127 27 47MB
German Pages 482 [483] Year 2023
Rechtstheorie ∙ Legal Theory herausgegeben von
Thomas Gutmann, Tatjana Hörnle und Matthias Jestaedt
7
Alexander Hobusch
Zurechnung im Recht Ein Beitrag zur Entwicklung einer allgemeinen Zurechnungslehre am Beispiel des Rechts der politischen Parteien
Mohr Siebeck
Alexander Hobusch, geboren 1992; Studium der Rechtswissenschaften in Düsseldorf; 2017 Erste Juristische Prüfung; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie und am Lehrstuhl für Öffentliches Recht der Universität Düsseldorf; 2021 Rechtsreferendariat am Landgericht Wuppertal; 2022 Promotion; 2023 Zweite Juristische Prüfung; derzeit Richter (Verwaltungsgericht Düsseldorf). orcid.org/0000-0002-6985-6195
D 61 ISBN 978-3-16-162333-2 / eISBN 978-3-16-162359-2 DOI 10.1628/978-3-16-162359-2 ISSN 2629-723X / eISSN 2629-7248 (Rechtstheorie ∙ Legal Theory) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über https://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Times Antiqua gesetzt und auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt. Es wurde von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2021 von der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf als Dissertationsschrift angenommen. Die mündliche Prüfung fand am 21. September 2022 statt. Die Arbeit befindet sich auf dem Stand von August 2021, wobei Internetlinks auf Aktualität geprüft wurden. Größter Dank gebührt zuerst meinem Doktorvater Prof. Dr. Martin Morlok. Er verstand es, diese Arbeit durch die ihm eigene wertschätzende und offene Art zu begleiten. Sein Blick über die „reine“ Rechtswissenschaft hinaus auf soziologische und politische Fragen und sein Verständnis für die damit einhergehenden Wechselwirkungen haben meinen eigenen Horizont erheblich erweitert und waren für mich eine große Bereicherung. Ich bin dankbar für die überaus lehrreiche Zeit insbesondere an seinem Lehrstuhl sowie für die Einbindung in viele gemeinsame Projekte. Danken möchte ich auch Jun.-Prof. Dr. Johannes Vasel für die Erstellung des Zweitgutachtens, das Lob und wertvolle Anregungen enthielt. Den Reihenherausgebern Prof. Dr. Thomas Gutmann, Prof. Dr. Tatjana Hörnle und Prof. Dr. Matthias Jestaedt danke ich für die Aufnahme in die Reihe „Rechtstheorie – Legal Theory (RTh)“. Die Drucklegung der Arbeit wurde unterstützt durch einen großzügigen Zuschuss der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung, für den ich mich herzlich bedanken möchte. Ich danke auch dem Freundeskreis der Düsseldorfer Juristischen Fakultät e.V. für die Auszeichnung der Arbeit mit dem Promotionspreis sowie der damit einhergehenden finanziellen Unterstützung der Druck legung. Danken möchte ich auch allen, die den Weg zur Fertigstellung der Arbeit begleitet und unterstützt haben. Für spannende Diskussionen zu allen erdenklichen parteienrechtlichen Fragen gilt dies besonders für Dr. Charlotte Hilliger. Frederik Orlowksi gebührt Dank für wertvolle Anregungen zur Disputation, daneben danke ich Frank Grootens, Carolin Mink, Jerome Schröder und Sascha Wolf für den Austausch im Rahmen der Doktorandenseminare und für die Zeit am Lehrstuhl generell.
VI
Vorwort
Für das Korrekturlesen der Arbeit danke ich Regina Lichti, Herbert Lichti sowie Dr. Laura Volk. Letzterer darüber hinaus auch für ihre guten Anmerkungen zu dem parteienrechtlichen Teil der Arbeit. Abschließend danke ich meiner Mutter, Eva Maria Hobusch, die mir stets den Rücken gestärkt und mich in meinem Vorhaben unterstützt hat. Ihr ist diese Arbeit gewidmet. Wuppertal im August 2023
Alexander Hobusch
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V IX
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Die Zurechnung im Recht – ein Streifzug . . . . . . . . . . . . . 1 B. Zurechnung und Parteienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
D. Methodische Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
§ 1 Zurechnung als Rechtstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 A. Rechtliche Konstruktion eines Zurechnungsbegriffs . . . . . . . . 6 B. Zurechnungsbegriff für die weitere Untersuchung . . . . . . . . .
34
§ 2 Zurechnung im Straf-, Zivil-, und Öffentlichen Recht . . . . .
37
A. Katalog der weiteren Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
B. Zurechnung im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
C. Zurechnung im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
D. Zurechnung im Öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
§ 3 Gesamtauswertung der Zurechnungsprobleme . . . . . . . . . 171 A. Zurechnungsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 B. Eigen- oder Fremdzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 C. Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung . . . . . . . . . . 173 D. Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 E. Zurechnungsausschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
VIII
Inhaltsübersicht
§ 4 Grundgedanken einer allgemeinen Zurechnungslehre . . . . . 195 A. Inhaltliche Ausgestaltung eines Zurechnungsmodells . . . . . . . 195 B. Methodische Ausgestaltung eines Zurechnungsmodells . . . . . . 264
§ 5 Zurechnungsfragen im Parteienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 296 A. Grundlegende Zurechnungsfragen für politische Parteien . . . . . 296 B. Konkrete Zurechnungsproblemstellungen im Parteienrecht . . . . 296
Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 A. Praktische Anschlussfähigkeit der Zurechnungsgründe . . . . . . 428 B. Harmonisierungsfunktion der Zurechnungsgründe . . . . . . . . 428 C. Zurechnungsgründe als „Wissensspeicher“ . . . . . . . . . . . . . 430 D. Die Gerechtigkeitsfunktion der Zurechnung . . . . . . . . . . . . 430 E. Inhaltliche Ausgestaltung des Zurechnungsmodells . . . . . . . . 431 F. Methodische Flexibilität des Zurechnungsmodells . . . . . . . . 431 G. Perspektiven der Fortentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII
Einleitung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
A. Die Zurechnung im Recht – ein Streifzug . . . . . . . . . . . . . . . 1 B. Zurechnung und Parteienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
D. Methodische Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
§ 1 Zurechnung als Rechtstechnik
. . . . . . . . . . . . . . . . . 6
A. Rechtliche Konstruktion eines Zurechnungsbegriffs . . . . . . . . . . 6 I. II. III. IV. V. VI. VII.
Probleme eines einheitlichen rechtlichen Zurechnungsbegriffs . . 6 Grundkonstruktion der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Weitere Begriffe und ihre Verbindung . . . . . . . . . . . . . . 11 Zurechnungsadressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Zurechnungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Zurechnungs- und Haftungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1. Bedeutung und Funktion des Zurechnungsgrundes . . . . . . 16 2. Notwendigkeit des Interessenausgleichs . . . . . . . . . . . . 18 VIII. Mehrfachzurechnung und Transitivität . . . . . . . . . . . . . . 21 IX. Reflexivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 X. Eigen- und Fremdzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 XI. Gerechtigkeitsfunktion der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . 29 XII. Methodologische Verortung der Zurechnung . . . . . . . . . . . 30 XIII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
B. Zurechnungsbegriff für die weitere Untersuchung . . . . . . . . . . .
34
X
Inhaltsverzeichnis
§ 2 Zurechnung im Straf-, Zivil-, und Öffentlichen Recht
. .
37
A. Katalog der weiteren Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37 38 38 39 39 39
I. II. III. IV. V.
Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition . . . . . . . . . . . . Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung . . . . . . . . . Eigen- oder Fremdzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B. Zurechnung im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
II.
III.
39 40 40 42 43 44
Objektive Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Bemerkungen zur objektiven Zurechnung . . . . 2. Globalformel der objektiven Zurechnung . . . . . . . . . . . 3. Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schaffung oder Erhöhung eines rechtlich relevanten Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 b) Risikoverringerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 c) Fehlender Risiko- und Schutzzweckzusammenhang . . . . 45 d) Hypothetischer Kausalverlauf . . . . . . . . . . . . . . . 46 e) Rechtmäßiges Alternativverhalten . . . . . . . . . . . . . 46 f) Hinzutreten eines Dritten oder des Opfers . . . . . . . . . 47 5. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 6. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition . . . . . . . . . 49 b) Eigen- oder Fremdzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . 51 c) Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 d) Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. Allgemeine Bemerkungen zur Mittäterschaft . . . . . . . . . 55 2. Grundformel der Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 57 a) Subjektive Voraussetzung: Gemeinsamer Tatentschluss . . 57 b) Objektive Voraussetzung: Gemeinsame Tatausführung . . 59 c) Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . 59 3. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition . . . . . . . . . 61 b) Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung . . . . . . 61 c) Eigen- oder Fremdzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . 62 d) Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 e) Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Mittelbare Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1. Allgemeine Bemerkungen zur mittelbaren Täterschaft . . . . 64 2. Grundformel der mittelbaren Täterschaft . . . . . . . . . . . 65
Inhaltsverzeichnis
XI
a) Willensherrschaft kraft Irrtums . . . . . . . . . . . . . . . 66 b) Willensherrschaft kraft Nötigung . . . . . . . . . . . . . . 67 c) Willensherrschaft kraft organisierter Machtapparate . . . . 68 3. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition . . . . . . . . . 69 b) Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung . . . . . . 69 c) Eigen- oder Fremdzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . 69 d) Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 e) Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
C. Zurechnung im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
II.
III.
IV.
74 Stellvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Allgemeine Bemerkungen zur Stellvertretung . . . . . . . . . 74 2. Voraussetzungen der Stellvertretung . . . . . . . . . . . . . . 78 3. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition . . . . . . . . . 81 b) Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung . . . . . . 83 c) Eigen- oder Fremdzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . 83 d) Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 e) Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Rechtsscheinvollmachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Allgemeine Bemerkungen zu den Rechtsscheinvollmachten . 86 2. Voraussetzungen der Anscheins- und Duldungsvollmacht . . 88 3. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition . . . . . . . . . 90 b) Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung . . . . . . 92 c) Eigen- oder Fremdzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . 92 d) Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 e) Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Besitzdienerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Allgemeine Bemerkungen zur Besitzdienerschaft . . . . . . . 95 2. Voraussetzungen der Besitzdienerschaft . . . . . . . . . . . . 97 3. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition . . . . . . . . . 98 b) Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung . . . . . . 100 c) Eigen- oder Fremdzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . 100 d) Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 e) Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Mittelbarer Besitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Voraussetzungen des mittelbaren Besitzes . . . . . . . . . . . 102 2. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition . . . . . . . . . 103 b) Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung . . . . . . 103
XII
Inhaltsverzeichnis
V.
c) Eigen- oder Fremdzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . 103 d) Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 e) Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Haftung für den Erfüllungsgehilfen . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Voraussetzungen der Gehilfenhaftung nach § 278 BGB . . . . 105 2. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition . . . . . . . . . 109 b) Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 c) Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 aa) Bisherige Begründungsansätze . . . . . . . . . . . . . 110 bb) Systematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 (1) Perspektive des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . 114 (2) Perspektive des Schuldners . . . . . . . . . . . . . 114 (3) Perspektive des Schuldner-Gläubiger-Verhältnisses 115 (4) Perspektive des Schuldner-Gehilfen-Verhältnisses . 115 cc) Grenzen der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . 116
D. Zurechnung im Öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 I.
II.
III.
IV.
Amtshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1. Voraussetzungen des Art. 34 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition . . . . . . . . . 118 b) Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 c) Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Grundrechtsgebundenheit des Staates . . . . . . . . . . . . . . . 124 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition . . . . . . . . . 131 b) Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 c) Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Grundrechtseingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 2. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition . . . . . . . . . 140 b) Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 c) Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Neutralitätspflicht von Amtsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . 147 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition . . . . . . . . . 152 b) Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 c) Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
Inhaltsverzeichnis
V.
XIII
Polizei- und ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit . . . . . . . 158 1. Verantwortlichkeit für eigenes Verhalten – Verhaltensverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Verantwortlichkeit für Handlungen Dritter . . . . . . . . . . 161 a) Die Figur des „Zweckveranlassers“ . . . . . . . . . . . . 161 b) Weitere Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 3. Zustandsverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 4. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition . . . . . . . . . 165 b) Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 c) Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 aa) Zustandsverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 167 bb) Verhaltensverantwortlichkeit und Zweckveranlasser . 168
§ 3 Gesamtauswertung der Zurechnungsprobleme
. . . . . . . 171
A. Zurechnungsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 B. Eigen- oder Fremdzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 C. Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung . . . . . . . . . . . . 173 D. Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 I. Kausalität als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 II. Absprache als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 III. Wille als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 IV. Finalität als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 V. Interesse als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 VI. Arbeitsteilung als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . 179 VII. Beherrschung als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . 180 VIII. Sphärenkonstruktion als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . 185 IX. Kenntnis als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 X. Risikoerhöhung als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . 187 XI. Unmittelbarkeit als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . 187 XII. Rechtsschein als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . 187 XIII. Veranlassung als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . 188 XIV. Vorhersehbarkeit als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . 188 XV. Adäquanz als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 XVI. Handlungsform als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . . . 189 XVII. Umgehungsschutz als Zurechnungsgrund . . . . . . . . . . . . 190 XVIII. Schutzwürdigkeitserwägungen als Zurechnungsgrund . . . . . . 190 1. Schutzwürdigkeit des Zurechnungsadressaten . . . . . . . . . 190
XIV
Inhaltsverzeichnis
2. Schutzwürdigkeit des Zurechnungssubjekts . . . . . . . . . . 190 3. Schutzwürdigkeit Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
E. Zurechnungsausschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 I. II. III. IV. V. VI.
Mittelbarkeit als Zurechnungsausschlussgrund . . . . . . . . . . Exzess als Zurechnungsausschlussgrund . . . . . . . . . . . . . Fehlende Beherrschbarkeit als Zurechnungsausschlussgrund . . Fehlende Adäquanz oder Vorhersehbarkeit als Zurechnungsausschlussgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geringe Risiken als Zurechnungsausschlussgrund . . . . . . . . Schutzzweck als Zurechnungsausschlussgrund . . . . . . . . . .
§ 4 Grundgedanken einer allgemeinen Zurechnungslehre . .
192 193 193 193 194 194
195
A. Inhaltliche Ausgestaltung eines Zurechnungsmodells . . . . . . . . . 195 I.
II.
Ausgangspunkt ist zurechnungsfeindlich . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlage: Verfassungsrechtliches Selbstverantwortungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausprägungen im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausprägungen im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verschuldensprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Privatautonomie und Individualismus im BGB . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die maßgeblichen Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . 1. Kausalität als notwendige Bedingung der Zurechnung . . . . 2. Absprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Finalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Argumentationsansätze und ihre Bewertung . . . . . . . . b) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Beherrschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Sphärenkonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Risikoerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Unmittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Rechtsschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Veranlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Vorhersehbarkeit und Adäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Bedeutung der Adäquanz . . . . . . . . . . . . . . . .
195 195 197 199 199 201 203 203 204 205 206 209 213 215 215 219 220 222 226 227 229 231 234 238 239 240
Inhaltsverzeichnis
b) Gemeinsamkeiten zwischen Vorhersehbarkeit und Adäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigenschaften der Vorhersehbarkeit als Zurechnungsgrund aa) Zurechnungsbegründung durch Adäquanz . . . . . . . bb) Zurechnungsbegründung durch Vorhersehbarkeit i. e. S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vorhersehbarkeit in Verbindung mit anderen Zurechnungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Handlungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Schutzwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die maßgeblichen Zurechnungsausschlussgründe . . . . . . . . 1. Mittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Exzess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fehlende Beherrschbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fehlende Adäquanz oder Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . 5. Geringe Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schutzzweck der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Tabellarische Übersicht: Zurechnungs- und Zurechnungsausschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Übersicht: Die Rechtsgedanken der Zurechnungsgründe . . . . . VI. Systematisierung der erarbeiteten Zurechnungsgründe . . . . . . VII. Zurechnungsgründe sind rechtsgebietsabhängig . . . . . . . . . 1. Grundwertungen der Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungszusammenhang bestimmt Zurechnungsintensität . . 3. Rechtsgebietsspezifische Zurechnungsgründe . . . . . . . . . VIII. Nicht abschließende Anzahl an Zurechnungsgründen . . . . . . IX. Politischer Einschlag der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . X. Anschlussfähigkeit der Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . XI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XV 240 241 242 243 244 245 245 246 248 248 248 249 250 251 252 253 254 255 256 256 257 258 259 260 261 262
B. Methodische Ausgestaltung eines Zurechnungsmodells . . . . . . . . 264 I.
Lösung als „Bewegliches System“ . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen des Beweglichen Systems . . . . . . . . . . . . a) Bewegliche und starre Normen . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Bewegliche System als „Mittelweg“ . . . . . . . . . . c) Zum Begriff der Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Elemente des Beweglichen Systems . . . . . . . . . . e) Gleichrangigkeit und Austauschbarkeit der Elemente . . . f) Abschließende Anzahl der Elemente . . . . . . . . . . . . g) Elemente und Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Bewegliches System und „Basiswertungen“ . . . . . . . .
264 264 264 266 266 267 268 269 270 271
XVI
II.
III.
Inhaltsverzeichnis
i) Methodische Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zurechnung und Bewegliches System . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsgebietsbezogenheit der Zurechnungsgründe . . . . b) Austauschbarkeit der Zurechnungsgründe . . . . . . . . . c) Gleichrangigkeit der Zurechnungsgründe . . . . . . . . . d) Abstufbarkeit der Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . e) Kein Erfordernis starrer Normen . . . . . . . . . . . . . . f) Interessenabwägung als Kern . . . . . . . . . . . . . . . . g) Beweglichkeit des Ergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . h) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösung als Topoi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen zur Toposbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Topik zwischen System- und Problemdenken . . . . . . . b) Inhaltliche Ausgestaltung der Topik . . . . . . . . . . . . c) Grenzen der Topik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) „Normativ geleitete Topik“ als Lösung . . . . . . . . . . . 2. Zurechnung und Topik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 5 Zurechnungsfragen im Parteienrecht
272 276 276 276 277 278 281 282 283 283 284 284 284 287 289 291 292 294
. . . . . . . . . . . . . 296
A. Grundlegende Zurechnungsfragen für politische Parteien . . . . . . . 296 B. Konkrete Zurechnungsproblemstellungen im Parteienrecht . . . . . . 296 I.
Parteibegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bisherige rechtliche Erfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Klassisch: Formaler Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erweiternder funktionaler Ansatz . . . . . . . . . . . . . . c) Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition . . . . . . . . . . 3. Gemeinsamkeiten mit dem Zurechnungsmodell . . . . . . . . 4. Anwendung des Zurechnungsmodells auf die parteinahen Stiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bisherige Einordnung der parteinahen Stiftungen . . . . . aa) Stiftungsurteil des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rezeption in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vereinzelt: Stiftungen als Teil der Partei . . . . . . . . b) Einordnung der parteinahen Stiftungen mit dem Zurechnungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Absprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
297 297 298 301 303 306 306 311 311 311 315 317 319 319 319 319 321
Inhaltsverzeichnis
II.
(1) Politische Bildungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . (2) Begabtenförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Archive, Forschung und wissenschaftliche Politikberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Internationale Zusammenarbeit . . . . . . . . . . (5) Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Finalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Beherrschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtliche Beherrschung . . . . . . . . . . . . . . (2) Tatsächliche Beherrschung . . . . . . . . . . . . . (a) Mitgliederstruktur . . . . . . . . . . . . . . . (b) Parteinähe der Leitungsebene . . . . . . . . . (c) Wirtschaftliche Abhängigkeiten . . . . . . . . (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Rechtsschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii) Wille, Interesse, Kenntnis, Vorhersehbarkeit . . . . . . jj) Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . kk) Schutzwürdigkeitserwägungen . . . . . . . . . . . . . ll) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Parteiverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bisherige rechtliche Erfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ziele der Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Verhalten der Anhänger . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erfasster Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Allgemeine Anforderungen an das Verhalten . . . . . cc) Verhalten von Organen, führenden Funktionären, Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verhalten einfacher Mitglieder . . . . . . . . . . . . . ee) Verhalten der Parteianhänger . . . . . . . . . . . . . . ff) Begrenzung der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . (1) Handeln „als Anhänger“ . . . . . . . . . . . . . . (2) Parteiwille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Berufung auf Grundrechte . . . . . . . . . . . . . (4) Bagatellschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition . . . . . . . . . . 3. Gemeinsamkeiten mit dem Zurechnungsmodell . . . . . . . . 4. Zum Sachverhalt: Der „Flügel“ . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anwendung des Zurechnungsmodells auf den AfD-„Flügel“ . a) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Finalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVII 322 323 323 324 325 328 328 329 330 330 333 335 337 338 338 338 339 340 342 344 344 345 346 347 348 349 350 351 354 354 355 356 356 357 358 361 363 363 363 364
XVIII
III.
Inhaltsverzeichnis
d) Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Absprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Rechtsschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Beherrschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Wille, Interesse, Kenntnis, Vorhersehbarkeit . . . . . . . . i) Schutzzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Schutzwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahlkampf durch Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bisherige rechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Probleme von Wahlkampf durch Dritte . . . . . . . . . . . b) Zum Begriff der Parallelaktionen . . . . . . . . . . . . . . c) Eigener Begriffsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einnahmen- und Spendensystematik des Parteiengesetzes . e) Bisherige Einordnung: Parallelaktionen als Einnahme oder Spende? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Kritik am restriktiven Verständnis . . . . . . . . . . . . . aa) Unklare Anforderungen an den notwendigen Einfluss . bb) Besonderheiten von Parallelaktionen . . . . . . . . . . cc) Relevanz des § 26 PartG . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition . . . . . . . . . . 3. Gemeinsamkeiten mit dem Zurechnungsmodell . . . . . . . . a) Wille als Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Parteieinfluss als Beherrschung oder Absprache . . . . . . aa) Parteieinfluss als Absprache . . . . . . . . . . . . . . bb) Parteieinfluss als Beherrschung . . . . . . . . . . . . d) Ausdrückliche Werbung als Rechtsschein . . . . . . . . . e) Exkurs: Namensrecht als Verhinderungsmöglichkeit . . . . aa) Parteienrechtlicher Namensschutz nicht anwendbar . . bb) Das bürgerliche Namensrecht . . . . . . . . . . . . . (1) Ansprüche des Namensinhabers . . . . . . . . . . (2) Rechtsfolgen namensrechtlicher Ansprüche . . . . cc) Anwendung: Wahlwerbung durch Dritte und Namensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Folgerungen für die Rechtsscheinzurechnung . . . . . f) Kenntnis und Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . g) Finalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zum Sachverhalt: Zwei Beispiele für Wahlkampf durch Dritte a) Fördergesellschaften als direkter Wahlkampfakteur – Die „WAAGE“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
366 366 367 368 368 369 369 370 371 371 371 372 375 377 378 382 382 384 384 385 386 386 387 387 387 389 389 390 390 392 394 399 400 402 403 404 404 404 405
Inhaltsverzeichnis
aa) Zur Rolle der Fördergesellschaften . . . . . . . . . . . bb) Die „Waage“ als besondere Fördergesellschaft . . . . cc) Aktivitäten und Schwerpunkte . . . . . . . . . . . . . dd) Zum Umfang und Inhalt der Aktionen . . . . . . . . . b) Aktueller: AfD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geschichte und Struktur des Unterstützer-Vereins . . . bb) Verbindungen in die Schweiz . . . . . . . . . . . . . . cc) Eigene Aktivitäten der Goal AG . . . . . . . . . . . . dd) Aktivitäten des Vereins . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Plakatkampagnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Druckerzeugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Finanzielle Bedeutung der Unterstützungsaktionen . . ff) Vorgehen der AfD gegen Verein . . . . . . . . . . . . gg) Wahrscheinliche Konstruktion der Unterstützeraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anwendung des Zurechnungsmodells . . . . . . . . . . . . . a) Mittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Finalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Absprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Beherrschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Wille, Interesse, Kenntnis, Vorhersehbarkeit . . . . . . . . h) Schutzwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Schlussbetrachtung
XIX 405 406 408 408 410 411 413 414 416 416 417 418 418 418 419 419 419 420 420 421 422 423 423 424
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428
A. Praktische Anschlussfähigkeit der Zurechnungsgründe . . . . . . . . 428 B. Harmonisierungsfunktion der Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . 428 C. Zurechnungsgründe als „Wissensspeicher“ . . . . . . . . . . . . . . 430 D. Die Gerechtigkeitsfunktion der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . 430 E. Inhaltliche Ausgestaltung des Zurechnungsmodells . . . . . . . . . . 431 F. Methodische Flexibilität des Zurechnungsmodells . . . . . . . . . . 431 G. Perspektiven der Fortentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459
Abkürzungen Hinsichtlich der verwendeten Abkürzungen wird auf Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 9. Auflage 2018 verwiesen.
Einleitung Kaum ein Begriff wird quer durch alle Rechtsbereiche derart häufig verwendet wie derjenige der Zurechnung, dabei aber mit derart unterschiedlichen Bedeutungsgehalten aufgeladen. Bei der Zurechnung geht es um ein Kernproblem des Rechts überhaupt: Sind einem Subjekt Merkmale als „eigene Tat“ zuzurechnen?1 Im Zentrum des Rechts steht das Individuum mit seinen Rechten und Freiheiten. Knüpfen Rechte am Individuum an, erscheint es sinnvoll, auch die Pflichten dergestalt zu verteilen: Jeder steht für sich ein, jeder haftet für seinen eigenen Verantwortlichkeitsbereich – casum sentit dominus –, jeder kann sich nur selbst verpflichten – alteri stipulari nemo potest. In einer hochkomplexen Welt erscheint die strikte Abgrenzung von Verantwortlichkeitsbereichen indes nicht vollumfänglich möglich, zu stark bedingen wirtschaftliche Verschränkungen, neuartige Gefährdungen oder moderne Arbeitsteilung ein Aufbrechen der individualistischen Grundausrichtung. Aus vielerlei Erwägungen kann es daher angezeigt sein, das Risiko, die Haftung oder andere Aspekte anders zu verteilen als die individualistische Ausrichtung es vorgeben würde. Das Risiko wird dann – sofern entsprechende Gründe dafür sprechen – einem anderen Subjekt zugerechnet. Diese Gründe der Zurechnung sind wiederum der Anlass der vorliegenden Arbeit. Die Zurechnung ist zwar ein altbekanntes Phänomen, ihre rechtliche Erschließung ist aber noch immer oberflächlich und vor allem kleinteilig an einzelnen Rechtsproblemen orientiert geblieben. Gedanklicher Ausgangspunkt dieser Arbeit ist daher der Versuch, Zurechnung als ein Gesamtphänomen zu begreifen, welches das gesamte Recht durchzieht. Ziel ist es, die hinter der Zurechnung liegenden Wertungen offenzulegen.
A. Die Zurechnung im Recht – ein Streifzug Zurechnung ist ein Begriff, der den meisten Juristen jedenfalls aus dem Strafrecht bekannt ist. Hierbei handelt die Figur der sogenannten objektiven Zurech1 Kant, in: Weischedel (Hrsg.), Immanuel Kant Werke VIII, 1968, 334; Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, 1927, S. 60.
2
Einleitung
nung von der Beschreibung einer Verantwortlichkeit zwischen einem menschlichen Handeln und einem eingetretenen Erfolg. Die Zurechnung zeigt sich aber auch in der Lehre zur Mittäterschaft, bei der es um die Zurechnung der Handlungen des Mittäters geht: Liegt ein gemeinsamer Tatplan vor und wird dieser gemeinsam umgesetzt, so werden die Tatbeiträge des einen auch dem anderen zugerechnet, obgleich der eine sie in seiner Person gar nicht erfüllt hat. Auch die mittelbare Täterschaft ist nichts anderes als eine Zurechnungsfigur, denn das Handeln eines Werkzeugs wird dem Hintermann zugerechnet, die Handlungen des Werkzeugs werden also zum Hintermann gezogen, der dadurch Täter wird. Auch das Zivilrecht kennt Fragen der Zurechnung in verschiedensten Konstellationen. Klassischerweise ist hier die Zuordnung von Handlungen oder Wissen zu einer juristischen Person zu nennen. Aber auch die Zurechnung von Wissen allgemein ist von Relevanz, die amtliche Überschrift des § 166 BGB lautet nicht umsonst „Wissenszurechnung“. Bei der Stellvertretung wird die Abgabe oder der Empfang einer fremden Willenserklärung zugerechnet, der Vertretene wird so gestellt, als habe er selbst gehandelt. Schaltet ein Schuldner zur Erfüllung einer Verbindlichkeit einen Gehilfen ein, dann wird nicht nur Fehlverhalten des Gehilfen, sondern auch dessen Verschulden über § 278 BGB zugerechnet. Im Öffentlichen Recht ist die Frage nach der Zurechnung weit weniger präsent. Im Vergleich zum Zivilrecht erscheint die Zurechnungsdogmatik im Öffentlichen Recht unterkomplex und wenig stringent. Dabei sind auch hier Zurechnungsfragen allgegenwärtig, sie werden indes nur selten als solche bezeichnet. Unter welchen Voraussetzungen etwa den Staat die Verantwortung für eine Beeinträchtigung von Grundrechten trifft – Stichwort: moderner beziehungsweise erweiterter Eingriffsbegriff – ist eine Frage der wertenden Zurechnung: Wird dem Staat das Handeln seiner Bürger zugerechnet, wenn diese nach einer staatlichen Warnung gewisse Produkte meiden? Auch für die Frage, ob private beziehungsweise privatisierte Organisationen, in denen einmal mehr, einmal weniger Staat steckt, rechtlich zum Staat „gehören“, ist Zurechnung entscheidend: Werden diese Organisationen dem Staat zugeschlagen, sind sie unter anderem grundrechtsverpflichtet. Die praktische Relevanz liegt also auf der Hand. Trotz allem fehlen klare, über rein formale Kriterien hinausgehende Wertungen für die Beschreibung und Begründung der Zurechnung.
B. Zurechnung und Parteienrecht Zurechnung durchzieht offenkundig alle Rechtsgebiete. Auch im Parteienrecht sind Zurechnungsfragen aufzufinden. Einige der oben genannten Beispiele sind bereits ohne längeres Suchen zu erkennen. Im Parteienrecht finden sich teilwei-
C. Gang der Untersuchung
3
se „zivilrechtliche“ Zurechnungsprobleme wieder, genannt sei nur die Zurechnung von Handlungen natürlicher Personen – der Organe – zur Partei als rechtsfähiger oder nicht-rechtsfähiger Verein. Um das Verhalten Dritter und eine mögliche Zurechnung dieses Verhaltens geht es auch beim Parteiverbot. Art. 21 Abs. 2 GG bestimmt, dass Parteien verfassungswidrig sind, wenn sich das „Verhalten ihrer Anhänger“ – vereinfacht gesagt – gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richtet. Die Herausarbeitung von Kriterien, nach denen das Anhängerverhalten der Partei im Verbotsverfahren angelastet werden kann, ist ein Zurechnungsproblem. Daneben zeigt das Parteiverbot auch noch eine weitere Zurechnungsdimension hinsichtlich des Parteibegriffs auf: Wird eine Partei für verfassungswidrig erklärt, ist entscheidend, wie weit das Verbot reicht, welche Organisationen im Parteiumfeld zur Partei gehören und welche nicht. Auch die Ausgestaltung des Parteibegriffs und seine Reichweite sind also Fragen der Zurechnung. Daneben sind neuartige Erscheinungen wie die sogenannten Parallelaktionen, Wahlkampfaktionen Dritter zugunsten einer Partei, in den Blick zu nehmen. Hier stellt sich die Frage, unter welchen Umständen die Aktivitäten Dritter einer Partei, in diesem Fall als Parteispende, zugerechnet werden können. Im Parteienfinanzierungsrecht ohnehin werden Handlungen von natürlichen Personen der Partei zugeordnet, etwa bei der Erlangung von Spenden. Im Parteienrecht sind Zurechnungsfragen besonders präsent, schließlich besteht bei den Parteien noch eine darüber hinausgehende „Zuordnungsfrage“, nämlich die ihrer eigenen Verortung. Den Parteien kommt eine intermediäre Stellung zu, sie sind weder Staatsorgane noch rein gesellschaftliche Akteure, sie reichen vielmehr von der einen in die andere Sphäre hinein – und sprengen damit den (klassischen) Versuch einer strikten Trennung zwischen Staat und Gesellschaft. Aus ihrer bipolaren Stellung folgen diverse Abgrenzungsprobleme, etwa bei der Fraktionsfinanzierung, der Fraktionsöffentlichkeitsarbeit, aber auch bei der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung. Es verwundert daher nicht, dass sich im Parteienrecht sowohl typische „zivilrechtliche“ als auch „öffentlich-rechtliche“ Zurechnungsprobleme identifizieren lassen; sie sind dem janusköpfigen Status der Parteien als Mittler zwischen Staat und Gesellschaft geschuldet.
C. Gang der Untersuchung Die folgende Arbeit will Zurechnung vom Allgemeinen zum Besonderen hin untersuchen. Zunächst soll die Zurechnung als Rechtstechnik dargestellt werden. Hierbei soll ein technisches Verständnis von Zurechnung entwickelt werden, mit dem die weitere Untersuchung ihren Gang nehmen soll. Im Anschluss sind ausgewählte Zurechnungsprobleme aus dem Straf- und Zivilrecht sowie dem Öf-
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Einleitung
fentlichen Recht zu untersuchen. Insgesamt 13 Konstellationen von Zurechnung werden analysiert. Hierbei handelt es sich teilweise um solche, die als „klassische“ Zurechnungsprobleme zu identifizieren sind, wie etwa die Haftung für den Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB im Zivilrecht. Aber auch weniger offensichtliche Anwendungsfälle wie die Neutralitätspflicht von Amtsträgern sind Gegenstand der Prüfung. Ziel der Untersuchung der Zurechnungskonstellationen ist die Herauspräparierung der maßgeblichen Zurechnungsgründe, also derjenigen Wertungen, welche hinter der Zurechnungsentscheidung stehen. Wieso werden Tatbeiträge der Mittäter wechselseitig zugerechnet? Welche Gründe sprechen für die Übertragung der Haftung des Erfüllungsgehilfen auf den einschaltenden Schuldner? Und warum muss sich der Staat das Einkaufsverhalten der Bürger zurechnen lassen, wenn er vor glykolhaltigen Weinen warnt? Diesen Fragen wird bei der Untersuchung der einzelnen Zurechnungskonstellationen nachzugehen sein. Die herausgearbeiteten Gründe der einzelnen Anwendungsbeispiele sind auf Gemeinsamkeiten zu prüfen. Lassen sich hierbei an verschiedenen Zurechnungskonstellationen ähnliche Begründungen für oder gegen eine Zurechnung auf decken, spricht dies für das Vorliegen eines vom Einzelfall abstrahierbaren Grundes. Die abstrakten Zurechnungsgründe werden dann inhaltlich in Relation gesetzt und bewertet. Aus ihnen soll in der Folge eine konsistente allgemeine Zurechnungslehre hergeleitet werden, welche sich aus den Erkenntnissen und Grundwertungen der untersuchten Zurechnungskonstellationen speist. Eine entsprechende inhaltliche Ausgestaltung ist um eine methodische Erläuterung zu ergänzen, um eine einwandfreie Anwendbarkeit sicherzustellen. Sind abstrakte Wertungen zu einer auch methodisch anwendbaren Lehre zusammengesetzt, so soll sie erprobt werden durch eine Anwendung im Recht der politischen Parteien. Drei bereits oben angesprochene Zurechnungskonstellationen, offen diskutierte Probleme aus der parteienrechtlichen Literatur, sollen hier mithilfe der gefundenen Methode untersucht und einer Lösung zugeführt werden. Zum einen soll untersucht werden, wie weit der Parteibegriff reicht, das heißt welche Organisationen im Parteiumfeld sich die Partei zurechnen lassen muss. Zum zweiten soll es im Rahmen des Parteiverbots gemäß Art. 21 Abs. 2 GG um die Frage gehen, unter welchen Bedingungen das Verhalten der Anhänger der Partei zugerechnet wird, um eine Verfassungswidrigkeit zu begründen. Drittens und letztens wird die Frage zu klären sein, wann sich Parteien Wahlkampfaktionen Dritter – beispielsweise fremd gezahlte Plakatwerbung für eine Partei – als Spende im Sinne des Parteiengesetzes zurechnen lassen müssen.
D. Methodische Anmerkungen
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D. Methodische Anmerkungen Die vorliegende Arbeit unterliegt in methodischer Hinsicht gewissen Besonderheiten. Sie enthält den Versuch, rechtsgebietsübergreifende Wertungen des gesamtrechtlichen Phänomens der Zurechnung aufzuspüren und diese in eine umfassende Zurechnungslehre einzuarbeiten. Der Beginn der Arbeit ist dabei rechtstechnischer Natur, hierbei wird der Begriff der Zurechnung abgesteckt und als Rechtstechnik eingeführt (§ 1). Die Untersuchung der 13 Zurechnungskonstellationen im anschließenden Teil dagegen hat induktiven Charakter: Durch die Betrachtung der Anwendungsfälle (§ 2) wird auf abstrakte Prinzipien geschlossen, welche im sich daran anschließenden dritten Teil näher dargestellt werden sollen (§ 3). Durch die gesamtrechtliche Ausrichtung handelt es sich um einen „internen“ – nur auf das deutsche Recht bezogenen – Rechtsvergleich. Aus den induktiv erzeugten Erkenntnissen und Wertungen wird dann im vierten Teil eine Zurechnungslehre formuliert (§ 4). Der fünfte Teil der Arbeit, die Anwendung auf das Parteienrecht, hat dagegen deduktiven Charakter (§ 5). Hier soll durch die Anwendung der Zurechnungslehre geprüft werden, ob die herausgearbeiteten Zurechnungsgründe bisher ungelöste Zurechnungsprobleme sachgerecht zu lösen vermögen.
§ 1 Zurechnung als Rechtstechnik A. Rechtliche Konstruktion eines Zurechnungsbegriffs I. Probleme eines einheitlichen rechtlichen Zurechnungsbegriffs Zurechnung ist ein Begriff, der im rechtlichen, aber auch im philosophischen Kontext Verwendung findet. Dies erschwert die Destillation eines juristischen Kernbegriffs, mit dem methodisch einwandfrei gearbeitet werden kann. Dieses Problem stellt sich aber nicht nur durch die interdisziplinäre Nutzung des Begriffs, auch in der Rechtswissenschaft scheint das Phänomen der Zurechnung an sich unterbelichtet. Hier wird der „schillernde“1 Begriff zwar in allen erdenklichen Rechtsbereichen verwendet, eine einheitliche Umschreibung oder gar eine allgemeingültige Definition ist aber – vielleicht gerade deswegen2 – nicht ersichtlich3, der Begriff hat teilweise je nach Rechtsgebiet unterschiedliche Bedeutungsgehalte.4 Obgleich verschiedene Zurechnungskonstellationen große Ähnlichkeiten aufweisen, wird der Versuch, die Entwicklung von Zurechnungskriterien von den einzelnen Bereichen abzukoppeln, bisher nicht unternommen.5 Erforderlich ist dafür zunächst die Herausarbeitung eines eigenen, juristischen Zurechnungsbegriffs. Dazu gehört auch, die in der Literatur bestehenden Unterschiede in der Terminologie offenzulegen und zu einer einheitlichen Begriffsbildung zu kommen. Das erste Einfallstor des Begriffs im Recht liegt in den frühesten Stadien des Strafrechts und hier in der Frage der Zurechnung einer Tat zu einer Person bezie1
So Bohrer, DNotZ 1991, 124, 126. Mit Nachweisen Moser, Konzernhaftung bei Kartellrechtsverstößen, 2017, S. 49. 3 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 467 f. merkt etwa bereits 1971 an, dass die zivilrechtliche Zurechnungslehre noch „stark entwicklungsbedürftig“ sei. Er kritisiert die starke Fokussierung der Zurechnung auf spezielle Sachbereiche, ohne davon unabhängige Grundsätze herauszuarbeiten. Siehe statt vieler Grubert, Die Zurechnung von Verstößen im Kartell- und Vergaberecht, 2019, S. 10. 4 So statt aller Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016, S. 27. 5 Dies kritisiert auch Lange, Zweckveranlassung, 2014, S. 36, der einen entsprechenden Versuch jedenfalls für einige Konstellationen unternimmt. 2
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hungsweise zu einem Handeln.6 Mit diesem Grundproblem der Zurechnung haben sich schon die früher ansetzenden philosophischen Abhandlungen beschäftigt.7 Die philosophische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Zurechnung soll hier – auch wegen des beschränkten Mehrwerts anhand der bereits reichhaltigen juristischen Literatur – ausgeklammert werden. Im heutigen Recht taucht der Begriff nicht nur im Strafrecht – etwa in § 14 StGB –, sondern auch im Zivilrecht (beispielsweise § 31 BGB) und im Öffentlichen Recht (etwa § 32 Abs. 1 S. 2 VwVfG) auf.8 Aber nicht nur die breite thematische Anwendbarkeit wirft Probleme auf, es ist daneben stets uneinheitlich, was zugerechnet wird und damit „Inhalt“ der Zurechnung ist. Bei den zivilrechtlichen Vorschriften der § 31 oder § 2789 wird beispielsweise das Handeln eines Subjekts auf ein anderes Subjekt übertragen, wohingegen bei § 166 BGB Wissen zugeordnet wird. Bei § 855 BGB wird die Ausübung des Besitzes, also die tatsächliche Gewalt über eine Sache, durch den Besitzdiener dem Besitzherrn zugerechnet. Weitere Beispiele führen ins Unternehmensrecht, hier schlägt § 16 Abs. 4 AktG Anteile dem herrschenden Unternehmen zu oder § 5 MitbestG rechnet die Arbeitnehmer der Konzernunternehmen dem herrschenden Unternehmen hinzu.10 In Anbetracht der großen Unterschiede stellt sich auch hier die Frage, ob diese Konstellationen alle unter einen Begriff der Zurechnung gefasst werden können. Daneben ist für den Rechtsanwender entscheidend, was Zurechnung für eine methodische Figur darstellt und in welchem Verhältnis sie zu anderen Methoden steht. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen es keine geschriebenen An6 Bork, ZGR 1994, 237. Auch der Verweis auf die Ausführungen Kants zur Zurechnung erfreuen sich, obgleich sie in den meisten Fällen nicht weiter vertieft werden, großer Beliebtheit, siehe etwa Grubert, Die Zurechnung von Verstößen im Kartell- und Vergaberecht, 2019, S. 10; Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016, S. 27 f.; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 96 f. 7 Hruschka, Strukturen der Zurechnung, 1976, S. 1 f. spricht in Bezug auf die Etymologie von einem Überleben „vorstrafrechtlicher, ja vorjuristischer“ Begriffe. Kant, in: Weischedel (Hrsg.), Immanuel Kant Werke VIII, 1968, 334 beispielsweise versteht unter Zurechnung als imputatio das „Urteil, wodurch jemand als Urheber (causa libera) einer Handlung, die alsdann Tat (factum) heißt und unter Gesetze steht, angesehen wird“. Die Zurechnung wird dann aber im Rahmen der Kausalität behandelt. Kritisch dazu Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, 1927, S. 61 ff. 8 Beispiele bei Bork, ZGR 1994, 237, 238. 9 Bei § 278 BGB wird gemeinhin nur von einer Zurechnung des Verschuldens gesprochen, tatsächlich erfolgt aber auch oder vornehmlich eine Zurechnung des pflichtwidrigen Verhaltens selbst, siehe Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 442021, § 20 Rn. 24; Looschelders, Schuldrecht – Allgemeiner Teil, 182020, § 23 Rn. 34. 10 Die genannten Beispiele finden sich bei Bork, ZGR 1994, 237, 238; Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 42016, Rn. 1322.
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haltspunkte gibt, wie die Zurechnung vorgenommen werden soll. Die Abgrenzung zur Auslegung oder der Rechtsfortbildung ist daher näher zu beleuchten.
II. Grundkonstruktion der Zurechnung Rechtliche Abhandlungen zum Thema Zurechnung gibt es einige, die meisten kreisen jedoch, wie angemerkt, um spezielle Zurechnungsprobleme. Die Ausbreitung einer allgemeinen Zurechnungsdogmatik gerät dabei in den Hintergrund11, teilweise fehlen allgemeine Erwägungen zur Zurechnung vollständig, obgleich ein konkretes Zurechnungsproblem Gegenstand der Analyse ist12. Am Anfang einer Zurechnung steht zunächst eine nicht zur Anwendung kommende Norm N1, ein Tatbestand. Diese Norm enthält Rechtsfolgen13, ist also rechtlich erheblich14. Wendet man diese nun auf ein Rechtssubjekt S1 an und erfüllt es den Tatbestand der Norm, besteht keine Notwendigkeit einer Zurechnung. Erfüllt es dagegen nicht alle Merkmale, dann treten die Rechtsfolgen nicht ein. Der Tatbestand wird aber möglicherweise dann erfüllt, wenn dem Subjekt Tatbestandsmerkmale (hin-)zugerechnet werden. Als Adressat der Zurechnung liegt eine Bezeichnung des Subjekts als Zurechnungsadressat15 nahe. Zugerechnet werden die Merkmale regelmäßig von einem anderen Subjekt S2, welches die zugerechneten Merkmale erfüllt und im Folgenden Zurechnungssubjekt genannt 11 Ähnliches beklagt Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 106. Siehe auch zur Kritik von Canaris bereits oben § 1 Fn. 4. 12 Ohne allgemeinen Teil zur Zurechnung etwa Jung, Wissenszurechnung und Wissensverantwortung bei juristischen Personen, 2017; Bruns, Voraussetzungen und Auswirkungen der Zurechnung von Wissen und Wissenserklärungen im allgemeinen Privatrecht und im Privatversicherungsrecht, 2007; Bruns, ZVersWiss 96 (2007), 485 ff.; Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998. Ausführlich dagegen Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 104 ff. und Bork, ZGR 1994, 237 ff. Knapper bereits Reinhardt, Wissen und Wissenszurechnung im öffentlichen Recht, 2010, S. 40 ff.; Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, 2003, S. 45 ff. Lediglich drei Seiten bei Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 96 ff. 13 Im Anschluss an Bork, ZGR 1994, 237, 238 zuletzt Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 97; Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016, S. 28. 14 Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, 2003, S. 48; Moser, Konzernhaftung bei Kartellrechtsverstößen, 2017, S. 49. 15 Wie hier Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß § 199 Abs. 1 BGB, 2018, S. 24; Goeckenjan, Revision der Lehre von der objektiven Zurechnung, 2017, S. 32. Vom Bezugsobjekt spricht Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016, S. 29, von Adressat etwa Bohrer, DNotZ 1991, 124, 126 oder von Zurechnungsobjekt zum Beispiel Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 108; Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 40. Vom Zurechnungssubjekt spricht Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 97.
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werden soll.16 Zurechenbare Tatbestandsmerkmale können auch zufällige Ereignisse und damit nicht von einem zweiten Subjekt verantwortete Merkmale sein.17 Es findet also teilweise eine Zusammenrechnung der Tatbestandsmerkmale der Rechtssubjekte und eine Zuordnung zu einem von ihnen statt. Voraussetzung dafür ist eine spezifische Verbindung zwischen S1 und S2 beziehungsweise zwischen S1 und den zuzurechnenden Merkmalen, die eine derartige Übertragung von Tatbestandsmerkmalen ermöglicht und rechtfertigt. Diese – freilich abstrakt gehaltene – Grundlegung lässt sich mit weiteren Elementen anreichern. Die Norm, die am Anfang der Betrachtung steht, ist die Hauptnorm, welche teilweise auch als Grundnorm18 bezeichnet wird. Wegen der Verwechslungsgefahr mit der Verwendung durch Kelsen19 soll diese im Folgenden als Hauptnorm bezeichnet werden. Die Bezeichnung bringt zum Ausdruck, wo der Beginn der Zurechnungsoperation liegt: In der Hauptnorm nimmt diese ihren Anfang, sie ist das Zentrum der Zurechnungsoperation. Die Benennung als Hauptnorm deutet auch bereits das Verhältnis zur Zurechnung anordnenden Norm an. Letztere hat dienende Funktion und soll die Anwendung der Hauptnorm absichern. Durch die Heranziehung der Merkmale, welche durch S2 verwirklicht werden, wird die Anwendung auf S1 gesichert, die Rechtsfolge schlägt also auf S1 durch. Die gesamte Operation der Zurechnung ist dafür geschaffen, die Exekution der Hauptnorm sicherzustellen, weil dies aufgrund besonderer Wertungen, die noch näher zu untersuchen sind, angezeigt ist. Daneben bedarf es auch einer Regel, nach welcher die Hinzurechnung der Merkmale durchgeführt wird.20 Diese Norm, welche die Regeln der Zurechnung enthält, wird Zurechnungsnorm21 ge16 Ebenso bei Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß § 199 Abs. 1 BGB, 2018, S. 24; Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016, S. 29. 17 Dies sind Fälle der Risikozurechnung, etwa bei §§ 287 S. 2, 300 Abs. 2, 447 BGB. Darauf weist zuletzt Bork, ZGR 1994, 237, 238; Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 4 2016, Rn. 1323 hin. So auch bereits Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 467 f. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 21923, S. 72 f. spricht von einer „Verknüpfung eines Seintatbestandes mit einem bestimmten Rechtssubjekt“, und hat bei dem Seintatbestand Verhalten eines anderen Subjekts aber auch objektive Zustände im Blick. 18 Bereits bezüglich dieser Benennung herrscht keine Einigkeit. Bei der grundlegenden Arbeit von Bork, ZGR 1994, 237, 239 wird sie als „bezogene Norm“ bezeichnet. Die Terminologie der Grundnorm geht zurück auf die ersten Ausarbeitungen zur Zurechnung von Oldenbourg, Die Wissenszurechnung, 1934, S. 3. Als Grundnorm und später als Grundtatbestand bezeichnet bei Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und bankrechtliche Aufklärungspflichten, 2017, S. 25. 19 Kelsen, Reine Rechtslehre, 21960, S. 204. 20 Siehe etwa Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, 2003, S. 47. 21 Begrifflichkeit auch bei Bruns, Voraussetzungen und Auswirkungen der Zurechnung von
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nannt22. Die Merkmale, die zugerechnet werden und damit Zurechnungsgegenstand23 sind, können ganz unterschiedlicher Natur sein, es kann sich um Willens erklärungen (etwa bei § 164 BGB und der Botenschaft)24, Verhalten (§§ 31, 278 BGB25), tatsächliche Gewalt (§ 855 BGB) oder anderes handeln, weshalb eine Beschränkung auf Verhalten als Gegenstand der Zurechnung zu kurz griffe. Damit ergibt sich folgende, verfeinerte Struktur einer Zurechnung: Bei der Subsumtion unter eine Hauptnorm N1 erfüllt der Zurechnungsadressat S1 nicht den Tatbestand dieser Norm. Gleichwohl gibt es Gründe, die eine Anwendung auf S1 angezeigt erscheinen lassen. Aufgrund der besonderen Beziehung zum Rechtssubjekt S2 werden die Merkmale, die S2 verwirklicht, so zusammengerechnet und übertragen, als habe sie S1 selbst erfüllt. Diese Übertragung ordnet die Zurechnungsnorm Z1 an. Sie bestimmt damit beispielsweise, wer an der Übertragung teilnimmt, was übertragen wird und wann eine solche ausgeschlossen ist. Die Zusammenrechnung der Merkmale zur Erfüllung der Tatbestandsmerkmale und damit verbunden die rechtliche Schaffung einer an sich nicht existierenden „Kollektivperson“26 ist per se rechtfertigungsbedürftig27, denn für das Subjekt S1 treten Rechtsfolgen der Norm N1 ein, obgleich S1 für sich genommen den Tatbestand gar nicht verwirklicht. Die materielle Rechtfertigung der Zurechnung ist der Zurechnungsgrund.28 Der Zurechnungsgrund beantwortet die Frage, warum S1 die Rechtsfolgen der Hauptnorm N1 treffen sollen.29 ZurechnungsWissen und Wissenserklärungen im allgemeinen Privatrecht und im Privatversicherungsrecht, 2007, S. 32. Als Zurechnungstatbestand bezeichnet bei Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und bankrechtliche Aufklärungspflichten, 2017, S. 25. 22 Zur verwendeten Rechtstechnik bei den Zurechnungsnormen Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 42016, Rn. 1324; Bork, ZGR 1994, 237, 239. 23 Die Begrifflichkeiten sind auch hier nicht einheitlich. Wie hier etwa Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und bankrechtliche Aufklärungspflichten, 2017, S. 25; Goeckenjan, Revision der Lehre von der objektiven Zurechnung, 2017, S. 32. Der Zurechnungsgegenstand wird auch als Zurechnungsobjekt bezeichnet, siehe etwa Moser, Konzernhaftung bei Kartellrechtsverstößen, 2017, S. 50; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 98. 24 Dazu Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 112016, Rn. 881 ff. 25 § 278 BGB spricht an sich nur von der Zurechnung von Verschulden, meint damit aber auch das Verhalten, siehe oben § 1 Fn. 10. 26 Zum Begriff siehe Joerden, in: Kaufmann/Renzikowski (Hrsg.), Zurechnung als Operationalisierung von Verantwortung, 2004, S. 135, 137. 27 Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 42016, Rn. 1325. 28 Die gleiche Terminologie nutzen beispielsweise Goeckenjan, Revision der Lehre von der objektiven Zurechnung, 2017, S. 290; Moser, Konzernhaftung bei Kartellrechtsverstößen, 2017, S. 51. 29 Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß § 199 Abs. 1 BGB, 2018, S. 44; Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, 2003, S. 47.
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zweck ist in der Regel, die Anwendung der Hauptnorm abzusichern, sie vor Umgehungen zu schützen und damit die ratio legis derselben abzusichern30, dies ist also der abstrakte Grund für eine Zurechnung. Die Zurechnungsnorm steht damit, wie Bork treffend formuliert, „im Dienste“ der Hauptnorm.31 Bei der Einschaltung von Erfüllungsgehilfen ergibt sich damit beispielsweise folgendes Bild: Der Geschäftsherr (S1) erfüllt selbst den gesetzlichen (Haftungs-) Tatbestand der Hauptnorm N1 – beispielsweise § 280 Abs. 1 BGB – nicht. In Frage kommt aber, dass ihm das Verhalten des Gehilfen (S2) nach der Zurechnungsnorm Z1 – hier: § 278 BGB – zugerechnet wird. Erforderlich ist eine spezifische Verbindung zwischen den beiden, die vorliegend – verkürzt gesprochen – in der Einschaltung des Gehilfen durch den Geschäftsherrn liegt. Einer der Gründe für die Zurechnung ist, dass sich S1 durch die Zwischenschaltung des S2 nicht seiner gegenüber dem Vertragspartner bestehenden Pflichten entledigen können soll.32 Schließlich erfüllt S1 durch Hinzurechnung des Verhaltens von S2 den Tatbestand der Hauptnorm, die Rechtsfolge schlägt durch die erfolgreiche Zurechnung auf ihn durch.
III. Weitere Begriffe und ihre Verbindung Die genannten Begrifflichkeiten werden, teilweise unter anderer Benennung, in den meisten Fällen zur Beschreibung der Zurechnung herangezogen. Sie sind indes noch nicht ausreichend, um die in dieser Arbeit angestrebte analytische Untersuchung von Zurechnungskonstellationen sachgerecht abzubilden. Für die Untersuchung unergiebig erscheint der Zurechnungszweck, denn dieser weist stets geltungserhaltend auf die Hauptnorm und soll Umgehungsversuche derselben verhindern. Wenn dies aber der einzige Zweck ist, und so wird der Zurechnungszweck durchgängig beschrieben33, so ist dieser zwar auf die jeweilige Hauptnorm bezogen, aber dennoch statisch und damit letztendlich doch für alle 30 Grundlegend bereits Bork, ZGR 1994, 237, 239. Mit Bezug auf diesen Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016, S. 29; Moser, Konzernhaftung bei Kartellrechtsverstößen, 2017, S. 51; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 98. Ähnlich Grubert, Die Zurechnung von Verstößen im Kartell- und Vergaberecht, 2019, S. 11. 31 Bork, ZGR 1994, 237, 239. Zur unterschiedlichen Terminologie oben § 1 Fn. 19. 32 Eine umfassende Untersuchung dieser Konstellation in Hinblick auf die aufzufindenden Zurechnungsgründe findet sich unter § 2 C. V. 2. c). 33 Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016, S. 29 etwa merkt an, Zweck der Zurechnung sei „stets“, die Bezugsnorm vor einer Umgehung zu schützen. Damit räumt auch er, ohne es freilich näher zu bemerken, ein, dass der Zurechnungszweck immer derselbe ist. Ähnlich Moser, Konzernhaftung bei Kartellrechtsverstößen, 2017, S. 51; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 98.
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Hauptnormen gleich. Ist der Zurechnungszweck aber überall gleich, kann ihm keine nähere Bedeutung in der Untersuchung der unterschiedlichen Zurechnungskonstellationen zukommen.34 Der Zweck der Zurechnung, die Erhaltung der Hauptnorm, ist außerdem deckungsgleich mit der ratio legis der Zurechnungsnorm.35 Die Zwecke des Anwendungsschutzes der Hauptnorm und des Schutzes vor Umgehungen sind in jeder einzelnen Zurechnungskonstellation aber möglicherweise ein Zurechnungsgrund und eine materielle Rechtfertigung der Zurechnung. Zweck und Grund der Zurechnung sind sich damit sehr ähnlich, lassen sich aber anhand verschiedener Abstraktionsgrade abgrenzen: Zurechnungsgründe sind die „Rechtfertigungsgründe“, warum im konkreten Fall die Hauptnorm mittels Zurechnungsnorm abgesichert werden muss. Die Gründe sind auf den Einzelfall bezogen und entsprechend konkret. Zweck der Zurechnung sind dann solche Gründe, die sich auf alle Zurechnungskonstellationen übertragen lassen und damit unabhängig von einer speziellen Grund- und Zurechnungsnorm Geltung beanspruchen. Man könnte auch von abstrakten Zurechnungsgründen oder Zurechnungsprinzipien sprechen. Die Zurechnungszwecke ergeben sich damit nicht bereits bei Betrachtung einer einzelnen Zurechnungskonstellation, sondern können nur durch Analyse verschiedener Beispiele rekonstruiert werden. Aus wiederkehrenden, zwingenden Zurechnungsgründen können dann prinzipielle Zwecke der Zurechnung gewonnen werden.36 Die Idee eines die Zurechnung als solche überspannenden Zurechnungszwecks ist damit an sich beizubehalten, ob es mehr Zwecke gibt als die genannte Anwendungsabsicherung der Hauptnorm, wird noch zu zeigen sein. Der Inhalt der Zurechnungsnorm ist abhängig von den Gründen der Zurechnung, die Gründe für die Zurechnung wirken auf die Zurechnungsnorm ein und geben dieser letztendlich ihre Form.37 Durch Betrachtung der Zurechnungsnorm lässt sich daher induktiv auf die Zurechnungsgründe schließen.38
34 Ebenfalls kritisch in Bezug auf den Zurechnungszweck aber mit anderem Ansatz der Kritik vgl. Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und bankrechtliche Aufklärungspflichten, 2017, S. 26. 35 Anders Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, 2003, S. 47, die als ratio legis der Zurechnungsnormen die Zurechnungsgründe angibt. 36 Jedenfalls begrifflich erscheint dies ohne Probleme anschlussfähig: Durch Induktion gewonnene Rechtsprinzipien werden mit zunehmendem Abstraktionsgrad etwa bei Bydlinski/ Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 32018, S. 100 zu „Rechtszwecken“. Ein ähnlicher Gedanke liegt der vorliegenden Benennung zugrunde. 37 Sogar von einem „Determinieren“ spricht Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, 2003, S. 47. 38 Ebenso Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und bankrechtliche Aufklärungspflichten, 2017, S. 26.
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Außerhalb der bisherigen Ausarbeitungen zur Zurechnung lag zumeist der konkrete Inhalt der Zurechnungsnorm, also zum einen die Frage, was Gegenstand der Zurechnung ist, zum anderen, nach welchen Kriterien die Zurechnung vorgenommen werden soll oder, anders formuliert, was der Tatbestand der Zurechnungsnorm erfordert. Der Tatbestand der Zurechnungsnorm entscheidet aber über das Wohl und Wehe der gesamten Zurechnungsentscheidung und ist damit von größter Wichtigkeit. Die Merkmale, nach denen diese Entscheidung getroffen werden soll, sind die in der Zurechnungsnorm niedergelegten Zurechnungskriterien. Die Zurechnungskriterien ergeben sich aus dem Zurechnungsgrund, sie sind die Konkretisierung des Zurechnungsgrundes in Hinblick auf die jeweilige Hauptnorm. Ebenso wie der Zurechnungsgrund von der zugrunde liegenden Hauptnorm abhängt, denn deren Schutz ist ratio legis der Zurechnungsnorm, hängen die Zurechnungskriterien – und damit das Ob und Wie der Zurechnung – von der Hauptnorm ab.39 Es herrscht folglich ein transitives Beeinflussungsverhältnis zwischen diesen drei Elementen.
IV. Zurechnungsadressat Oben wurde bereits angemerkt, dass dem Zurechnungsadressat auch zufällige Ereignisse, welche von keinem anderen Subjekt zu verantworten sind, zugerechnet werden können. Derartige Fallgestaltungen sind etwa die Regeln zur Gefahrtragung im Zivilrecht. Mit Konkretisierung wandelt sich die Gattungsschuld in eine Stückschuld. Für den Verkäufer ist damit die überaus wichtige Konsequenz verbunden, dass er das Risiko des zufälligen Untergangs nicht mehr tragen muss, es geht auf den Käufer über (§§ 446 und 447 BGB). Die genannte Risikosphäre führt also dazu, dass der Käufer bei zufälligem Untergang der Sache so gestellt ist, als habe er selbst die Sache zerstört. Es bedarf also keines zweiten Rechtssubjektes, eine Zurechnung kann auch bei Existenz lediglich eines Subjekts konstruiert werden. Für den Zurechnungsgegenstand lässt sich aus dem Beispiel schlussfolgern, dass Gegenstand nicht nur vom Willen getragene oder beherrschte und damit freie Vorgänge – also libera causa – sein können, sondern auch zufällige Geschehnisse. Das Recht kann durch Normen die Verantwortung für Ereignisse verteilen, ohne dass ein Subjekt für die Erfolge selbst verantwortlich sein muss. Daneben zeigt auch die Möglichkeit einer Eigenzurechnung die Möglichkeit einer Zurechnung mit nur einem Subjekt auf.40 39
Ohne nähere Herleitung oder Begründung dieses Ergebnisses Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 116. 40 Siehe unten § 1 A. X.
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Rechtssubjekte im hier verstandenen Sinne können sowohl natürliche als auch juristische Personen sein.41 Wenn eine juristische Person Zurechnungsadressat sein soll, findet in der Regel eine Doppelzurechnung statt. Da die juristische Person keine eigene Handlungsmöglichkeit besitzt, sondern nur durch ihre Organe handeln kann, werden zunächst Gegenstände den Organen zugerechnet, welche dann auf die juristische Person übertragen werden. Wird also „der juristischen Person“ etwas zugerechnet, liegt in der Regel eine Zurechnungskette vor.42 Die juristische Person an sich ist folglich bereits eine Zurechnungsfigur, ohne Zurechnung kann sie nicht am Rechtsverkehr teilnehmen, sondern nur durch die Zurechnung des Handelns ihrer Organe. Taugliches Subjekt in einer Zurechnungsoperation können nur rechtsfähige Subjekte sein.43 Gefolgert wird daraus teilweise, notwendig sei eine gewisse Einsichts- und Willensfähigkeit.44 Wohingegen bei der pauschalen Forderung nach Einsichts- und Willensfähigkeit jedenfalls mit Blick auf juristische Personen Zweifel angebracht sind, so dürfte die Beschränkung tauglicher Zurechnungsadressaten auf rechtsfähige Subjekte Sinn ergeben. Es wäre widersprüchlich, einem Subjekt mittels Zurechnung Rechte, Pflichten, Wissen, Verhalten oder gleich welche Zurechnungsgegenstände zuzuordnen, wenn es gar nicht Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Dies kann insbesondere deshalb nicht zum hier eingeführten Verständnis passen, da Voraussetzung der Zurechnung ja eine Hauptnorm mit Rechtsfolgen ist, die eine nicht-rechtsfähige Person nicht treffen können.
V. Zurechnungsnorm Die Zurechnungsnorm steht, wie oben beschrieben, in einem doppelten Beeinflussungsverhältnis. Einerseits ist sie geprägt durch die Hauptnorm, in deren Dienst sie steht, daneben erhält sie ihre Form durch die Zurechnungsgründe. Induktiv lassen sich daher die Zurechnungsgründe von der Zurechnungsnorm her rekonstruieren.
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Siehe nur Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 442020, § 33 Rn. 1 ff. Siehe dazu die weiteren Ausführungen unten § 1 A. VIII. 43 Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß § 199 Abs. 1 BGB, 2018, S. 44; Schlösser, Soziale Tatherrschaft, 2011, S. 135; Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 108. 44 So etwa Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 108; Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß § 199 Abs. 1 BGB, 2018, S. 44; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 469. 42
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Unter Norm ist hier allerdings nicht notwendigerweise eine geschriebene Norm zu verstehen. Zurechnungsnormen sind nicht zwangsläufig positiviert, sondern auch sehr häufig Regeln des ungeschriebenen Rechts.45 Insofern erlangen die vorstehenden Versuche, eine Verbindung zwischen den relevanten Größen der Zurechnung herzustellen, besondere Wichtigkeit. Aus naturalistischer Sicht ist die Betrachtung wichtig, um sachgerechte Zurechnungsmodelle herstellen zu können, wo sie erforderlich sind. Aus positivistischer Sicht ist es entscheidend, eine Übergriffigkeit von ungeschriebenen Regeln zu verhindern. Zurechnung ist keine Aushebelung des geschriebenen Rechts unter Umgehung der Analogievoraussetzungen und auch keine Ausschaltung des Gesetzgebers. Die Abgrenzung von ungeschriebener Zurechnung zur Analogie oder zur Auslegung ist im weiteren Verlauf noch zu erörtern.46 Zu trennen ist die Zurechnungsnorm von den Zurechnungskriterien. Die Zurechnungsnorm konkretisiert mit Blick auf Hauptnorm und Zurechnungsgrund, wem (Zurechnungsadressat), was (Zurechnungsgegenstand), aufgrund welches Tatbestandes (Zurechnungskriterien) zugerechnet werden soll. Weitere Erörterung bedarf auch der Begriff der „geschriebenen“ und „ungeschriebenen Zurechnung“, denn nicht nur die komplette Zurechnungsnorm kann ungeschrieben sein, auch kann es Fälle geben, in denen zwar die Zurechnung ausdrücklich angeordnet ist und auch Kriterien enthalten sind, diese aber durch ungeschriebene Kriterien ergänzt werden. Diese unterschiedlichen Möglichkeiten sollen in einer entsprechenden Begrifflichkeit aufgefangen werden. Man könnte geschriebene Zurechnung in dem Sinne verstehen, dass das Gesetz ein Zurechnungsproblem aufwirft und Kriterien zur Lösung bereithält, die dann lediglich durch eine Anwendung des Gesetzes geprüft werden. Als geschrieben könnte man indes auch eine Zurechnungskonstellation bezeichnen, die zwar durch das geschriebene Recht aufgeworfen wird, die Zurechnungsnorm aber keine oder nicht alle Kriterien zur Durchführung der Zurechnung enthält. Die Unterscheidung zwischen diesen Varianten soll hier nicht aufgegeben werden, um der durchzuführenden Analyse nicht an Tiefe zu nehmen. Daher soll eine Zurechnung als geschrieben bezeichnet werden, wenn die Zurechnungsnorm positiviert ist. Ist die Zurechnungsnorm ungeschrieben, handelt es sich um eine ungeschriebene Zurechnung. Daneben sollen aber auch die Fälle erfasst werden, in denen geschriebene Zurechnungsnormen nicht „vollständig“ sind und durch Rechtsprechung und Lehre weiter ausgestaltet werden. Diese Normen sollen als vollkommen und unvollkommen bezeichnet werden. Vollkommene Zu45
So auch Bruns, Voraussetzungen und Auswirkungen der Zurechnung von Wissen und Wissenserklärungen im allgemeinen Privatrecht und im Privatversicherungsrecht, 2007, S. 32. 46 Siehe unten § 1 A. XII.
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rechnungsnormen sind solche, welche alle Zurechnungskriterien in ihrem Tatbestand enthalten. Unvollkommene Zurechnungsnormen sind solche, die auf weitere ungeschriebene Kriterien zurückgreifen müssen.
VI. Zurechnungs- und Haftungsnorm Von den oben angesprochenen Zurechnungsnormen sind Haftungsnormen strikt zu unterscheiden. Haftungsnormen sind im dargestellten System die Hauptnormen, sie sind haftungsbegründend. Die Zurechnungsnormen wirken dagegen haftungszuweisend.47 Beispielhaft lässt sich hier auf § 278 und § 31 BGB verweisen. Der stetige Hinweis, bei § 278 handele es sich – anders als § 831 BGB – um keine Haftungs-, sondern eine Zurechnungsnorm, darf in keinem schuldrechtlichen Lehrbuch fehlen.48
VII. Zurechnungsgrund 1. Bedeutung und Funktion des Zurechnungsgrundes Näher zu thematisieren ist auch die oben vorgesehene Verbindung zwischen S1 und S2 beziehungsweise zwischen S1 und dem Gegenstand der Zurechnung. Die Verbindung muss eine Rechtfertigung für die Zuordnung der Merkmale des einen auf das andere Subjekt bieten. Erforderlich ist ein Verhältnis, das Zurechnungsgründe enthält, nicht ein beliebiges Verhältnis, wenngleich die inhaltlichen Anforderungen an die Zurechnungsbegründung unterschiedlich ausfallen.49 Im Rahmen der im Verlauf dieser Arbeit erfolgenden induktiven Untersuchung wer47 Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und bankrechtliche Aufklärungspflichten, 2017, S. 24; Bork, ZGR 1994, 237, 240. Ähnlich, wenngleich mit anderen Begrifflichkeiten auch Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 470: Der Haftungsgrund gibt an, warum und unter welchen Bedingungen/Voraussetzungen jemand geschützt werden soll, das Zurechnungsprinzip dagegen gibt an, wer mit der entstehenden Pflicht belastet werden soll. Der Gesetzgeber muss in seiner Interessenabwägung beide Punkte regeln. Siehe zur Abgrenzung von Zurechnungs- und Haftungsnorm auch umfassend Granitza, Erfüllungsgehilfenund Repräsentantenhaftung, 1969, S. 119 ff. 48 Siehe statt aller Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 212015, Rn. 372. 49 Vgl. etwa Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 107. Von „irgendeiner Beziehung“ spricht (zunächst) Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 468 ff. Von einem „vernünftigen Grund“ sprechen Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 98 und Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016, S. 30. Von „simplen Umständen“ spricht Bork, ZGR 1994, 237, 239, ihm zustimmend Moser, Konzernhaftung bei Kartellrechtsverstößen, 2017, S. 51.
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den verschiedene Zurechnungsgründe extrahiert und in eine abstrakte Zurechnungslehre eingebettet.50 Weiterer Erörterung zur inhaltlichen Ausgestaltung der Zurechnungsgründe bedarf es daher an dieser Stelle noch nicht. Wenn man, wie oben, den Zurechnungsgrund als Beantwortung der Frage auffasst, warum den Zurechnungsadressaten die Rechtsfolgen der Hauptnorm treffen sollen, dann weisen das Verhältnis und die Zurechnungsgründe in die gleiche Richtung: Aus dem Verhältnis muss sich der Grund für die Zurechnung ergeben, das Verhältnis muss so gestaltet sein, dass es wertungsmäßig angemessen erscheint, eine Zuordnung zu einem Subjekt vorzunehmen. Damit ergibt sich, dass der Zurechnungsgrund nicht nur von der Hauptnorm her bestimmt wird51, sondern auch von dem zugrundeliegenden Verhältnis der Subjekte. Dies kann indes nicht ausreichen, wenn Zurechnung auch bei nur einem beteiligten Subjekt Anwendung finden kann. Die notwendige Verbindung ist vielmehr zwischen dem Subjekt und dem Zurechnungsgegenstand, also dem Inhalt der Zurechnung, herzustellen.52 Zwischen einem Subjekt, dem etwas zugerechnet wird und dem Gegenstand dieser Zurechnung muss eine spezifische Verbindung bestehen. Dies gilt auch für den Fall zweier beteiligter Subjekte: Zwar scheint es auf den ersten Blick lediglich auf die Verbindung der Subjekte anzukommen, tatsächlich ist aber nur der Gegenstand der Zurechnung relevant. Dies schließt nicht aus, dass damit mittelbar auch eine Verbindung der beiden Subjekte in den Blick gerät. Bei dem bekannten Beispiel des Erfüllungsgehilfen ergibt sich, dass genau genommen nicht das Verhältnis zwischen Gehilfen und Geschäftsherr entscheidend ist, sondern die Verknüpfung zwischen dem Verhalten des Gehilfen als Zurechnungsgegenstand und dem Geschäftsherrn als Zurechnungsadressat die Zurechnung begründet. Beides erscheint zunächst deckungsgleich, weil das Verhalten des Gehilfen diesem selbst zugeordnet werden kann und folglich auch hier das Verhältnis zwischen Geschäftsherr und Gehilfe in den Blick genommen werden kann. Die dogmatisch einwandfreie Lösung, die auch Fälle ohne zweites Subjekt beinhaltet, ist diejenige, welche die Verknüpfung zwischen Zurechnungsgegenstand und Subjekt für maßgeblich erklärt. Im Falle des Erfüllungsge50 Siehe zu den gefundenen Zurechnungsgründen § 3 D. und zu ihrer inhaltlichen Ausgestaltung § 4 A. II. 51 Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016, S. 36; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 99. 52 So bereits Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 470, mit Verweis auf ihn Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 107. So wohl auch Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß § 199 Abs. 1 BGB, 2018, S. 44; Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, 2003, S. 47 ff. Anders und auf die Verantwortlichkeit zwischen zwei Subjekten abstellend Bork, ZGR 1994, 237, 239.
