Sprachgebrauch zu verstehen und zu erklären, sei es im Hinblick auf Sprachstruktur, Sprachwandel oder Spracherwerb, würde dies bedeuten, auf zentrale Erkenntnisse, die sich allein durch quantitative Verfahren generieren lassen, zu verzichten. Den Mehrwert quantitativer Verfahren führt Köhler (2005, 8) auf drei Faktoren zurück: (i) Quantitative Verfahren erlauben es, Beurteilungskriterien zu
lytiker im frankophonen Raum wie Dominique Maingueneau oder Sophie Moirand. Auch in der deutschsprachigen Romanistik scheinen tendenziell qualitativ orientierte diskursanalytische Ansätze zu überwiegen. Cf. auch Mayaffre (2014, § 50): «Les vaines polémiques, si tant est qu’elles existent encore, entre qualitativistes et quantitativistes en analyse du discours nous semblent déséquilibrées et mal fondées». Konsequenterweise unterstreicht Mayaffre, dass selbst die Logometrie, obwohl sie primär quantitativ ausgerichtet ist, qualitative Verfahren ebenso erfordert und auch einschließt: «Nous définissons, précisément, la logométrie comme une méthodologie, sinon une discipline, visant à prendre la mesure du discours en conjuguant approche qualitative et quantitative, sans jamais les séparer. Nous posons en effet que la description-interprétation d’un corpus ne peut pas plus faire l’économie de l’établissement des unités du discours – c’est-à-dire d’une réflexion qualitative sur les objets traités – que l’économie d’une prise en compte de leur représentativité – c’està-dire d’une réflexion quantitative sur la régularité/irrégularité des phénomènes, leur absence/ rareté/redondance dans le corpus» (Mayaffre 2014, § 2; Hervorhebungen im Original). Dies wird in den logometrischen Studien Mayaffres (z.B. Mayaffre 2013; 2017) ebenso eindrücklich vor Augen geführt wie in denjenigen Cécile Alduys (Alduy/Wahnich 2015; Alduy 2017), die zwar auf einer quantitativen Herangehensweise fußen, in der Auswertung der Ergebnisse aber durch scharfsinnige, von großem Kontextwissen zeugende Interpretationen bestechen.
4.2 Methodologische Grundprinzipien
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objektivieren und zu operationalisieren. (ii) Mittels quantitativer Verfahren können Strukturen im Sprachgebrauch ausfindig gemacht werden, die mittels einer rein qualitativen Herangehensweise nicht hätten identifiziert werden können. So mögen etwa frequente Wörter oder Schlagwörter noch manuell aufspürbar sein, doch gilt dies bereits nicht mehr für besonders frequente Mehrwortverbindungen oder statistisch signifikante Kollokationspartner. (iii) Quantitative Verfahren erlauben es, auf effiziente Weise sehr große Datenmengen zu verarbeiten, die ohne entsprechende Analyseinstrumente gar nicht fassbar wären, was gerade in Zeiten der Big Data von nicht zu unterschätzendem Wert ist. Mit Bubenhofer (2009, 86–87) lässt sich als vierter Faktor ergänzen, dass es die Quantifizierung und statistische Validierung der Ergebnisse erlaubt, nicht nur Aussagen über Einzelfälle, sondern über die «musterhafte Verwendung von Sprachgebrauch» zu treffen, und auf diese Weise eine bessere Generalisierbarkeit der Ergebnisse ermöglicht. Trotz all dieser Vorteile stoßen quantitative Verfahren jedoch auch an ihre Grenzen. Grundsätzlich gilt: «Mit statistischen Methoden können nur quantifizierbare Eigenschaften von Texten erfaßt werden. ‹Information› beispielsweise als Maß für die Unwahrscheinlichkeit des Auftretens eines Elements kann gemessen werden, ‹Sinn› aber nicht» (Schmitz 2000, 197). Dies wird insbesondere dann relevant, wenn es um Phänomene geht, die sich aufgrund ihrer Komplexität oder ihrer Opazität nicht an der Textoberfläche manifestieren (cf. Baker 2006, 19; Bubenhofer 2009, 91). Diese schlagen sich in den Ergebnissen der quantitativen Analyse nicht nieder, sondern machen einen interpretativ-hermeneutischen Zugriff und damit qualitative Verfahren erforderlich. Auch können quantitative Verfahren dann scheitern, wenn es um singuläre Strukturen geht (cf. Baker 2006, 19; Bubenhofer 2009, 91–92), denn nicht alles, was diskursanalytisch relevant ist, ist frequent (cf. Spitzmüller/Warnke 2011, 39).291 Hinzu kommt, dass quantitative Verfahren auch ein gewisses Fehlerpotenzial bergen (cf. Mayaffre 2005b, 8), und schließlich können auch qualitative Zugänge Aufschluss über quantitative Phänomene geben (cf. Steen/Liedtke 2019).
Die Relevanz singulärer Strukturen kann z.B. dadurch signalisiert werden, dass sie metasprachlich kommentiert werden oder im Nachgang eine breite Diskussion auslösen. Dies ist gerade im politischen Sprachgebrauch ein häufiges Phänomen und kann sowohl einzelne Wörter als auch ganze Sätze (sog. petites phrases, cf. Anm. 284), betreffen. Ersteres lässt sich exemplarisch anhand des von Markus Söder im Kontext der Flüchtlingskrise im Juni 2018 verwendeten Ausdrucks Asyltourismus illustrieren; ein Beispiel für Letzteres ist die immer wieder diskutierte Äußerung Jean-Marie Le Pens, dass die Gaskammern nur ein «point de détail de l’histoire de la Deuxième Guerre mondiale» seien (erstmals geäußert am 13. September 1987).
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4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
Die Kombination quantitativer und qualitativer Verfahren erlaubt es, die Schwächen des einen Verfahrens durch die Stärken des anderen zu kompensieren. Auf diese Weise können besonders belastbare Ergebnisse generiert und der Untersuchungsgegenstand sowie die an ihn herangetragenen Fragestellungen in ihrer Vielschichtigkeit und Komplexität optimal erfasst werden (cf. Plano Clark/Ivankova 2016, 9). Die Art und Weise der Kombination ist dabei nicht willkürlich, sondern folgt in Abhängigkeit vom Untersuchungsdesign unterschiedlichen Systemen. Ein mögliches Vorgehen ist, zunächst eine quantitative Auswertung des gesamten Datenmaterials vorzunehmen, um dann besonders frequente und/oder statistisch signifikante Strukturen einer qualitativen Detailanalyse zu unterziehen (cf. Mayaffre 2005a, 104, 108–109). Dieses Vorgehen wird in der vorliegenden Arbeit in Bezug auf die Analyse von Agonalitätsindikatoren gewählt. Umgekehrt ist es aber auch möglich, zuerst eine qualitative Analyse durchzuführen und diese in einem zweiten Schritt quantitativ zu stützten (cf. Bubenhofer 2013). Dieses Vorgehen wird in der vorliegenden Untersuchung für die Analyse agonaler Diskurshandlungen genutzt. Insgesamt liegt der Schwerpunkt dabei auf qualitativen Verfahren, die durch quantitative Verfahren gestützt werden. Dies steht im Einklang mit dem theoretischen und dem methodischen Ansatz und scheint auch in Anbetracht des vergleichsweise kleinen Untersuchungskorpus angeraten. Die Kombination quantitativer und qualitativer Verfahren zieht in der Regel eine Kombination manueller und computergestützter Analyseverfahren nach sich. Quantitative Analysen erfordern regelrecht den Einsatz computergestützter Analysesoftware, da sie analog gar nicht oder nur mit sehr großem Aufwand durchführbar sind. Auch qualitative Analyseverfahren können computergestützt erfolgen, erfordern aber in jedem Fall auch eine manuelle Analyse, da Interpretation nach wie vor auf den verstehend-erkennenden Zugriff des Analysierenden angewiesen ist und Sinn nicht automatisiert erschlossen werden kann. Auch in der vorliegenden Arbeit werden daher analoge und digitale Verfahren kombiniert und manuelle Methoden ebenso wie Computerprogramme für die Analyse eingesetzt (für einen Überblick über die Programme s. Appendix). Darüber hinaus werden corpus-based- und corpus-driven-Vorgehen kombiniert.292 Der in seinen Grundzügen auf Sinclair (1991) zurückgehende und durch Tognini-Bonelli (2001) explizit gemachte corpus-driven-Ansatz steht für ein in-
Während corpus-based im Deutschen üblicherweise mit korpusbasiert wiedergegeben wird, finden sich für corpus-driven unterschiedliche Bezeichnungen, z.B. korpusgestützt (cf. Lemnitzer/Zinsmeister 2006/2015, 33–37), korpusgeleitet (cf. Mindt 2010) oder korpusgesteuert (cf. Gür-Şeker 2014, 599). Einige Autoren scheinen auch korpusbasiert als Hyperonym für beide Herangehensweisen zu verwenden (z.B. Hirschmann 2019), bei anderen wiederum gilt
4.2 Methodologische Grundprinzipien
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duktives Vorgehen: Die Hypothesen werden ausschließlich aus dem Datenmaterial heraus generiert; die Daten stellen den Ausgangspunkt der Theoriebildung dar (daher auch data-driven genannt). Demgegenüber steht corpus-based für ein deduktives Vorgehen: Es wird von bestimmten Kategorien und bestehenden Theorien ausgegangen, die auf der Grundlage des Korpus getestet werden; das Korpus dient der Überprüfung vorher aufgestellter Hypothesen. Während corpus-drivenAnsätze überwiegend quantitativ orientiert sind, sind corpus-based-Ansätze tendenziell qualitativ orientiert (cf. Gür-Şeker 2014, 599). So werden denn auch in der Diskursanalyse corpus-driven-Ansätze insbesondere dort propagiert, wo große Korpora mit quantitativen und/oder statistischen Verfahren ausgewertet werden (z.B. Belica/Steyer 2006; Perkuhn 2007; Bubenhofer 2009, insb. 99–102; Scharloth/Bubenhofer 2012; Scharloth/Eugster/Bubenhofer 2013; Bubenhofer/Scharloth/Eugster 2015). In der Forschungspraxis zeigt sich, dass zwar der Fokus verstärkt auf ein corpus-based- oder ein corpus-driven-Vorgehen gelegt werden kann, eine klare Trennung beider Ansätze jedoch kaum möglich bzw. sinnvoll ist (cf. auch Bubenhofer 2009, 17, 102; Gür-Şeker 2014, 599; Scholz/Mattisek 2014, 90). Auf der einen Seite ist es, selbst wenn man schwerpunktmäßig corpus-driven vorgeht, nicht möglich, sich von jeglichen Vorannahmen und Hypothesen frei zu machen. So impliziert allein die Erstellung des Korpus bereits eine Reihe von Vorannahmen in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand (cf. Scholz/Mattisek 2014, 90); Gleiches gilt für die Wahl der Analyseverfahren. Auf der anderen Seite ist es jedoch ebenso wenig sinnvoll, ausschließlich corpus-based vorzugehen, denn «Korpora mit ganz bestimmten Theorien als Prämissen zu befragen, birgt die Gefahr, in den Daten nur die Strukturen zu finden, die mit der Theorie kompatibel sind und blind gegenüber Evidenzen zu sein, die quer zu einer Theorie stehen» (Bubenhofer 2009, 101). Auch in der vorliegenden Arbeit werden daher corpus-based- und corpusdriven-Vorgehen kombiniert. Größeres Gewicht erhält dabei das corpus-basedParadigma, da der Ausgangspunkt ein theoretischer Ansatz und die aus diesem hergeleiteten Fragestellungen sind. Dieses Vorgehen wird mit einem corpusdriven-Ansatz kombiniert, indem die Gesamtheit des Datenmaterials auf musterhafte Strukturen hin analysiert wird und auf diese Weise Manifestationen von Agonalität induktiv aus dem Datenmaterial heraus generiert werden. Insgesamt sind quantitative und qualitative Verfahren, ebenso wie manuelle und computergestützte sowie corpus-based- und corpus-driven-Ansätze, nicht als
das gleiche für korpusgestützt (z.B. Stede 2007/2018). Im Sinne größtmöglicher Eindeutigkeit werden im Folgenden die englischen Termini corpus-based und corpus-driven beibehalten.
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4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
sich gegenseitig ausschließend oder ersetzend, sondern als komplementär zu betrachten (cf. auch McEnery/Wilson 1997/2001, 76–77; Rastier 2011, 51; Felder 2012, 125; Guilbert 2014; Sousa 2014; Weiland 2020, 158). Dass dies auch für die Analyse sprachlicher Muster gilt, wird im folgenden Kapitel gezeigt.
4.2.4 Musterhaftigkeit des Sprachgebrauchs und Analyse sprachlicher Muster Muster spielen in der Sprache und in der Sprachwissenschaft eine zentrale Rolle. Gerade in jüngerer Zeit rücken die Musterhaftigkeit des Sprachgebrauchs und mit ihr die Analyse sprachlicher Muster zunehmend in das Interesse der Sprachwissenschaft. Die Ubiquität des Begriffs Muster – bzw. seiner Äquivalente in anderen Sprachen, allen voran engl. pattern – steht dabei in scharfem Kontrast zu seiner Unterbestimmtheit: In der Sprachwissenschaft herrscht kein Konsens bezüglich einer einheitlichen Definition des Begriffs; Begriffsbestimmungen sind häufig unscharf oder fehlen gänzlich. Ausgehend von einem Überblick über Konzept und Begriff des Musters in der Sprachwissenschaft soll im Folgenden daher eine differenzierte und theoretisch fundierte Bestimmung des Musterbegriffs vorgenommen werden. Darauf aufbauend wird erläutert, worin die Relevanz sprachlicher Muster für die Analyse agonaler Diskurse besteht und wie die Analyse sprachlicher Muster in methodischer Hinsicht erfolgen kann. In der Alltagssprache lassen sich zwei übergeordnete Bedeutungsdimensionen von Muster unterscheiden: das Muster zur Bezeichnung von etwas Vorbildhaftem, Modellhaftem, Nachahmenswerten auf der einen Seite und von etwas Regelmäßigem, sich Wiederholendem auf der anderen.293 Während Muster im ersten Fall insofern präskriptiv zu verstehen ist, als dass ein Muster normgebend ist, einen Maßstab setzt, handelt es sich im zweiten Fall um einen rein deskriptiven Begriff. Vergleichbares gilt für das englische Äquivalent pattern.294 In fachsprachliche Prägungen des Begriffs in der Sprachwissenschaft finden beide Bedeutungsdimensionen, häufig in unterschiedlicher Akzentuierung oder Gewichtung, Eingang. Auch wenn der Musterbegriff – die Äquivalente in anderen Sprachen einbegriffen – in der Sprachwissenschaft erst relativ spät Verwendung findet, ist der Gedanke, dass der Sprachgebrauch musterhaft strukturiert ist, keineswegs
Cf. DWDS, s.v. Muster: «1. Vorlage, Modell. 2. sich auf einer Fläche wiederholende Zeichnung, Figur, Verzierung». Cf. OED, s.v. pattern: «I. A model, example, or copy; II. A regular or decorative arrangement».
4.2 Methodologische Grundprinzipien
225
neu.295 So konstatierte bereits Wilhelm von Humboldt, dass der Sprachgebrauch durch die Verwendung wiederkehrender Strukturen charakterisiert sei: «Was in einer Sprache ein grammatisches Verhältnis charakteristisch (so, dass es im gleichen Fall immer wiederkehrt) bezeichnet, ist für sie grammatische Form. In den meisten ausgebildeten Sprachen lässt sich noch heute die Verknüpfung von Elementen erkennen, die nicht anders, als in den roheren, verbunden worden sind» (Humboldt 1822/1843, 282). Der Begriff des Musters selbst hält erst im 20. Jahrhundert Einzug in die Sprachwissenschaft, wird aber zunächst nur vereinzelt gebraucht. Zu den frühesten Vertretern zählt der US-amerikanische Strukturalist Leonard Bloomfield,296 der den Begriff «structural patterns» in Bezug auf wiederkehrende Lautkombinationen, die, auf einer höheren Abstraktionsebene, komplexere Silbenstrukturen bilden, gebraucht (cf. Bloomfield 1933, 135). Eine der ersten Publikationen, in deren Zentrum der Musterbegriff steht, ist Hornby’s Guide to Patterns and Usage in English (1954). In diesem fremdsprachendidaktischen Werk, das sich an Lerner des Englischen als Fremdsprache richtet, wird der Musterbegriff als deskriptives und strukturierendes Konzept auf allen sprachlichen Ebenen verwendet (z.B. verb patterns, noun patterns, adjective patterns). Das Werk zeugt von der Bedeutsamkeit, die der Behaviourismus und mit ihm das durch diesen inspirierte Konzept des Musters für die Fremdsprachendidaktik lange hatte.297 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts findet der Musterbegriff zunehmend Verbreitung und etabliert sich, unter dem Einfluss des Generativismus, insbesondere in der sogenannten Systemlinguistik als Bezeichnung für «formal features of language, such as sounds and sound combinations, morphemes and morpheme combinations, words and word combinations, that recur in certain environments and circumstances on the level of the parole and can be associated with a certain function» (Möhlig-Falke/Busse 2019, 18; Hervorhebung im Origi-
Hier und im Folgenden stütze ich mich auf den Überblick zum Konzept und Begriff des Musters bei Möhlig-Falke/Busse (2019). Möhlig-Falke/Busse (2019, 11, 14–15) diskutieren als früheren Vertreter darüber hinaus Ferdinand de Saussure, in dessen Cours de linguistique générale von 1916 nach der englischen Übersetzung von Roy Harris der Ausdruck sound pattern Verwendung findet (Saussure 1916/ 1993), der das französische Original image acoustique wiedergibt. Zwar mag der Gedanke der Musterhaftigkeit hier anknüpfbar sein, den Begriff des Musters bzw. ein französischsprachiges Äquivalent sehe ich im Original jedoch nicht belegt. Auch Möhlig-Falke/Busse (2019, 15) kommen zu dem Schluss: «Saussure himself did not evoke the pattern concept». Dieser Einfluss manifestiert sich auch in dem die Fremdsprachendidaktik lange prägenden Konzept des pattern drill: Ausgehend von der Annahme, dass das Erlernen einer Sprache der Aneignung konditionierter habits gleiche, erfolgt das Lernen sprachlicher Muster durch auf Imitation und Repetition beruhenden Strukturmusterübungen.
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4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
nal). In den letzten Dekaden des 20. Jahrhunderts gewinnt das Konzept mit dem Aufkommen der Kognitiven Linguistik, der usage based linguistics und der Korpuslinguistik zunehmend an theoretischer Relevanz. Ausgehend von der Annahme, dass die menschliche Fähigkeit des Mustererkennens auch für den Spracherwerb von zentraler Bedeutung ist (cf. Tomasello 2003), wird Sprache in der Kognitiven Linguistik und den usage based linguistics im Wesentlichen als ein auf Muster verschiedener Abstraktionsgrade aufbauendes System aufgefasst (cf. MöhligFalke/Busse 2019, 23). Muster wird dabei überwiegend in deskriptiver Manier als Bezeichnung wiederkehrender Kombinationen sprachlicher Einheiten im tatsächlichen Sprachgebrauch gebraucht, während auf einer höheren Abstraktionsebene vielmehr von Schemata oder Konstruktionen die Rede ist.298 So heißt es zum Beispiel bei Langacker: «Grammar resides in patterns of composition, which take the form of constructional schemas. Collectively, these patterns sanction the progressive assembly of expressions of any size and degree of symbolic complexity» (Langacker 1999, 20; meine Hervorhebung). Im Vergleich zu patterns, d.h. wiederkehrenden Strukturen im Sprachgebrauch, sind constructional schemas auf einer höheren Abstraktionsebene angesiedelt: «Another basic phenomenon, abstraction, is the emergence of a structure through reinforcement of the commonality inherent in multiple experiences. By its very nature, this abstractive process ‹filters out› those facets of the individual experiences which do not recur [meine Hervorhebung]» (Langacker 1999, 93). Constructional schemas sind also abstrakter, schematischer als symbolic assemblies, Langackers Begriff für, verkürzt gesagt, sprachliche Zeichen: «More schematic assemblies are referred to in C[ognitive] G[grammar] as constructional schemas» (Langacker 2008, 167; Hervorhebung im Original). Dass Musterhaftigkeit hier eine zentrale Rolle spielt, zeigt sich in Langackers Semiose-Modell. Nach Langacker erfolgt die Genese sprachlicher Zeichen in vier Schritten: «Association», «Automatization», «Schematization» und «Categorization» (cf. Langacker 2008, 16–18). Im Hinblick auf Musterhaftigkeit besonders interessant ist der zweite Schritt, die Automatization, in dem sich mit «Wiederholung» und «Einübung» geradezu behaviouristisch anmutende Elemente finden: «through repetition or rehearsal, a complex structure is thoroughly mastered, to the point that using it is virtually automatic and requires little conscious monitoring. In CG parlance, a structure undergoes progressive entrenchment and eventually becomes established as a unit» (Langacker 2008, 16; Fettdruck im Original; meine Kursivierung). Wie in der Kognitiven Linguistik und den usage-based-Ansätzen werden Muster auch in der Korpuslinguistik als ein Phänomen des Sprachgebrauchs ge-
Zur Abgrenzung von Schema, Muster und Konstruktion cf. auch Bücker (2015).
4.2 Methodologische Grundprinzipien
227
sehen, allerdings liegt der Fokus hier stärker auf Aspekten der Frequenz und Quantifizierung. Aus korpuslinguistischer Sicht werden unter Mustern zumeist rekurrente Wortverbindungen verstanden, die sich an der Textoberfläche manifestieren und auf der Grundlage großer Korpora induktiv ermittelt werden können (cf. Sinclair 1991; Hunston/Francis 2000; Steyer 2013; Bubenhofer 2015; Brommer 2018). Der korpuslinguistische Musterbegriff zeichnet sich damit durch eine besondere Operationalisierbarkeit sowie durch einen Fokus auf Frequenz und statistischer Signifikanz aus. Eine wieder andere Perspektive nimmt die kulturbezogene Sprachwissenschaft ein, die sprachliche Muster rückgebunden an die Kulturalität von Sprache und Sprechen betrachtet und sie auf dieser Grundlage als Resultat sozio-kulturell bedingten sprachlichen Handelns auffasst. Der Musterbegriff geht hier über sich konkret an der sprachlichen Oberfläche manifestierende Strukturen hinaus und bezieht auch weitere kommunikative Muster, wie zum Beispiel Muster sprachlichen Handelns, ein (cf. Möhlig-Falke/Busse 2019, 33–34). Eine solche Perspektive vertritt zum Beispiel Tienken (2015), die sprachliche Muster im Anschluss an Linke (2011) aus kulturanalytischer Sicht als «kulturelle Sinnformgebungen» bestimmt und damit zum einen betont, dass sprachliche Muster «für etwas stehen», dass sie «sinnhaft» sind, und dass sie zum anderen «gemeinschaftlich gestaltet» werden, dass sie also erst durch Übernahme individueller Verwendungsweisen durch das Kollektiv entstehen (cf. Tienken 2015, 480).299 Ein Ansatz, der die korpuslinguistische mit der diskursanalytisch-kulturwissenschaftlichen Perspektive zu verbinden sucht, ist das von Bubenhofer (2009) entwickelte Konzept der Sprachgebrauchsmuster. Unter Sprachgebrauchsmustern versteht Bubenhofer rekurrente sprachliche Strukturen an der Textoberfläche, die das «Resultat von kooperativem sprachlichen Handeln» (Bubenhofer 2009, 309) sind und daher «als Indikatoren für soziales Handeln, und damit für Kultur» (Bubenhofer 2009, 55) gelesen werden können. Bubenhofers Konzept der Sprachgebrauchsmuster ist einer der zentralen Bezugspunkte der germanistischen Diskursforschung, wenn es um die Frage der Musterhaftigkeit des Sprachgebrauchs, die hier inzwischen prominenten Raum einnimmt,300 geht.
Ähnliche, kulturanalytisch perspektivierte Musterbegriffe vertreten z.B. Felder (1995), Günthner (2006) und Bock/Brachat (2016). So heißt es zum Beispiel bei Gardt (2017, 6; Hervorhebung im Original): «Alle Arbeit am Diskurs ist auf den konkreten Sprachgebrauch gerichtet und sucht dort nach Sprachgebrauchsmustern». Cf. auch Warnke (2018a, XVI) und – mit explizitem Bezug auf Bubenhofer – Gardt (2013, 43). Von einem zunehmenden Interesse der Diskursforschung an der Frage der Musterhaftigkeit des Sprachgebrauchs zeugt auch die von Ingo H. Warnke und Beatrix Busse herausgegebene Reihe Diskursmuster/Discourse Patterns (2013–).
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In der Germanistik, wo auch die Ansätze Tienkens und Bubenhofers zu verorten sind, wurde der Musterbegriff bereits früh durch Heringer (1974, 20–21, 38, 40–43), und zwar im Anschluss an Wittgenstein, prominent gemacht, steht aber erst in den letzten Jahren wieder verstärkt im Fokus der Aufmerksamkeit. Von der zunehmenden Prominenz der Thematik zeugt nicht zuletzt die 2019 in der Reihe Grundlagen der Germanistik erschienene Einführung Muster in Sprache und Kommunikation. Eine Einführung in Konzepte sprachlicher Vorgeformtheit von Stein und Stumpf. Ausgehend von der Annahme, «dass sprachliche Musterhaftigkeit ‹als ein Wesenselement von Sprache schlechthin› (Heinemann 1984, 38) anzusehen ist» (Stein/Stumpf 2019, 16–17), entwickeln Stein/Stumpf (2019, 15–22) ein weites Verständnis sprachlicher Muster als rekurrente, usuelle Strukturen, die auf sämtlichen Ebenen sprachlicher Strukturierung auftreten können. Dieses weite Verständnis soll es erlauben, ein möglichst breites «Spektrum an Phänomenen sprachlicher Vorgeformtheit» zu erfassen (Stein/Stumpf 2019, 17). Die Arbeit von Stein/Stumpf reiht sich in eine große Zahl weiterer germanistischer Arbeiten zur Musterhaftigkeit ein, wie die durch das Verbundprojekt Musterhaftigkeit. Sprachliche Kreativität und Variation in Synchronie und Diachronie der Universität Trier bereitgestellte thematische Bibliographie (TCLC 2021) bezeugt. Zwar ist in der Romanistik keine vergleichbare «Flut» an Publikationen zur Frage der Musterhaftigkeit des Sprachgebrauchs zu verzeichnen, doch lässt sich bei genauerem Hinsehen feststellen, dass die Thematik bereits in der Sprachtheorie Coserius eine wichtige Rolle spielt. Coserius Musterbegriff lässt sich vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen System und Norm erklären: «Das System umfasst die idealen Realisierungsformen einer Sprache, das heißt, die Technik und die Regeln des entsprechenden Sprachschaffens; die Norm die mit dieser Technik und nach jenen Regeln historisch bereits realisierten Muster. Auf diese Weise stellt das System die Dynamik der Sprache dar, die Art und Weise ihres Werdens, und folglich ihre Möglichkeit, über das bereits Realisierte hinauszugehen; die Norm dagegen entspricht der Fixierung der Sprache in traditionellen Mustern» (Coseriu 1974, 47–48; Hervorhebungen im Original).
Während also das System die Summe aller möglichen Formen, die «idealen Realisierungsformen» umfasst, umfasst die Norm die Summe aller üblichen Formen, die «bereits realisierten Muster». Nach Coseriu sind Muster folglich sprachliche Formen, die nach den Regeln des Systems realisiert wurden, die tradiert und fixiert wurden und nun die sogenannte Norm bilden. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch das im Zentrum der romanistischen Diskurstraditionenforschung stehende Konzept der Tradition näher bestimmen, indem es einerseits in seinem Verhältnis zu System und Norm und andererseits in seinem Verhältnis zum Muster betrachtet wird (cf. Lebsanft/Schrott 2015a, 35, 39–40). Als Teil einer kulturbe-
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zogenen Sprachwissenschaft legt die romanistische Diskurstraditionenforschung dabei ein kulturanalytisches Verständnis von Tradition und Muster zugrunde. Eine der zentralen Gemeinsamkeiten der romanistischen und der germanistischen Diskursforschung kann somit darin gesehen werden, «Muster und Techniken der Diskursgestaltung an der Schnittstelle von Sprache und Wissen rückgebunden an kulturelle Gruppierungen [zu] untersuchen» (Lebsanft/Schrott 2015a, 41). Von dieser Annahme ausgehend sollen im Folgenden in Bezug auf die Frage sprachlicher Muster romanistische und germanistische Forschungstradition zusammengeführt und auf dieser Basis der im Folgenden zugrunde gelegte Musterbegriff expliziert werden. Als Ausgangspunkt soll dabei der oben bereits referierte Musterbegriff nach Stein/Stumpf (2019) fungieren, der sich nicht nur durch ein weites Begriffsverständnis, sondern auch durch die Integration kulturanalytischer und korpuslinguistischer Perspektiven sowie seine besondere Anschlussfähigkeit an den Coseriu’schen Ansatz auszeichnet. In extensionaler Hinsicht begreifen Stein/ Stumpf Musterhaftigkeit als ein Phänomen, das «auf allen sprachlichen (Beschreibungs-)Ebenen vorkommt» (Stein/Stumpf 2019, 19). Diese Auffassung steht in scharfem Kontrast zu der in der Korpuslinguistik dominierenden Begriffsbestimmung, die sich zumeist auf Muster auf der Ebene der Mehrwortverbindungen beschränkt (cf. supra), wird aber von anderen (z.B. Günthner 2006, 174; Tienken 2015, 480) und auch in der vorliegenden Arbeit geteilt. Musterhafte Strukturen jenseits der Ebene der Mehrwortverbindungen sind zum Beispiel Phraseologismen, grammatische Konstruktionen und kommunikative Gattungen (cf. Günthner 2006, 174); auch kommunikative Muster wie das Grüßen oder Wortbildungsverfahren auf morphologisch-lexikalischer Ebene zählen dazu (cf. Tienken 2015, 471–479). Stein/Stumpf (2019) setzen Musterhaftigkeit auf folgenden Ebenen an: Wortebene: Wortbildungsmuster (41–65) Mehrwortebene: Phraseme und usuelle Wortverbindungen (67–93) Satzebene: Valenz und Satzmuster (95–122) Textebene: Textsorten und Textmuster, Formulierungsmuster und formelhafte Texte (123–150) Gesprächsebene: Von Routineausdrücken bis zu kommunikativen Gattungen (151–176) Diskursebene: Argumentationsmuster, Metaphern und Denkstereotype (177–210)
Zu ergänzen wären Muster im para- und nonverbalen Bereich, z.B. prosodische Muster oder ritualisierte Formen von Gestik und Mimik. Die verschiedenen Manifestationen von Musterhaftigkeit lassen sich auf unterschiedlichen Ebenen der einzelsprachlichen Strukturierung verorten und weisen in Abhängigkeit davon unterschiedliche Grade der Komplexität auf. Darüber hinaus verfügen sprachliche Muster über unterschiedliche Grade der lexikalischen Spezifiziertheit. Entsprechend lassen sie sich auf einer Skala einordnen, die von lexikalisch
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sehr stark spezifizierten Einheiten (z.B. Phraseme) zu lexikalisch kaum oder nicht spezifizierten abstrakten Einheiten (z.B. Argumentationsmuster) reicht (cf. Übersicht 1 in Stein/Stumpf 2019, 18). In extensionaler Hinsicht ist Musterhaftigkeit somit als eine Erscheinung zu begreifen, die eine Vielzahl von Phänomenen sprachlicher Vorgeformtheit auf sämtlichen Ebenen der einzelsprachlichen Strukturierung umfasst. In intensionaler Hinsicht bestimmen Stein/Stumpf (2019, 17) die Kriterien der Rekurrenz und Usualität als zentrale definitorische Merkmale sprachlicher Muster:301 Sprachliche Muster seien Strukturen, die wiederholt auftreten (Rekurrenz) und wiederholt verwendet werden (Usualität), was zu der wissenssoziologischen Annahme führe, dass sie auch wiedererkennbar sind (was allerdings nicht impliziere, dass Sprecher sie auch bewusst wahrnehmen und verwenden würden) (cf. Stein/Stumpf 2019, 19–22). Darüber hinaus arbeiten Stein/Stumpf weitere Eigenschaften sprachlicher Muster heraus, die die kulturanalytische Perspektive stärker in den Fokus rücken. So seien sprachliche Muster nicht nur rekurrente und usualisierte Formen, sondern auch «historisch gewachsene und sozial eingespielte, im Sprachgebrauch jedoch anpassbare und wandelbare Erscheinungsformen, die kognitiv verankert bzw. internalisiert sind, sodass kompetente Sprachteilhaber(innen) routinemäßig auf sie zurückgreifen (können). Wesentlich für unser Begriffsverständnis sind also neben Rekurrenz Konventionalität, Historizität und (Re-)Aktualisier- bzw. Reproduzierbarkeit einschließlich situativer Anpassbarkeit und individueller Veränder- und gesellschaftlicher Wandelbarkeit» (Stein/Stumpf 2019, 19; Hervorhebungen im Original).
Diese Begriffsbestimmung erweist sich in vielerlei Hinsicht als anknüpfungsfähig an Coserius Verständnis sprachlicher Muster. Neben einem Vergleich beider Ansätze vermag insbesondere auch eine systematische Betrachtung des Musterbegriffs im Kontext des Coseriu’schen Drei-Ebenen-Modells ein tieferes Verständnis sprachlicher Muster und ihrer verschiedenen Eigenschaften zu vermitteln sowie die vor diesem Hintergrund deutlich zu Tage tretende enge Verflechtung der Konzepte Muster und Tradition zu erhellen. In Coserius Drei-Ebenen-Modell lässt sich der Begriff des Musters auf der individuellen Ebene und unter dem Gesichtspunkt des Produkts verorten. Die Verortung auf der individuellen Ebene mag im ersten Moment überraschen, handelt es sich bei Mustern doch um historisch gewordene, konventionalisierte sprachliche Formen, doch korrespondiert diese Verortung mit derjenigen der Diskurstraditionen, die, obwohl sie gleichfalls historisch geworden sind und auf der Übernahme
Dies erinnert erneut an den Behaviourismus sowie das Semiose-Modell der Kognitiven Grammatik.
4.2 Methodologische Grundprinzipien
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individueller Redeweisen durch ein Kollektiv beruhen, auf der individuellen Ebene zu verorten sind. Dies hat Lebsanft (2015a, insb. 105–107) ausführlich – und im Widerspruch zu Koch, der stattdessen eine Dopplung der historischen Ebene vornimmt, – gezeigt, indem er auf den unterschiedlichen Status der Historizität von Einzelsprachen und Diskurstraditionen verweist. Muster haben – genau wie Traditionen – dasselbe historische Wesen, aber einen anderen historischen Status als Einzelsprachen und sind deshalb auf der individuellen Ebene zu verorten. Die Verortung von Mustern unter dem Gesichtspunkt des Produkts (ἔργoν) resultiert daraus, dass Muster – im Gegensatz zu Traditionen – etwas sind, was sich im Text manifestiert, was man suchen und identifizieren kann: «Die Muster sind die Spuren der Ausübung einer Tradition» (Lebsanft/Schrott 2015a, 40). Muster sind ein Phänomen der Textoberfläche:302 Sie manifestieren sich im Text und können ex post durch den Analytiker gesucht und identifiziert werden. Die Verwendung von Mustern setzt ein Wissen um die situationsadäquate Gestaltung von Diskursen bzw. Texten voraus, ein «Musterwissen» sozusagen. Muster lassen damit Rückschlüsse auf die zum Wissen zählenden Traditionen (δύναμις) zu, die dem Analytiker nicht unmittelbar zugänglich sind; Muster sind gewissermaßen der Schlüssel zur Tradition. Wenn es bei Stein/Stumpf heißt, dass Muster «kognitiv verankert» seien, so ist dies eben über die δύναμις zu erklären und bedeutet, dass die Sprecher unbewusst über ein Musterwissen verfügen. Dieses Musterwissen kann der sprachlichen Tätigkeit (ἐνέργεια) sowohl vor- als auch nachrangig sein, da einerseits im konkreten Sprechakt auf bereits vorhandenes Musterwissen zurückgegriffen werden kann, andererseits aber auch die Herausbildung neuer Muster in der und durch die konkrete Sprechtätigkeit erfolgt (cf. Coseriu 1988/2007, 12). Muster bleiben jedoch nicht der individuellen Redeweise verhaftet, sondern stellen – wie Traditionen – «interindividuelle und über den einzelnen Sprechakt hinausgehende Größen dar, die wiederholt auftreten bzw. angewendet werden» (Lebsanft/Schrott 2015a, 39). Sie sind, mit Stein/Stumpf gesprochen, rekurrent und usuell. Die Herausbildung von Mustern beginnt folglich mit individuellen sprachlichen Redeweisen, setzt dann aber deren Übernahme durch ein Kollektiv
Dies kann nahezu als «Minimalkonsens» der sprachwissenschaftlichen Musterforschung gelten, wird diese Auffassung doch nahezu unwidersprochen geteilt (cf. z.B. Bubenhofer 2009, 30; Tienken 2015, 470; Brommer 2018, 51; Stein/Stumpf 2019, 20). Gardt (2007, 42) zufolge sichere daher gerade die Konzentration auf das Musterhafte im Text die «linguistische Identität» der germanistischen Diskurslinguistik, deren übergeordnetes Erkenntnisinteresse ja oft auf außersprachliche Objekte ziele, etwa darauf, Aufschluss über ein kontroverses, gesellschaftlich relevantes Thema zu erhalten (cf. auch Gardt 2013, 43).
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4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
voraus. Diese Kollektive sind nicht beliebig, sondern, wie bereits Schlieben-Lange (1983, 28) gezeigt hat, sozial und kulturell spezifiziert: Die Verwendung bestimmter sprachlicher Muster ist an bestimmte Handlungszusammenhänge gekoppelt, die wiederum in sozial und kulturell geformte Kontexte eingebettet sind. In diesem Sinne lassen sich sprachliche Muster als konventionalisierte, sozio-kulturell geprägte Resultate sprachlichen Handelns beschreiben oder, mit Stein/Stumpf gesprochen, als konventionell, historisch gewachsen, (re-)aktualisier- und reproduzierbar. Doch auch wenn Muster konventionalisiert, sozio-kulturell geformt und in gewisser Weise historisch sind, bedeutet dies nicht, dass sie unveränderbar sind. Muster sind, um es in Worten Stein/Stumpfs zu sagen, situativ anpassbar, individuell veränderbar und gesellschaftlich wandelbar. Bei jeder Aktualisierung (energeia) können sie individuell an die jeweilige Kommunikationssituation angepasst werden, was mit der Zeit zu einem Wandel des Musters führen kann. Der Begriff des Musters schließt damit eine Veränderbarkeit im Laufe der Zeit nicht aus, auch wenn er sie – im Gegensatz zum Begriff der Tradition – nicht notwendigerweise impliziert (cf. Lebsanft/Schrott 2015a, 39). Zu guter Letzt stellt sich die Frage, weshalb Sprecher überhaupt auf musterhafte Strukturen rekurrieren. Grundsätzlich steht den Sprechern die Gesamtheit der «idealen Realisierungsformen», das System, zur Verfügung; im konkreten Sprechakt kann auf «bereits realisierte Muster», die Norm, zurückgegriffen werden, es können aber auch neue Formen geschaffen werden, die sich anschließend zu Mustern verfestigen können. Gerade dieses Schaffen von Neuem ist es, was die Sprache als energeia, als kreative, schöpferische Tätigkeit ausmacht. Dass trotz des schöpferischen Potenzials auch auf Musterhaftes zurückgegriffen wird, lässt sich darauf zurückführen, dass sich Sprecher immer wieder mit denselben kommunikativen Aufgaben konfrontiert sehen, zu deren Bewältigung auf bereits bewährte Muster zurückgegriffen wird. Als verfestigte Traditionen bilden Muster «Handlungsvorgaben, auf die Menschen zur Entlastung des täglichen Handelns rekurrieren» (Lebsanft/Schrott 2015a, 24). Der Rückgriff auf Muster bedeutet eine «Entlastung im Formulierungsprozess» und verleiht «Verhaltenssicherheit» (Stein/Stumpf 2019, 22). In der konkreten Handlungssituation bewegen sich Sprecher daher stets im Spannungsfeld von Musterhaftigkeit und freiem, kreativem Sprachgebrauch (cf. Stein/Stumpf 2019, 20–22). Resümierend lässt sich der in der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegte Musterbegriff, der im Anschluss an Stein/Stumpf (2019) und unter Rückgriff auf Coseriu und Lebsanft/Schrott (2015a) entwickelt wurde, wie folgt zusammenfassen: Sprachliche Muster sind interindividuelle, über den einzelnen Sprechakt hinausgehende Größen, die rekurrent und usualisiert, sozio-kulturell geprägt und kognitiv verankert sind. Die Strukturiertheit des Sprachgebrauchs verdankt sich der Verwendung von Mus-
4.2 Methodologische Grundprinzipien
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tern auf allen Ebenen der einzelsprachlichen Strukturierung. Muster manifestieren sich an der Textoberfläche und dienen, indem sie als Handlungsvorgabe fungieren, der Entlastung des täglichen Handelns.
Auf der Grundlage dieser Begriffsbestimmung kann nun erläutert werden, worin die Relevanz sprachlicher Muster für die Diskursanalyse besteht. Vor dem Hintergrund, dass sprachliche Musterhaftigkeit «kein Randphänomen», sondern «vielmehr ein grundlegendes und überaus facettenreiches Wesenselement natürlicher Sprachen ist» (Stein/Stumpf 2019, 11), gilt, dass die Untersuchung sprachlicher Musterhaftigkeit ein zentrales Anliegen der Sprachwissenschaft insgesamt sein sollte. Aus der Perspektive der kulturbezogenen Sprachwissenschaft wird die Relevanz der Herausarbeitung des Musterhaften im Sprachgebrauch immer wieder unterstrichen (cf. u.a. Gardt 2012a, 299; 2013, 43, 50; Lebsanft/Schrott 2015a, 40; Tienken 2015, 464). Gardt (2013, 50) zufolge gibt die Analyse von «Muster[n] der sprachlichen Konstitution von Wirklichkeit» Aufschluss darüber, wie zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gesprochen, gehandelt, gedacht wurde bzw. wird, und gewährt so Zugriff auf entsprechende «Weltausschnitte». In eine ähnliche Richtung zielt folgende Feststellung Tienkens (2015, 464): «Die sinnhafte Erschließung dieser Musterbildungen ermöglicht Einblick in Aspekte menschlichen Daseins, in Veränderungen der Wahrnehmung, Erfahrung und Aneignung von Welt». Aus der Perspektive der Korpuslinguistik schließlich stellt sich, wie Bubenhofer (2015, 492) hervorhebt, die Analyse von Mustern gar als forschungspraktische Notwendigkeit dar: «Für eine datengeleitete Korpuslinguistik sind musterentdeckende Verfahren noch wichtiger als für klassische Ansätze. Sie ermöglichen überhaupt erst die Analyse der entsprechend großen Datenmengen und sind die Grundsteine, um durch eine linguistische Interpretation der Muster zu neuen Kategorien zu gelangen.»
Unabhängig davon, ob eine korpuslinguistische oder eine kulturanalytische Perspektive eingenommen wird, sind sprachliche Muster für die Analyse von Diskursen insbesondere deshalb von Interesse, weil musterhafter Gebrauch auf die Typizität der Verwendung schließen lässt (cf. Bubenhofer 2009; 2015; Bücker 2015, 454; Tienken 2015, 464; Brommer 2018). Brommer (2018, 55), die Typizität als eines der definitorischen Merkmale sprachlicher Muster bestimmt, hebt dabei die enge Verknüpfung zwischen Typizität und Kontext hervor: «Muster sind an einen spezifischen Verwendungskontext gebunden und für diesen Kontext typisch. Der Kontext ist dafür entscheidend, dass ein Wort oder eine Verbindung mehrerer Wörter als Muster erkannt wird und ob ein Zeichenkomplex überhaupt eine Musterfunktion hat (vgl. Bubenhofer 2009, 27). Die Kontextgebundenheit ist notwendig für die Typizität von Mustern.»
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4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
Die besondere Relevanz sprachlicher Muster für die Analyse von Diskursen liegt darin begründet, dass die Analyse des Musterhaften die sprachlichen Erscheinungsformen nicht nur als Einzelfälle, sondern als für bestimmte Kontexte typische Verwendungen und damit als generalisierbare Charakteristika zu beurteilen vermag und so über die individuelle Beschreibung von Einzeltexten hinausgreift (cf. Gardt 2007, 42; 2012a, 299; 2013, 50). Die Analyse des Musterhaften, des Systematischen zielt auf das Typische der Verwendung ab, weil Muster für bestimmte Kontexte typisch sind. Muster sind für bestimmte Kontexte typisch, weil auf sie zurückgegriffen wird, um bestimmte kommunikative Aufgaben zu lösen, die wiederum an bestimmte Handlungskontexte geknüpft sind. Doch auch wenn sprachliche Muster von großem Interesse für die Analyse von Diskursen sind, ist Musterhaftigkeit nicht alles. Auch das Singuläre kann, wie nicht nur Warnke (2015, 233–234) zu Recht hervorhebt, von besonderer Bedeutung für den interessierenden Diskurs und damit von zentraler Relevanz für die linguistische Analyse desselben sein. Um dem Rechnung zu tragen, sollte, wie Gardt (2007, 43) vorschlägt, «eine Art Mittelweg zwischen einem rein intuitiven Zugang zu individuellen Texten und einem eher auf das Musterhafte an Texten […] gerichteten Analyseverfahren» beschritten werden. Abschließend soll aus methodologischer Perspektive erläutert werden, wie sich sprachliche Muster identifizieren lassen. Als ein Phänomen des Sprachgebrauchs lassen sich sprachliche Muster am besten empirisch ermitteln (cf. Bubenhofer 2009; Gardt 2012a, 299; Brommer 2018; Stein/Stumpf 2019, 20). Ein besonders geeigneter und häufig gewählter Weg ist die Korpusanalyse. Stein/ Stumpf (2019, 39) halten ein «korpusgestütztes Vorgehen» sogar für «unerlässlich», legen dabei allerdings einen weiten Korpusbegriff zugrunde, der auch «selbst angelegte Materialsammlungen, die nicht elektronisch aufgearbeitet sein müssen», (Stein/Stumpf 2019, 34) einschließt: «[F]ür die Untersuchung sprachlicher Musterhaftigkeit [ist] ein korpusgestütztes Vorgehen unerlässlich, da nur durch die Auswertung authentischer Sprachdaten die verfestigten Strukturen und Einheiten auf allen sprachlichen Systemebenen aufgedeckt werden können. Sprachliche Musterhaftigkeit ist ein Ergebnis von wiederkehrenden und zur Routine gewordenen Sprachgebrauchsmustern, auf die Schreiber und Sprecher in der Kommunikation zurückgreifen. Sprachlich vorgeformte Einheiten und Strukturen können demnach auch nur durch die Untersuchung größerer sprachlicher Text- und Gesprächskorpora befriedigend analysiert werden.»
Demnach kann die empirische Datengrundlage als conditio sine qua non für die Analyse sprachlicher Muster gelten. Dabei beschränkt sich die Analyse sprachlicher Muster allerdings nicht auf (semi-)automatisierte, frequenz- und signifikanzorientierte Analysen großer Datenmengen, sondern schließt auch manuelle, qualitativ orientierte Analysen einzelner Texte und Okkurrenzen ein. Welcher Zu-
4.2 Methodologische Grundprinzipien
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griff gewählt wird, hängt von den interessierenden Mustertypen ab: Eine (semi-)automatisierte Analyse großer Datenmengen eignet sich insbesondere für die Untersuchung lexikalisch stark spezifizierter Muster, stößt jedoch an ihre Grenzen, wenn es um lexikalisch kaum oder nicht spezifizierte Muster geht; um diese zu identifizieren, bedarf es hingegen eines manuellen Zugriffs, was wiederum nur für kleinere Datenmengen leistbar ist. Während die (semi-)automatisierte Analyse großer Datenmengen in der Regel nach den Kriterien der Frequenz und der statistischen Signifikanz erfolgt, müssen für die manuelle Analyse kleinerer Datenmengen andere Kriterien geschaffen werden. Aus kulturanalytischer Perspektive schlägt Tienken (2015, 470–471) die Kriterien der Kontrastivität und Serialität vor, um kulturell signifikante Muster zu identifizieren: «Kontrastivität: Muster werden in der Regel erkennbar, wenn sie mit einem Gegenbild konfrontiert werden, wenn eine Ausführungsvariante anderen gegenüber gestellt wird […]. Serialität: Neben dem eher qualitativ orientierten Verfahren der Kontrastierung bietet sich das Sichten seriell verfügbarer Quellen an. In der massiven Häufung gleichartiger Quellen lassen sich Muster qua ihrer Rekurrenz identifizieren […]. In Korpusanalysen lassen sich Muster als ‹Klumpen im Text› ausmachen (Bubenhofer 2009, 111), wobei aber statistische Signifikanz nicht notwendigerweise mit kultureller Signifikanz korreliert» (Tienken 2015, 471).
In der vorliegenden Untersuchung erfolgt die Analyse sprachlicher Muster auf der Grundlage einer Korpusanalyse, wobei in Abhängigkeit vom jeweils interessierenden Mustertyp sowohl (semi-)automatisierte als auch manuelle Verfahren zum Einsatz kommen. Die Analyse von Agonalitätsindikatoren etwa fußt auf einer frequenz- und signifikanzorientierten, automatisierten Auswertung des Korpus. Dieses Vorgehen ist für die Analyse von Agonalitätsindikatoren geeignet, da es sich bei Agonalitätsindikatoren um rekurrente und lexikalisch spezifizierte sprachliche Strukturen auf der Ebene der Morpheme, der Wortebene sowie der Ebene der Mehrwortverbindungen handelt, die sich automatisiert identifizieren lassen. In einem zweiten Schritt werden manuelle, qualitativ orientierte Analysen einzelner Instanziierungen dieser Muster vorgenommen. Demgegenüber wird für die Analyse agonaler Diskurshandlungen a priori ein manuelles Vorgehen gewählt. Agonale Diskurshandlungen beruhen auf Handlungsmustern; Handlungsmuster sind eine pragmatische Kategorie und lassen sich «nicht ohne Weiteres an bestimmten sprachlichen Formen festmachen» (cf. Holly 2017b, 3); sie sind lexikalisch nicht oder kaum spezifiziert und können daher nicht automatisiert identifiziert werden. Unter Handlungsmustern verstehe ich im Anschluss an Heringer (1974, 20–21, 40–43), der wiederum an Wittgenstein anknüpft, Regeln, die Menschen in ihrem (sprachlichen) Handeln befolgen. Das Befolgen von Regeln ist dabei nicht präskriptiv, sondern rein deskriptiv zu verstehen, in dem Sinne,
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4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
dass sprachliche Handlungen Regelmäßigkeiten aufweisen. Weisen zwei Handlungen die gleiche Regelmäßigkeit auf, gehören sie zu ein und demselben Handlungsmuster. Handlungsmuster sind mit Regeln zu identifizieren; konkrete Handlungen mit den Befolgungen dieser Regeln (cf. Heringer 1974, 40). Der Umfang einer Handlung ist je nach Kontext variabel; er kann dem einer Äußerung entsprechen oder auch die Grenzen einer Äußerung unter- oder überschreiten. Tendenziell aber sind Handlungsmuster auf der intratextuellen Ebene und innerhalb dieser primär auf der Satzebene zu verorten.303 Sprachliche Handlungsmuster lassen sich identifizieren, indem Regelmäßigkeiten im sprachlichen Handeln aufgespürt werden. Diese Regelmäßigkeiten sind vielmehr funktionaler denn formaler Natur, weshalb die automatische Auffindbarkeit von Handlungsmustern eine funktional-pragmatische Annotation des Korpus voraussetzt, die nur manuell vorgenommen werden kann. Wie genau die Analyse – von musterhaften ebenso wie von singulären Strukturen – erfolgt, wird im folgenden Abschnitt erläutert.
4.3 Analyseansätze Damit es nicht bei der im vorigen Kapitel entwickelten bloßen Deklaration der methodologischen Grundprinzipien bleibt, sondern diese auch tatsächlich angewandt und in ihrer Validität empirisch untermauert werden, bedarf es ihrer Operationalisierung in konkreten Analyseansätzen. Davon ausgehend, dass für eine diskursanalytische Untersuchung nicht die Wahl eines einzelnen Analyseverfahrens genügt, sondern eine Kombination verschiedener Analyseverfahren erforderlich ist, um der Komplexität des Forschungsgegenstands und der an ihn herangetragenen Forschungsfragen Rechnung zu tragen, wird für jedes Phänomen ein separater Analyseansatz entwickelt, in dem die spezifische Aus-
Diese Bestimmung von Handlungsmuster unterscheidet sich insofern von derjenigen von Spitzmüller und Warnke, als dass diese Handlungsmustern einen höheren Komplexitätsgrad zuschreiben und den Aspekt der Medialität in den Fokus rücken; als Beispiel für ein Handlungsmuster nennen sie etwa den Reisebericht. Dabei nehmen sie eine klare Differenzierung zur Kategorie der Textsorte, an die dieses Beispiel auch denken ließe, vor: «Wir sprechen daher in deutlicher Differenzierung von ‹Handlungsmustern› und sehen den wesentlichen Unterschied zu ‹Textsorten› darin, dass ‹Handlungsmuster› eine Handlungskategorie im Akteursfeld darstellen und damit zu den Medialisierungsprozessen gehören, während ‹Textsorten› aus formalen und funktionalen sprachlichen Merkmalen resultieren. ‹Handlungsmuster› sind in unserem Verständnis soziale Verfahren der Medialisierung» (Spitzmüller/Warnke 2011, 186). Im DIMEAN-Modell kommt dies darin zum Ausdruck, dass Handlungsmuster auf der Akteursebene und innerhalb dieser in der Kategorie der Medialität verortet werden.
4.3 Analyseansätze
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wahl und Kombination der Analyseverfahren, die zur Erfassung des jeweiligen Phänomens erforderlich sind, sowie das konkrete Vorgehen bei der Analyse systematisch zusammengeführt werden. Im Folgenden werden die Analyseansätze für diejenigen Phänomene beschrieben, die Gegenstand der Analyse sein werden: Agonalitätsindikatoren (Kapitel 4.3.1), agonale Diskurshandlungen (Kapitel 4.3.2), akteursbedingte Spezifika von Agonalität (Kapitel 4.3.3) und textsortenbedingte Spezifika von Agonalität (Kapitel 4.3.4).304 Die Analyseergebnisse werden in Kapitel 6, das in seiner Kapitelstruktur mit der des vorliegenden Kapitels korrespondiert, dargelegt.
4.3.1 Analyse von Agonalitätsindikatoren Agonalitätsindikatoren wurden in Kapitel 2.6.2 definiert als verbale, para- und nonverbale Mittel, die Agonalität indizieren, d.h. eine kompetitive Opposition signalisieren. In Anlehnung an Mattfeldt (2018) wurden folgende Kriterien aufgestellt, die ein verbales, para- oder nonverbales Mittel erfüllen muss, um als Agonalitätsindikator gelten zu können: – Agonalitätsindikatoren müssen auf eine kompetitive Opposition verweisen bzw. diese beschreiben, sie als faktisch charakterisieren oder sie andeuten – sie müssen also die Agonalität an sich markieren oder – sprachlich eine Konkurrenz konstruieren oder benennen, also die Akteure, die sprachlich partizipieren, in Konkurrenz setzen oder – die Existenz widerstreitender Perspektivierungen implizieren oder – metasprachlich darauf hinweisen, dass eine kompetitive Opposition existiert. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird der Fokus auf Agonalitätsindikatoren verbaler Natur gelegt; Agonalitätsindikatoren para- und nonverbaler Natur werden aus den in Kapitel 4.2.2 erläuterten Gründen lediglich punktuell thematisiert. Innerhalb der Agonalitätsindikatoren verbaler Natur wird zwischen grammatischen und lexikalischen Agonalitätsindikatoren unterschieden. Ihre Analyse erfolgt in Anlehnung an Mattfeldt (2018) auf der Grundlage französischer Grammatiken und Wörterbücher sowie der Korpusanalyse und kombiniert damit deduktive und induktive Verfahren. Während die Korpusanalyse die empirische
Die konkreten Analyseverfahren werden jeweils nur knapp und in Bezug auf die konkrete, hier unternommene Anwendung dargelegt. Für ausführlichere Erläuterungen sei auf die entsprechende korpuslinguistische Literatur verwiesen (z.B. Köhler/Altmann/Piotrowski 2005; Lüdeling/Kytö 2008–2009); zur Anwendung der Verfahren auf die Analyse politischen Sprachgebrauchs cf. die Überblicke bei Bubenhofer (2017) und Ziem (2017a; 2017b).
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4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
Evidenz für das untersuchte Phänomen liefert, lässt sich durch das Heranziehen von Grammatiken und Wörterbüchern das linguistische Wissen nutzbar machen, das in der grammatikographischen und lexikographischen Tradition seit Jahrhunderten erschlossen und festgehalten wird. Zwar umfasst eine Grammatik nie die Gesamtheit aller grammatischen Phänomene ebenso wie ein Wörterbuch nie die Gesamtheit des Vokabulars einer Sprache verzeichnet; zudem spiegelt das Werk eines Grammatikographen oder Lexikographen bzw. einer Gruppe von Grammatikographen oder Lexikographen immer auch dessen bzw. deren Weltsicht und Entscheidungen. Gleichwohl geben Grammatiken und Wörterbücher wie kein anderes Werk Aufschluss über Struktur und Organisation der Grammatik und des Wortschatzes einer Sprache und bieten damit auch für die Erstellung eines Inventars grammatischer und lexikalischer Agonalitätsindikatoren eine wertvolle Quelle. Für die Analyse grammatischer Agonalitätsindikatoren werden zunächst grammatikographische Werke im Hinblick auf mögliche, Agonalität indizierende grammatische Kategorien ausgewertet, indem in den Beschreibungen nach agonalen und agonalitätsverwandten Konzepten gesucht wird. Dabei ist selbstverständlich nicht davon auszugehen, dass der Ausdruck Agonalität selbst Verwendung findet, sondern es gilt, verwandte Termini und Konzepte aufzuspüren. Als Ausgangspunkt dienen die von Mattfeldt (2018, 102–145) für das Deutsche und Englische untersuchten grammatischen Kategorien, die im Hinblick auf ihre Relevanz für das Französische überprüft und um weitere Kategorien ergänzt werden. Für jede Kategorie wird auf der Grundlage des Korpus stichprobenartig überprüft, ob sich die Erkenntnisse empirisch validieren lassen. Ausgangspunkt für die Ermittlung lexikalischer Agonalitätsindikatoren sind, im Anschluss an Mattfeldt (2018), thematische Wörterbücher und Synonymwörterbücher. Thematische Wörterbücher sind besonders geeignet für die Ermittlung lexikalischer Agonalitätsindikatoren, da sie es durch ihre thematische Sortierung erlauben, Themen bzw. Konzepte, die einen Bezug zur Agonalität aufweisen, zu identifizieren und mit diesen korrespondierende Versprachlichungsmittel zu eruieren (semasiologisches Vorgehen). Synonymwörterbücher hingegen sind ein probates Mittel, um Ausdrücke aufzuspüren, die eine gleiche oder ähnliche Bedeutung aufweisen, und können daher zur Erweiterung des bereits erschlossenen Inventars genutzt werden (onomasiologisches Vorgehen). Neben der umfassenden Analyse lexikalischer Agonalitätsindikatoren im Deutschen und Englischen von Mattfeldt (2018) kann dabei auf vereinzelte Arbeiten zum Französischen zurückgegriffen werden (André-Larochebouvy 1984; Kerbrat-Orecchioni 1990–1994, vol. 2; 2017; Münch 2018; Weiland 2020). Im Anschluss werden die auf diese Weise ermittelten potenziellen lexikalischen Agonalitätsindikatoren auf der Grundlage des Untersuchungskorpus empirisch überprüft. Dabei wird zunächst die Frequenz der jeweili-
4.3 Analyseansätze
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gen Ausdrücke im Korpus ermittelt, um im Anschluss daran Bedeutung und Funktion ausgewählter Ausdrücke zu analysieren. Um zu überprüfen, ob die Ausdrücke im konkreten Verwendungszusammenhang tatsächlich als Agonalitätsindikatoren fungieren, wird ausgehend von Konkordanzen eine Analyse der Kotexte dieser Ausdrücke vorgenommen. Konkordanzen305 erlauben es, den Suchbegriff in den verschiedenen Ko(n)texten, in denen er verwendet wird, zu betrachten, und helfen, semantische und syntaktische Strukturen, in denen er auftritt, zu erkennen (cf. Scherer 2006, 44). Zudem bieten Konkordanzen einen geeigneten Ausgangspunkt, um weitere manuelle, qualitative Analysen einzelner Okkurrenzen in ihrem jeweiligen Ko(n)text vorzunehmen. Konkordanzen sind daher auch ein geeignetes Mittel für die Analyse von Agonalitätsindikatoren. Insgesamt verfolgt die Untersuchung grammatischer und lexikalischer Agonalitätsindikatoren ein dreifaches Ziel: (i) die Erforschung von Lexik und Grammatik der Agonalität im Französischen, (ii) die Ermittlung von Agonalitätsindikatoren, die für das Diskursuniversum der Politik und insbesondere für den Wahlkampf charakteristisch sind, sowie (iii) die Untersuchung des spezifischen Gebrauchs grammatischer und lexikalischer Agonalitätsindikatoren im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017. Mit dem erstellten Inventar wird dabei keinesfalls ein Anspruch auf Exhaustivität erhoben, sondern – im Einklang mit dem theoretischen Ansatz und den methodologischen Grundprinzipien – vielmehr das Ziel verfolgt, einen Beitrag zur Erforschung von Agonalität im Diskurs, d.h. hier von Agonalitätsindikatoren in ihrer Ko- und Kontextabhängigkeit, zu leisten.
4.3.2 Analyse agonaler Diskurshandlungen Agonale Diskurshandlungen, also sprachliche Handlungen, die in diskursiven Kämpfen zum Einsatz kommen (cf. Kapitel 2.6.6), sind eine spezifische Ausprägung von durch Sprache vollzogenen Handlungen, davon, was in der Pragmalinguistik als Illokutionen bzw. illokutionäre Akte bezeichnet wird. Ihre Spezifik besteht darin, dass sie agonalen Charakter haben, also Ausdruck einer kompeti-
Als Konkordanz wird in der Korpuslinguistik eine Liste bezeichnet, in der alle Okkurrenzen eines ausgewählten Wortes im Kotext, d.h. mit beliebig vielen rechts und/oder links von ihm stehenden Wörtern, angezeigt werden (cf. Baker 2006, 71–93). Üblich ist auch die Bezeichnung keyword in context, kurz KWIC. Ich möchte hier auf diese Bezeichnung verzichten, da ihr ein anderes Verständnis von keyword (dt. Schlüsselwort) zugrunde liegt als es in der vorliegenden Arbeit definiert wird (zum hier zugrunde gelegten Begriffsverständnis von Schlüsselwort cf. Kapitel 4.3.3).
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4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
tiven Opposition sind, und dass ihnen die Funktion zukommt, dem Sprecher die Deutungs- und Diskurshoheit zu verschaffen. Die Analyse agonaler Diskurshandlungen erfolgt auf der Grundlage einer funktional-pragmatischen Annotation des Korpus. Die Frage der pragmatischen Annotation von Korpora ist Gegenstand der Korpuspragmatik, «a new burgeoning discipline facilitated by the rapprochement between corpus linguistics and pragmatics and an integration of their key methodologies» (Rühlemann/Aijmer 2015, 23; Hervorhebung im Original). Die Korpuspragmatik hat sich zum Ziel gesetzt, sprachliches Handeln mit korpuslinguistischen Mitteln zu erforschen.306 Die pragmatische Annotation von Korpora ist noch vergleichsweise wenig erforscht. Zwar werden in jüngerer Zeit vermehrt Annotationssysteme für die pragmatische Annotation von Korpora entwickelt, doch bilden pragmatisch annotierte Korpora nach wie vor die Ausnahme und die Etablierung eines Annotationsstandards, wie er beispielsweise für die Annotation von Wortarten existiert, steht noch aus (für einen Überblick über den Forschungsstand zur pragmatischen Annotation cf. Archer/Culpeper/Davies 2008 und Archer/Culpeper 2018). Nach Archer/Culpeper (2018, 497–500) erfolgt die pragmatische Annotation in zwei Schritten. Zunächst werden die sprachlichen Daten in pragmatische Einheiten segmentiert (segmentation). Daraufhin wird das Annotationsschema implementiert, indem jede Einheit mit einem korrespondierenden tag versehen wird (implementation). Ein tag gibt Aufschluss über die Funktion, die der sprachlichen Einheit im jeweiligen Handlungszusammenhang zukommt. Pragmatische Annotationen beruhen damit auf Form-Funktions-Korrelationen. Diese geben Aufschluss über das Zusammenspiel sprachlicher Ausdrücke (Formen) und sprachlicher Handlungen (Funktionen) im Kontext und machen so Beziehungen zwischen sprachlichen Ausdrücken und sprachlichen Handlungen transparent (cf. Felder 2006a; Felder/Müller/Vogel 2012a). In der Erforschung des Zusammenhangs von Handlungstypen (Funktionen) und sprachlichen Realisierungen (Formen) und ihres Zusammenwirkens besteht ein zentrales Forschungsdesiderat, für das die funktional-pragmatische Annotation von Korpora ein geeignetes Mittel ist (cf. Stede 2007/2018, 153–154). Dem soll in der vorliegenden Untersuchung in Bezug auf agonale Diskurshandlungen nachgekommen werden. Eine zentrale Herausforderung besteht dabei darin, dass einerseits eine sprachliche Form je nach Kontext unterschiedliche Funktionen haben kann und dass andererseits eine Funktion durch unterschiedliche Formen versprachlicht
Einen Überblick über die Korpuspragmatik gibt das Handbuch Corpus pragmatics (Aijmer/ Rühlemann 2015); für eine Adaptation des Paradigmas im deutschsprachigen Raum cf. Felder/ Müller/Vogel (2012b).
4.3 Analyseansätze
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werden kann; kurz: Es kann nicht von einer Eins-zu-eins-Entsprechung zwischen Formen und Funktionen ausgegangen werden. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass, während sich sprachliche Formen an der Textoberfläche manifestieren, Funktionen interpretativ erschlossen werden müssen. Sprachliche Formen können zwar als Anhaltspunkt dienen, doch lässt sich die Funktion einer Äußerung letztlich nur durch eine gewisse Interpretationsleistung und unter Einbezug des Kontexts erschließen. Pragmatische Annotation ist daher immer interpretativ: «Pragmatics is about functional interpretations which are not determined by any particular form alone. Corpus annotation provides a record of those interpretations. […] we believe that annotation should be regarded as an interpretative record only, so as to ensure that we do not over-state the importance of the annotation in relation to the text» (Archer/ Culpeper/Davies 2008, 637; meine Hervorhebung).
Aus diesem Grund kann die pragmatische Annotation nur manuell oder höchstes semi-automatisiert vorgenommen werden (cf. Archer/Culpeper 2018, 519); das tagging hingegen kann computergestützt erfolgen, wodurch die weitere Auswertung und Analyse erleichtert werden. Gerade weil pragmatische Annotation stets interpretativer Natur ist, ist es besonders wichtig, sich potenzielle Probleme bewusst zu machen,307 ein konsistentes Annotationssystem zu entwickeln und den Annotationsprozess transparent zu machen. In der vorliegenden Untersuchung wird die funktional-pragmatische Annotation des Korpus im Hinblick auf agonale Diskurshandlungen mithilfe der Software MAXQDA vorgenommen.308 Das Vorgehen orientiert sich an dem durch Kohnen (2012) empfohlenen Verfahren und sieht wie folgt aus: 1. Aus dem Korpus wird ein Text herausgegriffen und von Beginn an gelesen. 2. Sobald eine relevante Textstelle auftritt, wird diese markiert (Segmentierung). Dabei können Agonalitätsindikatoren als Anhaltspunkt fungieren, doch sind sie weder ein notwendiges noch ein hinreichendes Kriterium für das Vorhandensein einer agonalen Diskurshandlung. Die Segmentierungseinheit ist die Äußerung. 3. Daraufhin wird die Textstelle auf ihre Funktion hin interpretiert und mit einem entsprechenden tag versehen, in MAXQDA Code genannt (Imple-
Dazu zählen laut Archer/Culpeper (2018, 499–500) u.a. «ambiguity and indeterminancy», «delicacy» sowie «implementation evidence». Für eine ausführliche Diskussion sowie einen Lösungsansatz mit exemplarischer Anwendung auf Frage-Antwort-Strukturen cf. Weisser (2018, 187–211). Zu MAXQDA cf. Appendix.
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4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
mentierung). Durch die Vergabe eines Codes wird die Textstelle einer Kategorie zugeordnet, die der jeweiligen agonalen Diskurshandlung entspricht. 4. Schritt 2 und 3 werden so lange wiederholt, bis der gesamte Text annotiert ist. 5. Schritt 1, 2 und 3 werden auf die übrigen Texte angewandt, bis das gesamte Korpus annotiert ist.309 Die Codes werden dabei zunächst nur als vorläufige Beschreibungskategorien betrachtet und unterliegen einer ständigen Überprüfung, was zu fortwährenden Überarbeitungen und Anpassungen des Kategoriensystems führt. Have (1999/ 2007, 29) spricht im Zusammenhang mit diesem, in der Konversationsanalyse verbreiteten Verfahren von «retroduction»: Kategorien werden aus den Daten heraus entwickelt (Induktion), für die weitere Analyse genutzt (Deduktion) und dabei ständig überarbeitet (Retroduktion). Durch dieses Vorgehen werden größtmögliche Robustheit und Konsistenz des Kategoriensystems erzielt. Darüber hinaus werden die Kategorien sortiert, gruppiert und in Ober- und Unterkategorien differenziert. Ergebnis der Analyse ist ein induktiv erschlossenes Kategoriensystem, das die für das Korpus relevanten agonalen Diskurshandlungen abbildet. Die einzelnen Kategorien werden beschrieben, erläutert und anhand von Beispielen aus dem Korpus illustriert. Das auf diese Weise erstellte Inventar agonaler Diskurshandlungen zeichnet sich dadurch aus, dass es sich erstens auf ein spezifisches Diskursuniversum, die Politik, bezieht, dass es zweitens eine Differenzierung nach Akteuren und Textsorten erlaubt und dass es drittens auf der Grundlage eines vergleichsweise kleinen Korpus erstellt wurde. Es trägt damit der Tatsache Rechnung, dass, wie Kohnen (2012) hervorhebt, Diskurshandlungen maßgeblich durch das Diskursuniversum sowie die Textsorte determiniert werden und sich am besten auf der Grundlage kleiner Korpora erschließen lassen. Aufgrund dieser Faktoren sowie der großen Interpretationsleistung, die die pragmatische Annotation erfordert (cf. supra), gilt jedoch auch, dass kein Anspruch auf Repräsentativität dieses Inventars erhoben werden kann; dazu bedarf es einer Überprüfung des hier erstellen Kategoriensystems durch weitere Studien und anhand größerer Korpora.
Aus Gründen der Praktikabilität wird in der vorliegenden Untersuchung nicht das gesamte Korpus annotiert, sondern nur ausgewählte Texte bzw. Teiltexte. Welche dies sind, wird in den jeweiligen Unterkapiteln zu den verschiedenen Textsorten (6.4.2–6.4.6) beschrieben und erläutert.
4.3 Analyseansätze
243
4.3.3 Analyse akteursbedingter Spezifika von Agonalität Die Analyse akteursbedingter Spezifika von Agonalität erfolgt auf der Grundlage einer vergleichenden Untersuchung von fünf Teilkorpora, die jeweils sämtliche Aussagen bzw. Diskurse eines Spitzenkandidaten enthalten. Korpusvergleichende Analysen stehen vor einer Reihe theoretischer und methodischer Herausforderungen (cf. Aijmer 2008; Schafroth/Rocco 2019). Allen voran setzen sie, insbesondere wenn quantifizierende Verfahren zum Einsatz kommen, die Vergleichbarkeit der Teilkorpora und standardisierte Messverfahren voraus (cf. Quasthoff/Eckart 2011). Eine möglichst große Vergleichbarkeit der Teilkorpora liegt vor, wenn die einzelnen Teilkorpora möglichst homogen sind und sich nur in Bezug auf eine Variable unterscheiden (cf. Gries 2006). In der vorliegenden Untersuchung zeichnen sich die verglichenen Teilkorpora durch größtmögliche Homogenität im Hinblick auf Diskursuniversum, Kontext, Entstehungszeit,310 Textsorten und Themen aus und unterscheiden sich lediglich in Bezug auf eine Variable, die des Akteurs.311 Dem zweiten Kriterium, der Verwendung standardisierter Messverfahren, wird durch den Einsatz quantifizierender und statistischer Verfahren Rechnung getragen. Okkurrenzen werden normalisiert zur Zahl des Auftretens pro 1 Mio. Token angegeben und Schlüsselwörter, Kollokatoren und die Verteilung agonaler Diskurshandlungen werden mithilfe von Signifikanztests berechnet. Insgesamt jedoch liegt der Fokus der Analyse weniger auf einer quantitativen Auswertung,312 sondern vielmehr auf einem quantitativ informierten, aber primär qualitativ orientierten Vorgehen (cf. auch Bondi 2001). Die Analyse akteursbedingter Spezifika von Agonalität gliedert sich in drei Teile. Zunächst werden die Akteure im Hinblick auf ihre voice, d.h. auf die von ihnen erzielte Hör- bzw. Sichtbarkeit analysiert. Dies erfolgt auf der Grundlage ihrer (sozialen) Rollen und weiterer außersprachlicher Aspekte. Dazu wird neben der Korpusanalyse verstärkt auf politik-, sozial- und medienwissenschaftliche Forschungsliteratur zurückgegriffen. Dieser Teil der Analyse setzt direkt bei den Akteuren an und interessiert sich für ihre Position innerhalb des Akteursgefüges; im DIMEAN-Modell ist dieser Analyseteil auf der Akteursebene zu verorten. Teil zwei und drei der akteursorientierten Analyse betreffen den akteursspezifischen Gebrauch agonaler Diskurshandlungen sowie den akteursspezifischen Gebrauch von
Für die quantitative Auswertung werden, um eine bessere Vergleichbarkeit der Akteure zu gewährleisten, lediglich die vor dem 1. Wahlgang entstandenen Texte herangezogen. Dies gilt analog für den Vergleich von Textsorten (cf. Kapitel 4.3.4). Eine solche wird etwa in der bekannten Faktorenanalyse nach Biber (1993b) propagiert (cf. auch Stede 2007/2018, 49–54; Scharloth/Bubenhofer 2012).
244
4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
Agonalitätsindikatoren. Im Gegensatz zum ersten Teil sind sie schwerpunktmäßig auf der intratextuellen Ebene zu verorten. Die Analyse des akteursspezifischen Gebrauchs agonaler Diskurshandlungen bezieht sich auf zwei Fragenkomplexe: 1. Frequenz und Signifikanz: Sind manche agonale Diskurshandlungen bei einigen Akteuren besonders häufig oder selten oder sogar signifikant häufiger oder seltener als bei anderen Akteuren? Wenn ja, welche und warum? 2. Spezifischer Gebrauch: Zeichnen sich manche agonale Diskurshandlungen im Sprachgebrauch einzelner Akteure durch einen spezifischen Gebrauch, zum Beispiel den Einsatz besonderer sprachlicher Mittel und Verfahren, aus? Wenn ja, welche und warum? Für die statistische Auswertung wird für jede agonale Diskurshandlung eine Einfaktorielle Varianzanalyse (ANOVA) durchgeführt. Ergibt sich ein statistisch signifikanter Unterschied, wird ein post-hoc-Test (Scheffé) zur Bestimmung von signifikanten Unterschieden zwischen den Akteuren durchgeführt. Für die Analyse von Agonalitätsindikatoren im Sprachgebrauch der einzelnen Akteure sind zum einen die in Kapitel 4.3.1 beschriebenen grammatischen und lexikalischen Agonalitätsindikatoren von Interesse, die kontextunabhängig über ein großes agonales Potenzial verfügen. Zum anderen sind Lexeme relevant, die im Sprachgebrauch einzelner Akteure einen spezifischen Sinn oder eine besondere Funktion haben, da diese Aufschluss über akteursspezifische Perspektivierungen der Wirklichkeit geben und auf semantische Kämpfe hindeuten können. Die Analyse jener Ausdrücke erfolgt in vier Schritten. Zunächst werden mithilfe von Frequenzlisten frequente Wörter im Wortschatz der einzelnen Akteure ermittelt und auf Agonalitätsindikatoren hin ausgewertet. Die Frequenzlisten werden mithilfe der Software AntConc erstellt.313 Besonders aufschlussreich verspricht der Vergleich von Frequenzlisten verschiedener Korpora zu sein, da er Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Korpora aufzeigt. Die in den Frequenzlisten enthaltenen Ausdrücke werden nach ihrem agonalen Potenzial sortiert. Die hohe Frequenz eines Wortes kann zwar darauf hindeuten, dass dieses in dem betreffenden Korpus von besonderer Wichtigkeit ist, doch ist dies nicht zwingend der Fall. So dürften etwa Funktionswörter wie Artikel (z.B. le, la) oder Präpositionen (z.B. à, de) in nahezu jedem französischsprachigen Korpus zu den häufigsten Wortformen gehören. Daher wird in einem zweiten Schritt eine Schlüsselwortanalyse durchgeführt. Schlüsselwörter bzw. Schlüsselbegriffe (engl. key-
Zu AntConc cf. Appendix.
4.3 Analyseansätze
245
words) sind, in der korpuslinguistischen Tradition, Wörter, die in einem Korpus signifikant häufiger auftreten als in einem anderen Korpus und damit für ein bestimmtes Korpus – gemessen an ihrer statistischen Signifikanz – besonders charakteristisch sind (cf. Baker 2006, 121–149). Schlüsselwörter werden ermittelt, indem die Frequenz einer Wortform in einem Korpus mit der Frequenz derselben Wortform in einem Referenzkorpus in Relation gesetzt wird. Schlüsselwortanalysen geben Aufschluss darüber, welche Wörter in einem Korpus im Vergleich zu einem anderen über- (keyness) oder unterrepräsentiert (negative keyness) sind, und sind damit ein geeignetes Mittel, um die lexikalische Spezifik eines Korpus zu ermitteln. In der vorliegenden Untersuchung werden die Schlüsselwörter im Sprachgebrauch der fünf Spitzenkandidaten mithilfe von AntConc analysiert. Dazu wird jeweils ein Teilkorpus, das alle Aussagen eines der fünf Spitzenkandidaten enthält, untersucht und zu einem Referenzkorpus, das sämtliche Aussagen der übrigen vier Kandidaten enthält, in Bezug gesetzt. Zur Berechnung der Signifikanz des Frequenzunterschieds wird der Log-Likelihood-Test verwendet;314 die Signifikanz des jeweiligen Schlüsselworts wird durch den Log-Likelihood-Wert (LLR, engl. log likelihood ratio) angegeben. Durch die Auswertung von Frequenz- und Schlüsselwortlisten lassen sich relevante sprachliche Einheiten ermitteln, die aus einem einzelnen Wort bestehen. Um auch sprachliche Einheiten, die sich aus mehreren Wörtern zusammensetzen, zu erfassen, werden in einem dritten Schritt n-Gramm-Analysen für akteursspezifische Teilkorpora durchgeführt und auf Agonalitätsindikatoren hin ausgewertet. Als n-Gramme werden in der Korpuslinguistik sprachliche Einheiten bezeichnet, die aus mehreren, direkt aufeinander folgenden Wörtern bestehen (cf. z.B. Manning/Schütze 1999/2000, 192–196). Indem die Analyse von n-Grammen die Untersuchung von Einheiten, die sich aus mehreren Wörtern zusammensetzen, ermöglicht, gibt sie Aufschluss über sprachliche Strukturen jenseits der Wortgrenze. Für die Analyse akteursspezifischer Mehrworteinheiten werden mithilfe von AntConc n-Gramm-Analysen durchgeführt und die daraus resultierenden Listen manuell auf Agonalitätsindikatoren hin ausgewertet. Um den Sinn sowie die Agonalität anzeigende Funktion der auf diese Weise ermittelten sprachlichen Einheiten im konkreten Verwendungskontext zu erschließen, wird in einem vierten und letzten Schritt eine Analyse des Kotexts ausgewählter, in den vorherigen Schritten identifizierter Ausdrücke durchge-
Verschiedene statistische Signifikanztests sind für verschiedene Korpora und Erkenntnisinteressen unterschiedlich gut geeignet und liefern auch unterschiedliche Ergebnisse. Für die vorliegende Untersuchung ist der Log-Likelihood-Test besonders geeignet, da er sich im Vergleich zu anderen Tests durch eine besondere Robustheit auch bei kleineren Datenmengen auszeichnet (cf. Bubenhofer 2009, 131–147; cf. auch Paquot/Yves 2009).
246
4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
führt. Dies erfolgt durch die Auswertung von Konkordanzen sowie Kollokationsund Kookkurrenzpartnern. Konkordanzen bieten nicht nur einen geeigneten Ausgangspunkt für die Analyse der kotextuellen Umgebung einzelner Okkurrenzen (cf. Kapitel 4.3.1), sondern geben auch Aufschluss über die semantic preference eines Begriffs (cf. Baker 2006, 86–89). Semantic preference bezeichnet «the relation, not between individual words, but between a lemma or word-form and a set of semantically related words» (Stubbs 2001, 65). Konkordanzen sind daher ein geeignetes Mittel für die Untersuchung kontextabhängiger Bedeutungszuschreibungen. Dies gilt auch für Kollokationen und Kookurrenzen. Die Termini Kollokationen und Kookkurrenzen werden in der Sprachwissenschaft uneinheitlich verwendet (cf. die Diskussion bei Bubenhofer 2009, 111–122). Der Begriff der Kollokation wurde insbesondere durch John Rupert Firth (1957) und, im Anschluss an Firth, M.A.K Halliday und John Sinclair (u.a. Halliday 1966; Sinclair 1966; 1991) prominent gemacht. Im Kern geht es dabei um die Idee, dass die Bedeutung und der Gebrauch eines Wortes bis zu einem gewissen Grad über die häufig mit ihm gemeinsam auftretenden Wörter erschlossen werden könne, wie die viel zitierte Aussage Firths besagt: «You shall know a word by the company it keeps» (Firth 1957, 11). Im Anschluss an Bubenhofer (2009, 8) verstehe ich unter Kollokationen «zwei Wörter, die frequent und/oder überzufällig oft nahe zusammen in einem Korpus auftreten» (Bubenhofer 2009, 8; cf. auch Baker 2006, 95–96; Evert 2009). Definitorische Merkmale von Kollokationen sind damit Frequenz und statistische Signifikanz (cf. Evert 2009, 1215). In Abgrenzung dazu verwende ich den Terminus Kookkurrenz im Anschluss an Bubenhofer (2009, 122) zur Bezeichnung zweier Wörter, die lediglich nahe zusammen auftreten, unabhängig davon, wie häufig oder überzufällig oft dies der Fall ist. Der Terminus Kookkurrenz bezeichnet damit lediglich das gemeinsame Vorkommen zweier Wörter, sagt jedoch im Gegensatz zu dem der Kollokation nichts über die Frequenz oder die statistische Signifikanz ihres gemeinsamen Vorkommens aus. Die Kollokationsanalyse gibt Aufschluss über die Relationen, die zwischen den Wörtern eines Korpus bestehen, und hilft, den Sinn sowie den Gebrauch von Wörtern zu erschließen (cf. ausführlicher Baker 2006, 95–120). Im Unterschied zur n-Gramm- und zur Konkordanzanalyse kann ihr Radius über direkt benachbarte Wörter hinausgehen. Die Kollokationsanalyse steht an der Schnittstelle zwischen quantitativen und qualitativen Analyseverfahren, da sie auf quantifizierenden und statistischen Verfahren beruht, zugleich aber Antworten auf qualitativ orientierte Fragestellungen liefert und für die Auswertung eines interpretativen Zugangs bedarf. In der vorliegenden Untersuchung werden mithilfe von AntConc Kollokationsanalysen für ausgewählte frequente Wörter und Schlüsselwörter im Sprachgebrauch der jeweiligen Akteure durchgeführt. Als statistisches Testverfah-
4.3 Analyseansätze
247
ren wird – wie für die Ermittlung von Schlüsselbegriffen – das Log-LikelihoodVerfahren verwendet;315 die Spannweite für die Berechnung der Kollokationen beträgt 10 Wörter (5L, 5R). Die auf diese Weise analysierten Ausdrücke geben Aufschluss darüber, welche Begriffe im Sprachgebrauch eines Akteurs besonders frequent, über- oder unterrepräsentiert sind und welcher Sinn ihnen im Sprachgebrauch eines Akteurs zugeschrieben wird. Unterschiedliche Sinnzuschreibungen lassen auf unterschiedliche Perspektivierungen der Wirklichkeit durch die verschiedenen Akteure schließen, die im Diskurs in Konkurrenz zueinander treten und sich in semantischen und diskursiven Kämpfen manifestieren. Die Analyse akteursspezifischer Agonalitätsindikatoren setzt somit an der intratextuellen Ebene an und lässt von dort Rückschlüsse auf akteursgebundene Perspektivierungen der Wirklichkeit und damit auf die transtextuelle Ebene zu.
4.3.4 Analyse textsortenbedingter Spezifika von Agonalität Wie die Analyse akteursbedingter Spezifika von Agonalität erfolgt auch die Analyse textsortenbedingter Spezifika von Agonalität auf der Grundlage einer korpusvergleichenden Analyse. Die einzelnen Teilkorpora enthalten jeweils sämtliche einer Textsorte316 entsprechenden Texte. Die jeweiligen Teilkorpora zeichnen sich durch größtmögliche Homogenität im Hinblick auf Diskursuniversum, Kontext, Entstehungszeit, Akteure und Themen aus und unterscheiden sich lediglich in Bezug auf eine Variable, die der Textsorte. Der Korpusvergleich erfolgt auch hier auf der Grundlage standardisierter Messfahren (cf. infra). Die Analyse textsortenbedingter Spezifika von Agonalität erfolgt in zwei Schritten. Zunächst wird der textsortenspezifische Einsatz agonaler Diskurshandlungen in den Blick genommen. Im Anschluss daran geht es um die textsortenspezifische Verwendung von Agonalitätsindikatoren. Der Analyse der textsortenspezifischen Verwendung agonaler Diskurshandlungen liegen – analog zur Analyse der akteursspezifischen Verwendung agonaler Diskurshandlungen – zwei Fragenkomplexe zugrunde:
Das Log-Likelihood-Verfahren ist Evert (2009, 1229) zufolge für die Analyse von Kollokationen am besten geeignet, da es besonders robust und akkurat sei. Ich verwende hier den Terminus Textsorten anstelle von Text- bzw. Diskurstraditionen, da es sich bei den in der vorliegenden Arbeit untersuchten Phänomenen in der Tat um Textsorten im Sinne «historisch verfestigte[r] Kombinationen von Diskurstraditionen» (Lebsanft/Schrott 2015a, 28) handelt, z.B. Wahlprogramme, TV-Duelle, Reden (zum Verhältnis zwischen Textbzw. Diskurstraditionen und Textsorten cf. Kapitel 3.4.3).
248
1.
2.
4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
Frequenz und Signifikanz: Sind manche agonale Diskurshandlungen in einigen Textsorten besonders häufig oder selten oder sogar signifikant häufiger oder seltener als in anderen Textsorten? Wenn ja, welche und warum? Spezifischer Gebrauch: Zeichnen sich manche agonale Diskurshandlungen in einigen Textsorten durch einen spezifischen Gebrauch, zum Beispiel den Einsatz besonderer sprachlicher Mittel und Verfahren, aus? Wenn ja, welche und warum?
Für die statistische Auswertung wird für jede agonale Diskurshandlung eine Einfaktorielle Varianzanalyse (ANOVA) durchgeführt. Ergibt sich ein statistisch signifikanter Unterschied, wird ein post-hoc-Test (Scheffé) zur Bestimmung von signifikanten Unterschieden zwischen den Textsorten durchgeführt. Da die Zuordnung eines Textexemplars zu einer bestimmten Textsorte im Wesentlichen durch dessen Funktionalität bestimmt wird und Funktionen wiederum in sprachlichen Handlungen realisiert werden, ist anzunehmen, dass sich Textsorten im Hinblick auf den Einsatz sprachlicher Handlungen erheblich unterscheiden, stärker womöglich als Akteure. Umgekehrt ist davon auszugehen, dass sich Textsorten im Hinblick auf die kontextabhängige Zuschreibung von Bedeutung nicht unterscheiden. Ein zentraler Aspekt bei der Untersuchung akteursbedingter Spezifika von Agonalität ist die Analyse semantischer Kämpfe und die damit verbundene Frage, welcher Sinn einem sprachlichen Ausdruck durch verschiedene Akteure zugeschrieben wird, um davon ausgehend Rückschlüsse auf akteursspezifische Perspektivierungen der Wirklichkeit zu ziehen. Da anzunehmen ist, dass die Sinnzuschreibung sehr wohl in Abhängigkeit vom Akteur, nicht aber in Abhängigkeit von der Textsorte variiert, kann die Frage der Sinnzuschreibung bei der Analyse textsortenbedingter Spezifika von Agonalität allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Stattdessen ist vielmehr davon auszugehen, dass, wie oben angedeutet, die Frage der Funktionalität eine größere Rolle spielt. Die Analyse von Agonalitätsindikatoren rückt daher den Aspekt der Funktionalität stärker in den Fokus des Interesses, während sie Fragen der Sinnzuschreibung hintenanstellt. Für die Identifikation textsortenspezifischer Agonalitätsindikatoren werden Frequenzlisten erstellt, Schlüsselwortanalysen und n-Gramm-Analysen durchgeführt und auf Agonalitätsindikatoren hin ausgewertet. Im Anschluss daran werden ausgewählte sprachliche Einheiten der auf diese Weise ermittelten Ausdrücke daraufhin untersucht, welcher Gebrauch in den einzelnen Textsorten von ihnen gemacht wird und ob sie sich durch eine möglicherweise durch die Textsorte bedingte besondere Funktionalität auszeichnen. Als Ausgangspunkt dienen dabei Konkordanzen, auf deren Grundlage eine Analyse der Kotexte einzelner Ausdrücke vorgenommen wird. Auf die Analyse von Kollokationen und Kookkurrenzen wird aus den oben erläuterten Gründen an dieser Stelle verzichtet.
4.4 Synthese: Die Heuristik im Detail
249
4.4 Synthese: Die Heuristik im Detail Auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen soll nun der methodische Ansatz für die Untersuchung agonaler Diskurse in einer abschließenden Synthese zusammengefasst werden. Der methodische Ansatz fußt auf den vier in Kapitel 4.2 erörterten Grundprinzipien und wird mittels eines heuristischen Dreischritts operationalisiert. Dieser umfasst die in Kapitel 4.1 beschriebenen Schritte der Datenerhebung, Datenaufbereitung und Datenauswertung. Die Datenauswertung lässt sich weiter untergliedern in die in Kapitel 4.3 explizierten Analyseansätze zur Analyse von vier diskursrelevanten Phänomenen: Agonalitätsindikatoren, agonale Diskurshandlungen sowie akteurs- und textsortenbedingte Spezifika von Agonalität. Die auf diese Weise ausdifferenzierte Heuristik wird in Abbildung 10 graphisch resümiert:
I. Datenerhebung II. Datenaufbereitung Fixierung (u.a. Transkription) Annotation III. Datenauswertung
Aufstellung eines Inventars von Agonalitätsindikatoren
–
Auswertung von Grammatiken und Wörterbüchern im Hinblick auf grammatische und lexikalische Agonalitätsindikatoren
Aufstellung eines Inventars agonaler Diskurshandlungen
Ermittlung akteursbedingter Spezifika von Agonalität
Analyse des Untersuchungskorpus im Hinblick auf agonale Diskurshandlungen – funktionalpragmatische Annotation ausgewählter Texte bzw. Textteile
Vergleich der Akteure im Hinblick auf – ihre voice unter Bezugnahme auf (soziale) Rollen und weitere außersprachliche Aspekte – agonale Diskurshandlungen
Abbildung 10: Methodischer Ansatz: die Heuristik im Detail.
Ermittlung textsortenbedingter Spezifika von Agonalität Vergleich der Textsorten im Hinblick auf – agonale Diskurshandlungen
250
–
4 Methodischer Ansatz zur Analyse agonaler Diskurse
Analyse des Untersuchungskorpus im Hinblick auf die zuvor ermittelten sprachlichen Mittel in quantitativer wie qualitativer Hinsicht
(1) Segmentierung (2) Implementierung - Interpretation - Kodierung317
(1)
–
(2)
Klassifizierung der ermittelten Kategorien
– (1) (2)
(3)
(4)
Vergleich im Hinblick auf Frequenz und Signifikanz Vergleich im Hinblick auf einen spezifischen Gebrauch Agonalitätsindikatoren Auswertung von Frequenzlisten Auswertung von Schlüsselwortlisten Auswertung von n-GrammAnalysen Analyse der Kotexte von in den Schritten (1) bis (3) ermittelten Ausdrücken unter Rückgriff auf Konkordanzen und durch Auswertung von Kollokatoren und Kookkurrenzpartnern
(1)
(2)
– (1) (2)
(3)
(4)
Vergleich im Hinblick auf Frequenz und Signifikanz Vergleich im Hinblick auf einen spezifischen Gebrauch Agonalitätsindikatoren Auswertung von Frequenzlisten Auswertung von Schlüsselwortlisten Auswertung von n-GrammAnalysen Analyse der Kotexte von in den Schritten (1) bis (3) ermittelten Ausdrücken unter Rückgriff auf Konkordanzen
Abbildung 10 (fortgesetzt)
Die Pfeile signalisieren die laufende Überprüfung, Erweiterung und, wenn nötig, Modifikation des Kategoriensystems.
5 Kontext – Korpus – Transkription Das vorliegende Kapitel ist der Trias Kontext – Korpus – Transkription gewidmet. Was den Kontext318 angeht, so soll es hier um den außersprachlichen Kontext im weiteren Sinne gehen, also um den über die konkrete Sprechsituation hinausgehenden und sich auf die historischen und kulturellen Umstände beziehenden Kontext, in den sprachliche Äußerungen eingebettet sind,319 konkret: um den französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 (Kapitel 5.1). Daraufhin werden das der Untersuchung zugrunde liegende Korpus vorgestellt und die Kriterien seiner Zusammenstellung erläutert (Kapitel 5.2). Einen Großteil des Korpus machen medial mündliche Texte aus, die für die Analyse transkribiert wurden. Abschließend werden daher der Prozess der Transkription beleuchtet und die Transkriptionskonventionen dargelegt (Kapitel 5.3).
5.1 Kontext: der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017 Der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017 schreibt sich in eine Sequenz von Wahlen ein, die sich der Chronologie folgend in drei Abschnitte gliedern lässt: die Vorwahlen (primaires), die Präsidentschaftswahlen (présidentielles) und die Parlamentswahlen (législatives). Im Folgenden wird ein Überblick über die Gesamtheit dieser Wahlsequenz, in die sich der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017 einfügt, geboten. Im Zentrum steht dabei die Frage nach den zahlreichen Besonderheiten dieser Wahlsequenz, auf deren Grundlage ihr vielfach ein «revolutionärer» Charakter zugeschrieben wird (Kapitel 5.1.1). Daran schließen sich fünf kurze Porträts der Spitzenkandidaten an (Kapitel 5.1.2). Die Auseinandersetzung mit den politisch-gesellschaftlichen Hintergründen und den Akteuren folgt dabei einem zweifachen Ziel: Zum einen setzt eine Analyse des Sprachgebrauchs eine umfassende Kenntnis des Kontexts voraus, um die Analyseergebnisse entsprechend kontextualisieren und deuten zu können, zum anderen leistet die vorliegende Arbeit auf diese Weise auch einen Beitrag dazu, diese Wahl mit all ihren Eigenarten und Besonderheiten zu verstehen und zu erklären.
Für eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Kontextbegriff cf. Kapitel 3.5.2. Das – in Worten Winter-Froemels (2013) – außersprachlich, abstrakt/systembezogene kontextuelle Wissen («Weltwissen») (cf. Kapitel 3.5.2, Abbildung 4). https://doi.org/10.1515/9783110981537-005
252
5 Kontext – Korpus – Transkription
5.1.1 Die Wahlsequenz von 2017: eine «révolution électorale»? «[R]évolution électorale» (Cautrès/Muxel 2019b), «présidentielle chamboule-tout» (Maarek/Mercier 2018b), «chronique de l’imprévu» (Legrand 2017), «vote disruptif» (Perrineau 2017c),320 sogar «séisme politique» (Martin 2017) und «tsunami» (Marteau/Latrous 2018) – der französischen Präsidentschaftswahl 2017 wird vielfach revolutionärer Charakter zugeschrieben. Und dies nicht ohne Grund, denn in der Tat brechen die französischen Präsidentschaftswahlen 2017 ebenso wie die ihr vorausgegangenen Vorwahlen sowie die ihr nachfolgenden Parlamentswahlen in vielfacher Hinsicht mit gängigen Mustern und Erwartungen und führten zu einschneidenden Veränderungen im politischen Leben in Frankreich. Ziel dieses Kapitels ist es, die Besonderheiten, durch die sich diese Wahl auszeichnet und die aus ihr einen besonders interessanten Untersuchungsgegenstand machen, herauszuarbeiten. Dazu werden zunächst der größere politische und gesellschaftliche Kontext, in dem sie stattfand, sowie die zentralen Daten und Fakten der Wahlsequenz von 2017 in Erinnerung gerufen. Im Anschluss daran werden ausgewählte Aspekte diskutiert, die zur Erklärung der zahlreichen Besonderheiten der Wahlen herangezogen werden können, um abschließend auf die Frage zurückzukommen, inwiefern die Wahlsequenz von 2017 als «revolution électorale» charakterisiert werden kann. Der Kontext, in dem die französische Präsidentschaftswahl 2017 stattfand, war durch zahlreiche Herausforderungen und große Unsicherheit geprägt. Dies ist im Kern auf zwei Faktoren zurückzuführen. Erstens herrschte große Instabilität auf nationaler wie internationaler Ebene: Das Brexit-Votum am 23. Juni 2016 hatte die EU erschüttert, die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA am 8. November 2016 – mitten im französischen Wahlkampf – sorgte international für Unsicherheit, der Bürgerkrieg in Syrien, die Flüchtlingskrise und der Terrorismus stellten Frankreich, Europa und die Welt vor zahlreiche Herausforderungen. Frankreich selbst war Ziel zahlreicher Terroranschläge durch den sogenannten Islamischen Staat,321 aufgrund derer in Frankreich seit November 2015 der Ausnahmezustand galt; damit war die französische Präsidentschaftswahl 2017 die erste, die unter den Bedingungen des Ausnahmezustands stattfand. Zweitens stehen die
Dies steht in scharfem Kontrast zum «vote normal», als den Perrineau (2013) die französische Präsidentschaftswahl 2012 charakterisiert. Darunter u.a. der Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo am 7. Januar 2015, die Anschlagsserie vom 13. November 2015 mit 130 Toten und 413 Verletzen und das Attentat von Nizza am 14. Juli 2016 mit 85 Toten und 434 Verletzten. Nicht zuletzt ereignete sich mitten im Wahlkampf, zeitgleich zum letzten Fernsehauftritt der Kandidaten am 20. April 2017 (der auch Teil des Korpus der vorliegenden Arbeit ist), ein Anschlag auf den Champs Élysées.
5.1 Kontext: der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017
253
Wahlen von 2017 im Zeichen einer Krise des politischen Systems. Die Umwälzung des Parteiensystems, das sinkende Vertrauen in Politik und Politiker, das Erstarken von Populismus und Nationalismus, der Aufstieg des Front National, die Krise der Volksparteien, insbesondere des Parti Socialiste – diese und andere, als Bedrohung der repräsentativen Demokratie empfundene Entwicklungen, die sich zum Teil in eine gesamteuropäische Tendenz einschreiben, prägten bereits vor der Präsidentschaftswahl 2017 das politische Leben in Frankreich und wurden durch diese entschieden verstärkt. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl fanden – zum ersten Mal in der Geschichte Frankreichs – drei offene Vorwahlen statt. Die erste war die von Europe Écologie Les Verts ausgerichtete primaire de l’écologie am 19. Oktober und 7. November 2016. Diese konnte Yannick Jadot für sich entscheiden, der sich jedoch am 23. Februar 2017 der Kandidatur Benoît Hamons anschloss.322 Darauf folgte die von Les Républicains initiierte primaire de la droite et du centre am 20. und 27. November 2016. In der Stichwahl siegte François Fillon überraschend, aber deutlich über Alain Juppé, nachdem Nicolas Sarkozy bereits im ersten Wahlgang ausgeschieden war.323 Schließlich folgte am 22. und 29. Januar 2017 die durch den Parti Socialiste initiierte primaire citoyenne, auch primaire de la Belle Alliance populaire genannt, die Benoît Hamon gegenüber dem ehemaligen Premierminister Manuel Valls für sich entscheiden konnte.324 Bereits die Vorwahlen, insbesondere die des rechten und des linken Lagers, standen somit, wie auch die darauffolgende Präsidentschaftswahl selbst, im Zeichen des dégagisme und waren von Überraschungen und den Erwartungen widersprechenden Entwicklungen gekennzeichnet. Zur primaire de l’écologie waren vier Kandidaten angetreten, Yannick Jadot, Michèle Rivasi, Cécile Duflot und Karima Delli. Im zweiten Wahlgang setzte sich – nachdem Cécile Duflot, ehemalige Ministerin für Wohnungswesen, bereits im ersten Wahlgang ausgeschieden war – Yannick Jadot mit 54,25% der Stimmen gegen Michèle Rivasi, die 40,75% der Stimmen erzielte, durch (hinzu kommen 5,00% ungültige Stimmen) (cf. Evans/Ivaldi 2018, 241). Zur primaire ouverte de la droite et du centre waren sieben Kandidaten angetreten, JeanFrançois Copé, François Fillon, Alain Juppé, Nathalie Kosciusko-Morizet, Bruno Le Maire, Jean-Frédéric Poisson und Nicolas Sarkozy. Im ersten Wahlgang konnten François Fillon (44,1%), Alain Juppé (28,6%) und Nicolas Sarkozy (20,7%) mit Abstand die meisten Stimmen auf sich vereinigen. Im zweiten Wahlgang siegte Fillon mit deutlicher Mehrheit (66,5%) über Alain Juppé (33,5%) (cf. Evans/Ivaldi 2018, 242). Zur primaire citoyenne waren sieben Kandidaten angetreten, Benoît Hamon, Manuel Valls, Arnaud Montebourg, Vincent Peillon, François de Rugy, Sylvia Pinel und Jean-Luc Bennahmias. Im ersten Wahlgang konnten Benoît Hamon (36,03%), Manuel Valls (31,48%) und Arnaud Montebourg (17,52%) mit Abstand die meisten Stimmen auf sich vereinigen. Im zweiten Wahlgang setzte sich Benoît Hamon mit 58,69% der Stimmen gegenüber Manuel Valls mit 41,31% durch (cf. Evans/Ivaldi 2018, 242).
254
5 Kontext – Korpus – Transkription
Die Präsidentschaftswahl fand am 23. April und am 7. Mai 2017 statt. Zum ersten Wahlgang traten insgesamt elf Kandidaten an, darunter zwei, die aus den Vorwahlen hervorgegangen waren. Von den elf Kandidaten konnten vier mit Abstand die meisten Stimmen auf sich vereinigen, (in der Reihenfolge der erzielten Stimmen) Emmanuel Macron, Marine Le Pen, François Fillon und Jean-Luc Mélenchon. Benoît Hamon landete weit abgeschlagen auf dem fünften Platz, gefolgt von den sogenannten petits candidats325 Nicolas Dupont-Aignan, Jean Lassalle, Philippe Poutou, François Asselineau, Nathalie Arthaud und Jacques Cheminade. Aus der Stichwahl, für die sich Emmanuel Macron und Marine Le Pen qualifiziert hatten, ging Emmanuel Macron mit einer breiten Mehrheit als Sieger und neuer französischer Präsident hervor. Tabelle 1: Ergebnisse der französischen Präsidentschaftswahl 2017.326 Kandidat
Partei
. Wahlgang
. Wahlgang
% % % % inscrits exprimés inscrits exprimés Emmanuel Macron Marine Le Pen François Fillon Jean-Luc Mélenchon Benoît Hamon Nicolas DupontAignan Jean Lassalle Philippe Poutou François Asselineau Nathalie Arthaud Jacques Cheminade
En Marche! Front National Les Républicains La France Insoumise Parti Socialiste Debout la France ex-MoDem Nouveau Parti Anticapitaliste Union Populaire Républicaine Lutte Ouvrière Solidarité et Progrès
, , , , , ,
, , , , , ,
, , ,
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Mit Ehrhard (2017) kann als petit candidat gelten, wer bei der Wahl weniger als 5% der Stimmen erhält. Wie Ehrhard (2017, 59) betont, geht damit keine Wertung einher: Die 5%Schwelle entspricht dem in der Loi N° 90-55 vom 15. Januar 1990 festgelegten Grenzwert für die Erstattung der Kampagnenkosten der Kandidaten, der damit als objektives Kriterium zur Differenzierung herangezogen wird. Alle hier und im Folgenden angegebenen Wahlergebnisse sind der Seite www.interieur. gouv.fr entnommen. Die Wahlergebnisse geben den prozentualen Anteil an Wahlberechtigten insgesamt (% inscrits) und an abgegebenen gültigen Stimmen (% exprimés) an.
5.1 Kontext: der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017
255
Die Präsidentschaftswahlen schreiben den bereits die Vorwahlen charakterisierenden Bruch mit gängigen Mustern und Erwartungen fort. Zum ersten Mal in der Geschichte der Fünften Republik trat der scheidende Präsident, François Hollande, nicht zu einer zweiten Amtszeit an. Ebenfalls zum ersten Mal in der Geschichte der Fünften Republik zog kein Vertreter der beiden großen Parteien, die Frankreich seit Jahrzehnten regiert hatten, in den zweiten Wahlgang ein. Damit stellte der zweite Wahlgang die Franzosen vor die noch nie da gewesene Wahl zwischen einem neuen, kurz zuvor noch nahezu unbekannten Kandidaten der Mitte, Emmanuel Macron, und der Kandidatin der extremen Rechten, Marine Le Pen. Diese fuhr das beste Ergebnis ein, das der Front National jemals bei einer Präsidentschaftswahl erzielt hatte. Daneben gelang auch dem Vertreter des linksextremen Lagers Jean-Luc Mélenchon ein historischer Durchbruch, sodass insgesamt zwei als populistisch und links- bzw. rechtsextrem geltende Kandidaten historische Erfolge erzielten. Nicht zuletzt wurde neuer französischer Präsident Emmanuel Macron, mit 39 Jahren jüngstes französisches Staatsoberhaupt seit Napoleon Bonaparte und der erste französische Präsident, der nie zuvor in ein politisches Amt gewählt worden war. Den Abschluss der Wahlsequenz von 2017 bildeten die Wahlen zur Nationalversammlung am 11. und 18. Juni 2017.327 Stärkste Kraft wurde mit Abstand die Partei des neu gewählten Präsidenten, LREM, mit 308 Sitzen. Im Gegensatz dazu mussten die bislang stärksten Parteien LR und PS herbe Verluste hinnehmen; während der PS von 258 auf 30 Sitze zusammenschrumpfte, blieb LR mit 112 Sitzen immerhin stärkste Kraft der Opposition. MoDem, der mit LREM ein Wahlbündnis eingegangen war, kam auf 42 Sitze. Vergleichsweise stark schnitt LFI mit 17 Sitzen ab, während der FN nur 8 Sitze auf sich vereinigen konnte, was in starkem Widerspruch zu dem großen Erfolg Le Pens im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen steht. Die neue Gewichtsverteilung in der Nationalversammlung mag überraschend wirken, folgt aber doch einer altbekannten Logik. Gemeinsam mit ihrem Bündnispartner MoDem verfügt LREM nach der Wahl über gut 60% der Sitze und damit über eine breite Mehrheit in der Assemblée nationale. Vor dem Hintergrund der noch jungen Geschichte der Bewegung ist dies äußerst bemerkenswert328 und galt
Der 18. Juni ging als der Tag in die französische Geschichte ein, an dem Charles de Gaulle 1940 von London aus zum französischen Widerstand gegen Deutschland aufrief und die Exilregierung, das sogenannte comité national, gründete. Ob die Erinnerung an den appel du 18 juin und mit ihr die symbolische Kraft dieses Datums bei der Festlegung des Wahltermins eine Rolle spielte, sei dahingestellt. Geringfügig relativiert wird der Siegeszug von En Marche! dadurch, dass En Marche! von den présidentielles zu den législatives auch Stimmenverluste hinnehmen musste, wenn auch
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5 Kontext – Korpus – Transkription
Tabelle 2: Ergebnisse ausgewählter Parteien im zweiten Wahlgang der französischen Parlamentswahlen 2017. Partei
LREM LR MoDem PS LFI FN
Stimmen
Sitze
% inscrits
% exprimés
, , , , , ,
, , , , , ,
auch im Vorfeld der Wahl keineswegs als sicher.330 Letztlich aber entspricht dieses Ergebnis dem die französischen Parlamentswahlen seit 2002 prägenden Prinzip der «confirmation du verdict présidentiel» (Dolez/Laurent 2017, 142; cf. auch Dolez/Laurent 2018), dem zufolge der in den Präsidentschaftswahlen gewählte Präsident in den anschließenden Parlamentswahlen mit einer regierungsfähigen Mehrheit im Parlament ausgestattet wird.331 Marcé/Chiche (2017) zufolge sei dieses Ergebnis auch auf die von Macron und LREM ausgehende Überzeugungskraft zurückzuführen, es sei aber auch durch strategische Fehler der übrigen Parteien sowie die geringe Wahlbeteiligung begünstigt worden. Insgesamt wurde auf diese Weise ein neues Parlament gebildet, das ganz im Zeichen des renouvellement steht, das sich Macron explizit zum Ziel gesetzt hatte: Zahlreiche Abgeordnete sind Politikneulinge, der Altersdurchschnitt ist gesunken und der Frauenanteil gestiegen; zurückgegangen ist demgegenüber die sozioprofessionelle Vielfalt (cf. Rouban 2017; Evans/Ivaldi 2018, 223–224). Der große Erfolg von LREM sollte jedoch auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass andere Wähler die Erneuerung vielmehr in LFI und FN gesehen haben. Vor dem Hintergrund dieser zentralen Daten und Fakten zur Wahlsequenz von 2017 soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, mögliche Erkläweniger als die übrigen Parteien, und im zweiten Wahlgang der législatives letztlich weniger Stimmen erhielt, als die Umfragen prognostiziert hatten (cf. Dolez/Laurent 2019). Im zweiten Wahlgang erhielt LREM 306 Sitze; hinzu kommen 2 aus dem ersten Wahlgang. Einer am 4. und 5. Mai 2017 durchgeführten Umfrage zufolge glaubten zu diesem Zeitpunkt 40% der Franzosen, dass Macron eine Mehrheit im Parlament erhalten könnte (cf. Kantar Sofres-One Point 2017a). Dieses Prinzip war das Ergebnis der im Jahr 2000 per Referendum entschiedenen Reduktion der Amtszeit des französischen Präsidenten von sieben auf fünf Jahre sowie der 2001 durch das Parlament beschlossenen inversion du calendrier électoral, der zufolge die législatives zeitlich nach den présidentielles stattfinden.
5.1 Kontext: der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017
257
rungsansätze für die zahlreichen Besonderheiten dieser Wahlsequenz zu finden. Dazu werden vier Faktoren herangezogen: (i) die Vorwahlen, (ii) die hohe Zahl der Enthaltungen, vote blanc und vote nul, (iii) die Verschiebung der gesellschaftlichen Konfliktlinien sowie (iv) die Umwälzung des Parteiensystems. (i) Aufgrund der Tatsache, dass 2017 erstmals in Frankreich drei offene Vorwahlen im Vorfeld einer Präsidentschaftswahl abgehalten wurden, zudem unter Beteiligung beider großer «Volksparteien», liegt die Vermutung nahe, dass dies ein entscheidender Faktor sein könnte, um den Wahlausgang von 2017 zu erklären. Das aus den USA stammende Prinzip der Vorwahlen war in Frankreich lange umstritten, hat sich aber dennoch zunehmend etabliert (cf. Lefebvre/Treille 2016b). Im Allgemeinen gelten Vorwahlen als probates Mittel, Transparenz zu schaffen und die Demokratisierung zu stärken sowie das eigene Lager zu einen und innere Spaltungen zu überwinden (cf. Lefebvre/Treille 2019a, 16–34). Dazu, dass Vorwahlen in Frankreich als äußerst erfolgversprechendes und nachahmenswertes Modell betrachtet wurden, haben maßgeblich die im Jahr 2011 abgehaltenen Vorwahlen der Linken beigetragen.332 Die Vorwahlen von 2017 jedoch führten dazu, dass das Konzept der Vorwahlen wieder vermehrt in der Kritik steht (cf. u.a. Mény 2017; Teinturier 2017; Luca 2018; Lefebvre/Treille 2019b, 232–238). Allen voran lasse am Konzept der Vorwahlen zweifeln, dass es 2017 – anders als 2012 – keinem der aus den Vorwahlen hervorgegangenen Präsidentschaftskandidaten (Fillon, Hamon, Jadot) gelungen ist, die Präsidentschaftswahl für sich zu entscheiden, mehr noch: Es ist ihnen nicht einmal gelungen, sich für den zweiten Wahlgang zu qualifizieren. Demgegenüber sind die drei Kandidaten, deren Kampagnen die beste Dynamik erfuhren (Macron, Le Pen, Mélenchon) und von denen einer schließlich auch Präsident wurde, nicht aus einer Vorwahl hervorgegangen. Hinzu komme, dass es insbesondere dem PS, in geringerem Maße aber auch dem LR nicht gelungen sei, mit den Vorwahlen parteiinterne Spaltungen zu überwinden und die Partei hinter dem designierten Kandidaten zu vereinigen, womit ein zentrales Ziel der Vorwahlen verfehlt worden sei (cf. Jaffré 2019b; Lefebvre/Treille 2019b, 221–228). Nicht zuletzt hätten es die Vorwahlen im rechten Lager durch ihre auf eine Legitimation des Kandidaten zielenden, strengen Regularien erschwert bzw. verunmöglicht, im Nachhinein einen neuen Kandidaten als möglichen Ersatz für Fillon aufzustellen, nachdem dieser durch die Affäre in die Kritik gekommen war (cf. Teinturier 2017, 28–30, 40; Lefebvre/Treille 2019b,
Lefebvre/Treille (2016a, 18) bezeichnen die Vorwahlen von 2011 gar als «mythe fondateur de l’histoire des primaires ouvertes en France». 2011/12 hatte der aus den Vorwahlen hervorgegangene Kandidat François Hollande die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden können.
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228–232). Die Vorwahlen von 2017 gelten daher gemeinhin als «grave échec» (Jaffré 2019b, 101).333 Insgesamt sind die Vorwahlen zweifelsohne ein zentraler Faktor, um den Ausgang der Präsidentschaftswahl zu erklären, und in mancherlei Hinsicht auch berechtigter Gegenstand von Kritik.334 Dennoch können sie nicht alleine für das Scheitern der aus ihnen hervorgegangenen Kandidaten verantwortlich gemacht werden, da darüber hinaus zahlreiche weitere Faktoren eine Rolle spielen (cf. Finchelstein 2019b).335 In Anbetracht der noch jungen Geschichte der Vorwahlen in Frankreich lässt sich nicht sagen, wie sich der Status der Vorwahlen in Frankreich langfristig entwickeln wird; außer Frage steht, dass die Vorwahlen von 2017 zu einer verstärkten Infragestellung des Prinzips geführt haben. (ii) Der zweite Faktor betrifft die hohe Zahl der Enthaltungen, vote blanc und vote nul,336 vor deren Hintergrund die Wahlergebnisse entschieden zu relativieren sind. Diese Phänomene prägten die Wahlsequenz von 2017 in bislang ungekanntem Ausmaß. Die Zahl der Enthaltungen war bereits bei den Präsidentschaftswahlen mit 22,23% im ersten und 25,44% im zweiten Wahlgang hoch; bei den Parlamentswahlen erreichte sie mit 51,30% im ersten und 57,36% im zweiten Wahlgang einen noch nie da gewesenen Rekord. Auch vote blanc und vote nul wiesen mit 8,52% und 3,0% im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen und 6,99% und 2,87% im zweiten Wahlgang der Parlamentswahlen Rekordhöhe auf. In Frankreich betrachtet man die Entwicklung hin zu einer «démocratie de l’abstention» (Braconnier/Dormagen 2007) (schon länger) mit Sorge. Das Phänomen der Enthaltung korreliert häufig – so auch 2017 (cf. Braconnier/Coulmont/
Cf. auch Teinturier (2017, 40–41); Desaulnay (2019, 525–537); Finchelstein (2019b, 26). Dies betrifft etwa das Prinzip der offenen (im Gegensatz zu geschlossenen) Vorwahlen, da diese von Wählern, die eigentlich keine Anhänger des entsprechenden politischen Spektrums sind, strategisch genutzt werden können, um bestimmte Kandidaten zu eliminieren. Die Folge eines solchen «vote préférentiel inversé» (Jaffré 2019b, 114), der 2017 besonders ausgeprägt war (cf. Jaffré 2019b), ist, dass der durch die Vorwahlen designierte Kandidat bei der Präsidentschaftswahl nicht auf die Wähler zählen kann, die ihm bei der Vorwahl seine Stimme gegeben haben. So gilt etwa für die Linken, dass sich der PS bereits vor den Vorwahlen in einer Krise befand (cf. Martigny 2017), weshalb die Vorwahlen der Linken laut Finchelstein (2019b, 17) vielmehr als Reaktion auf eine Krise denn als Auslöser einer Krise betrachtet werden können. Für die Rechten hingegen sind wohl mehr noch als die Vorwahlen die Sozialpolitik ihres Kandidaten und insbesondere die sich um ihn rankende Affäre, die erst zwei Monate nach den Vorwahlen einsetzte, für die Wahlniederlage desselben verantwortlich (cf. Kapitel 5.1.2.4). Enthaltung (fr. abstention) bedeutet, gar keinen Stimmzettel abzugeben, vote blanc einen leeren und vote nul einen ungültigen Stimmzettel abzugeben.
5.1 Kontext: der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017
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Dormagen 2017) – mit bestimmten sozialen Faktoren wie Alter, Bildungsniveau oder dem Stadt-Land-Gefälle. Vor dem Hintergrund dieser Faktoren wird die Enthaltung zumeist als Zeichen geringer politischer Bildung und Involviertheit sowie politischen Desinteresses gewertet (cf. Braconnier/Dormagen 2007). Untersuchungen haben gezeigt, dass auch ein Teil der Enthaltungen von 2017 so interpretiert werden kann, dass darüber hinaus aber ein bedeutender Teil der Enthaltungen von politisch Gebildeten und Interessierten herrührt (cf. Braconnier/Coulmont/ Dormagen 2017; Bréchon 2017a; 2017c; Muxel 2017; 2019). Die Tatsache, «[que] c’est bien le retrait du jeu politique d’un électorat politisé habituellement participationniste qui explique le record d’abstention» (Muxel 2017, 167; Hervorhebung im Original), lässt das Phänomen der Enthaltung in neuem Licht erscheinen. Bezieht man darüber hinaus die hohe Zahl an vote blanc und vote nul ein, die ohnehin häufig (aber nicht immer) eine Form der Protestwahl sind (cf. Moualek 2017; Heinsohn 2018), so kann die Tatsache, dass 2017 mehr Wähler als je zuvor keinem Kandidaten bzw. keiner Partei ihre Stimme gaben, insgesamt als Zeichen «d’une crise profonde de la représentation politique et d’une défiance généralisée envers le personnel et les institutions politiques du pays» (Muxel 2019, 29) gewertet werden.337 Die These einer zunehmenden Unzufriedenheit mit dem politischen Angebot wird durch zwei weitere Aspekte gestützt: die Tatsache, dass die Beliebtheitswerte aller Kandidaten den gesamten Wahlkampf über relativ niedrig waren (cf. Boy/Mercier 2019) und dass die Phänomene des vote utile und des vote par défaut bei dieser Wahl sehr ausgeprägt waren. Zahlreiche Wähler stimmten aus strategischen Gründen für einen anderen Kandidaten als für den, von dem sie eigentlich überzeugt waren (vote utile),338 wovon einige Kandidaten stark profitierten (z.B. Macron), andere hingegen deutliche Nachteile davontrugen (z.B. Hamon).339
Cf. auch Bréchon (2017a); Muxel (2017); Downing/Brun (2021). Bei den législatives kommt Bréchon (2017c) zufolge hinzu, dass diese als eher unbedeutend empfunden werden, da ihr Zweck nur in der Bestätigung bzw. Ausweitung des Ergebnisses der Präsidentschaftswahl gesehen werde (sog. logique de confirmation, cf. supra). In einer Umfrage von OpinionWay gaben 27% der Befragten an, bereits im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen einen vote utile getätigt zu haben (cf. OpinionWay 2017b, 11); im zweiten Wahlgang waren es sogar 43% (cf. OpinionWay 2017c, 15). Cf. die in Anm. 338 angegebenen Umfragen. Der vote utile gilt als einer der zentralen Nachteile des Systems einer aus zwei Wahlgängen bestehenden Wahl nach Mehrheitswahlrecht, nach dem sowohl die Präsidentschafts- als auch die Parlamentswahlen in Frankreich organisiert sind (cf. Matutano 2015). Er führe zu Verzerrungen des eigentlichen Willens der Wähler und entspreche nicht dem, was man von einer Demokratie erwarten könne (cf. Bussy 2019). Daher werden immer wieder alternative Wahlsysteme diskutiert, die die Funktionsweise der repräsentativen Demokratie verbessern könnten (cf. Laslier 2019).
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Noch verbreiteter als der vote utile war der vote par défaut, d.h. die Wahl eines Kandidaten, von dem man zwar nicht wirklich überzeugt ist, der aber noch am ehesten den eigenen Vorstellungen entspricht. Dies betrifft insbesondere die Wahl Macrons im zweiten Wahlgang, was durch das Prinzip des front républicain gegen die Kandidatin des Front National zusätzlich verstärkt wurde.340 Vor diesem Hintergrund erscheint die Wahl Macrons als ein Erfolg mit Abstrichen. Zwar hat er im zweiten Wahlgang 66,10% der gültigen Stimmen erhalten, doch kontrastiert dieses Ergebnis stark mit den 18,19% der wahlberechtigten Franzosen, die ihm im ersten Wahlgang ihre Stimme gaben. Macron gilt daher bei vielen als «président par défaut» (u.a. Taguieff 2017, 21), als ein Präsident, «[qui] va plus combler un vide qu’une attente» (Strudel 2017, 212). Doch nicht nur das Wahlergebnis Macrons, auch die neuen Mehrheitsverhältnisse insgesamt werden durch die hohe Zahl der Enthaltungen, vote blanc und vote nul entschieden relativiert, spiegeln sie doch letztlich nur den Willen eines vergleichsweise kleinen Teils der Franzosen. (iii) Zur Erklärung der Wahlergebnisse mag darüber hinaus die Beobachtung einer Verschiebung der Konfliktlinien, die die französische Politik und Gesellschaft strukturieren, herangezogen werden. Allen voran scheint die das politische Spektrum traditionell strukturierende Konfliktlinie zwischen rechts und links an Stärke verloren zu haben (cf. Alduy 2017, 303–322; Tiberj 2017; Le Digol 2018; Finchelstein 2019a; König/Waldvogel 2021). Dies zeigt sich vor allem in der Umwälzung des Parteiensystems (cf. infra) und in der Selbstdarstellung der Kandidaten,341 weniger im Denken der Wähler, das nach wie vor durch diese Orientierung bietende Opposition geprägt zu sein scheint (cf. Evans/Ivaldi 2018, 167–172; Finchelstein 2019a). An Bedeutung gewonnen hat demgegenüber die Konfliktlinie zwischen Offenheit und Abschottung, die die pro-europäischen und weltoffenen gemäßigten Parteien der Mitte den europa- und globalisierungskritischen rechts- und linksextremen Parteien gegenüberstellt (cf. Perrineau 2001; Alduy 2017, 335–344; Pütz 2019). Eine weitere Konfliktlinie ist diejenige zwischen kulturellem Liberalismus, der für individuelle Autonomie und Immigrationsbefürwortung steht, und kulturellem Konservatismus, der für Ethnozentrismus, Autoritarismus und Immi-
In einer Umfrage von Harris Interactive gaben 12% der Wähler an, bereits im ersten Wahlgang einen vote par défaut getätigt zu haben (cf. Harris Interactive 2017a). Diese Zahl schießt im zweiten Wahlgang in die Höhe: 60% der Wähler gaben an, Macron «par défaut» gewählt zu haben; bei Le Pen sind es immerhin 41% (cf. CEVIPOF/Ipsos 2017c). Bezeichnend ist nicht zuletzt, dass mit Marine Le Pen und Emmanuel Macron zwei Kandidaten die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnten, die sich jenseits des Rechts-LinksSchemas positionierten. Erstere nahm die Position des ni de gauche, ni de droite für sich in Anspruch, letzterer die des et de gauche, et de droite.
5.1 Kontext: der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017
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grationsablehnung steht (cf. Alduy 2017, 323–333; Gougou/Persico 2017). Diese Konfliktlinie ist nicht neu, doch sticht hervor, dass sie erstens an Stärke gewinnt und zweitens durch Macron unterlaufen wird: Während sie im Gegensatz zur erstgenannten Konfliktlinie entlang des traditionellen Rechts-Links-Schemas verläuft und üblicherweise mit der Konfliktlinie von wirtschaftlichem Liberalismus vs. wirtschaftlichem Interventionismus korreliert (kultureller Liberalismus und wirtschaftlicher Interventionismus am linken Pol; kultureller Konservatismus und wirtschaftlicher Liberalismus am rechten Pol), tritt Macron als Kandidat der Mitte für kulturellen und wirtschaftlichen Liberalismus zugleich ein (cf. Gougou/Persico 2017). Die Verschiebung der Konfliktlinien ist nicht allein Ergebnis der Präsidentschaftswahl, sondern hat zum Teil bereits früher eingesetzt oder schreibt sich auch in gesamteuropäische oder globale Tendenzen ein, wird durch die Wahl aber entschieden verstärkt.342 (iv) Die Verschiebung gesellschaftlicher Konfliktlinien steht in direktem Zusammenhang mit der Umwälzung des französischen Parteiensystems. Die tiefgreifenden Veränderungen des französischen Parteiensystems, die sich bei der Präsidentschaftswahl bereits angekündigt hatten, wurden durch die Parlamentswahlen bestätigt und ausgeweitet. In diesem Zusammenhang sind fünf Aspekte wegweisend. Allen voran entsteht mit LREM eine neue, starke Partei in der politischen Mitte, was für Frankreich, das über Jahrzehnte hinweg entweder von linken oder rechten Parteien regiert wurde, ein völliges Novum darstellt. Zweitens gewinnen mit FN/RN auf der einen und LFI auf der anderen Seite rechts- bzw. linksextreme, populistische Parteien an Stärke.343 Dies kommt insbesondere in den Erfolgen ihrer jeweiligen Spitzenkandidaten in der Präsidentschaftswahl zum Ausdruck, aber auch im Parlament haben beide Lager im Vergleich zur vorigen Legislaturperiode an Gewicht gewonnen. Die gegenläufige Entwicklung zu den beiden erstgenannten ist, dass drittens die bislang dominierenden Parteien,
Diese Dynamik wird von verschiedenen Akteuren strategisch genutzt, um den eigenen Vorstellungen entsprechende Gegenüberstellungen zu propagieren, was häufig mit semantischen Kämpfen einhergeht. So prägt etwa Macron die Gegenüberstellung von progressistes und conservateurs, während Le Pen die Gegenüberstellung von patriotes vs. mondialistes besetzt, die ihre Gegner wiederum zu derjenigen von nationalistes vs. patriotes zu verschieben suchen (cf. ausführlicher Kapitel 6.3). Die französische Präsidentschaftswahl 2017 war stärker als je zuvor vom Erfolg populistischer Parteien und Politiker geprägt. Dies betrifft insbesondere die gemeinhin als Populisten geltenden Kandidaten Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon, aber auch Politiker gemäßigter Parteien weisen, wenn auch in geringerem Ausmaß, populistische Züge auf (cf. Göhring 2019). Dass populistische Haltungen und Argumentationsweisen im Wahljahr 2017 einen signifikanten Einfluss auf das Wahlverhalten der Franzosen hatten, zeigt Ivaldi (2018; 2019a).
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LR und PS, massiv an Wählerstimmen verlieren. Gepaart mit inneren Spaltungen und einem Mangel an Führungspersonal führt dies zu parteiinternen Krisen bzw. verstärkt bereits bestehende Krisen, die beide Parteien vor enorme Herausforderungen stellen (zur Krise der Rechten cf. Perrineau 2017b; Rispin 2021; zur Krise der Linken cf. Bergounioux 2017; Grunberg 2017). Viertens werden mit LREM und LFI zwei Parteien neuen Typs gegründet, die sich mit Priester (2018) als sogenannte «Bewegungsparteien» charakterisieren lassen. Bewegungsparteien lehnen traditionelle Parteistrukturen ab und suchen stattdessen neue Formen organisierter Gemeinschaft zur politischen Partizipation innerhalb der repräsentativen Demokratie. Sie deuten damit auf einen Wandel des Parteienkonzepts als solchem hin (cf. Priester 2018). Entgegen der Außendarstellung funktionieren sie aber dennoch häufig, wie Lefebvre (2018) und Fretel (2019a) am Beispiel von LREM und LFI zeigen, mehr top down als bottom up und werden im Wesentlichen durch die Anhängerschaft gegenüber eines leaders zusammengehalten.344 Fünftens hat sich mit den Wahlen von 2017 die große Fragmentierung des französischen Parteiensystems, die Frankreich schon lange prägt, fortgesetzt und verstärkt (cf. Evans/Ivaldi 2018, 37–40; Pütz 2019, 75–79). Viele dieser Entwicklungen sind weder neu noch ein französisches Spezifikum. Dies gilt für die Krise der Volksparteien345 ebenso wie für das Erstarken von Populismus und Rechtsextremismus (weniger das des Linksextremismus)346 und das Aufkommen von «Bewegungsparteien»347. Dass aber all diese Entwicklungen gleichzeitig in einem Land auftreten, ist doch ein Alleinstellungsmerkmal Frankreichs im Jahr 2017 und stellt das französische politische System vor besondere Herausforderungen. Mit den Verschiebungen der Kräfteverhältnisse der Parteien deutet sich auch eine Neuordnung der französischen Parteienlandschaft an. Diese war lange Zeit geprägt von einer bipolaren Struktur mit einem rechten und einem linken Lager mit jeweils einer dominierenden Partei, der sozialistischen auf der linken Seite und der konservativen bzw. gaullistischen auf der rechten (cf. Grunberg/Haegel 2007). Diese Ordnung wurde schon lange durch den kontinuierlichen Aufstieg
Cf. auch Evans/Ivaldi (2018, 81): «Despite claims of bottom-up democratic procedures, EM! operated almost exclusively as an empty shell organizationally, via free online membership, thus remaining first and foremost a political vehicle for Macron’s personal ambitions». Cf. Mair/van Biezen (2001); Lösche (2009); Wiesendahl (2011). Studien zu dieser Thematik sind Legion. Aktuelle Überblicke bieten u.a. Hartleb (2014); Camus/Lebourg (2015); Decker/Henningsen/Jakobsen (2015); Mudde (2017). Cf. neben den bereits genannten Quellen Neidhardt/Rucht (1993) und Prentoulis/Thomassen (2020). Als Bewegungsparteien gelten z.B. auch Podemos in Spanien und das Movimento 5 Stelle in Italien.
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des FN/RN (cf. bereits Grunberg/Schweisguth 1997) und 2017 zusätzlich durch das plötzliche, unerwartete Erscheinen von LREM in Frage gestellt. Die aus den Wahlen von 2017 resultierende neue Parteienlandschaft wird in der Forschung unterschiedlich gedeutet. Gougou/Persico (2017) beschreiben sie als ein System mit vier Polen, einem linken, einem zentristischen, einem rechten und einem rechtsextremen. Demgegenüber geht Martin (2017, 261–263) von einer Dreiteilung mit einem linken, einem zentristischen und einem rechten Pol aus. Elgie (2018) und Gil (2019) wiederum sprechen von einer Rückkehr zum éternel marais im Sinne Duvergers,348 und Fourquet/Manternach (2019) fassen die neue Ordnung als eine neue bipolare Struktur mit einer Opposition zwischen LREM und FN/RN auf. Zunächst lässt sich das veränderte Parteiensystem noch nicht eindeutig charakterisieren (cf. auch Evans/Ivaldi 2018, 42), sondern vielmehr als «décomposition sans recomposition» (Reynié 2019, 29) beschreiben. Bleibt abzuwarten, wie sich die Kräfteverhältnisse der Parteien langfristig entwickeln werden. Auch wenn sicher noch weitere Faktoren herangezogen werden müssten, um die Wahlsequenz von 2017 vollumfänglich verstehen und erklären zu können, konnte mit den obigen Ausführungen bereits ein erster Schritt in diese Richtung unternommen werden. Insgesamt ist deutlich geworden, dass die Wahlsequenz von 2017 in vielfacher Hinsicht mit gängigen Mustern und Erwartungen bricht und zahlreiche Alleinstellungsmerkmale aufweist. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass der Wahl vielfach revolutionärer Charakter zugeschrieben wird. Nicht nur Wissenschaftler und Journalisten (cf. supra), sondern auch die politischen Akteure selbst bemühen das Bild der Revolution – allen voran Emmanuel Macron, der seine politische Vision für Frankreich als Révolution (Macron 2016) betitelt. Auch Jean-Luc Mélenchon, der mit der Sechsten Republik einen regelrechten politischen Umsturz fordert, erklärt auf dem ersten Parteikonvent von La France Insoumise am 16. Oktober 2016: «Ce que nous menons, c’est un processus révolutionnaire!» (Mélenchon 2016a). Von anderen hingegen wird der revolutionäre Charakter der Wahl entschieden relativiert. So hält Raynaud (2018) Macrons Vision vielmehr für eine «révolution bien tempérée», Hewlett (2017) spricht von einer «phantom revolution» und Evans/Ivaldi (2018) sowie Kuhn/Perry (2018a) stellen den Charakter der französischen Präsidentschaftswahl 2017 als «political reformation» bzw. «campagne inédite» grundsätzlich in Frage. Insgesamt gilt wohl, dass die Wahlen von 2017 zweifellos in vielerlei Hinsicht überraschend und unerwartet waren, ihr vermeintlich revolutionärer Charakter jedoch in ver-
Der von Duverger (u.a. 1964) geprägte Begriff des éternel marais steht für die These, dass Frankreich von 1789 bis 1958 zu 80% aus der Mitte heraus regiert wurde und dass diese Tendenz ab 1958, als sich das System der alternance einstellte, zu einem Ende gekommen sei.
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schiedener Hinsicht zu relativieren ist. So waren einige Entwicklungen auch erwartbar und alles andere als überraschend,349 zum Beispiel dass sich Le Pen für den zweiten Wahlgang qualifizierte oder auch dass derjenige, der ihr im zweiten Wahlgang gegenüberstehen würde, neuer französischer Präsident werden würde. Darüber hinaus weist die Wahl auch zahlreiche Kontinuitäten mit vorherigen Wahlen auf, allen voran mit der Präsidentschaftswahl 2012 (cf. Evans/Ivaldi 2018, 18–28). Kontinuitäten lassen sich auch hinsichtlich der Rolle der Medien (cf. Kuhn/Perry 2018a) sowie des TV-Duells vor dem zweiten Wahlgang feststellen (cf. Kerbrat-Orecchioni 2019). Nicht zuletzt gilt, dass – auch wenn dies für die französische Präsidentschaftswahl 2017 in besonderer Weise gelten mag – alle französischen Präsidentschaftswahlen ihre Besonderheiten aufweisen (cf. Duhamel/Jeanneney 2002). Insgesamt kann die französische Präsidentschaftswahl 2017 daher vielleicht nicht als revolutionär, aber doch allemal als einschneidend gelten. Die Wahlsequenz von 2017 war nicht nur in sich ein außergewöhnliches Ereignis, sondern darüber hinaus auch Ausdruck tiefgreifender gesellschaftlicher Zustände und Dynamiken. Insgesamt steht sie im Zeichen zweier komplementärer Tendenzen, des dégagisme und des renouveau: Etablierten, erfahrenen Politikern, die die französische Politik seit Jahrzehnten entschieden geprägt hatten, wurde der Laufpass erteilt;350 neuen Gesichtern wurden mit nahezu blindem Vertrauen die Geschicke der Nation in die Hände gelegt. Die Wahlen von 2017 führen damit nicht nur die «fluidité des destins politiques» (Perrineau 2017a, 16) vor Augen, sondern bringen auch den Wunsch der Franzosen nach einem Wechsel der politischen Machthaber und einer Erneuerung des politischen Systems im Ganzen zum Ausdruck. Dieser Prozess wurde mit den Präsidentschaftswahlen eingeläutet und setzte sich mit der Regierungsbildung und den Wahlen zur Nationalversammlung fort. Unter Macrons von einem neuen Politikstil und großem Reformeifer geprägten Präsidentschaft wird er weiter vorangetrieben, sieht sich jedoch zugleich durch massive Proteste wie die Bewegung der gilets jaunes ab November 2018 oder dem monatelangen Generalstreik gegen die geplante Rentenreform ab Dezember 2019, die von sinkenden Beliebtheitswerten des Präsidenten begleitet sind, und nicht zuletzt von der Corona-Pandemie ab
Das auf diese Weise entstehende Paradox beschreibt Kuhn (2017a) treffend mit den Worten «expect the unexpected». Darunter zwei ehemalige Präsidenten (François Hollande, Nicolas Sarkozy), drei ehemalige Premierminister (François Fillon, Alain Juppé, Manuel Valls) und drei ehemalige Minister (Cécile Duflot, Benoît Hamon, Arnaud Montebourg).
5.1 Kontext: der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017
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März 2020 ausgebremst.351 Ob die mit der Präsidentschaftswahl 2017 eingeläuteten tiefgreifenden Veränderungen von dauerhafter Wirkkraft sein werden, bleibt abzuwarten.
5.1.2 Die Spitzenkandidaten Spitzenkandidaten verfügen über eine dominierende Rolle im Parteiengefüge und ihre Weltanschauung und Politikkonzeption sind besonders repräsentativ für die Gesellschaft. Sie haben hohe Werte in den Meinungsumfragen und ein hohes Wahlergebnis erzielt;352 als Schwellenwert wird in der vorliegenden Untersuchung ein Wahlergebnis von über 5% festgelegt.353 Im Folgenden werden die Spitzenkandidaten im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 dem ideologischen Parteienspektrum folgend von links nach rechts vorgestellt: Jean-Luc Mélenchon (Kapitel 5.1.2.1), Benoît Hamon (Kapitel 5.1.2.2), Emmanuel Macron (Kapitel 5.1.2.3), François Fillon (Kapitel 5.1.2.4) und Marine Le Pen (Kapitel 5.1.2.5). Dabei werden ausgewählte Stationen der jeweiligen Biographien rekapituliert, deren Kenntnis es erlaubt, die Rollen der Kandidaten und auch ihre Diskurse im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 besser zu verstehen und einzuordnen. 5.1.2.1 Jean-Luc Mélenchon Jean-Luc Mélenchon, 1951 in Tanger geboren, zählt zu den bedeutendsten französischen Politikern des linken bis linksextremen Spektrums. Zunächst Mitglied des Parti Socialiste, gründete er 2009 den Parti de Gauche, dessen Vorsitzender er bis 2014 war. Als Kandidat des Front de Gauche, einem Wahlbündnis aus Parti de Gauche und Parti Communiste, wurde er 2009 und 2014 zum Abgeordneten im Europäischen Parlament gewählt. 2012 trat er, ebenfalls gestützt durch den Front de Gauche, erstmals zu den Präsidentschaftswahlen an. 2016 gründete er La France Insoumise (LFI), als deren Kandidat er 2017 in den Präsidentschaftswahlkampf zog. LFI versteht sich als «Bewegung», als offenes Netz-
Für erste Analysen der Präsidentschaft Macrons cf. Grillmayer/Keller/Seidendorf (2018); Rouban (2018); Deutsch-Französisches Institut (2019); Dolez/Fretel/Lefebvre (2019b); Strudel (2019); Hüser/Herrmann (2020). Diese Kriterien legt auch der Conseil supérieur de l’audiovisuel als Richtschnur für die Überwachung der Gleichbehandlung der Kandidaten in den Medien zugrunde (cf. Conseil supérieur de l’audiovisuel 2016). Damit sind Spitzenkandidaten ex negativo darüber definiert, dass sie nicht zu den sogenannten petits candidats zählen (cf. Kap. 5.1.1, insb. Anm. 325).
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werk, und lehnt – auch wenn sie ab Januar 2017 offiziell den Status einer Partei hat – traditionelle Parteistrukturen ab: «La France insoumise est un mouvement: elle ne dispose donc pas des structures des partis politiques traditionnels mais s’appuie sur ses 5000 groupes d’appui répartis sur tout le territoire» (La France Insoumise 2017; meine Hervorhebung).354 Entsprechend beschreibt Mélenchon seine Kandidatur als «hors cadre de parti» (Mélenchon 2016b) und sieht sich nicht als Vorsitzender einer Partei, sondern als Repräsentant des «unbeugsamen Frankreich»: «Je veux représenter, incarner la France insoumise et fière de l’être, celle qui n’a pas de muselière ni de laisse» (Mélenchon 2016b). Die inhaltlichen Ziele der France Insoumise und ihres Kandidaten, zu denen u.a. die Abschaffung der sogenannten monarchie présidentielle und die Gründung der Sechsten Republik zählen, sind in dem gemeinsamen Programm L’Avenir en commun festgehalten. Im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen vermochte Mélenchon eine große und diverse Wählerschaft für sich zu gewinnen355 und erzielte mit 19,58% der Stimmen ein herausragendes Ergebnis. Er übertraf damit nicht nur bei weitem das Ergebnis, das er im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 2012 erzielt hatte (11,01%), sondern lag auch nur sehr knapp hinter François Fillon mit 20,01% und weit vor Benoît Hamon mit 6,36%. Damit ist Mélenchon der erste linke Kandidat seit 1969, dem es gelang, in den Präsidentschaftswahlen ein besseres Ergebnis zu erzielen als der Kandidat des PS (cf. Cautrès 2017, 179), und das mit Abstand. Der Erfolgszug Mélenchons spiegelt sich auch im kontinuierlichen Anstieg seiner Umfragewerte, die insbesondere im Februar/März 2017, nach der Kandidatur Hamons und den beiden TV-Duellen, rapide ansteigen (cf. Boy/Mercier 2019, 46–49; Cautrès 2019, 204–208). Nicht zu Unrecht gilt Mélenchon daher als «surprise» (Lazar 2018) oder gar «vainqueur caché» (Cautrès 2017) der présidentielle. Mélenchons Erfolg wird auf verschiedene Gründe zurückgeführt. Neben seinem Programm gilt auch die gelungene Kampagne als ein zentraler Faktor, in der Mélenchon nicht nur durch sein bekanntes rhetorisches und agitatorisches Geschick, sondern auch durch innovative Kommunikationsstrategien (Social
Von der gleichen Haltung zeugen die Worte, mit denen Mélenchon die Bewegung bei ihrer Gründung beschreibt: «Je lance un mouvement citoyen pour nous permettre d’agir collectivement, sans affiliation obligée à un parti politique» (Mélenchon 2016c). Mélenchon gelang es zum einen, seine Wählerschaft von 2012, die der klassischen Wählerschaft des Parti Communiste entsprach, aufrechtzuerhalten, zum anderen aber auch viele neue Wählergruppen für sich zu gewinnen. Dazu zählen insbesondere Jung- und Erstwähler, untere ebenso wie mittlere Schichten sowie Personen, die sozial und beruflich schwächer gestellt und zugleich sehr gebildet sind (cf. Cautrès 2017, 177–190; Fourquet 2017; Lazar 2018, 179–185).
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Media, YouTube, Hologrammtechnik etc.) zu überzeugen vermochte (cf. Cautrès 2017, 176, 190; Lazar 2018, 174–179). Der Welle des dégagisme vermochte Mélenchon nicht nur standzuhalten, sondern sie sogar gezielt für sich zu nutzen (cf. Cautrès 2017, 190; cf. auch Kapitel 6.3.1). Nicht zuletzt profitierte er jedoch auch von der Schwäche seiner Gegner: Der Verzicht Hollandes auf eine erneute Kandidatur, die Krise des PS und das Scheitern Hamons haben es ihm leichter gemacht, einen großen Teil der Wähler des PS für sich zu gewinnen (cf. Cautrès 2017, 189–190). Im Juni 2017 wurde Mélenchon zum Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung und Fraktionsvorsitzenden von LFI gewählt. Im neuen Parlament positionierten sich Mélenchon und die übrigen Abgeordneten von LFI als stärkste Opposition gegenüber Macron und der Regierungspartei LREM (cf. Lazar 2018, 190–192; Cautrès 2019, 216–217). Ob sich die noch junge Bewegung dauerhaft wird etablieren können und Mélenchon sein leadership wird behaupten können, wird die Zukunft zeigen. 5.1.2.2 Benoît Hamon Benoît Hamon, gebürtiger Bretone (✶1967 in Saint-Renan), war von 1993 bis 1995 Vorsitzender des von ihm mitbegründeten Mouvement des Jeunes Socialistes (MJS), von 2004 bis 2009 Europaabgeordneter und von 2008 bis 2012 Sprecher des Parti Socialiste. Als Mitglied der Regierung Hollande (2012–2014) war er zunächst beigeordneter Minister für Wirtschaft und Finanzen und schließlich Bildungsminister. Ab 2010 gehörte er dem Regionalrat der Île-de-France an. 2017 trat er, nachdem er aus den Vorwahlen überraschend als Sieger hervorgegangen war, als Kandidat des PS bei den französischen Präsidentschaftswahlen an, landete jedoch mit nur 6,36% der Stimmen weit abgeschlagen auf dem fünften Platz. Damit blieb er nicht nur ganze 22,27% hinter dem Ergebnis François Hollandes von 2012 zurück, sondern fuhr sogar das schlechteste Ergebnis des PS bei den Präsidentschaftswahlen seit 1969 ein. Die Meinungsumfragen hatten zuvor bereits einen kontinuierlichen Abstieg verzeichnet356 und auch das Bündnis, das er mit Yannick Jadot (EELV) geschlossen hatte, führte nicht zum erhofften Aufschwung. Die historische Niederlage des PS und ihres Kandidaten ereignete sich nicht plötzlich, sondern war Ergebnis eines längeren Prozesses (cf. Weber 2017) und
Während Ende Januar 2017, direkt nach Hamons Sieg in den Vorwahlen, noch 18% der Wähler beabsichtigen, im ersten Wahlgang für ihn zu stimmen (cf. IFOP/Fiducial 2017a), waren es Mitte April, kurz vor dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen, nur noch 7% (cf. IFOP/Fiducial 2017e).
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reihte sich in eine Folge von Niederlagen ein, die der PS zuvor erlebt hatte (cf. Lefebvre 2019). Darüber hinaus schreibt sie sich in eine Krise der französischen Linken insgesamt (cf. Grunberg 2017) und auf internationaler Ebene in eine Krise der Volksparteien (cf. Kapitel 5.1.1) und der Sozialdemokratie ein (cf. Bandau 2019). Zur Erklärung dieser Wahlniederlage können u.a. fünf Faktoren herangezogen werden. (i) Der PS war seit Jahren in verschiedene Lager gespalten. Durch die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 wurde diese innere Zerrissenheit der Partei weiter verschärft und auf das gesamte linke Spektrum ausgedehnt (cf. u.a. Martigny 2017).357 (ii) Mit einem durchschnittlichen Beliebtheitswert von 25% war François Hollande der bis dato unbeliebteste Präsident der Fünften Republik (cf. Infogram s.a.).358 Dass er als erster Präsident der Fünften Republik nicht für eine zweite Amtszeit kandidierte, kann als symptomatisch für diese beispiellose Unbeliebtheit gelten. Als Hollandes successeur anzutreten, stellte daher eine gewisse Herausforderung dar. (iii) Als Vertreter des sozialistisch-linken Flügels der Partei, mit seiner Vergangenheit als frondeur und einem von vielen als zu links empfundenen Programm sei es dem Präsidentschaftskandidaten Hamon nicht gelungen, die Partei hinter sich zu vereinen (cf. Bréchon 2017b, 195–198; Martigny 2017, 56–57). Zahlreiche Mitglieder entzogen ihm ihre Unterstützung und schlossen sich stattdessen der Kandidatur Macrons an.359 (iv) Das Prinzip des vote utile bescherte Hamon unter den Spitzenkandidaten die meisten Stimmenverluste.360 (v) Nicht zuletzt erfuhr Hamon eine starke Konkurrenz durch
Von der inneren Zerrissenheit der Partei zeugt u.a. die Tatsache, dass Hamon als Vertreter des sozialistisch-linken Flügels und mit einem Programm, das in scharfem Kontrast zum vorherigen quinquennat stand, die Vorwahlen für sich entscheiden konnte, während Manuel Valls, der als Vertreter eines gemäßigteren Kurses mit einem Programm, das in der Kontinuität François Hollandes stand, ausschied. Auch Macrons Kandidatur ist Ausdruck der inneren Zerrissenheit der Partei – sie wird sogar als «Vatermord» an Hollande bezeichnet (cf. Schneider/ Royer 2017) – und hat sie zudem zusätzlich verstärkt, da sich zahlreiche Mitglieder des PS der Kandidatur Macrons anschlossen (cf. infra). Als Gründe für Hollandes Unbeliebtheit gelten u.a. seine wenig erfolgreiche Wirtschaftspolitik, die Tatsache, dass er viele seiner Wahlversprechen nicht umgesetzt habe und daher – trotz einiger Erfolge – insgesamt nur eine gemischte Bilanz ziehen könne sowie die Tatsache, dass er die Rolle des Präsidenten nur unzulänglich ausgefüllt habe, da es ihm an Autorität und Staatsmännigkeit gemangelt habe (cf. Clift/McDaniel 2017; Brizzi 2018). Darunter zahlreiche führende Politiker wie Gérard Collomb, Christophe Castaner, Manuel Valls oder Jean-Yves Le Drian. In einer Umfrage von OpinionWay gaben nur 7% der Befragten an, aus strategischen Gründen für Benoît Hamon gewählt zu haben; im Gegenzug ist bei ihm der vote d’adhésion mit 92% am größten (cf. OpinionWay 2017b, 11–12; cf. auch Bréchon 2017b, 197, Anm. 11).
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Macron auf der einen und Mélenchon auf der anderen Seite:361 Mit Macron, Hamon und Mélenchon hatten die Wähler innerhalb des linken Spektrums die Wahl zwischen drei Kandidaten, die alle mehr oder weniger linke Positionen vertraten (nicht zuletzt waren sogar alle drei einmal Mitglieder des PS gewesen). Aus dieser Konkurrenzsituation ging Hamon als Verlierer hervor: Im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen verlor er zahlreiche Wähler an Macron und Mélenchon (cf. Bréchon 2017b, 196–198); bei den Parlamentswahlen verlor der PS erneut viele Wähler an LREM und die radikale Linke (cf. Bréchon 2019b, 136–142). Die Wahlen von 2017 waren sowohl für die Partei als auch für ihren Spitzenkandidaten folgenschwer. Bei den Parlamentswahlen verpasste Hamon sogar den Einzug ins Parlament, woraufhin er aus dem PS austrat und am 1. Juli 2017 seine eigene Partei, Génération.s, gründete. Der PS kam insgesamt auf lediglich 5,68% der Stimmen bzw. 30 Sitze. Personell und finanziell geschädigt und politisch stark geschwächt, sah sich der PS vor die Herausforderung einer grundlegenden «refondation» gestellt (Lefebvre 2019, 150; cf. auch Bergounioux 2017; Grunberg 2017). 5.1.2.3 Emmanuel Macron Wenige Jahre zuvor den Franzosen noch weitgehend unbekannt, gelang Emmanuel Macron 2017 im Alter von gerade einmal 39 Jahren der Einzug in den Élysée-Palast. Mit einem Studium an der École Normale d’Administration (ENA) und dem Institut d’Études Politiques de Paris (IEP) hat Macron eine für französische Politiker typische Ausbildung durchlaufen, war aber als Finanzinspektor und Investmentbanker bei Rothschild & Co. zunächst außerhalb der Politik tätig. Mit der Wahl Hollandes zum Präsidenten 2012 wechselte er in die Politik und wurde zunächst stellvertretender Generalsekretär des Präsidentenamtes im Élysée-Palast (2012–2014) und schließlich Minister für Wirtschaft, Industrie und Digitales (2014–2016). Im April 2016 gründete er in seiner Heimatstadt Amiens die «Bewegung» En Marche!,362 als deren Kandidat er, nachdem er im Juni 2016 von seinem Ministerposten zurückgetreten war, schließlich in den Präsidentschaftswahlkampf zog.
Mélenchon selbst hatte sich und Macron als ‘Nussknacker’ bezeichnet, die gemeinsam den Kandidaten des PS zunichte machen (cf. ZappingTV 2019). Die Abkürzung des Namens der Bewegung – EM! – entsprach wohl nicht zufällig den Initialen des Namens ihres Gründers.
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Auch wenn die Rede vom «kometenhaften Aufstieg»363 mythifizierend wirken mag, kann Macrons Sprung ins Präsidentenamt zweifellos als beispiellos gelten. Macron verfügte über relativ wenig politische Erfahrung und war, auch wenn er bereits politische Ämter bekleidet hatte, nie zuvor in ein politisches Amt gewählt worden. Darüber hinaus mangelte es ihm an einer langfristigen Parteibindung: Von 2006 bis 2009 Mitglied des Parti Socialiste, zog er 2017 als Kandidat der noch jungen Bewegung En Marche! in den Wahlkampf, deren Konstituierung als Partei erst nach der Wahl mit der Umbenennung in La République en Marche! am 8. Mai 2017 und die Verabschiedung der Parteistatuten am 17. August 2017 (La République En Marche 2017) erfolgte. Von Macrons rasantem Aufstieg zeugen nicht zuletzt die rapide steigenden Werte in den Meinungsumfragen364 sowie die immer größere Zahl an Unterstützern verschiedenster couleur, die sich ihm anschlossen (cf. Strudel 2017, 209–211). In der Forschung wird Macrons Wahlerfolg einerseits als Ergebnis eines überzeugenden Programms und einer gelungenen Kampagne betrachtet,365 andererseits sei es aber auch durch eine Reihe glücklicher Umstände begünstigt worden.366 In die Hände gespielt hätten Macron insbesondere folgende Faktoren (cf. Strudel 2017, 206–209; Dolez/Fretel/Lefebvre 2019a, 12–13): Mit Fillon und Hamon als Kandidaten der großen Volksparteien traten ein Rechtskonservativer auf der einen Seite und ein sehr linker Kandidat auf der anderen Seite an und ließen somit in der Mitte des politischen Spektrums eine Leere entstehen, die Macron ausfüllen konnte. Zudem wurde Fillon durch diverse Skandale zusätzlich geschwächt. Darüber hinaus schwand durch den Verzicht François Hollandes auf eine erneute Kandidatur ein potenziell starker Gegenkandidat.
Dieser Ausdruck fand in der medialen Berichterstattung weite Verbreitung (cf. z.B. Holzer 2017). In der Sache wird er dem Phänomen gerecht, doch geht mit ihm eine Glorifizierung der Person Macrons einher, die von vielen kritisch gesehen wird. So hält zum Beispiel Taguieff (2017) den Sieg Macrons weder für ein «miracle» noch für ein «mirage», sondern vielmehr für ein «symptôme»; Macron sei «le produit de la décomposition de fait du système politique français» (Taguieff 2017, 35). Noch Anfang November 2017 gaben in den Meinungsumfragen lediglich 10% der Befragten an, für ihn zu stimmen; Mitte April 2017 waren es bereits 23% (cf. CEVIPOF/Ipsos 2016; 2017b; cf. auch Bréchon 2019a, 111–113). Dass die Kampagne strategisch genau durchdacht und mit großem zeitlichem Vorlauf geplant war, bezeugt etwa das von Philippe Maarek geführte Interview mit Guillaume Liegey, Mitgründer der Agentur Liegey-Muller-Pons, einer Organisation für Wahlkampftechnologien (jetzt eXplaintech), und strategischer Berater Macrons im Wahlkampf (cf. Maarek 2018a). Strudel (2017, 206; Hervorhebung im Original) spricht in diesem Zusammenhang von «kairos et méthode»; Le Gall (2017) von «contingence et nécessité». Cf. auch Maarek/Mercier (2018a, 7–9).
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Durch den Verzicht François Bayrous auf eine eigene Kandidatur zugunsten von Macron wurde dieser zusätzlich gestärkt (cf. Rouban 2019).367 Hinzu kam der von vielen als Bedrohung empfundene Front National, dessen Sieg viele Wähler wohl zu vermeiden suchten. Insgesamt gründe Macrons Wahlerfolg daher auf einem «choix et de conviction et par défaut» (Strudel 2017, 211; Hervorhebungen im Original). Zu überzeugen vermochte er insbesondere durch seine Weltoffenheit, seine pro-europäische Einstellung und den wirtschaftlichen Liberalismus (cf. Jaffré 2019a, 245–251). Dennoch war Macron auch, mehr als alle anderen Kandidaten, ein Kandidat, dem man nicht aus Überzeugung, sondern entweder aus strategischen Überlegungen heraus oder aus Ermangelung einer besseren Alternative seine Stimme gab (cf. Jaffré 2019a, 251–255). Eine entscheidende Rolle mag hier auch der ideologische Synkretismus gespielt haben: Macron war mit dem Ziel angetreten, die traditionelle Opposition von rechts und links zu überwinden, was in den formelhaften Wendungen et de gauche et de droite und en même temps bereits mantrahafte Gestalt annahm. Der ideologische Synkretismus spiegelt sich auch in der ideologischen Diversität seiner Wähler, die sich sowohl links als auch rechts sowie in der Mitte des ideologischen Spektrums verorten (cf. Bréchon 2019a; Jaffré 2019a, 245–250), und kam später auch in der Zusammensetzung der Assemblée nationale und des Ministerrats zum Ausdruck (cf. Elgie 2018, 24–28). Auf institutionell-juristischer Ebene verfestigte er sich in der Möglichkeit der doppelten Parteimitgliedschaft.368 Nicht zuletzt wird Macrons Wahlsieg auch als Ergebnis der «conjonction d’un talent personnel et d’un moment, durable ou éphémère, de la société française» (Le Gall 2017, 57) gesehen, der sich dem «coup de force» (Cautrès/Muxel 2019a, 281) eines jungen, charismatischen Politikers verdanke, der mit strategischem Geschick und einem innovativen politischen Programm im richtigen Augenblick die politische Bühne betrat.
Die Bedeutsamkeit der drei letztgenannten Ereignisse spiegelt sich in zu den entsprechenden Zeitpunkten jeweils sprunghaft ansteigenden Umfragewerten (cf. Jaffré 2019a, 246, Fig. 1). EM bzw. LREM erlaubt seinen Mitgliedern, zeitgleich Mitglied dieser und einer anderen Partei zu sein. Die Möglichkeit der doppelten Parteimitgliedschaft besteht, entgegen mancher Darstellungen, auch nach der Wahl fort (so die Auskunft der Partei auf eine Anfrage der Autorin, cf. La République En Marche 2020). Die Möglichkeit der doppelten und zudem kostenfreien Parteimitgliedschaft steht paradigmatisch für einen von mehreren Wegen, auf denen EM bzw. LREM traditionelle Formen des Parteienwesens zu erneuern sucht. Andere Parteien ziehen dabei jedoch nicht zwangsläufig mit. Dies gilt auch für die Frage der doppelten Parteimitgliedschaft, die von vielen anderen Parteien nicht ermöglicht wird.
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Macron und die von ihm gegründete Bewegung En Marche! hatten sich die Erneuerung des politischen Lebens in Frankreich zum Ziel gesetzt. In der Tat konnten sie nicht nur eine große Mobilisierung und Politisierung der französischen Bevölkerung, sondern auch tiefgreifende Veränderungen in der politischen Kultur Frankreichs bewirken (cf. Delaurens 2018; Evans 2018). Fraglich bleibt, ob sich der anfängliche Enthusiasmus, den Macron auszulösen vermochte, zu nachhaltigem politischem Engagement verfestigt und ob sich die Partei LREM als starke Kraft innerhalb des politischen Spektrums dauerhaft wird etablieren können.369 5.1.2.4 François Fillon François Fillon kann auf langjährige politische Erfahrung zurückblicken. 1976, im Alter von nur 22 Jahren, begann er seine politische Karriere in seinem Heimatdépartement Sarthe, 1981 wurde er als jüngster Abgeordneter in die Assemblée Nationale gewählt. Neben zahlreichen weiteren politischen Ämtern hatte er von 1993 bis 2005 Ministerposten in verschiedenen Kabinetten inne und war von 2007 bis 2012 Premierminister unter Nicolas Sarkozy. 2017 trat er als Kandidat der Républicains bei den Präsidentschaftswahlen an. Im November 2016 war er als großer Sieger aus den Vorwahlen des rechten Lagers hervorgegangen, seine Umfragewerte schossen in die Höhe370 und sogar sein Einzug in den Élysée-Palast galt bereits als sicher.371 Allen vielversprechenden Voraussetzungen und hohen Erwartungen zum Trotz erfuhr Fillon in den Umfragen
Macrons Markenkern, die Überwindung des Lagerdenkens, zeigte bereits kurz nach den Parlamentswahlen und noch deutlicher im Laufe seiner ersten Amtsjahre Schwächen. So wurde deutlich, dass sich Macron doch weniger in der Mitte als vielmehr im rechten Lager des ideologischen Spektrums situiert (cf. Jaffré 2019a, 256–261) und dass der ideologische Synkretismus, wie Strudel (2017, 215) bereits vorausahnt, die Gefahr birgt, die neu gewonnenen Wähler und Parteimitglieder schnell wieder an deren ursprüngliche politische Familie zu verlieren. Im November 2016 führte Fillon in den Meinungsumfragen mit bis zu 34% (cf. z.B. Kantar Sofres-One Point 2016); sein Beliebtheitswert lag bei 5,8/10, dem höchsten Wert, der im Wahlkampf 2016/17 jemals erreicht wurde (cf. Boy/Mercier 2019). In Anbetracht der Tatsache, dass sich erstens der Parti Socialiste in einer Krise befand und dass zweitens – zu Recht – davon ausgegangen wurde, dass sich im zweiten Wahlgang ein front républicain gegen die Kandidatin des Front National bilden würde, galt es als sicher, dass der Kandidat der Républicains die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden würde. Mit dem rasanten Aufstieg Emmanuel Macrons aus der Mitte des politischen Spektrums heraus war damals nicht gerechnet worden. Die Siegesgewissheit wurde von Politikern des rechten Lagers immer wieder betont: «Tous les prétendants, quels qu’ils soient, assurent que le vainqueur [de la primaire de la droite et du centre] sera quasiment assuré de devenir le prochain président de la République» (Roger/Dumas 2016).
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einen beispiellosen Absturz372 und erreichte im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen mit 20,01% lediglich den dritten Platz. Damit war er der erste Kandidat des Mitte-Rechts-Lagers seit 1958, dem es nicht gelang, in den zweiten Wahlgang einzuziehen. Im Anschluss an die Wahl zog er sich, gebeutelt durch verschiedene Skandale und eine angeschlagene Partei zurücklassend, aus der Politik zurück. Fillon gilt daher – nicht zu Unrecht – als «grand perdant» (Gallard/Vacas/Zumsteeg 2019) der présidentielle. Als ausschlaggebend für Fillons Niederlage gelten allen voran die politischen Skandale, aber auch sein Programm (cf. Lees 2017; Tabard 2017; Gallard/Vacas/ Zumsteeg 2019; Teinturier/Lama 2019). In der Tat sanken Fillons Umfragewerte bereits vor den Enthüllungen durch den Canard enchaîné (cf. Anm. 372), was in erster Linie auf sein von vielen als zu liberal empfundenes Programm zurückgeführt wird (cf. Gallard/Vacas/Zumsteeg 2019, 161–165; Teinturier/Lama 2019, 120–121). Insgesamt sei es ihm mit einem Programm, das neoliberalistische wirtschaftliche Positionen mit traditionellen sozialen Werten verbindet, nicht gelungen, sich deutlich genug gegenüber Macron auf der einen Seite und Le Pen auf der anderen abzugrenzen und über seine Kernwählerschaft373 hinaus weitere Gruppen für sich zu gewinnen (cf. Lees 2017, 395–399). Ein weiterer entscheidender Faktor ist zweifelsohne die Kandidatur Macrons, der für viele als wählbare Alternative in der Mitte des ideologischen Spektrums erscheint. Nicht zuletzt schreibt sich Fillons Niederlage ebenso wie die Hamons in eine allgemeine Krise der Volksparteien ein, die Frankreich und andere Länder zu dieser Zeit erlebten. Besiegelt wurde Fillons Niederlage durch eine Reihe politischer Skandale. Den Beginn markierten die Enthüllungen durch den Canard enchaîné am 25. Januar 2017, in deren Zuge Fillon die Veruntreuung öffentlicher Gelder durch Scheinbeschäftigung seiner Frau Penelope Fillon als parlamentarische Assistentin und als Mitarbeiterin bei der Revue des Deux Mondes vorgeworfen wurde.374 Als problematisch erwiesen sich nicht nur die Skandale an sich, sondern auch Fillons Umgang
Fillons Umfragewerte sanken von 34% Mitte November 2016 (cf. Anm. 370) auf 23 bis 25% Mitte Januar 2017 (vor den Enthüllungen durch den Canard enchaîné) (cf. CEVIPOF/Ipsos 2017a) und weiter auf 18,5% im April 2017 (cf. Kantar Sofres-One Point 2017c). Parallel dazu sank sein Beliebtheitswert von 5,8/10 im November 2016 auf 3,9/10 Anfang Dezember und weiter auf 2,4/10 im April 2017 und damit auf den tiefsten Wert, der bei einem der Spitzenkandidaten 2016/17 jemals gemessen wurde (cf. Boy/Mercier 2019). Fillons Kernwählerschaft ist überdurchschnittlich alt, gebildet und vermögend; Zugewinne konnte er insbesondere unter den Rentnern und den Katholiken verzeichnen (cf. Foucault/Chanvril-Ligneel 2017). Zu diesem als Affaire Fillon bzw. Penelopegate bezeichneten Skandal kommen zahlreiche weitere Skandale hinzu: der Vorwurf der Scheinbeschäftigung zweier seiner Kinder, der Vorwurf eines nicht deklarierten Kredits, der Vorwurf von Interessenskonflikten bei der Firma 2F
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mit ihnen. Entgegen seiner ursprünglichen Ankündigung zog er seine Kandidatur nicht zurück (cf. L’Express 2017a); stattdessen schlug er aggressive Töne an und sah sich als Opfer eines «assassinat politique» (Fillon 2017b). Dadurch, dass die Skandale mit dem Image der Rechtschaffenheit und Aufrichtigkeit, das Fillon von sich konstruiert hatte, kollidierten, wurde ihre Wirkung zusätzlich verstärkt.375 Die Skandale hatten insbesondere zwei Konsequenzen (cf. Lees 2017, 399–400). Zum einen führten sie zu einer Zersplitterung der Républicains und des rechten Lagers insgesamt (bzw. offenbarten oder verstärkten bereits dagewesene Tendenzen der Zersplitterung). Fillon als Spitzenkandidat gelang es nicht mehr, die Partei hinter sich zu einen; verschiedene Parteimitglieder forderten seinen Rücktritt und er verlor zahlreiche Unterstützer, überwiegend an Macron. Zum anderen verlor Fillon durch die Skandale auch eine große Zahl an Wählerstimmen, wie sein Absturz in den Meinungsumfragen und schließlich das Wahlergebnis bezeugen. Fillons «naufrage» (Foucault/Chanvril-Ligneel 2017) war nicht nur für ihn selbst, der sich nach der Wahl aus der Politik zurückzog, sondern auch für seine Partei und für die politische Kultur Frankreichs insgesamt folgenschwer. Les Républicains und das gesamte rechte Lager befanden sich in einer Krise; die innere Zerrissenheit, der Mangel an Führungspersonal und die Konkurrenz durch Macron stellten die führende Rolle, die sie in der Fünften Republik immer gespielt hatten, in Frage (cf. Ventura 2018, 113–124). Durch die Skandale zeigten sich die Franzosen zunehmend enttäuscht von der Kampagne, den Medien und der Justiz, ihr Vertrauen in die Politik sank, die Politikverdrossenheit stieg (cf. Teinturier/Lama 2019, 127–129).376 Diese Herausforderungen sollten die Partei und die Politik insgesamt noch einige Zeit beschäftigen.
Conseil, der Verdacht der Veruntreuung öffentlicher Gelder zugunsten von Senatoren der Partei UMP sowie die sogenannten Affaire des costumes und Affaire des montres. Dass es dem Kandidaten in der Tat gelungen ist, dieses Selbstbild überzeugend zu vermitteln, zeigt die vor den Enthüllungen durch den Canard enchaîné durchgeführte Analyse von Alduy (2017): «Humilité, sobriété, probité, constance, persévérance, sacrifice, loyauté, droiture, intégrité, sérieux, foi: François Fillon a mis en avant une candidature ‹morale›, de ‹conviction› et de ‹vérité›, profondément imprégnée de valeurs chrétiennes. Se dessine le profil d’un messianisme sobre: un charisme né de la rectitude morale du candidat et de l’adéquation entre valeurs défendues et valeurs incarnées» (Alduy 2017, 57–58). In einer von Harris Interactive im August 2016 durchgeführten Umfrage sind mehr als die Hälfte der Befragten (54%) der Ansicht, dass die führenden Politiker «überwiegend korrupt» seien (cf. Harris Interactive 2017b).
5.1 Kontext: der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017
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5.1.2.5 Marine Le Pen Marine Le Pen, 1968 geboren, kann als die national wie international bekannteste Politikerin des französischen rechtsextremen Lagers gelten. Marine Le Pen ist, wie sie im Wahlkampf gerne betonte, Mutter von drei Kindern und arbeitete nach dem Studium der Rechtswissenschaften zunächst als Anwältin, bevor sie ihre berufliche Laufbahn ab 1998 zunehmend der Partei widmete. 2011 übernahm sie den Parteivorsitz von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen und betrieb von da an eine Strategie der sogenannten «Dediabolisierung» (frz. dédiabolisation), um der vermeintlichen Diabolisierung, der die Partei unterliege, entgegenzuwirken.377 Unter ihrem Vorsitz setzte der Front National, im Juni 2018 umbenannt in Rassemblement National, seinen unter dem Vorsitz ihres Vaters begonnenen Siegeszug fort.378 Auch bei den Präsidentschaftswahlen 2017 stellte Marine Le Pen mit 21,30% im ersten und 33,90% im zweiten Wahlgang zwei neue Rekorde für ihre Partei auf. Sie übertraf damit nicht nur ihr Ergebnis von 2012 (17,90% im ersten Wahlgang), sondern auch bei weitem das Ergebnis ihres Vaters von 2002 (16,86% im ersten und 17,79% im zweiten Wahlgang), als es dem FN zum ersten und bis dato einzigen Mal gelungen war, sich für den zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen zu qualifizieren. Bemerkenswert ist zudem, dass Marine Le Pen im ersten Wahlgang nur relativ knapp hinter dem Erstplatzierten, Emmanuel Macron, lag, und dass es ihr gelungen ist, vom ersten zum zweiten Wahlgang noch einmal knapp drei Millionen Stimmen hinzuzugewinnen. Le Pens Ergebnis kann zweifelsohne als großer Erfolg gewertet werden. Dabei haben dem FN und seiner Kandidatin verschiedene Kontextfaktoren in die Hände gespielt. Vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise und des Terrorismus erhalten die angestammten Themen des FN/RN Immigration und Sicherheit besonderes Gewicht; Populismus, Euroskeptizismus und nationalistische Tendenzen sind im Aufwind (cf. Ivaldi 2017, 86–87; Perrineau 2017d, 252–253; 2019, 186–189). Nichtsdestotrotz ist es ein Erfolg mit Abstrichen: Das Wahlergebnis blieb hinter den
Obwohl diese Strategie, in deren Zuge auch Jean-Marie Le Pen 2015 aus der Partei ausgeschlossen wurde, durch Marine Le Pen seit 2011 verstärkt verfolgt wird, ist sie keineswegs neu, sondern schreibt sich in eine Tradition bestehender Handlungs- und Sprechweisen ein, mit denen der FN/RN danach strebt, eine gemäßigte Fassade zu konstruieren (cf. Dézé 2015). Entgegen dem äußeren Anschein bleibt hinter dieser Fassade, die insbesondere in einem veränderten Sprachgebrauch zum Ausdruck kommt, die ideologische Ausrichtung des FN/RN im Kern ihrer ursprünglichen Ausrichtung verhaftet (cf. Alduy/Wahnich 2015). Dies bezeugen allen voran zahlreiche Wahlerfolge. So wurde der FN bzw. RN bei den Europawahlen 2014 mit 24,86% und 2019 mit 23,34% jeweils stärkste Kraft; im ersten Wahlgang der Regionalwahlen 2015 war der FN mit 27,73% ebenfalls stärkste Kraft; ebenso im ersten Wahlgang der élections départementales 2015 mit 25,24%.
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5 Kontext – Korpus – Transkription
durch Umfragen ermittelten Prognosen zurück379 und wurde von Parteimitgliedern und Anhängern als Enttäuschung empfunden (cf. Domenach 2017; Mestre/ Faye 2017); in den letzten Wochen vor dem ersten wie vor dem zweiten Wahlgang hatten die Umfragewerte Le Pens einen Rückgang zu verzeichnen (cf. Perrineau 2017d, 258–261; 2019, 189–195). Die Tatsache, dass Marine Le Pen kein noch besseres Ergebnis erzielte, wird primär auf drei Gründe zurückgeführt (cf. Ivaldi 2017, 88–90; Perrineau 2017d, 255–256; 2019, 188–189). Erstens war – neben Fillon – auch der FN durch verschiedene Skandale belastet, allen voran die sogenannte Affaire Jeanne sowie die Affaire des assistants parlementaires au Parlement européen. Zweitens halten viele Wähler den FN bzw. seine Kandidatin Marine Le Pen nach wie vor für zu radikal,380 was zeige, dass die von ihr verfolgte Strategie der Entdiabolisierung nur bedingt geglückt sei (cf. Ivaldi 2017, 89). Drittens leide der FN an einem Mangel an Glaubwürdigkeit. Viele Aspekte seines Programms, etwa die Forderungen, den Euro abzuschaffen oder aus der EU auszutreten, werden von einem Großteil der Wähler kritisch gesehen und Le Pen wird eine geringe présidentiabilité zugeschrieben (cf. Boy/Mercier 2019, 50–51, 54–55). Weitere Gründe sind die Konkurrenz durch andere Kandidaten im ersten Wahlgang und das Prinzip des front républicain sowie Le Pens schlechte Performance im TV-Duell im zweiten Wahlgang (cf. Ivaldi 2017, 106). Insgesamt sei es Le Pen zwar gelungen, ihr angestammtes Wählerspektrum zu behalten – dieses entspringe überwiegend dem milieu populaire, umfasse sozial und wirtschaftlich schwächere Gruppen und dominiere eher im ländlichen als im städtischen Raum –, doch habe sie nur wenig neue Wählergruppen hinzugewinnen können (cf. Ivaldi 2017, 91–102; Perrineau 2017d, 261–266, 268). Im Juni 2017 wurde Le Pen zur Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung gewählt, woraufhin sie ihr Mandat im Europäischen Parlament, das sie ab 2009 innehatte, wegen Mandatskumulierung niederlegen musste. Bei den Parlamentswahlen von 2017, die von einer massiven Demobilisierung der Wählerschaft des FN geprägt waren (cf. Perrineau 2019, 196–197), gelang nur acht Mitgliedern des FN der Sprung in die Nationalversammlung. Trotz dieses Rückschlags ist, wie bereits die Europawahlen 2019 gezeigt haben, vielmehr von einem erneuten Erstarken denn von einem dauerhaften Rückgang des FN bzw. RN auszugehen (cf. bereits Alidières 2018).
Laut ODOXA (2017a; 2017b) wurden Le Pen für den ersten Wahlgang 23% und für den zweiten Wahlgang 38% prognostiziert. In einer im Februar 2017 von Kantar Sofres-OnePoint durchgeführten Umfrage gaben 58% der Franzosen an, «que le FN représente un danger pour la démocratie», 49% bezeichneten den FN als nationalistisch und xenophob (cf. Kantar Sofres-One Point 2017b).
5.2 Korpus
277
5.2 Korpus Wie die in den letzten Jahren zunehmende Verzahnung von Korpuslinguistik und Diskursanalyse bezeugt (cf. Baker 2006; Virtanen 2009; Mahlberg 2014; Baker/McEnery 2015; Taylor/Marchi 2018), ist die korpuslinguistische Arbeit für die Diskursanalyse von großem Nutzen, sie stellt sie aber auch vor zahlreiche Herausforderungen. So entscheidet bereits die Zusammenstellung des Korpus maßgeblich über den weiteren Verlauf der Untersuchung, inklusive der Analyseergebnisse (cf. Sinclair 1991, 13). Nachdem das der vorliegenden Arbeit zugrunde liegende Korpus beschrieben wurde, sollen daher die Kriterien seiner Zusammenstellung näher erläutert werden. Die Untersuchung erfolgt auf der Grundlage eines Korpus zum französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017. Das Korpus setzt sich aus 34 Texten381 zusammen, die insgesamt 344.290 Token umfassen; die mündlichen Texte haben eine Gesamtdauer von 32 Stunden, 18 Minuten und 40 Sekunden.382 Tabelle 3 gibt einen Überblick über die Zusammensetzung des Gesamtkorpus, gegliedert nach Medialität und Zeitraum:383 Tabelle 3: Zusammensetzung des Gesamtkorpus, gegliedert nach Medialität und Zeitraum. Texte medial schriftlich . Wahlgang . Wahlgang medial mündlich . Wahlgang . Wahlgang Summe
Token
Anteil
Dauer
. . . . . . .
% % % % % % %
– – – :: :: ::
Der Textbegriff wird hier sowohl in Bezug auf mündliche als auch in Bezug auf schriftliche Kommunikate gebraucht (cf. Kapitel 3.3.2). Die Texte wurden stets als Volltexte, nicht in Auszügen in das Korpus aufgenommen, mit der Einschränkung, dass bei dem TV-Duell vom 04.04.2017 und bei der TV-Interviewserie vom 20.04.2017 die Redebeiträge der sogenannten petits candidats, wenn sie nicht in direkter Interaktion mit den übrigen Kandidaten geäußert wurden, nicht transkribiert wurden. Für eine vollständige Auflistung der Texte, aus denen sich das Korpus zusammensetzt, cf. Kapitel 9.1.
278
5 Kontext – Korpus – Transkription
Die Analyse akteurs- und textsortenbedingter Spezifika von Agonalität erfolgt auf der Grundlage von Teilkorpora, die jeweils alle einem Akteur bzw. einer Textsorte zugehörigen Aussagen bzw. Texte enthalten. Die Teilkorpora setzen sich wie folgt zusammen:384 Tabelle 4: Zusammensetzung der Teilkorpora für korpusvergleichende Analysen.
Akteure
Textsorten
Texte
Token
Anteil
Dauer
. . . . .
% % % % %
:: :: :: :: ::
Summe
.
%
::
Wahlprogramme professions de foi TV-Duelle TV-Interviewserien Reden
. . . . .
% % % % %
– – :: :: ::
Summe
.
%
::
Mélenchon Hamon Macron Fillon Le Pen
Die Zusammenstellung des Korpus folgte etablierten Gütekriterien korpuslinguistischer Forschung. Diese umfassen nach Hunston (2008) Repräsentativität (representativeness), Ausgewogenheit (balance) und Größe (size). Mit Tognini-Bonelli (2001, 41) lassen sich zudem Authentizität (authenticity) und interne Kriterien,
Während sich die Analyse textsortenbedingter Spezifika von Agonalität auf den gesamten Untersuchungszeitraum erstreckt, erfolgt die Analyse akteursbedingter Spezifika von Agonalität nur auf der Grundlage der vor dem ersten Wahlgang entstandenen Texte, da hier eine einheitliche Akteurskonstellation herrscht. Für die Akteure werden TV-Duelle und TV-Interviewserien jeweils als ein Text pro Kandidat gewertet. Die Zahl der Tokens pro Akteur entspricht der Zahl der Tokens, die die Gesamtheit seiner Redebeiträge umfassen. Die Zahl der Tokens pro Textsorte entspricht der Gesamtheit der Tokens, die die entsprechenden Transkripte enthalten, inklusive der Beiträge der Moderatoren, des Publikums etc. Die Dauer bezieht sich nur auf die mündlichen Textsorten. Die Dauer pro Akteur entspricht der Summe der Dauer aller Äußerungen eines Akteurs in den mündlichen Textsorten, inklusive Pausen in den Reden. Die Dauer pro Textsorte entspricht der Summe der Dauer aller Texte pro Textsorte, alles inklusive (Beiträge sämtlicher Sprecher, Intro bei TV-Duellen, Gesang der Marseillaise am Schluss der Reden etc.).
5.2 Korpus
279
die durch den Untersuchungsgegenstand und die Fragestellung bedingt werden (the sampling criteria used in the selection of texts), ergänzen. In der korpuslinguistischen Forschung wurde lange danach gesucht, wie sich empirisch determinierte Repräsentativität erreichen lässt (cf. z.B. Biber 1993a). Inzwischen herrscht weitgehend Konsens, «dass es Repräsentativität in diesem Sinne nicht geben kann» (Teubert 1998, 131). Ich folge daher Busch (2007), der vorschlägt, statt Repräsentativität Generalisierbarkeit anzustreben, d.h. ein Korpus zu erstellen, das zwar nicht repräsentativ im engeren Sinne ist, es aber aufgrund seiner Zusammenstellung erlaubt, verallgemeinerbare, d.h. auf andere Zusammenhänge übertragbare Erkenntnisse zu generieren. Das Korpus der vorliegenden Untersuchung stellt eine ausgewogene und breite Teilmenge der Gesamtheit der im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 produzierten Texte dar; es sucht den Wahlkampf möglichst umfassend abzudecken, indem es die zentralen Momente des Wahlkampfs und die wichtigsten Akteure und Textsorten erfasst. Die Ausgewogenheit war das wichtigste Kriterium bei der Zusammenstellung des Korpus. Ausgewogenheit wurde angestrebt, indem bestimmte interne Kriterien für die Auswahl der Texte festgelegt wurden (cf. infra). Im Ergebnis wurde ein Korpus erstellt, das sich durch eine große Homogenität und interne Vergleichbarkeit in Bezug auf Untersuchungszeitraum, Akteure, Textsorten, Umfang und Medialität auszeichnet. Das Korpus sollte eine für den Forschungsgegenstand angemessene Größe haben (cf. Hunston 2008, 165–166). Auch wenn es der Stand der Technik heute erlaubt, mit sehr großen Korpora, die mehrere Millionen Token umfassen, zu arbeiten und dies in großen Teilen der korpuslinguistischen Forschung gängige Praxis ist, ist die Arbeit mit größeren Korpora nicht immer ratsam (cf. Scherer 2006, 6–7). Für bestimmte Forschungsvorhaben kann die Arbeit mit kleinen Korpora durchaus vorteilhaft sein (cf. Leech 2000, 683–684; Ghadessy/Henry/Roseberry 2001; McCarthy/Carter 2001; Danino 2018a) und ist auch entsprechend weit verbreitet (cf. Danino 2018b). Dies gilt insbesondere für gesprochensprachliche Korpora, was neben dem Erkenntnisinteresse auch in dem großen Zeitaufwand, den Datenerhebung, Transkription und ggf. manuelle Annotation erfordern, begründet liegt (cf. McCarthy/O’Keeffe 2009, 1012). Das Korpus der vorliegenden Arbeit ist klein genug, um es in seiner Gesamtheit hermeneutisch-interpretativ zu erfassen, was für eine qualitative Analyse von großem Vorteil ist, und zugleich groß genug, um auch quantitative Analysen durchführen zu können. Gleichwohl ist das Korpus im Vergleich zu anderen Korpora eher klein, weshalb es nur über eine eingeschränkte Repräsentativität verfügt. Wichtiger als die Größe des Korpus sind in diesem Fall seine innere Ausgewogenheit sowie die Dichte der Phänomene. Als authentisch können die Korpusdaten insofern gelten, als dass sich die Sprecher zum Erhebungszeitpunkt nicht dessen bewusst waren, ob die
280
5 Kontext – Korpus – Transkription
Erhebung der Daten zum Zweck der sprachlichen Analyse erfolgt oder nicht (cf. Hirschmann 2019, 3). Die internen Kriterien, nach denen das Korpus der vorliegenden Untersuchung zusammengestellt wurde, sind Kontext, Untersuchungszeitraum, Akteure und Textsorten. Alle untersuchten Texte sind in ein und denselben Entstehungskontext eingebettet, den französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017. Der Untersuchungszeitraum reicht vom 1. Februar 2017, dem durch den Conseil supérieur de l’audiovisuel (CSA)388 festgelegten Beginn der Überwachung der Gleichbehandlung der Kandidaten in den Medien (cf. Conseil supérieur de l’audiovisuel 2016), bis zum 7. Mai 2017, dem Tag des zweiten Wahlgangs. Die Untersuchung ist grundsätzlich synchron angelegt; eine diachrone Perspektive wird lediglich im Hinblick auf den Vergleich des Zeitraums vor dem ersten Wahlgang (1. Februar bis 23. April 2017) und des Zeitraums vor dem zweiten Wahlgang (24. April bis 7. Mai 2017) eingenommen. Der untersuchte Zeitraum zeichnet sich dadurch aus, dass innerhalb dieses Zeitraums eine beständige, geschlossene Akteurskonstellation herrscht.389 Die untersuchten Akteure sind die Spitzenkandidaten390 im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017, Jean-Luc Mélenchon (JLM), Benoît Hamon (PS), Emmanuel Macron (EM), François Fillon (LR) und Marine Le Pen (FN). Dabei unterscheidet sich Hamon insofern deutlich von den übrigen Kandidaten, als dass deren Wahlergebnisse ausnahmslos über 19% lagen, wohingegen Hamon nur 6,36% der Stimmen erhielt. Hamon wird nichtsdestotrotz in die Analyse einbezogen, da sein Wahlergebnis über der definitorischen 5%-Schwelle liegt und da er als Kandidat des PS über eine dominierende Rolle im Parteiengefüge verfügt. Aufgrund der niedrigen Werte, die er in den Meinungsumfragen und im ersten Wahlgang erzielte, muss die Repräsentativität seiner Weltanschauung für die Gesellschaft jedoch als eingeschränkt gelten. Durch die Untersuchung mehrerer Akteure wird ein akteursbedingter bias vermieden. Dies gilt analog für die Textsorten. Die untersuchten Textsorten sind Wahlprogramme, professions de foi, TVDuelle, TV-Interviews und Reden. Dabei handelt es sich um für den Wahlkampf
Der Conseil supérieur de l’audiovisuel (CSA) ist eine staatliche Instanz, die über die Einhaltung des «pluralisme politique», also die Vielfalt und Ausgewogenheit der politischen Berichterstattung wacht. Im Wahlkampf betrifft dies die Gleichbehandlung der Kandidaten, die insbesondere in der Überwachung der den Kandidaten zustehenden Rede- und Sendezeit zum Ausdruck kommt (cf. Conseil supérieur de l’audiovisuel 2019). Mit der Einschränkung, dass es vor dem ersten Wahlgang elf (davon fünf untersuchte) und vor dem zweiten Wahlgang nur noch zwei Kandidaten sind. Zur Definition von Spitzenkandidaten cf. Kapitel 5.1.2.
5.2 Korpus
281
besonders wichtige und charakteristische Textsorten (zu politischen Textsorten cf. Klein 2000; 2001). Durch die Diversität an Textsorten, die sich durch unterschiedliche Kommunikationssituationen und die Verwendung textsortenspezifischer sprachlicher Formen und Funktionen auszeichnen, wird nicht nur ein durch die Textsorte bedingter bias vermieden, sondern auch die Ermittlung textsortenbedingter Spezifika von Agonalität durch den systematischen Vergleich verschiedener Textsorten ermöglicht. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf TV-Duellen, TV-Interviews und Reden, da diese Textsorten durch Mündlichkeit, Dialogizität und Spontansprachlichkeit charakterisiert sind, was für die Untersuchung von Agonalität von besonderem Interesse ist (cf. infra). Mit der Analyse der TV-Duelle wird darüber hinaus der Besonderheit von 2017 Rechnung getragen, dass erstmals in einem französischen Präsidentschaftswahlkampf auch TV-Duelle vor dem ersten Wahlgang stattgefunden haben.391 Das Korpus enthält sämtliche im Untersuchungszeitraum entstandenen Wahlprogramme (5 an der Zahl), professions de foi (7) und TV-Duelle (3). Von den TVInterviews wurden zwei Interviewserien ausgewählt, in denen alle Kandidaten jeweils einzeln interviewt werden; die Einzelinterviews zeichnen sich, da sie jeweils Teil einer Interviewserie sind, durch eine hohe Vergleichbarkeit aus.392 Von den Reden wurden die drei bedeutendsten Reden pro Kandidat ausgewählt,393 darunter diejenige, in der das Wahlprogramm präsentiert wird; hinzu kommen die beiden Reden von Le Pen und Macron am Abend des zweiten Wahlgangs. Das auf diese Weise zusammengestellte Korpus zeichnet sich durch folgende Charakteristika aus, die es besonders geeignet sein lassen, die hier gestellten Forschungsfragen zu beantworten. (i) Alle dem Korpus zugehörigen Texte entspringen einem determinierten Kontext, dem französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017. Mithilfe des Korpus lassen sich somit Erkenntnisse über den Sprachgebrauch im französischen Prä-
In der Regel findet in Frankreich pro Präsidentschaftswahlkampf ein TV-Duell zwischen den beiden Spitzenkandidaten vor dem zweiten Wahlgang statt. Hinzu kamen 2006/07 drei und 2011/12 vier TV-Duelle im Rahmen der Vorwahlen der Sozialisten. 2016/17 erhöhte sich die Zahl schlagartig auf elf TV-Duelle: acht im Rahmen der Vorwahlen, zwei vor dem ersten und eines vor dem zweiten Wahlgang (cf. auch Maarek 2018b, 158–160). Es handelt sich um die Interviewserien Demain président und Le Grand Oral – 15 minutes pour convaincre. Die Einzelinterviews sind pro Serie jeweils gleich lang, finden in identischem Setting statt, werden von denselben Journalisten moderiert und enthalten nahezu dieselben Fragen. Die Bedeutsamkeit einer Rede wurde anhand der Zuschauerzahl, der Stellung der Rede innerhalb des Wahlkampfs sowie dem Ort und dem Zeitpunkt der Rede gemessen. Die meisten Reden wurden im Rahmen eines öffentlichen Wahlkampfauftritts gehalten, einige wenige im Rahmen einer Pressekonferenz.
282
5 Kontext – Korpus – Transkription
sidentschaftswahlkampf 2017 erlangen, aber auch, da der Anspruch auf Generalisierbarkeit erhoben werden kann, Erkenntnisse über den Sprachgebrauch im Wahlkampf und über politischen Sprachgebrauch im Allgemeinen. (ii) Das Korpus umfasst ausschließlich für die Zwecke der Massenkommunikation im Sinne einer «simultane[n] Mitteilung von Nachrichten an eine große Zahl von dispersen (zerstreuten) Rezipienten» (Lebsanft 2001, 293) spezifisch verfertige Texte. Massenkommunikation ist in der Regel öffentlich und wird häufig massenmedial vermittelt, etwa durch das Fernsehen im Fall von TV-Duellen und TVInterviews oder durch Printmedien im Fall von Wahlprogrammen und professions de foi. Die Wahlkampfrede sticht insofern hervor, als dass sie zwar eine Form der Massenkommunikation ist, in erster Instanz aber nicht massenmedial vermittelt, sondern unter raum-zeitlicher Kopräsenz von Sprecher und Hörern produziert und rezipiert wird. Sekundär können alle Textsorten über das Internet rezipiert werden, wobei sie jedoch durch die Produktionsverhältnisse der ursprünglichen Kommunikationssituation bedingt bleiben. Massenkommunikation und mit ihr Massenmedialität und Öffentlichkeit sind typische Merkmale politischen Sprachgebrauchs (cf. Girnth 2002/2015, 40–41; zu Massenmedien als politischem Handlungsfeld cf. Bucher 2017; Dieckmannshenke 2017; Luginbühl 2017). Die spezifische Rolle, die Sprache in der Massenkommunikation und in den Massenmedien spielt,394 lässt sich am besten in den massenmedialen Textsorten erfassen (cf. Lebsanft 2001, 293; zu massenmedialen Textsorten cf. Burger 2000; 2001). Indem der Untersuchung ein massenmediales Korpus zugrunde liegt, wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Massenmedien im Wahlkampf eine zentrale Rolle spielen. Zum einen wird der Wahlkampf zu einem wesentlichen Teil in den Massenmedien ausgetragen, zum anderen tragen die Massenmedien maßgeblich zur politischen Meinungs- und Willensbildung bei (cf. Kuhn/Perry 2018b; Theviot 2019b). Der Fokus auf das Medium des Fernsehens ist dadurch legitimiert, dass das Fernsehen im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 nach wie vor eines der bedeutsamsten Medien zu sein scheint (cf. Vedel 2017; Maarek 2018b; Mercier 2019).395 Gleichwohl ist die zunehmende Bedeutung
Zur Bedeutung und dem Gebrauch der Sprache in den Medien in der Romania cf. Bedijs/ Maaß (2017). Zur Sprache in den Medien im Allgemeinen cf. außerdem Schmitz (2004) und Burger/Luginbühl (2014) aus germanistischer und Cotter/Perrin (2017) aus anglistischer Perspektive. Zur Medienlandschaft in Frankreich und den spezifischen Funktionen der Medien im Präsidentschaftswahlkampf cf. Kuhn (2020). Das Fernsehen gilt im Wahlkampf 2017 nach wie vor als wichtigste Informationsquelle der Franzosen (cf. Vedel 2017, 102–104). Untersuchengen zufolge scheinen TV-Duelle 2017 sogar erstmals entscheidenden Einfluss auf den Wahlausgang gehabt zu haben (cf. Gerstlé 2018; Maa-
5.2 Korpus
283
des Internets – und hier insbesondere der Social Media – nicht zu unterschätzen (cf. Koc-Michalska/Gibson/Vedel 2017; Mercier 2017; 2018; El Otmani/Longhi/ Richter 2018; Vedel/Cheurfa 2019).396 (iii) Das Korpus umfasst Texte unterschiedlicher Medialität. TV-Duelle, TVInterviews und Reden sind medial mündlich, Wahlprogramme und professions de foi medial schriftlich. Während letztere auch konzeptionell geschrieben und damit distanzsprachlich sind, ist bei ersteren ein Neben- und Ineinander näheund distanzsprachlicher Elemente zu konstatieren, wobei auch hier die Distanzsprachlichkeit überwiegt.397 Indem sowohl medial mündliche als auch medial schriftliche Texte untersucht werden, können Charakteristika beider Bereiche erfasst und ein durch das Medium bedingter bias vermieden werden. Dies ist insofern von besonderem Interesse, als dass sich die Korpuslinguistik und in weiten Teilen auch die Diskursanalyse bislang vor allem – wenn auch nicht ausschließlich398 – auf schriftlichen, monologischen Sprachgebrauch konzentriert,399 während die Untersuchung mündlichen und dialogischen Sprachgebrauchs zumeist der Gesprächslinguistik bzw. Konversationsanalyse überlassen wird.400 In der
rek 2018b, 171–186; Mercier 2019), wobei zu bedenken ist, dass der tatsächliche Einfluss der TVDuelle auf die Wahlentscheidung und den Wahlausgang nur schwer zu messen ist. Zu einer möglichen Ausweitung der Untersuchung auf andere Textsorten cf. Kapitel 7. Cf. die auf Söll (1974/1985) zurückgehende und von Koch/Oesterreicher (1990/2011) aufgegriffene Unterscheidung zwischen Medium (phonisch/graphisch) und Konzeption (geschrieben/ gesprochen). Die Konzeption hängt von den jeweiligen Kommunikationsbedingungen ab und kommt in den von den Sprechern verwendeten Versprachlichungsstrategien zum Ausdruck. Massenmedialer Sprachgebrauch – und damit in weiten Teilen auch politischer Sprachgebrauch – ist überwiegend distanzsprachlich konzipiert. Dies erklärt sich vor dem Hintergrund der Ideale massenmedialen Sprachgebrauchs, Korrektheit (puritas bzw. latinitas) und Klarheit (perspicuitas) (cf. Lebsanft 2001, 298–299). Die überwiegende Distanzsprachlichkeit im massenmedial vermittelten politischen Sprachgebrauch kann durch nähesprachliche Elemente, z.B. unvollständige Syntax, Korrekturen, Wiederholungen und Wortabbrüche, abgeschwächt werden (cf. KerbratOrecchioni 2017, 95–116; 2019, 47–55; zu den Spezifika des gesprochenen Französisch cf. Barme 2012). Eine nennenswerte Ausnahme stellen z.B. die Arbeiten Roths dar (z.B. Roth 2015; 2018). In der germanistischen Diskursforschung ist man sich dessen durchaus bewusst und fordert daher explizit eine Ausweitung auf die Untersuchung von Mündlichkeit, cf. Warnke (2015, 234); Gardt (2017, 3). Dabei handelt es sich um ein Erbe der Textlinguistik, die traditionellerweise streng von der Gesprächslinguistik bzw. Konversationsanalyse geschieden wurde. Zeugnis davon legt z.B. der entsprechende HSK-Band ab, der bereits im Titel und dann auch bei der Aufteilung der Teilbände klar zwischen schriftlicher und mündlicher Kommunikation unterscheidet (Brinker/ Antos/Heinemann/Sager 2000–2001). Dass diese Auffassung noch lange fortwirkt, bezeugt das deutlich jüngere Handbuch Text und Gespräch (Birkner/Janich 2018).
284
5 Kontext – Korpus – Transkription
Praxis schlägt sich dies darin nieder, dass vor allem in der Korpuslinguistik, aber auch in der Diskursanalyse häufig mit großen Datenmengen gearbeitet wird, deren Erhebung und Transkription, wenn es sich um mündliche Daten handelte, sehr zeitaufwändig wäre. Da aber Diskurse, so wie sie in Kapitel 3.3.2 bestimmt wurden, sowohl schriftlichen als auch mündlichen Sprachgebrauch umfassen und Korpora von großem Nutzen für die Untersuchung mündlichen Sprachgebrauchs sind (cf. Wichmann 2008; McCarthy/O’Keeffe 2009), besteht in der Anwendung korpuslinguistischer und diskursanalytischer Ansätze auf mündlichen Sprachgebrauch ein zentrales Forschungsdesiderat (für Ansätze cf. Roth 2018). (iv) Darüber hinaus sind die untersuchten Texte in unterschiedlichem Maße von Dialogizität im Sinne einer «Geistes- und Analysehaltung, die konsequent das dialogische Potential oder die dialogische Aktualität von Sprache in den Blick nehmen will» (Imo 2016, 340), geprägt. Als Prototyp des Dialogs wird der «interaktive Austausch von mindestens zwei Personen», die in raum-zeitlicher Kopräsenz unter Einsatz verbaler, paraverbaler und nonverbaler Mittel miteinander kommunizieren, angesehen (cf. Imo 2016, 341–342). Davon ausgehend können auch räumlich und/oder zeitlich versetzte Interaktionen als Dialoge aufgefasst werden (cf. Imo 2016, 342). TV-Duelle und TV-Interviews sind unzweifelhaft dialogisch. Auch Reden können, wenn auch in geringerem Maße, als dialogisch gelten, da auch hier eine Interaktion zwischen Sprecher und Publikum stattfindet. Weitet man den Dialogizitätsbegriff auf raum-zeitlich versetzte Kommunikation aus, lassen sich sämtliche untersuchten Texte als dialogisch im weiteren Sinne auffassen, da zwischen allen in ein und demselben Kommunikationszusammenhang produzierten Texten, wie hier dem Wahlkampf, Interaktion stattfinden kann. (v) Dialogizität geht häufig mit Spontansprachlichkeit einher. Spontansprachlichkeit bedeutet, dass Äußerungen im phonischen Code ohne schriftliche Vorlage oder andere Vorbereitung realisiert werden (cf. Miller/Weinert 1998). Die hier untersuchten Textsorten weisen unterschiedliche Grade der Spontansprachlichkeit auf. TV-Duelle und TV-Interviews sind zwar nicht unplanned, aber doch unscripted und daher relativ spontansprachlich. Demgegenüber beruht die Wahlkampfrede in der Regel auf einer schriftlichen Vorlage und ist daher nicht oder nur wenig spontansprachlich. Wahlprogramme und professions de foi sind nicht spontansprachlich. Der Fokus auf Dialogizität und Spontansprachlichkeit ist aus verschiedenen Gründen von besonderem Interesse. Zum einen verspricht dialogisches und spontansprachliches Sprechen im Hinblick auf Agonalität besonders aufschlussreich zu sein, da es sich durch eine große Direktheit und die unmittelbare Konfron-
5.2 Korpus
285
tation der Akteure auszeichnet. Dies steigert potenziell den Grad der Agonalität und lässt eine besonders hohe Konzentration an Formen und Funktionen der Agonalität erwarten. Darüber hinaus ist dialogischer Sprachgebrauch für die Anwendung eines pragmatisch-funktionalen Ansatzes, wie er in Kapitel 3.4 entwickelt wurde, besonders geeignet. Nicht zuletzt ermöglicht ein systematischer Vergleich der verschiedenen Textsorten aufgrund ihres unterschiedlichen Grads der Spontansprachlichkeit – vom TV-Duell und dem TV-Interview über die Rede bis hin zu Wahlprogramm und profession de foi – Erkenntnisse darüber zu erlangen, welches Wissen als kognitiv besonders gefestigt gelten kann (entrenchment): Werden Inhalte selbst in TV-Duellen und TV-Interviews, die sich durch einen hohen Grad an Spontansprachlichkeit und darüber hinaus durch eine fixierte Themenvorgabe und einen hohen Zeitdruck auszeichnen, kommuniziert, so deutet dies darauf hin, dass sie dem Kandidaten besonders wichtig und auch kognitiv fest verankert sind. (vi) Das letzte Charakteristikum betrifft die Multimodalität. Multimodalität liegt vor, wenn mehr als eine Sinnesmodalität401 auf einmal angesprochen wird (cf. Klug/Stöckl 2016; Stöckl 2016).402 In multimodaler Kommunikation werden Informationen über mehrere semiotische Systeme zugleich vermittelt, wobei die verschiedenen Zeichensysteme nicht einfach koexistieren, sondern in komplexen Wechselbeziehungen zueinander stehen. Da Kommunikation von Natur aus häufig multimodal ist, vermag ein multimodales Korpus ein umfassenderes Bild menschlicher Kommunikation zu vermitteln. Dies gilt auch im Hinblick auf Agonalität, weshalb auch im Fall der vorliegenden Untersuchung ein multimodales Korpus gewählt wurde. Bei Wahlprogrammen und professions de foi handelt es sich um rein visuelle Daten, die jedoch sowohl Sprache als auch Bilder enthalten und damit auf zwei semiotischen Ebenen agieren. Im Fall von TV-Duellen, TV-Interviews und Reden handelt es sich um audiovisuelle Daten, in denen die auditive sowie die visuelle Modalität angesprochen werden und die Kommunikation verbal, paraverbal und nonverbal erfolgt. Um die mündlichen Daten für die Analyse zugänglich zu machen, wurden die entsprechenden Texte vollständig transkribiert. Nach welchen Prinzipien die Transkription vorgenommen wurde und welchen Konventionen dabei gefolgt wurde, wird im folgenden Kapitel erläutert.
Zu einer «Geschichte der Sinne», wie sie im Rahmen einer linguistischen Anthropologie entwickelt wird bzw. werden könnte, cf. Lebsanft (2006a, 155–158). Zu Multimodalität cf. auch Allwood (2008); Kipp/Martin/Paggio/Heylen (2009); Knight (2011); Adolphs/Carter (2013); Bateman (2016); Michel (2017).
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5 Kontext – Korpus – Transkription
5.3 Transkription Transkriptionen implizieren eine Vielzahl von Entscheidungen und spiegeln daher immer auch das Erkenntnisinteresse und die Perspektive des Transkribierenden. Aus diesem Grund müssen der Prozess des Transkribierens und die in diesem Zusammenhang getroffenen Entscheidungen stets reflektiert und transparent gemacht werden. Darin besteht das Ziel des vorliegenden Kapitels, das in drei Abschnitte gegliedert ist: Zunächst wird auf theoretische Implikationen des Transkriptionsprozesses und die Gütekriterien, denen die Transkription gehorchen sollte, eingegangen. In einem zweiten Schritt wird das Transkriptionssystem, das in der vorliegenden Arbeit verwendet wird, beschrieben und erläutert. Abschließend wird die Wahl der Transkriptionssoftware, mittels der die Transkriptionen erstellt wurden, begründet. Die Erkenntnis, dass Transkription nicht theorieneutral ist, ist spätestens seit Ochs (1979) Konsens der sprachwissenschaftlichen Forschung. Transkriptionen sind stets durch das Erkenntnisinteresse und die theoretischen Vorannahmen des Forschers bedingt und spiegeln immer auch die Wahrnehmung des kommunikativen Ereignisses durch den Transkribierenden.403 Transkriptionen sind weder exhaustiv noch objektiv, sondern immer interpretativ und selektiv (cf. Edwards 2001, 321). Sie sind daher bis zu einem gewissen Grad stets subjektiv und gehen immer auch mit einem Informationsverlust einher (cf. Kreuz/Riordan 2011, 660). Transkriptionen folgen deshalb gewissen Gütekriterien, zu denen nach Du Bois (1991) die Wahl der Untersuchungskategorien (category definition), gute Lesbarkeit (accessibility), geringe Fehleranfälligkeit (robustness), Effizienz (economy) und Anpassungsfähigkeit (adaptability) zählen.404 Die Transkription erfolgt nach einem bestimmten Transkriptionssystem, das in Abhängigkeit vom Untersuchungsgegenstand, der Datengrundlage und dem Forschungsziel gewählt wird. In der Sprachwissenschaft wurden verschiedene Transkriptionssys-
Dies gilt allerdings auch, wie Deppermann (2008, 46) zu Recht anmerkt, für das reale Kommunikationsereignis, denn auch dieses wird durch einzelne Teilnehmer oder auch außenstehende Beobachter stets von einem gewissen Standpunkt aus und nie in Gänze wahrgenommen. Eine andere, aber in vielerlei Hinsicht deckungsgleiche Aufstellung nimmt Edwards (1993; 2001) mit den Kriterien category design, computational tractability und readability vor. Dass die von Edwards und Du Bois zu Beginn der 1990er Jahren aufgestellten Kriterien nach wie vor als Konsens der heutigen Forschung gelten, zeigen u.a. die Darstellungen in Dittmar (2004, 79–82) und Deppermann (2008, 46–48).
5.3 Transkription
287
teme entwickelt, die sich im Hinblick auf ihre theoretische Verortung und ihre methodische Herangehensweise unterscheiden.405 Die hier vorgenommene Transkription orientiert sich an HIAT (Halbinterpretative Arbeitstranskriptionen), einem in der deutschsprachigen Linguistik häufig verwendeten Transkriptionssystem, das in den 1970er Jahren von Konrad Ehlich und Jochen Rehbein entwickelt wurde (cf. Ehlich/Rehbein 1976).406 Dieses Transkriptionssystem trägt, wie sein Name signalisiert, zwei Aspekten Rechnung: Erstens wird das Transkribieren als Akt begriffen, der ein gewisses Sprachwissen voraussetzt, das beim Transkribieren aktiviert wird (halbinterpretativ), zweitens wird das Transkribieren als Prozess aufgefasst, dessen Produkt schrittweise ausgebaut und verfeinert werden kann (Arbeitstranskriptionen) (cf. Rehbein/ Schmidt/Meyer/Watzke/Herkenrath 2004, 3). Ausgehend von den bei Rehbein/ Schmidt/Meyer/Watzke/Herkenrath (2004) dargestellten Transkriptionskonventionen wurden in Bezug auf einzelne Aspekte Anpassungen vorgenommen, wenn sich dies im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand, die Daten oder das Erkenntnisinteresse als erforderlich erweist. Den oben dargestellten Grundsätzen der theoretischen Adäquatheit, der Praktikabilität und der guten Lesbarkeit entsprechend wurde eine weite Transkription angefertigt, die alle für das Erkenntnisinteresse relevanten Aspekte des kommunikativen Ereignisses so exakt wie möglich wiedergibt. Zentrales Merkmal von HIAT ist die Partiturnotation. Diese ermöglicht eine exakte und anschauliche Wiedergabe der Redefolge, einschließlich Überschneidungen, weshalb sie für die Transkription dialogischer Kommunikation besonders geeignet ist. Bei in die Textfassung der Arbeit integrierten Belegen wird die Partiturnotation aus satztechnischen Gründen im von Schaeffer (1979) entwickelten Zeilenblockverfahren wiedergegeben, in dem einem Sprecher zwei oder mehr Zeilen zur Verfügung stehen.407 Erstreckt sich ein Redebeitrag eines Spre-
Dazu zählen zum Beispiel KA, HIAT, DIDA, DT, GAT, CHAT. Für einen ausführlichen Überblick cf. Dittmar (2004, 77–187); einen kurzen Überblick bieten Kreuz/Riordan (2011, 662–666). Zu spezifischen Transkriptionssystemen für Gestik, Mimik, Prosodie, Körperbewegung und Blickkontakt cf. Bressem (2013). Die anfängliche Version des Transkriptionssystems (Ehlich/Rehbein 1976) wurde wenig später um eine erweiterte Version ergänzt (Ehlich/Rehbein 1979), die auch die Intonation berücksichtigt. In der Folge wurden zwei Programme für die computergestützte Transkription mit HIAT entwickelt, HIAT-DOS und syncWRITER (cf. Rehbein 1993). Kritikpunkte an dem System (für eine Diskussion cf. Schmidt 2007) finden in dem überarbeiteten Handbuch von Rehbein/Schmidt/Meyer/Watzke/Herkenrath (2004) Berücksichtigung. Für einen Überblick über HIAT cf. auch Ehlich (1993); Redder (2001); Dittmar (2004, 109–124). Zum Zeilenblockverfahren sowie zur Partiturnotation im Vergleich zur Textnotation cf. auch Brinker/Sager (2010, 40–44).
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5 Kontext – Korpus – Transkription
chers über mehrere Zeilen und wird von einem anderen Sprecher unterbrochen, wird der unmittelbare Anschluss durch ein Gleichheitszeichen (=) signalisiert. Die Transkriptionseinheit ist der Redebeitrag (turn). Ein turn entspricht im Prinzip der Rede eines Gesprächsteilnehmers zwischen zwei Sprecherwechseln.408 Auch Äußerungen des Publikums, etwa in Wahlkampfreden, werden als turn aufgefasst. Die Transkription des verbalen Materials orientiert sich an der Standardorthographie; phonetische Verschleifungen werden angepasst, morphosyntaktische oder syntaktische Abweichungen von der Norm hingegen nicht. Die Standardorthographie kann im Gegensatz zur literarischen Umschrift die Charakteristika der gesprochenen Sprache nicht wiedergeben, ist jedoch leichter lesbar und bewirkt vor allen Dingen die Reduktion möglicher aussprachebedingter Varianten eines Lexems auf eine Form.409 Sie ist daher die für (semi-)automatisierte korpuslinguistische Analyseverfahren übliche und empfohlene Form der Wiedergabe verbalen Materials (cf. Oostdijk/Boves 2008, 647).410 Äußerungsgrenzen werden mit den gängigen Interpunktionszeichen markiert. Die Verwendung von Punkt, Komma, Fragezeichen, Ausrufezeichen und Doppelpunkt folgt den üblichen Interpunktionsregeln der Schriftsprache; Gedankenstrich und Semikolon finden keine Verwendung. Doppelte Anführungszeichen markieren die Wiedergabe wörtlicher Rede. Die Verwendung von Interpunktionszeichen für die Markierung von Äußerungsgrenzen überzeugt nicht nur durch gute Lesbarkeit, sondern ist gerade für funktionsbezogene Ansätze besonders geeignet, da Interpunktionszeichen funktionale Einheiten, die sich aus dem Zusammenspiel syntaktischer, semantischer und prosodischer Paramater ergeben, markieren (cf. Selting 2001, 1061). Pausen werden in runden Klammern angegeben. Punkte innerhalb der Klammern stehen für Mikropausen unter einer Sekunde; die Länge der Mikro-
Für eine genaue Definition von turn ist diese Bestimmung in vielfacher Hinsicht zu präzisieren. So gelten z.B. Rezeptionssignale oder gescheiterte Versuche, das Rederecht zu ergreifen, in der Regel nicht als turns, da sie keinen Sprecherwechsel im engeren Sinne implizieren (cf. Selting 2001, 1063–1064). Der turn ist die in der angelsächsischen Gesprächsforschung übliche Transkriptionseinheit (cf. Redder 2001, 1046). Demgegenüber erfolgt die literarische Umschrift, die auch in HIAT häufig Verwendung findet, ohne normalisierte Schreibung, sondern gibt die tatsächliche Aussprache wieder. Eine noch präzisere Wiedergabe der Aussprache wird mit der phonetischen Umschrift erreicht. Für eine Diskussion verschiedener Verschriftungssysteme verbalen Materials cf. Selting (2001, 1062–1063) und Dittmar (2004, 59–76). Insbesondere außerhalb der Linguistik ist die Standardorthographie das dominierende Verschriftungssystem verbalen Materials, so zum Beispiel in der qualitativen Sozialforschung (cf. Fuß/Karbach 2019, 23–27).
5.3 Transkription
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pausen – (.) sehr kurz, (..) mittel, (…) lang – entspricht der geschätzten, relativen Dauer der Pause in Relation zur Messgeschwindigkeit und zum Rhythmus des jeweiligen Sprechers. Pausen, die länger sind als eine Sekunde, werden unter Angabe der konkreten Dauer wiedergegeben, z.B. (2,6). Gleichzeitiges Sprechen mehrerer Sprecher, sog. Überlappungen, werden mit eckigen Klammern markiert. Der Schrägstrich signalisiert sämtliche Formen des Redeabbruchs, sei es ein unvollständiges Wort, eine unvollständige Satzkonstruktion innerhalb eines turns oder eine Unterbrechung eines Sprechers durch einen anderen Sprecher. Majuskeln stehen für besonders akzentuierte Wörter oder Wortteile. Unverständliches Material wird mit xxx signalisiert. Nonverbales und paraverbales Material wird punktuell festgehalten, wenn dies für das Untersuchungsinteresse relevant ist, aber nicht systematisch transkribiert. Entsprechende Angaben stehen in runden Klammern und kursiv, z.B. (lacht).
Zeichen
Bedeutung
.,?!: «» (.) (..) (…) (,) [] / = MAJUSKEL xxx (lacht)
Äußerungsgrenze Zitat Pause Überlappung Redeabbruch direkter Anschluss besonders akzentuierte Wörter oder Wortteile unverständliches Material non- und paraverbales Material
Abbildung 11: Transkriptionskonventionen.
Die Transkripte wurden nach den in Rehbein/Schmidt/Meyer/Watzke/Herkenrath (2004, 13–17) formulierten Richtlinien mit Metadaten annotiert.411 Metadaten liefern nicht nur wertvolle Informationen über das Transkript und das kommunikative Ereignis selbst, sondern fungieren im Fall von Akteuren und Textsorten auch als Analysekategorien. Die Transkription erfolgte softwaregestützt mittels ELAN.412 Zentrales Merkmal von ELAN ist neben der Partiturschreibweise (cf. supra) das Prinzip der Mehrebenenannotation: Zu einer Datei können unbegrenzt viele Annotations-
Zu Metadatenstandards im Allgemeinen cf. Lehmberg/Wörner (2008, 492–498). Weitere Programme zur softwaregestützten Transkription sind zum Beispiel CLAN, EXMARaLDA, PRAAT und Transcriber. Für einen Überblick cf. Dittmar (2004, 209–226). Zu ELAN cf. auch Appendix.
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5 Kontext – Korpus – Transkription
spuren angelegt werden; die Wahl der Annotationskategorien ist dabei frei. Auch die orthographische Transkription des verbalen Materials erfolgt auf einer oder mehreren Annotationsspur(en). Zwischen den Annotationsspuren können verschiedene Abhängigkeiten erzeugt werden. Audio- und/oder Videodatei und die Annotation sind zeitaligniert.
Abbildung 12: Die Transkriptionssoftware ELAN (Screenshot, © Max Planck Institute for Psycholinguistics/The Language Archive).
Die softwaregestützte Transkription erleichtert nicht nur den Transkriptionsprozess selbst, etwa durch die Möglichkeit der Regulierung der Abspielgeschwindigkeit, sondern bietet auch Vorzüge im Hinblick auf die Verarbeitung der Daten, etwa durch die Erfassung visueller, auditiver und graphischer Informationen in einer Datei sowie die Möglichkeit der maschinellen Weiterverarbeitung mittels anderer Computerprogramme (cf. Schmidt 2005). ELAN zeichnet sich dadurch aus, dass die Wahl der Transkriptionskonvention frei ist. Neben der Erstellung, Bearbeitung und Visualisierung von Transkriptionen bietet ELAN auch einen guten Ausgangspunkt für die Analyse derselben. Einige Analysefunktionen sind bereits in ELAN integriert. Darüber hinaus lassen sich die von ELAN erzeugten Transkriptionen in verschiedene Dateiformate exportieren und stehen so für die weitere – manuelle oder softwaregestützte – Analyse bereit. Die auf der Grundlage der Transkriptionen generierten Analyseergebnisse sind Gegenstand des folgenden Kapitels.
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse Im vorliegenden Kapitel werden die Analyseergebnisse präsentiert und diskutiert und damit die empirische Grundlage für die Untersuchung von Agonalität im Diskurs geschaffen. Dabei stehen vier Phänomene im Fokus: In einem ersten Schritt werden Agonalitätsindikatoren beleuchtet, d.h. sprachliche Mittel, die Agonalität anzeigen können; der Fokus liegt dabei auf grammatischen und lexikalischen Agonalitätsindikatoren (Kapitel 6.1). Im Anschluss daran geht es um agonale Diskurshandlungen, also um sprachliche Handlungen, die die Funktion haben, Geltungsansprüche von Aussagen und Wahrheiten im Diskurs durchzusetzen (Kapitel 6.2). Daraufhin werden durch eine kontrastive Analyse des Sprachgebrauchs der fünf Spitzenkandidaten im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 akteursbedingte Spezifika von Agonalität herausgearbeitet (Kapitel 6.3). Abschließend werden textsortenbedingte Spezifika von Agonalität in den Blick genommen, wobei exemplarisch die Textsorten Wahlprogramme, professions de foi, TV-Duelle, TV-Interviews und Reden beleuchtet werden (Kapitel 6.4). Die Analyse folgt den in Kapitel 4 erläuterten methodologischen Grundprinzipien und Analyseansätzen und beruht primär auf der Analyse des Untersuchungskorpus; im Fall der Agonalitätsindikatoren wird zudem auf die Auswertung von Grammatiken und Wörterbüchern zurückgegriffen.
6.1 Agonalitätsindikatoren Agonalitätsindikatoren wurden in Kapitel 2.6.2 definiert als verbale, paraverbale und nonverbale Mittel, die Agonalität indizieren, d.h. eine kompetitive Opposition signalisieren können. Agonalitätsindikatoren manifestieren sich an der sprachlichen Oberfläche – oder in sprachbegleitenden oder außersprachlichen Tätigkeiten – und sind damit direkt wahrnehmbar. Allerdings kann Agonalität auch vorhanden sein, ohne dass dies an der sprachlichen Oberfläche direkt angezeigt würde; die Agonalität ist dann vielmehr implizit und kann nur durch hermeneutisch-interpretative Verfahren erschlossen werden. Darüber hinaus sind Agonalitätsindikatoren in grundlegender Weise kontextabhängig: Sie verfügen über ein mehr oder weniger großes agonales Potenzial, d.h. über die Möglichkeit, in einem bestimmten Kontext Agonalität zu indizieren, was aber nicht bedeutet, dass sie dies auch in jedem Fall tun. Agonalitätsindikatoren sind daher weder ein notwendiges noch ein hinreichendes Kriterium für das
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Vorhandensein von Agonalität, aber doch das grundlegendste und offensichtlichste Indiz dafür. Ziel des vorliegenden Kapitels ist die Identifikation und Analyse von Agonalitätsindikatoren. Der Fokus liegt dabei auf Agonalitätsindikatoren im verbalen Bereich,413 wobei zunächst grammatische (Kapitel 6.1.1) und im Anschluss daran lexikalische Agonalitätsindikatoren (Kapitel 6.1.2) in den Blick genommen werden.414
6.1.1 Grammatische Agonalitätsindikatoren Agonalität kann nicht nur durch konkrete lexikalische Formen, sondern auch durch grammatische Phänomene indiziert werden. Grammatische Agonalitätsindikatoren sind grammatische Phänomene oder auch semantische Konzepte, die sich in der Grammatik manifestieren, die in Abhängigkeit vom jeweiligen Verwendungskontext Agonalität anzeigen können. Ziel dieses Kapitels ist es, ein erstes Inventar grammatischer Agonalitätsindikatoren des Französischen zu erarbeiten, indem verschiedene grammatische Phänomene auf ihre Agonalität anzeigende Wirkung hin untersucht werden. Dabei kann zum einen auf die umfassende Untersuchung grammatischer Agonalitätsindikatoren im Deutschen und Englischen von Mattfeldt (2018, 102–145) aufgebaut werden. Mattfeldt identifiziert folgende Phänomene als grammatische Agonalitätsindikatoren: Mood/Modality bzw. Modus/Modalität; Konzession, Kondition und Kontrast; Evaluation; Negation; Passiv/Aktiv. Abschließend nimmt sie verstärkende und abschwächende Begleiter der Agonalität in den Blick. In dieser Hinsicht gilt zu überprüfen, inwiefern Mattfeldts Ergebnisse auch für das Franzö-
Agonalitätsindikatoren jenseits des verbalen Bereichs sind zweifelsohne ebenfalls von großer Relevanz, können im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch aus den in Kapitel 4.2.2 erläuterten Gründen nicht systematisch untersucht werden. Dazu zählen zum Beispiel Bilder im Bereich des Schriftlichen sowie paraverbales und nonverbales Material und Fragen der Gesprächsorganisation im Bereich des Mündlichen. Wie die Analyse auf diese Bereiche ausgedehnt werden könnte und sollte, wird im Fazit (Kapitel 7) aufgezeigt. Diese Aufteilung folgt der traditionellen Unterscheidung von Grammatik und Lexikon, die jedoch nicht als vollständig voneinander abgegrenzte, distinkte Bereiche, sondern vielmehr als ein sich zwischen zwei Polen aufspannendes Kontinuum aufzufassen sind. Die Idee, dass es zwischen beiden keine klaren Grenzen gibt, wurde bereits von Vertretern der Theorie der Grammatikalisierung im 18./19. Jahrhundert geprägt (cf. Jespersen 1924/1948, 31–34; Meillet 1912/1948; Lehmann 1995/2015) und wird seit den 1980er bzw. 2000er Jahren in der Kognitiven Linguistik, insb. Cognitive Grammar (Langacker 1987–1991; 2008) und Construction Grammar (Lakoff 1987; Goldberg 1995; 2006; Croft 2001), systematisch ausgebaut.
6.1 Agonalitätsindikatoren
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sische Gültigkeit besitzen bzw. welche einzelsprachspezifische Ausprägung sie hier erfahren. Zum anderen hinaus sollen ausgehend von französischen Grammatiken sowie dem Untersuchungskorpus weitere, möglicherweise für das Französische spezifische Phänomene identifiziert werden. Folgende Phänomene werden in den Blick genommen: Adversativität, Konzession und Substitution (Kapitel 6.1.1.1), Komparation (Kapitel 6.1.1.2), Kondition (Kapitel 6.1.1.3), Negation (Kapitel 6.1.1.4), Modalität (Kapitel 6.1.1.5), Genus Verbi (Kapitel 6.1.1.6) und Temporalität (Kapitel 6.1.1.7). Abschließend werden mögliche Begleiter von Agonalität untersucht, die den Grad der Agonalität verstärken oder abschwächen können (Kapitel 6.1.1.8). In einem Zwischenfazit werden die Ergebnisse kurz zusammengefasst (Kapitel 6.1.1.9). In den einzelnen Unterkapiteln wird jeweils zunächst eine Bestimmung des in Frage stehenden Konzepts vorgenommen, um im Anschluss daran die Agonalität indizierende Funktion desselben in den Blick zu nehmen. Letzteres erfolgt auf der Grundlage von Grammatiken sowie des Untersuchungskorpus und beruht damit auf einer engen Verzahnung deduktiver und induktiver Verfahren. In einem ersten Schritt wird untersucht, inwiefern die Beschreibung des Phänomens in französischen Grammatiken von einem agonalen Potenzial des jeweiligen Konzepts zeugt. Mit der Grammaire méthodique du français (GMF; Riegel/Pellat/Rioul 1994/2009) und Le bon usage (Grevisse/Goosse 2011) werden dabei zwei zentrale Referenzwerke der französischen Grammatikographie herangezogen. Daraufhin werden die Ergebnisse empirisch überprüft und validiert, indem das Korpus auf grammatische Agonalitätsindikatoren hin ausgewertet wird. 6.1.1.1 Adversativität, Konzession und Substitution Adversativität, Konzession und Substitution sind von besonderer Relevanz für den Ausdruck von Agonalität. Insbesondere die Funktion adversativer, konzessiver und substitutiver Konnektoren als Indikatoren von Agonalität wurde in zahlreichen Studien bestätigt, wobei im Speziellen ihre Relevanz für die Ermittlung agonaler Zentren herausgestellt wurde (cf. Schedl 2011/2017; Felder 2012; 2013; 2015; 2018a; Mattfeldt 2014; 2018; Felder/Luth 2015; Münch 2018; Weiland 2020). Das grundlegende agonale Potenzial von Adversativität – dort Kontrast genannt – und Konzession hat Mattfeldt (2018, 112–119) in Bezug auf das Englische und Deutsche dargelegt;415 im Folgenden soll das agonale Potenzial von
Mattfeldt behandelt in einem Kapitel Konzession, Kondition und «Kontrast», da in englischsprachigen Grammatiken alle drei Kategorien als eng miteinander zusammenhängend betrachtet würden (cf. Mattfeldt 2018, 112). Dies lässt sich mit Blick auf die französischen
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Adversativität, Konzession und (ergänzend) Substitution416 mit Blick auf das Französische eruiert werden. Adversativität (< lat. adversātīvus ‘gegensätzlich’) liegt dann vor, wenn zwei oder mehr bezeichnete Sachverhalte «semant[isch] miteinander kontrastieren, einen Gegensatz ausdrücken» (cf. Glück/Rödel 2016, 15). Adversativität bezieht sich folglich auf eine Beziehung der Opposition, des Gegensatzes, des Kontrasts. Der Terminus Konzession (< lat. concēdere ‘zugeben, einräumen’) bezieht sich im Allgemeinen auf ein Zugeständnis, eine Einräumung. In der Linguistik ist von einer Konzession die Rede, wenn ein Ausdruck «auf einen Sachverhalt hin[weist], der normalerweise nicht als Grund für den durch vom Bezugsausdruck bezeichneten Sachverhalt erwartet wird» (Glück/Rödel 2016, 369). Konzessive Ausdrücke können «u.a. eine Bedingung an[geben], deren erwartete Wirkung sich nicht erfüllt […], oder einen Umstand, dessen zu erwartende Folge nicht eintritt» (Bußmann 2008, 375).417 Der Ausdruck Substitution (< lat. substitūtio ‘Ersetzung’) ist in der Sprachwissenschaft nicht, oder zumindest nicht in dem hier gemeinten Sinne, terminologisiert. Ich möchte darunter den Ausdruck einer Ersetzung verstehen, wie er zum Beispiel durch eine Substitutivbestimmung (au lieu de + Subst.) oder einen Substitutivsatz (au lieu de + Inf., au lieu que…) signalisiert wird. Alle drei Phänomene sind unmittelbar Ausdruck einer Opposition; sie markieren ein Verhältnis der Gegenüberstellung, des Kontrasts. Während sich Adversativität in sehr allgemeiner Weise auf eine Opposition zwischen zwei Sachverhalten bezieht, betreffen Konzession und Substitution spezifischere Formen der Opposition; die Opposition zwischen dem erwarteten und dem tatsächlichen Sachverhalt im Fall der Konzession und die Opposition zwischen dem ersetzten und dem ersetzenden Sachverhalt im Fall der Substitution. Adversativität kann damit als allgemeineres, übergeordnetes Konzept aufgefasst werden, während Konzession und Substitution spezifischere, der Adversativität untergeordnete Konzepte darstellen. Insgesamt weisen die Phänomene damit eine große inhaltliche Nähe zuei-
Grammatiken lediglich in Bezug auf Konzession und Kontrast bzw. Adversativität, nicht aber in Bezug auf Kondition bestätigen, weshalb letztere hier einem separaten Kapitel (6.1.1.3) behandelt wird. Dem Terminus Kontrast ziehe ich den Terminus Adversativität vor, da dieser, im Gegensatz zu ersterem, linguistisch terminologisiert ist. Die Substitution wird bei Mattfeldt nicht untersucht, wird aber hier ergänzend hinzugenommen, da sie, wie noch gezeigt werden wird, in engem Bezug zu den beiden anderen Kategorien steht. Auch in anderen Arbeiten zur Agonalität werden konzessive, adversative und substitutive Konnektoren häufig in einem Atemzug genannt (z.B. Felder 2015; 2018a; Weiland 2020, 126–128). Die Konzession ist, im Gegensatz zur Adversativität und Substitution, in der Sprachwissenschaft umfassend erforscht. Für einen Überblick zur Konzession im Französischen cf. Morel (1996).
6.1 Agonalitätsindikatoren
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nander auf, weshalb sie hier auch in einem Kapitel gemeinsam behandelt werden. Auch in den konsultierten Grammatiken werden sie als eng miteinander zusammenhängend betrachtet.418 Die kontrastierende Funktion von Adversativität, Konzession und Substitution spiegelt sich auch in der Darstellung der Konzepte in den konsultierten Grammatiken. So heißt es in Le bon usage zum Konzessivsatz, dem prototypischen Versprachlichungsmittel der Konzession: «La proposition de concession indique qu’il n’y a pas eu la relation logique attendue entre le fait qu’elle exprime et celui qu’exprime le verbe principal. Elle énonce notamment une cause non efficace, contrariée, qui n’a pas eu l’effet que l’on pouvait prévoir» (Le bon usage, 1563; Fettdruck im Original, meine Kursivierung). Die GMF bringt das Konzept der Konzession darüber hinaus in Zusammenhang mit dem Konzept der Polyphonie419 nach Ducrot (cf. auch Mellet 2008). Auf dieser Grundlage lässt sich Konzession als Ausdruck kontrastierender «Stimmen» im Diskurs beschreiben: «Les propositions que l’on appelle traditionnellement concessives […] manifestent de façon particulièrement frappante ce que O. Ducrot appelle la polyphonie du discours. En effet, leur emploi suppose que quelqu’un, quelque part (un ‹on dit›) asserte le lien causal que pour sa propre part le locuteur ou le scripteur refuse, ou du moins dont il asserte, dans le cas présent, l’inanité» (GMF, 861; Fettdruck im Original).
Dass auch durch die Substitution eine Opposition zum Ausdruck gebracht wird, kommt unter anderem in folgender Beschreibung substitutiver Konnekto So werden zum Beispiel in der GMF innerhalb des Kapitels Les Connecteurs unter der Überschrift Opposition-concession konzessive und adversative Konnektoren gemeinsam behandelt (S. 1053–1054). Im Kapitel Les circonstancielles heißt es zu durch konzessive und substitutive Konnektoren eingeleiteten Nebensätzen: «[E]lles décrivent un fait dont le lien situationnel, voire causal, qui pourrait l’attacher au fait principal est repoussé: nié (non que) ou dénié dans sa valeur de cause (bien que)» (GMF, 857). In Le bon usage wird im Kapitel zum Konzessivsatz erläutert, dass statt proposition de concession auch die Bezeichnungen proposition d’opposition und proposition adversative gebräuchlich seien; zwar wird auch die Problematik der Bezeichnungen und ihres Verhältnisses zueinander thematisiert, doch wird auch auf die inhaltliche Nähe der bezeichneten Konzepte hingewiesen (S. 1563). Der Begriff Polyphonie ist ein «[t]erme emprunté à la musique qui réfère au fait que les textes véhiculent, dans la plupart des cas, beaucoup de points de vue différents: l’auteur peut faire parler plusieurs voix à travers son texte» (Nølke 2002, 444). Das durch Oswald Ducrot (1984) begründete Konzept der Polyphonie fußt auf dem Gedanken, dass eine Äußerung eines einzigen Sprechers mehreren Stimmen zugleich Ausdruck verleiht (zur Polyphonie cf. auch Anscombre 2006 sowie Roulet/Filliettaz/Grobet 2001 mit Blick auf die Diskursanalyse und Atayan 2006 mit einem Fokus auf Argumentation). Im Hinblick auf Agonalität verspricht das Konzept der Polyphonie insofern besonders aufschlussreich zu sein, als dass es der Analyse verschiedener und somit auch potenziell konkurrierender Stimmen im Diskurs dient; es mag daher Anlass zu weiterer Agonalitätsforschung bieten.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
ren in der GMF zum Ausdruck: «Tous [d.h. alle substitutiven Konnektoren] relèvent d’une orientation argumentative, ou même polémique, opposant la réalité des faits à une perspective attendue» (GMF, 860; meine Hervorhebung). Adversativität, Konzession und Substitution verfügen über ein hohes agonales Potenzial. Indem sie dem Ausdruck einer Opposition dienen, beziehen sie sich auf eines der beiden konstitutiven Merkmale von Agonalität; wenn die durch sie signalisierte Opposition darüber hinaus kompetitiv ist, liegt Agonalität vor. Adversativität, Konzession und Substitution betreffen in erster Linie die semantische Dimension der AGONALITÄT DER EXPLIZITEN GEGENÜBERSTELLUNG. Wenn sich die Gegenüberstellung auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte oder -räume bezieht, kann auch die AGONALITÄT DER ZEITLICHEN GEGENÜBERSTELLUNG eine Rolle spielen. Der Ausdruck von Adversativität, Konzession und Substitution kann durch eine Vielzahl sprachlicher Mittel erfolgen. Eine zentrale Rolle spielen dabei Konnektoren.420 Der Begriff Konnektor wird in der Fachliteratur uneinheitlich definiert. Im Anschluss an die Duden-Grammatik können unter Konnektoren Wörter unterschiedlicher Wortarten421 verstanden werden, die der «Verknüpfung von Aussagen und Sätzen zu Texteinheiten» dienen (Duden 2009, 1066).422 Zwischen adversativen und konzessiven Konnektoren ist eine trennscharfe Unterscheidung nicht immer möglich, weshalb sie im Folgenden innerhalb einer Kategorie zusammengefasst werden.423 Für das Französische hat Münch (2018) ein Inventar adver-
Weitere Ausdrucksmittel, z.B. im Bereich der Substantive und Verben, werden im Zusammenhang mit lexikalischen Agonalitätsindikatoren (Kapitel 6.1.2) behandelt. Im Französischen z.B. Adverbien und locutions adverbiales, Konjunktionen und locutions conjonctives, sowie Präpositionen und locutions prépositionnelles. Ich verwende hier die französischen Termini locutions adverbiales/conjonctives/prépositionnelles, da in der deutschen Fachsprache kein Konsens bezüglich einer äquivalenten Bezeichnung besteht. Im Unterschied zu Adverb/Konjunktion/Präposition (frz. adverbe/conjonction/préposition), die sprachliche Einheiten bezeichnen, die aus nur einem Wort bestehen, bezeichnen locution adverbiale/conjonctive/prépositionnelle sprachliche Einheiten, die sich aus mehreren Wörtern zusammensetzen; ihre syntaktische Funktion aber ist identisch. Sie unterscheiden sich damit in formaler, nicht aber in funktionaler Hinsicht. Vergleichbares gilt für frz. connecteurs (cf. GMF, 1053). Felder (2012, 153–154) zufolge sind die «Schwierigkeiten der Abgrenzung» darauf zurückzuführen, «dass wir es mit einer präsupponierten Inkompatibilität von Sachlagen zu tun haben und dass adversative Konnektoren in bestimmten Lesarten als konzessive Konstruktionen aufgefasst werden können, aber nicht umgekehrt. Die unspezifischeren Adversativrelationen indizieren lediglich ein kontrastives Verhältnis, Konzessivkonstruktionen hingegen markieren einen inneren Zusammenhang zwischen zwei Propositionen (Eggs 1977, 124f.). Zwischen zwei – durch eine Konzessivrelation verbundenen – Sachverhalten besteht stets ein innerer Zusammenhang, der in einer rein adversativen Satzverknüpfung hingegen nicht gegeben ist, aber implizit hergestellt werden kann. ‹Der Unterschied besteht in dem Vorhandensein (Konzes-
6.1 Agonalitätsindikatoren
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sativer und konzessiver Konnektoren erstellt, das, so Weiland (2020, 127),424 im Frontier-Projekt Europäische Diskursgemeinschaft – Perspektivenfrieden und Perspektivenstreit (Universität Heidelberg, unter der Leitung von Ekkehard Felder und Vahram Atayan) um substitutive Konnektoren ergänzt wurde. Alle Termini seien von Münch sowie in dem genannten Projekt auf ihr agonales Potenzial hin überprüft worden. Auf der Grundlage der hier konsultierten Grammatiken kann diese Aufstellung bestätigt und um einige wenige Ausdrücke ergänzt werden, was im Ergebnis zu folgender Liste führt:425 Adversative und konzessive Konnektoren: quoique, bien que, malgré que, encore que, nonobstant que, quand même que, en dépit que, même si, quand même, quand bien même, certes/il est vrai/bien entendu …, mais, malgré cela, malgré tout, malgré qc, néanmoins, en dépit de qc, alors que, tandis que, d’une part… d’autre part, d’un côté… de l’autre/d’un autre côté, au contraire, par contre, en revanche, pourtant, cependant, toutefois, nonobstant, mais, contrairement à, au lieu que, tout de même, pour être…, quand, si, si…que,426 avoir beau faire qc, pour autant, quitte à, seulement Substitutive Konnektoren: sans que, non que, au lieu que, avant que, sans, au lieu de, à la place de, avant de, plutôt, davantage, mais
Je nach Kontext können diese Ausdrücke unterschiedliche Bedeutungen und Funktionen haben.427 Einige davon werden im Folgenden auf der Grundlage des Untersuchungskorpus in den Blick genommen. Im Untersuchungskorpus spielen Adversativität, Konzession und Substitution eine immense Rolle. Allein von den oben gelisteten Indikatoren gibt es mehr
sivität) bzw. Fehlen (Adversativität) einer zugrunde liegenden kausalen Relation.› (Di Meola 1998, 332)». Auch in der GMF werden adversative und konzessive Konnektoren innerhalb eines Abschnitts unter der Überschrift «Opposition-concession» zusammengefasst (GMF, 1053–1054). Die Agonalität indizierenden Substantive und Verben, auf die Weiland (2020, 127–128) an dieser Stelle ebenfalls verweist, werden in der vorliegenden Arbeit im Zusammenhang mit lexikalischen Agonalitätsindikatoren behandelt (Kapitel 6.1.2). Diese Aufstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Weitere Mittel der Konzession nennt Morel (1996), etwa (tout) + gérondif, sans + Inf./Subst. oder auch alors que, pendant que und tandis que in adversativer (d.h. nicht temporaler) Lesart. Hinzu kommen weitere komplexe, einen Konzessivsatz einleitenden Konstruktionen dieses Typs: aussi…que, quelque…que, tout…que, pour…que, tant…que, quelque + Subst., quel/ quoi/qui/où que, comment que, autant que. Spezifische Informationen zu den jeweiligen Konnektoren sind u.a. Grammatiken sowie der Forschungsliteratur zu entnehmen. Zu bien que cf. z.B. Pusch (2017), zu même si Mehdaoui (2002), zu néanmoins Vázquez Molina (2018), zu alors que Lafontaine (2017), zu au contraire Danjou-Flaux (1986), zu par contre Hamma/Haillet (2002) und Haillet (2018b), zu en revanche Haillet (2018a) und zu mais Ducrot (1980).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
als 7.037 Okkurrenzen pro 1 Mio. Token.428 Drei Viertel davon (5.267 Okkurrenzen) entfallen auf mais, «signal passe-partout dans le jeu agonal» (André-Larochebouvy 1984, 153). Weitere häufige Konnektoren sind quand même (274) – nach AndréLarochebouvy (1984, 154) der «prototype» der «signaux d’opposition» –, plutôt (218), alors que (198), davantage (158), au contraire (82), pourtant (76) und au lieu de (59). Der mit Abstand häufigste Konnektor, mais, weist vielfältige Verwendungsund Funktionsweisen auf. Le bon usage nennt zwei primäre Funktionen dieser koordinierenden Konjunktion: «1° Il coordonne deux mots, deux syntagmes, deux propositions, deux phrases (ou sous-phrases) que le locuteur (ou le scripteur) met en opposition […]. 2° Il coordonne à une formule négative, qui indique ce que l’on écarte, une formule positive exprimant ce que l’on tient pour exact» (Le bon usage, 1459; meine Hervorhebung).429 Die Beschreibung bezeugt eindeutig die von mais ausgeübte Funktion der Gegenüberstellung: Im ersten Fall wird sie explizit benannt (s. Hervorhebung), im zweiten Fall ist sie dadurch gegeben, dass zwei Sachverhalte, der verneinte und der bejahte, kontrastiert werden. Die folgenden Beispiele illustrieren sowohl die erste (1a) als auch die zweite (1b) Funktionsweise von mais und belegen beide die Agonalität indizierende Wirkung des Konnektors: (1)
a. EM: Je (.) DÉmantèlerai TOUTES les associations (.) TOUTES les associations (.) qui (..) invitent à la violence, (.) à la haine, (.) à la division et qui FONT le jeu des [djihadistes.] MLP: [Mais vous] avez accepté le soutien de l’UOIF (TV-Duell, 03.05.2017). b. MLP: Pour les politiciens du système, un responsable politique ne conduit pas un pays mais administre des populations. Il ne fait pas respecter l’ordre mais négocie la paix civile (Rede, 26.03.2017).
In (1a) sagt Macron, dass er alle Vereinigungen, die zu Gewalt, Hass und Spaltung aufrufen, zerschlagen will, woraufhin Le Pen einwirft, dass er aber die Unterstützung der UOIF (Union des Organisations Islamiques de France) akzeptiert Um eine bessere Vergleichbarkeit mit anderen Korpora zu ermöglichen, werden die Okkurrenzen hier und im Folgenden stets normalisiert zur Zahl des Auftretens pro 1 Mio. Token angegeben. Hinzu kommen die Okkurrenzen von quand und si, deren jeweilige KWIC-Liste aus Gründen der Praktikabilität nicht auf Belege mit adversativem bzw. konzessivem Wert hin ausgewertet werden konnte. In der ersten Verwendungsweise entspricht frz. mais dt. aber, in der zweiten dt. sondern.
6.1 Agonalitätsindikatoren
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habe. Le Pens Aussage präsupponiert, dass die UOIF eine Vereinigung ist, auf die die von Macron genannten Kriterien zutreffen, und dass Macron ihre Unterstützung akzeptiert habe, wozu Macron nicht eindeutig Stellung bezieht. Der einleitende Konnektor mais signalisiert, dass Macron die Unterstützung der UOIF nicht hätte akzeptieren dürfen, wenn er Vereinigungen wie diese zerschlagen möchte, und impliziert damit einen Vorwurf inkohärenten Verhaltens gegenüber Macron. Die durch mais eingeleitete Aussage legt eine der Aussage Macrons entgegengesetzte Schlussfolgerung nahe; mais hat damit konzessiven Wert.430 Indem die mit mais eingeleitete Aussage zudem einen Vorwurf Le Pens gegenüber Macron impliziert, zeugt der Konnektor von der Rivalität der beiden Akteure bzw. ihrer Perspektiven und zeigt damit Agonalität an. In (1b) schildert Le Pen das Verhalten der «politiciens du système», wobei sie, unter zweimaliger Verwendung derselben syntaktischen Struktur, die eine Verstärkung der Gegenüberstellung bewirkt, zunächst sagt, was diese nicht tun, und dann, was sie tun; das verneinte und das nicht verneinte Element werden jeweils durch mais koordiniert. Da sich Le Pen als ‘Anti-System-Politikerin’ positioniert, lässt sich inferieren, dass sie die jeweils im verneinten Element beschriebenen Verhaltensweisen befürwortet und die anderen, die der ‘Systempolitiker’, ablehnt. Auf diese Weise werden verschiedene Verhaltensweisen und, übergeordnet, zwei Typen von Politikern gegenübergestellt, die jeweils einer unterschiedlichen Wertung unterliegen. Mais verdeutlicht zum einen die Gegensätzlichkeit beider Gruppen und Positionen und hat damit adversativen Wert, zeugt zum anderen aber auch von der Rivalität, die zwischen beiden Positionen besteht und zeigt damit auch Agonalität an. Au contraire, adversativer Konnektor par excellence (cf. Danjou-Flaux 1986), verweist nicht nur auf einen Kontrast, sondern auf eine strikte Opposition, auf einen absoluten Gegensatz und indiziert darüber hinaus eine besondere Involviertheit des Sprechers: au contraire «présente la relation entre les termes mis en regard, comme une opposition extrême, radicale, ‹antipodique›, et marque de la part du locuteur une absence totale de distance vis-à-vis de ce qu’il énonce» (Danjou-Flaux 1986, 47). In Abhängigkeit vom Verwendungskontext können dabei unterschiedliche Bedeutungsnuancen dominieren. Während au contraire in dialogischen Kommunikationssituationen der Äußerung von Dissens dient (2a), wirkt er in monologischen Kommunikationssituationen verstärkend auf eine Opposition (2b), die entweder substitutiven, disjunktiven oder antithetischen Charakter haben kann (cf. Danjou-Flaux 1986):
Zu mais mit konzessivem Wert cf. auch GMF (1053).
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(2)
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
a. BH [zu FF]: Vous auriez engagé nos armées aux côtés du régime de Baschar al-Assad. Non mais ça dit le président que vous allez être. […] FF: Non, j’ai jamais dit ça, au contraire. […] (TV-Duell, 20.03.2017). b. FF: La deuxième chose que je veux dire, c’est que la politique française, s’agissant de la lutte contre ce que vous [an Gilles Bouleau gerichtet] appelez Daech et ce que j’appelle, moi, l’État islamique, n’est pas du tout un succès, c’est au contraire un échec (TV-Duell, 20.03.2017).
In (2a) widerspricht Fillon Hamon und bringt seinen Widerspruch mit au contraire – sowie mit «non» und «j’ai jamais dit ça»– zum Ausdruck. Au contraire dient hier der Äußerung von Dissens und signalisiert die Opposition zweier Perspektiven bzw. Positionen, der Fillons und der Hamons. Dass diese nicht nur in Opposition zu einander stehen, sondern auch miteinander konkurrieren, au contraire also nicht nur eine Opposition, sondern auch Agonalität indiziert, ergibt sich aus dem Kontext: Hamon und Fillon konkurrieren im Kampf um das Präsidentenamt und streben beide nach Diskurs- bzw. Deutungshoheit. In (2b) stellt Fillon zwei Möglichkeiten gegenüber, die französische Politik im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat zu beurteilen: als Erfolg oder Misserfolg. Der Konnektor au contraire verstärkt die Opposition zwischen den beiden Betrachtungsweisen, die auch durch die substitutive Struktur «ce n’est pas…, c’est…» zum Ausdruck gebracht wird, und verleiht der Äußerung besonderen Nachdruck. Die Agonalität indizierende Funktion des Konnektors beruht darauf, dass durch ihn nicht nur zwei Sichtweisen als einander absolut entgegengesetzt dargestellt werden, sondern dass Fillons Sichtweise hier mit einer anderen konkurriert, der Hollandes und der aktuellen Regierung, die für die aktuelle Politik im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat verantwortlich sind. Als substitutiver Konnektor zeichnet sich plutôt dadurch aus, dass durch ihn ein nicht eingetretener Sachverhalt negiert wird, der im Kontrast zum eingetretenen Sachverhalt steht. Diese ersetzende Wirkung ebenso wie die Agonalität indizierende Funktion veranschaulicht folgendes Beispiel: (3)
EM: Madame Le Pen, vous savez quoi? J’ai pas envie d’essayer, (.) et je crois que les Français non plus. (.) Ils ont pas du tout envie d’essayer avec vous. MLP: […] (.) ne parlez pas à leur place, monsieur Macron. EM: Non, je parle pas à leur place, mais ils ont pas envie. [Tout ça n’est = MLP: [Vous avez plutôt = EM: = pas sérieux. (.) Tout ça n’est pas sérieux.]
6.1 Agonalitätsindikatoren
301
MLP: = la position aujourd’hui du candidat par défaut, choisi par défaut] par toute une série de gens. Alors vous devriez faire preuve d’un peu moins d’arrogance (.) avant l’élection quand même (TV-Duell, 03.05.2017). Plutôt signalisiert hier die Opposition zwischen dem Bild, das Macron – Le Pen zufolge – von sich zeichne, nämlich die Franzosen zu repräsentieren, indem er in deren Namen spricht, und dem Bild, das Le Pen von Macron zeichnet, nämlich nur einen kleinen Teil der Franzosen zu repräsentieren, während viele ihn mangels einer besseren Alternative gewählt hätten. Darüber hinaus ließe sich plutôt auch als Indikator einer Opposition zwischen Macron und Le Pen deuten: Während Macron Le Pen zufolge nur einen kleinen Teil der Franzosen repräsentiere, inszeniert sie sich selbst als Kandidatin und Repräsentantin aller Franzosen.431 Plutôt signalisiert hier nicht nur eine Opposition, sondern auch Agonalität, da das von Macron entworfene Bild mit einem anderen Bild – einem anderen Bild von ihm selbst oder dem Bild Le Pens – konkurriert. Welches dieser Bilder sich im Diskurs durchsetzt, ist von entscheidender Bedeutung für das Bild, das die Franzosen von Macron haben, und damit auch für den Wahlausgang. Die Beispiele führen die Agonalität indizierende Funktion adversativer, konzessiver und substitutiver Konnektoren deutlich vor Augen. Je nach Konnektor und konkretem Verwendungskontext können dabei unterschiedliche Bedeutungsnuancen dominieren; auch ist eine agonale Funktion nicht immer gegeben, doch verfügen die beleuchteten Phänomene insgesamt über ein hohes agonales Potenzial. Dieses liegt, wie die theoretischen Ausführungen gezeigt haben, in der kontrastiven Funktion von Adversativität, Konzession und Substitution begründet. Die große Rolle, die Adversativität, Konzession und Substitution im Korpus spielen, reflektiert zudem die immense Bedeutung, die diese Phänomene gerade für den politischen Sprachgebrauch haben.432 Politischer Sprachgebrauch ist in hohem Maße von konkurrierenden Positionen geprägt, die es gegenüberzustellen und voneinander abzugrenzen gilt. Der Ausdruck von Opposition ist daher ein wesentliches Bedürfnis im politischen Sprachgebrauch. Als Kategorien, denen der Ausdruck von Opposition geradezu inhärent ist, sind Adversativität, Konzession und Substitution geeignete Mittel, dem nachzukommen.
Cf. «je suis la candidate du peuple» (MLP, TV-Duell, 03.05.2017), «moi je suis là pour défendre le PEUPLE français» (MLP, TV-Duell, 20.03.2017), «À tous les Français (.) à tous les Français je voudrais dire (.) que le redressement du pays exige de la volonté, du courage, mais aussi (.) une vision (.) et le sens des décisions. J’ai ce courage, j’ai cette volonté, et par dessus tout, je vous ai vous. J’ai besoin de vous!» (MLP, Rede, 17.04.2017). Dies bestätigt, mit Blick auf die Konzession, Rezat (2007).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
6.1.1.2 Komparation Der Komparation wurde in der Agonalitätsforschung bisher kaum Beachtung geschenkt. Auch Mattfeldt (2018) setzt sich mit der Komparation nicht systematisch auseinander. Dies ist umso erstaunlicher, als dass die Komparation, ähnlich wie Adversativität, Konzession und Substitution, der Gegenüberstellung von Sachverhalten dient und damit großes agonales Potenzial birgt. Dies soll im Folgenden mit Blick auf das Französische gezeigt werden. Komparation (< lat. comparātio ‘Vergleich’, frz. comparaison) im weiteren Sinne bezeichnet eine semantische Kategorie, die sich auf einen Vergleich, eine vergleichende Gegenüberstellung von Sachverhalten bezieht.433 Bei einem Vergleich werden zwei oder mehr Sachverhalte im Hinblick auf ein beiden Gemeinsames in Beziehung gesetzt. Der Vergleich kann entweder quantitativer oder qualitativer Natur sein und eine Relation der Gleichheit oder Ungleichheit zwischen den in Beziehung gesetzten Sachverhalten zum Ausdruck bringen. Die in Beziehung gesetzten Sachverhalte werden als Komparandum und Komparationsbasis (cf. Thurmair 2001), frz. comparé und comparant (cf. Rullier-Theuret 1995), bezeichnet; die beiden Sachverhalten gemeinsame Eigenschaft, auf der der Vergleich beruht, wird in der Tradition der antiken Rhetorik tertium comparationis genannt. Die Komparation kann auf unterschiedliche Weise versprachlicht werden.434 Die wichtigsten Versprachlichungsmittel der Komparation sind die Steigerung und der Komparativsatz.435 Die Steigerung (frz. gradation) ist «eine morphologische Kategorie von Adjektiven (und vereinzelten Adverbien) zum Ausdruck von Gradangaben und Vergleichen» (Bußmann 2008, 349). Ausgehend von der Grundstufe, dem Positiv, werden in der Regel zwei Steigerungsstufen unterschieden, der Komparativ, bei dem ein Vergleich zu einem oder mehreren Objekten erfolgt, und der Superlativ, bei dem der Vergleich zur Gesamtheit einer Objektklasse erfolgt (cf. Le bon usage, 1273). Steigern lassen sich im Französischen (die meisten) Adjektive und einige Adverbien.436 Der Komparativsatz (frz. proposition comparative) ist ein Dem lässt sich ein enges Verständnis von Komparation gegenüberstellen, das sich auf die Steigerung von Adjektiven (und vereinzelten Adverbien) bezieht (cf. Bußmann 2008, 349). Für einen Überblick über die Versprachlichungsmittel der Komparation im Französischen cf. Fuchs (2014). Ein weiteres Mittel sind Gradangaben, bei denen die Eigenschaft des Objekts oder Sachverhalts in sich betrachtet wird, ohne dass das in Frage stehende Objekt dabei in Bezug zu einem anderen gesetzt würde. Gradangaben implizieren somit keinen direkten Vergleich und werden hier daher außer Acht gelassen. Das Phänomen wird jedoch in Kapitel 6.1.1.8 wieder aufgegriffen, da Gradangaben ein zentrales Mittel für die Verstärkung und Abschwächung von Aussagen sind. Zur Steigerung im Französischen cf. auch Whittaker (2002).
6.1 Agonalitätsindikatoren
303
Nebensatz, der einen Vergleich zu dem im Hauptsatz bezeichneten Sachverhalt ausdrückt (cf. Bußmann 2008, 349). Im Französischen werden zwei Typen von Komparativsätzen unterschieden: Komparativsätze, die durch comme, ainsi que oder de même que eingeleitet werden und «autonom», d.h. syntaktisch vom Hauptsatz unabhängig sind (cf. GMF, 864–865; Le bon usage, 1558–1559), und Komparativsätze, die durch die Konjunktion que eingeleitet werden, die wiederum von einem weiteren Element wie plus, davantage, moins, aussi, autant; plus de, moins de, autant de abhängig ist (auch Korrelativsätze genannt) (cf. GMF, 865–866). Während erstere dem Ausdruck eines globalen Vergleichs dienen, dienen letztere dem Ausdruck eines graduellen Vergleichs. Komparativsätze werden häufig elliptisch zu einem Nominalsyntagma verkürzt (cf. GMF, 863; Le bon usage, 1558). Weitere Ausdrucksmittel des Vergleichs sind die Komparativbestimmung437 oder auch feststehende Wendungen und Ausdrücke wie comparé à…, en comparaison, comparant… et…, comme de coutume, comme prévu (cf. Le bon usage, 1559). Nicht zuletzt kann eine vergleichende Gegenüberstellung auch ohne sprachliche Mittel erfolgen, die die Komparation explizit anzeigen, zum Beispiel indem zwei oder mehr Sachverhalte in parallelen syntaktischen Strukturen, häufig unter Verwendung ähnlicher lexikalischer Elemente oder mit einem verneinten und einem bejahten Element, vergleichend gegenübergestellt werden (cf. Fuchs 2014, 26–28). Die Komparation steht, auch wenn sie in der Agonalitätsforschung bislang nur wenig Beachtung gefunden hat und sich auch in den konsultierten Grammatiken keine expliziten Hinweise auf eine agonale Funktion der Komparation finden, in engem Zusammenhang mit Agonalität. Die Komparation dient der vergleichenden Gegenüberstellung von Sachverhalten, womit ihr eine gegenüberstellende Funktion inhärent ist. Die gegenüberstellende Funktion der Komparation kommt sehr deutlich in der Beschreibung des Phänomens zum Ausdruck, die Fuchs (2014) in ihrer monographischen Studie zur Komparation im Französischen einleitend vornimmt: «Comparer, c’est donc saisir ensemble par l’esprit plusieurs objets (deux, dans le cas le plus simple et le plus courant). C’est les confronter, c’est-à-dire les poser mentalement face à face, en regard l’un de l’autre, en vue d’épingler ce qu’ils ont de semblable et de différent» (Fuchs 2014, 12; Hervorhebung im Original [!]). Indem die Komparation der Gegenüberstellung von zwei oder mehr Sachverhalten dient, betrifft sie eines der zwei konstitutiven Merkmale von Agonalität; ist die durch die Komparation ausgedrückte Gegenüberstellung darüber hinaus kompetitiv, herrscht Agonalität. Dafür kommen ausschließlich Eine Komparativbestimmung ist ein «Adverbial, das mit wie oder als eingeleitet ist und einen Vergleich ausdrückt, z.B. Wolfgang hat sich aufgeführt wie Rumpelstilzchen persönlich oder Jenny ist noch früher gegangen als beim letzten Mal» (Glück/Rödel 2016, 348; Hervorhebungen im Original).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Fälle in Frage, in denen der Vergleich eine Ungleichheit markiert; eine Gleichheit kann nicht kompetitiv sein. Als Phänomen der Gegenüberstellung betrifft die Komparation in erster Linie die AGONALITÄT DER EXPLIZITEN GEGENÜBERSTELLUNG. Darüber hinaus kann sie je nach Kontext weitere semantische Dimensionen der Agonalität betreffen, zum Beispiel die AGONALITÄT DER ZEITLICHEN GEGENÜBERSTELLUNG, wenn sich der Vergleich auf zwei oder mehr Zeitpunkte oder -räume bezieht, oder die AGONALITÄT DER RELEVANZKONKURRENZ, wenn durch den Vergleich verschiedenen Sachverhalten eine unterschiedliche Relevanz beigemessen wird (z.B. plus important que…).438 Wenn mit dem Vergleich eine Wertung einhergeht, kann die Komparation auch in Zusammenhang mit der AGONALITÄT DER (NEGATIVEN) WERTUNG stehen.439 Letzteres wird besonders deutlich bei Ausdrücken wie pire oder meilleur. In der Wahlkampfkommunikation spielen Vergleiche eine zentrale Rolle (cf. Chetouani 2005). In der Regel werden sie genutzt, um entweder einen Unterschied zu markieren, zum Beispiel zwischen dem Kandidaten und seinen Gegenkandidaten, oder um eine Annäherung, eine Gemeinsamkeit zu signalisieren, zum Beispiel zwischen dem Kandidaten und dem Volk oder dem Land. Im Hinblick auf Agonalität ist der erste Fall, der häufig mit einer Aufwertung der eigenen Person und einer Abwertung des Gegners einhergeht (cf. Chetouani 2005, 56), deutlich interessanter; er hat eine «valeur polémique» und zeugt von «conflictualité» (Chetouani 2005, 61). Auch im Korpus spielt der Vergleich eine große Rolle. Aufgrund der Vielzahl der Ausdrucksmittel lässt sich dies nicht allgemein quantifizieren; exemplarisch genannt seien häufige Mittel des Vergleichs wie le/la/les plus… (681 Okkurrenzen), un/une/des plus… (139), le/la/les moins (51), un/une/des moins (8); plus… que (156), moins…que (34); comparable✶ (11), comparé à (6).440 Dass diese Mittel nicht nur einen Vergleich, sondern auch Agonalität indizieren können, illustrieren exemplarisch die folgenden Beispiele: (4)
Fillon: […] la France est aujourd’hui le pays où le volume d’heures travaillées, par rapport aux grandes économies mondiales, est le plus bas. […] JLM: Comment? Les Français sont ceux qui travaillent le moins en Europe? Vous plaisantez! Vous voulez avoir quoi? Le nombre d’heures de travail de la Roumanie? C’est ça que vous voulez?
Darauf weist auch Mattfeldt (2018, 124) hin. Auch darauf weist Mattfeldt (2018, 124) hin. Ebenfalls sehr häufig sind die Ausdrücke comme (2.098 Okkurrenzen), plus de (656) und moins de (238), deren KWIC-Lists aus Gründen der Praktikabilität jedoch nicht auf komparative Strukturen hin ausgewertet werden konnten.
6.1 Agonalitätsindikatoren
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FF: Pas du tout. Comparé à l’Allemagne, monsieur (.) Mélenchon, à l’Allemagne, à la Hollande, au Danemark, à la Suède, à la Finlande, à la Grande-Bretagne. Pas à la Roumanie, enfin (TV-Duell, 20.03.2017). (5)
EM [zu FF]: […] je ne suis pas, comme vous, en effet, dans la vie politique depuis plus de trente ans (TV-Duell, 20.03.2017).
(6)
EM [zu MLP]: Mais (.) je je vais vous dire (.) je suis INfiniment plus crédible que VOUS. (.) Parce que […] (TV-Duell, 03.05.2017).
In (4) wird Frankreich (Komparandum) mit verschiedenen Ländern (Komparationsbasis) hinsichtlich der Wochenarbeitszeit (tertium) verglichen. Der Vergleich wird durch das Adjektiv im Superlativ le plus bas, das Adverb im Superlativ le moins sowie den Ausdruck comparé à signalisiert. Die Komparation dient nicht nur der vergleichenden Gegenüberstellung dieser Länder, sondern zeugt auch von der Konkurrenz, die zwischen diesen Ländern in Bezug auf die wirtschaftliche Produktivität herrscht und die zu einem Streben nach größtmöglicher Kompetitivität führt. Darüber hinaus legt das Beispiel Zeugnis ab von der Konkurrenz, die zwischen den beiden Sprechern besteht, da diese divergierende Positionen in Sachen Arbeitspolitik, konkret was die Frage der Wochenarbeitszeit angeht, vertreten und im Wahlkampf als direkte Konkurrenten auftreten. Auf sprachlicher Ebene spiegelt sich dieser Konkurrenzkampf darin, dass Fillon und Mélenchon zwar das gleiche Komparandum, aber jeweils unterschiedliche Komparationsbasen wählen; die Verschiebung der Komparationsbasis weg von ‘den größten Volkswirtschaften der Welt’ hin zu Rumänien ist ein strategischer Kunstgriff Mélenchons, durch die er seiner Argumentation mehr Überzeugungskraft zu verleihen und seine Position im Diskurs dominant zu setzen sucht. In den beiden anderen Beispielen wird ein direkter Vergleich der Präsidentschaftskandidaten vorgenommen. In (5) vergleicht sich Macron mit Fillon in Bezug auf ihre jeweilige politische Erfahrung, wobei er sich als politischen Newcomer inszeniert und sich auf diese Weise als innovativ und frei von «Altschulden» darstellt. Der Vergleich wird durch den elliptischen Komparativsatz comme vous explizit gemacht. In (6) vergleicht sich Macron mit Le Pen in Bezug auf ihre jeweilige Glaubwürdigkeit, wobei er sich als ‘unendlich viel glaubwürdiger’ als Le Pen beschreibt. Der Vergleich wird durch die Steigerung plus crédible que zum Ausdruck gebracht. Beide Beispiele dienen der eigenen Profilierung und der Delegitimierung des anderen und zeugen damit von Agonalität. In beiden Beispielen geht der Vergleich mit einer Wertung einher – das Selbstbild unterliegt einer positiven Wertung, das Fremdbild hingegen einer negativen Wertung –, die den Grad der Agonalität zusätzlich verstärkt.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Wie die Ausführungen deutlich machen, kann der Komparation eindeutig agonales Potenzial zugeschrieben werden. Als ein Phänomen, das, wie Adversativität, Konzession und Substitution, den Ausdruck einer Opposition betrifft, bezieht sie sich auf eines der beiden konstitutiven Merkmale von Agonalität und birgt damit hohes agonales Potenzial. Dies ist lediglich insofern eingeschränkt, als dass nur eine Ungleichheit ausdrückende Vergleiche über agonales Potenzial verfügen, da eine Relation der Gleichheit nicht kompetitiv sein kann. 6.1.1.3 Kondition Kondition dient in erster Linie dem Ausdruck einer Bedingung, kann aber, wie Mattfeldt (2018, 112–119) in Bezug auf das Deutsche und Englische zeigt, auch Agonalität indizieren. Dies kann im Folgenden mit Blick auf das Französische bestätigt werden. Durch den Ausdruck einer Kondition (< lat. condītīo ‘Bedingung’) wird ein Sachverhalt als bedingt charakterisiert. Eine prototypische Form der Versprachlichung von Kondition ist der Konditionalsatz (frz. proposition conditionnelle). Im Allgemeinen werden drei Typen des Konditionalgefüges unterschieden (cf. GMF, 852–855): – Typ 1: die Realisierung scheint möglich und relativ wahrscheinlich – Typ 2: die Realisierung scheint möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich – Typ 3: der Sachverhalt bezieht sich auf die Vergangenheit, er ist nicht mehr realisierbar und damit weder möglich noch wahrscheinlich Im Französischen wird der Konditionalsatz üblicherweise durch die Subjunktion si eingeleitet.441 Neben si können Konditionalsätze durch weitere Ausdrücke eingeleitet werden, mit denen häufig bestimmte Bedeutungsnuancen einhergehen. Dazu zählen laut GMF (859–860) und Le bon usage (1575–1154): pourvu que, à moins que, pour peu que, moyennant que, pour autant que, en admettant que, supposé que, à supposer que, dans la mesure où sowie Wendungen, die die Substantive cas, condition, éventualité oder hypothèse und die Relativpronomen que oder où enthalten, z.B. au cas où, à (la) condition que
Allerdings kann si nicht nur konditionale (‘wenn, falls’), sondern auch temporal-iterative (‘immer wenn’) oder adversative (‘es stimmt zwar, dass…, aber’) Bedeutung haben (cf. GMF, 852). Insbesondere letztere ist für den Ausdruck von Agonalität von besonderem Interesse; in der GMF, 852 wird dafür folgendes Beispiel angeführt: S’il était généreux avec les uns, il était bien mesquin avec les autres. Da das vorliegende Kapitel dem Phänomen der Kondition gewidmet ist, konzentriert es sich auf die konditionale Bedeutung von si; die Funktion von si als adversativer Konnektor ist im Zusammenhang mit Adversativität erfasst (Kapitel 6.1.1.1).
6.1 Agonalitätsindikatoren
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Ein weiteres Ausdrucksmittel von Kondition ist das Conditionnel. Das Conditionnel kann zwei Bedeutungen annehmen, eine temporale und eine modale (cf. GMF, 554–561; Le bon usage, 1148–1151), wobei der Ausdruck von Kondition letztere betrifft.442 Der Zusammenhang zwischen Conditionnel und Kondition ist darauf zurückzuführen, dass mit dem Conditionnel der beschriebene Sachverhalt als hypothetisch, das heißt einer Bedingung unterliegend charakterisiert wird; je nach Kontext wird die Realisierung des Sachverhalts dabei als möglich (bei Bezug auf die Gegenwart oder die Zukunft) oder als irreal und damit unmöglich (bei Bezug auf die Vergangenheit) dargestellt (cf. GMF, 557; Le bon usage, 1149–1150).443 Darüber hinaus kann der Ausdruck von Kondition durch weitere Versprachlichungsmittel erfolgen, zum Beispiel mit à condition de oder à moins de eingeleitete Infinitivgruppen, mit avec, sans oder en cas de eingeleitete Präpositionalsyntagmen (cf. Le bon usage, 1585–1589) sowie der gérondif (en + participe présent) (cf. GMF, 591–591). Der Zusammenhang zwischen Kondition und Agonalität ist eher indirekter Natur. Mattfeldt (2018, 115) führt das agonale Potenzial der Kondition darauf zurück, dass dem Konditionalgefüge, wie sie im Anschluss an die DudenGrammatik (2016, 1103) konstatiert, ein wenn-dann-Verhältnis zugrunde liege: Wenn die Bedingung erfüllt ist, tritt die Folge ein. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass, wenn die Bedingung nicht erfüllt ist, die Folge nicht eintritt, worin die gegenüberstellende Funktion von Konditionalsätzen begründet liegt: wenn p, dann q kontrastiert mit wenn ¬p, dann nicht ¬q. Auch in der GMF finden sich Hinweise auf die gegenüberstellende Funktion der Kondition. So heißt es etwa in Bezug auf Konditionalsätze zweiten Typs: «SI + imparfait / conditionnel présent. L’hypothèse est envisagée comme contraire à l’état de choses actuel, autrement dit, il y a décalage entre le procès dénoté et le moment de l’énonciation» (GMF, 853; Fettdruck im Original, meine Kursivierung). Ein Konditionalgefüge, das immer eine «valeur d’opposition» habe, ist dasjenige, bei dem sowohl im Neben- als auch im Hauptsatz der Indikativ verwendet wird; die gegenüberstellende Funktion «peut être soulignée par un terme comme pourtant dans la principale; c’est le seul cas où si peut être suivi d’un passé simple, d’un futur ou d’un conditionnel: S’il revint sur les lieux du crime, il ne laissa néanmoins aucune trace» (GMF, 854; Hervorhebungen im Original).
Im temporalen Gebrauch drückt das Conditionnel die Zukunft aus Sicht der Vergangenheit aus. Zum Conditionnel cf. auch Dendale/Tasmowski (2001).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Indem die Kondition gegenüberstellende Funktion hat, steht sie in Verbindung mit der AGONALITÄT DER EXPLIZITEN GEGENÜBERSTELLUNG, allerdings mit der Einschränkung, dass die Gegenüberstellung hier selten explizit, sondern meistens implizit ist. Darüber hinaus kann die agonale Wirkung von Kondition die AGONALITÄT DER NICHT EINGETRETENEN OPTION betreffen (cf. Mattfeldt 2018, 109–110). Dies ist dann der Fall, wenn durch die Kondition eine fiktive, nichtrealisierte Welt entworfen wird, die im Kontrast zur tatsächlich eingetretenen steht (kontrafaktisches Konditional). Dies betrifft vor allem Konditionalsätze dritten Typs. Im Untersuchungskorpus kann die Kondition aufgrund der Vielzahl der Ausdrucksmittel und dem Zusammenfall verschiedener Formen nicht allgemein quantifiziert werden.444 Stattdessen soll die Agonalität indizierende Wirkung der Kondition im Folgenden anhand zweier Beispiele aus dem Korpus exemplarisch illustriert werden. Während (7) die gegenüberstellende Funktion betrifft, bezieht sich (8) auf den Entwurf nichtrealisierter Welten. (7)
MLP: Vous avez parlé de la France en disant la France sera respectée si elle est une grande puissance économique, et cetera. C’est-à-dire on revient on revient au [graphique, au] budget, et cetera. Non, la France sera = EM: [Et politique.] MLP: = respectée si elle est la France, (..) si elle REdevient véritablement la France, avec cette voix PARticulière qu’elle avait dans le monde (TVDuell, 03.05.2017).
(8)
FF: Ce qui se passe actuellement (.) donnerait presque à croire que nous sommes dans une comédie, si durant ces cinq années ne s’était pas dressé (.) un terrible danger auquel la France n’a jamais été confrontée depuis des décennies. Je veux parler du totalitarisme islamique (Rede, 05.03.2017).
In (7) gibt Le Pen zunächst eine Aussage Macrons wieder, der zufolge Frankreich nur respektiert werde, wenn es große wirtschaftliche Macht habe (was Macron korrigiert, indem er einwirft, dass es auch auf politische Macht ankomme). Diese Aussage kontrastiert implizit mit der Annahme, dass Frankreich nicht respektiert werde, wenn es nur geringe wirtschaftliche Macht habe. Diesem impliziten Kontrast (wenn p, dann q vs. wenn ¬p, dann ¬q) fügt Le Pen in der Folge einen weiteren, expliziten Kontrast hinzu, indem sie ihre eigene Posi Es finden sich allein 1.970 Belege pro 1 Mio. Token für die Form si, die aber nicht immer als konditionale Konjunktion fungiert (‘wenn, falls’), sondern teilweise auch als Adverb (‘doch; so, dermaßen’); hinzu kommen 1.851 Belege für s’, das eine Kurzform für si, aber auch für das Pronomen se sein kann.