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hilfen muss also eine besondere Verbindung zwischen dem schädigenden Verhalten respektive Verschulden des Gehilfen und dem Geschäftsherrn bestehen. Diese notwendige Sonderverbindung lässt sich in den (ungeschriebenen) Tatbestandsmerkmalen des Erfüllungsgehilfen auffinden.53 Das schädigende Verhalten muss in einem sachlichen Zusammenhang mit der übertragenen Tätigkeit stehen und nicht „bei Gelegenheit“ erfolgen.54 Auch das Erfordernis, dass sich der Gehilfe „im Pflichtenkreis“55 des Schuldners bewegen soll sowie die Tatsache, dass kein wirksames Rechtsverhältnis zwischen Gehilfe und Geschäftsherr benötigt wird56, zeugen, ohne hier näher ins Detail zu gehen, von dem Versuch, die spezifische Verbindung zwischen dem Verhalten des Gehilfen und dem Geschäftsherrn, und damit zwischen Zurechnungsgegenstand und Subjekt und nicht zwischen den zwei Subjekten zu beschreiben. 2. Notwendigkeit des Interessenausgleichs Üblicherweise zeichnet sich für die Schaffung der Hauptnorm sowie der Zurechnungsnorm der Gesetzgeber verantwortlich. Er hat als ratio legis der (geschriebenen) Zurechnungsnorm ja die Erhaltung der Hauptnorm im Blick. Bei der Art und Weise, wie der Gesetzgeber die Zurechnungsnorm ausgestaltet, insbesondere bei der Wahl und Ausgestaltung der Zurechnungskriterien, findet aber eine Abwägung der widerstreitenden Interessen statt. Beim Erfüllungsgehilfen stellen sich etwa folgende Fragen: Was spricht dafür, dass der Geschäftsherr nur für eigenes Verhalten haften soll? Was spricht dafür, dass er für jegliches Verhalten des Gehilfen haftet? Soll der Geschäftsherr auch für die Straftaten des Gehilfen verantwortlich sein? Welche Ausnahmen sind angezeigt? Wann wiegen die Gründe für eine Selbstverantwortlichkeit schwerer als die Gründe, die eine Aufbürdung auf den Geschäftsherrn angezeigt erscheinen lassen? Der Gesetzgeber hat diese Entscheidungen zwar nicht bis ins letzte Detail getroffen, er hat mit der Anordnung der Zurechnung in § 278 BGB lediglich den Weg gewiesen. Die Ausfüllung der Zurechnungsnorm mit Zurechnungskriterien haben Rechtsprechung und Lehre übernommen. Die oben aufgeworfenen Fragen sind relevant für die Interessenabwägung, wie weit oder wie kurz die Zurechnung greifen soll. Sie finden sich wieder in Literatur und Gerichtsentscheidungen, in denen über die genaue Ausgestaltung gerungen wird, etwa über die Frage,
53
Zur umfassenden Analyse noch unten § 2 C. V. Siehe die Nachweise bei Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 442021, § 20 Rn. 32. 55 Siehe etwa Looschelders, Schuldrecht – Allgemeiner Teil, 182020, § 23 Rn. 35. 56 Grundmann, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82019, § 278 Rn. 43. 54
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ob die Einschränkung der Zurechnung für ein Handeln des Gehilfen „nicht nur bei Gelegenheit“ oder der Ausschluss von Straftaten vernünftig ist.57 Die Abwägung zwischen derartigen widerstreitenden Interessen und ihre Entscheidung ist nicht einfach, es handelt sich um eine originäre Aufgabe des Gesetzgebers. Erst in der Abwägung und Gewichtung der widerstreitenden Interessen und Ansichten verwirklicht sich in prozeduraler Hinsicht das Gemeinwohl.58 Findet eine Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht bei Ausarbeitung einer gesetzlichen Regelung statt, da es schlicht eine solche nicht gibt, so muss die Abwägung an anderer Stelle Platz greifen. Wie oben schon gezeigt wurde, ist Zurechnung eine Operation, die unterschiedliche Interessenlagen betrifft. Diese Belange müssen miteinander abgewogen, gewichtet und in eine Entscheidung eingestellt werden. Insbesondere bei ungeschriebenen Zurechnungsnormen stellt sich daher nicht nur das Problem eines Legitimationsdefizits, es fehlt darüber hinaus auch die notwendige Interessenabwägung. Begriffe man die Zurechnungsgründe lediglich als „simple Umstände“59, die für eine Zurechnung sprechen müssen, dann reicht das bei weitem nicht aus, weil möglicherweise Geschäftsherr und Gehilfe beide im Stande sind, derartige Umstände für ihre Sicht vorzubringen. Bei der Zurechnung geht es auch um den Ausgleich ebendieser Interessen. Bei ungeschriebenen Zurechnungsnormen, denen also eine gesetzgeberische Interessenabwägung fehlt, wirken die Zurechnungsgründe auf eine derartige Interessenabwägung ein. Diese Interessenabwägung ist – besonders bei ungeschriebenen Zurechnungsnormen – denknotwendig für eine Zurechnung.60 Eine Verortung der Interessenabwägung wird aber in bisherigen Bearbeitungen augenscheinlich nicht vorgenommen.61 57
Siehe nur Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 212015, Rn. 381 f. Siehe etwa der prozedurale Gemeinwohlbegriff bei Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, 32015, S. 300; Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 2 2006, S. 87 ff. Zum Gemeinwohl als Staatsaufgabe Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 234 ff. Zum prozeduralen Verfassungskonsens Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, 1984, S. 110 ff. Zur rechtsoziologischen Perspektive Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 31978. 59 Siehe bereits oben § 1 Fn. 50. 60 Cyrus, Repräsentantenhaftung des Versicherungsnehmers in Deutschland und Österreich, 1998, S. 18 merkt an, dass es in Anbetracht der ausbleibenden gesetzlichen Normierung Aufgabe der Rechtsprechung sei, einen „interessengerechten Ausgleich“ zu finden. 61 Bork, ZGR 1994, 237, 242 verweist auch auf die Notwendigkeit einer Abwägung, unklar bleibt aber, in welchem Punkt diese eingestellt werden muss und welche Konsequenzen diese hat. Er formuliert dies in dem methodischen Abschnitt, in welchem er die Zurechnung von Analogie und Auslegung abgrenzt. Das Gemeinsame an allen sei die erforderliche und inhaltlich jeweils deckungsgleiche Interessenabwägung. So richtig das ist, so unklar bleiben die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen. 58
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Für ungeschriebene Zurechnungsnormen gilt daher, dass die Zurechnungsgründe, das heißt die Aspekte zur „Rechtfertigung“ der Zurechnungsoperation, eine Abwägung der Interessen für oder gegen eine Zurechnung inhaltlich bestimmen. Dabei sind einzustellen die Interessenlagen der Betroffenen, also zumindest des Zurechnungsadressaten und des möglicherweise betroffenen anderen Subjekts. Daneben geht es um die Herausarbeitung der Gründe für eine Zurechnung unter besonderer Berücksichtigung der Hauptnorm. Gründe für die Zurechnung ergeben sich insbesondere auch aus der Herauspräparierung der bereits a priori bestehenden besonderen Verbindung zwischen Zurechnungsadressat und Zurechnungsgegenstand. Nicht ausreichend ist der Rekurs auf eine „Verantwortlichkeit“62 zwischen den beiden Subjekten oder Subjekt und Gegenstand, denn diese Verantwortung ist häufig die Folge der Zurechnungsnorm, sodass Begründung und Folge der Zurechnung hier strikt auseinanderzuhalten sind.63 Aus dieser besonderen Verbindung kann sich die Notwendigkeit oder Billigkeit einer Zurechnung ergeben. Im Rahmen dieser Abwägung zeigt sich, dass die Zurechnung keine rein formale Rechtstechnik, sondern wertungsbezogen ist; ob ausreichende Gründe für eine Zurechnung sprechen, ergibt sich aus einer „wertenden Betrachtung“64 der unterschiedlichen Interessen. Durch diese Offenheit des Zurechnungsgrundes ergibt sich eine flexiblere Handhabung im Einzelfall.65 Dadurch kann die Zurechnung ihre Funktion zur Herstellung von Gerechtigkeit im Einzelfall ausfüllen.66 Offenbleiben kann an dieser Stelle, was in den Fällen der geschriebenen Zurechnungsnormen mit der Interessenabwägung geschieht. Grundsätzlich ist mit dem Erlass der gesetzlichen Regelung eine Abwägung zu ihrem Ende durch verbindliche Entscheidung gekommen. Auch wenn sich die Abwägung als nicht interessengerecht darstellen und damit die Gründe für eine Zurechnung die Gründe gegen eine Zurechnung nicht überwiegen sollten, ist die Regelung dennoch in Kraft und mit der Legitimation des Gesetzgebers versehen. Entspricht die Regelung in allen Details auch dem Willen des Gesetzgebers und sind alle Merkmale der Norm eindeutig67, so ist daran auch durch eine Abwägung der Interessen nicht zu rütteln. Erst wenn sich verfassungsrechtliche Zweifel erheben, könnte 62 Der Begriff Verantwortung ist im juristischen Sprachgebrauch eher unüblich, siehe dazu Di Fabio, in: Knies (Hrsg.), Staat, Amt, Verantwortung, 2002, S. 15, 20; Merten, VVDStRL 55 (1996), 7, 8. 63 Zutreffend Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 42016, Rn. 1325. 64 Für die Wissenszurechnung so beispielsweise BGHZ 109, 327, 331. Siehe auch Thomale, Der gespaltene Emittent, 2018, S. 11. 65 Siehe wiederum BGHZ 109, 327, 331 und mit weiteren Nachweisen ders., Der gespaltene Emittent, 2018, S. 11. 66 Dazu noch bei § 1 A. XI. 67 Bedarf eine gesetzliche Regelung vor ihrer Anwendung dagegen der Auslegung oder
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an eine Korrektur der Norm durch verfassungskonforme Auslegung gedacht werden. Davor allerdings bleibt für eine Korrektur kein Raum. Dies bedeutet, dass eine (neuerliche) Interessenabwägung bei geschriebenen Zurechnungsnormen zwar denkbar ist, ihre Anwendung und Folgen aber zurückhaltender sind. Selbst bei einem gänzlich anderen Ergebnis als bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist der Wille des Gesetzgebers so lange zu respektieren, wie sich verfassungsrechtlich nicht etwas anderes ergibt. Damit kann ein anderes Abwägungsergebnis nicht das Ende, sondern der Beginn einer näheren – dann verfassungsrechtlichen – Auseinandersetzung mit der Norm sein. Weit häufiger wird indes der Fall sein, dass zwar die Zurechnung an sich gesetzlich angeordnet ist, der Gesetzgeber aber bei der Ausgestaltung der konkreten Zurechnungsmerkmale zurückhaltend agiert. In diesen Fällen bleibt Raum für die Ausfüllung und Ausgestaltung der Zurechnungsmerkmale durch Rechtsprechung und Lehre. Hier wie auch bei den übrigen Abwägungen gilt, dass Zurechnung nicht willkürlich angewendet werden darf, um die Wertungen einer Norm zu verzerren.68 Die Begründung der Zurechnung ergibt sich damit als wertende Betrachtung aus den herausgearbeiteten Interessen und den Zurechnungsgründen unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks der Hauptnorm. Die Herauspräparierung der Zurechnungsgründe erfolgt sogleich anhand der Analyse von Zurechnungsbeispielen.
VIII. Mehrfachzurechnung und Transitivität Wenn es Fälle mit nur einem Subjekt gibt, dann sind der Vollständigkeit halber Fälle mit mehr als zwei Subjekten zu thematisieren. Auch wenn dies augenscheinlich in bisherigen Ausarbeitungen nicht näher untersucht wurde, sprechen keine Gründe dagegen, warum nicht mehr als zwei Subjekte an einer Zurechnungskonstellation beteiligt sein können. Indes lassen sich auch diese Konstellationen zerlegen in Ein- oder jedenfalls Zwei-Subjekt-Strukturen, womit sich im Ergebnis die gleichen Fragen stellen. Beispielsweise ist bei der Einschaltung eines Erfüllungsgehilfen denkbar, dass sich der Gehilfe seinerseits eines Erfüllungsgehilfen bedient (sogenannter mittelbarer Erfüllungsgehilfe69). Dann ist, wie gehabt, zunächst bei der Hauptnorm mit S1 zu beginnen. Möglicherweise kann durch eine Zurechnung von TatbestandsKonkretisierung, dann ergeben sich auszufüllende Wertungsspielräume durch die genannten Methoden, aber auch der Rechtsfortbildung. Zur Einordnung der Zurechnung unten § 1 A. XI. 68 Vgl. nur Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016, S. 30. 69 Siehe etwa Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 442021, § 20 Rn. 29.
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merkmalen, die S2 verwirklicht, die Hauptnorm für S1 erfüllt werden. Dafür müsste die Zurechnungsnorm erfüllt sein. Allerdings erfüllt S2 selbst die Zurechnungsnorm Z1 nicht vollständig, zwar liegt die notwendige Sonderverbindung für eine Zurechnung an sich vor, allerdings hat S2 nicht selbst gehandelt und ihn trifft auch kein eigenes Verschulden. Allerdings muss er sich das Verhalten seines eigenen Erfüllungsgehilfen S3 zurechnen lassen, wenn dieser die Voraussetzungen der Zurechnungsnorm Z2 erfüllt. Aus Sicht des S2 ist damit die Zurechnungsnorm des S1 (Z1) die Hauptnorm, die Zurechnungsnorm Z2 ist für S2 Zurechnungsnorm. Erfüllt S3 die Zurechnungsnorm Z2, so wird der Zurechnungsgegenstand der Zurechnungsnorm Z2 dem S2 zugerechnet und führt bei diesem zur Erfüllung der Zurechnungsnorm Z1, also Hauptnorm des S2, womit der Zurechnungsgegenstand der Zurechnungsnorm Z1 dem S1 für die Erfüllung der Hauptnorm zugerechnet wird. Im Ergebnis treffen den S1 damit durch die Zurechnung von S2 und S3 die Rechtsfolgen der Hauptnorm.70 Die Verkettung von Zurechnung ist damit möglich. Außerdem zeigt sich an diesem Beispiel, dass die Operation der Zurechnung wohl transitiven Charakter aufweist. Verkürzt gesagt könnte damit gelten: Wenn dem S1 von S2 ein Gegenstand zugerechnet wird und dem S2 auch von S3, dann wird dem S1 letztendlich von S3 zugerechnet. Für den Fall der „doppelten“ Erfüllungsgehilfen, der mittelbaren Erfüllungsgehilfenschaft, erscheint die Aussage, dass der Geschäftsherr auch für das Verhalten der eingeschalteten Erfüllungsgehilfen des Erfüllungsgehilfen eintreten muss, nachvollziehbar und plausibel. Eine Verallgemeinerung ist damit indes nicht zwangsläufig verbunden, denn bei beiden Zurechnungsnormen (Z1 und Z2) handelte es sich um ein und dieselbe Norm, nämlich jeweils um § 278 BGB. Damit waren auch die Zurechnungsgegenstände identisch. Diese besondere Konstellation mag eine Zurechnung von dem Verhalten des S3 auf S1 ermöglicht haben. Es wird zu untersuchen sein, ob dies auch in anderen Konstellationen möglich ist und die Beobachtung einer Verallgemeinerung zugänglich ist. Kombiniert man beispielsweise die beiden Zurechnungsnormen § 278 und § 31 BGB, so erscheint auch hier eine Kettenzurechnung möglich. Wird durch einen Geschäftsherrn eine GbR zum Erfüllungsgehilfen bestellt und handelt einer der Gesellschafter pflichtwidrig und schädigt damit den Gläubiger des Geschäftsherrn, so könnte dieser möglicherweise nicht nur Ansprüche aus Delikt gegen den Gesellschafter haben, sondern auch gegen die GbR (einfache Zurechnung über § 31 BGB), und darüber hinaus auch gegen den Geschäftsherrn selbst, 70
Grundsätzlich dazu im Kontext der Zurechnung etwa Westermann, JuS 1961, 333, 339. Der strittigen Frage, ob für eine derartige Verkettung ein entsprechender Wille des Geschäftsherrn notwendig ist, soll an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden.
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wenn man zunächst das Handeln des Geschäftsherrn der Gesellschaft zurechnet und dieses dann über § 278 BGB dem Geschäftsherrn. Eine solche Konstellation dürfte sogar bei Erfüllungsgehilfen realiter weit verbreitet sein. Ist als Erfüllungsgehilfe nicht nur eine natürliche, sondern auch juristische Person denkbar71, so ist zur Zurechnung des Verhaltens des Organs zur juristischen Person bereits § 31 BGB notwendig. Zwar ist hier die Zurechnungsnorm verschieden, der Gegenstand der Zurechnung ist indes auch bei diesem Beispiel derselbe, es wird bei beiden Normen das Verhalten zugerechnet. Weil das Verhalten dann weiterhin für die Erfüllung der nächsten Zurechnungsnorm relevant ist, kommt eine Verkettung zustande. Insofern lässt sich die Beobachtung formulieren, dass sich die Transitivität der Zurechnung jedenfalls in Bezug auf übereinstimmende Zurechnungsgegenstände bejahen lässt. Medicus weist darauf hin, dass verschiedene Zurechnungen zusammentreffen können. Er geht hier von dem Beispiel einer Verkäuferin aus, die Erfüllungsgehilfe des Geschäftsherrn ist, gleichzeitig aber auch mit Vertretungsmacht ausgestattet ist. Es handelt sich hier um die Zurechnung verschiedener Zurechnungsgegenstände72, bei der Stellvertretung werden Willenserklärungen zugerechnet, bei der Erfüllungsgehilfenschaft das Verhalten. Welche Zurechnung zur Anwendung kommt, hängt damit von der Hauptnorm ab: Wird nach vertraglichen Ansprüchen gefragt, ist die Zurechnung von Willenserklärungen entscheidend, bei der Haftung für Pflichtverletzungen geht es um die Einordnung als Erfüllungsgehilfe.73 Eine solche Verkettung von Zurechnungsoperationen mit unterschiedlichen Gegenständen könnte etwa an folgendem Fall aufgezeigt werden:74 Im Unternehmen B arbeitet der Pförtner H, der schon verschiedentlich Vertragsangebote für die Firma angenommen hat, Dauerkunde D weiß dies. Der tatsächlich bevollmächtigte A weiß von dem Handeln des H, schreitet aber nicht ein.
71 Siehe etwa BGHZ 193, 60, dem auch ein entsprechender Fall zugrunde lag: Der Schuldner war eine AG, die sich zur Erfüllung der vertraglichen Nebenpflichten einer anderen AG bediente, welche Erfüllungsgehilfe war. Diese schaltete ihrerseits einen Erfüllungsgehilfen ein. Weil die AG selbst nicht handeln kann, muss Gegenstand der Zurechnung das Handeln oder Unterlassen der Organe sein, welches über § 31 BGB zugerechnet wird. Insofern dürfte auch der genannte Fall – freilich ohne derart umständliche Herleitung –, eine Zurechnungsverkettung beinhalten. 72 Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 112016, Rn. 890 spricht von verschiedenen „Elementen“, die zugerechnet werden sollen. 73 Dies., Allgemeiner Teil des BGB, 112016, Rn. 890. 74 Fall sinngemäß entnommen aus Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 442020, § 25 Rn. 25.
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Hier ist bei einer vertraglichen Inanspruchnahme der B durch D die Frage zu beantworten, ob die von H abgegebene Willenserklärung, den Vertrag mit D anzunehmen, der B zuzurechnen ist. Dafür muss zunächst ein Rechtsschein entstanden sein, was vorliegend durch das mehrfache Auftreten der Fall ist. Für die Duldungsvollmacht ist daneben ein „in zurechenbarer Weise“ gesetzter Rechtsschein erforderlich.75 Der Rechtsschein selbst muss also dem Vertretenen zuzurechnen sein, es muss hier ein Verantwortungszusammenhang zwischen Rechtsschein und dem Zurechnungsadressat – hier: dem Vertretenen – hergestellt werden. In diesem Fall genügt das Verhalten der bevollmächtigten Person A: Ihr Unterlassen wird der B zugerechnet. Gemeinsam mit den anderen Kriterien der Anscheinsvollmacht führt dies dazu, dass neben der Willenserklärung (von H) der B auch noch das Verhalten des A zugerechnet wurde. Dieses Verhalten wurde bei der Prüfung der Zurechnungsnorm relevant. Hier zeigt sich also, dass auch eine Verkettung ganz unterschiedlicher Zurechnungsgegenstände wie Willenserklärungen oder Verhalten denkbar ist. Mehrfachverkettungen bei der Zurechnung sind oftmals, aber nicht immer dann anzutreffen, wenn der Zurechnungsgegenstand übereinstimmend ist. Dieser wirkt auf die Ausgestaltung der Zurechnungsnorm ein, denn grundsätzlich gilt, dass der Inhalt der Zurechnungsnorm (die Zurechnungskriterien) auf den Zurechnungsgegenstand zugeschnitten ist. Entscheidend bei der Verkettung sind dabei die Zurechnungskriterien: Sind Inhalt der Zurechnungsnorm Merkmale, die ihrerseits einer Zurechnung zugänglich sind, die also Gegenstand einer anderen Zurechnungsnorm sind, ist eine Verkettung möglich. Enthält die Zurechnungsnorm dagegen im Tatbestand Merkmale, die nicht Gegenstand einer Zurechnungsnorm sind, dann kann auch keine Verkettung stattfinden, schließlich kann keine Zurechnungsnorm aufgefunden werden, welche auf die Tatbestandsmerkmale der ersten Zurechnungsnorm (aus Sicht der zweiten Zurechnungsoperation die Hauptnorm) anwendbar wäre. Jede Zurechnungskette endet damit unweigerlich und endgültig, wenn Merkmale in der Zurechnungsnorm zu erfüllen sind, die nicht anschlussfähig für eine Zurechnungsnorm sind. In Anbetracht der tendenziellen Unbegrenztheit möglicher Zurechnungsgegenstände dürfte dies indes einen eher seltenen Fall beschreiben. Daneben bleibt festzuhalten, dass Zurechnung jedenfalls bei gleichen Gegenständen transitiven Charakter hat. Bei unterschiedlichen Gegenständen ist dies nicht zwingend, es kommt hier auf die Art der Verkettung an.
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Zu den Voraussetzungen der Rechtsscheinvollmachten noch im Einzelnen unter § 2 C. II.
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IX. Reflexivität Es lässt sich weitergehend fragen, ob Zurechnung an sich eine reflexive Operation darstellt, ob also aus der Zurechnung von S1 zu S2 folgt, dass eine solche auch von S2 zu S1 erfolgen kann oder muss. Augenscheinlich hängt die Frage der Reflexivität von der Zurechnungsnorm ab, sie bestimmt ja, was (Zurechnungsgegenstand) wem (Zurechnungsadressat) warum (Zurechnungsgrund) zugerechnet wird. Bei Schaffung einer Kollektivperson und Zusammenrechnung bei dieser gedachten Person findet eine wechselseitige Zurechnung statt, wie etwa bei der Mittäterschaft.76 Weit häufiger soll Zurechnung aber einseitig funktionieren und den Zurechnungsgegenstand nur auf den Zurechnungsadressaten, nicht aber wechselseitig übertragen. Dies liegt im Zweck der Zurechnung begründet: Die Anwendung der Hauptnorm soll von der Zurechnung abgesichert werden. Erfüllt aber etwa das erste Subjekt die Hauptnorm nicht, das zweite Subjekt aber schon, bedarf es einer Zurechnung von Merkmalen vom ersten auf das zweite Subjekt nicht. Das zweite Subjekt erfüllt sie bereits. Soll aber die Anwendung einer Hauptnorm für beide Subjekte abgesichert werden, weil beide sie für sich genommen nicht erfüllen, es aber bei wertender Betrachtung der Interessen angemessen erscheint, die Merkmale des jeweils anderen Subjekts hinzuzufügen (Zurechnungsgrund), dann erscheint eine Zusammenrechnung und damit wechselseitige Zurechnung notwendig. Bei der mittelbaren Täterschaft ist es beispielsweise nicht angezeigt, das Werkzeug, also den Vordermann, einer Hauptnorm, welche er nicht erfüllt, durch Zurechnung zu unterwerfen. Ziel der Zurechnung bei dieser strafrechtlichen Figur ist die unbillig erscheinende Entziehung des Hintermanns aus der Verantwortung (als Täter) zu verhindern.77 Der Vordermann soll nicht genauso bestraft werden wie der beherrschende Hintermann, eben weil der Vordermann in der Regel Defekte aufweist und seine Verantwortung damit eine andere ist. Hier soll also als Ziel der Zurechnung bereits nur der Hintermann Ziel der Zurechnungsoperation werden, nicht der Vordermann. Ob die Zurechnung reflexiv ausgestaltet ist oder nicht, ergibt sich aus der Zurechnungsnorm. Ist diese nicht geschrieben, ergibt sich die Notwendigkeit einer wechselseitigen Zurechnung aus den Zurechnungsgründen, welche in diesem Falle eine Zurechnung in beide Richtungen erfordern.
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Dazu im Einzelnen noch unten § 2 B. II. Siehe die umfassende Analyse der mittelbaren Täterschaft unten § 2 B. III.
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X. Eigen- und Fremdzurechnung Zurechnung setzt, wie bereits oben näher ausgebreitet, nicht zwangsläufig voraus, dass der Zurechnungsgegenstand von einem zweiten Subjekt herrührt. Wenn aber ein zweites Subjekt beteiligt und der Gegenstand der Zurechnung mit dem zweiten Subjekt verbunden ist, so lässt sich von einer Fremdzurechnung78 sprechen. Fremdzurechnung bedeutet die Zuordnung von Merkmalen, die von einem anderen Subjekt erfüllt sind.79 Die Fremdzurechnung setzt damit die Existenz zweier Subjekte voraus.80 Dies sind die typischen und an sich bereits problematischen Fälle der Zurechnung, denn hier wird eine Zuordnung von „fremden“ Merkmalen eines anderen Subjekts konstruiert. Dass dies bereits per se rechtfertigungsbedürftig ist, wurde oben ausgeführt. Weit weniger problematisch, wenngleich auch Teil des Phänomens der Zurechnung, ist die Eigenzurechnung. Nicht nur fremdes Verhalten muss dem Subjekt zugerechnet werden können, auch eigenes Verhalten muss diese Voraussetzung erfüllen. Als grundlegende Beispiele lassen sich hier die Verantwortlichkeit für ein Handeln, also die Zuordnung einer Handlung zum Subjekt, aber auch die eines Erfolges zu einer Handlung benennen. Bei der Eigenzurechnung ist im Gegensatz zur Fremdzurechnung nur ein Subjekt beteiligt, es geht hier um die Verantwortlichkeit für eigene Verhältnisse.81 Im Zivilrecht sind Probleme rund um die Eigenzurechnung eher rar gesät, wenn man den „Klassiker“ der Zurechnung von Organhandeln zur juristischen Person als Fall der Eigenzurechnung einmal beiseitelässt.82 Dies erklärt vielleicht auch die Zurückhaltung für die möglichen Problemlagen und die zum Teil völlig ausbleibende Differenzierung zwischen Eigen- und Fremdzurechnung.83 78
Synonym wird der Begriff der Drittzurechnung verwendet, so etwa Cyrus, Repräsentantenhaftung des Versicherungsnehmers in Deutschland und Österreich, 1998, S. 8. 79 Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß § 199 Abs. 1 BGB, 2018, S. 45; Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, 2003, S. 50. 80 Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß § 199 Abs. 1 BGB, 2018, S. 45. 81 Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß § 199 Abs. 1 BGB, 2018, S. 45; Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, 2003, S. 49 f. 82 Siehe dazu etwa Schmidt, Gesellschaftsrecht, 42002, S. 250 ff. 83 Bork, ZGR 1994, 237, 238 f. geht in seiner ansonsten sehr umfangreichen abstrakten Analyse lediglich auf die Fremdzurechnung ein. Eingangs erwähnt er nur, dass „anderweitig verwirklichte“ Verhältnisse dem Subjekt zugerechnet werden und dies „in der Regel“ eine Zurechnung durch ein anderes Subjekt meine. Ausführlicher und mit der Differenzierung zwischen Eigen- und Fremdzurechnung etwa Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, 2003, S. 49 ff.; Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 104. Zwischen Dritt- und Eigen-
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Die Eigenzurechnung ist bereits deshalb wenig rechtfertigungsbedürftig und daher auch in der Regel nicht thematisiert, weil aus dem Grundsatz der Selbstverantwortung84 ohne Weiteres gefolgert werden kann, dass ein Verantwortungszusammenhang zwischen einer Person und ihrem eigenen Verhalten besteht. Vielmehr geraten bei der Eigenzurechnung die Fälle in den Blick, in denen Umstände vorliegen, welche eine Zurechnung ausnahmsweise ausschließen, in denen es also mit anderen Worten um Zurechnungsausschlussgründe geht.85 Man könnte umgekehrt aber auch formulieren, dass Zurechnungsgrund, der das besondere Verhältnis zwischen Zurechnungsadressat und Zurechnungsgegenstand im Blick hat, im Falle der Eigenzurechnung eben jener Grundsatz der Selbstverantwortung ist. Die besondere Verbindung rechtfertigt damit jedenfalls in der Regel eine Zurechnung, ohne dass es einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedürfte.86 Die Eigenzurechnung ist damit eine Zurechnungsoperation, die bei vielen Subsumtionen ohne explizite Nennung mitgedacht wird. Denn bei einer Subsumtion muss bei Bejahung eines Tatbestandsmerkmales in der Regel auch mitbedacht werden, ob – positiv gewendet – eingetretene Erfolge auf ein Subjekt zurückgeführt werden können, beziehungsweise umgekehrt, ob nicht – negativ gewendet – ausnahmsweise eine Verantwortlichkeit für die eigene Verwirklichung von Tatbestandsmerkmalen entfallen soll. Schließlich erfordern Tatbestandmerkmale oftmals nicht nur die Verwirklichung irgendeines Erfolges, sondern die Verursachung des Erfolges durch eine Person und damit die Zuordnung von Verantwortlichkeit für den Erfolg. Dies lässt sich am Falle der objektiven Zurechnung im Strafrecht aufzeigen. Die Hauptnorm eines Erfolgsdelikts etwa ist nicht subsumierbar ohne Zurechnung. Der Tatbestand braucht notwendig eine Verbindung zwischen Handlung und Erfolg. Es kann nicht ausreichen, dass der Erfolg eingetreten ist und der Täter irgendwie gehandelt hat, sondern das Handeln muss zum Erfolg geführt haben. Insofern ist für die Subsumtion entscheidend, dass der Täter für das zugrunde gelegte Verhalten auch verantwortlich war und dieses wiederum für den zurechnung differenziert auch Schmidt, Gesellschaftsrecht, 42002, S. 248 ff. Indirekt unterscheidend auch Cyrus, Repräsentantenhaftung des Versicherungsnehmers in Deutschland und Österreich, 1998, S. 8. 84 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 468 ff. Zur Selbstverantwortung als Grundlage der Zurechnung noch unter § 4 A. I. 85 Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, 2003, S. 50; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 469. 86 Ausnahmsweise wird die Eigenzurechnung etwa in § 47 Abs. 1 VVG oder § 166 Abs. 2 BGB angeordnet. Dies sind freilich in der Regel keine „isolierten“ Zurechnungsnormen, sondern jedenfalls im Fall des § 166 Abs. 2 BGB eine Ausnahme von der zuvor angeordneten Fremdzurechnung (§ 166 Abs. 1 BGB) und damit eine Rückkehr zur „Ausgangslage“.
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eingetretene Erfolg. Aus der Verantwortlichkeit für das Handeln und der Verantwortlichkeit für den Erfolg lässt sich dann mittels eines transitiven Schlusses auf die Verantwortung zwischen Subjekt und Erfolg schließen. Diese Verantwortlichkeit zu betrachten ist Aufgabe der Zurechnung. Besteht der Verantwortungszusammenhang und damit ein Zurechnungsgrund, so kann das Handeln für die Subsumtion unter die Norm herangezogen werden. Besteht sie nicht, kann das Verhalten nicht herangezogen werden. Wie oben bereits angemerkt, ist der Verantwortungszusammenhang nicht nur Ergebnis der Zurechnung, sondern umgekehrt argumentativer Ausgangspunkt. Damit ist bei bestehendem Zusammenhang eine Hinzurechnung der entsprechend verwirklichten Merkmale des Täters denkbar, bei einem Fehlen des Zurechnungszusammenhangs werden diese aus dem Tatbestand subtrahiert. Kurzum: Ist die Person für das Verhalten und die daraus entstehenden Rechtsfolgen verantwortlich, dann findet eine Zurechnung dieses Verhaltens zu dieser Person statt. Eingefügt in die bisherige Konstruktion der Zurechnung lässt sich damit anmerken, dass auch die Eigenzurechnung eines Zurechnungsgrundes bedarf. Dieser liegt augenscheinlich in der Selbstverantwortung des Subjekts vor und bedarf regelmäßig keiner gesonderten Erwähnung. Aspekte, die bei Fällen der Eigenzurechnung gegen eine Zurechnung sprechen, sind Zurechnungsausschlussgründe. Sie werden bei der Bestimmung des Zurechnungsgrundes relevant, da hier eine Interessenabwägung stattzufinden hat zwischen Gründen für und gegen eine Zurechnung. Zurechnungsausschlussgründe sind damit im Falle der Eigenzurechnung gegenläufige Interessen, welche die Abwägung zuungunsten der Selbstverantwortung und im Ergebnis zuungunsten einer Zurechnung beeinflussen. Auch terminologisch passen die beiden Begrifflichkeiten zusammen: Zurechnungsgründe sind Gründe für die Zurechnung, Zurechnungsausschlussgründe sind Gründe gegen die Zurechnung. Man könnte sie auch als negative Zurechnungsgründe bezeichnen.87 Damit ein Zurechnungsgrund als gegeben angesehen werden kann, müssen die positiven Zurechnungsgründe die negativen im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegen. Eine derartige Konstruktion der Zurechnung ermöglicht nicht nur die Anwendung der hergebrachten Begrifflichkeiten, sie führt auch im Rahmen der Interessenabwägung zu einer wertenden Betrachtung, die im Einzelfall dazu führen kann, dass trotz bestehender Zurechnungsausschlussgründe wegen anderer höherrangiger Interessen eine Unterbrechung der Zurechnung nicht angezeigt ist. Fragen des Zurechnungsausschlusses finden damit ihren Platz im materiellen Kern der Zurechnungsoperation, nämlich im Punkt der Interessenabwägung im Rahmen des Zurechnungsgrundes. 87
Im Folgenden werden beide Begrifflichkeiten synonym verwendet.
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Kurz einzugehen ist abschließend noch auf das Verhältnis von Eigen- und Fremdzurechnung. Es handelt sich in der Regel nicht um gleichzeitig durchführbare Operationen. Bei der Subsumtion eines Tatbestandes wird nicht die Frage gestellt, welche sich anbietende Art der Zurechnung denn sinnvoll erscheinen würde, sondern die Eigenzurechnung ist der Fremdzurechnung vorgelagert. Ist für die Zurechnung „fremder“ Merkmale Voraussetzung, dass das Zurechnungsadressat den Tatbestand für sich nicht erfüllt, dann wurde der Tatbestand bereits mit den als „eigenen“ zugerechneten Merkmalen (freilich erfolglos) subsumiert. Vor einer Subsumtion als „eigenes“ Verhalten ist also notwendig die Eigenzurechnung zu thematisieren. Erst wenn diese Subsumtion nicht erfolgreich ist, steht die Tür für eine Fremdzurechnung offen. Damit besteht ein logischer Vorrang der Eigen- vor der Fremdzurechnung.
XI. Gerechtigkeitsfunktion der Zurechnung Canaris spricht in seinen Ausführungen davon, dass – freilich in Teilen bezogen auf seine Verknüpfung von Zurechnungslehre und Vertrauenshaftung – die Zurechnung „ein elementares Gebot der Gerechtigkeit“ darstellt.88 Auch bei Larenz ist die Zurechnungslehre eine „Billigkeitskorrektur“89. Schüler gibt an, Zurechnung sei nötig, da die Ergebnisse ohne sie den „Vorstellungen von ‚Gerechtigkeit‘“ widersprechen würden90. Nach Bork und der neueren konzernrechtlichen Literatur ist sie auch ein notwendiges, sinnvolles Korrektiv, um die Normanwendung zu gewährleisten.91 Auch die Rechtsprechung sieht die Zurechnung als Mittel, um bestehende Lücken „aus Billigkeitsgründen“ zu schließen.92 Zurechnung ist in dem hier verstandenen Sinne in erster Linie Rechtstechnik aber auch Instrument zur Herstellung von Gerechtigkeit. Die Interessenabwägung trägt ihren Teil dazu bei, dass die Zurechnung die Belange aller Beteiligten berücksichtigt. Die Interessenabwägung ist der materielle Kern des Gerechtigkeitsaspekts. Weil die Interessen Eingang in die Abwägung und danach in die Bestimmung des Zurechnungsgrundes finden, ist die ganze Methode der Zurechnung auf Ausgleich gerichtet. Daneben verhilft sie in einigen Fällen dazu, „un88 89
Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 472. Bezogen auf die objektive Zurechnung im Straf- und Zivilrecht Larenz, NJW 1955, 1009,
1012. 90 Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016, S. 23. 91 So bereits Bork, ZGR 1994, 237, 239. Ihm folgend etwa Moser, Konzernhaftung bei Kartellrechtsverstößen, 2017, S. 51; Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016, S. 30. 92 BGHZ 107, 229, 232, siehe dazu auch Cyrus, Repräsentantenhaftung des Versicherungsnehmers in Deutschland und Österreich, 1998, S. 13 f.
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billige“ Ergebnisse zu korrigieren. Dies ist auch bereits durch den Zweck der Zurechnung determiniert: Durch den verfolgten Zweck, die Anwendung der Hauptnorm abzusichern, spricht eine Vermutung für ihre Billigkeit. Sie soll die Umgehung der gesetzlichen Norm verhindern, was man gemeinhin als „gerecht“ bezeichnen könnte, ist die Umgehung doch die Missachtung dessen, was der Gesetzgeber in seine Erwägungen eingestellt hat. Die Interessen, welche der Gesetzgeber mit seiner Regelung verfolgt hat, können durch die Zurechnung zur Entfaltung kommen. Billigkeit soll hier aber nicht in einem außerrechtlichen Kontext verstanden werden. Zurechnung steht nicht außerhalb des Rechts und hilft nicht erst dann weiter, wenn das Recht zu unbilligen Lösungen führt. Es ist vielmehr eine Möglichkeit, bestehende Defizite oder Lücken mithilfe abstrakter Wertungen auszugleichen. Insofern weist die Zurechnung hier Ähnlichkeiten mit der Analogie auf, welche das Recht unter anderem aus Billigkeitsgründen fortbildet und auch keine außerrechtliche Billigkeitskorrektur darstellt. Zurechnung ist daneben als ungeschriebene Norm überall dort von Belang, wo das geschriebene Recht keine Lösung bereithält, sie aber aufgrund von Wertungen angezeigt ist. Auch in diesem Punkt realisiert sich die Gerechtigkeitsfunktion der Zurechnung, da sie nach einer wertenden Betrachtung dazu geeignet ist, gesetzliche Regelungen in gewissen Grenzen zu ergänzen. Der Rückzug oder Rückgriff auf die Zurechnung ermöglicht es gerade in vielen Fällen mit Spezialkategorien und dadurch wachsender Komplexität, einen Oberbegriff zu etablieren, der Raum für weitere Wertungsgesichtspunkte gibt. Ist Zurechnung aber im Kern eine Wertungsfrage, dann ist es umso entscheidender, die dahinterstehenden Wertungsgefüge offenzulegen.93 Zurechnung ist eine wertende Betrachtung und damit Einfallstor für Gerechtigkeitserwägungen, sei es bei geschriebenen oder gerade und insbesondere bei der Erschaffung ungeschriebener Zurechnungsnormen in Rechtsfortbildung.
XII. Methodologische Verortung der Zurechnung Bei Ausarbeitungen zur Zurechnung wird stets wiederholt, es handele sich um eine Rechtstechnik.94 Diese wird gemeinhin zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung verortet. Da die Zurechnung erst nach einer erfolglosen Auslegung 93
Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S. 2. Siehe etwa Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß § 199 Abs. 1 BGB, 2018, S. 43; Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016, S. 34 ff.; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 97; Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, 2003, S. 45; Bork, ZGR 1994, 237, 241 f. 94
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und Anwendung der bestehenden Hauptnorm in Frage komme, sei die Zurechnung sinnvollerweise erst der zweite Schritt nach der Auslegung.95 Bevor mit einer Rechtsfortbildung aber die Norm abgeändert werde, liege es nahe, den defizitären Tatbestand der Hauptnorm durch Zurechnung von Merkmalen abzuändern, weshalb die Zurechnung vor einer Rechtsfortbildung zu verorten sei.96 Soweit ersichtlich wurde diese methodische Einordnung positiv aufgenommen97, teilweise werden Auslegung, Zurechnung und Rechtsfortbildung aber auch schlicht nebeneinander angeführt und keine genauere Abgrenzung vorgenommen.98 An der skizzierten, eher temporalen Abgrenzung bestehen indes Zweifel. Zurechnung und Rechtsfortbildung können schließlich auch ineinandergreifen. Gerade die Fälle ungeschriebener und damit durch Rechtsfortbildung entstandener Zurechnungsnormen können die Abgrenzung verkomplizieren. Ist die Hauptnorm geschrieben, die Zurechnungsnorm ungeschrieben, dann ist eine Verkettung von Zurechnung und Rechtsfortbildung zu erkennen. Die Hauptnorm ist nach Subsumtion der dem Subjekt selbst zugerechneten Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt. In Frage kommt eine Zurechnung fremder Merkmale aufgrund einer Zurechnungsnorm. Diese ist indes nicht geschrieben vorhanden. Wird sie durch Rechtsfortbildung erschaffen, so ermöglicht sie die Zurechnung und damit die Anwendung auf den Sachverhalt. Die Zurechnung wird erst durch Rechtsfortbildung überhaupt ermöglicht. Denkbar sind auch Fallgestaltungen, bei denen weder Hauptnorm noch Zurechnungsnorm geschrieben sind und in Rechtsfortbildung entstehen. Der erste Schritt der Operation ist rechtserzeugender Natur, ohne Hauptnorm besteht schließlich gar keine Möglichkeit der Zurechnung. Wird nun auch die Zurechnungsnorm geschaffen, so stehen die zwei Komplexe nebeneinander, die erschaffene Hauptnorm, daneben die durch Zurechnungsgesichtspunkte ebenso in Fortbildung des geschriebenen Rechts geschaffene Zurechnungsnorm. Wieso und nach welchen Kriterien die Hauptnorm gebildet wurde, ist eine Sache der Rechtsfortbildung, die Zurechnung ist hier noch nicht relevant. Eine Analogie der Hauptnorm ist von der Analogie der Zurechnungsnorm zu trennen.99 Erst bei der 95
Grundlegend zur Abgrenzung Bork, ZGR 1994, 237, 241. Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016, S. 35. 97 Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß § 199 Abs. 1 BGB, 2018, S. 49; Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016, S. 34 f.; Hackel, Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S. 100. 98 Unklar Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 107, die angibt, dass der Rückgriff auf eine Zurechnungslehre bei der Zurechnung von Wissen hilfreich sein könnte, wenn weite Auslegung des Gesetzes und Analogie umstritten sind. Ein Verhältnis zwischen diesen Dreien ist damit aber nicht zu erkennen. 99 Ohne nähere Erläuterung, aber freilich nach hiesiger Auffassung zutreffend Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016, S. 35. 96
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Zurechnungsnorm, sei sie nun ungeschrieben oder geschrieben, kommen die Besonderheiten der Zurechnung zum Tragen, denn die Zurechnungsnorm, welche den Sachverhalt unter der ungeschriebenen Hauptnorm modifiziert, wird ja – gerade bei einer ungeschriebenen Norm – von Zurechnungsgründen und Hauptnorm wechselseitig beeinflusst. Ihre Ausprägung erhält sie durch die Wertungen der Zurechnung, dennoch handelt es sich auch hier um die Erzeugung einer Norm und damit um Rechtsfortbildung. Bei der Konstellation ungeschriebener Hauptnorm und ungeschriebener Zurechnungsnorm ist alternativ zur Erschaffung einer ungeschriebenen Zurechnungsnorm auch denkbar, die ungeschriebene Hauptnorm passend abzuändern, um die Anwendung sicherzustellen, schließlich ist die Hauptnorm ohnehin ungeschrieben. Dann würde unmittelbar an der Norm angesetzt, nicht ein defizitärer Sachverhalt bei Anwendung auf eine ohnehin ungeschriebene Regel ergänzt. Zur Lösung eines Zurechnungsproblems mit ungeschriebener Zurechnungsnorm könnte also ohne Weiteres auch Rechtsfortbildung an der Hauptnorm angewendet werden. Im Falle geschriebener Haupt- und Zurechnungsnorm handelt es sich bei Zurechnung um eine Regelungstechnik. Auch die Anwendung des geschriebenen Rechts kann eine Zurechnung darstellen. Die Abgrenzung zwischen Zurechnung und Rechtsfortbildung soll nach alledem wie folgt vorgenommen werden: Wird eine Zurechnungsnorm durch Rechtsfortbildung gebildet, dann ergeben sich die Voraussetzungen dafür dem Grunde nach aus den hergebrachten Grundsätzen der Rechtsfortbildung. Diese werden aber konkretisiert und modifiziert durch die besonderen Anforderungen der Zurechnung, das bedeutet insbesondere durch die Zurechnungsgründe und die dort vorgenommene Interessenabwägung, diese bestimmen die Interessenabwägung der Rechtsfortbildung mit. Insofern beeinflussen und steuern diese Besonderheiten der Zurechnung die Normbildung. Durch den Aufbau der Zurechnung, die Rückführung auf den Gesetzeszweck in Hinblick auf die Hauptnorm und die ihr innewohnende Interessenabwägung trägt die Technik der Zurechnung bereits viele Elemente der Rechtsfortbildung in sich. Insgesamt lässt sich feststellen, dass Auslegung, Rechtsfortbildung und Zurechnung an unterschiedlichen Stellen ansetzen, aber auch ohne weiteres zu gleichen Ergebnissen kommen können. Die Zuordnung von Merkmalen zu einem Subjekt kann ebenso gut bewerkstelligt werden durch die Schaffung einer Zurechnungsnorm, welche genau dies anordnet oder aber auch durch die Auslegung der Hauptnorm in dem Sinne, dass die nicht selbst erfüllten Merkmale Berücksichtigung finden müssen. Die Zurechnung ist damit keine eigene Methode, sie beschreibt als Begriff lediglich das Ergebnis einer Operation, nämlich die Zuordnung von Merkmalen zu einem anderen Objekt, welche durch andere methodi-
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sche Operationen vorgenommen wird. Zurechnung kann realisiert werden durch schlichte Anwendung von Haupt- und Zurechnungsnorm, Auslegung der Hauptnorm oder Rechtsfortbildung an Haupt- oder Zurechnungsnorm. Die Methoden sind daher das Vehikel der Zurechnung, die Zurechnung selbst keine neben diesen anwendbare Methode, sondern eine Rechtstechnik. Auslegung und Rechtsfortbildung werden indes materiell durch die Besonderheiten der Zurechnungstechnik beeinflusst. Der oben dargestellten starren Abgrenzung von Zurechnung und Auslegung und Analogie ist folglich zu widersprechen, gleichwohl die unterschiedlichen Methoden regelmäßig zum gleichen Zurechnungsergebnis führen dürften.100
XIII. Zusammenfassung Zurechnung umschreibt den Vorgang, einem Zurechnungsadressat Merkmale zuzuordnen, die notwendig sind, um eine Hauptnorm, welche mit Rechtsfolgen versehen ist, zu erfüllen und damit die Anwendung der Hauptnorm auf den Zurechnungsadressaten sicherzustellen. Die Merkmale, welche zugeordnet werden sollen, sind die Zurechnungsgegenstände. Wie und was zugerechnet werden soll, ergibt sich aus der Zurechnungsnorm. Die Zurechnungsnorm enthält selbst Tatbestandsmerkmale, die Zurechnungskriterien. Der Zurechnungsgrund ist die materielle Rechtfertigung für die Zuordnung von Merkmalen zu einem Subjekt, Zurechnungsausschlussgründe sind negative Zurechnungsgründe, die gegen die Zurechnung streiten. Beide werden in eine Interessenabwägung eingestellt. Der Zurechnungszweck ist die Sicherstellung der Anwendung der Hauptnorm. Zurechnungsadressat kann eine natürliche oder juristische Person sein, jedenfalls muss sie rechtsfähig sein. Einem Rechtssubjekt können eigene und fremde Merkmale zugerechnet werden, es existiert eine Eigen- und Fremdzurechnung. Die Zurechnungsnorm kann geschrieben oder ungeschrieben sein. Sie kann daneben auch geschrieben sein, aber insofern unvollkommen, als dass noch ungeschriebene Zurechnungskriterien hinzukommen. Der Zurechnungsgrund ist die Begründung für die Zuordnung des Zurechnungsgegenstandes zum Zurechnungsadressaten. Der Zurechnungsgrund ergibt sich damit aus dem bereits bestehenden Verantwortungsverhältnis zwischen Gegenstand und Subjekt. Dafür ist nicht ein beliebiger Grund ausreichend, es bedarf 100 Wegen der Zurechnung und Analogie immanenten ähnlichen Interessenabwägung folgert Bork, ZGR 1994, 237, 242, dass die Einordnung keine Auswirkungen auf die praktischen Ergebnisse habe, wie er an einer BGH-Entscheidung und ihrer Rezeption in der Literatur zeigt (S. 241 f.). Borks Beispiel wird vollständig übernommen bei Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016, S. 34 f.
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vielmehr der wertenden Betrachtung und einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, ob eine Zuordnung des Gegenstandes zu erfolgen hat. Die Abwägung der Interessen ist bei geschriebenen Normen in der Regel vorweggenommen, wenn nicht noch ausfüllungsbedürftige Lücken verbleiben. Bei ungeschriebenen Normen ist die Interessenabwägung dagegen von besonderer Bedeutung bei der Erschaffung von Zurechnungsnormen durch Rechtsfortbildung. In der vorzunehmenden Interessenabwägung zeigt sich die Wertgebundenheit der Zurechnungsentscheidung. Insbesondere ungeschriebene Zurechnung ist ein Billigkeitsinstrument zur Herstellung gerechter Entscheidungen im Einzelfall. Zurechnung ist bei Übereinstimmung der Zurechnungsgegenstände eine transitive Operation. Daneben sind Zurechnungsketten möglich und denkbar. Eine Verkettung endet jedenfalls dann zwangsläufig, wenn die Zurechnungsnorm keine Tatbestandsmerkmale mehr enthält, an die eine weitere Zurechnungsnorm „angedockt“ werden kann. Außerdem ist Zurechnung teilweise reflexiv ausgestaltet. Dies liegt maßgeblich begründet in der Ausgestaltung der Zurechnungsnorm oder – ist diese nicht geschrieben – in den Anforderungen, welche die Zurechnung im Einzelfall zu erfüllen hat. Danach sind reflexive Zurechnungen möglich, aber nicht zwingend. Zurechnung ist als Ergebnis von Gesetzesanwendung, Auslegung oder Rechtsfortbildung zu begreifen, nicht als Alternative zu den genannten Methoden. Im Falle ungeschriebener Zurechnungsnormen bestehen große Übereinstimmungen mit der Analogie. Die Anforderungen an die Rechtsfortbildung werden in diesem Fall von den Besonderheiten der Zurechnung modifiziert. Zurechnung kann unter anderem erreicht werden durch Auslegung der Hauptnorm oder Rechtsfortbildung einer Zurechnungsnorm oder schlichte Anwendung einer Hauptnorm sowie einer geschrieben vollkommenen Zurechnungsnorm.
B. Zurechnungsbegriff für die weitere Untersuchung Eine einheitliche Grunddefinition der Zurechnung ist nicht ersichtlich. Sehr technisch beschreibt Bork die Zurechnung als die „Gesamtschau (Addition) tatbestandsrelevanter Verhältnisse bei gleichzeitiger Zuordnung zu einem Rechtssubjekt“101. Bei Henning wirkt dies weit weniger konkret, dort geht es bei Zurechnung um die Schaffung einer Verantwortlichkeit zwischen einem Verhalten oder eingetretenen Erfolg und einem Subjekt.102 Andere sprechen von der „Herstel101 Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 42016, Rn. 1324; Bork, ZGR 1994, 237, 238; zustimmend Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß § 199 Abs. 1 BGB, 2018, S. 48. 102 Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, 2003, S. 47.
B. Zurechnungsbegriff für die weitere Untersuchung
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lung von Verantwortung oder einer normativen Verknüpfung mittels Zuschreibung“103, der Zuordnung bestimmter Umstände zu einem anderen Rechtssubjekt anhand rechtlicher Wertungen104, oder von Anknüpfung bestimmter Tatsachen an ein Subjekt, woraus sich in der Folge möglicherweise rechtliche Verantwortlichkeit ergebe105. Von einem Ausgleich eines tatbestandlichen Defizits durch die Erstreckung von Drittwirkung bezüglich Tatbestandmerkmalen einer Person auf eine andere Person spricht Faßbender106, was – freilich in andere Worte gekleidet –, im Wesentlichen der Definition Borks entspricht. Diese Versuche einer juristischen Erfassung erscheinen teilweise vage. Gemeinsam ist allen der Rekurs auf die Verantwortlichkeit eines Subjekts für Tat sachen, welche sich aus Wertungen oder aus normativen Verknüpfungen ergeben soll. Zurechnung ist im häufigeren Fall der Fremdzurechnung die Erstreckung einer Rechtsfolge auf den Zurechnungsadressat mittels wertender Zuschreibung von Tatbestandsmerkmalen, welche das Subjekt für sich selbst genommen nicht erfüllt. Die Zurechnung ist die Folge eines Verantwortungszusammenhangs zwischen Zurechnungsadressat und Zurechnungsgegenstand, nicht deren Ursache107. Diese Sichtweise wird teilweise nicht geteilt. Henning etwa sieht in der Zurechnung die „Schaffung“ der Verantwortlichkeit. Allerdings ist die Zuordnung von Tatbestandsmerkmalen keine Herstellung des Verantwortungszusammenhangs, vielmehr ist dieser Zusammenhang bereits angelegt. Aus dem bestehenden Zusammenhang (Zurechnungsgrund) folgt dann die Notwendigkeit der wertenden Zuordnung. Weiterhin spricht gegen die Definition Hennings die fehlende Präzision: Die „Schaffung von Verantwortlichkeit“ zwischen einem Subjekt und einem Verhalten erscheint zu weit gefasst. Unter diese Beschreibung könnte auch die Ermittlung der Schuld im Strafrecht fallen, da auch hier im weitesten Sinne Verantwortlichkeit geschaffen wird. Und letztendlich bleibt unklar, was mit „Verantwortlichkeit“ gemeint sein soll. Ist jemand dafür verantwortlich, was ihm zugerechnet wird, dann erscheint die Benennung sogar tautologisch. 103
Reinhardt, Wissen und Wissenszurechnung im öffentlichen Recht, 2010, S. 40. Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S. 50. 105 Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 105; Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S. 4; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 467 ff.; Oldenbourg, Die Wissenszurechnung, 1934, S. 2 ff. 106 Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und bankrechtliche Aufklärungspflichten, 2017, S. 24 f. 107 Ähnlich wie hier Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 42016, Rn. 1325. Er geht davon aus, die „Verantwortlichkeit“ sei häufig auch erst die Rechtsfolge der Zurechnung, nicht ihre Begründung. Die Ursachen der Verantwortlichkeit seien vielmehr die Begründung der Zurechnung. 104
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In einem anderen Punkt greift die Definition zu kurz, schließlich ist die Verengung auf Verhalten oder Erfolg nicht nachvollziehbar. Wie gezeigt, kommt grundsätzlich jede Eigenschaft als Zurechnungsgegenstand in Betracht, etwa Personen, Wissen, Verfügungsmacht, Willenserklärungen und vieles mehr. Unter Erfolg und Verhalten lassen sich diese Begrifflichkeiten kaum subsumieren. Die Ansicht Reinhardts108, welche die Schaffung von Verantwortung mittels Zuschreibung als Zurechnung definiert, krankt ebenso an der fehlerhaften Verortung des Verantwortungszusammenhangs. Der Verantwortungszusammenhang wird nicht erst durch die Zurechnung konstruiert, er ist bereits vorhanden, aber letztendlich die Begründung für eine Zurechnung. Wenn Römmer-Collmann109 feststellt, dass Zurechnung die Zuordnung bestimmter Umstände zu einem anderen Rechtssubjekt anhand rechtlicher Wertungen ist, dann ist dem an sich zuzustimmen, wenngleich die Definition in ihrer extremen Weite ungeeignet erscheint. Grundlage für die weitere Untersuchung soll daher folgender, eigener Definitionsversuch sein: Zurechnung ist die geschriebene oder ungeschriebene, wertende Zuordnung von Merkmalen zu einem Rechtssubjekt aufgrund eines Verantwortungszusammenhangs zwischen Subjekt und zuzurechnenden Merkmalen zur Erfüllung eines mit Rechtsfolgen versehenen Tatbestandes.
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Siehe oben § 1 Fn. 104. Siehe oben § 1 Fn. 105.
§ 2 Zurechnung im Straf-, Zivil-, und Öffentlichen Recht A. Katalog der weiteren Untersuchung Nach der theoretischen Grundlegung soll nun der Blick auf konkrete Anwendungsbereiche von Zurechnung gerichtet werden. Wie angemerkt wird der Begriff in den unterschiedlichsten Bereichen verwendet. Um Licht ins Dunkel der heterogenen Verwendung des Begriffs zu bringen, sollen verschiedene Zurechnungskonstellationen näher betrachtet werden. Dazu soll eine Auswahl von Zurechnungsfragen aus dem Privat-, Straf- und Öffentlichen Recht dargestellt und analysiert werden. Für die Analyse werden im Folgenden abstrakte Fragen erarbeitet, welche Aufschluss über die Eigenheiten der Zurechnung bringen sollen. Zielsetzung dieser Analyse ist es, die wesentlichen Voraussetzungen, Kriterien und Konstellationen von Zurechnungsproblemen zu identifizieren und herauszuarbeiten. Im Anschluss sollen die Ergebnisse auf Besonderheiten oder Gemeinsamkeiten geprüft werden. Es ist davon auszugehen, dass der Begriff nicht nur in unterschiedlichen Bereichen genutzt wird, sondern dass – freilich zumeist unbewusst – in den unterschiedlichsten Bereichen auf ähnliche Kriterien zur Begründung von Zurechnung abgestellt wird. Die Herausarbeitung dieser möglicherweise ähnlichen Wertungen ermöglicht ihre Abstraktion vom Einzelfall. Von den aus konkreten Fallgestaltungen induktiv herauspräparierten inneren Zusammenhängen und Gemeinsamkeiten ausgehend soll versucht werden, Grundgedanken einer allgemeinen Zurechnungslehre zu entwerfen. Aus den herausgearbeiteten Gemeinsamkeiten und dieser allgemeinen Lehre können dann möglicherweise Rückschlüsse auf die Anwendung in noch unerkannten Zurechnungskonstellationen gezogen werden. Damit soll im Anschluss an die induktive Erschließung einer über den oben hergeleiteten theoretischen Vorbau hinausgehenden Lehre versucht werden, deduktiv die Herleitung neuer Zurechnungsnormen zu begründen. Die folgende Darstellung der einzelnen Zurechnungskonstellationen beschränkt sich zunächst auf eine Ausbreitung der grundlegenden rechtlichen Problemstellungen. Dabei werden Streitstände gesichtet und in einigen, relevant erscheinenden Fällen auch entschieden. Die Darstellung der nachfolgenden Pro
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bleme ist allerdings beschränkt auf die essentialia der jeweiligen Zurechnungskonstellationen. Ziel dieser Arbeit ist nicht, die teilweise wohlbekannten Zurechnungsprobleme aus den drei Rechtsgebieten zu lösen, sondern die Begründungsansätze für oder gegen eine Zurechnung offenzulegen.
I. Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition Zunächst ist jeweils herauszuarbeiten, dass es sich bei dem untersuchten Komplex tatsächlich um eine Zurechnung im hier verstandenen Sinne handelt. Passen Konstellationen nicht unter die oben eingeführte Definition, sind sie nicht weiter zu verfolgen, da sie dann für die Herausarbeitung einer Systematisierung ohne Nutzen sind. Hierbei sind die wesentlichen formalen Merkmale der Zurechnung zu benennen, also die Haupt- und Zurechnungsnorm, sowie den Zurechnungsadressaten, und den Zurechnungsgegenstand. Beim Subjekt ist zu untersuchen, ob dieses den oben formulierten Anforderungen entspricht. Die Bestimmung des Zurechnungsgegenstandes ist durch eine Analyse der Zurechnungsnorm möglich, da diese die Zuordnung vorschreibt. Abstrakter formuliert lässt sich der Zurechnungsgegenstand technisch wie folgt bestimmen: Die aus Sicht des Zurechnungsadressaten bestehende Differenz zwischen der Rechtslage mit Anwendung der Zurechnungsnorm und der Rechtslage ohne Anwendung der Zurechnungsnorm ergibt den Zurechnungsgegenstand.
II. Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung Weiterhin soll untersucht werden, ob die Zurechnung eine geschriebene oder ungeschriebene ist. Die Differenzierung nach geschriebener und ungeschriebener Zurechnung, sowie nach vollkommen und unvollkommen geschriebener Zurechnung wurde bereits oben vorgenommen. Ob eine Zurechnung geschrieben ist oder ungeschrieben, hängt von der Zurechnungsnorm ab. Sind die Zurechnungskriterien vollständig in der geschriebenen Norm enthalten, ist die Zurechnungsnorm vollkommen, sind auch ungeschriebene Kriterien zu beachten, ist die Zurechnungsnorm unvollkommen.1 Die zu untersuchenden Fälle sind mit den genannten Begriffspaaren zu beschreiben. Dabei soll sich insbesondere herausstellen, ob nicht möglicherweise ein größerer Teil der Zurechnungsnormen unvollkommen ist. 1
Siehe oben § 1 A. V.
B. Zurechnung im Strafrecht
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III. Eigen- oder Fremdzurechnung Festgehalten werden soll auch, ob eine Eigen- oder Fremdzurechnung vorliegt. Es erscheint jedenfalls sehr wahrscheinlich, dass es in beiden Fällen unterschiedliche Begründungen für die Zurechnung in Ansatz gebracht werden, weshalb die Differenzierung notwendig ist.
IV. Zurechnungskriterien Für die konkrete Lösung von Zurechnungsproblemen entscheidend ist darüber hinaus die Frage, welche Zurechnungskriterien in der jeweiligen Konstellation zur Begründung herangezogen werden, welche Tatbestandsmerkmale also erfüllt sein müssen, damit eine Zurechnung stattfindet. Hierzu ist die Zurechnungsnorm zu untersuchen.
V. Zurechnungsgründe Kern der Untersuchung ist die causa der Zurechnung. Die Notwendigkeit und Begründung sollen näher in den Blick genommen werden. Es soll untersucht werden, welche abstrakten Argumente angeführt werden können, um eine Zurechnung zu rechtfertigen. Dies meint nicht die Zurechnungskriterien, welche Tatbestandsmerkmale für eine Zurechnung in concreto sind, sondern allgemeine, hinter diesen liegende Gründe, die in der geprüften Konstellation für oder gegen eine Zurechnung sprechen. Daneben ist bei den Zurechnungsgründen auch auf die Interessen der Betroffenen einzugehen. Es ist zu klären, welche Gründe für und welche gegen die Zurechnung sprechen. Bei den Gründen für die Zurechnung ist insbesondere der Verantwortungszusammenhang herauszuarbeiten, aus dem möglicherweise die Zurechnung folgt. Wegen der Wechselwirkung mit der Hauptnorm ist auch die Herausarbeitung der ratio legis derselben sinnvoll.
B. Zurechnung im Strafrecht Beginnen soll die Untersuchung der Rechtsbereiche im Strafrecht, da hier die Nähe zu den eingangs angedeuteten philosophischen Deutungsvarianten der Zu-
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§ 2 Zurechnung im Straf-, Zivil-, und Öffentlichen Recht
rechnung am größten ist. Man kann wohl so weit gehen und den Ursprung des Zurechnungsbegriffs in strafrechtlichen Kontexten verorten.2
I. Objektive Zurechnung 1. Allgemeine Bemerkungen zur objektiven Zurechnung Unter der objektiven Zurechnung wird gemeinhin die Schaffung eines objektiven Verantwortlichkeitszusammenhangs zwischen Täter und Tat verstanden. Dem Täter muss mit anderen Worten der Erfolg als „sein Werk“ zugerechnet werden können.3 Damit stellt die objektive Zurechnung die Verbindung zwischen der Handlung im strafrechtlichen Sinne und dem im Tatbestand beschriebenen Erfolg dar.4 Die Begrifflichkeit der Objektivität soll dabei andeuten, dass die Prüfung im objektiven Tatbestand angesiedelt sein soll,5 und auch grundsätzlich frei von der Berücksichtigung subjektiver Elemente ist6. Konsequenz dieser Festlegung ist bereits, dass die Lehre der objektiven Zurechnung damit nur bei Erfolgsdelikten7, nicht bei Verhaltensdelikten in Betracht kommt8. Daneben ist die Kausalität, wenn man sie nicht mit der objektiven Zurechnung gleichsetzt, notwendige Bedingung der objektiven Zurechnung.9 Voraussetzung und auch Grund für die Anwendung der objektiven Zurechnung ist die Kausalität.10 Diese wird gemeinhin nach der klassischen Äquivalenztheorie bestimmt, welche jedes Verhalten als ursächlich betrachtet, welches 2
Zum Eingang des Begriffs in die Strafrechtswissenschaft Schroeder, Der Blitz als Mord instrument, 2010, S. 40. 3 Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 71. 4 Etwa Frisch, JuS 2011, 19. 5 Siehe etwa Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 92020, § 10 Rn. 1, der aber anmerkt, dass die Formulierung keinen sachlichen Gehalt hat. Zu subjektiven Elementen im Rahmen der objektiven Zurechnung auch Greco, ZStW 117 (2005), 519 ff. 6 Etwa Nestler, Jura 2019, 1049 f. 7 Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 71. 8 Andere Ansicht etwa Reyes, ZStW 105 (2009), 108, 128 ff.; Behrendt, GA 1993, 67, 76. 9 Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 71. 10 Aichele, ZStW 123 (2011), 260, 264. Anders wohl Roxin, in: Honig (Hrsg.), Festschrift für Richard M. Honig, 1970, S. 133, 135 f., der die Vorstellung formuliert, „eine vom Kausaldogma völlig losgelöste allgemeine Zurechnungslehre“ zu entwickeln. In eine ähnliche Richtung Rotsch, in: Gropp/Hecker/Kreuzer u. a. (Hrsg.), Strafrecht als ultima ratio, 2016, S. 309, 314 f.; Rotsch, in: Heinrich (Hrsg.), Strafrecht als Scientia Universalis: Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag am 15. Mai 2011, 2011, S. 377, 389 ff.; Hoyer, in: Rogall/Puppe/
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nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der tatbestandliche Erfolg entfällt.11 Nach dieser conditio-sine-qua-non-Formel ist die Kausalität aber uferlos. Auch die Eltern des Mörders haben danach eine kausale Ursache für den Tod des Opfers gesetzt. Diese weite Kausalitätslehre ist zwar ein Instrument, um in einem ersten Schritt zur Bestimmung von Verursachung, das heißt der Herstellung von Verknüpfungen zwischen anthropologischen Abänderungen der physischen Welt12, zu gelangen. Da die weite Formel allerdings kaum eine Eingrenzung erlaubt, bedarf es nach allgemeiner Ansicht in einem weiteren Schritt Kriterien, welche eine Verantwortlichkeit sachgerechter darstellen können,13 und die Kausalität damit eingrenzen können. Hier bieten sich verschiedene Lösungsoptionen an, etwa die bereits früher vertretenen, modifizierten Kausalitätslehren der Adäquanztheorie14, der Relevanztheorie15 oder eben der mittlerweile überwiegenden objektiven Zurechnung. Sie alle versuchen die Kausalität aufgrund normativer Wertungen zu begrenzen, oder, anders ausgedrückt, aus den „unermesslichen Weiten des kausalen Ozeans“16 die Ursachen herauszufiltern, welche eine Handlung ergeben, die wiederum unter einen Deliktstatbestand subsumiert werden kann. Die genannten Versuche sind damit unabhängig von ihrer Nomenklatur im Kern nicht als Kausalitäts-, sondern vielmehr als Zurechnungslehren zu begreifen.17 Während die Lehre der objektiven Zurechnung an sich bestritten und von der Rechtsprechung auch nicht übernommen wird18, herrscht daneben auch UneiStein u. a. (Hrsg.), Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi zum 70. Geburtstag, 2004, 95; Otto, NJW 1980, 417, 423 f.. 11 Vgl. nur Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, Vor § 13 Rn. 21. 12 Siehe nur Aichele, ZStW 123 (2011), 260, 264. 13 Mit zahlreichen Nachweisen etwa Kühl, Strafrecht, 82017, § 4 Rn. 37. Kritisch zur Äquivalenztheorie an sich Aichele, ZStW 123 (2011), 260, 265 ff.; Heger, in: Lackner/Kühl (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 292018, Vor § 13 Rn. 10. 14 Zurückgehend auf von Kries Ende des 19. Jahrhunderts, siehe etwa von Kries, Die Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung, 1886; von Kries, ZStW 9 (1889), 528 ff., ferner die Nachweise bei Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, Vor § 13 Rn. 23; Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 87 f.; Heger, in: Lackner/Kühl (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 292018, Vor § 13 Rn. 9; Schroeder, Der Blitz als Mordinstrument, 2010, S. 43. 15 Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 89; Frisch, JuS 2011, 19, 20; Schroeder, Der Blitz als Mordinstrument, 2010, S. 12 ff. 16 Aichele, ZStW 123 (2011), 260, 269. 17 Roxin, in: Honig (Hrsg.), Festschrift für Richard M. Honig, 1970, S. 133, 136. 18 Die Rechtsprechung begrenzt die Weite der Kausalität nach der Äquivalenztheorie erst im Rahmen der Prüfung des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit, siehe etwa BGHSt 4, 182; 7, 329; 12, 78. Dies bedeutet freilich nicht, dass sich die Rechtsprechung der Kriterien, die gemeinhin unter objektiver Zurechnung angebracht werden, nicht aufgreifen würde, es wird zum Teil der
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nigkeit über ihre Reichweite19, die maßgeblich davon abhängt, wie man das Verhältnis zur Kausalität bestimmt. 2. Globalformel der objektiven Zurechnung Die Grundformel20 der weitgehend auf Roxin21 zurückgeführten22 „modernen“23 Lehre der objektiven Zurechnung im Sinne der sogenannten Risikoerhöhungslehre24 nimmt eine solche an, wenn durch die Handlung des Täters eine rechtlich relevante25 Gefahr oder ein Risiko geschaffen oder erhöht worden ist, und sich genau diese Gefahr (und keine andere) beziehungsweise dieses Risiko im tatbestandlichen Erfolg realisiert26. Verbindendes Element zwischen Erfolg und Handlung ist damit neben der Kausalität die Gefahr oder das Risiko27, das heißt die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts28. Die Gefahr wird teilweise auch als „rechtlich missbilligte Gefahr“29 bezeichnet. Kausalitätsbegriff normativ aufgeladen, der eine „wertende Betrachtung“ erlaubt, ob die Bedingung „nach rechtlichen Bewertungsmaßstäben“ zu dem Erfolg geführt hat. Auch die Gesichtspunkte des Schutzzwecks der Norm (dazu BGHSt 33, 61) oder der Eigenverantwortlichkeit bei einer Selbstgefährdung (vgl. dazu BGHSt 32, 262; 37, 182; 53, 60) werden von der Rechtsprechung aufgegriffen. Siehe dazu Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, § 13 Rn. 22; Freund, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 4 2020, Vorbemerkung zu § 13 Rn. 356. 19 Bestritten wird etwa der Nutzen der objektiven Zurechnung für Vorsatzdelikte, siehe die Nachweise bei Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 122020, § 13 Rn. 43. 20 Kühl, Strafrecht, 82017, § 4 Rn. 43. 21 Roxin, in: Honig (Hrsg.), Festschrift für Richard M. Honig, 1970, S. 133 ff. 22 Siehe nur Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 122020, § 13 Rn. 38 f. Aber auch vor Roxin stand bereits fest, dass es wertende Kriterien, wertende Maßstäbe benötige, um Personen Erfolge zuzurechnen, siehe bereits der in Roxins Festgabe gefeierte Honig, in: Hegler (Hrsg.), Beiträge zur Strafrechtswissenschaft, 1930, S. 174 ff. Daneben sind auch die Vorarbeiten etwa von Larenz oder Engisch nicht zu vergessen, Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, 1927; Engisch, Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände, 1931. Zur Entwicklung insgesamt auch Schroeder, Der Blitz als Mordinstrument, 2010. 23 Zur Abfolge bei der Entstehung der „modernen“ Lehre siehe anschaulich Schroeder, Der Blitz als Mordinstrument, 2010, S. 55 ff. 24 Siehe etwa Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, Vor § 13 Rn. 26. 25 Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 93. 26 Freund, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, Vorbemerkung zu § 13 Rn. 350; Heger, in: Lackner/Kühl (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 292018, Vor § 13 Rn. 14; Kühl, Strafrecht, 82017, § 4 Rn. 43; von der Meden, JuS 2015, 22, 23. 27 Gefahr und Risiko sollen im Folgenden synonym verwendet werden, da sie in meinen Augen in diesem Kontext bedeutungsgleich sind. 28 Mit weiteren Nachweisen Kühl, Strafrecht, 82017, § 4 Rn. 43. 29 Siehe etwa Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 92020, § 10 Rn. 1 ff.
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Die Grundformel deutet bereits diverse Richtungsentscheidungen an, die sich in verschiedenen Fallgruppen zusammenfassen lassen. Es muss überhaupt das Risiko messbar, „rechtlich relevant“ erhöht worden sein, hierhin gehören die Fälle fehlender Beherrschbarkeit oder irregulärer Kausalverläufe. Daneben soll nicht jedes Risiko zulasten des Täters gehen, auch wenn seine Handlung kausal für den Erfolgseintritt war und er ein Risiko geschaffen hat. Nur genau dasjenige Risiko, welches der Täter geschaffen hat, muss sich auch im Erfolgseintritt wiederfinden, ansonsten handelt es sich um einen zufälligen Erfolgseintritt30, der mit der geschaffenen Gefahr und der davor liegenden Handlung des Täters keinen Verantwortungszusammenhang teilt. 3. Alternativen Alternative Lösungsvorschläge zur Begrenzung der Äquivalenzkausalität sind zahlreich, entsprechend weichen die Formulierungen der Globalformel im Großen wie im Kleinen ab. Alle erdenklichen Entwicklungsstufen der objektiven Zurechnung aufzuzeigen, würde den hier vorgegebenen Rahmen sprengen, dies soll anderen überlassen werden.31 Als wichtige Zwischenschritte in der Entwicklung sollen allerdings die Adäquanzformel, welche im weiteren Verlauf noch erörtert wird, die Zweckmäßigkeitslehre sowie die finale Handlungslehre hier kurze Erwähnung finden. Die Adäquanzformel geht der Frage nach, ob die Verbindung von Handlung und Erfolgseintritt der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht oder außergewöhnlich ist.32 Im ersteren Fall ist eine Zurechnung möglich, im zweiten nicht. Als „Erfinder“ der modernen objektiven Zurechnung vor Roxin stellt Honig unter Weiterentwicklung der Zurechnungslehre von Larenz33 auf die Zweckmäßigkeit der Handlung ab: Ist die Handlung nicht zweckmäßig, liegt der Erfolg also nicht im Machtbereich des Verursachers, entfällt die objektive Zurechnung.34 Von der Zweckhaftigkeit der Handlung für den Erfolg wird an anderer Stelle auf die Finalität des Handelns abgestellt. Die kausale Handlung sei zufäl-
30 Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, Vor § 13 Rn. 24 spricht allgemein in Bezug auf die Lehre der objektiven Zurechnung von der Unterscheidung von Unrecht und Unglück. 31 Umfassend zuletzt Goeckenjan, Revision der Lehre von der objektiven Zurechnung, 2017, S. 83 ff. Siehe auch Hübner, Die Entwicklung der objektiven Zurechnung, 2011; Schroeder, Der Blitz als Mordinstrument, 2010. 32 Vgl. Frisch, JuS 2011, 19, 21; Schroeder, Der Blitz als Mordinstrument, 2010, S. 12 ff. 33 Hübner, Die Entwicklung der objektiven Zurechnung, 2011, S. 47 ff.; Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, 1927. 34 Honig, in: Hegler (Hrsg.), Beiträge zur Strafrechtswissenschaft, 1930, S. 174, 183 f.
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lig für den Erfolg, die finale dagegen nicht. Aus der Finalität der Handlung ergebe sich die Tatherrschaft.35 4. Fallgruppen Die Lehre der objektiven Zurechnung lässt sich über die Grundformel hinaus durch von der Literatur gebildete Fallgruppen beschreiben. a) Schaffung oder Erhöhung eines rechtlich relevanten Risikos Die rechtliche Relevanz der Gefahrerhöhung zielt unter anderem auf Sachverhalte, in denen ein derart geringes Risiko geschaffen wird, dass der Erfolg nicht zugerechnet werden soll.36 Derartige Fälle sind beispielsweise die Fallgruppen der irregulären Kausalverläufe oder unbeachtlich geringer Risiken.37 Lehrbeispiel ist der Erbonkel, der auf eine Flugreise geschickt wird in der Hoffnung, das Flugzeug stürze ab, was dann auch tatsächlich passiert. Oder aber das Kind, das im Gewitter nach draußen geschickt wird und vom Blitz erschlagen wird. In diesen Fallgestaltungen wird die objektive Zurechnung weitestgehend verneint.38 Die Begründungsansätze sind vielfältig. Roxin etwa bemerkt, dass diese Fallgruppe der objektiven Zurechnung sich mit der Adäquanztheorie decke, die auf Wahrscheinlichkeitsprognosen abstelle und völlig unwahrscheinliche, mithin zufällige Erfolgseintritte nicht zurechne.39. Die Adäquanztheorie will schließlich nur dann eine Zurechnung annehmen, wenn das Handeln des Täters die „Möglichkeit des Erfolgseintritts nach allgemeiner Lebenserfahrung in nicht unerheblicher Weise erhöht hat“40. Auch wird darauf verwiesen, dass die völlig unwahrscheinliche Möglichkeit des Erfolgseintritts keine Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit rechtfertige, folglich das Risiko als erlaubt anzusehen sei.41 Daneben lässt sich aber auch die fehlende Beherrschbarkeit des Kausalverlaufs als die Zurechnung ausschließendes Kriterium in dieser Fallgruppe nen-
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Welzel, Das deutsche Strafrecht, 111969, S. 33 ff.; Welzel, ZStW 58 (1939), 491, 539. Dazu etwa Kühl, Strafrecht, 82017, § 4 Rn. 47 m. w. N. 37 So etwa die Zuordnung bei Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 30 2019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 93. 38 Siehe statt aller erneut ders., in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 93 m. w. N. 39 Roxin, in: Honig (Hrsg.), Festschrift für Richard M. Honig, 1970, S. 133, 136. 40 Nachweise bei Freund, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, Vorbemerkung zu § 13 Rn. 348. 41 Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 92020, § 10 Rn. 5. 36
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nen42, dies wird teilweise aber auch als eigene Fallgruppe geführt.43 Gemeint ist damit weniger die reine Vorhersehbarkeit oder Vermeidbarkeit, da diese Punkte nicht über die Adäquanztheorie hinausgehen.44 Es sollen vielmehr nur solche Erfolge zugerechnet werden können, die im beherrschbaren Machtbereit liegen.45 Der Blitzschlag etwa ist Naturgewalt und dem menschlichen Beherrschungsbereich entzogen.46 b) Risikoverringerung Wird durch die Handlung des Täters ein bereits durch eine andere Ursache in Gang gesetzter Kausalverlauf derart beeinflusst, dass sich das Risiko verringert oder der Erfolgseintritt zeitlich verzögert wird, soll eine Zurechnung nicht bestehen, wobei unerheblich sein soll, ob die Gefahr auch ganz hätte abgewehrt werden können.47 Eine Zurechnung wird dagegen angenommen, wenn zur Abwendung der Gefahr der bereits in Gang befindlichen Kausalkette ein neuer Kausalverlauf und damit eine neue Gefahr geschaffen wird.48 Diese neue Gefahr ist dem Dazwischentretenden sehr wohl zuzurechnen, die Billigkeitserwägungen sind dann bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit einzustellen.49 c) Fehlender Risiko- und Schutzzweckzusammenhang Eine Zurechnung scheidet ferner aus, wenn sich im Erfolg nicht das vom Täter geschaffene Risiko, sondern ein anderes verwirklicht. Weil hier der Risikozu42
Siehe auch Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 93; Böhringer, Fahrlässige Mittäterschaft, 2017, S. 155; von der Meden, JuS 2015, 22, 24. 43 Kühl, Strafrecht, 82017, § 4 Rn. 76. 44 Kühl, Strafrecht, 82017, § 4 Rn. 78a; Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 91. 45 Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, Vor § 13 Rn. 27; Kühl, Strafrecht, 8 2017, § 4 Rn. 76 Auch die frühe Lehre der objektiven Zurechnung von Honig knüpft an den Machtbereich an und fordert eine „Bezweckbarkeit“. Soweit die Fähigkeit reiche, Verhalten herbeizuführen oder zu verhindern, lasse sich der Machtbereich ziehen. Siehe Honig, in: Hegler (Hrsg.), Beiträge zur Strafrechtswissenschaft, 1930, S. 174, 183 f. Instruktiv auch Hübner, Die Entwicklung der objektiven Zurechnung, 2011, S. 53 f. 46 Kühl, Strafrecht, 82017, § 4 Rn. 77. 47 Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 94; Heger, in: Lackner/Kühl (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 292018, Vor § 13 Rn. 14; Kühl, Strafrecht, 82017, § 4 Rn. 53 ff.; Roxin, in: Honig (Hrsg.), Festschrift für Richard M. Honig, 1970, S. 133, 136. 48 Heger, in: Lackner/Kühl (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 292018, Vor § 13 Rn. 14. 49 Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 94.
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sammenhang zwischen geschaffenem Risiko und dem eingetretenen Risiko fehlt, findet auch keine Zurechnung statt. Selbiges soll für die Fälle gelten, in denen sich zwar ein Risikozusammenhang auffinden lässt, sich also ein geschaffenes Risiko realisiert, der Erfolg allerdings außerhalb des Schutzzwecks der Norm liegt.50 d) Hypothetischer Kausalverlauf Weiterhin ist der Erfolg dem Täter zuzurechnen, obgleich er in gleicher Weise und zur gleichen Zeit auch aufgrund eines hypothetischen Kausalverlaufs eingetreten wäre.51 Der Rechtsgüterschutz dürfe nicht aufgrund einer hoffnungslosen Lage ausgesetzt werden, es entfalle bei derartigen Fällen auch nicht der Erfolgsunwert, schließlich verringere der Hinweis auf einen „Ersatztäter“ nicht die Verantwortung des Täters.52 Dagegen wird eingewendet, dass die Zurechnung ja auch ausscheide, wenn die Handlung den Erfolgseintritt abschwächt oder zeitlich herausschiebt, demnach könnte man eine Zurechnung lediglich dann annehmen, wenn eine rechtsgutsverschlechternde Handlung begangen wird.53 e) Rechtmäßiges Alternativverhalten Eine Zurechnung soll dann entfallen, wenn der Erfolg der pflichtwidrigen Handlung auch bei pflichtgemäßem Handeln eingetreten wäre.54 Rechtwidriges Alternativverhalten spielt bei der Betrachtung indes keine Rolle.55 Es darf nur der dem Täter vorgeworfene Tatumstand durch pflichtgemäßes Handeln des Täters ausgetauscht werden, ansonsten darf der Situation nichts „weggelassen, ihr nichts hinzugedacht und an ihr nichts verändert werden.“56 Kritisiert wird diese Einschrän50 Aufgegriffen in der Rechtsprechung in BGHSt 33, 61; siehe daneben Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, Vor § 13 Rn. 30; Freund, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, Vorbemerkung zu § 13 Rn. 404 ff.; Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 95; Kühl, Strafrecht, 82017, § 4 Rn. 45; Roxin, in: Honig (Hrsg.), Festschrift für Richard M. Honig, 1970, S. 133, 140 ff. 51 Streitig, dafür etwa BGHSt 30, 228; Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 97; Kühl, Strafrecht, 82017, § 4 Rn. 79 ff. Dagegen etwa Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 92020, § 9 Rn. 14 ff. 52 Mit weiteren Nachweisen Kühl, Strafrecht, 82017, § 4 Rn. 80. 53 Weitere Nachweise zu dieser Ansicht bei ders., Strafrecht, 82017, § 4 Rn. 79. 54 Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, Vor § 13 Rn. 29; Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 99 m. w. N. 55 Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 99. 56 So etwa BGHSt 33, 63 f.; 49, 4.