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tion darlegt, der zufolge Frankreich nur respektiert werde, ‘wenn Frankreich Frankreich sei, wenn Frankreich wieder Frankreich werde’. Das Beispiel illustriert damit nicht nur, dass Konditionalsätze eine implizite Gegenüberstellung zum Ausdruck bringen können, sondern zeigt zudem, dass eine Kondition auch explizit in Zweifel gezogen werden kann und dass unterschiedliche Konditionen explizit in Konkurrenz zueinander gesetzt werden können. In (8) geht es um den zunehmenden ‘islamistischen Totalitarismus’ und die steigende Zahl terroristischer Anschläge, die sich in Frankreich seit 2012 ereignet haben. Um dieses Thema einzuleiten, sagt Fillon, dass man beinahe glauben könnte, dass dies nur eine Komödie sei, wenn Frankreich in den letzten fünf Jahren nicht von einer furchtbaren Gefahr heimgesucht worden wäre. Er entwirft damit eine fiktive Welt, eine Welt ohne Attentate, deren nichtrealer Charakter durch die Metapher der Komödie besonders bildhaft zum Ausdruck gebracht wird. Das Conditionnel simple (donnerait) signalisiert die Irrealität dieser Welt. Auf diese Weise werden eine reale und eine irreale Welt gegenüberstellt; die Realität konkurriert dabei mit einer Wunschvorstellung, die aber nicht der Realität entspricht. Wie die theoretischen Ausführungen und die Beispiele aus dem Korpus zeigen, kann das Phänomen der Kondition, das in erster Linie dem Ausdruck einer Bedingung dient, auch agonale Funktion haben. Die agonale Funktion von Kondition äußert sich in der Gegenüberstellung von Sachverhalten und dem Entwurf nichtrealer Welten. Als Indikator von Agonalität steht die Kondition daher insbesondere im Zusammenhang mit der AGONALITÄT DER EXPLIZITEN GEGENÜBERSTELLUNG und der AGONALITÄT DER NICHT EINGETRETENEN OPTION. 6.1.1.4 Negation Der Negation kommt als Indikator von Agonalität eine besonders zentrale Bedeutung zu. Die Negation ist nicht nur ein sehr wichtiger Indikator von Agonalität, sondern betrifft vor allen Dingen eine spezifische Bedeutungsfacette der Agonalität, der Mattfeldt (2018) eine eigene semantische Dimension der Agonalität zuerkennt, die AGONALITÄT DER NEGATION. Was die Negation in ihrer spezifischen Bedeutung als Indikator von Agonalität ausmacht, soll im Folgenden mit Blick auf das Französische gezeigt werden. Aus der Perspektive der Logik bezeichnet Negation den Prozess, durch den der Wahrheitswert einer Aussage umgekehrt wird (cf. Bußmann 2008, 468; GMF, 696).445 Aus sprachwissenschaftlicher Sicht wird die Negation als semantische Kategorie aufgefasst, die auf einem komplexen Zusammenspiel von Syn Notation: ¬p, d.h. ¬p ist genau dann wahr, wenn p falsch ist und umgekehrt.
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tax, Prosodie, Semantik und Pragmatik beruht (cf. Bußmann 2008, 468; GMF, 696). Der Skopus der Negation kann sich auf ganze Sätze (négation totale) oder auf einzelne Satzglieder bzw. Konstituenten (négation partielle) erstrecken (cf. Bußmann 2008, 468; GMF, 698–700). Die Negation ist ein Phänomen, das allen natürlichen Sprachen gemeinsam ist; sie gilt daher als sprachliche Universalie (cf. Köller 2016).446 Für die Negation stehen in den jeweiligen Einzelsprachen eine Vielzahl sprachlicher Mittel zur Verfügung.447 In der GMF (697–698) wird grundlegend zwischen einer lexikalischen und einer grammatischen Dimension unterschieden. Im Bereich der Lexik äußere sich die Negation in Form der kontradiktorischen Antonymie, der «opposition de mots de sens contraire» (GMF, 697). Diese kann zwischen Begriffspaaren, die keine morphologischen Bezüge aufweisen (savoir/ignorer), ebenso bestehen wie zwischen Begriffspaaren, die durch Derivation (possible/impossible) oder durch syntaktische Verfahren (cher/pas cher; la violence/la non-violence) entstehen (cf. GMF, 697).448 In diesen Fällen steht die AGONALITÄT DER NEGATION in engem Zusammenhang mit der AGONALITÄT DER LEXIKALISCHEN GEGENÜBERSTELLUNG. Im Bereich der Grammatik kann die Negation durch eine Vielzahl von Negationsausdrücken erfolgen, die unterschiedlichen Wortarten angehören, zum Beispiel Negationsadverbien (ne, pas, plus, jamais), Pronomen (personne, rien) oder Determinanten (aucun) (cf. GMF, 697–698). Die verschiedenen Negationsausdrücke weisen zahlreiche Besonderheiten in Bezug auf Bildung und Gebrauch auf und ihre Funktionsweise variiert je nach Verwendungskontext.449 Die besondere Relevanz der Negation für Agonalität liegt darin begründet, dass durch die Negation «ein Sachverhalt negiert und gerade dadurch im Kontrast zum geltenden Sachverhalt evoziert» (Mattfeldt 2018, 129) wird. Durch die Negierung einer Aussage wird ein Kontrast zwischen der in der Aussage enthaltenen Proposition und derjenigen, die im Unterschied zur negierten gilt, geschaffen. Dies gilt analog für die Negation einzelner Konstituenten. Hier werden Einzelausdrücke bzw. die Konzepte, die mit ihnen verbunden sind, verneint und ihrem jeweiligen Gegenteil gegenübergestellt. Auch der Negation ist damit die Einen Überblick zur Negation aus sprachübergreifender und interdisziplinärer Perspektive bietet das Oxford Handbook of Negation (Déprez/Espinal 2020). Zur Negation im Französischen cf. Gaatone (1971); Callebaut (1991); Muller (1991); Larrivée (2001). Darüber hinaus kann Negation auch durch nicht-sprachliche Mittel, z.B. das Kopfschütteln, realisiert werden. In diesem Sinne sind sämtliche Derivations- und Kompositionselemente, die eine Kontradiktion signalisieren, der Negation zuzurechnen, z.B. anti-, contre-, dé-/dés-, dys-, im-/ in-, non-. Für einen Überblick über die verschiedenen Formen und Funktionen der Negation im Französischen cf. GMF (696–718) und Le bon usage (1326–1366).
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Gegenüberstellung zweier Sachverhalte oder Positionen inhärent, wenngleich sie, gerade etwa im Vergleich zu Adversativität oder Komparation, eher implizit erfolgt.450 Je nach Verwendungskontext kann der agonale Charakter der Negation mehr oder weniger explizit und auch mehr oder weniger stark sein. Auf der Grundlage der auf Ducrot (1984) zurückgehenden und von der GMF (716–719) aufgegriffenen Unterscheidung zwischen négation descriptive und négation polémique lässt sich dieses Verhältnis systematisch ausloten.451 Während die deskriptive Negation der Negierung einer Proposition dient und damit, wie ihr Name schon sagt, rein deskriptiv ist, dient die polemische Negation der Zurückweisung der Aussage eines anderen Sprechers und damit der Äußerung von Dissens.452 Bei der polemischen Negation liegt, wie auch hier der Name indiziert, der agonale Charakter auf der Hand: Eine Position wird unmittelbar und explizit im Kontrast zu einer anderen Position evoziert, wodurch die beiden Positionen und mittelbar auch die sie vertretenden Akteure in Opposition zueinander treten: «Par la négation polémique, le locuteur s’oppose à un autre locuteur qu’il met en scène dans son discours, pour le contester d’autant mieux en reprenant ses propos» (GMF, 717); «dans ce cas, nier, c’est refuser, c’est s’opposer à un fait ou à une idée» (GMF, 696).453 Die polemische Negation hat folglich hohes agonales Potenzial. Doch auch die deskriptive Negation weist ein, wenngleich schwächeres, agonales Potenzial auf, denn auch durch die schlichte Negierung einer Proposition wird ein Kontrast geschaffen zwischen der geltenden und der nicht geltenden Aussage. Nølke (1990; 1992) zufolge hat die Negation daher immer, sowohl bei der deskriptiven als auch bei der polemischen Negation, polemischen Charakter: «La polémique est intrinsèque à l’emploi de ne…pas. […] Il y a une seule négation ne… pas, et elle est polémique» (Nølke 1992, 65–66). Für Agonalität ist darüber hinaus ein weiterer Spezialfall der Negation von Interesse, die sogenannte replazive Negation. Bei der replaziven Negation, auch kontrastierende [!] Negation genannt, wird ein Teil des negierten Inhalts ersetzt (cf. Bußmann 2008, 468); im Französischen erfolgt dies insbesondere durch Strukturen wie x (et) non y oder non (pas) x, mais y (cf. GMF, 704–705). Das agonale
Auf die unmittelbare Verbindung zwischen Negation und Agonalität deutet auch der Zusammenhang zwischen Negation und Opposition hin, der sich in der philosophischen Diskussion bis in die griechische Antike zurückverfolgen lässt und heute in Logik und Sprachwissenschaft im Zusammenhang mit den Konzepten der Kontradiktion und der Kontrarietät diskutiert wird (cf. Horn 2020). Ducrot (1984) stellt diesen beiden darüber hinaus die négation métalinguistique zur Seite. Zum Dissens als agonale Diskurshandlung cf. Kapitel 6.2.6. Zur négation polémique cf. auch Moeschler (1982); Miéville (1989).
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Potenzial der replaziven Negation ist besonders groß, da die Gegenüberstellung explizit gemacht wird: «Non […] oppose deux constituants présentés comme antithétiques» (GMF, 704). Die AGONALITÄT DER NEGATION tritt hier in Kombination mit der AGONALITÄT DER EXPLIZITEN GEGENÜBERSTELLUNG auf. Im Korpus ist die Negation von immenser Wichtigkeit. Dies bezeugt unter anderem die Häufigkeit von Ausdrücken wie ne…pas (5.067 Okkurrenzen pro 1 Mio. Token), ne…plus (831), ne…jamais (339), ne…rien (294), ne…personne (25); personne ne… (192), rien ne… (119); aucun (523). Die folgenden Beispiele illustrieren exemplarisch den Agonalität indizierenden Charakter der deskriptiven (9–10), polemischen (11) und replaziven (12) Negation: (9)
JLM: Aujourd’hui, en me présentant devant vous, je n’ai pas de plan de carrière, je sers un combat (TV-Duell, 04.04.2017).
(10) FF: Ma ligne ma ligne d’horizon (.) ne s’arrête pas au périphérique des métropoles. Je ne suis pas une plante hors sol, mise en pot dans les grandes écoles, accrochée à un tuteur, puis arrosée à l’ombre des palais de la République (Rede, 09.04.2017). (11) MLP: Vous me pouvez/ (.) vous êtes TRÈS énervé. EM: Je ne suis PAS du tout énervé, madame Le Pen. (.) Je suis (.) en train de vous dire/ (TV-Duell, 03.05.2017). (12) EM: C’est ce que le mouvement En Marche! porte depuis le premier jour, c’est ce qui fait que (.) la moitié de nos candidats investis pour les élections législatives (.) seront de nouveaux candidats, et non des parlementaires reconduits (Rede, 02.02.2017). In (9) und (10) treffen die Sprecher jeweils eine verneinte Aussage über sich selbst, doch was zunächst als eine Aussage über die eigene Person aufgefasst werden kann, lässt sich auch als Aussage über andere Akteure deuten, indem im Umkehrschluss davon ausgegangen wird, dass das Gegenteil auf andere Akteure oder einen anderen Akteur zutrifft.454 Während dies in (9) noch relativ implizit und damit der agonale Charakter der Aussage vergleichsweise schwach ist, zielen die verneinten Aussagen in (10) unzweifelhaft auf Macron ab und sind als Angriff auf seine Person zu werten. Die Beispiele zeigen, dass auch die
Zur Selbstbildkonstruktion als indirekte Fremdbildkonstruktion cf. auch Kapitel 6.2.2.
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deskriptive Negation agonales Potenzial hat, die Agonalität jedoch je nach Einzelfall unterschiedlich stark sein kann. Demgegenüber ist der Grad der Agonalität bei der polemischen Negation in der Regel größer und unmittelbarer. Dies illustriert Beispiel (11), in dem Macron Le Pens Aussage, dass er genervt sei, zurückweist, indem er sie in verneinter Form – unter Anpassung der deiktischen Elemente und Insertion des Verstärkers du tout – wiederholt. Durch die Verneinung wird der Aussage des Gegenübers ihre Gültigkeit abgesprochen und der Sprecher nimmt eine dem Gegenüber entgegengesetzte Position ein. In (12) stellt Macron seine Forderung, bei den Wahlen zur Nationalversammlung zur Hälfte Kandidaten aufzustellen, die zuvor keinen Sitz im Parlament hatten, dem üblichen und von seinen Gegenkandidaten fortgeführten Verfahren gegenüber, viele ehemalige Parlamentarier erneut aufzustellen. Kontrastiert werden hier nicht nur zwei mögliche Verfahren bei der Besetzung der Assemblée nationale, sondern auch zwei Politikstile, ein innovativer und der herkömmliche, die durch Macron auf der einen Seite und seine Gegenkandidaten auf der anderen vertreten werden. Der agonale Wert der Negation resultiert hier aus dem Kontext, aus der Rivalität der Akteure im Wahlkampf. Der gleiche Effekt kann auch ohne Rekurs auf das für die replazive Negation typische non erzielt werden, zum Beispiel durch syntaktische Parallelismen unter Verneinung eines der beiden Elemente: (13) MLP: Non. (.) C’est pas une banque que je veux, c’est un FONDS souverain (TV-Duell, 03.05.2017). Was hier nur angedeutet werden konnte, Mayaffre (2011) aber auf der Grundlage einer groß angelegten quantitativen Studie zu Adverbien im politischen Sprachgebrauch zeigt, ist eine signifikant hohe Frequenz von Negationsadverbien im politischen Sprachgebrauch, was auf eine besondere Relevanz der Negation gerade für den politischen Sprachgebrauch schließen lässt. Vor dem Hintergrund der Polyphonie-Theorie Ducrots deutet Mayaffre (2011, 103–104) dies wie folgt: «[…] en intégrant / contestant le discours de l’autre, la négation ne fait que marquer plus encore la prégnance de l’énonciateur sur son discours; en renvoyant à une altérité et à un ailleurs, c’est bien le je-ici-maintenant d’un énonciateur tout puissant qui se trouve centralement confirmé comme cadre, point de départ et point d’horizon du discours. Insistons encore: dire ‹ne...pas› pour Chirac (ou Sarkozy ou Mitterrand), c’est se poser en énonciateur omnipotent – peut-être pourrait-on reprendre la notion de sur-énonciateur? –, auquel nous sommes obstinément renvoyés, même quand, surtout quand, il entre en (pseudo-)dialogue avec l’adversaire» (Hervorhebung im Original).
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Dieses Zitat liefert nicht nur einen Erklärungsansatz für die besondere Frequenz der Negation im politischen Sprachgebrauch, sondern stützt auch die Betrachtung von Negation als Indikator von Agonalität, da die Negation als Mittel aufgefasst wird, in einen ‘(Pseudo-)Dialog mit dem Gegner’ zu treten und seine eigene Position in diesem (Pseudo-)Dialog zu stärken. Die Bedeutsamkeit der Negation als grammatischer Agonalitätsindikator wird damit, aus theoretischer wie empirischer Sicht, mehr als deutlich. Die Negation verfügt nicht nur über großes agonales Potenzial, sondern betrifft sogar eine ihr eigene semantische Dimension der Agonalität, die AGONALITÄT DER NEGATION. Je nach Verwendungskontext kommen dabei, wie die Beispiele gezeigt haben, unterschiedliche Stärkegrade der Agonalität und verschiedene Formen des Zusammenspiels von Negation und Agonalität zum Tragen. 6.1.1.5 Modalität Modalität ist ein äußerst komplexes und facettenreiches Phänomen, das je nach Ansatz unterschiedlich definiert und mit einer Vielzahl an (Unter-)Kategorien und Versprachlichungsmitteln in Verbindung gebracht wird. Entsprechend vielfältig sind auch die Funktionsweisen, die Modalität im Hinblick auf den Ausdruck von Agonalität zukommen können. Diese sollen im Folgenden untersucht werden, wobei weder der Anspruch erhoben wird, das Phänomen der Modalität in all seiner Breite zu erfassen, noch sämtliche Funktionsweisen im Hinblick auf Agonalität in ihrer Tiefe zu ergründen. Vielmehr soll das grundlegende agonale Potenzial der Modalität, das Mattfeldt (2018, 104–112) bereits für das Deutsche und das Englische nachgewiesen hat, auch für das Französische eruiert werden. Dies setzt zumindest ein grobes Verständnis des Begriffs Modalität voraus, das im Folgenden kurz skizziert werden soll. In Abhängigkeit von verschiedenen linguistischen und philosophischen Traditionen wird der Begriff der Modalität unterschiedlich akzentuiert.455 Nach Becker (2014, 54–72; 2021, 178–182) sind insbesondere zwei Traditionslinien wegweisend, das auf Charles Bally zurückgehende Modalitätskonzept der Äußerungslinguistik und das von Aristoteles initiierte Modalitätskonzept logisch-
Einen umfassenden Überblick über den aktuellen Forschungsstand zur Modalität bieten The Oxford Handbook of Modality and Mood (Nuyts/van der Auwera 2016) sowie das Manuel des modes et modalités (Haßler 2022). Für eine vergleichende Zusammenschau verschiedener Begriffsbestimmungen aus romanistischer Perspektive cf. Becker (2014, 54–72); Haßler (2016, 299–309); Mai (2019, 17–28); Le Querler (2022).
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philosophischer Tradition.456 Damit stehen sich zwei Modalitätskonzepte gegenüber, von denen das eine den Ausdruck der subjektiven Sprechereinstellung, das andere hingegen logisch-formale Bezüge in den Fokus rückt. Eine Definition von Modalität, die beide Aspekte verbindet, entwickelt Haßler (2016). Diese zeichnet sich durch ein weites Begriffsverständnis aus und ist damit auf eine Vielzahl an Gegenständen anwendbar. Sie soll daher auch im Folgenden zugrunde gelegt werden. «Ausgehend von diesen Überlegungen betrachten wir die Modalität als eine nicht nur logische, sondern auch pragmatische Kategorie, mit der die Einstellung des Sprechers oder des Textproduzenten zur logischen, wissensbegründeten oder in den Eigenschaften der bezeichneten Dinge, Personen und Umstände liegenden Wahrscheinlichkeit sowie Wünsche und subjektiv-emotiv oder an Normensystemen orientierte Wertungen ausgedrückt werden» (Haßler 2016, 309).457
Der Ausdruck von Einstellungen, Wünschen oder Wertungen ist zentral für den Zusammenhang zwischen Modalität und Agonalität. Nach Mattfeldt (2018, 104) ist Modalität eine für die Analyse von Agonalität relevante Kategorie, weil durch die Modalität «eine Positionierung zur Proposition im Satz vorgenommen [wird], die prinzipiell in einer agonalen Diskussion in Zweifel gezogen werden könnte». Dem liegt die zentrale, auf Charles Bally zurückgehende Auffassung von Modalität zugrunde, Ausdruck der Einstellung des Sprechers oder des Textproduzenten zu sein, die nicht nur Eingang in die Definition Haßlers findet, sondern auch in der GMF prominent vertreten wird: «Dans l’étude de la langue, les modalités sont considérées comme des éléments qui expriment un certain type d’attitude du locuteur par rapport à son énoncé. Selon C. Bally (1932), toute phrase peut s’analyser en deux éléments: un ‹contenu représenté›, le dictum (ou contenu propositionnel) et une modalité, le modus, qui indique la position du locuteur par rapport à la réalité du contenu exprimé» (GMF, 975; Kursivierung im Original, meine Unterstreichung).
Diese Unterscheidung fungiert nach wie vor als zentraler Bezugspunkt insbesondere der französischen Modalitätsforschung (cf. u.a. Le Querler 1996; Gosselin 2010; Mai 2019; GMF, 975). Eine ähnlich weite Begriffsdefinition legt Mai (2019) zugrunde. Ausgehend von den Kategorien der Modalität nach Becker (2014) entwickelt er eine Definition, die alle diese Kategorien umfasst und in einer semantisch-funktionalen Rahmung zusammenführt, wobei er allerdings die von Becker (2014) entwickelten Kategorien auf eine Weise modifiziert, die nur bedingt plausibel ist: «La modalité peut donc être définie comme une catégorie sémantico-fonctionnelle liée à des sens typiquement modaux (dynamiques, déontiques, volitifs, épistémiques et évaluatifs) suivant le principe structurel de l’enchevêtrement de deux structures similaires (ce qui peut se réaliser au niveau de la prédication ou de l’énoncé)» (Mai 2019, 313–314; zur Modifikation der Becker’schen Kategorien cf. Mai 2019, 30–33).
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Indem Modalität auf die Einstellung, den zugrunde gelegten Geltungsanspruch des Sprechers gegenüber dem bezeichneten Sachverhalt verweist, bringt sie eine bestimmte Positionierung des Sprechers zum Ausdruck. Die Positionierung wiederum ist die Bedingung der Möglichkeit von Agonalität, da erst nach erfolgter Positionierung eine Konkurrenz zwischen verschiedenen Positionen entstehen kann. Darüber hinaus können Positionierungen auch explizit von anderen Sprechern in Zweifel gezogen werden. Verschiedene Positionierungen zeugen daher von verschiedenen «Stimmen» innerhalb eines Textes oder Diskurses, die auch divergieren und miteinander konkurrieren können, weshalb die Modalität auch in engem Zusammenhang mit dem Phänomen der Polyphonie steht (cf. Gévaudan/Atayan/Detges 2013; Haßler 2016, 325–338). Das agonale Potenzial der Modalität ist damit zweifelsohne gegeben, ist jedoch im Vergleich zu anderen Phänomenen als eher schwach einzustufen. Natürliche Sprachen verfügen über eine große Bandbreite sprachlicher Mittel zum Ausdruck von Modalität.458 Als «Kern der Modalitätsausdrücke» (Haßler 2016, 299) kann der Modus als grammatische Kategorie des Verbs gelten. Seine modalisierende Wirkung kommt auch in der Beschreibung durch die GMF deutlich zum Ausdruck: «La définition traditionnelle des modes s’appuie sur la notion de modalité: les modes expriment l’attitude du sujet parlant à l’égard de son énoncé; ils manifestent différentes manières d’envisager le procès» (GMF, 511).459 Weitere wichtige Versprachlichungsmittel von Modalität sind Modalverben, Modaladverbien und Modalpartikeln460 (cf. u.a. Abraham/Leiss 2009; Haßler 2016; Mai 2019; Haßler/Mai 2022). Darüber hinaus kann Modalität auch über einige Verben, Konnektoren und informationsstrukturelle Aspekte (cf. Mai 2019) sowie Einen umfassenden Überblick zu Versprachlichungsmitteln der Modalität im Französischen bietet Mai (2019). Cf. auch Becker (2014), der die Entwicklung des Modussystems in den romanischen Sprachen innerhalb eines modalsemantischen Rahmens beschreibt. Modalpartikeln (auch Abtönungspartikel, Satzpartikel, illokutive Partikel, Einstellungspartikel) sind eine nach ihrer semantisch-pragmatischen Funktion definierte Klasse von Partikeln, die, wie bei Modalausdrücken üblich, der Einstellungsbekundung dienen. Während diese im Deutschen sehr zahlreich und auch recht gut erforscht sind (cf. Weydt 1977; Thurmair 1989; Ballweg 2007; Müller 2018b), gilt das Französische als vergleichsweise partikelarm (cf. Waltereit 2006, IX; Schoonjans 2014b, 401). Statt durch Partikeln erfolgt der Ausdruck von Modalität im Französischen vielmehr durch syntaktische Strukturen, morphologische Mittel oder die Intonation (zur Wiedergabe deutscher Modalpartikeln im Französischen cf. Weydt 1969; Feyer 1998; Waltereit 2006; Schoonjans 2014b). Dass Modalpartikeln (frz. particules modales, auch particules de modalité, particules de démodulation; teilweise deckungsgleich mit opérateurs discursifs, connecteurs, marqueurs de discours) trotz allem eine auch für das Französische relevante Kategorie sind, hat nicht zuletzt Schoonjans (2014a) gezeigt (cf. auch die Studien ausgewählter Partikeln in Anscombre/Donaire Fernández/Haillet 2013–2018).
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affektive und evaluative Substantive und Adjektive, Interjektionen, Tempora, Intonation und Interpunktion (cf. GMF, 977–979) sowie Satzmodi zum Ausdruck gebracht werden. Die Funktionsweisen von Modalität als Agonalität indizierende Kategorie sind äußerst vielfältig. Sie ergeben sich in erster Linie in Abhängigkeit von den verschiedenen Typen der Modalität, weshalb die Modalitätstypen im Folgenden als Ordnungssystem fungieren sollen, um die verschiedenen Bezüge, die zwischen Modalität und Agonalität bestehen können, zu erläutern. Dabei wird die Einteilung der Modalitätstypen nach Becker (2014, 64–72), die auch von Haßler (2016) und Mai (2019) aufgegriffen wird, zugrunde gelegt.461 Deontische Modalität. «Die deontische Modalität bezieht sich auf die Domäne dessen, was auf Grund einer Norm schaffenden Quelle (etwa einem Gesetz, Geboten, Moral, sozialen Konventionen usw.) notwendig, geboten oder erlaubt ist» (Becker 2014, 64–65). Zu den Ausdrucksmitteln der deontischen Modalität zählen u.a. Lexeme wie obliger, obligation, obligatoire, obligatoirement, impérativement, permission, interdit, toléré, die Modalverben devoir und pouvoir, der Imperativ, Verbalperiphrasen wie avoir le droit de + Inf., avoir à + Inf. und être à + Inf. sowie der Ausdruck il faut (cf. Gosselin 2010, 364–367). Die deontische Modalität steht insbesondere in Verbindung mit der AGONALITÄT DER EXTERNEN HANDLUNGSAUFFORDERUNG und ist ein prototypisches Versprachlichungsmittel für den Ausdruck von Notwendigkeit (cf. Kapitel 6.2.4). In (14) wird die deontische Modalität zunächst durch den Imperativ («ne vous laissez pas attraper») sowie den Ausdruck il faut angezeigt. Der Imperativ dient üblicherweise der Realisierung einer Aufforderung, eines Befehls. In diesem Fall fordert Mélenchon die Zuhörer dazu auf, sich von von anderen Akteuren ausgehenden Verheißungen freizumachen. Der Imperativ bringt folglich nicht nur eine von Mélenchon formulierte Forderung zum Ausdruck, sondern bezieht sich auch auf Forderungen, die Dritte an die Wähler stellen, weshalb er hier in zweifacher Weise im Zusammenhang mit der AGONALITÄT DER EXTERNEN HANDLUNGSAUFFORDERUNG steht. Darüber hinaus wird der bezeichnete Sachverhalt durch den Imperativ als erwünscht bzw. notwendig dargestellt; der Imperativ impliziert damit auch eine Positionierung des Sprechers dem bezeichneten Sachverhalt
Diese umfasst zehn Typen und ist damit besonders umfassend und ausdifferenziert. Zum Vergleich: Gosselin (2010) unterscheidet mit der alethischen, der epistemischen, der appreziativen, der axiologischen, der buletischen und der deontischen Modalität nur sechs Typen, Mai (2019) mit der dynamischen, der deontischen, der volitiven, der epistemischen und der evaluativen nur fünf. In der GMF (975–976) finden neben der Grobdifferenzierung in modalités d’énonciation und modalités d’énoncé nur die evaluative, die affektive, die axiologische und die epistemische Modalität Erwähnung.
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gegenüber. Der Ausdruck il faut signalisiert eine in den Augen des Sprechers bestehende Notwendigkeit, in diesem Fall die aus der Sicht Mélenchons bestehende Notwendigkeit der Gründung einer Sechsten Republik durch eine neu einzuberufende verfassunggebende Versammlung, eine der zentralen Forderungen Mélenchons im Wahlkampf. (14) JLM: À bas! À bas la monarchie présidentielle! Mais ne vous laissez pas attraper par tous les joueurs de pipeau qui pullulent en ce moment. Il faut que ce soit une Sixième République (.) décidée par une assemblée constituante (.) et qu’ensuite le peuple français ratifie par référendum, et non pas une trouvaille en petits comités octroyée au peuple (Rede, 05.02.2017). Buletische Modalität. Die buletische Modalität «bezieht sich auf Wünsche von Personen und führt mithin in ein Universum von Wunschwelten ein» (Becker 2014, 66). Sie verweist auf ideale Welten, in denen Wünsche realisiert werden. Zentrale Versprachlichungsmittel sind Lexeme wie désir/désirer, aversion, vouloir/ volonté, souhait/souhaiter, demander und supplier (cf. Gosselin 2010, 356–358). Die buletische Modalität dient unter anderem dem Ausdruck eines Wunschs oder Willens (cf. Kapitel 6.2.4). In (15) wird die buletische Modalität durch voulons angezeigt, dem eine Beschreibung dessen folgt, welche Gesellschaft sich Macron für die Zukunft wünscht, eine Gesellschaft, in der alle dieselben Rechte und Pflichten haben und denselben Regeln unterliegen, eine Gesellschaft, in der es keine Steuerhinterziehung, Korruption und dergleichen gibt: (15) EM: Les privilèges bloquent notre société. La reconnaissance n’est pas toujours au rendez-vous pour ceux qui font des efforts. Cela doit changer. Nous voulons une société où tous ont les mêmes droits, tous ont les mêmes devoirs et tous sont soumis aux mêmes règles. Nous voulons en finir avec les passe-droits, les arrangements, la fraude, la corruption (Wahlprogramm, 2017). Mit der buletischen Modalität verwandt ist die teleologische Modalität. «Die teleologische Modalität weist auf angestrebte Zielwelten, die den Intentionen der planenden Individuen entsprechen» (Becker 2014, 66). Die teleologische Modalität kann z.B. durch pour que/afin que, pour/afin de + Inf., das Futur oder, wie in (16), durch Wendungen, die das Substantiv but enthalten, angezeigt werden. Die teleologische Modalität dient unter anderem der Formulierung eines Ziels (cf. Kapitel 6.2.4). In (16) formuliert Mélenchon das für seine Präsidentschaft gesteckte Ziel, das Elend in Frankreich zu beseitigen; dahinter steht die Vorstellung einer idealen Welt, in der es kein Elend mehr gibt:
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(16) JLM: Je serai le président social, qui se donne pour but d’éradiquer la misère inacceptable dans un pays aussi riche que le nôtre et le chômage (TV-Duell, 20.03.2017). Der enge Zusammenhang zwischen buletischer und teleologischer Modalität gründet darin, dass beide auf eine ideale Welt verweisen, auf eine Welt, in der Wünsche bzw. Ziele realisiert werden. Der Ausdruck eines Wunsches bzw. Ziels ist zugleich Ausdruck eines Mangels; ein Mangel impliziert die Gegenüberstellung zweier Szenarien, von denen eines als defektiv dargestellt wird und damit einer negativen Wertung unterliegt, während das andere als gewünscht oder angestrebt dargestellt wird und damit einer positiven Wertung unterliegt. Damit sind buletische und teleologische Modalität implizit Ausdruck einer Gegenüberstellung und stehen in Verbindung mit der AGONALITÄT DER (NEGATIVEN) WERTUNG. Für das Untersuchungskorpus sind deontische, buletische und teleologische Modalität von zentraler Bedeutung. Der Ausdruck von Notwendigkeit, der Ausdruck eines Wunsches bzw. Willens und die Formulierung eines Ziels zählen zu den wichtigsten und häufigsten sprachlichen Handlungen (cf. Kapitel 6.2.4). Eine der wichtigsten Aufgaben der Präsidentschaftskandidaten besteht darin, ihre Vision eines zukünftigen Frankreichs, ihre Absichten und Ziele, ihre Wunschvorstellungen zu präsentieren. Davon zeugt die hohe Frequenz von Ausdrücken wie il faut (1.841 Okkurrenzen); je veux (1.699), nous voulons (215), je souhaite (206), désir✶ (119); afin de/que (291) und pour que (356). Entsprechende Aussagen gehen häufig, wie auch in (15) und (16), mit einer Gegenüberstellung einher. In (15) wird die reale Welt, eine Gesellschaft voller Privilegien, in der nicht jedem die gleiche Anerkennung entgegengebracht wird, einer idealen Welt, einer Gesellschaft, in der jeder die gleichen Rechte und Pflichten hat, gegenübergestellt. Der Wechsel von einem zum anderen Zustand wird als absolut notwendig dargestellt («cela doit changer»; deontische Modalität) und der zukünftige Zustand als wünschenswert («nous voulons»; buletische Modalität) charakterisiert. In (16) wird die reale, gegenwärtige Welt, die von Elend geprägt ist, einer zukünftigen, idealen Welt gegenüberstellt, in der es kein Elend mehr gibt. Auch Becker (2014, 66) stellt im Anschluss an Portner (2009, 135) heraus, dass es bei der deontischen, buletischen und teleologischen Modalität letztlich um eine «Gegenüberstellung und Gewichtung von Alternativen» geht, worin ein direkter Verweis auf das agonale Potenzial dieser Modalitätstypen gesehen werden kann: «Die drei genannten Modalitäten ähneln sich dahingehend, dass sie jeweils bessere oder schlechtere Alternativen herausstellen, also eine Skala voraussetzen, die mögliche Welten daran misst bzw. danach ordnet, inwieweit sie den Stipulationen einer Norm schaffenden Quelle, einem intendierten Idealzustand oder einem Wunsch nahekommen. Unter
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Berücksichtigung dieser Gemeinsamkeit hat Portner den umfassenden Begriff der priority eingeführt. Dieser Terminus verdeutlicht, dass es bei allen drei Modalitätstypen um eine Gegenüberstellung und Gewichtung von Alternativen geht, wobei bestimmte Alternativen im Einklang mit einem impliziten Maßstab bzw. einer ‹Metrik› (so Lohnstein) als besonders präferiert herausgestellt werden» (Becker 2014, 66; Hervorhebung im Original).
Doxastische Modalität. Die doxastische Modalität betrifft die «Domäne der Glaubenswelten von Individuen oder Gemeinschaften» (Becker 2014, 66). Nach Becker (2014, 66–67) steht sie in enger Verbindung mit der Frage der Subjektivität/ Intersubjektivität sowie der Problematik der Evidenz für Überzeugungen, also ihren Beweisgrundlagen bzw. -mitteln. Zu den Ausdrucksmitteln der doxastischen Modalität zählen zum Beispiel die Verben croire und savoir (cf. Gosselin 2010, 373–390). Die doxastische Modalität dient unter anderem der Selbstbildkonstruktion (cf. Kapitel 6.2.2) und der Meinungsbekundung (cf. Kapitel 6.2.4). Die doxastische Modalität ist für das Korpus insofern relevant, als dass es für die Präsidentschaftskandidaten von großer Bedeutung ist, ihre Glaubenswelt darzulegen, also eine Weltsicht zu vermitteln, die sie selbst glaubhaft vertreten und die auch die potenziellen Wähler an sie glauben lässt. Dies kondensiert sich auf besondere Weise in der Textsorte der profession de foi (cf. Kapitel 6.4.3). Die Relevanz der doxastischen Modalität spiegelt sich auch darin, dass das Verb croire im Korpus nicht nur in Verbindung mit Kompletivsätzen (croire que), sondern auch in Verbindung mit Präpositionalobjekten (croire à/dans/en) Verwendung findet. Mit dieser Formel, die einem Glaubensbekenntnis nahezukommen scheint, «offenbart» der Sprecher sein Inneres; dass er sich damit nicht nur selbst positioniert, sondern auch in Abgrenzung zu anderen verortet, mit denen bzw. mit deren Positionen er konkurriert, und die Wendung damit agonale Funktion hat, wird in (17a) (Le Pen vs. die aktuelle Bildungsministerin) und (17b) (Macron vs. alle anderen; «je suis le seul») deutlich: (17) a. MLP: J’ai été dernièrement devant la ministre de l’éducation nationale et j’ai vu tout le mépris qu’elle avait justement pour les filières professionnelles. Moi, je crois aux filières professionnelles et je suis pour la fin du collège unique (TV-Duell, 20.03.2016). b. EM: Je crois dans l’Europe et je défends les valeurs européennes. Aujourd’hui, je suis le seul à avoir une approche VRAIMENT européenne […] (TV-Interview, 17.04.2017). Epistemische Modalität. «Die epistemische Modalität betrifft das Wissen bzw. die Wissensinhalte, über die Individuen verfügen» (Becker 2014, 67). Sie gibt Aufschluss über den Grad der Wahrscheinlichkeit oder Gewissheit, den der Sprecher
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dem Zutreffen seiner Aussage zuschreibt. Die epistemische Modalität bezieht sich auf die «Faktizitätsbewertung eines Sachverhalts» (Diewald/Smirnova 2010, 115); dabei geht es nicht um eine objektive Wahrheitsbewertung, sondern um die «sprecherbasierte Einschätzung des dargestellten Sachverhalts bezüglich seines Grades an Realität, Aktualität, Wirklichkeit» (Diewald/Smirnova 2010, 115). Ausdrucksmittel der epistemischen Modalität sind unter anderem die Modalverben devoir und pouvoir,462 Adverbien wie probablement, certainement, peut-être, vraiment und unpersönliche Ausdrücke wie il est vraisemblable/probable/douteux que (cf. Gosselin 2010, 328–331). Für den Ausdruck von Agonalität spielt die epistemische Modalität dann eine Rolle, wenn sie darauf hinweist, dass die Faktenlage ungeklärt ist oder verschiedene Ansichten zur Wahrheit existieren; sie steht dann im Zusammenhang mit der AGONALITÄT VON SCHEIN UND SEIN. Als zentrales Instrument im Kampf um die Wahrheit (cf. Kapitel 6.2.8) spielt die epistemische Modalität im Untersuchungskorpus eine wichtige Rolle, was durch die Häufigkeit von Ausdrücken aus dem Themenfeld der Wahrheit angezeigt wird, z.B. réalité (s) (424 Okkurrenzen, davon 192mal in en réalité), vérité(s) (133), vrai/e/s (458) und faux/fausse(s) (99) (cf. Kapitel 6.1.2.6). Ausdrücke wie diese werden von Akteuren genutzt, um den Wahrheitsanspruch ihrer eigenen Aussagen zu untermauern oder Aussagen anderer den Wahrheitswert abzusprechen. Dies führt exemplarisch Beispiel (18) vor Augen, in dem Le Pen und Mélenchon mit den epistemischen Modaladverbien évidemment und bien sûr wechselseitig den Geltungsanspruch ihrer Aussagen zu untermauern und damit im Umkehrschluss der Aussage des anderen die Faktizität abzusprechen suchen. Darin reflektieren sich ihre konkurrierenden Positionierungen in Bezug auf Immigration: (18) MLP: Euh mais, encore une fois, le meilleur moyen de lancer le signal, qui est un signal honnête, nous ne POUVONS plus vous accueillir, c’est celui qui consiste à couper toutes les pompes aspirantes de l’immigration: l’aide médicale d’État, l’accession au logement, euh et cetera, [les xxx, les subventions.] JLM: [Vous croyez que les gens discutent de ça avant de partir?] MLP: Mais bien sûr. [Évidemment.] JLM: [Mais bien sûr que non.] MLP: Évidemment que oui (TV-Duell, 20.03.2017).
Zur Abgrenzung des epistemischen und des deontischen Gebrauchs französischer Modalverben cf. Goldschmitt (2007).
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Evaluative Modalität.463 Die evaluative Modalität bezieht sich auf die subjektive Wertung von Sachverhalten, wobei die Wertung in der Regel emotiv verankert, d.h. mit positiven oder negativen Emotionen verbunden ist (cf. Becker 2014, 68). Zu den Ausdrucksmitteln der evaluativen Modalität zählen Adverbien wie heureusement, malheureusement, dommage (que), Verben wie aimer, détester, craindre, regretter, Adjektive wie déçu, heureux, lamentable, satisfait und Interjektionen (cf. Gosselin 2010, 339–341). Die evaluative Modalität steht in Verbindung mit der AGONALITÄT DER (NEGATIVEN) WERTUNG. Agonal wirkt insbesondere die negative Wertung, da eine negative Wertung impliziert, dass eine andere, agonal entgegengesetzte Position vertreten wird (cf. Mattfeldt 2018, 122). Dies demonstriert Beleg (19), in dem Le Pen mit den negativ konnotierten Lexemen mondialisation, sauvage und immigrationniste ihrer Kritik an der Haltung Fillons, Macrons und Mélenchons Ausdruck verleiht und damit zugleich eine Opposition zwischen diesen und sich selbst bzw. der von ihr und den von jenen vertretenen Positionen markiert: (19) MLP: L’immigration est intimement liée à la mondialisation sauvage. Les candidats comme messieurs Fillon et Macron, qui adhèrent à la logique de la mondialisation, sont de fait (.) immigrationnistes. […] Bon, monsieur Mélenchon, en bon communiste, est immigrationniste par internationalisme (Rede, 17.04.2017). Da bei der evaluativen Modalität die Wertung stets emotiv verankert ist, steht die evaluative Modalität im Falle einer negativen Wertung auch in Verbindung mit der AGONALITÄT DER NEGATIVEN EMOTIONEN. Dies wird im Zusammenhang mit Interjektionen besonders deutlich. Interjektionen wirken modalisierend, wenn sie dem Ausdruck von Emotionen dienen (sog. interjections émotives) (cf. GMF, 978), und können, wenn sie darüber hinaus auf konkurrierende Positionen verweisen, auch agonal wirken. Dies illustriert mustergültig die Interjektion hou! (dt. buh!), die das Publikum bei Reden ruft, um eine ablehnende Haltung ge-
Im Gegensatz zu Mattfeldt (2018), die der Evaluation ein eigenes Kapitel widmet, behandele ich diese unter dem Etikett evaluative Modalität innerhalb des Kapitels zur Modalität. Diese Darstellung steht nicht nur im Einklang mit der französischen Modalitätsforschung, in der die Evaluation in der Regel als ein Untertyp der Modalität betrachtet wird (cf. neben Becker 2014 z.B. auch Mai 2019), sondern auch mit der Beschreibung in französischen Grammatiken. In der GMF wird die Evaluation nicht als eigenständiger Gegenstand, sondern als eine Unterkategorie der Modalität angeführt (cf. GMF, 975–979) (in Le bon usage finden weder Evaluation noch Modalität Erwähnung). Zur Evaluation im Französischen cf. auch Chardenet (1999) sowie Jackiewicz (2014; 2016).
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genüber bestimmten, vom Redner evozierten Sachverhalten oder Personen zu signalisieren. Doch auch wenn insbesondere die negative Wertung agonal wirkt, können auch positive Wertungen «vereinzelt Agonalitätspotenzial besitzen» (Mattfeldt 2018, 82). Dies zeigt Beispiel (20), in dem Le Pen mit den Verbformen aime und trouve ihre positive Einstellung gegenüber der Fünften Republik zum Ausdruck bringt. Diese Einstellung kontrastiert, wie Le Pen durch die direkte Anrede am Schluss ihrer Äußerung explizit macht, mit derjenigen Mélenchons, der die Abschaffung der Fünften Republik und die Gründung der Sechsten Republik fordert. Die positive Wertung ist hier Ausdruck einer Positionierung, die wiederum mit einer anderen Positionierung konkurriert, und indiziert damit Agonalität. (20) MLP [zu JLM]: Moi, j’aime bien la Cinquième République, je trouve qu’elle fonctionne bien, monsieur Mélenchon (TV-Duell, 20.03.2017). Neben direkten Wertungen können auch metasprachliche Verweise auf Bewertungen von Interesse sein. Dabei handelt es sich um Referenzen «auf Agonalität in der Welt, die nicht vom Sprecher selbst konstruiert wird» (Mattfeldt 2018, 81). Ein solcher Verweis findet sich in (21) mit der Wendung «certains l’accusent de», die auf konkurrierende Positionen in Bezug auf Europa hinweist und damit Agonalität indiziert, die durch zusätzliche Mittel wie die Kontrastierung durch «certains… d’autres…» (AGONALITÄT DER EXPLIZITEN GEGENÜBERSTELLUNG) und den Exklamativsatz «Que de lâcheté et d’hypocrisie […]!» (AGONALITÄT DER NEGATIVEN WERTUNG/EMOTIONEN) verstärkt wird: (21) EM: Que de lâcheté et d’hypocrisie, quand on entend parler d’Europe! Certains l’accusent de tous les maux, oubliant qu’ils ont eux mêmes négocié et signé les traités et tous les textes qui en découlent. D’autres prétendent rendre la France plus libre en sortant de l’Europe (Wahlprogramm, 2017). Axiologische Modalität. Wie die evaluative Modalität bezieht sich auch die axiologische Modalität auf die Wertung eines Sachverhalts, präsupponiert im Unterschied zu dieser jedoch stets eine Wertskala (gut – schlecht; gerecht – ungerecht) (cf. Becker 2014, 68). Ausdrucksmittel der axiologischen Modalität sind zum Beispiel die Substantive le bien/le mal, Adjektive wie louable/blâmable, impersonale Wendungen wie il est juste/injuste que/de oder Verben der Einstellungsbekundung wie approuver/désapprouver/réprouver (cf. Gosselin 2010, 348–350). Indem sie eine Wertung impliziert, steht die axiologische Modalität, ebenso wie die evaluative Modalität, in Verbindung mit der AGONALITÄT DER (NEGATIVEN) WERTUNG, die,
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wie oben erläutert, auch auf konkurrierende Sachverhalte und Positionen verweisen kann. Dies illustriert Beispiel (22), in dem Le Pen die Wahl anderer Politiker nicht nur als ‘schlechte Wahl’ bezeichnet und damit negativ bewertet, sondern sie auch direkt einer besseren Alternative, einer ‘guten Wahl’ gegenüberstellt, die zu einer Verbesserung der Lage führen könne: (22) MLP: […] le désordre est généralisé […]. En réalité, c’est la conséquence de MAUVAIS choix politiques. Eh bien il suffit de faire des BONS choix politiques pour que IMMÉDIATEMENT la situation s’améliore, pour vous, pour vos enfants, pour vos parents (TV-Duell, 20.03.2017). Eine besondere Rolle spielen axiologische Modalitätsausdrücke im Untersuchungskorpus in dialogischen Textsorten wie dem TV-Duell und dem TV-Interview, da sie hier unter anderem dazu gebraucht werden, die Position des Gegenübers zurückzuweisen und so mit der eigenen zu konfrontieren: (23) a. EM [zu FF]: Monsieur Fillon, je n’approuve pas d’aller plus loin durant le quinquennat à venir pour faire des économies sur le dos des retraités comme VOUS le proposez (TV-Duell, 20.03.2017). b. FF [zu MLP]: Par contre, les complémentaires, madame Le Pen, c’est tout à fait injuste de les traiter comme vous (.) le faites (TV-Duell, 04.04.2017). Disponentielle (auch: physische) Modalität. Die disponentielle Modalität «betrifft die Notwendigkeit oder Möglichkeit (Fähigkeit), die in den natürlichen bzw. strukturellen Gegebenheiten der Realität (bzw. ihren jeweiligen konkreten Umständen) oder aber auch in den Eigenschaften (Dispositionen) von Dingen und Personen angelegt sind» (Becker 2014, 68). Prototypisches Versprachlichungsmittel der disponentiellen Modalität ist das Modalverb pouvoir. Indem eine Aussage darüber getroffen wird, ob etwas notwendig oder möglich ist oder jemand zu etwas fähig ist, wird eine Positionierung in Bezug auf diesen Sachverhalt vorgenommen; wenn diese Positionierung mit anderen konkurriert, ist die disponentielle Modalität agonaler Natur. In (24) zum Beispiel hebt Mélenchon in Verbindung mit seiner Forderung, Kriege zu beenden, hervor, dass es möglich sei, Kriege zu beenden, und antizipiert damit den möglichen Einwand, dass es nicht möglich sei, Kriege einfach zu beenden. Letzteres entspricht einer von vielen politischen und gesellschaftlichen Akteuren vertretenen Position – nicht umsonst steht Mélenchon mit seiner Forderung, Kriege zu beenden, allein da. In der von der disponentiellen Modalität Gebrauch machenden Aussage Mélenchons spiegelt sich damit das Spiel von Positionen und möglichen Gegenpositionen:
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(24) JLM: Donc, que faut-il faire? […] Arrêter les guerres, et on peut arrêter les guerres quand on a décidé de les faire arrêter […] (TV-Duell, 20.03.2017). Alethische Modalität. Die alethische Modalität «bezieht sich […] auf das, was tatsächlich in der Welt der Fall ist» (Becker 2014, 69). Nach Gosselin (2010, 214) liegt sie zum Beispiel vor, wenn simple Aussagen wie La neige est blanche getroffen werden. In den meisten Darstellungen der Modalität spiele die alethische Modalität keine Rolle mehr oder werde als unscharf umrissene «Restkategorie» verwendet (cf. Becker 2014, 69–70). Becker (2014, 70) zufolge wird mit Aussagen wie der oben angeführten lediglich eine analytische Aussage gemacht, jedoch keine Modalisierung realisiert. In jüngerer Zeit werde daher statt des Begriffs alethische Modalität vermehrt der auf Kripke (1980) zurückgehende Terminus metaphysische Modalität verwendet (cf. Becker 2014, 70). Die metaphysische Modalität bezieht sich auf den Umstand, dass von bestehenden Tatsachen in der Welt ausgegangen wird, aus denen mögliche oder notwendige Folgen abgeleitet werden (cf. Becker 2014, 70–72). Agonal wirkt die metaphysische Modalität dann, wenn die vermeintlichen Tatsachen, von denen ausgegangen wird, umstritten sind. Dies wird besonders deutlich im Fall kontrafaktischer Bedingungssätze, für deren Analyse die metaphysische Modalität bereits verschiedentlich fruchtbar gemacht wurde (cf. Becker 2014, 71). So wird in (25) durch den Bedingungssatz («si ce n’est pas moi…») eine vermeintliche Tatsache geschaffen und als gegeben vorausgesetzt, deren Gültigkeit jedoch in der Folge explizit in Zweifel gezogen wird («C’est faux et archifaux»). Das agonale Potenzial der metaphysischen Modalität kommt hier deutlich zum Tragen. (25) MLP: Si ce n’est pas moi (.) qui avec l’État stratège dis NON (.) je protègerai l’épargne des Français, quel qu’en soit le prix et quelle qu’en soit la baGARRE que je dois mener avec l’Union européenne, alors les Français se feront PONCtionner leur épargne. (.) Donc le GRAND danger aujourd’hui, monsieur Macron, [c’est la soumission à l’Union européenne.] EM: [C’est faux et archifaux, madame Le Pen] (TV-Duell, 03.05.2017). Die Ausführungen haben deutlich gemacht, dass die semantische Kategorie der Modalität nicht nur ein in sich hoch komplexes und facettenreiches Phänomen ist, sondern dass auch ihre Bezüge zur Agonalität äußerst vielfältig sind. Das agonale Potenzial der Modalität wurzelt in der für Modalität definitorischen Eigenschaft, die Einstellung des Sprechers gegenüber dem bezeichneten Sachverhalt zum Ausdruck zu bringen, da die Einstellungsbekundung eine Positionierung impliziert, die wiederum mit anderen Positionierungen in Konkurrenz treten und auch explizit von anderen Akteuren in Zweifel gezogen werden kann. Verschie-
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dene Typen der Modalität (deontisch, buletisch, teleologisch, doxastisch, epistemisch, evaluativ, axiologisch, disponentiell, alethisch, metaphysisch) korrelieren darüber hinaus mit unterschiedlichen semantischen Dimensionen der Agonalität und dienen der Realisierung unterschiedlicher agonaler Diskurshandlungen. Der Grad der Agonalität variiert in Abhängigkeit von den gewählten Versprachlichungsmitteln und dem konkreten Verwendungskontext. 6.1.1.6 Genus Verbi Ob die Verbkategorie Genus Verbi als Indikator von Agonalität fungieren kann, ist fraglich. In Bezug auf das Deutsche und Englische kommt Mattfeldt (2018, 129–133) zu dem Schluss, dass dies nur eingeschränkt der Fall sei. Wie sich dies im Französischen verhält, in dem das Passiv zudem eine deutlich geringere Rolle spielt als im Deutschen und Englischen, soll im Folgenden erörtert werden. Das Genus Verbi, auch Diathese genannt (frz. voix, diathèse), ist eine grammatische Kategorie des Verbs, die im Französischen und in zahlreichen weiteren Sprachen aus Aktiv und Passiv besteht.464 Aktiv und Passiv unterscheiden sich im Hinblick auf das Verhältnis zwischen semantischen Rollen und syntaktischen Funktionen: Während im Aktiv das Agens das grammatische Subjekt bildet, wird das grammatische Subjekt im Passiv durch andere Rollen (Patiens, Benefaktiv u.a.) besetzt (cf. Bußmann 2008, 229). Im Französischen465 wird das Passiv mithilfe des Hilfsverbs être und des participe passé gebildet; das Agens kann weggelassen oder als complément d’agent ausgedrückt werden, das durch par oder de eingeleitet wird (cf. GMF, 666–667, 730; Le bon usage, 1027). Die Verwendung des Passivs kann unterschiedlichen kommunikativen Zwecken dienen. Zu den wichtigsten zählen die Vermeidung der Nennung des Agens bei Auslassung des complément d’agent, die Hervorhebung des Patiens/Benefaktivs o.ä. durch die Umkehrung der Informationsstruktur sowie stilistische Gründe (cf. GMF, 738–741). Für das Französische ist – wie für andere romanische Sprachen (cf. Geisler/ Jacob 1998) – charakteristisch, dass ein passivischer Wert nicht nur durch die oben beschriebene Struktur mit dem Hilfsverb être, sondern auch durch zahlreiche andere Strukturen zum Ausdruck gebracht werden kann, zum Beispiel durch impersonale Konstruktionen, pronominale Formen oder Verbkonstruktionen mit se faire + Infinitiv (cf. GMF, 741–744; Le bon usage, 1032 sowie Melis/Tasmowski/Verluyten/Willems 1985). Diese unterscheiden sich zwar in
Eine weitere diathetische Kategorie ist das in nur wenigen Sprachen vorhandene Medium. Zum Passiv im Französischen cf. Milner (1986); Gross (1993); Gaatone (1998); Helland (2002); Gerolimich/Gioia/Martinot (2017).
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formaler Hinsicht von der Passivstruktur mit être, weisen aber ähnliche funktional-semantische Eigenschaften auf, weshalb sie bei der Diskussion um die Frage, ob das Genus Verbi im Französischen als Agonalitätsindikator fungieren kann, mit einbezogen werden müssen. Was die Relevanz des Passivs für den Ausdruck von Agonalität angeht, so sieht Mattfeldt diese insbesondere im Zusammenhang mit der AGONALITÄT DER EXTERNEN HANDLUNGSAUFFORDERUNG realisiert: «Für die Agonalität ist dies [d.h. die durch das Passiv vorgenommene Perspektivierung] besonders im Hinblick auf die Dimension AGONALITÄT DER EXTERNEN HANDLUNGSAUFFORDERUNG potentiell von Interesse. Wenn eine Passivkonstruktion verwendet wird, wird die Aufmerksamkeit auf das gelenkt, was mit dem Patiens geschieht. Es wird also sprachlich fokussiert, welche Handlung auf dieses Patiens ausgeübt wird, sei es mit seiner Zustimmung oder nicht» (Mattfeldt 2018, 130, cf. auch S. 133).
Allerdings kommt Mattfeldt (2018, 133) zu dem Schluss, dass das Passiv Agonalität zwar mitkonstruieren könne, seine Funktionen aber zu vielfältig seien, als dass man sie eindeutig der Agonalität zuordnen könne. Das Passiv könne eine «unterstützende Rolle in der Konstruktion von Agonalität» spielen, seine agonale Bedeutung könne aber nicht verallgemeinert werden (cf. Mattfeldt 2018, 133).466 Dies lässt sich mit Blick auf das Französische bestätigen. In französischen Grammatiken werden dem Passiv verschiedene Funktionen zugeschrieben, von einer Funktion der Gegenüberstellung oder In-Konkurrenz-Setzung ist jedoch nicht die Rede. Auch im Korpus finden sich kaum Passivkonstruktionen bzw. Strukturen mit passivischem Wert, die Agonalität signalisieren. Allerdings gibt es durchaus Fälle, in denen das Passiv bzw. Strukturen mit passivischem Wert an der Konstruktion von Agonalität, insbesondere im Hinblick auf die AGONALITÄT DER EXTERNEN HANDLUNGSAUFFORDERUNG, mitwirken und die somit die Gültig Eine andere Möglichkeit, das Genus Verbi als Indikator von Agonalität zu betrachten, könnte darin gesehen werden, die Gegenüberstellung zwischen Aktiv und Passiv selbst als Ausdruck von Agonalität zu betrachten (Gaatone 1998, 11–12 spricht explizit von einer «opposition» zwischen Aktiv und Passiv): Wird ein Sachverhalt aktivisch formuliert, so impliziert dies eine bestimmte Perspektivierung des Sachverhalts, die sich entgegengesetzt zu der durch die passivische Formulierung eingenommenen Perspektivierung verhält; Langacker (2008, 361) spricht in diesem Zusammenhang von einer unterschiedlichen «focal prominence». Dies trifft auf Formulierungen im Aktiv und Passiv zwar häufig, aber nicht immer zu, da die Transformation von einer Konstruktion zur anderen nicht immer auf so mechanische Weise erfolgen kann. Neben lexikalischen Restriktionen, die eine Transformation schlichtweg verunmöglichen (cf. GMF, 732–733; cf. auch Leclère 1993; Gagné 1999), können mit der Transformation auch erhebliche Bedeutungsunterschiede einhergehen (cf. z.B. Tout le monde aime quelqu’un vs. Quelqu’un est aimé par tout le monde, GMF, 730–732). Auch in diesem Sinne lässt sich das Genus Verbi daher nicht – oder nur in Einzelfällen – als Indikator von Agonalität auffassen.
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keit des Befunds von Mattfeldt auch für das Französische bestätigen. Dies zeigen exemplarisch die folgenden Beispiele: (26) a. MLP: J’aimerais bien qu’on parle un peu du modèle économique (.) qui a été imposé à la France, c’est le modèle du libre échange intégral (TVDuell, 20.03.2017). b. FF: Il [= François Hollande; meine Anm.] n’a jamais dit aux Français, quand il s’est fait élire à la présidence de la République, qu’il allait proposer la loi El Khomri (TV-Interview, 19.04.2017). In (26a) sagt Le Pen über das in Frankreich herrschende Wirtschaftssystem, eine passivische Formulierung verwendend, dass es Frankreich ‘aufgezwungen’ worden sei («a été imposé»). Diese Formulierung impliziert, dass Frankreich sein Wirtschaftssystem nicht frei gewählt habe, sondern von einem hier nicht benannten Dritten gezwungen worden sei, ein bestimmtes System, das des Freihandels, zu übernehmen und, in der Konsequenz, nach diesem zu handeln (AGONALITÄT DER EXTERNEN HANDLUNGSAUFFORDERUNG). Der Akteur wird hier nicht genannt – das complément d’agent fehlt –, doch es liegt nahe, dass die EU gemeint ist, die folglich indirekt durch Le Pens Aussage angegriffen wird. Damit wird hier ein Kontrast zwischen Frankreich und einem nicht genannten Akteur, vermutlich der EU, erzeugt; die kontrastierende Wirkung wird durch das Passiv, aber auch durch die Semantik des Verbs (imposer), verstärkt. In (26b) wählt Fillon um über die Wahl Hollandes zum Präsidenten zu sprechen die Formulierung mit passivischem Wert «il s’est fait élire». Mit dieser Konstruktion, die eine gewisse Verantwortung auf Seiten des Subjekts impliziert (cf. GMF, 743), stellt er die Wahl Hollandes zum französischen Präsidenten so dar, als sei sie nicht ganz frei gewesen, als habe Hollande die Franzosen – mehr als in demokratischen Systemen üblich oder angemessen – dazu aufgefordert, ihn zu wählen (AGONALITÄT DER EXTERNEN HANDLUNGSAUFFORDERUNG). Wie die Beispiele zeigen, kann das Passiv durchaus einen Beitrag zur Konstruktion von Agonalität leisten, und zwar insbesondere im Hinblick auf die AGONALITÄT DER EXTERNEN HANDLUNGSAUFFORDERUNG. Allerdings kann das Passiv auch zahlreiche andere Funktionen haben; nur selten dominiert eine klar kontrastierende Wirkung. Insgesamt ist das agonale Potenzial des Passivs daher als relativ niedrig einzustufen und das Passiv nicht grundsätzlich als Indikator von Agonalität zu begreifen.
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6.1.1.7 Temporalität Auch Temporalität kann Agonalität anzeigen. Temporalität bezieht sich auf den Ausdruck von Zeit und Zeitlichkeit und betrifft daher in erster Linie die AGONALITÄT DER ZEITLICHEN GEGENÜBERSTELLUNG. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Mattfeldt (2018) diese semantische Dimension der Agonalität einführt bzw. identifiziert, ist es verwunderlich, dass sie die Kategorie der Temporalität, die doch als zentrales Versprachlichungsmittel dieser semantischen Dimension gelten muss, nicht als möglichen Indikator von Agonalität in den Blick nimmt. Dies soll im Folgenden in Bezug auf das Französische geschehen. Temporalität ist ein semantisches Konzept, das sich auf den Ausdruck von Zeit und Zeitlichkeit bezieht.467 Zeit wird unterschiedlich wahrgenommen und konzeptualisiert. In westlichen Kulturen herrscht zumeist eine lineare Vorstellung von Zeit, bei der die Gegenwart als Nullpunkt fungiert, dem die Vergangenheit vorangeht und die Zukunft nachfolgt:
Vergangenheit
0
Zukunft
Abbildung 13: Darstellung von Zeit in Anlehnung an Comrie (1985, 2, Abb. 1).
Auf dieser Zeitachse lassen sich verschiedene Zustände, Ereignisse, Prozesse, Zeitpunkte oder -räume verorten, für die im Folgenden in Anlehnung an Comrie (1985, 5) der übergreifende Ausdruck Situationen verwendet wird. Für Agonalität ist Temporalität insofern eine relevante Kategorie, als dass durch Temporalität eine Gegenüberstellung von Sachverhalten erfolgen kann, wobei es in der Regel um eine zeitliche Gegenüberstellung geht. Temporalität steht daher in erster Linie im Zusammenhang mit der AGONALITÄT DER ZEITLICHEN GEGENÜBERSTELLUNG. Dabei werden zwei oder mehr Situationen kontrastiert, wobei es zumeist um Sachverhalte geht, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich waren bzw. sind (cf. Mattfeldt 2018, 73–76). Die Gegenüberstellung geht oft mit einer Bewertung der Situationen oder der Diskrepanz zwi-
Für eine grundlegende Charakterisierung des Phänomens aus romanistisch-linguistischer Perspektive cf. Haßler (2016, 12–23); cf. außerdem Jachnow/Wingender (1995) und LewandowskaTomaszczyk/Kosecki (2014). Wegweisende Ansätze zu Zeit und Zeitlichkeit in der Linguistik sind u.a. Comries (1985) sprachvergleichende Behandlung von Tempus als Grammatikalisierung von Temporalität, Vaters (1991/2007) Einführung in die Zeit-Linguistik sowie der in der Kognitiven Linguistik zu verortende Ansatz Gosselins (1996; 2005). Zu Temporalität aus gesprächslinguistischer Perspektive cf. Deppermann/Günthner (2015).
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schen den Situationen einher, sodass auch die Dimension der AGONALITÄT DER (NEGATIVEN) WERTUNG hier hineinspielt. Für die Versprachlichung von Temporalität stehen eine Vielzahl sprachlicher Mittel zur Verfügung. Zu den bedeutendsten zählt das Tempus als grammatische Kategorie des Verbs, das als grammatikalisierter Ausdruck der zeitlichen Lokalisierung gelten kann (cf. Comrie 1985, VII).468 Neben Temporalität können Tempora auch Dimensionen wie Aspektualität oder Modalität indizieren.469 Wie das Tempus dienen auch temporale Adverbien (z.B. alors, aujourd’hui, maintenant, puis, tout de suite, tout à coup, à présent, de temps en temps) der Verortung eines Sachverhalts in der Zeit (s. den Überblick in Le bon usage, 1309–1321). Neben temporalen Adverbien können auch aspektuelle Adverbien (z.B. de nouveau, immédiatement, toujours) Temporalität indizieren; aspektuelle Adverbien sagen etwas über den Verlauf, die Entwicklung oder die Abgeschlossenheit der Handlung aus und betreffen damit zugleich Zeitlichkeit und Art und Weise. Auch Zeitangaben (z.B. à trois heures, en 2017) oder durch après, avant, depuis u.Ä. eingeleitete Infinitivkonstruktionen und Präpositionalphrasen können als adverbiale Bestimmungen der Zeit fungieren. Weitere Versprachlichungsmittel von Temporalität sind Aspekt, Aktionsart, temporale Verbalperiphrasen sowie Prinzipien der Organisation des Diskurses bzw. Texts.470 Dass Versprachlichungsmittel von Temporalität potenziell als Indikatoren von Agonalität fungieren können, zeigen exemplarisch die folgenden Beispiele: (27) EM: Parce que (.) cette France que nous aimons, elle est diverse et elle sera plus diverse encore. Dans cinq ans dans cinq ans il y aura encore plus qu’aujourd’hui, bien plus qu’aujourd’hui, partout, des visages de FEMMES. Parce qu’elles auront pris le pouvoir! (Rede, 17.04.2017).
Das Verhältnis von Temporalität und Tempus ähnelt – wie auch dasjenige von Aspektualität und Aspekt – demjenigen von Modalität und Modus: Während der jeweils erstgenannte Terminus ein semantisches Konzept bezeichnet, steht letzterer für eine grammatische Kategorie, die eine von vielen Ausdrucksmitteln des semantischen Konzepts ist (cf. Haßer 2016, 5–8). Während Tempus und Aspekt allerdings als Grammatikalisierung der semantischen Konzepte Temporalität und Aspektualität aufgefasst werden können, gilt das, wie Haßler (2016, 309–315) zeigt, für das Verhältnis von Modus zu Modalität nicht in gleichem Maße, da die Zuordnung eines Modus zu einer bestimmten Modalität nicht eindeutig ist. Einen Überblick über die vielfältigen Formen und Funktionen französischer Tempora bieten die GMF (528–596) und Le bon usage (1139–1204). Für einen Überblick über Versprachlichungsmittel von Temporalität in den romanischen Sprachen cf. Haßler (2016, 24–83).
6.1 Agonalitätsindikatoren
331
(28) MLP: La première des libertés est la sécurité. Ce sera évidemment une des priorités du quinquennat. Vous me direz: (.) «Comment faire?» Puisque depuis trente ans TOUS les gouvernements ont échoué. Bien, notre méthode est simple: nous allons appliquer la loi (Rede, 05.02.2017). In beiden Beispielen werden mittels Tempora, temporaler Adverbien und Zeitangaben Sachverhalte zeitlich verortet und verschiedene Situationen gegenübergestellt. In (27) werden Gegenwart und Zukunft gegenübergestellt; auf die Gegenwart wird mit dem Präsens (aimons, est) und dem Temporaladverb aujourd’hui Bezug genommen, auf die Zukunft mit dem Futur simple (sera, aura) und dem Futur antérieur (auront pris). Durch die Zeitangabe dans cinq ans wird die zukünftige Situation zeitlich präzise verortet, und zwar am Ende des anstehenden quinquennat, der potenziellen Regierungszeit des Sprechers, hier Macron. Die Gegenüberstellung beider Situationen wird durch den direkten Vergleich («plus diverse encore», «encore/bien plus qu’aujourd’hui») explizit gemacht. Indem die zukünftige Situation als besser als die gegenwärtige dargestellt und damit als wünschenswert charakterisiert wird, konkurriert die gegenwärtige Situation mit dem Entwurf einer möglichen zukünftigen, wünschenswerten Situation. In (28) werden drei Situationen gegenüberstellt. Neben der gegenwärtigen und der zukünftigen Situation, auf die erneut mit dem Präsens (est) auf der einen Seite und dem Futur simple (sera)471 und dem Futur composé (allons appliquer) auf der anderen Seite referiert wird, wird mittels des Passé composé (ont échoué) auch auf eine vergangene Situation Bezug genommen. Diese Vergangenheit wird durch die Zeitangabe depuis trente ans zeitlich präzise verortet und, wie die Semantik des Verbs échouer indiziert, negativ bewertet; sie kontrastiert in dieser Hinsicht mit der Zukunft, die eine Verbesserung der Lage verspricht. Beide Beispiele illustrieren die prototypische Funktion temporaler Ausdrucksmittel als Indikatoren von Agonalität, die zeitliche Gegenüberstellung verschiedener Situationen, und verweisen damit auf die AGONALITÄT DER ZEITLICHEN G EGENÜBERSTELLUNG. In beiden Beispielen geht mit der zeitlichen Gegenüberstellung eine Wertung einher, weshalb auch die A GONALITÄT DER ( NEGATIVEN) W ERTUNG eine Rolle spielt. Darüber hinaus kann Temporalität auch, wie (29) belegt, in Verbindung mit der AGONALITÄT DER LEXIKALISCHEN GEGENÜBERSTELLUNG auftreten (hier – demain):
Die Futurform direz hingegen hat keine temporale, sondern vielmehr modale Funktion. Sie dient dazu, eine mögliche Reaktion des Gesprächspartners – hier des Publikums – zu antizipieren.
332
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
(29) EM: Le clivage classique, les partis classiques, celles et ceux qui depuis des décennies n’ont pas réussi à résoudre les problèmes d’hier n’y arriveront pas pour demain. Le projet que je porte, c’est d’abord un projet d’alternance PROFONDE (.) avec de nouveaux visages, de nouveaux usages (TV-Duell, 20.03.2017). Die Beispiele illustrieren auf prototypische Weise die für den Wahlkampf charakteristische Verwendung von Versprachlichungsmitteln der Temporalität als Indikatoren von Agonalität. Ihre primäre Funktion besteht in der Kontrastierung von zwei oder mehr Situationen und betrifft somit die AGONALITÄT DER ZEITLICHEN GEGENÜBERSTELLUNG. Gegenübergestellt werden zumeist zwei oder drei Situationen, Vergangenheit, Gegenwart und/oder Zukunft. Die gegenwärtige Situation entspricht in der Regel dem Zeitpunkt des Wahlkampfs. Die zukünftige Situation entspricht zumeist einem Zeitpunkt oder Zeitraum innerhalb des anstehenden quinquennat, des potenziellen Regierungszeitraums des jeweiligen Sprechers. In der Vergangenheit wird je nach Kontext auf verschiedene Situationen referiert; häufige Bezugspunkte sind zum Beispiel zurückliegende Regierungszeiträume, insbesondere wenn damit ein Vorwurf gegenüber eines der Mitglieder der jeweiligen Regierung verbunden ist, oder die ‘letzten dreißig Jahre’ (cf. 28), womit zumeist eine Kritik an den etablierten rechten und linken Parteien einhergeht, die Frankreich von Beginn der 1980er Jahre bis 2017 nahezu systematisch abwechselnd regiert haben (principe d’alternance). Die Gegenüberstellung der Situationen geht häufig mit einer Bewertung derselben einher, wobei die zurückliegende Situation negativ, die zukünftige hingegen positiv bewertet und damit als wünschenswert dargestellt wird. Die gegenwärtige Situation wird damit als möglicher Wendepunkt konzipiert; der Sprecher selbst inszeniert sich als derjenige, der die Veränderung von der «negativen Vergangenheit» zur «positiven Zukunft» herbeizuführen verspricht, worin eine indirekte Werbung für seine Person und ein Appell, ihm bei der Wahl seine Stimme zu geben, gesehen werden kann. 6.1.1.8 Begleiter der Agonalität: Verstärkung und Abschwächung Wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, kann eine Äußerung stärker oder auch schwächer agonal sein. Auch im theoretischen Teil der Arbeit (Kapitel 2) wurde erläutert, dass Agonalität ein graduelles Phänomen ist, das unterschiedliche Stärkegrade aufweisen kann. Der Grad der Agonalität kann durch sprachliche Mittel verstärkt oder abgeschwächt werden, die in Anlehnung an
6.1 Agonalitätsindikatoren
333
Mattfeldt (2018) als Begleiter der Agonalität bezeichnet werden können.472 Begleiter der Agonalität sind sprachliche Mittel, die gemeinsam mit Agonalitätsindikatoren auftreten und den Grad der Agonalität verstärken oder abschwächen können. Begleiter der Agonalität zeichnen sich durch ihre verstärkende bzw. abschwächende Wirkung aus, die sie jedoch nicht nur in Bezug auf Agonalität, sondern auch auf andere Phänomene ausüben können. Anders als die bisher betrachteten Kategorien zeigen Begleiter der Agonalität nicht im eigentlichen Sinne Agonalität an, sind für die Analyse von Agonalität aber dennoch von großer Relevanz, da sie den Grad der Agonalität modifizieren können und Aufschluss über eine zentrale Facette des Phänomens – die graduelle Natur von Agonalität – geben. In der frankophonen Literatur wird das Phänomen der Verstärkung bzw. Abschwächung zumeist unter dem Stichwort der intensité behandelt, wobei kein Konsens über eine einheitliche Definition des Begriffs besteht.473 Ein weites Verständnis von intensité legen Anscombre/Tamba (2013a, 5) zugrunde, wenn sie intensité als «concept métalinguistique renvoyant à une variation unidimensionnelle à l’intérieur d’une catégorie prédéfinie» definieren. Für das Verständnis von intensité in diesem Sinne ist zentral, dass einem Objekt oder Sachverhalt eine Eigenschaft in unterschiedlichem Maße zugesprochen wird, wobei die Eigenschaft allein in ihrer graduellen Abstufung betrachtet wird, ohne dass ein weiteres Objekt vergleichend herangezogen würde: «la qualité […] est appréciée en ellemême et saisi à différents degrés d’intensité répartis sur une échelle» (GMF, 618). Intensität lässt sich damit als ein Kontinuum zwischen zwei Polen auffassen, dem der hohen und dem der niedrigen Intensität, auf dem sich verschiedene Intensitätsgrade (frz. degrés d’intensité) verorten lassen. Der Grad der Intensität kann durch eine Vielzahl sprachlicher Mittel angezeigt werden. Hohe Intensität wird mit Mitteln der Verstärkung (frz. intensification, auch renforcement), niedrige Intensität mit Mitteln der Abschwächung (frz. atténuation) zum Ausdruck gebracht.
Die folgende Begriffsbestimmung ist an Mattfeldt (2018, 133–142) angelehnt. Zur Problematik der Begriffsdefinition cf. Kleiber (2007; 2013); Anscombre/Tamba (2013a); Romero (2017, 13–22). Eine umfassende Darstellung des Phänomens bietet die Monographie L’intensité et son expression en français (Romero 2017). Verschiedene Einzelfallstudien zum Ausdruck der Intensität im Französischen finden sich in Kleiber/Schnedecker (2007) sowie in Anscombre/Tamba (2013b) mit einem Fokus auf Verstärkung und in Haillet (2004) mit einem Fokus auf Abschwächung. Zur Intensität aus gesamtromanistischer Sicht cf. Araújo Carreira (2004). Einen Überblick über verschiedene Formen und Funktionen der Intensität bieten auch die GMF (618–626) und Le bon usage (1273–1309).
334
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
In Anlehnung an Le bon usage (1285–1299) lassen sich sechs Grade der Intensität unterscheiden (die Beispiele sind Le bon usage entnommen und durch Beispiele aus der GMF, 619–622 ergänzt): Tabelle 5: Grade und Versprachlichungsmittel der Intensität in Anlehnung an Le bon usage und GMF.474 Intensitätsgrad
Versprachlichungsmittel
degré nul réalisation proche
Verneinung die Adverbien presque und quasi; die Adverbien auf -ment quasiment und pratiquement; die loc. adv. à peu près, pour ainsi dire; etc. die Adverbien à peine, peu, un peu, inklusive Varianten wie un petit peu, un tout petit peu, quelque peu; einige Adverbien auf -ment, z.B. faiblement, légèrement, médiocrement, modérément, passablement; Adjektive wie minuscule, infime; Präfixe wie sous-, hypo-; idiomatische Ausdrücke wie un brin, un rien; etc. die Adverbien assez, plutôt, encore, déjà; die loc. adv. pas mal und assez bien; Adverbien auf -ment wie moyennement, passablement, relativement; etc. v.a. die Adverbien beaucoup und très, aber auch fort und bien sowie einige Adverbien auf -ment wie excessivement, énormément, fameusement; Adjektive wie énorme, immense; die Präfixe archi-, extra-, hyper-, super-, ultra-; die Suffixe -issime und -issimo; idiomatische Ausdrücke wie bête à pleurer oder rapide comme l’éclair; etc. Adverbien auf -ment wie totalement, entièrement, complètement, absolument; Adjektive wie total, entier, complet, absolu; die Konstruktion tout + Adj./Adv./loc. adv./Subst.; die loc. adv. tout à fait; etc.
degré faible
degré moyen
haut degré
degré complet
Neben grammatischen und lexikalischen Ausdrucksmitteln der Intensität, wie sie in Tabelle 5 aufgeführt werden, verfügen natürliche Sprachen über eine Vielzahl weiterer Mittel und Verfahren der Verstärkung bzw. Abschwächung. Eine umfassende Aufstellung verstärkender und abschwächender sprachlicher Mittel im Französischen bietet Romero (2017), die die Versprachlichungsmittel der Intensität in sechs Kategorien einteilt:
Über die sechs Intensitätsgrade und ihre jeweiligen Versprachlichungsmittel hinaus werden in Le bon usage weitere Ausdrucksmittel der Intensität angeführt, die sich einerseits auf inhaltlich definierte Kategorien beziehen, z.B. les degrés indiquant une fraction (z.B. demi, mi, moitié) oder les degrés impliquant une conséquence (z.B. si, tant, tellement) (1299–1306), und andererseits auf formal definierte Kategorien, z.B. l’expression du degré des noms (1306–1308) oder les adverbes de degré dans les locutions verbales (1308–1309).
6.1 Agonalitätsindikatoren
335
1.
grammatische Mittel: Wörter und Morpheme, die sich insbesondere auf den Ausdruck von Quantität beziehen, z.B. Adverbien wie très und beaucoup, Affixe und Diskursmarker (S. 23–70); 2. lexikalische Mittel: Wörter, die durch die ihnen inhärente Semantik eine Abschwächung oder Verstärkung signalisieren, z.B. Adverbien wie immensément oder profondément, Syntagmen wie de poids, de renom und Interjektionen (S. 71–101); 3. Satztypen, z.B. der Exklamativsatz und fokalisierende Strukturen wie die extraction (S. 103–135); 4. rhetorische Figuren und Tropen, z.B. Wiederholung, Aufzählung, Steigerung, Periphrase, Euphemismus, Litotes, Hyperbel (S. 137–195); 5. Gesprächsorganisation und Interaktionsstrukturen, z.B. Sprechakte, Höflichkeit (S. 197–220); 6. Prosodie, Mimik und Gestik im mündlichen Sprachgebrauch; Typographie und Layout im schriftlichen Sprachgebrauch (S. 221–235). Wie die Aufstellung zeigt, verfügt das Französische – ebenso wie die meisten anderen natürlichen Sprachen – über ein breites Repertoire verstärkender und abschwächender Mittel. Im Folgenden sollen exemplarisch grammatische und lexikalische verstärkende und abschwächende Mittel in den Blick genommen und in ihrer Funktion als Begleiter von Agonalität untersucht werden.475 Tritt ein verstärkender Begleiter gemeinsam mit einem Agonalitätsindikator auf, so erhöht er in der Regel den Grad der Agonalität (cf. Mattfeldt 2018, 137). Da das Französische ein breites Repertoire sowohl an Verstärkern als auch an Agonalitätsindikatoren aufweist, ergibt sich eine Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten. Eine häufige Kombination ist zum Beispiel diejenige eines adversativen Ausdrucks mit einem Verstärker, wie in clairement à l’opposé de (30a), très opposé à (30b) und bien au contraire (30c). Der adversative Ausdruck (à l’opposé de, opposé à, au contraire) indiziert hier jeweils die Agonalität, wobei, wie es für Adversativität typisch ist, stets die Dimension der AGONALITÄT DER EXPLIZITEN GEGENÜBERSTELLUNG im Fokus steht; der Begleiter (clairement, très, bien) verstärkt jeweils die Adversativität und erhöht damit den Grad der Agonalität: (30) a. MLP: Si le mondialisme économique avance avec le bouclier de la liberté du commerce, le second de ces mondialismes, le fondamentalisme
Die Beschränkung auf grammatische und lexikalische Mittel erfolgt aus forschungspraktischen Gründen; eine Untersuchung weiterer Kategorien wäre wünschenswert.
336
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
islamiste, instrumentalise le principe de la liberté religieuse pour tenter de nous imposer des schémas de pensée qui sont clairement à l’opposé des NÔTRES (Rede, 05.02.2017). b. MLP: Moi je suis TRÈS opposée, évidemment, au voile à l’université, comme je suis très opposée à tous les signes ostensibles euh dans l’espace public ainsi que dans l’entreprise (TV-Duell, 02.05.2017). c. MLP: Ils n’ont PAS DU TOUT changé l’Union européenne, BIEN au contraire, ils l’ont aggravée, ils l’ont renforcée, dans ses aspects les plus inadmissibles et dangereux, TANT ET TANT (.) que dans tous les domaines l’Union européenne n’est pas la solution, mais bien le problème (Rede, 17.04.2017). (30c) enthält darüber hinaus weitere Verstärker der Agonalität. So wird zu Beginn des Belegs durch den Verstärker du tout die Verneinung («n’…pas») verstärkt und damit der Grad der durch die Verneinung indizierten Agonalität (AGONALITÄT DER NEGATION) erhöht. Es folgt der Ausdruck tant et tant que, der nicht nur verstärkend wirkt, sondern zudem anzeigt, dass der behandelte Sachverhalt eine Folge nach sich zieht (cf. Le bon usage, 1302). Der Ausdruck wirkt verstärkend auf die Verben aggravé und renforcé, die eine negative Wertung implizieren und damit Ausdruck der ablehnenden Haltung, die Le Pen der EU gegenüber hat, sind. Hier dominiert die AGONALITÄT DER (NEGATIVEN) WERTUNG, die durch den Verstärker gesteigert wird. Auch in mais bien werden ein adversativer Ausdruck und ein Verstärker kombiniert, doch hat bien hier, anders als in bien au contraire, keine quantifizierende, sondern argumentative Funktion: «[il] indique que le fait affirmé est un argument fort vers une certaine conclusion, qu’il renforce alors» (Romero 2017, 33). Darüber hinaus zeigt (30c), dass die verstärkende Wirkung der Begleiter der Agonalität durch verschiedene Verfahren zusätzlich erhöht werden kann, wie die Repetition (tant et tant que statt tant que) und die Akzentuierung (in der Transkription durch Majuskeln wiedergegeben, z.B. PAS DU TOUT, BIEN au contraire, TANT ET TANT que; auch TRÈS opposée in 30b). Im Vergleich zu verstärkenden Begleitern der Agonalität ist die Funktionsweise von abschwächenden Begleitern ungleich komplexer. Zum einen können sie, wie der Logik nach zu erwarten ist, den Grad der Agonalität mindern: (31) MLP [zu EM]: Alors C’EST votre solution, ce n’est PAS la mienne. Je crois que ce n’est PAS celle des Français que de vouloir ce BOND en avant (.) fédéraliste, qui est presque une forme d’extrémisme (.) européiste (TVDuell, 03.05.2017).
6.1 Agonalitätsindikatoren
337
Der abschwächende Begleiter presque signalisiert eine «réalisation proche» (Le bon usage, 1285), bringt also zum Ausdruck, dass etwas nur annähernd, nicht vollständig realisiert ist: Macrons Haltung sei ‘beinahe’ eine Form «d’extrémisme européiste». Das Nominalsyntagma une forme d’extrémisme européiste fungiert insofern als Agonalitätsindikator, als dass es einer negativen Wertung unterliegt, in der Le Pens ablehnende Haltung Macron gegenüber zum Ausdruck kommt (AGONALITÄT DER [NEGATIVEN] WERTUNG). Presque schwächt die negative Wertung des Nominalsyntagmas ab und mindert somit den Grad der Agonalität der Aussage. Doch können abschwächende Ausdrücke nicht nur den Grad der Agonalität mindern, sondern je nach Verwendungskontext auch selbst Agonalität indizieren. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine sehr positive Wertung durch einen entsprechenden Begleiter abgeschwächt wird, da die Minderung einer positiven Wertung auf Agonalität hindeuten kann (cf. Mattfeldt 2018, 141). Dies demonstrieren die beiden folgenden Beispiele: (32) a. BH [zu MLP]: […] c’est quand même assez amusant de vous voir jouer les victimes, mais en l’occurrence, dans ce domaine-là, vous êtes guère convaincante (TV-Duell, 04.04.2017). b. MLP: Il y a maintenant dans les entreprises, (.) et c’est un peu grâce à vous, monsieur euh Macron, (.) ou plutôt à cause de vous, […] (TV-Duell, 03.05.2017). In (32a) modifizieren die abschwächenden Begleiter assez und guère jeweils die einer positiven Wertung unterliegenden Adjektive amusant und convaincant. Die Begleiter schwächen die positive Wertung ab und deuten damit auf Agonalität hin: Hamon findet das Verhalten Le Pens alles andere als amüsant, sondern vielmehr unangemessen und verurteilenswert; ebenso wenig hält er Le Pen für überzeugend, sondern gerade für wenig überzeugend. (32b) ist insofern bemerkenswert, als dass nicht nur ein abschwächender Begleiter (un peu) mit einem positiv bewerteten Ausdruck (grâce à) kombiniert wird, dessen positive Wertung er mindert und damit auf Agonalität hindeutet, sondern dass die Agonalität im weiteren Verlauf der Aussage sogar explizit gemacht wird, indem der positiv konnotierte Ausdruck grâce à durch den negativ konnotierten Ausdruck à cause de ersetzt wird. Eine spezielle Funktionsweise kommt abschwächenden Begleitern darüber hinaus zu, wenn sie in Verbindung mit einer Negation gebraucht werden. Sie fungieren dann weder selbst als Agonalitätsindikatoren, da die Agonalität ja bereits durch die Negation indiziert wird, noch scheinen sie den Grad der Ago-
338
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
nalität zu mindern, was ja ihrer eigentlichen Funktion der Abschwächung entsprechen würde, sondern sie scheinen, wie die beiden folgenden Beispiele zeigen, den Grad der Agonalität vielmehr zu steigern: (33) a. MLP: Puisqu’en cas de défaillance d’une banque, ce que (.) à peu près auCUN Français (.) ne sait aujourd’hui, en cas de défaillance d’une banque, je vous rappelle que monsieur Fillon nous a expliqué pendant le débat (.) que nous étions devant une très grave crise financière, (.) eh bien, la banque sera obligée d’aller ponctionner VOS comptes en banque, comme ce fut le cas à Chypre (Rede, 17.04.2017). b. MLP: Alors là, pour le coup, monsieur Macron, c’est un peu juste n’importe quoi ce que vous êtes en train de raconter (TV-Duell, 03.05.2017). Die Funktionsweise abschwächender Begleiter von Agonalität ist somit ungleich vielschichtiger und komplexer als diejenige der verstärkenden Begleiter von Agonalität. Während verstärkende Begleiter der Agonalität den Grad der Agonalität stets steigern, können abschwächende Begleiter der Agonalität den Grad der Agonalität mindern, aber auch selbst Agonalität indizieren und den Grad der Agonalität sogar steigern. Damit ist das komplexe Feld der Verstärkung und Abschwächung von Agonalität noch nicht annähernd erfasst. Neben den hier betrachteten lexikalischen und grammatischen Mitteln können, wie bereits gesagt, zahlreiche weitere abschwächende und verstärkende sprachliche Mittel als Begleiter der Agonalität in Erscheinung treten, von syntaktischen Strukturen über prosodische Mittel bis hin zu Mimik und Gestik. Darüber hinaus kann eine Verstärkung der Agonalität auch ganz ohne verstärkende Begleiter und stattdessen durch die Kombination mehrerer Agonalitätsindikatoren erfolgen. Besonders häufig treten temporale Marker gemeinsam mit adversativen oder konzessiven Markern auf (34a),476 adversative Marker in Kombination mit Verneinung (34b) oder mehrere adversative Marker auf einmal (34c). (34) a. JLM: Le système de santé français a longtemps été le meilleur au monde. Mais aujourd’hui, l’austérité et la marchandisation l’ont abimé. La santé doit redevenir un droit pour toutes et tous! (Wahlprogramm, 2017). b. LS: Est-ce que vous serez celui qui assumera de casser ce couple francoallemand? JLM: Mais jamais de la vie! Pourquoi le ferais-je? (TV-Interview, 20.04.2017).
Cf. auch Mattfeldt (2018, 73, 75–76).
6.1 Agonalitätsindikatoren
339
c. JLM: Enfin, notre devoir de citoyen est de ne pas nous abaisser à des polémiques dont rêve l’ennemi, mais au contraire de rester unis (TV-Interview, 20.04.2017).
6.1.1.9 Zwischenfazit Gegenstand des vorliegenden Kapitels waren grammatische Agonalitätsindikatoren. Dabei wurden folgende Phänomene im Hinblick auf ihr agonales Potenzial untersucht: Adversativität, Konzession und Substitution; Komparation; Kondition; Negation; Modalität; Genus Verbi sowie Temporalität. Dabei handelt es sich teilweise um grammatische Kategorien (z.B. Genus Verbi) und teilweise um semantische Kategorien, die ihren Niederschlag in der Grammatik finden (z.B. Temporalität > Tempus). Abschließend wurden Begleiter der Agonalität in den Blick genommen, also grammatische, lexikalische oder andere sprachliche Mittel, die den Grad der Agonalität verstärken oder abschwächen. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass alle untersuchten Phänomene – mit Ausnahme des Genus Verbi, auf das dies nur bedingt zutrifft – über agonales Potenzial verfügen und die entsprechenden Versprachlichungsmittel folglich Agonalität anzeigen können. Die Ergebnisse von Mattfeldt (2018) konnten damit in Bezug auf das Französische weitestgehend bestätigt und zudem um drei Kategorien (Substitution, Komparation und Temporalität) erweitert werden. Mit Blick auf das Französische ergaben sich teilweise Abweichungen in der Konzeptualisierung der Phänomene, die sich auch in der Kapitelstruktur niederschlagen (dies betrifft insbesondere die Kondition, der ein eigenes Unterkapitel gewidmet wurde, und die Evaluation, die innerhalb der Modalität behandelt wurde), insbesondere aber ein gänzlich neues Inventar an Versprachlichungsmitteln der jeweiligen Phänomene. Im Vergleich der Kategorien sticht hervor, dass sie jeweils in Verbindung mit unterschiedlichen semantischen Dimensionen der Agonalität auftreten und dass ihr agonales Potenzial unterschiedlich groß ist. Besonders groß ist das agonale Potenzial von Adversativität, Konzession, Substitution und (der eine Ungleichheit signalisierenden) Komparation, da ihnen die gegenüberstellende Funktion gewissermaßen inhärent ist; sie betreffen die prototypische semantische Dimension der Agonalität, die AGONALITÄT DER EXPLIZITEN GEGENÜBERSTELLUNG. Demgegenüber dominiert bei anderen Kategorien eine andere denn die Agonalität indizierende Funktion – zum Beispiel der Ausdruck einer Bedingung bei der Kondition, die Modalisierung bei der Modalität, der Ausdruck von Zeit und Zeitlichkeit bei der Temporalität –, zu der die Agonalität anzeigende Wirkung fallbezogen ergänzend hinzukommt.
340
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Tabelle 6 bietet einen Überblick über die grammatischen Kategorien, mit diesen korrelierende semantische Dimensionen der Agonalität sowie typische Versprachlichungsmittel. Tabelle 6: Übersicht: Grammatik und Agonalität. Grammatische Kategorie
Dimension(en) der Agonalität
Ausdrucksmittel
Adversativität, Konzession und Substitution
–
–
–
v.a. AGONALITÄT DER EXPLIZITEN GEGENÜBERSTELLUNG auch AGONALITÄT DER ZEITLICHEN GEGENÜBERSTELLUNG
– Komparation
– –
Kondition
– –
v.a. AGONALITÄT DER EXPLIZITEN GEGENÜBERSTELLUNG auch AGONALITÄT DER RELEVANZKONKURRENZ, AGONALITÄT DER (NEGATIVEN) WERTUNG
–
AGONALITÄT DER (EXPLIZITEN) GEGENÜBERSTELLUNG AGONALITÄT DER NICHT EINGETRETENEN OPTION
–
– –
– –
Negation
–
AGONALITÄT DER NEGATION
– – – –
adversative und konzessive Konnektoren: mais, quand même, alors que, au contraire, pourtant etc. substitutive Konnektoren: plutôt, au lieu de etc. Steigerung: plus/moins… de, (le) mieux/meilleur etc. Komparativsatz: comme, que…plus etc. weitere Ausdrücke der Komparation: comparé à, en comparaison etc. Konditionalsatz: si, pourvu que, à moins que, pour peu que, au cas où, à (la) condition que etc. Conditionnel weitere Ausdrücke der Kondition: à condition de, en cas de etc. Negationsadverbien: ne, pas, plus, jamais Pronomen: personne, rien Determinanten: aucun Affixe: anti-, contre-, dé-/ dés-, dys-, im-/ in-, non-
6.1 Agonalitätsindikatoren
341
Tabelle 6 (fortgesetzt) Grammatische Kategorie
Dimension(en) der Agonalität
Ausdrucksmittel
Modalität
– – – –
– –
AGONALITÄT DER (NEGATIVEN) WERTUNG AGONALITÄT DER NEGATIVEN EMOTIONEN AGONALITÄT VON SCHEIN UND SEIN AGONALITÄT DER EXTERNEN HANDLUNGSAUFFORDERUNG
–
–
–
– – Genus Verbi
–
in Einzelfällen AGONALITÄT DER HANDLUNGSAUFFORDERUNG
–
EXTERNEN
–
Temporalität
– –
v.a. AGONALITÄT DER ZEITLICHEN GEGENÜBERSTELLUNG auch AGONALITÄT DER (NEGATIVEN) WERTUNG
– – – – –
–
Modus Modalverben: pouvoir, devoir, vouloir etc. Modaladverbien: évidemment, heureusement, peut-être etc. Modalpartikeln: simplement, donc, tout de même, seulement etc. lexikalische Modalitätsausdrücke: obligatoire, volonté, but, croire etc. Intonation und Interpunktion Satzmodi Passiv (être + participe passé) weitere Strukturen mit passivischem Wert: impersonale Konstruktionen, pronominale Formen, se faire + Inf. etc. Tempus Aspekt Aktionsart Temporaladverbien: hier, aujourd’hui, demain etc. Temporale Verbalperiphrasen: être en train de faire qc, venir de faire qc etc. Prinzipien der Organisation des Diskurses bzw. Texts
342
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Tabelle 6 (fortgesetzt) Grammatische Kategorie
Dimension(en) der Agonalität
Ausdrucksmittel
Verstärkende Begleiter der Agonalität
–
–
keine einzelne Dimension; verstärken den Grad der Agonalität einer Aussage
– – – –
– – Abschwächende Begleiter der Agonalität
–
–
–
keine einzelne Dimension; mindern den Grad der Agonalität einer Aussage oder [!], bei Abschwächung positiver Konzepte, AGONALITÄT DER (NEGATIVEN) WERTUNG oder [!], bei Negation, AGONALITÄT DER NEGATION bzw. Verstärkung derselben
– –
–
– –
Adverbien: beaucoup, très, énormément; totalement, entièrement, tout à fait etc. Adjektive: énorme, immense; total, entier etc. Affixe: archi-, extra-, -issime etc. syntaktische Mittel: extraction, dislocation etc. rhetorische Figuren und Tropen: Wiederholung, Hyperbel etc. Prosodie, Mimik, Gestik etc. Negation Adverbien: presque, quasi; faiblement; assez, plutôt, moyennement, à peine, (un) peu etc. rhetorische Figuren und Tropen: Euphemismus, Litotes etc. Prosodie, Mimik, Gestik etc.
6.1.2 Lexikalische Agonalitätsindikatoren Agonalität kann nicht nur durch grammatische, sondern auch durch lexikalische Mittel angezeigt werden. Während die Grammatik ein vergleichsweise geschlossenes System mit einem begrenzten Inventar an Regeln darstellt, ist der Wortschatz ein offenes und äußerst umfangreiches System, weshalb auch die Bandbreite lexikalischer Agonalitätsindikatoren in quantitativer wie qualitativer Hinsicht sehr groß ist. Diese in ihrer Gesamtheit zu erfassen, ist unmöglich; dies hat sich bereits in der Analyse grammatischer Agonalitätsindikatoren angedeutet, zum Beispiel im Hinblick auf die Vielzahl an Ausdrucksmitteln von Kategorien wie
6.1 Agonalitätsindikatoren
343
Komparation, Modalität oder Temporalität. Die im vorliegenden Kapitel unternommene Untersuchung lexikalischer Agonalitätsindikatoren erhebt daher keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit was die Inventarisierung entsprechender Ausdrücke angeht und legt in der Analyse gezielt den Fokus auf ausgewählte thematische Kategorien und Lexeme. Die bisherige Forschung hat sich mit dem Inventar lexikalischer Agonalitätsindikatoren im Französischen noch nicht umfassend und systematisch auseinandergesetzt, liefert aber wertvolle Ansätze, auf die zur Erstellung eines solchen aufgebaut werden kann. Zum einen können die insbesondere in der Germanistik unternommenen Untersuchungen lexikalischer Agonalitätsindikatoren im Deutschen und auch im Englischen als Referenz fungieren und auf ihre Übertragbarkeit im Französischen hin überprüft werden (v.a. Mattfeldt 2018). Zum anderen finden sich auch in der französistischen Forschung Ansätze zu lexikalischen Agonalitätsindikatoren. Eine knappe Aufstellung lexikalischer Agonalitätsindikatoren bietet Weiland (2020). Im frankophonen Raum sind darüber hinaus die Arbeiten André-Larochebouvys (1984, 152–163) und Kerbrat-Orecchionis (1990–1994, vol. 2, 141–155; 2017, 167–225; 2019, 75–115) zu nennen, die sich aus konversationsanalytischer Perspektive mit Agonalität indizierenden sprachlichen Mitteln in der mündlichen Interaktion befassen, sowie Stjernfelt (1994), der sich der Agonalität in narrativer Literatur widmet und die Relevanz von Verben aus den Bereichen Kampf und Krieg hervorhebt. Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über lexikalische Agonalitätsindikatoren geboten, indem auf der Grundlage des thematischen Wörterbuchs Thésaurus Larousse. Des idées aux mots, des mots aux idées (Péchoin 1991/1992) thematische Kategorien ermittelt werden, die für den Ausdruck von Agonalität potenziell relevant sind (Kapitel 6.1.2.1). Darauf aufbauend werden ausgewählte thematische Kategorien und mit diesen korrelierende Versprachlichungsmittel einer Detailanalyse unterzogen. Mit Opposition (Kapitel 6.1.2.2) und Konkurrenz (Kapitel 6.1.2.3) werden zunächst die beiden thematischen Kategorien in den Blick genommen, die die definitorischen Merkmale von Agonalität betreffen und damit im Hinblick auf Agonalität von konstitutiver Bedeutung sind. Im Anschluss daran werden drei weitere thematische Kategorien behandelt: Kampf und Krieg (Kapitel 6.1.2.4), Streit (Kapitel 6.1.2.5) und Wahrheit (Kapitel 6.1.2.6). Als Untersuchungsgrundlage fungieren neben dem Thésaurus Larousse das Synonymwörterbuch Synonymes, analogies et antonymes (Boussinot 2007) aus der Reihe Dictionnaire Bordas und vor allen Dingen das Untersuchungskorpus. Ziel der Analyse ist die Untersuchung lexikalischer Agonalitätsindikatoren, wobei es weniger darum geht, diese zu inventarisieren, sondern vielmehr darum, ihre Agonalität anzeigende Wirkung vor dem Hintergrund der verschiedenen Bedeutun-
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gen bzw. Bedeutungsnuancen und Funktionen, die ihnen im konkreten Verwendungskontext zukommen, zu analysieren. Abschließend werden die Ergebnisse in einem Zwischenfazit zusammengefasst (Kapitel 6.1.2.7). 6.1.2.1 Überblick: Wörterbuchkategorien und Agonalität Ziel der folgenden Ausführungen ist es, einen ersten Überblick über lexikalische Agonalitätsindikatoren zu bieten. Dazu werden auf der Grundlage des thematischen Wörterbuchs Thésaurus Larousse thematische Kategorien und diesen entsprechende Versprachlichungsmittel aufgezeigt, die für den Ausdruck von Agonalität potenziell relevant sind. Aufgrund der großen Vielfalt an Kategorien und Lexemen soll die Aufstellung dabei weniger Ergebnis der Untersuchung sein denn einen geeigneten Rahmen und Ausgangspunkt für weitere Studien bieten. Bevor die einzelnen Kategorien und die ihnen zugehörigen Versprachlichungsmittel untersucht werden können, sollen der Thésaurus Larousse selbst und dessen Einteilung in thematische Kategorien kurz vorgestellt und reflektiert werden. Der Thésaurus gliedert sich in drei Teile: Le monde, L’homme und La société. Jeder dieser Teile enthält eine Vielzahl von Themen, die wiederum in weitere Subthemen untergliedert sind, die dann die einzelnen thematischen Kategorien enthalten. Diese sind mit den Ziffern 1 bis 873 durchnummeriert, anhand derer sie eindeutig identifizierbar und schnell auffindbar sind. Innerhalb einer Kategorie werden alle Wörter aufgelistet, mittels derer die entsprechende Kategorie versprachlicht werden kann. Die Auflistung der Wörter erfolgt getrennt nach Wortarten und innerhalb dieser nach Gruppen bedeutungsähnlicher bzw. bedeutungsverwandter Wörter, sogenannten «familles de sens» (Péchoin 1991/1992, X). Häufig findet sich ein Wort nicht nur in einer, sondern in verschiedenen thematischen Kategorien, worin deutlich wird, dass sich die verschiedenen Kategorien in inhaltlicher wie formaler Sicht in vielfältiger Weise überlappen und überlagern. Der Hauptteil ist gefolgt von einem Index, in dem alle Wörter unter Angabe sämtlicher Kategorien, in denen sie enthalten sind, gelistet sind. Für den Ausdruck von Agonalität sind eine Vielzahl thematischer Kategorien und der ihnen entsprechenden Versprachlichungsmittel potenziell relevant. Je nach Kategorie und konkretem Versprachlichungsmittel ist der Bezug zur Agonalität dabei stärker oder schwächer. Darüber hinaus korrelieren die Kategorien und ihre Versprachlichungsmittel jeweils mit unterschiedlichen semantischen Dimensionen der Agonalität. Dabei kann, wie die Mehrfachzuordnung einzelner Versprachlichungsmittel zu verschiedenen thematischen Kategorien bereits erwarten lässt, nicht von einer Eins-zu-Eins-Zuordnung ausgegangen werden, das
6.1 Agonalitätsindikatoren
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heißt, dass eine thematische Kategorie ebenso wie ein sprachlicher Ausdruck mehreren semantischen Dimensionen zugehörig sein kann. In Tabelle 7 werden exemplarisch für die besonders prototypische Dimension der AGONALITÄT DER EXPLIZITEN GEGENÜBERSTELLUNG relevante thematische Kategorien angeführt. Tabelle 7: Thematische Kategorien mit Bezug zur Agonalität im Thésaurus Larousse. Dimension der Agonalität
Thematisch verwandte Kategorien aus dem Thésaurus Larousse
AGONALITÄT DER EXPLIZITEN GEGENÜBERSTELLUNG
Le monde > Les concepts fondamentaux > Identité > Altérité, Opposition, Substitution, Dissemblance, Différence, Discordance, Non-conformité Le monde > L’ordre et la mesure > Ordre > Exclusion Le monde > Le mouvement > Les forces et leurs actions > Choc L’homme > L’esprit > Le raisonnement > Comparaison L’homme > L’esprit > Le jugement et les valeurs > Désaccord L’homme > La volonté > Le libre-arbitre et la nécessité > Refus L’homme > L’action > Les occasions et les circonstances > Obstacle La société > Le rapport hiérarchique > Commandement et consentement > Reproche La société > Guerre et paix > Le conflit et le compromis > Conflit, Guerre, Révolution La société > Guerre et paix > Les épisodes du conflit > Attaque, Défense, Agression, Coup, Représailles, Victoire, Défaite, Revanche
Tabelle 8 enthält beispielhafte Versprachlichungsmittel der in Tabelle 7 genannten Kategorien mit besonders hohem Agonalitätspotenzial. Tabelle 8: Agonalitätsindikatoren im Thésaurus Larousse. Dimension der Agonalität
Versprachlichungsmittel mit hohem Agonalitätspotenzial
AGONALITÄT DER EXPLIZITEN GEGENÜBERSTELLUNG
Altérité: divergence, l’autre, différer, d’une part…d’autre part, alter-… Opposition: antagonisme, adversité, adversaire, opposer, inverse, anti-… Substitution: inversion, bouc émissaire, substituer, alternatif, au lieu de… Dissemblance: différence, divergence, écart, contraster, autrement…
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Tabelle 8 (fortgesetzt) Dimension der Agonalität
Versprachlichungsmittel mit hohem Agonalitätspotenzial Différence: dissemblance, différer, divergent, autre, à la différence de… Discordance: disparité, désordre, diverger, discordant, dissonant, faux… Non-conformité: incohérence, rebelle, contrevenir, inapproprié, dys-… Exclusion: exception, rejet, exclure, exclu, l’un ou l’autre, à part, sauf si… Choc: coup, bouleversement, conflit, choquer, frapper, brusquement… Comparaison: confrontation, comparer, en comparaison, vis-àvis de… Désaccord: différend, dispute, critique, contester, protester, non… Refus: rejet, contestation, refuser, décliner, inacceptable, négatif… Obstacle: barrage, blocage, faire obstacle à, à l’encontre de, contre… Reproche: critique, blâme, reprocher, désapprobateur, blâmable… Conflit: désaccord, dispute, combat, guerre, adversaire, lutter, hostile… Guerre: bataille, combat, rivalité, faire la guerre, s’armer, belli Attaque: agression, offensive, assaillant, attaquer, agressif, offensif… Défense: défensive, contre-mesure, défenseur, défendre, défensif… Agression: injure, affront, attaque, insulter, injurieux, discourtois… Coup: heurt, bagarre, (se) battre, agresser, blesser, agressif, violent… Représailles: vengeance, contre-attaque, (se) venger, répliquer… Victoire: triomphe, vainqueur, gagner, vaincre, victorieux, conquérant… Défaite: capitulation, perdre, se rendre, capituler, battu, vaincu… Revanche: représailles, revanchiste, se venger, en revanche, en retour…
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Wie Tabelle 7 nur anzudeuten vermag, ist die Bandbreite an Kategorien mit Bezug zur Agonalität in quantitativer wie qualitativer Hinsicht sehr groß. Dies gilt umso mehr für die den jeweiligen Kategorien zugehörigen Versprachlichungsmittel, wie Tabelle 8 illustriert. Dieses Inventar ließe sich unter Rückgriff auf den Thésaurus Larousse und weitere Wörterbücher, insbesondere Synonymwörterbücher, erheblich erweitern. Eine exhaustive Auflistung ist an dieser Stelle nicht nur aufgrund des Umfangs nicht praktikabel, sondern auch wenig zielführend. Agonalitätsindikatoren sind, wie in Kapitel 2.6.2 erläutert wurde, in grundlegender Weise kontextabhängig; die in Tabelle 8 aufgeführten Lexeme verfügen über ein besonders großes agonales Potenzial, das heißt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sie in einem konkreten Verwendungskontext Agonalität indizieren, sehr hoch ist; ob sie dies tatsächlich tun, kann jedoch nur im Einzelfall und vor dem Hintergrund des konkreten Verwendungskontexts entschieden werden. Der lexikographische Ansatz stellt daher einen geeigneten Ansatz dar, um potenzielle lexikalische Agonalitätsindikatoren zu ermitteln, doch kann erst durch sprachgebrauchsbasierte Untersuchungen eruiert werden, ob ein Ausdruck in einem konkreten Kontext tatsächlich als Agonalitätsindikator fungiert. Genau dies ist das Ziel der folgenden Unterkapitel, in denen Agonalitätsindikatoren ausgewählter thematischer Kategorien untersucht werden. 6.1.2.2 Opposition Die Opposition ist eine besonders zentrale Kategorie für den Ausdruck von Agonalität. Sie bezieht sich auf eines von zwei definitorischen Merkmalen von Agonalität, weshalb die ihr entsprechenden Versprachlichungsmittel über großes agonales Potenzial verfügen. Auch in der Agonalitätsforschung wurde die Relevanz der Kategorie der Opposition für den Ausdruck von Agonalität vielfach herausgestellt. So nennt Mattfeldt (2018, 164) als lexikalische Agonalitätsindikatoren Lexeme aus den Bereichen «opposition» und «opponent» im Englischen und «Gegensatz» im Deutschen. André-Larochebouvy (1984, 154–158) führt als eine von drei Typen des «jeu agonal» und seinen Versprachlichungsmitteln «les signaux d’opposition» an.477 Versprachlichungsmittel der Kategorie der Opposition bringen eine Gegenüberstellung, einen Kontrast zum Ausdruck; die thematische Kategorie der Opposition steht daher insbesondere in Verbindung mit der AGONALITÄT DER EXPLIZITEN GEGENÜBERSTELLUNG. In konzeptioneller Hinsicht weist die Kategorie der Opposition eine Nähe zu verschiedenen anderen Kategorien auf, zum Beispiel Adversativität,
Diesen werden die «signaux de différenciation et de distanciation» und die «signaux de polémique» zur Seite gestellt (cf. André-Larochebouvy 1984, 152–163).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Konzession, Substitution, Widerspruch, Unterschied, Abweichung, Vergleich, was sich ausdrucksseitig darin spiegelt, dass zahlreiche Überschneidungen und Überlappungen zwischen den jeweiligen Versprachlichungsmitteln bestehen. Dies zeigt sich auch im Thésaurus Larousse. Dieser widmet der Opposition eine eigene Kategorie (18 Opposition), deren Versprachlichungsmittel sich teilweise mit denen der Kategorien 16 Altérité, 19 Substitution, 22 Dissemblance, 23 Différence, 27 Discordance, 29 Non-conformité und anderen überschneiden. Die Versprachlichungsmittel der Opposition sind äußerst vielfältig. Prototypische Versprachlichungsmittel von Opposition sind:478 Tabelle 9: Versprachlichungsmittel von Opposition.479 Subst.
opposition (); adversité (), affrontement (), antagonisme, antinomie, contradiction (), contraste, discordance, face-à-face (), mésintelligence; fronde; différence (), divergence (); antithèse, disparité, disproportion (); clivage (), division (); comparaison (), confrontation () contre (le contre), démenti, dénégation, déni (), désapprobation, désaveu, objection (), réaction contre, refus (), véto () barrière (), difficulté (), empêchement, entrave (), obstacle (), traverse contraire (le contraire) (), contrepied, envers (l’envers), inverse (l’inverse) (), opposé (l’opposé); antipode, pendant, vis-à-vis adversaire (), antagoniste, contradicteur, détracteur, critique, objecteur, opposant (); dissident (), hérétique; rival, challenger, concurrent (), compétiteur (); partie adverse; ennemi (); égal; frondeur ()
Die Tabelle ist, in Anlehnung an den Thésaurus Larousse, nach Wortarten und innerhalb dieser nach semantischen Gruppen gegliedert. Die Aufstellung wurde, wie in Kapitel 4.3.1 erläutert, auf der Grundlage des Thésaurus Larousse, des Synonymwörterbuchs von Bordas sowie des Untersuchungskorpus vorgenommen. In runden Klammern ist die Häufigkeit der jeweiligen Ausdrücke pro 1 Mio. Token im Untersuchungskorpus angegeben. Bei der Zählung wurden sämtliche flektierte Formen der in der Tabelle angeführten Grundform berücksichtigt. Ist keine Frequenz angegeben, ist der Ausdruck im Korpus nicht belegt. Dies gilt analog für Tabelle 10, 11, 12 und 13. Versprachlichungsmittel von Opposition ist nicht so zu verstehen, dass alle in der Tabelle angeführten Termini die Bedeutung ‘Opposition’ hätten; die Termini haben verschiedene Bedeutungen, die jedoch alle in einem mehr oder weniger engen Zusammenhang zur Thematik der Opposition stehen, weshalb sie alle der thematischen Kategorie der Opposition zugehörig sind. Dies gilt analog für die entsprechenden Tabellenunterschriften in den folgenden Unterkapiteln.
6.1 Agonalitätsindikatoren
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Tabelle 9 (fortgesetzt) V.
Adj.
Adv.
Präp.
Konj. Aff.
aller à l’encontre de (), contraster (avec), être en opposition avec, être en contradiction avec (), détonner, faire pendant à, s’affronter, se confronter sur, se contredire, se faire face (), s’opposer (), trancher (sur) (); différer, diverger; cliver, diviser (); comparer (), confronter (), collationner, opposer (), mettre en face; être confronté à (), se confronter à, se trouver face à; buter contre qc, heurter (), se heurter à qc (), faire face à une difficulté contester (), contredire, contrer (), démentir (), désapprouver (), être opposé à (), faire opposition à, objecter, prendre le contre-pied (de), réagir contre, réfuter, s’élever contre, s’opposer à () affronter (), braver (); faire face à (), faire front, réagir contre, résister (), riposter, se dresser contre, tourner ses armes contre () contrecarrer, contrarier (), dissuader (), empêcher (), entraver (), freiner (); opposer à (); barrer l’accès à, faire obstacle à; nuire à () adverse, antagonique, antagoniste, antinomique (), antithétique, contestataire, contradictoire (), contraire (), discordant, incompatible, inverse, opposé (); différent (), divergent; clivé (), divisé (); comparé attentatoire, défavorable (), nuisible (), préjudiciable; ennemi (), hostile (); frondeur () adversatif, comparable (), opposable (), oppositif à l’opposé, en face (), vis-à-vis; face à face (), nez à nez, dos à dos, tête-bêche, en chiens de faïence (); à l’envers, à rebours, à contre-courant (), à contresens; à contre-pied, à contre-poil, à rebrousse-poil, à contre-biais; contre vents et marées, envers et contre tout, envers et contre tous par contraste, en opposition, par opposition; au contraire (), bien au contraire (), tout au contraire; en contrepartie (); en comparaison, en revanche (), toutefois, par contre (), néanmoins (), nonobstant, malgré tout (), quoi qu’il en soit; pourtant (), quand même (), tout de même (); à l’inverse (), inversement () à l’opposé de (), à l’opposite de, en face de (); face à (), vis-à-vis de (); contre (.); au contraire de (), contrairement à (), à l’encontre de (), à l’inverse de (), en opposition à, par opposition à, versus; au rebours de; contre le gré de; comparé à (); en regard de; malgré (), en dépit de (); nonobstant () mais (.), cependant (), seulement anti- (), contre- (), in-/im- ([…]), non- (), rétro- ()
Wie die Auflistung, die bei weitem nicht exhaustiv ist, zeigt, ist die Bandbreite an Versprachlichungsmitteln der Opposition in quantitativer wie qualitativer Hinsicht äußerst groß. Mit Substantiven, Verben, Adjektiven, Adverbien, Präpositionen, Konjunktionen und Affixen spielen zahlreiche Wortarten eine Rolle. Im Vergleich zu anderen thematischen Kategorien ist insbesondere die Zahl der Ad-
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
verbien, Präpositionen und Konjunktionen sehr groß.480 In diesen Bereich fallen auch sämtliche adversative, konzessive und substitutive Konnektoren (für eine systematische Aufstellung derselben cf. Kapitel 6.1.1.1). Innerhalb der einzelnen Wortarten lassen sich verschiedene semantische Gruppen ausmachen. Innerhalb der Substantive etwa finden sich Ausdrücke mit Bezug zum Konzept der Opposition an sich (Zeile 1), Bezeichnungen für Formen oppositioneller Handlungsweisen (2), Bezeichnungen für ein Hindernis, also etwas, was eine Opposition auslösen oder verursachen kann (3), Bezeichnungen für eines der beiden in Opposition zu einander stehenden Objekte (4) und Bezeichnungen für in Opposition zu einander stehende Akteure (5). Über die Grenzen von Wortarten hinweg lassen sich diese zu Wortfeldern zusammenfassen. Dabei zeigt sich, dass neben dem Konzept der Opposition an sich (opposition, opposer, s’opposer, à l’opposé etc.) zahlreiche weitere, mit diesem in Verbindung stehende Konzepte eine Rolle spielen, zum Beispiel Unterschied und Abweichung (différence, divergence, différent, divergent etc.), Spaltung und Teilung (clivage, division, clivé, divisé etc.), Gegnerschaft und Feindschaft (adversaire, ennemi, hostile etc.) sowie der Vergleich (comparaison, comparer etc.). Darüber hinaus spielen unter den Versprachlichungsmitteln verschiedene Wortfamilien eine Rolle. Zu den wichtigsten zählen: – contre, contre-, contrer, par contre; contraire, au contraire (de), contrairement à; contraster, contraste, par contraste; (se) contredire, contradiction, être en contradiction avec, contradicteur, contradictoire; contrecarrer; contrepied; en contrepartie; (aller) à l’encontre de < lat. CONTRA und verwandte Termini – adversité, adversaire, adverse, adversatif; inverse, à l’inverse de, inversement; envers, à l’envers; versus < lat. ADVERSUS und verwandte Termini – (s’)opposer (à), opposé, à l’opposé (de), opposant, être opposé à; opposable, oppositif; opposition, en opposition, par opposition, faire opposition à, être en opposition avec; à l’opposite (de) < lat. OPPENERE und verwandte Termini – (se) confronter (à/sur), être confronté à, confrontation < mittellat. CONFRONTARE und verwandte Termini – antagonisme, antagonique, antagoniste < gr. antagônisma bzw. antagônistês Im Untersuchungskorpus spielt die thematische Kategorie der Opposition eine große Rolle. Dies wurde bereits bei der Untersuchung adversativer, konzessiver und substitutiver Konnektoren deutlich (Kapitel 6.1.1.1), zeigt sich aber auch mit Blick auf weitere Versprachlichungsmittel der Opposition. Aus quantitativer Sicht spiegelt sich dies, wie die in Tabelle 9 angegebenen Frequenzen belegen,
Locutions adverbiales, locutions prépositionnelles und locutions conjonctives eingeschlossen (cf. Anm. 421).
6.1 Agonalitätsindikatoren
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in ihrer Häufigkeit, aber auch aus qualitativer Sicht zeigt sich ihre Bedeutsamkeit. Versprachlichungsmittel der Opposition sind prädestiniert dafür, Divergenzen zwischen Perspektiven zum Ausdruck zu bringen. Dies ist im Wahlkampf und in agonalen Diskursen generell von großer Bedeutung, weshalb Versprachlichungsmittel der Opposition hier einen zentralen Stellenwert einnehmen. Versprachlichungsmittel der Opposition dienen unter anderem dazu, auf Gegensätze hinzuweisen, Sachverhalte gegenüberzustellen, sich von anderen abzugrenzen oder abweichende Meinungen zu äußern. Sprachliche Handlungen, in denen sie prototypischerweise zum Einsatz kommen, sind die Gegenüberstellung (Kapitel 6.2.1) und die Äußerung von Dissens (Kapitel 6.2.6). Inwiefern Versprachlichungsmittel der Opposition dabei als Agonalitätsindikatoren fungieren können, soll im Folgenden am Beispiel ausgewählter Ausdrücke und Belege gezeigt werden. Einer näheren Betrachtung unterzogen werden: opposition und weitere Ausdrücke dieser Wortfamilie, clivage und contre. Opposition und die übrigen dieser Wortfamilie zugehörigen Termini sind die prototypischsten Ausdrucksmittel der Kategorie der Opposition. Der Terminus opposition verfügt über verschiedene Bedeutungen bzw. Bedeutungsnuancen: «A. – 1. Position de (deux) choses placées face à face. Synon. symétrie. 2. Spécialement a) ANAT., PHYSIOL. […] b) ASTRON. […] c) SPORTS […] B. – 1. Effet de contraste résultant de choses très différentes, placées face à face. Synon. discordance. 2. Rapport d’antinomie établi entre deux choses opposées. Synon. désaccord. C. – 1. Rapport de lutte entre deux/des personnes. Synon. antagonisme. 2. Action de faire obstacle à, de lutter contre quelque chose. Synon. objection, obstruction, rejet, refus. 3. Spécialement a) DROIT […] b) ÉCON. […] c) POL., DR. CONSTIT. ‹Ensemble des partis politiques ou des personnes qui sont opposées d’une manière active au Gouvernement› (BARR. 1974). Synon. opposants» (TLFi, s.v. opposition; Hervorhebungen im Original).
Wie die Definition des Terminus im TLFi zeigt, ist opposition nicht nur polysem, sondern je nach Bedeutung bzw. Bedeutungsvariante auch synonym mit anderen Termini, zum Beispiel symétrie, désaccord, antagonisme, objection, opposants. Im Untersuchungskorpus wird der Begriff ausschließlich in einer Bedeutung gebraucht, der hier unter 3.c) aufgeführten und als spezifisch für die Bereiche POL[ITIQUE] und DR[OIT] CONSTIT[UTIONNEL] markierten Bedeutung, die im Duden paraphrasiert wird mit ‘Partei[en], Gruppe[n], deren Angehörige die Politik
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der herrschenden Partei[en], Gruppe[n] ablehnen’ (Duden, s.v. Opposition2). In der ausschließlichen Verwendung des Begriffs in dieser spezifischen Bedeutung spiegelt sich die Zugehörigkeit der das Korpus konstituierenden Texte bzw. Diskurse zum Diskursuniversum der Politik. Der in dieser Bedeutung gebrauchte Terminus verfügt über sehr großes agonales Potenzial, da zwischen regierenden und oppositionellen Akteuren nicht nur eine Situation der Gegenüberstellung, sondern in der Regel auch der Konkurrenz herrscht: Die Opposition strebt nach größtmöglichem Einfluss, nach größerer Durchsetzungskraft und mehr Macht, langfristig gesehen womöglich auch nach der Regierungsmacht. Die Agonalität anzeigende Wirkung des Terminus illustriert exemplarisch folgende Äußerung Le Pens am Abend des zweiten Wahlgangs: (35) MLP: Par ce résultat HIStorique et massif, les Français ont désigné l’alliance patriote et républicaine (.) comme la première force d’opposition au projet du nouveau président. Les formations politiques (.) qui ont pris la responsabilité de faire élire monsieur Macron se sont discréditées ellesmêmes (.) et ont perdu toute légitimité à représenter une force d’alternance ou même d’opposition crédible. […] Ce second tour (.) organise une REcomposition politique de GRANDE ampleur autour du clivage (.) entre les patriotes (.) et les mondialistes. […] Je serai à la tête de ce combat (.) afin de rassembler plus largement encore tous ceux qui veulent choisir la France […] (Rede, 07.05.2017). Le Pen beschreibt sich und ihre Partei hier als stärkste Oppositionskraft («première force d’opposition»); mehr noch: Sie spricht den anderen Parteien sogar ab, eine glaubhafte Opposition («une force […] d’opposition crédible») zu sein. Zugleich sagt sie Macron den Kampf an («Je serai à la tête de ce combat») und bringt damit zum Ausdruck, dass sie Macrons Politik nicht nur ablehnt, sondern auch aktiv gegen sie vorgehen wird. Diese Kampfansage verdeutlicht, dass opposition hier nicht nur auf eine Gegenüberstellung, die Gegenüberstellung zwischen dem Lager der Regierenden und dem der Nicht-Regierenden, sondern auch auf eine Situation der Konkurrenz verweist und damit als Agonalitätsindikator fungiert. Im verbalen Bereich finden folgende Ausdrücke dieser Wortfamilie Verwendung: s’opposer (36a), s’opposer à (36b), être opposé à (36c), opposer (36d), opposer à (36e). (36) a. GB: […] je voudrais qu’on aborde maintenant euh un principe, un thème CHER aux Français, […] c’est la LAÏCITÉ. Plusieurs notions s’opposent, une laïcité STRICTE, une laïcité plus accommodante (TV-Duell, 20.03.2017).
6.1 Agonalitätsindikatoren
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b. BH: Je m’opposerai aux traités de libre-échange (CETA et TAFTA) qui menacent nos préférences collectives (Wahlprogramm, 2017). c. MLP [zu EM]: Mais c’est aussi ça un petit peu votre projet: les gros mangent les petits. Voilà. C’est un peu la loi du plus fort en réalité. Bon. Eh bien moi je suis TOtalement opposée à ça (TV-Duell, 03.05.2017). d. FF: Dans cette affaire éminemment politique, le véritable et le SEUL débat oppose donc d’un côté (.) ceux qui tiennent la Nation pour un simple marchepied à leurs ambitions (.) et de l’autre, ceux qui s’en font une certaine idée (Rede, 05.03.2017). e. MLP: À cette vision comptable, égoïste, refermée, erronée, nous opposons une vision volontariste, dynamique, juste, vertueuse, patriotique, parce qu’encore une fois, ce n’est que tous ensemble que nous réussirons (Rede, 05.02.2017). S’opposer ‘contraster’ (TLFi, s.v. opposerII.B.1), pronominal gebraucht und ohne complément d’objet, verweist auf einen Kontrast. In (36a) zeigt das Verb den Kontrast an, der zwischen verschiedenen Konzeptualisierungen des Begriffs laïcité besteht, die im Diskurs in Konkurrenz zu einander treten. Der pronominale Gebrauch mit indirektem Objekt, s’opposer à ‘faire obstacle à qc/qn’ (TLFi, s.v. opposerII.C), ist im Korpus überwiegend (in 25 von 31 Fällen) in der 1. Ps. Sg. belegt, darunter zumeist (in 17 der 25 Fälle) in der Form je m’opposerai à. Indem ein Akteur von sich sagt, dass er etwas verhindern wird, dass er sich einer Sache widersetzt, bezieht er Position gegen diesen Sachverhalt; diese Position kann mit anderen Positionen in Konkurrenz treten oder auch explizit von anderen in Zweifel gezogen werden. Wenn Hamon in (36b) sagt, dass er sich gegen die Freihandelsabkommen CETA und TAFTA einsetzen wird, so stimmt diese Position mit den Positionen Mélenchons und Le Pens weitestgehend überein und konkurriert mit denen Fillons und Macrons. Vergleichbares gilt für den Ausdruck être opposé à ‘qui s’oppose, qui fait obstacle à quelqu’un’ (TLFi, s.v. opposéB.2.b). Unter Verwendung dieses Ausdrucks bezieht Le Pen in (36c) Position gegen das Projekt, das sie Macron zuschreibt (Fremdbildkonstruktion). Dabei positioniert sie sich nicht nur, sondern grenzt sich auch direkt von Macron ab und stellt, auch im weiteren Verlauf ihres Redebeitrags, ihre und Macrons Sicht der Dinge, die im Diskurs miteinander konkurrieren, gegenüber. Opposer ‘mettre en balance deux choses, deux personnes différentes’ (TLFi, s.v. opposerI.B.2), nicht-pronominal gebraucht und mit direktem Objekt, dient der Gegenüberstellung zweier Sachverhalte. So stellt Fillon in (36d) zwei Lager gegenüber, denen sich verschiedene Akteure zuordnen lassen; gemeint sind hier wohl Le Pen und Fillon selbst. Op-
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poser à ‘placer quelque chose de manière à faire obstacle à quelque chose’ (TLFi, s.v. opposerI.C.1), ebenfalls nicht-pronominal, aber mit indirektem Objekt, dient dazu, einer Sache etwas entgegenzusetzen. So setzt Le Pen in (36e) der Vision ihrer Gegenkandidaten, die sie als ‘buchhalterisch, egoistisch, verschlossen und irrig’ beschreibt, ihre eigene Vision entgegen, die sie als ‘zielgerichtet, dynamisch, gerecht, tugendhaft und patriotisch’ charakterisiert. Das Verb opposer à weist nicht nur auf den zwischen den beiden Visionen bestehenden Gegensatz hin, der auch bereits in ihrer Charakterisierung zum Ausdruck kommt, sondern signalisiert darüber hinaus eine aktive Handlung des Entgegenstellens, worin sich das kompetitive Moment zeigt. Wie die Beispiele deutlich werden lassen, können opposition sowie die verschiedenen verbalen Formulierungen eindeutig als Agonalitätsindikatoren fungieren. Im Korpus ist ihre Agonalität indizierende Funktion vor allem darauf zurückzuführen, dass sie auf einen Kontrast verweisen, der zwischen zwei oder mehr Akteuren oder zwischen von diesen vertretenen Konzeptualisierungen, Perspektiven oder Ideologien besteht, oder dass sie von einem Akteur dazu genutzt werden, sich entgegen eines bestimmten Sachverhalts oder Akteurs zu positionieren. Durch die Tatsache, dass die Akteure im Wahlkampf als Kandidaten gegeneinander antreten, wird das kompetitive Moment zusätzlich verstärkt. Im Gegensatz zu opposition ist clivage kein prototypisches Versprachlichungsmittel der Kategorie der Opposition, doch sticht der Terminus durch seine besondere Bedeutsamkeit für das Korpus hervor. Auch clivage ist polysem, findet im Korpus aber ausschließlich in einer Bedeutungsvariante Verwendung, die der spezifischen Bedeutung entspricht, die er unter anderem im Bereich der Politik erfahren hat. Diese wird im TLFi (s.v. clivageB.2) wie folgt beschrieben: «A. – […] B. – P. ext. Faculté de pouvoir être scindé en différentes parties. 1. Domaine de la pensée: […] 2. Domaine soc., pol., écon. Clivages idéologiques, partisans; clivage de la société. Les clivages de l’économie coupaient la nation (M. Déat ds L’Œuvre, 29 juin 1941). 3. PSYCHANAL. […]» (TLFi, s.v. clivage; Kursivierung im Original; meine Unterstreichung).
Im Korpus wird der Terminus sowohl in Bezug auf die Politik («pol.») als auch in Bezug auf die Gesellschaft («soc.») gebraucht. Im Bereich der Politik bezieht sich der Terminus auf Gegensätze, die das politische Spektrum ideologisch strukturieren. Clivage signalisiert damit stets eine Gegenüberstellung; diese wird prototypischerweise mit le clivage entre x et y versprachlicht (entre ist hochsignifikanter Kollokator von clivage✶). Von der Bedeutsamkeit derartiger Konfliktlinien für die politische Landschaft zeugt der Kollokator fondamental. Der traditionelle Gegensatz, der die politische Landschaft zahlreicher Länder, darunter auch Frankreich,
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seit Jahrzehnten prägte und immer noch prägt, ist der zwischen rechts und links. In jüngerer Zeit wird dieser jedoch vermehrt als überholt dargestellt (Kollokatoren vieux, classiques; Bigramm clivage ancien) und stattdessen die Herausbildung neuer Konfliktlinien propagiert (Kollokatoren transversal, dépasse, dépassés; Trigramm pour mettre place). Im Wahlkampf gilt dies insbesondere für Le Pen und Macron, die der alten Konfliktlinie von rechts und links neue Konfliktlinien entgegenzusetzen suchen; die zwischen patriotes und mondialistes im Fall von Le Pen und die zwischen conservateurs und progressistes im Fall von Macron. Macron zeichnet sich darüber hinaus dadurch aus, dass er das Konzept des clivage an sich in Frage stellt und stattdessen eine alle politischen Kräfte vereinende Bewegung, ein großes rassemblement propagiert, die bzw. das er anführt: (37) EM: Pour faire face à ces transformations et ces défis, je propose de bâtir avec vous une France nouvelle qui crée et entreprend, une France de sécurité et de progrès pour chacun. […] Une France qui dépasse les vieux clivages pour mettre en place les solutions qui marchent, et qui conduit enfin une vraie moralisation de sa vie politique (Profession de foi, 04.2017). Clivage fungiert hier in zweifacher Hinsicht als Agonalitätsindikator. Zum einen verweist er auf die Konkurrenz, die zwischen politischen Lagern besteht, zum Beispiel zwischen dem rechten und dem linken Lager, zum anderen wird aber auch der Begriff selbst in Frage gestellt und verweist damit auf die Konkurrenz, die zwischen dem Lagerdenken an sich und dem Überwinden dieses Lagerdenkens im Sinne des esprit de rassemblement, den Macron propagiert, besteht. Die Verschiebung politischer Kräfteverhältnisse wird nicht nur diskursiv konstruiert, sondern spiegelt sich auch im politischen Leben selbst und lässt sich anhand von Zahlen quantifizieren, zum Beispiel mittels der großen Verluste bei Republikanern und Sozialisten und der breiten Mehrheit von LREM bei den élections législatives 2017. Inwiefern sich ein wirkliches Ende der traditionellen Rechts-Links-Achse anbahnt481 und ob sich die neuen, im Diskurs propagierten Konfliktlinien tatsächlich und langfristig etablieren werden, bleibt abzuwarten.482 Diese politischen Konfliktlinien spiegeln sich auch in der Gesellschaft, da das Denken der Gesellschaft maßgeblich entlang dieser clivages erfolgt (cf. Finchelstein 2019a). Darüber hinaus wird der Terminus in Bezug auf die Gesell-
Cf. dazu kritisch Tiberj (2017); Le Digol (2018); Finchelstein (2019a). In der politikwissenschaftlichen Forschung wird dies kontrovers diskutiert. Cf. neben den in Anm. 481 genannten Quellen auch Pütz (2019) sowie Kapitel 5.1.1.
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schaft insbesondere dazu verwendet, um auf die Spaltung der Gesellschaft insgesamt hinweisen: (38) a. FF: C’est pour moi un point essentiel de cette élection: faire en sorte (.) que les clivages absurdes soient dépassés, pour que revienne notre sentiment d’appartenance à un pays UNIQUE, où chacun est LIBRE, avec ses envies, son besoin de se retrouver avec sa communauté, de protéger sa famille, mais aussi où chacun a conscience d’appartenir à une communauté nationale, c’est-à-dire à un TOUT qui s’appelle la France (Rede, 05.03.2017). b. DP [zu JLM in Bezug auf dessen Vorhaben, ein référendum révocatoire einzuführen]: Mais est-ce que dans l’état politique du pays, où on voit que c’est très CLIVÉ, où on voit que c’est très OPPOSÉ et que c’est très TENDU, ça ne rend pas la France ingouvernable? (TV-Interview, 20.04.2017). Clivage bzw. clivé verweisen hier auf Spannungen und Konflikte, die zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen bestehen, und damit auf eine Situation der Opposition (cf. auch opposé in 38b) und Konkurrenz, die die Gesellschaft prägt. Abschließend soll noch ein Blick auf die Präposition contre geworfen werden. Wie opposition kann auch contre als prototypisches Versprachlichungsmittel der Kategorie der Opposition gelten. Dies spiegelt auch die Definition des Begriffs im TLFi, in der es unter anderem heißt: «I. – […] II. – Exprime l’opposition. A. – Exprime une relation d’hostilité, de lutte. […] B. – [Suivi d’un subst. abstr. exprimant une contrainte morale] Fonctionne comme synon. de contrairement à. […]» (TLFi, s.v. contre1, prép.; Hervorhebungen im Original).
Die Untersuchung von contre ist insofern interessant, als dass eine Analyse der häufigsten Kotexte dieser Präposition Aufschluss darüber gibt, wogegen sich überwiegend positioniert wird und wie eine solche entgegengesetzte Position sprachlich signalisiert wird. Letzteres zeigt sich anhand der häufigsten Bigramme mit contre als rechtem Glied (linker Kotext). An erster Stelle stehen Ausdrücke des Kampfes, auf die ganze 39% aller entsprechenden Bigramme entfallen: lutter contre (246 Okkurrenzen), lutte contre (238), luttant contre (25), lutterai contre (6); combat contre (11), battre contre (6), battrons contre (6); guerre contre (8); attaques contre (6). Auffällig ist, dass unter den Lexemen des Kampfes bei weitem lutte und Derivate dominieren; es scheint eine lexikalische Präferenz zu sein, das
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Konzept KAMPF GEGEN mittels Lexemen der Wortfamilie lutte, lutter zu versprachlichen.483 An zweiter Stelle, allerdings weit dahinter, liegen Formulierungen mit être: est contre (28), suis contre (25), êtes contre (11), été contre (6). Beide Fälle, Lexeme des Kampfes und être, belegen sehr deutlich die Agonalität anzeigende Funktion von contre: Einer Sache den Kampf anzusagen, vom Kampf gegen etwas zu sprechen zeugt ebenso von Opposition und Konkurrenz wie die Tatsache, sich gegen einen Sachverhalt auszusprechen, eine gegnerische Position zu beziehen. Aufschluss darüber, wogegen sich dieser Kampf überwiegend richtet, wogegen sich die Akteure überwiegend positionieren, bieten die häufigsten Triund Tetragramme mit contre als linkem Glied (rechter Kotext). An erster Stelle steht der Terrorismus, auf den mindestens484 13% aller entsprechenden Syntagmen entfallen: contre le terrorisme (136), contre le totalitarisme (23), contre les terroristes (20), contre le fondamentalisme islamiste (8). Es folgen soziale Themen wie Arbeitslosigkeit, Ungleichheit, Armut und Diskriminierung mit insgesamt 8%: contre le chômage (31), contre les inégalités (23), contre la précarité (20), contre la (grande) pauvreté (20), contre le sexisme (8), contre les violences (8), contre l’insécurité (8). Daran schließt sich der Kampf gegen Steuerhinterziehung an (contre la fraude, contre l’évasion fiscale; 5%). Es folgen die Themenbereiche Gesundheit (contre les déserts médicaux, 34 Okkurrenzen), Wirtschaft (contre la concurrence (internationale) (déloyale), 14), Umwelt (contre la pollution, 14) und Kriminalität (contre la délinquance, 14). Die Ausführungen haben, aus theoretischer wie empirischer Sicht, deutlich werden lassen, dass und warum Versprachlichungsmittel der Opposition über ein hohes agonales Potenzial verfügen. Die Analyse ausgewählter Lexeme und Belege auf der Grundlage des Korpus konnte dies bestätigten, hat aber auch gezeigt, wie vielfältig die Verwendungsmöglichkeiten entsprechender Termini in formaler wie funktionaler Sicht sind. Insgesamt haben die Ausführungen damit nur einen kleinen Einblick in das große Feld lexikalischer Agonalitätsindikatoren aus der thematischen Kategorie der Opposition bieten können. 6.1.2.3 Konkurrenz Neben der Opposition ist die Konkurrenz bzw. das kompetitive Moment – ich verwende die Termini hier synonym – das zweite konstitutive Merkmal von Agonalität. Agonalität erschöpft sich nicht in der Opposition, der Gegenüber-
Cf. dazu ausführlicher Kapitel 6.1.2.4. Es wurden nur Tri- und Tetragramme in die Auswertung einbezogen, die mindestens 8 Okkurrenzen pro 1 Mio. Token haben.
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stellung von zwei oder mehr Objekten, sondern zeichnet sich darüber hinaus dadurch aus, dass diese im Wettstreit bzw. Wettbewerb miteinander stehen, dass sie miteinander konkurrieren bzw. rivalisieren. Da Konkurrenz zwangsläufig Opposition impliziert, schließt Konkurrenz gewissermaßen beide konstitutiven Merkmale von Agonalität ein; es handelt sich damit um die einschlägigste Kategorie überhaupt, deren Versprachlichungsmittel das höchste agonale Potenzial aufweisen. Auch in der Agonalitätsforschung wird die Relevanz des kompetitiven Moments immer wieder herausgestellt: Felder (2012, 136; meine Hervorhebung) zufolge manifestiert sich Agonalität in «kompetitive[n] Sprachspiele[n]»; Felder (2013, 13; meine Hervorhebung) spricht vom «diskursive[n] Wettkampf um Geltungsansprüche»; Mattfeldt (2018, 56; meine Hervorhebung) definiert Agonalität als «kompetitive Opposition oder Polarität» und wählt als Titel ihrer Monografie «Wettstreit in der Sprache»; André-Larochebouvy (1984, 28; meine Hervorhebung) zufolge bezieht sich das jeu agonal auf «tous les aspects compétitifs de la conversation». Umso erstaunlicher ist es, dass Versprachlichungsmittel des kompetitiven Moments in der sprachwissenschaftlichen Forschung selten zum Gegenstand gemacht geschweige denn systematisch untersucht werden. Auch Mattfeldt (2018) benennt bei ihrer Auswertung englisch- und deutschsprachiger thematischer Wörterbücher keine Kategorie mit Bezug zum kompetitiven Moment. Diese Lücke soll im Folgenden – zumindest in Bezug auf das Französische – geschlossen werden, indem Versprachlichungsmittel des kompetitiven Moments erfasst und auf ihre Agonalität indizierende Funktion hin untersucht werden. Im Thésaurus Larousse ist dem kompetitiven Moment keine eigene thematische Kategorie gewidmet. Stattdessen finden sich Versprachlichungsmittel der Konkurrenz in anderen thematischen Kategorien. Dazu zählen Kategorien mit Bezug zur Wirtschaft,485 worin sich die Bedeutsamkeit dieses Wortfelds für den wirtschaftlichen Bereich spiegelt. Hinzu kommt die Kategorie des Sports,486 was insofern von besonderem Interesse ist, als dass sich darin die Verbindung zum konzeptionellen Ursprung von Agonalität, dem griechischen ἀγών, offen-
La société > Les activités économiques > Le travail et la production > 796 Production (compétitif, compétitivité); La société > Les activités économiques > Le commerce et les biens > 827 Commerce (concurrencer, concurrentiel); La société > Les activités économiques > L’économie > 833 Modicité (compétitif). La société > La vie quotidienne > Les loisirs > 870 Sports (compétiteur, compétition, concurrent).
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bart. Zudem gibt es Kategorien, die sich allgemeiner auf eine Gegenüberstellung beziehen,487 worin der Bezug zum Konzept der Opposition zum Ausdruck kommt. Prototypische, der thematischen Kategorie der Konkurrenz zugehörige Versprachlichungsmittel sind: Tabelle 10: Versprachlichungsmittel von Konkurrenz. Subst.
V.
Adj. Adv.
compétition (), concurrence (), rivalité (); émulation compétitivité () bras de fer (), compétition (), concours (); course (); joute; challenge; championnat, coupe; critérium, match (), épreuve (SPORT); partie (); jeu () pari () arène (), ring, stade (SPORT) () champion (), compétiteur (), concurrent (), jouteur, rival concourir (), entrer en compétition, entrer en rivalité avec qn; être en compétition avec qn (); mettre en compétition (), mettre en concurrence (); faire concurrence à qn, se faire concurrence; concurrencer (); rivaliser, jouter, lutter de + subst., faire à qui mieux mieux; disputer qc à qn, contester qc à qn; émuler parier, faire un pari () compétitif (), concurrentiel concurremment
Die Zahl prototypischer Versprachlichungsmittel von Konkurrenz ist, wie die Aufstellung zeigt, vergleichsweise überschaubar. Es dominieren insbesondere zwei Wortarten, Substantive und Verben. Die Lexeme lassen sich folgenden Wortfeldern zuordnen: Ausdrücke mit Bezug zum Konzept der Konkurrenz an sich (Zeilen 1, 7 und 9), Bezeichnungen für Wettbewerbsfähigkeit (2), Bezeichnungen für konkrete Wettkampf- oder Wettbewerbsveranstaltungen (3), Ausdrücke für die Wette und das Wetten (4, 8), Bezeichnungen für Orte, an denen ein Wettkampf oder Wettbewerb ausgetragen wird (5), sowie Bezeichnungen für konkurrierende Akteure (6). Unter den Wortfamilien stechen insbesondere die folgenden drei hervor, die sich alle auf das Konzept der Konkurrenz an sich beziehen:488 L’homme > L’action > Les occasions et les circonstances > 549 Adversité (compétiteur, concurrent); La société > Guerre et paix > Le conflit et le compromis > 649 Conflit (concurrence). Darüber hinaus sind weitere Wortfamilien relevant, die im Korpus jedoch keine bzw. nur eine sehr geringe Rolle spielen: (i) jouter, joute, jouteur, < vulg.lat. ✶juxtare, ursprünglich im Kontext von Ritterturnieren verwendete Bezeichnungen, die im übertragenen Sinn auch für einen Wettstreit im Allgemeinen, häufig auch für ein Wortgefecht oder Rededuell Verwendung finden (cf. Kapitel 6.1.2.5); (ii) émuler, émulation < lat. ÆMULARI, ursprünglich im Sinne von ‘Wetteifer, wetteifern’ verwendet; sie finden heute überwiegend in der Fachsprache der Informatik zur Bezeichnung der Abbildung der Funktionen eines Computers auf einen anderen Verwendung; insbesondere das Verb gilt als selten und literarisch; und (iii) pari, parier < lat.
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– – –
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compétition, compétiteur, compétitif, compétitivité < lat. COMPETERE und verwandte Termini concourir, concurrent, concurrence, concurrencer, concurrentiel < lat. CONCURRERE und verwandte Termini rival, rivalité, rivaliser < lat. RIVALIS und verwandte Termini
Eine vergleichende Analyse der Bedeutungsangaben dieser Ausdrücke im TLFi zeigt, dass alle drei Substantive, compétition, concurrence und rivalité, polysem und teilweise synonym sind. Synonymie besteht im Hinblick auf eine allgemeine, das kompetitive Moment betreffende Lesart. Die dieser Lesart entsprechenden Bedeutungsangaben lauten: «A. – Lutte, rivalité simultanée de plusieurs personnes ou groupes de personnes dans la poursuite d’un même but» (TLFi, s.v. compétitionA). «B. – Fait de se trouver en opposition, le plus souvent d’intérêt dans la poursuite d’un même but, chacun visant à supplanter son rival» (TLFi, s.v. concurrenceB.1). «A. – Situation de deux ou plusieurs personnes qui prétendent aux mêmes avantages et s’opposent pour les obtenir. Synon. compétition, concurrence. […] B. – P. méton., souvent au plur. Opposition, querelle entretenue par des personnes qui se trouvent dans cette situation. […]» (TLFi, s.v. rivalité; Hervorhebungen im Original).
Des Weiteren besteht Synonymie im Hinblick auf zwei weitere, spezifischere Bedeutungen von compétition und concurrence, der Darwin’sche ‘Kampf ums Dasein’ im Bereich der Ökologie und Biologie und der ‘wirtschaftliche Wettbewerb’ im Bereich der Wirtschaft. Compétition verfügt darüber hinaus über eine weitere Bedeutung, die einzig bei diesem Substantiv zu finden ist, ‘sportlicher Wettkampf’. Auch concurrence weist eine weitere Bedeutung auf, die sich allerdings, im Unterschied zu allen anderen, nicht auf das kompetitive Moment, sondern vielmehr auf etwas Gemeinsames, Gemeinschaftliches bezieht: «A. – Fait d’être ensemble, d’agir de concert, conjointement, à égalité dans la poursuite d’un même but» (TLFi, s.v. concurrenceA).
PARIARE, dient der Bezeichnung einer Wette bzw. der Tätigkeit des Wettens; wird im Korpus fast ausschließlich innerhalb der Wendung faire le pari de gebraucht, wobei es zumeist nicht im engeren Sinne darum geht, eine Wette einzugehen, sondern vielmehr darum, auf etwas zu setzen, für etwas einzutreten, cf.: «[…] nous ferons le pari de la formation, de l’intelligence, de la recherche, de l’inves/ de l’in/ de l’enseignement supérieur. Nous ferons également le pari de la culture, en investissant quatre milliards d’euro supplémentaires DANS la culture» (BH, Rede, 19.03.2017).
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Diese, den Aspekt des Gemeinsamen, Gemeinschaftlichen fokussierende Bedeutungsvariante ist bereits in der Etymologie des Ausdrucks angelegt (lat. CONCURRERE < CON- (CUM) + CURRERE ‘zusammenlaufen, -strömen, von allen Seiten herbeieilen’). Wie concurrence verfügen auch die Derivate concourir und concurremment jeweils über verschiedene Bedeutungen bzw. Bedeutungsnuancen, von denen sich einige auf das kompetitive Moment (concourirB; concurremmentB), andere hingegen auf den Aspekt des Gemeinsamen, Gemeinschaftlichen (concourirA; concurremmentA) beziehen: «A. – [Concourir implique la notion de rencontre] Concourir avec 1. Se rassembler en un même lieu. 2. Coïncider avec; se produire dans le même moment B. – [À la notion de rencontre s’ajoute celle de compétition] Constr. intr. C. – […]» (TLFi, s.v. concourir; Hervorhebungen im Original). «A. – [sans idée de rivalité] 1. Ensemble, en un même temps, à la fois. 2. À égalité. B. – Plus rarement. En rivalité dans la poursuite d’un même but» (TLFi, s.v. concurremment; Hervorhebungen im Original).
Im Hinblick auf Agonalität sind nur die Bedeutungsvarianten mit Bezug auf das kompetitive Moment relevant. Im Korpus spielt Konkurrenz eine zentrale Rolle. Dies gibt nicht zuletzt der Kontext vor, da der Wahlkampf per se eine von äußerster Konkurrenz geprägte Situation ist. Diese Konkurrenz spiegelt sich auch im Sprachgebrauch bzw. wird durch diesen mitkonstruiert. Doch spielt Konkurrenz nicht nur in Bezug auf den Wahlkampf selbst, sondern auch in Bezug auf andere Themen und Sachverhalte eine Rolle. Dazu zählt in erster Linie der Themenbereich der Wirtschaft: 54 von 57 Okkurrenzen von compétition,489 130 von 136 Okkurrenzen von concurrence sowie sämtliche Okkurrenzen von rivalité490 werden im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Themen verwendet. Auch 17 von 20 Okkurrenzen von compétitif und sämtliche Okkurrenzen von compétitivité ‘Wettbewerbsfähigkeit’ werden im Kontext von Wirtschaft gebraucht. Die besondere Affinität dieser Begriffe zum Themenfeld der Wirtschaft spiegelt sich auch in den häufigen Syntagmen concurrence (internationale) déloyale (74) sowie den hoch signifikanten Kollokatoren déloyale, internationale, commerciaux und économiques
Für die einzige Ausnahme s. (42a). Daneben ließe sich auch (39a) als zumindest nicht nur auf die Wirtschaft bezogen deuten. Mit nur drei Okkurrenzen pro 1 Mio. Token können daraus allerdings keine verallgemeinerbaren Schlüsse gezogen werden.
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(zu compétition) sowie entreprises (zu compétitivité). Die Bedeutsamkeit der Thematik der Wirtschaft im Korpus ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass wirtschaftliche Fragen im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 eine wichtige Rolle spielten,491 was wohl für die meisten Wahlkämpfe zumindest jenseits der kommunalen Ebene und letztlich auch für die Politik insgesamt gilt.492 Doch scheint die thematische Verknüpfung von Konkurrenz und Wirtschaft nicht nur den Wahlkampf, sondern auch die (französische) Sprache und Gesellschaft insgesamt zu prägen. Darauf deutet etwa die Behandlung entsprechender Termini in Wörterbüchern hin, die auf spezifische Bedeutungen der Begriffe im Bereich der Wirtschaft hinweisen (z.B. TLFi) und entsprechende Termini in thematischen Kategorien mit Bezug zur Wirtschaft verbuchen (z.B. im Thésaurus Larousse; cf. Anm. 485). Darüber hinaus zeigt die Korpusanalyse, dass die Ausdrücke compétition und concurrence häufig einer negativen Wertung unterliegen. Sie werden überwiegend verwendet, wenn von der Konkurrenz durch andere, der Frankreich hilflos ausgeliefert ist, die Rede ist. Die negative Wertung dieser Substantive illustrieren Konstruktionen wie je veux supprimer/mettre fin à la concurrence déloyale (8 Okkurrenzen) und lutter contre la concurrence (internationale) déloyale (ebenfalls 8 Okkurrenzen) sowie die folgenden Beispiele: (39) a. JLM: Cette construction [die EU und im Speziellen die EZB] INTERDIT l’harmonisation sociale et l’harmonisation fiscale entre les pays. Elle organise de cette façon une compétition sans fin entre les peuples et dans les Nations, de sorte que partout sont encouragés les nationalismes les plus aveuglés et les xénophobies les plus absurdes (Rede, 18.03.2017). b. MLP: […] le modèle économique soumis à la MONdialisation sauvage, L’OUverture totale des frontières, la concurrence de tous contre tous, eh bien ça, ça entraine le chômage de masse que nous vivons (.) AUjourd’hui. Il faut donc ROMpre avec ce modèle-là (TV-Duell, 03.05.2017). Die wirtschaftliche Konkurrenz wird hier als Entwicklung dargestellt, die durch die zunehmende Globalisierung verstärkt wird und – charakteristisch für Globalisierungsgegner bzw. -kritiker wie Mélenchon und Le Pen – negative Folgen für die Bevölkerung habe, zum Beispiel das Erstarken von «nationalismes» und «xénophobies» (39a) sowie des «chômage de masse» (39b). Die negative Wertung
Cf. Alduy (2017, 89–111, insb. 97–98) sowie Evans/Ivaldi (2018, 152–162, insb. 155–157). Zur Vorherrschaft des Ökonomischen über das Politische cf. aus ideologiekritischer Perspektive Boltanski/Chiapello (1999).
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der wirtschaftlichen Konkurrenz wird durch die Verstärker «sans fin» (39a) und «de tous contre tous» (39b) (degré complet) sowie die Forderung nach einem Ende dieses wirtschaftlichen Modells («Il faut donc ROMpre avec ce modèle-là», 39b) zusätzlich unterstrichen. Im Gegensatz zu compétition und concurrence unterliegt compétitivité in der Regel einer positiven Bewertung. Konkurrenz- bzw. Wettbewerbsfähigkeit wird, wie die Konstruktionen renforcer/rétablir/restaurer/retrouver/redonner de la compétitivité (23 Okkurrenzen) illustrieren, als erstrebenswert dargestellt. Positiv konnotiert ist auch das korrespondierende Adjektiv compétitif; es wird zum Beispiel in Verbindung mit dem Wunsch geäußert, die eigene Konkurrenz- bzw. Wettbewerbsfähigkeit zu stärken: (40) a. EM: Donc, le PROjet qui est le mien, (.) c’est d’avoir une France qui est compétitive, (.) c’est pas l’esprit de défaite de madame Le Pen (TV-Duell, 03.05.2017). b. MLP: Car le retour à une monnaie nationale, c’est le retour à la possibilité d’avoir une monnaie qui est dans l’adéquation avec notre économie, et donc nous permet d’être beaucoup plus COMPÉTITIFS, donc partir à la conquête du MONDE, donc pouvoir exporter, donc pouvoir créer des emplois, […] (TV-Interview, 20.04.2017). Neben der Wirtschaft ist, wie bereits angesprochen, ein weiterer Bereich für Konkurrenz relevant, der des Sports und Spiels. Zahlreiche der in Tabelle 10 aufgeführten Versprachlichungsmittel weisen einen Bezug zu Sport und Spiel auf (Zeile 3, 5 und teilweise 6). Auch dies scheint eine allgemeine, die (französische) Sprache und Gesellschaft prägende Verbindung zu sein: Im Thésaurus Larousse werden Versprachlichungsmittel der Konkurrenz der Kategorie des Sports zugeordnet (cf. Anm. 486), im TLFi wird auf spezifische Bedeutungen entsprechender Ausdrücke im Bereich des Sports hingewiesen. Der Bezug des kompetitiven Moments zu Sport und Spiel ist insofern von besonderem Interesse, als dass sich darin eine Verbindung zum konzeptionellen Ursprung von Agonalität, dem griechischen ἀγών, und zum Aspekt des Spiels, der, im Anschluss an Wittgenstein und Lyotard, auch für den hier zugrunde gelegten Agonalitätsbegriff fruchtbar gemacht wurde (cf. Kapitel 2.4.4), offenbart. Im politischen Sprachgebrauch werden Ausdrücke aus dem Bereich des Sports und Spiels gerne metaphorisch zur Beschreibung der Politik selbst gebraucht. Meyer/Serbina (2019, 613) zufolge eignen sich Sport und Spiel besonders gut als Quellbereich für politische Metaphern, da diese Bereiche – symbolisiert durch Werte wie Fairness etc. – zumeist einer positiven Wertung unterlägen, die
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sich dann auf die Politik übertrage. Abstrahiert betrachtet fungieren die entsprechenden Termini als konzeptuelle Metaphern, mittels derer die Politik als ein System charakterisiert wird, das bestimmten Regeln unterliegt und durch eine Situation der Konkurrenz zwischen den beteiligten Akteuren charakterisiert ist. Im Korpus werden entsprechende Ausdrücke metaphorisch in Bezug auf die Politik im Allgemeinen (41a–b) sowie – besonders häufig – in Bezug auf den Wahlkampf (42a–d) gebraucht: (41) a. BH: Ce que je vous propose, à vous, c’est que nous descendions à nouveau dans l’arène démocratique et de reprendre PIED À PIED ce que nous avons perdu (Rede, 19.03.2017). b. JLM: C’est la raison pour laquelle je pense qu’il faut qu’on convoque une assemblée constituante où le peuple REdéfinira la règle du jeu politique du pays (TV-Interview, 20.04.2017). (42) a. FF: On a voulu me faire taire, on a voulu m’éliminer de cette compétition politique. Je suis toujours là. Et je vais vous dire (.) personne ne viendra m’intimider et c’est les Français qui porteront un jugement dans un peu moins de trois semaines (TV-Duell, 04.04.2017). b. FF: Une élection chasse l’autre. Les commentateurs ne s’intéressent qu’à cette course d’obstacles des prétendants, qu’à la tactique. C’est un mauvais feuilleton (Rede, 05.03.2017). c. MLP: Les quelques jours qui viennent sont décisifs. Battez-vous pour la victoire! […] Jusqu’au dernier moment vous devez vous mobiliser (.) et mobiliser autour de vous, jusqu’au dernier moment. La partie est trop importante (Rede, 17.04.2017). d. BH [zu PUB]: Je vous appelle (.) à ne pas être ce qu’on essaye de faire de vous, des commentateurs d’un jeu dont vous seriez ENCORE exclus, des électeurs stratèges des sondages, qui LIMITENT fondamentalement votre choix SOUVERAIN. Je vous appelle à être libres (Rede, 19.04.2017). Die Belege illustrieren nicht nur die Vielfalt der Termini, die dabei Verwendung finden können,493 sondern auch die Passgenauigkeit konzeptueller Metaphern Ein weiteres Beispiel, das die Ausdrucksvielfalt entsprechender Metaphern besonders eindrücklich vor Augen führt, sich allerdings nicht auf die Politik, sondern auf das Bildungswesen bezieht, findet sich im Wahlprogramm Emmanuel Macrons: «Bien sûr, il y en a toujours qui courront vite et d’autres qui trébucheront. Ou ne pourront tout simplement pas se lancer
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aus Sport und Spiel für die Politik. Dass dies für den Wahlkampf in besonderem Maße gilt, zeigen auch nahezu lexikalisierte Ausdrücke wie frz. course (à l’Elysée), dt. Rennen (um die Präsidentschaft), engl. (to) run (for president/the presidency). Durch Ausdrücke wie diese wird – anders als zum Beispiel bei dem im Französischen üblicheren Terminus campagne (électorale), der das Geschehen aus der Perspektive des einzelnen, für sich werbenden Politikers betrachtet, – der Fokus auf das Gegeneinander der verschiedenen Kandidaten, auf das kompetitive Moment gelegt. In konzeptuellen Metaphern wie diesen bestätigt sich die im theoretischen Teil der Arbeit als zentral herausgestellte Verbindung von Agonalität, Politik und Spiel auch aus empirischer Sicht. Die besondere Affinität zwischen Versprachlichungsmitteln der Konkurrenz und Politik, die darin anklingt, spiegelt sich auch in den Bezeichnungen der Kandidaten im Wahlkampf. Diese werden unter anderem compétiteur und concurrent genannt, zwei Begriffe, die auf das kompetitive Moment verweisen und mittels derer die Kandidaten als Konkurrenten konzeptualisiert werden.494 Das kompetitive Moment ist nicht nur der Semantik der Termini inhärent, sondern wird im konkreten Verwendungskontext teilweise zusätzlich unterstrichen, zum Beispiel durch die explizite Gegenüberstellung der Akteure (43) oder eine abwertende Aussage über die anderen Kandidaten (44a–c), häufig auch in Verbindung mit einem totalisierenden Begleiter wie tous mes, tous nos oder l’ensemble de mes (44b–c): (43) FF: Mais rien de tout cela ne sera possible si nous ne retrouvons pas D’Abord (.) notre puissance économique. C’est pour cela que mon projet se distingue RAdicalement de celui de mes concurrents (Rede, 13.03.2017). (44) a. MLP: Eh bien c’est la raison pour laquelle je veux augmenter le budget de la Défense et même inscrire dans la Constitution que le budget de la Défense ne pourra pas être inférieur à 2 pour cent du PIB. […] Et je compte le faire tout de suite, pas en 2025 comme l’annoncent mes euh mes mes compétiteurs, hein, en 2025, ça veut dire jamais, hein, je vous l’annonce, mais IMMÉDIATEMENT parce que je crois que il pèse des dangers sur la
dans la course. Ou choisiront une trajectoire différente. Mais si l’on connaît à l’avance l’ordre d’arrivée, alors à quoi bon essayer de courir?» (EM, Wahlprogramm, 2017). Die Metapher des Wettrennens wird hier durch das Substantiv course evoziert und als métaphore filée durch zahlreiche weitere Termini (im Zitat kursiv) fortgesponnen. Anders ist es zum Beispiel bei den Begriffen candidat, adversaire oder opposant. Für eine vergleichende Untersuchung entsprechender Termini cf. Kapitel 6.2.3.
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France et que on peut pas dire «on est en guerre» en pensant que le travail est fait. Il faut protéger nos compatriotes (TV-Interview, 18.04.2017). b. JLM [zu ACC und GB]: Et apparemment aucun d’entre vous n’a l’air d’être dérangé par le fait que TOUS mes concurrents sont d’accord pour continuer le comité de coordination qui existe aujourd’hui sur le plan culturel avec le Qatar et l’Arabie Saoudite (TV-Interview, 14.04.2017). c. FF: Le second (..) le second scandale, c’est celui de tous nos concurrents qui, indifférents à toutes les réalités économiques, ignorant tous les défis du monde, n’hésitent pas à promettre 32 heures, le retour du Franc, l’augmentation des dépenses publics. Et qu’importe la faillite! (Rede, 05.03.2017). Dennoch unterliegen die Termini nicht zwangsläufig einer negativen Wertung: (45) a. EM: Merci beaucoup. Merci à vous [an die Moderatoren gerichtet] d’avoir conduit ce débat. Merci à l’ensemble de mes compétiteurs de l’avoir mené avec moi. Nous avons, je crois, mené une discussion qui, je l’espère, chers compatriotes, vous aura (.) vous aura donné plus de clarté (TVDuell, 20.03.2017). b. LF: Je vous invite d’ailleurs à interagir s’il y a des choses qui vous surprennent dans les interventions de (.) des différents concurrents (TVDuell, 04.04.2017). Während (45b) eine relativ wertfreie, neutrale Begriffsverwendung illustriert, scheint der Begriff in (45a), in Verbindung mit einer Dankesäußerung, beinahe einer positiven Wertung zu unterliegen. Die anderen Kandidaten werden zwar als Konkurrenten konzeptualisiert, aber weniger als Gegner denn vielmehr als Mit-Streiter, Mit-Bewerber; der Fokus liegt hier nicht auf dem Gegeneinander, sondern auf dem Miteinander. Wie die Ausführungen zeigen, spielen Versprachlichungsmittel der Konkurrenz eine zentrale Rolle für den Ausdruck von Agonalität. Die im theoretischen Teil der Arbeit vorgenommene Bestimmung des kompetitiven Moments als eines von zwei definitorischen Merkmalen von Agonalität wird dadurch empirisch gestützt. Darüber hinaus konnte ein – wenn auch nicht sehr umfangreiches – Inventar lexikalischer Agonalitätsindikatoren aus der thematischen Kategorie der Konkurrenz erarbeitet werden, dem bislang weder von der Forschungsliteratur noch von der Lexikographie – zumindest was thematische Wörterbücher angeht – viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Besonders hervor stechen darüber hinaus typische Affinitäten dieser Versprachlichungsmittel
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zu den Themenbereichen der Wirtschaft und der Politik und innerhalb letzterer insbesondere zum Wahlkampf. Von besonderem Interesse ist zudem der Verweis auf den konzeptionellen Ursprung von Agonalität, den ἀγών der griechischen Antike, durch konzeptuelle Metaphern aus dem Bereich von Sport und Spiel. Nachdem mit Opposition und Konkurrenz die beiden konstitutiven, mit den definitorischen Merkmalen von Agonalität korrelierenden thematischen Kategorien betrachtet wurden, werden im Folgenden weitere Kategorien untersucht, die keine definitorische Komponente von Agonalität, sondern vielmehr spezifische Facetten und Ausformungen von Agonalität betreffen. Den Anfang macht die Thematik von Kampf und Krieg. 6.1.2.4 Kampf und Krieg Ein Kampf bzw. Krieg ist eine mit verschiedenen Mitteln geführte Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehr Akteuren, in der jeder danach strebt, den anderen zu besiegen bzw. selbst zu siegen. Eine solche Auseinandersetzung impliziert sowohl eine Opposition als auch eine Konkurrenz, da sich die beteiligten Akteure dabei als Gegner gegenüberstehen und jeweils nach dem Sieg streben. Damit weisen Kampf und Krieg die beiden definitorischen Merkmale von Agonalität auf. Doch beschreiben Kampf und Krieg, im Gegensatz zu den bislang betrachteten Kategorien Opposition und Konkurrenz, keinen Zustand, sondern Handlungen: Kampf und Krieg sind Auseinandersetzungen, Prozesse, die der Aushandlung konkurrierender Perspektiven dienen. Mit der Thematik von Kampf und Krieg wird Agonalität damit aus der Perspektive der Tätigkeit, des Handelns betrachtet und der Fokus nicht auf den Zustand, also das Vorhandensein konkurrierender Perspektiven, sondern auf die Aushandlung derselben, auf agonale Aushandlungsprozesse selbst gelegt. Kampf und Krieg weisen, wie im vorherigen Abschnitt deutlich wurde, auf konzeptueller Ebene viele Übereinstimmungen auf. Auch sind ihnen zahlreiche Versprachlichungsmittel gemeinsam (cf. infra). Aus diesen Gründen werden sie hier in einem Kapitel gemeinsam behandelt. Dies soll jedoch nicht über die Unterschiede zwischen den Konzepten hinwegtäuschen. Im Gegensatz zum Kampf zeichnet sich Krieg im engeren Sinne dadurch aus, dass er mit Waffengewalt ausgetragen wird, dass die beteiligten Akteure kollektive Akteure wie zum Beispiel Staaten oder Völker sind, dass er sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und dass er größeren Ausmaßes ist als ein Kampf.495
Cf. die folgenden Wörterbuchdefinitionen von Krieg: «mit Waffengewalt ausgetragener Konflikt zwischen Staaten, Völkern; größere militärische Auseinandersetzung, die sich über
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Die Relevanz von Kampf und Krieg für Agonalität lässt sich bis auf den konzeptionellen Ursprung des Begriffs in der griechischen Antike zurückführen: gr. ἀγών bedeutet u.a. ‘Kampf’ und diente der Bezeichnung verschiedener Kämpfe, zunächst sportlicher und musischer Wettkämpfe, später auch bewaffneter Auseinandersetzungen im Krieg (cf. Kapitel 2.2). Auch in der sprachwissenschaftlichen Forschung offenbart sich die Relevanz der Thematik von Kampf und Krieg für Agonalität. Dies bezeugen in erster Linie die Konzepte der semantischen und diskursiven Kämpfe. Darüber hinaus wurde die Relevanz von Versprachlichungsmitteln aus den Bereichen Kampf und Krieg als Indikatoren von Agonalität von der Forschung immer wieder herausgestellt (cf. Kerbrat-Orecchioni 1990–1994, vol. 2, 141–142; Stjernfelt 1994, 728–729; Mattfeldt 2018, 71; Weiland 2020, 128). Einige Agonalität indizierende Lexeme aus den Bereichen Kampf und Krieg im Französischen werden von Stjernfelt (1994, 728–729) (Verben) und Weiland (2020, 128) (Verben und Substantive) benannt. Mattfeldt führt, wenngleich sie die Agonalität indizierende Funktion der Kampf- und Kriegsmetaphorik hervorhebt (cf. Mattfeldt 2018, 71), keine thematischen Kategorien und entsprechende Versprachlichungsmittel mit Bezug zu den Bereichen Kampf und Krieg an. Die sprachlichen Ausdrücke, die auf Kampf und Krieg verweisen, sind äußerst vielfältig. Im Thésaurus Larousse wird der Thematik «Guerre et paix» ein ganzer Abschnitt gewidmet, der sich wiederum in drei Abschnitte gliedert: «Le conflit et le compromis», der u.a. die prototypische Kategorie 650 Guerre sowie die ebenfalls relevante Kategorie 649 Conflit enthält, «Les épisodes du conflit», in dem es um verschiedene Phasen innerhalb eines Kampfs oder Krieges geht (655 Attaque, 656 Défense, 657 Agression, 658 Coup, 659 Représailles, 660 Victoire, 661 Défaite, 662 Revanche), und schließlich «La force armée», in dem es um Streitkräfte und Waffen geht (663 Armée, 664 Armes, 665 Armement ancien, 666 Manœuvres, 667 Tir). Insgesamt lassen sich der Thematik von Kampf und Krieg damit 15 thematische Kategorien zuordnen, die eine Vielzahl an Ausdrücken umfassen. Ob dieser großen Vielfalt an Versprachlichungsmitteln versteht sich die folgende Aufstellung mehr denn je als exemplarisch.
einen längeren Zeitraum erstreckt» (Duden, s.v. Krieg); «organisierte, militärische Auseinandersetzung großen Ausmaßes und längerer Dauer zwischen Staaten, Machtgruppen oder Stämmen» (DWDS, s.v. Krieg); «Lutte armée entre groupes sociaux, et, spécialt, entre États, considérée comme un phénomène social et historique» (GR, s.v. guerreI); «Situation conflictuelle entre deux ou plusieurs pays, états, groupes sociaux, individus, avec ou sans lutte armée. […] A. Rapports conflictuels qui se règlent par une lutte armée, en vue de défendre un territoire, un droit ou de les conquérir, ou de faire triompher une idée» (TLFi, s.v. guerre).
6.1 Agonalitätsindikatoren
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Tabelle 11: Versprachlichungsmittel von Kampf und Krieg. Subst.
V.
Adj.
Adv. Aff.
bataille (), combat (), lutte (); guerre (); hostilités; guérilla; duel (); bagarre (), chambard; carnage, tuerie (), attentat () agression (), assaut (), attaque (); victoire (); anéantissement, élimination (); conquête (); occupation (); offensive (); rébellion (), résistance (), révolte (); défense (), défensive; capitulation (); échappatoire; défaite () agressivité, bellicisme, bellicosité, belligérance, combativité, hostilité (), pugnacité armée (), forces armées (), troupe (); arme (), armement (), désarmement (), réarmement (); front (), ligne de front (), avant, arrière; militaire (), militarisation (); champ de bataille adversaire (), antagoniste, égal; ennemi (); ami (), allié (), complice (), acolyte; batailleur, battant (), combattant (), lutteur; belligérant (), guerrier (); bagarreur; agresseur (), assaillant (), assiégeant, attaquant, envahisseur (), conquérant, défenseur (), résistant, rebelle; vaincu (), vainqueur (); commandement (), état-major (), chef des armées (), général (), maréchal (), militaire (), soldat () bagarrer, se bagarrer (), batailler (pour/contre qc), battre (), se battre (), faire du chambard, combattre (), lutter (); être en guerre (), faire la guerre (à/contre qn) (), se faire la guerre, mener une guerre (), guerroyer contre qn; mener ce/le/un combat (); être en lutte contre; se battre en duel agresser (), assaillir (), assiéger, attaquer (), s’attaquer à qn/qc (), envahir (), prendre à partie (), défier (), relever le défi (), déclarer la guerre, engager/commencer/déclencher les hostilités, ouvrir le feu (); conquérir (), occuper (); gagner (), vaincre (); anéantir (), écraser (), broyer (), déchirer (), éliminer (); chasser (); avoir le dessous, avoir le dessus; (se) défendre (); reculer (), céder (); (se) sauver (), (se) soustraire (), s’enfuir (), ficher le camp; perdre () armer (), s’armer (), se montrer armé (); désarmer (), se désarmer (); réarmer (), se réarmer () agressif (), batailleur, belliciste, belliqueux (), combattant (), combatif, conquérant (), guerrier (), pugnace; offensif (), défensif assiégé (), battu (), conquis (), défendu (), vaincu (), rebelle armé (), désarmé (), réarmé; militaire () allié (), ennemi (), hostile () militairement () belli- (), polém- (), polémo-
Davon die überwiegende Mehrheit (85 von 93 Okkurrenzen) mit Bezug auf Charles de Gaulle, üblicherweise le général de Gaulle oder auch nur le Général genannt.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Wie die Auflistung zeigt, dominieren unter den Versprachlichungsmitteln von Kampf und Krieg vor allem drei Wortarten, Substantive, Verben und Adjektive, und damit Autosemantika. Aus semantischer Sicht lassen sich die Termini unterschiedlichen Wortfeldern zuordnen: Ausdrücke, die sich auf den Kampf oder Krieg als Ganzes beziehen (Zeilen 1, 6 und 14), Ausdrücke, die den Kampf oder Krieg aus der Perspektive der beteiligten Akteure schildern und sich auf einzelne Phasen innerhalb des Kampfs oder Kriegs beziehen (Zeilen 2, 7 und 10), Ausdrücke, die sich auf eine kämpferische oder kriegerische Einstellung oder Haltung beziehen (Zeilen 3 und 9), Ausdrücke, die mit Streitkräften, Waffen und Bewaffnung in Verbindung stehen (Zeilen 4, 8, 11 und 13) sowie Ausdrücke, die sich auf am Kampf oder Krieg beteiligte Akteure und deren Rolle(n) beziehen (Zeilen 5 und 12).497 Innerhalb der einzelnen Wortfelder lassen sich teilweise weitere Binnendifferenzierungen vornehmen. So finden sich etwa in der zweiten Gruppe Ausdrücke, die sich auf den Beginn der Auseinandersetzung (défier, relever le défi, déclarer la guerre), auf einzelne Teilhandlungen (offensive, défense) oder auf den Ausgang (victoire, défaite; gagner, perdre) beziehen; auch stehen sich Termini, die das Geschehen aus der Perspektive des Angreifers (assaut, attaque), und Termini, die es aus der Perspektive des Angegriffenen schildern, gegenüber (défense, résistance). Teilweise besteht zwischen den Termini eine Relation der Antonymie, zum Beispiel attaque – défense, victoire – défaite, gagner – perdre. Wichtige Wortfamilien im Themenfeld Kampf und Krieg sind:
Die ersten beiden Kategorien sind an Stjernfelt (1994, 728–279) angelehnt, der innerhalb der agonalen Verben drei Gruppen unterscheidet: «Un groupe renvoie à l’ensemble de l’agôn, avec ‹lutter›, ‹se battre en duel›, ‹faire la guerre›, etc. […]. Un autre groupe est à l’aspect perfectif, orienté transitivement d’un des opposants à un autre et il représente diverses phases du conflit: le début, avec ‹défier›, ‹relever le défi›, ‹déclarer la guerre›, ‹agresser›, etc., et le résultat, ‹gagner›, ‹perdre› […]. Enfin un groupe représente uniquement les mesures tactiques prises par l’un des participants – également des verbes perfectifs et transitifs – tels que ‹tromper›, ‹feindre›, ‹simuler›, etc.» Die zweite und dritte Gruppe fasse ich zu einer zusammen, da eine trennscharfe Unterscheidung hier nicht immer möglich ist. Nicht nur beziehen sich all diese Termini auf Teilaspekte eines Kampfs oder Kriegs und schildern diesen aus der Perspektive einer der beteiligten Akteure, sondern auch die Phasen sind nicht immer klar zu unterscheiden. Ein Überfall (assaut, assaillir) zum Beispiel kann einen Krieg auslösen oder auch eine Handlung inmitten eines Kriegs sein; eine Eroberung (conquête, conquérir) kann das Ende eines Kriegs markieren oder nur eine Etappe im Verlauf des Krieges darstellen.
6.1 Agonalitätsindikatoren
– – – – – – – –
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guerre, guerrier, guerroyer < fränk. ✶werra belligérant, belliqueux, belligérance, bellicisme, belliciste, belli- < lat. BELLUM und verwandte Termini bataille, battant, (se) battre, battu < lat. BATTUERE und verwandte Termini combat, combattant, combattre < lat. COMBATERE, spätlat. COMBATTUERE lutte, lutter, lutteur < lat. LUCTARE bzw. spätlat. LUCTA vaincre, vaincu, vainqueur, victoire < lat. VINCERE (se) défendre, défendu, défense, défenseur, défensif < lat. DEFENDERE arme, armé, armée, armement, (s’)armer < lat. ARMA bzw. ARMARE
Im Korpus spielen Kampf und Krieg eine zentrale Rolle. Entsprechende Versprachlichungsmittel sind, wie die Zahlen in Tabelle 11 belegen, äußert frequent. Doch auch in qualitativer Hinsicht kommt der Thematik eine große Bedeutung zu, insbesondere da die Ausdrücke nicht nur im wörtlichen, sondern auch im metaphorischen Sinne verwendet werden. Metaphern begreife ich dabei nicht im traditionellen Sinne als rhetorische Figuren, sondern im Sinne der kognitiven Metapherntheorie als kognitives Instrumentarium. Die kognitive Metapherntheorie, die auf das epochemachende Werk Metaphors We Live By von Lakoff/Johnson (1980) zurückgeht, fußt auf der Annahme, dass das menschliche Denken metaphorisch geprägt ist, dass Menschen also beim Denken, Erkennen und (Sprach-)Handeln auf Metaphern zurückgreifen. Metaphern sind damit Ausdruck konzeptueller Repräsentation; sie spiegeln grundlegende Konzeptualisierungsmuster der Kognition wider (cf. Lakoff/Johnson 1980; Croft/Cruse 2004; Kövecses 2016; Gibbs 2018). Für politischen Sprachgebrauch sind konzeptuelle Metaphern von besonderem Interesse. Bereits Lakoff/Johnson (1980, 236) haben auf die Relevanz von Metaphern für den politischen Sprachgebrauch hingewiesen. Inzwischen gelten Metaphern und die Analyse derselben als zentrales Element bei der Untersuchung politischen Sprachgebrauchs (cf. Mio 1997; Musolff 2016; 2017; Drommler 2017; Spieß 2017). Gerade in Bezug auf konkurrierende Perspektivierungen und den Kampf um Deutungshoheit sind sie von besonderer Relevanz (cf. Hanne/ Crano/Mio 2015; Breeze/Llamas Saíz 2020). Dies zeigt sich auch in dem großen Interesse, das der Analyse politischen Sprachgebrauchs im Rahmen der Framing-Theorie entgegengebracht wird (cf. z.B. Lakoff/Wehling 2008/2014; Wehling 2016; 2017; cf. auch Kapitel 2.6.5). Nach Niehr (2014c, 144) ist die große Bedeutsamkeit konzeptueller Metaphern für den politischen Sprachgebrauch auf zwei Gründe zurückzuführen: «Zunächst bündelt sich in ihnen [= in konzeptuellen Metaphern; meine Anm.] ein Implikationspotenzial, das besonders geeignet ist, um kommunikationsstrategisch ausgebeutet
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
zu werden. Und zweitens besteht eine wichtige Eigenschaft solcher Metaphern darin, bestimmte Eigenschaften am metaphorisierten Gegenstand hervorzuheben und andere auszublenden.»
Dies trifft auch auf die Kampf- und Kriegsmetaphorik zu. Bei der Kampf- und Kriegsmetaphorik werden Eigenschaften aus den Quellbereichen Kampf bzw. Krieg auf verschiedene Zielbereiche übertragen.498 Typische Zielbereiche sind zum Beispiel Politik und Terrorismusbekämpfung (zu beiden ausführlicher unten), Sprache bzw. das Sprechen (auch dazu ausführlicher unten), Handel,499 Wirtschaft und Finanzen500 sowie Krankheit.501 Die Kampf- und Kriegsmetaphorik ist im politischen Sprachgebrauch weit verbreitet (cf. Becker 2004, 359–364; Harms 2008; Flusberg/Matlock/Thiodeau 2018; Meyer/Serbina 2019, 620).502 Wie sich dies konkret gestaltet, soll auf der Grundlage des Korpus am Beispiel folgender Ausdrücke untersucht werden: bataille, combat, lutte; (se) battre, combattre, lutter; battant, combattant, luttant sowie guerre, être en guerre, faire la guerre und guerrier. Bataille, combat und lutte sind die prototypischen Versprachlichungsmittel von ‘Kampf’. Wie eine vergleichende Analyse ihrer Definition im GR und TLFi zeigt, sind all diese Termini polysem (semantischer Inhalt). In einigen ihrer Bedeutungen bzw. Bedeutungsnuancen stimmen die Termini zudem überein und sind damit teilweise synonym (semantische Relationen). Stark vereinfacht lassen sich folgende Bedeutungs- und Bezeichnungskorrespondenzen unterscheiden: 1. ‘militärische Auseinandersetzung, Schlacht’ (bataille, combat, lutte) 2. ‘handgreifliche Auseinandersetzung, Prügelei, Schlägerei’ (bataille, combat, lutte) 3. ‘Kontroverse zwischen zwei oder mehr Akteuren hinsichtlich ihrer Auffassungen, Interessen, Ziele’ (bataille, combat, lutte) 4. ‘Anstrengung eines Akteurs, um etwas zu erreichen oder zu verhindern; Einsatz für oder gegen etwas’ (combat, lutte) 5. ‘(sportlicher) Wettkampf’ (combat, lutte) Zugleich ist auch das umgekehrte Phänomen, also Metaphern mit Kampf bzw. Krieg als Zielbereich, zu beobachten. Das Sprechen vom Kampf oder Krieg in Metaphern wird als rhetorische Strategie betrachtet, die den Zweck hat, den Krieg zu legitimieren und teilweise auch gezielte Kriegspropaganda zu betreiben (cf. Lakoff 1992; Steuter/Wills 2008; Kirchhoff 2010). Zur als TRADE IS WAR bezeichneten Metapher cf. Eubanks (2000). Davon zeugen Ausdrücke wie guerre économique oder guerre des monnaies (beide im Korpus belegt). Diese Metapher ist im Korpus nicht belegt. Beispiele wären Formulierungen wie Krieg gegen den Krebs oder Krieg gegen das Virus führen (auch hier ist zugleich die umgekehrte Metapher KRIEG IST KRANKHEIT attestiert, cf. z.B. Drewermann 2002: «Krieg ist Krankheit, keine Lösung»). Steinert (2003) sieht darin ein typisches Merkmal populistischen Sprachgebrauchs.
6.1 Agonalitätsindikatoren
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Im Korpus ist die an vierter Stelle angeführte Bedeutung ‘Anstrengung eines Akteurs, um etwas zu erreichen oder zu verhindern; Einsatz für oder gegen etwas’ am frequentesten. Sie spielt im Wahlkampf eine zentrale Rolle, da es im Wahlkampf in besonderem Maße darum geht, sich für oder gegen etwas einzusetzen bzw. zu bekunden, dass man sich im Falle eines Wahlsiegs für oder gegen etwas einsetzen wird (cf. 46a). Diese Bedeutung wird im Korpus – entgegen der Angaben in den Wörterbüchern – durch alle drei Substantive realisiert, die hier nahezu bedeutungsgleich verwendet zu werden scheinen (cf. 46b).503 (46) a. BH: Je m’engage en tout cas à mener cette bataille (Rede, 19.03.2017). b. EM: Notre combat, ce sera aussi le combat pour l’égalité. […] L’égalité que je défends, c’est […]. Cette bataille pour l’égalité, mes amis, ce sera aussi celle pour la sécurité, la lutte contre les déserts médicaux, ce sera aussi celle contre les discriminations (Rede, 04.02.2017). Darauf folgt die an dritter Stelle angeführte Bedeutung ‘Kontroverse zwischen zwei oder mehr Akteuren hinsichtlich ihrer Auffassungen, Interessen, Ziele’. Sie spielt im Wahlkampf eine wesentliche Rolle, da ein Wahlkampf letztlich genau das ist: eine Auseinandersetzung verschiedener Kandidaten hinsichtlich ihrer Positionen in Bezug auf verschiedene politische Inhalte. Dies belegen auch Ausdrücke wie dt. Wahlkampf oder frz. bataille électorale, die längst fest im Wortschatz und im Denken der Menschen verankert sind und damit von der Konzeptualisierung des Wahlkampfs als Kampf zeugen. Doch nicht nur der Wahlkampf, auch die Politik insgesamt wird oftmals als Kampf bzw. Krieg konzeptualisiert (cf. auch Kövecses 2002, 62; Buch 2007; Kudla 2008; Niehr 2014c, 146; Musolff 2016, 7–23). Im Korpus wird dies durch Syntagmen wie bataille politique (BH, TVInterview, 12.04.2017), combat politique (MLP, Rede, 07.05.2017), bataille idéologique (JLM, TV-Duell, 20.03.2017), combats idéologiques (MLP, Rede, 05.02.2017) sowie Aussagen wie die folgenden bezeugt: (47) a. PUB: On va gagner! On va gagner! FF: Oui, cette bataille, nous allons la gagner! (4,0) J’en ai mené des combats. J’en ai gagné des campagnes électorales. Alors croyez-moi, si je vous dis que la victoire se donne rarement à ceux qui croient avoir déjà course gagnée, la victoire vient à ceux qui donnent TOUT jusqu’au DERNIER jour, à ceux pour qui CHAQUE instant est une conquête (Rede, 09.04.2017).
Wohl aber unterscheiden sich die Substantive im Hinblick auf die Frage, ob sie zur Versprachlichung eines Kampfs für oder gegen etwas gebraucht werden (cf. infra).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
b. EM: Ma conviction et ma certitude, c’est que CETTE élection, c’est que DIMANCHE prochain, ouvre le GRAND combat, le GRAND combat (.) de la volonté (.) contre le renoncement, de l’optimisme (.) contre la nostalgie trompeuse, de la transformation profonde (.) contre l’immobilisme (.) ou la restauration (Rede, 17.04.2017). Während sich Beispiel (47a), in dem eine bemerkenswerte Vielfalt an Ausdrücken aus dem Bereich der Kampf- und Kriegsmetaphorik herrscht (bataille, combats, conquête, course gagnée, gagner, victoire), überwiegend auf den Wahlkampf bezieht, geht es in (47b) eindeutig um das, was auf die Wahl folgen wird – «dimanche prochain» bezieht sich auf den 23. April 2017, an dem der erste Wahlgang stattfand –, und damit um die Politik insgesamt. Die konzeptuelle Metapher POLITIK IST KAMPF/KRIEG ist für politischen Sprachgebrauch aus zwei Gründen von besonderem Interesse. Zum einen ergeben sich daraus Implikationen wie die folgenden: – Wenn Politik Kampf/Krieg ist, dann kommt es darauf an, zu gewinnen. – Wenn Politik Kampf/Krieg ist, dann gibt es einen Gegner, den es zu bekämpfen gilt. Zum anderen werden durch die Metapher POLITIK IST KAMPF/KRIEG nur bestimmte Eigenschaften am metaphorisierten Gegenstand hervorgehoben und andere ausgeblendet. Hervorgehoben werden zum Beispiel die Situation der Opposition und Konkurrenz, die die Politik ebenso wie den Kampf bzw. Krieg prägt, sowie der Prozess der Aushandlung und Auseinandersetzung, der sowohl in der Politik als auch im Kampf bzw. Krieg eine wichtige Rolle spielt. Ausgeblendet hingegen werden zum Beispiel die Tatsache, dass ein Kampf bzw. Krieg auch mit Handgreiflichkeiten und sogar Waffengewalt geführt werden kann, was auf die Politik im engeren Sinne nicht zutrifft – im weiteren hingegen schon. «Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln» heißt es bei Clausewitz (1832–1834, vol. 1, 210); «Die Politik ist Krieg ohne Blutvergießen, der Krieg ist Politik mit Blutvergießen», schreibt später Mao Tse-tung (zit. nach Freudenberg 2019, 4).504 Die Metapher POLITIK IST KAMPF/KRIEG weist auf die enge Verknüpfung hin, die zwischen diesen beiden Bereichen (nicht nur) auf konzeptueller Ebene besteht. Die prototypischen Verben, die der Versprachlichung des Konzepts KÄMPFEN dienen, sind (se) battre, combattre und lutter. Sie sind, ähnlich wie die Substan-
Zum komplexen Verhältnis von Krieg und Politik bei Clausewitz cf. Weil (1955); Wille (2020); zu Mao Tse-tungs Bezugnahme auf Clausewitz cf. Zhang Yuanlin (1999); Halbeisen (2011); Freudenberg (2019).
6.1 Agonalitätsindikatoren
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tive, polysem und im Hinblick auf einige Bedeutungen bzw. Bedeutungsnuancen synonym. Auf der Grundlage der Wörterbuchdefinitionen ergeben sich folgende Bedeutungs- und Bezeichnungskorrelationen: 1. ‘unter Einsatz von Waffen eine militärische Auseinandersetzung führen’ (combattre, lutter) 2. ‘sich handgreiflich mit jemandem auseinandersetzen’ (se battre, se combattre, lutter) 3. ‘eine heftige Kontroverse mit jemandem führen, sich (ohne Waffen und Handgreiflichkeiten) mit jemandem auseinandersetzen’ (se battre, se combattre, lutter) 4. ‘sich bemühen, etwas zu erreichen oder zu verhindern; sich für oder gegen etwas einsetzen’ (se battre (pour/contre), combattre qn/qc, combattre pour/ contre, lutter pour/contre) 5. ‘schlagen, besiegen’ (battre qn/qc) 6. ‘sich messen mit, wetteifern, konkurrieren, rivalisieren’ (lutter de/à) Auch hier sind, aus denselben Gründen wie bei den Substantiven, die unter 3. und 4. angeführten Bedeutungsdimensionen für den Wahlkampf und die Politik insgesamt besonders relevant. Im Korpus dominiert die an vierter Stelle angeführte Bedeutungsvariante: 71% der Okkurrenzen von se battre sind in der 1. Ps. (Sg. oder Pl.), die ausschließlich eine reflexive, keine reziproke Lesart und damit Bedeutungsdimension 4 statt 3 zulässt; combattre wird in 91% aller Fälle transitiv, d.h. mit direktem Objekt, und damit in der Bedeutung ‘bekämpfen’ gebraucht, die ebenfalls Bedeutungsdimension 4 zuzuordnen ist; lutter wird ausschließlich transitiv in Verbindung mit contre verwendet und ist damit ebenfalls Bedeutungsdimension 4 zuzuordnen. Für den Wahlkampf ebenfalls relevant, wenngleich im Korpus nicht belegt, ist die hier an fünfter Stelle angeführte und ausschließlich von battre qn/qc realisierte Bedeutungsdimension ‘schlagen, besiegen’. Sie beschreibt genau das, worum es im Wahlkampf letztlich geht, darum, den Gegner zu ‘schlagen’, zu ‘besiegen’, indem man mehr Stimmen erhält als jener. In einem Interview mit Le Point am 30.04.2017, genau eine Woche vor dem zweiten Wahlgang, bringt Le Pen dies auf den Punkt, wenn sie in Bezug auf Macron sagt: «Je crois tout à fait que je peux le battre» (Le Parisien 2017). Mit Ausdrücken des Kampfs kann auch eine Positionierung zum Ausdruck gebracht und eine Handlungsabsicht bekundet und damit eine Stellungnahme vollzogen werden.505 So impliziert zum Beispiel die Formulierung je me battrai
Zu diesen agonalen Diskurshandlungen cf. Kapitel 6.2.4.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
pour die Positionierung für etwas und die Absicht, sich dafür einzusetzen. In diesem Zusammenhang ist eine interessante Korrelation zwischen den gewählten Lexemen auf der einen Seite und der Frage, ob es sich um einen Kampf für oder gegen etwas handelt, auf der anderen zu konstatieren. Während lutte und lutter fast ausschließlich der Versprachlichung des Kampfs gegen etwas vorbehalten zu sein scheinen, werden bataille und combat überwiegend, wenn auch nicht ausschließlich zur Versprachlichung des Kampfs für etwas verwendet. Combattre dient, da es hauptsächlich in der Bedeutung ‘bekämpfen’ gebraucht wird, ebenfalls primär der Versprachlichung des Kampfs gegen etwas. Se battre wird nicht ausschließlich, aber überwiegend zur Versprachlichung des Kampfs für etwas gebraucht, wohl auch, da hier eine Leerstelle entsteht, da lutter und combattre den Negativ-Kontexten vorbehalten sind. 400 300 200 100 0 bataille(s)
se battre
combat(s)
pour + Subst.
combattre
lutte(s)
lutter
contre + Subst.
Abbildung 14: Das syntaktisch-semantische Muster ‹KAMPF/KÄMPFEN FÜR/GEGEN›.506
Inhaltlich geht es im Korpus in erster Linie um den Kampf gegen den Terrorismus (cf. ausführlicher infra). An zweiter Stelle stehen soziale Themen, zum Beispiel der Kampf gegen Armut,507 soziale Ungleichheit, prekäre Lebensverhältnisse oder Diskriminierung. Es folgen wirtschaftliche Themen wie der Kampf gegen Arbeitslosigkeit und unlauteren Wettbewerb; eine große Rolle spielt auch der Kampf gegen Steuerhinterziehung. Ebenfalls häufig genannt werden der Kampf gegen die sogenannten déserts médicaux im Bereich der Gesundheit, der Kampf gegen den Klimawandel508 und der Kampf gegen Kriminalität. Was den Kampf für etwas angeht, so wird am häufigsten der Kampf für die in der Devise der französischen
Die Angaben zu combattre entsprechen nicht dem – inkorrekten – Muster ‹combattre + pour/ contre + Subst.›, betreffen wohl aber in semantischer Hinsicht die Positionierung gegen etwas. Der Kampf gegen Armut ist eine besonders weit verbreitete Metapher (cf. Farmbry 2014). Auch die Metapher vom Kampf bzw. Krieg oder auch Rennen gegen den Klimawandel ist weit verbreitet (cf. Flusberg/Matlock/Thibodeau 2017).
6.1 Agonalitätsindikatoren
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Republik genannten Werte thematisiert: der Kampf für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Bleiben im Bereich des Kampfs noch die Bezeichnungen für den Akteur, den KÄMPFER, der als battant, combattant oder lutteur bezeichnet werden kann. Eine Analyse der Definitionen in GR und TLFi zeigt, dass auch diese Termini polysem und im Hinblick auf einige Bedeutungen bzw. Bedeutungsvarianten synonym sind. 1. ‘Soldat, der im Kampf in der Schlacht steht; Kriegsteilnehmer’ (combattant) 2. ‘Akteur, der an einer handgreiflichen Auseinandersetzung beteiligt ist’ (lutteur, combattant) 3. ‘kämpferische Persönlichkeit, Kämpfernatur’ (battant, lutteur) 4. ‘Ringer, Ringkämpfer [SPORT]’ (lutteur) 5. ‘Sportler, der sich durch besonderen Kampfgeist auszeichnet’ (battant, combattant) Im Korpus sind die Termini äußerst selten. Lutteur ist gar nicht belegt, für combattant gibt es fünf Belege, alle in der Bedeutung ‘Soldat, der im Kampf in der Schlacht steht; Kriegsteilnehmer’, und einen Beleg für battant in der Bedeutung ‘kämpferische Persönlichkeit, Kämpfernatur’. Letzterer ist besonders interessant, da er auf eine zentrale Funktion der Kampf- und Kriegsmetaphorik hinweist, die Inszenierung als Kämpfernatur, die im Wahlkampf ein zentrales Mittel der positiven Selbstbildkonstruktion ist. Dies geschieht bereits implizit durch Formulierungen wie je me battrai (59 Okkurrenzen), kann aber auch, wie die folgenden Beispiele zeigen, explizit gemacht werden: (48) a. EM: Moi je suis un guerrier, un battant (TV-Interview, 20.04.2017). b. EM: Ce ne sera pas facile. Nous ne le ferons pas en un jour. Et peut-être ne réussirons-nous pas TOUT. Mais nous nous battrons. Comme nous allons nous battre dans les jours qui viennent. Parce que nous sommes des guerriers! PUB: Oui! EM: Parce que vous êtes des guerriers! (Rede, 17.04.2017). c. BH: Je veux être aussi un président combattant. Combattant face à Poutine et la Russie, combattant face aux États-Unis de Trump, face à la Chine, face à nos intérêts qu’il faut défendre dans une Europe austéritaire, combattant pour défendre VOS intérêts, à vous retraités, à vous travailleurs, à vous junj/ jeunes, face aux lobbys, face aux puissances de l’argent. Pour faire en sorte que demain (.) vous soyez sûrs (.) d’avoir un président (.) qui sait pour qui il se bat. Honnête, combattant, humain. Voilà qui je suis (TV-Duell, 04.04.2017).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Wie diese Beispiele belegen, greifen Kampf- und Kriegsmetaphorik teilweise eng ineinander. So wird guerrier – im Korpus lediglich viermal und ausschließlich bei Macron belegt – ebenfalls zur Inszenierung einer Kämpfernatur gebraucht. Tendenziell zeichnet sich die Kriegsmetaphorik im Vergleich zur Kampfmetaphorik dadurch aus, dass sie durch die ihr inhärente Semantik eine Polarisierung und Zuspitzung der Lage bewirkt. Dies soll im Folgenden ausführlicher beleuchtet werden. Guerre, von fränk. ✶werra, das die gelehrten Formen lat. bellum und gr. polemos abgelöst hat, ist das prototypische Versprachlichungsmittel für KRIEG. Laut TLFi dient guerre in erster Linie der Bezeichnung einer ‘Situation conflictuelle entre deux ou plusieurs pays, états, groupes sociaux, individus, avec ou sans lutte armée’ (TLFi, s.v. guerre) und kann darüber hinaus weitere, von dieser abgeleitete Bedeutungen annehmen. Im Grand Robert ist neben einer wörtlichen Bedeutung, die der im TLFi angegebenen entspricht, eine weitere, übertragene Bedeutung verbucht: ‘Combat, lutte. Guerre littéraire, poétique; Conflit (entre choses). [Synon.] Combat, lutte’ (GR, s.v. guerreII.1,2). Im Korpus wird guerre sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne gebraucht; teilweise treten wörtliche und metaphorische Lesart auch als eng miteinander verwoben auf. Dies gilt auch für den im Korpus am häufigsten thematisierten Krieg, den Krieg gegen den Terror. Die Metapher TERRORISMUSBEKÄMPFUNG IST KAMPF/KRIEG ist im Korpus omnipräsent.509 Dies spiegelt sich unter anderem in der Häufigkeit von n-Grammen wie lutt✶ contre le terrorisme (93 Okkurrenzen) und lutt✶ contre les terroristes (20 Okkurrenzen). Auch wird der Kampf gegen den Terror immer wieder explizit als primäres Ziel benannt: (49) a. EM: […] le premier de nos combats, ce sera celui contre le terrorisme (Rede, 04.02.2017). b. FF: […] la lutte contre le terrorisme, ça doit être la priorité absolue du prochain président de la République (TV-Interview, 20.04.2017). Wörtliche und metaphorische Lesart sind beim Kampf bzw. Krieg gegen den Terror eng miteinander verwoben. Auf der einen Seite handelt es sich um eine
Wie eine Kollokatorenanalyse zeigt, wird der Terrorismus als Gegner konzeptualisiert (contre ist hochsignifikanter Kollokator zu terrorisme, terroriste, fondamentalisme, totalitarisme und islamisme), den es zu bekämpfen gilt (lutter und lutte sind Kollokatoren von terrorisme und totalitarisme, lutter von terroriste und lutte von Daech). Der Terrorismus sei eine Gefahr (menace ist Kollokator von terroriste), vor der man die Franzosen beschützen müsse (protéger ist Kollokator von terrorisme); er müsse besiegt und ausgerottet werden (vaincre ist Kollokator zu totalitarisme, éradique zu Daech), um die Sicherheit der Franzosen zu gewährleisten bzw. wiederherzustellen (sécurité ist Kollokator zu terrorisme).
6.1 Agonalitätsindikatoren
379
mit Waffengewalt geführte Auseinandersetzung zwischen kollektiven Akteuren wie Staaten oder Völkern und damit um einen Krieg im wörtlichen Sinne. Davon zeugt etwa Frankreichs Einsatz von Streitkräften gegen den Islamischen Staat ab Herbst 2014 im Irak und ein Jahr später in Syrien. Auf der anderen Seite ist es aber auch ein Krieg im metaphorischen Sinne, ein Kampf, der mit anderen als militärischen Mitteln ausgefochten wird, ein Konflikt, der nicht nur zwischen Staaten, sondern auch zwischen Wertvorstellungen und Ideologien besteht. Dies illustriert das folgende Zitat, in dem Le Pen fordert, nicht nur den Terrorismus, sondern auch die hinter diesem stehende Ideologie, den sogenannten fondamentalisme islamiste, zu bekämpfen, und dies mit verschiedensten Maßnahmen, wie der Schließung ‘radikaler Moscheen’, der Ausweisung von Imamen, die als Hassprediger auftreten, oder der Ausweisung von Ausländern, die einen Eintrag in der Gefährder-Datenbank haben. (50) MLP: Et puis il faut s’attaquer à la racine du mal parce que le terrorisme, c’est l’arme qui est dans la main du fondamentalisme islamiste, qui est une idéologie totalitaire. Et là non plus, rien n’a été fait. Il faut s’attaquer au communautarisme, il faut s’attaquer au développement de ce fondamentalisme islamiste dans nos banlieues, financé par des pays étrangers, s’attaquer au recul de la laïcité, il faut fermer les mosquées radicales, il faut expulser (.) il faut expulser les imams qui prêchent la haine, expulser l’intégralité des fichés S étrangers/ (TV-Interview, 20.04.2017). Eine besondere Ambivalenz besteht bei dieser Metapher im Hinblick auf die Zuschreibung der Täter- bzw. Opferrolle. Einerseits wird dem Terror der Krieg erklärt (51a–c), andererseits werden der Terror bzw. die Terroristen als diejenigen dargestellt, die einen Krieg gegen Frankreich und andere westliche Demokratien führen (52a–b). Während Frankreich im ersten Fall die Täterrolle zugeschrieben wird und damit seine Stärke und Wehrhaftigkeit betont werden, wird ihm im zweiten Fall die Opferrolle zugeschrieben und seine Schuldlosigkeit in den Fokus gerückt. Gemeinsam ist beiden Fällen, dass der Krieg als notwendiges und legitimes Mittel der Terrorismusbekämpfung aufgefasst wird: (51) a. FF: Je ferai la guerre au totalitarisme islamique PARTOUT où il tente de s’infiltrer sur notre territoire (Rede, 09.04.2017). b. MLP: Alors oui, je dis que effectivement TOUT n’a pas été fait, c’est le MOINS qu’on puisse dire, pour mener la GUERRE contre le fondamentalisme islamiste […] (TV-Duell, 20.03.2017).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
c. EM: […] la cause première (.) CE sont les djihadistes, (.) CE sont les terroristes. C’est pour ça d’ailleurs que je veux mener une guerre intraitable HORS de nos frontières (.) contre l’Irak et la Syrie (TV-Duell, 03.05.2017). (52) a. FF: L’état d’urgence est partout. […] Dans cette guerre, que le totalitarisme islamique a déclaré aux sociétés libres et en premier lieu à la France […] (Rede, 09.04.2017). b. MLP: Être Français, c’est dans la guerre qui nous est menée (.) être du côté de la France, et du côté de la France (.) seulement. […] Dans la lutte contre le terrorisme, il faut impérativement arrêter l’angélisme (Rede, 17.04.2017). Die Metapher vom Krieg gegen den Terror ist nicht nur in Frankreich allgegenwärtig. Lakoff/Wehling (2008/2014, 126–142, hier 126), die die Metapher vom Krieg gegen den Terror im politischen Sprachgebrauch der USA untersuchen, sprechen in diesem Zusammenhang von einer regelrechten «Erfolgsgeschichte einer Todesmetapher». Die Metapher birgt eine Vielzahl politischer Implikationen (cf. Andréani 2004; Kirchhoff 2018). Sie wirkt simplifizierend und dichotomisierend, indem die Welt in zwei Lager geteilt wird, das der Guten und das der Bösen. Es wird ein klares Feindbild konstruiert, das des Terrorismus, und suggeriert, dieses besiegen zu können. Die Metapher dient der Legitimation politischen Handelns; militärische Maßnahmen werden überakzentuiert. Zudem wird durch die Metapher ein verzerrtes Bild der Realität entworfen: Der Krieg gegen den Terror ist ein «Krieg, der nie gewonnen werden konnte, weil er keiner war» (Lakoff/ Wehling 2008/2014, 130) (cf. auch Hülsse/Spencer 2008; Kirchhoff 2018, 184–186). Die Bevölkerung Frankreichs und anderer westlicher Länder befindet sich nicht in einer dem ersten oder zweiten Weltkrieg vergleichbaren Situation, die die Vorstellung vom Krieg im kollektiven Gedächtnis wesentlich prägen. Durch Aussagen wie «Nous sommes en guerre» (FF, TV-Duell, 04.04.2017) werden Ängste geschürt und daraus politisches Kapitel geschlagen. Nicht zuletzt deshalb ist die Metapher vom Krieg gegen den Terror auch immer wieder Gegenstand von Kritik.510 Letzteres gilt auch für die Metapher vom Bürgerkrieg, der «guerre civile». Im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 evozierten zwei Kandidaten die Vorstellung eines Bürgerkriegs: Fillon, der die Regierung für ein «climat de quasi-guerre civile» verantwortlich machte (53a), und Le Pen, die in Anbetracht
Cf. z.B. Kauffmann (2015) in Bezug auf die Verwendung der Metapher vom Krieg gegen den Terror durch François Hollande.
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381
der zunehmenden Immigration das Szenario eines nahenden Bürgerkriegs entwarf (53b): (53) a. FF: En tant qu’ancien Premier ministre, en tant qu’élu de la Nation, j’accuse solennellement le Premier ministre et le gouvernement de ne pas assurer les conditions d’un exercice serein de la démocratie. Ils portent une très lourde responsabilité en laissant se développer dans le pays un climat de quasi-guerre civile qui ne peut que profiter aux extrêmes (Communiqué, 26.02.2017, zit. nach Le Monde 2017). b. MLP: Depuis 40 ans au moins tout observateur lucide et objectif voit monter les problèmes quand depuis trop d’années […] la perspective d’une guerre civile n’est plus un fantasme (Conférence 13.03.2017, zit. nach L’Express 2017b). Diese Redeweise wurde von anderen scharf kritisiert. Der damalige Innenminister Bruno Le Roux verurteilte Fillons Worte als «allégations mensongères» und «tentative de diversion grossière» (Ministère de l’Intérieur 2017). Hamon spricht von einer «formule-choc éloignée de la réalité» (zit. nach franceinfo 2017) und Macron wirft seinen Gegenkandidaten vor, Ängste zu schüren (cf. auch franceinfo 2017): (54) EM: Quand j’entends des discours de guerre civile, quand j’entends tout ce qui a été dit, quand même, dans les propos liminaires, (.) là, c’est vouloir semer la peur (TV-Duell, 20.04.2017). Diese Reaktionen zeugen von dem großen Potenzial, aber auch der häufigen Unverhältnismäßigkeit der Kriegsmetapher.511 Die Kriegsmetapher liefert einfache Antworten auf komplexe Fragen, das Kriegsszenario lässt keinen Raum für Nicht zuletzt deshalb ist sie immer wieder Gegenstand von Kritik (cf. auch Simons 2015 und Huckins 2016). Was für die Metaphern des Kriegs gegen den Terror und des Bürgerkriegs gilt, gilt auch für den Krieg gegen das Virus, die im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie von vielen Politikern bemüht wurde, von Macron über Boris Johnson und Pedro Sánchez in Großbritannien und Spanien bis hin zu Donald Trump und Joe Biden in den USA (für eine vergleichende Analyse aus romanistischer Perspektive cf. Hesselbach 2020). Der Vergleich wurde nicht nur in der französischen Presse, sondern weltweit vielfach als unpassend und unangemessen kritisiert (zu Macron cf. Bretton 2020; Cabanes 2020; zum internationalen Echo cf. Hank 2020 und Meinel/Möllers 2020 in der FAZ; Westbrook 2020 in der NYT; Löhndorf 2020 und Widmer 2020 in der NZZ; aus politikwissenschaftlicher Perspektive sprach- und länderübergreifend cf. Pasler 2020). Die Politiker scheinen sich dieser Problematik zumindest teilweise bewusst zu sein und auch auf diese zu reagieren. So sagt etwa Lobin (2019, 5), dass es hinsichtlich der Kriegsmetapher «die Übereinkunft gibt, sie nicht kreativ zu erweitern und von einer ‹Jagd› auf den politischen Gegner zu sprechen, wie es der
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Differenzierungen zu; sie suggeriert absolute Dringlichkeit und Notwendigkeit und erlaubt keinen Widerspruch (cf. Hartmann-Mahmud 2002; Flusberg/Matlock/Thibodeau 2018). In ihrer Absolutheit trägt die Kriegsmetapher in besonderer Weise dazu bei, bestehende Konfrontationen zu befeuern und den Grad der Agonalität zumindest auf rhetorischer Ebene zu steigern. Abschließend soll noch ein Blick auf die im Korpus nicht belegte, aber im Hinblick auf Agonalität besonders interessante metaphorische Redeweise von der Sprache bzw. dem Sprechen als Kampf bzw. Krieg geworfen werden. Bereits Lakoff/Johnson (1980, 4) beschreiben die von ihnen als ARGUMENT IS WAR bezeichnete Metapher, deren Pertinenz seitdem durch zahlreiche Studien belegt wurde.512 Von der Konzeptualisierung des Sprechens als Kampf zeugen Formulierungen wie semantische Kämpfe, diskursive Kämpfe oder Besetzen von Begriffen. Für das Französische wird die Verwendung der Kriegsmetapher in Bezug auf sprachliche Auseinandersetzungen bereits früh durch Kerbrat-Orecchioni (1980a, 6–7) beschrieben, die die bildhafte, nicht-wörtliche Bedeutung dieser metaphorischen Redeweise unterstreicht: «La polémique est donc une guerre verbale; mais ce n’est qu’une guerre verbale. […] la polémique n’est guerre que pour de rire: petite guerre ou fantasia, simulacre et substitut de la guerre littérale, les boulets qu’elle tire, aussi rouges soient-ils, ne tuent que symboliquement» (Hervorhebungen im Original). Durch die Metapher ARGUMENTIEREN IST KRIEG – so die deutsche Übersetzung der von Lakoff/Johnson (1980) beschriebenen Metapher (cf. Lakoff/Johnson 2018, 12) – wird der Prozess der diskursiven Aushandlung selbst als Krieg konzeptualisiert und damit als in besonderem Maße von Agonalität geprägt charakterisiert. Wie die Ausführungen gezeigt haben, spielt die Thematik von Kampf und Krieg eine zentrale Rolle für politischen Sprachgebrauch und agonale Diskurse insgesamt. Dabei sind insbesondere vier Aspekte wegweisend: Erstens dienen Versprachlichungsmittel aus den Bereichen Kampf und Krieg dazu, zum Ausdruck zu bringen, wofür oder wogegen man sich einsetzt. Zweitens kann sich
Fraktionsvorsitzende der AfD, Alexander Gauland, am Abend der letzten Bundestagswahl [am 24. September 2017] getan hat». Korpuslinguistische Studien (Deignan 2008; Vereza 2008) demonstrieren, dass sich die Metapher auch empirisch nachweisen lässt, zeigen aber auch, dass die Zusammenhänge deutlich komplexer und vielschichtiger sind und die Kriegsmetapher auch auf zahlreiche andere Zielbereiche Anwendung findet. Zu einem ähnlichen Schluss war bereits Ritchi (2003) gekommen. Eine umfassende, monographische Untersuchung der Metapher hat Winters (2020) am Beispiel der Offenbarung des Johannes bzw. Apokalypse vorgelegt. Die in Rolland-Lozachemeur (2016) versammelten Studien bezeugen die vielfältige Verwendung der Metapher gerade im Französischen, von der Politik über die Religion bis hin zur Literatur. Für eine kritische Reanalyse der Metapher cf. Howe (2008).
6.1 Agonalitätsindikatoren
383
der Sprecher dadurch als Kämpfernatur, als eine von besonderem Kampfgeist getriebene Persönlichkeit inszenieren. Drittens sticht hervor, dass die Politik selbst als Kampf bzw. Krieg konzeptualisiert wird. Dies zeigt, dass die Politik ein in besonderer Weise von Agonalität geprägter Lebensbereich ist, und bestätigt die Relevanz des politischen Sprachgebrauchs als Anwendungsbereich für die Untersuchung von Agonalität. Doch nicht nur die Politik, auch die Sprache bzw. das Sprechen wird, viertens, als Kampf bzw. Krieg konzeptualisiert. Damit wird die Sprache bzw. das Sprechen, die bzw. das nicht nur zentrales Instrument der Politik – politisches Handeln erfolgt zu einem wesentlichen Teil durch sprachliches Handeln –, sondern auch vieler anderer Lebensbereiche ist, als in besonderem Maße von Agonalität, von agonalen Aushandlungsprozessen geprägt charakterisiert. Ebendiese agonalen Aushandlungsprozesse sind Gegenstand des folgenden Kapitels. 6.1.2.5 Streit Während Kampf und Krieg Auseinandersetzungen bezeichnen, die auch mit körperlichen Mitteln und sogar Waffen ausgetragen werden können, bezieht sich Streit auf eine «mit Worten ausgetragene, heftige Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehr persönlichen Gegnern, Zank» (DWDS, s.v. Streit1) und damit auf Auseinandersetzungen vornehmlich verbaler Natur.513 In einer verbalen Auseinandersetzung wie dem Streit werden verschiedene Perspektiven bzw. die auf diese erhobenen Geltungsansprüche unmittelbar von den beteiligten Akteuren ausgehandelt, die jeweils danach streben, die Diskurs- bzw. Deutungshoheit zu erlangen. Ein Streit impliziert damit, wie auch ein Kampf oder Krieg, eine Situation der Opposition und Konkurrenz und weist so die beiden konstitutiven Merkmale von Agonalität auf. Wie Kampf und Krieg bezieht sich auch der Streit nicht auf einen Zustand, sondern auf eine Handlung, auf agonale Aushandlungsprozesse selbst. Gegenstand des vorliegenden Kapitels sollen von Agonalität geprägte verbale Aushandlungsprozesse und damit der Streit im weiteren Sinne sein. Wie unter Bezugnahme auf Hesiod und im Anschluss an Assmann/Assmann (1990) gezeigt wurde, lässt sich nicht nur von einem «bösen Streit», sondern auch von einem «guten Streit» sprechen, von einer verbalen Auseinandersetzung, die der Aushandlung konkurrierender Perspektiven dient (cf. Kapitel 2.4.5). Streit ist
Gleichwohl kann auch ein Streit mit Handgreiflichkeiten einhergehen oder in solche münden.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
häufig negativ konnotiert,514 kann aber, wie das Streitgespräch oder auch die Diskussion um eine regelrechte Streitkultur belegen (cf. ausführlicher infra), auch positiv konnotiert sein. Im Folgenden geht es daher um die ganze Bandbreite verbaler Auseinandersetzungen, von Streit und Zank über Meinungsverschiedenheit und Dissens bis hin zu Diskussion, Debatte, Kontroverse und Polemik, um nur einige Konzepte herauszugreifen. Die Relevanz von Streit für Agonalität wurde in der Agonalitätsforschung vielfach belegt. Dies gilt insbesondere für die auf verbale Interaktion in konfliktiven Situationen fokussierten Arbeiten André-Larochebouvys (1984) und KerbratOrecchionis (u.a. 1980b; 1990–1994, vol. 2, 141–155; 2010; 2017, 167–225; 2019, 75–115). Mit den «signaux de polémique» widmet André-Larochebouvy (1984, 159–163) eine von drei Kategorien des «jeu agonal» dem Bereich des Streits. Auch Mattfeldt (2018) benennt im Bereich lexikalischer Agonalitätsindikatoren verschiedene thematische Kategorien, die einen Bezug zum Streit aufweisen: «disagreement», «dissent» und «rejection» im Englischen (153–156), «Meinungsverschiedenheit», «Ablehnung» und «Streit» im Deutschen (160–161). Einige Agonalität indizierende Substantive und Verben im Französischen mit Bezug zum Streit führt Weiland (2020, 128) an. Ausgehend von dem oben erläuterten weiten Begriffsverständnis sind eine große Zahl an Versprachlichungsmitteln zu erfassen. Im Thésaurus Larousse gibt es keine Kategorie namens Dispute, dem französischen Äquivalent zu Streit, wohl aber eine Vielzahl an Kategorien, die mit dem Konzept des Streits in Verbindung stehen. Dazu zählen: 416 Raisonnement, 429 Désaccord, 605 Inimitié, 637 Reproche, 649 Conflit, 745 Parole, 747 Cri und 749 Conversation.515 Die Kategorien bestärken die bereits beschriebene verbale Natur entsprechender Auseinandersetzungen: Bei Parole, Cri und Conversation, die dem Abschnitt «La société > La communication et le langage > La langue» zugeordnet sind, handelt es sich um sprachliche Phänomene; Désaccord und Reproche können sprachlich geäußert werden; das Raisonnement bezieht sich auf das aufs Engste mit dem Sprechen verbundenen Denken. Darüber hinaus verweisen einige dieser Kategorien – Désaccord, Inimité, Conflit und Reproche – auf eine Opposition und stehen damit in unmittelbarem Zusammenhang mit Agonalität. Zu den prototypischen Versprachlichungsmitteln von Streit zählen:
Die negative Konnotation des Terminus belegen signifikante Kollokatoren wie heftig, entbittert, Zank, Ärger, Missgunst, entbrennen, ausfechten, eskalieren (cf. DWDS, s.v. Streit, Wortprofil). Vergleichbares gilt für frz. dispute, das Äquivalent zu dt. Streit, im GR als «échange violent de paroles (arguments, reproches, insultes) entre personnes qui s’opposent» definiert (GR, s.v. dispute3) und im TLFi explizit als «péj.[oratif]» markiert (TLFi, s.v. disputeB). In all diesen Kategorien ist entweder dispute oder disputer (oder beides) verzeichnet.
6.1 Agonalitätsindikatoren
385
Tabelle 12: Versprachlichungsmittel von Streit. Subst.
V.
Adj.
Aff.
dispute (); accroc, algarade, altercation, bagarre (), bisbille, brouille, chamaille, chamaillerie, chicane, chicanerie, combat d’opinions, conflit (), contentieux (), contestation (), conteste, controverse, crêpage de chignon, débat (), démêlé, différend, discorde, discussion (), discutaillerie, disputation, dissension, dissonance, empoignade, engueulade, escaramouche, fâcherie, grabuge, heurt, joute (oratoire), litige (), logomachie, mésentente, malentendu, négociation (), polémique (), prise de bec, rixe, rupture (), scène (de ménage), tension (), tiraillement, querelle (), zizanie désaccord (), démenti, divergence (), dissentiment, objection (), refus (); réplique, réponse () accusation (), attaque (), attaque personnelle (), attaque ad hominem (), critique (), diffamation (), discrédit (), heurt, infamie (), insulte (), provocation (), reproche () bavardage (), blablabla, délayage; logorrhée (); verbomanie, verbosité; logomachie, verbalisme, verbiage; vain mot (); galimatias () accusateur (), accusé, argumentateur, chicaneur, contestataire, contestateur, controversiste, critique, débatteur, diffamateur, discutailleur, discuteur, disputailleur, disputant, disputeur, ergoteur, jouteur, pamphlétaire, plaideur, polémiste, provocateur, querelleur, raisonneur (se) disputer (avec qn); argumenter contre qn/qc, se bagarrer (avec qn) (), batailler, se chamailler, chicaner, chipoter, controverser, débattre (de qc avec qn) (), discuter (), discutailler, disputailler, engueuler, être en bisbille avec qn, se fâcher avec qn (), polémiquer (), (se) quereller (avec qn), tirailler; se disputer qc (); marchander, négocier () contester (), contredire, controverser, démentir (), dénier, désapprouver (), nier (), objecter, récuser (), refuser (), rejeter (), renâcler, révoquer (), se récrier contre qc; répliquer (), rétorquer, répondre ([…]); ne pas être d’accord avec (), être en désaccord (avec) (), avoir un désaccord (avec) (); être contre (), avoir qqch contre accuser (), attaquer (), s’attaquer (à qn/qc) (), agresser (), atteindre, blesser (), blâmer, buter, critiquer (), diffamer (), discréditer (), jeter le discrédit sur qn (), fâcher (), se fâcher contre qn, gronder (), heurter (), insulter (), objecter qc à qn, rabrouer, reprocher qc à qn (), faire un reproche (), provoquer (), réprimander, agacer, faire des histoires faire débat (), faire polémique () argumentateur, chamailleur, chicaneur, chicanier, contestataire, contestateur, discutailleur, discuteur, disputant, disputeur, ergoteur, polémique, querelleux contestable, controversable, discutable (), douteux; contentieux, litigieux; conflictuel; contesté, controversé, discuté, disputé accusatoire, diffamant, diffamateur, diffamatoire, infamant, insultant, provocant (), provocateur, reprochable polém- (), polémo-
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Die dominierenden Wortarten sind Substantive, Verben und Adjektive; auch hier stehen somit Autosemantika im Fokus. Über die Grenzen von Wortarten hinweg lassen sich folgende Wortfelder ausmachen: Ausdrücke, die sich auf den Streit oder den Prozess des Streitens als Ganzes beziehen (Zeilen 1, 6 und 13), Ausdrücke, die sich auf einen Dissens oder die Äußerung von Dissens beziehen (Zeilen 2 und 7), Ausdrücke, die einzelne Teilhandlungen innerhalb eines Streits aus der Perspektive einer der beteiligten Akteure schildern oder diese charakterisieren (Zeilen 3, 8 und 12), Ausdrücke, durch die Äußerungen charakterisiert werden (Zeile 4), Ausdrücke, die der Bezeichnung der an einem Streit beteiligten Akteure dienen oder diese als streitsüchtig charakterisieren (Zeilen 5 und 10), sowie Ausdrücke, die darauf hinweisen, dass etwas streitbar oder umstritten ist (Zeilen 9 und 11). Die relevanten Wortfamilien sind äußerst zahlreich. Zu den wichtigsten zählen: – disputer, dispute, disputé, disputable, disputant, disputeur, disputailler, disputailleur < lat. DISPUTARE und verwandte Termini – discuter, discussion, discuté, discuteur, discutailler, discutailleur, discutaillerie < lat. DISCUTERE bzw. DISCUSSIO und verwandte Termini – débattre, débat, débatteur, faire débat < de- + battre < lat. BATTUERE und verwandte Termini – polémique, polémiquer, polémiste, faire polémique, polém-, polémo- < gr. polemikos < polemos und verwandte Termini – controverse, controverser, controversé, controversiste, controversable < lat. CONTROVERSIA < CONTRA- + VERSUS und verwandte Termini Was die Thematik des Streits im Korpus angeht, so springt zunächst ins Auge, dass der Streit im engeren Sinne, also die heftige Auseinandersetzung, der Zank, eine sehr geringe Rolle zu spielen scheint. Entsprechende Versprachlichungsmittel, allen voran dispute und Derivate, sind äußerst selten. Auch Bezeichnungen für streitende Akteure (Zeile 5) sind so gut wie inexistent; von den in der Tabelle genannten Adjektiven (Zeile 10–12) findet fast keines Verwendung. Stattdessen dominieren andere Formen verbaler Auseinandersetzungen, die eher Formen des «guten Streits» zuzuordnen sind, wie die Debatte (débat, mit 139 Okkurrenzen der frequenteste der in Tabelle 12 aufgeführten Termini, débattre), die Aushandlung (négociation, négocier), die Diskussion (discussion, discuter) und der Konflikt (conflit). Dies lässt zwei mögliche Deutungen zu. Zum einen könnte man daraus schließen, dass der Wahlkampf tatsächlich nicht oder zumindest nur wenig von Streit geprägt ist: Es geht um die Aushandlung konkurrierender Perspektiven, die jedoch nicht als heftige, oft erregte oder hitzige Auseinandersetzung, sondern im gegenseitigen Respekt geführt wird. Dies würde die in Kapitel 2.7.2 entwickelte These bestätigen, der zufolge politische Diskurse zwar sehr
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wohl von Auseinandersetzungen und Aushandlungsprozessen geprägt sind, diese jedoch tendenziell nicht durch verbale Gewalt und Aggression charakterisiert sind, sondern in einem geregelten, gemäßigten Rahmen verlaufen. Zum anderen ließe sich daraus aber auch schließen, dass der Wahlkampf sehr wohl von Streit im engeren Sinne geprägt ist, dies nur nicht explizit verbalisiert wird, zumindest nicht auf einer Metaebene, indem direkt über Streit gesprochen würde, sondern dass sich dies vielmehr auf indirektere Art und Weise manifestiert. Entsprechende Indizien wären dann nicht an der sprachlichen Oberfläche, also im Bereich der Agonalitätsindikatoren, zu suchen, sondern im Bereich der Funktionen, wie sie zum Beispiel Beleidigungen, persönliche Angriffe oder der Vorwurf der Lüge darstellen. Dieser Frage wird in Kapitel 6.2, das den agonalen Diskurshandlungen gewidmet ist, nachgegangen. Zunächst jedoch sollen die Versprachlichungsmittel von Streit, die im Korpus Verwendung finden, genauer betrachtet werden. Häufig gebraucht werden unter anderem Ausdrücke, die auf eine Meinungsverschiedenheit, einen Dissens verweisen, zum Beispiel désaccord, ne pas être d’accord avec; refus, refuser; être contre (Zeilen 2 und 7). Sie finden vor allem Verwendung, um in dialogischen Gesprächssituationen Widerspruch einzulegen, Dissens zu äußern.516 Die entsprechenden Termini fungieren dann als Indikatoren von Agonalität, da durch das Äußern von Dissens zwei Positionen explizit gegenübergestellt werden, die im Diskurs miteinander konkurrieren, wenn die sie vertretenden Akteure jeweils nach Diskurs- bzw. Deutungshoheit streben. Relativ häufig sind auch Termini, die einzelne Teilhandlungen innerhalb eines Streits aus der Perspektive einer der beteiligten Akteure beschreiben, zum Beispiel attaque, s’attaquer (à qn/qc), attaquer; insulte, insulter; reprocher (Zeilen 3 und 8). Ausdrücke wie diese verweisen auf sprachliche Angriffe und verfügen damit über sehr hohes agonales Potenzial.517 Dies gilt insbesondere für Situationen, in denen eine Äußerung des Gegenübers direkt als Angriff beschrieben und als unangemessen charakterisiert wird; das sprachliche Verhalten des Gegenübers wird dadurch kritisiert und das Gegenüber in ein schlechtes Licht gerückt. Dass das Gegenüber darauf häufig mit einer Verteidigung reagiert, unterstreicht den stark agonalen bis aggressiven Charakter dieser Ausdrücke: (55) MLP [zu EM]: Quand vous êtes en difficultés, vous vous mettez à insulter [votre (.) votre adversaire, c’est étonnant quand même.]
Zur agonalen Diskurshandlung des Dissenses cf. ausführlicher Kapitel 6.2.6. Zur agonalen Diskurshandlung des Angriffs cf. ausführlicher Kapitel 6.2.7.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
EM: [Mais (.) je ne vous insulte pas, (.) madame Le Pen. (.)] Oh, vous savez, depuis tout à l’heure (.) si quelqu’un insultait l’autre, c’est plutôt VOUS. MLP: Ah, il me semble pas avoir utilisé la moindre insulte, (..) non, non (TV-Duell, 03.05.2017). Wenn auch nicht durch ihre Frequenz, so doch durch ihre Kontrastivität stechen darüber hinaus Substantive hervor, mittels derer Äußerungen als Wortschwall (bavardage, logorrhée), als leeres Gerede (vain mot) oder auch als verworrenes, konfuses Geschwätz (galimatias) charakterisiert werden (Zeile 4). Diese negativ konnotierten Termini finden sowohl Verwendung, um in dialogischen Kommunikationssituationen eine Äußerung des Gegenübers zu bewerten und damit zurückzuweisen (56a),518 als auch um Kritik an ‘leerem Gerede’, an Worten, denen keine Taten folgen, zu äußern, wobei der dafür verantwortliche Akteur zumeist nicht explizit benannt oder gar adressiert wird (56b). In beiden Fällen wird die Aussage des Gegners pauschalisierend als inhaltsleer oder konfus diskreditiert und der Gegner auf diese Weise angegriffen.519 (56) a. EM [zu MLP]: Moi, je fais pas du bavardage, madame Le Pen, qui consiste à énumérer toutes les clientèles et expliquer comment on va raser gratis, comment on va justement leur dire qu’on distribue l’argent public qu’on n’a pas (TV-Duell, 04.04.2017). b. GB: Comment éviter que se produisent, que se reproduisent en France à nouveau des attentats terroristes? […] JLM: […] Moins de bavardage, moins de gesticulation, plus de renseignement humain, plus de présence sur le terrain, et ça ira mieux (TV-Duell, 20.03.2017). Am häufigsten aber sind die Termini débat/débattre, négociation/négocier, discussion/discuter, die sich auf verbale Aushandlungsprozesse im Sinne eines «guten Streits» beziehen (Zeilen 1 und 6). Der mit Abstand frequenteste Ausdruck unter ihnen, débat, stammt von débattre, durch Präfigierung von dé + battre entstanden, wörtlich ‘niederschlagen’, und beruht damit zumindest etymologisch betrachtet ebenfalls auf der Kampfmetapher. «Débattre, c’est se battre avec des mots à propos du sens que l’on souhaite donner à la consultation quant à ses enjeux prioritaires et à ses problématiques collectives» (Gerstlé 2018, 143). Im Korpus wird débattre ausschließlich in der Bedeutung ‘diskutieren, debattieren’ Cf. auch Caillat (2019, 212–213). Vergleichbares konstatiert Niehr (2019, 678) in Bezug auf dt. Leerformel.
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verwendet. Dies entspricht der einzigen in GR und TLFi festgehaltenen Bedeutung des (nicht pronominal gebrauchten) Verbs: ‘examiner contradictoirement (qqch.) avec un ou plusieurs interlocuteurs’ (GR, s.v. débattre1). Das Substantiv débat wird im Korpus in drei Bedeutungen verwendet: ‘Diskussion’ (63 Okkurrenzen), ‘TV-Duell’ (72) und ‘Streit’ (4). Die erstgenannte entspricht derjenigen, die im TLFi als einzige und im GR als Ausgangsbedeutung, von der weitere Bedeutungsvarianten abgeleitet werden, angegeben wird;520 sie kann damit als die im allgemeinen Sprachgebrauch dominierende Bedeutung gelten. Eine Debatte im Sinne einer Diskussion kann in verschiedenen Diskursuniversen (z.B. débat politique, débat juridique, débat économique), in verschiedenen Kreisen (z.B. débat parlementaire, débat national) und zu unterschiedlichen Themen (z.B. débat sur la Constitution/le nucléaire/la laïcité) geführt werden. Die zweite, im Korpus noch häufigere Bedeutungsvariante bezieht sich auf die Bezeichnung einer konkreten Textsorte, der des TV-Duells. Im GR wird diese Bedeutung als spezifische Variante der erstgenannten angegeben: «spécialt. Discussion organisée et dirigée. […] Débat télévisé. […]» (GR, s.v. débat1; Hervorhebungen im Original). Zwar mag die besonders hohe Frequenz dieser Bedeutungsvariante sehr korpusspezifisch sein, da diese Textsorte für den Wahlkampf sehr charakteristisch ist, doch handelt es sich zweifellos um eine eigenständige Bedeutungsvariante, die im TLFi zu Unrecht keine Erwähnung findet.521 Die dritte, im Korpus äußerst seltene Bedeutungsvariante wird im TLFi und GR als Erweiterung der ersten charakterisiert («par ext.») und mit den Synonymen altercation, différend, querelle paraphrasiert (TLFi, s.v. débat; GR, s.v. débat3). Sie ist die einzige, die sich auf den Streit im engeren Sinne, das heißt den einer negativen Wertung unterliegenden Streit, bezieht. Üblicherweise jedoch scheint débat keiner (v.a. in der Bedeutung ‘TV-Duell’) oder aber einer positiven Wertung zu unterliegen. Dies belegen Bigramme wie débat crucial (3), débat essentiel (3), débat fondamental (3), die darauf hindeuten, dass der débat als wichtig erachtet (AGONALITÄT DER RELEVANZKONKURRENZ) und gewünscht wird, oder auch Aussagen wie: ‘Action de débattre; discussion généralement animée entre interlocuteurs exposant souvent des idées opposées sur un sujet donné’ (TLFi, s.v. débat); ‘Action de débattre une question, de la discuter avec un ou plusieurs interlocuteurs qui allèguent leurs raisons’ (GR, s.v. débat1). Die Eigenständigkeit dieser Bedeutungsvariante belegen Verwendungen wie diese: «En cas de défaillance d’une banque, je vous rappelle que monsieur Fillon nous a expliqué pendant le débat (.) que nous étions devant une très grave crise financière, […]» (MLP, Rede, 17.04.2020). Die Verwendung von débat mit definitem Artikel ohne vorherige Erwähnung des TV-Duells vom 04.04.2017, auf das hier Bezug genommen wird, oder sonstige Kontextualisierung würde nicht funktionieren, wäre die Bedeutung ‘TV-Duell’ für débat nicht kognitiv fest verankert.
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(57) a. EM: C’est ce qui autorise des éléments fondateurs de notre identité, le dialogue, le débat, l’échange, la rencontre, la reconnaissance, la tolérance (Rede, 04.02.2017). b. BH: L’essentiel, c’est l’unité de la Nation, notre capacité à débattre de notre avenir commun dans le respect mutuel (Rede, 19.03.2017). Die Debatte bzw. Diskussion wird vielfach als Kernbestandteil der Demokratie erachtet. Démocratique ist hochsignifikanter Kollokator zu débat (LLR = 86.32); débat démocratique ist mit 9 Okkurrenzen das häufigste Bigramm mit débat als Erstglied. Politische Akteure bekunden bzw. fordern immer wieder die «volonté d’un débat démocratique équilibré et ouvert» (EM, TV-Duell, 03.05.2017). In TVDuellen nimmt die Forderung nach einer angemessenen Debattenkultur in zahlreichen Aufforderungen insbesondere der Moderatoren zum respektvollen Umgang und einem der Situation angemessenen Diskussionsverhalten konkrete Gestalt an. Gefordert wird «un débat citoyen, républicain, présidentiel» (RE), «un débat où règnera la courtoisie républicaine» (RE), «un débat de niveau présidentiel» (LF), «un débat ramassé et intelligible» (CJ), eine Debatte, in der die «police des débats» (BH) respektiert und auf die «qualité du débat» (BH) geachtet wird. Aussagen wie diese schreiben sich in die Diskussion darum ein, wie die öffentliche Debatte geführt werden soll. Diese unter den Schlagwörtern Debatten-, Diskussions- oder auch Streitkultur522 geführte Diskussion hat, auch wenn sie keineswegs neu ist, in jüngerer Zeit vermehrt an Fahrt aufgenommen.523 Eine solche Debattenkultur wird oftmals als Kernbestandteil der Demokratie betrachtet. «Fairer Streit um die Sache und das Ringen um vernünftige Kompromisse sind in der Demokratie unerlässlich», sagte der damalige Bundespräsident Horst Köhler in seiner Weihnachtsansprache 2006 (Köhler 2006); Bundespräsident Frank-Walter Die Termini werden teilweise äquivalent gebraucht, sind aber nicht vollkommen deckungsgleich. Ohne dem hier im Detail nachgehen zu können, verwende ich im Folgenden aus Gründen der Praktikabilität den Terminus Debattenkultur. Dieser – bzw. das Äquivalent culture du débat – scheint im Französischen, wie eine einfache Google-Suche zeigt, am geläufigsten zu sein, wenngleich auch culture de discussion und culture de dispute belegt sind. Dies zeigen für den deutschsprachigen Raum die DWDS-Wortverlaufskurven, die erste Belege in den 1950er Jahren verzeichnen und in den 2000er Jahren exponentiell ansteigen (cf. DWDS, ss.vv. Debattenkultur, Diskussionskultur, Streitkultur; Verlaufskurve). Zu der kontroversen Diskussion um die Thematik cf. das von der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebene Themenheft Entgleist? Wandel der Sprach- und Debattenkultur (Konrad-Adenauer-Stiftung 2019). Zur Diskussion in Frankreich cf. Zémor (2015). Für einen systematischen Überblick cf. auch das Handbuch der Offenen Parlamentarischen Debatte (Hoppmann/Rex/Bartsch 2006) sowie, aus international vergleichender Perspektive, Bartsch/Hoppmann/Rex (2005).
6.1 Agonalitätsindikatoren
391
Steinmeier fordert, «jene stille Vereinbarung, die uns Demokratinnen und Demokraten auf eine zivilisierte Streitkultur verpflichtet», nicht zu vergessen (Steinmeier 2019). Ähnliche Forderungen werden beim französischen Nachbarn laut: «Le débat est par excellence constitutif de l’espace public en démocratie. Comme pratique démocratique, il vise la recherche d’un compromis ou d’un consensus sur fond de divergence des points de vue, voire de conflit. La liberté d’expression a pour corollaire l’acceptation de ces désaccords, qui s’expriment dans le débat. Toutefois, il ne doit pas entretenir l’idée que toutes les opinions se valent. L’expression de la pluralité des points de vue doit se faire dans le respect des valeurs de la démocratie et se référer au cadre juridique qui organise cette liberté. La pratique du débat facilite particulièrement la construction du jugement moral et du civisme chez les élèves. En ce sens, elle se situe au cœur d’une éducation à la citoyenneté» (Ministère de l’Éducation nationale, de l’Enseignement supérieur et de la recherche 2015, 1; meine Hervorhebung).
Mit dieser dominierenden Verwendungsweise von débat als einer positiv bewerteten, zum Wesen der Demokratie gehörenden und explizit erwünschten Form der Diskussion kontrastieren einige wenige Verwendungsweisen, in denen débat negativ konnotiert ist und die in die Nähe zum «bösen Streit» gerückt werden können: (58) a. FF: Le meilleur service que nous puissions rendre à notre pays, mais aussi au monde, c’est de nous engager résolument dans la voie du redressement, c’est de restaurer la cohésion nationale et l’autorité de l’État. (.) Dans cette affaire éminemment politique, le véritable et le SEUL débat oppose donc d’un côté (.) ceux qui tiennent la Nation pour un simple marchepied à leurs ambitions (.) et de l’autre, ceux qui s’en font une certaine idée (Rede, 05.03.2017). b. MLP: Alors, d’abord permettez-moi, mais je voulais pas hum (.) intervenir dans ce débat d’ultra-libéraux qui se bagarraient pour savoir qui allait mettre en œuvre la plus violente des régulations (TV-Duell, 20.03.2017). In (58a) tritt débat gemeinsam mit dem Verb opposer und dem adversativen Konnektor d’un côté… de l’autre auf, die beide eine Gegenüberstellung anzeigen (AGONALITÄT DER EXPLIZITEN GEGENÜBERSTELLUNG). Fillon thematisiert hier einen débat, in dem sich zwei Gruppen von Akteuren gegenüberstehen: diejenigen, die die Nation nur aus Eigennutz, als Mittel zum Zweck verwenden, womit er wohl auf Marine Le Pen und ihre Anhänger anspielt, und diejenigen, die tatsächlich für die Nation an sich eintreten, womit er – vielleicht nicht nur, aber auch – sich selbst und seine Anhänger meint. Im Wahlkampf treten beide Akteursgruppen als Konkurrenten auf. In (58b) spricht Le Pen von einem «débat d’ultra-libéraux» und bezieht sich damit auf den vorangegangenen, längeren Wortwechsel zwi-
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schen Fillon und Hamon. Durch die pejorativ gebrauchte Fremdbezeichnung ultra-libéraux und das Verb se bagarraient ‘sich mit jdm. streiten’, im GR als «familier» gekennzeichnet, erhält débat hier eine negative Konnotation; die Tatsache, dass Le Pen sich aus dieser Debatte raushalten möchte, belegt zusätzlich die negative Wertung und ablehnende Haltung Le Pens. Ein weiteres Beispiel, das die Agonalität indizierende Funktion von débat besonders eindrücklich vor Augen führt, bietet folgende Anmoderation des TVDuells zwischen Le Pen und Macron am 3. Mai 2017 durch den Journalisten Cyril Adriaens-Allemand: (59) CAA [über MLP]: Dans son équipe on estime qu’elle GAGNera ce débat, je cite, «si c’est lui qui mord le premier» (TV-Duell, 03.05.2017). Der débat – gemeint ist das TV-Duell – wird hier auf zweifache Weise als Spiel konzeptualisiert: Zum einen impliziert die Wendung «qu’elle gagnera ce débat», dass man ein TV-Duell gewinnen könne, so wie man ein Spiel oder einen sportlichen Wettkampf gewinnen kann. In der Tat wird im Anschluss an TV-Duelle häufig diskutiert, welcher der Kandidaten am meisten überzeugt hat, sprich wer als «Sieger» des Duells gelten kann. Zum anderen wird durch das Zitat «si c’est lui qui mord le premier» eine Similarität zwischen TV-Duell und sportlichen Spielen bzw. Wettkämpfen hergestellt, da mit dieser Metapher für sportliche Spiele charakteristische Wendungen wie le joueur a mordu la démarcation ‘der Spieler hat die Linie überschritten’ oder le ballon a mordu la bordure ‘der Ball hat den Rand berührt’ aufgegriffen werden. Insgesamt ergibt sich im Hinblick auf die Thematik des Streits ein vielschichtiges Bild. Allgemein handelt es sich bei Streit und verbalen Auseinandersetzungen um eine für Agonalität äußerst relevante Kategorie, deren Versprachlichungsmittel ein hohes agonales Potenzial aufweisen. Auch im politischen Sprachgebrauch sind verbale Auseinandersetzungen von zentraler Bedeutung. Die Aushandlung konkurrierender Perspektiven, der Dissens gilt, wie die Diskussion um die Debattenkultur zeigt, als konstitutives Element der Demokratie, was die Relevanz agonaler Aushandlungsprozesse bzw. diskursiver Kämpfe – ebenso wie semantischer Kämpfe (cf. Wengeler 2005)524 – für die Politik einmal mehr unterstreicht. Doch zeigt die Diskussion um die Debattenkultur auch, dass die Art und Weise, wie diese Auseinandersetzung geführt wird, umstritten ist. Die Formen der verbalen Auseinandersetzung lassen sich als ein Kontinuum beschreiben, das sich zwischen
«Es ist jedenfalls auch heute nicht vermessen zu behaupten, dass der Streit um Worte […] eine genuin demokratische Angelegenheit ist, denn nur wo heterogener Sprachgebrauch zwi-
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zwei Polen aufspannt, dem eines konsensuellen, von respektvollem Umgang geprägten und dem eines aggressiven, respektlosen Umgangs. Im politischen Sprachgebrauch scheint der Streit im engeren Sinne, also die heftige, oft erregt und hitzig verlaufende Form der Auseinandersetzung, die nahe des letztgenannten Pols zu verorten ist, nur eine untergeordnete Rolle zu spielen; stattdessen dominieren Formen der verbalen Auseinandersetzung wie Debatte, Diskussion oder Aushandlung, die nahe des erstgenannten Pols zu verorten sind und im Gegensatz zum Streit in geregelten, gesitteten Bahnen verlaufen. Doch auch die öffentliche Debatte bewegt sich zwischen diesen beiden Polen, zwischen denen keine scharfe Trennlinie gezogen werden kann, und scheint, wie die Diskussion um die Debattenkultur zeigt, nicht vor der Gefahr einer zu starken Annäherung an den Pol der Aggressivität gefeit zu sein. 6.1.2.6 Wahrheit Die Kategorie der Wahrheit ist von zentraler Bedeutung für Agonalität.525 Agonale Diskurse zeichnen sich dadurch aus, dass konfligierende Ansprüche auf Gültigkeit und Wahrheit von Aussagen erhoben und diskursiv ausgehandelt werden. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn die Faktenlage ungeklärt ist oder verschiedene Ansichten zur Wahrheit existieren, eine Dimension von Agonalität, die Mattfeldt (2018, 88–92) treffend als AGONALITÄT VON SCHEIN UND SEIN bezeichnet. Bei der Untersuchung von Agonalität geht es daher auch «um die Ermittlung von Geltungsansprüchen in Diskursen, man könnte auch sagen – um Wahrheitsansprüche» (Felder 2013, 21). In agonalen Aushandlungsprozessen, in deren Zentrum die Frage nach der Wahrheit steht, wird Aussagen ihre Gültigkeit bzw. Wahrheit zu- oder abgesprochen, wobei unterschiedliche Akteure unterschiedliche Geltungs- bzw. Wahrheitsansprüche vertreten (zu diesem «Kampf um die Wahrheit» cf. ausführlicher Kapitel 6.2.8). Wahrheitsansprüche können implizit erhoben werden, sie können aber auch explizit an der sprachlichen Oberfläche kenntlich gemacht werden. Aus analytischer Perspektive stellt sich somit die Frage, welche Möglichkeiten ein Sprecher hat, Geltungs- bzw. Wahrheitsansprüche geltend zu machen, sprich eine Aussage aus seiner Sicht hinsichtlich ihrer Gültigkeit bzw.
schen konkurrierenden politischen Gruppen erkennbar ist, gibt es eine Auseinandersetzung um und keine diktatorische Festsetzung von Wirklichkeitssichten, Deutungsmustern und ‹Wahrheiten›» (Wengeler 2005, 191). Zum hier zugrunde gelegten Wahrheitsbegriff und der Rolle von Wahrheit für Agonalität cf. Kapitel 2.4.3.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Wahrheit zu klassifizieren. Im Folgenden sollen die sprachlichen Mittel, die dabei zum Einsatz kommen können, untersucht werden. Im Thésaurus Larousse ist den Versprachlichungsmitteln von Wahrheit eine eigene Kategorie gewidmet, 409 Vérité. Darüber hinaus weisen zahlreiche weitere Kategorien einen – mehr oder weniger engen – Zusammenhang mit der Kategorie der Wahrheit auf: 410 Erreur (diese ist, wie Kategorie 409, Teil des Abschnitts «La connaissance et la vérité»); 430 Certitude, 431 Incertitude; 595 Hypocrisie, 597 Trahison; 693 Honnêteté, 694 Malhonnêteté; 521 Prétexte, 727 Secret, 728 Tromperie, 729 Mensonge, 718 Escroquerie; 17 Ambivalence, 42 Éventualité, 43 Probabilité, 423 Supposition, 736 Ambigüité, 737 Sous-entendu. Vergleichbare Kategorien nennt Mattfeldt (2018, 166, 169–170) mit «untruth» für das Englische und «Wahrheit», «Unwahrheit», «Lüge» und «Fiktion» für das Deutsche. Prototypische Versprachlichungsmittel der Kategorie Wahrheit sind: Die Auflistung, die bei Weitem nicht exhaustiv ist, vermittelt bereits einen Eindruck davon, wie groß die Bandbreite an sprachlichen Mitteln mit Bezug zur Tabelle 13: Versprachlichungsmittel von Wahrheit. Subst.
V.
vérité (); vrai (le vrai), véracité, véridicité, validité; factualité, réalité (), réel (le réel) (), objectivité; exactitude (), justesse (); certitude (), évidence (); fait (); vérification (); truisme doute (), incertitude (); ambivalence (), ambigüité (); erreur (), faute (), fausseté; malentendu; prétexte (); mensonge (), bêtise (), blague, contrevérité; calomnie (), diffamation (), escroquerie (), hypocrisie (), reniement (), trahison (); dissimulation; secret (); allusion, insinuation (), sous-entendu; caricature (), contrefaçon, falsification (); illusion (); fait alternatif, post-vérité authenticité (), crédibilité (), franchise (), honnêteté (), intégrité, lucidité (), parler-vrai, probabilité, possibilité (), sincérité, vraisemblance fausseté, malhonnêteté calomniateur, contrefacteur, détracteur, diffamateur, dissimulateur, falsificateur, faussaire, hypocrite (), illusionnistes (), menteur, trompeur; trahi () dire la vérité (), dire le vrai, dire vrai; avérer, s’avérer (), avouer (), vérifier (); être certain (), être sûr (); confirmer () commettre une erreur (), confondre (), faire erreur (), se tromper (); mentir (), contrefaire, controuver, dire des bêtises (), falsifier, fausser, inventer (); caricaturer (), exagérer (); faire semblant (), dissimuler (), prétendre (), désavouer (); calomnier (), diffamer (), escroquer, renier (), se renier, trahir (), tromper (); douter ()
6.1 Agonalitätsindikatoren
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Tabelle 13 (fortgesetzt) Adj.
Adv.
vrai (); avéré (), correct (), évident (), exact (), juste (); assuré (), certain (), confirmé, incontestable (), indéniable, indiscutable, indubitable, sûr (); attesté, factuel (), observable, réel (); objectif (); vérace, véridique, véritable (); crédible (), croyable, possible (), probable (), vraisemblable faux (); contestable, controversable, discutable (); apocryphe, contraire à la vérité, contrefait, démenti (par les faits), douteux (), erroné (), incorrect (), inexact; faussé; controuvé, mensonger (); caricatural (); calomnieux, diffamant, diffamatoire, diffamé, hypocrite (), prétendu (); dissimulé (); incertain (); ambivalent, ambigu (); factice, illusoire () authentique (), franc (), honnête (), lucide (), sincère () dissimulant, louche, malhonnête, suspect (), véreux; menteur, trompeur (), hypocrite () vraiment (), réellement (), objectivement (), véritablement (); en vérité (), à la vérité, au vrai, dans le vrai; en réalité (), en fait (), au fond (), en effet (); effectivement (), de fait (); authentiquement (); exactement (), justement (); véridiquement; factuellement; assurément, sûrement (), certainement (), certes (), bien entendu (), sans conteste, sans doute (), bien sûr (), évidemment (), manifestement (), visiblement (), décidément (), forcément (), incontestablement (), indéniablement, indiscutablement, indubitablement peut-être (), possiblement, éventuellement (); probablement (), vraisemblablement, apparemment (), en apparence () franchement (), honnêtement (), sincèrement (), sérieusement (), franchement/honnêtement/sincèrement/sérieusement parlant, à franchement parler, en toute franchise/honnêteté/sincérité, pour être franc/honnête/sincère/ sérieux, sans mentir, sans vouloir vous contredire; à dire vrai, à vrai dire à tort (), par erreur, erronément, faussement, fictivement, inexactement; mensongèrement, hypocritement; malhonnêtement; facticement, illusoirement
Kategorie der Wahrheit in quantitativer wie qualitativer Hinsicht ist. Dabei spielen verschiedene Wortarten eine Rolle, von Substantiven über Verben und Adjektive bis hin zu Adverbien, wobei insbesondere letzteren zentrale Bedeutung zukommt (cf. ausführlicher infra). Aus semantischer Perspektive lassen sich innerhalb der Versprachlichungsmittel von Wahrheit fünf Gruppen von Ausdrücken mit gemeinsamen oder ähnlichen semantischen Eigenschaften ausmachen: – Ausdrücke, die sich auf das Konzept von Wahrheit an sich beziehen (Zeile 1) oder darauf, die Wahrheit zu sagen (Zeile 6), mittels derer eine Aussage als wahr qualifiziert wird (Zeile 8) oder der Wahrheitsanspruch einer Äußerung untermauert wird (Zeilen 12 und 14); – Ausdrücke, die sich auf das Konzept der Unwahrheit beziehen (Zeile 2) oder darauf, die Unwahrheit zu sagen (Zeile 7), mittels derer eine Aussage
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als falsch bzw. unwahr qualifiziert wird (Zeile 9) oder der Wahrheitsgehalt einer Äußerung angezweifelt (Zeile 13) oder abgesprochen (Zeile 15) wird; Ausdrücke, die sich auf die Charaktereigenschaft der Ehrlichkeit/Aufrichtigkeit/Wahrheitsliebe o.Ä. beziehen (Zeile 3) oder mittels derer eine Person als ehrlich/aufrichtig/wahrheitsliebend o.Ä. charakterisiert wird (Zeile 10); Ausdrücke, die sich auf die Charaktereigenschaft der Unehrlichkeit/Unaufrichtigkeit o.Ä. beziehen (Zeile 4) oder mittels derer eine Person als unehrlich/unaufrichtig o.Ä. charakterisiert wird (Zeile 11); Ausdrücke, die der Bezeichnung einer Person dienen und mittels derer diese im Hinblick auf ihren Bezug zur Wahrheit beschrieben wird (Zeile 5).
Innerhalb der einzelnen Gruppen lassen sich zahlreiche weitere inhaltliche Ausdifferenzierungen und Unterscheidungen treffen. So umfasst etwa die erstgenannte Gruppe Ausdrücke, die auf Wahrheit im engeren Sinne verweisen (vérité, véracité, avérer, s’avérer, vrai, vraiment etc.), aber auch Ausdrücke, die sich zum Beispiel auf Realität (réalité, réel, réellement, en réalité etc.) oder Faktizität (fait, fait alternatif, factualité, factuel, factuellement, en fait etc.) beziehen. Auch diese Termini können dazu dienen, eine Aussage hinsichtlich ihrer Wahrheit bzw. Gültigkeit zu klassifizieren, da sich Wahrheit nach der hier zugrunde gelegten Definition auf die Übereinstimmung von Kenntnissen oder Wissensbeständen mit der Wirklichkeit bezieht (cf. Kapitel 2.4.3) und damit auch mit Realität und Faktizität zusammenhängt. Nicht weniger vielfältig sind die Versprachlichungsmittel im Bereich der Unwahrheit (Gruppe 2). Die entsprechenden Termini beziehen sich auf verschiedene, mit dem Konzept der Unwahrheit in Verbindung stehende Konzepte, zum Beispiel Falschheit (faute, faux, faussement etc.), Irrtum (erreur, se tromper etc.), Lüge (mentir, mensonge etc.) und Verleumdung (calomnie, diffamation etc.). Sie alle dienen der Qualifizierung einer Aussage als unwahr, unterscheiden sich aber im Hinblick auf die Qualifizierung des Äußerungsakts bzw. des Sprechers, etwa in Bezug darauf, ob die Falschaussage als absichtlich (Lüge, Verleumdung) oder unabsichtlich (Irrtum) charakterisiert wird und ob dem Sprecher eine böse Absicht unterstellt wird (Verleumdung) oder nicht (Irrtum, Lüge) (cf. ausführlicher Kapitel 6.2.8). Insgesamt sind aus semantischer Perspektive zwei Pole wegweisend, Wahrheit und Unwahrheit, die jeweils zahlreiche Ausdifferenzierungen und Abstufungen erfahren, so dass sich zwischen diesen beiden Polen ein Kontinuum aufspannt, das die Gesamtheit aller möglichen Wahrheitsbezüge, sowohl was ihre inhaltliche Ausdifferenzierung (z.B. vérité, réalité, factualité) als auch ihre graduelle Abstufung (z.B. erreur, erreur répétée, mensonge, calomnie) angeht, umfasst. Zu den wichtigsten Wortfamilien unter den Versprachlichungsmitteln von Wahrheit zählen:
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vérité, en vérité, contrevérité, post-vérité, vrai, vraiment, au vrai, à vrai dire, (s’)avérer, avéré, vérace, véracité, véritable, véritablement, véridique, véridiquement, véridicité, vérifier, vérification, vraisemblable, vraisemblablement, vraisemblance < lat. VERUS und verwandte Termini fait, en fait, fait alternatif, factuel, factuellement, factualité, postfactualité < lat. FACTUM réel, réellement, réalité, en réalité < mittellat. REALIS < lat. RES; bzw. spätlat. REALITAS
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faux, faussement, fausser, faussaire, fausseté, falsifier, falsification < lat. FALSUS und verwandte Termini mentir, mensonge, mensonger, mensongèrement, menteur < lat. MENTIRI und verwandte Termini
Im Korpus spielt die Kategorie der Wahrheit eine zentrale Rolle. In quantitativer Hinsicht zeigt sich dies in der Häufigkeit entsprechender Versprachlichungsmittel (s. die in Tabelle 13 angegebenen Frequenzen). In qualitativer Hinsicht kommt dies in der Bedeutsamkeit, die der Kampf um die Wahrheit im Korpus spielt, zum Ausdruck: Akteure nehmen die Wahrheit für sich in Anspruch, sprechen sie anderen ab, inszenieren sich als besonders aufrichtig und wahrheitsliebend und bezichtigen den Gegner der Falschaussage, Lüge oder Verleumdung (cf. Kapitel 6.2.8). Wichtige lexikalische Indikatoren in diesem Zusammenhang sind vérité (133), réalité (424), en réalité (192); vrai (458), faux (93); vraiment (184), en effet (119), en fait (102); mensonge (57), mentir (31). Eine zentrale Rolle spielen in diesem Zusammenhang, wie bereits angedeutet, Adverbien.526 Adverbien dienen nicht nur der Kennzeichnung einer Aussage hinsichtlich ihrer Gültigkeit bzw. Wahrheit, sondern tragen darüber hinaus wesentlich zur Konstruktion des Ethos des Sprechers als jemandem, der sich aufgrund seiner Legitimität, Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit und Autorität ein Urteil über alles Mögliche erlauben darf, bei, und sind daher gerade im politischen Sprachgebrauch von besonderem Interesse (cf. Mayaffre 2011, 100–107). Die Bedeutungen und Funktionen von Adverbien sind, auch im Hinblick auf die Frage der Wahrheit, äußerst vielfältig. Dabei gilt insbesondere, dass ein Adverb nicht grundsätzlich und immer eine den Wahrheitsgehalt einer Aussage kennzeichnende Funktion hat, sondern diese je nach konkretem Verwendungskontext
Unter Adverbien verstehe ich neben den traditionellen Ein-Wort-Einheiten (vraiment, réellement etc.) auch aus mehreren Wörtern bestehende locutions adverbiales (en vérité, en réalité etc.) (cf. Anm. 421); ebenfalls zu dieser Kategorie zähle ich in Anlehnung an Molinier (2009, 65–66) mehr oder weniger lexikalisierte, als Inzise gebrauchte Phrasen wie sans vouloir vous contredire, à franchement parler etc.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
haben kann oder auch nicht. So können lediglich als Satzadverbien gebrauchte Adverbien Wahrheitsansprüche zum Ausdruck bringen (60a), während Adverbien, die sich auf einzelne Satzadverbien beziehen, häufig intensivierende Funktion haben (60b): (60) a. LS [zu EM]: Vous avez créé le trouble, Emmanuel Macron, en déclarant: «Il n’y a pas de culture française.» Vraiment? (.) Vraiment? (...) De Montaigne à Houellebecq, de Delacroix à Matisse, de Haussmann à Le Nôtre, vraiment il n’y a pas UNE culture française dont on doit être fier et qui fait notre éclat, notre aura dans le monde? (TV-Interview, 20.04.2017). b. EM: […] je suis le seul à avoir une approche VRAIMENT européenne (TV-Interview, 17.04.2017). In (60a) wird durch das als Satzadverb gebrauchte vraiment der Wahrheitsgehalt der Aussage Macrons, die Léa Salamé wiedergibt, angezweifelt. Das Adverb zeigt an, dass die Gültigkeit dieser Aussage umstritten ist. Die Macron zugeschriebene Position, dass es keine französische Kultur gebe, kontrastiert mit der Auffassung, dass es eine solche sehr wohl gebe. Der entschiedene Widerspruch, den Macron daraufhin einlegt, vor allem aber auch die öffentliche Diskussion, die ob dieser Aussage Macrons entbrannte,527 lassen keinen Zweifel daran, dass hier unterschiedliche Positionen und Wahrheitsansprüche vertreten bzw. – womöglich fälschlicherweise – einander zugeschrieben werden.
Auslöser der Debatte war folgende Äußerung Macrons: «[…] notre culture, ça ne peut plus être une assignation à résidence. Il n’y aurait pas la culture des uns et la culture des autres, il n’y aurait pas cette formidable richesse française, qui est là, dont on devrait nier une partie. Il n’y a d’ailleurs pas une CULTURE française. Il y a une culture en France. Elle est diverse, elle est multiple» (EM, Rede, 04.02.2017). Macron entwirft hier ein hybrides Verständnis der französischen Kultur, das er auch in seiner Antwort auf die in (60a) wiedergegebene Frage Léa Salamés unterstreicht: «[…] ce que j’ai dit dans cette discussion, qui a été citée abondamment, déformée et calomniée, c’est qu’il n’y avait pas UNE culture française, et qu’il n’y avait pas UN art français. La culture française, c’est un fleuve, qui se nourrit de multiples affluents, et de Glissant, en passant par Montaigne, Dumas Le fils d’esclave libéré, jusqu’à Hugo et tant d’autres. […] Donc, la culture française, elle existe, mais dans cette diversité, cette richesse et ce caractère INDOMPTABLE que je défendrai toujours» (EM, TV-Interview, 20.04.2017). Die Aussage wurde von Politikern und Journalisten aufgegriffen und scharf kritisiert. Dabei ist eine Diskrepanz zwischen der ursprünglichen Aussage Macrons und ihrer Wiedergabe durch andere Akteure zu konstatieren, die sich nicht nur in ihrer Umdeutung, sondern sogar in ihrer Umformulierung («pas une culture française» vs. «pas de culture française») spiegelt, wie Macron durch die besondere Akzentuierung von une auch gezielt hervorzuheben sucht. Zur öffentlichen Diskussion, die ob dieser Aussage entbrannte, cf. auch Jégo (2017); Mathiot (2017).
6.1 Agonalitätsindikatoren
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Vraiment zeigt diese konkurrierenden Positionen und Wahrheitsansprüche an und fungiert damit als Agonalitätsindikator. Auch ist zu beachten, dass Adverbien auf -ment und mit diesen korrelierende locutions adverbiales (vraiment – en vrai, réellement – en réalité etc.) nicht zwangsläufig bedeutungsgleich sind. So signalisiert zum Beispiel en réalité eine Inanspruchnahme der Realität und eine Opposition (61a),528 während réellement häufig intensivierende Funktion hat (61b) (cf. Danjou-Flaux 1982): (61) a. FF: Ceux qui décrivent mon projet comme une purge (.) ont tout faux. Ils sont aveuglés par la mauvaise foi et l’idéologie (.) ou empêtrés dans leur propre manque de volontarisme. (.) En réalité, ce projet est un projet de CROIssance. C’est un projet qui est porté par l’ambition de refaire de la France une GRANDE puissance (.) économique et politique (Rede, 13.03.2017). b. FF: Le logement social […] devra être réservé uniquement à celles et ceux qui en ont réellement besoin, […] (Wahlprogramm, 2017). In (61a) wird durch en réalité die Aussage des Sprechers (Fillon) («ce projet est un projet de CROIssance») als mit der Realität übereinstimmend und damit als wahr gekennzeichnet; der Position des Sprechers wird die Position anderer Akteure gegenübergestellt («ceux qui décrivent mon projet comme une purge»), die als falsch markiert wird («ont tout faux») und der damit die Wahrheit bzw. Gültigkeit abgesprochen wird. En réalité signalisiert somit einen Wahrheitsanspruch, aber auch eine zwischen zwei oder mehr Positionen bestehende Opposition. En réalité weist darauf hin, dass sich im Diskurs unterschiedliche Wahrheitsansprüche gegenüberstehen und fungiert damit als Agonalitätsindikator. Für die Kennzeichnung des Wahrheitsgehalts einer Aussage sind verschiedene Kategorien von Adverbien relevant. Zu diesen zählen adverbes illocutifs und adverbes assertifs. Adverbes illocutifs529 sind Satzadverbien, die sich auf die Intention des Sprechers beziehen530 und entweder den Äußerungsakt (confidentiellement, réellement etc.) oder den Sprecher bzw. Hörer (franchement, honnêtement, sérieusement, sincèrement etc.) charakterisieren (cf. Guimier 1996, 154–159). Sie können anzeigen, dass sich der Sprecher im Namen der Wahrheit äußert (réelle-
Dies gilt auch für den Ausdruck en fait, der teilweise synonym zu en réalité ist (cf. Saunier 2017). Ich übernehme die Bezeichnung adverbes illocutifs von Guimier (1996). Daneben ist auch die auf Greenbaum (1969) zurückgehende Bezeichnung adverbes de phrase disjonctifs de style geläufig (cf. z.B. Molinier/Levrier 1999, 65–78). Molinier (2009) spricht von adverbes d’énonciation. Adverbes exophrastiques avec portée sur la visée de discours (Guimier 1996).
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ment, vraiment, véritablement, en vrai, en vérité etc.), oder den Sprecher als ehrlichen, aufrichtigen, wahrheitsliebenden Menschen charakterisieren (franchement, honnêtement, sérieusement, sincèrement etc.) (cf. Molinier 2009). Im Rahmen der Polyphonie-Theorie werden diese Adverbien als Ausdruck mehrerer, im Diskurs konfligierender Stimmen gedeutet, was ihre Funktion als Indikatoren konkurrierender Wahrheitsansprüche in agonalen Diskursen untermauert: «Quand quelqu’un dit ‹Honnêtement, je ne crois pas (être fou)›, ce qu’il répond (Y = Je ne crois pas [être fou]) va dans le sens contraire de ce qui a affirmé préalablement son interlocuteur (X = Vous êtes fou). Pour modaliser sa réponse et obtenir l’adhésion du destinataire, il fait accompagner le contenu propositionnel de son énoncé de l’adverbe ‹honnêtement›» (Álvarez-Prendes 2018a, 272–273; meine Kursivierung).531
Im politischen Sprachgebrauch werden adverbes illocutifs teilweise auch genutzt, wenn zuvor gar keine gegenteilige Position kundgetan wurde. Auf diese Weise kann dem politischen Gegner eine Aussage unterstellt werden, die er gar nicht getätigt hat, oder es kann, insbesondere wenn es sich um einen ohnehin unumstrittenen Sachverhalt handelt, gewissermaßen grundlos die eigene Ehrlichkeit hervorgehoben werden. Während Ersteres einen Versuch der Diskreditierung des Gegners darstellt, dient Letzteres der positiven Selbstdarstellung. Dies trifft zum Beispiel auf Le Pen zu, wenn sie, nachdem sie bereits knapp drei Minuten über Bildungspolitik gesprochen hatte, über einen Aspekt sagt, zu dem sich bislang niemand geäußert hatte und in dem ihr vermutlich niemand widersprechen würde: (62) MLP: Aujourd’hui, très honnêtement, euh il est vrai que plus le niveau (.) d’enseignement (.) est bas (.), euh plus il y a une sélection par l’argent et par la naissance (TV-Duell, 03.05.2017). Eine weitere, für die Kennzeichnung des Wahrheitsgehalts einer Aussage besonders relevante Kategorie von Adverbien sind die adverbes assertifs.532 Adverbes assertifs sind Satzadverbien, die sich auf das Gesagte beziehen533 und dieses hinsichtlich seines Wahrheitsgehalts qualifizieren. «Les adverbes assertifs discutent de la valeur de vérité de l’énoncé. Ils présentent le fait dénoté Cf. auch Stoltenburg (2009) zum deutschen Äquivalent ehrlich gesagt. Vergleichbares zeigt Álvarez-Prendes (2018b) in Bezug auf sérieusement. Ich übernehme die Bezeichnung adverbes assertifs von Guimier (1996), dem zufolge sie von Borillo (1976) stammt und u.a. von Nøjgaard übernommen wurde (cf. Guimier 1996, 112, Anm. 112). Bei Molinier/Levrier (1999, 79–116, insb. 91–106) werden sie adverbes modaux genannt und als Untergruppe der adverbes de phrase disjonctifs d’attitude behandelt. Adverbes exophrastiques avec portée sur le dit (Guimier 1996).
6.1 Agonalitätsindikatoren
401
par l’énoncé comme appartenant au domaine du possible, du probable, du certain» (Guimier 1996, 112; Hervorhebung im Original). Adverbes assertifs präsentieren den Sachverhalt als möglich (peut-être, possiblement, éventuellement etc.), wahrscheinlich (probablement, vraisemblablement, apparemment, en apparence etc.) oder sicher/gewiss (assurément, décidément, évidemment, incontestablement, indéniablement etc.) (cf. Guimier 1996, 112–124). Während der Wahrheitsgehalt der Aussage durch Adverbien der beiden erstgenannten Gruppen angezweifelt wird, wird er durch Adverbien der dritten Gruppe bestätigt (cf. Guimier 1996, 114 im Anschluss an Nøjgaard 1993). Auch adverbes assertifs können der polyphonen Modalisierung dienen. So verweist zum Beispiel der Ausdruck bien sûr,534 der Gewissheit markiert und damit signalisiert, dass der Sprecher einen Anspruch auf Wahrheit erhebt, nicht nur auf die Position des Sprechers, dass diese Aussage der Wahrheit entspreche, sondern auch auf das gemeinsame Wissen («savoir commun»), darauf, dass diese Position selbstverständlich sei und von vielen geteilt werde (cf. Anscombre 2013b). Durch bien sûr wird ein Wahrheitsanspruch signalisiert, der durch die darin enthaltene Präsupposition zusätzlich untermauert wird; dieser kann im Diskurs mit Wahrheitsansprüchen anderer in Konkurrenz treten oder auch explizit in Zweifel gezogen werden. (63) EM: Madame Le Pen, (..) le protectionnisme, (.) l’isolationnisme, (.) le nationalisme, (.) c’est votre projet. (.) C’est le repli et la guerre avec l’autre. (.) On l’a connu pendant des siècles et des siècles. [(.) Il y a des gens qui ont = MLP: [Non. (…) Vous vous = EM: = payé. (.) Nos FAmilles ont payé.] MLP: = trompez d’analyse] historique. EM: Mais bien sûr. (.) C’est ce que [VOUS proposez.] MLP: [C’est vrai que] l’histoire de France vous intéresse pas, [(.) pas plus que la culture de France, pas plus que L’ART = EM: [Elle m/ (…) elle m’intéresse COMME la culture/] MLP: = français] (.) ne vous intéresse. [La réalité, monsieur/]
Zur polyphonen Modalisierung anderer adverbes assertifs cf. u.a. Anscombre (2013a) am Beispiel von apparemment und Foullioux (2013) am Beispiel von certes.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
EM: [Il est vrai que nous] n’avons pas la même [vision, madame Le = MLP: [Non mais la réalité, = EM: = Pen, (.) je vous le confirme.] MLP: = monsieur Macron, (..)] c’est que c’est le [DÉSÉquilibre/] EM: [Mais (.) la RÉalité,] c’est que ce que vous proposez, c’est une sortie de l’Histoire (TV-Duell, 03.05.2017). Dieses Beispiel illustriert neben der oben beschrieben Funktion von bien sûr auch die Vielfalt der Agonalitätsindikatoren aus dem Bereich der Wahrheit insgesamt sowie die Bedeutsamkeit, die diese in agonalen Diskursen haben. Dass Versprachlichungsmittel von Wahrheit als Agonalitätsindikatoren fungieren können und welche Formen dabei eine Rolle spielen können, haben die obigen Ausführungen deutlich gemacht. Der Frage, welche Funktionen sie haben können, sprich in Verbindung mit welchen sprachlichen Handlungen sie auftreten und welche sprachlichen Handlungen im Kampf um die Wahrheit überhaupt eine Rolle spielen, wird in Kapitel 6.2.8 weiter nachgegangen. 6.1.2.7 Zwischenfazit Gegenstand des vorliegenden Kapitels waren lexikalische Agonalitätsindikatoren. Zunächst wurde ein Überblick darüber gegeben, welche thematischen Kategorien einen Bezug zu Agonalität aufweisen, um auf dieser Grundlage Lexeme zu ermitteln, die über agonales Potenzial verfügen, also potenziell als Agonalitätsindikatoren fungieren können. Dabei hat sich gezeigt, dass die Bandbreite relevanter thematischer Kategorien sowie der ihnen zugehörigen Lexeme in quantitativer wie qualitativer Hinsicht äußerst groß ist. Aus der Gesamtheit der potenziell relevanten Kategorien wurden im Anschluss fünf Kategorien einer detaillierteren Untersuchung unterzogen: die auf die beiden definitorischen Merkmale von Agonalität Bezug nehmenden Kategorien der Opposition und der Konkurrenz, die agonale Aushandlungsprozesse fokussierenden Kategorien Kampf und Krieg sowie Streit und schließlich die Kategorie der Wahrheit, bei der es um die für Agonalität zentrale Frage nach der Gültigkeit bzw. Wahrheit von Äußerungen geht. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass alle untersuchten Kategorien bzw. die ihren zugehörigen Versprachlichungsmittel über hohes agonales Potenzial verfügen. Der Ansatz von Mattfeldt (2018) konnte damit in Bezug auf das Französische grundsätzlich bestätigt werden, wobei sich in Bezug auf die für Agonalität relevanten thematischen Kategorien Überschneidungen mit dem Englischen und Deutschen, aber auch Abweichungen ergaben, was neben einzelsprachspezifischen Merkmalen auch auf lexikographische Besonderheiten zurückzuführen ist. In Bezug auf die Versprachlichungsmittel konnte, unter Bezugnahme auf weitere, vereinzelte Stu-
6.2 Agonale Diskurshandlungen
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dien, ein gänzlich neues, spezifisch französisches Inventar an Versprachlichungsmitteln erschlossen werden, von denen einige auf der Grundlage von Wörterbüchern sowie des Korpus einer detaillierteren Untersuchung unterzogen wurden. Dabei hat sich gezeigt, dass lexikalische Agonalitätsindikatoren äußerst vielfältig sind. Sie gehören unterschiedlichsten thematischen Kategorien an, treten in Verbindung mit unterschiedlichen semantischen Dimensionen der Agonalität auf und verfügen über unterschiedlich großes agonales Potenzial. Nahezu sämtliche Wortarten sowie unzählige Wortfelder und Wortfamilien spielen dabei eine Rolle. Das Inventar potenzieller lexikalischer Agonalitätsindikatoren kann mithilfe von Wörterbüchern, insbesondere thematischen Wörterbüchern und Synonymwörterbüchern, erstellt und beständig erweitert werden. Die tatsächliche, Agonalität anzeigende Funktion der jeweiligen Lexeme ist auf der Grundlage von Korpora empirisch zu prüfen, was in der vorliegenden Untersuchung für ausgewählte Lexeme am Beispiel des französischen Präsidentschaftswahlkampfs 2017 getan wurde. Auf diese Weise konnte die Agonalität anzeigende Funktion einzelner lexikalischer Mittel im konkreten Verwendungskontext und damit ihr allgemeines agonales Potenzial bestätigt werden.
6.2 Agonale Diskurshandlungen Im theoretischen Teil der Arbeit wurde dafür plädiert, aus pragmalinguistischer Sicht den Fokus auf die Handlungsdimension von Sprache zu legen, und auf dieser Grundlage eine handlungstheoretische Fundierung der Diskursanalyse vorgenommen (cf. Kapitel 3.4). Wesentlicher Gegenstand einer pragmalinguistisch orientierten (Diskurs-)Analyse ist die Untersuchung sprachlicher Handlungen. Mit Blick auf Agonalität rückt dabei eine spezifische Kategorie sprachlicher Handlungen in den Fokus, die sich dadurch auszeichnet, dass sie in agonalen Aushandlungsprozessen, auch diskursive Kämpfe genannt, zum Einsatz kommen. Zur Bezeichnung dieser sprachlichen Handlungen wurde in Kapitel 2.6.6 der Terminus agonale Diskurshandlungen eingeführt. Im Folgenden werden neun Typen agonaler Diskurshandlungen behandelt: Gegenüberstellung (Kapitel 6.2.1), Selbstbildkonstruktion (Kapitel 6.2.2), Fremdbildkonstruktion (Kapitel 6.2.3), Stellungnahme (Kapitel 6.2.4), negative Wertung (Kapitel 6.2.5), Dissens und Konsens (Kapitel 6.2.6), Angriff und Verteidigung (Kapitel 6.2.7), der Kampf um die Wahrheit (Kapitel 6.2.8) und der Kampf um das Rederecht (Kapitel 6.2.9). In jedem Unterkapitel wird zuerst eine allgemeine Bestimmung der jeweiligen agonalen Diskurshandlung vorgenommen, um im Anschluss daran auf der Grundlage des Untersuchungskorpus ihr Wesen und ihre Erscheinung in quantitativer wie qualitativer Hinsicht und unter Einbezug forma-
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
ler, inhaltlicher und funktionaler Aspekte zu analysieren. Dabei wird unter anderem untersucht, ob die jeweiligen agonalen Diskurshandlungen mit bestimmten semantischen Dimensionen der Agonalität korrelieren, welche (Kategorien von) Agonalitätsindikatoren bei ihrer Realisierung prototypischerweise zum Einsatz kommen und ob es erste Indizien einer akteurs- und/oder textsortenspezifischen Verwendungsweise von agonalen Diskurshandlungen gibt. Abschließend werden die Ergebnisse in einem Zwischenfazit resümiert (Kapitel 6.2.10).