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kung indes wegen ihrer schweren Handhabbarkeit und Unschärfe57, aber auch wegen des inhaltlichen Bruchs, den sie hinterlässt, denn an der Realisierung der vom Täter geschaffenen Gefahr im Erfolg lässt sich kaum ernstlich zweifeln58. f) Hinzutreten eines Dritten oder des Opfers Grundsätzlich unterbrochen wird die Zurechnung bei einem Dazwischentreten Dritter oder des Opfers. Teile der Lehre folgern aus dem Verantwortungsprinzip eine Lehre von den Verantwortungsbereichen.59 Jakobs etwa entwickelt daraus die Verantwortlichkeit nach Organisationskreisen: Organisationskreis sei dasjenige, was der ungehinderten Gestaltung des Betroffenen unterworfen sei. Verlassen Handlungen den Organisationskreis, bestehe keine Verantwortlichkeit, blieben sie darin, ist eine Verantwortlichkeit zu bejahen.60 Bei den Organisationskreisen ergebe sich die Täterschaft auch aus der Tatherrschaft.61 Andere folgen der klassischen Lehre vom Regressverbot, wonach die Verantwortlichkeit entfällt, wenn ein Dritter vorsätzlich oder die Gefahrensituation kennend in den Kausalverlauf eintritt.62 Setzt sich das Opfer freiwillig einer Gefahr aus, die sich im Erfolg realisiert, liegt eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor, welche eine Zurechnung unterbrechen soll.63 Eine Einschränkung soll indes bei überlegendem Wissen vorliegen, wenn der Täter also das Risiko besser erfasst als die gefährdete Person und dem Täter damit „Tatherrschaft kraft Irrtumsherrschaft“ zukommt.64 Überlegenes Wissen schafft allerdings keine Zurechnung, wenn die Handlung der Per57 Siehe die Nachweise bei Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 99. 58 Deutlich daher Kühl, Strafrecht, 82017, § 4 Rn. 73. 59 Nachweise bei Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 100. 60 Vgl. dazu nur Nestler, Jura 2019, 1049, 1050; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2 2011, § 7 Rn. 60 ff.; Jakobs, Die strafrechtliche Zurechnung von Tun und Unterlassen, 1996, S. 19 ff. 61 Haas, Kausalität und Rechtsverletzung, 2019, S. 29 f. mit zahlreichen Nachweisen; Jakobs, Die strafrechtliche Zurechnung von Tun und Unterlassen, 1996, S. 21. 62 Siehe mit Verweis auf die Werke von Frank etwa Hübner, Die Entwicklung der objektiven Zurechnung, 2011, S. 58 f.; Hruschka, ZStW 110 (1998), 581; Joerden, Strukturen des strafrechtlichen Verantwortlichkeitsbegriffs, 1988, S. 16 ff. Weitere Nachweise bei Ebert, Jura 1979, 561, 569. Kritisch etwa Heger, in: Lackner/Kühl (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 292018, Vor § 13 Rn. 11. 63 BGHSt 32, 262; BGH NStZ 2011, 341, 342; siehe weitere Nachweise bei Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, Vor § 13 Rn. 36 f. 64 Ders., Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, Vor § 13 Rn. 36b mit Hinweis auf BGHSt 53, 55.
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son im Rahmen des erlaubten Risikos verbleibt.65 Dagegen liegt keine eigenverantwortliche Selbstgefährdung, sondern eine zurechenbare, aber gegebenenfalls rechtmäßige einverständliche Fremdgefährdung vor, wenn der Täter Tatherrschaft über das Geschehen besitzt.66 Die Abgrenzung erfolgt nach der regulären Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme beim Vorsatzdelikt.67 5. Kritik Wie sich in der kurzen Umschau der vertretenen Fallgruppen zeigt, ist die Lehre der objektiven Zurechnung zwar in der Lage, viele Fallgestaltungen überzeugend zu meistern, es verbleiben aber dennoch Unschärfen. Im Ergebnis sind viele einzelne Fallgruppen an sich umstritten und es bedarf an einigen Stellen wieder einer Durchbrechung der „reinen“ Lehre, etwa bei der Fallgruppe vom rechtmäßigen Alternativverhalten. Es bleibt trotz des Versuchs, eine konsistente umfassende Lehrformel zu schaffen, im Ergebnis eine Abarbeitung an einzelnen Fallgruppen und einer wertenden Betrachtung des Einzelfalls. Entsprechend nüchtern kommt dies auch in der Literatur zum Ausdruck, wenn Heger etwa anmerkt, es handele sich bei der Lehre der objektiven Zurechnung um divergierende Vorstellungen, die zwar eng miteinander verwandt seien, aber über die kein allgemeiner Konsens bestehe.68 Negativer erscheint die Bewertung bei Gösel, der die Zurechnung als „unersättlichen Schwamm“ bezeichnet.69 Andere vergleichen die objektive Zurechnung wegen der stetigen Ausweitung mit einem Strudel70 oder einer um sich greifenden Krake71. Hilgendorf sieht in der objektiven Zurechnung nicht mehr als „ein bequemes Vehikel zur Beförderung des eigenen Rechtsgefühls“72. Eisele merkt an, dass die Lehre noch „in der Entwicklung begriffen“ sei und daher nur ein „vorläufiges Ergebnis“ dargestellt werden könne.73 Roxin dagegen meint, die Lehre liefere eine Vielzahl an zurechnungsausschlie65
Vgl. ders., Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, Vor § 13 Rn. 36b. Ders., Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, Vor § 13 Rn. 37. 67 BGHSt 49, 34, 39 f.; 49, 166, 169. Zu der Abgrenzung noch sogleich bei den Formen der Täterschaft. 68 Heger, in: Lackner/Kühl (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 292018, Vor § 13 Rn. 14. 69 Gössel, GA 2015, 18. 70 Vgl. Struensee, GA 1987, 97. 71 Schünemann, GA 1999, 207. 72 Hilgendorf, in: Heinrich (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Weber zum 70. Geburtstag, 2004, 33; siehe auch Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, Vor § 13 Rn. 24a. 73 Zitiert nach Kühl, Strafrecht, 82017, § 4 Rn. 42. Eine derartige Aussage lässt sich bei Eisele aber weder in der aktuellen Kommentierung bei Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 90 noch in der Vorauflage bei ders., in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 292004, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 90 finden. 66
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ßenden und zurechnungsbegründenden Maßstäben, die in ihrer Gesamtheit zu einer sachgerechten Einschränkung des objektiven Tatbestandes führen.74 6. Auswertung a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition Zurechnungsadressat ist derjenige, für den untersucht wird, ob er den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt hat. Dabei muss es sich um eine natürliche Person handeln. Die Rechtsfähigkeit ist damit ebenfalls gegeben. Hauptnorm ist die zu prüfende Strafnorm, eine geschriebene Zurechnungsnorm gibt es nicht. Der Zurechnungsgegenstand ist nicht ohne nähere Auseinandersetzung zu bestimmen. Es wird zwar eine rechtliche Verantwortung hergestellt, eine „Hinzurechnung“ findet aber augenscheinlich nicht statt, auch weil es sich wohl um eine Art der Eigenzurechnung handelt. Während es beim strafrechtlichen Handlungsbegriff klar um die Zurechnung einer Handlung zu einem Subjekt geht, liegt die Sache hier anders, schließlich soll die objektive Zurechnung die Verbindung zwischen Handlung und Erfolg beziehungsweise zwischen Täter und Erfolg aufzeigen. Wenig hilfreich ist in diesem Fall die strafrechtliche Literatur. Ihr Hauptaugen merk liegt auf der Herausarbeitung sinnvoller Fallgruppen, nicht in der exakten Bestimmung der Zurechnungselemente. So verwischen insbesondere wegen der vornehmlich negativen Begrenzungsfunktion der objektiven Zurechnung mit Blick auf die Äquivalenztheorie die Grenzen, was denn wem zugerechnet wird, oder technisch gesprochen, was Zurechnungsgegenstand und wer Zurechnungsadressat ist: Teilweise wird davon gesprochen, die Tat, die Handlung75, zumeist den Erfolg76 oder den Erfolgseintritt77 dem Verursacher zuzurechnen, wieder andere begnügen sich mit einer „Verantwortlichkeit“78 des Täters für den Erfolg
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Roxin, in: Dornseifer (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, 1989, S. 237, 242. Aichele, ZStW 123 (2011), 260, 269 verweist dabei auf Roxin, der aber eine Zurechnung zur Person gar nicht annimmt, sondern jedenfalls in der zitierten Rn. 47 von einer Zurechnung des Erfolgs zum objektiven Tatbestand spricht, Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 42006, § 11 Rn. 47. 76 Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 92; Heger, in: Lackner/Kühl (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 292018, Vor § 13 Rn. 14; Frisch, JuS 2011, 19. 77 Von einer „Verantwortung für den Erfolgseintritt“ spricht Kühl, Strafrecht, 82017, § 4 Rn. 84, von einer „Verantwortlichkeit für den Erfolgseintritt“ etwa Frisch, JuS 2011, 19 ff. 78 In diese Richtung Kühl, Strafrecht, 82017, § 4 Rn. 36. 75
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oder Erfolgseintritt, Roxin dagegen etwa will sogar den Erfolg dem Tatbestand zurechnen79.80 Die Identifizierung des Zurechnungsgegenstandes wird auch dadurch erschwert, dass es keine Zurechnungsnorm gibt, in der niedergelegt wäre, was zugerechnet wird. Daneben ist auch die Hauptnorm unvollkommen, da sie nicht alle zu prüfenden Merkmale enthält. Der Zurechnungsgegenstand hängt damit auch davon ab, wie die Tatbestandsmerkmale der Hauptnorm verstanden werden, ob man etwa zwingend prüft, ob eine Handlung vorgelegen hat, ein Erfolg eingetreten ist, dieser kausal auf die Handlung zurückgeht und so weiter. Zurechnungsgegenstand könnte einmal der tatbestandliche Erfolg sein. Ist die Zurechnung sachgerecht, würde dann der Erfolg als der vom Täter verursachte Erfolg zählen. Ohne Zurechnung wird der Erfolg nicht als der des Täters für die Subsumtion genutzt. Eine entsprechende Regel hieße also: „Täter ist, wem der eingetretene Erfolg zugerechnet werden kann“. Die Hauptnorm verlangte in diesem Fall den Eintritt eines Erfolges. Ob der Erfolg als vom Täter verursacht zu gelten hat, wäre eine Frage der Zurechnung. Man könnte die Zurechnung aber auch differenzierter verstehen: Wenn man die Hauptnorm dahingehend interpretiert, dass etwa nicht der Erfolg an sich „verboten“ ist, sondern die Herbeiführung des Erfolges, dann ließe sich konstatieren, dass der Täter verantwortlich sein müsste für den Kausalverlauf, der zum Erfolg geführt hat. Egal wie weit entfernt der Täter mit seiner libera causa vom Erfolgseintritt steht und wie viele Kausalglieder dazwischen liegen, eine Verantwortlichkeit besteht dann, wenn dem Täter alle zwischen seiner libera causa und dem Erfolgseintritt liegenden Kausalelemente zugerechnet werden. Eine Regel hieße in diesem Fall: „Täter ist, wem die zum Erfolgseintritt führenden Ereignisse zugerechnet werden können“. Die Hauptnorm lautete dann abstrakt, dass Täter ist, wer den Erfolgseintritt herbeiführt. Eine Herbeiführung kann durch den Täter selbst, aber auch durch zugerechnete Handlungen oder Ereignisse beschrieben werden. Diese zwei verschiedenen Denkansätze sind auch in den Ausarbeitungen zur objektiven Zurechnung wiederzuerkennen. Auch dort geht die klassische Linie von der Anknüpfung von Handlung und Erfolg aus, neuere Ansätze wollen dagegen verstärkt eine auf das Verhalten bezogene Zurechnung entwickeln.81 79
Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 42006, § 11 Rn. 47. Eine Zusammenfassung der Vielzahl an Interpretationen des Begriffs des Zurechnungsgegenstandes im Rahmen der objektiven Zurechnung bei Goeckenjan, Revision der Lehre von der objektiven Zurechnung, 2017, S. 33 ff. 81 Kritisch etwa Engisch: Er favorisiert eine personale Straftatlehre, welche vor allem auf das Verhalten abstellt und die Einordnung einer rechtlichen Missbilligung nach Schutzzweckgesichtspunkten vornimmt, diese aber als solche benennt. Er stellt auf die tatbestandsspezifi80
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Auch wenn für die zweite entwickelte Variante spricht, dass diese sich besser in die hier angewendete Zurechnungskonstruktion einfügt, bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung, da beide Ansichten zu gleichen Ergebnissen kommen. Wie gezeigt, verschiebt sich durch die unterschiedliche Sichtweise schlicht der ungeschriebene Teil der Hauptnormen. Das Ergebnis und auch das Ziel der Zurechnung, die Anwendung der Hauptnorm sicherzustellen, sind damit beiden Ansätzen gemein. Es handelt sich bei der objektiven Zurechnung um eine ungeschriebene Zurechnungsnorm und damit auch um eine unvollkommene. b) Eigen- oder Fremdzurechnung Auf den ersten Blick erscheint die objektive Zurechnung als eine Operation der Eigenzurechnung.82 Sie beschreibt schließlich, ob das Verhalten des Täters den Erfolg herbeigeführt hat. Diese Einordnung erscheint indes zu pauschal. Die Eigenzurechnung liegt in der Frage, ob die Handlung des Täters überhaupt in die Subsumtion eingestellt werden darf. Ist diese Eigenzurechnung entschieden, ist Aufgabe der objektiven Zurechnung, die Verbindung zwischen dieser Handlung und dem Erfolg zu untersuchen und der Frage nachzugehen, ob die zugerechnete Handlung „verantwortlich“ für den Erfolgseintritt ist, der Erfolgseintritt also auf die Handlung und durch die erfolgte Zurechnung auf den Urheber „durchschlägt“. Die Kausalglieder, welche zwischen der bereits zugerechneten Handlung und dem Erfolg stehen, müssen nun in die Betrachtung einbezogen werden. Diese sind aber keine Handlungen des Täters, die Handlung des Täters wurde schließlich schon zugeordnet, sondern entweder Handlungen Dritter oder schlichte Naturursachen, die auf die Handlung des Urhebers zurückgehen. Die Handlungen Dritter lassen sich weiter differenzieren in wiederum freie Ursachen (libera causa), für die eine Zurechnung schwieriger zu begründen sein dürfte, und unfreie Ursachen (causa moralis non libera), die ähnlich wie Naturursachen bei einem „Regress“ entlang der Kausalkette übersprungen werden.83 sche Verhaltensmissbilligung ab. Siehe dazu mit Nachweisen auch Aichele, ZStW 123 (2011), 260, 268 ff., der kritisiert, dass die Strafnorm nach der Lehre von der objektiven Zurechnung eigentlich nicht das Ermorden von Menschen unter Strafe stellte, sondern bereits die Schaffung unerlaubter Risiken. Zu dieser Vorverlagerung S. 269 und 273. Siehe daneben Haas, in: Kaufmann/Renzikowski (Hrsg.), Zurechnung als Operationalisierung von Verantwortung, 2004, S. 193, 199. 82 So etwa Baisch, Verjährungsbeginn der Ansprüche von AG und GmbH gegen ihre Geschäftsleiter gemäß § 199 Abs. 1 BGB, 2018, S. 45. 83 Siehe dazu oben und Joerden, Zurechnung, 07.04.2011 (http://www.enzyklopaedierechtsphilosophie.net/inhaltsverzeichnis/19-beitraege/99-zurechnung) (geprüft am 24.02. 2023).
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Es ist für die Abgrenzung von Eigen- und Fremdzurechnung nach den dargestellten Fallgruppen zu differenzieren. Wenn nach hier eingeführter Begrifflichkeit die Fremdzurechnung anzunehmen ist bei der Verbindung des Zurechnungsgegenstandes mit einem zweiten Subjekt, so gilt dies bei der Frage nach der Unterbrechung oder Nichtunterbrechung der Zurechnung beim Dazwischentreten Dritter: Die dazwischentretenden Dritten sind andere Subjekte, womit hier eine Fremdzurechnung vorliegt. Bei den anderen Fällen, in denen die atypische Kausalverläufe oder Naturereignisse Gegenstand der Erörterung sind, handelt es sich, sofern kein zweites Subjekt involviert ist, stets um eine Eigenzurechnung. c) Zurechnungskriterien Die Zurechnungskriterien sind, da die Zurechnungsnorm ungeschrieben ist, weitestgehend direkt mit den Zurechnungsgründen verquickt, schließlich sind die Kriterien die Folgerung aus den Zurechnungsgründen. Als Kriterien lassen sich zunächst festhalten die „Grundformel“ der objektiven Zurechnung, das heißt die rechtlich relevante Risikoerhöhung durch die Handlung des Täters auf der einen Seite und die Realisierung genau dieses Risikos im Erfolg auf der anderen Seite. Die für die einzelnen Fallgruppen relevanten Kriterien sind unten zu erörtern. d) Zurechnungsgründe Zwischen dem Zurechnungsgegenstand, also den Gliedern der Kausalkette zwischen Handlung und Erfolgseintritt, müsste ein Verantwortungszusammenhang bestehen. Dieser liegt grundsätzlich in der äquivalenten Kausalität des Handelns für den Eintritt der Folgen. Aus diesem Verursachungszusammenhang lässt sich jedenfalls indiziell auch ein Verantwortungszusammenhang ableiten: Wer einen Erfolg (äquivalent kausal) verursacht, hat ihn in der Regel auch zu verantworten. Hierin liegt folglich auch ein Zurechnungsgrund. Die Hauptnorm, welche hier nicht näher spezifiziert werden braucht, ist ein strafrechtliches Erfolgsdelikt, welches den Eintritt eines unerwünschten Ereignisses an strafrechtliche Sanktionen knüpft. Sinn und Zweck der (ungeschriebenen) Zurechnungsnorm, also der Zurechnungskriterien der objektiven Zurechnung, ist die nähere Umschreibung der Verantwortlichkeit für den Eintritt eines Erfolges. Sie soll die Weite der äquivalenten Kausalität beschränken, die Anwendung der Hauptnorm auf den Schutzzweck der Norm begrenzen und zu sachgerechten Ergebnissen im Einzelfall führen. Eine Zurechnung soll ausgeschlossen sein bei irregulären Kausalverläufen oder solchen, in denen sich unbeachtlich geringe Risiken realisiert hätten. Hierbei geht es im Wesentlichen um die Adäquanz, das heißt die schlichte Wahr-
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scheinlichkeit: Völlig unwahrscheinliche oder zufällige Ereignisse oder geringe Risiken sollen dem Täter nicht zugerechnet werden. Umgekehrt bedeutet dies, dass keine völlig unwahrscheinlichen Kausalverläufe entlang der Kausalkette zugerechnet werden können. Es handelt sich hier also um den negativen Zurechnungsgrund der allgemeinen Vorhersehbarkeit84 beziehungsweise der Unwahrscheinlichkeit. Daneben wird in dieser Fallgruppe auch auf die Beherrschbarkeit abgestellt. Dasjenige, was sich dem Machtbereich oder auch „Organisationskreis“ des Täters entzieht, etwa Naturgewalten, kann nicht zugerechnet werden. Als negativer und positiver Zurechnungsgrund lässt sich folglich der Macht- oder Beherrschungsbereich des Täters ausmachen. Kausalverläufe innerhalb des Macht- und Beherrschungsbereichs unterliegen der Zurechnung, Kausalverläufe außerhalb unterliegen dieser nicht. Auf eine genaue terminologische Abgrenzung von Verantwortungs- oder Machtbereichen soll es an dieser Stelle nicht ankommen. In den Fällen der Risikoverringerung entfällt die Zurechnung aufgrund der überwiegenden Verantwortlichkeit des wahren Verursachers. Ein zum Erfolg führender Kausalverlauf ist ja bereits von einem Dritten oder zufällig in Gang gesetzt worden. Der Urheber dieses Verlaufs ist für den eingetretenen Erfolg verantwortlich, nicht der den Erfolgseintritt „Reduzierende“. Ähnlich wie die Adäquanz führt auch der Schutzzweckzusammenhang beziehungsweise der Schutzzweck der Norm dazu, dass das allgemeine Lebensrisiko als „erlaubtes Risiko“ keine Zurechnung auslöst. Der Schutzzweck der Norm verfolgt die Frage, ob der Gesetzgeber die Verantwortung für eine Gefahrrealisierung in den Organisationskreis des Täters gelegt hat oder nicht.85 Auch die Schaffung eines erhöhten, aber sozialadäquaten Risikos soll die Zurechnung unterbrechen. Als Zurechnungsgrund lässt sich extrahieren, dass die Zurechnung nur innerhalb des Schutzzwecks der Norm möglich ist. Zum Schutzzweck der Normen des Strafrechts gehört, dass keine Verantwortung für Erfolgseintritte übernommen werden soll, die im Rahmen des allgemeinen oder sozialadäquaten Lebensrisikos liegen. Bei dem Zurechnungsausschluss aufgrund rechtmäßigen Alternativverhaltens lässt sich die fehlende Einwirkungsmacht des Täters ebenfalls als negativer Zurechnungsgrund auffinden. Hat der Täter so wenig Herrschaft über das Geschehen, dass der Erfolg auch bei rechtstreuem Verhalten eintritt, dann spricht auch hier alles für eine Zurechnung zu dem „wirklich“ Verantwortlichen und einem Zurechnungserlass für den Ohnmächtigen. 84
Zur Vorhersehbarkeit und Beherrschbarkeit als Zurechnungsgründe Nestler, Jura 2019, 1049, 1055 f.; vgl. auch Ebert, Jura 1979, 561, 569 ff. 85 Vgl. Nestler, Jura 2019, 1049, 1055.
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Tritt ein Dritter oder das Opfer selbstbestimmt handelnd in den Kausalverlauf ein, dann geht die Herrschaft der Tat auf diesen über. An dieser libera causa des Dritten endet grundsätzlich die Zurechnungskette, der „Regress“. Abstrakter Grund für eine Zurechnung ist in diesen Fällen regelmäßig das Verantwortungsprinzip. Jeder hat sein Verhalten nur darauf auszurichten, nicht selbst andere Rechtsgüter zu gefährden. Dass andere sich ebenso verhalten, fällt in den Zuständigkeitsbereich der anderen.86 Allerdings gilt dies nur dem Grunde nach. Auch ein Dazwischentreten Dritter kann dem Verursacher zugerechnet werden, etwa im Falle der Mittäterschaft oder der mittelbaren Täterschaft.87 Bei einem Dazwischentreten des Opfers kommt eine mittelbare Täterschaft in Betracht, wenn das Opfer als Werkzeug gegen sich selbst eingesetzt wird, oder in den Fällen der einvernehmlichen Fremdgefährdung: Auch hier handelt das Opfer wissentlich, der Verantwortungszusammenhang bleibt aber dennoch intakt, weil die Tatherrschaft nicht beim Opfer, sondern beim Fremdgefährder liegt. Dieser Fallgruppe lässt sich folglich entnehmen, dass in Bewegung gesetzte Kausalverläufe nicht nur aus der Hand, sondern auch in andere Hände fallen können. Als Begründungsansatz dient hier die Herrschaft über den Kausalverlauf. Liegt die Herrschaft noch immer bei dem ursprünglichen Verursacher, dann wird diesem das Dazwischentreten Dritter oder des Opfers zugerechnet (zum Beispiel bei der mittelbaren Täterschaft), geht die Herrschaft aber auf Dritte oder das Opfer über, so wird der Verursacher frei. Mit der Herrschaft geht auch die Zurechnung der Kausalglieder auf Dritte oder das Opfer über. Als zu prüfendes Zurechnungskriterium ergibt sich an dieser Stelle danach die Tatherrschaft, Grund für die Zurechnung ist die bestehende Herrschaft über das Geschehen. Auf die Frage, ob nun ein Dritter oder das Opfer in den Kausalverlauf eintritt, kommt es bei der Würdigung der Zurechnung nicht an, lediglich die Beherrschungsmöglichkeit ist der bestimmende Grund. Damit sind die Fallgruppen des Dazwischentretens Dritter und des Dazwischentretens etwa von „unbeherrschbaren“ Naturereignissen letztendlich von der Begründung eines Zurechnungsausschlusses gleich, denn in beiden Fällen besteht keine Herrschaft über das Eintreten des Ereignisses. Auch die fehlende Möglichkeit der Abwendbarkeit des Erfolgs ist in den Fällen der Risikoverringerung nichts anderes als eine Form der fehlenden Beherrschungsmacht des Täters. Kann der Täter den Kausalverlauf so wenig steuern, dass er lediglich eine Verringerung des Schadens erreichen kann, dann liegt eine 86 Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 101. 87 Diese besonderen Zurechnungskonstellationen sollen noch anschließend separat erörtert werden.
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Zurechnung fern und es erscheint billig, die Zurechnung zu durchbrechen und den Kausalverlauf dem überwiegend Verantwortlichen zuzurechnen. Für eine Zurechnung spricht dagegen regelmäßig die Beherrschung des Kausalverlaufs, wenngleich augenscheinlich das Hauptaugenmerk der objektiven Zurechnung neben der Konstruktion einer positiven Grundformel vornehmlich auf der Entwicklung von Fallgruppen liegt, welche die Zurechnung ausschließen. Die objektive Zurechnung vermittelt damit vornehmlich Zurechnungsausschlussgründe.88 In der Interessenabwägung lassen sich einstellen auf der einen Seite die Folgerung von der naturwissenschaftlich-kausalen Herbeiführung auf die Verantwortlichkeit für den Erfolgseintritt, auf der anderen Seite die in den jeweiligen Fallgruppen bestehenden Begrenzungen dieser nur naturwissenschaftlichen Verantwortung. Die Fallgruppen sind Billigkeitserwägungen, welche Verantwortung in ungerecht erscheinenden Fällen ausschließen sollen. Aus ihrer Natur als Korrektiv zur Kausalität folgt aber schon ihre innere Heterogenität. Ist oberstes Ziel der Zurechnung, in wertender Betrachtung zu einer sachgerechten Lösung des Einzelfalles zu kommen, dann interessiert zunächst nur das Ergebnis der Fallgruppen, weniger ihre Konsistenz untereinander. Die Fallgruppen zeigen zwar vornehmlich die Grenzen der rein naturwissenschaftlichen Kausalität, können aber, positiv gewendet, auch als Gründe für eine Zurechnung herangezogen werden. Während man bei der Regel, dass dasjenige, was sich innerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit bewegt, zugerechnet wird, noch einen zusätzlichen handfesten materiellen Grund für die Zurechnung verlangen dürfte (nämlich die kausale Herbeiführung), kann man umgekehrt bei den Fällen der Beherrschbarkeit die Zurechnungsausschlussgründe zu Zurechnungsgründen wenden. Es lässt sich hier formulieren, dass eine Zurechnung dann angezeigt ist, wenn der Verursacher den Kausalverlauf beherrscht oder eine noch näher zu untersuchende Machtstellung über Dritte hat.
II. Mittäterschaft 1. Allgemeine Bemerkungen zur Mittäterschaft Anders als bei der objektiven Zurechnung gibt es bei der Mittäterschaft einen gesetzlichen Anknüpfungspunkt. § 25 Abs. 2 StGB lautet: „Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).“ 88 Vgl. dazu mit Nachweisen Goeckenjan, Revision der Lehre von der objektiven Zurechnung, 2017, S. 131.
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Auch wenn der Wortlaut dies nicht eindeutig ausspricht, so wird § 25 Abs. 2 StGB gemeinhin als Zurechnungsproblem verstanden.89 Es handelt sich letztendlich um eine Zusammenrechnung der einzelnen Tatbeiträge der Beteiligten, denn jeder Mittäter wird so behandelt, als habe er auch die Handlungen der übrigen Mittäter begangen, auch wenn er diese nicht eigenhändig verwirklicht hat.90 Es findet hier also grundsätzlich eine „Addition“ der Tatbeiträge zu einem einheitlichen Ganzen statt, man spricht auch von einer „wechselseitigen Zurechnung“91. Teilweise wird in diesem Zusammenhang auch von einer „Kollektivperson“ oder „Kollektivsubjekt“, einem „Gesamtsubjekt“92 oder einer „Haftungsgemeinschaft“ gesprochen.93 Ohne das Ergebnis der wechselseitigen Zurechnung wäre die Vorschrift des § 25 Abs. 2 StGB auch nicht notwendig. Müsste jeder Mittäter jeweils selbst den vollständigen Deliktstatbestand verwirklichen, wären die Mittäter bereits jeder für sich genommen als Alleintäter strafbar. Da die Beteiligten möglicherweise aber nur Teile der Straftatbestände selbst verwirklichen, ergibt sich das Bedürfnis für eine entsprechende Zurechnung aus den ansonsten entstehenden Strafbarkeitslücken.94 Zugerechnet werden können allerdings nur objektive Tatbeiträge, nicht hingegen besondere persönliche Merkmale oder subjektive Elemente, diese müssen bei jedem Mittäter in eigener Person verwirklicht sein.95 Eine Begehung ist dann „gemeinschaftlich“ im Sinne der Vorschrift, wenn mehr als nur eine mehr oder weniger zufällige gemeinsame Herbeiführung des Erfolges vorliegt und ein objektives wie subjektives gezieltes96, mit anderen Worten bewusstes und gewolltes97 Zusammenwirken vorliegt. Mittäter begehen 89 Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, § 25 Rn. 24; Haas, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 61; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 25 Rn. 61; Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 92020, 25/17. 90 Siehe nur Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 25 Rn. 61. 91 Siehe nur Kühl, Strafrecht, 82017, § 20 Rn. 100. Kritisch gegenüber einer Konstruktion als „Zurechnungskonstrukt“ etwa Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, 32019, § 10 Rn. 154. 92 Weezel, Beteiligung bei Fahrlässigkeit, 2011, S. 42. 93 Zu den Begrifflichkeiten Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 22011, § 22 Rn. 19; Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft, 2002, S. 287; Joerden, in: Kaufmann/ Renzikowski (Hrsg.), Zurechnung als Operationalisierung von Verantwortung, 2004, S. 135, 137; Schild, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 52017, § 25 Rn. 126. 94 Vgl. Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, § 25 Rn. 24; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 25 Rn. 61. 95 Hilgendorf/Valerius, Strafrecht Allgemeiner Teil, 22015, § 9 Rn. 72. 96 Kudlich, in: von Heintschel-Heinegg (Hrsg.), BeckOK StGB, 4901.02.2021, § 25 Rn. 44. 97 Kühl, Strafrecht, 82017, § 20 Rn. 98.
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also eine Straftat nicht allein, sondern arbeitsteilig nach einer bestimmten Rollenverteilung.98 Die Arbeitsteilung ergibt sich bei der Mittäterschaft, anders als bei der mittelbaren Täterschaft, bei denen ein strukturelles Ungleichgewicht vorherrscht, auf einer gleichrangigen, gleichgeordneten Ebene99, die Mittäter handeln inter pares. 2. Grundformel der Mittäterschaft Aus diesen Ansätzen lässt sich bereits die in der Rechtsprechung und Lehre weitgehend geteilte Grundformel zur Mittäterschaft konkretisieren. Die Grundformel enthält zwei maßgebliche Kriterien, zum einen die objektive Komponente der gemeinschaftlichen Tatbegehung und die subjektive Komponente des gemeinsamen Tatentschlusses.100 a) Subjektive Voraussetzung: Gemeinsamer Tatentschluss Durch den gemeinsamen Tatentschluss werden die Tatbeiträge der Mittäter zum gemeinschaftlichen Begehen verknüpft.101 Der Entschluss muss auf die arbeitsteilige Begehung eines bestimmten Delikts in bewusster Koordination der Einzelbeiträge gerichtet sein.102 Nicht erforderlich ist eine persönliche Kenntnis103, eine besondere Verabredung104 der Beteiligten oder eine nähere Kenntnis des 98
Ders., Strafrecht, 82017, § 20 Rn. 99. Siehe mit zahlreichen Nachweisen zu den Formulierungen der Gleichrangigkeit Schild, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 52017, § 25 Rn. 125. 100 So die h. L., siehe statt aller Kudlich, in: von Heintschel-Heinegg (Hrsg.), BeckOK StGB, 4901.02.2021, § 25 Rn. 44; Kindhäuser, Strafrecht, 72020, § 40 Rn. 3 ff.; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 25 Rn. 62, 71; Kühl, Strafrecht, 8 2017, § 20 Rn. 99; Hilgendorf/Valerius, Strafrecht Allgemeiner Teil, 22015, § 9 Rn. 70. Die Rechtsprechung beschreibt als Mittäter, wer „seinen eigenen Tatbeitrag so in die gemeinschaftliche Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint“, siehe bereits BGHSt 6, 249; 8, 396; später etwa BGHSt 92, 160. 101 Vgl. Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 25 Rn. 71. Von der Bildung eines „Gesamtwillens“ spricht Haas, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 66. 102 Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 25 Rn. 72. 103 Vgl. BGH NStZ 2010, 342. Weitere Nachweise bei Joecks/Scheinfeld, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, § 25 Rn. 233 ff. 104 Siehe nur BGH NStZ 99, 510; weitere Nachweise aus Literatur und Rechtsprechung bei Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, § 25 Rn. 34; Joecks/Scheinfeld, in: Erb/ Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, § 25 Rn. 237; Heine/ Weißer, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 25 Rn. 72; Hilgendorf/Valerius, Strafrecht Allgemeiner Teil, 22015, § 9 Rn. 73. 99
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anderen Tatbeitrages in seinen Einzelheiten105, es genügt Kenntnis über die Tatbeiträge in seinem wesentlichen Art und Umfang106. Eine ausdrückliche Planung ist ebenfalls nicht erforderlich, auch ein konkludenter, also durch schlüssiges Handeln hervorgerufener Tatentschluss ist ausreichend107, der Tatentschluss kann sogar noch bis zur Vollendung des Deliktstatbestandes gefasst werden.108 Notwendig soll aber eine gegenseitige Willensübereinstimmung sein, welche bei einem rein einseitigen Handeln nicht gegeben ist.109 Handelt einer der Beteiligten außerhalb des vereinbarten Tatplans, so liegt ein Exzess vor. Dieser schließt eine Zurechnung regelmäßig aus, denn die Haftung kann nur so weit reichen, wie der gemeinschaftliche Tatentschluss reicht.110 Allerdings wird die Zurechnung auch dann noch bejaht, wenn Abweichungen vom Tatplan eintreten, mit denen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles gewöhnlich zu rechnen war.111 Die Haftung reicht damit weiter, je unbestimmter der Tatplan ist.112
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BGHSt 16, 12. Mit Verweis auf BGH 5 StR 327/82 Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 68 2021, § 25 Rn. 34. 107 Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, § 25 Rn. 34; Haas, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 68; Joecks/Scheinfeld, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, § 25 Rn. 234; Kühl, Strafrecht, 8 2017, § 20 Rn. 104. 108 Zur sukzessiven Mittäterschaft etwa Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 25 Rn. 96; Joecks/Scheinfeld, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, § 25 Rn. 234; Haas, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 90 ff.; Schild, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 52017, § 25 Rn. 140; Hilgendorf/Valerius, Strafrecht Allgemeiner Teil, 22015, § 9 Rn. 75. 109 So jedenfalls die h. M. in Bezug auf den sog. „Einpassungsentschluss“. Siehe BGH NStZ 1985, 70 f.; NJW 2014, 645; NStZ-RR 2016, 137. Aus der Literatur etwa Kudlich, in: von Heintschel-Heinegg (Hrsg.), BeckOK StGB, 4901.02.2021, § 25 Rn. 50; Joecks/Scheinfeld, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, § 25 Rn. 236; Kühl, Strafrecht, 82017, § 20 Rn. 106. 110 Siehe statt aller Haas, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 70. 111 Aus der Rechtsprechung siehe nur BGH NJW 2014, 645; NJW 2016, 2517; Nachweise bei Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 122020, § 44 Rn. 23; Kindhäuser, Strafrecht, 72020, § 40 Rn. 19 f.; Joecks/Scheinfeld, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, § 25 Rn. 240; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 25 Rn. 100; Kühl, Strafrecht, 82017, § 20 Rn. 118. Kritisch etwa Haas, in: Matt/ Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 73. 112 Joecks/Scheinfeld, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, § 25 Rn. 240. 106
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b) Objektive Voraussetzung: Gemeinsame Tatausführung Als objektive Voraussetzung der Mittäterschaft wird die Leistung eines durch den gemeinsamen Tatplan festgelegten Tatbeitrages verlangt. Ausreichend ist aber nicht irgendein Beitrag, es muss sich um einen solchen von einigem Gewicht handeln, welcher Bedeutung für das Gelingen der Tat hat.113 Stehen nur untergeordnete Beiträge in Rede, ist der Beitragende mangels Tatherrschaft nicht Mittäter, sondern allenfalls Gehilfe. Ob ein Tatbeitrag auch im Vorbereitungsstadium zur Annahme einer Mittäterschaft ausreicht, ist eine Frage der Tatherrschaft und damit der Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme. Die Erbringung eines Tatbeitrages im Vorbereitungsstadium wird überwiegend als ausreichend bewertet, ein Minus bei der Tatbegehung kann auch durch ein Plus bei der Vorbereitung und Organisation ausgeglichen werden kann, weil die zeitliche Verortung nichts über die durch die Handlung vermittelte Tatherrschaft aussagt.114 Innerhalb von Organisationsstrukturen kann auch derjenige Mittäter sein, der ohne unmittelbare Tatbeiträge zu erbringen eine hohe Organisationsmacht aufweist.115 c) Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme Bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme stehen sich heute im Wesentlichen zwei Ansätze gegenüber: Die Tatherrschaftslehre der Literatur und die gemäßigt subjektive Theorie der Rechtsprechung.116 Die Tatherrschaftslehre will die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme anhand objektiver Kriterien vornehmen. Tatherrschaft hat und damit Täter ist, wer „als Zentralgestalt des tatbestandlichen Geschehens erscheint“117 – was freilich zunächst nicht mehr als ein ausfüllungsbedürftiger, offener Begriff
113 Haas, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 78; Kühl, Strafrecht, 82017, § 20 Rn. 107. 114 Aus der Rechtsprechung BGHSt 37, 289, 292 f.; BGH NStZ-RR 2012, 209. Nachweise aus der Literatur bei Kudlich, in: von Heintschel-Heinegg (Hrsg.), BeckOK StGB, 4901.02.2021, § 25 Rn. 16; Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, § 25 Rn. 32; Haas, in: Matt/ Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 78 f. 115 Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, § 25 Rn. 41 m. w. N. 116 Auf die rein objektiven und subjektiven Theorien soll hier nicht eingegangen werden, da sie für die hier relevanten Fragen ohne Mehrwert sind. Siehe dazu etwa Joecks/Scheinfeld, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, § 25 Rn. 5 ff.; Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, 32019, § 10 Rn. 35 ff.; umfassend Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 102019, S. 37 ff.; Kühl, Strafrecht, 82017, § 20 Rn. 21 ff. 117 Joecks/Scheinfeld, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, § 25 Rn. 13; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 102019, S. 29; Haas, ZStW 119 (2007), 519, 522; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 25 Rn. 10.
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§ 2 Zurechnung im Straf-, Zivil-, und Öffentlichen Recht
ist118 – oder, wer das Tatgeschehen in den Händen hält119 und es nach seinem Willen hemmen und ablaufen lassen kann120. Diese Umschreibungen decken zunächst die unmittelbare Täterschaft ab, hier hat der Täter Handlungsherrschaft121, bei der mittelbaren Täterschaft vermittelt die Wissens- oder Willensherrschaft Tatherrschaft122, bei der Mittäterschaft ist die funktionelle Tatherrschaft der arbeitsteilig vorgehenden Beteiligten erforderlich123. Tatherrschaft bedeutet also in allen Fallgestaltungen eine herausgehobene, beherrschende und kontrollierend-steuernde Rolle. Wer Tatherrschaft besitzt, der entscheidet über das Ob und Wie der Tat maßgeblich mit.124 Die noch immer im Kern subjektive Theorie der Rechtsprechung möchte stattdessen auf den Täterwillen abstellen. Demnach ist eines der Kriterien die Frage nach dem Willen des Beteiligten. Handelt dieser mit Täterwillen (animus auctoris), will er die Tat also als eigene, dann ist er Täter, will er die Tat nur als fremde (animus socii), dann ist er nur Gehilfe.125 Die Rechtsprechung hat ihre Ansicht derweil um diverse objektive Merkmale angereichert und der Tatherrschaftslehre angenähert.126 Sie stellt als weitere Kriterien auf den Willen zur Tatbeherrschung127, die objektive Mitbeherrschung des Geschehens128, den Umfang der Tatbeteiligung129, aber auch den Grad des eigenen Interesses am Taterfolg oder schlicht auf die objektive Tatherrschaft130 ab. Durch die Öffnung erschließt sich 118
Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 102019, S. 124; Joecks/Scheinfeld, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, § 25 Rn. 33; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 25 Rn. 12. Von einer „Leerformel“ spricht in diesem Zusammenhang Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, 32019, § 10 Rn. 50. 119 Haas, ZStW 119 (2007), 519, 521. 120 Kühl, Strafrecht, 82017, § 20 Rn. 26. 121 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 25 Rn. 38 ff. 122 Ders., Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 25 Rn. 45 ff. 123 Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, 32019, § 10 Rn. 43 ff.; Kühl, Strafrecht, 82017, § 20 Rn. 27; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 25 Rn. 28, 188 ff. 124 Kühl, Strafrecht, 82017, § 20 Rn. 28. 125 Vgl. Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, 32019, § 10 Rn. 39 ff. 126 Siehe nur Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, § 25 Rn. 4. Von einer „normativen Kombinationstheorie“ spricht daher Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 25 Rn. 22. 127 BGHSt 13, 162; BGH NJW 1998, 2149, 2150; NStZ-RR 2003, 265, 276; 2004, 40; NJW 2016, 884, 886. 128 BGHSt 28, 346, 349; BGH NJW 1979, 1721, 1722; NStZ 1987, 364. 129 BGH NStZ 1990, 80. 130 Mittlerweile ständige Rechtsprechung, BGHSt 28, 346, 348 f., zuletzt BGH 3 StR 23/06; Nachweise dazu auch bei Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, § 25 Rn. 27. Kritisch auch mit Blick auf die Vorhersehbarkeit der Entscheidungen Kühl, Strafrecht, 82017, § 20 Rn. 35.
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die Rechtsprechung weitere Kriterien, mit denen sie die Frage der Täterschaft in einer „umfassenden Gesamtabwägung“ beantworten kann.131 3. Auswertung a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition Zurechnungsadressat ist derjenige, dessen Strafbarkeit untersucht wird. Hauptnorm ist die zu untersuchende Strafnorm, als Zurechnungsnorm lässt sich § 25 Abs. 2 StGB ausmachen. Gegenstand der Zurechnung sind die objektiven Tatbeiträge der Mittäter. Als Besonderheit der Mittäterschaft ergibt sich ein grundsätzlich reflexives Zurechnungsverhältnis. Liegt die Mittäterschaft vor, findet eine wechselseitige Zurechnung der Zurechnungsgegenstände statt. Die freie Verschiebbarkeit der Tatbeiträge untereinander führt dazu, dass hier das Bild einer „Kollektivperson“ Gestalt annimmt. Dennoch handelt es sich auch bei der Mittäterschaft, wie generell im Strafrecht, um die Frage nach individuellem, nicht kollektiven Unrecht des einzelnen Beteiligten132, dem lediglich objektive Merkmale fehlen, die von einem Dritten zugerechnet werden. b) Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung Die Zurechnungsnorm des § 25 Abs. 2 StGB ist zumindest unvollkommen, wenn nicht sogar ungeschrieben, schließlich ist das Prüfungsprogramm und auch die Identität als Zurechnungsnorm am Normtext allein nicht festzumachen. Einzig sinnvolle Auslegungsvariante der Norm ist aber eine solche als Zurechnungsnorm: Erfüllte jeder Beteiligte selbst alle Tatbestandsmerkmale, dann bedürfte es des Rückgriffs auf § 25 Abs. 2 StGB nicht. Da aber die Zurechnungskriterien nicht enthalten sind, handelt es sich um eine geschriebene unvollkommene Zurechnung.
131
Dies eröffnet Spielräume, kann aber auch Unsicherheiten produzieren, vgl. Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, § 25 Rn. 4. Kritisch insbesondere zu den Auswirkungen auf den Rechtsschutz bei einem revisionsrechtlich nicht zu überprüfenden Beurteilungsspielraum Haas, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 64. Vor Abgrenzungsproblemen mit Blick auf fehlende Gewichtung der einzelnen Elemente warnt auch Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 25 Rn. 25. 132 Gegen eine gruppenbezogene „Gesamtbetrachtung“ zur Begründung einer Mittäterschaft ohne Tatbeitrag und Vorsatz zuletzt deutlich BVerfG NJW 2020, 1504.
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c) Eigen- oder Fremdzurechnung Bei der Mittäterschaft handelt es sich um eine klassische Fremdzurechnung. Der Zurechnungsgegenstand ist das Verhalten Dritter, welches als das Verhalten des Zurechnungsadressaten gewertet werden soll. d) Zurechnungskriterien Zurechnungskriterien sind die beiden Voraussetzungen der Mittäterschaft, der gemeinsame Tatplan und die gemeinsame Tatausführung. Weitere Voraussetzung ist die Qualifikation der Beteiligten als Täter in Abgrenzung zur Teilnahme. Als Kriterien ergeben sich demnach die oben dargestellten Voraussetzungen, nämlich den gemeinsamen Tatplan, die gemeinsame Tatausführung und die Tatherrschaft oder der Täterwille. e) Zurechnungsgründe Zunächst ist der Verantwortungszusammenhang zwischen dem Zurechnungsadressaten und dem Zurechnungsgegenstand zu bestimmen. Verbindendes Element zwischen den Handlungen des Mittäters und dem zuzurechnenden Mittäter ist der gemeinsame Tatplan. Die Vorstellung des Handelnden, etwas für die „gemeinsame Sache“ zu tun, und die Begrenzung derselben durch den gemeinsam geschmiedeten Tatplan stellen eine solche Verbindung her. Der Mittäter handelt wie besprochen und erfüllt damit das, was beide miteinander verabredet haben. Abstrakter formuliert liegt der Verantwortungszusammenhang in der vorgenommenen Abrede zur Arbeitsteilung begründet. Oder leicht verkürzt, aber zutreffend: „Die Freiheit zur Gemeinsamkeit bedingt die Verantwortung für das gemeinschaftliche Werk“133. Wer sich freiwillig, durch Absprache in die Gemeinsamkeit einfügt, trägt auch die Verantwortung für das gemeinschaftliche Handeln. Ratio legis der Hauptnorm ist die Strafbarkeit einer oder mehrerer Täter für die Begehung einer Straftat. Die Zurechnungsnorm soll die beabsichtigte Strafbarkeit auch bei erfolgender Arbeitsteilung sicherstellen. Die Norm erfasst durch ihren Zurechnungscharakter auch diejenigen Fälle, in denen möglicherweise keiner der Beteiligten den Deliktstatbestand für sich genommen vollständig verwirklicht. Sie sichert dadurch die Anwendbarkeit der Hauptnorm ab, durch eine (abgesprochene) Aufteilung der Deliktsbegehung soll die Strafbarkeit nicht entfallen. Des Weiteren behebt die Zurechnung von Handlungen Dritter Beweisschwierigkeiten: Prügeln zwei Mittäter einen Dritten zu Tode, so ist unerheblich,
133
Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 92020, 25/15.
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wer den „entscheidenden“ Schlag führte, schließlich findet eine wechselseitige Zurechnung statt.134 Die ratio der Zurechnungsnorm ist weitgehend identisch mit den für die Zurechnung streitenden Gründen. Zu nennen ist hier der Gedanke, dass der Vorteil des arbeitsteiligen Verhaltens durch den Nachteil der verstärkten Haftung durch die Zurechnung der Tatbeiträge Dritter ausgeglichen wird. Gewendet auf den Alleintäter soll die arbeitsteilige Begehung eines Deliktes nicht privilegiert werden, dies wäre aber der Fall, wenn jedem Mittäter nur die eigene Tatausführung vorgeworfen würde.135 Materieller Grund für die Zurechnung ist neben diesem Gleichstellungsargument und der Vermeidung von Beweisschwierigkeiten die freiwillige Arbeitsteilung mit dem Mittäter. Daneben ist eine Zurechnung naheliegend, da eine Abrede zur gemeinsamen Begehung besteht. Die Beteiligten ermächtigen sich durch die Vereinbarung in Form des gemeinsamen Tatentschlusses gegenseitig, Handlungen für „die gemeinsame Sache“ durchzuführen, es liegt ein wechselseitiges Mandat vor.136 Die Mittäter handeln nicht (nur) für sich, sondern besorgen auch fremde Angelegenheiten mit und handeln damit nicht nur im eigenen, sondern auch im fremden Rechtskreis. Durch die gemeinsame Verabredung wird der Einzelwille zu einem Gesamtwillen der Beteiligten geformt.137 Abstrakter gefasst spricht eine einvernehmliche Arbeitsteilung zunächst für eine Zurechnung, da Mittäter nicht nur „für sich“, sondern für „die gemeinsame Sache“ arbeiten. Daneben deutet auch das Besorgen fremder Angelegenheiten grundsätzlich auf eine Zurechnung zum Begünstigten hin. Weiterhin ist Voraussetzung für die Zurechnung die Tätereigenschaft und damit das Vorliegen von Tatherrschaft. Hat also ein Mittäter Tatherrschaft, dann handelt jeder weitere Mittäter ebenso in diesem Machtbereich. Handelt ein Dritter im Machtbereich des Täters, so liegt eine Zurechnung nahe. Hat nicht nur eine Person Tatherrschaft, so müsste sich allerdings fragen lassen, wer von den „Zentralgestalten“ der wahre Täter ist. Dies ist jedenfalls bei der objektiven Zurechnung und mittelbaren Täterschaft entscheidend. Bei der Mittäterschaft wird die Zurechnung durch die Existenz mehrerer Tatherrscher nicht durchbrochen, weil der gemeinsame Tatplan und die gemeinsame Tatbegehung die Aufteilung der Tatherrschaft auf mehrere Beteiligte ermöglicht. 134
Joerden, in: Kaufmann/Renzikowski (Hrsg.), Zurechnung als Operationalisierung von Verantwortung, 2004, S. 135, 138. 135 Siehe etwa ders., in: Kaufmann/Renzikowski (Hrsg.), Zurechnung als Operationalisierung von Verantwortung, 2004, S. 135, 137. 136 Haas, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 65. 137 Ders., in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 65.
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Der Grund für die wechselseitige Zurechnung liegt nicht in der besonderen Gefährlichkeit der Tatbegehung durch mehrere Mittäter im Ausführungsstadium.138 Mit Blick auf die vorgenommene Ausweitung der Mittäterschaft auch auf solche Fälle, in denen nur einer der Täter am Tatort anwesend ist, erscheint die Gefährlichkeit bei Ausführung kein tragfähiger Grund zur Begründung der Zurechnung zu sein, denn hier stellt sich die Tatausführung nicht anders dar als die Tatausführung eines Alleintäters. Es zeigt sich, dass die Gefährlichkeit im Einzelfall höher ausfallen kann, etwa bei einer mittäterschaftlich begangenen Körperverletzung „als Gruppe“, es aber ebenso viele denkbare Varianten gibt, in denen keine erhöhte Gefährlichkeit vorliegt. Die Gefährlichkeit ist daher kein Grund für die erfolgte Zurechnung.139 Gegen eine Zurechnung spricht zunächst die Existenz mehrerer die Tat beherrschender Personen. Bei dem Eintritt eines vollverantwortlichen Dritten handelt es sich um einen Zurechnungsausschlussgrund. Allerdings ist hier kein unbeteiligter Dritter in den Kausalverlauf eingetreten, sondern jemand, dessen Handlung mit dem weiteren Verursacher abgestimmt ist. Die einvernehmliche Abrede der Arbeitsteilung zwischen den Mittätern schließt eine Zurechnungsunterbrechung aus. Weiterhin ist eine Zurechnung zu verneinen, wenn sich ein Mittäter nicht an den gemeinsamen Tatplan hält und außerhalb davon strafbare Exzesse verübt. Positiver Grund und negativ betrachtet Grenze der Zurechnung ist der gemeinsame Tatplan. Alles, was unvorhersehbar darüber hinausgeht, bildet keinen Zurechnungsgrund. Der exzessive Täter handelt nicht mehr innerhalb des gemeinsamen Plans und damit „auf eigene Faust“, sodass er für die Differenz auch selbst einzustehen hat.
III. Mittelbare Täterschaft 1. Allgemeine Bemerkungen zur mittelbaren Täterschaft Die mittelbare Täterschaft ist neben der unmittelbaren Täterschaft und der Mittäterschaft die dritte Form der Täterschaft140 und ebenfalls ein Anwendungsfall einer Zurechnungsoperation. Gesetzlicher Anknüpfungspunkt der mittelbaren Täterschaft ist § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB. Dieser lautet: „Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht.“ 138 Anders
etwa Puppe, NStZ 1991, 571, 572. Ohne nähere Begründung mit Verweis auf den Gesamtwillen durch die Verabredung Haas, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 80. Zur Untauglichkeit der Gefährlichkeitslehren auch bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme siehe Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 102019, S. 35 f. 140 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 25 Rn. 27. 139
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Im Wortlaut ist die Zurechnung bereits angelegt. Der Täter führt die Tat nicht selbst aus, sondern lässt sie „durch“ einen anderen ausführen, „begeht“ sie aber ausweislich des Wortlautes dennoch selbst und ist damit Täter. Dem Täter werden somit die Tathandlungen des anderen zugerechnet. Es handelt sich um ein Dreiecksverhältnis141 zwischen dem Hintermann, welcher den ausführenden Vordermann, das „Werkzeug“, derartig unter Kontrolle hat, dass die Handlungen des Vordermanns – etwa die Schädigung eines Dritten – dem Hintermann zugerechnet werden.142 Um Täter zu sein, bedarf es Tatherrschaft oder Täterwillen.143 Daneben muss der Vordermann für die Annahme einer mittelbaren Täterschaft grundsätzlich eine unterlegene Stellung einnehmen, andernfalls wäre er nach dem Prinzip der Selbstverantwortung selbst Täter und der Hintermann lediglich Gehilfe oder Anstifter.144 Der Vordermann hat in aller Regel ein Strafbarkeitsdefizit.145 Wer freiverantwortlich dazwischentritt, ist schon begrifflich nicht ohne weiteres ein „Werkzeug“ des Täters, sondern selbst Täter. Eine mittelbare Täterschaft ist nicht denkbar bei besonderen Voraussetzungen an die Täterqualität, sowie bei eigenhändigen Delikten, bei denen es auf das unmittelbare Handeln des Täters ankommt146, zugerechnet werden nur Tathandlungen147. 2. Grundformel der mittelbaren Täterschaft Mittelbarer Täter ist, wer die Tat durch einen Tatmittler, ein Werkzeug begeht. Voraussetzung dafür ist nach Ansicht der herrschenden Literatur Tatherrschaft148, 141
Schild, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 52017, § 25 Rn. 75. Vgl. BGHSt 30, 364 f.; BGH NStZ 2013, 104; Kühl, Strafrecht, 82017, § 20 Rn. 42. Von einer „Rechtsfiktion“ spricht Haas, ZStW 119 (2007), 519, 542. Von einer „Verhaltenszurechnung“ und „Zurechnungsfigur“ dann ders., in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 2 2020, § 25 Rn. 5; Von einer „Zurechnung eines Geschehens als eigene Handlung“ spricht Schild, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 52017, § 25 Rn. 75; ebenso Joecks/Scheinfeld, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 4 2020, § 25 Rn. 60; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 25 Rn. 8. 143 Siehe dazu die Nachweise oben § 2 B. II. 2. c). 144 Siehe nur Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 92020, 27/2; Heine/Weißer, in: Schönke/ Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 25 Rn. 2. 145 Kudlich, in: von Heintschel-Heinegg (Hrsg.), BeckOK StGB, 4901.02.2021, § 25 Rn. 20; Hilgendorf/Valerius, Strafrecht Allgemeiner Teil, 22015, § 9 Rn. 25 ff. 146 Kühl, in: Lackner/Kühl (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 292018, § 25 Rn. 3, siehe auch die Begründung des Gesetzgebers in BT-Drs. V/4095 S. 12. 147 Kudlich, in: von Heintschel-Heinegg (Hrsg.), BeckOK StGB, 4901.02.2021, § 25 Rn. 31. 148 Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 25 Rn. 7 m. w. N. 142
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nach Ansicht der Rechtsprechung der Täterwille149 des Hintermanns, wenngleich die Rechtsprechung sich gerade im Bereich der mittelbaren Täterschaft noch stärker an die Tatherrschaftslehre angenähert hat als bei der Mittäterschaft150 und zuletzt etwa auf eine um den Täterwillen ergänzte „objektive Tatherrschaft“151 abstellt. Bereits oben wurde auf die verschiedenen Erscheinungsformen der Tatherrschaft hingewiesen, die sich je nach Täterform unterscheiden. Ist beim unmittelbaren Täter eine Handlungsherrschaft, beim Mittäter eine funktionale Tatherrschaft erforderlich, kommt es bei der mittelbaren Täterschaft auf die sogenannte Willensherrschaft152 an. Teilweise wird auch auf Willens- und Wissensherrschaft abgestellt.153 Die weitere Klassifizierung der mittelbaren Täterschaft ist umstritten, auch die Einteilung der wesentlichen Fallgruppen weicht stark voneinander ab. Während der eine Teil der Literatur eine Strukturierung nach den Arten der Herrschaftsbegründung vornehmen will154, geht ein anderer Teil der Literatur vom Tatmittler aus und will nach dessen Defekten unterscheiden155. Unterschieden werden soll im Folgenden zwischen Willensherrschaft kraft Irrtums, Willensherrschaft kraft Nötigung, und Willensherrschaft kraft organisierter Machtapparate beziehungsweise kraft Organisationsherrschaft.156 a) Willensherrschaft kraft Irrtums Bei einer Willensherrschaft kraft Irrtums unterliegt der Vordermann einem Irrtum, der grundsätzlich auf allen Ebenen des Deliktsaufbaus auftreten kann.157 Neben dem reinen Irrtum bedarf es auch noch einer relevanten Einwirkung des Täters, dieser muss den Irrtum ausgenutzt haben158, erst dann wird der Hinter149
Siehe nur BGHSt 9, 370, 380. Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 92020, 27/5. 151 Etwa BGH NStZ 1989, 370, 372. 152 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 25 Rn. 45; Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 92020, 27/1; Haas, ZStW 119 (2007), 519, 522. 153 Joecks/Scheinfeld, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, § 25 Rn. 60. 154 Eine derartige Sortierung verfolgt etwa Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 25 Rn. 45 ff. 155 Siehe nur Kühl, Strafrecht, 82017, § 20 Rn. 52 ff. Einen entsprechenden Überblick über die verschiedenen „Argumentationslinien“ gibt Schild, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 52017, § 25 Rn. 79. 156 Ebenso Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 25 Rn. 46. Einen ähnlichen Aufbau verfolgt Haas, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 8 ff. 157 von der Meden, JuS 2015, 22, 25. 158 Siehe nur Haas, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 19; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 25 Rn. 64, 67; Kühl, Strafrecht, 82017, § 20 Rn. 52. 150
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mann verantwortlich für das Handeln des Vordermanns, er hat dann „Irrtumsherrschaft“159 respektive Tatherrschaft. Als Irrtümer kommen ein Tatbestandsirrtum oder ein Erlaubnistatbestandsirrtum, nicht aber reine Motivirrtümer wie ein error in persona in Betracht.160 In Frage kommen daneben ein Verbots- oder Erlaubnisirrtum161 oder auch ein Irrtum über das Bestehen eines Entschuldigungsgrundes162. Bei einigen der genannten Irrtümer wird der Tatmittler allerdings selbst nicht von jeder Strafbarkeit entlastet. Trotz Haftung des Vordermanns ist aber eine Haftung des Hintermanns anerkannt und damit eine Abweichung vom ansonsten geltenden Verantwortungsprinzip.163 Der mittelbare Täter muss nach herrschender Ansicht den Vordermann zur Tat aufgefordert oder sie diesem ermöglicht haben164, es bedarf auch hier eines entsprechenden Zusammenhangs165. b) Willensherrschaft kraft Nötigung Eine Willensherrschaft kraft Nötigung liegt jedenfalls dann vor, wenn das Werkzeug die Anforderungen des entschuldigenden Notstandes des § 35 StGB erfüllt166, teilweise wird es auch als ausreichend erachtet, wenn die Lage derjenigen des § 35 StGB jedenfalls nahe kommt167. Nach umstrittener Ansicht sollen 159
Haas, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 8; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 25 Rn. 7. 160 Differenzierend Joecks/Scheinfeld, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, § 25 Rn. 85 ff.; mittelbare Täterschaft bejahend Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 25 Rn. 24 m. w. N. 161 Etwa Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 25 41 ff. 162 Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, § 25 Rn. 6 f.; Joecks/Scheinfeld, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, § 25 Rn. 88 ff.; von der Meden, JuS 2015, 112 f. 163 Kudlich, in: von Heintschel-Heinegg (Hrsg.), BeckOK StGB, 4901.02.2021, § 25 Rn. 32; Joecks/Scheinfeld, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 4 2020, § 25 Rn. 87. Vergleiche auch den prominenten Katzenkönig-Fall (BGHSt 35, 347), in welchem der Tatmittler in einem vermeidbaren Verbotsirrtum handelte. Ohne Durchbrechung des Verantwortungsprinzips hätte der BGH hier nicht zu einer mittelbaren Täterschaft gelangen können. 164 Kühl, Strafrecht, 82017, § 20 Rn. 52. 165 Von einem „Rechtswidrigkeitszusammenhang“ spricht etwa von der Meden, JuS 2015, 22, 28. 166 Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, § 25 Rn. 8; Joecks/Scheinfeld, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, § 25 Rn. 97 ff.; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 102019, S. 143 ff.; Kühl, in: Lackner/Kühl (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 292018, § 25 Rn. 2; von der Meden, JuS 2015, 112, 115. 167 Schroeder, Der Täter hinter dem Täter, 1965, S. 120 ff.
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auch Nötigungsmittel des § 240 StGB für die Begründung der mittelbaren Täterschaft in Frage kommen.168 Der Hintermann muss bei dieser Fallgruppe entweder die Nötigungssituation geschaffen haben oder die bestehende, nicht verantwortete Zwangslage ausgenutzt haben.169 c) Willensherrschaft kraft organisierter Machtapparate In der Fallgruppe der organisierten Machtapparate steht die Frage im Raum, ob die mittelbare Täterschaft auch dann Anwendung finden kann, wenn der Vordermann gar kein Defekt oder Strafbarkeitsdefizit aufweist, sondern volldeliktisch handelt. Die Rechtsprechung und ein Teil der Lehre nehmen eine solche Konstruktion des sogenannten „Täters hinter dem Täter“ an, wenn der Hintermann Organisationsherrschaft innehat.170 Eine Organisationsherrschaft kommt in Betracht, wenn der der Beitrag des Hintermanns beinahe automatisch zur Tatbestandsrealisierung führt, er also Rahmenbedingungen ausnutzt, in welchen seine Einwirkung „regelhafte Abläufe“ hervorruft171, der Vordermann also ein „beliebig austauschbares Rädchen im Getriebe“172 ist. Dies erfordert das Bestehen „einer hierarchischen Machtstruktur, in der die leitenden Funktionäre auf Grund ihrer faktisch anerkannten Autorität die ausführenden Befehls- und Weisungsempfänger reibungslos und austauschbar einsetzen können“173, es wird damit das „soziale System“ der Begehung in den Blick genommen174. Eine solche Herrschaft nimmt die Rechtsprechung bei staatlichen und unternehmerischen175 168
Haas, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 23. Ders., in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 24; kritisch etwa mit Blick auf die Abgrenzung zur Anstiftung Joecks/Scheinfeld, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, § 25 Rn. 66. 170 Kritisch etwa Hruschka, ZStW 110 (1998), 581, 606 ff., der anmerkt, bei der Konstruktion des Täters hinter dem Täter handele es sich nur um eine Fiktion. Siehe dagegen die Nachweise bei Joecks/Scheinfeld, in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 42020, § 25 Rn. 141. 171 Haas, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 25. 172 Kudlich, in: von Heintschel-Heinegg (Hrsg.), BeckOK StGB, 4901.02.2021, § 25 Rn. 34; Kühl, Strafrecht, 82017, § 20 Rn. 73; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 25 Rn. 107. 173 Kühl, in: Lackner/Kühl (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 292018, § 25 Rn. 2. Vgl. mit Betonung der Austauschbarkeit („Fungibilität“) auch Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 25 Rn. 107; Kudlich, in: von Heintschel-Heinegg (Hrsg.), BeckOK StGB, 4901.02.2021, § 25 Rn. 34. Kritisch gegenüber dem Kriterien der Fungibilität Haas, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 26. 174 von der Meden, JuS 2015, 112, 116; für eine „soziale Tatherrschaft“ und entsprechende Kriterien siehe Schlösser, Soziale Tatherrschaft, 2011, S. 331 ff. 175 Kritisch in Bezug auf die Anwendung auf rechtstreue und eine Anwendung auf „vom Recht gelöste“ Organisationen beschränkend etwa Haas, in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), Straf169
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Strukturen oder Befehlsketten an, wenn der Hintermann Befehlsgewalt hat, die Tat als eigene will176 und die ausführenden Tatmittler ersetzbar sind.177 Die erste Entscheidung erging in dem bekannten Mauerschützen-Fall178. 3. Auswertung a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition Bei der mittelbaren Täterschaft handelt es sich um eine Zurechnungsoperation. Zurechnungsadressat ist der Hintermann, der mittelbare Täter. Zurechnungsgegenstand ist das Verhalten des Werkzeugs, welches dem Hintermann als eigenes zugerechnet wird. Die Hauptnorm ist die zu untersuchende Strafnorm, Zurechnungsnorm ist § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB. b) Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung Es handelt sich vorliegend, wie bei der Mittäterschaft, zwar um eine geschriebene Zurechnungsnorm, die aber bis auf die Formulierung „durch einen anderen“ keine Hinweise auf die Zurechnungskriterien gibt. Diese hat der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung ausdrücklich offengelassen, um „der künftigen Rechtsentwicklung nicht vorzugreifen“179. Somit handelt es sich auch hier um eine geschriebene, aber unvollkommene Zurechnungsnorm. c) Eigen- oder Fremdzurechnung Es handelt sich bei der mittelbaren Täterschaft um eine Form der Fremdzurechnung, die in Betracht zu ziehen ist, wenn eine Strafbarkeit aufgrund eigenen Verhaltens nicht gegeben ist. d) Zurechnungskriterien Die ungeschriebenen Kriterien sind in allgemeinerer Form teilweise deckungsgleich mit denen der Mittäterschaft. Auch hier kommt es objektiv auf die Tatherrgesetzbuch, 22020, § 25 Rn. 27; Kudlich, in: von Heintschel-Heinegg (Hrsg.), BeckOK StGB, 49 01.02.2021, § 25 Rn. 35.1. Dagegen etwa Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 68 2021, § 25 Rn. 13 m. w. N. 176 Für die Rechtsprechung etwa BGHSt 40, 218, 236; BGH NStZ 2004, 457, 458. 177 Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, § 25 Rn. 11. 178 BGHSt 40, 218. 179 Sonderausschuss BT-Drs. V/4095 S. 12 unter Hinweis auf BT-Drs. IV/650 S. 149. Vgl. auch die Nachweise in BGHSt 40, 232. Dazu Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 25 Rn. 6.
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schaft an, subjektiv auf den Täterwillen, denn ohne diese allgemeinen Voraussetzungen der Täterschaft liegt höchstens eine Teilnahme vor. Die besonderen Kriterien zur Konkretisierung der Tatherrschaft sind bei der mittelbaren Täterschaft indes nicht mit denen der Mittäterschaft deckungsgleich. Erforderlich ist eine Willensherrschaft, die sich aus der Ausnutzung oder Erregung eines Irrtums, der Ausnutzung oder Herstellung einer Nötigungslage oder aus der Ausnutzung eines organisierten Machtapparats speist. Damit hat in der ersten Fallgestaltung der Täter Irrtumsherrschaft über das Opfer. Der Hintermann hat überlegenes Wissen und nutzt dieses dafür aus, dass das Opfer seinem Willen entsprechend Handlungen vornimmt. Im zweiten Fall hat der Hintermann Nötigungsherrschaft, er hat den Tatmittler „unter Druck“ und „zwingt“ diesen zu Handlungen. Im Falle der organisierten Machtapparate hat der Hintermann den Vordermann ebenso „in der Hand“. In streng hierarchischen Unrechtsstrukturen, in denen der Vordermann ein beliebig austauschbarer Befehlsempfänger ist, handelt der Hintermann, wenn er aufgrund der besonderen Machtstrukturen absoluten Gehorsam erwarten kann, „durch“ den Vordermann, wenn er entsprechende Anweisungen gibt. Es findet hier also eine Zurechnung kraft überlegener hierarchischer Stellung statt. Das Defizit des Vordermanns und die Überlegenheit des Hintermanns sorgen in der Figur der mittelbaren Täterschaft für die Herrschaft des Hintermanns. e) Zurechnungsgründe Der Verantwortungszusammenhang zwischen Zurechnungsadressat und dem Zurechnungsgegenstand liegt in der besonderen Herrschaft des Hintermanns über die Handlungen des Vordermanns. Aufgrund der oben genannten Kriterien hat der Hintermann den Vordermann unter Kontrolle, er kann ihn steuern und dazu benutzen, die vom Täter gewünschten Handlungen vorzunehmen. Der Hintermann muss über die Handlungen und damit auch die Person des Tatmittlers Tatherrschaft haben. Der Hintermann ist indes nicht zwangsläufig für alles verantwortlich, was der Vordermann tut, der Hintermann muss den Vordermann ja konkret auf die Ausführung gewisser Handlungen „ansetzen“. Dies begrenzt also eine generelle Zurechnung durch die Herrschaft, der Hintermann muss das Werkzeug zu genau den Handlungen bringen, die es durchführen soll, es also seinen Weisungen entsprechend „auf den Weg schicken“. Ratio legis der Hauptnorm ist erneut die Strafbarkeit für eine Verwirklichung von strafrechtlich relevantem Unrecht. Die ratio der Zurechnungsnorm liegt ebenfalls im Umgehungsschutz der Hauptnorm begründet: Die Strafbarkeit desjenigen, der zwar nicht eigenhändig den Tatbestand eines Delikts verwirklicht, aber Tatherrschaft über das Geschehen hat und damit wertungsmäßig einem Tä-
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ter gleichsteht, soll durch die Zurechnung abgesichert werden. Dies lässt sich auch aus den Gesetzgebungsmaterialen entnehmen: „Im übrigen [sic] ist es auch sachgemäß und der Volksanschauung entsprechend, den mittelbaren Täter ebenso zu behandeln wie den unmittelbaren. Denn es darf keinen Unterschied machen, ob sich jemand einer Sache oder eines Menschen bedient, um eine Straftat zu begehen. Wer sich in diebischer Absicht eine fremde Sache durch ein Kind zutragen läßt [sic], ist ebensogut ein Dieb, wie wenn er die Sache mit eigener Hand weggenommen, sie mit einem Haken aus einem Behältnis herausgenommen hätte oder sie sich durch einen Hund hätte bringen lassen.“180
Für eine Zurechnung spricht die Herrschaft des Täters über das Geschehen. Hat der Täter den Vordermann „in der Hand“, und nur dies versuchen die vorgenannten Kriterien und Fallgruppen darzustellen, und bewegt er ihn dann zu einem Handeln, so soll ihm dies zugerechnet werden. Der Täter handelt sprichwörtlich durch ein Werkzeug. Die genaue Begründung der Herrschaft lässt sich unterschiedlich bewerkstelligen. Es kann zum einen Tatherrschaft durch die beim Vordermann bestehenden Defekte konstruiert werden. Zum anderen ist aber auch eine Tatherrschaft losgelöst von Defekten denkbar. Beide Wege können die Fallgruppe des volldeliktischen Vordermanns konsistent erklären. Eine Möglichkeit besteht darin, davon ausgehen, dass der Vordermann stets, auch in der Täter-hinter-dem-Täter-Fallgruppe, ein Defizit aufweist. Er ist nicht „frei“ in seiner Entscheidung, er ist ein „Werkzeug“ mit „Defekt“. Die freie Entscheidung wird entweder durch Irrtum, Zwang oder Machtstrukturen getrübt.181 Eine freie, selbstbestimmte Entscheidung liegt damit nicht beim Vordermann, dagegen beim Hintermann vor. Das, was der Vordermann als malus aufweist, liegt beim Hintermann als bonus vor. Nimmt man die freie, selbstbestimmte Entscheidung als Grundlage des Verantwortungsprinzips, dann führen die Defizite bei einem weiteren Verständnis der an sich freien Entscheidung dazu, dass keine Selbstverantwortung vorliegt. Ohne Selbstverantwortung entfällt aber auch eines der stärksten Argumente gegen eine Zurechnung. Nach dieser Ansicht liegen zwar ebenfalls „Defekte“ vor, diese lassen aber bereits auf Ebene der an sich freien Handlung eine Selbstverantwortung entfallen. Die „unfreien“ Handlungen des Werkzeugs sind nach einer derartigen Lesart gewöhnliche zuzurechnende Kausalzusammenhänge im Lichte einer Zurechnung von Ursache und Wir-
180
BT-Drs. IV/650, S. 149. Zu den Anforderungen an die freie Entscheidung siehe nur Hruschka, ZStW 110 (1998), 581, 599 ff. Demnach wäre die Zurechnungsfähigkeit oder Irrtumsfreiheit notwendige Bedingung für eine freie Entscheidung. 181
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kung182 wie bei der objektiven Zurechnung183. Auch die Fallgruppe des Täters hinter dem Täter kennt danach ein Defekt auf selbstverantwortliches Handeln durch autoritäre Herrschafts- und Machtstrukturen. Dort, wo der Einzelne nur ein kleines „Rädchen“ in einem ganzen Uhrwerk des Unrechts ist, kann er keine freie Entscheidung mehr treffen. Allerdings läuft diese Konstruktion Gefahr, auf an sich nicht relevante Reserveursachen abzustellen. Die vereinfachende Aus sage, auf den Einzelnen käme es ja nicht an, weil er nur ein kleines Werkzeug in der Hierarchie ist und die Tat auch ohne ihn zur Vollendung gekommen wäre, kann daher nicht überzeugen. Es steht nicht die Frage nach der Herauslösung des Werkzeugs aus der Kausalkette im Raum, sondern die Frage, ob in Anbetracht der Machtstrukturen überhaupt noch ein freier Wille in die Tat umgesetzt werden kann. Dies erscheint jedenfalls deshalb sachgerecht, weil so zum einen die Fallgruppe des volldeliktischen Werkzeugs erfasst werden kann, zum anderen eine Verbindung mit den Zurechnungsproblemen bei der objektiven Zurechnung hergestellt wird. Auch hier kommt es zur Zurechnungsunterbrechung auf das Dazwischentreten eines frei verantwortlich Handelnden an, nicht relevant ist, ob das Handeln vorsätzlich oder volldeliktisch erfolgt. Denkbar ist als zweite Variante eine Konzentration auf die Ausgestaltung des notwendigen Herrschaftsverhältnisses. Wenn ein entsprechend starkes Herrschaftsverhältnis besteht, kann auch der Vordermann volldeliktisch und ohne Defekt handeln. Entscheidendes Merkmal, welches die Tatherrschaft konstituiert, wäre eine Subordination. Die Tatherrschaft ergibt sich nach einer solchen Lesart aus der überlegenen Stellung des Hintermanns und weniger aus den Defekten des Vordermanns. Unter Umständen sind auch keine Defekte erforderlich, wenn die Überlegenheit des Hintermanns sich aus anderen Gründen ergibt. Genau dies ist bei den organisierten Machtapparaten der Fall. Hier liegt höchstens ein Freiverantwortlichkeitsdefizit aber kein Strafbarkeitsdefizit vor, die Übermacht ergibt sich aber aus den äußeren Umständen. Ob der Vordermann von der Unterordnung weiß, ist unerheblich. Die Fälle unwissender Subordination sind die Fälle der Irrtumsherrschaft. Volle Kenntnis des Herrschaftsverhältnisses liegt bei der Nötigungsherrschaft und der Herrschaft kraft organisierter Machtapparate vor. Auf die Kenntnis des Vordermanns kommt es folglich nicht an, der Hintermann hat aber durch die – hier nicht weiter thematisierten – Anforderungen an den Vorsatz auch in Bezug auf die Herrschaft entweder sichere Kenntnis oder erkennt jedenfalls die Möglichkeit der Herrschaftslage.
182 183
Ders., ZStW 110 (1998), 581, 599. Siehe etwa von der Meden, JuS 2015, 22.
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Aspekte der Herrschaftsbegründung sind damit die Ausnutzung eines Defekts eines anderen und gegebenenfalls die Konstruktion eines Eigenverantwortlichkeitsdefizits beim Tatmittler, aber auch die überlegene Stellung des mittelbaren Täters an sich. Beide Varianten begründen das bestehende Gefälle zwischen den beiden Personen durch unterschiedliche Herangehensweisen: Die Herausstellung von Defiziten entwertet die Eigenverantwortlichkeit des Tatmittlers, die Begründung über die überlegene Stellung des mittelbaren Täters setzt an der besonderen Herrschaftsstellung an und kann dabei Defizite außer Betracht lassen. Auffällig bei der Fallgruppe der organisierten Machtapparate ist jedenfalls, dass es sich allem Anschein nach um eine rechtliche, nicht zwangsläufig tatsächliche Beherrschung handelt. Diese Erweiterung öffnet der mittelbaren Täterschaft somit eine neue Entwicklungsperspektive in hierarchischen Strukturen. Verallgemeinernd ergibt sich damit, dass das für die Zurechnung notwendige Beherrschungsverhältnis nicht nur aufgrund tatsächlichen, sondern auch aufgrund rechtlichen Zwangs denkbar ist. Bisher augenscheinlich nicht näher vorgebracht, wenngleich der gesetzgeberischen Intention entsprechend, ist das Gleichstellungsargument: Der Täter, der einen anderen als Werkzeug einsetzt, um damit Handlungen vorzunehmen, soll nicht bessergestellt werden als derjenige, der die Handlungen selbst durchführt. Der planvoll-manipulativ handelnde und beherrschende Täter wird sogar tendenziell der gefährlichere Täter sein. Für eine Zurechnung lässt sich auch der Wille des Hintermannes ins Feld führen, schließlich bezieht sich sein Vorsatz nicht nur auf seine eigene Handlung, sondern auch auf das Handeln des Werkzeugs und die Tatherrschaft.184 Gegen die Zurechnung spricht, wie bereits erwähnt, die Selbstverantwortung. Wenn Dritte in den Kausalverlauf eintreten, dann unterbrechen sie grundsätzlich die Verantwortung. Die mittelbare Täterschaft stellt – ebenso wie die Mittäterschaft – aber für diesen Fall Voraussetzungen auf, in denen diese an sich bestehende Begrenzung der Verantwortlichkeit überwunden werden kann. Die Beherrschung (mittelbare Täterschaft) oder Absprache oder Arbeitsteilung (Mittäterschaft) können die Verantwortungsbereiche der Dazwischentretenden überwinden. Die Selbstverantwortung des Werkzeugs besteht nicht erst dann, wenn das Werkzeug sich selbst strafbar macht, denn in beinahe allen Fallgruppen ist auch der Vordermann strafbar. Bei den Irrtümern steht zumeist eine fahrlässige Strafbarkeit im Raum. Verstünde man also Selbstverantwortlichkeit im Sinne irgendeiner Strafbarkeit, dann könnte es die mittelbare Täterschaft nicht geben. Somit kommt es gemeinhin lediglich auf ein „Strafbarkeitsdefizit“ an. Diese Konstruk184
Nachweise bei Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 682021, § 25 Rn. 6 ff.