6.2.1 Gegenüberstellung Die Gegenüberstellung ist eine der grundlegendsten agonalen Diskurshandlungen. Bei einer Gegenüberstellung wird ein Kontrast, eine Opposition zwischen zwei oder mehr Sachverhalten zum Ausdruck gebracht. Die Gegenüberstellung betrifft damit eines der beiden konstitutiven Merkmale von Agonalität, die Opposition, weshalb ihr agonales Potenzial sehr groß ist. Dennoch ist nicht jede Gegenüberstellung zwangsläufig agonal, da darüber hinaus auch das kompetitive Moment gegeben sein muss. Die agonale Diskurshandlung der Gegenüberstellung betrifft insbesondere die semantische Dimension der AGONALITÄT DER EXPLIZITEN GEGENÜBERSTELLUNG, aber auch, bei der Gegenüberstellung verschiedener Lexeme, die AGONALITÄT DER LEXIKALISCHEN GEGENÜBERSTELLUNG sowie, bei der Gegenüberstellung verschiedener Zeiträume oder -punkte, die AGONALITÄT DER ZEITLICHEN GEGENÜBERSTELLUNG. Im Untersuchungskorpus entfallen 8,61% aller agonalen Diskurshandlungen auf die Gegenüberstellung.535 Damit stellt sie nach der Stellungnahme die zweithäufigste agonale Diskurshandlung dar. Die Gegenüberstellung wird von allen Akteuren und in allen Textsorten verwendet. Besonders charakteristisch ist sie für TV-Duelle und TV-Interviews, weniger charakteristisch für Wahlprogramme und professions de foi.536
Eine Visualisierung der Verteilung der agonalen Diskurshandlungen im Gesamtkorpus bietet Abbildung 16. Eine ANOVA zeigt, dass ein hoch signifikanter Unterschied im Zusammenhang der agonalen Diskurshandlung der Gegenüberstellung zwischen den verschiedenen Textsorten besteht (F(4,20)=10,39, p < 0,01). TV-Duelle und TV-Interviews unterscheiden sich jeweils signifikant von Wahlprogrammen und professions de foi mit p < 0,01. Eine ANOVA zeigt auch, dass im Zusammenhang der Gegenüberstellung zwischen den verschiedenen Akteuren kein signifikanter Unterschied besteht.
6.2 Agonale Diskurshandlungen
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Formal kann die Gegenüberstellung auf verschiedene Weise erfolgen, zum Beispiel durch die Feststellung eines Unterschieds (64a), durch einen Vergleich (64b), eine Konzession (64c) oder eine adversative Struktur (64d): (64) a. MLP: Vous savez, je crois que (.) c’est très intéressant ce que vous avez dit, monsieur Macron, parce qu’en fait, (.) on voit toute la différence qu’il y a entre la vision qui est la vôtre et celle qui est la mienne (TV-Duell, 03.05.2017). b. FF: Il y a près de six millions d’emplois publics dans notre pays, c’est beaucoup plus que tous nos voisins, et nous sommes le pays le plus endetté euh de tous les grands pays développés (TV-Duell, 20.03.2017). c. FF [in Bezug auf die Affaire Fillon]: Et à cet égard, même si toute cette charge contre moi est injuste, révoltante, instrumentalisée, je vous dois des excuses (Rede, 05.03.2017). d. EM: Le choix est désormais clair: d’un côté, la France dans ce qu’elle peut avoir de meilleur, lorsqu’elle est rassemblée, conquérante et qu’elle a soif de l’avenir; de l’autre, la France dans ce qu’elle peut rappeler de pire, lorsqu’elle est repliée sur elle-même, divisée et qu’elle regarde vers le passé (Profession de foi, 05.2017). Eine Gegenüberstellung kann durch verschiedene Agonalitätsindikatoren angezeigt werden. Im Bereich der lexikalischen Agonalitätsindikatoren spielen unter anderem die thematischen Kategorien der Opposition (z.B. par opposition à, s’opposer, contre, pourtant, mais, même si, d’un côté… de l’autre…), des Unterschieds, der Diskrepanz und der Spaltung (z.B. différence, divergence, clivage), der Unähnlichkeit (z.B. dissemblable, dissemblance), der Widersprüchlichkeit oder Gegensätzlichkeit (z.B. contradiction, discordance) sowie der Abweichung oder Nicht-Übereinstimmung (z.B. divergence, non-conformité) eine Rolle. Im Zusammenhang mit der zeitlichen Gegenüberstellung finden darüber hinaus lexikalische Agonalitätsindikatoren aus den semantischen Feldern Vergangenheit (z.B. passé, antériorité, depuis, il y a + Zeitangabe), Zukunft (z.B. avenir, futur, demain, dans + Zeitangabe) und Veränderung (z.B. changement, révolution, alternance) Verwendung. Im Bereich der grammatischen Agonalitätsindikatoren spielen insbesondere Konzession und Adversativität, Komparation, Negation und, im Zusammenhang mit der zeitlichen Gegenüberstellung, Temporalität eine Rolle. Verschiedene Formen der Gegenüberstellung korrelieren dabei mit unterschiedlichen Agonalitätsindikatoren (z.B. Vergleich > lexikalische Mittel des Vergleichs und Komparation, cf. 64b). Darüber hinaus wird eine Gegenüberstellung häufig durch syntaktische Mittel indiziert, zum Beispiel durch parallele
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
syntaktische Strukturen (z.B. 64d: d’un côté/de l’autre, la France dans ce qu’elle peut … de meilleur/de pire, lorsqu’elle est…et qu’elle…). Die AGONALITÄT DER LEXIKALISCHEN GEGENÜBERSTELLUNG wird durch zwei oder mehr kontrastierende Lexeme indiziert (z.B. meilleur – pire in 64d oder mondialiste – patriote in 65c). Obwohl eine Gegenüberstellung durch eine Vielzahl von Agonalitätsindikatoren angezeigt werden kann, kann sie auch ganz ohne entsprechende Indikatoren erfolgen. Derartige Gegenüberstellungen können nicht automatisiert identifiziert werden, sondern bedürfen in besonderem Maße der aufmerksamen Lektüre und des Wissens des Analysierenden. Inhaltlich kann sich die Gegenüberstellung auf verschiedene Sachverhalte beziehen. Häufig gegenübergestellt werden zum Beispiel unterschiedliche Zeiträume oder -punkte (65a), Akteure, insbesondere Kandidaten im Wahlkampf (65b), Positionen, Ideologien oder Werte, die sich ggf. verschiedenen Akteuren zuordnen lassen (65c), oder verschiedene Möglichkeiten der Handhabung eines politischen Sachverhalts, die ggf. von verschiedenen Akteuren propagiert werden (65d). Auch finden sich immer wieder Vergleiche Frankreichs mit anderen Ländern (65e): (65) a. FF: Moi, ce que je veux construire, […] c’est un pays dans lequel euh euh les jeunes trouvent du travail, où les familles ne sont pas désespérées par l’ABsence de perspectives pour la jeunesse, et où la croissance redonne la possibilité euh de redistribuer du pouvoir d’achat. C’est une situation qui est bien meilleure que celle d’aujourd’hui (TV-Interview, 19.04.2017). b. JLM: Entre l’extrême droite qui voudrait la Nation ethnique (..) et les serviteurs de l’argent-roi qui n’en finissent plus de vouloir détruire l’État et les services publics, (..) le pays sans nous serait menacé de dislocation (Rede, 18.03.2017). c. MLP: Cette élection présidentielle mettra face à face deux visions. Le choix «mondialiste» d’un côté, représenté par tous mes concurrents, qui cherche à détruire nos grands équilibres économiques et sociaux, qui veut l’abolition de toutes les frontières, économiques et physiques, et qui veut toujours plus d’immigration et moins de cohésion entre les Français. Le choix patriote de l’autre, que j’incarne dans cette élection, qui met la défense de la nation et du peuple au cœur de toute décision publique et qui par-dessus tout veut la protection de notre identité nationale, notre indépendance, l’unité des Français, la justice sociale et la prospérité de tous (Wahlprogramm, 2017). d. MLP: Je veux qu’à l’université le critère euh euh euh soit le mérite (.) et ne soit pas le tirage au sort comme (.) les socialistes viennent de le décider (TV-Duell, 03.05.217).
6.2 Agonale Diskurshandlungen
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e. FF: Contre le chômage qui touche près de 6 millions de nos compatriotes, contre la croissance molle et la désindustrialisation, la France a tout essayé… sauf ce qui marche, partout ailleurs. Et ce qui marche dans les autres pays, c’est une politique économique qui place les entreprises au cœur de la croissance, et qui leur donne les moyens de se développer et de créer des emplois (Wahlprogramm, 2017). Die Funktionen der Gegenüberstellung sind vielfältig. Typisch für die zeitliche Gegenüberstellung ist, wie (65a) illustriert, dass eine vergangene oder die aktuelle Situation einer zukünftigen Situation gegenübergestellt wird, wobei erstere in der Regel einer negativen Wertung, letztere hingegen einer positiven Wertung unterliegt (cf. auch Chetouani 2005 sowie Kapitel 6.1.1.7). Dadurch wird die Notwendigkeit einer Veränderung suggeriert, die der jeweilige Sprecher herbeizuführen verspricht und sich damit als «Retter» inszeniert. Die Gegenüberstellung hat damit die Funktion, das Vorhaben und spätere Handeln des Kandidaten zu legitimieren. Auch die Gegenüberstellung von Akteuren korreliert zumeist mit einer entsprechenden Wertung: Andere Akteure werden in der Regel abgewertet, was in (65b) durch den bildhaften Ausdruck les serviteurs de l’argent-roi besonders deutlich wird (gemeint sind Fillon und Macron), aber auch die Fremdbezeichnung extrême droite würde von Le Pen, die hier gemeint ist, vermutlich abgelehnt; der Sprecher selbst hingegen wird aufgewertet. Die Gegenüberstellung von Akteuren geht daher häufig mit der Konstruktion eines negativen Fremdbilds und eines positiven Selbstbilds einher und dient damit sowohl der Abgrenzung als auch der eigenen Profilierung. Als Kontrastfolie können dabei die direkten Gegenkandidaten im Wahlkampf dienen (65b), aber auch andere politische Akteure wie zum Beispiel der scheidende Präsident Hollande (66a), politische Parteien (66b) oder, was für Le Pen und Mélenchon besonders typisch ist, die Gesamtheit der politisch Verantwortlichen (66c): (66) a. FF: Et je vais (.) à l’élection présidentielle (.) en disant la vérité, alors que François Hollande a fait le contraire (TV-Interview, 19.04.2017). b. EM: Le clivage classique, les partis classiques, celles et ceux qui depuis des décennies n’ont pas réussi à résoudre les problèmes d’hier n’y arriveront pas pour demain. Le projet que je porte, c’est d’abord un projet d’alternance PROFONDE (.) avec de nouveaux visages, de nouveaux usages (TV-Duell, 20.03.2017). c. MLP: Tous ceux qui ont été au pouvoir dans les dernières années, eh bien, considèrent que l’immigration est une chance pour notre pays. Moi, je considère aujourd’hui que l’immigration est un drame pour notre pays (TV-Interview, 18.04.2017).
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Auch die Gegenüberstellung unterschiedlicher Positionen, Ideologien oder Werte korreliert in der Regel mit einer entsprechenden Bewertung und dient der Abgrenzung sowie der eigenen Profilierung. Dies illustriert Beleg (65c), in dem Le Pen ihre eigene ideologische Verortung («le choix patriote») der (vermeintlichen) ideologischen Verortung all ihrer Gegenkandidaten («le choix mondialiste») gegenüberstellt. Bei der Gegenüberstellung verschiedener Möglichkeiten der Handhabung eines politischen Sachverhalts (65d) dominiert zumeist die Abgrenzung: Es wird vor Augen geführt, welche unterschiedlichen Möglichkeiten es gibt, mit einem politischen Sachverhalt umzugehen. Dabei befürwortet der Sprecher in der Regel eine Möglichkeit, wohingegen er eine andere ablehnt, die zum Beispiel der aktuellen Handhabung, wie in (65d), oder dem Vorschlag von Gegenkandidaten im Wahlkampf entsprechen kann. Bei dem Vergleich Frankreichs mit anderen Ländern (65e) verhält es sich oft ähnlich wie bei der zeitlichen Gegenüberstellung: Die Situation in Frankreich wird der Situation in anderen Ländern gegenübergestellt, wobei erstere in der Regel negativ bewertet wird, letztere hingegen positiv. Dadurch wird die Notwendigkeit einer Veränderung suggeriert und deutlich gemacht, dass es, wie andere Länder zeigen, möglich ist, diese Veränderung herbeizuführen. Indem der Kandidat sich als derjenige darstellt, der diese Veränderung herbeizuführen verspricht, dient die Gegenüberstellung auch hier der Legitimierung seines Vorschlags und späteren Handelns. Die Beispiele führen nicht nur vor Augen, wie vielfältig Formen, Inhalte und Funktionen der Gegenüberstellung sind, sondern auch, wie groß das agonale Potenzial der Gegenüberstellung ist. Dieses kann durch den Kontext, so wie hier den Wahlkampf, zusätzlich verstärkt werden. Die Funktionen der Gegenüberstellung – Abgrenzung, Legitimierung des eigenen Handelns und eigene Profilierung – schreiben sich hier in die übergeordnete «Makro-Funktion» ein, die Wähler davon zu überzeugen, dass man selbst ein guter bzw. der beste Kandidat und zukünftige Präsident ist. Diese Funktion steht im Zentrum einer weiteren agonalen Diskurshandlung, der Selbstbildkonstruktion.
6.2.2 Selbstbildkonstruktion Die Selbstbildkonstruktion gibt Antwort auf die zentrale Frage Wer bin ich?. Akteure zeichnen ein bestimmtes Bild von sich, das kein bloßes Abbild der Realität ist, sondern auf eine bestimmte Art und Weise perspektiviert wird. Bei der Selbstbildkonstruktion wird das Eigene – ebenso wie das Fremde bei der Fremdbildkonstruktion – als scheinbar ontologisch Gegebenes gedeutet, ohne die Tatsache, dass es sich dabei um ein Konstrukt handelt, zu hinterfragen oder gar offenzulegen (cf. Lobenstein-Reichmann 2017). Dem soll hier, ohne dass damit irgendeine
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Form der Wertung einherginge, mit dem Begriff Konstruktion Rechnung getragen werden. Die Selbstbildkonstruktion wird (nicht nur) in der Politik strategisch genutzt, um ein positives Bild von sich selbst zu entwerfen, und trägt auf diese Weise zur persuasiven Funktion des sprachlichen Handelns bei (cf. Jones/Pittman 1982; Laux/Schütz 1996; Holly 2017b). Dies gilt für den Wahlkampf in besonderem Maße. Die Kandidaten zeichnen in der Regel ein positives Bild von sich selbst, um zu zeigen, dass sie der beste Kandidat für das angestrebte Amt sind. Die Selbstbildkonstruktion wirkt insofern agonal, als dass sie der eigenen Legitimierung und indirekt der Delegitimierung des Gegners dient. Hier, aber auch in anderen Kontexten, hat die Selbstbildkonstruktion insbesondere dann agonalen Charakter, wenn mit ihr eine implizite Kontrastierung – d.h., wenn mit der Beschreibung der eigenen Person indirekt über den anderen ausgesagt wird, dass er nicht so ist – oder eine Abgrenzung einhergeht. Auch die Tatsache, dass die Selbstbildkonstruktion – ebenso wie die Fremdbildkonstruktion – der Konstruktion von Raum-, Besitz- und Zugehörigkeitsverhältnissen dient und damit ein zentrales Mittel der Inklusion und insbesondere der Exklusion ist (cf. Lobenstein-Reichmann 2017, 811), belegt ihr agonales Potenzial. Die Selbstbildkonstruktion verfügt damit zweifellos über agonales Potenzial, doch ist dieses im Vergleich zu anderen agonalen Diskurshandlungen eher indirekt und kommt auch nicht in jedem Fall zum Tragen. Auch lassen sich der Selbstbildkonstruktion keine semantischen Dimensionen der Agonalität unmittelbar zuordnen; gleichwohl treten, wie noch gezeigt werden wird, verschiedene Dimensionen der Agonalität immer wieder in Verbindung mit der Selbstbildkonstruktion auf. Im Untersuchungskorpus entfallen 8,18% aller agonalen Diskurshandlungen auf die Selbstbildkonstruktion. Damit stellt sie nach der Stellungnahme und der Gegenüberstellung die dritthäufigste agonale Diskurshandlung dar. Die Selbstbildkonstruktion wird von allen Akteuren und in allen Textsorten verwendet. Besonders charakteristisch ist sie für die Rede; weniger charakteristisch ist sie für Wahlprogramme und TV-Duelle.537 Formal erfolgt die Selbstbildkonstruktion vor allem durch Selbstbezeichnungen (Referenz) und Selbstzuschreibungen (Prädikation). Die Selbstreferenz erfolgt zumeist durch Pronomina der 1. Ps. Sg., aber auch der 1. Ps. Pl., durch die sich der Kandidat in ein Kollektiv einschreibt (cf. ausführlicher infra), und in seltenen Fällen auch der 3. Ps. Sg. (‹statt ich›) (cf. auch dazu ausführlicher
Eine ANOVA zeigt, dass ein hoch signifikanter Unterschied im Zusammenhang der agonalen Diskurshandlung der Selbstbildkonstruktion zwischen den verschiedenen Textsorten besteht (F(4,20)=8,38, p < 0,01). Reden unterscheiden sich signifikant von Wahlprogrammen und TV-Duellen mit p < 0,01. Eine ANOVA zeigt auch, dass im Zusammenhang der Selbstbildkonstruktion zwischen den verschiedenen Akteuren kein signifikanter Unterschied besteht.
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infra).538 Selbstzuschreibungen können auf verschiedene Art und Weise erfolgen. Die prototypische Form der Selbstzuschreibung setzt sich aus dem Pronomen der 1. Ps. Sg. je, einer Form des Verbs être und einem Prädikatsnomen zusammen. Auf der Grundlage dieser Struktur hat sich im spezifischen Kontext des Präsidentschaftswahlkampfs ein regelrechtes Muster herausgebildet, das der spezifischen Selbstbeschreibung von Präsidentschaftskandidaten dient und mit 49 Okkurrenzen im Korpus relativ frequent ist: (67) (moi) je suis le/la candidat/e de… serai un/une président/e qui… veux être + Adjektiv Darüber hinaus scheint sich im Zusammenhang mit der Selbstbildkonstruktion in französischen Präsidentschaftswahlkämpfen ein weiteres, neueres Muster herauszubilden: (68) moi président/e (de la République) vous (?) Dieses Muster geht auf François Hollande zurück, der die Wendung moi président de la République im TV-Duell mit Nicolas Sarkozy 2012 prägte (für eine Analyse cf. Ewert-Kling 2015 und Kerbrat-Orecchioni 2017, 136–139). Die Formulierung, die nach dem TV-Duell in der Öffentlichkeit breit diskutiert wurde, gilt als besonders klug gewähltes Stilmittel, als «véritable morceau de bravoure» (Kerbrat-Orecchioni 2017, 136). Die Wiederaufnahme (69a)539 und sogar Modifikation der Wendung – durch Ellipse in (69b) und durch Ellipse und paradigmatische Modifikation (vous statt moi) und damit Wandel zur Fremdzuschreibung in (69c) – im Wahlkampf 2017 deutet darauf hin, dass sie sich als formelhaftes Muster zur Selbstbildkonstruktion in französischen Präsidentschaftswahlkämpfen zu etablieren scheint.
Diese Marker, deren Prototyp moi je sei, stellen bei André-Larochebouvy (1984) einen von drei Typen der «signaux agonaux» dar, die «signaux de différenciation et de distanciation»: «Ces signaux sont destinés à marquer la spécificité du locuteur par rapport aux autres participants, aux autres membres du groupe et aux habitudes de ce groupe» (André-Larochebouvy 1984, 152). Moi président lautete sogar der Titel eines Interviews mit Emmanuel Macron, das am 09.04.2017 im Journal du Dimanche erschien (JDD/Macron 2017).
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(69) a. JLM: Voilà pourquoi le cœur et le point numéro un du programme, c’est le passage à la Sixième République. (..). La Sixième République, (..) pas celle que moi (..) président de la République, ayant consulté les marquis poudrés qui m’entoureraient à cette occasion, je vous proposerais de ratifier par un référendum plébiscitaire, oui ou non. Non, une VRAIE assemblée (Rede, 05.02.2017). b. MLP: Moi présidente, le rétablissement des frontières sera mis en place DÈS le lendemain de ma prise de fonction! (Rede, 17.04.2017). c. ACC: Bonsoir Benoît Hamon. Vous le savez, notre première question est la même pour tous les invités. VOUS président, quel serait votre premier geste symbolique? (TV-Interview, 12.04.2017). Typische Inhalte der Selbstbildkonstruktion sind die Beschreibung des Charakters (70a), der Herkunft (70b), der Parteizugehörigkeit (70c), der ideologischen Verortung (70d) oder sozialer Rollen (70e) der sprechenden Person: (70) a. EM: Moi je suis un guerrier, un battant (TV-Interview, 20.04.2017). b. BH: Vous savez qui je suis, vous savez d’où je viens. Je suis (.) je suis ce Breton dont on dit dans les journaux qu’il a des convictions granitiques (Rede, 19.04.2017). c. BH: Moi je dis (.) la gauche, (.) c’est TOUT ce que je SUIS. (.) La gauche, (.) c’est ma VIE (Rede, 19.03.2017). d. MLP: Dans cette élection présidentielle, nous représentons le camp des patriotes (Rede, 05.02.2017). e. MLP: Je suis une Française, je suis une mère de famille, je suis une candidate à la présidentielle (TV-Duell, 04.04.2017). Darüber hinaus kann eine Selbstbildkonstruktion auch indirekt durch die Beschreibung des Programms erfolgen. Der Kandidat und sein Programm sind im Wahlkampf aufs Engste miteinander verwoben: Indem der Kandidat für sich wirbt, wirbt er zugleich für sein Programm und indem die Wähler für ihn stimmen, stimmen sie zugleich für sein Programm. Daher kann auch die Stellungnahme (cf. Kapitel 6.2.4) zumindest implizit zur Konstruktion eines Selbstbildes beitragen. Das folgende Beispiel scheint von einer regelrechten In-Eins-Setzung des Kandidaten und seines Programms zu zeugen – fragt sich, ob dies auf eine besonders große Identifikation des Kandidaten mit seinem Programm zurückzuführen ist oder aber eine spezifische Strategie der Selbstbildkonstruktion darstellt:
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(71) FF: Mon projet est puissant et conquérant: c’est celui du redressement national. Il est réaliste et sincère, il ne cède pas à la démagogie et aux illusions; son financement est cadré (Wahlprogramm, 2017). Die Selbstbildkonstruktion zeichnet sich durch eine Vielzahl sprachlicher Mittel und Verfahren aus, die für sie besonders charakteristisch sind. Einige davon sollen im Folgenden genauer beleuchtet werden. (i) Einschreibung in ein Kollektiv. Wie bereits angeklungen ist, wird die Selbstbildkonstruktion auch zur Einschreibung in ein Kollektiv genutzt. Dieses Kollektiv kann zum Beispiel eine politische Partei bzw. Bewegung (70c) oder eine anderweitig ideologisch definierte Gruppierung (70d) sein, es können die Anhänger bzw. zukünftigen Wähler des Kandidaten sein (72a) oder ideologische «Väter» (72b und c), die man mit anderen teilt: (72) a. JLM: Aujourd’hui tant de gens sont venus, et parfois de si loin. Oh, comme nous avions besoin de sentir notre force. […] De cette montée en masse, je prends la part de sympathie et d’encouragement personnel qu’elle comporte évidemment (Rede, 18.03.2017). b. FF: Un sursaut européen est aujourd’hui indispensable. Gaulliste, je sais qu’il n’aura lieu que si la France et l’Allemagne redeviennent le moteur de la construction européenne (Wahlprogramm, 2017). c. BH: Et je me présente devant vous (..) avec la conscience d’être escorté par un long cortège de combats, d’idéaux, de héros [es folgen Namen wie Émile Zola, Fernand Braudel und Aimé Césaire; meine Anm.] (Rede, 19.03.2017). Durch die Einschreibung in ein Kollektiv wird Macht und Stärke demonstriert. Sie zeigt, dass man nicht alleine ist, sondern Teil eines Kollektivs, das einen stützt. Häufig bleibt dabei unklar, wer genau Teil dieses Kollektivs ist. Dies gilt insbesondere für die Verwendung des nous, dessen Referenz oft uneindeutig ist (cf. z.B. «Oh, comme nous avions besoin de sentir notre force» in 72a), was nicht selten strategisch genutzt wird. (ii) Führen eines Lagerwahlkampfs. Die Selbstbildkonstruktion kann auch zum Führen eines Lagerwahlkampfs genutzt werden. Dabei verortet sich der Sprecher innerhalb eines politischen Lagers, zum Beispiel einer Partei, Bewegung oder Strömung (cf. 70c, 70d, 72b), wodurch er sich in ein spezifisches Kollektiv einschreibt und sich zugleich ideologisch positioniert. Eine agonale Wirkung wird insbesondere dann erzeugt, wenn damit eine Gegenüberstellung des Kandidaten mit seinem bzw. seinen Gegenkandidaten einhergeht, durch
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die der Wähler implizit gezwungen wird, sich zu positionieren. Ein Paradebeispiel dafür sind die Aussagen nach dem Muster ‹ich bin für x, Macron ist dagegen› in der profession de foi Le Pens vor dem zweiten Wahlgang (cf. Beleg 215; für weitere Beispiele cf. 17a und 104b). (iii) Die Verwendung der 3. Ps. Sg. (‹statt ich›). Neben der prototypischen 1. Ps. kann auch die 3. Ps. zur Selbstreferenz dienen. Im Korpus ist dieses eher seltene Stilmittel immerhin fünfmal und bei vier verschiedenen Akteuren belegt: (73) a. FF [nachdem er darauf angesprochen wurde, dass er sich bereit erklärt habe, Vertreter von Sens commun in seine zukünftige Regierung aufzunehmen]: Mais moi, je n’ai/ j’ai un projet politique que je présente aux Français. C’est pas le projet de Sens commun, c’est pas non plus le projet du centre gauche, c’est le projet de François Fillon. Et c’est celui-là qui serait mis en œuvre (.) par les membres du gouvernement, qui devraient faire preuve de loyauté et de discipline (TV-Interview, 19.04.2017). b. LS: Vous avez créé le trouble, Emmanuel Macron, en déclarant: «Il n’y a pas de culture française.» Vraiment? (.) Vraiment? (...) De Montaigne à Houellebecq, de Delacroix à Matisse, de Haussmann à Le Nôtre, vraiment il n’y a pas UNE culture française dont on doit être fier et qui fait notre éclat, notre aura dans le monde? EM: Si il y a UN candidat dans cette élection qui défend dans le livre qu’il a écrit, «Révolution», la culture française et ce qu’elle est, qui la défend dans tous ses discours (.) et ses prises de position publiques, (.) il est bien devant vous (TV-Interview, 20.04.2017). c. MLP: Pour bâtir son projet de redressement national, Marine Le Pen a réuni autour d’elle une équipe composée d’élus expérimentés, d’universitaires, de professionnels issus de la société civile, en s’appuyant sur la diversité de leurs profils et de leurs parcours, au plus près des préoccupations des Français (Profession de foi, 05.2017; Fettdruck im Original). d. BH: Je suis (.) je suis ce Breton dont on dit dans les journaux qu’il a des convictions granitiques. En clair, ça veut dire qu’il a des convictions, qu’il n’en change pas en fonction de son auditoire (Rede, 19.04.2017). e. BH [zu PUB]: Pour faire en sorte que demain (.) vous soyez sûrs (.) d’avoir un président (.) qui sait pour qui il se bat. Honnête, combattant, humain. Voilà qui je suis (TV-Duell, 04.04.2017).
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Durch die Verwendung der 3. Ps. ‹statt ich› wird der Anschein der Sachlichkeit und Unparteiischkeit erweckt; persönliche Sichtweisen werden so als scheinbare objektive Fakten dargestellt. Darüber hinaus wird durch dieses Stilmittel die Aura, das Charisma des Sprechers verstärkt. Bereits Gaius Julius Caesar ist für die Nutzung dieses Verfahrens bekannt;540 verwenden andere dieses Stilmittel nach ihm – etwa Charles de Gaulle in seinen Mémoires –,541 wird ihr Sprechen mitunter in die Tradition Caesars gestellt und zum Teil als anmaßend kritisiert.542 (iv) Der «Topos des Einzigen». Die Kandidaten betonen häufig, dass sie der Einzige sind, der etwas ist, kann oder tut. Das prototypische Muster für derartige Zuschreibungen ist:543 (74) je/j’ suis le/la seul/e (candidat/e) qui serai à + Infinitiv ai été crois être Der Topos des Einzigen dient auf exemplarische Art und Weise der Hervorhebung der eigenen Person gegenüber allen anderen, weshalb derartige Aussagen nicht nur eine Form der Selbstzuschreibung, sondern immer auch der Fremdzuschreibung und der Gegenüberstellung sind.
Z.B. «Caesari cum id nuntiatum esset eos per provinciam nostram iter facere conari, maturat ab urbe proficisci et quam maximis potest itineribus in Galliam ulteriorem contendit et ad Genavam pervenit. / Als Caesar erfuhr, [dass] sie [= die Helvetier] versuchten, durch unsere Provinz zu ziehen, brach er sofort von Rom auf, eilte in möglichst großen Tagereisen ins jenseitige Gallien und kam nach Genava.» (De bello gallico I, 7, 1; = Caesar 2013, 13–14). Z.B. «De la part de ces chefs, une telle attitude répondait, sans doute, à l’utilité immédiate. Elle n’en était pas moins méritoire. Il leur fallait, en effet, dans leurs rapports avec de Gaulle, surmonter une surprise à vrai dire bien compréhensible. Ce chef d’État, sans constitution, sans électeurs, sans capitale, qui parlait au nom de la France; cet officier portant si peu d’étoiles, dont les ministres, généraux, amiraux, gouverneurs, ambassadeurs de son pays tenaient les ordres pour indiscutables; ce Français, qui avait été condamné par le gouvernement ‹légal›, vilipendé par beaucoup de notables, combattu par une partie des troupes et devant qui s’inclinaient les drapeaux, ne pouvait manquer d’étonner le conformisme des militaires britanniques et américains. Je dois dire qu’ils surent passer outre et voir la France là où elle était» (Gaulle 1954–1959, vol. 2, 263; meine Hervorhebungen). So z.B. Douglas Johnson (2000) in Bezug auf de Gaulle in seinem Artikel The Ceasar of Colombey. Im Korpus verfügt das Muster über 18 Okkurrenzen. Teilweise wird es durch adverbiale Bestimmungen der Zeit (aujourd’hui, dans cette campagne) oder modalisierende Ausdrücke (sans doute, d’ailleurs) erweitert.
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(v) Die Selbstinszenierung als Kämpfernatur. Ein im Hinblick auf Agonalität besonders interessantes Verfahren im Zusammenhang mit der Selbstbildkonstruktion ist die Inszenierung der eigenen Person als Kämpfernatur. Die Versprachlichung erfolgt durch Agonalitätsindikatoren der thematischen Kategorie Kampf und Krieg (cf. Kapitel 6.1.2.4): (75) a. EM: Moi je suis un guerrier, un battant (TV-Interview, 20.04.2017). b. BH: Je me battrai (.) Dimanche (.) et je me battrai (.) Après. (.) Je me battrai. (Applaus) Je me battrai (.) Avec vous (.) et je me battrai (.) TOUjours. (.) Je me battrai (.) parce que je me bats pour la liberté, (.) pour l’égalité, (.) pour la fraternité, (.) parce que je me bats pour la République, (.) et que RIEN ne m’arrêtera, (.) RIEN (.) ne NOUS arrêtera! (Rede, 19.04.2017).544 (vi) Die Selbstbildkonstruktion als indirekte Fremdbildkonstruktion. Eine Selbstzuschreibung kann in umgekehrter Lesart auch als Fremdzuschreibung fungieren.545 Ist die Fremdzuschreibung mit einer negativen Wertung oder einem Angriff verbunden, wird diese bzw. dieser durch die formale Gestalt der Selbstbildkonstruktion dissimuliert, wodurch sich der Sprecher weniger angreifbar macht und einer Rechtfertigung entzieht. Auch impliziert die Selbstbildkonstruktion als indirekte Fremdbildkonstruktion immer eine Gegenüberstellung und hat damit großes agonales Potenzial. Dieses Verfahren ist besonders häufig bei Selbstzuschreibungen in negierter Form der Fall (76a; hier auf Macron abzielend), kann aber auch auf nicht-negierte Selbstzuschreibungen zutreffen (76b): (76) a. MLP: Je n’aspire pas à administrer euh ce qui serait devenu une région, euh une vague région de l’Union européenne. Euh je ne souhaite pas être la vice-chancelière de madame Merkel. Euh je ne souhaite pas non plus être euh la VRP de tel ou tel multinational ou de tel ou tel grand groupe (TV-Duell, 20.03.2017).
Zu diesem Beispiel cf. auch Kapitel 6.3.2. Cf. auch Kerbrat-Orecchioni (2017, 222–223), die dies am Beispiel der Aussage «moi je veux être au service de la France (.) avec l’expérience qui est la mienne», die Ségolène Royal im TV-Duell mit Nicolas Sarkozy 2007 tätigt, erläutert. Während diese Aussage vordergründig eine Selbstbeschreibung darstelle, könne sie in zweiter Lesart auch als Fremdbeschreibung gedeutet und so verstanden werden, dass Sarkozy nicht im Dienste der Franzosen stehen wollen würde bzw. dies während seiner zurückliegenden Präsidentschaft nicht getan habe.
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b. MLP: Moi je considère, monsieur, que la sécurité du peuple [français = FF: [Mais = MLP: = est une ULTRA priorité, voilà.] FF: = moi aussi je considère/ (.)] Bien sûr, mais je propose des choses réalistes, madame Le Pen, RÉALISTES (TV-Duell, 20.03.2017). Nicht nur die Mittel und Verfahren, auch die Funktionen der Selbstbildkonstruktion sind äußerst vielfältig. Die primäre Funktion der Selbstbildkonstruktion ist es, den Wähler davon zu überzeugen, dass man ein guter, ja der beste Präsident wäre, wie es Hamon in (77) ganz offen formuliert. Daher wird stets ein positives Selbstbild konstruiert; Selbstkritik ist bei Präsidentschaftskandidaten äußerst selten. (77) BH: […] je pense avoir donc TOUTES les qualités pour faire enfin un bon président de la République française (Rede, 19.04.2017). Darüber hinaus kann die Selbstbildkonstruktion dazu dienen, den Wählern ein Identifikationspotenzial zu bieten oder sich mit ihnen zu solidarisieren (cf. 70b und e). Des Weiteren kann sie zur Selbstverteidigung und Wiederherstellung eines positiven Selbstbildes genutzt werden. Gerade im Wahlkampf spielt diese «réparation d’image» (so Amossy 2018 im Anschluss an Benoit 2015) eine zentrale Rolle; 2017 war sie vor allem bei Fillon (cf. Guaresi/Mayaffre 2018), aber auch bei Mélenchon (cf. Amossy/Koren/Saltykov 2018), Macron (cf. Sadoun-Kerber 2018) und anderen Kandidaten zu beobachten. Nicht zuletzt kann die Selbstbildkonstruktion auch der Konstruktion eines negativen Fremdbildes sowie der Kontrastierung und Abgrenzung von anderen Kandidaten dienen (cf. 76a und b). Wie die Ausführungen und die Vielzahl der Beispiele deutlich machen, spielt die (positive) Selbstbildkonstruktion im Wahlkampf eine zentrale Rolle, ist aber auch darüber hinaus ein wichtiges Mittel im Kampf um die Diskurshoheit und birgt damit eindeutig agonales Potenzial. Ihr Pendant ist die Fremdbildkonstruktion.
6.2.3 Fremdbildkonstruktion So wichtig es im Wahlkampf ist, ein bestimmtes Bild von sich selbst zu vermitteln, so wichtig ist es, ein bestimmtes Bild von anderen zu vermitteln. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Gegenkandidaten im Wahlkampf, aber auch andere Akteure können Gegenstand der Fremdbildkonstruktion sein. Wie bei der Selbstbildkonstruktion handelt es sich auch hier um auf eine bestimmte Weise
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perspektivierte Darstellungen, um eine «Konstruktion» des Fremden (cf. Lobenstein-Reichmann 2017). Das agonale Potenzial der Fremdbildkonstruktion ist deutlich größer als das der Selbstbildkonstruktion, da die Fremdbildkonstruktion zwangsläufig die Existenz einer anderen, möglicherweise konkurrierenden Perspektive voraussetzt und da sie, im Gegensatz zur Selbstbildkonstruktion, häufig mit einer negativen Wertung einhergeht (AGONALITÄT DER NEGATIVEN WERTUNG). Besonders interessant und hochgradig agonal ist die Fremdbildkonstruktion dann, wenn der andere mit der Zuschreibung nicht einverstanden ist. Mit einem Anteil von 7,74% ist die Fremdbildkonstruktion die vierthäufigste agonale Diskurshandlung im Korpus. Sie wird von allen Akteuren und in allen Textsorten verwendet; in Wahlprogrammen ist sie mit 0,49% allerdings fast inexistent. Besonders charakteristisch ist die Fremdbildkonstruktion für die Rede; auch in TV-Interviews spielt sie eine große Rolle.546 Formal kann die Fremdbildkonstruktion durch eine Fremdbezeichnung (Referenz) oder eine Fremdzuschreibung (Prädikation) erfolgen. Auch durch Referenzausdrücke allein kann bereits eine Prädikation erfolgen; da ihr Prädikationscharakter nicht offensichtlich ist, wird die Prädikation vom Rezipienten leichter akzeptiert; darüber hinaus müssen vom Produzenten keine Rechtfertigungsgründe genannt werden. Dies macht Referenzausdrücke zu einem besonders effektiven Mittel bei der Konstruktion eines negativen Fremdbilds. Zur Referenz auf den anderen werden vor allem Pronomina, insbesondere der 3. Ps. Sg. und Pl. und, in TV-Duellen, die Höflichkeitsform der 2. Ps. Pl., vous, aber auch Eigennamen und definite Beschreibungen gebraucht. Letztere zeichnen sich häufig durch eine stark negative Wertung und/oder große Expressivität aus, weshalb sie für die Fremdbildkonstruktion von besonderem Interesse sind. Geradezu diffamierend wirken zum Beispiel die Bezeichnungen Macrons als histrion ‘Schmierenkomödiant’ (78a), VRP (= voyageur représentant placier ‘Außendienstmitarbeiter’) und bébé Hollande (78b) sowie die Ausdrücke caste als Bezeichnung für die Gesamtheit der politisch Verantwortlichen in (78c) (nicht weniger wertend und expressiv sind die Bezeichnungen des politischen Systems als monarchie présidentielle und oligarchie) und tous ces petits clubs de riches in (78d):
Eine ANOVA zeigt, dass ein hoch signifikanter Unterschied im Zusammenhang der agonalen Diskurshandlung der Fremdbildkonstruktion zwischen den verschiedenen Textsorten besteht (F(4,20)=15,89, p < 0,01). Reden unterscheiden sich signifikant von Wahlprogrammen, professions de foi und TV-Duellen mit p < 0,01; TV-Interviews unterscheiden sich signifikant von Wahlprogrammen mit p < 0,01. Eine ANOVA zeigt auch, dass im Zusammenhang der Fremdbildkonstruktion zwischen den verschiedenen Akteuren kein signifikanter Unterschied besteht.
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(78) a. FF: À l’heure (.) à l’heure où certains histrions (.) parlent de «crime contre l’humanité», (..) je veux rappeler que la France est avant tout un pays de LIberté, que les Français ont répandu dans le monde l’esprit des Lumières, et que dans les pires heures de son Histoire, la France a toujours su retrouver les voies exemplaires du courage et de la réconciliation (Rede, 05.02.2017). b. MLP [zu PUB]: […] vous qui avez tant souffert, tant souffert d’un président élu par défaut, d’un président (.) IRRésolu et incompétent […], d’un président qui a honte de son bilan au point de renoncer à le défendre, mais qui trouve en lui le culot de nous envoyer son VRP, un bébé Hollande, dans la personne de monsieur Macron (.) pour faire perdurer le système PS (Rede, 17.04.2017). c. JLM: La monarchie présidentielle est à bout de souffle. Il faut l’abolir. Nous voulons en finir avec la Ve République. L’oligarchie et la caste au pouvoir ne représentent pas le peuple (Wahlprogramm, 2017). d. JLM: Je suis donc hostile aux G8, les G20 et tous ces petits clubs de riches qui font la loi dans le monde (TV-Interview, 20.03.2017). Nicht nur Fremdbezeichnungen, auch Fremdzuschreibungen können, wie die folgenden Beispiele zeigen, stark wertend und expressiv sein und einem Angriff auf die beschriebene Person gleichkommen. In (79a) bezichtigt Fillon Macron zuerst des Verwirrspiels («par un tour de joueur de bonneteau») und bezeichnet ihn dann diffamierend als ‘ehemaligen Handtuchhalter Hollandes’; in (79b) betitelt Le Pen Macron und Dupont-Aignan herablassend und über die anwesenden hinwegsprechend (delocutio in praesentia) als «grands garçons»: (79) a. FF [nachdem er über Hollande gesprochen hatte]: Et qu’importe si par un tour de joueur de bonneteau c’est son ancien porte-serviette, monsieur Macron, qui prend maintenant le relais, adoptant son programme pour le plus grand bonheur (.) des marchands d’illusion (Rede, 05.03.2017). b. MLP [zu LF und RE]: Laissez-les débattre, ce sont des grands garçons quand même. Ils sont tous les deux candidats à l’élection présidentielle (TV-Duell, 04.04.2017). Zum Teil scheinen Fremdzuschreibungen sogar in dem Wissen getätigt zu werden, dass sie nicht stimmen. Teilweise schwingt Ironie mit (80a), teilweise sind sie übertrieben (80b), teilweise scheinen sie aber auch tatsächlich aus böser Absicht getätigt zu werden (80c). Dies entzieht sich freilich dem Urteil des Analysierenden; unzweifelhaft aber ist, dass die Rezipienten dadurch auf den Gedanken gebracht werden, dass die getätigte Zuschreibung wahr ist, und derjenige, der
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Gegenstand der Fremdbildkonstruktion ist, in einem entsprechend schlechten Licht erscheint. (80) a. MLP [zu BH]: […] je sais que vous avez beaucoup de complaisance pour les fondamentalistes (TV-Duell, 04.04.2017). b. MLP [zu JLM]: Je sais qu’elles [= nos traditions; meine Anm.] vous dérangent. Je sais même qu’elles vous horripilent, […] (TV-Duell, 04.04.2017). c. MLP [zu EM]: J’espère qu’on n’apprendra pas (.) que vous avez un compte offshore aux Bahamas, je ne sais pas, j’en sais rien, moi. (.) Non mais j’espère. (.) J’espère (TV-Duell, 03.05.2017).547 Inhaltlich kann sich die Fremdbildkonstruktion auf verschiedenste Akteure beziehen. Häufig und in Bezug auf Agonalität besonders interessant sind die Gegenkandidaten im Wahlkampf (78a–b; cf. ausführlicher infra). Darüber hinaus sind zahlreiche weitere politische Gegner Gegenstand der Fremdbildkonstruktion, zum Beispiel der aktuelle Präsident bzw. die aktuelle Regierung (78b) oder auch die Gesamtheit der politisch Verantwortlichen (78c). Des Weiteren wird die Fremdbildkonstruktion in Bezug auf Institutionen, Verbünde und Vereinigungen genutzt (78d). Nicht zuletzt bezieht sich die Fremdbildkonstruktion teilweise auch auf die Franzosen, auf das französische Volk oder, vor allem bei Reden, das Publikum bzw. die Anhänger des Kandidaten. In diesen Fällen jedoch geht die Fremdbildkonstruktion mit einer positiven Wertung einher und ist nicht agonaler Natur. Besonders interessant im Hinblick auf Agonalität ist die Frage, welches Bild die Kandidaten von ihren Gegenkandidaten konstruieren. Aufschluss darüber geben – neben zahlreichen individuellen Zuschreibungen, von denen die obigen Beispiele bereits einen Eindruck vermitteln – die Bezeichnungen, die für die Kandidaten im Allgemeinen Verwendung finden. Dazu zählen:548 (81) candidat (353), adversaire (37), concurrent (28), compétiteur (6), prétendant (6), opposant (3) Die mit Abstand häufigste Bezeichnung ist candidat, die auch im französischen Wahlrecht verankert ist (Code électoral, Légifrance 2012) und damit gewissermaßen als prototypische und neutrale Bezeichnung gelten kann. Sowohl candi Dies ist eine der Falschaussagen, die im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 für die meisten Diskussionen gesorgt hat (cf. auch Kapitel 2.4.3, Anm. 57). Die Häufigkeitsangaben der einzelnen Termini beziehen sich lediglich auf die Okkurrenzen, in denen das Referenzobjekt tatsächlich die Präsidentschaftskandidaten sind.
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dat als auch prétendant ‘Bewerber, Anwärter’ beziehen sich auf das Konzept des Kandidaten als Einzelperson, ohne dessen Verortung in einer Gruppe von Kandidaten Rechnung zu tragen. Darin besteht der zentrale Unterschied zwischen diesen und den übrigen Termini, mittels derer die Kandidaten als Gegner (opposant), Konkurrenten (compétiteur, concurrent)549 oder sogar Widersacher (adversaire) konzeptualisiert werden. Diese Termini verweisen auf eine Situation der Gegenüberstellung (adversaire, opposant) und teilweise sogar der Konkurrenz (compétiteur, concurrent) und weisen damit auf eine von Agonalität geprägte Akteurskonstellation hin. Von besonderem Interesse ist der Terminus adversaire, da dieser zusätzlich auf eine feindliche Gesinnung verweist. Im Korpus wird er in Bezug auf die Gegenkandidaten fast ausschließlich von Le Pen verwendet (alle Okkurrenzen bis auf eine) und von anderen Akteuren sogar explizit abgelehnt (82). Dies zeigt, dass sich das Bild, das Le Pen von den übrigen Kandidaten konstruiert, entschieden von den Bildern unterscheidet, die die übrigen Kandidaten von ihren Gegenkandidaten entwerfen: (82) BH: Il [= das Wahlprogramm; meine Anm.] a été élaboré de manière (.) collaborative. […] Il s’est (.) enrichi largement des contributions de (.) mes (.) anciens, j’aime pas le mot adversaire, mais de ceux qui ont participé à la primaire de la belle alliance populaire et qui avaient mis sur la table des propositions, parmi lesquelles j’ai ÉVIdemment saisi celles qui me paraissaient enrichir, compléter, muscler mon projet (Rede, 16.03.2017). Wie bei der Selbstbildkonstruktion kommen auch bei der Fremdbildkonstruktion einige besonders charakteristische sprachliche Mittel und Verfahren zum Einsatz, von denen im Folgenden einige einer genaueren Betrachtung unterzogen werden sollen. (i) Eigennamen. Wie bereits erwähnt, werden unter anderem Eigennamen verwendet, um auf andere Akteure zu referieren. Dabei können Eigennamen auch dazu genutzt werden, ein ganz bestimmtes, ggf. einer negativen Wertung unterliegendes Bild eines Akteurs zu konstruieren. Dies geschieht etwa, indem der Eigenname eines Akteurs in Bezug auf einen Dritten verwendet wird; dadurch erfolgt eine Amalgamierung zweier Akteure, die insbesondere dann interessant ist, wenn sie von diesen abgelehnt wird. Le Pen nutzt dieses Verfahren mehrfach in Bezug auf Macron, um diesen als Nachfolger Hollandes darzustellen (cf. auch 78b) und damit zu delegitimieren; mit den Termini bébé und junior wird seine Person zusätzlich herabgewürdigt:
Bei compétiteur ‘Mitbewerber’ schwingt ein gewisses Miteinander mit, was bei concurrent ‘Konkurrent’ nicht der Fall ist.
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(83) a. MLP: LE TERRIBLE BILAN / MACRON-HOLLANDE / LE TERRIBLE PROJET (Profession de foi, 05.2017). b. MLP [zu EM]: Vous, (.) vous êtes (.) l’héritier (.) de François Hollande, (.) qui vous soutient (.) DEUX fois par jour, (.) ainsi que de l’intégralité de VOS amis ministres avec lesquels [vous avez gouverné notre pays, (.)] = EM: [Et de l’intégralité des Républicains de ce pays, madame Le Pen.] MLP: = l’intégralité des ministres socialistes qui euh ont été vos collègues au gouvernement, qui vous soutiennent. Pourquoi vous n’acceptez pas cet héritage TELLEMENT évident (.) qu’on vous appelle maintenant (.) [Hollande junior? (.) C’est sympa d’ailleurs comme petit nom, Hollande = EM: [Mais parce que, madame Le Pen, (.) mais/ (..) mais parce que, madame = MLP: = junior.] EM: = Le Pen, (.) mais/ (..)] je suis sûr que vous m’avez donné d’autres petits noms, et beaucoup d’autres. (..) Je vous dis juste que moi j’ai assumé (.) mes ruptures et mes choix (.) et je sais d’où je viens (TV-Duell, 03.05.2017). (ii) Anrede. In dialogischen Kommunikationssituationen kann die Anrede strategisch genutzt werden, um ein bestimmtes Fremdbild zu konstruieren. In diesem Zusammenhang hat die Anrede monsieur le Premier ministre besondere Berühmtheit erlangt, die François Mitterrand im TV-Duell 1988 gegenüber seinem Herausforderer und ehemaligen Premierminister Jacques Chirac gebrauchte und ihn auf diese Weise in eine Position der Unterlegenheit bzw. Untergebenheit rückte (für eine Analyse der Sequenz cf. Kerbrat-Orecchioni 2017, 186–189). Eine vergleichbare Form der Anrede nutzt Le Pen gegenüber Macron in (84a–b). Aufgrund ihrer jeweiligen Rollen rückt sie ihn dabei nicht in eine Situation der Unterlegenheit, sondern charakterisiert ihn, wie in (78b) und (83a–b), als Nachfolger Hollandes: (84) a. MLP [zu EM]: Monsieur le Ministre de l’économie, (.) ou dois-je dire le conseiller (.) auprès de monsieur Hollande, (.) quatre ans (..) quatre ans vous avez été (.) conseiller (.) économique de François Hollande, puis deux ans Ministre. Mais si vous aviez la recette pour diminuer le chômage, […] pourquoi est-ce que vous n’avez pas fait profiter monsieur Hollande (.) de vos recettes? (TV-Duell, 03.05.2017). b. MLP [zu EM]: Je vais […] revenir à l’universalité des allocations familiales (.) pour permettre aux familles (.) à nouveau/ (.) qui ont VU peser sur elles TOUT l’effort que le gouvernement auquel vous avez participé, monsieur le ministre, (.) eh bien, a fait euh euh peser sur leur budget, soit à les/ (TV-Duell, 03.05.2017).
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(iii) Unklare Referenz. Teilweise werden Fremdbilder mit unklarer Referenz konstruiert, d.h., dass unklar ist, wer Gegenstand der Fremdbildkonstruktion ist. Eine solche unklare Referenz kann strategisch genutzt werden, um den Druck einer Rechtfertigung zu mindern. Dies ist häufig bei den Pronomina on und ils der Fall, deren Referenz schon rein systemisch bedingt unklar ist und zum Teil auch im Kotext nicht disambiguiert wird: (85) a. FF: Mes chers compatriotes, (..) ils pensent que je suis seul. (..) Ils veulent que je sois seul. (..) Est-ce que nous sommes seuls? (Rede, 05.03.2017). b. FF: À vous, mes amis, je dois la vérité. On m’attaque de toute part. Et je dois, en conscience, vous écouter (Rede, 05.03.2017). c. BH: Eh bien moi j’assume mon choix. Mon choix, c’est nous. […] Et au fond, je crois que je suis tout ce qu’ils détestent. TOUT ce qu’ils détestent. (.) Comme vous, je n’aime pas le pouvoir pour le pouvoir. J’aime ENCORE moins le pouvoir de l’argent. J’aime la gauche […] (Rede, 19.04.2017). Teilweise kann dabei davon ausgegangen werden, dass die Rezipienten wissen, auf wen sich die Aussage bezieht, und dass der Sprecher weiß, dass die Rezipienten dies wissen. Dies ist in Beleg (86) der Fall, in dem vermutlich auf Fillon und Macron Bezug genommen wird: (86) MLP: Euh quand des candidats vous proposent de réduire au maximum la sécurité sociale, c’est précisément pour permettre aux mutuelles, aux assurances privées de prendre le relais et de se faire évidemment euh euh des profits qui sont maximum (TV-Duell, 04.04.2017). Unter Umständen kann die unklare Referenz auch zu Uneindeutigkeiten und Missverständnissen führen. Dies zeigt Beleg (87), in dem die Frage, wer hier gemeint ist, von den Akteuren selbst ausgehandelt und, wie es scheint, von Mélenchon und Macron zum Anlass genommen wird, um sich der von Le Pen vorgenommen Zuschreibung zu entziehen und die Kategorisierung als ultralibéral in Frage zu stellen: (87) MLP: Alors, d’abord permettez-moi, mais je voulais pas hum (…) intervenir dans ce (.) débat d’ultra-libéraux qui se bagarraient pour savoir qui allait mettre en œuvre la plus [violente des régulations.] (…) Non, je parle/ JLM: [Comme ultra-libéral, on fait mieux que moi, hein.] Ah, pardon.
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MLP: Je parle de monsieur Macron et de [monsieur Fillon.] EM: [Bien tenu], monsieur Mélenchon (TV-Duell, 20.03.2017). (iv) Führen eines Lagerwahlkampfs. Wie die Selbstbildkonstruktion kann auch die Fremdbildkonstruktion zum Führen eines Lagerwahlkampfs genutzt werden. Dabei wird der Andere einem bestimmten politischen Lager, zum Beispiel einer Partei, Bewegung oder Strömung, zugeschrieben und so zugleich als einem bestimmten Kollektiv zugehörig charakterisiert und ideologisch verortet. Dies geht stets mit einer – impliziten oder expliziten – Verortung seiner selbst in einem anderen Lager sowie einer impliziten Aufforderung an den Wähler, sich zu positionieren, einher, worin die agonale Wirkung dieses Verfahrens begründet liegt. Dies zeigt sich besonders deutlich in (89), wo der Sprecher verschiedene Lager gegenüberstellt, diese abwertet, sich von diesen abgrenzt und zu profilieren sucht. Aber auch die reine Fremdzuschreibung kann, wie (88a–c) zeigt, agonale Wirkung haben. Macron wird hier von seinen Gegenkandidaten einem Lager zugeschrieben, dem er sich nicht zugehörig sieht – er ist aus dem PS ausgetreten und tritt bei den Wahlen als Kandidat von En Marche! an. Seine Gegenkandidaten untergraben damit nicht nur Macrons Selbstbildkonstruktion, sondern suchen auch die Wähler davon abzubringen, sich Macron anzuschließen. (88) a. MLP [zu EM]: Mais (.) comme vous êtes socialiste, vous allez nous dire: (.) «C’est pas/ ça coûte rien, c’est l’État qui paye.» (.) C’est ça? (.) D’accord (TV-Duell, 03.05.2017). b. FF: On a deux ministres de François Hollande ici, là [gemeint sind Hamon und Macron; meine Anm.], qui ont tous les deux échoué et qui essayent de dissimuler en permanence (TV-Duell, 20.03.2017). c. GB [nachdem Hamon und Macron lange miteinander diskutiert hatten]: C’est un débat à CINQ. Merci. Pardonnez-moi. JLM: Oui, mais il faut bien qu’il y ait un débat au PS (TV-Duell, 20.03.2017). (89) FF: Entre (.) la révolution des extrêmes qui ne conduirait qu’au chaos [gemeint sind Le Pen und Mélenchon; meine Anm.] ou la conduite par d’autres moyens de la politique socialiste de François Hollande [gemeint sind Hamon und Macron; meine Anm.], je suis le seul à vous proposer un VRAI changement pour le redressement de notre pays (TV-Duell, 20.03.2017). (v) Feindbildkonstruktion. Die Fremdbildkonstruktion kann auch zur Feindbildkonstruktion genutzt werden. Ein Feindbild ist eine «sozial (vor allem massenmedial)
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vermittelte, auf extremer emotionaler Ablehnung beruhende, negativ bewertende, häufig erfahrungsunabhängig verfestigte und verzerrende, hyperbolisch entstellende oder imaginäre Repräsentation eines Gegners als bedrohlichen und aktiv zu bekämpfenden Widersacher» (Reisigl 2013). Typischer Gegenstand der Feindbildkonstruktion im Korpus sind, über alle Kandidaten und Parteien hinweg, die Terroristen bzw. der Terrorismus und ihre Ideologie, der Islamismus (90a–b). Darüber hinaus werden, je nach Kandidat, weitere Feindbilder konstruiert. Ein Feindbild, das vor allem Le Pen konstruiert, ist zum Beispiel die EU (90c–d). (90) a. MLP: En matière de terrorisme, nous n’entendons pas demander aux Français de s’habituer à cette horreur. (3,0) Nous allons l’éradiquer ICI (.) et sur les théâtres d’opération extérieure. Puisque nous sommes en guerre contre le fondamentalisme islamiste, nous appliquerons aux ennemis de la France les dispositifs légaux de l’état de guerre (Rede, 05.02.2017). b. JLM: Aujourd’hui, les actes terroristes sont pour l’essentiel le fait de l’islamisme politique. […] Que faire? Premièrement, arrêter les guerres. Deuxièmement, apprendre à se passer de gaz et de pétrole. Troisièmement, défaire l’ennemi sur place (TV-Duell, 20.03.2017). c. MLP: Or, chacun en convient, l’Union européenne est un échec. Elle n’a tenu AUCUNE de ses promesses, et tout particulièrement sur la prospérité et sur la sécurité. Et pire: elle nous a mis sous tutelle, tenus en laisse courte. Mais qui pourrait se satisfaire de ne rien faire? Devant un système qui nous enchaîne, qui ne fonctionne pas, et pire, dont les dysfonctionnements nous ruinent (Rede, 05.02.2017). d. MLP: Elle interdit tout, l’Union européenne. Elle nous sanctionne, elle nous admoneste en permanence (TV-Duell, 20.03.2017). (vi) Die Fremdbildkonstruktion als indirekte Selbstbildkonstruktion. So wie die Selbstbildkonstruktion zur indirekten Fremdbildkonstruktion genutzt werden kann, kann auch die Fremdbildkonstruktion als indirekte Selbstbildkonstruktion fungieren. In (91) etwa trifft Macron vordergründig eine Aussage über die anderen Präsidentschaftskandidaten, sagt damit aber implizit über sich aus, dass er als einziger Kandidat zukunftsgewandt und weltoffen sei (umgekehrter «Topos des Einzigen»): (91) EM: Regardez cette élection. Sur ONZE candidats, DIX veulent nous ramener vers un fantasme du passé, vers des frontières qui se ferment (Rede, 17.04.2017).
6.2 Agonale Diskurshandlungen
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Die Funktionen der Fremdbildkonstruktion sind vielfältig. In erster Linie dient sie dazu, ein bestimmtes Bild des anderen zu vermitteln, das der eigenen Perspektive, nicht der des anderen entspricht. Geht die Fremdbildkonstruktion mit einer negativen Wertung einher, was häufig der Fall ist, wird der andere zudem abgewertet. Des Weiteren kann die Fremdbildkonstruktion der Gegenüberstellung und Abgrenzung und ggf. der Aufwertung der eigenen Person dienen. Dies kann explizit gemacht werden (cf. 89) oder das Fremdbild dient implizit als Kontrastfolie, vor deren Hintergrund die eigene Person abgegrenzt und aufgewertet wird (cf. 91). Bezieht sich die Fremdbildkonstruktion auf die Gegenkandidaten im Wahlkampf, so besteht ihre primäre Funktion – analog zur Selbstbildkonstruktion – darin, zu zeigen, dass der andere kein guter Präsident wäre, darin, ihm seine présidentiabilité abzusprechen. Im Extremfall kann die Fremdbildkonstruktion zur Konstruktion eines Feindbildes genutzt werden. Nicht nur in quantitativer, auch in qualitativer Hinsicht spielt die Fremdbildkonstruktion eine zentrale Rolle im Wahlkampf. Die große Bandbreite an Formen und Funktionen sowie der spezifischen Mittel und Verfahren, die bei der Fremdbildkonstruktion zum Einsatz kommen, zeugen von ihrem großen Potenzial, gerade auch im Hinblick auf Agonalität.
6.2.4 Stellungnahme Eine Stellungnahme, d.h. das Äußern einer Meinung, einer Ansicht, zeigt, wofür ein Akteur steht, was seine Perspektive ist; durch eine Stellungnahme bezieht ein Akteur Position. Eine Position kann im Diskurs mit anderen Positionen in Konkurrenz treten und auch explizit in Zweifel gezogen werden. Daher ist auch die Stellungnahme ein potenzieller Indikator von Agonalität, wenngleich ihr agonales Potenzial deutlich niedriger ist als das manch anderer agonaler Diskurshandlungen. Eine Stellungnahme ist gewissermaßen die Bedingung der Möglichkeit von Agonalität: Erst wenn sich ein Akteur positioniert, kann seine Position in Konkurrenz zu den Positionen anderer Akteure treten. André-Larochebouvy (1984, 152) zufolge ist moi je ein typisches Mittel für die Realisierung einer Stellungnahme, der «prototype» der für das «jeu agonal» typischen «signaux de différenciation et de distanciation». Im Wahlkampf spielt die Stellungnahme eine zentrale Rolle. Verschiedene Kandidaten bzw. Parteien positionieren sich hier regelmäßig zu den unterschiedlichsten Themen. Mit 53,68% stellt die Stellungnahme im Korpus die mit Abstand häufigste agonale Diskurshandlung dar. Sie wird von allen Akteuren
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und in allen Textsorten verwendet; besonders charakteristisch ist sie für Wahlprogramme und professions de foi.550 Die Stellungnahme ist eine sehr vielschichtige sprachliche Handlung. Sie kann sich auf verschiedenste Themen beziehen, zum Beispiel auf konkrete politische Maßnahmen, auf größere Themenkomplexe oder auch auf Grundsatzfragen der Gesellschaft, und auf ganz unterschiedliche Art und Weise erfolgen. Besonders interessant im Hinblick auf Agonalität sind Stellungnahmen in Bezug auf besonders umstrittene Themen. Auf der Grundlage des Korpus konnten dreizehn Typen der Stellungnahme herausgearbeitet werden, die jeweils mit unterschiedlichen sprachlichen Indikatoren korrelieren. Diese werden im Folgenden anhand von Beispielen aus dem Korpus jeweils kurz beschrieben und erläutert.551 (i) Durch die Bekundung einer Handlungsabsicht legt ein Kandidat zumeist dar, welche politischen Maßnahmen er als zukünftiger Präsident umzusetzen gedenkt. Die sprachliche Realisierung erfolgt typischerweise durch ein Pronomen der 1. Ps. Sg. oder Pl. und ein Verb im Futur simple. Sprechakttheoretisch betrachtet handelt es sich dabei um Assertionen, die jedoch fast kommissiven Charakter haben. (92) MLP: Nous rétablirons les peines plancher. Nous augmenterons les moyens de la justice (.) pour accélérer le traitement des dossiers et construirons 40.000 places de prison en cinq ans (Rede, 17.04.2017). (ii) Mit der Beschreibung eines zukünftigen Szenarios wird dargestellt, wie Frankreich unter der Präsidentschaft des jeweiligen Kandidaten aussehen wird. Dies kann in Form einer Fremd- (93a) oder einer Selbstzuschreibung erfolgen (93b). Während bei der Fremdzuschreibung oft das Conditionnel gebraucht wird, wodurch signalisiert wird, dass noch nicht sicher ist, ob dieses Szenario tatsächlich eintreten wird, wird bei Selbstzuschreibungen fast ausschließlich das Futur verwendet, was Gewissheit zum Ausdruck bringt und Stärke und Zuversicht suggeriert.
Eine ANOVA zeigt, dass ein hoch signifikanter Unterschied im Zusammenhang der agonalen Diskurshandlung der Stellungnahme zwischen den verschiedenen Textsorten besteht (F(4,20)=35,48, p < 0,01). Wahlprogramme und professions de foi unterscheiden sich jeweils signifikant von TV-Duellen, TV-Interviews und Reden mit p < 0,01. Eine ANOVA zeigt auch, dass im Zusammenhang der Stellungnahme zwischen den verschiedenen Akteuren kein signifikanter Unterschied besteht. Die verschiedenen Typen der Stellungnahme können nicht immer trennscharf unterschieden werden. Insbesondere zwischen der Bekundung einer Handlungsabsicht, der Formulierung eines Ziels und der Bekundung eines Wunschs bzw. Willens zum Beispiel gibt es teilweise Überschneidungen.
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(93) a. JB: En 2022, dans la France de Benoît Hamon, le chômage serait à 5,8 pour cent. Pour arriver à ce résultat, le président Hamon aurait d’abord redonné 35 milliards d’euro de pouvoir d’achat avec le revenu universel d’existence pour tous ceux qui gagnent moins de 2.200 euros, soit 19 millions de Français. Il aurait aussi augmenté le SMIC, les minima sociaux et le minimum vieillesse (TV-Interview, 12.04.2017). b. EM: Dans cette France (.) de dans cinq ans, la réussite sera possible, plus facile (.) et valorisée et partout reconnue (Rede, 17.04.2017). (iii) Durch die Bekundung eines Wunschs bzw. Willens wird ein Verlangen oder Begehren oder auch die Intention, etwas zu tun, zum Ausdruck gebracht (buletische Modalität). Typische Realisierungsformen sind Verben wie vouloir, souhaiter und entendre + Inf. (94a); seltener wird auch der Subjonctif zu diesem Zweck gebraucht (94b). (94) a. EM: Je veux que nous soyons à nouveau fiers d’être français, grâce à notre culture, notre rayonnement international et notre langue. Je veux que nous soyons libres d’entreprendre, d’innover, de réussir quel que soit notre milieu d’origine. Je veux que nous soyons solidaires car la réussite de quelques-uns ne peut pas être le projet pour tout notre pays. Je veux auprès de vous prendre des engagements clairs sur les chantiers essentiels (Profession de foi, 04.2017). b. FF: Nous sommes comptables de ce trésor que nous léguerons à nos enfants [= la France; meine Anm.]. Puissions-nous leur transmettre notre pays dans ce qu’il a de plus beau (Profession de foi, 2017). (iv) Durch die Formulierung eines Ziels bringen die Kandidaten zum Ausdruck, wonach sie streben, was sie als Präsident erreichen möchten (teleologische Modalität). Typische Indikatoren für die Formulierung eines Ziels sind Versprachlichungsmittel der teleologischen Modalität, wie Konstruktionen mit pour + Subst./Inf., afin de + Inf., pour que, afin que oder Formulierungen mit objectif oder but. (95) FF: D’ici dix ans, mon objectif, c’est de faire de notre pays la première puissance en Europe (TV-Duell, 04.04.2017). (v) Durch den Ausdruck von Notwendigkeit wird etwas als unbedingt erforderlich, als unerlässlich oder nötig charakterisiert. Typische Indikatoren sind der deontischen Modalität zugehörige Ausdrücke wie il faut, avoir besoin de, devoir – so zum
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Beispiel in Macrons Wahlkampfslogan (96a) –, obligatoire(ment), indispensable, nécessaire und Formulierungen mit nécessité. Der Ausdruck von Notwendigkeit kann in Verbindung mit der AGONALITÄT DER EXTERNEN HANDLUNGSAUFFORDERUNG stehen, wenn die Notwendigkeit als von außen auferlegt und außerhalb des eigenen Handlungsspielraums liegend dargestellt wird (96b–c). (96) a. EM: La France doit être une chance pour tous (Slogan). b. FF: Le changement climatique nous oblige à repenser notre organisation et nos modes de vie (Wahlprogramm, 2017). c. BH: La lutte contre le terrorisme nous impose également de renforcer notre renseignement (Profession de foi, 2017). (vi) Etwas wird als Priorität benannt und dadurch als vorrangig beschrieben. Die Benennung einer Priorität wird vor allem durch Formulierungen mit priorité angezeigt. (97) BH: Soutenir le revenu des classes populaires et des classes moyennes sera ma priorité (Profession de foi, 2017). (vii) Indem ein Kandidat etwas verspricht, sichert er etwas fest zu; er verpflichtet sich explizit, das Gesagte auch umzusetzen. Implizit können wohl fast alle Stellungnahmen als Versprechen aufgefasst werden, explizit als kommissiver Sprechakt markiert werden sie aber selten. Dies geschieht zum Beispiel durch die Verben s’engager à, garantir und promettre. (98) MLP: Le respect va revenir. La PAIX va revenir. La TRANQUILITÉ va revenir. Je vous le promets (Rede, 17.04.2017). (viii) Indem die Kandidaten etwas vorschlagen, raten sie zu etwas, sie unterbreiten eine Empfehlung. Ein Vorschlag wird durch proposer und Formulierungen mit proposition angezeigt. (99) JLM: Donc moi je propose que une assemblée constituante soit élue, et qu’elle soit/ qu’elle comporte des délégués et des personnes tirées au sort. […] De la même manière, je propose le vote obligatoire, l’extension du vote à seize ans, et évidemment la reconnaissance euh du vote blanc (TV-Duell, 20.03.2017). (ix) Durch eine Forderung wird etwas nachdrücklich verlangt bzw. eingefordert. Indikatoren für eine Forderung sind demander, exiger bzw. demande, exigence.
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(100) JLM: NOS EXIGENCES Stopper la libéralisation et la privatisation des services publics demandées par Bruxelles Modifier les statuts de la Banque Centrale Européenne pour qu’elle puisse prêter directement aux États […] (Wahlprogramm, 2017). (x) Eine Stellungnahme kann auch durch eine Meinungsbekundung erfolgen. Dass der eigene, subjektive Standpunkt kundgetan wird, kann durch Formulierungen wie je pense/crois que, durch das Conditionnel oder durch die Ausdrücke de mon point de vue, selon moi, à mes yeux, à mon avis und pour moi (cf. Borillo 2004; Coltier/Dendale 2004) sowie Konstruktionen des Typs ‹je + (X) + [Dire]› (je dis, je vous le dis, je dois dire etc.) (cf. Cappeau/Lay 2019) explizit gemacht werden.552 Die Meinungsbekundung kann aber auch als simple Assertion, ganz ohne Marker, erfolgen (alethische Modalität): (101) BH: La transition écologique est la condition du progrès social et de l’épanouissement des générations à venir (Profession de foi, 2017). (xi) Indem ein Akteur eine Entscheidung fällt, positioniert er sich für oder gegen etwas (AGONALITÄT DER ENTSCHEIDUNGSTHEMATISIERUNG). Eine Entscheidung kann unter anderem unter Rückgriff auf Termini wie choisir, choix, décider, décision thematisiert werden. In (102) thematisiert Le Pen die Politik, Entscheidungen (choix) und Interessen Deutschlands, die Frankreich unter einer Präsidentschaft Fillons oder Macrons beherrschen würden, und stellt diesen ihre eigenen Entscheidungen (choix) gegenüber: (102) MLP: Ce qui est certain, c’est la domination de l’Allemagne, qui continuera d’imposer sa politique et ses choix, selon SES intérêts, mais CONTRE les intérêts de la France et des autres nations. Mon choix est tout autre. Je veux (.) PLUS de France (Rede, 26.03.2017). (xii) Eine Stellungnahme kann auch durch den Ausdruck von Gefühlen erfolgen (evaluative Modalität). Im Korpus ist der Ausdruck von Gefühlen eher selten; am häufigsten ist er noch in Reden. In diesem Zusammenhang kann die AGONALITÄT DER NEGATIVEN EMOTIONEN eine Rolle spielen, doch ebenso gut wie negative können auch positive Emotionen Ausdruck einer Stellungnahme sein.
Ausführlicher zum diesem als prise en charge bezeichneten Phänomen cf. Rabatel (2009).
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(103) BH: […] je n’aime pas le pouvoir pour le pouvoir. J’aime ENCORE moins le pouvoir de l’argent. J’aime la gauche. J’aime la gauche, TOUTE la gauche […] (Rede, 19.04.2017). (xiii) Alle bisher betrachteten Formen der Stellungnahme implizieren eine Positionierung. Die Positionierung kann aber auch der alleinige sprachliche Akt sein. Kennzeichen einer expliziten Positionierung sind z.B. être pour, être favorable à, être partisan de, être un défenseur de (Positionierung für etwas) sowie être contre, être défavorable à, ne pas être favorable à, être opposé à, s’opposer à (Positionierung gegen etwas) (104a–b). Darüber hinaus kann eine Positionierung für etwas durch eine positive Wertung, eine Positionierung gegen etwas durch eine negative Wertung (AGONALITÄT DER NEGATIVEN WERTUNG) signalisiert werden (104c). (104) a. EM: […] je suis favorable à ce que le travail paye mieux. Je (.) je ne suis pas favorable au revenu universel parce que à la fin, quelqu’un paye l’addition (TV-Duell, 20.03.2017). b. MLP: TOUS ceux qui étrangers sur notre territoire ont un lien avec le fondamentalisme islamiste, dehors, DEhors! Tous ceux qui sont double nationaux (.) double nationaux, (.) on mettra en œuvre la déchéance nationale. Je sais que (.) vous êtes contre cela mais (.) vous êtes pour toutes les propositions laxistes et contre toutes celles qui font preuve de fermeté (TV-Duell, 03.05.2017). c. GB: En quelques mots, Emmanuel Macron, abaisser la majorité pénale de dix-huit à seize ans: bonne ou mauvaise idée? EM: Non, mauvaise idée à mes yeux. Pourquoi? Parce que […] (TV-Duell, 20.03.2017). Wie der Überblick über die verschiedenen Typen der Stellungnahme deutlich macht, kann eine Stellungnahme auf unterschiedlichste Art und Weise erfolgen und durch zahlreiche sprachliche Mittel indiziert werden.553 In den meisten Fällen erfolgt die Stellungnahme, wie die Beispiele zeigen, als Selbstzuschreibung, doch ist auch eine Stellungnahme als Fremdzuschreibung möglich (cf. 93a und 104b).554 Auch haben die Ausführungen das agonale Potenzial der Stellung-
Im Hinblick auf die zum Einsatz kommenden Mittel bestehen dabei erhebliche Unterschiede zwischen medial mündlicher und medial schriftlicher Kommunikation, wie Günthner/ Bücker (2009) in Bezug auf «Konstruktionen der Positionierung» in der mündlichen Kommunikation im Deutschen zeigen. Cf. auch Günthner/Bücker (2009).
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nahme deutlich vor Augen geführt. Dieses liegt darin begründet, dass eine Stellungnahme stets eine Positionierung impliziert, die im Diskurs mit anderen Positionen in Konkurrenz treten oder auch explizit in Zweifel gezogen werden kann. Schlägt Mélenchon zum Beispiel vor, eine verfassunggebende Versammlung einzuberufen (99), so positioniert er sich für die Neuschreibung einer Verfassung und die darauffolgende Gründung einer Sechsten Republik. Diese Position ist den Positionen Macrons, Fillons und Le Pens, die für die Fortsetzung der Fünften Republik eintreten, diametral entgegengesetzt,555 weist aber Überschneidungen mit derjenigen Hamons auf. Bekundet Le Pen die Absicht, 40.000 Gefängnisplätze in fünf Jahren zu schaffen (92), so spricht sie sich für die Schaffung von 40.000 Gefängnisplätzen in diesem Zeitraum aus. Diese Positionierung konkurriert zum Beispiel mit derjenigen Fillons, der die Schaffung von 16.000 Gefängnisplätzen fordert.556 Die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Positionen kann auch, wie Beleg (102) und die Anmerkungen 555 und 556 zeigen, explizit gemacht werden. In ihrer Funktion der Positionierung ist die Stellungnahme sowohl Bedingung der Möglichkeit von Agonalität als auch indirekt Ausdruck von Agonalität und weist damit, wenngleich dieses deutlich geringer ist als das vieler anderer agonaler Diskurshandlungen, unzweifelhaft agonales Potenzial auf.
6.2.5 Negative Wertung Durch eine Wertung wird ein Sachverhalt bewertet, beurteilt, evaluiert. Im Hinblick auf Agonalität ist insbesondere die negative Wertung von Interesse: Indem ein Sachverhalt negativ bewertet wird, wird eine ablehnende Haltung zum Ausdruck gebracht. Eine negative Wertung impliziert stets eine Ablehnung, eine Positionierung gegen etwas, weshalb sie zugleich Ausdruck eines Gegensatzes,
Eine explizite Gegenüberstellung der Positionen nimmt zum Beispiel Fillon vor: «Monsieur Bouleau, […] vous posez une question sur la Cinquième République (.) et monsieur Mélenchon euh veut l’abolir. D’abord, la Cinquième République, elle a quand même quelques avantages. Elle a une forme de stabilité, qui a permis à François Hollande de continuer à gouverner pendant cinq ans, ce qu’il n’aurait jamais pu faire dans un régime comme celui que monsieur Mélenchon euh imagine. C’est d’ailleurs sans doute pour ça qu’il l’imagine. Mais je pense que la stabilité n’est pas inutile dans un monde aussi difficile et aussi dangereux que le nôtre. Et donc, il ne faut pas jeter la Cinquième République euh aux orties euh euh sans en faire un vrai bilan» (FF, TV-Duell, 20.03.2017). An anderer Stelle stellt Fillon auch diese Positionen explizit gegenüber: «Madame Le Pen en veut 40.000. Personne n’a jamais construit 40.000 places de prison en cinq ans compte tenu des contraintes qui sont celles de notre pays. (.) Donc moi je propose 16.000 et ça sera déjà très bien d’y parvenir» (FF, TV-Duell, 20.03.2017).
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eines Kontrasts ist. Die negative Wertung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der semantischen Dimension der AGONALITÄT DER NEGATIVEN WERTUNG. Da eine negative Wertung häufig emotiv verankert ist, d.h. mit dem Ausdruck negativer Emotionen einhergeht, kann auch die AGONALITÄT DER NEGATIVEN EMOTIONEN eine Rolle spielen. Auf die negative Wertung entfallen 5,82% aller agonalen Diskurshandlungen im Korpus; in der Rangfolge der agonalen Diskurshandlungen liegt sie damit an fünfter Stelle. Die negative Wertung wird von allen Akteuren und in allen Textsorten verwendet. Besonders charakteristisch ist sie für Reden; besonders selten kommt sie in Wahlprogrammen und professions de foi zum Einsatz. Unter den Akteuren stechen insbesondere Mélenchon und Le Pen durch den häufigen Gebrauch der negativen Wertung hervor, auch wenn der Unterschied im Vergleich zu anderen Akteuren nicht statistisch signifikant ist.557 Formal erfolgt eine negative Wertung insbesondere durch wertende Ausdrücke; für die negative Wertung spielen damit die evaluative und die axiologische Modalität (cf. Kapitel 6.1.1.5) eine zentrale Rolle. Im Korpus häufig verwendete negativ wertende Ausdrücke sind zum Beispiel mal (48 Okkurrenzen), mauvais (48), échec (25), dangereux (25), pire (23), colère (23), injuste (20), absurde (17), honte (11) und insupportable (8). Doch auch einige sehr selten gebrauchte Ausdrücke stechen durch ihre stark negative Wertung hervor, zum Beispiel histrion, nauséabond oder vieilles badernes. Neben Ausdrücken wie diesen, denen die negative Wertung inhärent ist, sind auch Ausdrücke von Interesse, deren negative Wertung sich erst aus dem konkreten Verwendungskontext ergibt, wie zum Beispiel incroyable in (105a) und spectacle in (106c). Auffällig ist auch, dass gerade negativ wertende Ausdrücke teilweise besonders charakteristisch für den Sprachgebrauch einzelner Akteure sind, wie mondialisation sauvage und submersion migratoire für Le Pen oder caste für Mélenchon. Inhaltlich kann sich eine negative Wertung auf die verschiedensten Sachverhalte beziehen. Charakteristisch für das Korpus sind zum Beispiel negative Wertungen in Bezug auf – geplante oder tatsächlich durchgeführte – politische Maßnahmen oder Stellungnahmen (105a; cf. auch 104c), andere Akteure (105b),
Eine ANOVA zeigt, dass ein signifikanter Unterschied im Zusammenhang der agonalen Diskurshandlung der negativen Wertung zwischen den verschiedenen Textsorten besteht (F (4,20)=5,39, p < 0,05). Reden unterscheiden sich signifikant von Wahlprogrammen und professions de foi mit p < 0,05. Eine ANOVA zeigt auch, dass im Zusammenhang der negativen Wertung zwischen den verschiedenen Akteuren kein signifikanter Unterschied besteht. Dennoch ist sie mit 8% bei Mélenchon und 6% bei Le Pen deutlich höher als bei den übrigen Akteuren (Macron 2%, Hamon und Fillon jeweils 3%).
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gesellschaftliche Zustände und Entwicklungen (105c und d) sowie bestimmte Zeiträume oder -punkte (105d). (105) a. BH: Mais c’est quand même incroyable. Oui, oui, mais c’est incroyable xxx ce que nous prépare monsieur Fillon. […] Vous proposez d’augmenter le temps de travail. […] C’est un retour en arrière absolument catastrophique (TV-Duell, 20.03.2017). b. JLM: À partir de cette place [= la place de la République; meine Anm.], nous voulons proposer une issue POSITIVE que contient notre bulletin de vote. Une sortie de l’impasse où l’ont enfermé depuis au moins dix ans des dirigeants frivoles, qui n’ont pas d’autre vision du monde que ce dogme GROSSIER d’après lequel le marché et la finance seraient en dernière analyse les seuls régulateurs légitimes de la civilisation humaine. Là où nous disons c’est la fraternité, c’est l’amour, c’est le soin des autres, qui est la raison d’être de la société! (…) C’est au nom de ce dogme (.) et de leur incapacité personnelle à tenir tête à quoi que ce soit et à faire quoi que ce soit d’autre que de céder toujours à ceux qui semblent les plus forts (Rede, 18.03.2017). c. MLP: […] mais il y a aussi derrière le terrorisme la montée, l’explosion, on peut même le dire, de la délinquance euh de des vols, des cambriolages, des agressions qui pourrissent la vie de nos compatriotes (TV-Interview, 18.04.2017). d. FF: Mes amis, vous savez mon diagnostic. Je crois que notre pays décline (.) et que l’heure est à un dépassement collectif. Je comprends votre inquiétude. Elle s’est d’ailleurs amplifiée depuis cinq ans. Cinq longues années durant lesquelles notre République a été mise à mal. Cinq années (.) pendant lesquelles nous avons vu notre pays petit à petit (.) descendre (.) dans un long hiver historique, se replier, pre/ perdre son rang économique, perdre sa place en Europe, et son tissu social se déliter à la vitesse d’une pelote (Rede, 05.03.2017). Hervor sticht, dass auch die Kampagne selbst, das heißt die Art der Auseinandersetzung, die Diskussionskultur im Wahlkampf, häufig Gegenstand negativer Bewertungen ist:558
Zur Diskussion darum, was als angemessene Diskussionskultur gelten kann, cf. auch Kapitel 6.1.2.5.
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(106) a. BH: Oui, pour qu’il y ait la paix à l’école, encore faut-il ne pas la prendre en otage euh d’un débat politique assez nauséabond comme madame Le Pen vient de euh (.) s’en illustrer à travers l’enseignement des langues d’origine à l’éducation nationale (TV-Duell, 20.03.2017). b. EM: Donc, je vous dis juste que c’est facile de faire des cadeaux, on a beaucoup parlé des cadeaux, sans doute trop, des promesses. On a envoyé (.) on a envoyé des petits mots, mais on n’a pas été cohérents là-dessus. C’est un manque de notre débat. Moi, j’ai un projet dont j’assume la cohérence, et il fallait en parler (TV-Duell, 20.03.2017).559 c. BH: On n’en a pas tellement parlé de ces projets, de ces programmes. Pourquoi? Parce que les affaires, l’argent est venu polluer l’élection mais aussi finalement le SPECTACLE a pris le dessus sur les programmes, les idées et les projets (TV-Interview, 20.04.2017). Die Beispiele illustrieren nur einen Bruchteil der vielfältigen sprachlichen Mittel, mittels derer eine negative Wertung vorgenommen werden kann, führen aber deutlich das agonale Potenzial der negativen Wertung vor Augen. Zum einen zeigen sie, dass die negative Wertung häufig in Kombination mit anderen agonalen Diskurshandlungen auftritt, zum Beispiel mit der Stellungnahme (105a und c), der Fremdbildkonstruktion (105b), der Gegenüberstellung im Allgemeinen (105b und 106b) sowie der zeitlichen Gegenüberstellung im Speziellen (105d) und dem Angriff (106a). Zum anderen machen sie deutlich, dass die negative Wertung immer auch Ausdruck einer Opposition ist. Diese kann implizit bleiben, wie in (105a), wo Hamon Fillons Vorschlag, die Arbeitszeit zu erhöhen, als katastrophalen Rückschritt bewertet, dadurch Stellung gegen diesen Vorschlag bezieht und damit einen Kontrast zwischen seiner Position und der Position Fillons herstellt. Sie kann aber auch explizit gemacht werden, wie in (105b) (nous vs. des dirigeants frivoles) und (106b) (on a vs. moi j’ai). Typisch für die negative Wertung ist auch ihre Verstärkung durch entsprechende Begleiter der Agonalität. Dies illustriert Beleg (105a), in dem bereits durch den Ausdruck retour en arrière eine negative Wertung vorgenommen wird, die jedoch durch das Adjektiv catastrophique verstärkt wird, dessen negative Wertung wiederum durch das Adverb absolument verstärkt wird. Zentrale Funktion der negativen Wertung ist die Abwertung. Wenn sich diese Abwertung, was im Wahlkampf häufig der Fall ist, auf eine Position be-
Durch manque wird auf einen Mangel hingewiesen, auf etwas, was sich der Kandidat gewünscht hätte bzw. rückblickend wünscht, was aber nicht eingetreten ist. Damit tritt die negative Wertung hier in Verbindung mit der AGONALITÄT DER NICHT EINGETRETENEN OPTION auf.
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zieht, die andere Akteure befürworten, der Sprecher hingegen ablehnt, ist die negative Wertung Ausdruck einer Opposition; sie birgt damit eindeutig agonales Potenzial. Darüber hinaus geht mit der Abwertung der Position anderer implizit auch eine Aufwertung der eigenen Position einher, was das agonale Potenzial der negativen Wertung zusätzlich unterstreicht.
6.2.6 Dissens und Konsens Dissens und Konsens sind von zentraler Bedeutung für sprachliche Aushandlungsprozesse. Im Hinblick auf Agonalität ist insbesondere der Dissens von Interesse: Während der Konsens Einigkeit und damit Übereinstimmung von Perspektiven signalisiert, steht der Dissens für divergierende und möglicherweise konkurrierende Perspektiven. In der Forschung wird der Dissens teilweise sogar als notwendige Voraussetzung für sprachliche Aushandlungsprozesse betrachtet: «Quand tout le monde est d’accord, il n’y a plus rien à se dire; quand il y a désaccord, la discussion est possible», konstatiert Moeschler (1985, 153). Auch Plantin (1996, 21) hält fest: «Il ne peut y avoir argumentation que s’il y a désaccord sur une position, c’est-à-dire confrontation d’un discours et d’un contre-discours.» Darauf aufbauend wird der Dissens mitunter auch als zentraler Bestandteil und notwendige Voraussetzung von Demokratie aufgefasst, etwa in dem philosophischen Werk mit dem programmatischen Titel La valeur du désaccord (Nicolas/Ravat/Wagener 2020). Als agonale Diskurshandlung sui generis soll der Dissens auch im Folgenden im Fokus stehen. Dissens wird in der Forschung uneinheitlich definiert.560 Im Anschluss an Col/Hanote (2019) wird hier ein weites Verständnis von Dissens zugrunde gelegt, das die Zurückweisung eines Konsenses ebenso einschließt wie das Fehlen eines Konsenses oder auch den schlichten Gegensatz eines Konsenses. Dabei begreife ich Dissens als typisch für dialogische Kommunikationssituationen, aber nicht als auf diese beschränkt: Ein Dissens kann in einer konkreten Kommunikationssituation als Reaktion auf die Äußerung eines Gesprächspartners geäußert werden (so das in konversationsanalytischen Arbeiten vorherrschende Verständnis von Dissens als «acte réactif», cf. z.B. Kerbrat-Orecchioni 2016, § 1), er kann aber auch zeitlich und räumlich versetzt erfolgen und nur implizit auf eine andere Äußerung Bezug nehmen (so das Verständnis von Vertretern des Dialogisme bzw.
Zu Dissens (und Konsens) im Französischen cf. Bellemmouche/Baklouti/Alokla (2016a) und Col/Hanote (2019). Einen kurzen Forschungsüberblick bieten Bellemmouche/Baklouti/ Alokla (2016b).
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der Polyphonie-Theorie, cf. z.B. Ducrot 1984). Der auf diese Weise definierte Dissens birgt sehr großes agonales Potenzial: Ein Dissens setzt zwangsläufig die Existenz mindestens zweier divergierender Positionen voraus; durch die Äußerung von Dissens wird die zwischen diesen Positionen bestehende Relation der Opposition offenbar. Ein Dissens kann akzeptiert und nicht weiter verhandelt werden, er kann aber auch Teil oder gar Auslöser agonaler Aushandlungsprozesse sein. Im Gegensatz zum Dissens bezieht sich der Konsens auf die Übereinstimmung von Perspektiven; durch die Äußerung von Konsens wird Einigkeit und Einvernehmen signalisiert (cf. Delahaie/Solis García 2019). Der Konsens ist damit kein Zeichen von Agonalität, bei der es ja um konkurrierende Perspektiven geht, ist aber sehr wohl zentral für sprachliche Aushandlungsprozesse. Im Korpus scheint der Dissens auf den ersten Blick nur eine kleine Rolle zu spielen. Mit einem Anteil von 4,00% belegt er lediglich den siebten Platz in der Reihenfolge der häufigsten agonalen Diskurshandlungen. Allerdings ist der Dissens hochgradig textsortenspezifisch. Er kommt ausschließlich in TV-Duellen und TV-Interviews zum Einsatz, in denen er mit 11 bzw. 9% wiederum relativ frequent ist.561 Im Vergleich ist der Konsens eher selten. Wie der Dissens ist auch der Konsens auf die Textsorten des TV-Duells562 und des TV-Interviews beschränkt und umfasst 1,62% der kodierten sprachlichen Handlungen im Gesamtkorpus bzw. jeweils 4% innerhalb der beiden Textsorten. Der Konsens spielt somit ebenfalls eine Rolle, allerdings eine deutlich kleinere als der Dissens. Insgesamt können TV-Duelle und in geringerem Maße auch TV-Interviews damit eindeutig als dissensorientierte Textsorten gelten.563 Die Formen und Funktionen des Dissenses sind äußerst vielfältig. Als prototypische Marker von Dissens und Konsens im Französischen können die satzwertigen Adverbien oui, non und si gelten (cf. Plantin 1982; Kerbrat-Orecchioni 2001; Saiz-Sánchez 2020).564 Weitere prototypische Marker von Dissens und Konsens
Eine ANOVA zeigt, dass ein hoch signifikanter Unterschied im Zusammenhang der agonalen Diskurshandlung des Dissenses zwischen den verschiedenen Textsorten besteht (F(4,20) =11,32, p < 0,01). TV-Duelle und TV-Interviews unterscheiden sich signifikant von Wahlprogrammen, professions de foi und Reden mit p < 0,01. Eine ANOVA zeigt auch, dass im Zusammenhang des Dissenses zwischen den verschiedenen Akteuren kein signifikanter Unterschied besteht. Dies gilt analog für den Konsens, mit der Ausnahme, dass sich hier nur TV-Duelle, nicht aber TV-Interviews signifikant von Wahlprogrammen, professions de foi und Reden unterscheiden. Zum Konsens in TV-Duellen cf. auch Doury/Kerbrat-Orecchioni (2011). Zum Dissens in TV-Duellen cf. auch Kerbrat-Orecchioni (2016). Zur zentralen Bedeutung des Dissenses für TV-Duelle und TV-Interviews cf. ausführlicher Kapitel 6.4.4 und 6.4.5. Zu non als Agonalitätsindikator cf. André-Larochebouvy (1984, 156).
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sind Formulierungen mit d’accord bzw. désaccord, z.B. d’accord, je (ne) suis (pas) d’accord, j’ai un désaccord avec vous etc.565 (cf. Rollet 2013; Delahaie/Solis García 2019). Des Weiteren können Dissens und Konsens durch Zurückweisungen566 (c’est faux, ce n’est pas vrai, ce n’est pas juste, pas du tout, au contraire, je refuse…, vous vous trompez) und Bestätigungen (c’est vrai, c’est clair, c’est juste, vous avez raison) zum Ausdruck gebracht werden. Durch einige dieser Formulierungen wird der Aussage des anderen die Gültigkeit bzw. Wahrheit abgesprochen (z.B. c’est faux, vous vous trompez); hier tritt der Dissens in Verbindung mit dem Kampf um die Wahrheit auf (cf. dazu Kapitel 6.2.8). Ein wichtiges Mittel für die Äußerung von Dissens ist die Negation, allen voran die négation polémique, aber auch die négation descriptive;567 der Dissens steht daher in engem Zusammenhang mit der AGONALITÄT DER NEGATION. Darüber hinaus kann ein Dissens auch durch eine Konzession (z.B. Quand même!; cf. Sitri 2019) oder Formulierungen nach dem Muster ‹je (ne) dis pas que› (cf. Cappeau/Lay 2019, 46–47) zum Ausdruck gebracht werden. Eine weitere Möglichkeit der Äußerung von Dissens besteht in einer schlichten Stellungnahme, durch die A eine der Position von B entgegengesetzte Position bezieht. Die Stellungnahme kann dabei durch Ausdrücke wie moi je, je crois que u.Ä. eingeleitet werden (cf. Kapitel 6.2.4), die eine kontrastierende Wirkung haben und damit den Dissens verstärken (cf. Johnen 2019, 52). Nicht zuletzt kann ein Dissens auch durch die negative Bewertung der Position des anderen zum Ausdruck gebracht werden, z.B. c’est une idée qui est très mauvaise, c’est inacceptable, mais c’est quand même incroyable etc. In Abhängigkeit davon, welche Form des Dissenses vorliegt, können unterschiedliche Agonalitätsindikatoren eine Rolle spielen. Im Bereich der Grammatik ist die Negation von zentraler Bedeutung; im Bereich der Lexik können u.a. Termini der semantischen Kategorien Désaccord, Refus und Vérité zum Einsatz kommen. Inhaltlich kann sich der Dissens auf die verschiedensten Gegenstände beziehen. Für politische TV-Duelle sind nach Kerbrat-Orecchioni (2016, §§ 72–78) v.a. drei Aspekte charakteristisch. In den meisten Fällen bezieht sich der Dissens auf Fakten, zum Beispiel Zahlen – so wie in (107) die gesetzlich festgelegte Wochenarbeitszeit –,568 die Analyse der Situation, das Handeln des Kandidaten
Diese und die im weiteren Verlauf des Absatzes genannten Ausdrücke und Formulierungen sind dem Untersuchungskorpus entnommen. Zur réfutation im Allgemeinen cf. Moeschler (1981), zur réfutation als Indikator von Agonalität cf. André-Larochebouy (1984, 187–188) und Kerbrat-Orecchioni (2017, 169–170). Zur Negation im Allgemeinen cf. Kapitel 6.1.1.4; zur Negation als Dissensmarker cf. Mignon (2019). Zur zentralen Rolle von Zahlen in der politischen Argumentation cf. Bacot/Desmarchelier/Rémi-Giraud (2012).
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in der Vergangenheit oder sein Programm. Durch diese Art des Dissenses werden die Kompetenz und die Ehrlichkeit des anderen direkt angezweifelt. (107) EM [zu FF]: Alors, quelle est votre référence légale? FF: La/ il y a (.) il y a PAS de référence légale. [La référence légale/] JLM: [Ah ben si il y en a] [une = EM: [Non = JLM: = en Europe. C’est 48 heures. (.) Non mais monsieur] Fillon, c’est = EM: = non mais c’est TRÈS important. (.) Et elle sera fixée/] JLM: = au moins 48 heures. [C’est la norme européenne.] FF: [Attendez. Attendez. (.) Il y a] énormément de pays européens où il n’y a PAS de référence légale. Et elle sera fixée aux vues des négociations. Après un an ou 18 mois de négociations, ce sera très simple de vérifier quel est le point d’équilibre, s’il est à 38 heures ou à 39 heures. (..) Voilà (TV-Duell, 20.03.2017). Zweitens kann sich der Dissens auf die Wiedergabe einer von A getätigten Aussage durch B beziehen. Durch den Dissens wird B implizit vorgeworfen, die Äußerung von A verzerrt darzustellen, wodurch die Ehrlichkeit von B in Frage gestellt wird. In (108) wird dies durch den expliziten Vorwurf der Lüge noch verstärkt: (108) EM: Ce que je dis, c’est pourquoi des jeunes (.) FRANçais (.) se radicalisent? (.) C’est la question qu’on doit collectivement se poser. (.) Et vous avez [raison de la souligner.] MLP: [Vous avez dit] c’est à cause de la France. EM: Madame Le Pen, (.) je sais ce que j’ai dit, je n’ai pas dit ça. (.) Je n’ai pas dit ça, ne mentez pas (.) une fois encore. (.) J’ai dit (.) on DOIT s’interroger (.) quand des JEUNES Français (.) ou des jeunes Françaises (.) qui sont NÉS en France, qui ont GRANdi en France, qui (.) ont été Élevés dans notre pays, (.) suivent (.) des fanatiques (.) et (.) détruisent (.) nos propres enfants. (.) On doit s’interroger. (.) Et j’ai dit: Nous avons notre part de responsabilité. C’est pas la première cause, (.) la cause première (.) CE sont les djihadistes, (.) CE sont les terroristes (TV-Duell, 03.05.2017). Drittens kann der Dissens eine Reaktion auf einen persönlichen Angriff darstellen, zum Beispiel auf einen Vorwurf der Unwürdigkeit («indignité personnelle»),
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auf den Le Pen ironisch mit «Mais oui. (.) Mais c’est ça» reagiert, oder der Unterwürfigkeit («vous êtes à plat ventre»): (109) EM: Mais madame Le Pen, (...) n’ajoutez pas à votre indignité personnelle [celle (.) de nos institutions, (.) de grâce. (.) Notre pays (.) = MLP: [Mais oui. (.) Mais c’est ça. (.) Allez, soumettez-vous (.) = EM: = mérite (.) mieux que cela.] MLP: = soumettez-vous!] EM: [Je ne me SOUmets à personne.] MLP: [Monsieur, (.)] vous êtes à plat ventre [en permanence] devant = EM: [Mais je/] MLP: = l’Allemagne, (.) devant [le syndicat de la magistrature,] devant = EM: [Madame Le Pen, non.] MLP: = l’UOIF, (.) devant les communautaristes, [(.) devant les = EM: [Madame, je suis = MLP: = puissances d’argent, (.) devant] les banques. EM: = debout. (.) C’est notre différence.] MLP: À plat ventre. [(.) Le candidat à plat ventre. (.) Voilà.] EM: [Mais madame Le Pen, (.) moi (.) je suis] (.) DEbout. […] (TV-Duell, 03.05.2017). Typologisch lassen sich drei Arten des Dissenses bzw. Konsenses unterscheiden. Am häufigsten ist die direkte Äußerung von Dissens oder Konsens als Reaktion auf die Aussage eines anderen (107–109). Darüber hinaus kann ein Dissens oder Konsens auch festgestellt, d.h. beschrieben, konstatiert werden; dies ist sowohl als Selbstzuschreibung (110a) als auch als Fremdzuschreibung möglich (110b). Besonders interessant ist nicht zuletzt die Äußerung eines sogenannten «PseudoKonsenses»: Hier wird ein Konsens geäußert, der aber ironisch gemeint ist und somit als Dissens fungiert (111 und Le Pen in 109; cf. auch Baklouti 2016). (110) a. FF: Les gens de Sens commun, ils représentent une euh euh filiation politique, un/ une idéologie, ils représentent une sensibilité. C’est pas la mienne. Ils le savent très bien d’ailleurs, on a des désaccords sur beaucoup de sujets. Mais ils me soutiennent et ils soutiennent mon projet (TVInterview, 19.04.2017).
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b. GB [zu den Kandidaten]: Abordons tout d’abord l’éducation. Vous partagez TOUS ici le même constat: il faut AMÉLIORER notre système scolaire et c’est à l’école primaire que TOUT se joue (TV-Duell, 20.03.2017). (111) MLP [zu EM]: Vous avez participé à un gouvernement (.) qui a fait trentecinq milliards de taxes [et d’impôts supplémentaires.] EM: [Non, je n’étais pas au] gouvernement [à ce = MLP: [Non = EM: = moment-là, vous m’excuserez.] MLP: = non mais d’accord. Vous qui] avez fait trente-cinq milliards de taxes et d’impôts supplémentaires pendant le quinquennat, mais (.) c’est pas vous. Okay (TV-Duell, 03.05.2017). Wie die Analyse zeigt, spielen Dissens und Konsens eine zentrale Rolle in der Wahlkampfkommunikation und in TV-Duellen und TV-Interviews im Speziellen. Dies kommt nicht nur in ihrer Frequenz, sondern auch in ihren vielfältigen Formen und Funktionen zum Ausdruck. Darüber hinaus spielen Dissens und Konsens in der Wahlkampfkommunikation aber auch eine sehr spezifische, von der Alltagskommunikation deutlich unterschiedene Rolle. Üblicherweise werden Dissens und Konsens geäußert, um die eigene Position und ihr Verhältnis zu anderen Positionen deutlich zu machen und möglicherweise einen gemeinsamen Konsens auszuhandeln. Gerade Letzteres gilt für die Wahlkampfkommunikation nicht, in der die divergierenden Positionen nebeneinander bestehen bleiben dürfen bzw. sogar sollen. Sehr wohl aber kann es darum gehen, die eigene Position den anderen Positionen gegenüber dominant zu setzen. Die Wichtigkeit und Besonderheit gerade des Dissenses für die Wahlkampfkommunikation spiegelt sich auch in Metaäußerungen über die Thematik: (112) a. EM [zu JLM]: On est tout à fait d’accord. JLM: Ah ben parfait. FF: Monsieur (lacht) monsieur Mélenchon et monsieur Macron sont = PUB: (lacht) FF: = d’accord. (.) On ne sait pas qui croire. (.) On ne sait pas/ (.) c’est des mots qui ne veulent rien dire (TV-Duell, 20.03.2017). b. MLP: Il n’est pas possible de les [= les handicapés; meine Anm.] laisser vivre dans [cette situation. (.)] Je mets en œuvre une prime/ JLM: [Mille euros.]
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MLP: Oui, mille euros, c’est bien. On est d’accord. JLM: Eh ben voilà. [zu BH:] Toi aussi, t’es d’accord? [zu EM:] [Vous aussi?] MLP: [Je mets en place] une prime de pouvoir d’achat. Une prime de pouvoir d’achat [qui va représenter/] GB: [Vingt-trois heures dix], madame Le Pen est monsieur Mélenchon sont d’accord. [C’est pas si souvent.] MLP: [Oui, ça peut arriver, oui.] FF: C’est pas [très sérieux.] JLM: [Pas que!] Pas que! Les autres aussi. MLP: Ça (.) ça peut arriver (TV-Duell, 20.03.2017).
6.2.7 Angriff und Verteidigung Angriff und Verteidigung sollen hier als Oberbegriffe für zwei Gruppen sprachlicher Handlungen fungieren: offensive sprachliche Handlungen, die A gegen B richtet, auf der einen Seite und defensive sprachliche Handlungen, mit denen B auf erstere reagiert, auf der anderen. Derartige sprachliche Handlungen sind immer hochgradig agonal: Sie sind nicht nur Ausdruck einer kompetitiven Opposition, sondern verstärken diese auch noch. Teilweise gehen sie sogar über das Agonale hinaus und schreiben sich stattdessen in eine antagonistische Logik ein, in eine von sprachlicher Gewalt und Aggressivität geprägte Form der Kommunikation. Angriff und Verteidigung sind – unter dieser oder anderer Bezeichnung – Gegenstand zahlreicher Forschungsarbeiten und -paradigmen. Im Rahmen der Sprechakttheorie, die Sprache als Teil der menschlichen Handlungsfähigkeit begreift, lassen sich Angriff und Verteidigung als illokutionäre Akte beschreiben, als sprachliche Handlungen, die einer bestimmten kommunikativen Absicht dienen (cf. Liedtke 2018). Darauf aufbauend ist in der Forschung zu verbaler Aggression die Rede von «aggressiven» Sprechakten, worunter sprachliche Handlungen verstanden werden, die mit einer feindlichen Intention geäußert und als verletzend empfunden werden (cf. Topczewska 2017; Bonacchi 2018). Ebenfalls auf der Sprechakttheorie aufbauend, aber unter Bezugnahme auf das Konzept sprachlicher Höflichkeit nach Brown/Levinson (1987) werden Angriffe in anderen Ansätzen als gesichtsverletzende Akte (face threatening act) konzeptualisiert, denen die Verteidigung als Akt mit dem Ziel, das Gesicht zu wahren, gegenüberstellt ist (cf. Culpeper 2011). In der Konversationsanalyse wiederum, die mündliche Interaktion vor allem unter dem Gesichtspunkt der Sequenzialität betrachtet, werden Formen des Angriffs und der Verteidigung als Paarsequenz, das heißt als zwei
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aufeinanderfolgende, zusammengehörende Redebeiträge betrachtet; so zieht zum Beispiel der Vorwurf (Angriff) eine Rechtfertigung oder Entschuldigung (Verteidigung) nach sich (cf. Birkner/Auer/Bauer/Kotthoff 2020, 180–183). In den konversationsanalytischen Arbeiten André-Larochebouvys (1984, 158–163) und Kerbrat-Orecchionis (u.a. 1990–1994, vol. 2, 141–155) werden Angriffe explizit als Ausdruck von Agonalität aufgefasst. In den verschiedenen Arbeiten und Forschungslinien werden sprachliche Handlungen, die in die Kategorien von Angriff und Verteidigung fallen, unterschiedlich benannt, ausdifferenziert und kategorisiert. Im Bereich des Angriffs wurden u.a. folgende sprachliche Handlungen untersucht: Vorwerfen, Insistieren, Beschimpfen (Hundsnurscher 1997), Vorwurf, Drohung und konfliktäre Warnung (Henriksson 2004), Beleidigen, Drohen, Beschimpfen (Bonacchi 2018, 441). Speziell mit Blick auf den politischen Sprachgebrauch nennt Klein (2014a, 263) Vorwurf und Beschuldigung als Formen des Angriffs und Rechtfertigung, Klarstellung, Ausweichen und den Gegenangriff als Formen der Verteidigung. Klein (2014c, 356) führt als «abwertende Sprechakte ABLEHNEN, KRITISIEREN, KONTRAARGUMENTIEREN, VORWERFEN, ENTLARVEN, SARKASMUS, DIFFAMIEREN, BESCHIMPFEN, ZITIEREN schlimmer Gegneräußerungen u.a.» an (Hervorhebungen im Original). Eine exhaustive und trennscharfe Typologie sprachlicher Handlungen des Angriffs und der Verteidigung aufzustellen, scheint vor diesem Hintergrund weder nötig noch möglich. Stattdessen sollen auf der Grundlage des Korpus sprachliche Mittel und Verfahren herausgearbeitet werden, die für Angriff und Verteidigung speziell in der Wahlkampfkommunikation charakteristisch zu sein scheinen. Quantitativ spielen Angriff und Verteidigung eher eine untergeordnete Rolle. Mit einem Anteil von 5,55% ist der Angriff die sechsthäufigste agonale Diskurshandlung im Korpus; die Verteidigung ist so wenig frequent, dass die Daten keine quantitative Auswertung zulassen. Offensive sprachliche Handlungen überwiegen somit deutlich gegenüber defensiven sprachlichen Handlungen. Angriffe werden von allen Akteuren und in allen Textsorten verwendet. Unter den Akteuren ist er bei Le Pen am häufigsten, wenngleich der Unterschied nicht statistisch signifikant ist. Unter den Textsorten ist der Angriff vor allem für Reden charakteristisch, aber auch in TV-Duellen ist er relativ häufig.569
Eine ANOVA zeigt, dass ein signifikanter Unterschied im Zusammenhang der agonalen Diskurshandlung des Angriffs zwischen den verschiedenen Textsorten besteht (F(4,20)=6,50, p < 0,05). Reden unterscheiden sich signifikant von Wahlprogrammen und professions de foi mit p < 0,05. In TV-Duellen beträgt der Anteil, genau wie in Reden, 11%; in den übrigen Textsorten zwischen 1 und 3%. Eine ANOVA zeigt auch, dass im Zusammenhang des Angriffs zwi-
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Die Formen und Funktionen von Angriff und Verteidigung sind äußerst vielfältig. Unter den Angriffen stechen im Korpus vor allem drei Typen hervor. Der häufigste Typ ist die Kritik. Als eine meist sachbezogene negative Beurteilung eines Sachverhalts ist die Kritik als gemäßigt agonal einzustufen. In (113) etwa beurteilt Macron Hamons Vorschlag der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens als ‘schön, aber unvernünftig und unrealistisch’ (dass Hamon dies durchaus als Angriff empfindet, zeigt seine verteidigende Reaktion): (113) EM: […] je ne suis pas favorable au revenu universel parce que à la fin, quelqu’un paye l’addition. Et donc le revenu universel, c’est plus d’impôts. Il faut être réaliste. L’idée est belle, mais elle n’est pas raisonnable et elle n’est pas réaliste. BH: Si vous aviez le nombre d’idées non raisonnables que nous avons réalisées/ (TV-Duell, 20.03.2017). An zweiter Stelle steht der Vorwurf, der bereits deutlich stärker agonal ist. Typisch für den Wahlkampf sind der Vorwurf des leeren Versprechens sowie der Vorwurf der Inkohärenz. Den Vorwurf des leeren (Wahl-)Versprechens macht zum Beispiel Fillon Le Pen in Bezug auf ihr Vorhaben, die Verteidigungsausgaben auf 2% des BIP zu erhöhen (114a). Der Vorwurf der Inkohärenz beruht auf folgendem Schema: A gibt vor, x als Präsident zu tun, woraufhin B A fragt, warum A das in der Vergangenheit, v.a. wenn A bereits einmal an der Macht war, nicht getan habe. Diesen Vorwurf macht zum Beispiel Le Pen Fillon in Bezug auf dessen Vorhaben, als Präsident die Strafmündigkeit von 18 auf 16 Jahre zu senken (114b) (dasselbe Schema findet sich in 117): (114) a. FF [zu MLP]: […] c’est juste impossible, c’est juste impossible. Ce sont (.) ce sont des promesses qui ne pourront jamais être tenues. Ce sont des MILLIARDS que vous n’avez pas et que vous distribuez, voilà (TV-Duell, 20.03.2017). b. MLP: Je me souviens d’avoir entendu monsieur Fillon promettre ça déjà en 2006. On se pose la question de savoir pourquoi est-ce qu’il ne l’a pas mis en œuvre lorsqu’il était au pouvoir (TV-Duell, 20.03.2017). Der seltenste, aber stärkste Typ sind persönliche Angriffe wie Anschuldigungen, Beleidigungen und Beschimpfungen. Diese sind nicht sach-, sondern per-
schen den verschiedenen Akteuren kein signifikanter Unterschied besteht. Bei Le Pen beträgt der Anteil der Angriff 7%, bei den übrigen Akteuren 4, 3 und zweimal 1%.
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sonenbezogen (argumentum ad hominem) und als solche zum einen besonders verletzend, zum anderen aber auch teilweise nicht tatsachenbegründet (cf. Amossy 2003). Beispiele für personenbezogene Angriffe sind die Bezeichnungen Macrons durch Le Pen als «bébé Hollande» (78b), «Hollande junior» (83b) und «candidat à plat ventre» (109). Teilweise sind derartige sprachliche Handlungen bereits jenseits des Agonalen im Bereich der sprachlichen Aggression zu verorten (so zum Beispiel die Beleidigung, cf. Baur 2013). Inhaltlich beziehen sich Angriffe zumeist auf politische Gegner, allen voran auf die Gegenkandidaten im Wahlkampf. Gegenstand der Kritik sind zum Beispiel deren Handlungen, Positionen oder Programme (sachbezogene Kritik) (113), ihre Person (personenbezogene Kritik) (109) oder der Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen (cf. ausführlicher Kapitel 6.2.8). Neben den politischen Gegnern sind weitere typische Ziele von Angriffen die Medien bzw. Journalisten (Stichwort Medienkritik) (115) sowie das politische System an sich (Stichwort Systemkritik) (116): (115) GB: Monsieur Fillon, si vous êtes élu président de la République et vous aurez besoin de la CONFIANCE des Français, euh comment pensez-vous REnouer ce lien de confiance avec les Français, ce lien qui a été distendu (.) après les affaires et notamment les soupçons d’emploi fictif qui pèsent sur votre épouse? FF: […] ce qui COMPTE euh dans le dans la légitimité du pouvoir, c’est le choix des Français. Et pour l’instant euh c’est le système médiatique, c’est c’est la c’est ce sont les échos euh qui euh font euh l’image que vous évoquez et qui a effectivement pesé sur cette campagne (TV-Interview, 19.04.2017). (116) EM: L’enjeu, c’est de décider de rompre jusqu’au bout avec le système qui a été incapable de répondre aux problèmes de notre pays depuis trente ans (Profession de foi, 05.2017). Auf einen Angriff können unterschiedliche Reaktionen folgen. Eine Möglichkeit ist die Verteidigung, die ihrerseits unterschiedliche Formen annehmen kann, zum Beispiel die Rechtfertigung, Klarstellung oder Entschuldigung. Auch kann der Angegriffene direkt zum Gegenangriff übergehen. Weitere Reaktionsmöglichkeiten sind Ausweichen, Ablenken (so Macron in 117) oder – was in TVDuellen und TV-Interviews allerdings selten der Fall ist – Schweigen. (117) NSC: Madame Le Pen, quelle est votre vision, vous, de (.) marché du travail, de ses améliorations éventuelles?
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MLP [zu EM]: Monsieur le Ministre de l’économie, (.) ou dois-je dire le conseiller (.) auprès de monsieur Hollande, (.) [quatre ans (.) quatre = EM: [C’est votre vision donc = MLP: = ans vous avez été (.)] conseiller (.) économique de François = EM: = du marché de travail, madame Le Pen. D’accord.] MLP: = Hollande, puis deux ans Ministre. Mais si vous aviez la recette pour diminuer le chômage, […] pourquoi est-ce que vous n’avez pas fait profiter monsieur Hollande (.) de vos recettes? (TV-Duell, 03.05.2017). Angriff und die verschiedenen Reaktionen darauf (Verteidigung, Gegenangriff etc.) bilden gemeinsam eine prototypische Paarsequenz (cf. z.B. 113). Dabei lege ich ein weites Verständnis von Paarsequenz zugrunde, das sowohl sprachliche Handlungen einschließt, die in einer dialogischen Kommunikationssituation direkt aufeinander folgen, als auch sprachliche Handlungen, die zeitlich und räumlich versetzt auftreten und nur implizit aufeinander Bezug nehmen. Insgesamt zeichnen sich Angriff und Verteidigung durch eine große Komplexität aus. Ihre Formen und Funktionen sind äußerst vielfältig und auch inhaltlich ist die Bandbreite groß. Angriffe können direkt oder indirekt, das heißt als Anspielung,570 erfolgen; sie können eher schwach oder besonders stark agonal sein und sogar bis hin zu sprachlicher Aggression reichen; auch können sie durch verschiedene Mittel und Verfahren zusätzlich abgeschwächt oder verstärkt werden, zum Beispiel durch die Verwendung entsprechender Begleiter der Agonalität oder indem der Angegriffene nicht explizit benannt wird. Auf der Makroebene betrachtet schreiben sich Angriff und Verteidigung in die übergeordneten Funktionen der Wahlkampfkommunikation ein: Der Angriff dient dazu, ein negatives Bild des Gegenübers zu konstruieren und ihn auf diese Weise zu delegitimieren; die Verteidigung hingegen dient der eigenen Legitimation durch die Konstruktion bzw. Wahrung oder Wiederherstellung eines positiven Selbstbildes. Dies spiegelt sich auch darin, dass Angriffe häufig in Kombination mit den agonalen Diskurshandlungen der Fremdbildkonstruktion und der negativen Wertung auftreten und die Verteidigung in Kombination mit der Selbstbildkonstruktion. Semantische Dimensionen der Agonalität, die für Angriff und Verteidigung eine Rolle spielen, sind vor allem die AGONALITÄT DER (NEGATIVEN) WERTUNG und die AGONALITÄT DER NEGATIVEN EMOTIONEN.
Unter Anspielungen verstehe ich im Anschluss an Svensson (1984, 20) Ausdrücke oder Äußerungen, die in indirekter Verwendung auf einen Sachverhalt anspielen; «sie werden nur dann verstanden, wenn der Rezipient über das gleiche […] Wissen verfügt wie der Produzent».
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Allerdings sind dem Spiel von Angriff und Verteidigung auch (ungeschriebene) Grenzen gesetzt. Gehen die Kandidaten beim Angriff zu weit, so schadet dies nicht nur dem anderen, sondern auch dem eigenen Bild. Dies zeigt nicht zuletzt der débat de l’entre-deux-tours von 2017: Medien und Journalisten sprechen von einem «naufrage» (Girard 2017), vom «pire des débats de la Ve République» (Bruno Jeudy, in: BFMTV 2017); Wissenschaftler bescheinigen ihm einen «exceptionnel degré de violence» (Kerbrat-Orecchioni 2019, 285). Zurückgeführt wird dies vor allem auf das Verhalten Marine Le Pens, das von einer so großen Aggressivität, ja sogar ‘Brutalität’ war, dass ihr Bild entschieden beschädigt wurde571 und sich sogar ihre Anhänger von ihrer Performance enttäuscht zeigten (cf. Jublin 2017): «[…] l’extrême brutalité des échanges est avant tout le fait de Marine Le Pen. […] Hargneuse ou sardonique, elle est en permanence en position d’attaque et même lorsqu’elle tient des propos en apparence positifs ils ne sont jamais dépourvus d’une dimension polémique […] – bref, elle ne désarme jamais» (Kerbrat-Orecchioni 2019, 285; Hervorhebung im Original).
Alles in allem kommt Angriff und Verteidigung zweifellos eine zentrale Rolle im Kampf um die Diskurshoheit zu, wobei es die Kandidaten für erfolgversprechender zu halten scheinen, sich eher offensiv als defensiv zu äußern. Gleichwohl gilt es, gewisse Grenzen nicht zu überschreiten, da der Schuss sonst nach hinten losgeht.
6.2.8 Kampf um die Wahrheit Spezifische Formen von Angriff und Verteidigung finden sich im Kampf um die Wahrheit. Der Kampf um die Wahrheit ist nicht eine sprachliche Handlung, sondern ein ganzer Komplex sprachlicher Handlungen, die alle um eine Frage kreisen, die Frage nach der Wahrheit. Unter Wahrheit soll hier die Übereinstimmung von Kenntnissen oder Wissensbeständen mit der Wirklichkeit verstanden werden (für eine theoretische Erörterung des Konzepts von Wahrheit cf. Kapitel
«Le climat de violence qu’a installé délibérément Marine Le Pen dès le début de ce duel de l’entre-deux-tours, les calomnies, les insinuations, et puis surtout cette violence en permanence d’avoir l’air de monter à l’assaut, tout ça a créé quand même un climat tout à fait inhabituel […]. L’image de Marine Le Pen ne sortira évidemment pas indemne ce cet épisode», urteilt der Journalist Alain Duhamel (Duhamel 2017). Umfragen und wissenschaftliche Analysen bestätigen dies (cf. Boy/Mercier 2019; Mercier 2019, 94–99; Perrineau 2019, 194–195).
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2.4.3). Demzufolge ist eine Aussage dann als wahr zu betrachten, wenn ihr propositionaler Gehalt mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Sprecher für jeden propositionalen Gehalt ihrer Aussage Wahrheitsansprüche vertreten. Wahrheitsansprüche werden also stets implizit erhoben, sie können aber auch explizit formuliert werden. Diese explizite Aushandlung von Wahrheitsansprüchen ist Gegenstand dieses Kapitels. Dabei soll es nicht darum gehen, den tatsächlichen Wahrheitsgehalt von Aussagen zu überprüfen, sondern darum, zu untersuchen, wie Ansprüche auf Wahrheit durch die Sprecher im Diskurs geltend gemacht werden und welche Möglichkeiten ein Sprecher hat, eine Aussage aus seiner Sicht hinsichtlich ihrer Wahrheit/Gültigkeit zu qualifizieren (cf. auch Schmidt-Brücken 2018). Der Kampf um die Wahrheit ist von besonderer Relevanz für Agonalität. Agonalität manifestiert sich in kompetitiven Sprachspielen, sog. diskursiven Kämpfen, in denen Ansprüche auf Gültigkeit von Aussagen als Ausdruck konkurrierender Perspektivierungen ausgehandelt werden. Ein wesentliches Kriterium für die Gültigkeit einer Aussage ist ihr Wahrheitsgehalt, weshalb der Kampf um die Wahrheit im Zentrum agonaler Aushandlungsprozesse steht. Der Kampf um die Wahrheit steht insbesondere in Verbindung mit der AGONALITÄT VON SCHEIN UND SEIN. Vor diesem Hintergrund mag es erstaunen, dass der Kampf um die Wahrheit quantitativ betrachtet eine relativ kleine Rolle im Korpus spielt. Mit einem Anteil von nur 3,26% steht der Kampf um die Wahrheit an achter und damit vorletzter Stelle in der Rangfolge der agonalen Diskurshandlungen. Der Kampf um die Wahrheit spielt bei allen Akteuren und in allen Textsorten eine Rolle; besonders charakteristisch ist er für TV-Duelle.572 Seine geringe quantitative Bedeutung steht jedoch in scharfem Kontrast zu seiner qualitativen Bedeutung: Wird einer Aussage der Wahrheitsgehalt abgesprochen, jemand der Lüge oder gar der Verleumdung bezichtigt, so hat dies einen großen Einfluss auf das Bild dieses Akteurs und damit auf die mutmaßliche présidentiabilité des Kandidaten. Auch werden die Zahlen dadurch relativiert, dass, wie oben ausgeführt, Wahrheitsansprüche häufig nicht explizit kenntlich gemacht, sondern implizit erhoben werden.
Eine ANOVA zeigt, dass ein hoch signifikanter Unterschied im Zusammenhang des Kampfs um die Wahrheit zwischen den verschiedenen Textsorten besteht (F(4,20)=13,60, p < 0,01). TV-Duelle unterscheiden sich signifikant von Wahlprogrammen, professions de foi, TVInterviews und Reden mit p < 0,01. Eine ANOVA zeigt auch, dass im Zusammenhang des Kampfs um die Wahrheit zwischen den verschiedenen Akteuren kein signifikanter Unterschied besteht.
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Formal kann sich der Kampf um die Wahrheit auf vielfältige Weise manifestieren. Eine wichtige Rolle spielen die epistemische Modalität im Bereich der grammatischen Agonalitätsindikatoren sowie eine Vielzahl von Ausdrücken im Bereich der lexikalischen Agonalitätsindikatoren, zum Beispiel aus den semantischen Feldern Vérité, Erreur, Hypocrisie, Trahison, Escroquerie, Honnêteté und Malhonnêteté, Secret, Tromperie und Mensonge (für eine ausführlichere Darstellung cf. Kapitel 6.1.1.5 und 6.1.2.6). Inhaltlich kreisen alle im Kampf um die Wahrheit zum Einsatz kommenden sprachlichen Handlungen um die Thematik der Wahrheit, können aber unterschiedliche Facetten dieses Phänomens betreffen. Die beiden prototypischsten Fälle sind die Inanspruchnahme und die Absprache der Wahrheit. In Abhängigkeit davon, ob es sich um eine Selbst- oder eine Fremdzuschreibung handelt und ob sich die Zuschreibung auf das énoncé, d.h. auf den inhaltlichen Gehalt der Aussage, oder auf die énonciation, d.h. den Akt der Äußerung selbst, bezieht, lassen sich innerhalb beider Kategorien jeweils vier Subtypen unterscheiden (s. den schematischen Überblick in Abbildung 15): – Inanspruchnahme der Wahrheit: (i) A qualifiziert den Inhalt einer eigenen Aussage als wahr (A ! A; Bezug auf das énoncé). Dies geschieht relativ häufig. Dass dies nicht bedeutet, dass die Aussage tatsächlich wahr sein muss, zeigt Le Pens Aussage in (118), deren Wahrheitsgehalt von anderen, vor allem von einigen ihrer Gegenkandidaten, sicher angezweifelt würde: (118) MLP: Je veux dire cette campagne présidentielle, elle a un avantage (.) euh je crois (.) c’est qu’elle fait découvrir aux Français que euh il y a un certain nombre de candidats qui incontestablement défendent des intérêts privés, défendent des intérêts de grands groupes, et non pas l’intérêt des Français (TV-Duell, 20.03.2017). (ii) A beansprucht für sich, sich wahrheitsgemäß zu äußern (A ! A; Bezug auf die énonciation), zum Beispiel indem der Akt der Äußerung als ehrlich, aufrichtig, objektiv, wahrheitsgemäß oder realitätsnah qualifiziert wird (franchement, honnêtement, objectivement, en vérité, à vrai dire, en réalité…) (119a) oder indem A explizit von sich sagt, die Wahrheit zu sagen (je vous dis la vérité) (119b). Während Ersteres durch einzelne Bestandteile einer Proposition realisiert wird, ist Letzteres alleiniger Inhalt der gesamten Proposition. Beides kommt im Korpus häufig vor; die erste Variante ist vor allem für Le Pen charakteristisch, die zweite für Fillon:
6.2 Agonale Diskurshandlungen
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(119) a. MLP: J’étais en Guyane il y a quelques semaines. J’ai vu et j’ai compris, à Cayenne et Saint-Laurent du Maroni, que nos compatriotes de Guyane n’en peuvent PLUS. […] Si je n’excuse pas les blocages de ces collectifs citoyens, honnêtement, je les comprends (Rede, 26.03.2017). b. FF: […] moi, je dis la vérité aux Français. Et je vais (.) à l’élection présidentielle (.) en disant la vérité, alors que François Hollande a fait le contraire (TV-Interview, 19.04.2017). (iii) A qualifiziert den Inhalt einer von B getätigten Aussage als wahr (A ! B; Bezug auf das énoncé). Dies geschieht vor allem in dialogischen Kommunikationssituationen wie dem TV-Duell oder dem TV-Interview. Diese sprachliche Handlung ist ein Zeichen des Konsenses; sie ist zwar Teil der Aushandlung von Wahrheitsansprüchen, zeugt aber nicht von Konkurrenz. (120) EM: D’abord, personne ne peut dire (.) ici qu’il garantit qu’avec lui ou avec elle il n’y aura pas de nouveaux attentats. JLM: C’est vrai (TV-Duell, 20.03.2017). (iv) A sagt über B, dass dieser sich wahrheitsgemäß äußere (A ! B; Bezug auf die énonciation). Dies ist im Korpus nie der Fall und für Wahlkampfkommunikation insgesamt vermutlich sehr untypisch, da dies zur Legitimierung des politischen Gegners beigetragen würde. – Absprache der Wahrheit: (v) A qualifiziert den Inhalt einer eigenen Aussage als unwahr (A ! A; Bezug auf das énoncé). Dies ist im Korpus ebenfalls nie der Fall und vermutlich auch für Wahlkampfkommunikation insgesamt sehr untypisch, da es zur eigenen Delegitimierung beitragen würde. (vi) A beansprucht für sich, sich nicht wahrheitsgemäß zu äußern (A ! A; Bezug auf die énonciation). Auch dieser Typ ist, wohl aus demselben Grund, nicht belegt. (vii) A qualifiziert den Inhalt einer von B getätigten Aussage als unwahr (A ! B; Bezug auf das énoncé). Dies geschieht häufig, vor allem in dialogischen Kommunikationssituationen. (121) MLP: Monsieur Macron, euh on va pas avoir un débat juridique, (.) honnêtement, (.) sur (.) la rafle (.) du Vel d’Hiv. (.) En l’occurrence, moi je considère que la France était à Londres. Euh j’ai cette opinion (.) qu’avait le Général de Gaulle, (.) euh que qu’avait (.) monsieur Mitterrand, (.) qu’a encore au-
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
jourd’hui monsieur Chevènement, […] qu’a monsieur Guaino, (.) qu’a toute une série de gens (.) euh qui considèrent que la France n’était pas coupable de cette épouvantable HORREUR (.) mais que il s’agissait, en l’occurrence, du régime de Vichy [(.) qui était (.) RESponsable. Et et et venir alléger la res/] EM: [C’est FAUX (.) sur le plan historique, (.) c’est faux sur] le plan politique, (.) et Jacques Chirac (.) l’a reconnu (TV-Duell, 03.05.2017). (viii) A sagt über B, dass dieser sich nicht wahrheitsgemäß äußere (A ! B; Bezug auf die énonciation). Wie (vii) ist auch dies häufig und vor allem, aber nicht nur, in dialogischen Kommunikationssituationen der Fall. Im Unterschied zu (vii) handelt es sich dabei nicht um sach-, sondern um personenbezogene Angriffe, weshalb der Grad der Agonalität bzw. Aggressivität hier höher ist: B wird die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit abgesprochen und seine persönliche Integrität damit in Frage gestellt. Die Schärfe des Vorwurfs variiert dabei in Abhängigkeit von der Art des Vorwurfs. Im Anschluss an Kerbrat-Orecchioni (2017, 169–170) lassen sich vier Stufen unterscheiden: 1. Am schwächsten wiegt der Vorwurf des Irrtums, da B damit keine böse Absicht unterstellt wird. 2. Schwerer wiegt bereits der Vorwurf des wiederholten Irrtums, da dadurch Zweifel an der Kompetenz des Sprechers laut werden. 3. Der Vorwurf der Lüge wiegt sehr stark, da B damit eine bewusste Falschaussage mit dem Ziel, jemanden zu täuschen, unterstellt wird (cf. Meibauer 2018). Stärker noch wiegt der Vorwurf der wiederholten Lüge, da B dadurch als häufig lügender und damit grundsätzlich unehrlicher und unaufrichtiger Mensch dargestellt wird (so Macron gegenüber Le Pen in 122). 4. Am stärksten wiegt der Vorwurf der Verleumdung, da B damit nicht nur eine absichtliche Falschaussage, sondern darüber hinaus die Absicht, A zu schaden, unterstellt wird. (122) EM [zu MLP]: Votre projet, (.) […] c’est de salir, c’est de mener une campagne (.) de mensonges et de falsifications. (.) Votre projet, (.) c’est un projet qui vise (.) à VIVRE (.) de la peur et des mensonges. (.) C’est ce qui vous nourrit, c’est ce qui a nourrit votre père pendant des décennies. (.) C’est ce qui a nourri l’extrême droite française et c’est ce qui (.) vous a fait, vous (TV-Duell, 03.05.2017). Neben den zentralen Kategorien der Inanspruchnahme und Absprache von Wahrheit und ihren jeweiligen Subtypen gibt es weitere, spezifischere sprachliche Handlungen, die im Kampf um die Wahrheit zum Einsatz kommen können. Dazu zählen der Vorwurf, dass der andere die Wahrheit bzw. Realität nicht
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6.2 Agonale Diskurshandlungen
Qualifizierung als… wahr
unwahr
A→A énoncé A qualifiziert den Inhalt einer Äußerung As als wahr
A→B
énonciation
énoncé
énonciation
énoncé
A→B
énonciation énoncé
énonciation
A A A A A A A qualifiziert qualifi- qualifiziert qualifi- qualifiziert qualifi- qualifiziert ziert den den ziert den den den ziert den den ÄußeInhalt ÄußerungsÄußerungs- Inhalt Äußerungs- Inhalt akt Bs als einer rungsakt As einer akt As als einer akt Bs als Äußeals Äuße- unehrlich, ehrlich, Äußeehrlich, aufrichtig, rung Bs aufrichtig, rung As unehrlich, rung Bs unaufrichtig, wahrheitsals unaufrichtig, als wahrheits- als wahr wahrheitsfern unwahr wahrheits- unwahr gemäß gemäß fern
incontestable- franchement, c’est ment, honnêtement, vrai… visiblement… à vrai dire… (i)
A→A
(ii)
(iii)
–
–
–
c’est faux, ce n’est pas vrai…
vous vous trompez, vous mentez…
(iv)
(v)
(vi)
(vii)
(viii)
Abbildung 15: Typologie sprachlicher Handlungen zur Inanspruchnahme und Absprache von Wahrheit.
sehe bzw. nicht sehen wolle (Vorwurf der Realitätsverweigerung/des Realitätsverlusts) (123), der Vorwurf, Informationen zurückzuhalten, also nicht die «ganze Wahrheit» zu sagen (124), der Vorwurf der verzerrten und damit nicht wahrheitsgemäßen Darstellung (125), die Einforderung von Wahrheit, d.h. die Aufforderung, die Wahrheit zu sagen oder wahrheitsgemäß zu handeln (126), die Aussage, die Wahrheit wiederherzustellen (was die Absprache der Wahrheit B gegenüber impliziert) (127), und verschiedene Strategien, Glaubwürdigkeit herzustellen, zum Beispiel durch die Berufung auf Zahlen und Fakten, auf persönliche Erfahrungen, auf kollektiv geteiltes Wissen oder auf Autoritäten (128).573 (123) FF: Nous voulons la victoire (.) pour en finir avec le désenchantement, avec l’inefficacité, pour en finir avec le déni de réalité qui caractérise nos
Zu Glaubwürdigkeit im Konflikt sowie verschiedenen Verfahren ihrer Herstellung speziell in dialogischen Kommunikationssituationen cf. Deppermann (1997).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
adversaires, pour en finir avec la dette immense qui écrasera nos enfants, […] (Rede, 09.04.2017). (124) BH: Ce que monsieur Fillon a oublié de nous dire, c’est qu’il va faire d’abord un plan social de 500.000 destructions d’emplois dans la fonction publique, pour commencer (TV-Duell, 04.04.2017). (125) EM [zu JLM]: Monsieur Mélenchon, je n’accepte juste pas qu’on déforme ce qu’est la réalité (TV-Duell, 04.04.2017). (126) EM: Soyons enfin adultes et arrêtons de mentir nos concitoyens sur ce sujet-là (TV-Duell, 04.04.2017). (127) EM [zu MLP]: Non, je ne vous je ne vous dis justement pas ça, je rétablis la vérité, madame Le Pen, voilà (TV-Duell, 03.05.2017). (128) JLM: Enfin, il faut sortir de l’état d’urgence permanent, mes amis. […] Tous les spécialistes savent qu’il est temps (.) de se sortir de l’état d’urgence, quitte à peut-être y revenir à un autre moment (TV-Duell, 04.04.2017). Die Funktionen all dieser sprachlichen Handlungen sind ebenso vielfältig wie die sprachlichen Handlungen selbst. In Bezug auf den Wahlkampf sind dabei zwei Funktionen von besonderer Bedeutung, die eine Vielzahl der genannten sprachlichen Handlungen zumindest in zweiter Instanz erfüllen: die Darstellung seiner selbst als aufrichtige und ehrliche Person, die die Wahrheit sagt, und die Darstellung des anderen als unaufrichtige und unehrliche Person, die nicht die Wahrheit sagt. Diese Funktionen stehen im Zeichen der den Wahlkampf insgesamt prägenden Funktionen, die Konstruktion eines positiven Selbstbildes und die Legitimierung seiner selbst auf der einen Seite und die Konstruktion eines negativen Fremdbildes und die Delegitimierung des anderen auf der anderen Seite. Beim Kampf um die Wahrheit geht es dabei im Speziellen darum, die eigene Glaubwürdigkeit zu stärken und die des anderen zu mindern. Indem dem Kampf um die Wahrheit im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 eine so große Bedeutung beigemessen wird, schreibt sich dieser in die die damalige öffentliche Diskussion insgesamt prägende Kontroverse um die Frage nach der Wahrheit, um Faktizität und den Eintritt in ein mögliches «postfaktisches Zeitalter» ein (cf. Kapitel 2.4.3). Die Akteure berufen sich auf «[des] critères objectifs» (FF, TV-Duell, 20.03.2017), präsentieren Sachverhalte als «fait objectif» (DP, TV-Interview, 20.04.2017) und verurteilen «[des] incantations» «CONTRE les faits, CONTRE le réel, CONTRE les évidences» (MLP, Rede, 26.03.2017). Darin spie-
6.2 Agonale Diskurshandlungen
453
gelt sich die große Bedeutung, die der Frage nach der Wahrheit im Wahlkampf und in der Politik insgesamt beigemessen wird. Dies gilt auch für agonale Aushandlungsprozesse jenseits der Politik, kreisen Prozesse der Aushandlung von Geltungsansprüchen von Aussagen doch zumindest implizit immer um die Frage nach der Wahrheit. Dass es dabei nicht (mehr?) «nur» um die Geltendmachung von Wahrheitsansprüchen,574 sondern auch tatsächlich um die Frage der wahrheitsgemäßen Darstellung von Sachverhalten geht, kann spätestens seit der Diskussion um Fake News und alternative Fakten als unbestritten gelten.
6.2.9 Kampf um das Rederecht Wie der Kampf um die Wahrheit ist auch der Kampf um das Rederecht keine einzelne sprachliche Handlung, sondern ein ganzer Komplex sprachlicher Handlungen. Im Kampf um das Rederecht geht es um die Aushandlung des Anspruchs darauf, eine Äußerung zu tätigen. Der Kampf um das Rederecht betrifft damit eine geradezu basale Dimension im Kampf um Hörbarkeit, nämlich die Tatsache, überhaupt zu Wort zu kommen. Er ist damit allen anderen agonalen Diskurshandlungen vorangeschaltet, die voraussetzen, dass ein Akteur eine Äußerung tätigt bzw. tätigen kann und dass diese gehört wird. Hörbarkeit ist hier nahezu wörtlich zu verstehen als der Umstand, in physiologischer Hinsicht gehört zu werden. Der Kampf um das Rederecht bezieht sich auf die Frage der Organisation des Sprecherwechsels (turn-taking).575 Je nach Kommunikationssituation spielt der Kampf um das Rederecht eine unterschiedlich große Rolle und erfährt auch unterschiedliche Ausprägungen. In der monologischen Kommunikation beispielsweise ist er weitestgehend irrelevant, denn hat sich der Sprecher einmal die Möglichkeit verschafft, sich zu äußern, wird ihm diese im Normalfall nicht mehr genommen. Das gilt zum Beispiel auch für die Wahlkampfrede.576 In der So zum Beispiel noch Charaudeau (2011, 105): «Il en résulte que le discours politique est un lieu de vérité piégée, de ‹faire semblant›, où ce qui compte n’est pas tant la vérité de cette parole lancée publiquement, que sa force de persuasion, sa véracité» (Hervorhebungen im Original). Zur Organisation des Sprecherwechsels cf. den immer noch grundlegenden Beitrag von Sacks/Schegloff/Jefferson (1974). Neuere Überblicke bieten Birkner/Auer/Bauer/Kotthoff (2020, 106–235) und, mit Blick auf das Französische, Gülich/Mondada (2008, 37–48). Mit gewissen Einschränkungen. So kann auch der Redner unterbrochen werden, wie es zum Beispiel durch Zwischenrufe des Publikums geschieht. Durch die asymmetrische Verteilung der Gesprächsrollen ist es für den Redner jedoch einfacher, sein Rederecht wiederzuerlangen. Schwieriger kann es sein, wenn zum Beispiel der Saalbetreiber das Mikrofon stumm
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
dialogischen Kommunikation ist zu unterscheiden, ob das Rederecht von den Sprechern frei ausgehandelt werden kann, wie es zum Beispiel beim Alltagsgespräch der Fall ist, oder ob es einer Regulierung unterliegt, wie es zum Beispiel auf das Interview und das TV-Duell mit ihren spezialisierten Sprecherwechselsystemen zutrifft. Im TV-Duell spielt der Kampf um das Rederecht eine besonders große Rolle, da hier mehrere Akteure in der Rolle des Interviewten sind und danach streben, im Proporz der Redenzeiten nicht zu kurz zu kommen. Dass der Kampf um das Rederecht vor allem in TV-Duellen eine große Rolle spielt, zeigt sich auch darin, dass er im Untersuchungskorpus ausschließlich in dieser Textsorte – hier aber bei allen Akteuren – zum Einsatz kommt (zur besonderen Bedeutung des Kampfs um das Rederecht für die Textsorte des TVDuells cf. ausführlicher Kapitel 6.4.4). Im Gesamtkorpus nimmt der Kampf um das Rederecht mit 0,43% den letzten Platz in der Rangfolge der Häufigkeit der agonalen Diskurshandlungen ein. In formaler Hinsicht zeichnet sich der Kampf um das Rederecht dadurch aus, dass hier neben verbalen Mitteln auch para- und nonverbale Mittel sowie Mittel und Verfahren der Gesprächsorganisation in besonderer Weise relevant sind. Dazu zählen zum Beispiel das Anheben der Lautstärke (paraverbal), Augenkontakt und Gestikulation (nonverbal) sowie das Unterbrechen (Gesprächsorganisation). Inhaltlich finden sich im Kampf um das Rederecht häufig Verweise auf das Sprechen an sich, zum Beispiel Aussagen nach dem Muster ‹je [vouloir] (juste) + Inf.› (129a)577 oder ‹laissez-moi + Inf.› (129c) (sog. äußerungsprojizierende oder retrahierende Strukturen, cf. Imo 2014, 67–68). Ebenfalls häufig sind Verweise auf die Redezeit (129b), Appelle an die Höflichkeit als Maßstab angemessenen Gesprächsverhaltens (129c) oder die Einforderung der gegenseitigen Gleichbehandlung unter Verweis auf das eigene Gesprächsverhalten (129d). (129) a. EM: Sur ce point/ je veux juste répondre sur ce qui a été/ RE: C’est [terminé pour vous.] EM: [Pardonnez-moi. (.)] Je voudrais juste répondre parce que c’est important (TV-Duell, 04.04.2017). b. BH: Moi j’ai beaucoup de retard, donc je termine (TV-Duell, 04.04.2017). c. MLP [zu EM]: Laissez-moi terminer. (.) Soyez courtois. (...) Soyez courtois (TV-Duell, 03.05.2017).
stellt oder Aktivisten die Bühne stürmen. Letzteres war zum Beispiel bei den Wahlkampfauftritten Marine Le Pens am 23.02.2017 und am 17.04.2017 der Fall. Zum Muster ‹je [vouloir] dire› als Mittel im Kampf um das Rederecht cf. auch Cappeau/ Lay (2019).
6.2 Agonale Diskurshandlungen
455
d. EM [zu MLP und NDA]: Sur ces sujets, je vous ai, vous madame, vous monsieur, laisser développer une cohérence d’argumentation, je voudrais juste avoir la même chose (TV-Duell, 04.04.2017). Aus funktionaler Perspektive lassen sich die im Kampf um das Rederecht zum Einsatz kommenden sprachlichen Handlungen in zwei Kategorien einteilen, Erteilung und Einforderung des Rederechts. Die Erteilung des Rederechts erfolgt im TV-Duell fast ausschließlich durch die Moderatoren, zu deren genuinen Aufgaben die Überwachung der Einhaltung der Regeln bezüglich Rederecht und Redezeit zählt. Wird das Rederecht durch einen Kandidaten erteilt, so in der Regel nur, wenn es zuvor durch das Gegenüber eingefordert wurde (130a) oder wenn der Kandidat das Gegenüber dadurch in die Enge treiben möchte (130b): (130) a. MLP [nachdem EM sie mehrfach unterbrochen hatte]: C’est bon? (.) Je peux [parler?] EM: [C’est] bon. Allez-y, madame Le Pen (TV-Duell, 03.05.2017). b. BH [zu FF]: Quel est [le taux de pauvreté en Allemagne?] FF: [Est-ce que vous voyez la colère monter] en Allemagne contre la gestion par [le gouvernement allemand?] BH: [Non mais répondez à ma question] (TVDuell, 20.03.2017). Die Erteilung des Rederechts dient zwar der Aushandlung des Rederechts, zeugt aber nur bedingt von Konkurrenz, da sie ja gerade dazu dient, dem anderen und nicht sich selbst Gehör zu verschaffen (eine Ausnahme stellen Fälle wie 130b dar). Im Gegensatz dazu zeugt die Einforderung des Rederechts sehr wohl von Konkurrenz, da sie dazu dient, sich selbst Gehör zu verschaffen und den Diskurs (zumindest in diesem Moment) zu dominieren. Von der Einforderung des Rederechts machen sowohl die Moderatoren als auch die Kandidaten Gebrauch, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Fordern die Moderatoren das Rederecht ein, dann in der Regel um den Ablauf der Debatte zu organisieren und die Einhaltung der Regeln zu gewährleisten; fordern die Kandidaten das Rederecht ein, dann um ihre Meinung zu äußern, um im Proporz der Redenzeiten nicht zu kurz zu kommen und die Diskurshoheit zu erlangen. Bei der Einforderung des Rederechts sind zwei Fälle zu unterscheiden: Der Sprecher hat das Wort nicht, möchte es aber ergreifen, oder der Sprecher hat das Wort und möchte es behalten. Dabei kommen unterschiedliche Mittel und Ver-
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
fahren zum Einsatz. Ein wichtiges Mittel für Ersteres ist die Unterbrechung.578 Die Unterbrechung kann diverse Formen und Funktionen haben. Sie kann zum Beispiel nur aus einzelnen Wörtern oder Wortfetzen bestehen, was vor allem der Fall ist, wenn der Unterbrochene – vorerst oder dauerhaft – das Wort nicht abgibt (cf. Macrons Einwürfe in 131a), oder auch eine längere Äußerung umfassen (cf. Le Pens Äußerung in 131b). Zudem kann sie nur einen Einwurf darstellen, sodass der Unterbrochene seine Äußerung fortsetzen kann (131b), oder einen längeren Redebeitrag einleiten, sodass der Unterbrechende das Wort dauerhaft übernimmt (dies gelingt Macron am Ende von 131c). Die Unterbrechung kann von einer Metaäußerung begleitet sein (131c). Ein wichtiges Mittel, um das Wort zu behalten, besteht darin, trotz Unterbrechung unmittelbar oder nach kurzer Pause weiterzureden (so Hamon in 131a und Fillon in 131b). Dies kann von einem Anheben der Lautstärke begleitet sein, einem «typische[n] Merkmal kompetitiven Simultansprechens» (Birkner/Auer/Bauer/Kotthoff 2020, 203, cf. auch French/ Local 1983). Auch hier können Metaäußerungen zum Einsatz kommen (131c). (131) a. BH: Le problème, ce n’est pas (.) que des gens riches financent votre campagne. Ils en ont parfaitement le droit. [Mais pouvez-vous] prendre/ = EM: [Mais (.) ne dites pas/] BH: = mais, simplement, pouvez-vous prendre l’engagement Ici, (.) DEvant les Français, (.) que parmi (.) ces (.) personnes les plus fortunées qui ont fait des dons IMportants pour vous (.) ou pour votre campagne, il n’y a pas (.) plusieurs cadres (.) de l’industrie pharmaceutique, (.) plusieurs cadres (.) de l’industrie chimique et pétrolière, [plusieurs cadres de] l’industrie = EM: [Mais attendez.] BH: = bancaire, [qui pou/] je vous demande [cela, (.) c’est tout.] = EM: [Mais vous êtes/] [Mais (.) où va-t-on?]. BH: = Est-ce que vous pouvez me le dire, cela? (TV-Duell, 20.03.2017).
In neueren konversationsanalytischen Arbeiten wird auf den Terminus Unterbrechung teilweise verzichtet, da er, wie Birkner/Auer/Bauer/Kotthoff (2020, 16–17) ausführen, zum einen negativ konnotiert sei, eine Unterbrechung aber keine negative Störung implizieren müsse, da sie zum Beispiel auch genutzt werden könne, um dem Sprecher beizupflichten, und da er zum anderen suggeriere, dass es zu einer Überlappung komme, was nicht zwangsläufig der Fall sein muss, zum Beispiel wenn ein Sprecher in einem Moment der Stille ungefragt das Wort ergreift. Birkner/Auer/Bauer/Kotthoff (2020, 17) schlagen daher vor, «für Fälle, in denen das Rederecht zwischen zwei oder mehr Teilnehmern umstritten ist», stattdessen von Turbulenzen zu sprechen (cf. Birkner/Auer/Bauer/Kotthoff 2020, 215–235).
6.2 Agonale Diskurshandlungen
457
b. FF: Personne n’a jamais construit 40.000 places de prison en cinq ans [(.) compte tenu euh des euh (…)] contraintes qui sont celles = MLP: [C’est pour ça qu’on est dans cette situation.] FF: = de notre pays. Donc moi je propose 16.000 et ça sera déjà très bien d’y parvenir (TV-Duell, 20.03.2017). c. MLP: Est-ce que vous pourriez (.) arrêter de me couper [la parole?] EM: [Non mais je vous coupe] la parole parce que vous dites des [bêtises.] MLP: [Mais calmez-vous,] [allez, c’est = EM: [Dans MON = MLP: = pas grave. Vous aurez le temps tout à l’heure de répondre. (.) Laissez-moi] terminer. EM: = projet/ mais madame Le Pen, (.) madame Le Pen, je suis très calme.] Il y a deux choses. [D’abord vous ne] répondez pas aux questions qui vous = MLP: [Soyez courtois.] EM: = [sont posées, (.)] c’est une forme de courtoisie aussi. Le Qatar, = MLP: [Soyez courtois.] EM: = l’Arabie Saoudite, c’est dans mon projet, […] (TV-Duell, 03.05.2017). Le Pens Verhalten in (131a) illustriert zudem ein weiteres typisches Verfahren im Kampf um das Rederecht, das doing being interrupted (Hutchby 1992), eine Strategie, die darin besteht, sich, wenn man unterbrochen wird, als Opfer darzustellen. Geben die Sprecher jeweils nicht auf, setzt sich das Spiel von Unterbrechungen und Gegenunterbrechungen weiter fort und kann zu «zones de turbulences» (Kerbrat-Orecchioni 2017, 62) führen, in denen die Äußerungen vor lauter Simultansprechen kaum mehr verständlich sind. Spätestens dann greifen die Moderatoren in der Regel mit Kommentaren wie diesen ein: (132) a. LF: S’il vous plaît, pas tous en même temps. On ne comprend plus rien (TV-Duell, 04.04.2017). b. NSC: Attendez, c’est inaudible (TV-Duell, 03.05.2017). c. NSC [zu EM und MLP]: Bon, arrêtez tous les deux. (.) Non mais arrêtez, vraiment, (.) vraiment! (TV-Duell, 03.05.2017). Insgesamt ist festzuhalten, dass der Kampf um das Rederecht in einigen Textsorten, wie zum Beispiel dem TV-Duell, eine zentrale Rolle für agonale Aushandlungsprozesse spielt. Es handelt sich dabei um ein komplexes System sprachlicher
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Handlungen, in denen eine Vielzahl verbaler, paraverbaler und nonverbaler Mittel zum Einsatz kommen. Die konkrete Ausgestaltung sowie die Funktionen der jeweiligen sprachlichen Handlungen sind wesentlich bedingt durch textsortenspezifische Merkmale, wie zum Beispiel eine mögliche Regulierung des Rederechts, asymmetrische Sprecherrollen oder spezialisierte Sprecherwechselsysteme.
6.2.10 Zwischenfazit Wie in diesem Kapitel deutlich geworden ist, sind sprachliche Handlungen, und damit die pragmalinguistische Perspektive auf Sprache als Teil der menschlichen Handlungsfähigkeit, zentral, um neben formalen und inhaltlichen Aspekten vor allem auch die Funktionsweise von Diskursen bzw. Texten zu verstehen. Mit Blick auf Agonalität konnte gezeigt werden, dass in agonalen Aushandlungsprozessen spezifische sprachliche Handlungen eine Rolle spielen, sogenannte agonale Diskurshandlungen. Eine agonale Diskurshandlung ist eine Kette sprachlicher Einheiten mit einer gemeinsamen Funktion, wobei aufgrund der grundsätzlichen «Polyfunktionalität von Handlungen» (Holly 2017b, 14) nicht von einer Eins-zu-Eins-Korrelation von Formen und Funktionen ausgegangen werden kann. Der Umfang einer agonalen Diskurshandlung entspricht häufig dem einer Äußerung, kann diesen aber auch unter- oder überschreiten. Agonale Diskurshandlungen können einzeln oder in Kombination auftreten und auch Verkettungen bilden, zum Beispiel im Fall von Angriff und Verteidigung oder von Konsens oder Dissens als Reaktion auf eine Äußerung. Sowohl zwischen agonalen Diskurshandlungen und (Gruppen von) lexikalischen und/oder grammatischen Agonalitätsindikatoren als auch zwischen agonalen Diskurshandlungen und semantischen Dimensionen der Agonalität bestehen verschiedene Korrelationen. Agonale Diskurshandlungen können unterschiedliche Grade der Agonalität aufweisen, die von schwach agonal bis stark agonal reichen und teilweise sogar jenseits des Agonalen in eine Logik des Antagonismus gehen. Insgesamt wurden neun Typen agonaler Diskurshandlungen untersucht: Gegenüberstellung, Selbst- und Fremdbildkonstruktion, Stellungnahme, negative Wertung, Dissens und Konsens, Angriff und Verteidigung, der Kampf um die Wahrheit und der Kampf um das Rederecht. Diese agonalen Diskurshandlungen schreiben sich alle – mehr oder weniger stark – in die das sprachliche Handeln im Wahlkampf prägenden Makro-Funktionen der Information und der Persuasion ein. Letztere lässt sich in zwei Subfunktionen ausdifferenzieren, deren Realisierung ebenfalls eine Vielzahl der agonalen Diskurshandlungen dienen, die Legitimierung der eigenen Position und die Delegitimierung der gegnerischen Position(en). Die mit Abstand häufigste agonale Diskurshandlung im Korpus ist die
6.2 Agonale Diskurshandlungen
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Stellungnahme, die den schwächsten Grad der Agonalität aufweist. Die agonalen Diskurshandlungen der Gegenüberstellung und der Selbst- und Fremdbildkonstruktion, die über einen mittleren Grad der Agonalität verfügen, sind deutlich seltener, aber dennoch über alle Teilkorpora hinweg relativ häufig. Agonale Diskurshandlungen mit einem sehr hohen Grad der Agonalität – negative Wertung, Angriff, Dissens und der Kampf um die Wahrheit – sind etwas weniger häufig und zudem deutlich akteurs- oder textsortenspezifischer. So sind zum Beispiel die negative Wertung und der Angriff besonders charakteristisch für die Rede, der Dissens und der Kampf um die Wahrheit für das TV-Duell. Sehr selten und hochgradig textsortenspezifisch ist der Kampf um das Rederecht; ebenfalls sehr selten ist die Verteidigung, was zeigt, dass diese nicht als sehr vielversprechendes Mittel im Kampf um die Diskurshoheit betrachtet zu werden scheint. Gegenüberstellung
9%
Selbstbildkonstruktion
8%
Fremdbildkonstruktion
8%
Stellungnahme negative Wertung Dissens Konsens Angriff
54% 6% 4% 2% 6%
Verteidigung Kampf um die Wahrheit Kampf um das Rederecht
3% 0%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Abbildung 16: Agonale Diskurshandlungen im Gesamtkorpus.
Während die Akteure nur in leicht variierendem Maße von den verschiedenen agonalen Diskurshandlungen Gebrauch machen (cf. Abbildung 17), unterscheiden sich die Textsorten signifikant im Hinblick auf den Einsatz agonaler Diskurshandlungen (cf. Abbildung 18): Die Frage nach akteurs- und textsortenbedingten Spezifika von Agonalität wird in den folgenden beiden Kapiteln weiter vertieft werden.
460
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Gegenüberstellung Selbstbildkonstruktion Fremdbildkonstruktion Stellungnahme negative Wertung Dissens Konsens Angriff Verteidigung Kampf um die Wahrheit Kampf um das Rederecht 0%
10% JLM
20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% BH
EM
FF
MLP
Abbildung 17: Agonale Diskurshandlungen bei verschiedenen Akteuren.
Gegenüberstellung Selbstbildkonstruktion Fremdbildkonstruktion Stellungnahme negative Wertung Dissens Konsens Angriff Verteidigung Kampf um die Wahrheit Kampf um das Rederecht 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Wahlprogramm
profession de foi
TV-Duell
TV-Interview
Rede
Abbildung 18: Agonale Diskurshandlungen in verschiedenen Textsorten.
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität Akteure und damit auch die Analyse akteursbedingter Spezifika von Agonalität sind für agonale Diskurse von zentraler Relevanz. Aus theoretischer Sicht kommt den Akteuren insofern eine Schlüsselrolle zu, als dass sie als Handlungsträger im
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
461
Zentrum einer handlungsorientierten Diskursanalyse stehen. Dies spiegelt sich in methodologischer Sicht in der zentralen Stellung, die die Akteure im MehrEbenen-Modell einnehmen. Doch auch in der Praxis sind die Akteure von großer Bedeutung. In der Politik stehen sowohl kollektive Akteure wie Parteien als auch individuelle Akteure wie einzelne Politiker im Fokus der Aufmerksamkeit. In jüngerer Zeit ist dabei eine Tendenz zur Individualisierung des politischen Lebens zu beobachten (cf. Le Bart 2013), was im Hinblick auf Agonalität zur Folge hat, dass die Rivalität zwischen individuellen Akteuren, sprich Einzelpersonen, wichtiger wird als die Rivalität zwischen Parteien oder Strömungen (cf. Le Bart 2019, 230). Dies gilt für die französische Präsidentschaftswahl in besonderem Maße. Als personenbezogene Wahl, bei der der Präsident direkt durch das Volk gewählt wird, zeichnet sie sich dadurch aus, dass der Persönlichkeit der einzelnen Kandidaten besondere Bedeutung beigemessen wird (cf. Nadeau/Didier/Lewis-Beck 2012). Die einzelnen Kandidaten stehen als Menschen, als Individuen, und damit auch als Sprecher, im Fokus der Aufmerksamkeit. Ziel dieses Kapitels ist es, akteursbedingte Spezifika von Agonalität herauszuarbeiten. Dazu werden die fünf Spitzenkandidaten im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017, dem ideologischen Parteienspektrum folgend von links nach rechts, einer vergleichenden Untersuchung unterzogen: Jean-Luc Mélenchon (Kapitel 6.3.1), Benoît Hamon (Kapitel 6.3.2), Emmanuel Macron (Kapitel 6.3.3), François Fillon (Kapitel 6.3.4) und Marine Le Pen (Kapitel 6.3.5). Dabei wird, aufbauend auf Kapitel 3.6, zunächst der Frage nachgegangen, welche Hörbzw. Sichtbarkeit die jeweiligen Akteure insgesamt erzielen konnten. In diesem Zusammenhang wird auch auf ihre unterschiedlichen Rollen sowie auf außersprachliche Faktoren Bezug genommen. Im Anschluss daran wird, auf die Erkenntnisse aus Kapitel 6.1.1 und 6.1.2 zurückgreifend, untersucht, welche Mittel und Verfahren der Agonalität den Sprachgebrauch der jeweiligen Akteure prägen und möglicherweise einen Einfluss auf ihre voice haben. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Verwendung unterschiedlicher Begriffe und deren Konzeptualisierung, da diese Aufschluss über die akteursgebundenen Perspektivierungen der Wirklichkeit geben, die im Diskurs in Konkurrenz zueinander treten. Ebenfalls in den Blick genommen wird die akteursspezifische Verwendung agonaler Diskurshandlungen. Auf diese Weise werden die agonalen Profile von fünf politischen Persönlichkeiten erarbeitet, die nicht nur im Fokus der französischen Präsidentschaftswahlen 2017 standen, sondern das politische Leben in Frankreich teilweise seit Jahren oder gar Jahrzehnten geprägt haben und/oder es vielleicht noch lange prägen werden. Abschließend wird auf dieser Grundlage der Versuch unternommen, verallgemeinernde Schlüsse im Hinblick auf akteursbedingte Spezifika von Agonalität und deren Analyse zu ziehen (Kapitel 6.3.6).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
6.3.1 Jean-Luc Mélenchon Jean-Luc Mélenchon prägte den Wahlkampf wie kein anderer durch sein besonderes rhetorisches Talent. Seine «talents de tribun» (Lazar 2018, 178), sein «style oratoire flamboyant» (Cautrès 2017, 176) gelten als unbestritten; von den Medien wird der «orateur Mélenchon» als «meilleur tribun du panel» gefeiert (Mayaffre 2017, 131); für manche ist er gar «le dernier grand tribun, le dernier politique qui soit aussi un artisan des mots» (Alduy 2017, 164).579 Vor diesem Hintergrund verspricht eine linguistische Analyse des Sprachgebrauchs Mélenchons besonders interessant und aufschlussreich zu sein. Im Folgenden soll unter dem Gesichtspunkt der Agonalität untersucht werden, inwiefern Mélenchons Sprachgebrauch sich auch in dieser Hinsicht auszeichnet, d.h. welche sprachlichen Mittel und Verfahren der Agonalität Mélenchon charakterisieren und wie es ihm gelingt, sich eine große Hör- bzw. Sichtbarkeit zu verschaffen. Dass ihm dies im Wahlkampf 2017 gelungen ist, lässt sich nicht bestreiten. Seine Umfragewerte schossen in die Höhe – von ca. 13% Ende November 2016 auf ca. 19% im April 2017 –, sein Wahlergebnis von 2012 konnte er erheblich steigern – von 11,10% auf 19,58% – und manche sahen ihn schon als zukünftigen Bewohner des Élysée-Palastes (cf. Clément 2017). Dabei war Mélenchon, bereits sehr früh und anders als 2012, als «candidat hors parti» in den Wahlkampf gestartet (cf. Kapitel 5.1.2.1), konnte also, wie Macron, nicht auf die Unterstützung einer etablierten Partei zählen. Stattdessen setzte er, ebenfalls wie Macron, auf die Gründung einer neuen «Bewegung», La France Insoumise, mit der er in relativ kurzer Zeit eine Vielzahl an Wählern zu mobilisieren vermochte. Die Gründung von und erfolgreiche Mobilisierung durch La France Insoumise, «dont le but, les moyens et l’organisation soient tous trois sous le signe du peuple» (Alduy 2017, 65), gilt als einer der Faktoren, die zu Mélenchons Wahlerfolg beigetragen haben (cf. Lefebvre 2018; Priester 2018). Ein weiterer Faktor kann in Mélenchons äußerst erfolgreicher Nutzung von Social Media gesehen werden. Auf YouTube hatte Mélenchon mit Abstand die meisten Follower – im April 2017 waren es 281.682; die übrigen Kandidaten lagen mit maximal 18.864 Followern weit dahinter –, auf Facebook, Twitter
Das rhetorische Talent, der besondere Stil Mélenchons schlägt sich, wie Alduy (2017, 262–266) in einer umfassenden Analyse seines Sprachgebrauchs zeigt, in zahlreichen Bereichen nieder: Ein außergewöhnlich reicher Wortschatz (gemessen an der TTR und im Vergleich zu Hollande, Juppé, Sarkozy und Le Pen), große lexikalische Kreativität (seltene Wörter, Neologismen), auffällige Syntax (kurze Sätze, Inzisen, Exklamativa und Interrogativa), beißende Ironie und Metaphernreichtum sind nur einige der Merkmale, die Mélenchons Sprachgebrauch deutlich von dem vieler anderer Politiker unterscheiden.
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
463
und Instagram hatte er nach Le Pen die zweitmeisten Follower und seine Kanäle auf Facebook und Twitter verzeichneten nach denen Le Pens die höchste Aktivität (cf. Koc-Michalska/Gibson/Vedel 2017, 6–8). Doch nicht nur die Zahlen sprechen für sich, auch die Art und Weise seiner Nutzung dieser Medien zeugt von einer besonderen Originalität. YouTube etwa habe er nicht, wie andere Politiker, als zusätzliches Medium zur Verbreitung bereits bestehender Wahlwerbung genutzt, sondern er habe sich die Logik des Mediums angeeignet, sei selbst zum YouTuber geworden (cf. Charbonneau/Devars 2018): «[L]à où ses rivaux politisaient YouTube, […] Jean-Luc Mélenchon a ‹youtubisé› la politique» (Mercier 2017, 116). Durch die umfassende Nutzung von Social Media tritt Mélenchon in direkten Kontakt mit den Rezipienten, ohne eine vermittelnde Instanz durch die klassischen Massenmedien. Dies reflektiere, so Kuhn (2018, 130) im Anschluss an Sieffert/Soudais (2012), die kritische Haltung Mélenchons den Mainstream-Medien gegenüber. Neben der besonders erfolgreichen Nutzung von Social Media zeichnet sich Mélenchon durch die Nutzung weiterer innovativer medialer Techniken und Formate aus. Dazu zählt zum Beispiel der Einsatz von Big Data. Auf der Basis der Datenerhebungssoftware NationBuilder rief er eine interaktive Plattform ins Leben, die es erlaubt, ein Maximum an Informationen über potenzielle Wähler zusammenzutragen und diese, zum Beispiel durch personalisierte Nachrichten, gezielt zu mobilisieren, und machte sich auf diese Weise die Vorteile neuester Datenanalysemethoden zu Nutze.580 Eine weitere Besonderheit im Wahlkampf Mélenchons ist die Nutzung der Hologramm-Technik. Unter Einsatz dieses technischen Verfahrens trat Mélenchon erstmals am 05.02.2017 in Lyon und zeitgleich als Hologramm in Paris auf; am 18.04.2017 waren es gleich sieben Orte. Durch das gleichzeitige Auftreten an verschiedenen Orten gelingt es Mélenchon, eine große Zahl an Wählern gleichzeitig anzusprechen. Doch auch allein durch den Einsatz dieser innovativen Technik, die sonst kein anderer Kandidat nutzte, macht er von sich hören, wurde doch die Nutzung dieser Technik selbst zur «news story» (Kuhn 2018, 129; cf. auch Sécail 2020, 157–164). Nicht zuletzt kann Mélenchon als «le candidat des meetings» gelten: Bekannt als großer Redner vermochte er es in besonderer Weise, die Massen zu mobilisieren, und hielt am
Mélenchon ist nicht der Einzige, der derartige Techniken nutzt. Das Prinzip der interaktiven Plattform hatte er nach eigener Aussage von Bernie Sanders übernommen; die Software NationBuilder bzw. ihren Konkurrenten Blue State Digital hatte neben Bernie Sanders bereits Barack Obama im Wahlkampf 2008 genutzt; in Frankreich machten neben Mélenchon auch Fillon, Juppé und Le Maire im Vorwahlkampf der Rechten 2016 von ihr Gebrauch (cf. Boudet 2016; Goar 2016).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
18.03.2017 auf der Place de la République in Paris581 mit – nach eigenen Angaben582 – 130.000 Teilnehmern das größte Meeting des gesamten Wahlkampfs ab. Den inhaltlichen Kern seines Programms bildet die Forderung der Abschaffung der Fünften Republik, von Mélenchon abwertend monarchie présidentielle genannt, und der Gründung der Sechsten Republik unter Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung, einer assemblée constituante (constituante, monarchie, constitution sind Schlüsselbegriffe bei Mélenchon). (133) JLM: LA 6e RÉPUBLIQUE Je serai le dernier président de la 5ème République. Aussitôt élu, je convoquerai une Assemblée constituante pour écrire une nouvelle Constitution. […] Ce sera la fin de la monarchie présidentielle (Profession de foi, 2017; Hervorhebungen im Original). Mélenchon fordert damit einen radikalen Umsturz, der eine profunde Kritik des aktuellen Systems impliziert. Damit verbunden ist die Forderung nach einer größeren Mitbestimmung des Volkes, das nicht nur an der Verfassungsgebung beteiligt sein soll, sondern auch durch erweiterte Formen des Referendums mehr Möglichkeiten zur Partizipation haben soll (Schlüsselbegriffe peuple, révocatoire [immer in référendum révocatoire], révoquer). Dem liegt ein radikales Verständnis von Demokratie zugrunde, das mit Mudde (2004, 561) als «democratic extremism» bezeichnet werden kann (cf. auch Alduy 2017, 293–294, 354–357; Göhring 2019, 15–16). (134) JLM: On va réunir l’assemblée constituante et puis à la fin on va demander au peuple ce qu’ils en pensent. Ça s’appelle la démocratie (TV-Interview, 14.04.2017). Alduy (2017, 64) zufolge besteht genau darin das zentrale Paradox des Projekts von Jean-Luc Mélenchon: «La logique paradoxale de ce projet, révolutionnaire
Ort und Datum sind wohl nicht zufällig gewählt. Am 18. März 1871 erhoben sich die Nationalgarde und die Arbeiterschaft von Paris gegen die antinationale und antisoziale Haltung der bürgerlichen Regierung Frankreichs beim Friedensschluss mit Deutschland nach dem Deutsch-Französischen Krieg und gaben damit den Auftakt zur Pariser Kommune. Der Rede Mélenchons auf der Place de République ging ein von der Place de la Bastille ausgehender «défilé» voran, der damit zwei symbolträchtige Orte miteinander verband. Bereits im vorherigen Präsidentschaftswahlkampf hatte Mélenchon am selben Ort und zur selben Zeit, am 18.03.2012, ein entsprechendes Meeting veranstaltet. Cf. Mélenchon (2017).
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
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dans ses fins et légitimiste dans sa forme, est d’exploiter les failles mêmes du système institutionnel qu’il dénigre pour le pousser à voter sa propre dissolution». Des Weiteren ist Mélenchon der Kandidat, der sich am stärksten für ökologische Themen einsetzt (Schlüsselbegriffe mer, eau, paysanne, animaux, planification; letzterer in 8 von 9 Fällen in planification écologique). Eine wichtige Rolle spielt auch die Außenpolitik, wobei sich Mélenchon insbesondere für einen Austritt aus europäischen und internationalen Verträgen und der NATO (Schlüsselbegriffe traités, sortir, OTAN) und im Gegenzug für eine Stärkung der UNO (Schlüsselbegriff ONU) ausspricht. Eine auffallend geringe Rolle spielt der Terrorismus: Mit 207 Okkurrenzen pro 1 Mio. Token ist Mélenchon der Kandidat, der diesen mit Abstand am wenigsten thematisiert (cf. Abbildung 27). Am stärksten unterscheidet er sich in dieser Hinsicht von Le Pen, die mehr als sechsmal so oft vom Terrorismus spricht. Das Konzept, das Mélenchon von Frankreich und den Franzosen entwirft,583 unterscheidet sich radikal von dem aller anderen Kandidaten. France und français, die häufigsten Autosemantika im gesamten Korpus, sind bei Mélenchon unterrepräsentiert, auch française, nation, nationalité und pays sind negative Schlüsselbegriffe (cf. Abbildung 19). Stattdessen verwendet Mélenchon zur Referenz auf die Franzosen vor allem die Begriffe peuple und gens (beides Schlüsselbegriffe). Der Schlüsselbegriff peuple ist Zeichen des (Links-)Populismus, der Mélenchon charakterisiert. Mit dem häufigen Rekurs auf das Volk, der nicht zuletzt in seinem Wahlkampfslogan La force du peuple aufscheint, und der Inszenierung als Teil des Volkes – «Je suis du peuple», heißt es gleich zweimal in seiner profession de foi –, gepaart mit einer ausgeprägten Elitenfeindlichkeit, zu deren Bezeichnung er neben élite auch die besonders stigmatisierenden Termini caste und oligarchie verwendet, erfüllt Mélenchon mustergültig die konstitutiven Merkmale des Populismus.584 Den Populismus und auch die Schlüsselbegriffe peuple(s) teilt Mélenchon mit Le Pen, vertritt aber ein anderes Volkskonzept als diese. Während Le Pen als prototypische Vertreterin des Rechtspopulismus ein exklusives, durch die ethni-
Dieses Konzept wird systematisch bei allen Akteuren untersucht, da es auf den den Wahlkampf insgesamt dominierenden Themenkomplex abzielt: Die frequentesten Autosemantika im Gesamtkorpus sind France, français, pays. Streng genommen handelt es sich dabei um zwei Konzepte, das von Frankreich (Land) und das der Franzosen (Bevölkerung), doch werden die Begriffe häufig metonymisch für das jeweils ein oder andere gebraucht, so dass eine große Schnittmenge zwischen beiden Konzepten besteht und eine trennscharfe Unterscheidung nicht immer möglich ist. Cf. auch Alduy (2017, 354–357); Castaño (2018); Göhring (2019); Marlière (2019).
466
140 120 100 80 60 40 20 0 –20 –40 –60
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
JLM
BH
france
EM
français
française
FF
nation
nationalité
MLP
pays
Abbildung 19: Signifikanz von Begriffen aus dem Themenbereich Frankreich/Nation bei verschiedenen Akteuren.585
100 80 60 40 20 0 JLM
BH
EM
FF
MLP
–20 –40 –60 –80 peuple
peuples
élite
élites
caste
oligarchie
oligarchies
Abbildung 20: Signifikanz von Begriffen aus dem Themenbereich Populismus bei verschiedenen Akteuren.
sche Zugehörigkeit definiertes Volkskonzept entwirft (cf. Kapitel 6.3.5), vertritt Mélenchon ganz im Sinne des Linkspopulismus ein inklusives Volkskonzept, das sich über bestimmte soziale Gruppen – den «kleinen Mann» – sowie in radikaler
Bezeichnend ist, dass die Signifikanz der hier aufgeführten Ausdrücke dem ideologischen Parteienspektrum folgend von links nach rechts beinahe kontinuierlich zunimmt.
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
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Weise über das demos definiert (cf. Alduy 2017, 284–295; Göhring 2019). Nichtsdestotrotz ist auch Mélenchons Volkskonzept ein synekdochisches: Er setzt sich für ein ganz bestimmtes Frankreich ein, für das Frankreich der Unbeugsamen, der Aufsässigen, für La France Insoumise (Schlüsselbegriff insoumise; 135a–b), und gegen das der Reichen und Mächtigen (140b–c; 142a–c). (135) a. JLM: Je suis le représentant des têtes dures, des insoumis, de ceux à qui on ne la fait pas une deuxième, une troisième, une quatrième fois! (Rede, 05.02.2017). b. JLM: […] les braves gens qui veulent juste vivre de leur vie avec un salaire qui permet d’avoir une vie digne. Et moi, c’est à eux que je pense, voyez-vous? (TV-Interview, 20.04.2017). Zur Bezeichnung dieses Kollektivs, für das er sich einsetzt und als dessen Repräsentant er sich sieht, nutzt Mélenchon neben peuple den Terminus gens ‘Leute’. Mit einer LLR von 210,36 signifikantester Schlüsselbegriff und absolutes Alleinstellungsmerkmal Mélenchons, steht der Ausdruck gens sinnbildlich für das Konzept, das er von «seinem» Frankreich, seinen Anhängern, seinen Wählern entwirft. Mélenchon tritt für «les braves gens» ein, für den ‘kleinen Mann’, für das ‘einfache Volk’. Sein Ziel ist es, dem Volk selbst an die Macht zu verhelfen, womit er ihm eine große Entscheidungsfreiheit und die Fähigkeit zum eigenverantwortlichen Handeln zuspricht. Seine eigene Aufgabe bestehe lediglich darin, als ihr Repräsentant (135), ihr demokratisch legimitierter Sprecher, vorübergehend das Wort zu führen, bis das Volk selbst die Macht übernimmt (136a). Mélenchon geht dabei nicht in einem undefinierten oder undefinierbaren nous auf – nos und notre sind negative Schlüsselbegriffe bei Mélenchon –, sondern stellt sich vielmehr in den Dienst des vous (hochsignifikanter Schlüsselbegriff), der gens (136a–b): (136) a. JLM: Guérissez-vous, les gens, de cette manie (..) d’attendre d’un homme une perfection qu’il ne peut pas avoir. Ne comptez que sur vos propres forces. Je ferai ma part de travail, faites la vôtre! (Rede, 09.04.2017). b. LS: […] [cette] rencontre d’un homme et d’un peuple, c’est tellement VOUS. […] JLM: […] Vous êtes bien aimable de dire que c’est tout à fait moi, mais moi je ne me représente pas les choses comme ça. Je pense que la force vient de l’intelligence collective (TV-Interview, 20.04.2017).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Wie sich in diesen Beispielen bereits andeutet, korreliert die Konstruktion eines solchen Volksbegriffs mit einer ganz spezifischen Selbstbildkonstruktion. Von allen Kandidaten zeichnet sich Mélenchon dadurch aus, dass er am wenigsten für die eigene Person eintritt: je ist negativer Schlüsselbegriff (cf. Abbildung 23), auch moi verwendet niemand seltener als Mélenchon. Seine Person stellt Mélenchon zugunsten politischer Inhalte und des Volkes zurück (137a–e). Dies geht sogar so weit, dass er eine Personalisierung gezielt ablehnt (137d) und plant, nach dem Inkrafttreten der neuen Verfassung zurückzutreten (137e). (137) a. JLM: À 65 ans, je n’organise pas ma carrière. J’assume une mission (Profession de foi, 2017). b. JLM: J’ai (.) consacré ma vie à une cause, celle du peuple et de la République jusqu’au bout. Aujourd’hui, en me présentant devant vous, je n’ai pas de plan de carrière, je sers un combat (TV-Duell, 04.04.2017). c. JLM: […] je passerai, mais les idées que je porte pour vous ne passeront jamais (Rede, 05.02.2017). d. PUB (skandiert): Mélenchon! Mélenchon! JLM: Arrêtez ça. Je ne veux pas (.) je ne veux pas que mon nom (.) je ne veux pas que mon nom soit un slogan. Vous n’êtes pas des dévots, vous êtes ceux qui portez un programme, il s’appelle l’avenir en commun! (Rede, 09.04.2017). e. JLM: Une fois que la Constitution est votée, elle s’applique et donc, je m’en vais (On n’est pas couché, France 2, 22.09.2016, zit. nach Alduy 2017, 64). Doch auch wenn Mélenchon mit Aussagen wie diesen seine eigene Person derart zurücknimmt, sagt er damit natürlich zugleich etwas über sich aus, konstruiert ein bestimmtes Selbstbild. Seine Selbstbildkonstruktion situiert sich in einem Spannungsfeld «entre personnalisation et effacement du moi» (Alduy 2017, 66). Nicht nur im Hinblick auf die Selbstbildkonstruktion, auch im Hinblick auf das agonale Profil insgesamt zeichnet sich Mélenchon durch eine gewisse Ambivalenz, eine Paradoxie aus, die Alduy (2017, 268) treffend mit den Worten «critique de la violence et violence de la critique» erfasst: «La particularité du discours contestataire de Jean-Luc Mélenchon est qu’il se focalise sur la violence comme objet et comme moyen de son indignation: il déploie une critique originale de la violence sociale et du système économique et politique et ceci à travers une rhétorique elle-même virulente» (Alduy 2017, 268; Hervorhebungen im Original).
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
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Ersteres, die «critique de la violence», gipfelt in der Kritik des Kriegs als Inbegriff globaler, bewaffneter Gewalt. Guerre und guerres sind Schlüsselbegriffe bei Mélenchon, nicht aber, weil er sich in besonderer Weise einer Kriegsmetaphorik bediene – auch ist Mélenchon derjenige Kandidat, der sich mit Abstand am wenigsten Begriffen aus dem semantischen Feld des Kampfes bedient (cf. Abbildung 22) –, sondern weil er vom Krieg im wörtlichen Sinne spricht und sich mit Vehemenz gegen diesen ausspricht: (138) a. JLM: Donc, que faut-il faire? […] Arrêter les guerres, et on peut arrêter les guerres quand on a décidé de les faire arrêter, c’est-à-dire quand on fait discuter les belligérants. On peut arrêter les guerres (TV-Duell, 20.03.2017). b. JLM: L’Europe de la défense, c’est l’Europe de la guerre. Et nous sommes pour l’Europe de la paix. Et la France ne saurait être le fourgon qui accompagne AUCUNE armée (Rede, 05.02.2017). c. JLM: On m’a reproché (.) parce que je propose de parler, de négocier, de faire de la diplomatie (.) plutôt que des guerres, sachant (.) qu’aucune de ces violences n’a jamais réglé aucun problème, aucun nulle part! (Rede, 09.04.2017). Statt durch Krieg fordert Mélenchon Konflikte durch Diplomatie, durch verbale Aushandlung zu lösen (138a und c), statt Krieg fordert er den Frieden (139a) und inszeniert sich als Vertreter eines Neohumanismus (cf. auch Mayaffre 2017, 132): humain, humaine, humanité, êtres (immer in êtres humains) und gratuite (z.B. in école/éducation/cantine/santé gratuite) sind Schlüsselbegriffe bei Mélenchon, ebenso paix, idée und harmonie. Mélenchon tritt für eine bessere Welt ein, eine Welt, in der es keine Kriege und kein Elend mehr gibt (Schlüsselbegriffe guerre(s) und misère), eine von Harmonie beherrschte Welt: harmonie ist nicht nur Schlüsselbegriff bei Mélenchon, auch das Logo seines Wahlkampfs, der griechische Buchstabe Phi φ, steht, wie er in seiner Rede am 18.03.2017 erklärt, für Harmonie. Es sei an der Zeit, das Leiden zu beenden, «de commencer les jours heureux» – möglicherweise eine Anspielung auf das Programm des Conseil National de la Résistance, das dieser im Untergrund am 15.03.1944 verabschiedete (cf. Tronche 2020), – «et […] de retrouver le goût du bonheur» (139b). (139) a. JLM: Je suis le candidat de la paix (Rede, 09.04.2017). b. JLM: Je crois que ce dont il est question, c’est de commencer les jours heureux (.) car le pays a assez pâti jusque-là (.) et le moment est venu pour lui (.) de retrouver le goût du bonheur (TV-Duell, 04.04.2017).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
In scharfem Kontrast zu dieser «critique de la violence» steht die «violence de la critique», die Mélenchons Diskurse prägt. Inhaltlich spiegelt sie sich zum Beispiel in der zentralen Forderung der Abschaffung der Fünften Republik (cf. supra), die eine fundamentale Kritik am politischen System und der Gesamtheit der politisch Verantwortlichen impliziert. Sprachlich findet sie ihren Ausdruck in einem nahezu gewaltsamen Sprachgebrauch, der die Radikalität derartiger Forderungen untermauert und die Kritik zusätzlich verschärft. Dies illustrieren zum Beispiel die Schlagwörter révolution, résistance und dégagisme. Mit 331 Okkurrenzen pro 1 Mio. Token ist der Ausdruck révolution bei Mélenchon frequenter als bei allen anderen Akteuren. Zwar ruft er zu einer ‘friedlichen Revolution’ auf (140a), die sich zudem im Rahmen des rechtlich Möglichen bewegt (cf. supra), doch evoziert das Wort révolution dennoch einen plötzlichen, radikalen, gewaltsamen Umsturz der bestehenden Ordnung.586 Wie révolution kann auch résistance Assoziationen an einen gewaltsamen, oder zumindest erbitterten und hartnäckigen Widerstand wecken.587 Résistance ist, ebenso wie Dégagez!, zu einem «mot d’ordre» der Bewegung geworden, die von Anhängern Mélenchons bei Meetings immer wieder skandiert werden (140b). Der Ruf Dégagez! ist Ausdruck des dégagisme, einem noch relativ jungen Terminus zur Bezeichnung des «rejet de la classe politique en place, notamment lors d’une élection» (GR, s.v. dégagisme).588 Mélenchon machte sich den Begriff in besonderer Weise zu eigen; von den insoumis wurde er schnell als «nouveau mot d’ordre» adaptiert.589
Cf. die Definition im TFLi (s.v. révolutionII.B.2): «Renversement soudain du régime politique d’une nation, du gouvernement d’un état, par un mouvement populaire, le plus souvent sans respect des formes légales et entraînant une transformation profonde des institutions, de la société et parfois des valeurs fondamentales de la civilisation». Cf. auch hier die Definition im TLFi (s.v. résistanceII.B.1; meine Hervorhebung): «Défense, riposte par la force à un adversaire, à un ennemi qui a déclenché les hostilités». Im GR wird der Erstbeleg auf 2011 datiert und mit dem Zusatz «répandu 2017» versehen. In anderen Wörterbüchern, zum Bespiel dem TLFi, ist der Terminus zum Teil noch gar nicht verbucht. Der Begriff entstand 2011 im Kontext des Arabischen Frühlings und hat 2017 unter dem Einfluss des französischen Präsidentschaftswahlkampfs und insbesondere Mélenchons zunehmend Verbreitung erfahren (cf. Audureau 2017). Bereits im Juli 2016 machte La France Insoumise unter dem Slogan «Je vote, ils dégagent!» Kampagne (cf. La France Insoumise 2016); nach den Vorwahlen des linken Lagers freute sich Mélenchon über die Niederlage Valls’ als Zeichen einer weiteren «victoire du dégagisme» (cf. Mélenchon 2017). Mag der Begriff auch neu sein, die Haltung Mélenchons ist es nicht: Bereits sein 2010 erschienenes Buch trägt den programmatischen Titel Qu’ils s’en aillent tous! (Mélenchon 2010).
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
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(140) a. JLM: […] cette assemblée constituante […] est le cœur de ma stratégie révolutionnaire pour la révolution citoyenne à laquelle j’aspire et qui est une révolution pacifique, tranquille et démocratique (TV-Duell, 04.04.2017). b. JLM: Il y a un nouveau mot d’ordre qui est né après Résistance, c’est Dégagez!. PUB (skandiert): Dégagez! Dégagez! JLM: Dégagez pour que soient abolis les privilèges de la finance, ceux de la caste insolente qui occupe tous les pouvoirs et se les répartit, ceux de la monarchie présidentielle, et de toutes les suites dorées du capital. Voyez grand, peuple français, voyez grand pour votre patrie! (Rede, 18.03.2017). c. JLM: Il faut que les bulletins de vote donnent le coup de balai qui les fasse tous, sans exception, dégager! (Rede, 18.03.2017). Wie diese Beispiele bereits anklingen lassen, sticht Mélenchon – ein weiteres Zeichen der ihn prägenden «violence de la critique» – durch einen besonderen Gebrauch von Angriff, negativer Wertung und abwertender Fremdbildkonstruktion hervor. Auf die agonale Diskurshandlung des Angriffs entfallen bei Mélenchon 4%, womit er nach Le Pen die zweitmeisten Angriffe tätigt. Stärker aber noch als die Quantität wiegt die Qualität seiner Angriffe, die häufig, inhaltlich wie sprachlich, von besonderer Schärfe und Offensivität sind (cf. auch 142a–c): (141) a. JLM [zu MLP]: Fichez-nous la paix avec la religion! Nous ne sommes pas obligés de subir vos foucades, vos trouvailles, votre manière de nos imposer à tous une manière de vivre qui n’est pas la nôtre! (TV-Duell, 04.04.2017). b. JLM: […] ce sont par les plateformes que l’on détricote le droit du travail (.) et qu’on ubérise toute la société, ce qui, paraît-il, est un idéal pour les jeunes gens pétaradants du type de notre jeune banquier [gemeint ist Macron; meine Anm.] (Rede, 05.02.2017). c. JLM [über die Gesamtheit der politisch Verantwortlichen]: […] C’est au nom de ce dogme (.) et de leur incapacité personnelle à tenir tête à quoi que ce soit et à faire quoi que ce soit d’autre que de céder toujours à ceux qui semblent les plus forts (Rede, 18.03.2017). Auch die negative Wertung sticht in quantitativer wie qualitativer Hinsicht hervor. Mit 8% liegt Mélenchon weit über dem Durchschnitt von 4,4%. Die negative Wertung spiegelt sich vor allem im Gebrauch stark negativ wertender Ausdrucke wie caste, oligarchie, clubs de riches oder globalitaire, einer Kontamination von global und totalitaire. Gegenstand der negativen Wertung sind
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vor allem die Mächtigen und finanziell Vermögenden, zu denen in erster Linie die politisch Verantwortlichen zählen, von denen Mélenchon einer starken negativen Wertung unterliegende Fremdbilder konstruiert: (142) a. JLM: Il faut que soit mis un TERME (.) à cette caste dorée (.) de parasites incapables, inutiles! (Rede, 09.04.2017). b. JLM: Regardez-les, les nantis, les puissants, les importants! […] Bons à rien! (Rede, 09.04.2017). c. JLM: […] c’est une aberration (.) ridicule, obscène, immorale! S’enrichir est immoral! […] à quoi bon ces fortunes qui s’empilent? Pour quoi faire ces milliards qu’une ou deux personnes possèdent? Qu’en tirent-ils? Rien, la bulle financière! (Rede, 05.02.2017). In Anbetracht dieser Beispiele, die sich nicht nur auf inhaltlicher, sondern insbesondere auch auf sprachlicher Ebene durch eine besondere Aggressivität auszeichnen, ließe sich Mélenchon möglicherweise nicht nur eine «violence de la critique», sondern bereits eine «violence verbale» attestieren. Nicht zuletzt sticht Mélenchon in besonderer Weise durch seine sprachliche Gewandtheit, ja Überlegenheit in TV-Duellen hervor. Nach dem TV-Duell am 20.03.2017 wurde seine Performance von den Journalisten einstimmig als die überzeugendste befunden; auch ein Großteil der Wähler teilte diese Einschätzung (cf. Mercier 2019, 89–94). Zurückgeführt wird dies unter anderem darauf, dass er sich auch bei Angriffen nicht aus der Ruhe habe bringen lassen und die Debatte mit Schlagfertigkeit, Witz und Ironie bestritten habe (cf. Mercier 2019, 91). Im Hinblick auf Agonalität ergibt sich auch hier ein ambivalentes Bild: Zum einen zeichnen sich Mélenchons Redebeiträge durch einen sachlichen, nüchternen Stil und sogar die explizite Befürwortung eines respektvollen, konfliktfreien Umgangs aus (143a–b), zum anderen attackiert er aber auch seine Gegner scharf und mitunter persönlich (141a) und fordert eine explizite Benennung der Angegriffenen ein, gerade auch wenn die übrigen Akteure dies vermeiden (143c–d). (143) a. JLM [zu NA]: Je ne veux pas solder avec vous un conflit, je demande juste qu’on entende la chose suivante (TV-Duell, 04.04.2017). b. JLM: Je ne veux pas polémiquer avec Benoît Hamon (TV-Duell, 20.03.2017). c. JLM [zu GB]: […] j’ai admiré vos pudeurs de gazelle (.) quand vous dites: «La campagne a été polluée […] par les affaires de CERTAINS d’entre vous.» (.) Pardon, pas moi. (..) Non mais je tiens à le préciser. (.) Ici il y a que deux personnes qui sont concernées, monsieur Fillon et madame Le
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Pen. (.) Les trois autres, nous n’avons rien à voir avec tout ça. Alors s’il vous plaît ne nous mettez pas dans le même sac (TV-Duell, 20.03.2017). d. EM: Donc le burkini, (.) je suis pour éviter, comme d’ailleurs le piège nous est tendu (.) [par celles et ceux] qui veulent diviser la société (.), = JLM: [Ben évidemment.] EM: = [d’en faire] un grand débat de laïcité. […] JLM [zu MLP]: (zeigt mit dem Zeigefinger auf MLP) [Dont vous!] (TVDuell, 20.03.2017). Insgesamt bestätigt die Analyse, was auch die bisherige Forschung zu Mélenchon gezeigt hat und was auch sein Bild in der Öffentlichkeit prägt, dass er sich zweifellos durch eine große Originalität und Individualität auszeichnet, die nicht zuletzt in seiner sprachlichen Gewandtheit begründet liegt, worin sicher auch ein Grund für die von ihm ausgehende Faszination liegt. Darüber hinaus hat die Analyse aber auch gezeigt, dass Mélenchon durch eine große Ambivalenz charakterisiert ist, und zwar sowohl im Hinblick auf seine Persönlichkeit als auch im Hinblick auf sein Programm: Ein außergewöhnliches Charisma kontrastiert mit der völligen Zurücknahme seiner Person; die Radikalität des von ihm geforderten Wechsels des politischen Systems kontrastiert mit den absolut legalen und demokratischen Mitteln, mit denen er diesen herbeizuführen gedenkt. Diese Ambivalenz charakterisiert nicht zuletzt auch seinen Sprachgebrauch: Von einer besseren Welt kündende, neohumanistische Ideale repräsentierende Begriffe auf der einen Seite, schärfste Kritik, ja beinahe verbale Gewalt auf der anderen; hier sachliche, fundierte Auseinandersetzungen, dort persönliche Angriffe und beißende Ironie. All dies ist überspannt von dem großen rhetorischen Geschick, das Mélenchon zu eigen ist und das ihn in agonalen Aushandlungsprozessen zu einem starken Gegner werden lässt. Dass Mélenchon es auf außerordentliche Weise vermag, sich Gehör zu verschaffen, und dies in den verschiedensten kommunikativen Situationen und Formaten, vom TVDuell über das Meeting bis hin zu Neuen Medien, steht wohl außer Frage.
6.3.2 Benoît Hamon Benoît Hamon kann kaum eine große Hör- bzw. Sichtbarkeit attestiert werden. «Le candidat eut du mal à se faire entendre», «une campagne rendue inaudible […] par les affaires Fillon», «pour imposer sa voix et son discours, Benoît Hamon accumula trop de handicaps», urteilt Mayaffre (2017, 136). In den Umfragen erreichte Hamon nie mehr als den vierten Platz, ab Anfang Februar 2017 verzeichneten seine Umfragewerte einen nahezu kontinuierlichen Rückgang,
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bis er schließlich mit nur 6,36% eine historische Niederlage für den PS einfuhr. Unter den fünf Spitzenkandidaten war Hamon der Kandidat mit der geringsten Zahl an Followern auf Facebook, Twitter und Instagram ebenso wie der Kandidat, dessen Facebook- und Twitter-Konten die geringste Aktivität verzeichneten (cf. Koc-Michalska/Gibson/Vedel 2017, 7–8). Auch innovativere Formate, wie zum Bespiel die Agora live, eine Art Bürgerdialog mit dem Kandidaten, die jedoch nach zwei Sitzungen bereits wieder aufgegeben wurde, oder eine auf der Basis der App GOV entwickelte Anwendung für mehr direkte Demokratie, führten nicht zum erhofften Erfolg (cf. Sécail 2020, 164–167). Mit einer derartigen «inaudibilité» war beim Kandidaten des PS insofern nicht zu rechnen, als dass er durch eine der größten und etabliertesten Parteien Frankreichs gestützt wurde. Wenngleich ihm seine Positionsrolle im ersten Moment favorabel zu sein schien, war dies nicht uneingeschränkt der Fall. Hamon trat als Nachfolger des scheidenden Präsidenten François Hollande an und kann daher zumindest indirekt als sortant gelten; nicht umsonst wird er von seinen Gegenkandidaten vielfach in dessen Tradition gestellt und auch für das angebliche Scheitern der Regierung Hollande verantwortlich gemacht. Vor dem Hintergrund der historischen Unbeliebtheit des Präsidenten Hollande und der Unzufriedenheit der Franzosen mit der politischen Lage insgesamt590 konnte es als unwahrscheinlich gelten, dass sein Nachfolger, unabhängig davon, wer es sein würde, die Wahl für sich entscheidet. Darüber hinaus war Hamons Rückhalt in der Partei nicht ungebrochen.591 Als Vertreter des linken Flügels und durch seine Vergangenheit als frondeur stand er in Opposition zum amtierenden Präsidenten Hollande und zu Premierminister Valls; auch mögen es ihm seine linken bis linksextremen inhaltlichen Positionen erschwert haben, sowohl innerhalb der Partei als auch unter den Wählern eine große Bandbreite an Unterstützern für sich zu gewinnen. Beides findet seinen Ausdruck nicht zuletzt darin, dass er im Laufe des Wahlkampfs immer mehr Unterstützer, auch aus den eigenen Reihen, verlor, die sich stattdessen der Kandidatur Macrons anschlossen. Nicht zuletzt mag es ihm die starke Konkurrenz durch Macron auf der einen Seite und durch Mélenchon auf der anderen erschwert haben, sich mehr Gehör zu verschaffen. Inwiefern sich diese Gegebenheiten und Entwicklungen sprachlich niederschlagen und wie Hamon, auch unabhängig von dessen Ausgang in diesem Kampf sprachlich agierte, soll im Folgenden untersucht werden. Inhaltlich setzt Hamon auf traditionell «linke» Themen und Werte. Eine wichtige Rolle spielen Arbeit und Soziales: Zu den Schlüsselwörtern zählen so-
Cf. dazu Kapitel 5.1.1. Zu den im Folgenden genannten Aspekten cf. ausführlicher Kapitel 5.1.2.2.
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ciale, travail, aînés und épad, frequente Bigramme sind service(s) public(s) (988 Okkurrenzen pro 1 Mio. Bigramme) und protection sociale (214), frequente Trigramme pouvoir d’achat (379) und conditions de travail (181). In diesen Bereich fällt auch eines der zentralen Wahlkampfthemen Hamons, die Forderung eines bedingungslosen Grundeinkommens (revenu universel d’existence, 362 Okkurrenzen; alle drei Autosemantika sind Schlüsselwörter bei Hamon). An zweiter Stelle stehen der Einsatz für die Demokratie und mehr Bürgerbeteiligung (Schlüsselwörter démocratie, démocratique, démocratisation; République; citoyens, citoyen). Damit hängen zwei weitere zentrale Wahlkampfthemen Hamons zusammen, der Einsatz für einen «49-3 citoyen»592 sowie die Forderung der Gründung einer Sixième République (148 Okkurrenzen), die er mit Mélenchon teilt. Weitere wichtige Themen im Wahlkampf Hamons sind der Klimawandel (Schlüsselbegriff écologique, Bigramm transition écologique), Gesundheit (Schlüsselbegriff chroniques, immer in maladies chroniques), Bildung (Bigramm enseignement supérieur) und Digitalisierung (Bigramm révolution numérique). Rhetorisch zeichnet sich Hamon durch einen ausgeprägten Optimismus, den Ausdruck positiver Emotionen und Zukunftsorientierung aus. Sinnbildlich dafür steht sein Wahlkampfslogan Faire battre le cœur de la France. Hamon tritt für ein futur désirable ein (395 Okkurrenzen; beide Termini sind Keywords bei Hamon) und wirbt für eine République bienveillante (214 Okkurrenzen; beide Termini sind Keywords): (144) BH: La République, c’est une promesse. C’est la promesse que chacun, quelque soit son milieu d’origine, puisse réussir, s’émanciper et trouver sa place dans la société. La République, je la veux bienveillante et humaniste, afin que la dignité de l’être humain soit au cœur de tous nos choix politiques (Wahlprogramm, 2017). «Animé par l’idéal d’un vivre-ensemble harmonieux et fraternel» (Mayaffre 2017, 137) strebt Hamon nach einer besseren Zukunft, einem «futur désirable» – demain und aujourd’hui sowie zahlreiche Verben in der 1. Ps. Sg. Futur simple (z.B. créerai, renforcerai, soutiendrai, proposerai, ferai, battrai, alle mit einer LLR > 30,00) sind Schlüsselbegriffe bei Hamon. Dieser Zukunft tritt er mit Optimismus und positiven Emotionen entgegen (Schlüsselbegriff aime) und ruft sein Publikum dazu auf, dies auch zu tun (Schlüsselbegriffe fiers – meist als Appell an das Publikum adressiert: Dies soll es den Bürgern ermöglichen, wenn sie mindestens 1% der Wahlberechtigten repräsentieren, per Petition das Parlament dazu zu verpflichten, ein Gesetz, das gerade von diesem verabschiedet wird, einem Referendum zu unterziehen.
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«Soyez fiers!» – und espérez). Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass sich Frankreich in einer crise593 (Schlüsselbegriff) befinde, die zahlreiche Veränderungen – transition(s) (ebenfalls Schlüsselbegriffe) – erforderlich mache: transition écologique, transition énergétique, transition économique, transition numérique. Dem begegnet Hamon mit großer Entschlossenheit (signalisiert u.a. durch die Vielzahl der Verben in der 1. Ps. Sg. Futur simple), Willensstärke (je veux ist mit 2.635 Okkurrenzen pro 1 Mio. Bigramme sechsthäufigstes Bigramm bei Hamon) und Kampfgeist (cf. ausführlicher infra). 100 80 60 40 20 0 –20
JLM
BH
EM
FF
MLP
–40 futur
désirable
aime
espérez
demain
bienveillant(e)
Abbildung 21: Signifikanz von Begriffen aus dem Themenbereich positive Zukunft bei verschiedenen Akteuren.
Das Konzept, das Hamon von Frankreich und den Franzosen entwirft, basiert auf einem staatsbürgerlichen, nicht auf einem nationalen Verständnis, spielt insgesamt aber auch keine sehr bedeutsame Rolle in den Diskursen Hamons. France, français, française, nation, nationalité, pays und peuple sind negative Schlüsselbegriffe (cf. Abbildung 19 und Abbildung 20). Der wichtigste Referenzausdruck in diesem Zusammenhang ist citoyen(s), mit dem Hamon die Franzosen als politisches und staatsbürgerliches Kollektiv konzeptualisiert. Hamons Augenmerk liegt – im Einklang mit den oben dargestellten inhaltlichen Forderungen – auf den Bürgern, auf ihren Rechten und Pflichten gegenüber dem
Dass Hamon der crise eine zentrale Bedeutung beimisst, zeigt sich neben der Frequenz des Begriffs auch in metalinguistischen Äußerungen. So erläutert er zum Beispiel in seiner Rede vom 16.03.2017 ausführlich die Etymologie des Worts crise, das einerseits auf lat. ‘maladie’ zurückzuführen sei, was er als Zeichen einer «société malade» deutet, und andererseits auf gr. ‘jugement’, was er als Hinweis darauf deutet, dass es Zeit sei, Entscheidungen zu treffen. Dass Hamon häufig metalinguistische Äußerungen dieser Art macht und den Sprachgebrauch bewusst reflektiert, spiegelt sich auch darin, dass mot Schlüsselbegriff bei Hamon ist.
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Staat, auf politischer Teilhabe (145a–b). Dem zugrunde liegt ein inklusives, Menschen aller Herkunft und Prägung einschließendes Verständnis (145c–d; immigration ist negativer Schlüsselbegriff). (145) a. BH: Ça suffit. (.) NOUS NE pouvons plus, (.) VOUS NE pouvez plus, (.) les citoyens français ne peuvent plus (.) être les figurants d’une pièce absurde, (.) qui se joue sans nous, sans vous, (.) dirigée par d’autres (Rede, 19.04.2017). b. BH: La PIRE ennemie, (.) la PIRE ennemie de la République, (.) c’est parfois, (.) c’est même toujours, (.) l’apathie des citoyens eux-mêmes. […] Citoyennes, citoyens, (.) réveillez-vous! (.) Parce que vous seuls pouvez éviter un cauchemar pour la France (Rede, 19.04.2017). c. BH: Je me battrai (.) pour que (.) Camille, (.) Mamadou, (.) Leila, (.) David, (..) Gabriel, (.) Bilal (.) soient enfin égaux! (Rede, 19.04.2017). d. BH: Parce que ce qui NOUS unit, (.) c’est justement la République (TVDuell, 04.04.2017). Im Hinblick auf die Selbstbildkonstruktion zeichnet sich Hamon in erster Linie durch einen starken Ich-Bezug aus. Personalpronomina der 1. Ps. Sg. sind hoch signifikant: Die Form je hat die höchste Keyness überhaupt (LLR = 223,41; cf. auch Abbildung 23), auch j’ ist Schlüsselbegriff (LLR = 72,99), moi (2.783 Okkurrenzen pro 1 Mio. Token) nutzt kein Akteur häufiger als Hamon, der Possessivbegleiter ma ist ebenfalls Schlüsselbegriff. Weitere Indizien sind die häufigen Bigramme je veux (2.635 Okkurrenzen pro 1 Mio. Bigramme), moi je (1.663), j’ai (1.482), die häufigen Trigramme moi je veux (297), à mes yeux (247), moi je suis (165) sowie die Vielzahl der Verben in der 1. Ps. Sg. unter den Schlüsselbegriffen (cf. supra). Durch diesen starken Ich-Bezug stellt Hamon seine Person in den Fokus und inszeniert sich als Einzelkämpfer, was sich ggf. mit seiner schwierigen Position innerhalb der Partei (cf. supra) in Verbindung bringen ließe. Trotz dieses ausgeprägten Ich-Bezugs schreibt sich Hamon besonders stark in das Kollektiv der Linken ein. Gauche ist der Terminus mit der zweithöchsten Keyness (LLR = 105,95), das Tetragramm j’aime la gauche ist mit 214 Okkurrenzen pro 1 Mio. Tetragramme auffallend häufig (Rang 15). Dabei drückt Hamon nicht nur seine große Nähe zur Linken aus, sondern identifiziert sich auch hochgradig mit der Linken:
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(146) BH: Moi je dis (.) la gauche, (.) c’est TOUT ce que je SUIS. (.) La gauche, (.) c’est ma VIE (Rede, 19.03.2017). Dem liegt ein weites und offenes Verständnis der «Linken» zugrunde, das die eigene Partei sowohl in ihrer aktuellen als auch in ihrer historischen Dimension (147a), darüber hinaus aber auch linke Parteien und Strömungen europa- und weltweit einschließt (147b). Durch dieses sowohl in geographischer als auch historischer Hinsicht äußerst weit gefasste Konzept der Linken vermag es Hamon, sich über aktuelle, parteiinterne Differenzen hinwegzusetzen und sich in ein linkes Kollektiv jenseits dieser Situation einzuschreiben. (147) a. BH: Et devant eux [= les Brestois; meine Anm.] (.), je n’ai pas seulement ressenti (.) de la fierté, (.) celle de succéder ici (.) à François Hollande, Lionel Jospin, François Mitterrand, Ségolène Royal. (.) François Mitterrand (.) qui disait qu’emporter l’espoir et le combat des socialistes, c’est la justification d’une VIE […] (Rede, 19.03.2017). b. BH: J’aime la gauche, (.) TOUTE la gauche, (.) celle (.) celle de ceux qui nous ont précédés de toutes les cultures. Elles ne sont pas que socialistes. (.) J’aime la gauche des écologistes, j’aime la gauche des socialistes, j’aime la gauche des communistes, (.) j’aime la gauche en mouvement, (.) j’aime la gauche qui veut exercer le pouvoir, j’aime la gauche qui proteste, (.) j’aime la gauche (.) de Mitterrand, mais celle de Rocard aussi, (.) j’aime la gauche (.) de mon ami Henri Emmanuelli, (.) j’aime la gauche de Syriza, (.) j’aime aussi la gauche de Podemos, (.) j’aime la gauche de Bernie Sanders. (.) J’aime celle-là, (.) cette gauche-là! (Rede, 19.04.2017). Hamon ist der Kandidat, der den ausgeprägtesten Lagerwahlkampf in Bezug auf das eigene politische Lager, das heißt in Verbindung mit der Selbstbildkonstruktion, führt. Er schreibt damit eine die französische Linke seit Langem prägende Tradition fort, die sich, im Gegensatz zur Rechten, durch eine starke «construction partisane» auszeichnet (cf. Mayaffre 2005b, 2–3 unter Verweis auf Mayaffre 2000).594
«En effet, en France, la gauche, depuis 1789, se construit sur la base d’une identité partisane, là où la droite se construit sur la base d’une identité apartisane qui prétend se confondre avec la nation, au-delà des classes sociales ou des partis. Au fond, c’est un rapport différent au Politique qui se joue ainsi, la gauche assumant son rôle de parti(e) politique sur l’échiquier, la droite refusant son rôle, déniant par là sa nature» (Mayaffre 2005b, 3). Dass das, was Mayaffre hier in Bezug auf die Rechte sagt, auch für den französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 gilt, bestätigt sich im Hinblick auf Fillon (Kapitel 6.3.4) und vor allem auf Le Pen, die ihre Parteizugehörigkeit geradezu zu dissimulieren scheint (Kapitel 6.3.5).
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Des Weiteren sticht Hamon dadurch hervor, dass er sich von den machthabenden Politikern, von anderen politisch Verantwortlichen dezidiert abgrenzt und stattdessen einen engen Bezug zwischen sich und dem Wähler herstellt: (148) BH [zu PUB]: Moi j’assume ma différence. (.) Je l’assume. (.) J’assume ma vision de la République. (.) Je ne suis pas l’un d’entre eux. (.) Vous savez qui je suis, (.) vous savez d’où je viens (Rede, 19.04.2017). Damit können Hamon leicht populistische Züge attestiert werden, die bei ihm zwar wesentlich weniger ausgeprägt sind als bei Le Pen und Mélenchon, aber durchaus präsent sind. Eine gewisse Elitenfeindlichkeit kommt darin zum Ausdruck, dass er sich diesen gegenüber abwertend äußert (cf. 151a und b), zwischen den ‘Eliten’ und den ‘Bürgern’595 polarisiert (cf. 145a und b), sich von ihnen abgrenzt (cf. moi vs. eux in 148; je vs. ils in 151b) und zu deren Bezeichnung er sogar die stigmatisierenden Termini élite(s) und oligarchie verwendet (cf. auch 151a sowie Abbildung 20).596 Die Inszenierung als besonders «bürgernah» zeigt sich neben der Betonung der Bürgernähe (cf. 148) auch in der expliziten Darstellung als «un des vôtres» (BH, Rede, 19.04.2017). Ein in diesem Zusammenhang von Hamon häufig genutztes Verfahren ist die direkte Ansprache der Bürger, die Hamon nicht nur in Reden vielfach gebraucht (Schlüsselbegriffe soyez, espérez, cf. supra), sondern vor allem auch in TV-Duellen und TV-Interviews, in denen andere Akteure sie deutlich seltener verwenden. Hamon nutzt dieses Verfahren unter anderem, wie in (149), um dem Bürger das Wort zu geben, was nicht nur der Stärkung des direkten Bezugs zwischen sich und dem Bürger dient, sondern auch im Einklang mit der Betonung der Mündigkeit des Bürgers steht (Einsatz für mehr Bürgerbeteiligung, cf. supra): (149) BH: Mes chères concitoyennes, mes chers concitoyens. (.) Plutôt que de répondre à la question de savoir quel président je serai, (.) je voudrais m’adresser à vous (.) et vous poser cette question. (.) Quel peuple voulons-nous être? (.) Quel peuple voulons-nous être (.) le sept mai au soir? (TV-Duell, 20.03.2017).
Auf den Begriff Volk möchte ich hier explizit verzichten, ist peuple doch im Sprachgebrauch Hamons statistisch signifikant unterrepräsentiert. Der Begriff élites ist für Hamon sogar repräsentativer als für Le Pen (LLR = 4,3) und insbesondere als für Mélenchon (LLR = -1,52). Oligarchie ist für Hamon weniger repräsentativ (LLR = -0,47) als für diese beiden (LLR = 4,41 für Mélenchon; LLR = 1,85 für Le Pen) (cf. Abbildung 20).
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Insgesamt ergibt sich mit Blick auf die Selbstbildkonstruktion Hamons damit ein recht komplexes Bild, dessen einzelne Komponenten – der ausgeprägte Ich-Bezug, die starke Einschreibung in das Kollektiv der Linken, die ablehnende Haltung den politisch Verantwortlichen gegenüber und der besondere Bezug zum Bürger – teilweise im Widerspruch zueinander zu stehen scheinen, sich letztlich aber doch als kohärent erweisen. Hamon tritt als Individuum mit all seinen Eigenschaften (als Mitglied des PS, als ideologisch Linker, als Bretone, wie er immer wieder betont, etc.) in Erscheinung; sein schwieriger Stand innerhalb der Partei gepaart mit dem Einsatz für mehr direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung lassen die Herstellung eines direkten Bezugs zum Bürger evident werden, die ihrerseits eine ablehnende Haltung den politisch Verantwortlichen gegenüber nach sich zieht. Des Weiteren zeichnet sich Hamon dadurch aus, dass er in besonderem Maße für etwas wirbt (agonale Diskurshandlung der Stellungnahme > explizite Positionierung für etwas). Hamon ist der Kandidat, bei dem die Präposition pour am stärksten überrepräsentiert ist (cf. Abbildung 26). In dem Maße, in dem er die Wähler aufruft, «de voter POUR» (150a), «[d’être] la génération POUR» (150b), kann auch Hamon als «candidat POUR» bezeichnet werden. (150) a. BH: Nous avons pris l’habitude, depuis trop longtemps, de nous rendre aux urnes (.) pour voter contre, (.) pour voter par dépit, (.) par déprime, (.) par défaut, (.) par élimination. (.) Je vous propose de voter POUR, (.) de voter POUR (.) la transition écologique car nos modes de production et nos modes de consommation épuisent la planète et affectent notre santé. (.) Je vous propose de voter pour une NOUvelle protection sociale qui s’adapte au travail tel qu’il est et non pas tel qu’il fut en mettant en œuvre le revenu universel d’existence. (.) Je vous propose (.) de voter POUR le soutien au pouvoir d’achat des plus modestes parce que ça n’est que justice. (.) Je vous propose de voter pour une SIxième République pour en finir avec cette démocratie intermittente. (.) Je vous propose de voter POUR (.) une Europe qui soit libérée enfin (.) du dogme (.) austéritaire. (.) Et puis je vous propose (.) de voter pour une RÉpublique bienveillante, (.) une République qui s’attache (.) à assurer l’égalité effective des citoyens devant leurs droits, (.) qui s’attache à garantir le MÊME niveau de services publics pour tous. (.) Je vous propose, mes chères concitoyennes, mes chers concitoyens, de voter pour un futur (.) désirable. (.) Ensemble (.) faisons battre (.) le cœur de la France (TV-Duell, 20.03.2017). b. BH: Soyez plus forts (.) que la jeunesse de 95 ou de 2005, (.) qui refusait d’être le bouc émissaire de la fin des trente glorieuses. (.) VOUS pouvez, (.) VOUS pouvez les surpasser (.) en étant la génération (.) POUR, (.) la génération (.) POUR. (.) Soyez (.) soyez la génération POUR la transition
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écologique, (.) POUR la sauvegarde de la planète. (..) Soyez la génération POUR la justice et la transformation sociale, (…) POUR une ambition démocratique européenne, (..) POUR la paix en Europe, mais pas que, POUR une Europe (.) POUR la paix elle-même. (…) Soyez la génération POUR une Sixième République AUTHENTIQUEMENT démocratique. (..) Votez pour VOUS, (.) pour NOUS, (.) votez pour vos enfants, (.) votez pour les générations qui viennent. (.) C’est cela, la responsabilité qui vous revient, (.) à vous jeunes Français (Rede, 19.04.2017). Dieser Aufruf für etwas, dieser Einsatz für etwas steht im Einklang mit dem Optimismus, dem Ausdruck positiver Emotionen und der Zukunftsorientierung, die Hamon prägen (cf. supra). In einem gewissen Spannungsverhältnis dazu mag die Tatsache stehen, dass sich Hamon auch durch zum Teil stark offensive Angriffe, negative Wertungen und Fremdbildkonstruktionen auszeichnet. Was im Zusammenhang mit der Elitenfeindlichkeit bereits angeklungen ist (cf. auch 151a), erstreckt sich auch auf andere Akteure, wie zum Beispiel seine Gegenkandidaten (151b), wobei sich Hamon vor allem Le Pen gegenüber teilweise äußerst aggressiv zeigt (151c–d): (151) a. BH: Alors, (..) je regarderai en face, mais je ne veux pas détourner le regard non plus (.) face à la faillite, (.) à la faillite (.) des élites, (.) qui sont les premières responsables du succès de Marine Le Pen, (.) avec, pour certaines d’entre elles, (.) une corruption historique, (.) leur endogamie, (.) l’entre-soi d’une oligarchie qui a perdu TOUTE boussole (.) au moment de distinguer le bien et le mal, (.) ce délitement des mœurs, (.) qui provoque la chute (.) de TOUS les empires (Rede, 19.04.2017). b. BH: Dans cette campagne polluée par l’argent, (.) ils pensent à la taille de leur château, (.) de leur compte en banque (.) ou peut-être (.) de leur costume. (.) Je ne pense (..) je ne pense (.) qu’à la grandeur de notre pays. (.) Ils ne pensent qu’au pouvoir, (.) je ne pense qu’à mon DEVOIR. (.) Ils sont candidats pour réaliser LEUR destin ou assurer leur avenir, (.) je serai président pour préparer NOTRE futur (.) et celui de nos enfants. (..) Ils ne pensent (.) au fond (.) ils ne pensent au fond (.) qu’à la présidence. (.) NOUS pensons, je le pense, qu’à la République. (.) Ils ont peut-être le sens des affaires, (.) moi (.) j’ai le sens (.) de l’État (Rede, 19.03.2017). c. BH [zu MLP]: Je me disais que vous soyez une droguée ou page faits divers, c’est une chose, mais (.) vous êtes candidate à la présidence de la
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République. (.) Et (.) je trouve que ce n’est pas très sérieux ce que vous (.) êtes en train de dire (TV-Duell, 20.03.2017). d. BH [zu MLP]: Mais Daech, ça vous arrange, madame Le Pen, ça vous arrange. […] Ça vous fait prospérer. […] Tant qu’il y’en a [= des fondamentalistes; meine Anm.], vous pouvez continuer à faire votre numéro (TV-Duell, 04.04.2017). Abschließend soll ein Aspekt behandelt werden, der gerade im Hinblick auf Agonalität besonders interessant ist, die Kampfmetaphorik. Hamon verwendet sehr häufig – in der Summe in etwa ebenso häufig wie Macron – Begriffe aus dem semantischen Feld des Kampfs: 2000 1500 1000 500 0 JLM
BH batt*
EM combat*
lutt*
FF
MLP
Summe
Abbildung 22: Relative Häufigkeit von Ausdrücken aus dem semantischen Feld des Kampfs bei verschiedenen Akteuren.
Die Bedeutsamkeit der Kampfmetaphorik bei Hamon schlägt sich auch im Schlüsselbegriff battrai sowie in den frequenten Trigrammen pour lutter contre (362 Okkurrenzen pro 1 Mio. Trigramme), lutter contre les (264), la lutte contre (165) und je me battrai (264) und Tetragrammen j ai tenu bon und pour lutter contre les (jeweils 231 Okkurrenzen) nieder. Dabei geht es häufig um soziale Themen, aber auch Wirtschaft und Finanzen, gesundheitliche und ökologische Themen und natürlich der Terrorismus spielen eine Rolle. Zentral ist bei Hamon der Kampf gegen soziale Ungleichheit und jegliche Form der Diskriminierung, wie Sexismus, Gewalt gegen Frauen, Rassismus und Antisemitismus. Der Kampf gegen Terrorismus, der zum Beispiel bei Fillon an erster Stelle steht, ist bei Hamon allenfalls zweitrangig. Auch genannt werden der Kampf gegen Steuerhinterziehung, gegen Umweltverschmutzung, gegen den Front National und vieles andere mehr.
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Eine wichtige Funktion der Kampfrhetorik bei Hamon ist es, zum Ausdruck zu bringen, wofür und wogegen er sich einsetzt. Eine weitere Funktion besteht darin, sich als Kämpfernatur zu inszenieren. Dies erfolgt sowohl implizit, da durch die Kampfmetaphorik ein kämpferisches Wesen suggeriert wird, als auch explizit, indem Hamon sich direkt als kämpferisch beschreibt: (152) BH: Pour faire en sorte que demain (.) vous soyez sûrs (.) d’avoir un président (.) qui sait pour qui il se bat. (.) Honnête, (.) combattant, (.) humain. (.) Voilà qui je suis (TV-Duell, 04.04.2017). Von sich zu sagen, dass er kämpft, tut Hamon ausführlich in einer sich über drei Minuten und fünf Sekunden erstreckenden Sequenz, mit der er seine Rede am 19.04.2017 beschließt (153).597 Die Sequenz zeichnet sich nicht nur durch ein nahezu heroisches Pathos aus, sondern erinnert in der Art und Weise der sprachlichen Gestaltung auch an die berühmte Rede Martin Luther Kings vom 28. August 1963 am Lincoln Memorial in Washington D.C. mit der markanten Wendung I have a dream. In vielfacher Repetitio – hier sechzehnmal je me battrai, dort neunmal I have a dream – und einer besonders charakteristischen intonatorischen Struktur – mit einem starken Akzent auf dem Personalpronomen, einem absteigenden Tonhöhenverlauf innerhalb der Phrase und einer markanten Kunstpause im Anschluss – trägt die Anapher entscheidend zur großen Wirkmacht der jeweiligen Szene bei. (153) BH: Et moi (..) en ce moment je vous fais UN sermon. (..) C’est celui de me battre pour ce futur désirable avec la RAGE (.) des lions sculptés Ici sur cette place de la République. (Applaus) Je me battrai avec cette ragelà (.) pour TOUTES les générations, dont je veux faire l’alliance. (.) Je me battrai. (.) Je me battrai pour la jeune mère de famille comme pour le retraité, (.) pour tous ceux qui ont peur dès le début du mois. (.) Je me battrai pour que l’étudiant passe plus de temps à étudier (.) qu’à payer ses études. (Applaus) Je me battrai (.) pour que (.) Camille, (.) Mamadou, (.) Leila, (.) David, (..) Gabriel, (.) Bilal (.) soient enfin égaux! […] Parce que je veux qu’ils vivent ensemble heureux, (.) pour que plus personne dans ce pays, (.) plus personne n’ait à subir l’affront, (.) l’affront inacceptable dans la République française (.) d’être jugé (.) par ce qu’il ou elle est. (.) Pour que plus personne n’ait plus jamais à baisser la tête à raison de ce qu’il est. Voilà. (PUB: Hamon président!) Pour (…) plus qu’aucun couple (..) ne doivent se demander (.) s’il peut se donner librement la main dans
Die Sequenz schließt sich unmittelbar an das in (150b) wiedergegebene Zitat an.
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la rue. (.) Pour eux je me battrai. (Applaus) Je me battrai aussi (.) pour le salarié, (.) pour le fonctionnaire COMME pour le chômeur. (.) Je me battrai (.) pour l’ouvrier d’ici, (.) celui de Gad, (.) comme celui de Whirlpool, mais AUSSI, mais aussi (.) pour celui de Chine ou de Pologne, avec lequel (.) le capital les met en concurrence. (.) Je me battrai (Applaus) avec la foi inébranlable (.) de ceux qui mènent un combat juste. (.) Je me battrai parce que nos solutions (.) sont celles (.) qu’appelle le monde nouveau. (.) Je me battrai (.) DImanche (.) et je me battrai (.) Après. (.) Je me battrai. (Applaus) Je me battrai (.) Avec vous (.) et je me battrai (.) TOUjours. (.) Je me battrai (.) parce que je me bats pour la liberté, (.) pour l’égalité, (.) pour la fraternité, (.) parce que je me bats pour la République, (.) et que RIEN ne m’arrêtera, (.) RIEN (.) ne NOUS arrêtera! (.) Vive la France! (.) Vive la République! (Rede, 19.04.2017). Insgesamt ergibt sich damit ein recht komplexes und teilweise auch heterogenes Bild. Seine Positionsrolle, seine linken bis linksextremen inhaltlichen Positionen sowie die starke Konkurrenz durch Macron und Mélenchon verschaffen ihm keine einfache Lage. Dem setzt Hamon in sprachlicher Hinsicht verschiedene interessante Mittel und Verfahren entgegen. In erster Linie sticht die äußerst vielschichtige Selbstbildkonstruktion hervor, die zwischen einem starken Ich-Bezug, einem ausgeprägten Lagerwahlkampf und einer populistisch anmutenden Polarisierung zwischen Bürgern und Eliten oszilliert. Letzteres korreliert mit seinem Einsatz für mehr direkte Demokratie und einem auf einem staatsbürgerlich-politischen, nicht nationalen Verständnis beruhenden Konzept von Frankreich und den Franzosen, das im Schlagwort des citoyen seinen Ausdruck findet. Rhetorisch zeichnet sich Hamon durch eine sehr positive, zukunftsgewandte Vision der Dinge aus, die sich in den Schlagwörtern futur désirable und République bienveillante kristallisiert, sowie durch eine ausgeprägte Kampfmetaphorik, durch die sich der Kandidat unter anderem als Kämpfernatur inszeniert. Hinzu kommen der ausgeprägte Einsatz für, statt gegen verschiedene Sachverhalte sowie von teilweise großer Offensivität bis Aggressivität geprägte Angriffe. All diese sprachlichen Mittel und Verfahren scheinen allerdings nicht oder nur bedingt dazu beigetragen zu haben, dass ihm eine größere Hör- bzw. Sichtbarkeit zuteilwurde und er seine Perspektive im Diskurs dominant zu setzen vermochte.
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
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6.3.3 Emmanuel Macron Wenn einem der Kandidaten im Wahlkampf unbestritten bescheinigt werden kann, eine große Hör- bzw. Sichtbarkeit erlangt zu haben, dann Emmanuel Macron. Nach einem «kometenhaften Aufstieg» (beinahe) aus dem Nichts (cf. ausführlicher Kapitel 5.1.2.3) konnte er die Wahl klar für sich entscheiden und wurde neuer französischer Präsident. Dies ist umso bemerkenswerter vor dem Hintergrund, dass er durch keine etablierte Partei, sondern durch die noch sehr junge Bewegung En Marche! gestützt wurde, die zum Zeitpunkt der Wahl noch in keinem politischen Gremium, keinem politischen Amt in Frankreich vertreten war. Mehr denn je stellt sich in Bezug auf Macron daher die Frage, wie es ihm gelungen ist, in derart kurzer Zeit eine so große Hör- bzw. Sichtbarkeit zu erzielen. Welche insbesondere auch sprachlichen Faktoren dabei eine Rolle spielten, inwiefern der Sprachgebrauch Macrons diese Entwicklungen reflektiert oder auch mitkonstruiert, soll im Folgenden untersucht werden. Im Hinblick auf Macrons Positionsrolle ergibt sich ein heterogenes Bild. Einerseits konnte er nicht auf die Unterstützung durch eine etablierte Partei zählen, was ihm, nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht, einen Nachteil verschaffte. Andererseits war ihm diese Rolle als Newcomer, als jemand, der nicht Teil der etablierten, und zum Teil von der Bevölkerung als überkommen betrachteten Strukturen ist, wohl auch favorabel. Dieses Bild eines candidat hors système, das er selbst von sich zeichnete,598 ist jedoch insofern zu relativieren, als dass er eine für französische Politiker nicht unübliche Laufbahn durchlaufen hat und durchaus auf eine Vergangenheit als Minister der Regierung Hollande und Mitglied des PS zurückblicken kann, was ihm nicht zuletzt von seinen Gegenkandidaten immer wieder vorgehalten wird.599 Durch den Bruch mit der Regierung und die Gründung einer eigenen Bewegung kann er jedoch kaum und in jedem Fall weniger als Hamon als sortant gelten. Einer der zentralen Faktoren, die zu Macrons Erfolg führten, kann in der Gründung der Bewegung En Marche! und der damit einhergehenden, erfolgreichen Mobilisierung weiter Kreise der Bevölkerung gesehen werden. Dieser Erfolg ist unter anderem auf ein neues Verständnis von Parteipolitik (cf. Delaurens 2018; Evans 2018; Lefebvre 2018; Fretel 2019a), die gekonnte Adaptation von Marketing-Strategien (cf. Fretel 2019b) sowie die Entwicklung überzeugender Narrative kollektiver Identität und Visionen für Frankreich (cf. Issel-Dombert 2018) Z.B. «[…] je ne suis pas comme vous, en effet, dans la vie politique depuis plus de 30 ans» (EM [zu FF], TV-Duell, 20.03.2017); «Nous ne pouvons plus défendre un système politique dont les usages affaiblissent chaque jour la démocratie» (EM, Rede, 04.02.2017). Cf. Kapitel 6.2.3.
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zurückzuführen. Des Weiteren zeichnet sich Macrons – wie auch Mélenchons – Kampagne durch den Einsatz von Big Data aus. Im Rahmen der sogenannten Grande Marche wurden in ganz Frankreich große Datenmengen erhoben, die im Anschluss maschinell ausgewertet wurden, um auf dieser Grundlage das Wahlprogramm zu entwickeln.600 Inwiefern dieses Unterfangen tatsächlich das Programm beeinflusste oder vielmehr der politischen Werbung diente, wie Evans (2018, 90–91) postuliert, lässt sich sicher diskutieren; außer Frage aber steht, dass es der Hör- bzw. Sichtbarkeit der Bewegung und ihres Kandidaten zuträglich war. Ein weiterer Faktor, der Macrons Erfolg mitbedingt haben könnte, sind die Medien, die ihn, wie teilweise diskutiert bzw. behauptet wird, vorrangig und vorteilhaft behandelt hätten (cf. Leroux/Riutort 2019; Theviot 2019a).601 Profitiert hat Macron wohl auch von der Persönlichkeit der dramatis personae: Der Kandidat selbst faszinierte durch sein Charisma und seine «shiny newness» (Kuhn/ Perry 2018a, 124); durch die Ehe mit Brigitte Macron, die – deutlich älter als er und als seine ehemalige Lehrerin – von der Presse vermehrt in Szene gesetzt wurde, wurde er – ob unfreiwillig oder nicht – Gegenstand einer gewissen peopolisation (cf. Dakhlia 2018; Kuhn 2018, 131–132). Die Analyse des Sprachgebrauchs Macrons stellt den Analysten vor besondere Herausforderungen. Sie ist, wie Mayaffre (2017, 141) unter Verwendung einer Formulierung des Philosophen Marcel Gauchet herausstellt, «plein d’un vide». Macrons Diskurse «cultivent la dynamique plus qu’ils ne travaillent les thématiques» (Mayaffre 2017, 141). Im Fokus stehen der Kandidat und seine Anhänger anstelle des Programms; typische Schlagwörter, die eine eindeutige ideologische Zuordnung ermöglichen würden, fehlen. Diese gewisse ‹inhaltliche Leere› bestätigt sich auch im hier untersuchten Korpus. Unter den signifikantes-
Einblicke in das Vorgehen, die Ziele und die konkreten Vereinbarungen im Fall von Macrons Wahlkampf bietet das Interview mit Guillaume Liegey, Mitgründer von Liegey-MullerPons, einer Organisation für Wahlkampftechnologien (später eXplain), und strategischer Berater Macrons (cf. Maarek 2018a). Cf. auch Lemaire/Roques (2016); Bénilde (2017); Ortiz (2017). Wie Piar (2017) zeigt, war Macron in der Tat nach Fillon der Kandidat, dem in den journaux télévisés die meiste Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Zwischen dem 10.10.2016 und dem 21.04.2017 entfielen auf Macron 121 Minuten Sendezeit, gefolgt von Hamon mit 101, Le Pen mit 96 und Mélenchon mit nur 51 Minuten; Fillon kam auf 299 Minuten, von denen jedoch ein Großteil – 174 Minuten – auf die Affaire entfiel (cf. Piar 2017, 86, Graphique 5). Um die Frage zu beantworten, ob Macron tatsächlich «le candidat des médias» war – so der polemische Titel Bénildes (2017) –, müssten ähnliche quantitative Auswertungen auch für andere Medien und Formate gemacht werden und vor allen Dingen auch inhaltliche Fragen, zum Beispiel ob die Berichterstattung überdurchschnittlich favorabel war und negative Aspekte möglicherweise verschwiegen wurden, untersucht werden.
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
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ten Schlüsselbegriffen finden sich zahlreiche Synsemantika bzw. Funktionswörter wie nous, ce, cela, c, notre, celles, parce, chacune, nos, ensuite, justement, toutes, donc, aussi, est, partout, dans, certains, que (alle mit einer LLR > 30,00). In dieser Hinsicht kontrastiert der Sprachgebrauch Macrons insbesondere mit dem Le Pens, deren Schlüsselwortliste besonders viele Autosemantika enthält (cf. Tabelle 16). Zudem spricht Macron sehr viel über sein Programm, von ihm zumeist ‘Projekt’ genannt, aber wenig von dessen tatsächlichen Inhalten. Davon zeugen die Schlüsselbegriffe projet (das Substantiv mit der höchsten Keyness bei Macron), portons (z.B. in le projet que nous portons, ce que nous portons, la philosophie que nous portons), chantier (sein Wahlprogramm umfasst sechs «chantiers»), und construit (z.B. ce projet a été construit) sowie die häufige Wendung le projet que je porte. Symptomatisch für eine gewisse Inhaltsleere, die Macron, gerade von Le Pen, auch häufig vorgeworfen wird,602 mögen Aussagen stehen wie: (154) a. EM: Alors nous allons faire autrement (Wahlprogramm, 2017). b. EM: C’est ainsi, mes amis, que je veux, avec vous, pour les cinq prochaines années, présider, gouverner, représenter et agir (Rede, 18.04.2017). Nichtsdestotrotz tritt Macron freilich auch für verschiedene Themen ein. Dazu zählt zum Beispiel die Erneuerung des politischen Lebens (Schlüsselbegriffe renouvellement, renouveler, parlementaires, transformation(s), vie; letzterer z.B. in vie politique, vie publique, vie démocratique), etwa durch die Vorhaben, die Assemblée nationale zur Hälfte mit Menschen aus der Zivilbevölkerung und zur Hälfte mit Frauen zu besetzen. Damit plant Macron tiefgreifende Reformen, aber keinen radikalen Umsturz wie Hamon oder Mélenchon (constitution und référendum sind negative Schlüsselbegriffe bei Macron). Darüber hinaus ist Macron der Kandidat, der sich am stärksten proeuropäisch positioniert (Europe ist fünfthäufigstes Substantiv bei Macron; bei keinem Spitzenkandidaten ist es häufiger).603 Weitere wichtige Themen im Wahlkampf Macrons sind (Chancen-) Gleichheit (Schlüsselbegriffe chances – häufig in égalité des chances – und égalité, hohe Frequenz von mêmes – häufig in les mêmes chances/droits/règles pour tous) und Wirtschaft und Finanzen (Schlüsselbegriffe habitation – immer in taxe d’habitation – und économies). Auch der Terrorismus spielt bei Macron eine Rolle, allerdings eine deutlich geringere als zum Beispiel bei Le Pen und
Siehe zum Beispiel: «Mais ça veut rien dire: ‹Forte, mais responsable.› Ça veut rien dire» (MLP, TV-Duell, 20.03.2017). Zu Macrons europapolitischer Vision und seiner Rolle als möglichem Impulsgeber für Europa cf. Schild (2019b).
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Fillon (Schlüsselbegriff protège – häufig in une Europe qui protège oder un État qui protège–, häufiges Trigramm contre le terrorisme). Das Konzept, das Macron von Frankreich und den Franzosen entwirft, spielt in quantitativer Hinsicht eine moderate Rolle. Beim Gebrauch von France, français, nation, nationalité und pays belegt Macron eine mittlere Position (cf. Abbildung 19). Zur Bezeichnung des Kollektivs der ‘Franzosen’ verwendet er insbesondere die Termini concitoyens – nach projet das Substantiv mit der zweithöchsten Keyness – und société und legt damit, ähnlich wie Hamon, ein staatsbürgerlich-politisches Verständnis zugrunde. Macron inszeniert sich weder als volksnah (peuple und peuples sind negative keywords, cf. Abbildung 20) noch zeigt er sich elitenfeindlich (caste, élite und oligarchie sind gänzlich inexistent).604 Auch die nationale Idee spielt bei ihm kaum eine Rolle. Zugleich verneint er jedoch nicht die Existenz einer französischen Kultur und Identität (signifikante Kollokatoren von français sind u.a. culture, fierté, fiers, langue, valeurs), legt dabei allerdings ein dynamisches, hybrides Verständnis von Kultur und Identität zugrunde (cf. auch Anm. 527): (155) EM: La culture française, c’est un fleuve, qui se nourrit de multiples affluents […]. La culture française, elle existe, mais dans cette diversité, cette richesse et ce caractère INDOMPTABLE que je défendrai toujours. […] Il y a une identité ouverte qui est avant tout un projet (TV-Interview, 20.04.2017). Macrons Konzept der französischen Gesellschaft ist, wie eine Analyse der Kollokatoren605 entsprechender Termini zeigt, von Weltoffenheit und einer proeuropäischen Haltung, von Diversität und Vielfalt geprägt und kontrastiert damit vor allem mit dem Konzept, das Le Pen von der französischen Gesellschaft entwirft (cf. Evans/Ivaldi 2018, 183; cf. auch Demesmay/Ruß-Sattar 2018). Macron setzt sich dafür ein, «de bâtir une nouvelle France, une France ouverte, confiante et solidaire», ein Frankreich, in dem jeder seinen Platz findet. Sein Ziel ist es, «de réconcilier la France de la ruralité et la France périphérique, la France rurale et la France des villes et des métropoles». Er wünscht sich «une France forte, avec l’Allemagne, dans l’Europe et dans le monde». Macrons Frankreich solle «rassembler et réconcilier», La France doit être une chance pour tous, so sein Slogan. Immigration ist, wie bei Hamon, negative keyword bei Macron. Dieses Verständnis eines in Vielfalt geeinten Frankreichs, das auch mit der Forde-
Damit erfüllt Macron keines der beiden Kernkriterien von Populismus, nutzt aber durchaus andere typisch populistische Strategien, wie zum Beispiel die Systemkritik (cf. Evans/ Ivaldi 2018, 187; Göhring 2019). Insgesamt kann Macron als der am wenigsten populistische aller Kandidaten gelten. Die Kollokatoren sind im Folgenden kursiv gedruckt.
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rung nach Chancengleichheit korreliert (cf. supra), spiegelt sich nicht nur in den beiden Slogans – La France doit être une chance pour tous für den ersten Wahlgang, Ensemble, la France! für den zweiten Wahlgang –, sondern auch in Macrons Sprachgebrauch insgesamt. Häufige Ausdrücke wie celles et ceux qui (1.126 Okkurrenzen pro 1 Mio. Tetragramme; celles ist Keyword), chacune et chacun (502; chacun und chacune sind Keyword), toutes celles et ceux qui (503; toutes ist Keyword) zeugen von einem Blick auf die Gesamtheit, in der jeder – und jede – Einzelne zählt. Im Hinblick auf Begriffe und deren Konzeptualisierung ist für Macron nicht nur das von Mayaffre konstatierte Fehlen typischer Schlagwörter, die eine eindeutige ideologische Verortung ermöglichen würden (cf. supra), charakteristisch, sondern auch das Umdeuten derartiger typischer Schlagwörter. Ein Beispiel stellt das Wort liberté dar. Mit Bezug auf die Devise liberté, égalité, fraternité buchstabiert er dieses in seiner Rede am 04.02.2017 in Lyon ausführlich aus und deutet es schließlich, nach einem Umweg über Sicherheit und Terrorismus sowie Gewissensfreiheit und Laizität, zu Freiheit in der Arbeits- und Wirtschaftswelt, zu Liberalismus um, um in der Folge eine lange Reihe von Maßnahmen aufzuzählen, «pour libérer le travail»:606 (156) EM: Notre premier combat, ce sera celui pour la liberté. […] Et la liberté, c’est d’abord la sécurité. […] À ce titre, le premier de nos combats, ce sera celui contre le terrorisme. […] La bataille pour la liberté, c’est une bataille pour la liberté de conscience également. […] Notre combat, c’est aussi un combat pour la liberté au travail, l’esprit d’initiative, l’innovation. La liberté, elle est toujours trahie, lorsqu’on multiplie des normes, lorsqu’on empêche de réussir, de s’élever dans la société, par le travail, lorsqu’on empêche d’innover, d’inventer, de créer, pour des raisons obscures. Nous sommes, nous serons, les défenseurs du travail, mes amis (Rede, 04.02.2017). Durch Begriffsumdeutungen wie diese werden unter dem Deckmantel traditioneller, bekannter Begriffe neue oder zumindest bislang nicht mit diesen Begriffen in Verbindung gebrachte Konzepte und Ideologien verbreitet. Für die Rezipienten wird die Möglichkeit der Anknüpfung geschaffen, was die Verbreitung der «neuen» Ideen erleichtert, zugleich wird aber auch eine klare Einordnung, eine
Zum Beispiel seine eindeutig von einer Ideologie des Liberalismus zeugende geplante Reform des Arbeitsrechts: «Je simplifierai le droit du travail pour qu’il soit au plus près du terrain, et que la négociation d’entreprise, que la négociation de branche, puisse définir les bonnes règles, bien mieux que ne le fait la loi, avec un équilibre (3,3) entre la liberté et les justes protections» (EM, Rede, 04.02.2017).
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eindeutige ideologische Verortung des Kandidaten erschwert. Darin mag möglicherweise gerade das Ziel des Kandidaten bestehen, stellt dies doch eine gute Voraussetzung für das von ihm angestrebte rassemblement dar. Das rassemblement (Schlüsselbegriff) ist eines der zentralen Ziele Macrons. Macron sucht das Rechts-Links-Denken zu überwinden und sich und seine Bewegung jenseits dieser, das politische Spektrum traditionellerweise strukturierenden Logik zu verorten. Er möchte verschiedene Akteure zusammenführen, «peu importe qu’elles viennent de la gauche, de la droite, du centre, de l’écologie ou d’ailleurs» (EM, Wahlprogramm, 2017). Sinnbildlich dafür steht der Ausdruck en même temps, einem weiteren Markenzeichen Macrons.607 Der Diskursmarker en même temps kann nicht nur Gleichzeitigkeit, sondern auch das Nebeneinander widersprüchlicher Aussagen signalisieren und damit sowohl als temporaler als auch als adversativer Marker fungieren (cf. Drouet/Richard 2017; Vaguer 2017). Letzteres macht sich Macron zunutze, um mit diesem Ausdruck auf die Verknüpfung vermeintlich widersprüchlicher Ideen und Konzepte hinzuweisen.608 Er verwendet den Ausdruck nicht nur häufig (mit 784 Okkurrenzen pro 1 Mio. Trigramme auf Platz 9 der häufigsten Trigramme; in 141 davon ist ihm mais vorangestellt, was die adversative Wirkung noch verstärkt), sondern reklamiert ihn auch explizit für sich, nachdem er von anderen für die häufige Verwendung desselben teilweise verspottet wurde: (157) EM: J’ai dit en même temps. […] Il paraît (.) il paraît, mes amis, que c’est un tic de langage. […] Eh bien je veux vous affirmer ce soir: je continuerai à utiliser en même temps. (4,5) Dans mes phrases, mais aussi (.) dans ma pensée. Parce que en même temps, ça signifie simplement (.) que l’on prend en compte (.) des impératifs qui paraissaient opposés, mais dont la conciliation est indispensable au bon fonctionnement d’une société. […] Je choisis, comme le général de Gaulle, le meilleur de la gauche (.) et le meilleur de la droite (.) et même le meilleur du centre! […] Mes CHERS amis, je veux vous le dire ce soir (.) pour aujourd’hui (.) et pour demain: sur en même temps, je persiste (.) et je signe! (Rede, 17.04.2017) Macrons «en-même-tempisme» könne, so Kerbrat-Orecchioni (2019, 158–159), «être vu comme le dépassement judicieux de clivages arbitraires, mais aussi
Bigorgne/Baudry/Duhamel (2017) wählen den Ausdruck en même temps gar als Titel einer ganzen Monographie über das Denken, das Macron und seine Anhänger prägt. Die gleiche Funktion hat auch à la fois, mit 462 Okkurrenzen ebenfalls relativ häufig bei Macron, und kann auch aussi zukommen, einem Schlüsselbegriff bei Macron.
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comme le refus d’assumer une position claire en cherchant à ménager la chèvre et le choux».609 Wenn sich Macron nicht nur weder links noch rechts, sondern jenseits traditioneller politischer Lager verortet, stellt sich die Frage, wo er sich und seine Bewegung denn nun sieht. Macron nimmt für sich den sogenannten progressisme in Anspruch, ein Terminus, den Mayaffre (2017, 143) zufolge keiner seiner Gegenkandidaten verwendet, und bezeichnet sich und seine Anhänger als progressistes. Macrons Ziel ist das «rassemblement des progressistes de tous bords» (Rede, 17.04.2017), die Bildung eines «espace central de progressistes, de réformistes» (TV-Interview, 17.04.2017). Der Selbstbezeichnung progressistes stellt er die Fremdbezeichnung conservateurs entgegen, mit der er zum Beispiel Fillon bezeichnet. Ein weiterer, von Macron zur Selbstbezeichnung gebrauchter Begriff ist patriotes. Diesen Begriff macht er Le Pen streitig, die ihn schon lange als Selbstbezeichnung für sich und ihre Anhänger reklamierte. Macron versucht den Begriff umzudeuten und stellt ihm als Fremdbezeichnung für Le Pen und ihre Anhänger den Begriff der nationalistes entgegen, den Le Pen freilich ablehnt: (158) EM: Je souhaite, dans quinze jours, devenir le président de tout le peuple de France, le président des patriotes face à la menace des nationalistes (Rede, 23.04.2017). In diesem Kampf um Begriffe – Begriffsprägung im Fall von progressistes, Bedeutungskonkurrenz im Fall von patriotes (in Bezug auf Le Pen oder Macron) und Bezeichnungskonkurrenz im Fall von nationalistes und patriotes (in Bezug auf Le Pen) – zeichnet sich die mögliche Herausbildung neuer gesellschaftlicher Konfliktlinien, neuer clivages ab: progressistes vs. conservateurs auf der einen Seite und patriotes vs. nationalistes auf der anderen (cf. auch Kapitel 5.1.1). Rhetorisch zeichnet sich Macron unter anderem durch eine ausgeprägte Rhetorik der Erneuerung aus. Renouvellement, renouveler, transformation, transformations sind Schlüsselbegriffe bei Macron (cf. auch Abbildung 24); ebenfalls Verwendung finden alternance und sogar révolution, nicht zuletzt als Titel des Buchs, das Macron anlässlich des Wahlkampfs veröffentlichte (Macron 2016). Macron fordert eine tiefgreifende Erneuerung des politischen Lebens in Frankreich (Kollokatoren zu renouvel✶ sind u.a. profonde, politique, démocratique, par-
Ähnlich auch Mayaffre (2017, 143). Von einem möglichen Ende des «en-même-tempisme» sprechen Martigny/Strudel (2019) in Bezug auf die Anfangszeit seiner Präsidentschaft, die Macron doch deutlich im rechten politischen Spektrum verorten lasse.
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lementaires, hommes, femmes), die in einer Überwindung überkommener Strukturen bestehe (weitere Kollokatoren sind façade, développement, dépassement) und die einzig er und seine Unterstützer wahrhaftig verkörpern würden und herbeiführen könnten (Kollokatoren nous, portons, énergie, volonté): (159) EM: L’alternance profonde, c’est NOTRE projet. Ça n’est pas le tic-tac, le balancier de la droite qui succède à la gauche pour tout détricoter comme on le vit depuis 30 ans. C’est un renouvellement en PROfondeur de la vie politique FRANçaise, un renouvellement des VIsages, des Usages (Rede, 20.03.2017). Weiteres zentrales Charakteristikum der Rhetorik Macrons ist die Bewegungsmetaphorik. Mit En Marche! ist diese zum «Markenkern» (cf. Fretel 2019b) der Bewegung geworden: (160) EM: On nous demande un slogan, vous l’avez inventé le premier jour, vous l’avez adopté, c’est En Marche! (Rede, 04.02.2017). Doch steckt der Schlüsselbegriff marche nicht nur im Parteinamen, auch anderweitig wird das Spiel mit der Metapher fortgesetzt. Die Mitglieder der Bewegung sind die marcheurs, man organisiert eine Grande Marche (cf. supra), man sucht «les solutions qui marchent» (EM, Wahlprogramm, 2017), man versteht sich als «génération en marche» (EM, Rede, 17.04.2017), man ruft zur marche auf: «À vous de marcher!» (EM, Wahlprogramm, 2017). Mayaffre (2017, 142) zufolge spiegelt sich die Bewegungsmetaphorik auch in der bei Macron überrepräsentierten610 Form allons: «[C]et ‹allons› fait directement écho au slogan et au nom ‹En marche!› qui indique le mouvement sans encore préciser la direction». Die Bewegungsmetaphorik besticht nicht nur durch ihre formal wie inhaltlich äußerst vielfältige Einsetzbarkeit, sondern auch durch die Dynamik und Energie, die Bereitschaft zu und die tatsächliche Umsetzung von Veränderungen, die sie vermittelt. In eine ähnliche Richtung zielen auch die von der Start-up-Welt und von Unternehmergeist geprägte Rhetorik (Schlüsselbegriffe réussir, efficace, créerons) sowie die Baumetaphorik (Schlüsselbegriffe chantier, construit; häufig in Bezug auf sein Programm, meist projet genannt, gebraucht), die ebenfalls von Energie und Tatendrang zeugen.
Auch im hier untersuchten Korpus ist Macron der Kandidat, der die Form allons am häufigsten nutzt, allerdings ist der Unterschied nicht statistisch signifikant.
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Im Hinblick auf Agonalität besonders interessant ist die ausgeprägte Kampfund Kriegsmetaphorik. Neben Hamon ist Macron der Kandidat, der die meisten Begriffe aus dem semantischen Feld des Kampfes nutzt (cf. Abbildung 22; combat ist Schlüsselbegriff bei Macron; sein Buch Révolution trägt den Untertitel C’est notre combat pour la France (Macron 2016)).611 Macron nutzt diese Begriffe unter anderem, wie andere Kandidaten auch, um sich als Kämpfernatur zu inszenieren, zeichnet sich im Unterschied zu diesen jedoch dadurch aus, dass er neben der Kampf- auch die Kriegsmetapher verwendet, die durch die größere Expressivität einen Effekt der Zuspitzung und Dramatisierung hat:612 (161) a. EM: Moi je suis un guerrier, un battant. […] je suis un guerrier, je vais de l’avant et j’irai convaincre jusqu’au bout et jusqu’à la dernière seconde (TV-Interview, 20.04.2017). b. EM: Ce ne sera pas facile. Nous ne le ferons pas en un jour. Et peutêtre ne réussirons nous pas TOUT. Mais nous nous battrons. Comme nous allons nous battre dans les jours qui viennent. Parce que nous sommes des guerriers! […] Parce que vous êtes des guerriers! (Rede, 17.04.2017). Im Hinblick auf Macrons Selbstbildkonstruktion sticht neben der Inszenierung als Kämpfernatur vor allem die starke Einschreibung in ein Kollektiv hervor. Im Laufe des Wahlkampfs stellt Macron sehr schnell das nous über das je (cf. Mayaffre 2017, 141; Bréchon 2019c). Im hier untersuchten Korpus ist nous der Ausdruck mit der höchsten Keyness überhaupt, je ist zwar ebenfalls Schlüsselbegriff, aber deutlich weniger signifikant. 300 200 100 0 –100
JLM
BH
EM
FF
MLP
–200 –300 je
nous
Abbildung 23: Signifikanz der Pronomina je und nous bei verschiedenen Akteuren.
Ins Deutsche übersetzt als Revolution. Wir kämpfen für Frankreich (Macron 2017). Cf. Kapitel 6.1.2.4.
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Verbformen der 1. Ps. Pl. wie aurons, protons, créerons sind ebenfalls Schlüsselbegriffe; Bigramme wie nous avons (1.246 Okkurrenzen pro 1 Mio. Bigramme), nous sommes (1.065), nous aurons (543), nous devons (543), nous allons (522), nous voulons (522) sind besonders frequent. Durch diese Überbetonung der 1. Ps. Pl. konstruiert Macron ein Kollektiv, in das er sich selbst einschreibt. Die Grenzen dieses Kollektivs sind nicht scharf umrissen, im Gegenteil, geht es ihm ganz im Sinne des rassemblement doch gerade darum, eine große Offenheit zu signalisieren, um so viele Menschen wie möglich für sein Vorhaben zu gewinnen. Vor allem in seinen Reden sucht Macron auf diese Weise ein Klima des Vertrauens zu schaffen und ein Gefühl der Gemeinschaft herzustellen. Dazu dienen neben dem spezifischen Gebrauch der Deiktika nous, je und vous (162a; cf. auch Utah 2017) auch das häufige Bigramm avec vous613 (162b) sowie die Schlüsselbegriffe amis und confiance. (162) a. EM: […] ce soir (..) vous l’avez emporté. La France (.) l’a emporté! (6,7) Ce que NOUS avons fait (..) depuis tant et tant de mois (...) n’a ni précédent (.) ni équivalent (Rede, 07.05.2017). b. EM: Le projet que je vous propose, c’est de bâtir avec vous une France nouvelle (Wahlprogramm, 2017). Dennoch spielt in Macrons Selbstbildkonstruktion nicht nur das Kollektiv, sondern auch das Individuum, sprich seine Person, eine zentrale Rolle. Dies bezeugen u.a. die Schlüsselbegriffe je und suis. Macron macht sehr deutlich, wer er ist und wofür er eintritt (häufige Bigramme je veux, j’ai, je suis, moi je), aber auch wer er nicht ist und wofür er nicht eintritt (häufige Tetragramme je ne veux pas, je n ai pas, je ne suis pas). Die Bedeutsamkeit der Selbstbildkonstruktion erklärt sich bei Macron nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Tatsache, dass er zum Zeitpunkt der Wahl vielen noch vergleichsweise unbekannt war und man nur wenig über seine politischen Positionen wusste. Das Selbstbild, das Macron von sich konstruiert, ist das eines entschlossenen (Schlüsselbegriff décidé) und willensstarken (je veux, mit 2.752 Okkurrenzen achthäufigstes Bigramm) Menschen, der weiß, wofür er eintritt (häufige Bigramme je veux, il faut, je propose). Er wird nicht müde, zu betonen, dass er sich der Anforderungen (Schlüsselbegriff exigence), der ‘Herausforderungen’ (er verwendet stets euphemisierend défis statt problème) und der ‘immensen Aufgabe’ («La tâche est immense», wie er in seiner Rede am Wahlabend fünfmal wiederholt) bewusst sei, aber bereit dafür sei («j’y suis prêt», 181 Okkurrenzen). Dies erfordere ein großes Verantwortungsbewusstsein (Schlüsselbegriffe responsabilité
Slogan seiner Kampagne vor dem ersten Wahlgang im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2022.
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
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(s)) sowie eine realistische (réaliste), pragmatische (pragmatique), effiziente und gerechte (efficace et juste) Vorgehensweise, die er zu verkörpern vorgibt. Was den Grad der Agonalität angeht, so ist Macrons sprachliches Handeln insgesamt als moderat einzustufen. Die agonalen Diskurshandlungen des Angriffs, der negativen Wertung und der abwertenden Fremdbildkonstruktion sind vergleichsweise selten und nehmen eher gemäßigte Formen an. Auf den Angriff entfallen lediglich 1% all seiner sprachlichen Handlungen (der Durchschnitt liegt bei 3,2%). Auch die negative Wertung ist mit 2% niedriger als bei allen anderen Kandidaten. Obwohl die Unterschiede nicht statistisch signifikant sind, geben sie doch gewisse Tendenzen an. In qualitativer Hinsicht ist festzustellen, dass Macron tendenziell sachbezogene Kritik äußert und sich selten bis nie aggressiv oder gar diffamierend zeigt; Ausnahmen gibt es freilich, insbesondere im débat de l’entredeux-tours. Weiterhin fällt auf, dass Macron das agonale Potenzial entsprechender sprachlicher Handlungen häufig abschwächt, zum Beispiel indem er diejenigen, die Gegenstand eines Angriffs oder einer abwertenden Fremdbildkonstruktion sind, nicht explizit benennt; stattdessen nutzt er Referenzausdrücke wie certains (Schlüsselwort bei Macron), mit denen eine gewisse Unschärfe bzw. Offenheit einhergeht. Zum einen werden die Angriffe dadurch entpersonalisiert, zum anderen entzieht sich Macron auf diese Weise aber auch dem Zwang der Rechtfertigung. Die relativ geringe Offensivität Macrons findet nicht zuletzt ihren Ausdruck darin, dass Macron – als einziger Kandidat – sein Publikum davon abzuhalten sucht, seine Gegenkandidaten (163a) oder deren Wähler (163b) auszupfeifen. «Ne les sifflez pas!», wiederholt er immer wieder und ruft zur diskursiven Auseinandersetzung und zum respektvollen Umgang auf (cf. auch Matz 2017): (163) a. EM: Ne les sifflez pas, combattez-les, allez convaincre! (Rede, 17.04.2017). b. EM: Ne les sifflez pas. (.) Ils ont exprimé (.) ils ont exprimé aujourd’hui (.) une colère, un désarroi, parfois des convictions. Je les respecte. Mais je ferai TOUT (.) durant les cinq années qui viennent (.) pour qu’ils n’aient plus auCUNE raison (.) de voter (.) pour les extrêmes (Rede, 07.05.2017). Spielt der Angriff bei Macron eine geringere Rolle, ist die Verteidigung im Gegenzug gewichtiger. Macron sieht sich häufig als Ziel von Angriffen. Auch wenn er nicht explizit benannt wird, reklamiert er Angriffe für sich (164a–b) und verschafft sich Gelegenheit zur Verteidigung. In seinen Augen bestehende Unwahrheiten (164c), Unterstellungen (164d), persönliche Angriffe (164e) und Verleumdungen (164f) stellt er explizit als solche heraus und stellt die Sachen – aus seiner Sicht – gerade (164a–e).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
(164) a. EM: […] je pense que c’est (.) c’est pour moi. Donc je vais me permettre d’intervenir […] (TV-Duell, 20.03.2017). b. EM: Je crois que c’est encore pour moi (TV-Duell, 20.03.2017). c. EM: […] non mais (.) je voudrais rétablir la vérité sur ce que madame Le Pen a dit. Parce que c’est faux (TV-Duell, 03.05.2017). d. EM: Je vais vous répondre très précisément sur ce point, parce que je n’aime pas les insinuations, je préfère être direct (TV-Duell, 20.03.2017). e. EM: […] je vais pas me fatiguer à répondre à ces attaques ad hominem […] (TV-Duell, 20.03.2017). f. EM: Non, madame Le Pen, parce que ça c’est de (.) c’est de la diffamation (TV-Duell, 03.05.2017). Des Weiteren äußert Macron auffallend häufig Konsens. Justement und effet (mit einer Ausnahme immer als Teil der Wendung en effet), die häufig zur Äußerung von Konsens gebraucht werden, sind Schlüsselbegriffe bei Macron; häufig ist auch je partage (ce qui vient d’être dit/cela etc.) mit 241 Okkurrenzen. Auch für das häufige Äußern von Konsens ist Macron, wie für das en même temps (cf. supra), von seinen Gegnern teilweise verspottet worden und auch dieses reklamiert er explizit für sich: (165) EM: Ah vous savez, (.) on m’a tellement reproché, parfois, d’être d’accord avec mes opposants. Mais je le revendique! Parce que pour construire, pour construire ensemble (.) des solutions et un avenir, nous devons trouver (.) des lignes de force communes, nous devons savoir reconnaître […] ce qui est bon et juste (Rede, 17.04.2017). Das häufige Äußern von Konsens schreibt sich in Macrons Ziel des rassemblement, mit seinem Ziel, Akteure verschiedenster couleur zusammenzubringen, ein. Insgesamt zeichnet sich Macron durch ein sehr eigenes, besonders interessantes Profil aus. Die «Neuheit» prägt nicht nur den Kandidaten als Person, etwa durch sein junges Alter (Statusrolle) und seinen Status als Newcomer in der Politik (Positionsrolle), sondern auch seinen Sprachgebrauch. Die Rhetorik des renouvellement, die Bewegungsmetaphorik, der «en-même-tempisme», das Fehlen bzw. die Umdeutung traditioneller Schlagwörter, die Prädominanz des nous – all diese sprachlichen Mittel und Verfahren sind besondere Charakteristika Macrons. Darüber hinaus sticht hervor, dass Inhaltliches zugunsten der Rhetorik beinahe in den Hintergrund zu rücken und das Wie über das Was zu dominieren scheint.
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
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Dies mag wohl kaum Ergebnis des Zufalls sein, vermittelt Macrons Rhetorik doch eine besondere Dynamik, eine Aufbruchsstimmung und schreibt sich ganz in die Idee des rassemblement ein. Die Idee des rassemblement lässt sich auch mit der großen Konsensbereitschaft sowie der geringen Rolle, die Angriffe und abwertende Fremdbildkonstruktion bei Macron spielen, in Verbindung bringen. Im Hinblick auf Agonalität zeichnet sich Macron – abgesehen von der ausgeprägten Kampf- und Kriegsmetaphorik – durch einen eher niedrigen Grad der Agonalität aus, sind seine Diskurse doch vielmehr von einem Miteinander denn einem Gegeneinander geprägt. Inwiefern sich diese Charakteristika des Kandidaten Macron im Sprachgebrauch des Präsidenten Macron fortsetzen oder auch verändern, werden zukünftige Studien zeigen müssen.614
6.3.4 François Fillon François Fillon, Kandidat der Républicains, startete als großer Hoffnungsträger und mutmaßlicher Gewinner in den Wahlkampf und ging, gebeutelt durch verschiedene Skandale, als großer Verlierer aus ihm hervor (cf. ausführlicher Kapitel 5.1.2.4). Ihm wurde eher unfreiwillig eine große Hör- bzw. Sichtbarkeit zuteil, sorgte die Affaire Fillon doch dafür, dass sein Name in aller Munde war. Wie Umfragen zeigen, waren Fillon und die ihn belastenden Skandale über Monate das Thema, das die Franzosen neben dem Wahlkampf an sich am meisten beschäftigte.615 Bis in den April war Fillon der Kandidat, von dem in den sozialen Medien (Twitter, Facebook, Foren, YouTube, Blogs etc.) am meisten gesprochen wurde (cf. Reille-Soult 2017). Auch die Berichterstattung durch die Nachrichten wurde lange durch Fillon und die Affaire – freilich unter Wahrung der Prinzipien der
Erste Ergebnisse liefern die lexikometrischen Untersuchungen Labbés (2019) und Mayaffres (2021), die den Sprachgebrauch des Präsidenten Macron analysieren und mit dem vorheriger Präsidenten vergleichen. Labbés Fazit deutet darauf hin, dass sich viele hier ermittelten Charakteristika auch im Sprachgebrauch des frühen Präsidenten fortsetzen: «Le discours d’E. Macron […] s’inscrit en assez profonde rupture par rapport à ses prédécesseurs. Il a privilégié la politique internationale […] et il a nettement moins parlé de la France et des Français. Il a semblé négliger la plupart des thèmes classiques comme la modernité, l’économie, l’emploi, le progrès, la croissance, les revenus, le social, les impôts… Il assume peu ses propos et privilégie le nous. Son discours se veut pédagogique, mais il est souvent lourd et abstrait. Les phrases sont longues et compliquées, parfois obscures» (Labbé 2019, 23–24; Hervorhebungen im Original). Waren sie im März und April nach der Kampagne an sich das von den Franzosen am zweitmeisten diskutierte Thema, lagen sie im Februar sogar an erster Stelle (cf. IFOP/Fiducial 2017b; 2017c; 2017d).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
équité und der égalité de parole –616 dominiert: Nicht nur zu bestimmten Momenten, wie dem Bekanntwerden des Skandals durch den Canard Enchaîné Ende Januar oder der Anklage Fillons und dem großem Meeting am Trocadéro Anfang März, sondern auch insgesamt dominierten sie die Berichterstattung in den Nachrichten: Entfielen im Zeitraum vom 10.10.2016 bis zum 21.04.2017 auf keinen der anderen Kandidaten mehr als 121 Minuten, waren es bei Fillon 299, davon mehr als die Hälfte – 174 Minuten – auf die Affaire (cf. Piar 2017, s. insb. die Graphiken S. 77 und 86).617 Fillon verfüge damit über die größte «visibilité des candidats» (Piar 2017, 86), allerdings sehr zu seinen Ungunsten, ist diese doch primär auf die Affaire zurückzuführen, wohingegen der Kandidat und sein Programm in den Hintergrund rückten: «Autant dire que le message du candidat des Républicains et quasiment inaudible pendant cette période» (Piar 2017, 87; cf. auch Bidégaray 2018, 148; Kuhn/Perry 2018a, 117–118). Die Affaire «übertönte» nicht nur Fillons Wahlkampf, sondern teilweise auch die Kampagnen der anderen und den Präsidentschaftswahlkampf insgesamt. Welcher Sprachgebrauch des Kandidaten diese Entwicklungen begleitete, inwiefern er sie gegebenenfalls verstärkte oder aber auch als Mittel eingesetzt wurde, um dem entgegenzuwirken, soll im Folgenden untersucht werden. Inhaltlich tritt Fillon unter anderem für einen ‘starken Staat’ («État fort») ein. État ist der Terminus mit der höchsten Keyness überhaupt (LLR = 150,92); signifikante Kollokatoren sind respecté («un État respecté»), autorité, fort und maître («un État maître de son destin»). Eine «réforme de l’État» solle dazu führen, dass der Staat seine «autorité», seine «force d’intervention» zurückerlange (FF, Wahlprogramm, 2017). Diese Konzeptualisierung des Staats ähnelt derjenigen Le Pens – «Nous voulons (..) un État fort, un État stratège» (MLP, Rede, 05.02.2017) –, und konkurriert mit derjenigen Hamons und Mélenchons, die sich für mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung auf der Grundlage einer neuen Verfassung einsetzen – démocratie, démocratique und constitution sind negative Schlüsselbegriffe bei Fillon. Zu den wichtigsten Themen im Wahlkampf Fillons zählen Wirtschaft (Schlüsselbegriffe croissance, compétitivité) und Finanzen (Schlüsselbegriffe charges, gestion, fiscalité, plafond, dette, dépenses) sowie der Kampf gegen Terrorismus und Fundamentalismus (Schlüsselbegriffe islamique, totalitarisme, intégrisme). Letzteres eint zwar alle Akteure im Wahlkampf, doch misst Fillon dem besonders große Bedeutung bei und weist im Umgang mit der Thematik gewisse Parallelen mit Le Pen auf (cf. auch Mayaffre 2017, 145–146). Zur Bezeichnung des Phänomens prägt Fillon den Terminus totali-
Nachdem es zwischenzeitlich zu Konflikten und einer Warnung durch den CSA gekommen war, cf. Kuhn/Perry (2018a, 117–118). Cf. auch Maarek (2018b, 162–163).
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
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tarisme islamique (228 Okkurrenzen pro 1 Mio. Bigramme), dem bei Le Pen der Begriff fondamentalisme islamiste entspricht; von der intelligence avec l’ennemi (100 Okkurrenzen bei Fillon) spricht außer ihm nur Le Pen (84 Okkurrenzen). Den totalitarisme islamique konzeptualisiert Fillon, wie die signifikantesten Kollokatoren des Bigramms bezeugen, als regelrechten Feind: Der totalitarisme islamique sei ein Gegner (Kollokatoren contre, face, z.B. «face au totalitarisme islamique»), den es unnachgiebig zu bekämpfen (Kollokatoren lutter, lutte, pitié, lutterai, fermement, relâche, combattre, z.B. «la lutte sans pitié», «lutter fermement», «je lutterai sans relâche») und zu bekriegen (Kollokator guerre) gelte, um ihn schließlich zu besiegen (Kollokatoren vaincre, triompher, z.B. «faire triompher la liberté»); er stelle eine Bedrohung für das geeinte Frankreich dar (Kollokatoren menace, unie, z.B. «la France unie») und finde seinen Ausdruck in verschiedenen terroristischen Anschlägen (Kollokatoren terrorisme, hyper, Charlie, Toulouse, z.B. «hyper cacher», «Charlie Hebdo»). Offenkundig wird die Feindbildkonstruktion in folgendem Statement: «Notre ennemi a un nom: l’islamise radical. Il a un visage: celui de la haine. Il n’a qu’une obsession: la terreur» (FF, Pressekonferenz, 21.04.2017). Wie die Kollokatoren bezeugen, zeichnet sich Fillon in diesem Zusammenhang, wenngleich er insgesamt eher durchschnittlichen Gebrauch von dieser macht,618 durch eine ausgeprägte Kampf- und Kriegsmetaphorik aus. Nicht zuletzt deklariert Fillon, wie Le Pen,619 dass man sich im Krieg gegen den totalitarisme islamique befinde, wodurch Ängste geschürt und eine Dramatisierung der Situation bewirkt werden: (166) FF: Dans quelques jours, les Français vont devoir choisir le président de la République. Il trouvera devant lui une situation très difficile, mais qui peut être redressée. Nous sommes en guerre. Son rôle de chef des armées sera de protéger les Français et de vaincre le totalitarisme islamique (TVDuell, 04.04.2017). Eine zentrale Rolle im Wahlkampf Fillons spielen zudem Frankreich und die Franzosen. Auch hier ergeben sich in quantitativer wie qualitativer Hinsicht Parallelen zu Le Pen (cf. auch Mayaffre 2017, 145–146). Die Termini France, français, française, nation, nationalité und pays sind einzig für Le Pen charakteristischer als für Fillon (cf. Abbildung 19); étranger(s) ist bei beiden Kandidaten Schlüsselbegriff. Das Konzept, das Fillon von Frankreich und den Franzosen entwirft, ist Im Vergleich der fünf Spitzenkandidaten liegt er rein quantitativ betrachtet auf Platz drei und damit genau in der Mitte (cf. auch Abbildung 22). «[…] nous sommes en guerre contre le fondamentalisme islamiste […]» (MLP, Rede, 05.02.0217).
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wesentlich von der Idee des Nationalen geprägt; Alduy (2017, 196) bezeichnet Fillon auch als «identitaire calme». Dies bezeugen neben der Signifikanz der Ausdrücke nation und nationalité vor allem die jeweiligen Kollokatoren. France tritt häufig in Verbindung mit puissance, nation, rayonnement, rayonner, première und souveraineté auf; Kollokatoren von français✶ sind étranger, nationalité, culture, langue, histoire, politique und von nation✶ notre, territoire, française, communauté, France, unité, cohésion, fierté. Nicht zuletzt nimmt Fillon das Konzept der Nation selbst für sich in Anspruch und sieht darin einen zentralen Unterschied zwischen sich und den anderen Kandidaten: (167) FF: Chez Hamon, Mélenchon, Le Pen, la Nation, c’est une réalité hors sol, qui vit en autarcie avec des règles utopiques. Chez Emmanuel Macron, le concept national est démodé. La France de demain, c’est un gigantesque espace de coworking, où chacun va qu’à ses occupations. L’Histoire française est trop étroite. L’identité est un carcan. L’héritage est un frein. En Marche!, c’est l’idéologie du bougisme. (..) Eh bien moi, plutôt que le déni de soi, je propose la connaissance de soi. Plutôt que la négation des racines, je propose la mémoire partagée. Plutôt que le marketing du vide, je propose l’appropriation de la culture française (Rede, 09.04.2017). Eine vergleichsweise geringe Rolle spielt in Fillons Konzept der Nation der Volksgedanke; der Ausdruck peuple ist sogar unterrepräsentiert (cf. Abbildung 20). Allerdings weist sein Sprachgebrauch im Verlauf der Kampagne, vermutlich unter anderem bedingt durch die Affaire Fillon, zunehmend populistische Züge auf. «Audelà de la procédure judiciaire, c’est au peuple français et à lui seul que j’en appelle désormais», deklariert er in seiner Rede in Nîmes am 02.03.2017 (Fillon 2017a). 50 40 30 20 10 0 –10
JLM
BH
EM
FF
MLP
–20 redressement
alternance
réforme
moderniser
renouvellement
transformation
Abbildung 24: Signifikanz von Begriffen aus dem Themenbereich Erneuerung bei verschiedenen Akteuren.
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
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Rhetorisch zeichnet sich Fillon, wie auch Macron, durch eine Rhetorik der Veränderung und des Wandels aus. Redressement, alternance, revoir, revue, réforme und moderniser sind charakteristisch für Fillon. Stehen bei Macron die Begriffe renouvellement und transformation im Fokus, ist es bei Fillon insbesondere der des redressement (LLR = 42,15): «Je serai le président du redressement», proklamiert er in seiner Rede am 09.04.2017.620 Das redressement, das ‘Wiederaufrichten’, bezieht sich auf die verschiedensten Bereiche, vom öffentlichen Sektor über die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit bis hin zum Bildungssystem, und scheint vor allen Dingen eine Konsolidierung der Staatsfinanzen zum Ziel zu haben (Kollokatoren von redressement sind économique, PIB, finances, publiques). Der Terminus redressement < redresser < re- + dresser ‘Wiederaufrichten’ bringt nicht nur einen Willen zur Veränderung zum Ausdruck, sondern setzt auch voraus, dass etwas in eine Schieflage geraten sei, und impliziert damit auch eine Kritik an der aktuellen Situation und den bislang politisch Verantwortlichen. Zugleich schreibt sich Fillon als «président du redressement», als derjenige, der Frankreich wiederaufrichtet, ein Ethos der Aufrichtigkeit und Geradlinigkeit zu. Für den Willen zur Erneuerung steht neben redressement auch alternance. Der Begriff der alternance steht für das die Fünfte Republik über viele Jahrzehnte prägende Prinzip, dass sich die rechte (LR, vorher UMP) und linke (PS) Partei regelmäßig an der Macht ablösen, indem sie abwechselnd den Präsidenten stellen. Sowohl Macron als auch Fillon nehmen 2017 für sich in Anspruch, diese alternance zu verkörpern – was bei Fillon als Kandidat der Républicains auf der Hand liegt, bei Macron als ehemaligem Mitglied des PS und der Regierung Hollande überraschen mag. Fillon sucht Macron den Begriff streitig zu machen, indem er ihn ihm abspricht und für sich selbst reklamiert: (168) FF: J’ai vu qu’Emmanuel Macron se présentait comme le candidat de l’alternance proFONde. (.) Voilà bien une pensée de sous-marin. Les quelques ralliés hétéroclites en seront les dupes, quand l’équipage socialiste refera surface. […] La France d’Emmanuel Macron, C’EST la France de maintenant. (..) L’alternance (.) l’alternance, c’est nous (Rede, 09.04.2017). Mehrere interessante Aspekte stechen im Hinblick auf die Selbstbildkonstruktion Fillons hervor. In quantitativer Hinsicht scheint die Selbst- ebenso wie die Fremdbildkonstruktion bei Fillon eine untergeordnete Rolle zu spielen. Die agonalen Dis Die Bedeutsamkeit des redressement für Fillon bestätigt auch Mayaffre (2017, 145): «Au mieux, le programme de Fillon tient dans un verbe et son substantif associé, ‹redresser› (+ 12) et ‹redressement› (+ 11): ‹redresser la France›, ‹redresser le pays›, ‹redresser les comptes publics›, ‹redressement national›, ‹redressement économique›, etc.».