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tion erfasst alle Fälle bis auf die umstrittene des „Täters-hinter-dem-Täter“. Denkbar ist, wie oben bereits angedeutet, statt auf die Strafbarkeit oder das Strafbarkeitsdefizit auf die Freiverantwortlichkeit abzuheben. So kann auch ein Defekt des Vordermanns bei volldeliktischem Handeln konstruiert werden. Zusammenfassend ergibt sich danach folgendes Bild: Das Selbstverantwortungsprinzip spricht zunächst gegen eine Zurechnung fremden Handelns. Die mittelbare Täterschaft durchbricht diese Grundregel und begründet eine Zurechnung aufgrund der Herrschaft der einen über die andere Person durch überlegene rechtliche oder tatsächliche Stellung oder eines ausgenutzten Defekts. Die Selbstverantwortung des Vordermanns endet bei fehlender freier Entscheidungsfähigkeit oder durch ein rechtliches oder tatsächliches Beherrschungsverhältnis.
C. Zurechnung im Zivilrecht Für das Zivilrecht besteht eine kaum zu überblickende Anzahl an Zurechnungsproblemen. Umso schwieriger fällt die Auswahl der hier zu analysierenden Zurechnungsbeispiele. Geleitet von der Prämisse, möglichst verallgemeinerungs fähige Beobachtungen zusammenzutragen, soll das Augenmerk vor allem auf Grundlagenprobleme gelenkt werden. Neben einer Untersuchung der gewillkürten Stellvertretung (§ 164 BGB) sollen die Anscheins- und Duldungsvollmacht ebenso thematisiert werden wie die Haftungszurechnung aus § 278 BGB, die Besitzdienerschaft aus § 855 BGB sowie die Figur des mittelbaren Besitzers gemäß § 868 BGB.
I. Stellvertretung 1. Allgemeine Bemerkungen zur Stellvertretung Bei der Stellvertretung geht es um die Zuordnung einer vom Vertreter abgegebenen oder empfangenen Willenserklärung zum Vertretenen und damit um eine Zurechnungsoperation.185 Gesetzlicher Anknüpfungspunkt der Stellvertretung ist zunächst § 164 Abs. 1 S. 1 BGB. Dieser lautet: „Eine Willenserklärung, die jemand innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgibt, wirkt unmittelbar für und gegen den Vertretenen.“ 185
So etwa Oldenbourg, Die Wissenszurechnung, 1934, S. 14 f.; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 112016, Rn. 882; Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 4 2016, Rn. 1289.
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Daraus ergibt sich grundsätzlich ein Drei-Personen-Verhältnis. Auf der einen Seite steht der Vertretene, also der „Hintermann“, er setzt einen „Vordermann“, den Vertreter, ein, der eine Willenserklärung an einen Dritten abgibt. § 164 Abs. 1 S. 1 BGB ordnet nun die Erstreckung der Rechtsfolgen der abgegebenen Willenserklärung auf den Hintermann, die „Wirkung für und gegen den Vertretenen“ an, obgleich dieser die Willenserklärung nicht selbst abgibt. Diese Konstellation wird, in Anknüpfung an den Wortlaut des Gesetzes, unmittelbare oder direkte Stellvertretung genannt.186 Der andere Fall, die mittelbare Stellvertretung187, liegt dann vor, wenn die Rechtswirkungen nicht eo ipso beim Hintermann, sondern zunächst beim Vordermann eintreten und dann eine weitere Übertragung zwischen Vorder- und Hintermann stattfinden muss. Die mittelbare Stellvertretung ist im Gesetz nicht geregelt188 und auch kein Fall der Stellvertretung im Rechtssinne189. Die Idee der unmittelbaren Stellvertretung, also die unmittelbare Erstreckung der Rechtsfolgen des Handelns des Vertreters auf den Vertretenen ohne zwischenzeitliche Wirkungen beim Vertreter, lässt sich noch als vergleichsweise jung bezeichnen.190 Das römische Recht kannte ein entsprechendes Institut nicht, hier galt der Grundsatz, dass sich jede Person grundsätzlich nur selbst verpflichten konnte, alteri stipulari nemo potest191. Eine mittelbare Stellvertretung und auch Ausnahmen waren allerdings denkbar.192 Den wirklichen Durchbruch193 markierte in Deutschland das ADHGB, welches die unmittelbare Stellvertretung
186
Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 112016, Rn. 883; Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch I, 1899, S. 475. 187 Den Begriff nutzt bereits Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch I, 1899, S. 476. 188 Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 42016, Rn. 1309; Faust, Bürgerliches Gesetzbuch Allgemeiner Teil, 72021, § 24 Rn. 6; für eine Regelung sah man historisch kein Bedürfnis, siehe Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch I, 1899, S. 476. 189 Siehe bereits von Gierke, Deutsches Privatrecht, 32010, S. 298. 190 Vgl. Schmoeckel, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, 2003, §§ 164–181 Rn. 4. 191 Ulp. D 45, 1, 38, 17. Übersetzt etwa: Niemand kann einen anderen verpflichten. Siehe zur Ausgestaltung im römischen Recht auch Huber, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.12.2018, § 164 Rn. 7; Schmoeckel, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, 2003, §§ 164–181 Rn. 3. 192 Schubert, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 164 Rn. 4. 193 Von einem „juristischen Wunder“ spricht etwa Rabel, zitiert nach Schmoeckel, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, 2003, §§ 164–181 Rn. 4.
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unter anderem in Form der Prokura erstmals gesetzlich niederlegte194 und die mittelbare Stellvertretung zurückdrängte195. Die erste Erwähnung der unmittelbaren Stellvertretung im ADHGB ist indes kein Zufall. Das Konzept der unmittelbaren Stellvertretung kommt dem Verlangen nach Arbeitsteilung in der modernen Wirtschaft nach.196 Arbeitsteilung ermöglicht Spezialisierung. Nicht jeder soll sich im Wirtschaftsverkehr um alle Aspekte des Betriebes kümmern müssen, sondern sich auch Dritter bedienen können, um den eigenen Wirkungsbereich zu erweitern.197 Die Vertretung ist somit „in einer entwickelten Gesellschaft unentbehrlich“198. Auch in den Motiven des BGB wird die Vornahme von Rechtsgeschäften durch Vertreter als „unabweisbares Bedürfnis“199 bezeichnet. Es lassen sich zwei Arten der Stellvertretung unterscheiden, die gesetzliche und die gewillkürte.200 Bei der gewillkürten Stellvertretung wird die Vertretungsmacht auf rechtsgeschäftlichem Wege erteilt (durch Vollmacht, § 166 Abs. 2 S. 1 BGB). Die gesetzliche Vertretungsmacht ergibt sich dagegen durch Gesetz, etwa bei § 1629 Abs. 1 S. 1 BGB bei der Vertretungsmacht der Eltern für das minderjährige Kind oder bei der Vertretung einer juristischen Person durch Organe, § 26 Abs. 1 S. 2 BGB.201 Typischerweise entfaltet die gesetzliche Vertretung eine Schutzfunktion zugunsten des Vertretenen oder macht die vertretene Person erst handlungsfähig.202 Die §§ 164 ff. BGB gelten für beide Arten der Stellvertretung.203 Im Folgenden soll indes nur die gewillkürte Stellvertretung Gegenstand der Analyse sein. 194
Schubert, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 164 Rn. 6; zur geschichtlichen Entwicklung umfassend Schilken, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2019, Vorbemerkungen zu §§ 164 ff. Rn. 3 ff. 195 Vgl. Schmoeckel, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, 2003, §§ 164–181 Rn. 9. 196 Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 112016, Rn. 881; Maier-Reimer/Finkenauer, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 16 2020, Vorbemerkung vor § 164 Rn. 1. 197 Schilken, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2019, Vorbemerkungen zu §§ 164 ff. Rn. 1. 198 Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 442020, § 11 Rn. 1. 199 Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch I, 1899, S. 475. 200 Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 442020, § 11 Rn. 2; Schilken, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2019, Vorbemerkungen zu §§ 164 ff. Rn. 21. 201 Vgl. die Beispiele bei Schäfer, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 164 Rn. 2; Huber, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.12.2018, § 164 Rn. 1. 202 Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 442020, § 11 Rn. 2. Zahlreiche Beispiele gesetzlicher Vertretung bei Huber, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.12.2018, § 164 Rn. 17.1 f. 203 Siehe Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch I, 1899, S. 475;
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Die Vertretung kann in aktiver wie in passiver Hinsicht erfolgen. Bei einer Aktivvertretung werden Erklärungen für den Vertretenen abgegeben, bei der Passivvertretung Erklärungen für den Vertretenen angenommen.204 Zugerechnet werden dem Wortlaut nach offenbar nur Willenserklärungen, keine Rechtsfolgen und auch kein Verhalten.205 Der Vertretene wird so gestellt, als ob er die Willenserklärung selbst abgegeben oder empfangen hätte. Angewendet wird § 164 BGB darüber hinaus auch auf rechtsgeschäftsähnliche Handlungen.206 Anders als bei der Stellvertretung wird bei der Botenschaft keine aus Sicht des Geschäftsherrn fremde Willenserklärung zugerechnet, es wird die Willenserklärung des Geschäftsherrn durch den Boten schlicht transportiert und überbracht. Zugerechnet wird damit nicht die Willenserklärung, dabei handelt es sich ja weiterhin um die „eigene“ des Geschäftsherrn, sondern die Handlung des Boten207, nämlich – untechnisch gesprochen – die Überbringung an den Empfänger. Hier zeigt sich, dass die häufig anzutreffende Bestimmung der Zurechnung als die der „Rechtsfolgen“ oder „Wirkungen“208 der Willenserklärung an seine Grenzen stößt: Denn auch bei der Botenschaft treten die Rechtsfolgen der Überbringung bei dem Hintermann ein, genau wie bei der Stellvertretung.209 Dennoch ist der Zurechnungsgegenstand ein anderer. § 164 Abs. 1 BGB ordnet nicht an, dass die Rechtsfolgen oder Wirkungen den Vertretenen treffen, § 164 Abs. 1 BGB enthält zu möglichen Rechtsfolgen keine näheren Angaben, sondern bestimmt sinngemäß, dass die Willenserklärung als vom Vertretenen abgegeben zählen soll. Für die Zurechnung von Verhalten oder Besitz existieren teilweise Sondervorschriften, etwa die §§ 278, 31 BGB für Verhalten und § 855 BGB für die Sachherrschaft.
Darstellung der Diskussion bei Schilken, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2019, Vorbemerkungen zu §§ 164 ff. Rn. 21. 204 Huber, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.12.2018, § 164 Rn. 4; Schilken, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2019, Vorbemerkungen zu §§ 164 ff. Rn. 19. 205 So jedenfalls Huber, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.12.2018, § 164 Rn. 5; Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 42016, Rn. 1289. 206 Schubert, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 164 Rn. 3; Köhler, BGB Allgemeiner Teil, 442020, § 11 Rn. 7. 207 Vgl. nur Schubert, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 164 Rn. 73. 208 Missverständlich z. B. Huber, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.12.2018, § 164 Rn. 1, 41. 209 Vgl. Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 42016, Rn. 1305.
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2. Voraussetzungen der Stellvertretung Für die Anwendung des § 164 Abs. 1 BGB werden in der Regel vier Voraussetzungen genannt. Zunächst müsste die Stellvertretung zulässig sein (1.) und vom Vertreter eine eigene Willenserklärung abgegeben werden (2.). Daneben bedarf es eines Handelns im Namen des Vertretenen (3.) und die Handlungen des Vertreters müssen sich im Rahmen der Vertretungsmacht halten (4.). Die Stellvertretung kann grundsätzlich bei allen denkbaren Rechtsgeschäften zum Einsatz kommen.210 Ausgeschlossen ist die Stellvertretung, wenn das Gesetz dies ausdrücklich anordnet oder bei höchstpersönlichen Rechtsgeschäften.211 Die Abgabe einer eigenen Willenserklärung durch den Vertretenen soll die Abgrenzung zur Botenschaft gewährleisten.212 Da der Bote nur eine fremde Willenserklärung transportiert, liegt bei einer eigenen Willenserklärung keine Botenschaft vor. Die Differenzierung, ob eine eigene oder fremde Willenserklärung abgegeben wird, erfolgt gemeinhin über das Merkmal des Entscheidungsspielraums:213 Hat der Vordermann einen Entscheidungsspielraum, so kann er nicht lediglich Überbringer einer fremden Erklärung sein, sondern er hat eigene Entscheidungsgewalt. Denkbar ist aber auch ein weisungsgebundener Vertreter, wie § 166 Abs. 2 BGB zeigt. Somit sind Weisungen allein nicht das ausschlaggebende Kriterium.214 Die Abgrenzung erfolgt aufgrund einer Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers.215 Des Weiteren bedarf es eines Handelns „in fremden Namen“. In dieser Voraussetzung kommt das Offenkundigkeitsprinzip216 zum Ausdruck. Der Erklärungsempfänger soll wissen, wer sein eigentlicher Geschäftspartner ist. Die Abgabe der Willenserklärung kann ausdrücklich (§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB), aber auch konkludent im fremden Namen erfolgen, § 164 Abs. 1 S. 2 BGB. Maßgeblich bei der 210 Vgl. Maier-Reimer/Finkenauer, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, Vorbemerkung vor § 164 Rn. 31. 211 Faust, Bürgerliches Gesetzbuch Allgemeiner Teil, 72021, § 24 Rn. 7; Beispiele bei Huber, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.12.2018, § 164 Rn. 35.1. 212 Faust, Bürgerliches Gesetzbuch Allgemeiner Teil, 72021, § 24 Rn. 3. 213 So bereits Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch I, 1899, S. 476. 214 Maier-Reimer/Finkenauer, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, Vorbemerkung vor § 164 Rn. 24. 215 Vgl. BAG NJW 2009, 1234, 1244; siehe Huber, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.12.2018, § 164 Rn. 42 f. 216 Kritisch zum Begriff Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 42016, Rn. 1379, da sich das Handeln in fremden Namen bereits nach § 164 Abs. 1 S. 2 BGB nicht nur ausdrücklich, sondern auch durch Auslegung ergeben kann. Zustimmend Faust, Bürgerliches Gesetzbuch Allgemeiner Teil, 72021, § 25 Rn. 1.
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Beurteilung, ob die Willenserklärung im fremden oder eigenen Namen abgegeben wird, ist der objektive Empfängerhorizont.217 Bei der Beurteilung spielen die Interessenlage, die Verkehrssitte, sowie Ort und Zeit eine Rolle.218 Durchbrochen wird das Offenkundigkeitsprinzip in der Fallgestaltung des sogenannten Geschäfts für den, den es angeht.219 Offenbart der Geschäftsführer, dass er für einen anderen handelt, will er aber die konkrete Identität nicht benennen, dann liegt ein sogenanntes offenes Geschäft für den, den es angeht, vor, bei einem verdeckten Geschäft für den, den es angeht, gibt der Geschäftsführer dagegen nicht zu erkennen, dass er für einen anderen handelt und die Rechtsfolgen nicht bei ihm eintreten sollen.220 Im Falle des offenen Geschäfts für den, den es angeht, ist der Geschäftspartner regelmäßig nicht schutzwürdig, da er von der Fremdgeschäftsführung weiß, sie aber ohne Benennung des Hintermanns akzeptiert. Verzichtet er auf den aus dem Offenkundigkeitsprinzip folgenden Schutz, steht einer Anwendung der §§ 164 ff. BGB nichts im Wege. Von demselben argumentativen Standpunkt aus wird auch der Fall behandelt, wenn die Person des Geschäftspartners für den Dritten unerheblich ist, etwa bei Geschäften des täglichen Lebens.221 Damit genügt zur Wahrung der Offenkundigkeit aufgrund der Interessenlage die Erklärung, dass im
217 Für die Rechtsprechung BGHZ 36, 30, 33; BGH NJW 2000, 3344, 3345. Schäfer, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 164 Rn. 21; Schilken, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2019, § 164 Rn. 1. 218 Vgl. BGH NJW 1980, 2192; NJW-RR 1988, 475, 476; Schubert, in: Säcker/Rixecker/ Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 164 Rn. 112; Schäfer, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 164 Rn. 24. Zur Erweiterung durch das sog. „unternehmensbezogene Geschäft“ siehe Schilken, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2019, § 164 Rn. 1a; Schmoeckel, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, 2003, §§ 164–181 Rn. 13; Ellenberger, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 164 Rn. 2; Maier-Reimer/Finkenauer, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 164 Rn. 7. 219 Erstmals Cohn, Rechtsgeschäftliches Handeln für denjenigen, den es angeht, 1931; Eichler, Die Vertretung für denjenigen, den es angeht, 1931; siehe dazu auch Schmoeckel, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, 2003, §§ 164–181 Rn. 12. 220 Vgl. Schubert, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 164 Rn. 126; siehe auch Maier-Reimer/Finkenauer, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 164 Rn. 14. 221 Erstmals RGZ 67, 148, 149; Schubert, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 164 Rn. 127; Schmoeckel, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, 2003, §§ 164–181 Rn. 12.
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Namen eines anderen gehandelt wird; unerheblich ist, in wessen Namen gehandelt wird.222 Das verdeckte Geschäft für den, den es angeht, soll nach überwiegender Ansicht auch dann als unmittelbare und nicht als mittelbare Stellvertretung betrachtet werden, wenn dem Geschäftspartner gleichgültig ist, mit wem er kontrahiert, etwa bei Bargeschäften des täglichen Lebens, die sofort erfüllt werden.223 Der strenge Schutz des Offenkundigkeitsgrundsatzes entspricht hier nicht der Interessenlage.224 Zuletzt muss sich der Vertreter im Rahmen der ihm eingeräumten Vertretungsmacht225 halten. Die Vertretungsmacht ist die Legitimation, durch Handeln im fremden Namen für diesen anderen Rechtsfolgen auszulösen.226 Die Reichweite der Vertretungsmacht ergibt sich, je nach Ausgestaltung, aus der gesetzlichen Anordnung der Vertretungsmacht oder der rechtsgeschäftlichen Vollmacht, § 166 Abs. 2 S. 1 BGB. Für den Umfang der Vollmacht ist der entäußerte Wille des Vollmachtgebers entscheidend, in Zweifelsfällen kommt auch hier die Auslegung der Erklärung nach dem Empfängerhorizont zum Tragen.227 Schließt ein Vertreter außerhalb seiner Vertretungsmacht einen Vertrag, so ist dieser schwebend unwirksam228 und hängt von einer Genehmigung durch den Vertretenen ab (§ 177 Abs. 1 BGB). Dies gilt auch dann, wenn der Handelnde
222 Aus der Rechtsprechung bereits RGZ 140, 335, 338; siehe auch BGH MDR 1993, 852; Faust, Bürgerliches Gesetzbuch Allgemeiner Teil, 72021, § 25 Rn. 4; Schilken, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2019, Vorbemerkungen zu §§ 164 ff. Rn. 35a. 223 Faust, Bürgerliches Gesetzbuch Allgemeiner Teil, 72021, § 25 Rn. 10; Ellenberger, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 164 Rn. 8; Schubert, in: Säcker/Rixecker/ Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 164 Rn. 132. 224 Schubert, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 164 Rn. 129 ff. 225 Zur Abgrenzung von Vertretungs- und Verfügungsmacht Faust, Bürgerliches Gesetzbuch Allgemeiner Teil, 72021, § 26 Rn. 2. 226 Vgl. Schubert, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 164 Rn. 182; Schilken, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2019, Vorbemerkungen zu §§ 164 ff. Rn. 17. 227 Schäfer, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 167 Rn. 24; Schubert, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 167 Rn. 56; Schmoeckel, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, 2003, §§ 164–181 Rn. 18. Vgl. auch BGH BeckRS 2013, 17937; 2016, 14500. 228 Siehe mit weiteren Nachweisen Schubert, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 177 Rn. 20 f.; Schäfer, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 177 Rn. 18.
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unter falschem Namen handelt und beim Geschäftspartner eine unrichtige Identitätsvorstellung hervorruft.229 3. Auswertung a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition Der Zurechnungsadressat ist der Vertretene. Zurückzukommen ist auf die Bestimmung des Zurechnungsgegenstandes. Oben wurde zunächst dargestellt, dass nicht die Rechtsfolgen oder Wirkungen zugerechnet werden, sondern der Wortlaut des § 164 Abs. 1 BGB auf die Zurechnung von Willenserklärungen abzielt. Nicht Verhalten oder Besitz, so die überwiegende Ansicht, sondern lediglich die Willenserklärung des Vertreters wird zugerechnet.230 Diese strikte Trennung in eine Zurechnung der Willenserklärung und eine Ablehnung jeglicher Verhaltenszurechnung durch § 164 Abs. 1 BGB lässt sich indes nicht durchhalten. Bleibt man beim Wortlaut des § 164 Abs. 1 S. 1 BGB, so soll eine fremde Willenserklärung, die abgegeben wird, Wirkungen für und gegen den Vertretenen entfalten. Dies spricht zunächst einmal für eine Zurechnung (nur) der Willenserklärung als solche, schließlich würde der Hintermann so gestellt, als ob er eine eigene Willenserklärung abgegeben hätte. Die fremde Erklärung würde so gezählt, als sei sie eine eigene. Bei der Stellvertretung geht es also treffend in erster Linie um die Zurechnung von Willenserklärungen. § 164 BGB hat, wie oben ausgeführt, zwei Fälle vor Augen: Die aktive Stellvertretung ist die Abgabe (§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB), die passive Stellvertretung der Empfang (§ 164 Abs. 3 BGB) von Willenserklärungen durch den oder bei dem Vertreter. 229 Maier-Reimer/Finkenauer, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 164 Rn. 12; Ulrici, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 2021, § 177 Rn. 101; Schäfer, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 58 01.05.2021, § 177 Rn. 14; Ellenberger, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 164 Rn. 10 f. 230 Von einer Zurechnung von Willenserklärungen sprechen etwa Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 42016, Rn. 1289; Adler, Wissen und Wissenszurechnung, insbesondere bei arbeitsteilig aufgebauten Organisationen, 1997, S. 17, von einer Zurechnung von rechtsgeschäftlichen Handlungen Schubert, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 164 Rn. 1. Von einer Zurechnung der Abgabe und des Empfangs von Willenserklärungen sprechen dagegen Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 112016, Rn. 822; Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 442020, § 23 Rn. 6; Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und bankrechtliche Aufklärungspflichten, 2017, S. 25. Ähnlich wohl Schilken, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2019, Vorbemerkungen zu §§ 164 ff. Rn. 1 f.
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Eine Rolle spielt die Unterscheidung, da nach grundlegender Konzeption eine Willenserklärung ihre Wirksamkeit erst durch Abgabe und – sofern sie empfangsbedürftig ist – Zugang entfaltet.231 Die Abgabe ist für die Wirksamkeit einer Willenserklärung stets notwendige Voraussetzung. Der Zugang ist jedenfalls bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen Voraussetzung für ihre Wirksamkeit, wie § 130 Abs. 1 BGB veranschaulicht. Gehören nun Abgabe und Zugang zur Wirksamkeit der Willenserklärung, dann muss sich die Zurechnung sinnvollerweise auch auf sie erstrecken: Abgabe und Zugang lassen sich nur in Bezug auf die Willenserklärung auffinden, also nur beim Vertreter. Für das Bewerkstelligen einer wirksamen Willenserklärung ist dieser verantwortlich. Er beherrscht durch seinen Entscheidungsspielraum nicht nur den Inhalt der Willenserklärung, sondern rein faktisch durch sein Handeln auch die Abgabe und den Zugang der Willenserklärung. Er muss, um eine (empfangsbedürftige) Willenserklärung nach den allgemeinen Regeln wirksam abzugeben, sie dergestalt auf den Weg in Richtung des Empfängers bringen, dass unter regelmäßigen Umständen mit Kenntnisnahme zu rechnen ist.232 Zugegangen ist eine Willenserklärung, wenn sie dergestalt in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass unter regelmäßigen Umständen mit einer Kenntnisnahme zu rechnen ist.233 Rechtswirkungen kann eine Willenserklärung zwischen Geschäftspartner und dem Vertretenen nur dann entfalten, wenn sie wirksam wird. Dafür ist es notwendig, dass die Willenserklärung des Vertreters die allgemeinen Voraussetzungen von Abgabe und gegebenenfalls Zugang erfüllt. Die ordnungsgemäße Abgabe durch den Vertreter kann der Vertretene als eigene ordnungsgemäße Abgabe dem Geschäftspartner entgegenhalten. Die Abgabe und der Zugang sind daher auch über § 164 BGB zuzurechnen. Die Abgabe als das „Auf-den-Weg-Bringen“ der Willenserklärung ist selbst Verhalten, nämlich etwa das Einwerfen eines Briefes in einen Briefkasten. Auch diese Handlung gehört in den Zurechnungszusammenhang. Sie wird über § 164 Abs. 1 S. 1 BGB dem Vertretenen im Falle der aktiven Stellvertretung zugerechnet. Zurechnungsgegenstand der Stellvertretung ist damit nicht nur die Willenserklärung, sondern auch das Verhalten, welches zur Abgabe der Willenserklärung notwendig ist. Zurechnungsgegenstand bei § 164 Abs. 1 BGB ist damit die Ab231
Siehe nur Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 442020, § 7 Rn. 9. Zu den allgemeinen Anforderungen Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 442020, § 7 Rn. 3; Einsele, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 130 Rn. 13. 233 Einsele, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 130 Rn. 16 m. w. N. 232
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gabe der Willenserklärung234. Nach § 164 Abs. 3 BGB wird demgemäß das „passive Verhalten“, also die Entgegennahme des Empfangsvertreters zugerechnet235. Hauptnorm ist jede denkbare Regelung, die eine Willenserklärung erfordert, hier kann grundsätzlich eine Zurechnung über Stellvertretung stattfinden. Zurechnungsnorm ist § 164 Abs. 1 BGB. b) Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung Bei der Stellvertretung handelt es sich um eine geschriebene Zurechnung, da mit § 164 BGB eine Zurechnungsnorm existiert. Die Norm ist auch vollkommen, da alle vier Voraussetzungen in § 164 Abs. 1 S. 1 BGB angelegt sind. c) Eigen- oder Fremdzurechnung Bei der Stellvertretung handelt es sich um die Zurechnung der Abgabe oder des Empfangs einer fremden Willenserklärung, somit um eine Zurechnung durch ein anderes Subjekt erfüllter Merkmale und folglich um eine Fremdzurechnung. d) Zurechnungskriterien Die Voraussetzungen der Stellvertretung sind die Kriterien der Zurechnung. Es darf sich um keine höchstpersönlichen Geschäfte handeln oder solche, bei denen eine Stellvertretung von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist. Es muss die Abgabe einer eigenen Willenserklärung durch den Vertreter vorliegen und nicht nur die Überbringung einer fremden Willenserklärung des Vertretenen vorliegen. Die Abgabe der Willenserklärung muss in fremden Namen geschehen, das Handeln für den Hintermann also ausdrücklich oder konkludent offengelegt werden. Die abgegebene Willenserklärung muss sich im Rahmen der rechtsgeschäftlich erteilten oder gesetzlich vorgesehenen Vertretungsmacht halten. e) Zurechnungsgründe Der Verantwortungszusammenhang zwischen Zurechnungsgegenstand – der Abgabe der Willenserklärung – und Zurechnungsadressat, also dem Vertretenen, 234
Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 442020, § 23 Rn. 6; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 112016, Rn. 822; Faßbender, Innerbetriebliches Wissen und bankrechtliche Aufklärungspflichten, 2017, S. 25; ähnlich Schilken, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2019, Vorbemerkungen zu §§ 164 ff. Rn. 1 f.; in diese Richtung wohl auch Oldenbourg, Die Wissenszurechnung, 1934, S. 14 f.: Danach unterliegt bei § 164 Abs. 1 BGB ein „Willensakt“ der Zurechnung, welcher verkörpert wird durch Begriffsäußerungen und Worte, also auch Verhalten. 235 Oldenbourg, Die Wissenszurechnung, 1934, S. 15.
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liegt im Falle der Stellvertretung zunächst einmal in der Fremdnützigkeit des Handelns. Die Willenserklärung gibt zwar der Vertreter ab, die Rechtswirkungen sollen aber den Vertretenen treffen. Die Willenserklärung wird „für“ jemand anderes abgegeben. Eine weitere Verbindung zwischen dem Vertretenen und der zugerechneten Abgabe der Willenserklärung liegt in der Vertretungsmacht. Kraft Gesetzes oder kraft Vollmachtserteilung soll der Vertreter für den Vertretenen handeln dürfen. Innerhalb der so gegebenen Rechtsmacht handelt der Vertreter; das Handeln des Vertreters ist also eine Spiegelung der rechtlichen Befugnis. Er handelt dabei letztendlich im Machtbereich des Vertretenen, der seinen Aktionsradius durch die Einschaltung des Vertreters ausgeweitet hat. Durch die Vertretungsmacht billigt der Vertretene ein Handeln des Vertreters in seinem Herrschaftsbereich und akzeptiert, sich die Abgabe von Willenserklärungen als eigene zurechnen zu lassen. Gerade bei der rechtsgeschäftlichen Erteilung von Vertretungsmacht, welche ein einseitiges Rechtsgeschäft ist, lässt sich die Einwirkungsmöglichkeit auf die freie, selbstbestimmte Entscheidung des Vertretenen zurückführen. Die ratio legis der Hauptnorm ist wegen der vielen denkbaren Hauptnormen hier nicht weiter von Belang. Sinn und Zweck der Zurechnungsnorm stimmen mit den Zurechnungsgründen überein. Der Begründungsaufwand der Zurechnung bei der Stellvertretung ist, jedenfalls was die Grundkonstellation der gewillkürten Stellvertretung angeht, vergleichsweise gering, denn bei der Stellvertretung liegt eine wesentliche Besonderheit vor: Vertretener und Vertreter wissen im Falle der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht von der Zurechnungsoperation, schließlich ist diese gesetzlich angeordnet, und beide wollen diese. Nicht nur eine Zusammenarbeit ist vereinbart, sondern auch die Zurechnung als solche ist letztendlich verabredet. Der Vertretene gibt seine Zustimmung jedenfalls konkludent mit der Vollmachtserteilung (in den Fällen der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht), der Vertreter jedenfalls konkludent, indem er die eingeräumte Rechtsmacht unter fremden Namen gebraucht. Sind sich aber beide darüber im Klaren, dass die Handlungen des einen Rechtswirkungen für den anderen zeitigen sollen, dann sind für die weitere Begründung keine größeren Anstrengungen vonnöten, denn für die Zurechnung liegt das beiderseitige Einverständnis vor und die Zurechnung lässt sich damit auf die Selbstbestimmung des Vertretenen zurückführen. Von dieser Besonderheit abgesehen lässt sich jedenfalls bei der Vollmacht wieder eine Absprache zwischen Vertretenem und Vertreter erkennen. Der Hintermann hat dem Vordermann vorher den Umfang der Vertretungsmacht aufgezeigt und der Vertreter gebraucht diese unter Offenlegung der Vertretersituation, was im Falle der gewillkürten Stellvertretung eine Absprache darstellt. Der Vertreter handelt nicht völlig frei, er handelt in einem vorgegebenen Rahmen.
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Der Vertreter besorgt ein fremdes Geschäft; das äußert er auch ausdrücklich oder konkludent. Daraus ergeben sich verschiedene Schlussfolgerungen: Der Vertreter handelt im Namen eines anderen und der Geschäftspartner ist damit einverstanden. Den Hintermann sollen dann auch die Rechtswirkungen desjenigen treffen, für den er handelt. Die Offenkundigkeit schützt damit den Rechtsverkehr und sorgt für klare Verhältnisse. Weiterhin ordnet sich der Vertreter mit der Offenbarung der Stellvertretung gegenüber dem Geschäftspartner dem Vertretenen unter. Er gibt zu erkennen, dass er nicht für sich, sondern für andere, also im Rahmen eines fremden Herrschaftsbereichs handelt. Er handelt nicht frei, sondern in einer wie auch immer begrenzten Rechtsmacht. Auch wenn diese Unterordnung in heutigen Kommentierungen wenig präsent ist, so ist sie doch historisch nachweisbar. Von Gierke etwa bezeichnet den Vertreter als „Willenswerkzeug des Vertretenen“, der in der „Persönlichkeitssphäre des Vertretenen“ handelt.236 Neben der dargestellten Subordination handelt der Vertreter innerhalb der durch den Vertretenen gegebenen Rechtsmacht. Der Hintermann hat rechtlich die Kontrolle, er kann die Rechtsmacht begrenzen und aufheben. Weil der Vertreter im Machtbereich und im Rechtskreis des Vertretenen handelt, denn dieser erweitert ja nach gemeiner Auffassung seinen Rechtskreis, kann der Vertretene das Handeln des Vertreters verhindern und ihn bei Bedarf „zurückrufen“. Dieser Gedanke lässt sich auch durch die Systematik des Stellvertretungsrechts stützen. Betrachtet man insbesondere die Wissenszurechnung des § 166 Abs. 1 und Abs. 2 BGB, dann kommt aufgrund des Repräsentationsprinzips grundsätzlich den Verhältnissen des Vertreters die maßgebliche Bedeutung zu. Indes lenkt § 166 Abs. 2 BGB den Blick wieder zurück auf den Vertretenen bei jenen Fallgestaltungen, in denen der Vertretene doch weit intensiver involviert ist als gewöhnlich und die Abgabe der Willenserklärung inhaltlich stärker steuert. Daraus lässt sich schlussfolgern: Je stärker der Vertretene durch das durch Weisungen gesteuerte Handeln des Vertreters in den Vordergrund tritt – und dann faktisch „selbst“ handelt – , desto stärker rückt er in die Verantwortung ein und kann sich nicht durch Einschaltung eines – dann stark weisungsabhängigen – Dritten entlasten. Wie gezeigt entspricht die Stellvertretung als solche auch den Anforderungen des Rechtsverkehrs. Durch die Stellvertretung wird die in modernen Wirtschaften notwendige Arbeitsteilung ermöglicht. Die Arbeitsteilung ist daneben aber auch ein materieller Zurechnungsgrund: Wer eigene Arbeiten auf mehrere Einheiten aufspaltet, muss möglicherweise für die Handlungen einstehen, als ob er
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von Gierke, Deutsches Privatrecht, 32010, S. 298.
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selbst gehandelt habe. Dieser Aspekt wird noch beim Erfüllungsgehilfen als zentraler Zurechnungsgrund weiterzuverfolgen sein. Bei der Figur der Stellvertretung ist die Ausrichtung der Zurechnung an den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs zu erkennen, was sich abstrakt als Erwägungen zur Schutzwürdigkeit oder zum Schutzzweck einordnen lässt. Insbesondere die oben ausführlicher besprochenen Ausnahmen des Offenkundigkeitsgrundsatzes durch das Geschäft für den, den es angeht, zeigen, dass die Zurechnung dort begrenzt werden soll, wo es der Schutzwürdigkeit dient. Hat der Geschäftspartner Kenntnis von der Vertretungssituation, ist er selbst dann nicht weiter schutzwürdig, wenn die Person des Vertretenen nicht ausdrücklich benannt wird. Daneben soll die Zurechnung stattfinden, wenn der Dritte schon in Bezug auf den Inhalt des Geschäfts kein besonders schützenswertes Interesse hat, die Identität des Hintermannes zu erfahren, etwa bei Bargeschäften des täglichen Lebens. Beide Gestaltungen zeigen, dass die Anforderungen an die Stellvertretung stets vom Schutzzweck und von der Schutzwürdigkeit her zu betrachten sind. Das zum Zwecke des Schutzes des Rechtsverkehrs erforderliche Offenkundigkeitsprinzip erfährt dadurch gewisse pragmatische Einschränkungen. Gegen die Zurechnung spricht augenscheinlich das Selbstverantwortungsprinzip in der Form, dass (nur) denjenigen die Rechtswirkungen treffen sollen, der die Handlungen vornimmt. Diese Selbstverantwortung wird aber durchbrochen durch absprachegemäßes Handeln Dritter. Auch im Falle der Stellvertretung ist das Handeln des Vertreters, sofern es sich im Rahmen der Vertretungsmacht bewegt, absprachegemäßes Handeln. Handelt der Vertreter außerhalb der Rechtsmacht, dann handelt er im Exzess und nicht mehr für den Vertretenen, sondern für sich. Eine Zurechnung wird durch Handeln entgegen der Vertretungsmacht durchbrochen. Zwar ordnet § 177 Abs. 1 BGB keine unbedingte, sondern nur eine schwebende Unwirksamkeit an, gebunden ist der Vertretene aber nicht mehr. Wird er zur Erklärung der Genehmigung aufgefordert, genügt auch beredtes Schweigen zur Herstellung endgültiger Unwirksamkeit, § 177 Abs. 2 BGB. Auch im Rahmen der Stellvertretung endet die Zurechnung grundsätzlich bei einer Handlung außerhalb der vorherigen „Verabredung“.
II. Rechtsscheinvollmachten 1. Allgemeine Bemerkungen zu den Rechtsscheinvollmachten Der Vertragsschluss eines Vertreters ohne Vertretungsmacht führt nach § 177 Abs. 1 BGB zu einem schwebend unwirksamen Vertrag, der von der Genehmigung des Vertretenen abhängt. Dennoch kennt die Rechtsordnung einige Fallge-
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staltungen, in denen auch Vertreterhandeln außerhalb der Rechtsmacht dem Vertreter zugerechnet wird. Hierzu zählen die sogenannten Rechtsscheinvollmachten. Sie dienen dem Schutz desjenigen, der in den Bestand der Vollmachten vertraut, regelmäßig also des Geschäftsgegners. §§ 170–173 BGB regeln einige Fälle, in denen aus einer zwar zuvor erteilten, tatsächlich aber nicht bestehenden Vollmacht ein Rechtsschein für die ordnungsgemäße Bevollmächtigung entsteht: § 170 BGB schützt den Geschäftspartner dadurch, dass eine ihm gegenüber erklärte Bevollmächtigung so lange gültig bleibt, bis das Erlöschen ihm gegenüber angezeigt wird. Auf das dem Geschäftsgegner unbekannte Innenverhältnis zwischen Vertreter und Vertretenen kommt es nicht an. Bei § 171 BGB muss der Widerruf der Vollmacht ebenso kundgegeben werden wie die Bevollmächtigung, damit der Geschäftsgegner davon Notiz nehmen kann. § 172 BGB knüpft den Rechtsschein an die Vollmachtsurkunde und schützt den Dritten so lange, wie eine derartige vorgelegt und nicht zurückgefordert wird. Kraft des Rechtsscheins wird eine nicht mehr existente Bevollmächtigung zugerechnet.237 Die genannten Konstellationen zeichnen sich dadurch aus, dass der Geschäftsgegner in Bezug auf eine zuvor bestehende Vollmacht geschützt wird. Die Rechtsscheinvollmachten zielen – wie § 173 BGB verdeutlicht – auf den Schutz des Geschäftsgegners ab, schließlich entfallen die vorgenannten Rechtsscheintatbestände danach, wenn der Dritte nicht gutgläubig in Bezug auf den Rechtsschein ist.238 Der Schutz der geschriebenen Rechtsscheinvollmachten ist indessen nicht umfassend, kann er doch in den Fällen der §§ 170–173 BGB nur bei einer vorigen Vollmachterteilung vermittelt werden. Zum Schutz des Geschäftspartners wurden daher bereits früh die Figuren der Duldungs- und der Anscheinsvollmacht konstruiert, die in Rechtsprechung239 und Literatur weitgehend anerkannt werden.240 Der Bundesgerichtshof sieht die Grundlage der Anscheins- und Duldungsvollmacht in dem Rechtsgedanken der §§ 170–172 BGB241, die Lehre stellt auf eine analoge Anwendung der §§ 171, 237 Das Erfordernis einer Zurechnung ablehnend Kindl, Rechtsscheintatbestände und ihre rückwirkende Beseitigung, 1999, S. 30 f. 238 Weinland, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 9 28.05.2021, § 173 Rn. 1. 239 Umfassend zur Rechtsprechungsentwicklung bereits vor dem Reichsgericht siehe Bader, Duldungs- und Anscheinsvollmacht, 1978, S. 3 ff.; zur Entwicklung der Rechtsprechung zu Anscheins- und Duldungsvollmacht auch Bienert, „Anscheinsvollmacht“ und „Duldungsvollmacht“, 1975, S. 14 ff.; siehe auch die Rechtsprechungsübersicht zur Anscheinsvollmacht bei Kindl, Rechtsscheintatbestände und ihre rückwirkende Beseitigung, 1999, S. 101 f. 240 Weinland, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 9 28.05.2021, § 173 Rn. 5; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 42; vgl. auch Kindl, Rechtsscheintatbestände und ihre rückwirkende Beseitigung, 1999, S. 87. 241 BGH NJW-RR 1991, 1225.
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172 BGB242 oder auf eine gewohnheitsrechtliche Anerkennung ab243. Es handelt sich bei den Figuren der Anscheins- und Duldungsvollmacht um richterrechtlich entstandene Institute244. Beide Varianten lassen sich unter dem Oberbegriff der Rechtsscheinvollmacht zusammenfassen, denn es existiert bei beiden – anders als bei §§ 170–173 BGB – keine Vollmacht, sondern nur der Rechtsschein einer solchen. Der Vertretene, der sonst in der Regel besonderen Schutz verdient, erscheint in den Fallgestaltungen der Rechtsscheinvollmachten nicht derart schutzbedürftig wie der Geschäftspartner. Denn der Vertretene hatte es ja selbst „in der Hand“, er hat den Rechtsschein, also den Anschein, dass eine Vollmacht besteht, selbst zu verantworten.245 2. Voraussetzungen der Anscheins- und Duldungsvollmacht Für die besonderen Rechtsscheinvollmachten der Anscheins- und Duldungsvollmacht lassen sich drei Voraussetzungen unterscheiden. Es muss ein entsprechender Rechtsschein objektiv erzeugt worden sein (1.), dieser Rechtsschein muss dem Vertretenen auch zurechenbar sein (2.) und der Dritte muss gutgläubig in Bezug auf die Existenz des Rechtsscheins gewesen sein (3.). Der erforderliche Rechtsschein wird durch das wiederholte Handeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen über einen längeren Zeitraum gesetzt.246 Der Rechtsschein ergibt sich aus dem Verhalten des Vertreters, des Vertretenen247 oder aus den Umständen248. 242 Bader, Duldungs- und Anscheinsvollmacht, 1978, S. 167 ff. Bezüglich der Duldungsvollmacht etwa Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, 71989, S. 639. 243 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 42. 244 Fikentscher, AcP 154 (1955), 1, 2 m. w. N. und auch bereits oben § 2 Fn. 239. 245 Vgl. Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 442020, § 25 Rn. 26. Kritisch dagegen etwa Lieb, in: Baumgärtel/Klingmüller (Hrsg.), Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag am 7. November 1984, 1984, S. 575, 576: Durch die Rechtsscheinhaftung werde dem Dritten das Vorgehen gegen den Vertretenen „aufgedrängt“ und § 179 BGB abgesperrt. 246 Vgl. aus der Rechtsprechung nur BGHZ 202, 158 Rn. 26; BGH NJW 2005, 2985, 2987; BGH NJW-RR 1986, 1169. Weitere Nachweise aus der Rechtsprechung bei Kindl, Rechtsscheintatbestände und ihre rückwirkende Beseitigung, 1999, S. 90; siehe auch Weinland, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 928.05.2021, § 173 Rn. 10; Maier-Reimer/Finkenauer, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 167 Rn. 13; Schubert, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 167 Rn. 106; differenzierend für Duldungs- und Anscheinsvollmacht Schäfer, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 167 Rn. 15. 247 Kindl, Rechtsscheintatbestände und ihre rückwirkende Beseitigung, 1999, S. 90. 248 Maier-Reimer/Finkenauer, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman
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Der objektive Rechtsschein muss zurechenbar vom Vertretenen veranlasst worden sein. Dies ist grundsätzlich der Fall, wenn der Vertreter schuldhaft gehandelt hat249 und die Handlungen des Vertretenen hätte verhindern können250. Im Detail unterscheiden sich hier die Anforderungen an Duldungs- und Anscheinsvollmacht251: Während bei der Duldungsvollmacht der Vertretene das Verhalten des Vertreters kennt und nicht verhindert252 – also „duldet“ –, kennt der Vertretene bei der Anscheinsvollmacht das Handeln nicht, er hätte es aber bei der erforderlichen Sorgfalt erkennen und verhindern können253. Die erforderliche Gutgläubigkeit des Geschäftsgegners ist gegeben, wenn dieser von den Tatsachen, welche den Rechtsschein hervorrufen, Kenntnis hat.254 Da auch die Figuren der Duldungs- und Anscheinsvollmacht, ebenso wie die Fälle des §§ 170–173 BGB, dem Schutz des Geschäftsgegners dienen, ist die Anwendung nach § 173 BGB analog ausgeschlossen, wenn der Dritte das Fehlen der Bevollmächtigung hätte erkennen können.255 Der Vertretene wird – insoweit entsprechen die Rechtsfolgen den §§ 164 ff. BGB – so behandelt, als habe er den Vertreter in dem Umfang mit Rechtsmacht ausgestattet, wie es der Rechtsschein vermuten lässt.256 Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 167 Rn. 13 ff.; Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 44 2020, § 25 Rn. 29. 249 Siehe etwa BGH NJW 1988, 1200. 250 BGHZ 5, 111, 116; 65, 13; Kindl, Rechtsscheintatbestände und ihre rückwirkende Beseitigung, 1999, S. 97; Ellenberger, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 172 Rn. 11; Weinland, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 9 28.05.2021, § 173 Rn. 11. 251 Vgl. zur Abgrenzung der beiden Figuren bereits BGH NJW 1956, 1673; NJW 1956, 460; NJW 1982, 1513. 252 Ständige Rechtsprechung, siehe etwa BGH NJW 1955, 985; 2003, 2091; 2004, 2745; BGHZ 189, 346; 202, 158. Maier-Reimer/Finkenauer, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 167 Rn. 19; Schubert, in: Säcker/Rix ecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 167 Rn. 106. 253 BGH NJW 1998, 1854, 1855; ZIP 2005, 1357, 1361. Maier-Reimer/Finkenauer, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 167 Rn. 19; Weinland, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 9 28.05.2021, § 173 Rn. 11. 254 BGH NJW 2004, 2745; 2007, 987, 989; Maier-Reimer/Finkenauer, in: Westermann/ Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 167 Rn. 23. 255 Vgl. BGH NJW 1958, 2062; 1991, 2126. Weinland, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 928.05.2021, § 173 Rn. 6; Schubert, in: Säcker/Rix ecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 167 Rn. 106. 256 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 518 und 521 ff.; Canaris, NJW 1974, 455 f.; siehe auch Ellenberger, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 172 Rn. 11; Weinland, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Pra-
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Bei der Duldungsvollmacht treten deutliche Gemeinsamkeiten mit einer konkludent erteilten Vollmacht auf, sodass teilweise, da auch die Rechtsfolgen übereinstimmen257, vertreten wird, beide seien deckungsgleich258. Zur Abgrenzung lässt sich indes auch der innere Wille des Vertretenen heranziehen: Billigt dieser mit rechtsgeschäftlichem Willen, dann liegt eine konkludente Bevollmächtigung vor. Wenn indes rein nur tatsächlich das Verhalten wahrgenommen und akzeptiert wird, liegt eine Duldungsvollmacht vor.259 Während die Duldungsvollmacht allgemein anerkannt ist, wird die Existenz der Anscheinsvollmacht mit Blick auf die Rechtsfolge bestritten. Aus einer Sorgfaltspflichtverletzung, nämlich der nicht ausreichenden Überwachung des Vertreters, könne lediglich eine Schadensersatzpflicht und keine Zurechnung einer in Wirklichkeit nicht bestehenden Vollmacht folgen.260 3. Auswertung a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition Bei der Duldungs- und Anscheinsvollmacht werden unter gewissen Voraussetzungen dieselben Rechtsfolgen ausgelöst wie bei der „regulären“ Stellvertretung. Man könnte damit davon ausgehen, dass auch hier der gleiche Zurechnungsgegenstand wie bei der Stellvertretung vorliegt. Die Rechtsprechung geht – augenscheinlich untechnisch verstanden – von der Zurechnung des Vertrages als Zurechnungsgegenstand aus.261 Bei genauerer Betrachtung ist indes eine von der Stellvertretung abweichende Mehrfachzurechnung zu erkennen. Denn die Voraussetzungen der Duldungsxiskommentar BGB, 928.05.2021, § 173 Rn. 8; vgl. aus der Rechtsprechung bereits RGZ 145, 155, 158; 170, 281, 284 und die ständige Rechtsprechung des BGH, siehe nur BGHZ 12, 105, 109; 17, 13, 17; 86, 173; BGH NJW 1983, 1308, 1309; kritisch zu einer derartigen Rechtsfolge bei fehlender Kenntnis als Zurechnungsgrund Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, 71989, S. 640. 257 Siehe nur Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 442020, § 25 Rn. 31. 258 So zunächst auch der BGH LM Nr. 4 zu § 164 BGB; dazu Canaris, in: Canaris/Heldrich (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, S. 129, 154; kritisch zur Rechtsprechung bereits Bienert, „Anscheinsvollmacht“ und „Duldungsvollmacht“, 1975, S. 64 ff.; siehe ferner die Nachweise bei Maier-Reimer/Finkenauer, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 167 Rn. 11. 259 Schäfer, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 167 Rn. 16; Medicus/ Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 112016, 928 ff.; Canaris, in: Canaris/Heldrich (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, S. 129, 155 f.; Kindl, Rechtsscheintatbestände und ihre rückwirkende Beseitigung, 1999, S. 86. 260 Vgl. dazu bereits Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, 71989, S. 640; Neuner/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 122020, § 50 Rn. 98 m. w. N. 261 Vgl. BGHZ 86, 273 mit Verweis auf BGHZ 61, 59, 68 f.
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und Anscheinsvollmacht führen ja nicht unmittelbar zu einer Zurechnung der Willenserklärung, sondern dazu sind noch die weiteren Voraussetzungen der Stellvertretung erforderlich. Die Rechtsscheinvollmachten kommen (erst) dann zum Einsatz, wenn es keine gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht gibt, in dessen Rahmen der Vertreter gehandelt haben könnte. Erst hier werden die Voraussetzungen der Rechtsscheinvollmachten untersucht. Bejahendenfalls wird der Vertretene so behandelt, als habe er eine Bevollmächtigung in dem Umfang erteilt, welche der Rechtsschein nahelegt. Somit dienen die Voraussetzungen dazu, das Fehlen der Vertretungsmacht zu kompensieren. Zugerechnet wird also nicht die Abgabe oder der Empfang der Willenserklärung, sondern – innerhalb der Voraussetzungen der Stellvertretung – die Existenz der Vertretungsmacht. Wird der Vertretene so behandelt, als habe er den Vertreter im Umfang der Rechtsscheinvollmacht bevollmächtigt, so wird er so gestellt, als ob er eine derartige Bevollmächtigung erteilt hätte. Zugerechnet wird durch die Anscheins- und Duldungsvollmacht damit eine Vollmacht, die gar nicht gegeben wurde. Dem Vertretenen wird eine fiktive Vollmachterteilung zugeordnet. Unklar ist, ob es sich bei einer derartigen, fiktiven Zuordnung tatsächlich um eine Zurechnung im Sinne der hier zugrunde gelegten Definition handelt.262 Versteht man unter den Merkmalen, welche zugeordnet werden, nur solche, die von einer anderen Person verursacht werden oder als unbeherrschte Naturereignisse geschehen, dann könnte bei der Zuordnung eines tatsächlich nicht existierenden Merkmals durchaus der Schluss gezogen werden, in einer derartigen Fiktion handele es sich um keine Zurechnung mehr. Dagegen spricht aber nicht nur der offene Wortlaut der obigen Definition, der nur eine entsprechende Verbindung der Merkmale erfordert, sondern auch die Vergleichbarkeit der genannten Fallgestaltungen: Es wurde bereits oben gezeigt, dass eine Zurechnung nicht nur im Verhältnis zwischen zwei Subjekten denkbar ist. Wenn aber auch Naturereignisse oder zufälliges Geschehen zugerechnet werden können, es damit nicht zwangsläufig auf die Existenz zweier Subjekte ankommt, spricht nichts dagegen, aufgrund entsprechender Wertungen tatsächlich nicht vorliegende Sachverhaltsmerkmale als gegeben zuzuordnen. Dafür spricht auch die abstrakt herausgearbeitete Zweckrichtung der Zurechnung. Die Zurechnung versucht durch Modifizierung des Sachverhaltes die Anwendung der Hauptnorm sicherzustellen. Ob die zur Veränderung des Sachverhaltes zuzuordnenden Merkmale nun von einem anderen Subjekt stammen, tatsächlich nicht existieren oder sie fiktiv hinzugedacht werden, spielt im Ergebnis keine große Rolle, denn die Zurechnung modifiziert den tatsächlichen Sachverhalt ohnehin zu einem fiktiven Sachverhalt. Zurechnungsgegenstand können damit nicht nur von einer 262
Siehe oben § 1 B.
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anderen Person erfüllte, existente Merkmale sein, sondern auch fiktive. Auch tatsächlich nicht bestehende Merkmale können Zurechnungsgegenstand sein. Im Ergebnis zeigt sich bei der Zusammenschau von Rechtsscheinvollmacht und Stellvertretung, dass es sich um eine Verkettung von Zurechnungen handelt. Zunächst wird auf der ersten Ebene die Stellvertretung untersucht, welche eine Zurechnung der Abgabe und des Empfangs einer Willenserklärung zum Gegenstand hat. Fehlt bei einer der Voraussetzungen, nämlich der Vertretungsmacht, ein Merkmal, dann wird der Sachverhalt durch die Rechtsscheinvollmachten modifiziert und eine Bevollmächtigung fiktiv hinzugerechnet. Damit wird die Voraussetzung innerhalb der Prüfung der Stellvertretung erfüllt und die „Haupt“Zurechnung der Stellvertretung kann weiter untersucht werden. Bei Anscheinsund Duldungsvollmacht auf der einen und Stellvertretung auf der anderen Seite handelt es sich damit um eine Kettenzurechnung. Zurechnungsadressat ist der Vertretene. Er wird so behandelt, als habe er eine Vollmacht im Umfang des Rechtsscheins an den Vertreter erteilt. Hauptnorm der Anscheins- und Duldungsvollmacht ist § 164 BGB und damit die Zurechnungsnorm der Stellvertretung. Die Zurechnungsgegenstände stimmen hierbei indes nicht überein: Bei der Stellvertretung wird die Abgabe oder der Empfang einer Willenserklärung, bei der Rechtsscheinvollmacht die Bevollmächtigung zugerechnet. Eine Zurechnungsnorm für die Rechtsscheinvollmachten existiert nur bei den §§ 170–173 BGB, die Anscheins- und Duldungsvollmacht sind ungeschriebene Rechtsfiguren. b) Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung Es handelt sich bei Duldungs- und Anscheinsvollmacht um Fälle ungeschrie bener Zurechnung. Bei den Rechtsscheinvollmachten im Allgemeinen lassen sich §§ 170–173 BGB als geschriebene vollkommene Zurechnungsnormen begreifen. c) Eigen- oder Fremdzurechnung Es wurde herausgearbeitet, dass Zurechnungsgegenstand der Rechtsscheinvollmachten nicht die Willenserklärung des Rechtsscheinvertreters ist, sondern Folge der Zurechnung die Zuordnung einer Vollmacht ist, welche an sich gar nicht oder nicht mehr vorliegt. Diese Vollmacht indes ist kein Merkmal, welches nur oder überwiegend einem anderen Subjekt als dem Zurechnungsadressat zuzuordnen ist. Insofern spricht dies zunächst gegen die Einordnung als Fremdzurechnung, da es sich dabei nach der eingangs eingeführten Definition263 nicht um 263
Siehe oben § 1 A. X.
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Merkmale eines anderen Subjekts handelt. Auch die Kriterien, welche für die Zurechnung geprüft werden, sind weder ausschließlich vom Rechtsscheinvertreter noch vom Zurechnungsadressat erfüllt, da es sich um Verhalten beider handeln kann: Die Zurechenbarkeit des Rechtsscheins liegt in der Regel im Verhalten des Zurechnungsadressaten selbst begründet, der Rechtsschein geht regelmäßig auf das andere Subjekt zurück. Allerdings wurden als Fremdzurechnung auch diejenigen Fälle bezeichnet, bei denen der Zurechnungsgegenstand mit dem zweiten Subjekt verbunden ist. Eine derartige Verbindung lässt sich ohne weiteres herstellen: Die zugerechnete „Bevollmächtigung“ des Rechtsscheinvertreters als Zurechnungsgegenstand stellt selbstredend eine Verbindung zwischen diesem und dem Zurechnungsadressat dar. Betrachtet man die Gesamtoperation der Rechtsscheinvollmachten, so liegt eine Verkettung vor. Gesamtergebnis dieser Verkettung ist sehr wohl die Zuordnung fremder Merkmale, nämlich die Zurechnung der Abgabe oder des Empfangs der Willenserklärung nach den Regeln der Stellvertretung. Jedenfalls bei der Gesamtzurechnungsoperation der Rechtsscheinvollmachten, zu der man dann die normale Stellvertretung als weitere Zurechnung noch hinzunehmen muss, handelt es sich um eine Fremdzurechnung. d) Zurechnungskriterien Die Kriterien der Zurechnung sind die Voraussetzungen der Anscheins- und Duldungsvollmacht. Es muss durch die Handlungen des Vertreters ist ein objektiver Rechtsschein geschaffen worden. Der Vertretene muss für die Schaffung oder Aufrechterhaltung des Rechtsscheins verantwortlich sein, indem er trotz Kenntnis ein Handeln des Vertreters duldet, obwohl er es verhindern könnte oder trotz Kennenmüssen ein Handeln des Vertreters nicht erkennt und damit nicht verhindert. Der Geschäftspartner muss daneben gutgläubig in Bezug auf den Rechtsschein sein. e) Zurechnungsgründe Zunächst ist der Verantwortungszusammenhang zwischen Zurechnungsadressat und Zurechnungsgegenstand zu bestimmen. Bei §§ 170–173 BGB liegt die Verbindung bereits darin, dass die Vollmacht einmal in der später zugerechneten Weise erteilt wurde. Bei der Duldungs- und Anscheinsvollmacht, bei der eine Vollmacht vorher nicht in dem entsprechenden Umfang bestand, handelt der Vertreter dennoch „im Lager“ des Vertretenen, er tritt mehrfach für diesen auf und handelt genauso, als habe er eine entsprechende Vollmacht und der Vertretene lässt ihn gewähren. Der Rechtsschein und die Zurechenbarkeit vermitteln den Verantwortungszusammenhang. Die Zurechenbarkeit stellt die Verantwortung
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des Vertretenen für den Rechtsschein her und damit die Verbindung zwischen dem Handeln des Vertreters als Rechtsschein und dem Vertretenen. Gemeinsames Kernelement der Zurechenbarkeit ist bei der Duldungs- und Anscheinsvollmacht die Herrschaft über den geschaffenen Rechtsschein, welcher in der Möglichkeit des Vertretenen liegt, das Verhalten des Vertreters zu verhindern. Die ratio legis der Hauptnorm, nämlich § 164 BGB, wurde bereits oben erörtert. Sinn und Zweck der Zurechnungsnorm ist bei den Rechtsscheinvollmachten die Anwendung des § 164 BGB auch in den Fällen sicherzustellen, in denen zwar keine Bevollmächtigung besteht, aber der Rechtsverkehr aufgrund des Rechtsscheins auf eine solche vertraut hat. Für eine Zurechnung spricht zunächst der erschaffene Rechtsschein. Der Rechtsschein deutet auf eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung des Vertreters hin. Aus dem Rechtsschein, also beispielsweise dem Verhalten des Vertreters, kann der Dritte den Schluss ziehen, eine Bevollmächtigung liege vor. Dies allein genügt allerdings noch nicht, es bedarf der Zurechenbarkeit des Rechtscheins zum Vertretenen. Die Zurechenbarkeit schafft die notwendige Verbindung zwischen Vertretenem und Vertreter. Es muss also nicht nur objektiv der Eindruck entstehen, jemand handele für einen anderen, sondern dieser Eindruck muss auch auf den Vertretenen zurückreichen, er muss dafür verantwortlich sein. Diese Verantwortlichkeit wird dargestellt durch die Verhinderungsmöglichkeit: Der Vertretene hat es in der Hand, den Rechtsschein zu durchbrechen, indem er in den Fällen der §§ 170–173 BGB die Vollmacht so widerruft, dass der Rechtsschein zerstört wird. In den Fällen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht kann der Vertretene das Handeln des Vertreters ebenso ohne weiteres verhindern. Bei der Duldungsvollmacht kann er gegen den falschen Vertreter vorgehen und den Rechtsschein zerstören. Handelt der Vertretene nicht, so muss er sich einen „Duldungswillen“ entgegenhalten lassen, welcher für eine Zurechnung spricht.264 Bei der Anscheinsvollmacht hätte er mit der notwendigen Sorgfalt den Rechtsschein erkennen und dagegen vorgehen können. Die Zurechnung erfolgt hier also aufgrund einer nicht genutzten, aber möglichen Verhinderungsmöglichkeit. Als gemeinsamer Grund für eine Zurechnung ergibt sich bei Anscheins- und Duldungsvollmacht damit, dass der Anschein eines Handelns für einen anderen und das fehlende Einschreiten trotz Möglichkeit eine Zurechnung des fremden Handelns begründen kann. Weiterhin lässt sich aus der Verhinderungsmöglichkeit auch ein Machtverhältnis ableiten: Der Vertretene hat es rechtlich in der Hand, den Dritten von seinem Handeln abzubringen. Er hat damit über das Handeln des Dritten in gewisser Weise Rechtsherrschaft, denn der Vertretene entscheidet, ob der Vertreter weiter 264
Kindl, Rechtsscheintatbestände und ihre rückwirkende Beseitigung, 1999, S. 97.
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handeln kann oder nicht. Aus der Machtposition des Vertretenen lässt sich auch eine Subordination erkennen. Der Vertreter handelt im Falle der Duldungs- und Anscheinsvollmacht immer im Namen des Vertretenen.265 Er ordnet sich immerzu dem Hintermann unter. Dieser hat dazu noch die rechtliche Macht über sein Verhalten. Auch hier ist also in gewissen Grenzen ein Herrschaftsverhältnis zu erkennen. Daneben bezweckt die Zurechnung den Schutz des Rechtsverkehrs und damit vor allem den Schutz des Dritten. Dieser soll auf einen Rechtsschein vertrauen dürfen und von einer Nachforschungspflicht befreit werden. Dies erleichtert den Rechtsverkehr, da ansonsten der Dritte ohne Existenz der Rechtsscheinvollmachten häufig Gefahr laufen würde, nur den falsus procurator als Schuldner zu erhalten. Aus diesem Schutzbedürfnis heraus hat die Rechtsprechung im Übrigen die Rechtsscheinvollmachten über die geschriebenen hinaus ausgedehnt und die Figuren der Anscheins- und Duldungsvollmacht entwickelt. Zentraler Grund einer Zurechnung ist damit vorliegend die Schutzwürdigkeit des Dritten und der Schutz des Rechtsverkehrs. Diese Schutzwürdigkeit ist einerseits Grund, aber auch Begrenzung der Zurechnung. Denn die Schutzwürdigkeit kann nur so lange positiv für die Zurechnung streiten, wie sie auch besteht. Hat der Dritte Kenntnis von der fehlenden Bevollmächtigung, dann sind auch die Rechtsscheinvollmachten ausgeschlossen, schließlich bedarf der Dritte dann keines Schutzes mehr. Gegen eine Zurechnung spricht zunächst wieder das Selbstverantwortungsprinzip, denn der Vertreter handelt zwar in fremden Namen, aber außerhalb der „Absprache“ ohne Vertretungsmacht. Daraus ist zunächst zu entnehmen, dass sich der Vertretene den „Exzess“, das Handeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht, grundsätzlich nicht zurechnen lassen muss. Die Rechtsscheinvollmachten bilden zu dieser Regel aus den genannten Gründen der Herrschaft über den Rechtsschein eine Ausnahme.
III. Besitzdienerschaft 1. Allgemeine Bemerkungen zur Besitzdienerschaft Teilweise als Zurechnungskonstellation eingeordnet wird die Besitzdienerschaft.266 Sie hat ihren normativen Niederschlag in § 855 BGB gefunden: 265 Ausdrücklich
BGH, Urteil vom 03.12.1986 – IVa ZR 199/85 –, juris Rn. 10. Fritzsche, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 855 Rn. 1; Schäfer, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 8 2020, § 855 Rn. 1; Hoeren, in: Grziwotz/Keukenschrijver/Ring (Hrsg.), BGB, 42016, § 855 Rn. 15; Zeuner, JZ 1955, 195, 197. 266
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„Übt jemand die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis aus, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten hat, so ist nur der andere Besitzer.“
Bei § 855 BGB handelt es sich um eine Ausnahmeregelung zu § 854 BGB: Letzterer ordnet als grundlegende Regelung zum Besitz an, dass derjenige Besitzer ist, wer die tatsächliche Sachherrschaft innehat. Nach § 855 BGB hat indes ausnahmsweise nicht der tatsächliche Sachherrscher Besitz, sondern derjenige, der zu ihm in einem besonderen Weisungsverhältnis steht. Der die tatsächliche Sachherrschaft Ausübende wird Besitzdiener, der Weisungsbefugte Besitzherr genannt.267 Die Besitzdienerschaft stellt die logische Ergänzung der Vorschriften zur Stellvertretung dar. Die Stellvertretung ist nur auf die Einschaltung von Dritten bei Abgabe (und Empfang) von Willenserklärungen zugeschnitten und findet daher bei der Einschaltung von Hilfspersonen beim Besitz als rein tatsächlicher Herrschaft über eine Sache keine Anwendung. Eine Arbeitsteilung in Bezug auf den Besitz ist gerade mit Blick auf die notwendige Besitzerlangung beim Eigentumserwerb (etwa § 929 S. 1 BGB) von besonderer Wichtigkeit für den Rechtsverkehr. Der Figur des Besitzdieners kommt damit in diesem Kontext eine „Ersatzfunktion“268 zu. Artverwandt ist mit der Besitzdienerschaft die andere gesetzlich typisierte Form des Fremdbesitzes, nämlich die des mittelbaren Besitzes, § 868 BGB.269 Im BGB bestehen diese beiden Möglichkeiten, um durch einen anderen Besitz zu erlangen.270 Besonderheit der Besitzdienerschaft ist der Eintritt sämtlicher Wirkungen des Besitzes beim Besitzherrn und nicht beim Besitzdiener.271 Das Interesse des Besitzdieners am Besitz ist derart gering, dass nicht er, sondern der Hintermann die Wirkungen des Besitzes für und gegen sich gelten lassen soll.272
267 Fritzsche, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 855 Rn. 2 mit Hinweis auch auf die Nachteile einer solchen Nomenklatur; „Besitzgehilfe“ bei Schäfer, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 8 2020, § 855 Rn. 2; „Dienergewahrsam“ bei Gutzeit, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2018, § 855 Rn. 2. 268 Witt, AcP 201 (2001), 165, 166 f. 269 Von einem ähnlichen Zurechnungsverhältnis spricht etwa Zeuner, JZ 1955, 195, 197. 270 Gutzeit, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2018, § 855 Rn. 3. 271 Götz, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 2021, § 855 Rn. 1; Elzer, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 855 Rn. 6. 272 Vgl. Gutzeit, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2018, § 855 Rn. 5.
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2. Voraussetzungen der Besitzdienerschaft Voraussetzung für die Annahme einer Besitzdienerschaft ist die Ausübung der tatsächlichen Gewalt für einen anderen durch den Vordermann in einem Weisungsverhältnis, welches nach außen hin erkennbar ist.273 Der Besitzdiener muss – wie beim Besitz nach § 854 BGB – zunächst die tatsächliche Sachherrschaft innehaben. Inwiefern ein entsprechender Wille des Besitzdieners vorhanden sein muss, ist streitig.274 Die überwiegende Ansicht lässt es ausreichen, wenn der Besitzdiener den Besitz tatsächlich und objektiv aufgrund des Verhältnisses für den Besitzherrn ausübt.275 Rechtsprechung und Literatur gehen bei der Bestimmung des nach § 855 BGB geforderten Weisungsverhältnisses davon aus, dass nicht jedes Weisungsverhältnis den Anforderungen des § 855 BGB genügen kann, sondern ein solches, insbesondere mit Blick auf die im Gesetz genannten Beispiele, nur bei einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis vorliegen soll276, welches darüber hinaus nach außen sichtbar ist277. Bei der Ausübung der Sachherrschaft ist der Besitzdiener den Weisungen des Besitzherrn untergeordnet, er leistet „Befehl und Gehorsam“, während der mittelbare Besitzer nach § 868 BGB auf Augenhöhe auftritt und nur aufgrund von „Forderung und Verpflichtung“ handelt.278 Während der Besitzmittler auch ein eigenes Interesse an der Sache hat, ist der Besitzdiener lediglich „Befehlsempfänger“279, der objektiv im Interesse des anderen handelt280. Eine rein wirtschaftliche oder schuldrechtliche Abhängigkeit genügt nicht, erforder273
So etwa Fritzsche, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 855 Rn. 3; Hoeren, in: Grziwotz/Keukenschrijver/Ring (Hrsg.), BGB, 42016, § 855 Rn. 2. 274 Fritzsche, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 855 Rn. 5. 275 Herrler, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 855 Rn. 3; Götz, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 2021, § 855 Rn. 25; auf die objektive Herrschaftssphäre abstellend Elzer, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 855 Rn. 4; Hoeren, in: Grziwotz/Keukenschrijver/Ring (Hrsg.), BGB, 42016, § 855 Rn. 12. 276 BGH 16, 259; BGH LM § 1006 Nr. 2; Elzer, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 855 Rn. 3; Gutzeit, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2018, § 855 Rn. 6; kritisch Schäfer, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82020, § 855 Rn. 4 f. 277 Str., vgl. nur BGHZ 27, 360, 363; 199, 227 Rn. 10; siehe die weiteren Nachweise bei Schäfer, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82020, § 855 Rn. 10; Berger, in: Stürner (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 182021, § 855 Rn. 1; Hoeren, in: Grziwotz/Keukenschrijver/Ring (Hrsg.), BGB, 42016, § 855 Rn. 11. 278 Mit diesen Begriffen arbeitet Lorenz, in: Westermann (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 152017, § 855 Rn. 2. 279 Hoeren, in: Grziwotz/Keukenschrijver/Ring (Hrsg.), BGB, 42016, § 855 Rn. 4. 280 Götz, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 2021, § 855 Rn. 22 ff.
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lich ist eine soziale Abhängigkeit281, eine „soziale Hierarchie“282. Dem Besitzherrn muss es aufgrund seiner überlegenen Stellung jederzeit möglich sein, auf die Sache zuzugreifen.283 Indiz für die Unterordnung ist die Einfügung des Besitzdieners in die Organisation.284 3. Auswertung a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition Bei der Figur des Besitzdieners handelt es sich um eine Zurechnungskonstellation. Zurechnungsadressat ist der Besitzherr, also der „Hintermann“, § 855 BGB ist die Zurechnungsnorm. Als Hauptnorm kommt jede Norm in Betracht, die als Voraussetzung auf den Besitz abstellt, etwa § 861, § 862 oder § 929 S. 1 BGB. Der Zurechnungsgegenstand ist anhand der Zurechnungsnorm nicht zweifelsfrei zu erkennen, auch in der Literatur wird der Gegenstand der Zurechnung ganz unterschiedlich beschrieben. Teilweise wird die Folge des § 855 BGB als eine „Verlagerung von Rechtsfolgen des Besitzes“285 bezeichnet. Andere rechnen die tatsächliche Gewalt des Besitzdieners dem Besitzherrn zu.286 Wieder andere sprechen lediglich von der Zurechnung von Besitz287 oder von Verhalten288. Nach der bisher verwendeten Differenzmethode stellt sich der Zurechnungsgegenstand wie folgt dar: Mit Anwendung des § 855 BGB hat der Hintermann Besitz an der Sache, über die der Besitzdiener die tatsächliche Sachherrschaft innehat und in Bezug auf die der Besitzherr einen Besitzwillen hat. Ohne Anwendung des § 855 BGB hat der Hintermann keinen Besitz, sondern lediglich Besitzwillen. Die Differenz liegt also nicht in „dem Besitz“, sondern in der tatsächlichen Sachherrschaft.
281
Elzer, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 855 Rn. 3; Gutzeit, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2018, § 855 Rn. 6 f. Für die Rechtsprechung etwa bereits RGZ 71, 248, 251; BGHZ 199, 227. 282 Gutzeit, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2018, § 855 Rn. 6. 283 Hoeren, in: Grziwotz/Keukenschrijver/Ring (Hrsg.), BGB, 42016, § 855 Rn. 6. 284 Lorenz, in: Westermann (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 152017, § 855 Rn. 3; vgl. auch Hoeren, in: Grziwotz/Keukenschrijver/Ring (Hrsg.), BGB, 42016, § 855 Rn. 7. 285 Schäfer, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82020, § 855 Rn. 1; Lorenz, in: Westermann (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 152017, § 855 Rn. 1. 286 Hoeren, in: Grziwotz/Keukenschrijver/Ring (Hrsg.), BGB, 42016, § 855 Rn. 15. 287 Kritisch dazu Fritzsche, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 855 Rn. 1. 288 Götz, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 2021, § 855 Rn. 3 f.
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Der Besitz im Sinne des § 854 BGB besteht aus zwei Elementen, der Sachherrschaft und dem Besitzwillen.289 Würde nun „der Besitz“ zugerechnet, so würde damit auch der Besitzwille zugerechnet. Dies erscheint aber nicht erforderlich, da diese Voraussetzung bereits in der Person des Besitzherrn selbst ohne jegliches Erfordernis einer Zurechnung vorliegt. Der Wille des Besitzdieners ist im Übrigen auch unerheblich und liegt gegebenenfalls gar nicht vor, ihn zuzurechnen ergibt damit wenig Sinn: Der Besitzdiener hat gerade keinen eigenen Besitzwillen, der Besitzherr hingegen schon. Der Besitzdiener hat zwar die tatsächliche Sachherrschaft, aber keinen Besitz im Sinne des § 854 BGB, denn ihm fehlt der Besitzwille. Anders ist auch die Formulierung des § 855 BGB nicht zu erklären, welcher explizit nicht auf den Besitz des Besitzdieners, sondern auf die tatsächliche Gewalt abstellt. Damit spricht einiges dafür, nicht den Besitz als Ganzes, sondern nur den objektiven Teil, nämlich die Sachherrschaft zuzurechnen. Für den Besitzherrn macht dies keinen Unterschied, er hat ohnehin den notwendigen Besitzwillen. Die zugerechnete Sachherrschaft ergibt dann mit dem in eigener Person vorliegenden Besitzwillen die Voraussetzungen für den Besitz im Sinne des § 854 BGB. Im Kern richtig liegt damit die Kritik, welche die Bezeichnung als „Zurechnung von Besitz“ oder „Zurechnung der Besitzfolgen“ mit der Erwägung ablehnt, dadurch werde suggeriert, der Besitzdiener habe Besitz, der anschließend anderweitig zugeordnet wird.290 Vielmehr entsteht der Besitz erst beim Besitzherrn durch Zusammenfügung von bereits vorliegendem Besitzwillen und zugerechneter tatsächlicher Sachherrschaft. Vorzugswürdig erscheint es damit, den Zurechnungsgegenstand – wie oben vorgeschlagen – als die tatsächliche Sachherrschaft des Besitzdieners zu begreifen.291
289
Herrler, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 854 Rn. 4. Fritzsche, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 855 Rn. 1. Wenn sich Schäfer, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82020, § 855 Rn. 1 bei der Einordnung als eine „Zurechnung der Besitzfolgen“ auf Zeuner, JZ 1955, 195, 196 beruft, dann stimmt dies indes nicht: Zeuner schreibt zwar, dass „der in der Person des Besitzdieners gegebene Tatbestand der Innehabung“ beim Besitzherrn „die Rechtsfolge des Besitzes“ hervorbringt. Von einer Zurechnung von Besitzfolgen ist indes nicht die Rede. Wenige Sätze später präzisiert Zeuner auf derselben Seite, dass die „Innehabung“ nach § 855 BGB zugerechnet wird. 291 Zeuner, JZ 1955, 195, 196; ähnlich Hoeren, in: Grziwotz/Keukenschrijver/Ring (Hrsg.), BGB, 42016, § 855 Rn. 15: Dort heiß es, die tatsächliche Gewalt des Besitzdieners führe zum Besitz des Besitzherrn. Das ist richtig, zugerechnet wird aber nur die Sachherrschaft. 290
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b) Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung Es handelt sich um eine geschriebene vollkommene Zurechnungsnorm. c) Eigen- oder Fremdzurechnung Es handelt sich um eine Fremdzurechnung der tatsächlichen Sachherrschaft, welche durch ein anderes Subjekt, nämlich den Besitzdiener, erfüllt ist. d) Zurechnungskriterien Erforderlich für die Zurechnung ist die tatsächliche Sachherrschaft des Besitzdieners und das erkennbare, oben näher präzisierte Weisungsverhältnis zwischen Besitzdiener und Besitzherr. e) Zurechnungsgründe Zwischen dem Zurechnungsgegenstand, der Sachherrschaft des Besitzdieners, und dem Zurechnungsadressat, dem Besitzherrn, lässt sich ein Verantwortungszusammenhang erkennen: Der Besitzdiener beherrscht die Sache in tatsächlicher Hinsicht, wird aber seinerseits durch das Weisungsrecht des Besitzherrn beherrscht. Durch das Abhängigkeitsverhältnis kann der Hintermann auf die Sache durchgreifen. „Herrschaft über die Sache ist Herrschaft über den Besitzdiener“292. Ratio der Zurechnungsnorm ist die Ermöglichung von Arbeitsteilung auch in Bezug auf den Besitz, so wird den Anforderungen des Rechtsverkehrs nach einem Einsatz von Hilfspersonen in Bezug auf Besitz Rechnung getragen.293 Daneben wird die Rechtsstellung des Besitzherrn verbessert, denn er kann als Besitzer nun auch die Besitzrechte geltend machen, wenngleich er keine eigene Sachherrschaft innehat. Als Zurechnungsgrund lässt sich das Subordinationsverhältnis der beiden Subjekte heranziehen. Im Fall der Besitzdienerschaft sind die Rollen klar verteilt, der Vordermann schuldet aufgrund des Weisungsverhältnisses Gehorsam, der Hintermann kann also trotz der Zwischenschaltung einer Person beinahe so auf die Sache zugreifen, als habe er sie selbst unter Kontrolle. Das Herrschaftsverhältnis ist hier sogar nicht nur ein rechtliches, es handelt sich um ein soziales Abhängigkeitsverhältnis. Dieses sehr starke Abhängigkeitsverhältnis und die daraus resultierende Zugriffsmöglichkeit lassen es als angemessen erscheinen, 292
BGH LM Nr. 2 zu § 1006. Schäfer, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82020, § 855 Rn. 1. 293
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wenn nur der Hintermann, nicht indes der Vordermann als Inhaber der Sachgewalt mit Rechten und Pflichten ausgestattet wird.294 Unabhängig von der Genese des Herrschaftsverhältnisses entspricht es grundsätzlich auch dem Willen der Beteiligten und den Anschauungen des Rechtsverkehrs295, dass der Hintermann und nicht der Vordermann Besitzer sein soll. Der Hintermann hat einen entsprechenden Besitzwillen gebildet, dem Vordermann hingegen fehlt es aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses an einem solchen Willen: Er muss zwar nicht ausdrücklich für einen anderen besitzen wollen, aber das starke Herrschaftsverhältnis und der Wille des Hintermanns zum Besitz reichen als Begründung einer Zurechnung der Sachherrschaft aus. Auch den Anforderungen des Rechtsverkehrs ist dadurch Rechnung getragen, dass die Weisungsgebundenheit des Besitzdieners grundsätzlich erkennbar sein muss. So sind die Besitzverhältnisse offenbar. Daneben ist auch ein Interessenaspekt zur Zurechnungsbegründung erkennbar, wenn die Verlagerung der Sachherrschaft mit dem geringen Interesse des Besitzdieners und dem hohen Interesse des Besitzherrn begründet wird. Der Besitzdiener hat kein eigenes Interesse an der Sache, der Besitzherr dafür ein starkes Interesse. Gegen eine Zurechnung kann erneut eingewendet werden, dass aufgrund des Selbstverantwortungsprinzips grundsätzlich jeden nur die Folgen eigenen Handelns treffen sollen. Aufgrund des Herrschaftsverhältnisses wird dieser Grundsatz hier durchbrochen.
IV. Mittelbarer Besitz Eine ähnliche Figur liegt dem mittelbaren Besitz nach § 868 BGB zugrunde, welcher teilweise ebenfalls als Zurechnungskonstellation bezeichnet wird.296 Diese Vorschrift lautet: „Besitzt jemand eine Sache als Nießbraucher, Pfandgläubiger, Pächter, Mieter, Verwahrer oder in einem ähnlichen Verhältnis, vermöge dessen er einem anderen gegenüber auf Zeit zum Besitz berechtigt oder verpflichtet ist, so ist auch der andere Besitzer (mittelbarer Besitz).“
Anders als beim Besitzdiener ist der Besitzmittler selbst Besitzer. § 868 BGB macht den mittelbaren Besitzer durch den unmittelbaren Besitzer zum Besitzer. 294 Zurechnung aufgrund sozialer Abhängigkeitsverhältnisse bei Zeuner, JZ 1955, 195, 197; Zurechnung aufgrund untergeordneter Stellung bei Hoeren, in: Grziwotz/Keukenschrijver/ Ring (Hrsg.), BGB, 42016, § 855 Rn. 15. 295 Vgl. nur Fritzsche, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 855 Rn. 1. 296 Zeuner, JZ 1955, 195, 197.
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Daneben handelt der mittelbare Besitzer nicht in einem Weisungs- oder Abhängigkeitsverhältnis297, sondern aufgrund eines entsprechenden Besitzmittlungsverhältnisses, regelmäßig eines Vertrages298. Weiteres Abgrenzungskriterium zwischen Besitzmittler und Besitzdiener ist die Fremdnützigkeit des Handelns: Der mittelbare Besitzer handelt jedenfalls auch im eigenen Interesse, der Besitzdiener indes fremdnützig.299 Der Besitzmittler kann mit der Sache im Rahmen des Besitzmittlungsverhältnisses den eigenen Interessen entsprechend verfahren, der Besitzdiener ist unmittelbar an die Weisungen und den Willen des Besitzherrn gebunden.300 1. Voraussetzungen des mittelbaren Besitzes Der mittelbare Besitz hat drei grundlegende Voraussetzungen. Zum einen muss der Besitzmittler unmittelbaren Besitz an der Sache haben, es muss ein Besitzmittlungsverhältnis zwischen dem unmittelbaren und dem mittelbaren Besitzer bestehen und der unmittelbare Besitzer muss jedenfalls auch einen Besitzmittlungswillen aufweisen.301 Erforderlich ist ein Besitzmittlungsverhältnis zwischen dem mittelbaren und dem unmittelbaren Besitzer, welches privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur sein kann und durch Vertrag oder Gesetz zustande kommen kann.302 Das Besitzmittlungsverhältnis ist in der Regel eine Abrede, aufgrund derer der mittelbare Besitzer dem unmittelbaren Besitzer die Sache überlässt, dieser hat aber umgekehrt einen zukünftigen Herausgabeanspruch gegen den unmittelbaren Besitzer303, das Besitzrecht ist also zeitlich befristet304. Daneben bedarf es eines
297
Hoeren, in: Grziwotz/Keukenschrijver/Ring (Hrsg.), BGB, 42016, § 868 Rn. 8. Götz, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 2021, § 868 Rn. 29. 299 Hoeren, in: Grziwotz/Keukenschrijver/Ring (Hrsg.), BGB, 42016, § 855 Rn. 13; Hoeren, in: Grziwotz/Keukenschrijver/Ring (Hrsg.), BGB, 42016, § 868 Rn. 8. 300 Götz, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 2021, § 868 Rn. 12. 301 Vgl. ders., in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 2021, § 868 Rn. 1. 302 Herrler, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 868 Rn. 6; Elzer, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 868 Rn. 5 ff. 303 Aus der Rechtsprechung etwa RGZ, 183, 186; BGHZ 10, 81; Hoeren, in: Grziwotz/ Keukenschrijver/Ring (Hrsg.), BGB, 42016, § 868 Rn. 10; Elzer, in: Westermann/Grunewald/ Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 868 Rn. 8; Götz, in: Gsell/ Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 2021, § 868 Rn. 27. 304 Götz, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 2021, § 868 Rn. 30. 298
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Besitzmittlungswillens des unmittelbaren Besitzers305, welcher grundsätzlich bei Kenntnis des Besitzmittlungsverhältnisses vermutet wird306. 2. Auswertung a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition Zurechnungsadressat ist der mittelbare Besitzer, die Hauptnorm kann erneut jede Vorschrift sein, die an den Besitz anknüpft. Die Zurechnungsnorm liegt in § 868 BGB. Einzig der Zurechnungsgegenstand ist wieder diskutabel. Auch hier könnte man erneut auf die Idee kommen, es werde der Besitz als solcher zugerechnet. Denkbar ist aber auch, bei der Systematik zu bleiben, die beim Besitzdiener entworfen wurde307 und nur die Zurechnung der Sachherrschaft anzunehmen. Erneut sprechen die besseren Gründe für die Zurechnung lediglich des objektiven Teils der Besitzvoraussetzungen. Die Zurechnung des Besitzes als Ganzes von dem unmittelbaren Besitzer würde erneut daran leiden, dass auch ein fremder Wille zugerechnet wird. Den fremden Besitzmittlungswillen des unmittelbaren Besitzers benötigt der mittelbare Besitzer aber nicht, er hat einen eigenen Besitzbegründungswillen. Dieser erfüllt, zusammengeführt mit der zugerechneten Sachherrschaft, die Anforderungen des § 854 BGB. Würde man den Besitz zurechnen und durch § 868 BGB für den mittelbaren Besitzer den § 854 BGB als miterfüllt ansehen, müsste man einen entsprechenden Besitzbegründungswillen des mittelbaren Besitzers im Rahmen des mittelbaren Besitzes prüfen. Täte man dies nicht, so wäre der Hintermann Besitzer ohne Besitzwille, was nicht zulässig ist. Auch bei § 868 BGB wird damit nicht der Besitz zugerechnet, sondern nur ein Teil, nämlich die tatsächliche Sachherrschaft des unmittelbaren Besitzers.308 b) Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung Es handelt sich um eine geschriebene, erneut aber in Bezug auf den Besitzmittlungswillen unvollkommene Zurechnung. c) Eigen- oder Fremdzurechnung Es handelt sich um eine Zurechnung durch Dritte erfüllte Merkmale, mithin um eine Fremdzurechnung. 305 Vgl. nur Hoeren, in: Grziwotz/Keukenschrijver/Ring (Hrsg.), BGB, 42016, § 868 Rn. 15 m. w. N. 306 Herrler, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 868 Rn. 7 m. w. N. 307 Siehe dazu bereits oben § 2 C. III. 3. a). 308 Ebenso Zeuner, JZ 1955, 195, 197.
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d) Zurechnungskriterien Maßgebliche Kriterien zur Annahme des mittelbaren Besitzes ist das Vorliegen eines Besitzmittlungsverhältnisses und der Wille zur Besitzmittlung durch den unmittelbaren Besitzer in der oben dargestellten Form. e) Zurechnungsgründe Der Verantwortungszusammenhang zwischen dem Zurechnungsgegenstand und dem Zurechnungsadressat liegt in dem Besitzmittlungsverhältnis begründet. Der Hintermann hat durch das Besitzmittlungsverhältnis einen Herausgabeanspruch auf die entsprechende Sache gegen den Vordermann. Über den unmittelbaren Besitzer kann der mittelbare Besitzer also – wenngleich eingeschränkt – auf die Sache zugreifen. Sinn und Zweck des mittelbaren Besitzes ist die Möglichkeit, den Besitz auch ohne ein § 855 BGB entsprechendes Weisungsverhältnis durch einen anderen ausüben zu lassen. Daneben entspricht es den Interessen des Hintermanns, trotz des „aus-der-Hand-Gebens“ der Sache weiterhin die Besitzrechte geltend machen zu können. Anders als bei der Besitzdienerschaft sind die Beteiligten beim mittelbaren Besitz auf Augenhöhe zu verorten: Zwischen ihnen besteht ein Besitzmittlungsverhältnis, welches zwar zum Ausdruck bringt, dass der Hintermann einen Herausgabeanspruch besitzt, dennoch genießt der Vordermann in diesen Grenzen eine relative Freiheit im Umgang mit der Sache. Er ist kein Befehlsempfänger, der kein eigenes Interesse an der Sache haben darf, sondern er erkennt zwar den Anspruch des anderen an, verfolgt aber in diesem Rahmen eigene Interessen. Ausdruck und Ursache dieses besonderen Wechselwirkungsverhältnisses ist das Besitzmittlungsverhältnis selbst. Abstraktes Kennzeichen dieses Verhältnisses ist, im Falle vertraglicher Entstehung eines Besitzmittlungsverhältnisses, eine Abrede zwischen den beiden Beteiligten. Der unmittelbare Besitzer lässt sich durch die Abrede darauf ein, dass sein Besitz unter der zeitlichen Beschränkung steht, der Hintermann also nie ganz „loslässt“. Umgekehrt gibt der mittelbare Besitzer insoweit nach, als der unmittelbare Besitzer freier über die Sache verfügen kann und der jederzeitige Zugriff auf die Sache – anders als beim Besitzdiener – stark erschwert ist. Auch beim Besitzmittlungsverhältnis lässt sich eine Rechtsmacht des mittelbaren Besitzers identifizieren. Der Hintermann hat eine überlegene Stellung, denn er hat einen, gleichwohl in der Zukunft liegenden, aber doch existenten Herausgabeanspruch. Der Besitz des Vordermanns ist damit mehr oder weniger belastet. Der mittelbare Besitzer hat eine überlegene Stellung, die von Dauer ist,
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der unmittelbare Besitzer dagegen hat eine unterlegene Stellung, die zeitlich begrenzt ist.309 Die rechtliche Macht, die durch das Besitzmittlungsverhältnis in Kraft gesetzt wird, ist indes bei weitem nicht so stark ausgeprägt wie das Weisungsverhältnis beim Besitzdiener. Dort ist ein soziales Abhängigkeitsverhältnis erforderlich oder „Gehorsam“, beim mittelbaren Besitzer besteht die rechtliche Macht lediglich in dem Anspruch auf Herausgabe. Innerhalb dieser Begrenzung verfolgt der unmittelbare Besitzer aber eigene Interessen. Dennoch liegt in dem Besitzmittlungsverhältnis aus den dargestellten Gründen ein ausreichender Grund zur Zurechnung.310 Weiterhin erscheint die Zurechnung auch interessengerecht, um dem Hintermann Zugriff auf die Besitzschutzrechte zu geben. Dem Vordermann wird durch den mittelbaren Besitz des Hintermanns im Übrigen sein Besitz nicht bestritten, seine Rechtsstellung verschlechtert sich durch die Einräumung des mittelbaren Besitzes nicht. Gegen die Zurechnung spricht erneut das Selbstverantwortungsprinzip, welches aber hier eine begründete Ausnahme durch die erfolgte Absprache als Zurechnungsgrund erfährt.
V. Haftung für den Erfüllungsgehilfen Ein weiteres zu untersuchendes Beispiel ist die Haftung für das Verhalten des Erfüllungsgehilfen. Der mit „Verantwortlichkeit des Schuldners für Dritte“ überschriebene § 278 BGB lautet: „Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. Die Vorschrift des § 276 Abs. 3 findet keine Anwendung.“
Die Regelung stellt das Verschulden des Erfüllungsgehilfen oder des gesetzlichen Vertreters dem eigenen Verschulden gleich311 und enthält damit eine Zurechnungsoperation. 1. Voraussetzungen der Gehilfenhaftung nach § 278 BGB Zwischen dem Anspruchssteller und dem Anspruchsgegner muss zunächst dem Wortlaut entsprechend ein Schuldverhältnis bestehen. Damit wird der Anwen309
Ders., JZ 1955, 195, 197. So jedenfalls ders., JZ 1955, 195, 197: Zurechnung kraft Besitzmittlungsverhältnis. 311 Dauner-Lieb, in: Dauner-Lieb/Langen (Hrsg.), BGB, 42021, § 278 Rn. 1. 310
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dungsbereich des § 278 BGB auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen bereits zum Zeitpunkt der Schädigung ein Schuldverhältnis zwischen Geschädigtem und Schädiger besteht.312 Ein solches kann aufgrund Vertrages oder Gesetzes bestehen, eine Sonderverbindung genügt.313 Durch das Erfordernis eines Schuldverhältnisses kann § 278 BGB von deliktischen Haftungsansprüchen abgegrenzt werden.314 Daneben muss der Schuldner nach dem Normtext Personen einsetzen, „deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient“. Erfüllungsgehilfe ist nach ständiger Rechtsprechung, wer nach den tatsächlichen Gegebenheiten mit Willen des Schuldners bei Erfüllung einer Verbindlichkeit des Schuldners als Hilfsperson tätig wird.315 Erforderlich ist ein vom Willen des Schuldners getragener, zumindest gebilligter316 Einsatz des Gehilfen (der Schuldner muss sich des Gehilfen „bedienen“317) zur Erfüllung der Verpflichtungen des Schuldners.318 Das Verhältnis zwischen Schuldner und Gehilfe ist anhand der tatsächlichen Verhältnisse zu untersuchen, ausreichend sind auch ein Gefälligkeitsverhältnis319 oder ein Handeln aus anderen Gründen, solange der Schuldner mit einem Handeln in seinem Pflichtenkreis einverstanden ist320. Unerheblich ist die Weisungsgebundenheit321 oder die Kontrolle322 des Schuldners über den Gehilfen, auch selbständige Unternehmer kommen als Erfüllungsgehilfen in Betracht323. Das Verhältnis muss nicht rechtsgültig sein324, es genügt sogar ein entsprechender Rechtsschein des 312 Looschelders, Schuldrecht – Allgemeiner Teil, 182020, § 23. Rn. 38; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 212015, Rn. 375. 313 Grüneberg, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 278 Rn. 2. 314 Vgl. Lorenz, JuS 2007, 983. 315 Ständige Rechtsprechung: BGHZ 13, 111, 113; 62, 119, 124; 187, 86; zuletzt etwa BGH NJW 2017, 2608, 2612. 316 Dubischar, in: Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 1980, § 278 Rn. 7; Westermann, JuS 1961, 333, 339. 317 Siehe dazu Westermann, in: ders. (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 152017, § 278 Rn. 15; Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 386 ff.; BGHZ 62, 119; 98, 330, 334. 318 Vgl. auch Lorenz, in: Canaris/Heldrich (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, S. 329, 372. 319 Eingehend ders., in: Canaris/Heldrich (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, S. 329, 341 f. 320 Westermann, in: ders. (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 152017, § 278 Rn. 16; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 212015, Rn. 376. 321 BGH NJW 1996, 451. 322 BGHZ 58, 211; 62, 124. 323 Siehe nur BGH NJW 2012, 1083; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 212015, Rn. 376; Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 390 m. w. N. 324 Seichter, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 9 26.01.2021, § 278 Rn. 17; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate sowie das Erlöschen
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Schuldnerwillens325. Der Gehilfe muss von der Gehilfeneigenschaft nicht einmal wissen.326 Weiterhin muss die Handlung des Gehilfen bei Erfüllung der Verbindlichkeit des Schuldners stattfinden und damit im Pflichtenkreis des Schuldners liegen. Um den Pflichtenkreis des Schuldners zu bestimmen, sind zunächst Art und Inhalt der Verpflichtungen des Schuldners in den Blick zu nehmen327, denn der Pflichtenkreis kann sich nur so weit erstrecken, wie die Pflicht des Schuldners gegenüber dem Gläubiger reicht. Der Pflichtenkreis enthält nicht nur die Hauptund Nebenleistungspflichten, sondern auch die Schutzpflichten328, was zu einer erheblichen Ausweitung der Anwendbarkeit von § 278 BGB führt.329 Aber nicht jedes Handeln im Pflichtenkreis des Schuldners ist ausreichend. Die Handlung des Gehilfen muss „bei Erfüllung“330 und nicht lediglich „bei Ge-
der Schuldverhältnisse aus anderen Gründen, 21994, S. 441. Aus der Rechtsprechung BGHZ 13, 111, 113; 50, 32, 35; 95, 170. 325 Caspers, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2019, § 278 Rn. 24; Grundmann, in: Säcker/ Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82019, § 278 Rn. 43. Caspers schreibt, in Bezugnahme auf LG Kleve MDR 1954, 675, dass ein Dritter auch als Erfüllungsgehilfe des Schuldners angesehen werden kann, ohne dass es eines ausdrücklichen Willens bedürfe. Der Anschein der Beauftragung genüge: Auch wenn sich der Anschein darauf beschränke, dass der Schuldner den Gehilfen mit einer Dienstleistung im Zusammenhang mit dem Schuldverhältnis beauftragt habe, sei der Gehilfe als Erfüllungsgehilfe zu behandeln. Eine ähnliche Konstellation lag BGH NJW 1965, 1709 zugrunde: In dem Fall ging es um einen Hotelbetrieb, bei dem ein „Hotelbursche“ angestellt war; den äußeren Umständen nach lag es nahe, dass dieser auch die Aufgabe hat, die Autos der Gäste in die nahe gelegene Garage zu bringen, tatsächlich gab es eine solche Weisung nicht. Der Bursche fuhr mit einem der Gästeautos zu einer „Schwarzfahrt“ und zerstörte es. Eine Haftung des Hoteliers aus § 278 BGB wurde bejaht. Nach Granitza, Erfüllungsgehilfen- und Repräsentantenhaftung, 1969, S. 64 ff. genügt für eine Bestimmung des Schuldnerwillens die grundsätzliche Billigung des Schuldners und die Zuweisung eines Aufgabenbereiches. Kritisch dagegen Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate sowie das Erlöschen der Schuldverhältnisse aus anderen Gründen, 21994, S. 442 f. 326 Lorenz, JuS 2007, 983 f.; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 212015, Rn. 376. 327 Siehe nur BGH NJW 2013, 2015; Grüneberg, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 278 Rn. 13; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 212015, Rn. 377; Lorenz, JuS 2007, 983, 984. 328 Grüneberg, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 278 Rn. 18 m. w. N.; Seichter, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 9 26.01.2021, § 278 Rn. 20. 329 Looschelders, Schuldrecht – Allgemeiner Teil, 182020, § 23 Rn. 38; Lorenz, in: Canaris/ Heldrich (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, S. 329, 339 f.; von einer „nicht voraussehbaren Karriere“ des § 278 BGB spricht Dubischar, in: Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 1980, § 278 Rn. 4; Schmidt, AcP 170 (1970), 502, 507 f. 330 Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch II, 1899, S. 16.
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legenheit“ begangen worden sein, sie muss in einem unmittelbaren inneren331, sachlichen332, spezifischen333 Zusammenhang334 mit den durch den Erfüllungsgehilfen zu erfüllenden Pflichten des Schuldners stehen.335 Dazu können auch vorsätzliche Handlungen des Gehilfen zählen.336 Dagegen lassen es Teile der Literatur genügen, wenn die Ausführung des Gehilfen erheblich erleichtert worden ist, da die Einwirkungsmöglichkeit auf die Rechtsgüter und Interessen des Gläubigers wegen des Schuldverhältnisses mit dem Schuldner erhöht worden ist.337 Der Gehilfe muss ferner schuldhaft handeln.338 Setzt der Gehilfe wiederum einen Gehilfen ein, ist ein Einverständnis des Schuldners keine Voraussetzung für eine Zurechnung nach § 278 BGB.339
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Siehe etwa BGH NJW-RR 2005, 756, 757. Grüneberg, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 278 Rn. 20; Seichter, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 926.01.2021, § 278 Rn. 43 f. 333 Looschelders, Schuldrecht – Allgemeiner Teil, 182020, § 23 Rn. 39. 334 Kritisch zur Begründung des notwendigen Zusammenhangs Spiro, Die Haftung für Erfüllungsgehilfen, 1984, S. 233 ff.; Schäfer, MDR 1969, 271 ff. Schäfer stellt maßgeblich auf die (subjektive) Interessenrichtung des Gehilfen ab: Handelt dieser im eigenen Interesse, kommt eine Zurechnung nicht in Betracht, handelt er im „beruflichen Interesse“ (S. 272), so kommt eine Zurechnung in Betracht. 335 Vgl. auch BGHZ 31, 366; BGH NJW-RR 1989, 725. 336 Aus der Rechtsprechung etwa BGH NJW 1994, 3345; NJW 1997, 1360; zahlreiche Beispiele bei Seichter, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 926.01.2021, § 278 Rn. 45; Grüneberg, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 80 2021, § 278 Rn. 20. 337 Vgl. Looschelders, Schuldrecht – Allgemeiner Teil, 182020, § 23 Rn. 39; vom Prinzip der Risikoerhöhung sprechen Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 212015, Rn. 382; so auch bereits Dubischar, in: Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 1980, § 278 Rn. 8. Mit Hinweis auf das Personalrisiko BGH NJW 1996, 451. Auf einen zwischen Schuldner und Gläubiger bestehenden Vertrauenstatbestand abstellend Schmidt, AcP 170 (1970), 502, 511. 338 Grüneberg, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 278 Rn. 27 m. w. N. 339 Zu dieser Konstellation im Rahmen der Verkettung von Zurechnung bereits oben § 1 A. VIII. Der BGH sieht ein derartiges Einverständnis als notwendig an, siehe etwa BGH VersR 1978, 38, 40. Überzeugender ist dagegen, eine Zurechnung auch ohne Einverständnis zuzulassen, da ein Handeln außerhalb der Weisungen auch sonst unter § 278 BGB fällt, solange im Pflichtenkreis des Schuldners durch den Erfüllungsgehilfen gehandelt wird. Die Einschaltung der weiteren Hilfspersonen im Pflichtenkreis muss sich der Schuldner daher ebenso zurechnen lassen wie pflichtwidriges Verhalten des ursprünglichen Erfüllungsgehilfen. Zu Recht daher Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate sowie das Erlöschen der Schuldverhältnisse aus anderen Gründen, 21994, S. 443 f. 332
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2. Auswertung a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition Die Haftung für den Erfüllungsgehilfen aus § 278 BGB ist als Zurechnungskonstellation anerkannt.340 Sie ist in der Regel Ausgangspunkt für die Darstellung von Zurechnungsfragen des gesamten Zivilrechts.341 Trotz der bereits langanhaltenden Behandlung des § 278 BGB als Zurechnungsproblem ist doch nicht vollends einheitlich, was Gegenstand der Zurechnung ist. Teilweise wird verkürzend von einer Zurechnung fremden Verschuldens gesprochen.342 Dies trifft es allerdings nicht präzise genug. Nicht nur das Verschulden soll vom Erfüllungsgehilfen auf den Schuldner übertragen werden, sondern sein gesamtes Verhalten: Während bei § 831 BGB den Schuldner ein eigenes Verschulden und damit eine eigene Pflichtverletzung bei der Auswahl des Verrichtungsgehilfen trifft, ist bei § 278 BGB kein eigenes Verschulden und keine eigene Pflichtverletzung des Schuldners vorhanden. Der Schuldner tut nichts weiter, als den Erfüllungsgehilfen in seinem Pflichtenkreis einzusetzen, er verletzt selbst keine Pflicht und verschuldet sie auch nicht, die Pflichtverletzung begeht der Erfüllungsgehilfe. Entgegen der oftmals anzutreffenden Wendung, § 278 BGB rechne nur das Verschulden zu, ist Zurechnungsgegenstand somit auch die Pflichtverletzung des Erfüllungsgehilfen, also ein pflichtwidriges Handeln oder Unterlassen. Dies lässt sich auch anhand der Anforderungen zur Bejahung der Erfüllungsgehilfeneigenschaft ablesen: Hier bedarf es einer spezifischen Verbindung der Pflichtverletzung mit dem zugrundeliegenden Schuldverhältnis. Zurechnungsgegenstand ist damit Verhalten und Verschulden des Gehilfen.343 Zurechnungsadressat ist der Schuldner, der für sich genommen den Tatbestand der Hauptnorm, in der Regel einer Haftungsnorm wie etwa § 280 Abs. 1 BGB, deshalb nicht erfüllt, weil er weder selbst die Pflichtverletzung begangen hat noch ihm selbst ein Verschuldensvorwurf zu machen ist. Diese Lücke schließt die Zurechnung fremden Verhaltens und Verschuldens aus § 278 BGB. Durch die Zuordnung fremder Merkmale handelt es sich um eine klassische Fremdzurechnung. 340 Kaum wegzudenken ist der stets wiederholte Grundsatz, dass § 278 BGB keine Anspruchsgrundlage, sondern Zurechnungsnorm sei, siehe statt aller etwa Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 212015, Rn. 372. 341 Siehe etwa Seichter, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 926.01.2021, § 278 Rn. 5 ff. 342 Dauner-Lieb, in: Dauner-Lieb/Langen (Hrsg.), BGB, 42021, § 278 Rn. 1 und 20. 343 Looschelders, Schuldrecht – Allgemeiner Teil, 182020, § 23 Rn. 34; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 212015, Rn. 383; Lorenz, JuS 2007, 983, 984; Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 45.
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§ 278 BGB ist darüber hinaus eine geschriebene Zurechnungsnorm, die indessen unvollkommen ist, da wesentliche Merkmale nicht gesetzlich niedergelegt sind. b) Zurechnungskriterien Die Kriterien der Zurechnung ergeben sich aus den oben genannten Prüfungsschritten. Zunächst muss ein Schuldverhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger bestehen, im Rahmen dieses Schuldverhältnisses muss der Gehilfe eingesetzt werden. Der Gehilfe muss zum Schuldner lediglich in einem rein tatsächlichen Verhältnis stehen und im Rahmen des Schuldverhältnisses zur Erfüllung einer Verbindlichkeit eingesetzt werden. Der Gehilfe muss mit Wissen und Wollen im Pflichtenkreis des Schuldners tätig werden, der Pflichtenkreis bemisst sich nach dem zugrunde liegenden Schuldverhältnis. c) Zurechnungsgründe Anders als bei den übrigen bisher untersuchten Beispielen ist die Herausarbeitung des Zurechnungsgrundes bei der Gehilfenzurechnung des § 278 BGB, auch wenn sie nicht zwangsläufig als solche bezeichnet wird, weit fortgeschritten. Die Begründungsansätze sind vielfältig und setzen argumentativ an ganz unterschiedlichen Stellen an.344 aa) Bisherige Begründungsansätze Den Motiven des BGB lässt sich als Begründung der Zurechnung die Erwägung entnehmen, die Erwartungen des Verkehrs müssten geschützt werden.345 Dies impliziert nach teilweise vertretener Ansicht eine Garantiehaftung für die Personen, welche der Schuldner einsetzt.346 Zum Teil wird eine ähnliche Argumentation unter dem Begriff der „Einschalthaftung“ genutzt: Die Zurechnung solle ausgleichen, dass es dem Schuldner möglich ist, seine Verpflichtungen durch Einschaltung eines Dritten ganz oder teilweise zu erfüllen347, die Zurechnung sei der 344 Siehe nur Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate sowie das Erlöschen der Schuldverhältnisse aus anderen Gründen, 21994, S. 444 ff. 345 Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch II, 1899, S. 16 f. 346 Lorenz, in: Canaris/Heldrich (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, 329 m. w. N. In Richtung einer Garantiehaftung auch von Caemmerer, in: von Caemmerer/Fischer/Nüßgens u. a. (Hrsg.), Festschrift für Fritz Hauß zum 70. Geburtstag, 1978, S. 33, 36 und 40; Nachweise auch bei Schmidt-Kessel/Kramme, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 152020, § 278 Rn. 1; Caspers, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2019, § 278 Rn. 1. 347 Siehe etwa Westermann, JuS 1961, 333, 334 f.; ablehnend Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate sowie das Erlöschen der Schuldverhältnisse aus anderen Gründen, 21994, S. 445.
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Preis für das Einschalten einer Hilfsperson348. Der Schuldner übernimmt danach das „Personalrisiko“ und muss auch ohne eigenes Verschulden haften.349 In den Motiven des BGB heißt es dazu, dass derjenige, der sich der Hilfe eines Dritten bediene, „im eigenen Interesse und folgeweise auch auf seine eigene Gefahr“ handelt.350 Die Rechtsprechung stellt auch heute noch auf die Erledigung fremder Interessen ab, wenn es um die Bestimmung der Erfüllungsgehilfeneigenschaft geht.351 Die Lage des Gläubigers soll durch die Einschaltung von Gehilfen auf Seiten des Schuldners nicht verschlechtert werden352, der Schuldner nicht die Möglichkeit haben, die Haftung durch Delegation zu umgehen353. Ähnliches lässt sich auch den Gesetzgebungsmaterialien des BGB entnehmen354. Ohne § 278 BGB könnte sich der Schuldner der vertraglichen Haftung durch Einschaltung von Gehilfen entziehen, da ihn bei korrekter Auswahl und Überwachung (§ 831 Abs. 1 S. 2 BGB) in der Regel kein eigenes Verschulden träfe. Umgekehrt hat auch der Gehilfe keine vertragliche Haftung zu befürchten, der Gehilfe selbst ist nicht Vertragspartner des Gläubigers, es blieben einzig deliktische Ansprüche gegen den Gehilfen übrig.355 Wenn durch Dritte Verträge geschlossen (Botenschaft, §§ 164 ff. BGB), Besitz vermittelt (§§ 855, 868 BGB) und damit auch ohne Anwesenheit Eigentum erworben werden kann, bedarf es eines Korrektivs, um eine Entziehung aus der Haftung zu verhindern. Die Zurechnung von Handlungen und Verschulden ist danach eine notwendige Einrichtung, um den Interessenausgleich zwischen den 348
Schmidt-Kessel/Kramme, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 152020, § 278 Rn. 1. 349 Vom „Personalrisiko“ spricht etwas BGH NJW-RR, 756, 575; siehe auch Dubischar, in: Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 1980, § 278 Rn. 1, 8; von Caemmerer, in: von Caemmerer/Fischer/Nüßgens u. a. (Hrsg.), Festschrift für Fritz Hauß zum 70. Geburtstag, 1978, S. 33, 34 f. 350 Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch II, 1899, S. 16. 351 Siehe nur beispielhaft BGHZ 33, 302, 309 für den Makler und BGHZ 174, 32, 36 für den Nachunternehmer. 352 Zu dem durch Einschaltung gestiegenen Risiko des Gläubigers, keinen Ersatz zu erlangen siehe nur Spiro, Die Haftung für Erfüllungsgehilfen, 1984, S. 52 ff. und daneben Lorenz, in: Canaris/Heldrich (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, S. 329, 331; ähnlich Schmidt, AcP 170 (1970), 502. 353 Schmidt-Kessel/Kramme, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 152020, § 278 Rn. 1; ähnlich Rohde, Die Wissenszurechnung bei rechtsgeschäftlicher Tätigkeit einer juristischen Person, 1999, S. 16 f.; Caspers, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2019, § 278 Rn. 1. 354 Bei Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch II, 1899, S. 16 heißt es, es solle die Entzugsmöglichkeit durch Einschaltung Dritter verhindert werden. 355 Zu dieser Ausgangslage auch Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 212015, Rn. 369.
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am Rechtsverkehr beteiligten Personen herzustellen und dient damit dem Schutz des Gläubigers und der Rechtssicherheit.356 Weiterhin wird oftmals auf das „Ausgleichsargument“ abgestellt: Wer die Vorteile der Arbeitsteilung nutzt, muss auch die Nachteile, welche daraus erwachsen, tragen.357 Dies wird teilweise mit dem Argument bestritten, dass auch in anderen Fällen von Arbeitsteilung keine derartige Zurechnung eingreife, wie § 831 BGB zeigt.358 Daneben hilft die Erwägung bei unentgeltlichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen nicht unbedingt weiter.359 Artverwandt ist die Argumentation, nicht auf die Vorteile der Arbeitsteilung, sondern auf die Erweiterung des Rechtskreises des Schuldners abzustellen. Wer seinen Rechtskreis und damit seinen Haftungsbereich dadurch erweitert, dass er selbst (im Verhältnis zum Gläubiger) geschuldete Aufgaben durch andere Personen erledigen lässt, der muss auch die Haftung dafür übernehmen.360 Dies lässt sich auch auf das verbindende Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger übertragen. Wer Dritte einschaltet in den gegenseitigen Pflichtenbereich des Schuldverhältnisses und dadurch die nachteilige Einwirkung ermöglicht, muss für den Dritten haften, als handele er selbst.361 Umgekehrt ist der Rechts- und Verantwortungskreis des Schuldners aber auch die Grenze der Zurechnung.362 Zur Begründung wird ferner auf die Risikoerhöhung durch die gesteigerten Einwirkungsmöglichkeiten abgestellt.363 Das Risiko der Verletzung von rechtlich geschützten Interessen wird durch die Einschaltung von weiteren Personen, aber
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Vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch II, 1899, S. 16. Vgl. Looschelders, Schuldrecht – Allgemeiner Teil, 182020, § 23 Rn. 35; Ulber, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 278 Rn. 3; Lorenz, in: Canaris/Heldrich (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, S. 329, 332; von einem „Risiko-Nutznießungsgedanken“ spricht Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 143 ff.; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate sowie das Erlöschen der Schuldverhältnisse aus anderen Gründen, 21994, S. 445; Rohde, Die Wissenszurechnung bei rechtsgeschäftlicher Tätigkeit einer juristischen Person, 1999, S. 16; Schmidt, AcP 170 (1970), 502, 506. 358 Lorenz, in: Canaris/Heldrich (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, S. 329, 332. 359 Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate sowie das Erlöschen der Schuldverhältnisse aus anderen Gründen, 21994, S. 446. 360 So auch die Rechtsprechung, vgl. etwa BGHZ 62, 119; BGH NJW 1984, 1748; NJW 2017, 2608, 2612. Ulber, in: Westermann/Grunewald/Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 278 Rn. 1; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 212015, Rn. 382; Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 143 ff. 361 Schmidt, AcP 170 (1970), 502, 513; ähnlich Adler, Wissen und Wissenszurechnung, insbesondere bei arbeitsteilig aufgebauten Organisationen, 1997, S. 20. 362 Siehe bereits oben und etwa Caspers, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2019, § 278 Rn. 36. 363 Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 212015, Rn. 382. 357
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auch durch das Schuldverhältnis an sich364 grundsätzlich erhöht. Durch das erhöhte Risiko für den Gläubiger ist eine Ausweitung der Haftung gerechtfertigt.365 Teilweise wird auch eine „Zurechnungseinheit“ konstruiert. Wenn dem Schuldner das „gute“ Handeln des Erfüllungsgehilfen als Erfüllungshandlung zugerechnet wird, dann muss der Schuldner sich ebenso das „schlechte“ Handeln als Pflichtverletzung und Verschulden zurechnen lassen: Eine Aufteilung der beiden Handlungsweisen sei wegen der bestehenden Zurechnungseinheit nicht angezeigt.366 Dem Gläubiger ist es außerdem nur dann gleichgültig, ob der Schuldner die Erfüllung mit Gehilfen bewerkstelligt, wenn damit keine Nachteile verbunden sind und das gesamte Verhalten des Schuldners und seiner Hilfskräfte eine Einheit bildet.367 Des Weiteren wird auf das zugrunde liegende Schuldverhältnis abgestellt. Unterstellt man jeder schuldrechtlichen Vereinbarung, dass sie zugleich die Begründung einer möglichen Haftung aus Verschuldenstatbeständen enthält, so muss diese Haftung auch im Falle des Einschaltens Dritter gelten.368 An der Interessenlage ändert sich durch die einseitige Einschaltung eines Gehilfen nichts. Gleichwohl zeigt auch dieser Begründungsansatz Lücken in Bezug auf gesetzliche Schuldverhältnisse. Keine Rolle soll für die Begründung der Erfüllungsgehilfenschaft dagegen die Einwirkungs- oder Einflussmöglichkeit des Schuldners auf das Verhalten seines Gehilfen spielen369, gleichwohl gehen die Motive zum BGB relativ lapidar davon aus, dass den Schuldner die Haftung für das Verschulden „seiner Leute“ treffen soll.370 Kommt es auf die Zuordnung der Gehilfen als „Leute“ des Schuldners an, kann auf den Einwirkungs- und Einflussaspekt nicht vorschnell verzichtet werden. Gleichwohl ist eine allgemeine „Leutehaftung“ dem BGB fremd, es bedarf einer Verbindung zu den vertraglichen Pflichten des Schuldners.371 364
Schmidt, AcP 170 (1970), 502, 508 f. Ähnlich Westermann, JuS 1961, 333. 366 Lorenz, in: Canaris/Heldrich (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, S. 329, 332 f.; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate sowie das Erlöschen der Schuldverhältnisse aus anderen Gründen, 21994, S. 446; weitere Nachweise bei Schermaier, in: Schmoeckel/Rückert/ Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, 2007, §§ 276–278 Rn. 101. 367 Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate sowie das Erlöschen der Schuldverhältnisse aus anderen Gründen, 21994, S. 446; ähnlich Picker, AcP 183 (1983), 369, 488 f., der aber dann auf eine Fiktion der Beobachtung abstellen will. 368 Lorenz, in: Canaris/Heldrich (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, S. 329, 334. 369 BGHZ 24, 325, 329. 370 Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch II, 1899, S. 16. 371 Schmidt-Kessel/Kramme, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 152020, § 278 Rn. 15 m. w. N. Dagegen kennt das HGB eine Leutehaftung nach § 428 HGB beim Frachtführer, im Falle des § 462 HGB beim Spediteur, nach § 501 HGB für den Verfrachter und bei § 540 HGB für den Beförderer jeweils für Handlungen in Ausübung der 365
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bb) Systematisierung Die Zurechnungsgründe lassen sich auf verschiedene Begründungsansätze zurückführen. Zum einen existieren willensbasierte und heteronome, vom Willen der Beteiligten losgelöste Rechtfertigungen.372 Willensbasierte Rechtfertigungen der Zurechnung greifen an dem zugrundeliegenden Schuldverhältnis an und folgern aus dem Erfolgsversprechen des Schuldners eine Garantiehaftung für die eingesetzten Hilfskräfte373. Vom Willen der Parteien unabhängig sind die heteronomen Rechtfertigungsversuche etwa der Risiko-Nutznießungsgedanke374. Die genannten Erwägungen lassen sich durch die verschiedenen Perspektiven auf die Zurechnungsproblematik neuartig erschließen. (1) Perspektive des Gläubigers Zum einen lässt sich die Zurechnung aus der Perspektive und aus der Schutzwürdigkeit des Gläubigers her begründen. Dieser soll nicht schlechter gestellt werden, als wenn der Schuldner selbst handeln würde. Daneben soll die Rechtsstellung des Gläubigers durch Veränderungen im Rechtskreis des Schuldners nicht verschlechtert werden. Auch der Gedanke der Risikoerhöhung lässt sich grundsätzlich in dieser Kategorie entfalten: Die Schutzwürdigkeit des Gläubigers steigt, wenn auch die fremden Einwirkungsmöglichkeiten auf seine Sphäre steigen. (2) Perspektive des Schuldners Aus Perspektive des Schuldners ist vor allem auf den Begriff des Rechtskreises abzustellen. Dieser ist einerseits Begründungs- andererseits auch Begrenzungsansatz einer Zurechnung. Nur wenn Handlungen durch den Erfüllungsgehilfen vorgenommen werden, die in den Rechtskreis des Schuldners fallen, kommt eine Gehilfenschaft überhaupt in Frage. Umgekehrt spricht der Einsatz einer Person im Rechtskreis eines anderen für eine Zurechnung zum Inhaber des Rechtskreises. Auf den Rechtskreis bezogen lässt sich folgern, dass derjenige, der seinen Rechtskreis durch Einschaltung Dritter erweitert, die Nachteile dieser Erweiterung tragen muss. Auch die argumentative Verknüpfung des Nutzens der ArbeitsVerrichtung. Auch der Reeder haftet für Handlungen seiner Besatzungsmitglieder gemäß § 480 HGB. E contrario lässt sich aus diesen besonderen Haftungstatbeständen für die Leute folgern, dass eine allgemeine Leutehaftung in der Tat nicht besteht. 372 Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 138. 373 Umfassende Analyse bei ders., Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 138 ff. 374 Ders., Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 143 ff.
C. Zurechnung im Zivilrecht
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teilung mit den entsprechenden Risiken passt in die Schuldnerperspektive: Es geht dann weniger um die Schutzbedürftigkeit des Gläubigers als vielmehr um eine Art der „Vorteilsabschöpfung“. (3) Perspektive des Schuldner-Gläubiger-Verhältnisses Das Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger ist das zugrundeliegende Schuldverhältnis. Die Herleitung einer willensbasierten Zurechnung setzt an dieser Stelle an und konstruiert eine Art Garantiehaftung. Die Betrachtung ist aber auch eng mit der oben genannten Rechtskreis-Argumentation verschränkt, denn der Rechtskreis ergibt sich nicht abstrakt, sondern auch immer in Bezug auf das zugrunde liegende Schuldverhältnis. (4) Perspektive des Schuldner-Gehilfen-Verhältnisses Bisher wenig Beachtung gefunden hat eine Betrachtung des Schuldner-Gehilfen-Verhältnisses. Dieses ist aber nach der hier konstruierten Zurechnungsmethode von erheblicher Bedeutung, muss schließlich der Rechtfertigungsgrund in dem Verhältnis zwischen dem Handeln des Gehilfen (Zurechnungsgegenstand) und dem Schuldner (Zurechnungsadressat) angelegt sein. Das Verhältnis zwischen Gehilfe und Schuldner ist ein Tatsächliches: Es muss kein rechtliches Beherrschungsverhältnis und auch keine Weisungsgebundenheit vorliegen. Auf die Weisungen kann es auch denklogisch gar nicht ankommen, schließlich handelt es sich bei der Zurechnung über § 278 BGB immer um die Zurechnung eines Exzesses. Der Schuldner hat den Erfüllungsgehilfen freilich nicht angewiesen, die Pflichten aus dem Schuldverhältnis mit dem Gläubiger zu verletzen. Aus diesem Grund ist § 278 BGB im Kern eine Sonderregelung. Führen Exzesse in der Regel zu einer Durchbrechung der Zurechnung bei willentlich getragener Zurechnung, so dient die Regelung des § 278 BGB einzig dem Zweck, Exzesse zuzurechnen. Auf eine Absprache zwischen Gehilfe und Schuldner scheint es folglich nicht anzukommen, weil es sich bei dem zugerechneten Verhalten ohnehin um Exzesse handelt und solche bei Zurechnung durch Absprache zurechnungshemmend wirken. Im Rahmen dieses Verhältnisses ist die angesprochene Zurechnungseinheit relevant. Nach einer Argumentationslinie ist die Zurechnung des Exzesses deshalb angezeigt, weil eine Zurechnung des gewollten Handelns ohne weiteres erfolgt. Der Schuldner soll sich aber nicht aussuchen können, welches Verhalten des in seinem Rechtskreis handelnden Gehilfen er gegen sich gelten lassen will und welches nicht. Lässt der Schuldner in seinem Rechtskreis Aufgaben erledigen, dann gibt er damit zu erkennen, dass er sich im Positiven wie im Negativen daran festhalten lassen will. Die Idee der Zurechnungseinheit ist im Ergebnis
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§ 2 Zurechnung im Straf-, Zivil-, und Öffentlichen Recht
zutreffend, allerdings enthält auch sie keine Begründung der Zurechnung als solche: Sie kann zwar überzeugend begründen, warum die Zurechnung nicht bei erwünschtem Verhalten abbrechen, nicht aber, warum überhaupt eine Zurechnung stattfinden soll. Die Argumentation mit der Zurechnungseinheit richtet sich damit eher auf den Umfang der Zurechnung als den Grund der Zurechnung. Aus dem Gesagten ergibt sich eine Sonderstellung des § 278 BGB. Die Regelung rechnet den Exzess des Gehilfen zu, wohingegen die Zurechnung des gewünschten (Erfüllungs-) Verhaltens keiner Zurechnungsnorm bedarf. Dies deutet darauf hin, dass in der Regel die Zurechnung durch Exzesse unterbrochen werden soll, § 278 BGB bestätigt dies als explizit angeordnete Ausnahme. Wie bereits oben angedeutet, besteht nicht notwendig ein rechtliches Beherrschungsverhältnis zwischen Gehilfe und Schuldner, jedenfalls eine tatsächliche Beherrschung ist aber anzunehmen. Der Gehilfe handelt fremdnützig im fremden Rechtskreis und steht unter dem Willen des Schuldners. Will der Gehilfe nur eine eigene Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger erfüllen, denn dann ist er nicht mehr Erfüllungsgehilfe375, man kann sogar so weit gehen und die Zurechnung dort abbrechen, wo der Gehilfe subjektiv nicht mehr im Interesse des Schuldners, sondern im eigenen Interesse handelt376. Zwischen beiden Subjekten lässt sich damit also ohne weiteres ein tatsächliches Beherrschungsverhältnis konstruieren, welches für eine Zurechnung spricht. cc) Grenzen der Zurechnung Gegen eine Zurechnung spricht der Wille des Schuldners. Dieser setzt den Gehilfen zwar ein, hat aber kein Interesse an einer Haftung für dessen Verhalten. Daneben spricht auch das Handeln des Gehilfen als Exzess zunächst gegen eine Zurechnung. Im Interesse des Schuldners müsste der innere Zusammenhang zwischen schädigendem Handeln des Gehilfen und dem Schuldverhältnis möglichst streng ausgeprägt sein.
D. Zurechnung im Öffentlichen Recht Weit weniger ausgeprägt als im Zivilrecht finden sich auch im Öffentlichen Recht Zurechnungsprobleme, gleichwohl diese nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. 375
Siehe nur Seichter, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 926.01.2021, § 278 Rn. 18. 376 So etwa Schäfer, MDR 1969, 271, 272 f.
D. Zurechnung im Öffentlichen Recht
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Besondere Beachtung soll im Folgenden der Amtshaftung, der Grundrechtsgebundenheit des Staates, dem grundrechtlichen Eingriffsbegriff sowie der Störerhaftung im Polizei- und Ordnungsrecht geschenkt werden.
I. Amtshaftung Artverwandt mit der Haftung des Erfüllungsgehilfen377 ist die Amtshaftung aus Art. 34 GG und § 839 BGB. Auch hier handelt der „Gehilfe“, vorliegend der Inhaber eines öffentlichen Amtes, im Rahmen seiner Dienstpflicht und verletzt dabei fremde Rechte. Die Haftung wird aber durch Art. 34 GG vom tatsächlichen Verursacher auf den Staat umgeleitet. Nach herrschender Meinung handelt es sich bei Art. 34 GG um eine Zurechnungsnorm, welche den aus § 839 BGB entstehenden Anspruch auf den Staat umlenkt.378 1. Voraussetzungen des Art. 34 GG Nach Art. 34 GG muss „jemand“ in Ausübung eines öffentlichen Amtes handeln. Ein öffentliches Amt liegt nicht nur bei Beamten im statusrechtlichen Sinne, sondern auch bei Beamten im haftungsrechtlichen Sinne vor, die Konstruktion erfolgt funktionsbezogen anhand der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben.379 Maßgebliche Kriterien sind die Rechtsform380 und Zielsetzung381 des Handelns. Bewegt sich die Zielsetzung der Handlung im Bereich hoheitlicher Tätigkeit, so ist die Handlung auch als hoheitlich anzusehen.382 Die schädigende Handlung und das öffentliche Amt müssen in einem inneren Zusammenhang miteinander
377
Ders., MDR 1969, 271 ff. Vgl. aus der Rechtsprechung BGHZ 1, 388, 391; 4, 10, 45; 34, 99, 104 ff.; BVerwGE 13, 17, 23; 25, 138, 145 f.; Papier/Shirvani, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 34 Rn. 11; kritisch Detterbeck, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 9 2021, Art. 34 Rn. 3; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 34 Rn. 33; Granitza, Erfüllungsgehilfen- und Repräsentantenhaftung, 1969, S. 126. 379 BGHZ 118, 304, 305; 147, 169, 171; 181, 65. Siehe auch Grzeszick, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 4715.05.2021, Art. 34 Rn. 5; Danwitz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 34 Rn. 57; Hartmann/Tieben, JA 2014, 401 f.; Shirvani, NVwZ 2010, 283, 285; weiter dagegen Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 34 Rn. 39. 380 Siehe etwa BGH NJW 2000, 2810, 2811. 381 BGH NJW 1992, 2882; 2000, 2810, 2811; NVwZ 2002, 375; 2007, 487, 488. Siehe auch Grzeszick, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 4715.05.2021, Art. 34 Rn. 6; Shirvani, NVwZ 2010, 283, 285. 382 Vgl. BGHZ 181, 65, 67 f. Rn. 10; 118, 304, 305; 147, 169, 171. 378
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§ 2 Zurechnung im Straf-, Zivil-, und Öffentlichen Recht
stehen383, das verletzende Handeln darf nicht lediglich „bei Gelegenheit“ geschehen, sondern „in Ausübung“ der Amtspflicht384. Erforderlich ist ein „hinreichend enger innerer und äußerer Zusammenhang“385 zwischen der Ausübung des öffentlichen Amtes und der Schadensverursachung386, der sich in der Regel durch den örtlichen und zeitlichen Rahmen der Amtsausübung konkretisieren lässt387. Zuletzt muss die Amtspflicht auch Drittbezug entfalten, sie muss also nicht nur Interessen der Allgemeinheit, sondern dem Schutz der Interessen eines abgrenzbaren Personenkreises dienen388. Rechtsfolge des Art. 34 GG ist die Haftungsüberleitung auf den Staat und damit eine befreiende „Schuldübernahme“ einer persönlichen Haftung.389 2. Auswertung a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition Fraglich ist bei der Regelung des Art. 34 GG indes, ob es sich auch nach der oben eingeführten Definition um eine Zurechnung handelt. Auf den ersten Blick erscheint nicht klar, welche Veränderungen im Sachverhalt vorgenommen werden, um eine Hauptnorm zur Anwendung zu bringen. Art. 34 GG enthält zum einen konkrete Vorgaben, nach denen die persönliche Haftung des Amtsträgers auf den Staat umgelenkt werden soll, zum anderen auch
383 Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 34 Rn. 40; vgl. Leisner, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, 42018, Art. 34 Rn. 14. 384 Grzeszick, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 4715.05.2021, Art. 34 Rn. 7. 385 BGH NJW 1977, 1875, 1876. 386 Grzeszick, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 4715.05.2021, Art. 34 Rn. 7; Detterbeck, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Art. 34 Rn. 24. Teilweise wird auch vorgebracht, dass „im Zweifel“ das Handeln zuzurechnen sei, so Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 34 Rn. 40, allerdings sind die dort genannten Fundstellen lediglich Beispiele einer angenommenen Zurechnung und keine Stütze für eine etwaige Vermutung zugunsten der Zurechnung. 387 Hartmann/Tieben, JA 2014, 401, 403 m. w. N. 388 Vgl. Grzeszick, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 4715.05.2021, Art. 34 Rn. 9 f.; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 34 Rn. 44 ff. Aus der Rechtsprechung siehe nur BGH NJW 1971, 1172; 1989, 976; 1993, 2303; 1995, 1828. 389 So die herrschende Ansicht, siehe etwa BVerfGE 61, 149, 198; BVerwGE 13, 17, 23; 25, 138, 145 f.; BGHZ 34, 99, 104 ff.; Gurlit, in: Kämmerer/Kotzur (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 72021, Art. 34 Rn. 27; Papier/Shirvani, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 34 Rn. 11; Leisner, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, 42018, Art. 34 Rn. 2; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band IV/2, 2011, S. 2027; dagegen etwa Detterbeck, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Art. 34 Rn. 3.
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eine „Mindestgarantie“390 für eine Haftung des Staates für die Schäden rechtswidriger Amtshandlungen. Ist im Grundgesetz danach ungeschrieben eine Haftung für rechtswidriges Staatshandeln vorgegeben, dann füllt Art. 34 S. 1 GG diese durch die Nennung von Merkmalen und die Zuordnung der persönlichen Pflichtverletzung des Amtsträgers aus. Die persönliche Haftung (§ 839 BGB) wandelt Art. 34 S. 1 GG in eine gegen den Staat gerichtete Haftung um. Unter gewissen Bedingungen ordnet Art. 34 S. 1 GG die Haftung dem Staat zu, als habe er selbst wie eine natürliche Person Amtspflichten verletzt. Art. 34 S. 1 GG führt zu einer gesetzlichen Schuldübernahme und befreit den Amtsträger von seiner Haftung. Daraus könnte man folgern, dass Art. 34 S. 1 GG die für eine mittelbare Staatshaftung zwingend erforderliche persönliche Haftung des Amtsträgers auf den Staat überträgt und ihn so für fremdes Handeln haften lässt. Die Norm des Art. 34 GG sichert nach einem derartigen Verständnis die Anwendung einer mindestens mittelbaren Staatshaftung als im Grundgesetz enthaltene Garantie durch Zuordnung der relevanten Merkmale. Man könnte indes Art. 34 GG auch so verstehen, dass dieser § 839 BGB zur Anwendung bringt, indem Art. 34 S. 1 GG die Anwendung unter gewissen Voraussetzungen sichert und die aus § 839 BGB entstehende Haftung auf den Staat umlenkt. Problematisch an der Einordnung als Zurechnungsoperation ist die Wirkung von Art. 34 S. 1 GG in Relation zu § 839 BGB. Zwar wird die Haftung umgeleitet, aber Art. 34 S. 1 GG enthält eine Erweiterung des Tatbestandes von § 839 BGB, indem auch Beamte im haftungsrechtlichen Sinne einbezogen werden, was grundsätzlich gegen eine Zurechnung391 und eher für eine eigene Haftungsnorm spricht. Daneben existiert keine geschriebene Norm, die eine unmittelbare Staatshaftung ähnlich wie § 839 BGB vorsieht. Die Merkmale des § 839 BGB können damit nicht in eine andere geschriebene Hauptnorm übertragen werden. Andererseits spricht dies nicht zwangsläufig gegen die Zurechnung der übrigen Voraussetzungen des § 839 BGB zum Staat. Art. 34 S. 1 GG erweitert an einem Punkte die Merkmale des § 839 BGB und ordnet sie ansonsten dem Staat zu. Dieser wird so behandelt, als sei er der verletzende Amtsträger. Daneben ist Art. 34 S. 1 GG an sich keine ausreichende Anspruchsgrundlage, sondern es bedarf des Rückgriffs auf § 839 BGB. So sieht auch die Rechtsprechung in § 839 BGB die haftungsbegründende und in Art. 34 GG die haftungsverlagernde 390 BVerfGE 61, 139, 199. Siehe auch Detterbeck, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Art. 34 Rn. 3 m. w. N. 391 Detterbeck, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Art. 34 Rn. 3; Gurlit, in: Kämmerer/ Kotzur (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 72021, Art. 34 Rn. 28.
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Norm.392 Auch die Entstehungsgeschichte spricht für eine Zurechnung- und gegen eine eigene Haftungsnorm: Die Weimarer Reichsverfassung393 und ihr folgend das Grundgesetz kennen keine unmittelbare Staatshaftung, sondern nur eine mittelbare Haftung, welche die persönliche Haftung des Beamten voraussetzt.394 Somit hat es nicht nur kompetenzrechtliche Gründe, warum im BGB nicht eine Haftung des Staates, sondern nur des handelnden Beamten niedergelegt wurde.395 Art. 77 EGBGB weist aber darauf hin, dass es den Ländern freisteht zu regeln, wann eine Haftung des Staates für „den von ihren Beamten in Ausübung der diesen anvertrauten öffentlichen Gewalt zugefügten Schaden“ in Betracht kommt. Technisch spricht auch nichts gegen eine Einordnung einer Norm als Zurechnungsnorm, wenn sie die Rechtsfolgen der Hauptnorm lediglich wiedergibt, dadurch wird die Zurechnungsnorm noch nicht zu einer eigenen Haftungsnorm.396 So liegt es auch bei § 839 BGB und Art. 34 GG, die Rechtsfolgen werden lediglich übertragen, gleichwohl der Anspruchsgegner modifiziert wird. Es spricht damit einiges dafür, in Art. 34 GG vornehmlich eine Zurechnung der Tatbestandsmerkmale des § 839 BGB zu erkennen, welche auf den Staat übertragen werden. Art. 34 GG nimmt die Tatbestandsmerkmale von Normen der Beamtenhaftung auf und rechnet diese unter gewissen Kriterien (etwa „in Ausübung“) dem Staat zu. Dafür spricht auch die Differenzmethode: Ohne Art. 34 GG würde für eine Amtspflichtverletzung nur der Beamte nach § 839 BGB haften. Mit Anwendung des Art. 34 GG rückt der Staat in die Rolle des Anspruchsgegners ein, er wird so behandelt, als sei der Anspruch a priori gegen ihn gerichtet gewesen. Damit werden alle haftungsbegründenden Merkmale, die nicht verändert werden, dem Staat zugerechnet397, denn er wird so behandelt, als habe er sie erfüllt. Zurechnungsgegenstand sind danach alle Merkmale mit Ausnahme des veränderten Beamtenbegriffs des § 839 BGB zum Staat als Zurechnungsadressat.
392 BGHZ 1, 388, 391; 4, 10, 45; 5, 102, 104; 9, 65, 67; 13, 88, 92; 34, 99, 105; BVerwGE 13, 17, 23; BVerwG NJW 1963, 69, 70. Von einer „Haftungsübertragung“ spricht etwa Westermann, JuS 1961, 333. 393 Siehe Art. 131 WRV. 394 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band IV/2, 2011, S. 2027 m. w. N. 395 Vgl. Voßkuhle/Kaiser, JuS 2015, 1076; vgl. auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band IV/2, 2011, S. 2027. 396 Vgl. Bork, ZGR 1994, 237, 247. 397 Ähnlich wohl Morlok, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, 22013, § 52 Rn. 59: „Die Norm rechnet alle Handlungen in Ausübung eines öffentlichen Amtes dem Staat als Organisation zu (…)“.
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Es handelt sich um eine geschriebene, teilweise unvollkommene Zurechnung bei § 839 BGB als Hauptnorm in Form einer Haftungsnorm398 sowie um eine Zurechnung der Amtspflichtverletzung des einzelnen Beamten zum Staat und folglich um eine Fremdzurechnung. b) Zurechnungskriterien Die Kriterien der Zurechnung ergeben sich aus den Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 34 GG. Es bedarf zunächst eines öffentlichen Amtes, gehandelt haben muss damit ein Beamter im haftungsrechtlichen Sinne. Das schädigende Handeln muss „in Ausübung“ der Verpflichtung und nicht lediglich „bei Gelegenheit“ geschehen sein. Daneben muss die verletzte Amtspflicht Drittbezug aufweisen. c) Zurechnungsgründe Bei näherer Betrachtung werden bei Art. 34 GG mehrere Ebenen der Zurechnung in den Kriterien erkennbar. Zunächst erfolgt eine Zuordnung zur staatlichen Sphäre durch die Amtsträgereigenschaft beziehungsweise das öffentliches Amt. Hier entscheidet die organisatorische Stellung des Amtsträgers, ob er als „staatlich“ behandelt werden soll oder nicht. Unzweifelhaft ist dies bei den Beamten und denjenigen Personen, die zum Staat in einem Dienst- oder Treueverhältnis stehen, aber auch bei Beliehenen, schwieriger bei Formen staatlicher und privater Kooperation399. In einer zweiten Zurechnungsebene wird auf die Handlung des Amtsträgers abgestellt. Nicht nur muss ein Amtsträger handeln, sondern die Handlung muss auch in einem inneren Zusammenhang mit der Amtsträgereigenschaft stehen. Nur dann findet eine Haftungsüberleitung statt. Die Handlung ist dann dem Staat zuzuordnen, wenn sie nach Handlungsform oder Zielsetzung dem hoheitlichen Aufgabenbereich zuzuordnen ist.400 Der innere Zusammenhang zwischen Handlung und Amtsträgereigenschaft besteht, wenn die Amtspflichtverletzung „in Ausübung“ und nicht „bei Gelegenheit“ zu einem Schaden geführt hat. Dies entspricht weitgehend dem inneren Zusammenhang bei § 278 BGB. Auch dort muss das Verhalten des Gehilfen im Zusammenhang mit den zu erledigenden Pflichten des Schuldners stehen. Bei Art. 34 GG muss die Schädigung in Zusammenhang mit dem Sonderverhältnis 398
Ähnlich etwa Westermann, JuS 1961, 382, 384. Morlok, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, 22013, § 52 Rn. 44 ff. 400 Ders., in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, 22013, § 52 Rn. 54. 399
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zwischen Amtsträger und Bürger stehen, also „innerhalb des aufgetragenen Wirkungskreises“401. Letztendlich wird hier ein doppelter Zusammenhang verlangt: Zum einen muss zwischen Handlung und dem öffentlichen Amt ein innerer Zusammenhang bestehen, um den Begriff des öffentlichen Amtes funktional auszugestalten. Zum anderen ist erneut die Verbindung zwischen Handlung und dem Amt erforderlich, um zu erklären, ob die Amtspflichtverletzung „in Ausübung“ geschehen ist. Der Verantwortungszusammenhang zwischen den zuzurechnenden Merkmalen und dem Zurechnungsadressat besteht darin, dass der Amtsträger im Wirkungskreis des Staates tätig wird, der Amtsträger tritt als Staat auf. Dies verdeutlichen auch die Anforderungen, die Art. 34 GG für eine Schuldübernahme aufstellt. Es muss jemand handeln, der dem Staat zuzuordnen ist und der bei seiner dem Staat zuzuordnenden Tätigkeit die Rechtsgüter des Geschädigten verletzt. Ähnlich wie der Pflichtenkreis des Schuldners bei § 278 BGB eine Sonderverbindung konstruiert, ist auch der Wirkungskreis bei der Amtspflichtverletzung entscheidend. Dieser zeigt an, ob die haftungsbegründende Tätigkeit wirklich in der „Sphäre“ des Staates liegt, ebenso wie der Pflichtenkreis die Tätigkeit des Gehilfen der „Sphäre“ des Schuldners zuordnet. Keine Relevanz für oder wider eine Zurechnung besitzt die Rechtmäßigkeit oder das Verschulden des Amtsträgers, schließlich liegt der Sinn von Art. 34 GG gerade in der Zurechnung fehlerhaften Verhaltens. Wie beim Erfüllungsgehilfen dient die Haftungsüberleitung der Zurechnung eines Exzesses. Entscheidend ist vielmehr die Beschreibung der inneren Verbindung zwischen dem Handeln des Amtsträgers und der Amtsausübung. Ist dieses Verhältnis ausreichend stark ausgeprägt und handelt der Amtsträger „in Ausübung“ und nicht nur „bei Gelegenheit“, dann kann eine Zurechnung auch trotz fehlender Zuständigkeit oder bei unerlaubten Handlungen oder sogar Missbrauchs der Amtsgewalt in Betracht kommen.402 Die Gründe der Zurechnung ähneln denjenigen, die für § 278 BGB herausgearbeitet wurden. Zunächst ist die organisatorische Eingliederung beim Zurechnungsadressaten ein Grund, bei Art. 34 GG auch eine Voraussetzung für die Zuordnung von Merkmalen. Während bei Art. 34 GG hierbei auf die organisatorische Stellung und die Einordnung in den staatlichen Verwaltungsaufbau abgestellt wird, ist bei § 278 BGB zu klären, ob der Schädiger Erfüllungsgehilfe ist, was mit dem Willen des Schuldners und dem Handeln im Pflichtenkreis begründet wird. Ähnliches lässt sich auch bei Art. 34 GG konstruieren: Die organisatorische Ebene ist das Wollen des Staates, dass grundsätzlich durch seine Amtsträger 401 402
Siehe etwa BGHZ 69, 128, 134. Westermann, JuS 1961, 382, 383.
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für ihn gehandelt wird. Der Pflichtenkreis, bei Art. 34 GG der Wirkungskreis, hängt dann vom Einzelfall ab und bestimmt sich nach dem öffentlich-rechtlichen Sonderverhältnis zwischen Staat und Geschädigtem. Für eine Zurechnung zu dem Pflichten- oder Wirkungskreis relevant ist auch das Verhalten des Schädigers. Handelt dieser final oder der Handlungsform nach in seiner amtlichen Funktion, ist ein ausreichender Bezug zur übertragenen Aufgabe und folglich dem Staat hergestellt. Auch die Finalität erscheint also als Kriterium zur Herstellung eines Zurechnungszusammenhangs denkbar. Für eine Zurechnung spricht die Schutzbedürftigkeit des Geschädigten. Tritt der Staat einem Dritten in Person eines Amtsträgers hoheitlich gegenüber, dann eröffnet dies den Amtsträgern aufgrund der öffentlich-rechtlichen Befugnisse weit stärkere Eingriffsmöglichkeiten in die Sphäre des Geschädigten als es bei dem Handeln eines Privaten der Fall wäre. Öffnet sich der Dritte aber der stärkeren staatlichen Einwirkungsmöglichkeit und tritt eine Schädigung ein, dann erschiene es unbillig, den Dritten schlicht auf die zivilrechtlichen Ansprüche gegen den einzelnen Amtsträger zu verweisen. Dem Geschädigten soll stattdessen der solventere Schuldner, der Staat, zur Seite gestellt werden.403 Daneben schützt die Überwälzung der Haftung auch den Amtsträger. Ihm droht lediglich bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz ein Haftungsrückgriff, Art. 34 S. 2 GG, ansonsten muss der Amtsträger keine persönlichen Haftungsrisiken fürchten, was seine Entscheidungsfreudigkeit und die „Schlagkraft“404 der Verwaltung erleichtern soll.405 Ähnlich wie bei § 278 BGB lässt sich auch auf das Personalrisiko abstellen. Der Staat setzt (notwendigerweise) Amtswalter zur Erledigung seiner Angelegenheiten ein, für deren Handeln muss er grundsätzlich einstehen. Weiterhin lässt sich auch der Sphärengedanke aufgreifen. In dem Rechtsverhältnis zum Bürger bedient sich der Staat Personen, die für ihn handeln. Für das Handeln in dieser Sphäre hat der Staat dann grundsätzlich einzustehen, wenn die Schädigung mit dem Amt in einem hinreichend engen Zusammenhang steht. Von dem Versuch, den Zusammenhang zum Amt und die daraus folgenden Sonderverbindung zu beschreiben, legen die Zurechnungskriterien und die zu untersuchenden Zusammenhänge beredtes Zeugnis ab. An sich ist die Zulassung einer Amtshaftung eine Billigkeitserwägung, die sich im Rechtsstaatsprinzip als „absoluten Kernbestand des Staatshaftungsrechts“406 festmachen lässt: Für dem Staat zuzuordnendes schuldhaftes Fehlver403
Siehe nur Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band IV/2, 2011, S. 2028 m. w. N. 404 Ders., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band IV/2, 2011, S. 2029. 405 Siehe etwa Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 62013, S. 120; Danwitz, in: Huber/ Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 34 Rn. 100. 406 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band IV/2, 2011, S. 2032.
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halten soll dieser auch Entschädigung leisten. Durch die genannten Kriterien ist die verletzende Tätigkeit so nah am Staat, dass eine Zuordnung des schuldhaften „Exzesses“ zum Staat gerechtfertigt erscheint.
II. Grundrechtsgebundenheit des Staates Der Staat ist ein an sich nicht handlungsfähiges Gebilde. Er bedient sich Amtswalter, also natürlicher Personen, um durch diese vermittelt Handlungen vornehmen zu können. Hierin liegt bereits eine grundlegende Zurechnungsoperation, welche der Zurechnung von Handlungen des Organs zu einer juristischen Person vergleichbar ist. Aber auch Ansprüche und Rechte gegenüber dem Staat können nur dann wirksam bestehen, wenn eine Zurechnung stattfindet. Es muss zunächst klar sein, ob der Handelnde wirklich „für“ den Staat oder besser „als“ Staat handelt. Wird das Handeln dem Staat zugerechnet, dann ergeben sich Ansprüche etwa aus Amtshaftung oder Abwehrrechte aus den Grundrechten. Die Zuordnung von Handlungen zum Staat ist damit eine Grundfrage des öffentlichen Rechts. Im Folgenden soll untersucht werden, nach welchen Gründen sich eine derartige Zurechnung von Handlungen zum Staat ergibt. Beispielhaft soll dies an der Grundrechtsgebundenheit insbesondere gemischtwirtschaftlicher Unternehmen verfolgt werden. 1. Voraussetzungen Nach Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung. Die Handlungsformen des Staates im Bereich der Exekutive sind indes breit gefächert. Denkbar ist nicht nur die Nutzung privater Organisationsformen, der Staat kann sich auch privater Akteure als Beliehene oder Verwaltungshelfer bedienen. Abzugrenzen ist die Frage der Grundrechtsbindung von der Frage der mittelbaren oder gar unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte unter Privaten: Im ersten Fall geht es darum, Verhalten Dritter dem Staat zuzuordnen und so den Staat als Adressaten der Ansprüche oder Rechte in die Pflicht zu nehmen, da dieser möglicherweise hinter einer privaten Organisationsform steht. Bei der Anwendung der Grundrechte inter pares geht es allerdings nicht um die Zuordnung von Handlungen Dritter zum Staat, sondern um die Erstreckung der für den Staat erdachten Regeln auf Private, etwa weil die Machtstrukturen, mit denen der Bürger konfrontiert wird, mit staatlichen Machtstrukturen vergleichbar sind, soge-
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nannte „Strukturanalogie“407. Hierin ist allerdings keine Zurechnungsoperation zu erkennen. Kern der Frage nach der Grundrechtsgebundenheit ist die Untersuchung, ob Dritte „vollziehende Gewalt“ im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG sind. Hier liegt der normative Ausgangspunkt408. Logisches Gegenstück zu Art. 1 Abs. 3 GG ist auf der anderen Seite Art. 19 Abs. 3 GG. Geht man der allgemeinen Ansicht folgend mit dem Konfusionsargument409 davon aus, dass grundrechtsfähig nur sein kann, wer nicht auch grundrechtsgebunden ist und umgekehrt, dann liegen beide Fragen eng beieinander: Kann sich etwa ein Unternehmen nicht auf die Grundrechte berufen, weil es dem Staat zuzuordnen ist, dann ist es grundrechtsgebunden, nicht grundrechtsfähig; wird es der privaten Sphäre zugeordnet ist es grundsätzlich grundrechtsfähig und nicht grundrechtsgebunden, das eine ist Kehrseite des anderen.410 In der Frage nach der Grundrechtsberechtigung und Grundrechtsgebundenheit spiegelt sich demnach die allgemein höchst problematische Abgrenzung der staatlichen von der privaten Sphäre wider. Um die Grundrechte als Abwehrrechte gegen staatliches Handeln aktivieren zu können, bedarf es einer entsprechenden Zuordnung zu den beiden Sphären.411 Abgestellt werden kann zunächst auf organisatorische Aspekte. Ist der Handelnde in den staatlichen Verwaltungsaufbau als unmittelbare Staatsverwaltung eingebunden, bestehen gegen eine Zuordnung zum Staat keinerlei Bedenken, nicht nur die Regierung, sondern auch die nachgeordneten Behörden unterliegen der Grundrechtsbindung.412 Aber auch die Grundrechtsbindung mittelbarer Staatsverwaltung in Form von öffentlichen Unternehmen, etwa Anstalten, Stiftungen oder Körperschaften begegnet keinen Problemen413, selbst wenn mit Blick auf die Universitäten etwa nicht nur eine Grundrechtsverpflichtung, sondern ausnahmsweise auch eine Grundrechtsberechtigung vorliegt414. Handeln 407 So die Begründung des BAG in älterer Rechtsprechung, siehe nur BAGE 1, 185; 4, 274; siehe auch Gurlit, NGZ 2012, 249, 250; Hillgruber, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 4715.05.2021, Art. 1 Rn. 72. 408 „Leitnorm“ in BVerfGE 31, 58, 72. „Schlüsselnorm“ bei Goldhammer, JuS 2014, 891, 892. 409 Selmer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2006, § 53 Rn. 4. Kritisch etwa Goldhammer, JuS 2014, 891, 894 f. 410 Ähnlich Enders, JZ 2011, 577, 578; Goldhammer, JuS 2014, 891. 411 Vgl. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 136 f. 412 Kempen, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2006, § 54 Rn. 40. 413 Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 32013, Art. 1 Abs. 3 Rn. 61; Rüfner, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32011, § 197 Rn. 11; Kempen, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2006, § 54 Rn. 41 ff. 414 Dazu etwa Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 32013, Art. 1 Abs. 3 Rn. 62; zu Hoch-
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Akteure der mittelbaren Staatsverwaltung, ist die Art des Handelns grundsätzlich unerheblich, auch bei dem Abschluss privater Verträge liegt eine Grundrechtsbindung vor, die Grundrechtsbindung mittelbarer Staatsverwaltung ist auch bei erwerbswirtschaftlichem Handeln zu bejahen und nicht nur auf die Erfüllung öffentlicher Aufgaben beschränkt.415 Nicht unerheblich, aber dennoch nicht für sich genommen entscheidend ist das Vorliegen einer privatrechtlichen Unternehmensform. Zwar spricht die Existenz eines Unternehmens nach privatem Recht zunächst gegen eine Bindung an die Grundrechte und für eine Grundrechtsfähigkeit416, schließlich sind Private grundsätzlich nicht grundrechtsgebunden417, dennoch ist unbestritten, dass sich der Staat nicht durch eine schlichte Wandlung der Rechtsform von seinen Grundrechtsverpflichtungen frei machen kann. Plakativ ausgedrückt darf der Staat keine „Flucht ins Privatrecht“418 antreten. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu ausgeführt419: „Sobald der Staat eine Aufgabe an sich zieht, ist er bei deren Wahrnehmung auch an die Grundrechte gebunden, unabhängig davon, in welcher Rechtsform er handelt. Dies gilt auch, wenn er für seine Aufgabenwahrnehmung auf das Zivilrecht zurückgreift. Eine Flucht aus der Grundrechtsbindung in das Privatrecht mit der Folge, dass der Staat unter Freistellung von Art. 1 Abs. 3 GG als Privatrechtssubjekt zu begreifen wäre, ist ihm verstellt.“
Nimmt man diesen Befund als Grundlage, dann kann die Existenz einer privaten Organisationsform offensichtlich nicht als (alleiniges) Kriterium für eine Zu ordnung herangezogen werden, es kann lediglich indiziell auf eine fehlende Grundrechtsbindung hinweisen, wenn kein beachtlicher Ausnahmefall vorliegt.420 Unternehmen, deren einziger Eigentümer der Staat ist, sind danach geschulen und Rundfunk etwa auch Rüfner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32011, § 197 Rn. 13 ff. 415 So aber BGHZ 29, 76; 91, 84, welcher bei derartigem Handeln keine Grundrechtsbindung, sondern nur eine Willkürkontrolle annehmen will und die Geltung der Grundrechte nur bei der „unmittelbaren Erfüllung öffentlicher Aufgaben“ annehmen will. Kritisch etwa Gurlit, NGZ 2012, 249, 252; zur Grundrechtsbindung der mittelbaren Staatsverwaltung umfassend Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/1, 1988, S. 1332 ff. 416 Eine entsprechende Vermutung sieht auch Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 139; andererseits wird auch bei staatlicher Tätigkeit eine Bindung an die Grundrechte vermutet, siehe Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/1, 1988, S. 1413. 417 Hillgruber, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 4715.05.2021, Art. 1 Rn. 72. 418 So der berühmte wie prägnante Satz von Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 81928, S. 326. 419 BVerfGE 128, 226, 245. 420 Gurlit, NGZ 2012, 249, 252; vgl. Huber, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 7 2018, Art. 19 Rn. 276; vgl. auch Rüfner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staats-
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nauso zu behandeln wie öffentlich-rechtliche Unternehmen und unmittelbar an die Grundrechte gebunden421, egal ob sie öffentliche Aufgaben als Verwaltungsprivatrecht erfüllen oder rein fiskalisch handeln, auf diese Differenzierung kommt es nicht an422. Auch Beliehene sind grundrechtsgebunden, sie sind zwar rein private Organisationen ohne staatliche Anteile, aber aufgrund einer oder durch eine Rechtsnorm mit der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben im eigenen Namen betraut.423 Bei Unternehmen, die sowohl öffentliche als auch private Anteilseigner haben, ist die Beurteilung schwieriger, da eine Abgrenzungsmöglichkeit fehlt. Es lässt sich nicht differenzieren zwischen den verschiedenen Anteilseignern, sondern das Unternehmen muss als Ganzes betrachtet werden. Daneben stellt die an sich gegebene Möglichkeit424, über die Geltendmachung der Grundrechte gegenüber dem Staat zu einem Einwirkungsanspruch gegen das Unternehmen zu gelangen, keine ausreichend effektive Absicherung des Grundrechtsschutzes dar.425 Gemischtwirtschaftliche Unternehmen426, also solche, an denen der Staat lediglich beteiligt ist und an denen auch Private Anteile halten, sind unmittelbar an die Grundrechte gebunden, wenn sie vom Staat beherrscht werden.427 Eine derrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32011, § 179 Rn. 69; Kingreen/Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 362020, Rn. 233 ff. 421 So aus der Rechtsprechung bereits BVerwGE 113, 208, 211 und BVerfGE 128, 226, 245. Siehe etwa Pfeiffer, LMK 2011, 322526; Payandeh, JR 2011, 421, 422. 422 Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 32013, Art. 1 Abs. 3 Rn. 66 ff.; Hillgruber, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 4715.05.2021, Art. 1 Rn. 70; Kingreen/Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 362020, Rn. 235; Manssen, Staatsrecht II, 182021, § 5 Rn. 126; Goldhammer, JuS 2014, 891, 892 f.; Rüfner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32011, § 179 Rn. 74 f. m. w. N.; Enders, JZ 2011, 577, 578; Hammer, DÖV 2011, 761, 765; vgl. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 136; das Kriterium der öffentlichen Aufgaben ablehnend Jarass, in: Jarass/Kment (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 162020, Art. 1 Rn. 40; Sodan, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 42018, Art. 1 Rn. 32; Kempen, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2006, § 54 Rn. 50 ff. 423 Hufen, Staatsrecht II, 82020, § 7 Rn. 4; Jarass, in: Jarass/Kment (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 162020, Art. 1 Rn. 41 m. w. N.; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 32013, Art. 1 Abs. 3 Rn. 39; Rüfner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32011, § 197 Rn. 17. 424 Pfeiffer, LMK 2011, 322526. 425 Nähere Erläuterungen zu diesem Aspekt enthält BVerfGE 128, 226, 246. 426 Zum Begriff umfassend Selmer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2006, § 53 Rn. 5 f. 427 BVerfGE 128, 226, 246 f.; BVerwGE 113, 208, 211; Jarass, in: Jarass/Kment (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 162020, Art. 1 Rn. 40; Sodan, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 42018, Art. 1 Rn. 32; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 32013, Art. 1 Abs. 3 Rn. 73; so bereits Selmer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in
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artige Beherrschung liegt in der Regel dann vor, wenn die öffentliche Hand eine Mehrheit der Anteile an dem Unternehmen besitzt. Schwieriger zu beurteilen sind indes von den Mehrheitsverhältnissen losgelöste Kriterien zur Darstellung der Beherrschung.428 Hierbei greift das Bundesverfassungsgericht in seiner Fraport-Entscheidung argumentativ ausdrücklich auf die einfachgesetzlichen aktienrechtlichen Wertungen aus den Regelungen der §§ 16, 17 AktG und daneben auf Art. 2 I f) der Richtlinie 2004/109/EG zu beherrschenden Verhältnissen von Unternehmen zurück und schließt eine Ergänzung des Beherrschungskriteriums über den Fall einer Mehrheitsbeteiligung hinaus für „besondere Fälle“ jedenfalls nicht aus, konkretisiert die Voraussetzungen aber auch nicht näher.429 Art. 2 I f) der Richtlinie 2004/109/EG bestimmt dazu: „‚kontrolliertes Unternehmen‘ ist jedes Unternehmen, i) an dem eine natürliche oder juristische Person über die Mehrheit der Stimmrechte verfügt, oder ii) bei dem eine natürliche oder juristische Person das Recht hat, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans zu bestellen oder abzuberufen und gleichzeitig Aktionär oder Gesellschafter des betreffenden Unternehmens ist, oder iii) bei dem eine natürliche oder juristische Person Aktionär oder Gesellschafter ist und aufgrund einer Vereinbarung mit anderen Aktionären oder Gesellschaftern des betreffenden Unternehmens allein über die Mehrheit der Stimmrechte der Aktionäre bzw. Gesellschafter verfügt, oder iv) auf das bzw. über das eine natürliche oder juristische Person beherrschenden Einfluss oder die Kontrolle ausüben kann oder tatsächlich ausübt;“
Die in Bezug genommene Regelung des § 17 AktG lautet: „§ 17 Abhängige und herrschende Unternehmen (1) Abhängige Unternehmen sind rechtlich selbständige Unternehmen, auf die ein anderes Unternehmen (herrschendes Unternehmen) unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann. (2) Von einem in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen wird vermutet, daß es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten Unternehmen abhängig ist.“ Deutschland und Europa, 2006, § 53 Rn. 24 f.; Manssen, Staatsrecht II, 182021, § 5 Rn. 127 stellt nur auf die Mehrheit der Anteile ab; ebenso Kingreen/Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 362020, Rn. 235; Hufen, Staatsrecht II, 82020, § 5 Rn. 13. 428 Selmer, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2006, § 53 Rn. 25 verweist auf die Schwierigkeiten des unbestimmten Rechtsbegriffs der Beherrschung, welcher von weiteren Wertungen abhängig ist. 429 BVerfGE 128, 226, 247. Zustimmend etwa Huber, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 19 Rn. 286. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 32013, Art. 1 Abs. 3 Rn. 72 kritisiert die fehlenden Ausführungen des Gerichts zu dem Fall, dass der staatliche Anteil unter 50 % liegt. Den zivilrechtlichen Wertungen, auf die das Gericht ausdrücklich mit dem Verweis auf die genannten Normen des AktG und der Richtlinie hinweist, lassen sich aber sehr wohl denkbare Herrschaftskriterien auch für eine Beteiligung unter 50 % entnehmen.