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kurshandlungen der Selbst- und Fremdbildkonstruktion sind bei Fillon seltener als bei allen anderen Kandidaten,621 die häufig in diesem Zusammenhang gebrauchten Pronomina nous, vous, je, on, ils, moi, j’ sind stark unterrepräsentiert.622 Dies könnte darauf hindeuten, dass Fillon entweder anders, zum Beispiel unter Verwendung objektivierender Verfahren (cf. Anm. 625), oder einfach wenig von sich und stattdessen mehr von politischen Inhalten spricht; beides ließe sich auch als eine Reaktion auf die Affaire Fillon deuten (cf. ausführlicher infra). Doch auch wenn die Selbstbildkonstruktion bei Fillon in quantitativer Hinsicht eher unbedeutend ist, weist sie in qualitativer Hinsicht einige interessante Merkmale auf. Zum einen beruft sich Fillon sehr häufig auf seine persönliche Erfahrung. Dabei bezieht er sich sowohl auf die Erfahrungen, die er im Wahlkampf gemacht hat (169), als auch auf seine langjährige Erfahrung als Berufspolitiker (170a–b).623 Zeugnis davon legen die Schlüsselbegriffe ans und écouté – letzterer wird ausschließlich in der Wendung j’ai écouté (157 Okkurrenzen) gebraucht – ebenso wie die Trigramme j’ai vu und sur le terrain (jeweils 80 Okkurrenzen) ab. Durch die Betonung des direkten Wahlkampfs wird eine große Bürgernähe suggeriert, durch die Betonung der langen beruflichen Laufbahn Kompetenz und Expertise. (169) FF: Pendant ces quatre dernières années, en métropole, dans les Outremer, j’ai sillonné les routes, et j’ai pris le temps d’écouter tous ceux que j’ai rencontrés (Wahlprogramm, 2017).
Bei Fillon entfallen auf die Selbst- und Fremdbildkonstruktion jeweils 3%. Bei den anderen Akteuren liegt die Selbstbildkonstruktion zwischen 5 und 8%, die Fremdbildkonstruktion zwischen 4 und 7%. Die Unterschiede sind nicht statistisch signifikant, bezeugen aber eine gewisse Tendenz. Nous ist der Ausdruck mit der höchsten negativen Keyness überhaupt (LLR = –265,85), gefolgt von vous an zweiter (LLR = –191,31) und je an vierter Stelle (LLR = –105,03) (cf. auch Abbildung 23). Die Tatsache, dass gerade nous bei Fillon derart unterrepräsentiert ist, könnte darauf hindeuten, dass er ein Einzelkämpfer, dass er alleine ist: Durch die Affaire hat er viele Unterstützer innerhalb der Partei und auch das Vertrauen vieler Wähler verloren, was es ihm erschwert haben mag, sich in ein Kollektiv einzuschreiben. Aussagen wie «Ils pensent que je suis seul. (..) Ils veulent que je sois seul. (..) Est-ce que nous sommes seuls?», mit denen Fillon seine Rede am 05.03.2017 am Trocadéro eröffnet und auf die das Publikum lautstark mit «Non!» antwortet, sind Echo dieser Einsamkeit und zugleich ein Versuch, das Gegenteil zu beweisen. Kumuliert man all die Jahre, in denen Fillon ein gewähltes politisches Amt innehatte, so kann Fillon zum Zeitpunkt der Wahl laut Berechnungen der AFP auf insgesamt 105 Jahre Berufserfahrung zurückblicken (cf. AFP/Vandel 2017). Inwiefern er vor diesem Hintergrund glaubwürdig zu vermitteln mag, die Erneuerung – Stichwort redressement, alternance – zu verkörpern, wird von manchen, so zum Beispiel Gilles Bouleau im Interview Demain Président, durchaus kritisch hinterfragt.
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(170) a. FF: […] j’ai l’expérience. L’expérience de la gestion d’une petite ville rurale, Sablé-sur-Sarthe, l’expérience de la gestion d’un magnifique département de l’Ouest, la Sarthe, l’expérience de la gestion d’une des plus belles régions de France, la région des Pays de la Loire, l’expérience du gouvernement (TV-Duell, 20.03.2017). b. FF: J’en ai mené des combats, j’en ai gagné des campagnes électorales (Rede, 09.04.2017). Des Weiteren sticht Fillon durch den von ihm sehr häufig bemühten «Topos des Einzigen» hervor (cf. Kapitel 6.2.2). Fünfzehnmal gebraucht er le seul in Selbstzuschreibungen, davon achtmal als Teil des Tetragramms je suis le seul. (171) a. FF: Et moi, ma conviction, c’est que je suis le seul aujourd’hui NON seulement à proposer un projet d’alternance, mais à POUVOIR bénéficier d’une majorité (TV-Interview, 19.04.2017). b. FF: Je suis (.) je suis le seul dans cette campagne (.) à vouloir en finir (.) avec le cercle vicieux de la dette publique (Rede, 09.04.2017). c. FF: Je suis le seul candidat qui peut la [= l’alternance; meine Anm.] rendre possible. Entre (.) la révolution des extrêmes qui ne conduirait qu’au chaos ou la conduite par d’autres moyens de la politique socialiste de François Hollande, je suis le seul à vous proposer un VRAI changement pour le redressement de notre pays. Et je suis le seul qui pourra demain disposer d’une majorité cohérente et stable pour conduire ce redressement (TVDuell, 20.03.2017). Darüber hinaus sticht Fillon dadurch hervor, dass er sich häufig im Namen der Wahrheit äußert und als besonders wahrheitstreu und wahrheitsliebend inszeniert. Hier tritt die Selbstbildkonstruktion in Verbindung mit dem Kampf um die Wahrheit auf. Ausdrücke wie vérité,624 franchise und crédibilité gebraucht Fillon häufiger als alle anderen Kandidaten (cf. Abbildung 25). Vor allem aber nimmt Fillon häufig die Wahrheit für sich in Anspruch (172a), stellt sich und sein Projekt als ehrlich und glaubwürdig dar (172b–c) und sagt explizit von sich, dass er die Wahrheit sage (172d–f).
Bei Alduy (2017, 201) rangiert vérité im Korpus Fillons auf Platz 81 der häufigsten Substantive und wird als «mot-valeur» klassifiziert.
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200 150 100 50 0 JLM
BH vérité(s)
EM franchise
FF
MLP
crédibilité
Abbildung 25: Relative Häufigkeit von Ausdrücken aus dem semantischen Feld der Wahrheit bei verschiedenen Akteuren.
(172) a. FF: La vérité, c’est que […] (TV-Duell, 04.04.2017). b. FF: […] lorsqu’on est, ce que je crois être, profondément honnête, […] (Rede, 03.05.2017). c. FF: Mon projet est crédible car […] (Wahlprogramm, 2017). d. FF: […] moi je dis la vérité aux Français. Et je vais (.) à l’élection présidentielle (.) en disant la vérité, alors que François Hollande a fait le contraire (TV-Interview, 19.04.2017). e. FF: Donc moi je leur dis euh je vous dis la vérité (TV-Interview, 20.04.2017). f. FF: Qu’est-ce que c’est qu’un président exemplaire? C’est d’abord un président qui dit la vérité aux Français sur la réalité de la France et la réalité du monde (TV-Duell, 04.04.2017).625 Auf diese Weise konstruiert Fillon ein Bild von sich als «président exemplaire» (157 Okkurrenzen, cf. 172f), als integrer, moralisch einwandfreier und vorbildlicher Kandidat: «Humilité, sobriété, probité, constance, persévérance, sacrifice, loyauté, droiture, intégrité, sérieux, foi: François Fillon a mis en avant une candidature ‹morale›, de ‹conviction›
Hier beschreibt Fillon aus der Außenperspektive, was seiner Meinung nach einen «président exemplaire» ausmache, charakterisiert dabei aber implizit sich selbst. Dieses häufig von ihm genutzte Verfahren dient der Objektivierung des Diskurses. Cf. auch: «Je crois que les Français ont besoin d’un président de la République qui ait de l’expérience, euh qui soit capable de tenir compte (.) du passé, y compris des erreurs du passé, pour réformer le pays, et puis surtout qui ait la force de caractère et euh la connaissance de du fonctionnement des rouages de notre pays pour euh assurer sa place dans le monde, voilà» (FF, TV-Interview, 19.04.2017).
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
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et de ‹vérité›, profondément imprégnée de valeurs chrétiennes. Se dessine le profil d’un messianisme sobre: un charisme né de la rectitude morale du candidat et de l’adéquation entre valeurs défendues et valeurs incarnées. Ce candidat pourra ‹libérer› la France du ‹déclin› et même de la ‹décadence› […], car la ‹vérité› lui a été révélée, et qu’à son tour il veut la dire ‹sans trembler›» (Alduy 2017, 57–58).
Dieses Image kollidiert umso mehr mit den Skandalen, die Fillon und seine Kampagne erschütterten, klaffen Anspruch und Wirklichkeit hier doch eklatant auseinander. Dieser Bruch spiegelt sich sehr deutlich in zwei weiteren Aspekten. Dies betrifft zum einen die Änderung seines Wahlkampfslogans. Machte Fillon zunächst unter dem Slogan Le courage de la vérité Kampagne – ein weiterer Ausdruck seiner im Namen der Wahrheit geführten Kampagne –, gab er diesen am 19.03.2017 zugunsten von Une volonté pour la France auf, was teilweise mit der Affaire Fillon in Verbindung gebracht und als Ausdruck eines Mangels an Glaubwürdigkeit gedeutet wurde (cf. z.B. Bonnefoy 2017). Zum anderen holten Fillon nach den Enthüllungen durch den Canard Enchaîné verschiedene zuvor getätigte Äußerungen ein, die sich nun als konträr zu seinem Handeln erwiesen. Hatte er noch am 26.01.2017 im Journal télévisé von TF1 erklärt: «Il n’y a qu’une seule chose qui m’empêcherait d’être candidat, c’est si mon honneur était atteint, si j’étais mis en examen», hielt er auch nach der Anklage am 14.03.2017 an seiner Kandidatur fest. Bereits im Laufe der Vorwahlen hatte er die ihm später oft vorgehaltene und von Fottorino (2017, 12) als «formule boomerang» bezeichnete Äußerung getätigt: «Qui imagine un seul instant le général de Gaulle mis en examen?».626 Wie diese Beispiele bereits anklingen lassen, war die öffentliche Diskussion um die Affaire Fillon in besonderem Maße von widerstreitenden Aussagen und Positionen, kurz von Agonalität geprägt. Ohne die Affaire Fillon hier in Gänze behandeln zu können,627 soll unter dem Gesichtspunkt der Agonalität ein Blick darauf geworfen werden, welche sprachlichen Mittel und Verfahren Fillon nutzte, um auf die Affaire und die Vorwürfe, die sie nach sich zog, zu reagieren. Ausweichen. So reagiert Fillon zum Beispiel auf die allen Kandidaten im Interview Demain Président zuletzt gestellte Frage danach, ob sie in Bezug auf
Diese in seiner Rede am 28.08.2016 in Sablé-sur-Sarthe getätigte Äußerung richtete sich ursprünglich gegen Nicolas Sarkozy. Ihr «effet boomerang» wird durch den Kotext noch verstärkt: «Ceux qui briguent la confiance des Français doivent en être dignes. (.) Ceux qui ne respectent pas les lois de la République (.) ne devraient pas pouvoir se présenter devant les électeurs. (.) Il ne sert à rien (.) de parler d’autorité (.) quand on n’est pas soi-même irréprochable. (.) Qui (.) qui imagine un seul instant le général de Gaulle mis en examen?» (Fillon 2016). Cf. ausführlicher Kapitel 5.1.2.4 und die dort angeführte Literatur.
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den Wahlkampf etwas bedauern oder bereuen würden; er gibt vor, in die Zukunft statt in die Vergangenheit zu blicken, und zeigt sich siegessicher: (173) LS: Voilà, avec l’ultime question, attention, François Fillon, parce que des regrets vous en avez eus dans cette campagne. Est-ce que vous en avez? À trois jours du vote, est-ce que vous avez des regrets à exprimer? FF: (...) J’/ je trouve que dans les circonstances actuelles, voilà, ça serait dérisoire de parler du passé. Euh et donc je veux être complètement tourné vers l’avenir. Euh et au fond, ma conviction, c’est que euh je vais gagner cette élection présidentielle, parce que je pense que ma candidature correspond aujourd’hui à un moment de l’Histoire de notre pays. Et donc c’est dans cette direction-là que je regarde et pas dans le rétroviseur (TV-Interview, 20.04.2017). Ablenken. Fillon spricht weniger von seinen eigenen Skandalen als vielmehr von denen, die sich anderen anlasten lassen: (174) FF: L’élection aura été faussée. Elle n’aura pas permis de mettre un terme aux deux scandales qui défigurent le pays beaucoup plus sûrement (.) et beaucoup plus profondément que mes propres erreurs. Quels sont ces scandales? Le premier, c’est la manière insidieuse, molle, hésitante, mais terrible dans ses conséquences, dont François Hollande a œuvré au déclassement de notre pays. […] le second scandale, c’est celui de tous nos concurrents qui, indifférents à toutes les réalités économiques, ignorant tous les défis du monde, n’hésitent pas à promettre 32 heures, le retour du Franc, l’augmentation des dépenses publiques (Rede, 05.03.2017). Fehler nicht (175a–b) oder nur bedingt (176) eingestehen. (175) a. FF: […] je serai reconnu comme innocent […] (Rede, 05.03.2017). b. LF: […] Les erreurs que vous avez commises, vous n’allez pas les commettre à nouveau? FF: […] je n’ai pas euh commis d’erreurs, madame. […] (TV-Duell, 04.04.2017). Euphemisieren. Fillon beschönigt den Skandal (cf. Seoane 2020), zum Beispiel indem er seine Fehler, wie in (176), mit Formulierungen wie quelques und qui n’en a pas «kleinredet»:
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(176) FF: Alors (.) j’ai pu commettre des erreurs, j’ai quelques défauts, qui n’en a pas […] (TV-Duell, 20.03.2017). Aussage verweigern. Der Kandidat verweigert sich der Aussage und damit jeglicher Diskussion. Durch die offene Konfrontation zeugt dieses Verfahren von einer deutlich größeren Konfliktualität als zum Beispiel das Ablenken oder Ausweichen. (177) FF: […] je refuse de répondre à à à toute question sur ce sujet (TV-Duell, 04.04.2017). Gegenangriff. Der Kandidat reagiert auf die Vorwürfe mit einem Gegenangriff. In der Tat zeichnet sich Fillon durch eine besondere Offensivität aus. Quantitativ betrachtet liegt er in Bezug auf die agonale Diskurshandlung des Angriffs mit 4% nur leicht über dem Durchschnitt von 3,2%, doch stechen seine Angriffe in qualitativer Hinsicht durch eine besondere Konfliktualität und teilweise sogar Aggressivität hervor. Seine Angriffe richten sich gegen unterschiedliche Akteure. Wie alle anderen Kandidaten greift auch Fillon seine Gegenkandidaten im Wahlkampf an, wobei Macron sein Hauptgegner zu sein scheint. Bezeichnungen Macrons als «ancien porte-serviette» Hollandes (FF, Rede, 05.03.2017), als «histrion» (FF, Rede, 05.03.2017) oder «apprenti» (FF, TV-Interview, 19.04.2017) zeugen von einem besonders aggressiven Ton diesem gegenüber (für Angriffe gegenüber Macron cf. auch 167 und 168). Darüber hinaus richten sich Fillons Angriffe vor allem auch gegen Hollande und dessen Regierung, was vor dem Hintergrund des Prinzips der alternance (cf. supra) naheliegend ist. Des Weiteren übt Fillon Kritik am System an sich. Die Systemkritik ist (nicht nur) im Wahlkampf 2017 relativ verbreitet und bei anderen Kandidaten, zum Beispiel bei Le Pen, Macron und Mélenchon, noch stärker ausgeprägt, aber auch bei Fillon nicht inexistent: (178) a. FF: Et c’est pas les fonctionnaires qui en [= de l’excès de bureaucratie; meine Anm.] sont responsables, les fonctionnaires, ils font ce qu’on leur demande. Mais c’est le le SYSTÈME qui a été mis en place (TV-Interview, 20.04.2017). b. FF: Vous êtes un grand peuple mais notre système vous bloque. Tout est encadré, nivelé par le bas (Profession de foi, 2017). Im Zuge der Affaire richten sich Fillons Angriffe darüber hinaus – und darin unterscheidet er sich von den meisten seiner Gegenkandidaten – gegen Journalisten und die Medien, die er für das Bild, das in der Öffentlichkeit von ihm
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herrsche, verantwortlich macht (179 und 180), sowie gegen die Justiz, über deren Macht er sich hinwegsetzt und das Volk zu seinem einzig wahren Richter deklariert (cf. supra sowie 179 und 180): (179) FF [Fortsetzung von 177]: […] je refuse de répondre à à à toute question sur ce sujet, et surtout de la part des journalistes, qui pendant deux mois et demi (.) ont fait mon procès. On a voulu me faire taire, on a voulu m’éliminer de cette compétition politique. Je suis toujours là. Et je vais vous dire (.) personne ne viendra m’intimider et c’est les Français qui porteront un jugement dans un peu moins de trois semaines (TV-Duell, 04.04.2017). (180) FF: […] ce qui COMPTE euh dans le (.) dans la légitimité du pouvoir, c’est le choix des Français. Et pour l’instant euh c’est le système médiatique, c’est c’est la c’est (.) ce sont les échos euh qui euh font euh l’image que vous évoquez et qui a effectivement pesé sur cette campagne (TV-Interview, 19.04.2017). Von einer besonderen Aggressivität zeugt nicht zuletzt Fillons Angriff auf den Premierminister und die aktuelle Regierung, die er für ein «climat de quasiguerre civile» verantwortlich macht (cf. Kapitel 6.1.2.4). Insgesamt ergibt sich damit ein höchst komplexes und teilweise auch recht heterogenes Bild, das Fillon und seinen Sprachgebrauch im Wahlkampf charakterisiert. Als Kandidat der Républicains und mit seiner langjährigen Erfahrung als Berufspolitiker, die er nicht müde wird zu betonen, verfügt er über eine Positionsrolle, die ihm gute Chancen im Wahlkampf verspricht. Mit einem konservativen, sich teilweise am rechten Rand des mittleren politischen Spektrums bewegenden inhaltlichen Programm sucht er sprachlich mit der Rhetorik des redressement neue Akzente zu setzen. In lexikalischer Hinsicht stechen das Schlagwort redressement, das mit renouvellement, transformation und révolution bei Macron kontrastiert (Bezeichnungskonkurrenz), der zwischen Macron und Fillon geführte Kampf um den Begriff der alternance (Bedeutungskonkurrenz) sowie die Prägung des Begriffs totalitarisme islamique, der dem fondamentalisme islamiste bei Le Pen entspricht (Sachverhaltsfixierung), hervor. Inhaltlich sind insbesondere Fillons Konzepte eines État fort und der französischen Nation interessant. Das Bild als wahrheitsliebender, ehrlicher und integrer Kandidat, das Fillon von sich zeichnet, kollidiert umso mehr mit den Erwartungen und Meinungen der Öffentlichkeit, nachdem er im Zuge der Affaire Fillon zunächst unter Verdacht gestellt, schließlich angeklagt und nach der Wahl auch verurteilt wurde. Die Angriffslust und Aggressivität, die seine Sprache prägen – Alduy (2017, 174) spricht von einem «style viril» –, steigert sich im Laufe des Wahlkampfs, wohl auch in Reaktion auf die
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Affaire und die damit einhergehenden Vorwürfe. Die dabei gewählten sprachlichen Mittel und Verfahren – Ausweichen, Ablenken, Fehler nicht oder nur bedingt Eingestehen, Euphemisieren, die Aussage Verweigern, zum Gegenangriff Übergehen etc. – scheinen zumindest teilweise überzeugt zu haben, haben ihm doch eine Vielzahl von Wählern seine Stimme gegeben. Die Frage, welche Rolle sein sprachliches Handeln für das Wahlergebnis tatsächlich spielt und in welchem Verhältnis es zu zahlreichen anderen Faktoren, die ebenfalls relevant sind, steht, verdient eine ausführlichere Betrachtung in einer zukünftigen Studie.
6.3.5 Marine Le Pen Seitdem Marine Le Pen 2011 den Parteivorsitz übernommen hatte, bildete sich unter ihrer Ägide ein sogenannter nouveau Front national heraus (cf. Crépon 2012; Crépon/Dézé/Mayer 2015), der 2017 das Bild der Partei beherrschte, bevor er im Juni 2018 bereits seinen Nachfolger im Rassemblement National fand (cf. Crépon 2019; Kempin 2019). Diese Entwicklung war begleitet von der Herausbildung eines nouveau discours frontiste, eines neuen Sprachgebrauchs, der jedoch vielmehr ein Oberflächenphänomen war, während die ideologische Ausrichtung im Kern nahezu unverändert blieb (cf. Alduy/Wahnich 2015). Wie sich dieser neue Sprachgebrauch, der maßgeblich von der Parteichefin geprägt und geformt wird, in Bezug auf Agonalität gestaltet, soll im Folgenden untersucht werden. Der Wahlerfolg Marine Le Pens steht außer Zweifel. 2017 konnte sie ihr Wahlergebnis von 2012 entschieden verbessern und qualifizierte sich erstmals für den zweiten Wahlgang, nachdem sie in den Meinungsumfragen zeitweise sogar an erster Stelle gelegen hatte. Im Vergleich zu ihrem Gegenkandidaten Macron war ihr Aufstieg zwar etwas weniger fulminant, waren sie und ihre Partei in der politischen Landschaft Frankreichs doch bereits seit Langem fest etabliert und befanden sich bereits seit einiger Zeit im Aufwind, aber dennoch bemerkenswert. Ihre Positionsrolle als Kandidatin des Front National, jetzt Rassemblement National, dessen Vorsitz sie zugleich innehatte, war ihr dabei von Vor- und Nachteil zugleich. Auf der einen Seite wurde sie durch eine etablierte Partei gestützt und konnte auf eine große Bekanntheit und eine Reihe von Erfolgen aufbauen, auf der anderen Seite aber führte sie dadurch auch ein Erbe mit sich, das sie abzulehnen vorgab. Die Assoziation mit der Vergangenheit der Partei, insbesondere mit ihrem Vater Jean-Marie Le Pen, und die Stigmatisierung als rechtsextrem, mit der sie, nicht zuletzt auch von ihren Gegenkandidaten im Wahlkampf 2017, immer wieder konfrontiert wurde und wird, sind eindeutig negativ behaftet; nicht umsonst sucht sie dem seit Jahren mit der Strategie der dédiabolisation entgegenzuwirken (cf. Dézé 2015; Ivaldi 2016a). Dennoch ist es ihr insgesamt gelungen, sich eine große
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Hör- bzw. Sichtbarkeit zu verschaffen. Dies belegt eindrucksvoll ihre Bilanz in den Social Media. Von allen Kandidaten hatte sie die meisten Follower auf Facebook, Twitter und Instagram; ihre Profile auf Facebook und Twitter verzeichneten die größte Aktivität (cf. Koc-Michalska/Gibson/Vedel 2017, 6–8). Auch die Affaire des assistants parlementaires im Europäischen Parlament wurde ihr, im Unterschied zu Fillon und den sich um ihn rankenden Skandalen, kaum zum Nachteil.628 Inhaltlich wird der discours mariniste vor allem durch ein Thema dominiert: Frankreich und die Franzosen. Wörter, die auf Frankreich und die Franzosen verweisen, wie France, français, nation, nationalité, pays, sind bei Le Pen stark überrepräsentiert (cf. Abbildung 19), zu den häufigsten Bigrammen zählen la France (3.409 Okkurrenzen pro 1 Mio. Bigramme), les Français (1.485), notre pays (1.276), notre territoire (314). Hervor sticht auch der Schlüsselbegriff compatriotes, der mit dem von Hamon und vor allem von Macron präferierten Terminus concitoyens konkurriert und den Fokus auf das Vaterland, die patrie, legt. Charakteristisch für den discours mariniste ist nicht zuletzt der Begriff peuple(s), der bei Le Pen – ebenso wie bei Mélenchon – überrepräsentiert ist (cf. Abbildung 20). Au nom du peuple und Choisir la France! – deutlicher als mit diesen beiden Slogans, der erste für den ersten Wahlgang, der zweite für den zweiten, hätte sie den zentralen Stellenwert der Thematik nicht machen können. Aufschluss über Le Pens Perspektivierung von Frankreich und den Franzosen bieten verschiedene weitere Schlüsselbegriffe. Dazu zählen die Idee des Nationalen (Schlüsselbegriffe nationale, nationales), Patriotismus (Schlüsselbegriffe patriotisme, patriotes, compatriotes, patrimoine), Identität (Schlüsselbegriffe identité und transmet, z.B. une France qui se transmet) sowie Souveränität und Unabhängigkeit (Schlüsselbegriffe souveraineté und libre, z.B. un pays libre, une France libre, un peuple libre; hohe Frequenz von indépendance nationale/de la Nation). Handelt es sich bei Frankreich und den Franzosen um ein Thema, für das Le Pen eintritt, so spielen daneben zahlreiche weitere Themen eine Rolle, gegen die sie sich ausspricht. Zu diesen gehören: Immigration (Schlüsselbegriffe immigration, étrangers, migrants, communautarisme, frontières), Islamismus und Fundamentalismus (Schlüsselbegriffe islamiste, islamistes, islamisme; fondamentalisme, fondamentalistes; revendications, z.B. in revendications alimentaires/religieuses/ vestimentaires; häufige Bigramme fondamentalisme islamiste und fondamentalis-
Eine mögliche Erklärung bieten Evans/Ivaldi (2018, 110): «A lack of progress in these investigations, an FN electorate steadfastly backing their candidate through ‹establishment plots›, and the much higher profile of the Fillon investigation may have reduced the impact of those affairs on the level of presidential support for Le Pen».
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tes islamistes), Terrorismus (Schlüsselbegriff fichés, immer in fichés S629; hohe Frequenz von terroris✶, attentat✶), Kommunitarismus (Schlüsselbegriff communautarisme), die EU (Schlüsselbegriffe union, européenne) und die Globalisierung (Schlüsselbegriffe mondialisation, mondialistes, mondialisme). All diese Aspekte sind, wie noch gezeigt werden wird, bei Le Pen Gegenstand einer gezielten Feindbildkonstruktion. Ein weiterer wichtiger Themenbereich sind Wirtschaft und Soziales. Dies bezeugen die Schlüsselbegriffe protectionnisme, déloyale (meist in concurrence déloyale bzw. concurrence internationale déloyale), économique, libre (z.B. in libreéchange, libre circulation), monnaie und produits sowie das häufige Trigramm pouvoir d’achat. In diesem Themenfeld zu verorten sind auch die Ausdrücke patriotisme économique und protectionnisme intelligent, zwei Begriffsprägungen Le Pens bzw. des Front National zur Bezeichnung seiner Kernkonzepte im Bereich der Wirtschaftspolitik. Dieses Themenfeld zeugt von der zunehmenden Bedeutung, die dem Bereich Wirtschaft und Soziales im nouveau Front national beigemessen wird, der sich in dieser Hinsicht dem linken politischen Spektrum annähert, dabei aber seine Verwurzelung im rechten Spektrum im Hinblick auf kulturelle und identitäre Fragen keineswegs aufgibt (cf. Ivaldi 2015). Das Konzept, das Le Pen von den Franzosen, von dem französischen Volk entwirft, ist für den discours mariniste von größter Bedeutung, und dies nicht nur in quantitativer Hinsicht. Le Pen stellt das Volk ins Zentrum ihrer Kampagne. Angefangen bei ihrem Slogan Au nom du peuple, mit dem sie eine Formel der französischen Legislative, aber auch der Exekutive aufgreift und ihrem gesamten Wahlkampf damit den Schein eines juristisch valablen Tuns verleiht (cf. Göhring 2019, 14 im Anschluss an Lebsanft 2018, 35–36), über die Forderung nach einer größeren Mitbestimmung des Volkes (Schlüsselbegriff référendum; häufiges Tetragramm référendum d’initiative populaire; Kollokatoren von peuple sind souveraineté und souverain) bis hin zu einer Glorifizierung des Volkes (Bigramm grand peuple, Trigramm vive le peuple) stellt sie all ihr Handeln in den Dienst des Volkes: (181) MLP: Je ne ferai rien, et j’en prends l’engagement, je ne ferai rien SANS le peuple français ou CONTRE lui. Ma campagne, c’est au nom du peuple que je la mène, eh bien, mon quinquennat, c’est au nom du peuple que je le mènerai aussi (TV-Interview, 20.04.2017).
Als fiché S wird eine Person bezeichnet, die einen Eintrag in der Gefährder-Datenbank der französischen Sicherheitsbehörden hat. S steht für sûreté de l’État.
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Dem liegt ein spezifisches Verständnis von Volk zugrunde, das sich in besonderer Weise in dem bei Le Pen so zentralen Begriff peuple kristallisiert, und sich durch ein für rechtsextreme und rechtspopulistische Bewegungen typisches exklusives, ethno-nationalistisches Verständnis auszeichnet. Das Volk definiert sich bei Le Pen über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation (Schlüsselbegriffe français, France, nationale, nationales; signifikante Kollokatoren von peuple sind français, France; häufige Bi- bzw. Trigramme peuple français und peuple de France), aber auch über eine ethnische Zugehörigkeit und ist damit ein exklusives, d.h. sich über die Ausschließung bestimmter Gruppen, zum Beispiel bestimmter ethnischer Gruppen oder auch der Eliten, definierendes Volkskonzept. Die genealogische Ausrichtung des Volkskonzepts wird selten explizit zum Ausdruck gebracht, lässt sie die Partei und ihre Vorsitzende doch als rechtsextrem und ausländerfeindlich erscheinen, klingt aber immer wieder in Formulierungen wie den folgenden an und spiegelt sich auch in der Forderung der Abschaffung des ius soli (182a–b) sowie in der Annahme einer ethnokulturellen Identität des Volkes (182c–d): (182) a. MLP: Moi je veux la suppression du droit du sol. Je pense que la nationalité française s’hérite ou se mérite (TV-Interview, 20.04.2017). b. MLP: Je veux des Français de filiation, ou s’ils veulent rejoindre notre communauté nationale, des Français de désir. Être Français, cela S’HÉRITE (.) ou se MÉRITE (Rede, 17.04.2017). c. MLP: Identité culturelle, économique, institutionnelle, sociale, (.) c’est tout cela (.) qui fait l’âme d’un peuple, de NOTRE peuple. Et de TOUT le peuple (Rede, 26.03.2017). d. MLP: Un peuple qui oublie son histoire et sa culture (.) est un peuple en PERdition (Rede, 26.03.2017). Teilweise wird diese Fundierung des Volkskonzepts auf dem ethnos auch gezielt dissimuliert, wie etwa in Beispiel (183), aus dem vordergründig eine offene, tolerante Haltung spricht, hinter der sich jedoch «[d]es sous-entendus xénophobes» (Alduy 2017, 159) verbergen, die sich erst auf der Grundlage des Wissens um das oben erläuterte Volkskonzept, auf das hier mit dem Terminus Français referiert wird, erschließen lassen: (183) MLP: Chers compatriotes d’origine étrangère qui AIMEZ la France, […] moi je ne vous considérerai que comme FRANÇAIS, intégralement, totalement Français! (16,0) Nous ne regarderons pas votre origine, ni votre couleur de peau,
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ni votre religion. Vous serez des citoyens français avec les MÊMES droits et les MÊMES devoirs que N’IMPORTE quel citoyen français (Rede, 17.04.2017). Dieses Beispiel illustriert, was Alduy/Wahnich (2015, 83) als eine der zentralen rhetorischen Strategien Le Pens und des nouveau discours frontiste bestimmt haben, den sogenannten «double discours»: Einzelne Ausdrücke oder ganze Äußerungen lassen zwei oder mehr Lesarten zu, eine der ursprünglichen ideologischen Ausrichtung des FN verhaftete, in der sich die entsprechende Kernwählerschaft wiederfindet, und eine offen demokratisch-konservative für die erstrebte neue Wählerschaft.630 Die zentrale Rolle des Volkes, die Le Pens Kampagne wesentlich prägt, reflektiert zudem den sie und ihre Partei charakterisierenden Populismus. Zu dem häufigen Rekurs auf das Volk kommt eine ausgeprägte Elitenfeindlichkeit hinzu (cf. infra), womit Le Pen, wie Mélenchon, beide zentralen Wesensmerkmale von Populismus erfüllt (cf. auch Abbildung 20). Mit ihrem exklusiven, ethno-nationalistischen Volkskonzept ist Le Pen eine typische Vertreterin des Rechtspopulismus, der auch ihre gesamte Partei, den FN, «the prototypical populist radical right party» (Mudde/Rovira Kaltwasser 2017, 34; meine Hervorhebung), charakterisiert,631 ganz im Gegenteil zu Mélenchon, der mit seinem inklusiven Volkskonzept als Vertreter des Linkspopulismus gelten kann (cf. Kapitel 6.3.1) (für eine vergleichende Gegenüberstellung cf. Ivaldi 2019b). Rhetorisch zeichnet sich der discours mariniste neben Strategien wie dem double discours durch eine besondere Polemizität und Aggressivität aus. Übertreibung und Hyperbolisierung (Schlüsselbegriff même, häufiges Tetragramm de plus en plus; 184a–b), die unter anderem dem Schüren von Ängsten dienen (cf. infra), martèlement und répétition (Schlüsselbegriff encore; häufige Tribzw. Tetragramme encore une fois und je l’ai dit), Verallgemeinerungen und Simplifizierungen (Schlüsselbegriff intégralité), mit denen alles über einen Kamm geschoren wird (z.B. l’intégralité des médias français, l’intégralité de nos dirigeants politiques), das sprunghafte Heranziehen von Beispielen (Schlüsselbegriffe occurrence – ausschließlich in en l’occurrence – und ailleurs – in gut
Vergleichbare «retournements sémantiques» (Alduy 2017, 157–160) wie hier im Fall von Français unternimmt Le Pen, gerade auch im Wahlkampf 2017, bei zahlreichen weiteren Begriffen, wie laïcité, droits des femmes, la France apaisée etc. Schon unter Jean-Marie Le Pen galt der FN als typisch rechtsextreme und rechtspopulistische Partei (cf. Decker 2000/2004, 53–67). Diese Ausrichtung blieb unter Marine Le Pen, aller «Dediabolisierung» zum Trotz, im Kern unverändert (cf. Ivaldi 2016a; Kauffmann 2016) und setzte sich auch nach der Wahl von 2017 und den mit dieser einhergehenden Verschiebungen in der Parteienlandschaft fort (cf. Surel 2019).
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90% der Okkurrenzen in d’ailleurs) sowie der Gebrauch einer Vielzahl verstärkender Modifikatoren (clairement, inlassablement, objectivement, simplement, vraiment, quand même, tout de même, avec gravité), häufig auch in Kombination miteinander (184c), machen die besondere Tonalität des discours mariniste aus. (184) a. MLP: Les institutions, j’y suis mille fois plus attachée que les représentants du système (Rede, 26.03.2017). b. MLP: Je vous l’ai déjà dit cent fois (Rede, 05.02.2017). c. MLP: J’ai j’ai vraiment objectivement beaucoup de mal à supporter (.) la multiplication des humiliations que subit notre pays euh euh notamment, il faut bien le dire, de la part de madame Merkel (TV-Interview, 20.04.2017). Im Hinblick auf die Selbstbildkonstruktion Marine Le Pens stechen drei Aspekte hervor. In erster Linie fällt auf, dass Le Pen die Partei zugunsten ihrer eigenen Person vollkommen in den Hintergrund drängt. Diese extreme Personalisierung der Kampagne gipfelt im völligen Verschwinden des Parteinamens zugunsten ihres eigenen (Vor-)Namens Marine (der Nachname hätte offenkundig zu starke Assoziationen mit ihrem Vater geweckt). Wahlprogramm und professions de foi tragen den Schriftzug «Marine Présidente», das Logo des Wahlkampfs, die blaue Rose, ersetzt die Flamme des FN, bei Meetings werden Merchandise-Produkte mit dem neuen Logo und/oder der Aufschrift «Marine» verbreitet, das Publikum skandiert «Marine! Marine!». Der Front National hingegen wird aus der Wahlkampfkommunikation gänzlich verbannt.632 Das Bild der Partei wird mit einem neuen Image überschrieben, das dem alten diametral entgegengesetzt ist: Hier der militärisch konnotierte Name Front national,633 dort der an marineblau und das Meer denken lassende Name Marine;634 hier das kämpferische Flammen-Logo, das der FN einst vom neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) übernommen hatte, dort eine zierliche Rose, die symbolisieren soll: «l’impossible devient possible» (MLP, Rede, 05.02.2017). Die «marinization» (Ivaldi/Lanzone 2016) macht das alte Bild der Partei und jegliche Assoziation mit der Vergangenheit der Partei oder ihrem Vater vergessen und schreibt damit die Strategie der Dediabolisierung fort. Das gesamte Teilkorpus liefert keinen einzigen Treffer für front, front national, FN, frontiste✶ oder auch nur parti. Marine Le Pen selbst ist, wie sie im Zuge der Namensänderung der Partei mitteilt, der Ansicht, dass die Bezeichnung Front eine «connotation ‹un peu militaire›» habe (cf. CNews 2018). Offenkundig wird die Assoziation im Namen des 2012 gegründeten und 2017 aufgelösten Wahlbündnisses Rassemblement bleu Marine. Auch ist Blau 2017 die Farbe des Logos, der blauen Rose, und die dominierende Farbe der visuellen Wahlkampfkommunikation insgesamt. Auch das Meer wird visuell in Szene gesetzt.
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Zweitens zeichnet sich Le Pens Selbstbildkonstruktion durch eine Verortung in der Mitte des politischen Spektrums, im Lager der ‘Patrioten’ aus. Dadurch wirkt sie der Verortung, die andere von ihr vornehmen – nämlich als rechtsextrem –, explizit entgegen (185a) und schafft mit der Selbstbezeichnung patriotes ein neues politisches Lager (185b). Diesem stellt sie das der mondialistes entgegen, eine Fremdbezeichnung, unter der sie all ihre Gegner und deren Anhänger subsumiert (cf. ausführlicher infra) (185c). (185) a. MLP: Ma position n’est pas extrême, mais centrale, courageuse, et en réalité la seule possible (Rede, 17.04.2017). b. MLP: Dans cette élection présidentielle, nous représentons le camp des patriotes. Ce qui nous anime n’est pas l’amour de l’argent ou des intérêts particuliers, mais le souci de la PATRIE. […] Nous engageons (.) TOUS les patriotes de droite et de gauche à nous rejoindre (Rede, 05.02.2017). c. MLP: L’ancien débat droite-gauche a vécu. […] Ce clivage n’oppose plus la droite et la gauche, mais les patriotes aux mondialistes (Rede, 05.02.2017). Die lexikalische Gegenüberstellung von patriotes und mondialistes reflektiert eine neue, das Rechts-Links-Schema überschreibende gesellschaftliche Konfliktlinie, die Le Pen zu konstruieren sucht, die von anderen aber nicht anerkannt wird. So macht etwa Macron ihr den Begriff der patriotes streitig und bezeichnet sie im Gegenzug als nationalistes; zudem propagiert er als neue Konfliktlinie die der progressistes vs. conservateurs (cf. Kapitel 6.3.3). Der Kampf um Begriffe wird hier zum zentralen Element im Kampf um Deutungshoheit im Zusammenhang mit der Selbst- und Fremdbildkonstruktion. Eine zentrale Rolle bei Le Pens Selbstbildkonstruktion spielt drittens das Opfer-Täter-Retter-Schema. Zum einen inszeniert sie sich selbst als Opfer, zum Beispiel indem sie in Bezug auf die Affaire vorgibt, politisch verfolgt zu sein (186a);635 auf diese Weise erregt sie nicht nur Aufmerksamkeit für ihr angebliches Leiden, sondern schreibt auch anderen eine unrechtmäßige Täterrolle zu. Zum anderen stellt Le Pen all die, für die sie zu sprechen vorgibt, das französische Volk, als Opfer dar (häufiger Vorwurf der culpabilisation des Français; Schlüsselbegriff dépossédés) (186b). Auch hier schreibt sie den anderen die Täterrolle zu, wohingegen sie selbst die Rolle des Retters einnimmt und die Franzosen von dem angeblichen Unrecht zu befreien vorgibt (186c).
Eine andere Form der Darstellung als Opfer betrifft ein angeblich unrechtmäßiges Verhalten ihr gegenüber in bestimmten Kommunikationssituationen, zum Beispiel durch Strategien wie das doing being interrupted (cf. Kapitel 6.2.9) oder die Bezeichnung des TV-Duells als Verhör (cf. Kapitel 6.4.4).
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(186) a. MLP: […] je suis persécutée politiquement (TV-Duell, 04.04.2017). b. MLP: […] l’ensemble des responsables politiques depuis des années cherche toujours à culpabiliser les Français (TV-Duell, 20.03.2017). c. MLP: […] je rendrai la parole au peuple. Parce qu’en démocratie SEUL le peuple a raison et personne n’a raison contre lui (Rede, 05.02.2017). Eine wichtige Rolle bei Le Pen spielt auch der Kampf um die Wahrheit. Le Pen nimmt häufig die Wahrheit für sich in Anspruch; vérité und vrai(e)(s) sind besonders frequent, réalité (häufig in en réalité und la réalité (c’) est que) ist Schlüsselbegriff. Le Pen sagt oft explizit von sich, dass sie die Wahrheit sage (187a–c), und spricht anderen die Wahrheit ab, indem sie deren Aussagen als falsch darstellt, häufig in Verbindung mit der Äußerung von Dissens (188a–c). (187) a. MLP: Moi je continuerai INlassablement à leur [= les représentants du système; meine Anm.] dire la vérité sur TOUS les sujets qu’évitent soigneusement mes adversaires (Rede, 17.04.2017). b. MLP [zu PUB]: Je suis obligée de vous dire un certain nombre de vérités (Rede, 17.04.2017). c. MLP: Manifestement il y en a qui ont du mal à entendre la vérité. […] Parce que la vérité, mes chers amis, est la suivante […] (Rede, 17.04.2017). (188) a. MLP [zu LS]: D’abord, ceci est faux (TV-Interview, 20.04.2017) b. MLP [zu DP]: Monsieur Pujadas, je suis encore obligée de contester votre analyse, voilà […]. Tout cela est faux (TV-Interview, 20.04.2017). c. MLP [zu DP]: Non, elles [= les frontières nationales; meine Anm.] ne sont pas rétablies, monsieur Pujadas. Non, monsieur Pujadas, elles ne sont pas rétablies. Ce n’est pas vrai (TV-Interview, 20.04.2017). Alleinstellungsmerkmal Le Pens ist, dass sie mehr über andere spricht als über sich selbst und ihr eigenes Projekt; dass sie häufiger sagt, wogegen sie ist, denn wofür sie ist. Was ihr häufig von anderen vorgeworfen wird – (189) a. EM [zu MLP]: Ce qui est extraordinaire c’est que vous ne répondez en fait jamais aux questions. Vous parlez toujours du passé (.) et des autres. Mais c’est très bien, les Français comprendront que vous n’avez RIEN à proposer (TV-Duell, 03.05.2017).
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
517
b. EM [zu MLP]: Mais (.) parlez de votre projet, ne dites pas de bêtises sur le mien (TV-Duell, 03.05.2017). c. EM: Madame Le Pen a utilisé sa conclusion tout entière (.) pour dire des mensonges sur mon projet sans jamais dire ce qu’elle voulait pour le pays (TV-Duell, 03.05.2017). –, bestätigten auch die Zahlen. Le Pen ist die Person, bei der die Präposition contre am stärksten überrepräsentiert und die Präposition pour am stärksten unterrepräsentiert ist (cf. Abbildung 26); sie ist die einzige, bei der die Fremdbildkonstruktion (7%) gegenüber der Selbstbildkonstruktion (5%) überwiegt; ihre Schlüsselwortliste ist die einzige, die den Ausdruck monsieur (mit einer LLR von 125,17 der Ausdruck mit der zweithöchsten keyness), Patronyme – Fillon und Macron – und im Bereich der Personaldeixis einzig die Pronomina leur, ils und eux enthält – ausnahmslos Termini zur Referenz auf andere. Dies gilt auch für politische Inhalte: Kritik an der Union européenne (1.150 Okkurrenzen) äußert sie vielfach, ihre Vorstellung einer Europe des peuples (21 Okkurrenzen) präzisiert sie kaum.636 Sie fordert «[de] mettre fin à» (147), «[de] rompre avec» (105), sagt, was sie nicht (mehr) duldet («nous ne laisserons pas/plus», 293), sagt aber selten, was sie selbst tun wird. 10 5 0 JLM
BH
EM
FF
MLP
–5 –10 –15
pour
contre
Abbildung 26: Signifikanz der Präpositionen pour und contre bei verschiedenen Akteuren.
Die großen Erfolge des FN bei Europawahlen sind daher wohl weniger auf seine eigene Vorstellung von Europa zurückzuführen, die er, auch wenn ihr insgesamt wenig Raum geschenkt wird, durchaus entwickelt (cf. Göhring 2016; 2018), sondern wohl vielmehr auf die fundamentale Infragestellung bzw. Kritik an der EU (cf. Reungoat 2015; Ivaldi 2016b; Auboussier 2019), mit der er viele Euroskeptiker und Eurokritiker zu gewinnen vermag.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Diese Positionierung gegen verschiedene Sachverhalte und Akteure, die Äußerung einer ablehnenden Haltung, spiegelt sich auch in der extremen Form, die negative Wertungen, Angriffe sowie abwertende Fremd- und sogar Feindbildkonstruktionen annehmen. Von der stark ausgeprägten negativen Wertung zeugen unter anderem die Schlüsselbegriffe laisser, z.B. in laisser-aller, laisser-faire, laisser-passer, mit denen Le Pen den Laxismus der EU kritisiert, sauvage (in 85% der Fälle in mondialisation sauvage) und soumission, Ausdrücke wie immigration massive (230 Okkurrenzen), submersion (migratoire) (84) und vague migratoire (21), wobei die Flüchtlingskrise durch die Metaphern (submersion, vague) als tödliche Gefahr für Frankreich dargestellt wird, das häufige Tetragramm n en peuvent plus (les Français n’en peuvent plus) und Neologismen wie libre-échangisme und sans-frontiérisme. Diese stark negativen Wertungen beziehen sich auf die unterschiedlichsten Sachverhalte und können auch verstärkend auf Angriffe und die Konstruktion abwertender Fremd- und Feindbilder wirken. Le Pen ist die Kandidatin, die mit Abstand die meisten Angriffe lanciert. 7% der agonalen Diskurshandlungen entfallen bei ihr auf den Angriff, während der Durchschnitt bei 3,2% liegt. Vor allem aber sind ihre Angriffe häufig von äußerster Offensivität und Expressivität geprägt. Sie reichen von Unterstellungen über Beleidigungen bis hin zu Drohungen. Exemplarisch sei hier nur ein Bespiel angeführt (für weitere Beispiele cf. Kapitel 6.2.7): (190) MLP: Monsieur Mélenchon, en bon communiste, est immigrationniste par internationalisme. (4,0) En étant ainsi d’ailleurs un idiot utile du capitalisme international le plus sauvage, mais bon. (6,0) En adorant l’immigration massive, il est en fait le meilleur ami du CAC 40 et du Medef […] (Rede, 17.04.2017). Neben solch direkten Angriffen zeichnet sich Le Pen auch durch indirekte Angriffe aus. Diese beruhen zum Beispiel auf Anspielungen, Präsuppositionen, Implikaturen oder Implikationen und stehen ganz im Zeichen der Strategie des double discours. So sind zum Beispiel die Aussagen in (191a–c) vordergründig Appelle bzw. Bekundungen einer Handlungsabsicht, dahinter aber steht jeweils ein Vorwurf, da das Verb rendre impliziert, dass jemand (wer wird nicht präzisiert) jemandem (uns/Frankreich/ dem Volk) etwas (die Unabhängigkeit/die Integrität/das Wort) weggenommen habe. (191) a. MLP: Rendez-nous la France! (Rede, 17.04.2017). b. MLP: […] je rendrai à la France son indépendance et son intégrité nationale (Rede, 16.03.2017). c. MLP: […] je rendrai la parole au peuple (Rede, 05.02.2017).
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
519
Le Pens Angriffe haben verschiedene Akteure zum Gegenstand. An erster Stelle stehen politische Gegner. Dazu zählen zum einen die Gegenkandidaten im Wahlkampf, wobei Fillon und Macron ihrer Hauptgegner zu sein scheinen. Nicht nur sind beide Namen Schlüsselbegriffe bei Le Pen, sondern sie bezeichnet sie auch selbst als «mes deux principaux adversaires» (MLP, Rede, 26.03.2017). Zum anderen greift sie häufig, wie auch Mélenchon und, deutlich seltener, Hamon, die Gesamtheit der politisch Verantwortlichen an, die sie alle über einen Kamm schert (l’intégralité de nos dirigeants politiques, l’ensemble de nos élites; l’élite, la caste, l’oligarchie). Darüber hinaus richten sich ihre Angriffe gegen Journalisten und die Medien, ein Angriffsziel, das sie mit Fillon und teilweise auch Mélenchon teilt. Zu guter Letzt zeichnet sich Le Pen, wie alle anderen Kandidaten mit Ausnahme Hamons, bei dem système sogar negativer Schlüsselbegriff ist, durch eine ausgeprägte Systemkritik aus: (192) MLP: Mais qui pourrait se satisfaire de ne rien faire? Devant un système qui nous enchaîne, qui ne fonctionne pas, et pire, dont les dysfonctionnements nous ruinent (Rede, 05.02.2017). Le Pens Angriffe haben unter anderem die Funktion, abwertende Fremdbilder zu konstruieren und damit diejenigen, die Gegenstand der Fremdbildkonstruktion sind, zu delegitimieren. Teilweise geht sie dabei über die Konstruktion abwertender Fremdbilder hinaus und konstruiert regelrechte Feindbilder, bei denen der andere als Gefahr, als Bedrohung dargestellt wird, die einem selbst schade und gegen die man kämpfen müsse. Zu Le Pens Feindbildern zählt zum Beispiel die EU, die Frankreichs Souveränität beschneide (signifikante Kollokatoren von union européenne sind interdit, interdites, imposée) und aus der sie plant, auszutreten (Kollokator sortie). Ein weiteres Fremdbild sind die Eliten, 2000 1500 1000 500 0 JLM terroris*
BH fondamentalis*
EM totalitaris*
FF attentat*
MLP Summe
Abbildung 27: Relative Häufigkeit von Ausdrücken aus dem Themenbereich Terrorismus bei verschiedenen Akteuren.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
die sie verurteilt (stigmatisierende Fremdbezeichnungen élites, caste, oligarchie; Kollokatoren von élites sind prétendues, pseudos, failli, condescendance), da sie das Volk unterdrückten. Ein weiteres Feindbild bezieht sich auf eine ganze Reihe von Sachverhalten und Akteuren, die bei Le Pen als untrennbar miteinander verbunden erscheinen: Islam, Islamismus/Islamisten, Fundamentalismus/Fundamentalisten, Terrorismus/Terroristen und Kommunitarismus. Dieser Themenkomplex spielt, wie die Häufigkeit entsprechender Termini eindrücklich vor Augen führt, bei Le Pen mit Abstand die größte Rolle, verwendet sie entsprechende Begriffe in der Summe mehr als doppelt so oft wie jeder andere (cf. Abbildung 27). Diese Sachverhalte werden im discours mariniste vollständig amalgamiert und als Feind konzeptualisiert. Le Pen stellt einen direkten, kausalen Zusammenhang zwischen Immigration und Kriminalität, Kommunitarismus, Islamismus und Terrorismus her und stellt all das als direkte körperliche Bedrohung und Gefahr für die Identität und kulturelle Einheit des Volkes dar. (193) MLP: Parce que la vérité, mes chers amis, est la suivante. Derrière l’immigration massive, il y a (.) des coûts et un affaissement social. Derrière l’immigration massive, il y a le communautarisme. Derrière l’immigration massive, il y a la délinquance. Derrière l’immigration massive, il y a l’islamisme. Derrière l’immigration massive, il y a le terrorisme. (.) Il y a le désagrément immédiat, il y a la menace immédiate, il y a la transformation de notre pays que vous voyez, et puis (.) il y a la menace sur la durée, la remise en cause de nos valeurs, de notre modèle de civilisation, de nos mœurs, de nos paysages, de nos traditions, en clair: la remise en cause de notre identité en tant que peuple (Rede, 17.04.2017). Die Amalgamierung dieser Sachverhalte, die auch eine Kollokatorenanalyse bezeugt – zu den signifikantesten Kollokatoren von islamis✶ zählen fondamentalisme, fondamentalistes, terrorisme, contre, totalitaire, étrangers, agresse, radical, organismes, montée, expulser –, fußt auf einer Politisierung des Islam, durch die Islamophobie befeuert wird (cf. Benveniste/Pingaud 2016) und in deren Namen Laizität (cf. Nilsson 2019) und der Kampf für Frauenrechte (cf. Alduy 2017, 149–153)637 instrumentalisiert werden: «Le Pen’s 2017 campaign relied heavily on the politicization of Islam, amalgamating socalled communitarist claims by French Muslims with the growth of religious fundamentalism and, ultimately, with the terrorist threat. Central to the campaign was the new ‹civic›
«Le féminisme version frontiste est en effet quasi exclusivement une arme rhétorique contre l’immigration et l’islam, deux termes d’ailleurs interchangeables» (Alduy 2017, 151).
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
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repertoire of secularism and Republican values, which she had brought to FN identity politics after her accession in 2011, whereby Muslims are instrumentalized as a threat to liberal democratic values and to France’s most cherished principle of laicity (laïcité)» (Evans/Ivaldi 2018, 181).
Dieses höchst komplexe Feindbild zieht ein weiteres Feindbild nach sich, die Ausländer (étrangers). Le Pen bringt diese unmittelbar mit Kriminalität, Gewalt und religiösem Fundamentalismus in Verbindung (signifikante Kollokatoren von étrangers sind délinquants, fiché(s) – letzterer immer in fiché(s) S –, islamistes, purgent und fondamentalisme) und betrachtet diese als Gefahr für die Integrität des Volkes (193). Teilweise wird die Ausländerfeindlichkeit dabei nicht einmal mehr dissimuliert, sondern kommt offen zum Ausdruck: (194) MLP: Parce qu’enfin, mes amis, (..) la situation (..) la situation est trop grave. Chaque jour ce sont des centaines d’étrangers supplémentaires qui entrent chez nous, pour s’y installer, (.) pour vivre chez nous avec l’intention de vivre comme chez eux. On ne peut plus laisser faire. Pour beaucoup de Français, l’immigration massive est une oppression. L’immigration massive n’est pas une CHANCE pour la France, c’est un DRAME pour la France (Rede, 17.04.2017). Zusammengefasst werden all diese Feindbilder in einem Begriff, dem mondialisme. Mondialisme ist im discours mariniste die Bezeichnung einer Ideologie, mondialistes die ihrer Vertreter. Damit gemeint sind, wie Le Pen in ihrer Rede am 05.02.2017 ausführt, zwei Gruppen von Ideologien bzw. Akteuren: «le mondialisme financier et affairiste, dont l’Union européenne, la finance et l’essentiel d’une classe politique domestiquée sont les serviteurs zélés», auf der einen Seite und «le mondialisme djihadiste» auf der anderen. Während erstgenannter schon länger bestehe und Gegenstand ihres Kampfs ist, sei letzterer erst in jüngerer Zeit entstanden. Zur Bezeichnung dieses neuen Phänomens prägt Le Pen den Terminus fondamentalisme islamiste (502 Okkurrenzen; hinzu kommen 230 Okkurrenzen des Derivats fondamentalistes islamistes), dem Pendant zu Fillons Begriff des totalitarisme islamique, durch den der Sachverhalt auf eine bestimmte Weise perspektiviert und fixiert wird. Mit der ausgeprägten Feindbildkonstruktion geht das Schüren von Angst und Hass einher. «La candidate de la haine assumée» (BH, Rede, 19.03.2017), «la grande prêtresse de la peur» (EM, TV-Duell, 03.05.2017) wird Le Pen von ihren Gegenkandidaten genannt, und dies nicht ohne Grund. Le Pen ist die Kandidatin, bei der das Schüren von Angst und Hass und damit das Verbreiten negativer Emotionen (AGONALITÄT DER NEGATIVEN EMOTIONEN) die größte Rolle spielt. Sie konkurriert in dieser Hinsicht am stärksten mit Hamon und dessen Vision eines futur désirable; am nächsten steht ihr in dieser Hinsicht Fillon, bei dem Negativdarstel-
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
lungen (v.a. in Bezug auf Wirtschaft und Finanzen, z.B. Staatsverschuldung) ebenfalls relativ großen Raum einnehmen. Le Pen schürt Angst und Hass, indem sie Feindbilder konstruiert und diese als Bedrohung und Gefahr darstellt (193) oder indem sie negative Szenarien beschreibt (195a); übertriebene Darstellungen bewirken eine zusätzliche Dramatisierung und Verstärkung der negativen Emotionen (195b). Auch mit dem alleinigen Aufruf, keine Angst zu haben (195c), werden bereits Ängste geschürt, da dies präsupponiert, dass die Menschen Angst haben, und suggeriert, dass es auch einen Grund gebe, Angst zu haben. (195) a. MLP: Tous les jours, je rencontre des Français (.) qui décrivent ce qu’ils ont sous les yeux. L’usine qui déménage, le porte-monnaie qui se vide, le village qui meurt, les migrants qui arrivent, la mosquée-cathédrale qui s’installe (Rede, 26.03.2017). b. MLP: La France est une université des djihadistes (TV-Duell, 04.04.2017). c. MLP: Alors, je vous le dis: n’ayez pas peur, n’ayez plus peur d’être Français! (Rede, 17.04.2017). Ein weiterer Aspekt, durch den sich Le Pen auszeichnet und der ebenfalls häufig in Verbindung mit der Feindbildkonstruktion auftritt, ist die polarisierende, manichäische Gegenüberstellung von Sachverhalten. Diese betrifft verschiedene Sachverhalte. Besonders charakteristisch für den discours mariniste ist die Gegenüberstellung WIR vs. DIE ANDEREN, die sich in die typisch populistische Strategie des Othering einschreibt (cf. Lazaridis/Campani/Benveniste 2016). Diese findet sich zum Beispiel in Bezug auf Le Pen und ihre Anhänger (WIR) und den Rest (DIE ANDEREN) (196) oder auch in Bezug auf die Franzosen (WIR) und die Ausländer (DIE ANDEREN) (197 und 198). (196) MLP: Dans cette élection, mes chers amis, il y a les gens du système (.) et nous (Rede, 26.03.2017). Emblematisch für die Gegenüberstellung Franzosen vs. Ausländer stehen die Ausdrücke chez nous (335 Okkurrenzen) und chez eux (230 Okkurrenzen) (chez ist Schlüsselbegriff bei Le Pen). «On est chez nous!» skandieren Le Pens Anhänger auf Meetings, einen Ruf, den Le Pen wie folgt kommentiert: (197) MLP: Cet appel, mes amis, est un message du cœur, […] qui veut dire que la France est NÔTRE, et que nous sommes RESponsables TOUS de NOTRE chez nous. […] Cet appel que VOUS lancez (.) exprime aussi cette angoisse légitime qui nous étreint (.) de ne plus être, en effet, tout à fait chez nous en France (Rede, 17.04.2017).
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
523
In scharfem Kontrast dazu stehen Aussagen wie: (198) MLP: Ceux qui sont venus en France, […] s’ils voulaient vivre comme chez eux, il leur suffisait de rester chez eux (Rede, 05.02.2017). Weitere charakteristische Gegenüberstellungen sind zum Beispiel Frankreich vs. EU, patriotes vs. mondialistes und die typisch populistische Gegenüberstellung Volk vs. Eliten. Insgesamt ist festzuhalten, dass Le Pens Sprachgebrauch nicht nur in besonderem Maße von Agonalität geprägt ist, sondern sich in großen Teilen bereits jenseits des Agonalen hin zu einer antagonistischen Logik bewegt. Sie belässt es nicht bei der Konstruktion abwertender Fremdbilder, sondern konstruiert regelrechte Feindbilder; Angriffe und negative Wertungen nehmen extreme Formen an; die Gegenüberstellungen sind polarisierend und manichäisch. Wer es als «premier acte politique» betrachtet, «de désigner l’adversaire» (199a), dessen Sprechen, Denken und Handeln scheint in grundlegender Weise von einer antagonistischen Logik geprägt zu sein. Den anderen, den adversaire – Schlüsselbegriff bei Le Pen; von den anderen Kandidaten systematisch gemiedener und teilweise sogar explizit abgelehnter Terminus (cf. Kapitel 6.2.3) – betrachtet sie nicht als legitimen Konkurrenten, sondern als zu besiegenden Gegner. Le Pens primäres Ziel ist es nicht, selbst zu siegen, nicht einmal den anderen zu besiegen, sondern ihn erst gar nicht kämpfen zu lassen (199b). (199) a. MLP: Nous avons, mes chers amis, rempli notre premier acte politique, qui est de désigner l’adversaire (Rede, 05.02.2017). b. MLP: Nous le savons, la subversion est l’art de dissuader ses adversaires de combattre (Rede, 05.02.2017).
6.3.6 Zwischenfazit In diesem Kapitel wurden die fünf Spitzenkandidaten im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 im Hinblick auf akteursbedingte Spezifika von Agonalität untersucht. Die Untersuchung sprachlicher Mittel und Verfahren der Agonalität sowie ausgewählter außersprachlicher Faktoren erfolgte vor dem Hintergrund der übergeordneten Fragestellung, inwiefern es den Akteuren gelungen ist, ihre Perspektive im Diskurs dominant zu setzen, sprich eine große Hör- bzw. Sichtbarkeit zu erlangen. Die Analyseergebnisse haben gezeigt, dass alle Akteure sprachliche Mittel und Verfahren der Agonalität verwenden, jedoch in unterschiedlichem
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Maß und in unterschiedlicher Ausprägung. Damit konnte die grundlegende Annahme, dass es akteursbedingte Spezifika von Agonalität gibt, d.h., dass Agonalität in Abhängigkeit vom Kriterium des Akteurs bzw. Sprechers unterschiedliche Ausprägungen erfährt, bestätigt werden. Darüber hinaus konnten vielfältige Charakteristika jedes einzelnen Akteurs im Hinblick auf Agonalität herausgearbeitet und für jeden Akteur ein individuelles agonales Profil erstellt werden. Ohne die einzelnen Ergebnisse an dieser Stelle im Detail zu wiederholen, soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, auf der Grundlage der Analyseergebnisse verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen, die Aufschluss darüber geben, welche Faktoren für die Herausbildung und Erklärung akteursbedingter Spezifika von Agonalität ausschlaggebend sind. Die folgende Auflistung erhebt weder Anspruch auf Vollständigkeit, noch sind die einzelnen Faktoren als hinreichende oder notwendige Kriterien zu verstehen. 1. Ein wichtiger Faktor betrifft die verschiedenen Rollen, die ein Akteur zeitgleich oder auch zeitversetzt einnehmen kann. So sind alle hier untersuchten Akteuren Präsidentschaftskandidaten (Diskursrolle), was ihnen per se eine gewisse Hörbzw. Sichtbarkeit verleiht. Demgegenüber gehören sie unterschiedlichen Parteien an bzw. werden durch unterschiedliche Parteien und Bewegungen gestützt (Positionsrolle), was ihnen auf unterschiedliche Weise favorabel oder defavorabel ist (oder auch beides zugleich) und von den Kandidaten unterschiedlich genutzt wird. Ebenfalls relevant ist die Frage, ob sie sortant oder challenger sind (Positionsrolle), da sie entsprechend eine bestimmte Regierungsbilanz zu verantworten haben oder frei von dieser Last sind. Je nach Akteur fallen zudem weitere Aspekte unterschiedlich stark ins Gewicht, zum Beispiel die langjährige Berufserfahrung als Politiker im Fall von Fillon (Positionsrolle), das Geschlecht (Statusrolle) und die Familie (Positionsrolle) im Fall von Le Pen oder die Herkunft im Fall von Hamon (Statusrolle). 2. Ein weiterer Faktor besteht in der Nutzung von Medien.638 Sowohl das Ausmaß als auch die Art und Weise der Mediennutzung hat einen Einfluss auf die Hörbzw. Sichtbarkeit des Kandidaten, wie am Beispiel der YouTube-Kommunikation Mélenchons deutlich wurde. Eine wichtige Rolle spielt hier u.a. die Nutzung von Social Media, aber auch der Einsatz innovativer Medientechniken und -formate,
Cf. auch Klein (2014c, 371): «Auf der Ebene der Makroformen bedeutet der Kampf um verbale Kommunikationsressourcen, in den relevanten Medien und Textsorten mindestens so präsent zu sein wie die politische Konkurrenz. Das betrifft politische Programme ebenso wie Inszenierungen symbolischer Politik und reicht im Wahlkampf von T-Shirt-Aufschriften bis zur Nutzung des Internet (E-Mails, Websites)».
6.3 Akteursbedingte Spezifika von Agonalität
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wie die Hologrammtechnik im Fall von Mélenchon oder der Einsatz von Big Data, kann sich positiv auf die voice eines Kandidaten auswirken. 3. Neben der Nutzung von Medien durch den Kandidaten selbst ist auch die Berichterstattung über den Kandidaten in den Medien ein wichtiger Faktor.639 Entscheidend ist hier zum einen die Frage des Umfangs – wird mehr über einen Kandidaten berichtet, vergrößert dies seine Hör- bzw. Sichtbarkeit –, zum anderen aber auch die Frage des Inhalts: Ist die Berichterstattung negativ, vergrößert sie zwar die voice des Kandidaten, ist ihm aber dennoch von Nachteil. 4. Auch auf Seiten der Rezipienten gibt es verschiedene Indizien, die Aufschluss darüber geben, welche Hör- bzw. Sichtbarkeit einem Akteur zukommt. Dazu zählen z.B. die Reaktionen des Publikums bei einer Rede (Beifall,640 Buhrufe etc.), Reaktionen in den Social Media (Tweets, Retweets etc.), Umfragewerte und Wahlergebnisse. 5. Ein besonders gewichtiger Faktor im Bereich des Sprachgebrauchs ist die Lexik. Die Frage, welche Begriffe ein Akteur verwendet und wie er diese konzeptualisiert, ist entscheidend, um den Rezipienten eine bestimmte – seine – Perspektivierung der Wirklichkeit zu vermitteln. Entsprechend ist auch die Analyse von Begriffen und ihrer Konzeptualisierung zentral, um akteursgebundene Perspektivierungen der Wirklichkeit zu erschließen; auf diese Weise lassen sich konkurrierende Perspektivierungen der Wirklichkeit ermitteln, wie am Beispiel der unterschiedlichen Konzeptualisierungen von Frankreich und den Franzosen deutlich wurde. 6. Im Zusammenhang mit der Lexik sticht ein spezifischer Aspekt besonders hervor, der der semantischen Kämpfe. In agonalen Diskursen geht es nicht nur darum, eigene Begriffe zu prägen, sondern insbesondere auch darum, anderen deren Begriffe streitig zu machen, sie zu besetzen, sie umzudeuten oder umzuwerten. Diese semantischen Kämpfe sind ein zentrales Mittel im Kampf um die Diskurs- und Deutungshoheit. Dies zeigte sich zum Beispiel im Fall von patriotes als Bezeichnung Le Pens oder Macrons (Bedeutungskonkurrenz), im Fall von patriotes und nationalistes zur Bezeichnung Le Pens (Bezeichnungskonkurrenz) oder im Fall der – konkurrierenden – Begriffe fondamentalisme islamiste bei Le Pen und totalitarisme islamique bei Fillon (Sachverhaltsfixierung).
Nicht umsonst unterliegt die Berichterstattung in den audiovisuellen Medien im französischen Wahlkampf einer strengen Regulierung, deren Einhaltung durch den Conseil Supérieur de l’Audiovisuel überwacht wird (cf. Conseil supérieur de l’audiovisuel 2019). Dazu zählt auch die Bemessung der Redezeit der Kandidaten. Dieser kann zum Beispiel mithilfe eines Applausometers gemessen und dadurch quantifiziert und vergleichbar gemacht werden.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
7. Die unter 5 und 6 genannten Faktoren beziehen sich auf Agonalitätsindikatoren, deren agonales Potenzial sich ausschließlich aus dem konkreten Verwendungskontext ergibt. Sie betreffen die semantische Dimension der AGONALITÄT DER LEXIKALISCHEN GEGENÜBERSTELLUNG, die damit für akteursbedingte Spezifika von Agonalität von immenser Wichtigkeit ist, während sie für textsortenbedingte Spezifika von Agonalität so gut wie keine Rolle spielt. Darüber hinaus spielen Agonalitätsindikatoren, die auch kontextunabhängig bereits über ein – mehr oder weniger großes – agonales Potenzial verfügen, für die Akteure eine Rolle. Dies gilt zum Beispiel für Versprachlichungsmittel aus dem semantischen Feld von Kampf und Krieg, die vor allem Hamon und Macron zur Selbstinszenierung als Kämpfernatur nutzen. 8. Ein weiterer Faktor sind sprachliche Handlungen, speziell agonale Diskurshandlungen. In quantitativer Hinsicht bestehen, wie die Analyse gezeigt hat, keine signifikanten Unterschiede zwischen den Kandidaten in dieser Hinsicht; es zeichnen sich lediglich leichte Tendenzen ab. Wohl aber bestehen erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Ausgestaltung der einzelnen agonalen Diskurshandlungen: Zur Realisierung der einzelnen agonalen Diskurshandlungen verwenden die Akteure teilweise unterschiedliche sprachliche Mittel und Verfahren und mit unterschiedlichen Funktionen. Am eklatantesten sind die Unterschiede im Fall der agonalen Diskurshandlung der Selbstbildkonstruktion. 9. Darüber hinaus unterscheiden sich die Akteure im Hinblick auf die in ihren Diskursen behandelten Themen. Themen können im Diskurs einzelner Akteure großen oder auch nur kleinen bis keinen Raum einnehmen, was die unterschiedliche Wichtigkeit, die ihnen von den jeweiligen Akteuren beigemessen wird, reflektiert (AGONALITÄT DER RELEVANZKONKURRENZ). Messen lässt sich dies anhand der (positiven wie negativen) Schlüsselbegriffe. Im Hinblick auf Agonalität besonders interessant sind umstrittene Themen, also Themen hinsichtlich derer unterschiedliche Perspektiven und Positionen im Diskurs konkurrieren.641 Zu den meist umstrittenen Themen im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 zählen wirtschaftliche Positionierungen (Liberalismus bei Fillon und Macron; Sozialprotektionismus bei Hamon und Mélenchon; Keynesianismus bei Le Pen) und Macrons geplante Arbeits- und Rentenreform im Bereich der Wirtschaft, Immigration und Identität im kulturellen Bereich (Konservatismus bei Le Pen und teilweise auch bei Fillon; kultureller Liberalismus bei Macron, Hamon und Mélen-
Zur Bezeichnung derselben prägt Ekkehard Felder den Terminus agonale Zentren und entwickelt einen methodischen Ansatz, um diese zu identifizieren (cf. Kapitel 2.6.3). In der vorliegenden Untersuchung wird dieser, u.a. aufgrund der Heterogenität der im Wahlkampf verhandelten Themen, nicht angewandt.
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
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chon) sowie Europäische Integration und Globalisierung (abgelehnt von Le Pen und Mélenchon, befürwortet v.a. von Macron) (cf. Evans/Ivaldi 2018, 152–162). 10. Ein weiterer Faktor, der Hör- bzw. Sichtbarkeit verschafft, sind, wie vor allem am Beispiel von Fillon deutlich wurde, politische Skandale. Allerdings ist den Kandidaten diese Art von Hör- bzw. Sichtbarkeit eher von Nachteil. 11. Auch das Privatleben – Stichwort peopolisation – ist ein Faktor, der Hör- bzw. Sichtbarkeit verleiht. Dies betraf im französischen Präsidentschaftswahlkampf vor allem Fillon durch die Affaire und Macron durch die Ehe mit Brigitte Macron.642 Ob dies vor- oder nachteilhaft ist, hängt ganz von den jeweiligen Umständen ab. 12. Auch die Persönlichkeit kann einen Einfluss auf die Hör- bzw. Sichtbarkeit haben: Eine schillernde Persönlichkeit vermag die Aufmerksamkeit stärker auf sich zu ziehen als eine graue Maus. Im Wahlkampf 2017 spielte in dieser Hinsicht zum Beispiel die shiny newness Macrons eine Rolle. Wie die Vielzahl dieser Faktoren, die sich zudem um weitere ergänzen ließen, zeigt, ist die Hör- bzw. Sichtbarkeit eines Akteurs ein äußerst komplexes und vielschichtiges Phänomen. Dabei spielen sowohl sprachliche als auch außersprachliche Faktoren eine Rolle sowie Faktoren, die sich auf die Produzentenseite oder auch auf die Rezipientenseite beziehen. Die voice eines Akteurs lässt sich weder klar messen noch von verschiedenen Faktoren eindeutig ableiten. Wohl aber geben verschiedene Indikatoren Anhaltspunkte für eine Quantifizierung der voice eines Akteurs – zum Beispiel Umfragewerte, Wahlergebnisse, die Reichweite auf Social Media oder der Raum, den Akteure in der Medienberichterstattung einnehmen, – und lassen sich Faktoren identifizieren, die die Hör- bzw. Sichtbarkeit beeinflussen. Dass Sprache, das heißt das sprachliche Handeln und die verwendeten sprachlichen Mittel und Verfahren, dabei eine zentrale Rolle spielen, hat die Analyse deutlich gezeigt.
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität Textsorten und damit auch die Analyse von Texten unter dem Gesichtspunkt der Textsorte sind von zentraler Bedeutung für die Untersuchung von Agonalität. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass sich Agonalität in Diskursen bzw. Texten auf eine spezifische Weise manifestiert, die u.a. durch die Textsorte, d.h. durch
Kritiker bemängeln, dass der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017 in besonderer Weise von einer «domination des ‹jeux› [sur les] ‹enjeux›» (Piar 2017, 78) geprägt gewesen sei.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
die Traditionen, in die sich ein individueller Diskurs bzw. Text einschreibt und die sich in Form von Textsorten verfestigen können,643 bedingt wird. Ziel des Kapitels ist es, dies anhand ausgewählter Textsorten zu demonstrieren, dem Wahlprogramm (Kapitel 6.4.2), der profession de foi (Kapitel 6.4.3), dem TV-Duell (Kapitel 6.4.4), dem TV-Interview (Kapitel 6.4.5) und der Rede (Kapitel 6.4.6). Aufbauend auf eine kurze allgemeine Charakterisierung der jeweiligen Textsorte unter Rückgriff auf die Beschreibungskategorien von Adamzik (2004, 59)644 werden die Textsorten jeweils auf spezifische, textsortenbedingte Mittel und Verfahren der Agonalität hin analysiert. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf agonalen Diskurshandlungen, da sich deren Verwendung in den unterschiedlichen Textsorten – anders als bei den Akteuren – statistisch signifikant unterscheidet.645 Der Untersuchung der einzelnen Textsorten vorangestellt ist ein Kapitel zu Wahlkampftextsorten (Kapitel 6.4.1), in dem diejenigen Aspekte, die für alle hier untersuchten Textsorten relevant sind, gemeinsam behandelt werden. In einem Zwischenfazit werden die Ergebnisse der Analyse textsortenbedingter Spezifika von Agonalität zusammengefasst (Kapitel 6.4.7).
6.4.1 Wahlkampftextsorten Als spezifische Ausprägung politischer Textsorten646 zeichnen sich Wahlkampftextsorten dadurch aus, dass sie in einem bestimmten kommunikativen Kontext, dem Wahlkampf, hervorgebracht werden und in besonderem Maße von Agonalität geprägt sind. Wie politischer Sprachgebrauch insgesamt sind Wahlkampftextsorten durch Öffentlichkeit und Massenmedialität, Gruppenbezogenheit und Repräsentanz sowie Institutionsgebundenheit charakterisiert.647 Darüber hinaus weisen sie spezifische Merkmale auf, die sie dem Wahlkampf als gemeinsamem «Interaktionsrahmen» (Spieß 2019) verdanken. Die Einbettung in einen gemeinsamem Interaktionsrahmen manifestiert sich u.a. in der ausgeprägten Intertextualität sowie Zu Diskurs- bzw. Texttraditionen und ihrem Verhältnis zu Textsorten cf. Kapitel 3.4.3. Das von Adamzik (2004, 58–60; 61–159) entwickelte «Raster für Dimensionen der Textbeschreibung» umfasst insgesamt vier Dimensionen: situativer Kontext, Funktion, Thema und sprachliche Gestalt. Cf. auch Kapitel 6.2.10. Text und damit auch Textsorten bezieht sich dabei sowohl auf schriftliche als auch auf mündliche Kommunikation (cf. auch Kapitel 3.3.2). Für Überblicke zu politischen Textsorten cf. Klein (2000; 2001); Girnth (2017); Meer (2017); Schröter (2017). Zu den Merkmalen politischen Sprachgebrauchs cf. Girnth (2002/2015, 39–43) sowie Kapitel 2.7.1 und 5.2.
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
529
dem thematischen und funktionalen Zusammenhang, der zwischen den einzelnen Kommunikaten eines Wahlkampfs besteht. Der thematische Zusammenhang ist durch die den Wahlkampf bestimmenden Themen gegeben; die verschiedenen Texte eines Wahlkampfs sind – wenngleich im Wahlkampf insgesamt eine thematische Vielfalt herrscht – durch rekurrente Themen geprägt. Der funktionale Zusammenhang besteht in der alle Wahlkampftextsorten dominierenden informativ-persuasiven Funktion, die mit dem Handlungsfeld der politischen Werbung korreliert.648 Darüber hinaus kommen Wahlkampftextsorten nach Klein (2000, 742) folgende, spezifischere Funktionen zu: «– auf die Wahl aufmerksam und sie zum öffentlichen Thema zu machen, – die Hauptaussagen und Kandidaten möglichst günstig zu präsentieren, – Parteimitglieder und -anhänger zur Aktivität für die Partei zu mobilisieren.»
Einzelne Textsorten haben darüber hinaus weitere, spezifischere Funktionen, auf die in den folgenden Kapiteln zurückzukommen sein wird. In diesen Funktionen spiegelt sich ein für Wahlkampftextsorten zentrales und im Hinblick auf Agonalität besonders interessantes Merkmal, das kompetitive Moment. Der Wahlkampf ist eine Situation der Konkurrenz, und zwar der Konkurrenz zwischen den Kandidaten bzw. Parteien, die darum kämpfen, die meisten Wählerstimmen und schließlich die Macht für sich zu gewinnen.649 Die im Wahlkampf hervorgebrachten Diskurse bzw. Texte werden nicht nur «unter Konkurrenzdruck hervorgebracht» (Spieß 2019, 394), sie dienen auch als «Waffe» in diesem mit Sprache ausgefochtenen Konkurrenzkampf. Daher sind sie in besonderem Maße von Agonalität geprägt und prädestiniert für die Untersuchung von Agonalität. Ist von textsortenbedingten Spezifika von Agonalität die Rede, so impliziert dies die Existenz von von Agonalität geprägten Diskurs- bzw. Texttraditionen, die in Form von Textsorten verfestigte Gestalt annehmen. Auf welche Art und Weise sich Agonalität in Wahlkampftextsorten manifestiert und welche Unterschiede sich zwischen verschiedenen Textsorten ausmachen lassen, soll in den folgenden Kapiteln untersucht werden.
Zu Handlungsfeldern und Sprachfunktionen in der Politik cf. Girnth (2002/2015, 44–50) sowie Kapitel 2.7.1. Perry (2018) zeigt, dass im Wahlkampf nicht nur Kandidaten bzw. Parteien miteinander konkurrieren, sondern auch die Medien, denen es dabei um größtmöglichen Einfluss und Umsatz gehe (cf. auch Vedel 2017, 104–105; Kuhn/Perry 2018a; Kuhn 2020, 237–238). Zugleich agieren Medien auch als «Schiedsrichter» im Wahlkampf, indem sie zum Beispiel für die Überwachung der Einhaltung der égalité und der équité der politischen Debatte zuständig sind. Sinnbildlich dafür steht die Rolle des Moderators im TV-Duell. Le Bart (2019, 234) spricht von den Medien im Wahlkampf daher als einem «arbitre légitime de la compétition».
530
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
6.4.2 Wahlprogramme Ein Wahlprogramm enthält die kurz- bis mittelfristigen inhaltlichen Ziele eines politischen Akteurs für die kommende Legislaturperiode, zu deren Umsetzung er sich im Fall eines Wahlsiegs verpflichtet.650 Aufgrund seiner rahmengebenden und richtungsweisenden Funktion für den Wahlkampf sowie seiner zentralen Rolle für die parteiinterne und die wählergerichtete Kommunikation handelt es sich beim Wahlprogramm nicht nur um eine für den Wahlkampf besonders spezifische, sondern auch um eine sehr bedeutsame politische Textsorte. Dies bezeugt auch das große Interesse, dass Wahlprogrammen in der Forschung entgegengebracht wird.651 Dass Wahlprogramme nicht die primäre Informationsquelle der Bürgerinnen und Bürger im Wahlkampf darstellen, vermag die Bedeutsamkeit dieser programmatischen Schrift nur geringfügig zu schmälern.652 Das Wahlprogramm ist ein schriftliches Dokument mittleren oder längeren Umfangs,653 dessen Produktion und Rezeption räumlich und zeitlich versetzt erfolgt. Die Kommunikation ist überwiegend monologisch angelegt, weist aber
Auf den programmatischen Charakter der Schrift verweist auch die Bezeichnung Wahlprogramm, frz. programme (électoral). Auch weitere Bezeichnungen sowie die Titel von Wahlprogrammen geben Aufschluss über das Wesen der Textsorte. Im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 findet häufiger noch als der Terminus programme, den z.B. Macron als Titel für sein Programm verwendet (Programme), der Terminus projet Verwendung, z.B. im Titel der Programme Fillons (Mon projet pour la France) und Hamons (Mon projet pour faire battre le cœur de la France). Im Vergleich zu programme mag projet etwas weniger absolut scheinen und den Fokus stärker darauf lenken, dass es sich um ein Vorhaben, ein geplantes Unterfangen (< lat. PROIECTIO ‘das nach vorn Geworfene’) handelt; er ist, so Mayaffre (2017, 143), «plus dynamique mais moins précis». Darauf, dass sich der Kandidat im Falle eines Wahlsiegs zur Umsetzung der Inhalte seines Programms verpflichtet, verweisen der von Le Pen gewählte Titel 144 engagements présidentiels sowie die von Macron vielfach verwendete Bezeichnung contrat, die eine besonders hohe Verbindlichkeit zum Ausdruck bringt. Ein Titel wie L’avenir en commun, den Mélenchon gewählt hat, suggeriert, dass bei Befolgung des Programms das im Namen formulierte Ziel Realität wird. Exemplarisch zeigt dies das Manifesto-Projekt, das sich seit 1979 der Untersuchung von verschiedenen Aspekten der Struktur und Leistungsfähigkeit von Parteiendemokratien auf der Grundlage von Wahlprogrammen verschreibt und dafür inzwischen ein Korpus von ca. 2.750 Wahlprogrammen aus über 50 Ländern bereitstellt (cf. WZB Berlin Social Science Center 1979–). Auf der Grundlage dieses Korpus sind, wie die Publikationsliste auf der Homepage bezeugt, bereits 499 Publikationen entstanden (Stand Januar 2021). Wie eine im März 2017 von OpinionWay durchgeführte Umfrage ergab, werden die Wahlprogramme immerhin von 40% der Franzosen in ihrer Gesamtheit und im Detail gelesen. Mit 78% stellen die durch Fernsehen, Internet, Radio und Printmedien vermittelten Nachrichten die zentrale Informationsquelle dar, die die Franzosen im Wahlkampf nutzen. Im französischen Präsidentschaftswahlkampf umfassen die Wahlprogramme zwischen 17 (Macron) und 127 (Mélenchon) Seiten und haben eine Durchschnittslänge von 61,6 Seiten. Um
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
531
auch Spuren der Dialogizität auf.654 Produzent ist eine politische Partei oder ein Kandidat, wobei im Fall der französischen Präsidentschaftswahlen als einer stark personenbezogenen Wahl der Kandidat besonders im Fokus steht.655 Rezipienten sind das Wahlkampfteam, die Parteibasis sowie die interessierte Öffentlichkeit (cf. Klein 2000, 743). Die Kommunikation erfolgt somit überwiegend unidirektional von einem einzelnen Akteur (Kandidat bzw. Partei) an eine Vielzahl von Akteuren (Team, Partei, Öffentlichkeit). Da das Programm als Leitlinie für den Wahlkampf fungiert, nehmen viele andere Kommunikate innerhalb der Kampagne darauf Bezug, sei es durch inhaltliche Bezüge oder sogar durch wörtliche Übernahmen (cf. auch Klein 2013c). Über die für Wahlkampfkommunikation grundsätzlich charakteristischen Funktionen hinaus (zu diesen cf. Kapitel 6.4.1) kommen dem Wahlprogramm folgende spezifische Funktionen zu: «– Thematische Orientierungs- und Formulierungsressourcen für die Wahlkämpfer, – Mobilisierungshilfe für die Parteibasis, – Informationsquelle für Journalisten und für programminteressierte Wähler» (Klein 2000, 743).
Während sich die ersten beiden Funktionen auf das Wahlkampfteam und die Partei beziehen und damit nach innen gerichtet sind, ist die letztgenannte an die breite Öffentlichkeit und damit nach außen gerichtet. Von dieser Zweiteilung ausgehend differenzieren die Politikwissenschaftler Kercher/Brettschneider (2013, 273) die Funktionen von Wahlprogrammen weiter aus:
eine bessere Vergleichbarkeit zu erzielen, liegt der folgenden Analyse im Fall Mélenchons die Kurzfassung des Programms (33 Seiten) zugrunde. Was Bonhomme (2004) in Bezug auf professions de fois zeigt (cf. Kapitel 6.4.3), gilt auch für Wahlprogramme. Spuren der Dialogizität sind zum Beispiel Fragen an den Wähler («Vous vous êtes demandé ‹Mais combien ça coûte?› Ça tombe bien, nous aussi!», JLM, Wahlprogramm, 2017), die Bezugnahme auf Aussagen anderer («Beaucoup d’entre vous m’ont dit qu’ils avaient quitté la France à contrecœur parce qu’ils […]», FF, Wahlprogramm, 2017) oder die Wiederaufnahme aktueller Diskussionen und Debatten («Que de lâcheté et d’hypocrisie, quand on entend parler d’Europe!», EM, Wahlprogramm, 2017). Teilweise schreiben sich die Kandidaten dabei auch in ein Kollektiv ein. Dies ist besonders ausgeprägt im Programm Mélenchons, das bereits im Untertitel auf seine «beiden» Autoren – Le programme de la France insoumise et de son candidat Jean-Luc Mélenchon – verweist und sich dann in eine «Introduction de Jean-Luc Mélenchon» und eine Vielzahl thematischer Kapitel, die die Ideen «de la France insoumise» beinhalten, gliedert. Im Programm Macrons finden sich mehrfach, nicht zuletzt auf der Titelseite, Hinweise auf En Marche!. Bei Fillon finden sich zwei Verweise auf sein Wahlkampfteam, die sogenannte «équipe». Bei Hamon tritt ein Kollektiv lediglich in Form der Logos auf der letzten Seite in Erscheinung. Keine Einschreibung in ein Kollektiv findet sich bei Le Pen, was als weiterer Beleg ihres stark personenbezogenen Wahlkampfs gewertet werden kann (cf. Kapitel 6.3.5).
532
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Tabelle 14: Funktionen von Wahlprogrammen nach Kercher/Brettschneider (2013, 273). Nach außen gerichtete Funktionen
Nach innen gerichtete Funktionen
– – – – –
–
– –
Werbung & Rückkoppelung Profilierung & Abgrenzung Agitation & Konfrontation Operationsbasis & Praxisanleitung Stimulation der politischen Meinungsbildung und Partizipation Beitrag zur gesellschaftlichen Integration & Koordination Kontrollfunktion (accountability)
– – – – – –
Anregung von Selbstschöpfung & Selbstverständigung Anreiz zur Konfliktregelung Integration der Parteibasis Identifikation der Parteimitglieder Motivation (für den Wahlkampf) Machtausübung & Legitimation Selbstbindung
Insbesondere die in Tabelle 14 genannten Funktionen Abgrenzung und Konfrontation deuten auf einen möglichen agonalen Charakter von Wahlprogrammen hin. In der Tat sind Wahlprogramme, wie die folgende Analyse zeigen wird, von Agonalität geprägt, weisen jedoch insgesamt nur einen schwach agonalen Charakter auf. Unter den häufigsten Wörtern ebenso wie unter den Schlüsselbegriffen in Wahlprogrammen finden sich nur wenige Agonalitätsindikatoren. Ausnahmen sind compétitivité (LLR = 35,79), das vor allem in Bezug auf wirtschaftliche Konkurrenz verwendet wird, und lutter (LLR = 31,28), das zumeist (in 91% der Fälle) in Verbindung mit contre (LLR = 24,09) gebraucht wird und der Beschreibung dessen dient, wogegen der Kandidat aktiv vorgehen möchte, wogegen er sich einsetzen möchte. Mais (LLR = -350,76), ein Terminus mit hohem agonalem Potenzial, und Ausdrücke der Verneinung (pas, n, ne, non, jamais, rien, ni), sind in Wahlprogrammen unterrepräsentiert. Im Allgemeinen finden sich unter den Schlüsselbegriffen sehr viele Autosemantika, vor allem Substantive (z.B. logement, développement, santé, établissements, formation) und Verben (z.B. développer, favoriser, garantir, renforcer, assurer), was zeigt, dass Gegenstand der Wahlprogramme vor allem (politische) Inhalte sind. Demgegenüber sind semantisch «leerere» Begriffe wie Pronomina (z.B. vous, on, il, ça, je, moi, nous, ils) und auf Dialogizität verweisende Termini (alors, donc, bien, merci, voilà sowie Eigennamen, z.B. Macron, Fillon, Mélenchon) negative Schlüsselbegriffe. Ähnlich verhält es sich mit den agonalen Diskurshandlungen. Mit einem Anteil von 90% ist die Stellungnahme die häufigste agonale Diskurshandlung und in Wahlprogrammen und professions de foi im Vergleich zu allen anderen Text-
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
533
sorten statistisch signifikant überrepräsentiert.656 Alle anderen agonalen Diskurshandlungen sind in Wahlprogrammen im Vergleich zu mindestens einer anderen Textsorte unterrepräsentiert.657 Gegenüberstellung
5%
Selbstbildkonstruktion
1%
Fremdbildkonstruktion
0%
Stellungnahme negative Wertung
90% 2%
Dissens
0%
Konsens
0%
Angriff
1%
Verteidigung
0%
Kampf um die Wahrheit
0%
Kampf um das Rederecht
0%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Abbildung 28: Agonale Diskurshandlungen in Wahlprogrammen.658
Aufgrund ihrer großen Bedeutsamkeit soll die agonale Diskurshandlung der Stellungnahme im Folgenden einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Die verschiedenen Formen der Stellungnahme verteilen sich in Wahlprogrammen wie folgt:
In Bezug auf die agonale Diskurshandlung der Stellungnahme unterscheiden sich Wahlprogramme und professions de foi jeweils signifikant von TV-Duellen, TV-Interviews und Reden mit p < 0,01. In Bezug auf die Gegenüberstellung unterscheiden sich Wahlprogramme signifikant von TV-Duellen und TV-Interviews mit p < 0,01; in Bezug auf die Selbstbildkonstruktion unterscheiden sich Wahlprogramme signifikant von Reden mit p < 0,01; in Bezug auf die Fremdbildkonstruktion unterscheiden sich Wahlprogramme signifikant von TV-Interviews und Reden mit p < 0,01; in Bezug auf die negative Wertung unterscheiden sich Wahlprogramme signifikant von Reden mit p < 0,05; in Bezug auf Dissens unterscheiden sich Wahlprogramme signifikant von TV-Duellen und TV-Interviews mit p < 0,01; in Bezug auf Konsens unterscheiden sich Wahlprogramme signifikant von TV-Duellen mit p < 0,01; in Bezug auf Angriffe unterscheiden sich Wahlprogramme signifikant von Reden mit p < 0,05; in Bezug auf den Kampf um die Wahrheit unterscheiden sich Wahlprogramme signifikant von TV-Duellen mit p < 0,01. Die quantitative Auswertung beruht auf einer Stichprobe, die die Einleitung sowie einen Auszug aus dem Hauptteil des Wahlprogramms jedes Kandidaten umfasst, die ihrem Anteil am Wahlprogramm entsprechend gewichtet wurden.
534
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Bekundung einer Handlungsabsicht Beschreibung eines zukünftigen Szenarios Bekundung eines Wunschs bzw. Willens
46% 6% 4%
Formulierung eines Ziels
25%
Ausdruck von Notwendigkeit Benennung einer Priorität
7% 2%
explizite Positionierung für etwas
0%
explizite Positionierung gegen etwas
0%
Versprechen
0%
Vorschlag
2%
Meinungsbekundung Ausdruck von Gefühlen
9% 0%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Abbildung 29: Formen der Stellungnahme in Wahlprogrammen.
Am häufigsten erfolgt die Stellungnahme durch die Bekundung einer Handlungsabsicht (46%). An zweiter Stelle steht die Formulierung eines Ziels (25%), deren Bedeutsamkeit sich auch darin spiegelt, dass afin, pour und objectifs Schlüsselbegriffe in Wahlprogrammen sind. Ebenfalls Verwendung finden, wenngleich deutlich seltener, die Meinungsbekundung (9%), der Ausdruck von Notwendigkeit (7%) sowie die Beschreibung eines zukünftigen Szenarios (6%); die Bedeutsamkeit der letztgenannten Kategorie spiegelt sich auch darin, dass seront und sera Schlüsselbegriffe sind. Seltener sind die Bekundung eines Wunschs bzw. Willens (4%) – veut, veulent und veux sind sogar negative keywords –, die Benennung einer Priorität und der Vorschlag (jeweils 2%); fast nie wird ein explizites Versprechen getätigt (0,5%). Nicht belegt sind der Ausdruck von Gefühlen sowie die explizite Positionierung für oder gegen etwas. Ein für Wahlprogramme besonders charakteristisches Verfahren ist die Kombination der Bekundung einer Handlungsabsicht und der Formulierung eines Ziels. Dabei kann die Bekundung der Handlungsabsicht der Formulierung des Ziels vorangehen (200a) oder ihr nachfolgen (200b). Üblich ist auch die Kombination der Bekundung einer Handlungsabsicht und der Beschreibung eines zukünftigen Szenarios (200c). (200) a. BH: Nous poursuivrons le changement d’échelle de l’ÉCONOMIE SOCIALE ET SOLIDAIRE (ESS) en nous donnant pour objectif la création de 500 000 emplois (Wahlprogramm, 2017; Majuskeln im Original).
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
535
b. BH: Afin de protéger nos entreprises et nos emplois de la finance spéculative, je réviserai la LOI DE SÉPARATION BANCAIRE en cantonnant effectivement l’ensemble des activités de marché des banques (Wahlprogramm, 2017; Majuskeln im Original). c. EM: Nous moderniserons le baccalauréat. Il y aura désormais 4 matières obligatoires à l’examen final. Les autres seront validées par un contrôle continu (Wahlprogramm, 2017). Eine stilistische Besonderheit von Wahlprogrammen stellt die Verwendung von Formulierungen dar, in deren Zentrum ein Substantiv (Nominalstil) oder ein Infinitiv steht, die aber kein konjugiertes Verb oder andere Markierungen der Person aufweisen. Dies bezeugt u.a. die Vielzahl der Infinitive, die sich unter den Schlüsselbegriffen finden (favoriser, garantir, renforcer, assurer, encourager etc.). Auch dieses Stilmittel kann der Realisierung einer Stellungnahme dienen. Während substantivbasierte Wendungen zumeist zur Formulierung einer Zielvorstellung gebraucht werden (201), wird mit infinitivbasierten Konstruktionen tendenziell eine Handlungsabsicht bekundet (202): (201) JLM: […] Une politique judiciaire à la hauteur des ambitions d’égalité de tous devant la loi et qui refuse le ‹deux poids, deux mesures›. […] Une politique de ‹définanciarisation› de l’économie réelle et de combat contre la spéculation boursière. […] Une politique créatrice de nouveaux emplois, qui protège les travailleurs en favorisant la production en France. […] Une politique de retraite qui garantisse le droit au départ à 60 ans et l’augmentation des petites pensions (Wahlprogramm, 2017). (202) FF: Abroger par ordonnance toutes les normes ajoutées à la réglementation européenne. Instaurer un sursis d’imposition lors de la transmission de la PME aux descendants. Réduire de 35 Mds € les charges et impôts pesant sur toutes les entreprises et donc les entreprises agricoles (Wahlprogramm, 2017). Formulierungen wie diese stehen häufig an textuell exponierter Stelle, zum Beispiel als letzter Satz eines Kapitels (201), als Teil einer Aufzählung (202) oder als (Zwischen-) Überschrift. Durch eine Stellungnahme wird zum Ausdruck gebracht, welche Position der Kandidat hat und wofür er eintritt. Dass dies in Wahlprogrammen besonders wich-
536
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
tig ist, zeigt sich auch darin, dass pour ein Schlüsselbegriff in Wahlprogrammen ist. Dass demgegenüber Ausdrücke der Verneinung (pas, n, ne, non) negative Schlüsselbegriffe sind, zeigt, dass es in Wahlprogrammen vor allem darum geht, darzulegen, wofür, nicht wogegen man eintritt. Dass die Stellungnahme die in Wahlprogrammen dominierende agonale Diskurshandlung ist, belegt, dass eine, wenn nicht die zentrale Aufgabe von Wahlprogrammen darin besteht, die inhaltlichen Ziele eines Kandidaten oder einer Partei darzulegen. Die Wichtigkeit der sprachlichen Handlung der Stellungahme für Wahlprogramme bestätigt auch Klein (2000, 743), wenn er den «Kommunikationsmodus» von Wahlprogrammen wie folgt beschreibt: «Der Kommunikationsmodus ist evaluativ/voluntativ/kommissiv, wobei die Formulierungen häufig offen sind für die Lesarten Wunsch, Handlungsabsicht oder Versprechen». Durch die Stellungnahme bezieht der Kandidat bzw. die Partei Position und zeigt auf diese Weise dem Wahlkampfteam, der Parteibasis und der breiten Öffentlichkeit, wofür er bzw. sie eintritt. Die Stellungnahme ist Voraussetzung für zahlreiche Funktionen des Wahlprogramms, wie zum Beispiel die Werbung: Der Kandidat wirbt für sich, indem er beschreibt, wofür er eintritt (Stellungnahme) und indem er dies darüber hinaus möglichst positiv darstellt (positive Wertung). Vergleichbares gilt für die von Kercher/Brettschneider (2013) genannten Funktionen der Rückkoppelung, der Profilierung, der Integration und der Identifikation. Im Vergleich zur Stellungnahme spielen die anderen agonalen Diskurshandlungen in Wahlprogrammen nur eine marginale Rolle. 5% entfallen auf die Gegenüberstellung. Wichtig ist hier insbesondere die zeitliche Gegenüberstellung: Eine vergangene oder die aktuelle Situation wird einer zukünftigen Situation gegenübergestellt, wobei erstere in der Regel einer negativen Wertung, letztere hingegen einer positiven Wertung unterliegt. Auf diese Weise wird Handlungsbedarf bzw. die Notwendigkeit einer Veränderung suggeriert, wodurch die Forderungen des Kandidaten eine Legitimationsbasis erfahren. Darüber hinaus wird der Kandidat als derjenige, der die Veränderungen herbeiführen möchte, als «Retter» inszeniert; durch diese positive Selbstdarstellung wird indirekt für ihn als Kandidat geworben. Dies entspricht einem für Wahlprogramme typischen, auf der agonalen Diskurshandlung der Gegenüberstellung beruhenden Argumentationsmuster, das verschiedene für Wahlkampfkommunikation charakteristische Topoi und Narrative bemüht. Beleg (203) illustriert exemplarisch dieses Vorgehen: Eine vergangene Situation (longtemps), die positiv bewertet wird (le meilleur au monde), wird der aktuellen Situation (aujourd’hui), die negativ bewertet wird (abimé), gegenübergestellt (mais); vor diesem Hintergrund wird die Rückkehr zu einer positiv bewerteten Situation gefordert (doit redevenir), die durch die im Nominalstil angeführten Maßnahmen herbeigeführt werden soll; diese werden durch die einleitenden Worte implizit legitimiert:
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
537
(203) JLM: Le système de santé français a longtemps été le meilleur au monde. Mais aujourd’hui, l’austérité et la marchandisation l’ont abimé. La santé doit redevenir un droit pour toutes et tous! PRÉVENIR Plan national de prévention des maladies […] L’ACCÈS AUX SOINS […] (Wahlprogramm, 2017; Majuskeln im Original). Nur eine kleine Rolle spielt die negative Wertung (2%). Wenn sie auftritt, dann zumeist in Verbindung mit der Gegenüberstellung oder der Fremdbildkonstruktion; sie bezieht sich dann in der Regel auf eine vergangene oder die aktuelle Situation (cf. 203) oder auf politische Gegner (205a–c); auch bestimmte politische Maßnahmen oder Handhabungen eines Sachverhalts können einer negativen Wertung unterliegen. Noch seltener ist die Selbstbildkonstruktion (1%). Pronomina der 1. Person je/ j’, moi, me und nous sowie die Verbformen in der 1. Ps. ai, suis, avons und sommes, die häufig zur Selbstbildkonstruktion verwendet werden, sind in Wahlprogrammen sogar unterrepräsentiert. Wenn im Wahlprogramm Selbstzuschreibungen vorgenommen werden, dann zumeist in der Einleitung. Exemplarisch illustrieren dies folgende Beispiele: (204) a. EM: J’ai décidé de me présenter à l’élection présidentielle car je veux redonner à chaque Française et chaque Français confiance en eux, confiance en la France et dans notre capacité collective à relever nos défis (Wahlprogramm, 2017). b. FF: Pendant ces quatre dernières années, en métropole, dans les Outre-mer, j’ai sillonné les routes, et j’ai pris le temps d’écouter tous ceux que j’ai rencontrés (Wahlprogramm, 2017). c. JLM: […] J’y suis préparé. Vous y êtes prêts, je le sais (Wahlprogramm, 2017). Dass die Konstruktion eines Selbstbildes in Wahlprogrammen eine so geringe Rolle spielt, zeigt, dass im Fokus der Wahlprogramme tatsächlich die inhaltlichen Ziele, das politische Programm stehen, nicht der Kandidat oder die Partei selbst. Noch geringer ist der Anteil der Fremdbildkonstruktionen (0,5%). Wenn sie Verwendung finden, beziehen sie sich zumeist auf politische Gegner, zum Beispiel auf die vorherige bzw. aktuelle Regierung (205a), auf Gegenkandidaten im Wahlkampf (205b) oder auf das politische Führungspersonal insgesamt (205c), und gehen mit einer negativen Wertung einher.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
(205) a. FF: Le gouvernement socialiste a fait adopter par une majorité à bout de souffle une loi de programmation relative à l’égalité réelle, rédigée à la hâte, qui ne porte aucune vision dynamique des Outre-mer (Wahlprogramm, 2017). b. MLP: […] Le choix ‹mondialiste› d’un côté, représenté par tous mes concurrents, qui cherche à détruire nos grands équilibres économiques et sociaux, qui veut l’abolition de toutes les frontières, économiques et physiques, et qui veut toujours plus d’immigration et moins de cohésion entre les Français. […] (Wahlprogramm, 2017). c. JLM: L’oligarchie et la caste au pouvoir ne représentent pas le peuple (Wahlprogramm, 2017). Häufig wird die offensive Kraft der Fremdbildkonstruktion abgeschwächt, indem zum Beispiel der Gegner nicht explizit benannt wird und die Darstellung eher sachlich und wenig expressiv ist. Auf diese Weise bietet der Kandidat seinem Gegner eine geringere Angriffsfläche. (206) EM: Mais le repli sur nous-mêmes [zielt auf Le Pen ab; meine Anm.], le refus de voir le monde tel qu’il est [zielt auf Hamon ab; meine Anm.] ou la volonté de redresser la France malgré elle [zielt auf Fillon ab; meine Anm.] ne sont pas des solutions (Wahlprogramm, 2017). Dass die Fremdbildkonstruktion in Wahlprogrammen so selten ist und darüber hinaus häufig in abgeschwächter Form erfolgt, zeigt zum einen, dass im Fokus des Programms der Kandidat selbst bzw. sein Programm steht, weniger die Gegenüberstellung mit und die Abgrenzung von anderen Kandidaten bzw. deren Programmen. Zum anderen bestätigt dies den eher geringen Grad der Agonalität von Wahlprogrammen insgesamt. Dies zeigt sich auch darin, dass agonale Diskurshandlungen mit großem agonalem Potenzial wie Angriff (1%) und Verteidigung (0%), der Kampf um die Wahrheit (0,3%), Dissens (0%) sowie der Kampf um das Rederecht (0%) in Wahlprogrammen keine oder fast keine Verwendung finden. Insgesamt ist festzuhalten, dass Agonalität in Wahlprogrammen durchaus eine Rolle spielt, Wahlprogramme insgesamt aber eher einen schwach agonalen Charakter haben. Unter den Schlüsselwörtern finden sich kaum Begriffe mit hohem agonalem Potenzial; typische Agonalitätsindikatoren wie mais und Ausdrücke der Verneinung sind sogar unterrepräsentiert. Zentrale agonale Diskurshandlungen wie der Dissens, die Inanspruchnahme und Absprache der Wahrheit oder Angriff und Verteidigung finden keine oder kaum Verwendung. Die Diskurshandlungen der Gegenüberstellung, der Konstruktion eines Selbst- und Fremdbildes und der negativen Wertung werden zwar gebraucht, sind aber selten. Bei weitem dominiert hingegen
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die Stellungnahme. Als sprachliche Handlung, die eine Positionierung bewirkt, ist die Stellungnahme in erster Linie Bedingung der Möglichkeit von Agonalität. Zwar kann sie auch eine Gegenüberstellung oder eine Konkurrenz verschiedener Positionen implizieren, doch ist ihr Bezug zur Agonalität eher indirekt und ihr agonaler Grad gering. Wahlprogramme dienen primär der Darlegung der inhaltlichen Ziele eines Kandidaten oder einer Partei. Durch den Vergleich verschiedener Wahlprogramme lassen sich Unterschiede zwischen den Kandidaten bzw. Parteien ausmachen; damit bieten Wahlprogramme eine sehr gute Grundlage, um Rückschlüsse auf Differenzen, Konflikte und Dissens zu ziehen, die jedoch in den Programmen selbst nur selten direkt adressiert werden. Wahlprogramme sind damit keine typische Textsorte, in der sich Agonalität realisiert, sind aber als zentrales Mittel der Positionierung eines Akteurs die Bedingung der Möglichkeit von Agonalität.
6.4.3 Professions de foi Als professions de foi werden in Frankreich im Vorfeld einer Wahl von den Kandidaten erstellte, in der Regel vierseitige Dokumente bezeichnet, in denen sie sich und ihr politisches Programm vorstellen und die gemeinsam mit dem Stimmzettel an alle Wähler verteilt werden. Trotz ihrer Kürze – Bonhomme (2016, 21) spricht von einem «micro-genre politique» – scheinen sie für die öffentliche Meinungsbildung von großer Bedeutung zu sein.659 Vielsagend ist auch der sprechende Name profession de foi, der entsprechende Texte gleich einem «politischen Glaubensbekenntnis» als Zusammenfassung der politischen Weltanschauung eines Kandidaten, als Ausdruck seiner innersten Überzeugungen ausweist. Die profession de foi ist ein medial schriftliches Dokument, das von einem Kandidaten bzw. einer Partei hervorgebracht wird.660 Rezipienten sind die Gesamtheit aller Wähler und damit eine breite Öffentlichkeit. Die Kommunikation
Wie eine im Januar 2014 vom Meinungsforschungsinstitut CSA durchgeführte Umfrage ergab, werden die professions de foi von 90% der Franzosen gelesen oder zumindest überflogen; 62% der Franzosen halten sie für «utile», um ihre Wahlentscheidung zu treffen. Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, dass, wie der Forschungsüberblick bei Bonhomme (2016) zeigt, der Textsorte der profession de foi von der Forschung bislang nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Im Fall der französischen Präsidentschaftswahlen als einer personenbezogenen Wahl steht der Kandidat dabei besonders im Fokus. Dies manifestiert sich u.a. darin, dass die Titelseite der professions de foi immer ein Porträt des Kandidaten zeigt, dass weite Teile des Dokuments in der 1. Ps. Sg. verfasst sind und dass das Dokument stets eine handschriftliche Unterschrift des Kandidaten trägt. Auch Einschreibungen in ein Kollektiv sind, anders als in Wahlprogrammen, eher selten.
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erfolgt, wie auch bei Wahlprogrammen, in erster Linie unidirektional von einem einzelnen Akteur (Kandidat) zu einer Vielzahl von Akteuren (Wähler). Die Kommunikationsstruktur ist grundsätzlich monologisch, weist aber auch Spuren der Dialogizität auf, die sich zum Beispiel in Fragen an den Wähler oder in der Wiederaufnahme aktueller Diskussionen und Debatten manifestieren (cf. Bonhomme 2004). Produktion und Rezeption erfolgen, wie bei schriftlicher Kommunikation üblich, ohne räumlich-zeitliche Kopräsenz der Akteure. Inhalt der professions de foi ist in erster Linie die Darstellung des jeweiligen Kandidaten und seines Programms. Bonhomme (2016, 21) zufolge dienen die professions de foi vor allem der «mise en valeur du candidat» sowie der «incitation à voter pour lui» und seien daher in besonderem Maße von einem «discours d’autopromotion» (Bonhomme 2016, 22) geprägt. Darüber hinaus haben sie die Funktion, auf die Wahl aufmerksam und sie zum öffentlichen Thema zu machen. Diese Merkmale spiegeln sich auch in der sprachlichen Gestalt. Im Hinblick auf Agonalität zeigt sich dabei insgesamt, mit einigen Abweichungen, ein ähnliches Bild wie bei Wahlprogrammen, was sich unter anderem durch die vergleichbare kommunikative Situation sowie die Tatsache, dass in den jeweiligen Dokumenten eines Kandidaten zum Teil ganze Abschnitte textlich identisch sind, erklären lässt. Unter den häufigsten Begriffen und den Schlüsselbegriffen finden sich nur wenige Agonalitätsindikatoren. Ausnahmen sind contre (LLR = 21,41), das häufig (in 46% der Fälle) in Verbindung mit lutte/lutter verwendet wird, und vaincre. Wie in Wahlprogrammen sind auch hier Begriffe mit hohem agonalem Potenzial wie mais und Ausdrücke der Verneinung (pas, non, ne) unterrepräsentiert. Auch in den professions de foi sind unter den Schlüsselbegriffen sehr viele Autosemantika (France, sondage, chantier, euros, sécurité); Synsemantika wie die Pronomen on, il, c’, ils, nous sind unterrepräsentiert. Dies zeigt, dass auch in den professions de foi (politische) Inhalte im Fokus stehen. In Bezug auf die agonalen Diskurshandlungen zeigt sich, dass hier ebenfalls die Stellungnahme die häufigste agonale Diskurshandlung (78%) und im Vergleich zu anderen Textsorten überrepräsentiert ist (cf. Anm. 656). Im Unterschied zu Wahlprogrammen spielt in den professions de foi jedoch die Selbstbildkonstruktion eine deutlich größere Rolle: Mit 9% (versus 1% in Wahlprogrammen) ist sie die zweithäufigste agonale Diskurshandlung und neben der Stellungnahme die einzige, die im Vergleich zu mindestens einer anderen Textsorte in den professions de foi nicht unterrepräsentiert ist.661
In Bezug auf die Gegenüberstellung unterscheiden sich professions de foi signifikant von TV-Duellen und TV-Interviews mit p < 0,01; in Bezug auf die Fremdbildkonstruktion unterscheiden sich professions de foi signifikant von Reden mit p < 0,01; in Bezug auf die negative Wertung unterscheiden sich professions de foi signifikant von Reden mit p < 0,05; in Bezug auf Dissens unterscheiden sich professions de foi signifikant von TV-Duellen und TV-Interviews
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
Gegenüberstellung
4%
Selbstbildkonstruktion Fremdbildkonstruktion
9% 5%
Stellungnahme negative Wertung
541
78% 2%
Dissens
0%
Konsens
0%
Angriff
1%
Verteidigung
0%
Kampf um die Wahrheit
1%
Kampf um das Rederecht
0%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Abbildung 30: Agonale Diskurshandlungen in professions de foi.662
Innerhalb der Stellungnahme ergibt sich ein ähnliches Bild wie bei Wahlprogrammen (cf. Abbildung 31). An erster Stelle stehen auch hier die Bekundung einer Handlungsabsicht (50%) und die Formulierung eines Ziels (20%). Auch in den professions de foi treten diese sprachlichen Handlungen häufig in Kombination auf: (207) BH: Je mettrai en place un service public d’aide aux devoirs pour donner à tous les mêmes chances de réussir à l’école (Profession de foi, 2017). Ebenfalls wie in den Wahlprogrammen ist ein typisches Stilmittel der professions de foi die Verwendung von Formulierungen mit Substantiven (Nominalstil) und Infinitiven ohne konjugiertes Verb oder andere Markierungen der Person. Wie Alsaffar (2016) im Anschluss an Vion (2001) zeigt, handelt es sich bei diesem «effacement énonciatif» um ein für professions de foi typisches Verfahren, das der Objektivierung des Diskurses dient. Es kann unter anderem, wie in
mit p < 0,01; in Bezug auf Konsens unterscheiden sich professions de foi signifikant von TVDuellen mit p < 0,01; in Bezug auf Angriffe unterscheiden sich professions de foi signifikant von Reden mit p < 0,05; in Bezug auf den Kampf um die Wahrheit unterscheiden sich professions de foi signifikant von TV-Duellen mit p < 0,01. Der quantitativen Auswertung liegen die professions de foi des ersten Wahlgangs in ihrer Gesamtheit zugrunde. Gleiches gilt für Abbildung 31.
542
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Bekundung einer Handlungsabsicht
50%
Beschreibung eines zukünftigen Szenarios
10%
Bekundung eines Wunschs bzw. Willens
8%
Formulierung eines Ziels Ausdruck von Notwendigkeit
20% 3%
Benennung einer Priorität
1%
explizite Positionierung für etwas
0%
explizite Positionierung gegen etwas
0%
Versprechen
1%
Vorschlag Meinungsbekundung Ausdruck von Gefühlen
2% 5% 1%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Abbildung 31: Formen der Stellungnahme in professions de foi.
(208), in Form einer Aufzählung eingesetzt werden und der Formulierung eines Ziels oder der Bekundung einer Handlungsabsicht dienen (beide Lesarten sind hier möglich). (208) FF: LIBÉRER L’EMPLOI ET LA CROISSANCE Atteindre le plein emploi en baissant de 40 milliards d’euros les charges des entreprises et les impôts. Alléger la bureaucratie qui freine l’activité et l’embauche […]. Lever le verrou des 35 heures par la négociation du temps de travail dans l’entreprise. Passer aux 39 heures dans la fonction publique pour renforcer nos services publics et améliorer les perspectives de carrière des agents […] (Profession de foi, 2017). An dritter Stelle folgt die Beschreibung eines zukünftigen Szenarios, die in den professions de foi etwas frequenter ist als in Wahlprogrammen (10% vs. 6%). Ihre Bedeutsamkeit spiegelt sich auch darin, dass France und peuple, die häufig in Verbindung mit dieser sprachlichen Handlung auftreten, in den professions de foi überrepräsentiert sind. Ein weiteres Indiz ist die Häufigkeit von Verben im Futur simple, insbesondere der Verbform sera, die ebenfalls Schlüsselbegriff in den professions de foi ist.
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
543
(209) JLM: Elle [= l’Assemblée constituante; meine Anm.] remettra à plat toute l’organisation de notre démocratie. Ce sera la fin de la monarchie présidentielle (Profession de foi, 2017). An vierter Stelle steht die Bekundung eines Wunschs bzw. Willens, die mit 8% doppelt so frequent ist wie in Wahlprogrammen. Weitere Indizien für ihre Relevanz sind der Schlüsselbegriff vouloir sowie die Häufigkeit der Verbform veux, der mit 3.063 Okkurrenzen pro 1 Mio. Token dritthäufigsten Verbform in den professions de foi (nach est und faire). Die Formulierung je veux, fünfthäufigstes Bigramm in den professions de foi, spielt insbesondere bei Macron eine zentrale Rolle, der sie zum Beispiel in (210) als Anapher in viermaliger Repetitio verwendet: (210) EM: Je veux que nous soyons à nouveau fiers d’être français, grâce à notre culture, notre rayonnement international et notre langue. Je veux que nous soyons libres d’entreprendre, d’innover, de réussir quel que soit notre milieu d’origine. Je veux que nous soyons solidaires car la réussite de quelques-uns ne peut pas être le projet pour tout notre pays. Je veux auprès de vous prendre des engagements clairs sur les chantiers essentiels (Profession de foi, 04.2017). Relativ selten sind die Meinungsbekundung (5%), der Ausdruck von Notwendigkeit (3%), der Vorschlag (2%), die Benennung einer Priorität (1%), das Versprechen (1%) sowie der – in Wahlprogrammen gänzlich fehlende – Ausdruck von Gefühlen (1%). Keinen Beleg gibt es, wie auch in den Wahlprogrammen, für die explizite Positionierung für oder gegen etwas. In der Häufigkeit der agonalen Diskurshandlung der Stellungnahme manifestiert sich das Wesen der profession de foi im wahrsten Sinne des Wortes als Darstellung der politischen Weltanschauung des Kandidaten. Sprachliche Handlungen der Stellungnahme eignen sich besonders gut, um das politische Programm sowie die Vision eines zukünftigen Frankreichs, des Frankreichs, das der jeweilige Kandidat als Präsident herbeiführen möchte, zu beschreiben. Dass dies wesentlicher Gegenstand der professions de foi ist, zeigen auch wichtige Schlüsselbegriffe wie France, chantier, notre, soyons, pour, peuple, bâtir, vouloir. Neben der Darstellung der politischen Inhalte ist die Darstellung des Kandidaten selbst das zweite zentrale Ziel der professions de foi. Diesen Zweck erfüllen sprachliche Handlungen, die der Konstruktion eines Selbstbildes dienen. Von der Bedeutsamkeit der Selbstbildkonstruktion zeugen auch die hohe Fre-
544
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
quenz des Pronomens je mit 15.203 Okkurrenzen pro 1 Mio. Token663 sowie der Schlüsselbegriff serai. Die Konstruktion eines Selbstbilds erfolgt überwiegend durch Selbstzuschreibungen. Ein Beispiel dafür ist die wiederkehrende, anaphorisch mit «Je serai le président…» beginnende musterhafte Struktur, die sich durch die gesamte profession de foi Mélenchons zieht und dabei jeweils der Einleitung einer neuen Thematik dient: (211) JLM: Je serai le dernier président de la 5ème République. […] Je serai le président social ayant pour programme d’éradiquer la misère et le chômage. […] Je serai le président écologiste face au défi climatique et aux dangers qui pèsent sur l’écosystème. […] Je serai le président du progrès humain. […] Je serai le président d’une France insoumise en Europe et dans le monde. […] Je serai le président de la paix. […] Enfin, je serai le président qui engagera la France aux avant-postes de l’humanité, en mer, dans l’espace et sur la toile numérique […] (Profession de foi, 2017). Ein zur Selbstbildkonstruktion ebenfalls zum Einsatz kommendes Verfahren ist die Verwendung der 3. Ps. Sg. (‹statt ich›) (cf. dazu Kapitel 6.2.2). Dieses findet sich in den professions de foi Macrons (212a–b) und Le Pens (213a–b): (212) a. EM: Voter pour Emmanuel Macron, c’est… (Profession de foi, 04.2017). b. EM: Retrouvez toutes les propositions d’Emmanuel Macron sur enmarche.fr (Profession de foi, 04.2017).664 (213) a. MLP: Pour bâtir son projet de redressement national, Marine Le Pen a réuni autour d’elle une équipe composée d’élus expérimentés, d’universitaires, de professionnels issus de la société civile, en s’appuyant sur la diversité de leurs profils et de leurs parcours, au plus près des préoccupations des Français (Profession de foi, 05.2017; Fettdruck im Original).
Je/j’ ist in professions de foi zwar nicht überrepräsentiert, im Gegensatz zu Wahlprogrammen aber auch nicht unterrepräsentiert. Bei dieser Aussage mag zweifelhaft sein, ob Macron wirklich die Sprecherinstanz ist, die 3. Ps. also ‹statt ich› verwendet wird. Dennoch kontrastiert diese Wendung mit Formulierungen wie «Retrouvez mes propositions sur benoithamon2017.fr» (BH, Profession de foi, 2017) oder «Consultez l’ensemble de mon projet: fillon2017.fr/projet» (FF, Profession de foi, 2017).
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
545
b. MLP: UNE FEMME D’ETAT POUR PROTEGER LES FRANÇAIS, PROMOUVOIR LA PAIX ET FAIRE RESPECTER LA VOIX DE LA FRANCE Au cours de sa campagne, Marine Le Pen a été reçue par de nombreux chefs d’État étrangers. Elle a notamment rencontré […]. Lors de sa rencontre avec le président russe Vladimir Poutine, elle s’est entretenue de la lutte contre le terrorisme, et de la protection des Chrétiens d’Orient. Le président américain Donald Trump a déclaré à propos de Marine Le Pen qu’elle était «la plus sérieuse sur les frontières» et «la plus forte sur tout ce qui se passe en ce moment en France», reconnaissant ainsi non seulement sa volonté mais aussi sa capacité à protéger les Français des menaces actuelles. Demain, à la table des dirigeants Trump, Merkel, Poutine ou Erdogan, Marine Le Pen saura faire entendre la voix de la France, défendre ses intérêts et son indépendance (Profession de foi, 05.2017; Fettdruck und Majuskeln im Original). Die 3. Ps. Sg. wird (nicht nur) in den professions de foi als strategisches Mittel verwendet, um dem konstruierten Selbstbild einen Anschein der Objektivität zu verleihen und es dadurch besonders überzeugend scheinen zu lassen: «Un tel procédé permet au candidat de faire son propre éloge à travers l’appréciation du public et de le rendre plus objectif. En cela, il renforce son ascendant susceptible d’entrainer un effet de ralliement» (Bonhomme 2016, 23). Während dieser strategische Nutzen bedingt durch den inhaltlich wenig relevanten Kontext bei Macron noch relativ schwach ist, ist er bei Le Pen, gestützt durch die Beteuerungen ihrer Kompetenz, die Autoritätsargumente – unter anderem mit Donald Trump als Referenz – und die gestalterische Hervorhebung der entsprechenden Textstellen (Umrahmung durch einen blauen Kasten, Majuskeln, Fettdruck), deutlich präsenter. Le Pen führt damit eine diskursive Strategie fort, die bereits ihren Vater charakterisierte (cf. Cambon 2005). Die Konstruktion eines Selbstbildes erfolgt neben sprachlichen Mitteln insbesondere auch durch visuelle Mittel. So ist etwa das Foto auf der Titelseite,
Abbildung 32: Titelseiten der professions de foi (CNCCEP 2017).
546
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
das stets ein Porträt des Kandidaten zeigt, so gestaltet, dass es zur Konstruktion eines positiven Ethos des Kandidaten beiträgt (cf. Chanay 2006). Auch die übrigen Bilder, die häufig den Kandidaten in unterschiedlichen Kontexten zeigen, tragen zur Konstruktion eines spezifischen Bildes von ihm bei. Die dritthäufigste agonale Diskurshandlung ist die Fremdbildkonstruktion. Allerdings bezieht sich nur ein kleiner Teil davon auf den politischen Gegner; der Großteil bezieht sich auf die Rezipienten (die Franzosen, das französische Volk, die Anhänger des Kandidaten) und unterliegt im Gegensatz zu erstgenannten einer positiven Wertung. Als Zeichen von Agonalität im engeren Sinne sind lediglich erstere zu werten, da nur hier eine Situation der Konkurrenz, eine kompetitive Opposition zwischen dem Sprecher und denjenigen, die Gegenstand der Fremdbildkonstruktion sind, besteht. Im zweiten Fall ist das Ziel der Fremdbildkonstruktion hingegen eher die Solidarisierung des Kandidaten mit den Rezipienten. Dass die auf Agonalität abzielende Fremdbildkonstruktion in den professions de foi nur eine geringe Rolle spielt, wird auch dadurch indiziert, dass die Termini on, il und ils, die häufig für diese Art der Fremdbildkonstruktion verwendet werden, negative keywords in den professions de foi sind. Auch andere agonale Diskurshandlungen, die von einem hohen Grad der Agonalität zeugen, wie Gegenüberstellung, negative Wertung, Angriff und Kampf um die Wahrheit, spielen in den professions de foi nur eine geringe Rolle. Insgesamt weisen die professions de foi damit einen eher geringen Grad der Agonalität auf. Das gilt jedoch weniger für die professions de foi des zweiten Wahlgangs. In den professions de foi des zweiten Wahlgangs spielen sowohl die Gegenüberstellung als auch die Fremdbildkonstruktion sowie Agonalität insgesamt eine größere Rolle. Konkret finden sich 4 Belege für Gegenüberstellungen bei Macron und 12 bei Le Pen, 2 Belege für Fremdbildkonstruktionen mit Bezug auf den politischen Gegner bei Macron und 16 bei Le Pen; auch für die negative Wertung gibt es 2 Belege (beide bei Le Pen). Gegenüberstellung und Fremdbildkonstruktion werden hier häufig dazu genutzt, die beiden Kandidaten bzw. ihre Programme und Visionen gegenüberzustellen.665 Während die Kontrastierung bei der Gegenüberstellung explizit gemacht wird, bleibt sie bei der Fremdbildkonstruktion implizit; das Fremdbild dient hier als Kontrastfolie, vor der der Kandidat sich selbst noch besser profilieren kann. Die eigene Position unterliegt dabei stets einer positiven Wertung, die des anderen einer negativen. Beide agonalen Diskurshandlungen dienen damit nicht nur der Konfrontation und der Abgrenzung, sondern indirekt auch der positiven Selbstdarstellung
Dabei scheint es sich um ein für professions de foi zumindest im zweiten Wahlgang übliches Verfahren zu handeln (cf. Chetouani 2005).
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
547
und der Werbung für die eigene Position. Dies illustriert exemplarisch folgendes Beispiel: (214) EM: Le choix est désormais clair: d’un côté, la France dans ce qu’elle peut avoir de meilleur, lorsqu’elle est rassemblée, conquérante et qu’elle a soif de l’avenir; de l’autre, la France dans ce qu’elle peut rappeler de pire, lorsqu’elle est repliée sur elle-même, divisée et qu’elle regarde vers le passé (Profession de foi, 05.2017). Macron konstruiert hier ein positives Selbstbild («la France dans ce qu’elle peut avoir de meilleur») und ein negatives Fremdbild («la France dans ce qu’elle peut rappeler de pire») und stellt diese explizit einander gegenüber («Le choix est désormais clair»; «d’un côté…, de l’autre»; «de meilleur – de pire»). Damit geht implizit die Aufforderung einher, die richtige Wahl («choix») zu treffen, das heißt für Macron zu stimmen. Le Pen widmet einen Großteil der letzten Seite ihrer profession de foi des zweiten Wahlgangs dem Entwurf eines negativen Bildes ihres Gegners. Den unteren Teil der Seite nimmt ein grau hinterlegter Kasten ein, der mit «LE TERRIBLE BILAN / MACRON – HOLLANDE / LE TERRIBLE PROJET» überschrieben ist und eine Reihe von Aufzählungen enthält, die abwertende Fremdzuschreibungen ihres Gegners umfassen (z.B.: «CAISSE SOCIALE Il promet une ‹loi El Khomri puissance 10› qui saccagera encore le droit du travail.»). Rechts darüber werden unter der Überschrift «NOUS LE FERONS» eine Reihe politischer Maßnahmen aufgelistet, die Le Pen umzusetzen plant und die sich auch eine Mehrheit von Franzosen wünsche, die Macron hingegen ablehne. Gegenübergestellt werden hier die Position Le Pens («NOUS LE FERONS»), die Position der Bevölkerung («VOUS ÊTES x % À LE VOULOIR.») und die Position Macrons («MACRON EST CONTRE») in Bezug auf verschiedene politische Maßnahmen. Die Positionen Le Pens und der Bevölkerung koinzidieren dabei stets und sind derjenigen Macrons entgegengesetzt. Die Gegenüberstellung wird durch die graphische Gestaltung noch verstärkt, indem die Positionen Le Pens und der Bevölkerung beide in blau untereinanderstehend dargestellt sind, die Position Macrons hingegen, in grau und schräg am Rand platziert, wie ein Störfaktor erscheint. Indem sich Le Pen mit ihrer Position auf den Willen der Bevölkerung beruft, sucht sie ihrer Position eine größere Legitimität zu verschaffen, wobei durch die Angabe von Umfragewerten darüber hinaus eine größere Glaubwürdigkeit erzielt werden soll. Macrons Position hingegen wird diskreditiert, indem sie als vom Willen der Bevölkerung abweichend dargestellt wird. Durch
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
(215)
Abbildung 33: Marine Le Pen, Profession de foi, 05.2017, S. 4 (Auszug).
diese typische Strategie des Negative Campaigning (cf. Schmücking 2015) wird der Gegner (hier Macron) in ein schlechteres Licht gerückt und das eigene Ansehen (hier Le Pens) erhöht. Die erheblichen Unterschiede zwischen den professions de foi des ersten und des zweiten Wahlgangs lassen sich auf zwei Gründe zurückführen. Zum einen ist der zweite Wahlgang aufgrund der größeren Personalisierung und klaren Zuspitzung auf zwei Kandidaten durch eine größere Konkurrenz und Polarisierung geprägt. Auch die Tatsache, dass nun die finale Entscheidung gefällt werden soll, steigert die Relevanz des Geschehens. Dass die binäre Opposition zwischen den Kandidaten ein zentraler Faktor ist, spiegelt sich auch darin, dass sich die Fremdbildkonstruktionen in sämtlichen Fällen auf den jeweiligen Kontrahenten beziehen. Zum anderen aber sind die Unterschiede zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang auch darauf zurückzuführen, dass Gegenüberstellungen und Fremdbildkonstruktionen besonders charakteristisch für Le Pen sind, deren Korpusanteil nun stärker ins Gewicht fällt. Dass akteursspezifische Verwendungsweisen hier tatsächlich eine entscheidende Rolle spielen, führt das stark asymmetrische Verhältnis der Belege (4:12 bzw. 2:16) deutlich vor Augen.
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
549
Insgesamt spiegeln sich in der sprachlichen Gestalt der Textsorte die zentralen Merkmale und Funktionen derselben. Die dominierenden agonalen Diskurshandlungen, die Stellungnahme und, weit dahinter, die Konstruktion eines Selbstbildes, korrelieren mit den zentralen Funktionen dieser Textsorte, das Programm und sich als Kandidat – möglichst positiv – darzustellen, um so die Wähler von sich zu überzeugen. Dass agonale Diskurshandlungen wie die Konstruktion eines Fremdbildes und die Gegenüberstellung eher selten und der Dissens sogar inexistent sind, zeigt, dass Fremddarstellung ebenso wie Kontrastierung und Abgrenzung eine untergeordnete Rolle spielen. Ausnahmen stellen zum einen Le Pen dar, die sich durch einen stärker auf Konfrontation und Feindbildkonstruktion ausgerichteten Personalstil auszeichnet (cf. auch Kapitel 6.3.5), und zum anderen der zweite Wahlgang, der aufgrund der binären Opposition der beiden Spitzenkandidaten von einer stärkeren Polarisierung geprägt ist. Darüber hinaus zeichnen sich die professions de foi durch verschiedene besonders charakteristische, wenn auch nicht exklusive sprachliche Mittel und Verfahren aus, die bei der Realisierung verschiedener agonaler Diskurshandlungen eine Rolle spielen, wie der Nominal- und Infinitivstil, das «effacement énonciatif», die Verwendung der 3. Ps. (‹statt ich›) und die besondere graphische Gestaltung.
6.4.4 TV-Duelle Als zentraler Bestandteil von Wahlkämpfen in zahlreichen Ländern sind TVDuelle mit der Zeit zu einer regelrechten «medialen ‹Institution[…]›» (Grewening 2017, 554) geworden. In Frankreich hat sich das Genre des débat de l’entre-deux-tours als einer der Höhepunkte des Wahlkampfs inzwischen fest etabliert (cf. Delporte 2001; 2012; Requate 2018) und zeichnet sich, trotz einiger Veränderungen und Entwicklungen, durch eine erstaunliche Konstanz aus (cf. Kerbrat-Orecchioni 2017; 2019). An der Bedeutsamkeit dieser «rituels républicains» (Delporte 2012) hat sich, dem Wandel der Gesellschaft und der Medienlandschaft zum Trotz, auch 2017 nichts geändert.666 Das TV-Duell ist eine massenmedial vermittelte Textsorte längeren Umfangs,667 die medial mündlich, dialogisch und multimodal angelegt ist. An der
Cf. Kapitel 5.2, Anm. 395. Der débat de l’entre-deux-tours dauert üblicherweise ca. zwei bis drei Stunden; 2017 waren es 2h35. Deutlich länger sind die TV-Duelle vor dem ersten Wahlgang, die auch eine größere Teilnehmerzahl verzeichnen, mit 3h13 am 20.03.2017 (5 Kandidaten) und 3h51 am 04.04.2017 (11 Kandidaten).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Kommunikation beteiligt sind die Präsidentschaftskandidaten (im Fall der hier untersuchten TV-Duelle zwei, fünf und elf an der Zahl) und die Journalisten, die für die Überwachung der Einhaltung der Vorgaben und die Moderation der Sendung zuständig sind (zwei pro Duell); hinzu kommt ggf. ein Studiopublikum und schließlich das Fernsehpublikum. Damit zeichnet sich das TV-Duell durch eine äußerst komplexe Kommunikationssituation aus: Die Kommunikation erfolgt zunächst zwischen den Kandidaten und den Journalisten, die alle wechselseitig die Rolle der Produzenten und Rezipienten einnehmen (face-toface-Kommunikation). Darüber hinaus kann ggf. ein Studiopublikum anwesend sein, das dem Gespräch live und vor Ort folgt, selbst aber nicht intervenieren darf. In jedem Fall wird das Gespräch durch das Fernsehpublikum verfolgt, das die Sendung live, aber räumlich versetzt rezipiert. Da TV-Duelle zudem aufgezeichnet und im Internet zugänglich gemacht werden, können sie darüber hinaus im Nachgang, also räumlich und zeitlich versetzt, von der Öffentlichkeit rezipiert werden. Durch diese komplexe Kommunikationssituation sind TV-Duelle in besonderem Maße von Mehrfachadressierung geprägt. Zwar adressieren sich die Sprecher, das heißt Politiker und Journalisten, in erster Linie gegenseitig, der eigentliche Adressat des Duells jedoch ist das Publikum. Die Textsorte des TV-Duells zeichnet sich durch eine besondere Fixierung und Regulierung aus. Die Themen des Duells werden im Voraus festgelegt,668 auch der Ablauf ist genau geregelt, die Gesprächsteilnehmer haben feste Rollen und das Gesprächsverhalten unterliegt zum Teil klar fixierten Regeln, zum Beispiel in Bezug auf das Rederecht und die Dauer der Redebeiträge.669 Als Teil des Wahlkampfs zeichnet sich auch das TV-Duell durch eine starke intertextuelle Einbettung aus, wobei insbesondere die sogenannten petites phrases hervorstechen, einzelne, im Anschluss an das TV-Duell aufgegriffene Äußerungen,
Eine Ausnahme stellen einige wenige freie Teile, wie das Fazit oder die carte blanche, dar. Vor dem Hintergrund dieser Themenfixierung erweist sich im Hinblick auf Agonalität die Frage, ob bzw. wie es den Kandidaten gelingt, dennoch eigene Themenschwerpunkte zu setzen oder den Verlauf der Diskussion thematisch zu lenken, als besonders interessant. In einer 1981 von Serge Moati und Robert Badinter erarbeiteten Charta, die insgesamt 22 Punkte umfasst, wurden erstmals Regeln in Bezug auf den Ablauf des Duells, die szenische Gestaltung sowie die Bedingungen des Drehs festgelegt. Zu diesen kamen im Laufe der Zeit weitere Vorgaben hinzu, deren Einhaltung durch den 1989 gegründeten Conseil supérieur de l’audiovisuel (CSA) überwacht wird. Die jüngsten Veränderungen wurden durch die Loi organique de modernisation des règles applicables à l’élection présidentielle (Loi n° 2016-729 DC vom 21.04.2016; Légifrance 2016) herbeigeführt und haben gerade im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2017 für Diskussionen gesorgt, insbesondere was das Verhältnis von Gleichbehandlung (égalité) und Billigkeit (équité) angeht (cf. Rio 2019).
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
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die mitunter für jahrzehntelange Diskussionen gesorgt haben und Eingang ins kollektive Gedächtnis der Franzosen gefunden haben.670 Wie in der Wahlkampfkommunikation insgesamt dominieren auch im TVDuell die Funktionen der an die Wähler gerichteten Information und Persuasion: «Politische Fernsehdiskussionen haben unter dem Aspekt der politischen Kommunikation die Funktion der öffentlichen Entfaltung eines Meinungsspektrums u./o. der Darstellung von Kontroversen zwischen politischen Repräsentanten, die überwiegend den Eindruck erwecken, sie würden miteinander reden, um einander zu überzeugen, die aber primär die persuasive Wirkung auf die TV-Zuschauer im Auge haben» (Klein 2001, 1595; Hervorhebung im Original).