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Die konkrete Einwirkungsbefugnis auf die Geschäftsführung sieht das Gericht bei dem Beherrschungskriterium und dem Abstellen auf die Verteilung der Unternehmensanteile als keinen für sich genommen tragfähigen Grund an, es bedürfe vielmehr einer „Gesamtverantwortung“ des Staates für das Unternehmen.430 Auch auf die konkreten Handlungsformen und die Zwecke des staatlichen Handelns sollen für sich genommen keine ausschlaggebenden Gründe mehr für die Bestimmung der Grundrechtsgebundenheit sein.431 Nimmt man die in Bezug genommenen Regelungen in den Blick, dann ergeben sich für die Beherrschung neben dem formalen Abstellen auf die Eigentümerstruktur sowohl die rechtliche Einwirkungsmöglichkeit durch entsprechende Regelungen und Vereinbarungen (Art. 2 I f) ii und iii der Richtlinie 2004/109/ EG) als auch die tatsächliche Ausübung von Kontrolle und Beherrschung (iv). § 17 Abs. 2 AktG enthält eine Vermutung für das Vorliegen einer Beherrschung bei Mehrheitsbesitz und entspricht damit der aufgestellten Regel des Bundesverfassungsgerichts. Gesellschaftsrechtlich anerkannt sind indes auch beherrschende Einflüsse bei Minderheitsanteilen, wenn die Ausgestaltung der Satzungen oder andere Umstände dies ergeben432 und das Einflusspotenzial einer Mehrheitsbeteiligung gleichkommt433. Die aktienrechtliche Literatur kennt als Kriterien für die Abbildung der nach § 17 AktG erforderlichen beherrschenden Einflussarten tatsächliche und rechtliche Elemente, die gemeinsam mit einer Minderheitsbeteiligung eine Beherrschung im Sinne des Aktiengesetzes ergeben können (sogenannte „kombinierte Beherrschung“434)435. Es genügt dem Wortlaut entsprechend die Möglichkeit einer Einflussnahme, um eine Abhängigkeit zu begründen, eine tatsächliche Ausübung ist nicht erforderlich.436
430 BVerfGE 128, 226, 247. Siehe auch die Erläuterung bei Kater, Grundrechtsbindung und Grundrechtsfähigkeit gemischtwirtschaftlicher Aktiengesellschaften, 2015, S. 68 f.; Enders, JZ 2011, 577, 578. 431 Huber, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 19 Rn. 281 ff.; vgl. zur Untauglichkeit des Kriterium der öffentlichen Aufgabe etwa Kater, Grundrechtsbindung und Grundrechtsfähigkeit gemischtwirtschaftlicher Aktiengesellschaften, 2015, S. 63 ff. 432 BGHZ 148, 123, 125 f.; 135, 107, 114 siehe auch Gurlit, NGZ 2012, 249, 253; Schall, in: Spindler/Stilz (Hrsg.), BeckOGK AktG, 01.06.2021, § 17 Rn. 26 ff. mit umfassenden Nachweisen. 433 Siehe nur Koch, in: Hüffer/Koch (Hrsg.), Aktiengesetz, 152021, § 17 Rn. 5. 434 Zur Einordnung der kombinierten Beherrschung siehe Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnband (Hrsg.), Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 92019, § 17 AktG Rn. 16. 435 Schall, in: Spindler/Stilz (Hrsg.), BeckOGK AktG, 01.06.2021, § 17 Rn. 26. 436 Koch, in: Hüffer/Koch (Hrsg.), Aktiengesetz, 152021, § 17 Rn. 4; Keßler, in: Henssler/ Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 52021, § 17 AktG Rn. 2.
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Instrumente rechtlicher Art sind etwa Satzungsregelungen oder Mehr- beziehungsweise Höchststimmrechte.437 Beherrschender Einfluss liegt vor, wenn der Herrschende die Geschäftsleitung oder den Aufsichtsrat besetzen kann, also bestimmenden Einfluss auf die Personalpolitik hat.438 Eine negative Beherrschung durch eine Sperrminorität soll nicht genügen, es sei denn, die Minorität kann die Besetzung der Gesellschaftsorgane verhindern.439 Bei börsennotierten Unternehmen soll aufgrund der Schwelle in § 29 WpÜG ein beherrschender Einfluss bereits bei 30 % der Anteile vorliegen.440 Relevante Umstände tatsächlicher Art sind faktische Machtpositionen durch eine beständige tatsächliche Mehrheit in der Hauptversammlung441 oder auch personelle Verflechtungen in den Leitungsorganen442. Auch ein beständiges Zusammenwirken mit Dritten kann zu Fällen kombinierter Beherrschung führen.443 Wirtschaftliche Abhängigkeiten, die für das Unternehmen überlebenswichtig sind, können mit einem Minderheitenanteil zu einer Beherrschung führen444, insbesondere wenn Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftspolitik eröffnet werden. Denkbar ist eine Beherrschung nach teilweise vertretener Ansicht auch bei einer künftigen Beteiligung.445 Eine Abhängigkeit liegt auch bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages vor.446 437
Schall, in: Spindler/Stilz (Hrsg.), BeckOGK AktG, 01.06.2021, § 17 Rn. 27. Vgl. BAGE 53, 287, 295 ff.; OLG Düsseldorf OLGR 1994, 21; Keßler, in: Henssler/ Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 52021, § 17 AktG Rn. 3; Grigoleit, in: ders. (Hrsg.), Aktiengesetz, 22020, § 17 Rn. 7; Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnband (Hrsg.), Aktienund GmbH-Konzernrecht, 92019, § 17 AktG Rn. 7 f. m. w. N. 439 Schall, in: Spindler/Stilz (Hrsg.), BeckOGK AktG, 01.06.2021, § 17 Rn. 28 m. w. N.; Grigoleit, in: ders. (Hrsg.), Aktiengesetz, 22020, § 17 Rn. 9. 440 Schall, in: Spindler/Stilz (Hrsg.), BeckOGK AktG, 01.06.2021, § 17 Rn. 30. 441 BGHZ 69, 334, 347; 135, 107, 114; Koch, in: Hüffer/Koch (Hrsg.), Aktiengesetz, 152021, § 17 Rn. 9; Grigoleit, in: ders. (Hrsg.), Aktiengesetz, 22020, § 17 Rn. 10; Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnband (Hrsg.), Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 92019, § 17 AktG Rn. 19 f.; Keßler, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 52021, § 17 AktG Rn. 6. 442 BGHZ 135, 107, 114 f.; Bayer, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 52019, § 17 AktG Rn. 33; Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnband (Hrsg.), Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 92019, § 17 AktG Rn. 19; Keßler, in: Henssler/ Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 52021, § 17 AktG Rn. 5. 443 Vgl. BGHZ 125, 366; Schall, in: Spindler/Stilz (Hrsg.), BeckOGK AktG, 01.06.2021, § 17 Rn. 33; Grigoleit, in: ders. (Hrsg.), Aktiengesetz, 22020, § 17 Rn. 13. 444 BGHZ 90, 381, 397; 107, 7, 13; Bayer, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 52019, § 17 AktG Rn. 31 f.; Emmerich, in: Emmerich/Habersack/ Schürnband (Hrsg.), Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 92019, § 17 AktG Rn. 16; a. A. Koch, in: Hüffer/Koch (Hrsg.), Aktiengesetz, 152021, § 17 Rn. 8. 445 Zum Streitstand umfassend Schall, in: Spindler/Stilz (Hrsg.), BeckOGK AktG, 01.06.2021, § 17 Rn. 37 f. mit zahlreichen Nachweisen. 446 BGHZ 62, 193, 196; Keßler, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 52021, § 17 438
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In der staatsrechtlichen Literatur wurden die weiteren denkbaren Kriterien zur Ausgestaltung des Kriteriums der Beherrschung indes bisher nicht näher konkretisiert447, wenngleich das Urteil an sich auf positive Resonanz gestoßen ist448. Strittig ist aber nach wie vor die genaue Folge der Grundrechtsbindung: Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass die beherrschten Unternehmen unmittelbar grundrechtsgebunden sind und nicht nur die staatlichen Anteilseigner, da Grundrechtsbindung nicht quotenmäßig und durch einen indirekten Einwirkungsanspruch nicht effektiv genug realisiert werden kann.449 Andere gehen davon aus, dass sich Art. 1 Abs. 3 GG nur auf die Wahrnehmung der staatlichen Beteiligungsrechte im Unternehmen beziehen kann, nicht auf das Unternehmen selbst.450 2. Auswertung a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition Bei dem aufgezeigten Problem geht es um die Zuordnung des handelnden Akteurs, etwa des gemischtwirtschaftlichen Unternehmens, zum Staat. Ausgangspunkt ist hier der genannte Art. 1 Abs. 3 GG mit seiner Verpflichtung der Legislative, Judikative und Exekutive auf die Grundrechte. Damit liegt eine besondere Verbindung zwischen dem Grundrechtsadressaten und dem Grundrechtsberechtigten vor. Handelt nun die Exekutive in privatrechtlicher Organisationsform, AktG Rn. 7; Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnband (Hrsg.), Aktien- und GmbHKonzernrecht, 92019, § 17 AktG Rn. 14. 447 Offen für eine derartige Erweiterung etwa Huber, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 19 Rn. 286; Goldhammer, JuS 2014, 891, 893. Eine eingehende Untersuchung der Kriterien auf ihre mögliche Übertragbarkeit unternimmt Kater, Grundrechtsbindung und Grundrechtsfähigkeit gemischtwirtschaftlicher Aktiengesellschaften, 2015, S. 76 ff. 448 Nachweise bei Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 32013, Art. 1 Abs. 3 Rn. 72; Payandeh, JR 2011, 421, 422. 449 Vgl. BVerfGE 128, 226, 244 f.; von zwar „formell“ privaten Unternehmen, die aber „materiell“ Staatsgewalt darstellen sprechen in Anlehnung an das BVerfG etwa auch Hillgruber, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 4715.05.2021, Art. 1 Rn. 71; Enders, JZ 2011, 577, 578 f. auch mit Hinweis auf die prozessualen Folgen. Vgl. auch Starck, in: Huber/ Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 1 Rn. 231; Huber, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 19 Rn. 286 ff. m. w. N.; Kater, Grundrechtsbindung und Grundrechtsfähigkeit gemischtwirtschaftlicher Aktiengesellschaften, 2015, S. 62 f.; Pfeiffer, LMK 2011, 322526. 450 Nachweise bei Höfling, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Art. 1 Rn. 108; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 32013, Art. 1 Abs. 3 Rn. 71; offengelassen bei Rüfner, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32011, § 197 Rn. 82; vorsichtig jedenfalls Kempen, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2006, § 54 Rn. 56.
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dann wird diese Verbindung zunächst einmal unterbrochen. Die bestehende Grundrechtsverpflichtung besteht formal betrachtet nicht mehr, da kein tauglicher Grundrechtsadressat vorhanden ist. Ohne tauglichen – das heißt vor allen Dingen: staatlichen – Adressaten kann aber grundsätzlich kein Eingriff in Grundrechte vorliegen.451 Letztendlich enthält jede Frage nach dem Bestehen einer grundrechtlichen Sonderverbindung – von den strittigen Fällen der mittelbaren Drittwirkung einmal abgesehen – stets implizit die Frage nach einer Verursachung durch den Staat. Ist diese Voraussetzung nun mit Blick auf ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen zu prüfen, dann stößt man hier zunächst auf ein Problem: Ohne eine Zurechnung sind privatwirtschaftliche Unternehmen keine tauglichen Adressaten, denn „Staat“, also unmittelbare oder mittelbare Staatsverwaltung oder Beliehene, sind sie nicht. Eine (unmittelbare) Geltendmachung von Grundrechten gegen das Unternehmen scheidet damit zunächst aus. Erforderlich ist eine Zuordnung des Unternehmens als „zum Staat gehörig“. Diese Zuordnung der Akteure zum Staat ermöglicht es erst, das Merkmal der Beeinträchtigung „durch den Staat“ zu erfüllen. Das Handeln und Unterlassen des beherrschten Unternehmens wird genauso behandelt als habe der Staat eine andere (beispielsweise öffentlich-rechtliche) Organisationsform gewählt. Durch die Zuordnung des Unternehmens zum Staat kann Art. 1 Abs. 3 GG zur Geltung gebracht werden, da unter die vollziehende Gewalt so auch staatlich beherrschte Unternehmen fallen. Als zu schützende Hauptnorm lässt sich in der vorliegenden Konstellation Art. 1 Abs. 3 GG verstehen, gleichwohl die Zurechnung an dieser Stelle für alle Rechtsverhältnisse relevant ist, in denen die Bindung an Grundrechte von Belang ist. Zurechnungsgegenstand ist das gesamte Unternehmen, welches dem Staat zugeordnet wird und damit genauso behandelt wird, als handele es sich um ein vollständig im Eigentum des Staates stehendes Unternehmen oder um unmittelbare Staatsverwaltung. Dies bestätigt auch die Differenzmethode, denn ohne die Zurechnungsoperation besteht eine Geltung der Grundrechte gegenüber dem Unternehmen nicht, da es an der Voraussetzung des staatlichen Adressateneigenschaft fehlt. Nach der Zuordnung ist diese Voraussetzung aber erfüllt, sie ist hinzugerechnet worden. Die Folge der Zurechnungsoperation ist im vorliegenden Fall bemerkenswert. Anders als in den bisherigen Fällen, in denen fremde Merkmale in der Regel dazu zugerechnet wurden, um eine Haftung des Zurechnungsadressaten abzu sichern (etwa bei der Gehilfenhaftung oder der Mittäterschaft), wird hier das Handeln eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens dem Staat zugerechnet, die Rechtsfolgen, also die unmittelbare Grundrechtsbindung, sollen aber das Un451
Hobusch, JA 2019, 278, 279 ff.; Enders, JZ 2011, 577, 578.
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ternehmen treffen. Allerdings bewirken die Zurechnung und die unmittelbare Grundrechtsbindung keine Entlastung des Staates, ganz im Gegenteil. Soll Art. 1 Abs. 3 GG absichern, dass jegliches Staatshandeln, ganz gleich in welcher Organisationsform, dem Bürger gegenüber an die Grundrechte gebunden ist, dann liegt als Ausgangslage das grundrechtliche Sonderverhältnis zwischen Adressat und Berechtigtem vor. Durch das Dazwischenschalten einer privatrechtlichen Organisationsform droht aus Sicht des Grundrechtsberechtigten nicht sein Recht gegenüber dem Staat, sondern das gegenüber dem staatlichen „Trabanten“ leerzulaufen. Der Geltungsanspruch gegenüber dem Unternehmen ist daher die Rechtsfolge, welche erst für eine lückenlose Grundrechtsgebundenheit des Staates sorgt. Nur so kann verhindert werden, dass das bestehende Verpflichtungsverhältnis durch Einschaltung von Organisationen umgangen wird. Auch der Anspruch gegen das Unternehmen ist mittelbar ein Anspruch gegen den Staat. Insoweit bestehen zwischen den Folgen der Grundrechtsbindung bei gemischtwirtschaftlichen Unternehmen und etwa mittelbarer Staatsverwaltung keine Unterschiede mehr, auch hier ist die Folge der Zuordnung zum Staat nicht allein eine Verpflichtung des Staates auf Einwirkung, sondern ein unmittelbarer Geltungsanspruch gegen die mittelbare Verwaltung. Auch bei unmittelbarer und mittelbarer Staatsverwaltung richten sich die Grundrechte nicht nur gegen den Staat „als solchen“, sondern gegen die konkret handelnde Behörde, dasselbe muss auch bei beherrschten Unternehmen in privater Rechtsform gelten. Zurechnungsadressat ist damit weiterhin der Staat, die Rechtsfolgen treffen ihn indes mittelbar, da seine eingeschaltete Organisation an die Grundrechte gebunden wird. Zurechnungsgegenstand ist jegliches Handeln oder Unterlassen des in Rede stehenden Akteurs. Eine geschriebene Zurechnungsnorm existiert nicht. Es handelt sich folglich um eine ungeschriebene Fremdzurechnung, lediglich die Hauptnorm des Art. 1 Abs. 3 GG ließe sich als geschrieben bezeichnen. b) Zurechnungskriterien Bei der Grundrechtsgebundenheit geht es um die Frage der Zuordnung von Akteuren zum Staat. Als maßgebliches Kriterium wird für die Beurteilung, ob auch Unternehmen in privater Rechtsform an die Grundrechte gebunden sind, auf die Herrschaft des Staates abgestellt. Beherrscht der Staat ein Unternehmen, dann muss er sich so behandeln lassen, als ob er in öffentlich-rechtlicher Rechtsform gehandelt habe, also als ob er „selbst“ gehandelt habe. Das maßgebliche Kriterium der Beherrschung kann in verschiedenen Ausprägungen aufgefunden werden. Während bei der Einordnung in die staatliche Verwaltungsorganisation als unmittelbare Verwaltung keine Bedenken bestehen, von
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einer organisatorisch vermittelten Herrschaft zu sprechen, da hier Weisungsbefugnisse vorliegen und die obere Ebene auf die untere Ebene durchgreifen kann, so liegt die Herrschaft bei privatrechtlichen Organisationsformen vor allem in dem staatlichen Einfluss auf die Organisation begründet. Der Einfluss lässt sich am einfachsten abbilden durch die Anteilsverhältnisse: Wer alleiniger Anteilseigner eines Unternehmens ist, der hat eine beherrschende Stellung inne. Nach der Fraport-Rechtsprechung gilt dasselbe bei einem Unternehmensanteil von über 50 %, dann wird der beherrschende Einfluss jedenfalls vermutet. Unter Rückgriff auf die aktienrechtlichen Wertungen des §§ 16, 17 AktG sind indes darüber hinaus auch noch weitere Arten von Minderheitenbeherrschung denkbar. Auch mit einem Anteil von unter 50 % lässt sich beherrschender Einfluss ausüben, wenn tatsächliche oder rechtliche Umstände hinzukommen. Einige denkbare wurden dazu oben unter Rückgriff auf die aktienrechtliche Literatur skizziert: Der rechtlich vermittelte Einfluss auf weiteres Stimmrecht, sonstige Absprachen mit Dritten, Personalverflechtungen, aber auch wirtschaftliche Abhängigkeiten können hier genannt werden. Wichtig ist darüber hinaus in der Regel die Einwirkungsmöglichkeit auf die Personalpolitik des Unternehmens: Wer Macht auf die Auswahl des Leitungspersonals ausüben kann, hat die Macht über das Unternehmen. Die Herrschaft aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher Umstände muss in der Intensität der Herrschaft durch Mehrheit vergleichbar sein. c) Zurechnungsgründe Der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Zurechnungsadressat und dem Zurechnungsgegenstand liegt hier in der Herrschaftsverbindung zwischen dem Unternehmen und dem Staat. Durch das Bestehen dieser Verbindung erscheint es erst gerechtfertigt, das an sich unabhängige Rechtssubjekt des Unternehmens in privater Rechtsform dem Staat zuzuordnen. Maßgeblicher Grund für die Zurechnung ist die Absicherung der umfassenden Grundrechtsbindung des Staates. Es geht, wie das Bundesverfassungsgericht auch in aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringt, darum, dass sich der Staat nicht in privatrechtliche Organisationsformen begeben darf, um der Grundrechtsbindung zu entkommen. Damit sichert die genannte Zurechnung beherrschter Akteure zum Staat die Anwendung des Art. 1 Abs. 3 GG und verhindert damit eine Umgehung. Dieser Aspekt verdient besondere Beachtung, weil es sich bei der umfassenden Grundrechtsbindung um einen der zentralen Aspekte der Grundrechtslehren überhaupt handelt. Die umfassende Grundrechtsbindung verhilft den Grundrechten erst zu ihrer überragenden Bedeutung. Für eine Begründung lassen sich auch Vergleiche mit § 278 BGB anstellen. Der Staat soll sich durch die Einschaltung einer privatrechtlichen Organisation,
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welche er aber beherrscht, nicht einer Bindung entziehen können. Dafür spricht auch ein weiterer wohlbekannter Aspekt: Hätte der Staat selbst gehandelt, sei es durch unmittelbare oder mittelbare Staatsverwaltung, dann wäre er auch ohne weiteres grundrechtsgebunden. Denkbar ist auch ein Abstellen auf den Risiko-Nutznießungsgedanken. Wenn der Staat die Vorteile der privatrechtlichen Handlungsform nutzen möchte, etwa flexiblere Strukturen oder geringere Personalkosten, dann muss er auch den Nachteil, die Grundrechtsbindung des Unternehmens, in Kauf nehmen. Daneben ist der Staat in diesem Falle auch nicht schutzwürdig, er hat sich ganz bewusst für eine private Handlungsform entschieden. Schutzwürdig ist vielmehr der Bürger, seine verfassungsrechtlich abgesicherte, vollumfassende Grundrechtssicherung droht Schaden zu nehmen, wenn der Staat sich privatrechtlicher Organisationsformen bedienen und dadurch eine Grundrechtsbindung partiell ausschalten könnte. Die besondere Wichtigkeit der umfassenden Grundrechtsgeltung gibt den Schutzwürdigkeitserwägungen hier besonderes Gewicht. Aus den herausgearbeiteten Kriterien ergibt sich die besondere Bedeutung der Herrschaft zur Darstellung der Zurechnung. Beherrscht der Staat eine Organisation, dann muss er sich so behandeln lassen, als habe er selbst gehandelt. Die beherrschten Akteure sind auch nicht losgelöst von dem restlichen Staatshandeln zu sehen, auch die Unternehmen in privatrechtlicher Form erledigen öffentliche Aufgaben, jedenfalls treten sie in die grundrechtliche Sonderverbindung zwischen Bürger und Staat ein. Insofern arbeiten sie „im Pflichtenkreis“ des Staates, was zusammen mit der Herrschaft für eine Zurechnung spricht. Gegen eine Zurechnung spricht der Nachteil, den die anderen privaten Anteilseigner eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens erleiden. Ihre Grundrechtsposition wird verschlechtert, da sich das Unternehmen als Ganzes nicht auf Grundrechte berufen, sondern sogar an Grundrechte gebunden ist. Allerdings ist auch dieser Nachteil freiwillig eingegangen452, weiterhin gehen mit staatlicher Beteiligung auch Vorteile des Gesamtunternehmens einher, zu nennen ist hier etwa das fehlende Insolvenzrisiko des Staates453, was auch auf das Gesamtunternehmen ausstrahlt. Darüber hinaus sind die privaten Anteilseigner weiterhin mit Grundrechten ausgestattet, welche sie den öffentlichen Anteilseignern entgegenhalten können, lediglich im Außenverhältnis ist die Gesellschaft als Ganzes nicht mehr grundrechtsberechtigt, sondern grundrechtsverpflichtet. Daneben gilt Art. 14 GG für den privaten Anteil ebenso wie bei einer rein privaten Unterneh452 Ähnlich Payandeh, JR 2011, 421, 422; kritisch in Bezug auf eine derartige Argumentation Pfeiffer, LMK 2011, 322526. 453 In anderem Zusammenhang, aber auf die hiesige Argumentation übertragbar Kempen, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2006, § 54 Rn. 53.
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mung, eine Beeinträchtigung findet hier eben nicht statt, lediglich der zusätzliche, von Art. 19 Abs. 3 GG für das Unternehmen bereitgestellte Schutz entfällt.454 Daneben sind die Nachteile, welche dem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen durch die Grundrechtsgebundenheit entstehen, vergleichsweise gering, denn größere Unterschiede zwischen über die Figur der mittelbare Drittwirkung vermittelter und unmittelbarer Grundrechtsbindung bestehen im privatrechtlichen Verkehr in der Regel nicht.455
III. Grundrechtseingriff Auch beim Grundrechtseingriff lässt sich eine Zurechnungsproblematik erkennen. Hier steht in Rede, ob der Staat für die verursachten Grundrechtsbeeinträchtigungen verantwortlich ist und ob ihm möglicherweise Verhalten Dritter zugerechnet wird. Der Eingriff wird teilweise als Zurechnungsproblem identifiziert456 und sogar in wenigen Fällen auch explizit so benannt457. 1. Voraussetzungen Im dreistufigen Aufbau der Grundrechtsprüfung458 wird auf der zweiten Stufe der Eingriff, der auch in neuerer Zeit als Beeinträchtigung459 bezeichnet wird, untersucht. Er ist zwingende Voraussetzung, um in die nächste Prüfungsstufe, die Rechtfertigung, einzutreten. Ohne Eingriff besteht dazu auch kein Anlass. Folge der Bejahung eines Eingriffs ist damit nach dem Vorbehalt des Gesetzes eine Rechtfertigungspflicht.460
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Vgl. Möstl, Grundrechtsbindung öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, 1999, S. 142. Vgl. Payandeh, JR 2011, 421, 423. 456 Siehe etwa Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 32013, Vorb. Rn. 126; Voßkuhle/Kaiser, JuS 2009, 313; Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89, 99. 457 Eingriff als Unterpunkt der „Zurechnung“ bei Michael/Morlok, Grundrechte, 72020, Rn. 486; von der „Zurechnung der Grundrechtsbeeinträchtigung zu einem Hoheitsträger“ sprechen Hebeler/Berg, JA 2021, 89, 92. 458 Siehe nur Peine, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2009, § 57 Rn. 4. 459 So etwa Jarass, AöR 120 (1995), 345, 362; zur Entwicklung der Begrifflichkeit siehe nur Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, S. 76 ff. mit umfassenden Nachweisen. Die Begriffe Eingriff und Beeinträchtigungen werden in dieser Arbeit ohne inhaltliche Differenzierung verwendet. 460 Peine, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2009, § 57 Rn. 5; Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 415; eher kritisch wohl Ipsen, Staatsrecht II, 232020, Rn. 138. 455
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Es lässt sich unterscheiden zwischen dem sogenannten klassischen und dem „modernen“ oder auch „erweiterten“ Eingriffsbegriff: Ein Eingriff ist zunächst einmal jede Verkürzung eines grundrechtlichen Schutzbereichs, also eine Belastung461. Voraussetzung jedes Eingriffs in Grundrechte ist wegen der Abwehrfunktion zunächst, dass die Verkürzung des Grundrechtsschutzes vom Staat ausgehen muss462, oder ihm zugerechnet werden muss. Neben der Verkürzung des Schutzbereichs werden gewöhnlich vier Merkmale eingeführt, um den klassischen oder traditionellen Eingriff463 zu umschreiben: Die Finalität, die Unmittelbarkeit, die Rechtsförmlichkeit und die Imperativität.464 Diese sollen kumulativ vorliegen.465 Unter Finalität wird die Zweck- beziehungsweise Zielgerichtetheit des staatlichen Handelns verstanden.466 Unmittelbar bedeutet, dass die Beeinträchtigungen ohne Dazwischentreten Dritter oder Zwischenursachen beim Grundrechtsberechtigten eintreten.467 Rechtsförmlichkeit ist gegeben bei einem Handeln in staatlicher Rechtsform, also bei Gesetz, Satzung oder Verwaltungsakt, nicht bei 461
Jarass, AöR 120 (1995), 345, 363; nachdrücklich Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 415 f. 462 Siehe etwa Jarass, AöR 120 (1995), 345, 362. 463 Siehe hierzu erneut Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, 82 f. 464 Für die Rechtsprechung siehe etwa BVerfGE 105, 279, 300; Ipsen, Staatsrecht II, 232020, Rn. 143; Hufen, Staatsrecht II, 82020, § 8 Rn. 5 ohne die Form; Kingreen/Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 362020, Rn. 292; Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz Kommentar, Juli 2020, § 90 Rn. 365a; Starck, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 1 Rn. 265; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 32013, Vorb. Rn. 124; Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32011, § 200 Rn. 89; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32011, § 191 Rn. 111; Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 415; kritisch dagegen Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, 94 f., der herausarbeitet, dass die Verengung auf die klassischen Staatsakte bereits nicht den Anschauungen der Weimarer Republik entsprach und die genannten Kriterien auch nicht als abgeschlossenes System verstanden werden sollten. Vielmehr enthielten sie lediglich „typische Kennzeichen“ der häufigsten Eingriffsformen. Genau deshalb seien die Merkmale aber „partiell zuverlässig“, siehe dazu auch S. 103 ff. 465 Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, 83 f. weist darauf hin, dass auch traditionelle Eingriffe mit nur ein oder zwei Voraussetzungen vertreten wurden. 466 Ders., in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, 117. 467 Siehe nur Epping, Grundrechte, 82019, Rn. 392; Voßkuhle/Kaiser, JuS 2009, 313; siehe zur Herkunft des Unmittelbarkeitserfordernisses auch Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 42 f.
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faktischem Staatshandeln.468 Und die Imperativität beschreibt die Durchsetzbarkeit des Handelns auch gegen den Willen des Grundrechtsträgers mit Befehl oder Zwang.469 Die Anforderungen für den erweiterten oder modernen Eingriff sind umstritten und uneinheitlich, einig ist man sich lediglich darin, dass die strengen Voraussetzungen des klassischen Eingriffs nicht mehr zeitgemäß sind.470 Schließlich würde sonst rein tatsächliches Staatshandeln, etwa der Schuss aus der Polizeipistole, kein Eingriff in die Grundrechte darstellen, da es an einer besonderen staatlichen Handlungsform fehlt. Strittig ist aber der Ansatzpunkt der Erweiterung des klassischen Eingriffsbegriffs. Insbesondere Sachs hat nachgewiesen, dass alle Elemente des klassischen Eingriffsbegriffs für sich genommen entbehrlich sind.471 Ein Eingriff liegt nach der wohl geläufigsten „Grundformel“ dann vor, wenn staatliches Handeln dem Einzelnen ein in den Schutzbereich eines Grundrechts fallendes Verhalten ganz oder teilweise unmöglich macht.472 Im Detail unterscheiden sich dann die Ansatzpunkte zur weiteren Prüfung des Eingriffs, oder genauer: der Bestimmung, ob die Verkürzung auf den Staat zurückzuführen ist, erheblich. Während das Bundesverfassungsgericht mit einer weiten, aber unbestimmten Formel sachgerechte Ergebnisse im Einzelfall herzustellen versucht und einen Eingriff dann bejaht, wenn er in „Zielrichtung und Wirkungen“ einem Eingriff gleichkommt473, stellen andere alternativ auf die Intensität oder die Finalität der Maßnahme ab.474 Ob indiziell oder umfänglich auch auf die Unmittelbarkeit zu-
468 Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32011, § 191 Rn. 111 ff.; Peine, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2009, § 57 Rn. 20. 469 Vgl. etwa bereits Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte, 1970, S. 10 ff.; Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Vorbemerkungen zu Abschnitt I Rn. 80; siehe auch Peine, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2009, § 57 Rn. 20. 470 Siehe etwa die Nachweise bei Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 416. 471 Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Vorbemerkungen zu Abschnitt I Rn. 81 f. m. w. N. 472 Peine, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2009, § 57 Rn. 31; Voßkuhle/Kaiser, JuS 2009, 313; Bethge, VVDStRL 57 (1998), 7, 40. 473 Siehe aus der Rechtsprechung nur BVerfGE 105, 252, 273; 113, 63, 76; 116, 202, 222; 118, 1, 20. 474 Hufen, Staatsrecht II, 82020, § 8 Rn. 11 stellt auf Kausalität sowie Schwere der Auswirkungen und ausdrücklich nicht auf Finalität und Unmittelbarkeit ab; trotz anderem dogmatischen Ansatzpunkt auch auf die Intensität abstellend Ipsen, Staatsrecht II, 232020, § 3 Rn. 146; eine Erheblichkeitsschwelle sieht etwa auch Manssen, Staatsrecht II, 182021, § 7 Rn. 166.
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rückgegriffen werden soll, wird unterschiedlich beurteilt.475 Eine andere Ansicht will das Merkmal der Vorhersehbarkeit zur Begründung des Eingriffs einführen.476 Eine weitere Ansicht will die Voraussetzungen des klassischen Eingriffs alternativ, nicht kumulativ anwenden und so eine Zurechnung des Eingriffs zum Staat erreichen.477 Teilweise wird statt des Grundrechtseingriffs von einem „grundrechtswidrigen Effekt“ gesprochen und nicht auf das staatliche Handeln, sondern lediglich die Wirkung abgestellt und die schlichte Kausalität als ausreichend angesehen.478 Vorzugswürdig erscheint es, neben der Verkürzung479 nach der oben genannten „Grundformel“ als Grundlage und der oftmals vernachlässigten, aber notwendig zu untersuchenden Kausalität480, in Bezug auf die staatliche Verursachung alternativ auf die Merkmale des klassischen Eingriffsbegriffs abzustellen, welche nach wertender Betrachtung eine Zurechnung beschreiben können. Auf die Intensität kann es bei einer Untersuchung der Grundrechtsverkürzung jedenfalls nicht ankommen, da dies ein Aspekt der Rechtfertigung und insbesondere der Verhältnismäßigkeit ist.481 Eine Zurechnung zum Staat kann sich auch aus anderen als den genannten Kriterien ergeben, sodass eine abschließende Definition nicht möglich ist.482 Somit ist notwendige Voraussetzung zunächst lediglich die Kausalität, welche in Zusammenspiel mit weiteren Gründen eine Zurechnung begründen kann.
475 Dafür etwa Manssen, Staatsrecht II, 182021, § 7 Rn. 167. Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 43 spricht in Bezug auf die Unmittelbarkeit dagegen von einer „Wertungshülse mit im Einzelnen unvorhersehbaren Ergebnissen.“ 476 Hebeler/Berg, JA 2021, 89, 93; Maurer, Staatsrecht I, 62010, § 9 Rn. 47. 477 Michael/Morlok, Grundrechte, 72020, Rn. 500 ff.; Hobusch, JA 2019, 278, 281. 478 Mit gewissen Sympathien etwa Peine, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2009, § 57 Rn. 18; Lindner, DÖV 2004, 765 ff. 479 „Tatsächliche Betroffenheit“ bei Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89, 96 f. mit weiteren Bezeichnungen. 480 Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, 128 f.; Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Vorbemerkungen zu Abschnitt I Rn. 83; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte, 1970, S. 11; siehe auch BVerfGE 66, 39, 60 ff. 481 Kritisch auch Jarass, AöR 120 (1995), 345, 363, siehe dazu auch noch sogleich. 482 Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Vorbemerkungen zu Abschnitt I Rn. 85; Starck, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 1 Rn. 265 m. w. N.; Peine, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2009, § 57 Rn. 32.
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2. Auswertung a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition Betrachtet man die Eingriffsdogmatik einmal genauer, dann sind Zurechnungsfragen auf verschiedensten Ebenen zu beantworten. Die Merkmale des klassischen Eingriffs zeigen diese verschiedenen Richtungen bereits auf: Während die Form des Handelns (Rechtsförmlichkeit) und die Durchsetzbarkeit des Handelns (Imperativität) auf die zu untersuchende Handlung bezogen sind483 und anhand dieser Merkmale eine Zuordnung zum Staat beschrieben werden soll, richtet sich die Unmittelbarkeit und der Zweck des Handelns (Finalität) auf die Verbindung zwischen (staatlicher) Handlung und dem Erfolg, nämlich der Grundrechtsverkürzung. Während die ersten beiden also beschreiben, ob das Handeln dem Staat zurechenbar ist, wird mit den letzten beiden Merkmalen der Kausalverlauf weiterverfolgt und – ähnlich der objektiven Zurechnung – die Verbindung zwischen Handlung und Erfolg beziehungsweise Ursache und Wirkung hergestellt. Der tatsächliche Erfolg, also die Grundrechtsverkürzung, wird von keinem der genannten Kriterien untersucht, sondern vorausgesetzt484, die Kriterien beschreiben dann auf verschiedenen Ebenen, ob die Beeinträchtigung auch dem Staat zuzurechnen ist485. Ist diese Ähnlichkeit mit der objektiven Zurechnung im Strafrecht einmal aufgedeckt, dann ist auch nicht weiter verwunderlich, dass die Prüfung der Kausalität auch beim Grundrechtseingriff notwendig ist. Folglich lassen sich drei Ebenen der Prüfung unterscheiden: 1. Zunächst wird untersucht, ob ein Amtsträger, ob also überhaupt „der Staat“ handelt. Hier findet also eine organisatorische Zuordnung statt, bei der auf die bereits oben untersuchten Zurechnungskonstellationen zur Amtshaftung und Grundrechtsbindung verwiesen werden kann.486 2. Auf der zweiten Ebene geht es um die Zuordnung einer Handlung zum Amtsträger, wobei als Merkmale unter anderem auf die Form und die Durchsetzbarkeit abgestellt wird. Da die Handlungen Amtsbezug haben müssen, muss die Handlung „in Ausübung“ des Amtes stattfinden.487 Es liegt hierin also eine handlungsbezogene Zurechnung. 3. Auf der dritten und letzten Ebene geht es dann darum, ob die dem Staat zugerechnete Handlung auch zum Erfolg geführt hat, ob die zwischen dem Erfolgseintritt und der verursachenden Handlung liegenden Glieder der Kausalket483 An
sich ebenso Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 415, der aber davon ausgeht, dass alle Merkmale an der staatlichen Handlung ansetzen. 484 Siehe dazu Hobusch, JA 2019, 278, 281. 485 Nachweise auch bei Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 272. 486 Siehe oben § 2 D. I. 2. und § 2 D. II. 2. 487 Siehe dazu noch sogleich bei der Neutralitätspflicht unter § 2 D. IV.
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te dem staatlichen Verursacher zugerechnet werden können. Hierfür bieten sich die Finalität und die Unmittelbarkeit an, sie sind bereits aus dem strafrechtlichen Kontext bekannt. Zugerechnet wird auf dieser Ebene zum Beispiel das Verhalten Dritter.488 Die Zurechnungskonstellation des Grundrechtseingriffs liegt damit ähnlich zur objektiven Zurechnung.489 Zugerechnet wird dem Staat als Zurechnungsadressat der zur Grundrechtsverkürzung führende Kausalverlauf, welcher unter anderem auch Verhalten Dritter enthalten kann und welcher – untechnisch gesprochen – die Verantwortlichkeit für den Eintritt des „Erfolgs“ angibt, daneben wird als Grundvoraussetzung auch die in Rede stehende Handlung als Ursache des Kausalverlaufs zunächst dem Staat zugerechnet490. Bereits erkennbar ist hier eine Doppelzurechnung: Es wird nicht nur die verursachende Handlung dem Staat zugerechnet, sondern sodann auch der zum Erfolg führende Kausalverlauf. Insofern entspricht die Prüfung des Eingriffs nicht der objektiven Erfolgszurechnung auf strafrechtlicher Ebene, sondern geht darüber hinaus. Zurechnungsgegenstand ist damit zum einen die in Rede stehende Handlung oder Unterlassung, daneben der möglicherweise nachfolgende Kausalverlauf. Die Hauptnorm liegt in den Grundrechten und der damit verbundenen Eingriffsdogmatik. Die Zuordnung von Merkmalen zum Staat ist erforderlich, um den „Tatbestand“ der Grundrechte als Abwehrrecht zu erfüllen. Wenn dieser Tatbestand die Verkürzung eines Grundrechtes vorgibt, dann dient die Zurechnung der Erfüllung dieses Tatbestandes. Es handelt sich um eine ungeschriebene Zurechnungsoperation, da die Zurechnungsnorm ungeschrieben ist. Ob eine Eigen- oder Fremdzurechnung vorliegt, ist nicht pauschal zu beantworten. In den Fällen eines Dazwischentretens Dritter, also bei mittelbaren Eingriffen, handelt es sich um eine Fremd-, sonst um eine unmittelbare Verursachung und damit Eigenzurechnung. Auch beim Eingriff ist – ähnlich der objektiven Zurechnung491 – die Differenzierung also anhand der unterschiedlichen Fallgruppen vorzunehmen und kann nicht für den gesamten Problemkreis erfolgen.
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Lange, Zweckveranlassung, 2014, S. 35 f.; Voßkuhle/Kaiser, JuS 2009, 313. Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 271. 490 Ähnlich wohl Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 418, der die Frage des „Beeinträchtigungserfolgs“ von der Verantwortlichkeit des Staates dafür trennen will. Unklar etwa Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 271, welcher die Beeinträchtigung dem Verhalten zurechnen möchte. 491 Siehe oben § 2 B. I. 6. 489
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b) Zurechnungskriterien Als Zurechnungskriterien kommen damit zunächst die genannten Merkmale des klassischen Eingriffs in Betracht. Dem Staat wird eine Grundrechtsverkürzung zugerechnet, wenn ein Amtsträger gehandelt hat und das Handeln entweder als final, unmittelbar, rechtsförmig oder imperativ zu qualifizieren ist und kausal zur Verkürzung geführt hat. Kein Zurechnungskriterium und daher auch kein taugliches Element zur Bestimmung des Eingriffs ist die Intensität. Ob der Schutzbereich eines Grundrechts besonders schwerwiegend betroffen ist, gibt keinen Aufschluss darüber, ob der Staat für die Verkürzung verantwortlich ist. Eine starke Betroffenheit hilft bei der Suche nach dem Verursacher und der notwendigen Verbindung zwischen Erfolg und staatlicher Handlung für sich genommen nicht weiter.492 c) Zurechnungsgründe Um dem Staat den „Erfolg“, also die Grundrechtsverkürzung, zuzuordnen, bedarf es eines Verantwortungszusammenhangs. Ähnlich wie bei der objektiven Zurechnung ist die Kausalität das verbindende Element zwischen dem staatlichen Handeln und der Grundrechtsverkürzung, die Kausalität indiziert die Verantwortung.493 Auf der zweiten Zurechnungsebene wird mit den Merkmalen der Form und der Imperativität versucht, von klassischen Handlungsweisen des Staates auf eine Verantwortlichkeit des Staates für die Handlung zu schließen. Handelt der Staat mit der ihm eigentümlichen Macht, für die er von dem Bürger zunächst grundsätzlich Gehorsam verlangen kann, dann liegt eine Zurechnung der Hand492
Hobusch, JA 2019, 278, 281; ähnlich Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 417, der vorschlägt, auf von der Verkürzung unabhängige Kriterien abzustellen; Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Vorbemerkungen zu Abschnitt I Rn. 94; Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, 157 f. m. w. N. und S. 205 f.; kritisch auch Peine, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2009, § 57 Rn. 49; Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32011, § 100 Rn. 95; für eine Heranziehung der Intensität etwa Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 252 ff. oder Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89, 104, der aber irrig von geringer Eingriffsintensität auf das (hinnehmbare) allgemeine Lebensrisiko schließt. Dieser Schluss ist indes nicht überzeugend, da hier zwei verschiedene Ansätze miteinander vermengt werden. Folgt aus dem Schutzzweck der Norm, dass nur Grundrechtsverkürzungen als solche behandelt werden, welche durch eine staatlich geschaffene Gefahrenlage hervorgerufen wurden, dann spielt dafür die Intensität zunächst keine Rolle. Aus den Grundrechten den Schutzzweck zu folgern, nur vor wesentlicher Beeinträchtigung seien die Grundrechtsträger geschützt, ist mit Art. 1 Abs. 3 GG offensichtlich nicht vereinbar. 493 Siehe dazu bereits § 2 B. I. 6. d).
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lung zu ihm auf der Hand. Insofern ist es zutreffend, wenn Sachs den Punkt der Imperativität als das entscheidende Merkmal des klassischen Eingriffs herausstellt.494 Gleichwohl ist damit zunächst einmal wenig gewonnen und lediglich die Urheberschaft der Handlung geklärt. Gleiches gilt für die Rechtsform des Handelns.495 Ob die Handlung auch zu der Verkürzung geführt hat, ist eine Frage der „objektiven Zurechnung“ auf der dritten Ebene. Dennoch ist die Handlungsform des Befehls bereits ein starkes Indiz auch für eine Verkürzung, denn in einem bipolaren Verhältnis liegt in dem Befehl gegenüber dem Adressaten selbst die Verkürzung des Schutzbereichs496, andererseits ist ein bipolares Verhältnis eben auch mit dem Merkmal der Unmittelbarkeit zu greifen. Die Handlungsform kann zwar etwas darüber aussagen, ob der Staat für die Handlung verantwortlich ist, ob daraus aber auch eine zurechenbare Verkürzung resultiert, ist eine davon zu scheidende Zurechnungsfrage, ansonsten würde jedes Gesetz oder jeder Verwaltungsakt automatisch einen Eingriff darstellen. Für die Zuordnung der verursachenden Handlung zum Staat ist die Form indes ein probates Kriterium, auch bei der Amtshaftung wird mit dem Abstellen auf die Handlungsform ein „staatliches“ Handeln begründet.497 Die Unmittelbarkeit und die Mittelbarkeit deuten dabei auf Zurechnungs- sowie Zurechnungsausschlussgründe hin, die auch bei der objektiven Zurechnung erkennbar sind. Das freiverantwortliche Dazwischentreten eines Dritten unterbricht die Zurechnung: Steht ein anderer näher an der Verursachung oder wird der Zurechnungszusammenhang durch das Handeln eines Dritten „abgeändert“, findet grundsätzlich keine Zurechnung statt, die Verantwortung liegt dann vielmehr bei dem Dazwischentretenden. Abstrahiert lässt sich damit sagen, dass die unmittelbare Verursachung zu einer Zurechnung führt, die mittelbare Verursachung nicht ohne weiteres. Beide können zu dem gleichen Ergebnis führen, wenn die Handlung des Dazwischentretenden dem Staat zugerechnet werden kann. Gerade weil es mannigfaltige Fallgestaltungen gibt, in denen eine Zurechnung zur Verantwortlichkeit für mittelbare Verursachung führt, ist das Kriterium
494 Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Vorbemerkungen zu Abschnitt I Rn. 80 m. w. N.; zustimmend Peine, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 2009, § 57 Rn. 28; ähnlich auch Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 4444, die herausarbeitet, dass in der Imperativität bereits Finalität und Unmittelbarkeit mitenthalten sind. 495 Siehe etwa Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, 126 f. 496 Vgl. Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte, 1970, S. 12; Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89. 497 Siehe die Auswertung zur Amtshaftung unter § 2 D. I. 2.
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der Unmittelbarkeit mit einer großen Unschärfe behaftet.498 Während die Unmittelbarkeit zwar für die Zurechnung streitet, spricht die Mittelbarkeit nicht unüberwindlich dagegen. Je mittelbarer indes die Verursachung, desto weniger stark ausgeprägt ist die Verbindung zwischen Handlung und Erfolg499 und desto weniger stark ist der Zurechnungszusammenhang ausgeprägt. Rekurrieren lässt sich hier auf die bereits vorliegenden Ergebnisse aus dem strafrechtlichen Rechtsvergleich. Auch hier beendet nicht jedes Dazwischentreten eines Dritten die Zurechnung. Sowohl bei der objektiven Zurechnung als auch bei den „Unterfällen“ der Mittäterschaft und der mittelbaren Täterschaft wird das Handeln des Dazwischentretenden hinzugerechnet. Zu denken ist beim Eingriff an die Zurechnung des Verhaltens der dazwischentretenden Dritten, wenn das Geschehen vom Staat beherrscht wird. Diese Herrschaft kann in der Aufgabe der freien Entscheidung des Dritten liegen, aber auch bei einer nicht diese Schwelle erreichenden Beeinflussung und Steuerung des Dritten.500 Auch „veranlasstes“ sozialadäquates Verhalten Dritter wird im strafrechtlichen Kontext grundsätzlich zugerechnet, wenn etwa der Krankenwagen den Verletzten mit Sonderrechten ins Krankenhaus befördern will und auf dem Weg verunglückt: Dann lebt das geschaffene Risiko in dem Verhalten Dritter fort, der Täter wird so behandelt, als habe er den Unfall verursacht. Bei atypischen Kausalverläufen soll dagegen eine Zurechnung entfallen, auf den Eingriff gemünzt sind damit völlig unvorhersehbare Folgen von staatlichen Handlungen durch Handeln Dritter, die sich der Beherrschung entziehen, nicht ohne weiteres zuzurechnen. Ist das veranlasste Verhalten Dritter nachvollziehbar und eine vorhersehbare Folge der Handlung, dann spricht nichts gegen eine Zurechnung zum Verursacher, es muss dafür aber adäquat kausal sein, sich damit als Folge im Rahmen der allgemeinen Lebenserfahrung bewegen. Über diese Konstruktion lassen sich auch die schwierigen Fälle der mittelbaren Eingriffe erklären, etwa bei staatlichen Warnungen501 oder abgeschwächt bei staatlichen Empfehlungen. Der Staat setzt zwar mit der Warnung die Ursache, die Wirkung tritt aber erst durch das (eigenverantwortliche) Handeln Dritter, etwa der Kunden bei einer Produktwarnung ein: Sie kaufen das Produkt aus eigener Entscheidung nicht mehr. Ist dieses Verhalten aber vorhersehbare Folge der Warnung und damit veranlasst durch das
498 Kritisch etwa Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89, 95; erneut Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 43. 499 Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89, 104. 500 Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, 195. 501 Zu den vielfältigen Möglichkeiten des „staatlichen Informationsinterventionismus“ etwa Augsberg, DVBl 2007, 733, 736 f.
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staatliche Handeln, kann dies zugerechnet werden.502 Ist es völlig unvorhersehbar, scheidet die Zurechnung aus.503 Gerade bei der Veranlassung lässt sich als Zurechnungsgrund die Finalität anführen: Wenn der Staat in Kenntnis der Konsequenzen bewusst das Handeln Dritter hervorruft, um ein Ziel zu erreichen, muss er sich das Verhalten zurechnen lassen.504 Eine weitere, in die gleiche Richtung weisende Begrenzung der Zurechnung lässt sich aus dem Schutzzweck entwickeln505: Schutzzweck des Eingriffs ist es nicht, jede Beeinträchtigung auf irgendeine staatliche Handlung zurückzuführen, die Handlung und der Erfolg müssen vielmehr eine entsprechende Verknüpfung aufweisen. Realisiert sich nur das allgemeine Lebensrisiko, ist für eine Zurechnung kein Raum. Realisiert sich dagegen die durch die staatliche Handlung geschaffene spezifische grundrechtliche Gefahr, dann muss sich der Staat an der eingetretenen Grundrechtsverkürzung festhalten lassen. Es bedarf damit eines inneren Zusammenhangs zwischen dem staatlichen Handeln und der eintretenden Verkürzung. Die Idee, durch eine Betrachtung des Schutzzwecks eine sachgerechte Einengung des ansonsten sehr weiten Grundrechtseingriffs herzustellen, ist nicht neu. Letztendlich ist die berufsregelnde Tendenz506, welche das Bundesverfassungsgericht für Art. 12 GG anwendet, eine Schärfung des Eingriffs, welche sich am Schutzzweck des entsprechenden Grundrechts orientiert.507 Die Rückkopplung zum jeweiligen Grundrecht führt dazu, dass der Eingriff grundrechtsspezifisch ist und es damit keinen allgemeingültigen Begriff geben kann.508 Durch einen Vergleich der Kriterien mit der alten strafrechtlichen Zurechnungslehre lässt sich noch der Rekurs auf die Zweckhaftigkeit und Finalität als Gemeinsamkeit auffinden. Nicht nur im Strafrecht wurde seinerzeit der Versuch unternommen, von dem Zweck einer Handlung auf die Verursachung zu schlie502 Zur Vorhersehbarkeit etwa Voßkuhle/Kaiser, JuS 2009, 313; Hebeler/Berg, JA 2021, 89, 93; Maurer, Staatsrecht I, 62010, § 9 Rn. 47. 503 Nachweise bei Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, 195. 504 Ders., in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, 189 und weiter bei S. 192 f. 505 Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 265 ff.; Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, 155 f.; zustimmend wohl auch Alexy, Theorie der Grundrechte, 21994, S. 277 f.; umfassend zu einer Nutzung des Schutzzweckes Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89, 99 ff.; Michael/Morlok, Grundrechte, 72020, Rn. 503. 506 Zur hier relevanten objektiv berufsregenden Tendenz etwa nur BVerfGE 95, 267, 302; 97, 228, 254; 111, 191, 213; 128, 1, 82. 507 Ähnlich Voßkuhle/Kaiser, JuS 2009, 313, 314; Michael/Morlok, Grundrechte, 72020, Rn. 503. 508 Siehe etwa Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32011, § 200 Rn. 77.
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ßen, auch bei der Zuordnung der Amtspflichtverletzung wurde dies als Zurechnungskriterium herausgearbeitet.509 Die Finalität ist aber auch bei den Grundrechten nicht mehr als ein Indiz für einen Eingriff, schließlich sagt die Zweckrichtung einer Handlung weder etwas über ihre „Staatlichkeit“ noch über ihre tatsächliche grundrechtsverkürzende Wirkung aus. Sofern diese Punkte aber bereits vorher abgearbeitet werden, und das ist nach der hier vorgeschlagenen Systematik der Fall, dann kann die Finalität zielgenau zur Herstellung einer Verbindung zwischen Handlung und Erfolg verwendet werden. War eine Verkürzung bezweckt, dann lässt sich daraus wiederum die grundsätzliche Vorhersehbarkeit der Folge schlussfolgern, jedenfalls liegt dann kein atypischer Kausalverlauf vor. Ist die Wirkung aber vorhersehbare Folge der gesetzten Handlungsursache, dann liegt eine Zurechnung nahe. Durch die Intention des Handelnden rückt der Erfolg auch bei eher losen Kausalketten näher an die Handlung heran.510 Für die Finalität ist damit weniger die subjektive Zweckrichtung, sondern vielmehr die davon abstrahierte objektive511 oder jedenfalls subjektive Vorhersehbarkeit512 entscheidend. Die Zurechnungsbegründung der Unmittelbarkeit lässt sich bildlich mit dem Sphärengedanken kombinieren. Liegt zwischen der Ursache und der Wirkung nur das Verlassen des Machtbereichs des Verursachers, dann hat der Verursacher den Kausalverlauf bis zum Ende „in der Hand“. Wer den Kausalverlauf „in den Händen hält“, ist „Täter“, also „verantwortlich“. Dies erklärt sich aus der besonderen Einwirkungsmöglichkeit und der damit verbundenen Machtstellung. Für die Geschehnisse der eigenen Sphäre ist der Inhaber verantwortlich. Führt ein Kausalverlauf aus der eigenen Sphäre ohne Beteiligung anderer Sphären zu einem Erfolg, dann bestand bis zuletzt eine Einwirkungsmöglichkeit, den Kausalverlauf umzulenken. Wenn die Unmittelbarkeit zu bejahen ist und das Verhalten ohne weiteres zu einer Verkürzung der Grundrechte führt, gilt die Zurechnung hier auch bei atypischen Kausalverläufen, da einzig betroffener Machtbereich der des Staates ist. Selbst wenn es bei dem Kausalverlauf an der Vorhersehbarkeit fehlt, ist der Staat dennoch bis zur Einwirkung Herrscher über den Kausalverlauf gewesen und damit verantwortlich. Erst wenn weitere Machtbereiche
509
Siehe oben § 2 D. I. 2. c). Siehe etwa Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89, 103 f. 511 So etwa Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte, 1970, S. 23; Voßkuhle/Kaiser, JuS 2009, 313; kritisch dagegen Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 246 ff.; ebenfalls kritisch jedenfalls für die Nutzung als konstitutives Merkmal Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32011, § 200 Rn. 93. 512 Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 248. 510
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betroffen sind und Dritte einwirken können, führt atypisches Verhalten zu einer Zurechnungsunterbrechung.513 Auch in diesem Kontext lässt sich somit eine Machtkomponente wiederfinden. Wer das Verhalten Dritter oder den Kausalverlauf als solchen beherrscht oder kontrolliert, dem können die Geschehnisse des Kausalverlaufes zugerechnet werden.514 Das gilt auch für den Staat. Das Bundesverfassungsgericht hat auf die Kriterien des zielgerichteten Handelns und der Einflussmöglichkeit abgestellt, als es zu untersuchen hatte, ob eine Zurechnung des Handelns in Deutschland stationierter fremder Staatsgewalt in Betracht kommt.515 Zurechnungsausschlussgründe sind in den genannten Zurechnungsgründen zum Teil als negative Kehrseite enthalten. Die Mittelbarkeit, also das Dazwischentreten Dritter, spricht gegen eine Zurechnung.516 Selbiges gilt für die Atypik der Folgen, den Schutzzweckzusammenhang oder die fehlende Adäquanz.517 Die fehlende Form und die fehlende Imperativität sprechen indes nicht ohne weiteres gegen eine Zurechnung des Handelns zum Staat als solches. Im Rahmen einer wertenden Betrachtung sind die genannten Punkte in eine Interessenabwägung einzustellen. Nach hier vertretener Ansicht genügt dafür neben der Kausalität bereits eines der Elemente des klassischen Eingriffs als Anhaltspunkt, um argumentativ zu einer Bejahung eines Eingriffs zu kommen.
IV. Neutralitätspflicht von Amtsträgern Auf den ersten Blick überraschend enthält auch die Frage nach der Neutralitätspflicht von Amtsträgern ein Zurechnungsproblem. Nicht die Anforderungen, welche an Äußerungen von Amtsträgern zu stellen sind, spielen hier eine Rolle, sondern die Abgrenzungskriterien, mit denen das Bundesverfassungsgericht und die herrschende Lehre meinen, die Äußerungen eines Amtsträgers, etwa eines Ministers, von denen eines Parteipolitikers oder einer Privatperson unterscheiden zu können. Im letzteren Fall ist die Äußerung lediglich der Privatperson zuzuordnen, es bieten sich lediglich zivilrechtliche 513 Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, 195 f.; Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Vorbemerkungen zu Abschnitt I Rn. 90. 514 Auf die Kontrolle abstellend Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 300. 515 BVerfGE 66, 39, 57 ff.; siehe dazu auch Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, 201 f.; Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 274 f. 516 Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 286. 517 In ähnlichem Zusammenhang Morlok, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, 22013, § 52 Rn. 79 ff.
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Ansprüche gegen den sich Äußernden an. Wird die Äußerung einer Person aber als eine solche des Amtsträgers eingestuft, dann ist es eine „staatliche“ Äußerung: Ob der Staat will oder nicht, die Äußerung wird ihm zugerechnet. Und nur für „staatliche“ Äußerungen gelten die verschärften Anforderungen an den Inhalt in Form der Neutralitätspflicht. Aus dem Eintritt in die staatliche Sphäre ergibt sich sodann erst der Anwendungsbereich der Chancengleichheit der Parteien und der Freiheit der Wahl.518 Insofern handelt es sich, dogmatisch aufgelöst, bei der Frage nach der Einordnung einer Äußerung oder einer Handlung als solche einer Partei- oder Amtsperson um eine Frage der Beeinträchtigung der Chancengleichheit. Erst durch die Beeinträchtigung der Chancengleichheit eröffnet sich im Anschluss der Zugriff auf die differenzierten Abstufungen in Bezug auf die zu wahrende Neutralität. Es steckt in der Abgrenzung folglich auch die Fragestellung, ob der Staat für die Beeinträchtigung verantwortlich ist oder nicht. Die Parallelen zur grundrechtlichen Eingriffsdogmatik und zur Grundrechtsgebundenheit des Staates sind unübersehbar, gleichwohl es sich hier um einen Sonderfall handelt, bei dem die gezeigten Kriterien der grundrechtlichen Eingriffsdogmatik versagen dürften. Auch hier ist also zu untersuchen, ob die Beeinträchtigung durch den Staat erfolgte. Hierin liegt ebenfalls ein Zurechnungsproblem verborgen.519 1. Voraussetzungen Die Neutralitätspflicht von Amtsträgern kann mittlerweile auf eine gefestigte Rechtsprechungslinie des Bundesverfassungsgerichts zurückblicken. Mit dem grundlegenden Urteil zur Öffentlichkeitsarbeit der Regierung vom 2. März 1977 hatte das Gericht der Regierung erstmals klare Grenzen für die bis dahin aus heutiger Sicht mehr als exzessiv wirkende Nutzung regierungsamtlicher Ressourcen für Wahlkampfzwecke gesetzt.520 Die letzten Jahre begab sich das Gericht dann daran, die Voraussetzungen der Neutralitätspflicht näher auszugestalten und auch auf Äußerungen zu übertragen. Ausreichend Anlass wurde dem Gericht geboten: Während das Bundesverfassungsgericht es gleich in zahlreichen Entscheidungen mit Äußerungen von Bundesministern zu tun hatte, musste es sich auch mit einer Anwendung der Neutralitätspflicht auf den Bundespräsidenten auseinandersetzen. In den Fachgerichten rang man zuletzt etwa um die
518
Vgl. BVerfGE 138, 102, 117; siehe etwa auch Milker, JA 2017, 647, 648. So etwa Gusy, NVwZ 2015, 700, 702 ff.; Dişçi, Der Grundsatz politischer Neutralität, 2019, S. 20 ff. 520 BVerfGE 44, 125; dazu eingehend Häberle, JZ 1977, 361 ff. 519
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Anwendbarkeit auf Äußerungen kommunaler Wahlbeamter gegenüber politischen Initiativen521 oder Anwaltskammerpräsidenten522. Die gefestigte Rechtsprechung prüft die Neutralitätspflicht in einem Zweischritt. Zunächst geht es um die Frage, ob der Handelnde in Wahrnehmung seines Amtes oder als Privatperson gehandelt hat und ob die Neutralitätsanforderungen damit überhaupt anwendbar sind, anschließend, welche Anforderungen an die Neutralitätspflicht sich aus dem Amt des Handelnden ergeben. Diese Anforderungen an die Neutralitätspflicht auf der zweiten Ebene hängen von dem in Rede stehenden Amt ab und sind anhand der Rechte und Pflichten desselben zu bestimmen.523 Der Bundespräsident darf sich aufgrund seiner Integrationsfunktion weit weniger neutral und wesentlich pointierter äußern524 als ein Minister, der mit der kritisierten Partei in direkter Konkurrenz steht, über weitaus mächtigere Amtsressourcen verfügt und daher an eine strikte Neutralität gebunden ist525. Daneben steigt mit zunehmender Nähe zum Wahltermin auch die Zurückhaltungspflicht.526 Diese genannten Rechtsfolgen und Differenzierungen spielen für die vorliegende Arbeit indes keine Rolle, es soll an dieser Stelle ausschließlich um die erste Stufe der Prüfung gehen, nämlich die Abgrenzung, ob ein Handeln „als Amtsträger“ oder „als Parteiperson“ stattfindet. Das Bundesverfassungsgericht prüft die genannten Stufen in umgekehrter Reihenfolge527, was indes nicht einleuchtend erscheint. Während es bei den Entscheidungen zur Regierungsöffentlichkeitsarbeit vor Wahlen und den Entscheidungen Gauck528 und Wanka529 vor allem um den zweiten Aspekt, nämlich die Anwendung der Neutralitätspflicht auf die konkrete Äu521 „Licht aus“-Entscheidung, vgl. BVerwGE 159, 327; zu der Fallgestaltung auch Hebeler, JA 2017, 558 ff.; Wahnschaffe, NVwZ 2016, 1767 ff. 522 BGH, Urteil vom 07.12.2020 – AnwZ (Brfg) 19/19 = BeckRS 2020, 38578 mit Anmerkungen dazu Dahns, NJW-Spezial 2021, 126 f.; AGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.12.2018 – 1 AGH 39/17 = BeckRS 2018, 38992; BGH, Urteil vom 07.12.2020 – AnwZ (Brfg) 19/19 = BeckRS 2020, 38578. 523 BVerfGE 138, 102, 111 f.; Gröpl/Zembruski, JA 2016, 268, 276 f.; Ferrau, NVwZ 2017, 1259, 1260. 524 BVerfGE 136, 323, 337. Zu den Besonderheiten insbesondere mit Blick auf die NPD Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1020. 525 Etwa BVerfGE 138, 102, 109 ff., insbesondere zur Begründung auch S. 112 f. Siehe auch die Darstellung bei Milker, JA 2017, 647, 652 f. 526 Zur Bedeutung der Vorwahlzeit etwa schon BVerfGE 44, 125, 152 ff.; Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1019. 527 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 09.06.2020 – 2 BvE 1/19 –, Rn. 43 und 66 ff.; siehe auch die irreführende Reihenfolge bei BVerfGE 138, 102, 121 f. 528 BVerfGE 136, 323. 529 BVerfGE 148, 11.
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ßerung und nicht um die „Urheberschaft“ der Äußerung ging, liegt bei der Schwesig-Entscheidung530 der Schwerpunkt stärker bei der Abgrenzung von Amt und Partei. Dies liegt auch in den Sachverhalten begründet: Im Fall Wanka und zuletzt dem Verfahren Seehofer531 wurden die strittigen Äußerungen auf die Ministeriumshomepage hochgeladen und ein Amtsbezug spätestens hier unstreitig hergestellt. Bei der Schwesig-Entscheidung dagegen war Anlass des Verfahrens lediglich ein Interview und die darin getätigten Äußerungen. Um zu bestimmen, ob eine Teilnahme am politischen Meinungskampf als Amtsperson oder als Parteipolitiker erfolgt, wird gemeinhin bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls auf das Vorliegen von Amtsautorität oder den „spezifischen“ Rückgriff auf Amtsressourcen abgestellt.532 Ein Bezug zum Amt liegt jedenfalls bei dem Einsatz von Sach- oder Finanzmitteln des Amtes vor, da diese dem Amtsträger nur in seiner Amtseigenschaft zustehen, etwa beim Druck von Broschüren mit Amtsmitteln.533 Auf die Höhe des Vorteils kommt es dabei nicht an.534 Es soll ein Rückgriff auf die „Mittel und Möglichkeiten des Amtes“535 verhindert werden. Die Amtsautorität ist die erkennbare Bezugnahme auf das Amt, um der Äußerung die aus dem Amt „fließende besondere Glaubwürdigkeit oder Gewichtung zu verleihen“536. Dies ist etwa der Fall bei offiziellen Publikationen, Pressemitteilungen oder Inhalten der offiziellen Internetseite, daneben kommt auch die Nutzung von Hoheitszeichen oder Staatssymbolen, aber auch bereits die Nutzung von Amtsräumen in Betracht.537 Auch Äußerungen unter Bezugnahme auf das Amt oder solche, die ausschließlich Maßnahmen des Amtsbereichs zum Thema haben538 oder im Rahmen einer vom Amtsträger ganz oder teilweise verantworteten Veranstaltung getätigt werden, sollen unter die Amtsautorität fallen539, umgekehrt spricht das Auftreten auf Parteiveranstaltungen, etwa Parteitagen, gegen das Vorliegen einer amtlichen Äußerung, womit die Neutralitätspflicht
530
BVerfGE 138, 102. BVerfGE 154, 320. 532 Siehe etwa BVerfGE 138, 102, 118 Rn. 56; zuletzt BVerfGE 154, 320, 340 Rn. 58. Siehe auch Ferrau, NVwZ 2017, 1259, 1260. 533 Vgl. Milker, JA 2017, 647, 651. 534 Andere Ansicht etwa Gärditz, Steriles Politikverständnis: Zum Wanka-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, 27.02.2018 (https://verfassungsblog.de/steriles-politikverstaendniszum-wanka-urteil-des-bundesverfassungsgerichts/) (geprüft am 24.02.2023). 535 Voßkuhle/Kaiser, JuS 2018, 343. 536 BVerfGE 138, 102, 118; 148, 11, 33; 154, 320, 340 Rn. 56. 537 Milker, JA 2017, 647, 651. 538 BVerfGE 138, 102, 118 f.; Ferrau, NVwZ 2017, 1259, 1260. 539 Aufzählung bei BVerfGE 154, 320, 140 f. Rn. 59. 531
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keine Geltung entfaltet540, vielmehr ist eine derartige Äußerung dem allgemeinen politischen Meinungskampf zuzuordnen, in welchem sich der Sprecher auf die Meinungsfreiheit berufen kann.541 Zwischen der Nutzung amtlicher Mittel und der Äußerung des Amtsträgers muss eine spezifische Verbindung bestehen, die Anreise mit einem Dienstwagen spricht daher bei einem Interview nicht für eine amtliche Äußerung.542 Entscheidende Kriterien sind damit der Kontext, die Form sowie der Inhalt der Äußerung.543 Bei Interviews oder Talkshows ist die Abgrenzung besonders schwierig, weil der Amtsträger hier sowohl als Amtsperson als auch als Parteipolitiker spricht.544 Die Nennung der Amtsbezeichnung ist allein noch kein Indiz für die Nutzung besonderer Amtsautorität, da diese auch außerdienstlich geführt werden darf.545 Bei Interviews kommt es also maßgeblich auf den Inhalt der Äußerung an, da der Kontext ambivalent ist. In der Literatur sind die Abgrenzungskriterien teilweise wohlwollend aufgegriffen, teilweise kritisiert worden.546 Die Konzeption des Gerichts, zwischen den verschiedenen Sprecherrollen zu differenzieren, wird teilweise an sich kritisiert547, andernorts findet sich Kritik am Kriterium der Amtsautorität548. Auch gegen die „Alles oder nichts“-Rechtsfolge der Neutralitätspflicht richtet sich die Kritik.549
540
BVerfGE, 138, 102, 119 Rn. 58; BVerfGE 154, 320, 341 Rn. 60. Vgl. auch Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1016. 542 Ders., NVwZ 2015, 1014, 1016 m. w. N. 543 Ähnlich Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1016; Spitzlei, JuS 2018, 856, 857; Milker, JA 2017, 647, 651; Gröpl/Zembruski, JA 2016, 268, 272; BVerfGE 138, 102, 118 ff. 544 Ablehnend Mandelartz, DÖV 2015, 326, 329; dafür Spitzlei, JuS 2018, 856, 857; BVerfGE 138, 102, 118. 545 BVerfGE 138, 102, 119; Milker, JA 2017, 647, 651; Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1016. 546 Voßkuhle/Kaiser, JuS 2018, 343 f. 547 Payandeh, Der Staat 55 (2016), 519, 534 ff.; Krüper, JZ 2015, 414–417, 417; Putzer, DÖV 2015, 417, 422 f. Eine strikte Trennung sieht auch das BVerfG mittlerweile nicht mehr als möglich an, siehe nur BVerfGE 138, 102, 118 unter ausdrücklicher Abkehr von E 44, 125, 141. 548 Zuletzt etwa Wolf, Amtsautorität: Der wunde Punkt der Chancengleichheit, 28.05.2020 (https://verfassungsblog.de/amtsautoritaet-der-wunde-punkt-der-chancengleichheit/) (geprüft am 24.02.2023); Tanneberger/Nemeczek, NVwZ 2015, 215 f. Krüper, JZ 2015, 414, 415 mit dem Hinweis, die Amtsautorität sei Ergebnis vom Kontext unabhängiger Zuschreibungen und damit nicht allein vom Handeln des Amtsträgers abhängig. 549 Roßner, BVerfG verschärft Neutralitätspflicht von Staatsorganen: Wann ist ein Minister kein Politiker? (https://www.lto.de/persistent/a_id/27233/) (geprüft am 24.02.2023). 541
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2. Auswertung a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition Die Zurechnungskonstellation erscheint ähnlich der Grundrechtsbindung und dem Grundrechtseingriff. Voraussetzung einer Geltendmachung von Abwehrrechten gegen den Staat ist die Feststellung, dass überhaupt ein tauglicher (staatlicher) Adressat vorliegt. Hat nicht der Staat, sondern ein Privater gehandelt, dann sind die Chancengleichheit der Parteien und die Freiheit der Wahl als diejenigen Rechte, auf welche ein Vorgehen gegen entsprechende Äußerungen gestützt werden könnten, jedenfalls nicht unmittelbar in Stellung zu bringen. Bei der Frage der Neutralitätspflicht geht es darum, aus verschiedenen Kriterien eine Zuordnung zum Staat zu konstruieren. Erkennbar sind auch hier klare Ähnlichkeiten mit den bereits eingangs besprochenen Zurechnungsbeispielen. Auch die Frage der Neutralitätspflicht von Amtsträgern dreht sich im Wesentlichen um die Abgrenzung von staatlicher und privater Sphäre. Sie wird hier sogar noch auf die Spitze getrieben, da die Trennlinie praktisch innerhalb der Person des Amtsträgers verläuft: Spricht er auf die eine Weise, ist er Amtsträger, spricht er auf die andere Weise, handelt er als Privater. Beides gleichzeitig ist aufgrund des Konfusionsarguments nicht möglich.550 Die Zuordnung zum Staat ist notwendig, um die Bindung an die Chancengleichheit nicht leerlaufen zu lassen. Folge der Zuordnung zum Staat ist nicht nur die Bindung des Zurechnungsziels, des Staates, sondern auch des handelnden Amtsträgers, da er an die Abwehrrechte gebunden ist. Die Zuordnung zum Staat ist wie bei der Grundrechtsbindung die Voraussetzung für eine Aktivierung der Abwehrrechte als solche. Es ergibt sich damit als Zurechnungsadressat der Staat, welchem die Äußerungen oder Handlungen des Amtsträgers als Zurechnungsgegenstand zugerechnet werden. Eine Hauptnorm könnte man vorliegend in der Chancengleichheit der Parteien und der Freiheit der Wahl erkennen, denn diese Abwehrrechte stehen bei der Frage nach der Neutralitätspflicht zur Prüfung. Sie kommen nur durch Zurechnung der Äußerung zum Staat zur Anwendung. Zugerechnet wird nicht nur die Äußerung, sondern unter Umständen auch tatsächliches Handeln. Im Fall Seehofer etwa war nicht das gegebene Interview an sich verfassungswidrig, denn dabei handelte es sich um eine Teilnahme am politischen Meinungskampf als Parteipolitiker. Es hätten sich allein daraus keine Probleme ergeben, wäre das Interview dann nicht auf die Ministeriumswebseite hochgeladen worden. Das Hochladen des Interviews und nicht das Interview selbst war damit verfassungswidrig, da hiermit die Neutralitätspflicht verletzt wurde. 550
Milker, JA 2017, 647, 651.
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Eine Zurechnungsnorm ist nicht geschrieben vorhanden. Es handelt sich um eine Fremdzurechnung. b) Zurechnungskriterien Maßgebliche Abgrenzungskriterien sind die Amtsautorität und der Rückgriff auf die „Amtsressourcen“. Dies sind aber nur diejenigen Maßstäbe, mit denen geprüft wird, ob eine Äußerung eines Amtsträgers „in Ausübung“ des Amtes oder als Privatperson getätigt wurde. Nicht nur terminologisch sind Parallelen zur Amtshaftung zu erkennen. Die Frage nach der Bestimmung, ob ein Amtsträger „in Ausübung“ der Tätigkeit oder nur „bei Gelegenheit“ pflichtwidrig gehandelt hat, ist hier wie dort ein typisches Problem von Zurechnungskonstellationen. Ebenso wie bei Art. 34 GG ist dies aber der zweite Schritt, der erste ist die Prüfung, ob überhaupt ein öffentliches Amt vorliegt. In Betracht kommt hierfür zunächst jede grundrechtsgebundene Staatsgewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG.551 Als dritter Schritt folgt dann die Bestimmung, ob das Handeln auch zurechenbar die Beeinträchtigung hervorgerufen hat. Damit liegen hier bereits zwei selbständige Fragen verborgen: Zunächst muss auf der ersten Stufe ein entsprechendes Amt vorliegen, welches überhaupt eine Rechtfertigung auslösen kann. Auf der zweiten Stufe ist dann zu fragen, ob das Handeln des an sich gebundenen Amtsträgers „in Ausübung“ oder nur „bei Gelegenheit“ geschehen ist, ob also dienstliche oder anderweitige Elemente im Vordergrund stehen. Für die erste Frage kann auf die bisherigen Ausarbeitungen zur Grundrechtsgebundenheit zurückgegriffen werden.552 Eine weitere Erörterung ist an dieser Stelle entbehrlich. Bei der zweiten Ebene geht es erneut um einen spezifischen Zusammenhang zwischen dem Amt und der fraglichen Tätigkeit. Hierfür werden nun bei der Neutralitätspflicht eigene Kriterien angeboten. Dabei handelt es sich um die oben genannte Amtsautorität und den Rückgriff auf die Ressourcen, welche nur aufgrund des Amtes offenstehen. Es lässt sich hier noch weit stärker differenzieren. Während das Bundesverfassungsgericht auch finanziell klar bezifferbare Vorteile in die Amtsautorität und nicht die Amtsressourcen einkleidet, besteht dafür gar kein Anlass. Mit dem Abstellen auf finanzielle und sachliche Ressourcen sind die wesentlichen Punkte bereits abgedeckt. So sind Flyer oder Druckerzeugnisse ebenso eine Verwendung der finanziellen Ressourcen des Amtes wie die Publikation auf der Internetseite
551 552
BVerfGE 136, 323, 333; 138, 102, 113 f.; Wolf, NVwZ 2020, 845, 849. Siehe oben § 2 D. II. 2.
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des Ministeriums553, die Erstellung von Plänen, die der eigenen Partei zur Verfügung gestellt werden554 oder auch die Nutzung von Amtsräumen. Die besondere Betonung des öffentlichen Amtes ist aber als „Wertfaktor“ in Fällen fehlender finanzieller Auswirkung ebenfalls in Rechnung zu stellen. Die beeinflussende und lenkende Wirkung entsprechender Äußerungen darf nicht unterschätzt werden.555 Auch bei gänzlich unterbliebenem Rückgriff auf materielle Ressourcen kann eine Äußerung den politischen Wettbewerb verzerren, wenn nach außen der Eindruck entsteht, es handele sich um eine amtliche Äußerung. An dem Merkmal ist daher festzuhalten, auch um Missbrauch wirksam verhindern zu können. Das gemischt materiell-immaterielle Kriterium der Amtsautorität eröffnet ausreichend Wertungsspielräume, um nach den Umständen des Einzelfalls zu billigen Ergebnissen zu gelangen. Für die dritte Stufe, die objektive Zurechnung556, besteht bei der Neutralitätspflicht kein Anlass zur Diskussion, denn die Beeinträchtigung der Chancengleichheit ist nicht von Verhalten Dritter abhängig, jedenfalls muss hier nicht der Nachweis einer tatsächlichen Auswirkung erbracht werden. Zu beachten ist nämlich, dass nicht die Äußerung selbst der Partei schadet, sondern die Außenwirkung auf die Bürger. Ein potenziell verzerrender Effekt dürfte hier aber genügen.557 Die Beeinträchtigung ist damit ohne Probleme objektiv auf die Handlung des Amtsträgers zurückzuführen. Es ergeben sich zusammenfassend folgende Voraussetzungen der Zurechnung: Der Handelnde muss Amtsträger sein und „in Ausübung“ des Amtes handeln. Hierbei sind die Spezialkriterien des Rückgriffs auf finanzielle oder sachliche Amtsmittel sowie die Amtsautorität zu untersuchen. Daneben muss die erfolgte Beeinträchtigung auch auf die Handlung des Amtsträgers zurückgeführt werden können. 553 Wolf, Amtsautorität: Der wunde Punkt der Chancengleichheit, 28.05.2020 (https:// verfassungsblog.de/amtsautoritaet-der-wunde-punkt-der-chancengleichheit/) (geprüft am 24.02.2023); a. A. Gärditz, Steriles Politikverständnis: Zum Wanka-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, 27.02.2018 (https://verfassungsblog.de/steriles-politikverstaendnis-zum-wan ka-urteil-des-bundesverfassungsgerichts/) (geprüft am 24.02.2023). 554 Hobusch, Der „Masterplan Migration“: Parteiarbeit für die CSU mit den Mitteln des Ministeriums?, 19.07.2018 (https://www.lto.de/persistent/a_id/29867/) (geprüft am 24.02.2023). 555 Den Wert der Amtsautorität bezweifelnd Wolf, Amtsautorität: Der wunde Punkt der Chancengleichheit, 28.05.2020 (https://verfassungsblog.de/amtsautoritaet-der-wunde-punktder-chancengleichheit/) (geprüft am 24.02.2023). 556 Siehe dazu bereits die Ausarbeitungen zum Grundrechtseingriff § 2 D. III.2. 557 Kritisch zu einer allzu strengen Betrachtung der Auswirkungen regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit etwa auch Morlok, NVwZ 2012, 913, 915 f. mit Blick auf die Entscheidung SaarlVerfGH, NVwZ-RR 2010, 785.
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c) Zurechnungsgründe Zunächst ist die notwendige Verbindung zwischen Zurechnungsgegenstand und Zurechnungsadressat zu bestimmen. Dabei sind Ähnlichkeiten zur Amtsträgerhaftung aus Art. 34 GG zu bemerken, schließlich liegt hier wie dort liegt eine doppelte Untersuchung zugrunde: Zunächst wird geprüft, ob ein Amt vorliegt, erst dann kommt eine Bindung an die Neutralitätspflicht überhaupt in Betracht. Im Anschluss muss sich auch die Handlung oder auch die entsprechende Äußerung im Wirkungskreis des Staates bewegen. Ist sie nach den oben genannten Kriterien innerhalb der staatlichen Sphäre, dann gilt die Neutralitätspflicht. Handelt der Amtsträger außerhalb der staatlichen Sphäre (und damit nicht „in Ausübung“), so gilt die Neutralitätspflicht nicht. Dieser innere Zusammenhang verbindet damit die Handlung und den Staat. Auf der hier relevanten zweiten Ebene der Zurechnung, nämlich der Zuordnung der Handlung zum Staat, sind bereits einige Abgrenzungskriterien bekannt. Zum einen kann auf die Form und die Zielsetzung abgestellt werden, um den amtlichen Bezug einer Handlung herauszustellen.558 Unter dem formalen Aspekt lassen sich jedenfalls einige Punkte der Amtsautorität beschreiben. Die Form spricht für staatliches Handeln, wenn typische amtliche Handlungsformen genutzt werden. Dies lässt sich ohne weiteres bejahen für die Nutzung amtlicher Druckerzeugnisse, amtlicher Veröffentlichungen oder auch die Nutzung amtlicher Räumlichkeiten. Die Amtsbezeichnung selbst ist kein entsprechendes Kriterium, da sie auch außerdienstlich geführt werden darf und damit nicht auf eine staatliche Genese der Handlung schließen lässt. Handelt der Amtsträger in amtlicher Form und damit in staatlichem Gewand, findet eine Zurechnung seiner Handlungen statt. In eine ähnliche Richtung lässt sich nach dem Rückgriff auf staatliche Ressourcen argumentieren. Die Nutzung sachlicher, finanzieller oder sonstiger Ressourcen des Amtes stellt einen hinreichenden Amtsbezug her. Indes ist bei dem Rückgriff auf materielle Ressourcen als Einschränkung eine spezifische Verbindung erforderlich. Hier liegt insbesondere bei „mehraktigen“ Sachverhalten ein Problem. Geht man etwa bei der Dienstwagenanreise zu einem Termin automatisch von einem dienstlichen Charakter aus, so kann dies nicht überzeugen, da hier die besondere spezifische Verbindung fehlt. Auch das Bundesverfassungsgericht hat im Fall Schwesig das streitgegenständliche Interview und die staatlich organisierte Veranstaltung, als zwei unterschiedliche und nicht hinreichend, sondern nur örtlich und zeitlich verknüpfte Sachverhalte angesehen und eine Zurechnung abgelehnt.559 Sofern also örtlicher und zeitlicher Zusammenhang in 558 559
Siehe oben § 2 D. I. 2. BVerfGE 138, 102, 123. Dagegen, gleichwohl wenig überzeugend Mandelartz, DÖV
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den Hintergrund rücken, dürfte der notwendige Konnex damit vor allem bei einem sachlich-inhaltlichen Zusammenhang gegeben sein, wenn die Amtsressourcen also zur Erstellung, Publikation oder sonstigen Verbreitung genutzt werden. Das Gericht bietet im weiteren Verlauf der Entscheidung lediglich den „äußerungsbezogenen Einsatz von Sach- und Finanzmitteln“ als mögliche Konkretisierung an.560 Das an sich notwendige Korrektiv ist indes mit Vorsicht zu genießen, die Aufteilung darf nicht dazu führen, dass die eigentlich zu verhindernde Nutzung von Amtsressourcen als ein eigener Sachverhalt „abgetrennt“ wird und die Verbindung mit der Äußerung so gekappt wird. Auf diesem Wege könnten die sorgsam errichteten Grenzen der Neutralitätspflicht unterlaufen werden. Die Bewertung erfolgt unabhängig von subjektiven Vorstellungen des Handelnden. Selbst wenn dieser innerlich meint, sein Verhalten würde lediglich als „privates Handeln“ zu bewerten sein, so kann dies an der Zurechnung nichts ändern. Auf eine Finalität des Zurechnungssubjekts kommt es offenkundig nicht an. Entscheidend scheint damit vor allem die nach außen dringende Wirkung der Handlung zu sein. Für einen Dritten muss der Eindruck entstehen, die Handlung sei eine staatliche Handlung. Nicht weit entfernt scheint daher der Gedanke zu liegen, es genüge eine Art „Rechtsschein des Staatlichen“. Erscheint nach dem Kontext und dem Inhalt, aber auch – wie oben gesehen – der Form der Handlung der Schluss naheliegend, es handele sich um staatliches Geschehen, dann findet eine derartige Zurechnung möglicherweise auch bereits deshalb statt. Dafür lässt sich jedenfalls das auf die Außenwirkung beim Bürger abzielende Kriterium der Amtsautorität ins Feld führen. Wenn das Bundesverfassungsgericht bei der Bestimmung auch auf die besondere „Glaubwürdigkeit und Gewichtung“ abstellt, ist das Erscheinungsbild und die daraus hervorgehende Wirkung beim Bürger offenbar die zentrale Voraussetzung. Ähnliche Wertungen lassen sich auch der Literatur entnehmen, welche unter anderem auf den „Empfängerhorizont“ oder den „Eindruck von Amtlichkeit“ abstellt.561 Dazu passt, dass die Umstände in die Prüfung miteinbezogen werden und nicht nur isoliert eine Äußerung oder Handlung. Aber nicht nur bei der Amtsautorität, sondern auch bei den Amtsressourcen lässt sich auf den „Anschein“ abstellen: Durch die Nutzung staatlicher Ressour2015, 326, 328 f., da er zwar mit seiner strengen Ansicht in Bezug auf Handlungen gegenüber dem Adressatenkreis der Veranstaltung Recht haben mag, nicht jedoch hinsichtlich eines Interviews, welches lediglich am Rand oder aus Anlass einer Veranstaltung geführt wird. Bezüglich der Dienstwagenfahrt wohl auch kritisch Gröpl/Zembruski, JA 2016, 268, 272. 560 BVerfGE 138, 102, 123. 561 So etwa Gusy, NVwZ 2015, 700, 703.
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cen wird der Anschein erweckt, es handele sich um eine staatliche Veröffentlichung, die die besondere Glaubwürdigkeit der Staatlichkeit beanspruchen kann. Ein derartiges Verständnis ist auch durch den Schutzzweck naheliegend. Die Neutralitätspflicht verfolgt keinen Selbstzweck, sie will den wertenden und verzerrenden Eingriff von Amtsträgern auf den Parteienwettbewerb verhindern. Der Parteienwettbewerb ist ein solcher um Wählerstimmen und damit um die Gunst der Bürger. Die Absicherung muss daher auch vom Bürger aus betrachtet werden. Beim Bürger darf nicht der Eindruck entstehen, der Staat in Person seiner Amtsträger identifiziere sich mit einer Partei oder bekämpfe eine Partei. Insofern ist der Blick auf den Kontext und die Wirkung entscheidend. Dies zugrunde gelegt ist auch das Merkmal der Amtsautorität klarer zu fassen. Dies stellt auch keine unangemessene Benachteiligung der Amtsträger dar, denn der Anschein der Staatlichkeit bei der Amtsautorität lässt sich durch ausdrückliche Bezugnahme auf die „Nicht-Staatlichkeit“, etwa bei einem Interview, regelmäßig durchbrechen.562 In der Interessenabwägung erscheint die Zurechnung an sich angemessen. Der Vorteil des Zugriffs auf staatliche Ressourcen und die vereinfachte und verstärkte Teilnahme des Amtsträgers am politischen Prozess und der Öffentlichkeit wird aufgewogen durch strikte Bindung an Neutralität. Interessengerecht erscheint die Zurechnung, soweit dadurch die ohnehin bestehenden und in Teilen auch hinzunehmenden Vorteile563 des Gewinners begrenzt werden und die Minderheit der vergangenen Wahl die Chance behält, in Zukunft zur Mehrheit zu werden. Chancengleichheit verfolgt nicht die Gleichheit zwischen den Parteien als Ziel. Dass der Gewinner der Wahl besser dastehen soll als der Verlierer, ist sogar Sinn und Zweck demokratischer Wahlen, sie produzieren notwendigerweise Sieger und Verlierer. Die tendenziell weite Zurechnung sorgt indes dafür, die Anwendung der strikten Neutralitätspflicht bei Rückgriff auf Amtsressourcen zu verhindern. Nur so kann ein Erstarren des Parteienwettbewerbs durch die staatliche Intervention des Gewinners verhindert werden.564 Schließlich ist die Minderheit in dieser Konstellation, in der sie sich mit dem politischen Konkurrenten in Amtseigenschaft konfrontiert sieht, auch schutzbedürftig. Wegen der besonderen Gefahr, die von einer staatlich gelenkten Verzerrung des Parteienwettbewerbs ausgeht, ist es nachvollziehbar, wenn im Bereich der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit
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Siehe etwa Gröpl/Zembruski, JA 2016, 268, 274. Das Bundesverfassungsgericht zählt etwa die häufigere Einladung zu Interviews als hinzunehmende Gegebenheit des politischen Wettbewerbs, siehe nur BVerfGE 138, 102, 120. 564 Zur Rolle der Chancengleichheit im Wettbewerb der Parteien Morlok, in: Häberle (Hrsg.), Festschrift für Dimitris Th. Tsatsos, 2003, S. 408, 417. 563
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nach verschiedentlich geäußerter Ansicht im Zweifel von einer amtlichen Äußerung ausgegangen werden soll.565 Die herausgearbeiteten Gründe zeigen wie bei der Amtshaftung auf, ob ein Amtsträger „in Ausübung“ des Amtes oder nur „bei Gelegenheit als Parteiperson“ spricht. Insofern ist hier wie dort ein innerer Zusammenhang zum Amt erforderlich. Indes sind die Zurechnungsgründe der Zielsetzung und der Form zur Herausarbeitung eines staatlichen Wirkungskreises hier jedenfalls in Bezug auf die Zielsetzung – wie gezeigt – ineffektiv. Auch die normalen Kriterien des erweiterten Eingriffsbegriffs helfen vorliegend nicht weiter, da sie für den hier in Rede stehenden Sonderfall eines Eingriffs schlicht zu holzschnittartig erscheinen. Deshalb sind die oben gezeigten Kriterien letztendlich Sonderkriterien, um eine Zuordnung der Handlung „zum Amt“ herzustellen.
V. Polizei- und ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit Einer der Grundbegriffe des Polizei- und Ordnungsrechts ist der des Störers. Er bezeichnet diejenige Person, die für eine bestehende Gefahr566 verantwortlich ist. Insbesondere bei den Generalklauseln, welche keine näheren Anhaltspunkte zur Adressatenfrage enthalten, ist die Bestimmung des Störers damit von großer Bedeutung.567 In dieser Beschreibung von Verantwortung für Zustände oder Handlungen liegt ebenfalls ein Zurechnungsproblem. Die Ermittlung von Kriterien zur Beschreibung der Handlungs- und Zustandsverantwortlichkeit werden daher zum Teil als Zurechnungsgründe beschrieben.568 1. Verantwortlichkeit für eigenes Verhalten – Verhaltensverantwortlichkeit Die Verhaltensverantwortlichkeit liegt vor, wenn eine Handlung oder Unterlassung einer Person eine Gefahr hervorruft.569 Bei der Frage, wann ein Handeln 565 Gröpl/Zembruski, JA 2016, 268, 273 f.; umgekehrt von einer im Zweifel privaten Äußerung geht Barczak, NVwZ 2015, 1014, 1016 aus. 566 Im Folgenden meint Gefahr, soweit nicht anderweitig gekennzeichnet, stets konkrete Gefahr im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts. 567 Vgl. Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 42020, § 8 Rn. 79. 568 Siehe etwa Dietlein, in: Dietlein/Hellermann (Hrsg.), Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 82021, § 3 Rn. 77; Deutsch, in: Honig (Hrsg.), Festschrift für Richard M. Honig, 1970, S. 33, 36. Der Zweckveranlasser als Zurechnungsfrage von Verhalten etwa bei Beaucamp/Seifert, JA 2007, 577 und ähnlich bei Lange, Zweckveranlassung, 2014, etwa S. 17 und passim. Von einem „Zurechnungszusammenhang“ spricht Schoch, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, Kap. 1 Rn. 341. 569 Etwa Dietlein, in: Dietlein/Hellermann (Hrsg.), Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 82021, § 3 Rn. 76; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 102018, Rn. 229.
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oder Unterlassen eine Gefahr im ordnungsrechtlichen Sinne verursacht hat, wird zunächst auf die äquivalente Verursachung abgestellt570, welche wegen ihrer Weite alleine angewendet ebenso wenig brauchbar erscheint wie bei der objektiven Zurechnung im Strafrecht, sondern lediglich als notwendige, nicht hinreichende Bedingung in Betracht kommt.571 Anhand verschiedener weiterer Kriterien wird versucht, den Verursachungszusammenhang stattdessen zielgenauer zu beschreiben. Gleichwohl sind bei einer Übertragung aus anderen Bereichen die Besonderheiten des Gefahrenabwehrrechts, etwa die ex-ante Perspektive oder der Sinn präventiver Gefahrenabwehr, zu beachten, eine schlichte Übernahme ist damit nicht ohne weiteres möglich.572 Teilweise wird auf die Effektivität und Verhältnismäßigkeit als Korrektiv abgestellt573, wenngleich die Abgrenzung von Zumutbarkeit im Sinne der Verhältnismäßigkeit und dem im Ordnungsrecht an sich deplatzierten Kriterium des Verschuldens574 schwierige Abgrenzungsfragen aufwirft. Andere stellen auf die Unmittelbarkeit der Verursachung ab: Danach ist nur der unmittelbare Verursacher auch tatsächlich Störer, der mittelbare Verursacher ist lediglich Veranlasser und für die Gefahr damit nicht verantwortlich.575 Die Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Verursachung soll dabei danach gelingen, ob die Gefahrengrenze überschritten wird, was regelmäßig bei dem letzten Glied der Kausalkette der Fall ist576, teilweise wird dies auch bei einem hinreichenden Verantwortungszusammenhang zwischen Ursache und realisierter Gefahr angenommen.577 Relativ einmütig wird mittlerweile eingeräumt, dass die Unmittelbarkeit allein nicht ausschließliches Kriterium sein kann, sondern es einer darüber hinausgehenden wertenden Betrachtung bedarf.578 570 Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 42020, § 8 Rn. 92; Dietlein, in: Dietlein/Hellermann (Hrsg.), Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 82021, § 3 Rn. 78. 571 Vgl. Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 102017, Rn. 334; Haurand, Allgemeines Polizeiund Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 82019, S. 78; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 10 2018, Rn. 241. 572 Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 102017, Rn. 329. 573 Diese Abgrenzung bietet etwa Muckel, DÖV 1998, 18, 21 ff. an. 574 BVerwG, NVwZ, 1983, 474, 476. Siehe auch Dietlein, in: Dietlein/Hellermann (Hrsg.), Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 82021, § 3 Rn. 76. 575 Zu dieser „Theorie der unmittelbaren Verursachung“ bereits PrOVGE 103, 139; Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 112020, § 9 Rn. 11; Dietlein, in: Dietlein/Hellermann (Hrsg.), Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 82021, § 3 Rn. 79; Muckel, DÖV 1998, 18, 19. 576 Dietlein, in: Dietlein/Hellermann (Hrsg.), Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 8 2021, § 3 Rn. 79. 577 Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 102017, Rn. 335 f.; Erbguth/Mann/Schubert, Besonderes Verwaltungsrecht, 132020, Rn. 492; Schmidt, Polizei- und Ordnungsrecht, 212020, Rn. 766. 578 Auf eine Verbindung der Unmittelbarkeit mit weiteren Wertungen weist auch Haurand,
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Teilweise wird bei der Bestimmung der Verantwortlichkeit auch auf die Rechtmäßigkeit des Handelns zurückgegriffen: Wer sich rechtstreu verhalte oder lediglich eigene Rechte wahrnehme, könne danach nicht Störer sein.579 Störer sei dagegen derjenige, der gegen eine Handlungs- oder Unterlassungspflicht verstößt.580 Diese Betrachtung stößt allerdings etwa bei der Zurechnung von Naturereignissen an ihre Grenzen581 und leidet auch an dem Mangel, dass die Generalklausel des Polizeirechts selbst einen Maßstab der Rechtswidrigkeit in sich trägt.582 Die Lehre von der Sozialadäquanz erweitert die zu beachtenden Pflichten von Rechts- auf Sozialnormen583 und möchte so denjenigen als Störer identifizieren, der „das allgemeine Lebensrisiko in sozialadäquater Weise steigert“584, kann aber mit dem weiten Begriff der Sozialadäquanz ein nur begrenzt handhabbares Kriterium hinzufügen.585 Nach einer reinen Adäquanzlehre liegt eine Verursachung vor, wenn das Handeln nach allgemeiner Lebenserfahrung typischerweise zu einer Gefahr führt.586 Diese Sichtweise wird mit Blick auf eine effektive Gefahrenabwehr kritisiert, da sie den Kreis der Adressaten zu sehr verenge, insbesondere da die Verwaltung auch auf atypische Gefahren reagieren können müsse587, andererseits den Adressatenkreis durch die reine Vorhersehbarkeit zu sehr ausweite.588 Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 82019, S. 82 hin. Siehe die weiteren Nachweise bei Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 102018, Rn. 243; Schoch, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, Kap. 1 Rn. 345; Poscher, Jura 2007, 801, 803; Muckel, DÖV 1998, 18, 21. Auf die Kausalität als notwendige Voraussetzung und anschließend die Unmittelbarkeit „bei wertender Betrachtungsweise“ stellt etwa auch OVG NRW, NWVBl. 2003, 320 f. ab. 579 Nachweise bei Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 42020, § 8 Rn. 96. 580 Umfassend dazu Poscher, Jura 2007, 801, 803 ff. 581 Haurand, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 82019, S. 81. 582 Pietzcker, DVBl. 1984, 457, 458, zu dem drohenden Zirkelschluss S. 459. 583 Poscher, Jura 2007, 801, 803; Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 102017, Rn. 339. 584 Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 112020, § 9 Rn. 19; Poscher, Jura 2007, 801, 803; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 102018, Rn. 243 sieht hierin lediglich eine andere Formulierung der Theorie der unmittelbaren Verursachung. 585 Schoch, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, Kap. 1 Rn. 348. 586 Nachweise zur Adäquanztheorie bei Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 102018, Rn. 241. 587 Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 42020, § 8 Rn. 93; Dietlein, in: Dietlein/Hellermann (Hrsg.), Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 82021, § 3 Rn. 78; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 102018, Rn. 241; Schoch, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, Kap. 1 Rn. 114. 588 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 102018, Rn. 241; kritisch zu diesen Begründungsansätzen Brandner, Gefahrenerkennbarkeit und polizeirechtliche Verhaltensverantwortlichkeit, 1990, S. 80 ff., der auf die „Erkennbarkeit eines mit einem Verhalten generell verbundenen
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Daneben werden auch Versuche unternommen, die Verursachung durch Herausarbeitung von Risikosphären zu beschreiben. Eine Verantwortung soll dabei angenommen werden, wenn die Ursache der Gefahr der Risikosphäre einer Person entstammt.589 Die Herausarbeitung von Risikosphären aus einer allgemeinen Nichtstörungspflicht, bei der die gesamte Rechtsordnung aber auch die Generalklausel einbezogen wird, ähnelt der Ausbreitung von Verkehrssicherungspflichten.590 Auch die begrifflich differierende Erklärung der Verantwortlichkeit über Herrschaftskreise als den Kreis an Gütern, Sachen, aber auch Verhaltensweisen Dritter, über die Herrschaft und Gewalt ausgeübt wird591, ähnelt diesem Verständnis. Die Anwendung des strafrechtlichen Risikoerhöhungsgedankens auf die polizeiliche Verantwortlichkeit wird kritisch betrachtet und insbesondere mit Hinweis auf den Wortlaut der „Verursachung“ bezweifelt.592 Daneben führt die Risikoerhöhung zu einer starken Ausweitung und Vorverlagerung der Verantwortlichkeit, da bereits das Risiko einer konkreten Gefahr die Störereigenschaft begründen würde.593 Teilweise wird auch vorgeschlagen, lediglich auf die Äquivalenztheorie abzustellen und die Lösung ohne feste Zurechnungskriterien im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu finden.594 2. Verantwortlichkeit für Handlungen Dritter a) Die Figur des „Zweckveranlassers“ Umstritten ist die Figur des Zweckveranlassers.595 Hier stellt sich die Frage, ob die ordnungsrechtliche Verhaltensverantwortlichkeit auch im Falle des freiverantwortlichen Dazwischentretens Dritter noch aufrechterhalten werden kann, wenn die tatsächliche Störung von Dritten ausgeht, deren Verhalten aber durch den Zweckveranlasser eben „veranlasst“ wurde. In gewissem Widerspruch befindet sich die Lehre vom Zweckveranlasser mit der Theorie der unmittelbaren Verursachung sowie der Rechtswidrigkeitslehre, Gefahrkreises“ abstellen will und auf die „Verwirklichung eines handlungstypischen erkennbaren Risikos“ (S. 100). 589 Vgl. etwa Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 102017, 327 ff.; insgesamt zustimmend Dietlein, in: Dietlein/Hellermann (Hrsg.), Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 82021, § 3 Rn. 83 f.; ablehnend Muckel, DÖV 1998, 18, 21. 590 Vgl. Pietzcker, DVBl. 1984, 457, 460. 591 Vgl. Hollands, Gefahrenzurechnung im Polizeirecht, 2005, S. 47. 592 Lange, Zweckveranlassung, 2014, S. 111. 593 Insgesamt kritisch daher ders., Zweckveranlassung, 2014, S. 111 f. 594 Muckel, DÖV 1998, 18, 21 ff.; kritisch Lange, Zweckveranlassung, 2014, S. 115. 595 Kritisch bereits zur Namensgebung Erbel, JuS 1985, 257, 258.
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schließlich wird hier die Verantwortlichkeit nicht daran festgemacht, wer die letzte Ursache gesetzt hat oder wer rechtswidrig gehandelt hat, sondern es wird eine Verursachung der Gefahr bejaht unter Zurechnung des Verhaltens Dritter aufgrund von Wertungsgesichtspunkten. Deshalb wird sie auch verschiedentlich als Weiterentwicklung oder Modifikation dieser Lehren begriffen.596 Teilweise wird die Verantwortlichkeit des Zweckveranlassers bejaht, wenn dieser das Verhalten derjenigen Personen, welche die Gefahr unmittelbar verursacht haben, objektiv oder subjektiv bezweckt hat.597 Andere bejahen die Störereigenschaft, wenn sich das Verhalten der unmittelbaren Verursacher „zwangsläufig einstelle“598 oder das Verhalten des Zweckveranlassers in einem „engen Wirkungs- und Verantwortungszusammenhang“599 oder in einem engen inneren Zusammenhang600 mit der Gefahr steht. Subjektiv bedeutet dabei ein Veranlassen Dritter zu einem Verhalten mit Wissen und Wollen, also zweckgerichtet respektive vorsätzlich.601 Andere lassen es stattdessen ausreichen, wenn das Verhalten Dritter billigend in Kauf genommen wurde.602 Eine objektive Betrachtung will das Verhalten der Dritten als typische603 oder „zwangsläufige“ Folge, in „natürlicher Einheit“ oder in einem „Wertungszusammenhang“ mit dem Veranlasser verstanden wissen.604 Eine objektive Verantwortung soll auch bei der Beherr596 Vgl. die Nachweise bei Beaucamp/Seifert, JA 2007, 577; siehe auch Hohmann, Facebook-Partys und Sicherheitsrecht, 2016, S. 100. Ältere Ansichten gingen zum Teil davon aus, der Zweckveranlasser sei unmittelbarer Verursacher, da die subjektive Einstellung zu einer Herstellung der an sich nicht bestehenden Unmittelbarkeit führen würde. Kritisch dazu Erbel, JuS 1985, 257, 261. 597 BVerwG, DVBI. 1989, 59, 60; Nachweise bei Schoch, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, Kap. 1 Rn. 357 ff.; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 102018, Rn. 244 ff. 598 Etwa VGH Mannheim, DÖV 1996, 83. 599 Muckel, DÖV 1998, 18, 19. 600 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 102018, Rn. 244. 601 Vgl. VGH Mannheim DVBI. 1987, 151; DÖV 1990, 346; OVG Münster NVwZ-RR 2008, 12; Dietlein, in: Dietlein/Hellermann (Hrsg.), Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 82021, § 3 Rn. 80; Schmidt, Polizei- und Ordnungsrecht, 212020, Rn. 768; Beaucamp/Seifert, JA 2007, 577, 578; zu den sehr unterschiedlichen subjektiven Begründungsansätzen bereits Erbel, JuS 1985, 257, 259. 602 Vgl. Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 42020, § 8 Rn. 108. 603 Obgleich Erbel, JuS 1985, 257, 262 f. den Zweckveranlasser ablehnt, gibt er zu erkennen, dass es ihm bei der Zurechnung des Verhaltens Dritter auf Adäquanzgesichtspunkte ankommt, wenn bei einer üblichen Reklame im Schaufenster eine „adäquate Verursachung“ verneint wird. Auf die „typische Konsequenz“ stellt auch OVG Lüneburg, NVwZ 1988, 638, 639 ab. Siehe auch die Nachweise bei Haurand, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 82019, S. 84; Muckel, DÖV 1998, 18, 19. 604 Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 42020, § 8 Rn. 109 siehe dort insbesondere Fn. 230 m. w. N.; Beaucamp/Seifert, JA 2007, 577, 578.
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schung der gesamten Kausalkette vorliegen oder wenn das Handeln objektiv „typischerweise“ einen derartigen Kausalverlauf in Gang setzt.605 Teilweise werden beide Perspektiven auch nebeneinander angewendet und eine gemischt objektiv-subjektive Betrachtung vorgenommen.606 Kritisiert607 wird an der Verantwortlichkeit des Zweckveranlassers die Gefahr von „Unterstellungen“608 bei an sich rechtmäßigem Verhalten, wenn auf den objektiv verfolgten Zweck abgestellt werden soll.609 Gegen das Abstellen auf die subjektive Sicht des Veranlassers sprechen die schwierige Handhabbarkeit eines subjektiven Kriteriums im Rahmen von polizeilichen Eingriffsmaßnahmen sowie die ohnehin schwierige Nachweisbarkeit einer subjektiven Bezweckung.610 Trotz der Kritik wird teilweise das Bedürfnis nach einer Verantwortung des „Hintermanns“ dann bejaht, wenn er bewusst oder gezielt gehandelt hat611, allerdings muss sich das Bezwecken dann nicht auf ein Handeln Dritter allgemein, sondern das polizeipflichtige Handeln beziehen.612 An der objektiven Betrachtung lässt sich kritisieren, dass die Verantwortung der tatsächlichen Störer ausgeblendet wird. Daneben sind Fälle denkbar, in denen die hervorgerufene Situation zwar eine Gefahr ist, diese aber als Wahrnehmung eigener Rechte als Begründung einer Verantwortlichkeit ausscheiden soll, etwa bei der Räumung des säumigen Mieters durch den Vermieter613. Zumeist wird daher eine Herausnahme solcher Verhaltensweisen gefordert, die ihrerseits rechtmäßig sind.614 605 Dietlein, in: Dietlein/Hellermann (Hrsg.), Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 2021, § 3 Rn. 80; weitere Nachweise zu den objektiven Theorien bei Erbel, JuS 1985, 257, 259 f. 606 Nachweise bei Schoch, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, Kap. 1 Rn. 359. 607 Umfassende Nachweise zur Kritik bei Hohmann, Facebook-Partys und Sicherheitsrecht, 2016, S. 100. 608 Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 112020, § 9 Rn. 29. 609 Kritisch etwa Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 112020, § 9 Rn. 29; Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 42020, § 8 Rn. 106; Beaucamp/Seifert, JA 2007, 577, 578. 610 Siehe Beaucamp/Seifert, JA 2007, 577, 578 m. w. N.; Hohmann, Facebook-Partys und Sicherheitsrecht, 2016, S. 101. 611 Etwa Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 42020, § 8 Rn. 107, der trotz Kritik letztendlich an der Figur festhalten will; kritisch Erbel, JuS 1985, 257, 261. 612 Erbel, JuS 1985, 257, 262. 613 Zu beiden Punkten Beaucamp/Seifert, JA 2007, 577, 578 m. w. N.; Dietlein, in: Dietlein/ Hellermann (Hrsg.), Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 82021, § 3 Rn. 82. 614 Hohmann, Facebook-Partys und Sicherheitsrecht, 2016, S. 102. Für die Herausnahme von der Rechtsordnung tolerierter Risiken grundsätzlich Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 10 2018, Rn. 243 und speziell für den Zweckveranlasser Rn. 245; Pietzcker, DVBl. 1984, 457, 459. Gegen eine Herausnahme beim Zweckveranlasser explizit Schoch, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, Kap. 1 Rn. 361; siehe auch Schoch, Jura 2009, 360, 364. 8
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Für die Figur des Zweckveranlassers spricht, dass es Fälle gibt, in denen der Hintermann sich zwar nicht widerrechtlich verhält, aber durch seine Veranlassung die Gefahr entsteht und er diese einfacher abstellen kann als durch ein Vorgehen gegen die Störer. Daneben ist der Veranlasser auch nicht schutzlos, die Behörde muss noch ihr Adressatenauswahlermessen ordnungsgemäß ausüben, der Zweckveranlasser ist also nicht automatisch auch Verpflichteter, was eine Entschärfung der Ausweitung der Verantwortlichkeit darstellt.615 Die Figur des Zweckveranlassers vermag es, Schutzlücken zu schließen, die insbesondere wegen der hohen Anforderungen und der Subsidiarität der Inanspruchnahme des Nichtstörers entstehen können. Daneben ist der Zweckveranlasser eben doch zu einem gewissen Grade mitverantwortlich an der Gefahr und daher nicht mit einem Nichtstörer zu vergleichen616, weshalb ein Festhalten an der Figur überzeugend ist617. Insgesamt wird bei der Verhaltensverantwortlichkeit damit auf eine Vielzahl von Kriterien abgestellt, welche alternativ, nicht kumulativ herangezogen werden. Eine abschließende Liste an Kriterien ist nicht erkennbar. Als Mindestvoraussetzung ist die äquivalente Kausalität zu benennen, welche um Wertungs gesichtspunkte ergänzt wird, um ein sachgerechtes Ergebnis im Einzelfall zu erzielen.618 b) Weitere Beispiele Eine explizite Zurechnung des Verhaltens Dritter regeln verschiedene Polizeigesetze bei der Handlung von Verrichtungsgehilfen, etwa § 4 Abs. 3 PolG NRW. Hier ist ein entsprechender Bestellungsakt notwendig, daneben eine Weisungs615
Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 42020, § 8 Rn. 111. Hohmann, Facebook-Partys und Sicherheitsrecht, 2016, S. 103. 617 Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 42020, Rn. 112; Erbguth/Mann/Schubert, Besonderes Verwaltungsrecht, 132020, Rn. 497; Haurand, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 82019, S. 84; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 102018, Rn. 245; Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 102017, Rn. 336, der aber die Heranziehung als Nichtstörer als ausreichend empfindet; kritisch etwa Beaucamp/Seifert, JA 2007, 577, 578; Poscher, Jura 2007, 801, 807, der stattdessen ein Bezwecken des Veranlassers beim Mitverschulden in Bezug auf eine Entschädigung einpreisen will. Den Zweckveranlasser an sich bejahend Schmidt, Polizei- und Ordnungsrecht, 212020, Rn. 772, der mit der subjektiven Theorie dann aber zu einer nicht näher ausgearbeiteten Abwägung zwischen Polizeigut und Individualgut gelangen will. 618 Einen derartigen Ansatz verfolgt offenbar Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 102017, Rn. 339. Von einer Abkehr „formaler Zuordnungskriterien“ hin zu einer Fallgruppenbildung mit flexibleren Kriterien spricht Dietlein, in: Dietlein/Hellermann (Hrsg.), Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 82021, § 3 Rn. 84. Von einem Wertungsproblem, bei welchem der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schon zur Störerbestimmung herangezogen wird, spricht Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 102018, Rn. 246. 616
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abhängigkeit des Gehilfen, außerdem muss das Verhalten des Gehilfen in Ausübung der Verrichtung geschehen sein.619 Eine Exkulpation wie bei § 831 BGB ist wegen der Irrelevanz des Rechtmäßigkeitskriteriums im Gefahrenabwehrrecht nicht vorgesehen.620 3. Zustandsverantwortlichkeit Zustandsverantwortlich ist, wer die tatsächliche Gewalt oder Eigentum an Sachen hat, von denen eine Gefahr ausgeht.621 Kann der Eigentümer gegen den Willen des Gewaltinhabers nicht über die Sache verfügen, ist nur Letzterer Zustandsstörer.622 Auch bei der Zustandsverantwortlichkeit wird in der Regel eine unmittelbare Verursachung gefordert, wenngleich hier die Gefahr nicht in einem kausalen Verhältnis mit dem Zustand stehen müsse, da die Beschaffenheit oder die Lage im Raum selbst die Gefahr unmittelbar hervorrufe.623 Teilweise wird auch auf Aspekte der Risikosphäre oder einer „Nutzen-Lasten-Relation“ abgestellt.624 Bei Gefahren aus der Risikosphäre des Eigentümers oder Herrschaftsinhabers soll bereits die Nichtverhinderung einer bereits entstandenen Gefahr die Pflichtwidrigkeit auslösen.625 4. Auswertung a) Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition Die Konstruktion der Verantwortlichkeit des Störers für eine Gefahr ist eine Zurechnungsfrage. Zum einen ist zu klären, ob das Verhalten einer Person die Gefahr verursacht hat, es geht hier also, vergleichbar der objektiven Zurechnung im Strafrecht, um eine Verantwortlichkeit für den Kausalverlauf, welcher eigenes Verhalten und Erfolg (hier: die Gefahr) verbindet.626 Bei der Zustandsverant619
Vgl. dazu auch Dietlein, in: Dietlein/Hellermann (Hrsg.), Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 82021, § 3 Rn. 88. 620 Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 102017, Rn. 347 f.; insbesondere auch gegen eine analoge Anwendung Poscher, Jura 2007, 801. 621 Siehe nur § 5 Abs. 1 und Abs. 2 PolG NRW. 622 Poscher, Jura 2007, 801, 802 m. w. N. 623 Vgl. Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 112020, § 9 Rn. 43 ff.; anders Pietzcker, DVBl. 1984, 457, 458. 624 Dietlein, in: Dietlein/Hellermann (Hrsg.), Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 8 2021, § 3 Rn. 90; Pietzcker, DVBl. 1984, 457, 462. 625 Pietzcker, DVBl. 1984, 457, 460. 626 Dietlein, in: Dietlein/Hellermann (Hrsg.), Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 8 2021, § 3 Rn. 77 geht davon aus, dass die Verursachung der Gefahr bei der Handlungsverantwortlichkeit der „Zurechnungsgrund“ sei.
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wortlichkeit geht es darum, eine von einer Sache ausgehende Gefahr dem Störer zuzuordnen. Erst dann kann dieser in Anspruch genommen werden. Das Problem des Zweckveranlassers ist an sich keine eigene Kategorie, sondern eine Form der Verhaltenszurechnung. Das Verhalten Dritter wird veranlasst entweder durch Handeln oder Unterlassen. Folge der Figur des Zweckveranlassers ist die Zurechnung des Verhaltens Dritter zum Störer.627 Dieser wird so gestellt, als habe er wie die Dritten gehandelt. Teilweise wird missverständlich davon gesprochen, dass die Gefahr zugerechnet wird.628 Diese Differenzierung dürfte zu gleichen Ergebnissen kommen: Wird „die Gefahr“ zugerechnet, ist darin das Verhalten Dritter mit eingepreist. Rechnet man das Verhalten Dritter zu, wird daraus zusammen mit dem eigenen Verhalten untersucht, ob eine Gefahr verursacht wurde. Ob nun die Gefahrverursachung Dritter oder das Verhalten zugerechnet wird, spielt augenscheinlich keine Rolle. Im Kern geht es aber um die Zurechnung von Verhalten Dritter, aus dem dann wiederum eine Gefahr erwachsen ist. Daneben erfordert der Tatbestand nicht nur eine Gefahr, sondern die Verursachung. Dafür ist das Verhalten Dritter als verbindende Kausalkette zwischen Handeln des Zurechnungsadressaten und dem Gefahreintritt notwendigerweise zuzurechnen. Insofern sprechen gute Gründe dafür, von einer Zurechnung von Verhalten auszugehen. Zurechnungsadressat ist der vermeintliche Störer, dem entweder der Kausalverlauf, die von einer Sache hervorgerufene Gefahr oder Verhalten Dritter als Zurechnungsgegenstände zugerechnet wird. Die Zurechnung ist teilweise geschrieben, aber jedenfalls unvollkommen, wenn etwa § 4 Abs. 1 PolG NRW lediglich eine „Verursachung“ verlangt, teilweise komplett ungeschrieben, wenn es etwa um das Verhalten Dritter geht, mit Ausnahme freilich des gesetzlich geregelten Falles des Verrichtungsgehilfen. Hauptnormen können alle Normen des Polizei- und Ordnungsrechts sein, welchen die Bestimmung einer Verantwortlichkeit immanent ist und keine eigenständige Regelung enthalten. Bei der Zurechnung von Verhalten Dritter, also insbesondere beim Zweckveranlasser, geht es um einen Fall der Fremdzurechnung, da fremde Merkmale zugerechnet werden; ist nur ein Subjekt beteiligt, dann handelt es sich um eine Eigenzurechnung.
627
Siehe etwa Beaucamp/Seifert, JA 2007, 577; Hohmann, Facebook-Partys und Sicherheitsrecht, 2016, S. 99. 628 Lange, Zweckveranlassung, 2014, S. 109; Muckel, DÖV 1998, 18, 19.
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b) Zurechnungskriterien Die Kriterien der Zurechnung ergeben sich aus den oben skizzierten Argumentationsversuchen, um die Verantwortlichkeit einer Person für eine Gefahr zu beschreiben. Es ergeben sich für die Verhaltensverantwortlichkeit die äquivalente Kausalität als notwendige Bedingung und als hinreichende Bedingung alternativ etwa die unmittelbare Verursachung, die Rechtswidrigkeit des Verhaltens, die Sozialadäquanz, die Betrachtung der Risikosphäre, die objektive Zweckbestimmung oder subjektive Zweckbestimmung (Finalität) oder die Weisungsmacht. Beim Zustandsstörer wird auf die tatsächliche Sachherrschaft, den Besitz oder das Eigentum abgestellt. c) Zurechnungsgründe Beim Verhaltensverantwortlichen besteht der Verantwortungszusammenhang zunächst in der Kausalität für die spätere Gefahr. Bei einem zuzurechnenden Handeln Dritter ist eine objektiv oder subjektiv zu bestimmende Veranlassung erforderlich, zwischen dem Störer und dem zuzurechnenden Verhalten liegt damit auch eine inhaltliche Verbindung vor. Bei der Zustandsverantwortlichkeit besteht die Verbindung zwischen Zurechnungsadressat und Zurechnungsgegenstand in der Sonderverbindung zwischen Sache und Person durch tatsächliche Sachherrschaft oder Eigentum. aa) Zustandsverantwortlichkeit Bei der Zustandsverantwortlichkeit ergibt sich als Zurechnungsgrund aus der tatsächlichen Sachherrschaft eine Zurechnung aufgrund tatsächlicher Beherrschung des Gegenstandes. Daneben stellt auch das Eigentum eine besondere Herrschaftsverbindung zwischen Sache und Person her, die an sich gemäß § 903 BGB die umfassende Beherrschung einer Sache bedeutet. Die Verantwortlichkeit entfällt allerdings, wenn der Eigentümer gegen den Willen des Herrschaftsinhabers nicht mehr auf die Sache zugreifen kann. Dies zeigt, dass die rechtliche Beherrschung durch das Eigentum durch eine fehlende tatsächliche Einwirkungsmacht an Argumentationskraft verliert. Ohne Einwirkungsmöglichkeit entfällt eine Zurechnung. Die Zustandsverantwortlichkeit zeigt daneben die Möglichkeit der Konstruktion einer Zurechnung unabhängig von Rechtswidrigkeit, Schuld, aber auch von Verhalten. Anknüpfungspunkt ist lediglich die bestehende Sonderverbindung der Herrschaft beziehungsweise der Einwirkungsmöglichkeit.629 629 Siehe etwa Schoch, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, Kap. 1 Rn. 371 m. w. N.
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bb) Verhaltensverantwortlichkeit und Zweckveranlasser Beim Zweckveranlasser und der Verhaltensverantwortlichkeit als Ganzes ergeben sich verschiedene Gründe für eine Zurechnung. Grundvoraussetzung ist aber stets die äquivalente Kausalität.630 Bei der Verhaltensverantwortlichkeit kann über die Risikosphären, aus denen die Gefahr entstammt, auf ähnliche Argumentationsmuster zurückgegriffen werden wie bei den Organisationskreisen aus der objektiven Zurechnung im Strafrecht. Mit der Unmittelbarkeit kann die Verursachung ohne freiverantwortliches Dazwischentreten Dritter sachgerecht dargestellt werden. Das letzte Glied der Kausalkette liegt besonders nah an der Gefahr, womit eine Zuordnung der Gefahr sachgerecht erscheint. Bereits hier wird deutlich, dass die strafrechtlichen Ergebnisse nicht unbesehen auf die Verhaltensverantwortlichkeit übertragen werden können: Ist die Adäquanz im Strafrecht relevant und kann sie dort zu einem Ausschluss in atypischen Fällen führen, so liegt die Sache im Polizeirecht anders. In atypischen Fällen soll es der Behörde nicht verwehrt sein, auf den Verursacher zurückzugreifen. Hier zeigen sich bereits unterschiedliche, rechtsgebietsabhängige Wertungen, welche verhindern, dass Zurechnungsgründe etwa aus dem Strafrecht ohne Weiteres übertragen werden. Beim Zweckveranlasser ist zunächst auffällig, dass dieser keine beherrschende Stellung innehat. Die Dritten treten selbständig und eigenverantwortlich in die Verursachung ein, was zunächst gegen eine Zurechnung ihres Verhaltens spricht. Weiterhin handeln die Dritten nicht fremdnützig, sie erledigen keine Aufgaben oder Pflichten, sondern handeln in eigenem Interesse und auf eigenes Risiko. Besteht doch ein Beherrschungszusammenhang, dann liegt zwar kein Fall des Zweckveranlassers vor – dieser liegt bei lediglich „veranlasstem“ nicht „beherrschtem“ Verhalten vor –, dennoch kann auch in diesen Fällen das Verhalten des „Werkzeugs“ dem „Hintermann“ zugerechnet werden. Dazu ist auf die bereits oben erörterten Beherrschungsmerkmale zurückzugreifen.631 Im Falle von Verrichtungsgehilfen findet eine Zurechnung des die Gefahr verursachenden Verhaltens allein aufgrund der Weisungsmacht statt. Durch das Weisungsrecht hat der Geschäftsherr rechtliche Herrschaft über den Gehilfen und kann die Gefahr damit effektiv verhindern.632 Für eine Zurechnung zum Zweckveranlasser spricht mit den Kriterien der objektiven oder subjektiven Bezweckung die Finalität des Verhaltens des Veranlas630
Siehe bereits oben und auch Lange, Zweckveranlassung, 2014, S. 111. Einen „Herrschaftskreis“ sieht auch Hollands, Gefahrenzurechnung im Polizeirecht, 2005, S. 46 ff. als Ausgangspunkt der polizeirechtlichen Verantwortung. 632 Von einer Möglichkeit zur Unterbindung spricht Haurand, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 82019, S. 74. 631
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sers. Dieser setzt nicht nur eine Ursache für das Eintreten Dritter in den Kausalverlauf, sondern bezweckt dies mit seinem Handeln sogar. Eine objektive Bestimmung der Zweckrichtung läuft dabei darauf hinaus, auch eine gewisse Vorhersehbarkeit zu fordern. Eine Folge kann nur dann objektiv (und auch subjektiv) bezweckt worden sein, wenn sie vorhersehbar war. Insofern versteckt sich hinter der Verknüpfung mit dem verfolgten Zweck auch ein Aspekt der Vorhersehbarkeit, der augenscheinlich bisher keine Beachtung gefunden hat.633 Die Vorhersehbarkeit ist eng verbunden mit der Betrachtung der Adäquanz. Die Adäquanz greift, ähnlich wie die Vorhersehbarkeit, auf eine (objektiv vorhersehbare) Risikosteigerung durch das Verhalten zurück. Nur solche Verhaltensweisen würden demnach zu einer Verantwortlichkeit führen, die nach allgemeiner Lebenserfahrung zu einer entsprechenden Gefahrenlage führen. Atypische und unvorhersehbare Geschehensabläufe würden danach nicht zugerechnet, was für das Gefahrenabwehrrecht problematisch wäre und im Einzelfall auch zu unbilligen Ergebnissen führen könnte. Dies gilt indes lediglich für die „reine“ Verhaltensverantwortlichkeit, schließlich ist hier kein anderer Störer vorhanden, gegen den Maßnahmen gerichtet werden können. Bei der Figur des Zweckveranlassers bleibt der Behörde auch bei atypischen Fällen immer noch das Vorgehen gegen den unmittelbaren Verursacher, womit hier kein Grund besteht, auf eine Verantwortlichkeit zu bestehen. Das eigenverantwortliche Verhalten Dritter kann nur zugerechnet werden, wenn es adäquat kausal auf das Verhalten des Zurechnungsadressaten zurückgeht. Bei der Zuordnung des zur Gefahr führenden Kausalverlaufs ohne Dazwischentreten Dritter ist die Adäquanz damit unerheblich, bei Dazwischentreten Dritter wird sie im Gewand der objektiven Bezweckung plötzlich relevant, da nur typische Handlungen Dritter zugerechnet werden sollen, nicht atypische. Gegebenenfalls lässt sich auch der Aspekt der Veranlassung als eigener Zurechnungsgrund nennen. Wer andere zu einem Verhalten bringt, was auch vorhersehbar war, der muss das vorhersehbare Handeln auf seine Veranlassung zurückführen lassen. Weiterhin lässt sich auch auf die besondere Nähe des Veranlassers zur Gefahr abstellen. Ist der Anlass eines gefahrbringenden Verhaltens Dritter entfallen, dann ändert sich so möglicherweise auch das Handeln der Dritten. Gerade im Polizeirecht dürfte das Vorgehen gegen den Veranlasser oftmals die effektivste Vorgehensweise darstellen und nicht das Vorgehen gegen viele verschiedene Einzelstörer. Die Effektivität der Gefahrenabwehr spricht dafür, die Verursachung „an der Wurzel“ anzugehen. 633 In Ansätzen erkennbar bei ders., Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht NordrheinWestfalen, 82019, S. 84.
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§ 2 Zurechnung im Straf-, Zivil-, und Öffentlichen Recht
Weiterhin lässt sich aus der Zweckbestimmung auch eine gewisse fehlende Schutzwürdigkeit schlussfolgern. Wer subjektiv oder objektiv zum Zweck hat, eine Gefahrensituation herzustellen, dem fehlt die Schutzwürdigkeit und der kann eher zum Adressaten der Zurechnung eines gefahrauslösenden Verhaltens gemacht werden. Ähnliche Schlussfolgerungen lassen sich aus der Rechtswidrigkeitslehre ziehen, welche eine Verantwortung bei rechtmäßigem Verhalten ablehnen will. Auch hier gibt die fehlende Schutzwürdigkeit rechtswidrigen Verhaltens den Ausschlag. Die bereits bekannte Frage der Unmittelbarkeit kann lediglich darlegen, ob eine Gefahr ohne wesentliche Zwischenschritte aus der Risikosphäre des Störers stammt. Die Unmittelbarkeit ist damit als Kriterium nur für die klaren Fälle hilfreich, in denen eben kein Dazwischentreten Dritter vorliegt. Da aber unstreitig ist, dass eine Verantwortlichkeit auch für das Verhalten Dritter in Frage kommt – nämlich genau bei der strittigen Figur des Zweckveranlassers – ist die Unmittelbarkeit als alleiniges Kriterium unbrauchbar. Im konkreten Falle sprechen für die Zurechnung auch Billigkeitserwägungen. Gerade in den Fällen einer subjektiv bezweckten Verhaltensweise Dritter ist nicht einzusehen, warum der Veranlasser nur unter hohen Anforderungen als Nichtstörer in Anspruch genommen werden sollte.634 Daneben wird der Zweckveranlasser durch die gerichtlich nachprüfbare Störerauswahl auch vor einer voreiligen oder ineffektiven Inanspruchnahme geschützt.
634
Beaucamp/Seifert, JA 2007, 577: „Man darf ihn nicht davonkommen lassen!“
§ 3 Gesamtauswertung der Zurechnungsprobleme Insgesamt wurde eine Vielzahl von Zurechnungskonstellationen aufgedeckt und analysiert. Nun soll der Versuch unternommen werden, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Begründung der Zurechnung festzustellen. In diesem Abschnitt (§ 3) sollen die induktiv erfassten Erkenntnisse dargestellt werden. Eine Bewertung und Einordnung erfolgen dann im nächsten Kapitel (§ 4). Hier wird von den induktiven Ergebnissen ausgehend der Versuch unternommen, eine verallgemeinerungsfähige Zurechnungslehre zu entwerfen. Gezeigt wurde, dass die hier verwendete Zurechnungsdefinition sowohl für die Zurechnungskonstellationen passt, welche sich vor allem mit der Begründung von Verantwortung für einen Kausalverlauf beschäftigen, etwa die objektive Zurechnung im Strafrecht oder in Teilen auch der Eingriff im Öffentlichen Recht, als auch für solche, bei denen die Verantwortlichkeit zwischen verschiedenen Rechtssubjekten in Rede steht.
A. Zurechnungsgegenstände Obgleich die hier vorgeschlagene Definition einer Zurechnung sehr weit reicht und für den Zurechnungsgegenstand keine Beschränkungen enthält, so zeigt sich anhand der ausgewählten Fälle, dass Gegenstand der Zurechnung außergewöhnlich häufig das Verhalten Dritter ist. Während es bei den Zurechnungen von Kausalgliedern wie des Grundrechtseingriffs und der objektiven Zurechnung neben Zurechnungsausschlussgründen auch um Verhalten Dritter geht (mittelbarer Eingriff; Dazwischentreten Dritter bei der objektiven Zurechnung), liegt der Gegenstand bei den Formen der Täterschaft wesentlich klarer. Aber auch beim mittelbaren Grundrechtseingriff oder beim Zweckveranlasser liegt eine Zurechnung von Verhalten vor. Bei den untersuchten Fallgestaltungen finden sich auch Gegenstände, die über reines Verhalten hinausgehen. Bei der Stellvertretung werden Abgabe oder Zugang einer Willenserklärung und damit Verhalten und Willenserklärung zugerechnet, beim Erfüllungsgehilfen wird über das Verhalten hinaus auch das Verschulden zugerechnet.
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§ 3 Gesamtauswertung der Zurechnungsprobleme
Weiterhin denkbar ist die Zurechnung von Zuständen oder Eigenschaften wie der tatsächlichen Sachherrschaft beim mittelbaren Besitz und beim Besitzdiener oder bei der Zustandsverantwortlichkeit im Polizeirecht. Teilweise werden auch die Merkmale ganzer Haftungsnormen zugerechnet wie im Falle der schwierig als Zurechnung zu fassenden Amtshaftung. Bei der Grundrechtsgebundenheit wird eine gesamte Organisation und damit verbunden auch das Verhalten der Organisation dem Staat zugerechnet. Durch die Zurechnung als zum Staat gehörig wird die Abwehrdimension der Grundrechte erst aktiviert. Die Zurechnung zum Staat ist an sich eine von konkreten Handlungen losgelöste: Die Frage der Grundrechtsgebundenheit bei gemischtwirtschaftlichen Unternehmen wird ohne Verweis auf die Handlungsform gelöst. Insofern wird hier organisatorisch ein Gesamtzustand zugerechnet, ohne dass es auf eine zugrundeliegende Handlung ankommen würde. Denkbar, hier aber nicht weiter zu vertiefen, ist daneben auch die Zurechnung innerer Tatsachen. Dies wird zwar im strafrechtlichen Kontext aufgrund der individuellen Prägung des Schuldprinzips abgelehnt, im Zivilrecht ist die Zurechnung von Wissen oder Verschulden aber ohne weiteres denkbar.1 Festzuhalten bleibt, dass regelmäßig Verhalten Dritter Zurechnungsgegenstand ist.
B. Eigen- oder Fremdzurechnung Sind zwei Subjekte beteiligt und geht es um die Zuordnung von fremd erfüllten Merkmalen zu einem Subjekt, dann liegt eine Fremdzurechnung vor. Wie bereits eingangs erwartet, weist die deutliche Mehrzahl der Zurechnungsprobleme eine solche Fremdzurechnung auf. Die Zurechnungskonstellationen, welche eine Eigenzurechnung beschreiben, sind eher die Seltenheit. Eine Eigenzurechnung ist etwa anzutreffen bei dem Grundrechtseingriff, dies aber nur ohne die Frage der mittelbaren Eingriffe, bei denen es nämlich um die Zurechnung von Verhalten Dritter geht. Ähnliches gilt für die objektive Zurechnung, bei der das Dazwischentreten Dritter als Fallgruppe ausgeklammert wer1
Die zivilrechtliche Wissenszurechnung findet sich – um nur einige Beispiele zu nennen – etwa prominent besprochen bei Oldenbourg, Die Wissenszurechnung, 1934; Waltermann, AcP 192 (1992), 181 ff.; Adler, Wissen und Wissenszurechnung, insbesondere bei arbeitsteilig aufgebauten Organisationen, 1997; Baum, Die Wissenszurechnung, 1999; Rohde, Die Wissenszurechnung bei rechtsgeschäftlicher Tätigkeit einer juristischen Person, 1999; Bott, Wissenszurechnung bei Organisationen, 2000; Goldschmidt, Die Wissenszurechnung, 2001; Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2016. Zu den Unterschieden des Schuld- und Verschuldensprinzips unten § 4 A. I.
C. Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung
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den muss, da es sich hierbei um eine Fremdzurechnung, ansonsten aber bei den Fragen rund um die Zurechnungsunterbrechung um Eigenzurechnung handelt. Eine Eigenzurechnung ist daneben bei der polizeirechtlichen Verantwortlichkeit – insbesondere bei der Verhaltensverantwortlichkeit – zu erkennen, wenn man die Frage des Zweckveranlassers und das Dazwischentreten Dritter aus der Betrachtung nimmt. Es zeigt sich, dass die Fragen der Eigenzurechnung im Kern vor allem als Kausalitätsprobleme bekannt sind. Diese lassen sich aber nach hiesigem Verständnis auch als Zurechnungsfragen verstehen, soweit die Kausalität nämlich mit weitergehenden Wertungen angereichert wird. Diese Wertungen sind, wie dargelegt, die positiven Zurechnungs- oder negativen Zurechnungsausschlussgründe.
C. Geschriebene oder ungeschriebene Zurechnung Bei Betrachtung der untersuchten Zurechnungskonstellationen lässt sich häufig eine geschriebene Zurechnungsnorm feststellen, die zumeist unvollkommen ist, das heißt, sie enthält nicht alle Tatbestandsmerkmale, welche für die Zurechnung notwendig ist. Geschrieben unvollkommen ist die Zurechnung beispielsweise bei der Mittäterschaft, der mittelbaren Täterschaft, der Besitzdienerschaft, dem mittelbaren Besitz, der Haftung für den Erfüllungsgehilfen, der Amtshaftung und zum Teil bei der Gefahrenverantwortlichkeit im Ordnungsrecht. Vollständig ungeschriebene Zurechnungsnormen lassen sich erkennen bei der objektiven Zurechnung, bei den Rechtsscheinvollmachten, bei der Grundrechtsgebundenheit, dem Grundrechtseingriff und der Neutralitätspflicht für Amtsträger. Als einzige geschriebene vollkommene Zurechnungsnorm lässt sich die Stellvertretung bezeichnen, da sie alle zu prüfenden Merkmale in der Zurechnungsnorm enthält. Weitestgehend geschrieben sind der mittelbare Besitz und die Besitzdienerschaft, gleichwohl sie nach hiesiger Auffassung nicht alle Zurechnungskriterien enthalten und damit als geschrieben unvollkommen einzuordnen sind. Damit wird deutlich, dass sich zwar in vielen Fällen eine Zurechnungsnorm findet, ihre Folgen und ihre Kriterien aber, wenn überhaupt, unvollständig gesetzlich niedergelegt sind. Diese Normen werden ergänzt durch weitere Kriterien, die durch Rechtsfortbildung oder Auslegung entstanden sind. Selbiges gilt für vollständig ungeschriebene Zurechnungsnormen, welche vom Gesetzgeber nicht normiert, sondern durch Fortbildung des Rechts gebildet worden sind. Dass diese Fortbildung und Ausfüllung des Rechts durch die Rechtswissenschaft und Rechtsprechung durchaus im Sinne des Gesetzgebers sind, zeigen die
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§ 3 Gesamtauswertung der Zurechnungsprobleme
obigen Ausarbeitungen zur mittelbaren Täterschaft. Dort hat sich der Gesetzgeber auf das Ob der Zurechnung beschränkt und die Ausarbeitung der Kriterien der Rechtsprechung und Rechtswissenschaft überlassen.2
D. Zurechnungsgründe Aus den Zurechnungskonstellationen hat sich eine Vielzahl an Gründen ergeben, die für oder gegen eine Zurechnung ins Feld geführt werden konnten. Diejenigen, die Bedeutung über die einzelnen Fälle hinaus haben, sollen im Folgenden dargestellt werden. Die Ausführungen an dieser Stelle sind vornehmlich auf die Darstellung der Ergebnisse des Rechtsvergleichs gerichtet, daneben werden mögliche Beziehungen unter den Zurechnungsgründen aufgeworfen. Eine vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung mit den einzelnen Zurechnungsgründen ist dann im nachfolgenden Kapitel zu finden (§ 4).
I. Kausalität als Zurechnungsgrund Als Grundgedanke der Zurechnung lässt sich die äquivalente Kausalität bezeichnen. Insbesondere bei den Fällen der Eigenzurechnung erscheint sie als Grundvoraussetzung von Zurechnungserwägungen. Dies lässt sich zeigen an der objektiven Zurechnung, dem Grundrechtseingriff, aber auch dem Zweckveranlasser. Wenn es darum geht, die Verantwortlichkeit an einem Kausalverlauf und damit letztlich die Verantwortlichkeit des Erfolgseintritts (objektive Zurechnung), des Beeinträchtigungserfolges (Grundrechtseingriff) oder der Verursachung einer Gefahr (Verhaltensverantwortlichkeit) darzustellen, wird zunächst auf eine äquivalente Kausalität abgestellt. Die genannten Beispiele sind typische Fälle der Eigenzurechnung. Fraglich ist nun aber, ob die Kausalität als Zurechnungsgrund nur bei der Eigenzurechnung in Betracht kommt, oder ob sie, trotz fehlender ausdrücklicher Nennung, auch bei Fragen der Fremdzurechnung Relevanz entfalten kann. Bei der Zweckveranlasserproblematik als Beispiel einer Fremdzurechnung handelt es sich um eine Zurechnung von Verhalten, Anknüpfungspunkt ist hier das Veranlassungsverhalten, welches kausal für die spätere Störung Dritter sein muss. Diese Kausalität zwischen dem Verhalten des Zurechnungsadressaten und dem Verhalten des Zurechnungssubjekts, dem Zurechnungsgegenstand, lässt sich auch in weiteren Fremdzurechnungsproblemen wiederfinden: Hätte der Geschäftsherr den Erfül2
Siehe oben § 2 B. III. 1.
D. Zurechnungsgründe
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lungsgehilfen nicht eingesetzt, hätte dieser keine Pflichtverletzung herbeigeführt; hätte der mittelbare Täter nicht Herrschaft über das Werkzeug erlangt, würde dieses nicht so handeln; hätte der Vertretene keine Vollmacht erteilt, würde der Vertreter nicht dergestalt handeln. Bei den Rechtsscheinvollmachten würde der Vertreter nicht weiter im Namen des Vertretenen handeln, wenn dieser eingegriffen hätte. Hier liegt ein Verhalten in Form eines Unterlassens vor, an welches sich die Kausalität anknüpfen lässt. Die Beispiele ließen sich fortführen. Diese Herangehensweise überzeugt dort, wo der Ausgangspunkt ein klar zu bestimmendes Verhalten des Zurechnungsadressaten ist. Bemerkenswert ist dabei, dass die Kausalität als Zurechnungsgrund ausdrücklich beinahe ausschließlich in den Fällen der Eigenzurechnung hinzugezogen wird. Dennoch lässt sie sich in allen Zurechnungskonstellationen nachweisen, bei denen an Verhalten des Zurechnungsadressaten angeknüpft wird. Fraglich ist, ob die Kausalität auch in solchen Fällen einen Zurechnungsgrund darstellt, in denen offenbar nicht an ein Verhalten des Zurechnungsadressaten angeknüpft wird. Zu denken ist etwa an die Besitzdienerschaft oder den mittelbaren Besitz, da ein Zustand zugerechnet wird. Aber auch hier hat ein Handeln des Zurechnungsadressaten kausal zur Herbeiführung der Zurechnungslage geführt: Es wurde beim Besitzdiener ein soziales Abhängigkeitsverhältnis begründet, welches nicht ohne Mitwirkung des Zurechnungsadressaten denkbar wäre, beim mittelbaren Besitz ein Besitzmittlungsverhältnis vereinbart. Auch bei der vollständig organisatorischen Zurechnung im Rahmen der Grundrechtsgebundenheit lässt sich ein Kausalzusammenhang zwischen der Begründung einer beherrschenden Stellung des Staates und der endgültigen Zurechnungslage erkennen. Die äquivalente Kausalität ist damit nach der hier erfolgten Auswertung bei allen aufgeworfenen Zurechnungskonstellationen aufzufinden, ausdrücklich genannt wird sie indes nur bei den Fällen der Eigenzurechnung.
II. Absprache als Zurechnungsgrund Im gängigen Fall von zwei handelnden Subjekten fällt zunächst die Absprache als Zurechnungsgrund ins Auge. Hierbei meint Absprache nicht zwangsläufig eine rechtlich-verbindliche Qualität im Sinne einer vertraglichen Abrede wie beim Besitzmittlungsverhältnis nach § 868 BGB. Es genügt eine Verständigung auf rein faktischer Ebene zwischen dem Zurechnungsadressaten und dem Zurechnungssubjekt, dass letzteres etwa eine Handlung vornehmen soll. Insoweit wird im Folgenden zur Vermeidung von Irritationen der Begriff der Absprache und nicht der technisch konnotierte Begriff der Abrede verwendet.
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Als typischer Anwendungsfall dieser auch durch faktische Absprache vermittelten Zurechnung lässt sich die Mittäterschaft nennen. Hierbei wird die wechselseitige Zurechnung der Tatbeiträge maßgeblich gestützt auf die gemeinsame Verabredung. Es müssen nicht nur auf tatsächlicher Ebene Tatbeiträge erbracht werden, sondern es bedarf einer entsprechenden Vereinbarung zur gemeinsamen Tatbegehung, eines gemeinsamen Tatentschlusses: „Die Freiheit zur Gemeinsamkeit bedingt die Verantwortung für das gemeinschaftliche Werk“3. Nicht erforderlich ist dagegen eine Übereinstimmung von Willenserklärungen oder anderer rechtlicher Abspracheformen. Als weitere Beispiele lassen sich anführen die gewillkürte Stellvertretung, der mittelbare Besitz, die Haftung des Erfüllungsgehilfen oder auch die Amtshaftung. Hier wie dort liegt dem Handeln des Zurechnungssubjekts eine Absprache mit dem Zurechnungsadressaten zugrunde. Es handelt (nur) deshalb, weil dies mit dem Zurechnungsadressaten abgesprochen ist. Gegenstand der Absprache ist in der Regel auch der Gegenstand der Zurechnung, vornehmlich also das Verhalten Dritter. Nicht erforderlich ist dabei die Abstimmung über alle Einzelheiten der Handlung Dritter, sondern die gegenseitige Willensübereinstimmung über die wesentlichen Punkte, so wie es auch bei der Mittäterschaft ausreicht. Wird eine bestehende Absprache überschritten, liegt ein Exzess vor, der grundsätzlich nicht zugerechnet wird. Dies lässt sich anhand des Vertreters ohne Vertretungsmacht zeigen, der die Absprache verlässt und in der Folge als falsus procurator selbst haftet, ohne dass dem Zurechnungsadressaten die Abgabe oder der Zugang der Willenserklärung zugerechnet würde. Ein innerer Zusammenhang zwischen dem Exzess und dem beabsichtigten Verhalten wird letztendlich auch beim Erfüllungsgehilfen gefordert, wenn die zuzurechnende Handlung „in Ausübung“ und nicht nur „bei Gelegenheit“ erfolgt sein muss; auch hier wird also der Exzess des Erfüllungsgehilfen nur zum Teil zugerechnet. Auf die Verbindung von Absprache und Exzess soll noch separat eingegangen werden.
III. Wille als Zurechnungsgrund In Betracht kommt der Wille als Zurechnungsgrund. Von Relevanz ist an dieser Stelle lediglich der Wille des Zurechnungsadressaten, auf den Willen des Zurechnungssubjekts kommt es nicht an. Dies zeigt sich mit Blick auf die Verantwortungsbereiche: Nur weil ein Dritter etwas auf einen anderen übertragen will, treten für Letzteren grundsätzlich keine Rechtswirkungen ein. Bei der Stellver3
Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 92020, 25/15.
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tretung oder der Geschäftsführung ohne Auftrag kommt es in Form der Vollmachterteilung oder des wirklichen oder mutmaßlichen Willens gemäß § 677 BGB vielmehr auf die Willensentscheidung des „Hintermanns“ an. In diesen Fällen hat der Wille des Zurechnungsadressaten, nicht der des Zurechnungssubjekts zurechnungsbegründende Wirkung. Die Mittäterschaft erfordert einen gemeinsamen Tatentschluss und damit eine wechselseitige Übereinstimmung des Willens der beiden Mittäter. Dieser Aspekt wurde aber bereits in der besonderen Voraussetzung der Absprache eingearbeitet. Die wechselseitige Absprache ist ein wesentlich stärkeres Indiz für die Zurechnung als ein lediglich einseitiger Wille. Beim Erfüllungsgehilfen ist der Wille des Einsetzenden nicht auf die konkrete Handlung bezogen, denn dabei handelt es sich um die nicht gewollte Pflichtverletzung, sondern in den Willen aufgenommen ist die „pflichtverletzungsfreie“ Handlung. Auch hier kommt der Wille als Zurechnungsbegründung an seine Grenzen, denn natürlich entspricht der Exzess des Erfüllungsgehilfen nicht dem Willen des Zurechnungsadressaten. Dennoch ist Voraussetzung einer Zurechnung ein (grundsätzliches) Handeln des Erfüllungsgehilfen „mit Wissen und Wollen“ des Schuldners. Wenn der mittelbare Täter Willensherrschaft innehat, dann liegt hierin zwar auch notwendig ein Wille zur Handlung des Werkzeugs, dies ist aber durch den Herrschaftsaspekt als zentralem Zurechnungsgrund mit abgedeckt.4 Beim Zweckveranlasser erfordert die ältere subjektive Theorie ein Handeln mit Wissen und Wollen und stellt damit auf den Willen des Zurechnungsadressaten ab. Bei den Rechtsscheinvollmachten ist ein Wille dagegen von vornherein nicht erforderlich. Zwar lässt sich mit einem rechtsgeschäftlichen Willen eine konkludent erteilte Vollmacht und mit tatsächlichem Willen eine Duldungsvollmacht konstruieren; erkennt man aber die Existenz der Anscheinsvollmacht an, dann zeigt diese gerade, dass es auf den Willen des Zurechnungsadressaten nicht immer ankommt und auch nicht ankommen soll, sondern nur auf die Beherrschbarkeit des Rechtsscheins. Der Rechtsschein überwindet damit augenscheinlich einen entgegenstehenden Willen des Zurechnungsadressaten. Ähnlich ist die Lage bei der Neutralitätspflicht. Ob das Handeln des Amtsträgers der staatlichen oder privaten Sphäre zugeordnet wird, ist eine Frage der objektiven Umstände, nicht dagegen der subjektiven Vorstellungen des Amtsträgers. Will der Minister noch so sehr, dass seine Handlung parteilich und nicht staatlich ist, an der Einordnung kann dies nichts ändern, die maßgeblichen Kriterien sind objektiv zu bestimmen. Auch auf einen Willen „des Staates“ als Zurechnungsadressat kommt es nicht an. 4
Zu den Anwendungsfällen der Beherrschung § 3 D. VII.
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IV. Finalität als Zurechnungsgrund Teilweise wird auch auf die Finalität als Zurechnungsgrund zurückgegriffen. Die überkommene Lehre der objektiven Zurechnung im Strafrecht nutzte bereits die Finalität als Zurechnungskriterium.5 Ansonsten scheint dieses Kriterium vornehmlich bei der Zurechnung zum Staat zum Einsatz zu kommen. Beim Grundrechtsreingriff ist es ebenso wiederzufinden wie bei der Amtshaftung, wenn es um die Bestimmung des Amtes und damit der Sonderverbindung des handelnden Subjekts zum Staat geht, wenngleich hierbei die Finalität nicht des Zurechnungsadressaten, des Staates, sondern des handelnden Subjekts von Relevanz ist. Bei der Figur des Zweckveranlassers wird im Rahmen der ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit mit der subjektiven sowie der gemischt objektiv-subjektiven Theorie auch auf die Finalität als Zurechnungsbegründung abgestellt. Bei der Mittäterschaft lässt sich ebenfalls eine Finalität ausmachen, denn in dem gemeinsamen Tatplan steckt auch das Bezwecken der entsprechenden fremden Tatbeiträge. Bei der gewillkürten Stellvertretung ist auch das Ziel des Vollmachtgebers erkennbar, der andere möge eine Willenserklärung innerhalb der Vertretungsmacht abgeben, weshalb der Vertreter auch als „Willenswerkzeug“6 bezeichnet wird. Der Besitzherr bezweckt mit seiner Handlung auch, dass der Besitzdiener die Sachherrschaft innehat. Augenscheinliche Abgrenzungsprobleme bestehen zwischen den Zurechnungsgründen der Finalität und des Willens, beide stellen auf ein subjektives Wollen ab. Eine Abgrenzung zwischen beiden muss noch in der weiteren Bearbeitung erfolgen. Daneben stellt sich die Frage, ob der Begriff der Finalität als solcher trennscharf und die Bedeutung in den oben genannten Fällen deckungsgleich ist.
V. Interesse als Zurechnungsgrund Der Ausgangspunkt der Interessenerwägungen liegt darin, dass augenscheinlich demjenigen das Handeln eines Dritten zugerechnet wird, in dessen Interessen diese Handlung erfolgt. Der Nutznießer der Handlung steht danach in einem besonderen Verhältnis zu der Handlung des Dritten. Bei der Mittäterschaft handeln beide Mittäter für sich, aber auch für das gemeinsame Werk und damit auch im fremden Interesse. Auf das eigene Interesse wird ausdrücklich bei der subjektiven Theorie der Rechtsprechung bei der Be5 6
Siehe die Alternativen zur objektiven Zurechnung oben § 2 B. I. 3. Siehe oben § 2 Fn. 236.
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stimmung der Täterschaft abgestellt, wenn der Grad des Interesses am Taterfolg darüber entscheiden soll, ob eine ausreichende Tatherrschaft vorliegt oder nicht. Klar in fremdem Interesse handelt auch der Stellvertreter, der sich durch das Handeln in fremden Namen als Sachwalter fremder Interessen zu erkennen gibt, sowie der Bote, der ausschließlich eine fremde Willenserklärung überbringt. Auch beim Besitzdiener wird auf das Interesse abgestellt, wenn zur Begründung der Zurechnung darauf verwiesen wird, das Interesse des Besitzdieners an der Sache sei so gering, dass der Eintritt der Rechtsfolgen beim Besitzherrn angezeigt ist. Der Mangel an Interesse beim Besitzdiener und das überwiegende Interesse beim Besitzherrn werden hier augenscheinlich für eine Zurechnung in Stellung gebracht. Beim Erfüllungsgehilfen ist die Sache weit weniger klar, da dieser auch eigene Interessen verfolgt, er ist gegebenenfalls selbständiger Unternehmer und erfüllt lediglich eigene vertragliche Pflichten gegenüber dem Geschäftsherrn. Er handelt diesbezüglich auch im eigenen, nicht im fremden Interesse, gleichwohl er objektiv dem Schuldner obliegende Pflichten erfüllt. Allerdings wird auch hier historisch die Haftung des Einschaltenden mit der Einschaltung im eigenen Interesse begründet. Daneben soll auch die Einschränkung der Zurechnung bei Exzessen, die nicht mehr „in Ausübung“, sondern „bei Gelegenheit“ stattfinden, mit dem stärkeren Eigeninteresse des Gehilfen zu begründen sein.7 Bei der Zurechnung zur staatlichen Sphäre wird teilweise darauf abgestellt, ob der Amtsträger im Rahmen der Aufgabenerfüllung handelt. Dahinter lässt sich auch ein Interessengedanke erkennen, der Amtsträger handelt im Rahmen staatlicher Aufgabenerfüllung im Interesse des Staates.
VI. Arbeitsteilung als Zurechnungsgrund Verwandt mit der Begründung der Zurechnung über eine Absprache ist der Zurechnungsgrund der Arbeitsteilung. Dieser wird insbesondere beim Erfüllungsgehilfen besonders hervorgehoben, lässt sich aber auch bei der Mittäterschaft, der mittelbaren Täterschaft, der Stellvertretung, der Grundrechtsgebundenheit, der Amtshaftung oder der Besitzdienerschaft auffinden. Tiefere Begründungsansätze zur Arbeitsteilung finden sich indes fast ausschließlich bei der Gehilfenhaftung8, sodass diese Ansätze für die Konturierung des Begriffs der Arbeitsteilung von besonderer Bedeutung sind und auch im Folgenden zur Begründung näher herangezogen werden.