Überzeugt werden soll das Publikum, nicht aber der unmittelbare Gesprächspartner; diesen hingegen gilt es zu ‘besiegen’: «Par rapport au co-débatteur: il s’agit non de le convaincre, […] mais de le vaincre» (Kerbrat-Orecchioni 2017, 18). Entscheidender noch als Argumente ist dabei das rhetorische Geschick (cf. Charaudeau 2015, 110). Als Sieger des Duells gilt, wer das größte Geschick in der verbalen Auseinandersetzung gezeigt hat (cf. Delporte 2001, 82).671 All diese Merkmale des TV-Duells – die unmittelbare Konfrontation der Kandidaten und ihrer Programme, die direkte Aushandlung von Meinungsverschiedenheiten im Dialog, die Spontansprachlichkeit sowie das ultimative Ziel, den Gegner zu besiegen, indem man sich selbst überlegen zeigt und so den Wähler zu überzeugen sucht, – legen nahe, wie bereits in Kapitel 5.2 präsumiert wurde, dass TV-Duelle in hohem Maße von Agonalität geprägt sind. Geradezu sinnbildlich für den agonalen Charakter dieser Textsorte steht auch die Bezeichnung derselben, diente Duell doch ursprünglich der Bezeichnung eines mit Waffen ausgetragenen Zweikampfs zur Entscheidung eines Ehrenhandels. Im Französischen findet der Begriff duel zur Bezeichnung der Textsorte ebenfalls Verwendung (so z.B. der Journalist Cyril Adriens-Allemand bei der Ankündigung des TV-Duells zwischen Le Pen und Macron am 03.05.2017), üblicher jedoch ist débat. Maier/Faas (2019, 2–3) zufolge ist dieser Begriff neutraler, da
Cf. Delporte (2012); Kerbrat-Orecchioni (2017; 2019). Zu den berühmtesten derartigen Äußerungen zählen «Vous n’avez pas, monsieur Mitterrand, le monopole du cœur», womit Giscard d’Estaing 1974 Mitterrand konfrontierte, «Mais vous avez tout à fait raison, monsieur le Premier ministre», das Mitterand 1988 Chirac entgegenhielt, die von Hollande 2012 geprägte Wendung «moi président» sowie die von Macron 2017 getätigte Äußerung «C’est de la poudre de perlimpinpin». Zum Konzept der petite phrase cf. Kapitel 4.2.2, Anm. 284. So werden im Nachgang der TV-Duelle in der Regel Umfragen dazu durchgeführt, welcher der Kandidaten als Sieger des Duells empfunden wird – ein klarer Hinweis auf den stark agonalen Charakter dieses Genres. Im Duell zwischen Le Pen und Macron galt Macron klar als Sieger (cf. Challenges.fr 2017).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
ihm die «dramatische Zuspitzung im Sinne eines ‹Duells›» fehle, und zugleich offener was die Zahl der beteiligten Akteure angehe. Zumindest etymologisch betrachtet beruht jedoch auch débat, genau wie duel, auf der Kampfmetapher (cf. Kapitel 6.1.2.5). Den agonalen Charakter dieser Textsorte bezeugen auch Bezeichnungen wie corps à corps und tête-à-tête (Delporte 2001) oder face-à-face (so die Journalistin Isabel Torre bei der Ankündigung des TV-Duells zwischen Le Pen und Macron am 03.05.2017) und Beschreibungen wie «Toujours est-il que dès le lever de rideau voilà le plateau télé transformé en ring» (Kerbrat-Orecchioni 2019, 79), durch die das TV-Duell mit einem Boxkampf verglichen wird, oder «Il est malaisé de qualifier de ‹débat› le pugilat d’hier soir» (Du Limbert 2017), wie es im Leitartikel des Figaro über das Duell zwischen Macron und Le Pen heißt. Der agonale Charakter der Textsorte rührt primär von der Gegenüberstellung der Kandidaten her, aber auch von der Konfrontation zwischen Kandidaten und Journalisten. Letzteres bezeugt der Vergleich des TV-Duells mit einem Verhör, der von Le Pen und Fillon bemüht, von der Moderatorin Laurence Ferrari aber zurückgewiesen wird: (216) a. MLP [zu RE]: Non mais madame, madame, excusez-moi, mais euh c’est un interrogatoire là euh? Je croyais que c’était un débat, mais il semblerait que là les procureurs euh tout d’un coup ont (.) mis leurs vestes, non? Leurs robes peut-être? (TV-Duell, 04.04.2017). b. FF [zu RE]: Alors laissez-moi (.) dérouler mon raisonnement. Vous vous/ on a l’impression d’être/ de subir un interrogatoire. (.) [C’est = MLP: [Ben c’est = FF: = étonnant quand même. C’est quand même] étonnant. Bon. MLP: = exactement cela. (.) J’y ai l’habitude.] LF: Nous sommes dans un questionnement journalistique. S’il vous plaît, continuez (TV-Duell, 04.04.2017). Auch in der Forschungsliteratur werden TV-Duelle immer wieder als eine in besonderem Maße von Konfliktualität, Polemik, Konfrontation und Wettbewerb geprägte Textsorte beschrieben (cf. Delporte 2001; Dupuy/Marchand 2011; Charaudeau 2015; Kerbrat-Orecchioni 2017; 2019). Kerbrat-Orecchioni (2017, 16) bezeichnet das TVDuell als ein regelrechtes «genre confrontationnel»; bei Klein (2001, 1594) heißt es: «In beiden Interaktionsformaten [= TV-Duellen und Plenardebatten; meine Anm.] überwiegen Dissensbetonung und der Kontrast zwischen einer von Selbstgewissheit und SELBSTLOB geprägten PROARGUMENTATION zugunsten der eigenen Position und einer von VORWÜRFEN, BESCHULDIGUNGEN, und ENTRÜSTUNG, manchmal SARKASMUS durchzogenen KONTRA-ARGUMENTATION gegen die Kontrahenten» (Majuskeln im Original).
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
553
Der stark agonale Charakter von TV-Duellen lässt sich auch empirisch nachweisen. Unter den häufigsten Begriffen und Schlüsselbegriffen finden sich zahlreiche Agonalitätsindikatoren, zum Beispiel mais (LLR = 426,50), Ausdrücke der Verneinung wie non, pas, n, Dissensmarker wie désaccord und si, auf den Kampf um die Wahrheit verweisende Termini wie réalité und vrai sowie der dem Angriff dienende und einer negativen Wertung unterliegende Ausdruck bêtises. Auch der verstärkende Begleiter der Agonalität extrêmement ist Schlüsselbegriff in TVDuellen. Im Allgemeinen finden sich unter den Schlüsselbegriffen viele Synsemantika wie Pronomina (z.B. vous, on, ça, c’, moi, il, je) und Diskursmarker (z.B. euh, donc, alors, voilà), die auf die große Bedeutung der Dialogizität und der Aushandlung für TV-Duelle hinweisen. Dies gilt auch für die Anredeformen monsieur und madame, Eigennamen (z.B. Le Pen, Macron, Marine, Mélenchon, Fillon, Hamon), Konsensmarker (oui, d’accord, effectivement) und auf das Sprechen an sich verweisende Begriffe (z.B. proposez, débat, dire, dites, propose, parler, parole, dit, parle, question), die allesamt Schlüsselbegriffe in TV-Duellen sind. Unterrepräsentiert hingegen sind zahlreiche Autosemantika (z.B. France, recherche, avenir, numérique, histoire, culture), was zeigt, dass in TV-Duellen die Diskussion, der Austausch und die Aushandlung von Perspektiven und Positionen über die eigentlichen Inhalte dominieren. Auch die agonalen Diskurshandlungen zeugen vom stark agonalen Charakter des TV-Duells. Zwar ist auch in TV-Duellen die häufigste agonale Diskurshandlung die Stellungnahme (27%), doch ist sie hier seltener als in allen anderen Textsorten und im Vergleich zu Wahlprogrammen und professions de foi sogar unterrepräsentiert (cf. Anm. 656). Sehr häufig sind die von einer hohen Konfliktualität zeugenden agonalen Diskurshandlungen der Gegenüberstellung, des Dissenses und des Angriffs (jeweils 11%), von denen die ersten beiden in TV-Duellen sogar überrepräsentiert sind.672 Ebenfalls überrepräsentiert sind der Kampf um die Wahrheit und der Konsens;673 Alleinstellungsmerkmal von TV-Duellen ist der Kampf um das Rederecht. Im Folgenden sollen mit Dissens und Konsens, Angriff und Verteidigung, Kampf um die Wahrheit und Kampf um das Rederecht zunächst die für TVDuelle besonders charakteristischen agonalen Diskurshandlungen untersucht werden. Im Anschluss daran wird ein Blick auf die agonalen Diskurshandlun-
In Bezug auf die Gegenüberstellung unterscheiden sich TV-Duelle signifikant von Wahlprogrammen und professions de foi mit p < 0,01; in Bezug auf Dissens unterscheiden sich TVDuelle signifikant von Wahlprogrammen, professions de foi und Reden mit p < 0,01. In Bezug auf den Kampf um die Wahrheit unterscheiden sich TV-Duelle signifikant von allen anderen Textsorten mit p < 0,01; in Bezug auf Konsens unterscheiden sich TV-Duelle signifikant von Wahlprogrammen, professions de foi und Reden mit p < 0,01.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Gegenüberstellung Selbstbildkonstruktion
11% 3%
Fremdbildkonstruktion
10%
Stellungnahme
27%
negative Wertung
8%
Dissens Konsens
11% 4%
Angriff Verteidigung
11% 4%
Kampf um die Wahrheit Kampf um das Rederecht
9% 2%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Abbildung 34: Agonale Diskurshandlungen in TV-Duellen.674
gen der negativen Wertung sowie der Selbst- und Fremdbildkonstruktion geworfen. Die Gegenüberstellung folgt den üblichen Prinzipien (cf. dazu Kapitel 6.2.1) und wird hier daher nicht gesondert behandelt. Die Äußerung von Dissens gehört Kerbrat-Orecchioni (2017, 167) zufolge zu den wichtigsten sprachlichen Handlungen in TV-Duellen: «Ces interactions [= les débats; meine Anm.] sont foncièrement polémiques, ce sont des ‹duels›, visant à la mise à mort symbolique de l’adversaire. Toutes sortes d’actes de langage vont être mis au service de cette visée, au premier rang desquels figurent les diverses manifestations du désaccord: défiant le principe général de ‹préférence pour l’accord› (Pomerantz, 1984), ces interactions sont tout au contraire orientées vers le désaccord» (Hervorhebungen im Original; cf. auch Kerbrat-Orecchioni 2016).
Dies kann auf der Grundlage des Korpus bestätigt werden. Der Dissens ist in TV-Duellen sehr frequent (11%) und im Vergleich zu anderen Textsorten überrepräsentiert; Termini wie non, mais, pas, oui, d’accord und désaccord, die häufig zur Äußerung von Dissens verwendet werden (cf. 217a–e), sind Schlüsselbegriffe in TV-Duellen.
Die quantitative Auswertung basiert auf einer zufällig ausgewählten Stichprobe, die insgesamt eine Dauer von 1,5 Stunden umfasst (eine halbe Stunde pro TV-Duell, jeweils von 00:30:00 bis 00:45:00 und von 00:02:00 bis 00:02:15). Erfasst wurden ausschließlich Äußerungen der Politiker, nicht die der Moderatoren.
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
555
(217) a. BH [zu MLP]: Vous remettez en cause le concordat aussi, (.) AlsaceMoselle? MLP: Non. Non, non, non, non, non, non. Je ne le remets pas/ Non. Je ne le remets pas en cause (TV-Duell, 20.03.2017). b. FF: D’abord, j’ai un désaccord profond avec Emmanuel Macron, qui euh, à Berlin, a félicité la chancelière allemande pour la politique qu’elle a conduite, qui s’avère être une mauvaise politique, […] (TV-Duell, 20.03.2017). c. EM: Le rétablissement aux frontières. On va mettre quoi? (.) [Des gardes = MLP: [Des douaniers.] EM: = à chaque] frontière? Mais (.) [êtes vous sérieuse? Êtes-vous sérieuse?] MLP: [Oui, je suis très sérieuse, oui. (.) Très.] (TV-Duell, 03.05.2017). d. FF: […] Parce que il y a toujours une mauvaise base de [raisonnement. = JLM: [Oui, mais c’est = FF: = Je crois que c’est la vôtre.] JLM: = la vôtre qui est une mauvaise idée.] Je vais vous montrer pourquoi (TV-Duell, 20.03.2017). e. JLM [auf eine Äußerung Macrons reagierend]: Je ne suis pas d’accord avec les soi-disant négociations à la base qui peuvent contourner la loi ou la défaire, parce qu’à la base, il y a un rapport de force, monsieur Macron. Et à la base, le rapport de forces est TRÈS mauvais pour les travailleurs (TV-Duell, 20.03.2017). Dass der Dissens in TV-Duellen eine so zentrale Rolle spielt, ist auf die diese charakterisierende Kommunikationssituation zurückzuführen. Zum einen führt die direkte Interaktion im Dialog (im Gegensatz zur monologischen Kommunikation in Wahlprogrammen und professions de foi) dazu, dass in Bezug auf Positionen und Äußerungen anderer direkt Stellung bezogen wird, zum Beispiel indem Dissens geäußert wird. Zum anderen führt die Tatsache, dass die Gesprächspartner unter anderem die Gegenkandidaten selbst sind (im Gegensatz zu den TV-Interviews, in denen ausschließlich Journalisten die Gesprächspartner sind), dazu, dass in TV-Duellen verstärkt Dissens geäußert wird, da es ja darum geht, sich von den anderen Kandidaten abzugrenzen und die eigene Überlegenheit diesen gegenüber zu demonstrieren. Allerdings sollte die Bedeutsamkeit des Dissenses nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch der Konsens in TV-Duellen eine Rolle spielt (cf. Doury/Kerbrat-Orecchioni 2011), auf den im Korpus immerhin 4% der agonalen Diskurshandlungen entfallen.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Eine wichtige Rolle für TV-Duelle spielen auch Angriff (11%) und Verteidigung (4%) (cf. auch Charaudeau 2015). Dabei führt die für TV-Duelle spezifische Kommunikationssituation dazu, dass der Angegriffene in der Kommunikationssituation teilweise selbst anwesend ist, wodurch die offensive, «gesichtsverletzende»675 Kraft des Angriffs zusätzliches Gewicht erhält. Darüber hinaus gibt es auch einige für TV-Duelle spezifische Formen des Angriffs, wie das Sprechen über einen Anwesenden in der dritten Person (delocutio in praesentia, cf. Kerbrat-Orecchioni 2017, 46–49) oder die Verwendung spezifischer Anredeformen.676 Angriff und Verteidigung können nicht nur auf verschiedenste Weise erfolgen, sondern haben im Laufe der Zeit in französischen TV-Duellen immer mehr zugenommen und auch immer offensivere Formen angenommen (cf. Kerbrat-Orecchioni 2017, insb. 167–225; 2019, insb. 75–115). Dies gilt auch für den Präsidentschaftswahlkampf 2017. Angriffe und Gegenangriffe, Anschuldigungen, Kritik, Vorwürfe und argumentum ad hominem sind, wie die folgenden Beispiele exemplarisch illustrieren, an der Tagesordnung, insbesondere, aber nicht nur im débat de l’entre-deux-tours. (218) a. BH [zu FF]: […] vous avez été premier ministre pendant cinq ans. Vous avez échoué gravement (.) [sur ces questions-là. […] Vous avez échoué = FF: [Et vous, vous pensez que ministre de = BH: = gravement.] FF: = François Hollande, vous n’avez pas échoué? On a deux ministres de François Hollande ici, là, qui ont tous les deux échoué et qui essayent de dissimuler en permanence] (TV-Duell, 20.03.2017). b. JLM [zu MLP]: Fichez-nous la paix avec la religion! Nous ne sommes pas obligés de subir vos foucades, vos trouvailles, votre manière de nos imposer à tous une manière de vivre qui n’est pas la nôtre! (TV-Duell, 04.04.2017).
Als Gesicht, engl. face, wird mit Goffman (1959; 1967a) das öffentliche, gewünschte Selbstbild eines Individuums bezeichnet, das es einerseits herzustellen und aufrechtzuerhalten gilt (face work), das andererseits aber auch durch sogenannte face threatening acts bedroht und zerstört werden kann (cf. Brown/Levinson 1987). Dies gilt etwa für die Bezeichnung «monsieur le Premier ministre», die Mitterrand 1988 gegenüber Chirac gebrauchte (cf. die Analyse von Kerbrat-Orecchioni 2017, 186–189). Die gleiche Strategie nutzt Le Pen, wenn sie im Duell der Spitzenkandidaten 2017 zu Macron sagt: «Monsieur le ministre de l’économie (.) ou dois-je dire le conseiller (.) auprès de monsieur Hollande».
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
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c. BH [zu MLP]: Je me disais que vous soyez une droguée ou page faits divers, c’est une chose, mais (.) vous êtes candidate à la présidence de la République. (.) Et (.) je trouve que ce n’est pas très sérieux ce que vous (.) êtes en train de dire (TV-Duell, 20.03.2017). d. MLP [zu EM]: Vous avez plutôt la position aujourd’hui du candidat par défaut, choisi par défaut par toute une série de gens. Alors vous devriez faire preuve d’un peu moins d’arrogance (.) avant l’élection quand même (TV-Duell, 03.05.2017). e. EM [zu MLP]: La France, c’est bien autre chose. C’est une civilisation ouverte avec (.) des principes généreux. TOUT l’inverse de ce que vous portez. Ce n’est pas la xénophobie, ce n’est pas VOTRE vision des familles, celle que votre père a rappelée y a encore quelques jours (.) de manière indigne, ou celle que vous avez constamment menée (.) à l/ au Parlement européen comme dans les régions que vous avez cherché à diriger, […] (TV-Duell, 03.05.2017). Eine spezifische Ausprägung erfahren Angriff und Verteidigung im Kampf um die Wahrheit. Der Kampf um die Wahrheit spielt in TV-Duellen eine zentrale Rolle, wie nicht nur die Frequenz und statistische Signifikanz entsprechender agonaler Diskurshandlungen, sondern auch mit diesen korrespondierende Agonalitätsindikatoren belegen: réalité und vrai sind Schlüsselbegriffe in TV-Duellen; auch vérité und faux sowie Begriffe aus der Wortfamilie mentir, menteur, mensonge sind in TV-Duellen im Vergleich zu anderen Textsorten äußerst frequent. 1000 800 600 400 200 0 Wahlprogramme professions de foi vérité(s)
réalité(s)
TV-Duelle vrai(e)(s)
TV-Interviews
faux(-sse)(s)
Reden
mentir etc.
Abbildung 35: Relative Häufigkeit von Begriffen aus dem Bereich Kampf um die Wahrheit in verschiedenen Textsorten.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Dass der Kampf um die Wahrheit in TV-Duellen eine so zentrale Rolle spielt, ist auf verschiedene Gründe zurückzuführen. Zum einen ist die Absprache von Wahrheit – wie auch die Äußerung von Dissens – ein mögliches Verfahren, um Äußerungen anderer zu widersprechen bzw. deren Gültigkeit anzuzweifeln und dient damit der Abgrenzung von anderen Kandidaten bzw. deren Positionen (219a). Darüber hinaus ist die Absprache von Wahrheit eine Form des Angriffs und ein geeignetes Mittel zur Konstruktion eines negativen Fremdbildes. Indem ein Kandidat als Lügner dargestellt wird, wird ihm die Fähigkeit, ein guter Präsident zu sein, abgesprochen (219b). Im Gegenzug stellt die Inanspruchnahme von Wahrheit ein geeignetes Mittel zur Konstruktion eines positives Selbstbildes dar (219c). Gerade in jüngerer Zeit spielt das parler vrai eine immer wichtigere Rolle in der Selbstinszenierung französischer Politiker (cf. Oustinoff 2010; Dupuy/Marchand 2016, 77). (219) a. EM [über die sog. directive travailleurs détachés677]: Mais je suis simplement en train de vous dire que le cœur du problème aujourd’hui, il est dans un contrôle accru qui est en train de se développer, mais qui est insuffisant, voilà. JLM: C’est totalement faux (TV-Duell, 04.04.2017). b. EM: Madame Le Pen a utilisé sa conclusion tout entière (.) pour dire des mensonges sur mon projet sans jamais dire ce qu’elle voulait pour le pays. (.) Je ne veux pas de ça pour la France, je ne veux pas ça pour notre pays. (.) […] La France mérite mieux de/ mieux que cela (TV-Duell, 03.05.2017). c. EM: Moi je voudrais simplement dire que (.) j’ai entendu ces colères, ces doutes, ces manques. (.) Je veux y répondre par (.) le courage. (.) D’abord le courage de la vérité. (.) Je ne vous ai, moi, jamais menti, jamais expliqué que j’allais vous faire des cadeaux sans expliquer comment j’allais les financer, jamais vous promettre des choses invraisemblables (TVDuell, 03.05.2017).
Als directive travailleurs détachés oder auch directive détachement wird die Richtlinie 96/ 71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen bezeichnet. Ziel der Richtlinie ist die Herstellung eines rechtlichen Rahmens für den Europäischen Binnenmarkt im Bereich der Dienstleistungen. In Frankreich hat die Lage in den 2010er Jahren durch einen rapiden Anstieg an travailleurs détachés und die Entwicklung einer neuen Form des dumping social eine dramatische Zuspitzung erfahren. Die directive zählte zu den meistumstrittenen Themen im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017.
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
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Der Kampf um das Rederecht macht zwar nur 2% der agonalen Diskurshandlungen in TV-Duellen aus, ist aber absolutes Alleinstellungsmerkmal dieser Textsorte. In TV-Duellen unterliegt die Redezeit einer strengen Regulierung, deren Einhaltung genau überwacht wird. Die meisten Äußerungen zur Redezeit stammen daher von den Moderatoren, die für die Überwachung der Einhaltung der Regeln zuständig sind. Doch auch die Kandidaten selbst achten auf die Einhaltung dieser Regeln (220a). Dabei geht es ihnen weniger um eine Gleichbehandlung aller Kandidaten, sondern sie handeln vielmehr im eigenen Interesse. Einerseits fordern sie das Rederecht ein, indem sie zum Beispiel ungefragt das Wort ergreifen, trotz entsprechender Aufforderung nicht aufhören zu sprechen oder offen reklamieren, weitersprechen zu dürfen, etwa weil ihnen noch Zeit zustehe (220b). Andererseits sprechen sie anderen Kandidaten das Rederecht ab, indem sie sie zum Beispiel unterbrechen oder sich darüber beschweren, dass sie mehr Redezeit in Anspruch nehmen würden, als sie sollten (220c). (220) a. RE: Merci à tous. Cette première partie est terminée. Tout le monde s’est exprimé. Euh les temps de parole sont relativement euh équivalents. […] JLM: Relativement? (.) 05:43 [entspricht der Redezeit Mélenchons; meine Anm.], c’est relativement la même chose que 06:56 [entspricht der Redezeit Le Pens; meine Anm.]? (TV-Duell, 04.04.2017). b. BH: […] d’un mot, d’un mot, s’il vous plaît, écoutez. Moi, j’ai beaucoup de retard, donc je termine. […] (TV-Duell, 04.04.2017). c. MLP [zu EM, nachdem dieser sie mehrfach unterbrochen hatte]: Est-ce que vous pourriez (.) arrêter de me [couper la parole?] EM: [Non mais je vous coupe] la parole parce que vous dites des bêtises (TV-Duell, 03.05.2017). In all diesen Fällen verhelfen diese Aussagen den Kandidaten dazu, das Gespräch zu dominieren und eine größere Hörbarkeit zu erlangen und der Diskurshoheit so ein Stück näher zu kommen. Hörbarkeit bezieht sich hier im nahezu wörtlichen Sinne auf die physiologische Ebene, darauf, mehr zu reden als andere, um auch mehr gehört zu werden. Von der Bedeutsamkeit des Kampfs um das Rederecht in TV-Duellen zeugen auch die Schlüsselbegriffe minute(s), retard und secondes. Dass der Kampf um das Rederecht ein Alleinstellungsmerkmal der TV-Duelle ist, liegt nicht nur darin begründet, dass die Redezeit in dieser Textsorte einer strengen Regulierung unterliegt, was ja auch für andere Formate und Kontexte gilt, sondern auch darin, dass die Kandidaten hier im direkten Dialog miteinander stehen. Darüber hinaus zeugt der Kampf um das Rederecht auch
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
von der direkten und unmittelbaren Aushandlung konkurrierender Perspektivierungen verschiedener Akteure im Dialog. Neben diesen für TV-Duelle besonders charakteristischen agonalen Diskurshandlungen spielen auch die Selbst- und Fremdbildkonstruktion sowie die negative Wertung eine relativ große Rolle in TV-Duellen. Die Konstruktion eines negativen Bilds des Gegenübers, die «disqualification de l’adversaire», und die Konstruktion eines positiven Bilds von sich selbst, die «auto-qualification», zählen zu den wichtigsten sprachlichen Handlungen in TV-Duellen (cf. Kerbrat-Orecchioni 2017, 212). Ähnlich formuliert es Charaudeau (2015, 111): «(i) orientée vers l’adversaire, l’activité consiste à tenter de le disqualifier au regard de ce que pourraient être sa légitimité et sa crédibilité; (ii) orientée vers l’orateur lui-même, elle consiste à donner de soi-même une image qui navigue entre autorité et authenticité».678 Aus Sicht der agonalen Diskurshandlungen handelt es sich hier um eine Kombination der Konstruktion eines Fremdbildes und der negativen Wertung auf der einen Seite und um eine Kombination der Konstruktion eines Selbstbildes und der positiven Wertung auf der anderen. Dies erfolgt unter anderem mittels der Affirmation des Selbst (Schlüsselbegriffe moi und je; Bigramm je suis) und der Abgrenzung von dem bzw. den anderen (Schlüsselbegriff vous; Bigramm vous êtes).679 Im Zentrum stehen dabei die Kandidaten als individuelle Persönlichkeiten (moi je ist mit 2.161 Okkurrenzen sechzehnhäufigstes Bigramm), wohingegen ihre Parteizugehörigkeit oder die Einschreibung in ein Kollektiv kaum eine Rolle spielen (negative Schlüsselbegriffe nous, notre, nos; cf. auch Dupuy/ Marchand 2011; 2016, 76; Mayaffre 2013, 80–81). Dass die Selbstbildkonstruktion in TV-Duellen zum Einsatz kommt, liegt nicht zuletzt darin begründet, dass die Kandidaten durch die Journalisten explizit dazu aufgefordert werden, sich vorzustellen, zu beschreiben, wer sie sind bzw. wer sie als Präsident sein wollen. So lautet die jeweils erste Frage in den TV-Duellen vor dem ersten Wahlgang 2017: (221) a. ACC: Quel président voulez-vous être? (TV-Duell, 20.03.2017). b. RE: Comment vous présentez-vous aux Français? Comment/ qui êtes vous? (TV-Duell, 04.04.2017).
Darüber hinaus nennt Charaudeau (2015, 111) zwei weitere, für TV-Duelle zentrale sprachliche Handlungen: rhetorisches Geschick zu beweisen und das Publikum anzusprechen. Alle genannten Termini sind für TV-Duelle äußerst charakteristisch. Mit einer LLR von 1.291,05 verfügt vous über die höchste Keyness überhaupt; moi hat eine LLR von 314,84, je von 134,9. Die Bigramme je suis und vous êtes belegen Platz 25 und 26 in der Liste der häufigsten Bigramme.
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
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Die Kandidaten entwerfen daraufhin ein positives Selbstbild, indem sie ihre jeweiligen Besonderheiten, Kompetenzen und positiven Eigenschaften herausstellen, um zu demonstrieren, dass sie ein sehr guter bzw. der beste Präsident sein werden und um die Wähler von sich und ihrem Programm zu überzeugen. Dies illustriert exemplarisch folgende Antwort Fillons auf die in (221a) formulierte Frage: (222) FF: […] je veux être le président du redressement national. Je serai le président qui libérera les Français de la bureaucratie, qui libérera les Français de l’excès de réglementation d’impôts qui les empêchent d’aller au bout de leurs rêves, d’aller au bout de leurs projets, et qui les bloquent dans leur vie. Je serai le président qui placera la France sur un chemin qui la conduira à être, en moins de dix ans, la première puissance européenne. Je serai le président qui PROtégera les Français contre les DÉsordres et les violences intérieures et extérieures […] (TV-Duell, 20.03.2017). Im Gegenzug konstruieren die Kandidaten ein negatives Bild der anderen Kandidaten, um zu zeigen, dass diese für das Amt des Präsidenten nicht geeignet sind. Die Konstruktion eines negativen Fremdbilds dient zum einen der Abgrenzung, da sie die Möglichkeit bietet, sich und den bzw. die Gegenkandidaten einander gegenüberzustellen, zum anderen dient sie aber auch der eigenen Profilierung, da das Fremdbild als Kontrastfolie fungiert, vor deren Hintergrund die eigene Person in einem positiveren Licht erscheint. Das komplexe Wechselspiel von positivem Selbst- und negativem Fremdbild illustriert exemplarisch Le Pens erster Redebeitrag im Duell mit Macron vor dem zweiten Wahlgang: (223) MLP: Ben écoutez, je suis extrêmement heureuse (.) de la manière dont se déroule ce second tour (.) parce que la réalité c’est que (.) le choix politique que les Français (.) vont devoir faire c’est clair. Monsieur Macron est le candidat de la mondialisation sauvage, de l’ubérisation, de (.) la précarité, de la BRUtalité sociale, de la guerre du tous contre tous, de/ (.) du saccage économique, notamment de nos grands groupes, du dépeçage de la France par (.) les grands intérêts économiques, du communautarisme, et tout cela piloté par monsieur Hollande, qui est à la manœuvre maintenant, de la manière la plus claire qui soit. […] Bon évidemment face à cela je suis la candidate du peuple, je suis la candidate de la France telle que nous l’aimons, de sa culture, de sa civilisation, de son unité. Je suis (.) la candidate de la nation qui protège […]. Monsieur Macron, […] on a vu (.) les choix que vous avez faits pendant ce second tour. Des choix qui sont des choix cyniques, l’utilisation d’arguments de campagne qui sont HON-
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teux, euh et qui révèlent peut-être la froideur du banquier d’affaires que vous n’avez probablement jamais cessé d’être (TV-Duell, 03.05.2017). Le Pen zeichnet hier zuerst ein negatives Bild ihres Gegenübers («Monsieur Macron est…») und dann ein positives Bild von sich selbst («je suis…»), die sie explizit einander gegenüberstellt («le choix […] est clair», «face à cela»), um abschließend noch einmal auf Macron zurückzukommen und die Abwertung seiner Person sehr deutlich zu machen («choix cyniques», «arguments […] honteux», «froideur du banquier d’affaires»). Sowohl die Reihenfolge der Argumente (d.h. die Tatsache, dass sie zuerst über ihr Gegenüber und dann erst über sich selbst spricht und ihr Statement auch mit einer Aussage über ihr Gegenüber beendet) als auch ihre Gewichtung (das, was sie über Macron sagt, umfasst in der Transkription dreimal so viele Zeilen als das, was sie über sich selbst sagt) zeigen, dass die Konstruktion eines negativen Fremdbilds gegenüber der Konstruktion eines positiven Selbstbilds hier deutlich überwiegt. Dies gilt auch für TV-Duelle insgesamt (3% Selbstbildkonstruktion vs. 10% Fremdbildkonstruktion): «la dévalorisation d’autrui l’emporte très largement sur la valorisation de soi» (KerbratOrecchioni 2017, 212; Hervorhebung im Original). Insgesamt sind TV-Duelle durch einen besonders hohen Grad der Agonalität, teilweise sogar der Aggressivität gekennzeichnet. Es finden eine Vielzahl agonaler Diskurshandlungen und Agonalitätsindikatoren Verwendung. Der Dissens und der Kampf um die Wahrheit, die hohe Frequenz der Negation und Schlüsselbegriffe wie non und mais zeugen davon, dass in TV-Duellen das Gegeneinander und die Abgrenzung eine zentrale Rolle spielen; Angriff und Verteidigung sind sehr häufig und teilweise sehr offensiv; die Konstruktion eines positiven Selbstbilds und die Konstruktion eines negativen Fremdbilds dienen der Aufwertung der eigenen Person und der Abwertung des bzw. der Gegenkandidaten. Alleinstellungsmerkmal von TV-Duellen ist der Kampf um das Rederecht. Zurückzuführen ist der hohe Grad der Agonalität in TV-Duellen insbesondere auf die dialogische Kommunikationssituation, die eine direkte Aushandlung konkurrierender Perspektiven ermöglicht, sowie auf die unmittelbare Konfrontation der Kandidaten als Träger dieser konkurrierenden Perspektiven.
6.4.5 TV-Interviews TV-Interviews sind ein integraler Bestandteil nicht nur des Wahlkampfs, sondern der politischen Kommunikation insgesamt. Ein TV-Interview ist ein im Fernsehen ausgestrahltes Gespräch, in dem ein Interviewter – im Fall politischer TV-Interviews ein Politiker bzw. Repräsentant einer politischen Institution – Fragen eines Inter-
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viewers – i.d.R. eines Medienvertreters (Journalist, Moderator etc.) – beantwortet.680 Gerade beim politischen TV-Interview und insbesondere in Zeiten des Wahlkampfs geht es zumeist um weit mehr als darum, Informationen einzuholen und Wissenslücken zu schließen, der eigentlichen Funktion des für Interviews konstitutiven Frage-Antwort-Musters. Vielmehr handelt es sich beim politischen TV-Interview um ein «dialogisches Handlungsspiel» (Bollow 2007) mit komplexen argumentativen Mustern, bei dem Frage- und Antwortverfahren strategisch funktionalisiert werden (cf. Bucher 1993; Klein 2001, 1589, 1600; Düring 2017, 540–544). Als massenmedial vermittelte, dialogische Textsorte weisen TV-Interviews zahlreiche Gemeinsamkeiten mit TV-Duellen, aber auch einige Unterschiede auf. Wie diese sind sie medial mündlich, dialogisch und multimodal und durch die gleiche, komplexe Kommunikationssituation und Mehrfachadressierung charakterisiert. Auch die starke Regulierung, etwa im Hinblick auf die Themen, den Ablauf, die Rollen der Gesprächsteilnehmer, die Redezeit und das Diskussionsverhalten, prägt beide Textsorten. Der Umfang von TV-Interviews ist jedoch zumeist deutlich kürzer.681 Vor allem aber ist an TV-Interviews im Unterschied zu TV-Duellen immer nur ein Politiker beteiligt, weshalb TV-Interviews kein Diskussionsformat, sondern primär ein Frage-Antwort-Format sind (cf. Klein 2001).682 TV-Interviews setzen sich aus einer Reihe von Frage-Antwort-Paaren zusammen, deren Funktion Klein (2001, 1598) wie folgt beschreibt: «Die allgemeine Funktion des FRAGE-ANTWORT-Musters ist es, dass der Fragende u./o. ein Auditorium, im weitesten Falle die unbegrenzte Öffentlichkeit, durch die ANTWORT auf den vom Fragenden verlangten Wissensstand gebracht wird. Im politischen Kontext dient das FRAGE-ANTWORT-Muster dem Fragenden vielfach dazu, eine Auskunft zu erhalten, aus der sich politische Schlüsse im Sinne des Fragenden ziehen lassen; demgegenüber zielt der Antwortende, sofern er Politiker ist, darauf, die ANTWORT zur positiven SELBSTDARSTELLUNG zu nutzen u./o. zumindest für das Ansehen der eigenen Position SCHÄDLICHES ZU VERMEIDEN» (Klein 2001, 1598; Hervorhebungen im Original).
Dabei unterscheidet Klein (2001, 1598) zwei Ausprägungen des Frage-AntwortMusters: Für eine Charakterisierung des politischen TV-Interviews cf. Düring (2017); zur Frühgeschichte des Interviews cf. Kött (2004). In den beiden hier untersuchten Interviewserien beträgt ein Interview mit einem Kandidaten zwischen 15 und 20 Minuten. Allerdings können TV-Interviews auch deutlich länger sein, wie im Fall der ebenfalls im Vorfeld der französischen Präsidentschaftswahl 2017 abgehaltenen Interviewserie L’émission politique, die pro Kandidat zwei Stunden und fünf Minuten umfasste. Natürlich ist das Frage-Antwort-Muster auch für TV-Duelle konstitutiv und natürlich kann auch in TV-Interviews diskutiert werden, doch überwiegt allein aufgrund der Konstellation der Gesprächsteilnehmer jeweils das eine bzw. das andere Format.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
«(1) P1 FRAGT – P2 ANTWORTET, indem P2 die verlangte INFORMATION GIBT u./o. AUSWEICHT (oder sonstwie NICHT-RESPONSIV ANTWORTET) u./o. ERKLÄRT, WARUM er die verlangte INFORMATION nicht gibt. (2) Indem P1 P2 FRAGT, PROVOZIERT P1 P2 (z.B. indem er P2 implizit einen VORWURF MACHT). P2 WEHRT SICH gegen die FRAGE-IMPLIKATION, z.B. einen VORWURF, u./o. RECHTFERTIGT SICH u./o. STELLT KLAR u./o. WEICHT AUS u./o. GEHT ZUM GEGENANGRIFF ÜBER» (Hervorhebungen im Original).
In politischen Interviews überwiegt die zweite der hier genannten Ausprägungen, da die Funktion politischer Interviews darin besteht, «den Politiker zu möglichst interessanten Äußerungen über politische Vorgänge u./o. über seine Position bzw. die seiner Partei zu bringen» (Klein 2001, 1600). Die Ausführungen Kleins legen nahe, dass auch das TV-Interview eine von Agonalität geprägte Textsorte ist. Bereits Holly (1993) hat gezeigt, dass politische TV-Interviews in besonderem und in zunehmendem Maße von Konfrontation geprägt sind. Die Konfrontation sei jedoch nicht real – schließlich vertreten Journalisten und Politiker nicht zwangsläufig unterschiedliche Positionen –, sondern werde inszeniert, um den Unterhaltungswert zu steigern, was jedoch zu einer Minderung des kritischen Potenzials der Textsorte führe. Zur Bezeichnung dieses Phänomens prägt Holly (1993, 193) in Analogie zu Infotainement den Begriff des Confrontainement. Kantara (2018) beschreibt das TV-Interview als «antagonistic arena»: TV-Interviews seien in besonderem Maße von antagonistischen sprachlichen Handlungen geprägt, was auf die diese Textsorte prägende Hybridität, d.h. die Tatsache, dass hier systematisch zwischen verschiedenen Typen sprachlicher Handlung und Aushandlung gewechselt werde, zurückzuführen sei und worin sich die die Politik insgesamt prägende antagonistische Logik offenbare. In Bezug auf politische TV-Interviews spricht Düring (2017, 550–551) gar von einer regelrechten «kompetitiven Struktur»: «Angesichts der kompetitiven Struktur von politischen Interviews […] geht es immer auch darum, dass Journalisten und Politiker sich als strategisch klug agierende Akteure unter Beweis stellen: auf journalistischer Seite mit der Zielsetzung, möglichst viele konkrete Äußerungen zu erhalten, Geständnisse zu entlocken, Inkonsistenzen aufzudecken, Falschaussagen zu entlarven, den politischen Handlungsraum des Gegenübers zu verringern und das Ganze auf für das Publikum möglichst interessante Weise zu tun; auf politischer Seite mit der Zielsetzung, den eigenen politischen Handlungsraum möglichst zu vergrößern, ein positives Image zu etablieren, den politischen Gegner anzugreifen und das Ganze auf möglichst glaubhaft wirkende Weise zu tun. Für beide geht es in solcherart inszenierter Kommunikation nicht zuletzt darum, wie sie beim Publikum ankommen.»
Politiker scheinen sich des konfrontativen, antagonistischen Charakters von TV-Interviews bewusst zu sein, bezeichnete Peter Glotz das TV-Interview doch als regelrechtes «Kampfspiel» (Glotz, in Schmidt-Sinns 1989, 59). Inwiefern sich
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
565
der agonale Charakter dieser Textsorte auch empirisch nachweisen lässt, wird die folgende Analyse zeigen. Die Listen der frequenten Wörter sowie der Schlüsselbegriffe in TV-Interviews legen insgesamt einen mittleren Grad der Agonalität nahe. Die Liste der Schlüsselbegriffe enthält lediglich zwei Agonalitätsindikatoren, pas und si, die auf Negation, Dissens und agonale Aushandlung verweisen. Allerdings sind auch keine Agonalitätsindikatoren negative Schlüsselbegriffe in TV-Interviews. Unter den Schlüsselbegriffen finden sich viele Synsemantika wie Pronomina (on, il, c’, ça, ce) und Diskursmarker (donc) sowie Termini, die auf Dialogizität (votre, bonsoir; Eigennamen wie Pujadas und Coudray) und das Sprechen an sich (question, pense, dire, pose, conclusion, questions) verweisen. Dies zeigt, dass für TV-Interviews, ebenso wie für TV-Duelle, Dialogizität und Aushandlung sehr wichtig sind. Sehr häufig sind auch die Bigramme votre programme, vous voulez und vous êtes, worin sich die Tatsache spiegelt, dass ein Merkmal dieser Textsorte auch darin besteht, dass die Journalisten in ihren Fragen ein Bild des befragten Politikers konstruieren. Ein ähnliches Bild ergibt sich im Hinblick auf die agonalen Diskurshandlungen. Eine recht große Rolle spielt die Stellungnahme: Zwar ist sie im Vergleich zu Wahlprogrammen und professions de foi unterrepräsentiert (cf. Anm. 656), doch ist sie mit 42% die häufigste agonale Diskurshandlung in TV-Interviews und auch deutlich häufiger als in TV-Duellen (27%) und Reden (31%). Eine relative große Rolle spielt auch die Selbstbildkonstruktion, wenngleich der Unterschied zu anderen Textsorten nicht statistisch signifikant ist. Vergleichsweise häufig und im Vergleich zu mindestens einer anderen Textsorte überrepräsentiert sind die relativ stark agonalen Diskurshandlungen der Gegenüberstellung, der Fremdbildkonstruktion und des Dissenses.683 Die stark agonalen Diskurshandlungen Angriff und Verteidigung und der Kampf um die Wahrheit sind hingegen sehr selten684 und der Kampf um das Rederecht sogar inexistent. Im Hinblick auf die häufigste agonale Diskurshandlung, die Stellungnahme, zeichnen sich TV-Interviews dadurch aus, dass im Vergleich zu anderen Textsorten die explizite Positionierung für oder gegen etwas auffallend häufig ist. In TVInterviews erfolgen 15% der Stellungnahmen durch eine explizite Positionierung für oder gegen etwas, während es in TV-Duellen nur 10% und in Wahlprogram-
In Bezug auf die Gegenüberstellung unterscheiden sich TV-Interviews signifikant von Wahlprogrammen und professions de foi mit p < 0,01; in Bezug auf die Fremdbildkonstruktion unterscheiden sich TV-Interviews signifikant von Wahlprogrammen mit p < 0,01; in Bezug auf Dissens unterscheiden sich TV-Interviews signifikant von Wahlprogrammen, professions de foi und Reden mit p < 0,01. In Bezug auf den Kampf um die Wahrheit unterscheiden sich TV-Interviews signifikant von TV-Duellen mit p < 0,01.
566
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Gegenüberstelllung
13%
Selbstbildkonstruktion
11%
Fremdbildkonstruktion
7%
Stellungnahme
42%
negative Wertung
7%
Dissens
9%
Konsens
4%
Angriff
3%
Verteidigung Kampf um die Wahrheit Kampf um das Rederecht
0% 2% 0%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Abbildung 36: Agonale Diskurshandlungen in TV-Interviews.685
men und professions de foi jeweils 0% sind.686 Dies ist möglicherweise auf das für die Textsorte des TV-Interviews konstitutive Frage-Antwort-Muster zurückzuführen, da die Journalisten mit ihren Fragen die Politiker häufig dazu bewegen, in ihren Antworten Position zu beziehen (was freilich nicht bedeuten muss, dass der Politiker dieser Forderung auch nachkommt): (224) a. ACC: Faut-il interdire les signes religieux ostentatoires dans la rue? BH: Non (.) mais (.) on va pas faire une police du vêtement. […] Non, non, je ne suis pas favorable à cela (TV-Interview, 12.04.2017). b. GB: Faut-il, monsieur Mélenchon, légaliser le vote blanc, (..) le reconnaître? JLM: Oui. Oui. Parce que pour ma part, je suis pour le vote obligatoire. Je considère que […] (TV-Interview, 14.04.2017). Eine weitere Besonderheit der TV-Interviews ist – gerade im Vergleich zu TVDuellen – die relativ große Bedeutsamkeit der Selbstbildkonstruktion. Dies kam Der quantitativen Auswertung liegt die Interviewserie Demain Président zugrunde, die ein 20-minutiges Interview mit jedem Kandidaten umfasst. Die Gesamtdauer der Stichprobe umfasst damit eine Stunde und 40 Minuten. In der Statistik werden ausschließlich die Äußerungen der Politiker, nicht die der Moderatoren erfasst. Die Positionierung für und die Positionierung gegen etwas sind dabei relativ ausgeglichen: In TV-Interviews entfallen auf erstere 44% und auf letztere 56%; in TV-Duellen entsprechen beiden genau 50%.
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
567
schon in dem oben wiedergegebenen Zitat Kleins zum Ausdruck, demzufolge Politiker in TV-Interviews häufig versuchen, «die ANTWORT zur positiven SELBSTDARSTELLUNG zu nutzen». Auch die Schlüsselbegriffe je und suis sowie die häufigen Bigramme j ai, je suis, moi je, je veux und je pense zeigen, dass Politiker in TVInterviews häufig von sich selbst und ihrer Position sprechen. Dabei steht, wie in TV-Duellen, die individuelle Person im Fokus (Schlüsselbegriffe je, suis), wohingegen die Einschreibung in ein Kollektiv kaum eine Rolle spielt (negative Schlüsselbegriffe notre, nous, nos). Teilweise wird die Selbstbildkonstruktion, wie in TV-Duellen, von den Journalisten auch explizit gefordert. In der Interviewserie Demain Président zum Beispiel werden die Politiker nach ihren Stärken und Schwächen befragt (225a); in 15 minutes pour convaincre ist stets eine Frage ihrem Werdegang gewidmet, verbunden mit einem Foto, das den Kandidaten in früherer Zeit zeigt (225b). (225) a. ACC: […] vous allez (.) vous VOULEZ être président de la République. Quelle est votre principale qualité et quel est votre point faible? EM: On n’est jamais le mieux placé pour parler de soi. Je pense que l’engagement, l’opiniâtreté est ma principale qualité. ACC: Et votre point faible? EM: Sans doute l’entêtement, parfois, qui va avec (TV-Interview, 17.04.2017). b. DP: Deux mots encore (.) un peu plus personnels. D’abord question sur votre parcours. On a retrouvé (.) cette photo (.) où vous êtes (.) jeune (.) avocate. (.) C’était (.) c’était il y a 25 ans, si je ne m’abuse. C’était votre première vie, votre première carrière. Est-ce qu’elle vous manque, cette vie d’avocate, cette carrière-là, ce métier-là? MLP: Il y a 65 millions de Français qui attendent (.) d’avoir un très bon avocat. Donc, quelque part est-ce que j’ai vraiment changé euh de vocation? Euh j’en suis pas sûre. Je passe mes journées entières à les défendre et (.) j’en suis (.) toujours comblée d’ailleurs (TV-Interview, 20.04.2017). Des Weiteren spielen in TV-Interviews einige hochgradig agonale Diskurshandlungen eine bedeutende Rolle. Dazu zählen Gegenüberstellung, Dissens, Fremdbildkonstruktion und negative Wertung. Die Gegenüberstellung ist mit 13% die zweithäufigste agonale Diskurshandlung, weist aber keine textsortenspezifischen Ausprägungen auf. Der Dissens ist mit 9% relativ frequent und für TV-Interviews, ebenso wie für TV-Duelle, sehr typisch. Von der Wichtigkeit des Dissenses zeugen auch die Häufigkeit der Negation (Schlüsselbegriff pas; häufige Trigramme n est pas, c est pas, n a pas) sowie der Schlüsselbegriff si, der häufig zum Einlegen eines Widerspruchs verwendet wird. Die Bedeutsamkeit des Dissenses ist, wie auch die Häufigkeit der expliziten Positionierung für oder gegen etwas (cf. supra),
568
6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
auf das für TV-Interviews konstitutive Frage-Antwort-Muster zurückführen, das den Antwortenden häufig in die Lage bringt, sich in Bezug auf einen vom Fragenden thematisierten Sachverhalt ablehnend (Dissens) oder zustimmend (Konsens)687 zu äußern (cf. 224a–b). Fremdbildkonstruktion und negative Wertung sind mit jeweils 7% relativ frequent; dass sie genau gleich häufig sind, lässt ahnen, dass sie häufig miteinander korrelieren (auch wenn die kodierten Textstellen natürlich nicht in allen Fällen identisch sind). Agonale Diskurshandlungen mit sehr starkem agonalem Charakter sind in TV-Interviews sehr selten bis inexistent. Dazu zählen Angriff und Verteidigung, der Kampf um die Wahrheit und der Kampf um das Rederecht. Angriff und Verteidigung sind mit 3% bzw. 0,4% in TV-Interviews selten und auch deutlich seltener als in TV-Duellen (11 bzw. 4% in TV-Duellen). Darüber hinaus werden sie in TV-Interviews häufig zusätzlich abgeschwächt, zum Beispiel indem der Angegriffene nicht namentlich genannt wird (226a–c), der Angriff eher als Kritik denn als Vorwurf oder gar als Beleidigung formuliert wird (226a–b), oder indem zusätzliche abschwächende Mittel und Verfahren verwendet werden (Modalverb pouvoir und Adverb vraiment in 226a; Adverb peut-être in 226b). Die stärkste offensive Kraft hat der Angriff gegen Macron in (226c): (226) a. JLM: Et ils [= les chômeurs; meine Anm.] peuvent se demander comment on a pu arriver à une situation où ils sont six millions au chômage et on n’a pas vraiment l’impression euh que euh ce qu’il fallait faire ait été fait (TV-Interview, 14.04.2017). b. BH: MA gauche, elle vise à gouverner, mais à ne pas oublier, quand elle gouverne, qu’elle doit transformer la société et travailler à plus de justice sociale. C’est peut-être cela qui a manqué dans les dernières années (TV-Interview, 12.04.2017). c. FF: Je crois que les Français ont besoin d’un président de la République qui ait de l’expérience, euh qui soit capable de tenir compte (.) du passé, y compris des erreurs du passé pour réformer le pays, et puis surtout qui ait la force de caractère et euh la connaissance de du fonctionnement des rouages de notre pays pour euh assurer sa place dans le monde, voilà. Et on est dans un moment TRÈS dangereux, très difficile. Et je ressens pas euh le désir des Français de confier leur pays à un apprenti (TV-Interview, 19.04.2017).
Mit 4% spielt der Konsens eine keineswegs zu vernachlässigende Rolle in TV-Interviews und ist zudem gleich häufig wie in TV-Duellen.
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
569
Dass Angriff und Verteidigung in TV-Interviews insgesamt relativ selten und oft in abgeschwächter Form erfolgen, ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Politiker ihren Gesprächspartnern, d.h. den Journalisten, gegenüber tendenziell ein im Großen und Ganzen angemessenes Gesprächsverhalten an den Tag zu legen suchen. Weder sind die Gegenkandidaten, die häufig Ziel von Angriffen sind, in der Kommunikationssituation präsent (wie in TV-Duellen), weshalb die Angriffsfläche fehlt, noch sind die Politiker alleine für die Gesprächsführung zuständig (wie in Reden), weshalb sie sich weniger frei und ungezwungen äußern. Auch die geringe Frequenz des Kampfs um die Wahrheit (2%) ist mit dadurch bedingt, dass die Gesprächspartner nicht die Gegenkandidaten sind, da es dadurch ausbleibt, diesen die Wahrheit abzusprechen und es im Umkehrschluss auch weniger relevant ist, den eigenen Anspruch auf Wahrheit zu betonen. Keine Verwendung findet der Kampf um das Rederecht: Zwar unterliegt die Redezeit in TV-Interviews ebenfalls einer strengen Regulierung, doch da nur ein Politiker an der Kommunikation beteiligt ist, muss sich der jeweils interviewte Kandidat die ihm zustehende Redezeit nicht erkämpfen, fällt sie ihm doch automatisch zu. Alles in allem wird deutlich, dass TV-Interviews als eine von Dialogizität und Konfrontation geprägte Textsorte einen mittleren Grad der Agonalität aufweisen. Im politischen TV-Interview im Speziellen ist die Agonalität darauf zurückzuführen, dass zum einen der Journalist unter anderem darauf abzielt, den Politiker durch Provokationen o.ä. zu möglichst interessanten Äußerungen zu bewegen, und dass zum anderen der Politiker danach strebt, ein möglichst positives Bild von sich abzugeben, indem er rhetorisch möglichst geschickt agiert, indem er zum Beispiel ausweicht, ablenkt, sich verteidigt oder einen Gegenangriff startet. Schwächer agonale Diskurshandlungen wie die Stellungnahme und die Selbstbildkonstruktion sind relativ häufig, stärker agonale Diskurshandlungen wie Gegenüberstellung, Dissens, Fremdbildkonstruktion und negative Wertung spielen jedoch auch eine gewisse Rolle. Sehr stark agonale Diskurshandlungen wie Angriff und Verteidigung und der Kampf um die Wahrheit sind hingegen selten. Im Vergleich zu den übrigen untersuchten Textsorten weist das agonale Profil des TV-Interviews viele Gemeinsamkeiten mit demjenigen des TV-Duells auf, was auf den vergleichbaren kommunikativen Kontext (Mündlichkeit, Dialogizität, massenmediale Vermitteltheit, starke Regulierung des Genres etc.) zurückzuführen ist, unterscheidet sich aber auch in verschiedener Hinsicht von diesem. So spielen im TV-Interview zum Beispiel die Selbstbildkonstruktion, das Frage-Antwort-Muster und damit einhergehende spezifische Frage- und Antwort-Techniken sowie die häufige explizite Positionierung für oder gegen etwas eine deutlich größere Rolle. Diese Unterschiede bzw. Besonderheiten des TV-Interviews sind unter anderem auf die spezifische Kommunikationssituation
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
zurückzuführen, die zwar den Dialog zwischen Journalisten und Kandidaten ermöglicht, nicht aber, wie es im TV-Duell der Fall ist, zwischen den Kandidaten untereinander.
6.4.6 Reden Die politische Rede gehört zu den ältesten und wichtigsten politischen Textsorten überhaupt.688 Bereits in der griechischen Antike wurden mit génos symboleutikón (Beratungsrede), génos dikanikón (Gerichtsrede) und génos epideiktikón (Festrede) verschiedene Typen der Rede unterschieden, die die Rhetorik und ihre Erforschung über Jahrhunderte hinweg prägten (cf. dazu Klein 2013b). Die Wahlkampfrede, um die es im Folgenden gehen soll, entspricht einer spezifischen Ausprägung dieser Textsorte, die dem génos symboleutikón zugeschrieben werden kann. Indem sich die Wahlkampfrede in den Wahlkampf als größeren Interaktionsrahmen einschreibt, steht sie nicht nur in enger Beziehung zu anderen Kommunikationsformen im Wahlkampf, sondern weist auch für den Wahlkampf charakteristische sprachliche Mittel und Verfahren auf (cf. Spieß 2019). Wahlkampfreden werden im Rahmen öffentlicher Auftritte der Kandidaten, sogenannter meetings (électoraux), gehalten, die sich (nicht nur) in Frankreich durch eine starke Inszeniertheit auszeichnen und zu einer regelrechten Bühne der Machtdemonstration geworden sind (cf. Cossart 2010; Haddad 2017; 2018; Lardellier 2018). Bis heute hat dieses traditionelle Format nicht an Aktualität und Bedeutsamkeit verloren, auch nicht im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 (cf. Sécail 2020). Die Wahlkampfrede ist eine medial mündliche, multimodal vermittelte Textsorte mittleren Umfangs.689 Die Kommunikation erfolgt face-to-face, also unter raum-zeitlicher Kopräsenz von Produzenten und Rezipienten. Ergänzend können Wahlkampfreden live im Fernsehen690 sowie zeitlich versetzt über das Internet rezipiert werden. Produzent der Rede ist ein Politiker, hier die Spitzenkandidaten im französischen Präsidentschaftswahlkampf. Rezipient ist das Publikum, das sich im Fall der face-to-face-Kommunikation überwiegend aus
Für eine Charakterisierung der Textsorte sowie einen Überblick über ihre historische Entwicklung und Erforschung cf. König (2017). Die hier untersuchten Reden haben eine durchschnittliche Länge von 59 Minuten (mit Ausnahme der beiden Reden am Abend des zweiten Wahlgangs, die deutlich kürzer sind) und umfassen im Mittel 7.724 Token. Seit dem französischen Präsidentschaftswahlkampf 2012 ist die Live-Übertragung von Wahlkampfauftritten bzw. -reden im Fernsehen in Frankreich üblich und zu einem eigenständigen Mittel der Wahlkampfkommunikation geworden (cf. Sécail 2020, 19).
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
571
Sympathisanten des Kandidaten und Mitgliedern seiner Partei bzw. seines Wahlbündnisses zusammensetzt. Wird die Rede im Nachgang massenmedial vermittelt rezipiert, entspricht das Publikum einer breiteren Öffentlichkeit. Die Kommunikation ist dialogisch angelegt, wie die Vielfalt und Vielzahl der Interaktionen zwischen Redner und Publikum bezeugen,691 auch wenn die monologische, unidirektionale Kommunikation vom Redner zum Publikum dominiert. Gegenstand von Wahlkampfreden sind die Hauptthemen der Kampagne. Als typisches Kommunikationsformat des Wahlkampfs schreibt sich die Wahlkampfrede in das Handlungsfeld der politischen Werbung ein und wird durch die informativ-persuasive Funktion dominiert. Spezifische Funktionen der Wahlkampfrede bestehen darüber hinaus in der «Mobilisierung der Parteimitglieder und -anhänger», weshalb die Wahlkampfrede «stark appellativ[en]» Charakter hat, und, sekundär, in der «Persuasion von Wählern außerhalb dieses Personenkreises» (Klein 2000, 751). Des Weiteren dient die Wahlkampfrede der «persönlichen Profilierung des Redners» (Klein 2000, 748). Anders als andere Typen der politischen Rede ist die Wahlkampfrede, da sie in den Wahlkampf als Interaktionsrahmen eingebettet ist, von Agonalität geprägt. Als Teil des Wahlkampfs nehmen Wahlkampfreden «Bezug auf widerstreitende Meinungen, sind selbst Teil dieser Auseinandersetzung» (Klein 2000, 748). Klein (2000, 748) unterscheidet zwei Kategorien politischer Rede, eine dissens- und eine konsensorientierte, wobei er die Wahlkampfrede als Prototyp der dissensorientierten Rede begreift: «In parlamentarischen Demokratien ist die typische politische Rede thematisch u./o. interaktional durch Auseinandersetzung geprägt. Die heftigste Form der rein thematischen Auseinandersetzung eines Redners mit der konzeptionellen u./o. personellen Konkurrenz pflegt die Wahlkampfrede zu sein» (Klein 2000, 748). Die verschiedenen Mittel der Inszenierung, die eine Wahlkampfrede und das gesamte Meeting ermöglichen, werden von den Kandidaten strategisch genutzt, «[afin] d’accroître leur visibilité et leur chance dans la compétition électorale»; «entre spectacle politique et divertissement, le meeting se donne à voir et à entendre à travers sa scénographie rutilante et la présence d’attributs visuels et sonores chargés de sens» (Sécail 2020, 167). Über das übliche Maß hinaus sind Wahlkampfreden dann von Agonalität geprägt, wenn sie der «Eroberung» neuer Wählergruppen dienen – Sécail (2020, 45) spricht vom «meeting de conquête» – und wenn die Meetings verschiedener Kandidaten zur selben Zeit und womöglich Dazu zählen u.a. die direkte Anrede des Publikums, an das Publikum gerichtete Fragen und Appelle sowie Interventionen des Publikums (zumeist in Form von Applaus oder skandierten Parolen, zum Teil auch in Form von individuellen Zwischenrufen), auf die der Redner teilweise auch spontan reagiert.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
sogar am selben Ort stattfinden, wodurch diese, auch im Hinblick auf die mediale Berichterstattung und die Mobilisierung der Zuschauer, in eine weitere Form der Konkurrenz zueinander treten – Sécail (2020, 52) spricht hier vom «meeting de combat».692 Auf einen agonalen Charakter der Wahlkampfrede deuten die Schlüsselbegriffe combat und battrai, Agonalitätsindikatoren aus dem semantischen Feld des Kampfes, sowie mondialistes und patriotes, die auf die Relevanz semantischer Kämpfe und lexikalischer Gegenüberstellung verweisen, hin. Darüber hinaus sind unter den Schlüsselbegriffen stark ideologisch aufgeladene Termini wie histoire, génération, liberté, peuple, fraternité, république und paix und auf ein Kollektiv verweisende Termini wie nous, amis, mes, notre, sommes, voulons, avons und nos zu finden. Unterrepräsentiert hingegen sind Ausdrücke, die auf Dialogizität und Aushandlung verweisen: Termini wie non, accord, question, Diskursmarker wie donc, ben, euh, zur Anrede verwendete Ausdrücke wie madame, monsieur und Eigennamen (z.B. Le Pen, Macron, Marine, Hamon, Mélenchon) sowie die zur Fremdzuschreibung gebrauchten Ausdrücke vous, avez, voulez, allez, dites. Auch der Agonalitätsindikator mais ist negative keyword in Reden. Im Hinblick auf agonale Diskurshandlungen verfügt die Textsorte der Wahlkampfrede über ein recht spezifisches, von den übrigen untersuchten Textsorten stark differierendes agonales Profil. Die Stellungnahme ist auch hier die häufigste agonale Diskurshandlung, im Vergleich zu Wahlprogrammen und professions de foi aber unterrepräsentiert (cf. Anm. 656). Unterrepräsentiert und zum Teil sogar inexistent sind auch Dissens, Konsens und der Kampf um die Wahrheit.693 Besonders häufig und charakteristisch hingegen sind Selbst- und Fremdbildkonstruktion sowie die stark agonalen Diskurshandlungen negative Wertung und Angriff.694
Im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 war dies zum Beispiel am ersten Februarwochenende der Fall, an dem gleich drei Kandidaten ein Meeting in Lyon abhielten, Macron (04.02.2017), Le Pen (05.02.2017) und Mélenchon (05.02.2017; zeitgleich als Hologramm in Paris). Auch am 17. April und am 1. Mai 2017 traten Macron und Le Pen jeweils nur leicht zeitversetzt in Paris auf. In Bezug auf Dissens unterscheiden sich Reden signifikant von TV-Duellen und TVInterviews mit p < 0,01. In Bezug auf Konsens unterscheiden sich Reden signifikant von TVDuellen mit p < 0,01. In Bezug auf den Kampf um die Wahrheit unterscheiden sich Reden signifikant von TV-Duellen mit p < 0,01. In Bezug auf die Selbstbildkonstruktion unterscheiden sich Reden signifikant von Wahlprogrammen und TV-Duellen mit p < 0,01. In Bezug auf die Fremdbildkonstruktion unterscheiden sich Reden signifikant von Wahlprogrammen, professions de foi und TV-Duellen mit p < 0,01. In Bezug auf die negative Wertung unterscheiden sich Reden signifikant von Wahlpro-
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
Gegenüberstellung
10%
Selbstbildkonstruktion
16%
Fremdbildkonstruktion
17%
Stellungnahme
31%
negative Wertung
11%
Dissens
0%
Konsens
0%
Angriff Verteidigung Kampf um die Wahrheit Kampf um das Rederecht
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11% 1% 3% 0%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Abbildung 37: Agonale Diskurshandlungen in Wahlkampfreden.695
Im Hinblick auf die häufigste agonale Diskurshandlung, die Stellungnahme, sticht ein textsortenbedingtes Spezifikum hervor, und zwar die häufige Äußerung von Gefühlen. Dabei handelt es sich zumeist um positive Gefühle, die der Kandidat insbesondere seinen Zuhörern und seinem Land gegenüber zu empfinden vorgibt (cf. 227a–b). Darin spiegelt sich der hohe Grad an Emotionalität und Expressivität, der die Textsorte der Wahlkampfrede prägt. Zeugnis davon legen auch die Schlüsselbegriffe aime und amour ab. (227) a. BH: Chers amis, chers amis, je vais vous dire, aujourd’hui, quelque chose d’assez politiquement (.) incorrect. […] j’aime CE QUE vous êtes. (0,3) J’aime le peuple que nous sommes. (..) Oui, j’aime le magnifique visage de la République. (..) J’aime la mosaïque sublime (.) de vos dizaines de milliers de visages, 20 milles ce soir, […] (Rede, 19.04.2017).
grammen und professions de foi mit p < 0,05. In Bezug auf Angriffe unterscheiden sich Reden signifikant von Wahlprogrammen und professions de foi mit p < 0,05. Die quantitative Auswertung basiert auf einer Stichprobe, die pro Sprecher zweimal zehn Minuten und damit insgesamt eine Stunde und 40 Minuten umfasst. Die Auszüge sind jeweils der bedeutendsten Rede jedes Sprechers im Wahlkampf entnommen (JLM 18.03.2017, BH 19.03.2017, EM 17.04.2017, FF 05.03.2017, MLP 17.04.2017) und setzen jeweils 10 Minuten nach Beginn bzw. 20 Minuten vor Ende der Rede ein (mit Ausnahme der Rede Fillons, bei dem es 5 bzw. 15 Minuten sind, da die Rede insgesamt nur eine halbe Stunde dauert).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
b. MLP: L’amour de la patrie, (.) c’est le socle, le postulat, la LIGNE de conduite de mon projet (Rede, 17.04.2017). Besonders charakteristisch für die Rede sind Fremd- (17%) und Selbstbildkonstruktion (16%). In der Häufigkeit folgen sie direkt auf die Stellungnahme – damit stellt die Rede die einzige hier untersuchte Textsorte dar, bei der nicht die Gegenüberstellung die zweithäufigste agonale Diskurshandlung ist – und sie sind statistisch signifikant überrepräsentiert. Eine Besonderheit der Fremdbildkonstruktion in Wahlkampfreden besteht darin, dass Gegenstand der Fremdbildkonstruktion neben politischen Gegnern insbesondere auch die Rezipienten der Rede, d.h. das Publikum, die Parteimitglieder, die Anhänger des Kandidaten oder auch die Gesamtheit der Franzosen, sind: 18% der Fremdbildkonstruktionen sind Zuschreibungen in Bezug auf diese Gruppen. Diese Fremdbildkonstruktionen gehen, im Gegensatz zu anderen Formen der Fremdbildkonstruktion, in der Regel mit einer positiven Wertung einher und dienen der Solidarisierung des Redners mit seinen Rezipienten und sind daher nicht als agonal zu werten. In (228a) wird diese Solidarisierung zusätzlich durch die Bekundung, dass Fillon seinen Wählern die Wahrheit schulde, sowie durch die Anrede «mes amis» unterstrichen, in (228b) durch das inklusive Pronomen der 1. Ps. Pl. nous. Diese Form der Fremdbildkonstruktion kann auch implizieren, dass sich der Sprecher als Sprachrohr des Volkes inszeniert, wie in (228b), wo Le Pen vorgibt, den Willen der (aller?) Franzosen («les Français veulent…») zu kennen. (228) a. FF: Vous êtes les électeurs de la droite et du centre, (.) bien décidés à faire de l’élection présidentielle le point de départ d’un pays qui renaît, (.) un pays dont vous et vos enfants seraient fiers, (.) un pays qui affirme sa volonté d’être une puissance gagnante, (.) la première puissance européenne dans les DIX ans qui viennent. (5,0) Vous êtes (.) la preuve vivante que rien de grand ne peut se faire sans vous. (..) À vous, mes amis, je dois la vérité (Rede, 05.03.2017). b. MLP: Rendez-nous la France xxx. Cela signifie que les Français veulent être un peuple libre, un peuple souverain. Les Français veulent décider pour EUX-mêmes de LEUR destin, de leurs priorités, de l’organisation et du fonctionnement de LEUR société, de LEUR modèle économique, de LEUR système de protection sociale! (Rede, 17.04.2017). Bezieht sich die Fremdbildkonstruktion auf politische Gegner, geht sie, wie in den übrigen Textsorten auch, in der Regel mit einer negativen Wertung einher. Diese Art der Fremdbildkonstruktion ist in Reden oftmals besonders offensiv und
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
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aggressiv: «Der politische Gegner wird meist in kraß abwertenden Bezeichnungen (oft Stigmawörtern), Prädikaten und Sprechakten (Ablehnen, Kritisieren, Vorwerfen, Angreifen, Verhöhnen, Glaubwürdigkeit und Kompetenz absprechen u.ä.) negativ modelliert» (Klein 2000, 750). Exemplarisch illustrieren dies die von Fillon in Bezug auf Macron gebrauchten Bezeichnungen histrion ‘Schmierenkomödiant’ und ancien porte-serviette Hollandes (FF, Rede, 05.03.2017). Diese besondere Aggressivität mag darauf zurückzuführen sein, dass zum einen der Gegner nicht persönlich anwesend ist, der Redner also keine direkte Gegenwehr zu erwarten hat, und dass zum anderen die Rezipienten Anhänger des Kandidaten sind, sich der Redner mit ihnen also über ein gemeinsames Feindbild zusätzlich zu solidarisieren vermag. In der hohen Frequenz der Selbstbildkonstruktion spiegelt sich die Tatsache wider, dass, wie oben im Anschluss an Klein konstatiert wurde, eine der Funktionen der Wahlkampfrede in der persönlichen Profilierung des Redners besteht. Dabei zeichnet sich die Selbstbildkonstruktion in der Rede dadurch aus, dass die Einschreibung in ein Kollektiv eine besonders große Rolle spielt: Der Redner spricht sehr häufig in der 1. Ps. Pl.; die Pronomina der 1. Ps. Pl. nous (mit LLR = 724,78 der Terminus mit der höchsten keyness überhaupt), notre, nos sowie die Verbformen in der 1. Ps. Pl. – in der Reihenfolge ihrer keyness – sommes, voulons, avons, allons, aurons, portons, croyons sind Schlüsselbegriffe in Reden; die Bigramme de notre, de nos, nous avons, nous sommes, je vous sind hochfrequent. Zwar ist auch das Pronomen je recht frequent, doch sind moi und suis sogar unterrepräsentiert. Insgesamt ist die Einschreibung in ein Kollektiv in Reden somit ungleich bedeutsamer als in anderen Textsorten. Dabei bleibt häufig unklar, wer Teil dieses Kollektivs ist, d.h. wer bzw. was Referenzobjekt ist. Im folgenden Beispiel etwa oszillieren die Zuschreibungen zwischen dem anwesenden Publikum («tant de gens»), den Pronomina nous und notre mit unklarer Referenz (Mélenchon und sein Wahlkampfteam, sein Wahlbündnis, seine Anhänger, seine Wähler?), Frankreich («la France»), das französische Volk («son peuple travailleur») und schließlich Mélenchon selbst («je»). Diese Referenzen lassen sich nicht in eins setzen, überlappen und überschneiden sich aber auf vielfältige Weise. (229) JLM: Aujourd’hui tant de gens sont venus, et parfois de si loin. Oh, comme nous avions besoin de sentir notre force. Elle est notre liberté, elle est le feu qui brûle en nous et ne s’éteindra jamais, elle est le recours dont disposent la France en toute circonstance et son peuple travailleur. De cette montée en masse, je prends la part de sympathie et d’encouragement personnel qu’elle comporte évidemment (Rede, 18.03.2017).
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Eine zentrale Rolle spielen auch die stark agonalen Diskurshandlungen Angriff und negative Wertung. Mit jeweils 11% sind sie nicht nur sehr frequent (die negative Wertung ist in keiner anderen Textsorte frequenter, auf den Angriff entfallen in TV-Duellen ebenfalls 11%, in den übrigen Textsorten weniger), sondern zeichnen sich auch, ebenso wie die Fremdbildkonstruktion, in den Reden durch eine besondere Aggressivität und offensive Kraft aus. Mögliche Erklärungen wurden oben bereits diskutiert. Zur Illustration seien hier zwei Beispiele angeführt, ein Angriff Fillons auf die Regierung Hollandes (230a) und ein Angriff Le Pens auf ihre Gegenkandidaten Fillon, Macron und Mélenchon, mit den klar abwertenden Ausdrücken ses copains assureurs und ses copains grands patrons (230b): (230) a. FF: Notre pays n’a pas été GOUVERNÉ, il a été géré par le premier secrétaire du parti socialiste. (4,9) Dès le début, (.) le hollandisme a montré son vrai visage, ses synthèses impossibles, cette alternance d’attentisme et d’activisme poussif et bruyant, cette crainte constante d’affirmer clairement un cap, préférant caboter le long de l’actualité (Rede, 05.03.2017). b. MLP: Nous ne laisserons pas (.) nous ne laisserons pas (.) monsieur Fillon privatiser la sécurité sociale au bénéfice de ses copains assureurs (..) ou monsieur Macron effondrer le système d’indemnisation du chômage pour faire plaisir à ses copains grands patrons. (..) Nous ne laisserons pas monsieur Mélenchon vous ponctionner, comme il le prévoit, de cent milliards d’impôts supplémentaires (Rede, 17.04.2017). Die Gegenüberstellung ist mit 10% in Wahlkampfreden ähnlich frequent wie in anderen Textsorten; auch sind keine textsortenspezifischen Ausprägungen zu erkennen. Die übrigen agonalen Diskurshandlungen spielen nur eine marginale Rolle. Auf den Kampf um die Wahrheit entfallen nur 3%.696 Neben der Inanspruchnahme von Wahrheit (cf. z.B. 228a) manifestiert er sich vor allem darin, dass sich die Kandidaten immer wieder auf Autoritäten berufen und damit unter anderem ihre Glaubwürdigkeit zu untermauern suchen. Äußerst selten ist die Verteidigung (1%). Dies ist schlicht kaum notwendig, da der Redner in der
Klein (2000, 751) zufolge zeichnet sich der Geltungsmodus von Wahlkampfreden durch die «emittentenseitige Prätention eines unbedingten Wahrheits- und Richtigkeitsanspruchs [aus], dem von Seiten parteigläubiger Mitglieder und Anhänger mit hohem, von anderen – vor allem als Folge der Wahlkampfsituation – mit geringerem Vertrauen begegnet, d.h. eine unterschiedliche Geltungskraft zugesprochen wird». Dies mag zutreffen, manifestiert sich zumindest im hier untersuchten Korpus jedoch nur selten in Form entsprechender Agonalitätsindikatoren oder sprachlicher Handlungen, mittels derer die Wahrheit explizit in Anspruch genommen würde; stattdessen liegt den Aussagen der Kandidaten vielmehr ein impliziter Anspruch auf Gültigkeit und Wahrheit zugrunde.
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
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konkreten Kommunikation nicht Gegenstand von Angriffen ist und sich somit nicht zu verteidigen braucht; wenn er sich dennoch verteidigt, dann in der Regel indem er auf einen zu einem früheren Zeitpunkt ihm gegenüber geäußerten Angriff Bezug nimmt (Intertextualität) und sich nachträglich verteidigt. So zum Beispiel Fillon, auf die Affaire Fillon Bezug nehmend: (231) FF: […] par un côté, (..) par le désir de moralité que cette campagne comporte, elle vous paraît juste. Par tout un autre, par l’excès, par la disproportion, par la haine, elle vous paraît injuste. J’ai fait ce que j’ai pu (.) entre ces écueils (Rede, 05.03.2017). Keine Rolle spielen Dissens und Konsens (jeweils 0%); non und accord sind sogar negative keywords. Dies ist darauf zurückführen, dass einerseits der Grad der Dialogizität in der Rede deutlich geringer ist als etwa im TV-Duell oder im TV-Interview, eine direkte Ablehnung von oder Zustimmung zu Aussagen anderer also nicht erforderlich bzw. nicht möglich ist, und dass andererseits die Interaktionspartner Sympathisanten des Kandidaten sind und damit die Konfrontation, die der Kandidat zum Beispiel in der Interaktion mit Moderatoren oder seinen Gegenkandidaten erfährt, ausbleibt. Insgesamt zeigt sich, dass in Wahlkampfreden nicht nur eine Vielzahl von Agonalitätsindikatoren und agonalen Diskurshandlungen Verwendung findet, sondern dass sich die Wahlkampfrede durch ein sehr spezifisches agonales Profil auszeichnet. Dies zeigt sich zum Beispiel bei der Fremdbildkonstruktion, die in Wahlkampfreden nicht nur hoch frequent ist, sondern sich darüber hinaus, in Verbindung mit einer positiven Wertung, auf die Rezipienten beziehen kann, und, wenn sie sich auf politische Gegner bezieht, von einer besonders großen Offensivität bzw. Aggressivität gekennzeichnet ist. Letzteres gilt auch für die ebenfalls relativ häufigen agonalen Diskurshandlungen des Angriffs und der negativen Wertung. Sehr häufig ist neben der Fremdbildkonstruktion auch die Selbstbildkonstruktion, die sich in Reden zudem durch die häufige Einschreibung in ein Kollektiv auszeichnet. Ein weiteres Charakteristikum ist das Fehlen von Dissens und Konsens. All diese Merkmale sind zu einem großen Teil auf die die Wahlkampfrede charakterisierende kommunikative Situation zurückzuführen: Der Redner spricht (i) in Abwesenheit seiner Gegner (ii) vor einer Zuhörerschaft, die überwiegend aus seinen Sympathisanten besteht, und (iii) hat sich in der Situation selbst keinerlei kritischen Stimmen gegenüber zu verantworten. Durch den gesamten Kontext, in dem die Rede gehalten wird, d.h. das meeting in all seiner Inszenierung und Theatralität, werden Emotionalität und Pathos zusätzlich befördert, was sich auf die gesamte sprachliche Gestalt und damit auch auf Mittel und Verfahren der Agonalität auswirkt.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
6.4.7 Zwischenfazit Wie die Analyse gezeigt hat, spielt Agonalität in allen untersuchten Textsorten eine Rolle. Als Wahlkampftextsorten sind ihnen einige Merkmale gemeinsam, zugleich aber verfügt jede Textsorte über ihr eigenes agonales Profil, das sich nicht nur im Grad der Agonalität, sondern auch in der Art und Weise ihrer Ausprägung von dem Profil anderer Textsorten unterscheidet. Besonders viele Gemeinsamkeiten bestehen zwischen Wahlprogrammen und professions de foi auf der einen Seite und TV-Duellen und TV-Interviews auf der anderen; die Rede teilt einige Merkmale mit all diesen Textsorten, weist jedoch auch viele Eigenheiten auf. Möchte man die Textsorten auf einem Kontinuum einordnen, das sich zwischen einem Pol niedriger Agonalität und einem Pol hoher Agonalität aufspannt, so gelingt dies relativ leicht für die vier erstgenannten Textsorten, die Einordnung der Rede jedoch gestaltet sich problematisch: schwach agonal
stark agonal Rede?
Wahlprogramm
profession de foi
TV -Interview
TV -Duell
Abbildung 38: Kontinuum der Textsorten nach dem Grad ihrer Agonalität.
Ratsamer scheint es daher, statt von einem solchen Kontinuum von einem Faktorenmodell auszugehen, das der Komplexität verschiedener Textsorten in ihrer jeweiligen, spezifischen Merkmalskombination und der Unterschiedlichkeit ihrer Ausprägung in quantitativer wie qualitativer Hinsicht Rechnung trägt. Folgende Faktoren können im Hinblick auf textsortenbedingte Spezifika von Agonalität als relevant gelten: 1. Funktion: Als Wahlkampftextsorten kommt allen untersuchten Textsorten eine informativ-persuasive Funktion zu. Dies manifestiert sich zum Beispiel darin, dass in allen Textsorten die agonale Diskurshandlung der Stellungnahme, die primär der Information dient, dominiert. Die persuasive Funktion wird unter anderem durch die Konstruktion eines positiven Selbstbilds erfüllt, eine agonale Diskurshandlung, die ebenfalls in allen Textsorten zum Einsatz kommt. Darüber hinaus haben die einzelnen Textsorten zum Teil weitere, spezifischere Funktionen, die sich in der Ausprägung einzelner agonaler Diskurshandlungen widerspiegeln. So spielt etwa die Funktion der Abgrenzung und Konfrontation in TV-Duellen eine besondere Rolle, was in der hohen Frequenz des Dissenses zum Ausdruck kommt. In Reden ist die eigene Profilierung besonders wichtig, was sich nicht
6.4 Textsortenbedingte Spezifika von Agonalität
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nur in der häufigen Selbstbildkonstruktion, sondern auch in der verstärkten und besonders aggressiven Feindbildkonstruktion manifestiert. 2. Dialogizität: Je höher der Grad der Dialogizität, desto höher der Grad der Agonalität. In Wahlprogrammen und professions de foi als überwiegend monologischen und darüber hinaus durch eine raum-zeitliche Entbundenheit der Kommunikation charakterisierten Textsorten ist der Grad der Agonalität eher niedrig; in TVInterviews und TV-Duellen hingegen, die sich durch eine direkte Konfrontation und Aushandlung auszeichnen, ist er hoch. In Reden, deren Grad der Dialogizität zwischen beiden Polen liegt, ist der Grad der Agonalität, bedingt durch weitere Faktoren, ebenfalls eher hoch. 3. Rezipienten: Die Rolle des Rezipienten wirkt sich in verschiedener Weise auf Agonalität aus. (i) Ist der direkte Gegner bzw. Konkurrent Rezipient und direkter Gesprächspartner, so ist der Grad der Agonalität besonders hoch. Dies betrifft unter den hier untersuchten Textsorten einzig das TV-Duell. (ii) Sind Journalisten die Rezipienten und direkten Gesprächspartner, ist der Grad der Agonalität etwas niedriger, da sie nicht die unmittelbaren Konkurrenten des Kandidaten darstellen, doch können Journalisten Konfrontation auch gezielt inszenieren. Das Gesprächsverhalten der Politiker Journalisten gegenüber ist zumeist gemäßigter als politischen Gegnern gegenüber. (iii) Geht es um die Wähler als Rezipienten, so ist entscheidend, ob es sich bei diesen überwiegend um Sympathisanten des Kandidaten (bei der Wahlkampfrede) oder um eine breitere Öffentlichkeit (bei den übrigen Textsorten) handelt. Ist Ersteres der Fall, so führt dies unter anderem zu einer verstärkten und aggressiveren Feindbildkonstruktion, die der Solidarisierung zwischen Redner und Publikum dient. 4. Medium: Eine mögliche These könnte lauten, dass medial schriftliche Kommunikation generell weniger agonal ist als medial mündliche Kommunikation. Im Fall der hier untersuchten Textsorten ist dies zutreffend. Allerdings scheint mir dies nicht allgemeingültig zu sein, denkt man etwa an Textsorten wie die Streitschrift, die medial schriftlich, aber stark agonal ist, oder die Festrede, die medial mündlich, aber kaum bis gar nicht agonal ist. Wohl mögen die zeitliche Kopräsenz der Kommunikationspartner und der höhere Grad der Spontansprachlichkeit, die mündliche Kommunikation charakterisieren, einen potenziell höheren Grad der Agonalität bedingen, doch kann der Faktor des Mediums nicht (allein) als ausschlaggebend für das agonale Profil der jeweiligen Textsorte gelten.
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6 Sprachliche Manifestationen von Agonalität: Analyseergebnisse
Neben der Vielzahl einzelner Ergebnisse und Erkenntnisse konnte insgesamt gezeigt werden, dass es in der Tat textsortenbedingte Spezifika von Agonalität gibt, dass die Textsorte also eine entscheidende Dimension ist, die die Ausprägung und Ausformung von Agonalität in einem konkreten Diskurs bzw. Text maßgeblich beeinflusst.
7 Fazit und Ausblick Als ein Phänomen, das den Sprachgebrauch in zahlreichen Lebensbereichen maßgeblich prägt und sich auf sämtliche Ebenen der einzelsprachlichen Strukturiertheit erstreckt, ist Agonalität ein zentrales Charakteristikum von Sprache und ein aus sprachwissenschaftlicher Sicht hoch relevanter Untersuchungsgegenstand. Dies wurde in der vorliegenden Arbeit anhand des politischen Sprachgebrauchs am Beispiel des französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 gezeigt. Ziel war es, Agonalität aus linguistischer Sicht zu bestimmen, einen geeigneten theoretischen und methodischen Ansatz zur sprachwissenschaftlichen Untersuchung agonaler Diskurse zu entwickeln und diesen exemplarisch auf den Sprachgebrauch im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 anzuwenden. Im Folgenden sollen die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst und ein Überblick über die zentralen Argumentationslinien der Arbeit gegeben werden. Im Anschluss daran werden die Ergebnisse und das Forschungsdesign einer kritischen Reflexion unterzogen, um darauf aufbauend mögliche weitere Forschungsperspektiven und -desiderata aufzuzeigen. Auf der Grundlage einer umfassenden Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand innerhalb wie außerhalb der Sprachwissenschaft sowie der theorieund ideengeschichtlichen Hintergründe des Konzepts wurde Agonalität definiert als eine breit verstandene kompetitive Opposition zwischen zwei oder mehr konkurrierenden Perspektivierungen der Wirklichkeit, die verschiedenen Akteuren zugeordnet werden können (Kapitel 2). Agonalität lässt sich auf allen drei Ebenen des Sprachlichen systematisch erfassen, als übereinzelsprachliches Phänomen auf der universellen Ebene, anhand einzelsprachspezifischer Formen von Agonalität auf der historischen Ebene und mittels diskursspezifischer Funktionen von Agonalität auf der individuellen Ebene (Abbildung 3). Agonalität manifestiert sich in kompetitiven Sprachspielen, die sich auf sämtliche Ebenen der einzelsprachlichen Strukturiertheit erstrecken, von der Ebene der Morpheme über die Wortebene, die Ebene der Mehrwortverbindungen, die Satzebene und die Textebene bis hin zur transtextuellen Ebene. Kompetitive Sprachspiele sind agonale Aushandlungsprozesse, für deren Bezeichnung der Terminus diskursive Kämpfe vorgeschlagen wurde. Um Agonalität theoretisch zu modellieren, wurde ein um Perspektiven der Pragmalinguistik und der Kognitiven Linguistik erweiterter diskursanalytischer Ansatz entwickelt, der Agonalität als ein an der Schnittstelle von Diskurs, Handeln und Kognition angesiedeltes Phänomen zu erfassen sucht (Kapitel 3). Dem zugrunde liegt eine äußerungsbasierte Modellierung von Sprache, die von der Diskursebene und den individuellen Sprechern und deren Handlungen ausgeht https://doi.org/10.1515/9783110981537-007
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7 Fazit und Ausblick
und die kommunikativ-pragmatische ebenso wie die kognitive Dimension von Sprache in den Fokus rückt. Dabei wurden verschiedene theoretische Ansätze im Hinblick auf mögliche Synergieeffekte untersucht und in einer fruchtbaren Synthese zusammengeführt. Als Ausgangspunkt fungierte die in der Romanistik dominierende Spielart der Diskursanalyse Coseriu’scher Prägung, die durch Ansätze insbesondere der germanistischen Diskurslinguistik nach Foucault, durch Grundlagen der Pragmalinguistik und der Kognitiven Linguistik und weitere Ansätze ergänzt wurde. Zentrale Konzepte innerhalb des auf diese Weise entwickelten theoretischen Ansatzes sind (i) sprachliche Handlungen als konstitutive Elemente agonaler Aushandlungsprozesse; (ii) der Sinn als das, was Gegenstand agonaler Aushandlungsprozesse ist und der durch das im Diskurs aktualisierte Wissen erschlossen werden kann; im Hinblick auf Agonalität sind dabei insbesondere umstrittene bzw. umkämpfte Sinnzuschreibungen und Wissensbestände von Interesse; (iii) die Akteure, die als Handlungsträger im Zentrum einer handlungsorientierten Diskursanalyse stehen; besondere Aufmerksamkeit gilt dabei denjenigen Akteure, denen es gelingt, ihre Perspektivierung der Wirklichkeit in agonalen Aushandlungsprozessen dominant zu setzen, den sogenannten ideology brokers. Für die Operationalisierung dieses theoretischen Rahmens wurde ein methodischer Ansatz entwickelt, der auf vier Grundprinzipien fußt – der hermeneutisch-pragmatischen Herangehensweise, dem Prinzip der Mehrebenenanalyse, der Kombination quantitativer und qualitativer Verfahren und der Musterhaftigkeit des Sprachgebrauchs – und in vier Analyseansätzen konkretisiert wurde (Kapitel 4). Letztere betreffen vier diskursrelevante Phänomene, die Gegenstand der Analyse sind: (grammatische und lexikalische) Agonalitätsindikatoren, agonale Diskurshandlungen, akteursbedingte Spezifika von Agonalität und textsortenbedingte Spezifika von Agonalität. Die Untersuchung dieser Phänomene erfolgte auf der Grundlage eines nach bestimmten Kriterien eigens zusammengestellten Korpus, das insgesamt 344.290 Token umfasst und eine ausgewogene und breite Teilmenge der Gesamtheit der im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017 produzierten Diskurse bzw. Texte darstellt (Kapitel 5). In der Analyse wurde der zuvor entwickelte Ansatz empirisch angewandt und überprüft und die Untersuchung um empirische Erkenntnisse zur Agonalität erweitert (Kapitel 6). Dabei konnte ein Beitrag zum Inventar grammatischer und lexikalischer Agonalitätsindikatoren im Französischen geleistet werden, es wurden für agonale Aushandlungsprozesse charakteristische sprachliche Handlungen identifiziert und klassifiziert, sogenannte agonale Diskurshandlungen, und es wurden akteurs- und textsortenbedingte Spezifika von Agonalität herausgearbeitet. Im Hinblick auf Agonalitätsindikatoren und agonale Diskurshandlungen wurde deutlich, dass zwischen beiden insofern eine Korrelation besteht, als dass
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zur Realisierung bestimmter agonaler Diskurshandlungen prototypischerweise bestimmte Agonalitätsindikatoren Verwendung finden. Des Weiteren sind Korrelationen zwischen Agonalitätsindikatoren und agonalen Diskurshandlungen auf der einen Seite und semantischen Dimensionen der Agonalität auf der anderen zu konstatieren. Im Hinblick auf akteurs- und textsortenbedingte Spezifika von Agonalität wurde gezeigt, dass sowohl Akteure als auch Textsorten relevante Variablen für die Untersuchung von Agonalität sind, die agonale Gestaltung von Diskursen bzw. Texten also in Abhängigkeit vom Akteur und von der Textsorte variiert. Von Agonalität zeugende sprachliche Mittel und Verfahren werden von allen Akteuren und in allen Textsorten gebraucht, allerdings in unterschiedlichem Maß und in unterschiedlicher Ausprägung. Textsorten unterscheiden sich signifikant im Hinblick auf die in ihnen zum Einsatz kommenden sprachlichen Handlungen, was die Tatsache, dass Textsorten im Wesentlichen durch ihre unterschiedliche Funktionalität definiert sind, unterstreicht; demgegenüber unterscheiden sich die Akteure insbesondere hinsichtlich der verwendeten Begriffe und deren Deutungen, die Ausdruck der jeweiligen Perspektivierungen der Wirklichkeit sind. Die gesamte Untersuchung erfolgte stets mit Blick auf und am Beispiel von Sprache in der Politik, mit einem besonderen Augenmerk auf dem französischen Präsidentschaftswahlkampf 2017. Das Diskursuniversum der Politik ist – ebenso wie viele andere Diskursuniversen – in besonderem Maße von Wettbewerb und Konkurrenz geprägt, was sich in einem hochgradig agonalen Sprachgebrauch widerspiegelt bzw. durch diesen mitkonstruiert wird. Dies gilt insbesondere für den Wahlkampf, für den die Konkurrenz geradezu konstitutiv ist. Die Diskursgemeinschaft der Politiker zeichnet sich durch ihnen gemeinsame soziale Eigenschaften – allen voran die Tätigkeit als Politiker –, aber auch durch Gemeinsamkeiten im Sprachgebrauch aus. Letztere manifestieren sich in gemeinsamen Diskurstraditionen, die in Form politischer Textsorten verfestigte Gestalt annehmen können. Bei der Gestaltung dieser Diskurse bzw. Texte spielen sprachliche Mittel und Verfahren der Agonalität eine zentrale Rolle, die in Abhängigkeit von verschiedenen sprachlichen wie außersprachlichen Faktoren variieren können. Als ein in vielerlei Hinsicht außergewöhnliches Ereignis stellt der französische Präsidentschaftswahlkampf 2017 ein besonders interessantes Untersuchungsobjekt dar. Zwar war er auch Ergebnis von Prozessen, die sich bereits über eine längere Zeit entwickelt hatten, und schrieb sich auch in ähnliche Tendenzen in anderen Ländern ein, doch stechen verschiedene Konstellationen besonders heraus, wie die Zersplitterung beider etablierter Lager, der plötzliche Aufstieg eines Neuen sowie die noch die dagewesene Dichotomie der extremen Rechten und einer neuen Mitte im zweiten Wahlgang. Der französische Präsidentschaftswalkampf 2017 wird daher auch im Rückblick zweifelsohne als historisches Moment erscheinen. Inwiefern sich diese Entwicklungen fortsetzen
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und wie sich die politische Lage in Frankreich insgesamt weiterentwickelt, wird weiter zu beobachten sein. Fraglich scheint insbesondere die Entwicklung der beiden bürgerlichen Lager, aber auch die mögliche dauerhafte Etablierung von En Marche! in der politischen Landschaft Frankreichs sowie die Zukunft des bislang meist sehr erfolgreichen front républicain. Auf der Grundlage des Gewesenen jedenfalls ist zumindest davon auszugehen, dass Le Pen und der RN so bald nicht von der politischen Bildfläche verschwinden werden und dass eine alleinige Positionierung als Gegenkandidat zu Le Pen nicht ausreichend ist, um sich als politische Kraft zu konstituieren. Trotz der gewonnenen Befunde und Erkenntnisse sind das Forschungsdesign und die Analyseergebnisse der vorliegenden Arbeit in verschiedener Hinsicht kritisch zu reflektieren. Zum einen erfolgte die Analyse auf der Grundlage eines vergleichsweise kleinen Korpus, was für hermeneutische und primär qualitativ orientierte Ansätze durchaus legitim scheint, aber dennoch mit einer eingeschränkten Repräsentativität der Ergebnisse einhergeht. Dem wurde wo möglich auf verschiedene Weise entgegengewirkt, etwa durch den Einbezug deduktiver Verfahren, zum Beispiel bei der Auswertung von Grammatiken und Wörterbüchern im Hinblick auf grammatische und lexikalische Agonalitätsindikatoren, oder durch den Abgleich mit Ergebnissen anderer Studien, die den Sprachgebrauch der untersuchten Politikerinnen und Politiker auf der Grundlage deutlich größerer Korpora analysiert haben. Nichtsdestotrotz könnten die hier gewonnen Ergebnisse wo möglich bzw. sinnvoll – zum Beispiel im Hinblick auf das Inventar agonaler Diskurshandlungen – auf der Grundlage größerer Korpora überprüft und erweitert werden. Zum anderen ist festzuhalten, dass, obwohl ein dezidiert deskriptiver Ansatz verfolgt wurde, auch der Linguist nie außerhalb des Diskurses steht, den er analysiert, weshalb auch die Darstellung in dieser Arbeit auf eine gewisse Weise perspektiviert ist. Darüber hinaus entkommt auch diese Untersuchung nicht dem jede sprachwissenschaftliche Untersuchung prägenden Paradox, dass die Sprache zugleich Gegenstand der Untersuchung und Medium ist, in dem sie erfolgt. An diese Reflexionen anknüpfend und weitere Fragen aufgreifend sollen im Folgenden Forschungsperspektiven und -desiderata aufgezeigt werden, die sich im Anschluss an diese Untersuchung auftun und Gegenstand weiterer Untersuchungen sein könnten. (i) Fraglich ist zunächst die mögliche Spezifik der Ergebnisse für das Diskursuniversum der Politik und die Gestaltung von Agonalität in anderen Diskursuniversen. Die Untersuchung erfolgte auf der Grundlage politischer Diskurse bzw. Texte, weshalb die Ergebnisse in jedem Fall für den politischen Sprachgebrauch Gültigkeit besitzen. Jedoch stellt sich die Frage, inwiefern die Ergebnisse tatsächlich spezifisch für politischen Sprachgebrauch sind, sprich welche Merkmale ex-
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klusiv für den politischen Sprachgebrauch sind, welche aber vielleicht auch den Sprachgebrauch in anderen Diskursuniversen prägen. Um dies zu untersuchen, könnten dieselben Methoden auf ein Referenzkorpus angewandt und die Ergebnisse vergleichend gegenübergestellt werden. Darüber hinaus wäre es interessant zu untersuchen, wie sich Agonalität in anderen Diskursuniversen gestaltet, sprich welche spezifischen Mittel und Verfahren der Agonalität dort Verwendung finden. Zu vermuten ist, dass hinsichtlich der grammatischen und lexikalischen Agonalitätsindikatoren keine oder nur geringe Unterschiede zwischen verschiedenen Diskursuniversen bestehen, da es hierbei um auf der Ebene der Einzelsprache, nicht des Diskurses angesiedelte Phänomene geht. Im Gegensatz dazu sind bei akteurs- und textsortenbedingten Spezifika große Unterschiede zu erwarten, da diese wesentlich durch das jeweilige Diskursuniversum und die Diskursgemeinschaft geprägt sind. Im Hinblick auf agonale Diskurshandlungen sind Übereinstimmungen, aber auch Unterschiede zu erwarten; wahrscheinlich scheinen vor allem eine andere Gewichtung der einzelnen agonalen Diskurshandlungen sowie eine Erweiterung des Repertoires. Hier besteht großes Potenzial für weitere Studien. (ii) In der vorliegenden Untersuchung wurde Agonalität im Französischen untersucht, weshalb sich die Frage stellt, inwiefern die hier erzielten Ergebnisse auf andere Sprachen übertragbar sind bzw. wie sich Agonalität in anderen Sprachen gestaltet. Erste Erkenntnisse in dieser Hinsicht konnten durch einen Vergleich mit den Ergebnissen von Mattfeldt (2018) zu Agonalität im Englischen und Deutschen erzielt werden. So wurde im Hinblick auf grammatische und lexikalische Agonalitätsindikatoren deutlich, dass zwar die jeweiligen Versprachlichungsmittel selbstverständlich einzelsprachspezifisch sind, im Hinblick auf die übergeordneten Konzepte – z.B. grammatische Phänomene wie Negation und Modalität oder thematische Kategorien wie Opposition und Konkurrenz – jedoch große Schnittmengen bestehen. Was agonale Diskurshandlungen und textsortenbedingte Spezifika von Agonalität angeht, so ist zu vermuten, dass die Ergebnisse teilweise auf andere Sprachen übertragbar sind, z.B. im Hinblick auf die Typen agonaler Diskurshandlungen und das grundsätzliche agonale Profil der Textsorten, dass aber gleichzeitig auch historisch und kulturell bedingte Unterschiede und damit einzelsprachspezifische Ausprägungen zu konstatieren sind. Hier bieten sich spannende Anknüpfungspunkte gerade auch für sprachvergleichende Studien. (iii) Was die Akteure angeht, so ließen sich zahlreiche weiterführende Forschungsfragen und -ziele anschließen. Interessant wäre zum Beispiel, aus diachroner Perspektive die Entwicklung des Sprachgebrauchs der Akteure über die Zeit hinweg zu beobachten, auch im Hinblick auf Agonalität. So fragt sich insbesondere bei Macron, wie sich sein Sprachgebrauch zur Zeit der Präsident-
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schaft verändert hat, auch im Vergleich zum Wahlkampf. Ebenfalls interessant ist das Verhältnis des Sprachgebrauchs individueller und kollektiver Akteure. So ließe sich etwa untersuchen, wie sich der Sprachgebrauch eines Individuums zum Sprachgebrauch des Kollektivs, das er vertritt, verhält, auch im Hinblick auf Mittel und Verfahren der Agonalität (z.B. Macron – En Marche!, Le Pen – FN/RN). Zwar können die Ergebnisse zu einem individuellen Akteur nicht oder nur sehr bedingt auf das Kollektiv, das er vertritt, übertragen werden, doch ist aufgrund der herausgehobenen Stellung der Spitzenkandidaten der Partei oder Parteichefs von einer gewissen Vorbildfunktion dieser Individuen für das Kollektiv auszugehen. Eine Frage, die sich angesichts des Erstarkens populistischer Bewegungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten und der Vielzahl von Untersuchungen zum Populismus geradezu aufdrängt, ist die, ob sich auch populistischer Sprachgebrauch durch spezifische Mittel und Verfahren der Agonalität auszeichnet. Entsprechende Tendenzen haben sich in der vorliegenden Arbeit abgezeichnet, wurden aber nicht systematisch untersucht. Analog ließe sich in den Blick nehmen, ob es Mittel und Verfahren der Agonalität gibt, die typisch für den Sprachgebrauch bestimmter politischer Lager sind (rechts; links; Mitte; rechtsextrem; linksextrem; rechts- und linksextrem etc.). Die beiden letztgenannten Fragen bieten sich besonders auch für sprach- und ländervergleichende Studien an. (iv) Auch im Hinblick auf textsortenbedingte Spezifika von Agonalität lassen sich weitere Untersuchungsperspektiven aufzeigen. So ließen sich etwa weitere Textsorten – sowohl politische Textsorten als auch Textsorten in anderen Lebensbereichen – untersuchen. Besonders relevant scheint die Analyse der Kommunikation in Sozialen Medien wie Twitter, Facebook oder Instagram zu sein, nicht nur aufgrund der zentralen Rolle, die diese heute spielen, sondern auch da die Kommunikation auf diesen Plattformen durch die ihnen eigenen Kommunikationsbedingungen – Massenmedialität, ausgeprägte Dialogizität und Unmittelbarkeit – hochgradig agonal zu sein verspricht. Dies legt auch das Phänomen des Clickbaiting nahe, das auf der Annahme fußt, dass Polemisierung Aufmerksamkeit ködert – ein höherer Grad der Agonalität scheint folglich zu mehr Klicks zu führen. Ein weiterer Aspekt ist die auch in Bezug auf Textsorten interessante diachrone Perspektive und die Frage, wie sich das agonale Profil einer Textsorte im Laufe der Zeit entwickelt und ggf. verändert.697 Zudem ließen sich, wie bereits angedeutet, sprachvergleichende Untersuchungen im Hinblick auf das agonale Profil von Textsorten durchführen. Zwar
Einen solchen Versuch unternimmt, wenn auch nicht dezidiert unter dem Begriff der Agonalität, Kerbrat-Orecchioni (2017; 2019) am Beispiel des TV-Duells der beiden Spitzenkandidaten vor dem zweiten Wahlgang im französischen Präsidentschaftswahlkampf (1974–2017) und
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beruhen Diskurs- bzw. Texttraditionen und damit auch Textsorten grundsätzlich auf sprach- und länderübergreifenden Konventionen, doch ist gleichwohl zu vermuten, dass es historisch und kulturell bedingte sprach- und länderspezifische Ausprägungen gibt. Dies gilt gerade auch im Hinblick auf Agonalität, das zwar ein universelles Phänomen, in seiner konkreten Ausgestaltung aber historisch und kulturell bedingt ist. (v) Schließlich ließe sich die Untersuchung von Agonalität auf weitere Gegenstandsbereiche ausdehnen. Im Fokus der vorliegenden Untersuchung stand, aus Gründen der Praktikabilität, aber auch der Relevanz, das verbale Material, wobei sich die Untersuchung innerhalb desselben auf sämtliche Ebenen der einzelsprachlichen Strukturiertheit erstreckte (Morpheme, Wörter, Mehrwortverbindungen, Sätze, Texte, transtextuelle Ebene). Da Kommunikation jedoch zu einem wesentlichen Teil auch über Bereiche jenseits des verbalen Materials erfolgt, sind auch diese in Bezug auf Agonalität zu untersuchen. Dazu zählen im Fall mündlicher Kommunikation zum Beispiel das nonverbale und paraverbale Material sowie Aspekte der Gesprächsorganisation, im Fall schriftlicher Kommunikation Aspekte wie Textgestaltung, Layout, Typographie, Bilder und Text-Bild-Beziehungen und im Fall multimodaler Kommunikation auch die gesamte Inszenierung unter Einbezug des Raums, Lichts etc. In der vorliegenden Untersuchung wurden derartige Aspekte nur punktuell einbezogen; eine systematische Untersuchung der Manifestationen von Agonalität in diesen Bereichen stellt ein Desiderat für weitere Studien dar. Mögliche Vorgehensweisen sollen im Folgenden anhand zweier Bereiche aufgezeigt werden, der non- und paraverbalen Kommunikation sowie Bildern. Für die Analyse von Agonalität in non- und paraverbaler Kommunikation kann auf allgemeine Erkenntnisse sprachwissenschaftlicher Forschung in diesen Bereichen aufgebaut werden (cf. Calbris 1990; Müller/Cienki/Fricke/Ladewig/McNeill/Bressem 2014; Cestero Mancera 2021), auch speziell im politischen Sprachgebrauch (cf. Calbris 2003; Knieper 2004; Maurer 2016; Chanay 2019). Die Analyse kann sich dabei systematisch an den verschiedenen Ebenen abarbeiten, auf die sich non- und paraverbales Material erstreckt: statische Zeichen (Körper, Kleidung etc.), langsame Bewegungen (Distanz, Positionierung, Haltung) und schnelle Bewegungen (Mimik, Gestik, Blickkontakt) im Bereich der nonverbalen Kommunikation und Intonation, Pausen, Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit, Akzent und Stimmqualität im Bereich der paraverbalen Kommunikation (cf. Kerbrat-Orecchioni 1996, 23–27). Zu non- und paraverbalen Mitteln und Verfahren der Agonalität zählen, um einige Beispiele herauszugreifen, das
kommt dabei zu dem Ergebnis, dass der konfrontative Charakter des Genres zwar nicht kontinuierlich, im Durchschnitt aber über die Zeit hinweg zunimmt.
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7 Fazit und Ausblick
Anheben der Lautstärke, um andere zu übertönen, das Zeigen auf jemanden mit dem Zeigefinger zur Designation des Gegners, Kopfschütteln für die Äußerung von Dissens oder auch das Zukneifen der Augen um die Glaubwürdigkeit der Aussage des anderen anzuzweifeln.698 Grundsätzlich gilt, dass non- und paraverbale Zeichen je nach Kontext verschiedene Funktionen haben können, es also wie beim verbalen Material keine Eins-zu-eins-Korrelation zwischen Formen und Funktionen gibt. Der agonale Charakter einzelner Zeichen ist daher auch hier in Abhängigkeit vom Kontext zu bestimmen. Die Untersuchung nonund paraverbaler Kommunikation ist von besonderem Interesse, da sie zum einen Aufschluss über die sprechende Person, ihren Charakter und ihre Emotionen gibt, und da sie zum anderen eine Wirkung auf die Rezipienten hat, vor allem eine emotionale, häufig unbewusste Wirkung, und daher ein wichtiger Faktor der Persuasion ist. Im Hinblick auf non- und paraverbale Kommunikation in der Politik ist darüber hinaus zu bedenken, dass Politiker auch ein gezieltes Coaching in dieser Hinsicht erfahren, weshalb anzunehmen ist, dass entsprechende Elemente teilweise gezielt genutzt werden – wenngleich sich die Frage, ob sie tatsächlich bewusst oder doch unbewusst gewählt wurden, dem Zugriff des Analytikers freilich entzieht. Auch die Untersuchung von Bildlichkeit und Agonalität ist ein vielversprechendes Unterfangen. Bilder haben eine hohe Relevanz bei der Rezeption: Sie werden, wenn sie in Kombination mit Text auftreten, «schneller entschlüsselt», «länger und besser erinnert» und «besser und schneller wiedererkannt» (Geise/ Brettschneider 2010, 72) (sog. picture superiority effect, cf. Paivio 1971; 1986; Nelson/Reed/Walling 1976). Zudem sprechen sie stärker Emotionen an bzw. stellen Emotionen dar (cf. Lobinger 2012, 82–83). Gerade in der Politik wird Bildern eine enorme Wirkmächtigkeit zugesprochen (cf. Sikorski/Brantner 2019 und, mit Blick auf Frankreich, Chanay 2006; Delporte 2006; Veyrat-Masson/Denis/Sécail 2014; Delporte/Veyrat-Masson 2018). Mit dem iconic turn in den 1990er Jahren, der wissenschaftlichen Hinwendung zum Bild, nimmt auch die sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit Bildern zu (cf. z.B. Kress/Leeuwen 1996/2006; Fix/Wellmann 2000; Stöckl 2004). Die Forschung zu Bildern als Mittel der Agonalität befindet sich noch in den Anfängen (für Ansätze cf. Felder/Mattfeldt 2015; Mattfeldt 2015; 2018, 309–340). Auch sie kann sich systematisch an den Kategorien der sprachwissenschaftlichen Bildanalyse abarbeiten (cf. z.B. das von Kress/Leeuwen 1996/ 2006 entwickelte Kategoriensystem). Wie Mattfeldt (2018, 339–440) zeigt, kann Dies zeigt Chanay (2019), der diese Phänomene zwar nicht explizit als Indikatoren von Agonalität bezeichnet, aber als Ausdruck des «caractère confrontationnel de l’interaction» (Chanay 2019, 239) und des «comportement combattif» (Chanay 2019, 259) der Gesprächspartner wertet.
7 Fazit und Ausblick
589
Agonalität «zwischen Bildern bestehen bzw. aus der Bildkombination entstehen», «durch die Bildinhalte selbst dargestellt werden», «durch Sprachverwendung im Kontext des Bildes entstehen» oder auch «durch das Zusammenspiel zwischen Bild und Text erst entstehen». Im Hinblick auf Letzteres sind Bildunterschriften von besonderem Interesse. Bilder können Agonalität «unterstützen, mildern oder umdeuten» (Mattfeldt 2018, 440). Auch die semantischen Dimensionen der Agonalität sind «mit Einschränkungen» auf Bilder anwendbar (Mattfeldt 2018, 440). Ein weiterer möglicher Ansatz, der vor dem Hintergrund der vorliegenden Arbeit besonders interessant erscheint, wäre die Untersuchung «bildlicher Diskurstraditionen», die auf Agonalität hindeuten. Es ist davon auszugehen, dass mit einem Bild, wie mit einem Diskurs bzw. Text, in der Regel nicht etwas völlig Neues geschaffen wird, sondern dass sich auch ein Bild in bestehende Traditionen einschreibt. Diese Traditionen ließen sich im Bereich des Bildes, analog zum Bereich des Diskurses bzw. Texts, auf Gestaltungsprinzipien hin untersuchen, die von Agonalität zeugen. Mögliche Mittel und Verfahren der bildlichen Agonalität könnten zum Beispiel im Bereich der räumlichen Anordnung, der Perspektive, der Farb- und Helligkeitskontraste, der Formkontraste oder auch der Darstellung von Konkurrenz- und Konfliktsituationen liegen. Dies systematisch zu untersuchen, wäre ein lohnenswertes Unterfangen für weitere Studien. Die Relevanz von Agonalität für den Sprachgebrauch insgesamt und den politischen Sprachgebrauch im Speziellen kann als unbestritten gelten. Meinungsverschiedenheiten und divergierende Positionen auszuhandeln, sich mit sprachlichen Mitteln und Verfahren von anderen abzugrenzen und gegenüber anderen durchzusetzen sind wesentliche Elemente menschlicher Kommunikation. Dies zeigt sich auch darin, dass entsprechende Fähigkeiten teilweise gezielt vermittelt und geschult werden, gerade, aber nicht nur, im Bereich der Politik. Insofern könnten auch die Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit potenziell als Grundlage für eine Anwendung in der Politikberatung fungieren, ein Ziel, das hier jedoch nicht explizit verfolgt wurde und zu dessen Umsetzung es weiterer Studien bedürfte. Zu bedenken wäre dabei insbesondere, dass der politische Erfolg zwar zu einem großen Teil, aber bei weitem nicht ausschließlich auf Sprache zurückzuführen ist, sondern eine Vielzahl sprachlicher und außersprachlicher Faktoren eine Rolle spielen, und dass die erfolgversprechende Wirkung einzelner sprachlicher Mittel und Verfahren der Agonalität zu diesem Zweck konkret messbar gemacht werden müsste, was jedoch nur schwer umsetzbar scheint. Wenn auch kein anwendungsbezogener Mehrwert in diesem Sinne, so konnte, wie hoffentlich deutlich geworden ist, doch ein disziplinärer Mehrwert in theoretischer, methodischer und empirischer Hinsicht geschaffen und ein Beitrag zur Erfassung der sowohl für die Wissenschaft als auch für die breite Öffentlichkeit relevanten Thematik der Agonalität im politischen Sprachgebrauch geleistet werden.
8 Appendix 8.1 Verwendete Software AntConc AntConc (Anthony 2016) ist ein Tool mit diversen korpuslinguistischen Analysefunktionen. Dazu zählen die Erstellung von Konkordanzen und Häufigkeitslisten, die Analyse von Clustern und n-Grammen, die Kollokations- und die Schlüsselwortanalyse. In der vorliegenden Arbeit wurden diese Funktionen für die Analyse von Agonalitätsindikatoren sowie von akteurs- und textsortenbedingten Spezifika von Agonalität verwendet.
ELAN ELAN (EUDICO Linguistic Annotator) (ELAN 2019) ist ein vom Max-PlanckInstitut für Psycholinguistik in Nijmegen (Niederlande) entwickeltes Tool zur Transkription und Annotation von Video- und Audiodateien (cf. Brugman/Russel 2004). Zu den zentralen Funktionen zählen das Erstellen, Bearbeiten, Visualisieren und Durchsuchen von Annotationen699 für Video- und Audiodateien. Eine detaillierte Beschreibung sämtlicher Funktionen des Tools bietet das Benutzerhandbuch (Hellwig 2017). In der vorliegenden Arbeit wurde ELAN für die Transkription der im Videoformat vorliegenden Teile des Korpus genutzt.
MAXQDA MAXQDA (MAXQDA 2020a) ist eine Software für die qualitative Datenanalyse. Eine ausführliche Darstellung der einzelnen Funktionen von MAXQDA bietet das zugehörige Handbuch (MAXQDA 2020b) sowie das korrespondierende Lehrbuch (Rädiker/Kuckartz 2019). In der vorliegenden Arbeit wurde MAXQDA für die Analyse agonaler Diskurshandlungen genutzt.
In der von ELAN verwendeten Terminologie umfasst Annotation auch das, was in der vorliegenden Arbeit als Transkription bezeichnet wird. https://doi.org/10.1515/9783110981537-008
Jean-Luc Mélenchon
. gens . peuple . France . monde . pays . temps . français/Français . droit . monsieur . république . travail . ans . paix . Europe . fois . politique . loi . mer . état/État . droits . chose . président
Gesamtkorpus
. France . français/Français . pays . monsieur . monde . travail . politique . ans . Europe . Macron . madame . république . temps . président . projet . vie . état/État . droit . entreprises . sécurité . loi . peuple . France . travail . république . monde . français/Français . sociale . pays . droit . gauche . Europe . loi . politique . entreprises . vie . moyens . démocratie . services . temps . état/État . sécurité . enfants . publics
Benoît Hamon
Tabelle 15: Liste der häufigsten Substantive und Adjektive im Korpus.
8.2 Wortlisten
. France . pays . projet . français/Français . vie . travail . Europe . politique . temps . ans . monde . sécurité . amis . liberté . société . égalité . loi . république . état/État . culture . concitoyens . fois
Emmanuel Macron . France . français/Français . pays . ans . politique . monde . état/État . travail . entreprises . projet . place . Europe . sécurité . vie . emploi . santé . temps . président . moyens . française/Française . république . situation
François Fillon
. français/Français . France . pays . monsieur . peuple . état/État . nationale . monde . européenne . économique . droit . union . ans . immigration . Fillon . fois . liberté . politique . sociale . sécurité . loi . frontières
Marine Le Pen
592 8 Appendix
. fois . place . sociale . européenne . question . liberté . Fillon . emploi . santé . économique . moyens . Marine . française/Française . nationale . emplois . système . école . économie . enfants . publique . publics . gens . fin . euros . grande . nombre . situation . besoin
. moment . constitution . vie . idée . liberté . heures . besoin . manière . fin . guerre . histoire . grand . argent . choses . frontières . moyens . programme . présidentielle . traités . culture . grande . humaine . sociale . emplois . enfants . espace . école . européenne . place . citoyens . personnes . projet . euros . raison . revenu . développement . public . santé . matière . publique . service . ans . choix . démocratique . politiques . protection . crise . plan . écologique . élection . accès . emploi . femmes . numérique . campagne . États/états . droit . entreprises . école . entreprise . française/Française . moment . économie . confiance . responsabilité . règles . euros . place . système . besoin . droits . femmes . mois . plan . publique . avenir . numérique . cœur . impôt . jeunes . nombre . nouvelle . économies . investissement . européenne . liberté . développement . économique . développer . publique . système . emplois . publics . jeunes . sociale . nationale . droit . monsieur . chômage . charges . grande . territoires . avenir . personnes . question . matière . social . défense . numérique . mer . service . cas . réalité . système . entreprises . française/Française . Macron . référendum . place . travail . identité . république . islamiste . libre . économie . madame . territoire . étrangers . chers . enfants . projet . école . constitution . mondialisation . nation . ordre . œuvre . histoire . souveraineté . amis
8.2 Wortlisten
593
. gens . on . ça . faut . vous . comment . constituante . peuple . paix . il . voici . monarchie . oui . qu’ . ben . alors . hein . bien . traités . conséquent . humain . ONU . tout . si
Positive keywords
Jean-Luc Mélenchon
. je . gauche . créerai . euh . demain . aujourd’hui . j’ . désirable . existence . hum . revenu . démocratie . république . futur . mai . quoi . renforcerai . citoyens . aime . soutiendrai . crise . finalement . proposerai . yeux
Benoît Hamon
Tabelle 16: Schlüsselbegriffe in den akteursbezogenen Teilkorpora.
. nous . ce . cela . c’ . projet . notre . concitoyens . celles . parce . chacune . nos . ensuite . aurons . justement . toutes . donc . renouvellement . décidé . aussi . est . portons . partout . dans . renouveler
Emmanuel Macron
. état/État . des . de . mds [= milliards] . et . en . les . charges . islamique . développer . encourager . établissements . totalitarisme . l’ . redressement . établissement . gestion . croissance . favoriser . normes . la . compétitivité . acteurs . fiscalité
François Fillon
. eh . monsieur . français/Français . immigration . union/Union . islamiste . patriotisme . Fillon . mondialisation . fondamentalisme . nationale . peuple . intégralité . référendum . fondamentalistes . mondialistes . islamistes . dépossédés . patriotes . leur . identité . mondialisme . déloyale . présidente
Marine Le Pen
594 8 Appendix
. projet . veux . euh . de . je . française/Française . nos
Negative keywords
. humaine . autre . savez . est . humanité . idée . OTAN . bon . constitution . pas . dorénavant . misère . ah . savoir . ha . autres
. eh . système . notre . français/Français . liberté . gens . pays
. vis . démocratique . mot . transition . ferai . chroniques . penser . fiers . sociale . soyez . battrai . transitions . universel . bienveillante . porterai . écologique
. eh . la . l’ . du . aux . des . notamment
. chantier . suis . construit . protège . certains . habitation . amis . que . vie . réussir . économies . avoir . marche . chacun . exigence . efficace
. nous . vous . que . je . ce . bien . pas
. chasse . musulmane . œuvre . atteindre . missions . développement . retraites . inciter . alternance . écouté . ans . afin . data . réversion . emploi . plafond
(fortgesetzt)
. numérique . Europe . et . aujourd’hui . temps . travail . éducation
. chers . France . économique . réalité . ils . libre . étrangers . migrants . compatriotes . Macron . souveraineté . permettez . transmet . nationales . européenne . idéologie
8.2 Wortlisten
595
Benoît Hamon
. ans . on . est . immigration . ça . monsieur . faut . charges . c’ . peuple . tout . amis . choses
Jean-Luc Mélenchon
. des . matière . aujourd’hui . économique . nationale . français/Français . France . notre . entreprises . ailleurs . national . choix . priorité
Tabelle 16 (fortgesetzt)
. peuple . constitution . sociale . ben . référendum . développement . monsieur . immigration . peuples . création
Emmanuel Macron . peuple . là . ne . cela . mais . ça . on . n’ . comme . gens . ils . moi . est
François Fillon . ici . nouveaux
Marine Le Pen
596 8 Appendix
9 Bibliographie 9.1 Korpustexte Fillon, François, Mon projet pour la France [Wahlprogramm], https://www.fillon2017.fr/projet/ (= 2017a). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Fillon, François, Une volonté pour la France [Profession de foi, erster Wahlgang], http://www. cnccep.fr/les-candidats-tour1/fillon.pdf (= 2017b). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Fillon, François, Rede in Paris (Trocadéro), 05.03.2017, https://www.force-republicaine.fr/dis cours-trocadero/ (= 2017c). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Fillon, François, Pressekonferenz in Paris [Vorstellung des Wahlprogramms], 13.03.2017, https://www.force-republicaine.fr/presentation-projet-presidentiel/ (= 2017d). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Fillon, François, Rede in Paris (Porte de Versailles), 09.04.2017, https://www.forcerepublicaine.fr/discours-paris/ (= 2017e). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Fillon, François, Interview «Demain Président», TF1, 19.04.2018, https://www.tf1.fr/tf1/elec tions/videos/demain-president-19-avril-2017-francois-fillon.html (= 2017f). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Hamon, Benoît, Mon projet pour faire battre le cœur de la France [Wahlprogramm], https://www.benoithamon2017.fr/le-projet/ (= 2017a). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Hamon, Benoît, Faire battre le cœur de la France [Profession de foi, erster Wahlgang], http://www.cnccep.fr/les-candidats-tour1/hamon.pdf (= 2017b). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Hamon, Benoît, Pressekonferenz in Paris [Vorstellung des Wahlprogramms], 16.03.2017, https://www.youtube.com/watch?v=TJ479-ijb2U (= 2017c). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Hamon, Benoît, Rede in Paris (Bercy), 19.03.2017, https://www.youtube.com/watch?v=yK WYcqVhqRA (= 2017d). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Hamon, Benoît, Interview «Demain Président», TF1, 12.04.2017, https://www.tf1.fr/tf1/elec tions/videos/demain-president-12-avril-2017-benoit-hamon.html (= 2017e). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Hamon, Benoît, Rede in Paris (Place de la République), 19.04.2017, https://www.youtube. com/watch?v=QcTB6dna5PQ (= 2017f). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Le Débat [TV-Duell Le Pen–Macron], TF1/France 2, 03.05.2017, https://www.youtube.com/ watch?v=iOAbBdlWgz0 (= 2017). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Le Grand Débat [TV-Duell der fünf Spitzenkandidaten], TF1/LCI/France 24, 20.03.2017, https://www.youtube.com/watch?v=VYXhy7Om0gs (= 2017a). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Le Grand Débat [TV-Duell der elf Kandidaten], BFM TV/CNews/RMC/Dailymotion, 04.04.2017, https://www.youtube.com/watch?v=OhWRT3PhMJs (= 2017b). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Le Grand Oral – 15 minutes pour convaincre [Interviewserie], France 2, 20.04.2017, https://www.youtube.com/watch?v=lR5NR2YqVc4 (= 2017). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Le Pen, Marine, 144 engagements présidentiels [Wahlprogramm], https://marine2017.fr/pro gramme/ (= 2017a). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Le Pen, Marine, Remettre la France en ordre [Profession de foi, erster Wahlgang], www.cnccep. fr/les-candidats-tour1/lepen.pdf (= 2017b). [letzter Zugriff: 10.07.2017] Le Pen, Marine, Choisir la France [Profession de foi, zweiter Wahlgang], http://www.cnccep.fr/ les-candidats/lepen.pdf (= 2017c). [letzter Zugriff: 10.07.2017] https://doi.org/10.1515/9783110981537-009
598
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Index Adversativität/adversativ 293–301, 306, 335, 338–340, 347, 405, 490 Affaire Fillon 273–274, 405, 444, 497–498, 502, 505, 507–508 Agon (griechische Antike) 2, 7, 16, 18–20, 27, 37, 40, 52, 56, 58, 64, 358, 368 Agonale Diskurshandlungen 5–6, 83, 145, 148, 235, 239–242, 249, 403–460, 526, 582 – Angriff 72, 312, 387–388, 418–419, 438, 441–446, 450, 471, 481, 495, 507–508, 518–519, 553, 556–558, 568–569, 576 – Dissens 72, 299–300, 311, 351, 386–388, 392, 398, 435–441, 516, 553–555, 567–568, 577 – Fremdbildkonstruktion 407, 416–425, 445, 472, 481, 495, 501, 517, 519, 537–538, 546, 548, 558, 560–562, 568, 574–575, 577 – Gegenüberstellung 299–300, 302, 307, 311, 319, 329, 331–332, 351, 353, 404–408, 414, 431, 522–523, 536–537, 546–548, 553, 567, 576 – Kampf um das Rederecht 453–458, 559, 569 – Kampf um die Wahrheit 62, 393–402, 437, 446–453, 503–505, 516, 557–558, 569, 576 – Konsens 435–441, 449, 496, 553, 555, 568, 577 – Negative Wertung 62, 322, 324, 417–418, 431–435, 437, 445, 471, 481, 495, 518, 537, 560, 568, 576 – Selbstbildkonstruktion 274, 320, 377, 408–416, 424, 445, 468, 477–480, 493–495, 501–505, 514–516, 537, 540, 543–546, 558, 560–561, 566–567, 575, 578 – Stellungnahme 375, 425–431, 437, 480, 517, 532–533, 536, 540–541, 543, 553, 565, 572–573, 578 – Verteidigung 387, 416, 441–446, 495, 556–557, 568–569, 576
https://doi.org/10.1515/9783110981537-010
Agonale Zentren 9, 36, 38, 74–76, 84, 293, 526 Agonalität passim Agonalitätsbegriff 2, 16–20, 65–66 Agonalitätsdimensionen 77–78 – Agonalität der Entscheidungsthematisierung 77, 429, 476 – Agonalität der expliziten Gegenüberstellung 77, 261, 296, 304, 308–309, 312, 323, 335, 339–340, 345–347, 365, 391, 404 – Agonalität der externen Handlungsaufforderung 77, 317, 327–328, 341, 428 – Agonalität der lexikalischen Gegenüberstellung 77, 310, 331, 404, 406, 508, 515, 526, 572 siehe auch Kämpfe, semantische – Agonalität der Negation 78, 309, 336, 340, 437 – Agonalität der negativen Emotionen 77, 322–323, 341, 424, 429, 432, 445, 521–522 – Agonalität der nicht eingetretenen Option 78, 308, 340, 434 – Agonalität der (negativen) Wertung 77, 89, 299, 304–305, 315, 319, 322–323, 330–331, 336–337, 341, 362, 365, 392, 407, 417, 420, 424, 430, 432, 445, 471, 518, 523, 537, 546, 548, 574 – Agonalität der Relevanzkonkurrenz 77, 304, 340, 389, 526 – Agonalität der zeitlichen Gegenüberstellung 77, 296, 304, 329, 331–332, 341, 404–405, 407, 536 – Agonalität von Schein und Sein 77, 275, 321, 341, 393–402, 414, 447–453 – Beenden des agonalen Zustands 78 Agonalitätsindikatoren 6, 70–74, 235, 237–239, 249, 291–403, 582 – grammatische ~ 71, 292–342 – lexikalische ~ 71, 342–403, 525–526 agonistique générale (Lyotard) 2, 32, 63
684
Index
Akteur 26, 29, 44, 50, 62, 65, 76, 86, 95, 142, 175–202, 209, 278, 280, 359, 377, 585 – akteursbedingte Spezifika von Agonalität 6, 243–247, 249, 461–527, 583 Aushandlung 8, 36–37, 66, 80, 83, 131, 135–149, 160, 170, 174, 192–193, 367, 383, 393, 553, 565 Bedeutung, einzelsprachliche 122–123, 153–154 Besetzen von Begriffen 68–69, 90, 382, 525 siehe auch Kämpfe, semantische Bewegungsparteien 262, 265, 270, 462, 485, 492 common ground 166, 168–169 construal 47, 51, 160 content 47, 51, 160 corpus-based 222–223 corpus-driven 222–223 Critical Discourse Analysis siehe Diskursanalyse, Kritische dédiabolisation 275, 509 Dediabolisierung siehe dédiabolisation dégagisme 253, 264, 267, 470 Deutungshoheit 43, 49–51, 69, 83, 90, 161, 192, 240, 300, 371, 387, 515, 525 Diathese siehe Genus Verbi Diskurs passim Diskursanalyse, Kritische 50, 116–117, 132 Diskursanalyse passim Diskursbegriff 96–103, 120, 125–131 Diskursgemeinschaft 83, 146, 195–202, 583 Diskurshoheit 43, 49–50, 83, 90, 161, 192, 240, 300, 387, 416, 446, 455, 459, 525, 559 Diskurstraditionen 83, 114, 126, 130, 145–149, 171, 196–197, 199, 230–232, 528 Diskurstraditionenforschung 11, 114, 126, 131 Diskursuniversum 83, 146, 148, 162–163, 242, 352, 583–585
Drei-Ebenen-Modell 105, 118–124, 230, 581 Dritter (unbeteiligter ~) 25–26, 32, 62–65 dynamis (vgl. Wissen) 119, 123, 136–137, 170, 231 En Marche! siehe La République En Marche energeia (Sprache als Tätigkeit) 119, 123, 136–138, 231–232 ergon (Sprache als Produkt) 119, 123, 136–138, 231 Evaluation siehe Modalität, evaluative Fake News 3, 48–49, 453 Fakten, alternative 3, 48–49, 453 Feindbild (~konstruktion) 59, 380, 423–424, 465, 479, 499, 511, 519–522 Fillon, François 253–254, 272–274, 278, 380, 497–509 FN siehe Front National Frames 78, 81, 159, 174, 210 Framing 50, 78–80, 371 Front National 255–256, 261, 263, 271, 275–276, 509, 513–514 front républicain 260, 272, 276, 584 Gebrauchsbasiertheit 132–133, 203, 206 Gebrauchstheorie der Bedeutung 139, 160, 169 Genus Verbi 292, 326–328, 341 Gesprächsorganisation 71, 214–215, 453–458 Gestik 214, 217, 229, 454, 473, 587–588 siehe auch Kommunikation, nonverbale grounding 168 Hamon, Benoît 253–254, 267–269, 278, 280, 473–484 Hassrede 91 hate speech siehe Hassrede Hermeneutik 151–152, 157, 173, 205–207 Hör-/Sichtbarkeit 37, 189, 194, 243, 453, 473, 485, 497, 510, 524–527, 559 ideology broker 43, 49, 176, 191–195, 202, 485, 510, 523
Index
Kämpfe, diskursive 4–5, 12, 42, 80–84, 161, 163, 193, 247, 382, 392, 581 Kämpfe, semantische 4, 50, 67–70, 75–76, 90–91, 161, 163, 193, 247, 261, 382, 392, 525–526, 572 – Bedeutungskonkurrenz 69, 491, 508, 525 – Bezeichnungskonkurrenz 68–69, 491, 508, 525 – Sachverhaltsfixierung 69, 508, 525 keywords siehe Schlüsselwörter Kollokationen 246–247 Kommunikation, nonverbale 71, 83, 214, 217–218, 229, 285, 454, 587–588 siehe auch Gestik, Mimik Kommunikation, paraverbale 71, 83, 214, 217–218, 229, 285, 454, 587–588 Komparation 302–306, 339–340, 405 Kondition 292–293, 306–309, 340 Konnektoren 296–297 – adversative ~ 75, 293, 350 – konzessive ~ 75, 293, 350 – substitutive ~ 75, 293, 296, 350 Kontext 161–167, 233, 251–265, 280–281 Konzession/konzessiv 293–301, 338–340, 348, 405, 437 Kookkurrenzen 246 Kooperationsprinzip 60, 140, 158 Korpus 6–7, 128, 133, 203–204, 277–285, 584 La France Insoumise 255–256, 261–262, 265–267, 462, 467 La République En Marche 255–256, 261–263, 269–271, 485, 492, 584 Le Pen, Jean-Marie 200, 221, 275 Le Pen, Marine 47, 69, 190, 254–255, 275–276, 278, 355, 380, 407, 420, 446, 465, 487, 491, 498–499, 509–523, 544–548, 584 Les Républicains 253, 255–256, 262, 272, 274 LFI siehe La France Insoumise Linguistik des Sprechens 105–106, 133 linguistique de l’énonciation 108 Linksextremismus 7, 255, 260, 262, 265, 474 LR siehe Les Républicains LREM siehe La République En Marche
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Macht 38, 49–51, 77, 90, 112, 117, 194 Macron, Emmanuel 47, 69, 254–255, 260, 269–272, 278, 355, 398, 485–497, 501, 544, 546 Mehrebenenmodell 207–218 Mélenchon, Jean-Luc 69, 254–255, 265–267, 269, 278, 407, 462–473, 513 Metaphorik 80–81, 371–372, 518 – Bau~ 492 – Bewegungs~ 492 – Kampf~ 3, 82, 372–383, 388, 493, 552 – Kriegs~ 3, 372–383, 493 – Spiel~ 54, 363–365 – Sport~ 363–365, 392 Mimik 214, 217, 229, 454, 587–588 siehe auch Kommunikation, nonverbale Mixed Methods 219–220 Modalität 292, 314–326, 330, 341 – alethische ~ 325, 429 – axiologische ~ 323–324, 432 – buletische ~ 318–320, 427, 534, 543 – deontische ~ 69, 317–320, 427, 536 – disponentielle ~ 324–325 – doxastische ~ 320, 539 – epistemische ~ 48, 320–321, 393–402, 446–453, 503, 516, 557–558 – evaluative ~ 292, 322–323, 407, 429, 431–432, 435, 471, 518, 536, 573 – teleologische ~ 318–320, 427, 534 Multimodalität 285 Muster 56, 75–77, 83, 107, 131, 145–146, 148, 224–236, 410, 413–414 – Argumentations~ 229, 536 – Deutungs~ 50, 79 – Handlungs~ 54, 147, 170, 184, 235–236 – Sprachgebrauchs~ 227 Negation 78, 292, 298, 309–314, 334, 336–338, 340, 342, 405, 415, 437, 532, 536, 538, 540, 553, 562, 565, 567 parole (vs. langue) 102, 105–107, 109 Parti Socialiste 253, 255–256, 262, 267–269, 474 Passiv siehe Genus Verbi
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Index
Penelopegate siehe Affaire Fillon Perspektive/Perspektivierung (der Wirklichkeit) 5, 44, 53, 66, 69, 73–74, 83, 161, 164, 192, 247, 367, 383, 408, 417, 525 Persuasion, persuasiv 87–89, 130, 458, 529, 551, 571, 578 Polemik 8, 40, 58, 62–63, 91, 382 Polyphonie 295, 316, 400–401, 436 Populismus/populistisch 59, 261, 301, 465–467, 479, 488, 500, 511–513, 519, 522, 586 Postfaktizität/postfaktisch 3, 48, 452 primaire de la Belle Alliance populaire siehe primaire citoyenne primaires 253, 257–258 – primaire citoyenne 253, 267 – primaire de la droite et du centre 253, 272 – primaire de l’écologie 253 profession de foi 278, 280–281, 283–284, 320, 539–549, 578–579 PS siehe Parti Socialiste Rassemblement National siehe Front National Rechtsextremismus 7, 255, 260, 262, 509, 512–513, 515 Rede (Wahlkampf~) 23, 278, 280–281, 283–284, 453, 525, 570–577, 579 Redeuniversum siehe Diskursuniversum Rhetorik, antike 22–23, 121, 570 RN siehe Rassemblement National Rolle 183–191, 243, 411, 524 – Beteiligungs~ 181, 186–190, 453–454, 550, 579 – Diskurs~ 185–186, 188–190, 192, 379, 411, 515, 524 – Positions~ 185, 188–190, 265, 267, 270, 272, 275, 280, 462, 474, 484–485, 496, 508–509, 524 – Situations~ 185, 189–190 – Status~ 185, 189–190, 275, 411, 496, 524 Schlüsselbegriffe siehe Schlüsselwörter Schlüsselwörter 244–245, 526, 594–596
Sinn 5, 95, 122–123, 144, 146, 149–175, 177, 205–207, 221, 247–248 Spiel (Sprach~) 30, 32, 51–56, 65–66, 74, 139, 563–564, 581 Sprachkompetenz 118 Streit 8, 24, 33, 39, 56–62, 383–393 Streitgespräch 18, 23, 39 Substitution/substitutiv 293–301, 339–340, 345, 348 Temporalität 329–332, 338, 341, 405, 536 Textbegriff 101–102, 120, 125 Textsorten 91, 147–149, 171, 197, 199, 236, 242, 247, 278, 280–281 – textsortenbedingte Spezifika von Agonalität 6, 247–249, 460, 527–580, 583, 586–587 Texttraditionen siehe Diskurstraditionen Transtextualität 102–103, 127–131, 209 turn-taking 214, 288, 453 TV-Duell 13, 64–65, 93, 190, 276, 278, 280–285, 389–390, 392, 436, 447, 454, 549–562, 578–579 TV-Interview 64, 278, 280–281, 283–285, 436, 562–570, 578–579 Umfelder 134, 153, 162–163 – Theorie der Umfelder 106, 162 usage-based 132, 164, 169, 226 siehe auch Gebrauchsbasiertheit voice (vgl. Hör-/Sichtbarkeit) 193–195, 243, 525, 527 Vorwahlen siehe primaires Wahlprogramm 197, 278, 280–281, 283–284, 530–539, 578–579 Wahrheit 3, 33, 45–49, 51, 77, 103, 161, 309, 321, 393–402 Widerspruch 39 Wissen 8, 32, 36, 45–46, 77, 111, 119, 121, 123, 137, 142, 154, 158, 163–164, 167–175, 231, 285, 320 – diskurstraditionelles ~ 147, 171–175, 195 – elokutionelles ~ 119, 123, 163, 170
Index
– expressives ~ 120, 123, 146, 163, 170 – gemeinsames ~ (vgl. common ground) 168–169, 174, 401 – geteiltes ~ 168
– idiomatisches ~ 119, 123, 163, 170 – verstehensrelevantes ~ 166, 172 – wechselseitiges ~ 168 Wortkampf siehe Kämpfe, semantische
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