7 8
Zum Interesse bei der Begründung der Haftung für den Erfüllungsgehilfen § 2 C. V. 2. c). § 2 C. V. 2. c) aa).
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Der Grundgedanke von Arbeitsteilung ist die Aufteilung eines Gesamtwerks in mehrere Prozessschritte, die ihrerseits von verschiedenen Personen wahrgenommen werden. Mehrere Personen arbeiten also an einem gemeinsamen Werk, indem sie ihr Teilwerk verrichten. Dieses Gesamtwerk stellt eine besondere Verbindung zwischen den Einzelhandlungen her. Selbst wenn in der Literatur zum Teil von Arbeitsteilung als materiellem Grund für die Zurechnung die Rede ist9, dann ist eine Definition derselben nicht ersichtlich. Augenscheinlich wird der Begriff eher im untechnischen Sinne verwendet. Der Verweis auf die Arbeitsteilung findet sich zumeist bei der Argumentation, die Haftung für den Erfüllungsgehilfen sei der Ausgleich für die Vorteile der Arbeitsteilung10; eine tiefergehende begriffliche Klärung ist damit regelmäßig nicht verbunden. Teilweise wird Arbeitsteilung als die Einschaltung eines anderen im eigenen Interesse umschrieben.11 Bereits hier wird deutlich, dass der Begriff der Arbeitsteilung unscharf ist und einer entsprechenden Präzisierung bedarf. Es sind Ähnlichkeiten mit anderen Zurechnungsgründen zu erkennen, zu nennen ist hier beispielsweise das Interesse des Zurechnungsadressaten; auch ein Abstellen auf Wissen und Wollen im Rahmen der Arbeitsteilung deutet auf Verbindungen zum Willen und der Finalität oder der Kenntnis als Zurechnungsgrund hin.
VII. Beherrschung als Zurechnungsgrund Zurechnung kann begründet werden durch Beherrschung. Beherrscht werden kann eine Person, eine Sache oder ein Kausalverlauf. Wird eine Person beherrscht, kann beispielsweise ihr Verhalten oder ihr Wissen zugerechnet werden. 9 Schmidt-Kessel/Kramme, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 152020, § 278 Rn. 1 mit Verweis auf BGH NJW 1006, 451 und auf Grundmann, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 8 2019, § 278 Rn. 3. 10 Looschelders, Schuldrecht – Allgemeiner Teil, 182020, § 23 Rn. 35; Dauner-Lieb, in: Dauner-Lieb/Langen (Hrsg.), BGB, 42021, § 278 Rn. 1; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 212015, Rn. 382; Lorenz, JuS 2007, 983, 984; Lorenz, in: Canaris/Heldrich (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, S. 329, 332; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate sowie das Erlöschen der Schuldverhältnisse aus anderen Gründen, 21994, S. 412; Schmidt, AcP 170 (1970), 502, 506; ähnlich von Caemmerer, in: von Caemmerer/Fischer/Nüßgens u. a. (Hrsg.), Festschrift für Fritz Hauß zum 70. Geburtstag, 1978, S. 33, 34. Von einer Notwendigkeit als „Folge der Verfeinerung und Verkomplizierung des modernen Geschäftsverkehrs“ durch die Arbeitsteilung spricht Picker, AcP 183 (1983), 369, 493. 11 Ähnliche Definition bei Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 1979, S. 97.
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Besteht Herrschaft über eine Sache, kann ein Zustand oder eine Eigenschaft der Sache zugerechnet werden. Wird ein Kausalverlauf, unabhängig von einer Person oder Sache, beherrscht, werden die Kausalglieder, also ganz allgemein Ereignisse, zugerechnet. Bei der objektiven Zurechnung wurde als Gemeinsamkeit vieler der dort vertretenen Fallgruppen die Beherrschung des Kausalverlaufs herausgearbeitet. Die hier verwendeten Terminologien der Machtbereiche oder Organisationskreise sprechen nicht dagegen, hierin Unterfälle einer Beherrschung zu sehen. Bei der objektiven Zurechnung scheitert eine Zurechnung bei fehlender Steuerbarkeit des Geschehensverlaufs. Diese Steuerbarkeit, die Möglichkeit, den Kausalverlauf nach den eigenen Vorstellungen ablaufen zu lassen, ist eine andere Umschreibung der Beherrschung.12 Auch bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme stellen Lehre und mittlerweile auch die Rechtsprechung auf die Tatherrschaft als objektives Kriterium ab. Nur wer Herrscher über das Tatgeschehen ist, soll Täter und damit Zurechnungsadressat sein. Jeder Täter muss Tatherrschaft innehaben. Bei der Mittäterschaft gibt es indes zwei Herrscher, die aber unter Gleichen, inter pares, die Herrschaft ausüben. Ausfluss dieser gleichberechtigten Herrschaftsausübung ist der gemeinsame Tatentschluss, die zurechnungsbegründende Absprache, welche gemeinsame Herrschaft über das Tatgeschehen vermittelt, keine Herrschaft übereinander. Die Herrschaft wird also hier nur benötigt, um den Kausalverlauf zuzurechnen, die Zurechnung der fremden Handlungen als Zurechnungsgegenstand wird durch die Absprache begründet. Stehen mehrere infrage, Herrschaft auszuüben, ist derjenige mit der stärksten Zugriffsmöglichkeit Herrscher, der also eine besondere Nähe zum Zurechnungsgegenstand besitzt. Der Gedanke, dass die Nähe zur Gefahr ein Indiz für die Verantwortlichkeit ist, lässt sich übergreifend feststellen: Je näher der Betroffene an der Gefahr steht, desto eher kann er die Gefahr verhindern und damit beherrschen. Dies lässt sich auch bei der Verantwortlichkeit im Gefahrenabwehrrecht erkennen. Kerngedanke der Gefahrnähe ist aber nicht die „Nähe“ an sich, sondern die naheliegende Vermutung, dass mit zunehmender Nähe auch eine entsprechende Beherrschbarkeit besteht. Auch hier findet sich also der Beherrschungsgedanke wieder. Bei der mittelbaren Täterschaft ist das Kriterium der Beherrschung ebenfalls das entscheidende. Es wird unterschieden zwischen Willensherrschaft kraft Irrtums, kraft Nötigung oder kraft organisierter Machtapparate. Entweder aufgrund 12 Die Begrifflichkeiten Beherrschung und Beherrschbarkeit werden im Folgenden synonym verwendet.
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eines Defekts des Vordermanns oder aufgrund andersartiger Überlegenheit des Hintermanns erscheint es sachgerecht, das Verhalten des Vordermanns zuzurechnen. Die Defekte stehen bei den Irrtümern und der Nötigungsherrschaft im Vordergrund: Der Vordermann kann entweder aufgrund des Irrtums nicht wirklich eigenverantwortlich entscheiden, bei der Nötigung steht er unter tatsächlicher Gewalteinwirkung und kann daher keine selbstbestimmte Entscheidung treffen. Bei den organisierten Machtapparaten liegt kein Defekt vor, die Überlegenheit des Hintermanns – und damit seine herrschende Stellung – leitet sich aber aus organisatorischen Aspekten ab. Der Vordermann ist so in eine Hierarchie eingegliedert, dass der Hintermann durch diese praktisch selbst „zugreift“. Wie sich bereits hier zeigt, kann Beherrschung rechtlich oder tatsächlich vorliegen. Während die Nötigungs- und Irrtumsherrschaft eine tatsächliche Herrschaft darstellt, ist die Herrschaft kraft Organisation rechtlich vermittelt: Der Durchgriff in der Hierarchie auf untere Glieder in der Kette beruht nicht auf Zwang oder Gewalt, sondern liegt in der Konstruktion der Hierarchie begründet. Nur dadurch kann überhaupt ein Durchgriff erfolgen. Bei der Zustandsverantwortlichkeit wird die Nichtverhinderung einer Gefahr trotz entsprechender Einwirkungsmöglichkeiten des Inhabers der Herrschaftssphäre zur Zurechnungsbegründung verwendet. Die Nichtverhinderung der bereits entstandenen Gefahr ist pflichtwidrig.13 Auch in dieser Nichtverhinderung trotz entsprechender Einwirkungsmöglichkeit zeigt sich eine Begründung der Zurechnung über Herrschaft. Der Vertretene hat auch ohne beherrschende Stellung über den Vertreter das Geschehen unter Kontrolle, da er im Falle rechtsgeschäftlicher Bevollmächtigung durch die jederzeit widerrufliche Vollmacht den Vertreter zurückrufen könnte. Auch aus der Auswahl- und Kontrollmöglichkeit des Vertreters ergibt sich ein möglicher Anknüpfungspunkt für eine Verhinderbarkeit und damit eine Beherrschbarkeit. Darüber hinaus ordnet sich der Vertreter gemäß des Offenkundigkeitsprinzips dem Vertretenen unter, er gibt zu erkennen, dass er im Dienste eines anderen tätig wird und nicht für sich selbst. Auch bei den Rechtsscheinvollmachen lässt sich ein Aspekt der Beherrschung ausmachen. Der Vertretene hat die Möglichkeit zur Durchbrechung des Rechtsscheins, er kann bei der Duldungsvollmacht den Vertreter „zurückrufen“, indem er ihn auf Unterlassung in Anspruch nimmt oder im Außenverhältnis die fehlende Bevollmächtigung gegenüber dem Dritten offenbart und den Rechtsschein damit zerstört. Bei der Anscheinsvollmacht liegt der „Vorwurf“ in der Nichtverhinderung des Rechtsscheins trotz bestehender Möglichkeit. Nicht der Rechtsschein allein, sondern die Nichtzerstörung trotz Möglichkeit ist Ansatzpunkt der 13
Oben § 2 D. V. 3.
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Zurechnung bei der Anscheinsvollmacht. Auch diesen Konstruktionen von Beherrschung liegt eine rechtliche Machtposition zugrunde. Beim Erfüllungsgehilfen finden sich Beherrschungselemente dagegen nicht zwangsläufig, der Gehilfe handelt zwar mit Wissen und Wollen des Schuldners, das Verhalten ist aber oft nicht beherrschbar wie etwa die Erfüllungsgehilfenschaft von selbständigen Unternehmen wie der Post oder der Bahn zeigt.14 Zwischen Erfüllungsgehilfe und Geschäftsherr wird daher regelmäßig eher eine Absprache denn ein Beherrschungsverhältnis vorliegen. Beim Besitzdiener ist das Herrschaftsverhältnis klar auszumachen in dem sozialen Abhängigkeitsverhältnis, welches über eine schuldrechtliche Abhängigkeit hinausgeht. Der Besitzdiener schuldet „Befehl und Gehorsam“, der Besitzherr hat eine jederzeitige Zugriffsmöglichkeit. Er kann so auf die Sache zugreifen, als habe er selbst Sachherrschaft. Dies erinnert an die besonders stark ausgeprägte Zugriffsmöglichkeit bei der mittelbaren Täterschaft in der Fallgruppe der Willensherrschaft kraft organisierter Machtapparate. Der Besitzdiener ist damit eine Art zivilrechtlicher Täter hinter dem Täter, der sozialer Beherrschung ausgesetzt ist. Auch der Rechtsgedanke des § 166 Abs. 2 BGB lässt sich anführen: Dieser enthält die Wertung, dass es stärker auf denjenigen ankommen muss, der die tatsächliche Macht ausübt. Bei § 166 Abs. 2 BGB handelt zwar der Vertreter, aber seine Willenserklärung ist so determiniert und vorgeprägt durch die Vorgaben des Vertretenen, dass es sachgerecht erscheint, bezüglich des Wissens auf den Vertretenen und damit den wahren „Herrscher“ zurückzugreifen. Der mittelbare Besitzer wird dagegen nicht beherrscht und handelt vielmehr auf Augenhöhe, was an der zugrundeliegenden Absprache, dem Besitzmittlungsverhältnis, zu erkennen ist. Gleichwohl nimmt er eine rechtlich schwächere Stellung ein, da er nur ein Besitzrecht auf Zeit innehat, welches einem dauerhaften Herausgabeanspruch gegenüber steht. Ausdrücklich und umfassend auf die Beherrschung wird bei der Grundrechtsbindung des Staates abgestellt. Wenn zu bestimmen ist, ob gemischtwirtschaftliche Unternehmen dem Staat zugerechnet werden, hat sich die Beherrschung als leitendes Merkmal etabliert. In Anlehnung an die aktienrechtliche Literatur ist hier sowohl tatsächliche oder rechtliche, aber auch eine wirtschaftliche Beherrschung denkbar. Entscheidende Bedeutung kommt dabei dem Personalbestimmungsrecht zu. Derjenige der bestimmen kann, wer die entscheidungsrelevanten Positionen einnimmt und damit über die Personalbesetzung mittelbar den Kurs bestimmt, der hat beherrschenden Einfluss. Weitere im Einzelnen aufgezeigte rechtliche oder tatsächliche Elemente können bei wertender Betrachtung dazu 14
Siehe oben unter § 2 C. V. 1.
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führen, dass ein Unternehmen auch bei einer Minderheitsbeteiligung als beherrscht zugerechnet wird.15 Eine Herrschaft kraft Organisation wurde bei der Integration in den Verwaltungsaufbau herausgearbeitet, denn hier kann innerhalb der Hierarchie nach unten durchgegriffen werden. Hierbei sind Parallelen zur mittelbaren Täterschaft und der Besitzdienerschaft zu erkennen, bei denen auch eine Zurechnung kraft Organisationsherrschaft denkbar ist. Beim Grundrechtseingriff ist die Beherrschung nur in dem Sinne taugliches Zurechnungskriterium, als sie – wie bei der objektiven Zurechnung – in Gestalt der Unmittelbarkeit aufzeigen kann, ob der Kausalverlauf beherrscht wird. Die Unmittelbarkeit gibt an, ob der Staat noch bis zum Schluss auf das Geschehen einwirken konnte und ob Dritte in den Kausalverlauf eingetreten sind. Die Herrschaft über die Sphäre, aus der die Beeinträchtigung unmittelbar folgt, ist ein Grund für die Zurechnung des Kausalverlaufs. Die Imperativität, also das Handeln mit Befehl und Zwang, deutet dagegen nicht auf ein Herrschaftsverhältnis hin. Es weist dafür in die falsche Richtung, denn der Staat tritt in seiner hoheitlichen imperativen Form an den Adressaten heran, vom Adressaten aus soll aber nichts dem Staat zugerechnet werden. Die Imperativität ist dagegen eher eine spezielle Form der hoheitlichen Handlung16 und keine Zurechnung kraft Beherrschung. Inzident wird beim Grundrechtseingriff freilich auch zu prüfen sein, ob ein tauglicher staatlicher Grundrechtsadressat vorliegt oder ob Handeln Dritter zugerechnet wird. In der Regel wird das Verhalten Dritter beim mittelbaren Eingriff jedenfalls im Falle eines staatlichen Befehls an diese Dritten dem Staat zugerechnet, da dann der zum Erfolg führende Kausalverlauf (das Handeln Dritter) durch den staatlichen Befehl beherrscht wird. Bei der Zustandsverantwortlichkeit soll auch demjenigen die Gefahr zugerechnet werden, der die Herrschaft über eine Sache innehat. Hier geht das Gesetz ausdrücklich von einer Zurechnung der Gefahr durch (Sach-)Herrschaft aus. Und auch das Verhalten Dritter kann bei einer Beherrschung zugerechnet werden, um eine Gefahr zu begründen, wie die Zurechnung der Handlungen des weisungsabhängigen und damit rechtlich beherrschten Verrichtungsgehilfen im Polizeirecht zeigt.
15 16
Siehe die umfassende Analyse bei § 2 D. II. 2. b) und § 2 D. II. 2. c). Zur Zurechnung kraft Handlungsform noch unten § 3 D. XVI.
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VIII. Sphärenkonstruktion als Zurechnungsgrund Die Begründung der Zurechnung wird nicht selten auch über eine Konstruktion von Sphären vorgenommen. Genannt werden etwa die Risikosphäre, der Pflichten-, Wirkungs- oder Organisationskreis, die Persönlichkeitssphäre, aber auch schlicht die Sphäre. Während das Handeln „in der Sphäre“ eines anderen bei der Mittäterschaft wohl am treffendsten mit dem bereits diskutierten Interessengedanken verschmolzen werden kann, so liegt die Frage nach den „Organisationskreisen“ bei der objektiven Zurechnung eher in der ungehinderten Gestaltungsmöglichkeit des Kausalverlaufs, welcher sich eben noch innerhalb des Organisationskreises befindet. Der Organisationskreis hat hier die Form einer Herrschaftssphäre: Kann der Betroffene ungehindert auf den Kausalverlauf zugreifen und ihn gestalten, dann liegt dieser im Organisationskreis. Auch bei der heute überholten Zurechnungslehre Honigs wird auf die Zweckmäßigkeit des Handelns für den Erfolg abgestellt: Ist diese gegeben, liegt der Erfolg im Machtbereich des Verursachers.17 Auch der Vertreter handelt in der „Persönlichkeitssphäre“ des Vertretenen, da er im fremden Interesse auftritt, zugleich der Vertretene aber auch einen gewissen Grad an Herrschaft über das Verhalten hat, indem er den Vertreter bei gewillkürter Vertretungsmacht jederzeit durch Widerruf der Vollmacht „zurückrufen“ könnte. Der Vertreter, dessen Vollmacht kraft Rechtsschein entsteht, handelt auch in der Sphäre des Vertretenen, da das Handeln verhinderbar ist, der Rechtsschein ist nämlich zurechenbar gesetzt und damit durch den Vertretenen „zerstörbar“. Beim Erfüllungsgehilfen treten die Hilfspersonen dem Gläubiger aus der Sphäre des Schuldners entgegen, sie kommen aus seinem Pflichtenkreis, weil sie seine Aufgaben besorgen und mit Wissen und Wollen des Schuldners handeln. Der Pflichtenkreis bemisst sich nach dem zugrundeliegenden Schuldverhältnis und entspricht damit im Wesentlichen der Interessenlage des Einsetzenden, wie bereits oben gezeigt wurde. Bei der Amtshaftung muss der Amtsträger im Wirkungskreis, das heißt aus der staatlichen Sphäre heraus „als Staat“ handeln. Diese Zurechnung zur staatlichen Sphäre ist auch bei der Neutralitätspflicht entscheidend. Beim Grundrechtseingriff wird der Sphärengedanke bemüht, um die Unmittelbarkeit zu umschreiben. Wenn kein anderes Subjekt bezüglich des Kausalverlaufs involviert ist, wenn mit Verlassen der staatlichen Sphäre ohne Weiteres in die Sphäre des Betroffenen eingewirkt wird, dann ist die Beeinträchtigung un17
Siehe dazu bereits bei den Alternativvarianten der objektiven Zurechnung oben § 2 B. I. 3.
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mittelbar. Hier dient die Konstruktion von Sphären schlicht der Abgrenzung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Verursachung. Parallel zur objektiven Zurechnung kommt es bei den hier konstruierten Sphären auf Herrschaftssphären an: Der Kausalverlauf verläuft dann in der Sphäre, wenn er beherrschbar, abänderbar, gestaltbar ist. Ist er dies nicht mehr, dann hat er die Sphäre bereits verlassen. Teilweise wird die Sphäre als eine organisatorische Eingliederung begriffen, hinter der sich aber auch der Beherrschungsgedanke verbirgt. Ist das „Amt“ organisatorisch dem Staat zuzuordnen, dann liegt es im Herrschaftsbereich des Staates. Die organisatorische Eingliederung enthält regelmäßig Beherrschungsmöglichkeiten, schließlich kann der Staat dann durch die hierarchische Organisation auf den Amtsträger durchgreifen. Ebenso ist es bei der Grundrechtsgebundenheit, dort führen Beherrschungsmöglichkeiten auf gemischtwirtschaftliche Unternehmen dazu, dass diese dem Staat zugeordnet werden. Auch die mittelbare Täterschaft aufgrund organisierter Machtapparate unterliegt einem derartigen Verständnis. Ist der Handelnde in eine Organisation eingebunden, kraft derer er beherrscht wird und nicht mehr selbst Herr der Entscheidung ist, liegt eine Zurechnung nahe. Auch bei den Versuchen, die polizeirechtliche Verantwortlichkeit nach Herrschaftskreisen oder Risikosphären zu bestimmen, findet sich der hier skizzierte Gedanke wieder.
IX. Kenntnis als Zurechnungsgrund Die Kenntnis spielt als ausdrücklich genannter Grund für die Zurechnung in den bisher untersuchten Konstellationen augenscheinlich nur eine untergeordnete Rolle. Bei der Mittäterschaft ist über das Handeln des Mittäters jedenfalls eine Kenntnis in Grundzügen erforderlich und auch der Erfüllungsgehilfe muss mit Wissen und Wollen im Pflichtenkreis tätig werden. Bei der Duldungsvollmacht ist die Kenntnis erforderlich, um die Zurechenbarkeit des Rechtsscheins zu begründen. In all diesen Konstellationen überwiegen indes andere Zurechnungsgründe, mit denen augenscheinlich eine Verbindung besteht. Zu nennen sind etwa Beherrschung oder Rechtsschein, aber auch die Absprache oder die willensbasierten Zurechnungsgründe wie Wille und Finalität, welche eine gewisse Kenntnis unter Umständen in sich tragen.
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X. Risikoerhöhung als Zurechnungsgrund Zur Zurechnungsbegründung wird auch auf eine Risikoerhöhung abgestellt. Damit könnte für eine Zurechnung sprechen, dass der Zurechnungsadressat das Risiko geschaffen oder gesteigert hat und dieses sich im Erfolg realisiert. In verschiedenen Fallgestaltungen lässt sich die Risikoerhöhung nachweisen. Angefangen bei der objektiven Zurechnung, welche eine Risikoerhöhung bereits in ihrer Grundformel aufnimmt, ist dies auch beim Erfüllungsgehilfen als Begründungsansatz ebenso erkennbar wie bei der Amtshaftung. Bei der Mittäterschaft wird eine Zurechnungsbegründung über die besondere Gefährlichkeit arbeitsteiligen Arbeitens gemeinhin abgelehnt, hier überwiegt der Aspekt der Absprache. Beim Rechtsschein ist die Zurechenbarkeit die Steigerung des Rechtsscheinrisikos durch entsprechendes Handeln oder Unterlassen, welches sich im Ergebnis realisiert. Das „Risiko“ ist stets drittgerichtet, womit eine Risikoerhöhung als eine besondere Schutzwürdigkeitserwägung zu verstehen ist. Die Einschaltung Dritter im Verhältnis zu einem anderen ist regelmäßig eine Risikosteigerung, da die Einwirkungsmöglichkeiten erhöht werden. Hier liegt ein Gleichlauf mit der Arbeitsteilung vor, bei der argumentativ auf die Risikoerhöhung abgestellt wird, weshalb auch teilweise von einer Einschaltungshaftung gesprochen wird.
XI. Unmittelbarkeit als Zurechnungsgrund Die Unmittelbarkeit als Zurechnungsgrund wird vor allem in den Kausalitätskonstellationen angeführt. Zu denken ist an den Grundrechtseingriff, bei welchem die Unmittelbarkeit eines der Kriterien des klassischen Eingriffs ist. Weiterhin findet sich die Unmittelbarkeit bei der objektiven Zurechnung im Strafrecht und sehr prominent auch bei der Frage der ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit. Bei letzterer Fallgestaltung dient die Lehre der unmittelbaren Verursachung der Beschreibung einer Handlungsverantwortlichkeit. Die genaue Bedeutung der Unmittelbarkeit und die Abgrenzung zur Herrschaft muss im Folgenden näher herausgearbeitet werden.
XII. Rechtsschein als Zurechnungsgrund Als Zurechnungsgrund genutzt wird auch der Rechtsschein. Bei den Rechtsscheinvollmachten wurde herausgearbeitet, dass nicht bestehende Merkmale aufgrund eines Rechtsscheins zugerechnet werden können. Auch der „Anschein
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des Staatlichen“ kann zu einer Zurechnung einer Handlung zum Staat führen, wie bei der Neutralitätspflicht gezeigt werden konnte. Für die Zurechnung erscheint damit auch der Anschein in Bezug auf Dritte relevant, da er Rechtswirkungen entfalten kann.
XIII. Veranlassung als Zurechnungsgrund Auf die Veranlassung als Zurechnungsbegründung wird beim Zweckveranlasser, beim Grundrechtseingriff oder der objektiven Zurechnung abgestellt. Weitere – in dieser Arbeit nicht näher untersuchte – Beispiele sind die Herausforderungsfälle18, bei denen es darum geht, selbstschädigendes Verhalten des Opfers dem Täter zuzurechnen, wenn dieser das Verhalten des Opfers in besonderer Weise herausgefordert, also veranlasst hat. Bei der einverständlichen Fremdgefährdung im Rahmen der objektiven Zurechnung kommt es dagegen nicht auf einen eigenständigen Veranlassungsaspekt an, hier werden sachgerechte Lösungen über das Merkmal der Herrschaft gefunden: Beherrscht jemand die Selbstgefährdung eines anderen, dann muss er sich das Verhalten zurechnen lassen und handelt als Täter.
XIV. Vorhersehbarkeit als Zurechnungsgrund In einigen Konstellationen ist die Vorhersehbarkeit als Begründung der Zurechnung zu entdecken. Bei dem Mittäterexzess kommt es ebenso auf die Vorhersehbarkeit der Abweichungen an wie beim mittelbaren Grundrechtseingriff, der nur dann vorliegen soll, wenn das Handeln Dritter nicht völlig unvorhergesehene Folge des staatlichen Handelns ist. Insbesondere beim Zweckveranlasser wird auf die objektive wie subjektive Bezweckung und damit letztendlich auch auf eine Vorhersehbarkeit der eintretenden Folgen abgestellt. Bei der objektiven Zurechnung schadet die fehlende Vorhersehbarkeit als negativer Zurechnungsgrund, ansonsten wird sie positiv zur Begründung der Zurechnung herangezogen.
18 Siehe dazu etwa Wagner, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82020, § 823 Rn. 508 ff.
D. Zurechnungsgründe
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XV. Adäquanz als Zurechnungsgrund Teilweise werden Erwägungen zur objektiven Vorhersehbarkeit nach allgemeiner Lebenserfahrung auch als Adäquanzgesichtspunkte bezeichnet. Völlig atypische Kausalverläufe, aber auch atypische Handlungen Dritter werden bei der objektiven Zurechnung ebenso wenig zugerechnet wie beim Grundrechtseingriff. Beim Grundrechtseingriff werden aber ansonsten atypische Folgen, die nicht von Dritten herrühren, sehr wohl zugerechnet. Beim Gefahrenabwehrrecht sind beide Varianten erkennbar: Beim Zweckveranlasser wird die Adäquanztheorie verwendet, womit atypisches Verhalten Dritter eine Zurechnung nicht begründen kann. Positiv gewendet führt hier aber vorhersehbares und nach allgemeiner Lebenserfahrung erwartbares Handeln zu einer Zurechnung. Weiterhin kommt es bei der Zurechnung selbst gesetzter, nicht durch Dritte vermittelter Gefahren, bei der unmittelbaren Verursachung nicht auf eine Vorhersehbarkeit an: Auch unvorhergesehene Folgen gehen zulasten des unmittelbaren Verursachers. Zwischen Adäquanz und Vorhersehbarkeit bestehen augenscheinlich größere inhaltliche Schnittmengen, die noch näher zu erörtern sind.
XVI. Handlungsform als Zurechnungsgrund Ein spezifisches Merkmal für die Zurechnung zum Staat liegt in der Form des Handelns. Zur Bestimmung des Amtes bei der Amtshaftung wird unter anderem die Rechtsform des Handelns betrachtet, ebenso beim Grundrechtseingriff und bei der Neutralitätspflicht. Die Rechtsform des Eingriffs zeigt, dass der Urheber des Eingriffs der Staat ist; vergleichbare Erwägungen finden sich bei der Frage, ob ein Amtsträger „in Ausübung“ oder „bei Gelegenheit“ gehandelt hat. Werden spezifische Amtsmittel genutzt, etwa Veröffentlichungen auf der amtlichen Webseite, aber auch „rechtsförmliche“ Mittel wie Satzungen, Verordnungen, dann wird das Handeln des Amtsträgers dem Staat zugerechnet. Ähnlich ist es bei den klaren Fällen der Grundrechtsbindung: Handelt der Staat in einer ihm eigentümlichen Rechtsform, etwa als juristische Person des öffentlichen Rechts, dann erübrigt sich eine weitere Untersuchung der Zurechnung zum Staat, die hoheitliche Form kennzeichnet das Tun als Ausübung öffentlicher Gewalt. Bei der Zuordnung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen ist die Form als alleiniges Kriterium aber untauglich, da der Staat eben nicht nur auf öffentlich-rechtliche Organisationsformen zurückgreifen, sondern auch privatrechtliche nutzen kann.
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§ 3 Gesamtauswertung der Zurechnungsprobleme
XVII. Umgehungsschutz als Zurechnungsgrund Teilweise stillschweigend mitgedacht wird der Begründungsansatz der Zurechnung als Umgehungsschutz. Dahinter steckt beispielsweise der Gedanke, dass derjenige, der sich eines Dritten bedient, sich dadurch nicht von seinen Pflichten befreien soll. Dieser Rechtsgedanke lässt sich auffinden etwa bei der Grundrechtsbindung, der mittelbaren Täterschaft, der Mittäterschaft, der Haftung des Erfüllungsgehilfen oder auch bei der Amtshaftung.
XVIII. Schutzwürdigkeitserwägungen als Zurechnungsgrund Zur Begründung der Zurechnung werden häufig Schutzwürdigkeitserwägungen angeführt. Dabei lässt sich unterscheiden zwischen der Schutzwürdigkeit Dritter, der Schutzwürdigkeit des Zurechnungssubjekts oder des Zurechnungsadressaten. 1. Schutzwürdigkeit des Zurechnungsadressaten Den Schutz des Zurechnungsadressaten bezwecken die Zurechnungsausschlussgründe der objektiven Zurechnung. Daneben dient auch die Konstruktion des mittelbaren Besitzes dem Schutz des Zurechnungsadressaten, denn diesen vermittelten Besitz kann der mittelbare Besitzer Dritten entgegenhalten, er wird durch die Zurechnung mit den Besitzschutzansprüchen ausgestattet. Die Besitzdienerschaft ist eine für den Besitzherrn günstige Zurechnung, dieser hat ohne eigene Sachherrschaft lediglich durch seinen Herrschaftswillen Besitz, welchen er Dritten entgegenhalten kann. In beiden Fällen wird der „entferntere Besitzer“ letztendlich durch die Ausstattung mit den Besitzschutzrechten rechtlich „näher“ an die Sache geholt, um sie vor Einwirkungen verteidigen zu können. 2. Schutzwürdigkeit des Zurechnungssubjekts Dem Schutz des Zurechnungssubjekts dient die Stellvertretung, hier wird der Vertreter gerade durch die Zurechnung der Willenserklärung von den Wirkungen befreit, sie gehen „an ihm vorbei“ zum Vertretenen. Auch der „Inhaber“ einer Rechtsscheinvollmacht wird durch die Zurechnung so lange geschützt, dass er weiterhandeln kann, wie der Vertretene „einverstanden“ ist, was bei Duldung oder fahrlässiger Unkenntnis der Fall ist. Der Erfüllungsgehilfe wird durch die Haftung des Schuldners entlastet, da sich der Geschädigte bei den zur Auswahl stehenden Anspruchsgegnern in der Regel an den solventeren Schuldner und nicht an den Gehilfen halten wird. Den solventeren Schuldner weist auch die
D. Zurechnungsgründe
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Amtshaftung nach Art. 34 GG zu. Der Beamte wird hier sogar von der Haftung befreit, wenn ihm nicht Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, Art. 34 S. 2 GG. 3. Schutzwürdigkeit Dritter Regelmäßig dient die Zurechnung dem Schutz Dritter und hier maßgeblich dem Schutz Dritter vor einer Umgehung der Hauptnorm. Der Aspekt des Umgehungsschutzes ist Teil der allgemeinen Schutzwürdigkeitsbetrachtung. Bei der Mittäterschaft werden durch die Zurechnung Beweisschwierigkeiten umgangen und damit dem Opferschutz Rechnung getragen. Selbiges gilt für die mittelbare Täterschaft. Die Zurechnung bei der Stellvertretung schützt neben dem Vertretenen auch den Dritten: Er soll mit dem kontrahieren, in dessen Namen gehandelt wird und nicht mit dem Vertreter. Die Rechtsscheinvollmachten schützen ebenfalls den Vertragspartner und letztendlich die berechtigten, durch den Rechtsschein entstandenen Erwartungen des Rechtsverkehrs. Dritte sind hier nur dann unter Schutz gestellt, wenn sie auch wirklich gutgläubig sind. Die tatsächliche Sachherrschaft ist bei der Besitzdienerschaft nur dann zuzurechnen, wenn das soziale Abhängigkeitsverhältnis auch nach außen hin erkennbar ist. Der Rechtsverkehr kann dadurch erkennen, wer die Sache wirklich beherrscht. Die Zuordnung der Sachherrschaft beim Besitzherrn entspricht auch den Erwartungen des Rechtsverkehrs. Daneben ist der Freiheit und Leichtgängigkeit des Rechtsverkehrs durch die Möglichkeit der „mittelbaren Ausübung“ des Besitzes gedient. Die Haftung des Geschäftsherrn für seinen Erfüllungsgehilfen schützt den Gläubiger, indem dieser nicht das Insolvenzrisiko des Gehilfen tragen muss, sondern ihm der solvente Schuldner zur Verfügung gestellt wird. Die Haftung des Vertragspartners soll nicht durch Einsatz eines Gehilfen unterminiert werden können. Daneben ist der Dritte auch deshalb schutzwürdig, weil die Einwirkungsmöglichkeiten durch die Einschaltung nicht von ihm ausgewählter, sondern einseitig vom Schuldner bestimmter Hilfspersonen erweitert werden. Ähnliches gilt für die Amtshaftung, bei der dem Geschädigten erneut der solvente Schuldner zur Verfügung gestellt werden soll. Die Grundrechtsgebundenheit wird durch die Zurechnung abgesichert, womit die Grundrechtsgewährleistungen der Bürger geschützt werden. Ebenso dient die Zurechnung mittelbarer Verursachung beim Grundrechtseingriff dem Schutz des Bürgers, dieser soll auch bei nicht unmittelbar verursachten Verkürzungen seiner Grundrechte Schutz erhalten. Die Neutralitätspflicht sichert ebenso die Anwendbarkeit der Chancengleichheit der Parteien und die Freiheit der Wahl ab und intendiert damit den Schutz Dritter, nämlich der Bürger. Dritte werden auch bei der Zweckveranlassung durch die Zurech-
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§ 3 Gesamtauswertung der Zurechnungsprobleme
nung geschützt, da die vorliegende Gefahr durch das Vorgehen gegen den Veranlasser effektiv behoben werden kann. Es zeigt sich in den genannten Fällen ein deutliches Überwiegen von Drittschutzerwägungen. Es ist nur in den allerseltensten Fällen bezweckt, den Zurechnungsadressaten zu schützen. Viel häufiger dient die Zurechnung dem Schutz Dritter oder des Rechtsverkehrs.
E. Zurechnungsausschlussgründe In den untersuchten Fallgestaltungen zeigen sich verschiedene Zurechnungsausschlussgründe. Teilweise erscheinen diese als Kehrseite eines als positiv verwendeten Zurechnungsgrundes. In anderen Fällen stehen auch Zurechnungsausschlussgründe selbständig ohne ein entsprechendes positives Pendant.
I. Mittelbarkeit als Zurechnungsausschlussgrund Die Mittelbarkeit als das Dazwischentreten Dritter kommt als Zurechnungsausschlussgrund bei einer Vielzahl der untersuchten Zurechnungskonstellationen zum Tragen, bei denen es um die Zurechnung fremden Verhaltens als Zurechnungsgegenstand geht. Das Dazwischentreten Dritter ist ein materieller Grund für die Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs und damit letztendlich erst Ausgangspunkt der weiteren Prüfung von positiven Zurechnungsgründen. So verhält es sich auch bei der objektiven Zurechnung, bei der ein Dazwischentreten Dritter den Kausalverlauf unterbrechen soll. Das kann allerdings relativiert werden durch die besonderen Zurechnungsgründe, welche die Mittäterschaft oder mittelbare Täterschaft enthalten. Bei Mittäterschaft und mittelbarer Täterschaft überwiegen die Zurechnungsgründe der Absprache und der Beherrschung den Zurechnungsausschlussgrund der Mittelbarkeit. Bei der Stellvertretung, den Rechtsscheinvollmachten, der Besitzdienerschaft, des mittelbaren Besitzes und bei der Haftung für den Erfüllungsgehilfen geht es um die Zuordnung von Verhalten oder Merkmalen Dritter, was grundsätzlich gegen eine Zurechnung zum Zurechnungsadressaten spricht. Bei den öffentlich-rechtlichen Fallgestaltungen ist dies ähnlich, im Rahmen der Amtshaftung spricht die Pflichtverletzung des Amtsträgers erst bei Vorliegen verschiedener positiver Zurechnungsgründe für eine Haftung des Staates. Auch bei der Grundrechtsgebundenheit, dem mittelbaren Eingriff, der Neutralitätspflicht und dem Zweckveranlasser geht es um das Verhalten anderer Subjekte, was an sich gegen die Zurechnung spricht.
E. Zurechnungsausschlussgründe
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II. Exzess als Zurechnungsausschlussgrund In einigen Fallgestaltungen ist auch ein Exzess als Ausschlussgrund für die Zurechnung zu erkennen. Ein Exzess, das heißt die Überschreitung einer vorher getroffenen Absprache, ist denklogisch jedoch nur möglich bei einer vorhergehenden Absprache. Bei einer Verabredung, etwa in den Fällen der Stellvertretung oder der Mittäterschaft, wirkt ein Überschreiten der Absprache zurechnungshemmend. Der Mittäterexzess ist grundsätzlich nicht zuzurechnen und auch der Vertreter, der außerhalb seiner Vertretungsmacht handelt, verpflichtet damit nicht den Vertretenen. Die Absprache ist damit zurechnungsbegründend und -unterbrechend: Gibt es eine Absprache, begründet sie die Zurechnung. Die Zurechnung kann aber grundsätzlich nicht weiter reichen als die Absprache, da sonst ein zurechnungshemmender Exzess vorliegt.
III. Fehlende Beherrschbarkeit als Zurechnungsausschlussgrund Aus den strafrechtlichen Ausarbeitungen zur objektiven Zurechnung, Mittäterschaft und mittelbaren Täterschaft ergibt sich, dass die fehlende Beherrschung und weitergehend die fehlende Beherrschbarkeit zu einem Ausschluss der Verantwortlichkeit und auch der Zurechnung führt. Neben diesen Anwendungsbereichen lassen sich die unter dem Punkt der Beherrschung genannten Fallgestaltungen stets auch als negativer Zurechnungsgrund der fehlenden Beherrschbarkeit darstellen: Die positive Beherrschung vermittelt die Zurechnung, wohingegen fehlende Beherrschung oder fehlende Beherrschbarkeit als logische Kehrseite gegen eine Zurechnung sprechen.
IV. Fehlende Adäquanz oder Vorhersehbarkeit als Zurechnungsausschlussgrund Als Zurechnungsausschlussgründe kommen die fehlende Vorhersehbarkeit und die fehlende Adäquanz in Betracht. Gerade aus der objektiven Zurechnung bekannt ist die Fallgestaltung, dass bei atypischen, außerhalb der allgemeinen Lebenswahrscheinlichkeit liegenden Verläufen, eine Zurechnung unterbrochen werden soll. Gleiche Argumentationen finden sich teilweise beim Grundrechtseingriff: Hier soll allerdings ein Zurechnungsausschluss durch fehlende Vorhersehbarkeit nur bei dem Dazwischentreten Dritter greifen, nicht aber bei der atypischen Folge einer unmittelbaren Verursachung. Daneben wird auch bei der
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§ 3 Gesamtauswertung der Zurechnungsprobleme
Verantwortlichkeit des Zweckveranlassers teilweise auf Adäquanz- und Vorhersehbarkeitsgesichtspunkte abgestellt.
V. Geringe Risiken als Zurechnungsausschlussgrund Die Geringwertigkeit einer Risikoschaffung kommt bei der objektiven Zurechnung zur Geltung, ansonsten finden sich aber keine Anwendungsbereiche einer derartigen Begründung eines Zurechnungsausschlusses. Vereinzelt wird beim Grundrechtseingriff eine Bagatellschwelle gefordert.
VI. Schutzzweck als Zurechnungsausschlussgrund Begrenzt wird die Zurechnung in vielen Fällen von einschränkenden Schutzzweckerwägungen. Dies ist erkennbar bei der objektiven Zurechnung, bei der nicht jede Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos zu Lasten des Täters gehen soll, sondern sich mit der Gefahr der Täterhandlung eine spezielle Gefahr realisieren muss. Auch bei der Haftung für den Erfüllungsgehilfen und der Amtshaftung wird nur die Handlung zugerechnet, welche „in Ausübung“ der Tätigkeit geschehen ist und damit einen inneren Zusammenhang mit dem „Anlass“ aufweisen kann. Nur entlang der Sonderverbindung soll die Zurechnung greifen, es geht in der Regel um keine vollständige Zurechnung jeglichen Verhaltens Dritter. Bei der Neutralitätspflicht soll auch nicht jede Nutzung von Amtsmitteln ausreichen, sondern es bedarf eines spezifischen Rückgriffs auf die Amtsressourcen. Grundrechtsspezifische Schutzzweckerwägungen lassen sich nicht zuletzt beim Grundrechtseingriff auffinden, bei der nicht jedes allgemeine Lebensrisiko, sondern nur die Realisierung einer – durch die staatliche Handlung verursachten – grundrechtlichen Gefahr zulasten des Staates gehen soll. Die objektiv berufsregelnde Tendenz im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG ist ein Beispiel für eine derartige besondere Schutzzweckerwägung im Rahmen der Grundrechtsdogmatik.
§ 4 Grundgedanken einer allgemeinen Zurechnungslehre Unter Zugrundelegung der bisher eingeführten Zurechnungsgründe sollen die einzelnen aufgefundenen Begründungen der Zurechnung im Folgenden zur Diskussion gestellt werden. Hierbei soll insbesondere herausgearbeitet werden, welche Zurechnungsgründe sich für die weitere Verwendung eignen und welche zu verwerfen sind. Intendiert ist hierbei die inhaltliche Ausgestaltung eines Zurechnungsmodells (A.). Diese inhaltlichen Feststellungen sind im Anschluss methodisch einzuordnen und auf Anschlussfähigkeit zu prüfen (B.).
A. Inhaltliche Ausgestaltung eines Zurechnungsmodells I. Ausgangspunkt ist zurechnungsfeindlich Die Zuordnung von Verantwortlichkeit und auch die hier technisch verstandene Zurechnung ist eine an sich rechtfertigungsbedürftige Operation, dieser Grundsatz durchzieht alle Rechtsbereiche. Es bedarf in allen Fällen des Nachweises, warum eine Pflicht zugeordnet oder eine Verantwortlichkeit begründet wird.1 1. Grundlage: Verfassungsrechtliches Selbstverantwortungsprinzip Das Selbstverantwortungsprinzip ist im Verfassungsrecht angelegt. Hier lässt sich aus der gegebenen Freiheit in Form der Selbstbestimmung auf die Selbstverantwortung als „spiegelbildliches Pendant“ schließen.2 Aus der Subjektqualität des Menschen folgt regelmäßig die Selbstverantwortlichkeit der Person.3 Das 1
Di Fabio, JZ 2020, 1073, siehe bereits oben § 1 A. Hillgruber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2012, S. 165, 165, 171. Von einer Kehrseite spricht auch BVerfGE 60, 16, 39. Zurückhaltender noch Dürig, JR 1952, 259, 261. 3 Hillgruber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2012, S. 165, 166; Hillgruber, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 4715.05.2021, Art. 1 Rn. 12 ff.; Di Fabio, in: Knies (Hrsg.), Staat, Amt, Verantwortung, 2002, S. 15, 22. Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, 1988, S. 42 f.: „Denn in Selbstbestimmung und Selbstverant2
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§ 4 Grundgedanken einer allgemeinen Zurechnungslehre
Bundesverfassungsgericht erkennt im Lissabon-Urteil ausdrücklich einen durch die Grundrechte geschützten „privaten Raum der Eigenverantwortung“ an.4 Speziell in der Menschenwürde lässt sich verorten, dass jeder Mensch stets als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt wird5 und dass der Mensch „sein Schicksal eigenverantwortlich gestalten kann“6, aber auch „die Risiken seines eigenen Schicksals zu tragen hat“7.8 Die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes schützt damit den Kernbereich der menschlichen Selbstbestimmung.9 Hierin folgt das Grundgesetz dem Grundgedanken der Aufklärung, welche den Eigenwert des Menschen aus der eigenen Selbstbestimmung ableitet10, Mündigkeit ist Verfassungsprinzip.11 Daneben kann als Begründungsansatz für die verfassungsrechtliche Selbstverantwortung auch der individuelle Einschlag der Grundrechte herangezogen werden. Die Grundrechte selbst gewähren individuelle Freiheitssphären12 und nur in den seltensten Fällen gruppenbezogene Freiheit13; sie sind regelmäßig Individualrechte14, die nur bei einer Selbstbetroffenheit15 gerügt werden können. Knüpft die Freiheit aber auch hier am Individuum an, korrespondiert hiermit ein Maß an Verantwortung (nur) für eigenes Handeln. Die grundrechtliche Freiheit schützt zunächst eigenes Verhalten und kann damit Verantwortung auch nur für eigenes Verhalten begründen. Aus Freiheit folgt Verantwortlichkeit.16 Die Folwortung manifestiert sich zu einem wesentlichen Teil der Typus des Menschen, von dem das Grundgesetz ausgeht und auf den die verfassungsmäßige Ordnung angewiesen ist.“ 4 BVerfGE 123, 267, 358. 5 BVerfGE 45, 187, 228. 6 BVerfGE 49, 286, 298. 7 BVerfGE 60, 16, 39. 8 Zu den Grenzen des verfassungsrechtlichen Selbstverantwortungsprinzips Hillgruber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2012, S. 165, 175 ff. 9 Siehe Hufen, JuS 2010, 1, 3 f., 8 f. mit Nachweisen. 10 Ders., JuS 2010, 1. 11 Ders., JuS 2013, 1, 2. 12 Erneut etwa Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, 1988, S. 11. 13 Die Frage nach einem individuellen oder kollektiven Gleichheitsverständnis des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG wurde zuletzt in der seit neuerer Zeit erneut geführten Paritätsdebatte entscheidend. Dazu BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Dezember 2020 – 2 BvC 46/19 –, Rn. 59 mit Verweis auf Morlok/Hobusch, NVwZ 2019, 1734, 1735. 14 Der subjektiv-rechtliche Charakter der Grundrechte wurde auch in den Diskussionen des Parlamentarischen Rates stets betont, siehe dazu Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/1, 1988, S. 530 ff. auch mit weiteren Nachweisen. Zur individualistisch geprägten Werteordnung durch die Grundrechte siehe auch Di Fabio, JZ 2020, 1073, 1079. 15 Zur notwendigen Selbstbetroffenheit Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz Kommentar, Juli 2020, § 90 Rn. 355 f. 16 Di Fabio, JZ 2020, 1073, 1074; Gerhard, in: Heidbrink/Langbehn/Loh (Hrsg.), Handbuch Verantwortung, 2016, S. 431, 437; grundlegend auch von Hayek, in: Bosch/Veit (Hrsg.),
A. Inhaltliche Ausgestaltung eines Zurechnungsmodells
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gen der Nutzung individueller Freiheit sind selbst zu tragen und lassen sich grundsätzlich nicht auf andere abwälzen.17 Auch die Grundrechte weisen damit eine im Kern fremdzurechnungsfeindliche Tendenz auf, da sie Ausprägung individueller Freiheiten sind. Die hier maßgeblichen grundrechtlichen Wertungen wirken letztendlich auf alle Rechtsbereiche ein. Das strafrechtliche Schuldprinzip lässt sich auf die Menschenwürde und die verfassungsrechtliche Eigenverantwortlichkeit zurückführen; die Privatautonomie aus Art. 2 Abs. 1 GG folgt ebenfalls dem Gedanken der Eigenverantwortung. 2. Ausprägungen im Strafrecht Das Strafrecht folgt dem Schuldprinzip. Danach ist Voraussetzung für jede Strafe Schuld18, der Täter muss rechtswidrig gehandelt haben, obwohl es ihm möglich war, die entgegenstehende Rechtspflicht zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten19, er sich also selbstbestimmt zwischen Recht und Unrecht entscheiden konnte20, einfacher formuliert muss er etwas „dafür können“21. Schuld ist damit letztendlich nichts anderes als Vorwerfbarkeit.22 Diese Vorwerfbarkeit ist eng mit der individuellen Einsichtsfähigkeit, aber auch der Selbstverantwortung des Einzelnen verbunden, schließlich kann eine entsprechende Vorwerfbarkeit nur bei einer Selbstverantwortung bestehen. Der Bundesgerichtshof hat dazu ausgeführt, dass der Schuldgedanke in der freien Selbstbestimmung der Person angelegt sei und eine Vorwerfbarkeit nur bestehe, wenn die freie Selbstbestimmung gegeben ist.23 Auch das Bundesverfassungsgericht hat das Schuldprinzip stark individuell verortet, im Lissabon-Urteil führt es aus: „Das Strafrecht beruht auf dem Schuldgrundsatz. Dieser setzt die Eigenverantwortung des Menschen voraus, der sein Handeln selbst bestimmt und sich kraft seiner Willensfreiheit zwiGesammelte Schriften in deutscher Sprache, 42005, S. 93. In Bezug auf die Verantwortung für das demokratische System etwa Lammert, Demokratie braucht Demokraten, 2019, S. 65 ff. und passim. 17 Hillgruber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2012, S. 165, 167. 18 Mit entsprechenden Nachweisen aus der strafrechtlichen Literatur Eisele, in: Schönke/ Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 103/104; aus der verfassungsrechtlichen Literatur etwa Jarass, in: Jarass/Kment (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 162020, Art. 20 Rn. 148. 19 Ähnlich etwa Heger, in: Lackner/Kühl (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 292018, Vor § 13 Rn. 23. 20 BVerfGE 123, 267, 413. 21 Aus der Rechtsprechung etwa BGHSt 10, 259, 263. Siehe aus der Literatur mit weiteren Nachweisen etwa Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, 52020, § 19 Rn. 20. 22 So bereits BGHSt 2, 194, 200. 23 Erneut BGHSt 10, 259, 262.
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schen Recht und Unrecht entscheiden kann. Dem Schutz der Menschenwürde liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich zu entfalten […]. Auf dem Gebiet der Strafrechtspflege bestimmt Art. 1 Abs. 1 GG die Auffassung vom Wesen der Strafe und das Verhältnis von Schuld und Sühne […]. Der Grundsatz, dass jede Strafe Schuld voraussetzt, hat seine Grundlage damit in der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG […].“24
Wenn das Bundesverfassungsgericht hier den Schuldgrundsatz unter anderem in der Menschenwürdegarantie verortet25, zeigt sich hierin die stark individuelle Prägung desselben. Nur in der Anerkennung des Menschen als selbstverantwortliche Person realisiert sich die Menschenwürde.26 Das Schuldprinzip impliziert mit dem Abstellen auf die Eigenverantwortung und die Selbstbestimmtheit eine stets individuelle Vorwerfbarkeit aufgrund individueller Schuld.27 Geht es um die individuelle Vorwerfbarkeit, dann kann grundsätzlich nur eigenes Verhalten auch zu eigener Schuld führen.28 Es findet grundsätzlich keine „Gesamtbetrachtung“ bei verschiedenen Beteiligten statt.29 Das stark individuell, am Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit orientierte Schuldprinzip formt das ihm zugrunde liegende Strafrecht grundsätzlich zurechnungsfeindlich aus.30 Diese Zurechnungsfeindlichkeit ist bei strafrechtlicher Sanktion noch weit stärker ausgeprägt als im Zivilrecht, eine Zurechnung von Verschulden wie beim Erfüllungsgehilfen im Zivilrecht wäre nach dem strafrechtlichen Schuldprinzip nicht denkbar.31
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BVerfGE 123, 267, 413. In BVerfGE 20, 323, 332; 42, 261, 262 f.; 58, 159, 162 f. hat das Gericht das Rechtsstaatsprinzip, in E 57, 250, 275; 95, 96, 140 daneben Art. 2 Abs. 1 GG und die Menschenwürde zur Begründung des Schuldprinzips herangezogen. Ebenso auf alle drei abstellend Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Art. 103 Rn. 55; Sommermann, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 20 Rn. 324; Adam/Schmidt/Schumacher, NStZ 2017, 7. Vornehmlich auf das Rechtsstaatsprinzip abstellend Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 194. Einen umfassenden Überblick über die denkbaren Anknüpfungspunkte gibt Remmert, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 92. EL August 2020, Art. 103 Abs. 2 Rn. 30. 26 BVerfGE 109, 133, 170. 27 Vergleiche dazu BVerfGE 9, 167, 169; 95, 96, 140; 133, 168, 198 Rn. 54. Zuletzt BVerfG NJW 2020, 1504 (Leitsätze) und konkret BVerfG BeckRS 2020, 3196 Rn. 70. 28 Eigenes Verhalten ist nach dem traditionellen Schuldbegriff eine Mindestanforderung für eine Begründung der Schuld. Dazu Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung als materielle Grundprinzipien des Strafrechts, 1988, S. 17. 29 Erneut BVerfG NJW 2020, 1504 (Leitsätze) und konkret BVerfG BeckRS 2020, 3196 Rn. 70. 30 Di Fabio, JZ 2020, 1073. 31 Adam/Schmidt/Schumacher, NStZ 2017, 7, 13. 25
A. Inhaltliche Ausgestaltung eines Zurechnungsmodells
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3. Ausprägungen im Zivilrecht Der zurechnungshemmende Gedanke der Selbstverantwortung lässt sich im Privatrecht beispielhaft am Verschuldensprinzip und der Privatautonomie aufzeigen. a) Verschuldensprinzip Auch in zivilrechtlichen Haftungsfragen ist die Zurechnung rechtfertigungsbedürftig32, schließlich gilt hier dem Grunde nach das – gleichwohl im Vergleich zum Schuldprinzip weniger strenge33 – Verschuldensprinzip, wonach (eigene) vertragliche oder deliktische Haftung grundsätzlich ein (eigenes) Verschulden erfordert.34 Der Gedanke, dass Haftung Verschulden voraussetzt – culpa semper praestatur – ist aus dem römischen Recht entlehnt35; der naheliegende Rückgriff auf das Verschulden zur Herstellung von Verantwortlichkeit macht das Verschuldensprinzip geradezu zu einem „Prototyp der Zurechnung“36.37 Die Beschränkung der Haftung auf Verschulden sichert Freiheit, indem sie verschuldensunabhängige Haftung als Einbuße von Freiheit grundsätzlich ausschließt.38 Verschulden im Sinne des § 276 BGB umfasst als Oberbegriff Vorsatz und Fahrlässigkeit.39 Weniger streng als das strafrechtliche Schuldprinzip ist das Verschuldensprinzip insbesondere wegen der Abkehr von der rein individuellen Vorwerfbarkeit etwa 32
Westermann, JuS 1961, 333, 334. Adam/Schmidt/Schumacher, NStZ 2017, 7, 13. 34 Siehe statt aller etwa Lorenz, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 276 Rn. 2 f.; Stadler, in: Stürner (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 182021, § 276 Rn. 8; Looschelders, Schuldrecht – Allgemeiner Teil, 182020, § 23 Rn. 2; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, 14 1987, S. 276 ff.; Westermann, JuS 1961, 333, 334. Grundlegend zum Verschuldensprinzip Deutsch, in: Honig (Hrsg.), Festschrift für Richard M. Honig, 1970, S. 33, 37 ff.; Deutsch, AcP 202 (2002), 889, 892 ff. Bei der Schuldrechtsmodernisierung hat der Gesetzgeber das Verschuldensprinzip ausdrücklich anerkannt, BT-Drs. 14/6040, S. 131. Aus der Rechtsprechung siehe etwa BGHZ 114, 238, 240 f.; 119, 152, 168. 35 Nachweise bei Edlbacher, in: Wilburg (Hrsg.), Festschrift zum 60. Geburtstag von Walter Wilburg, 1965, S. 81, 83. Siehe auch Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, 141987, S. 277. 36 Deutsch, in: Honig (Hrsg.), Festschrift für Richard M. Honig, 1970, S. 33, 37; Larenz, JuS 1965, 373. 37 Grundlegend von Jhering, Das Schuldmoment im römischen Privatrecht, 1867, S. 40: „Nicht der Schaden verpflichtet zum Schadensersatz, sondern die Schuld.“ 38 Deutsch, AcP 202 (2002), 889, 892 m. w. N. Die Ausweitung des Verschuldens durch Vermutungs- oder Beweislastregeln verkürzt diese Freiheit erheblich, dazu ders., VersR 1971, 1, 2. Vgl. auch Dauner-Lieb, in: Dauner-Lieb/Langen (Hrsg.), BGB, 42021, § 276 Rn. 6. 39 Aus den Motiven des BGB Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch I, 1899, S. 508; siehe auch Stadler, in: Stürner (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 18 2021, § 276 Rn. 10; Grüneberg, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 276 Rn. 5. 33
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durch die Verwendung objektiver Elemente zur Bestimmung der Fahrlässigkeit.40 Daneben ist das Verschuldensprinzip durch die Einführung von Tatbeständen mit vermutetem Verschulden sowie durch verschuldensunabhängige Tatbestände in vielen Bereichen zurückgedrängt, weshalb das überkommene Regel-Ausnahme-Verhältnis mittlerweile angezweifelt wird41 und „das klassisch-liberale (…) Modell unter Anpassungsdruck“ gesehen wird.42 Dennoch ist festzuhalten, dass die Verschuldenshaftung schon aufgrund der gesetzlichen Konzeption des § 276 BGB die Regelform darstellt43, schließlich bestehen in den Sachbereichen, in denen beispielsweise eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung gesetzlich angeordnet wurde, positive Gründe, die eine derartige Zurechnung rechtfertigen, daneben sind die dem Grunde nach gleichwertigen44 Alternativen zum Verschuldensprinzip zwar zahlreich, aber regelmäßig45 ausdrücklich kodifiziert46.47 Neben dem Verschuldensprinzip als materiellem Grund der Haftung kommen folglich noch weitere Aspekte in Betracht,
40 Schaub, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.03.2021, § 276 Rn. 4; Larenz, in: Wilburg (Hrsg.), Festschrift zum 60. Geburtstag von Walter Wilburg, 1965, S. 119 f. 41 Schaub, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.03.2021, § 276 Rn. 4. 42 Di Fabio, JZ 2020, 1073, 1074. 43 Lorenz, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 276 Rn. 5; Grüneberg, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 276 Rn. 24; Dauner-Lieb, in: Dauner-Lieb/ Langen (Hrsg.), BGB, 42021, § 276 Rn. 4, 6; Looschelders, Schuldrecht – Allgemeiner Teil, 18 2020, § 23 Rn. 3; Grundmann, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82019, § 276 Rn. 6 ff. Für Deutsch, AcP 202 (2002), 889, 893 ist das Verschuldensprinzip „vorausgesetzte Selbstverständlichkeit“. 44 Dazu etwa Waldkirch, Zufall und Zurechnung im Haftungsrecht, 2018, S. 102; Larenz, JuS 1965, 373; Deutsch, JuS 1981, 317, 318; Deutsch, AcP 202 (2002), 889, 893. Einen umfassenden Überblick zur ursprünglichen Fixierung des Privatrechts auf das Verschuldensprinzips und die Entwicklung hin zu einer Ergänzung des Verschuldensprinzips durch weitere Zurechnungsgründe gibt Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn für schuldlos erlittene Schäden des Geschäftsführers beim Auftrag und bei der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag, 1965, S. 28 ff. 45 Den Nachweis, dass auch die Gefährdungshaftung kraft richterlicher Rechtsfortbildung gängige Praxis ist, erbringt etwa Deutsch, VersR 1971, 1, 2 f. 46 Die Gefährdungshaftung als Alternative zum Verschuldensprinzip kann lediglich durch ausdrückliche gesetzliche Regelung erweitert werden, nicht durch Analogie oder Generalklauseln, siehe dazu bereits RGZ 147, 353; BGH VersR 1972, 1047; Grüneberg, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 276 Rn. 24; Deutsch, JuS 1981, 317. 47 Waldkirch, Zufall und Zurechnung im Haftungsrecht, 2018, S. 102.
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für die Gefährdungshaftung etwa die besondere Gefährlichkeit48, aber auch Billigkeitserwägungen49. Im Zivilrecht bedarf es für die Eigenzurechnung in Form der Schadenszurechnung eines materiellen Grundes. Das klassisch anzutreffende Verschuldensprinzip ist eine Begründung der Zurechnung, welche von der Prämisse ausgeht, dass eigene Verantwortlichkeit auch eigenes Verschulden voraussetzt. Damit kann es eine Eigenzurechnung begründen, schließt eine Fremdzurechnung aber grundsätzlich aus. b) Privatautonomie und Individualismus im BGB Auch das BGB ist an sich (fremd-)zurechnungsfeindlich konzipiert worden, da es – dem Zeitgeist entsprechend – einen stark liberalen und individualistischen Einschlag besitzt50: ein freiheitliches Privatrecht in einem seinerzeit nicht-freiheitlichen Staat.51 Ausgangspunkt des Gesetzes sind die freien, selbstbestimmten Handlungen von Individuen, nicht von arbeitsteilig organisierten Kollektiven.52 Nucleus des BGB ist das rechtsfähige und eigenverantwortliche Individuum, welches Ziele und Mittel frei wählen kann.53 Folge der Fähigkeit, selbst Träger von Rechten und Pflichten zu sein, ist die Notwendigkeit, für die Folgen 48 Zur Untauglichkeit der Schadenszurechnung allein aufgrund des Verschuldens bereits Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, 1941, S. 69 ff. Siehe daneben auch ders., Schuldrecht Allgemeiner und Besonderer Teil, 21960, S. 159. Siehe die Auflistung der Durchbrechungen des Verschuldensprinzips bei Stadler, in: Stürner (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 182021, § 276 Rn. 9. 49 Auf die „soziale Verantwortung“ und „konkrete Billigkeit“ stellt etwa Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, 1941, S. 103 f. m. w. N. ab. Und auch Rümelin, Schadensersatz ohne Verschulden, 1910, S. 30 sieht in der Gefährdungshaftung die „Lösung von Interessenkonflikten“. 50 Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 42016, Rn. 101 und 44. Zum Umbruch vom pönalen zum individualistisch-privatrechtlichen System auch Edlbacher, in: Wilburg (Hrsg.), Festschrift zum 60. Geburtstag von Walter Wilburg, 1965, S. 81, 82. Vertiefend zur Entstehung des BGB etwa Benöhr, JuS 1974, 681 ff.; Benöhr, JuS 1977, 79 ff.; Schroeder, JuS 2000, 1046 ff. Ausgehend von der geschichtlichen Entwicklung in Deutschland, welche die Ausformung eines freiheitlich geprägten Privatrechts ohne ein entsprechend freiheitliches Verfassungsrecht kannte, übernahm das Privatrecht bis 1918 teilweise die Rolle von Grundrechten als Gewährleistungen von Freiheitssphären. Dazu Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, 1988, S. 11. 51 Siehe die Analyse bei Grimm, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, 1982, S. 17, 22, 49; Grimm, in: Birtsch (Hrsg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, 1981, S. 359, 361. 52 Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 175. 53 Vgl. dazu Canaris, in: Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, 1993, S. 873, 874 f.
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eigenen Verhaltens die Verantwortung zu übernehmen.54 Aus der gegebenen Freiheit erwächst Verantwortung.55 Das Prinzip der Selbstverantwortung beinhaltet, dass der Einzelne für sein eigenes Verhalten oder seinen Geschäftskreis verantwortlich ist.56 Dieses Selbstverantwortungsprinzip lässt sich auch mit der Privatautonomie57 verknüpfen, wenn man darunter die „Befugnis der Rechtssubjekte [versteht], ihre privatrechtlichen Angelegenheiten selbstständig und eigenverantwortlich nach ihrem eigenen Willen zu gestalten“58.59 Auch das Bundesverfassungsgericht legt der – über Art. 2 Abs. 1 GG geschützten60 – Privatautonomie den Gehalt bei, sie sichere die „Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben“61; „Kehrseite“ dieser Freiheit sei dann aber auch die Eigenverantwortung.62 Die Selbstverantwortung ist ein wesentliches Element der „Verfassung der Freiheit“63 und insbesondere eine der wesentlichen Grundlagen, auf denen eine Marktwirtschaft und eine freiheitliche Rechtsordnung64 und auch das heutige Privatrecht65 basiert. Der Grundsatz der Selbstverantwortung, welcher das Zivilrecht insbesondere in Form der Privatautonomie durchzieht, ist damit dem Grunde nach zurechnungsfeindlich. Heutzutage wird dieser stark individualisierte Zug vereinzelt aufgebrochen durch die in verschiedenen Konstellationen vorgenommene Zu54
Waldkirch, Zufall und Zurechnung im Haftungsrecht, 2018, S. 104 f., 131; Neuner/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 122020, § 10 Rn. 10. 55 Grundsätzlich zu diesem Aspekt Di Fabio, JZ 2020, 1073, 1074; Gerhard, in: Heidbrink/ Langbehn/Loh (Hrsg.), Handbuch Verantwortung, 2016, S. 431, 437; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2012, S. 1. 56 Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, 1927, S. 89 f.; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 468. 57 Zu den begrifflichen, nicht notwendigerweise inhaltlichen Unschärfen Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S. 13 ff. 58 Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 42016, Rn. 99. 59 Ähnlich Paulus/Zenker, JuS 2001, 1: Die Privatautonomie beinhalte die Einräumung der Möglichkeit, die Rechtsverhältnisse selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu regeln. Siehe auch Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 112016, Rn. 174. 60 Dazu etwa BVerfGE 89, 214, 232; 72, 155, 170; 70, 115, 123. 61 BVerfGE 89, 214, 231; 114, 1, 34, Rn. 130; 115, 51, 52 Rn. 3 und 67 Rn. 42. Zur Herkunft dieser Wendung Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 32013, Art. 2 Abs. 1 Rn. 35. 62 Zur Selbstverantwortung als Kehrseite der Selbstbestimmung BVerfGE 60, 16, 39. 63 Siehe von Hayek, in: Bosch/Veit (Hrsg.), Gesammelte Schriften in deutscher Sprache, 4 2005, S. 93 ff. 64 Woll, in: Herrmann-Pillath/Schlecht/Wünsche (Hrsg.), Marktwirtschaft als Aufgabe, 1994, S. 263, 264 ff. und erneut Canaris, in: Badura/Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, 1993, S. 873, 874 ff. 65 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S. 99 ff.
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rechnung.66 Eine Zurechnung fremden Verhaltens ohne einen entsprechenden materiellen Zurechnungsgrund ist dem Zivilrecht allerdings fremd.67 4. Zusammenfassung Ausgangspunkt in Zurechnungsfragen ist das Selbstverantwortungsprinzip, welches sich als Kehrseite der durch die Menschenwürde geschützten Selbstbestimmung und der grundrechtlich eingeräumten Freiheit verorten lässt. Mit der Gewährleistung von Selbstbestimmung – und damit eingeräumter Freiheit – wird als Gegensatz auch die Selbstverantwortung für eigenes und damit verbunden die grundsätzliche Nichtverantwortlichkeit für fremdes Handeln verknüpft. Der status quo ist folglich zurechnungsfeindlich.68 Das gilt zunächst für die Eigen- wie Fremdzurechnung gleichermaßen, schließlich bedarf es auch bei Zurechnung von „selbst“ verwirklichten Merkmalen zu einem Subjekt eines materiellen Grundes für diese Zurechnung. Im Privatrecht ist dies regelmäßig die Kausalität und das Verschulden, im Strafrecht Kausalität und Schuld. Die Zurechnungsfeindlichkeit gilt aber im Besonderen für die Fremdzurechnung, also der Zurechnung von Merkmalen eines Subjektes zum anderen, schließlich muss die Fremdzurechnung das hier besonders herausgearbeitete Selbstverantwortungsprinzip überwinden: Wenn es schon eines materiellen Grundes bedarf, um aus eigenen Handlungen eigene Verantwortlichkeit abzuleiten, dann bedarf die Zuordnung fremder Handlungsweisen zu einem anderen Subjekt erst recht einer entsprechenden Begründung.
II. Die maßgeblichen Zurechnungsgründe Bereits bei der Auflistung der gefundenen Zurechnungsbegründungen wird deutlich, wie unterschiedlich präzise diese für sich genommen sind. Im Vordergrund steht im Folgenden die Diskussion der Zurechnungsgründe und der Versuch einer näheren Verfeinerung; außerdem sollen mögliche Verbindungen aufgezeigt und nicht verwertbare Zurechnungsgründe ausgeschieden werden.
66
Vgl. Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 176. So neben den bereits Genannten etwa Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 92004, § 6 Rn. 11. 68 Ähnlich Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 170: „Zurechnung als Fremdkörper“. Siehe daneben statt aller etwa Hruschka, Strukturen der Zurechnung, 1976, S. 1 ff.; Waldkirch, Zufall und Zurechnung im Haftungsrecht, 2018, S. 105; Di Fabio, JZ 2020, 1073. 67
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1. Kausalität als notwendige Bedingung der Zurechnung Die Kausalität muss als Grundlage jeder Zurechnung vorliegen. Es bedarf nicht nur einer kausalen Verursachung bei der Eigenzurechnung, sondern auch bei der Fremdzurechnung. Der Zurechnungsadressat muss für den Zurechnungsgegenstand, regelmäßig das Verhalten Dritter, kausal verantwortlich sein. Eine Zurechnung kann umgekehrt nicht stattfinden, wenn das Subjekt noch nicht einmal eine kausale Ursache für den Zurechnungsgegenstand gelegt hat. Richtigerweise wird in der Literatur der Einwand erhoben, Kausalität und Zurechnung seien nicht das Gleiche und insbesondere aus der Verursachung sei nicht zwingend eine Verantwortlichkeit abzuleiten.69 Daraus aber den Schluss zu ziehen, die Kausalität sei in die Zurechnungsbegründung überhaupt nicht einzustellen, geht fehl. Es bedarf vielmehr noch weiterer, über die reine Kausalität hinausgehender Zurechnungsgründe.70 Es gibt die neuere Tendenz in einigen Zurechnungsproblemen, die Ausarbeitung abstrakter Zurechnungsgründe zu verwerfen, weil diese nicht für alle denkbaren Fallgestaltungen brauchbare Lösungen produzieren und sich stattdessen auf die universelle Zurechnung durch die äquivalente Kausalität zurückzuziehen. Dies ist erkennbar beim Grundrechtseingriff und beim Zweckveranlasser. Durch die Weite der Zurechnung mittels Äquivalenztheorie sollen alle denkbaren Fälle eingeschlossen und dann in differenzierter Weise einer Einzelfalllösung zugeführt werden: Beim Grundrechtseingriff wird vorgeschlagen, jede kausale Verursachung ausreichen zu lassen und Abstufungen auf Rechtsfolgenebene etwa durch die Verhältnismäßigkeit zu finden.71 Ähnliche Entwicklungen lassen sich bei der Figur des Zweckveranlassers und der Verhaltensverantwortlichkeit als 69
So etwa bereits Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung und die Stellung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs zur objektiven Schadensersatzpflicht, 1896, S. 26: „Von der bloßen Causalität führt keine Brücke zur Verantwortlichkeit“. Ebenso Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, 1941, S. 94. Vgl. auch Waldkirch, Zufall und Zurechnung im Haftungsrecht, 2018, S. 105. Zur Untauglichkeit der Äquivalenz bei komplexen Kausalzusammenhängen, zum Beispiel dem anthropogenen Klimawandel, zuletzt Di Fabio, JZ 2020, 1073, 1077. 70 Zur Untauglichkeit der reinen Kausalität bereits Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, 1927, S. 61 ff.; Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, 1941, S. 93; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 469; Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, 1941, S. 1 ff.; Heinze, Rechtsnachfolge in Unterlassen, 1974, S. 72. Zum Sinn und Zweck von darüber hinausgehenden Zurechnungsgründen Jansen, AcP 202 (2002), 517, 540. Siehe auch Deutsch, in: Honig (Hrsg.), Festschrift für Richard M. Honig, 1970, 33; Looschelders, Schuldrecht – Allgemeiner Teil, 182020, § 45 Rn. 1. Weitere Nachweise bei Waldkirch, Zufall und Zurechnung im Haftungsrecht, 2018, S. 105. 71 Siehe bereits oben § 2 D. III. 1.
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Ganzes nachweisen; hier wird die Lösung des Einzelfalls letztlich in das Störerauswahlermessen oder die Verhältnismäßigkeit transferiert.72 Dadurch wird aber letztendlich die Eigenständigkeit von „Zurechnung“ negiert, die Filterfunktion der Zurechnung damit ausgeschaltet und die Typisierung für eine Einzelfallbetrachtung geopfert. Dies ist nicht im Interesse der Rechtsklarheit. Ist Kausalität die notwendige Bedingung für eine Zurechnung, dann handelt es sich hierbei um einen absoluten Zurechnungsgrund. Absolute Zurechnungsgründe sollen solche sein, die zwingend erfüllt sein müssen, um eine Zurechnung auszulösen; relative Zurechnungsgründe dagegen sind solche, die nicht zwingend gegeben sein müssen. Als Rechtsgedanke lässt sich damit formulieren: Für jede Zurechnung ist die äquivalent-kausale Verursachung Grundvoraussetzung. 2. Absprache Die Absprache im Fall der Fremdzurechnung ist die nicht zwangsläufig rechtsverbindliche, sondern auch faktische Verabredung zwischen zwei Subjekten. Die Absprache ist als Zurechnungsgrund breiter gefasst, so können Handeln oder Unterlassen verabredet werden, aber auch Zustände. Gegenstand der Absprache ist regelmäßig der Zurechnungsgegenstand. Die Absprache hat zurechnungsbegründende, aber auch zurechnungsbegrenzende Funktion. Existiert eine Absprache, so ist jedes Überschreiten der Absprache ein Exzess. Dieser durchbricht grundsätzlich die Zurechnung. Handelt der Vertreter außerhalb der Vollmacht, dann treffen den Vertretenen die Rechtsfolgen nicht. Beim Erfüllungsgehilfen oder der Mittäterschaft ist die Lage ein wenig komplexer. Zwar wird der Mittäterexzess grundsätzlich nicht zugerechnet, allerdings wird eine Zurechnung des Exzesses dann angenommen, wenn mit der Abweichung gewöhnlich zu rechnen war, sie also vorhersehbar war. Die Vorhersehbarkeit ist allerdings unter Umständen als eigener Zurechnungsgrund von Relevanz. Jedenfalls werden im Fall eines absprachewidrigen Verhaltens noch weitergehende Gründe benötigt, um eine Zurechnung zu rechtfertigen. Ein Exzess kann also nur dann ausnahmsweise zugerechnet werden, wenn dieser trotz Absprachewidrigkeit besonders „nah“ an der Absprache liegt, das heißt die Absprache erst die Einwirkung ermöglicht oder wesentlich begünstigt hat. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die Haftung für den Erfüllungsgehilfen. Damit ist gezeigt, dass die Absprache zwar zurechnungsbegründend sein kann, ihre Begründungsmacht aber dort endet, wo einer der Beteiligten außerhalb der Absprache handelt. Die Zurechnung des Exzesses kann sich nicht (allein) auf eine Absprache stützen, sondern muss noch weitergehend begründet werden. 72
Siehe dazu Lange, Zweckveranlassung, 2014, S. 114 ff. und bereits § 2 D. V. 1. am Ende.
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Die Absprache ist mehr als lediglich der Wille des Zurechnungsadressaten, sondern die Kombination des Willens der beiden beteiligten Subjekte. Dabei ist Wille indes – wie bereits erwähnt – nicht im Sinne einer rechtlichen Willenserklärung, sondern in einem untechnischen, weiten Sinne zu verstehen. Wie oben gezeigt ist die Absprache nur in einigen Zurechnungskonstellationen zu erkennen. Dies heißt im Umkehrschluss, dass es sich um keine notwendige Bedingung der Zurechnung, also um keinen absoluten, sondern einen relativen Zurechnungsgrund handelt. Die Absprache kann ohne Hinzunahme weiterer relativer Zurechnungsgründe die Zurechnung begründen; dies soll im Folgenden als selbständiger Zurechnungsgrund bezeichnet werden. Als unselbständig sollen Zurechnungsgründe gelten, denen eine derartige Begründungskraft nicht zukommt, die also weiterer Zurechnungsgründe bedürfen, um eine Zurechnung zu untermauern. Selbständige sind dagegen Zurechnungsgründe, die für sich genommen, das heißt ohne Hinzunahme weiterer (relativer) Zurechnungsgründe geeignet sind, die Zurechnung zu begründen. Die absoluten Zurechnungsgründe sind freilich auch bei relativen Zurechnungsgründen in die Bewertung einzubeziehen. Daraus ergibt sich folgender Rechtsgedanke für die Zurechnung mittels Absprache: Wer mit einem anderen Subjekt einen Zurechnungsgegenstand abspricht, muss sich diesen unter Umständen zurechnen lassen. Im Falle von Verhalten Dritter als Zurechnungsgegenstand hieße das: Wer mit Dritten ein Verhalten abspricht, muss sich dieses grundsätzlich zurechnen lassen. 3. Wille Bereits oben wurde deutlich, dass der Wille in einigen Zurechnungskonstellationen aufgefunden werden kann, allerdings auch einige Fälle erkennbar sind, in denen es auf den Willen gerade nicht ankommen soll. Die Idee einer Zurechnung nach dem Willen korrespondiert mit dem oben herausgearbeiteten Selbstverantwortungsprinzip. Die Rechtsfolgen sollen grundsätzlich nur dann das Subjekt treffen, wenn diese durch das Subjekt selbstverantwortlich – also vor allem willentlich – herbeigeführt wurden.73 Da die Rechtsfolgen auf den Zurechnungsadressaten erstreckt werden sollen, liegt unter klassischer Verfolgung der Willenstheorie nahe, dass nur denjenigen Rechtsfolgen treffen sollen, welcher diese auch in seinen Willen aufgenommen hat, „soweit der Wille reicht, reicht die Tat“74. Die Konstruktion des Willens als Zurechnungsbegründung erscheint aber in anderen genannten Zurechnungsgründen aufzugehen und keinen eigenständigen 73 74
Vgl. etwa Morlok, RW 2019, 262, 286. Nachweise bei Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 168 f.
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Anwendungsbereich zu besitzen. Die gezeigten Zurechnungsgründe der Finalität, der Arbeitsteilung und der Absprache lassen bereits einen Willen zur Handlung des Zurechnungssubjekts erkennen, etwa bei der Mittäterschaft, beim mittelbaren Besitzer oder beim Erfüllungsgehilfen. Aus grundsätzlichen Erwägungen heraus kann das Fehlen des Willens nicht zur Unterbrechung der Zurechnung – und damit als absoluter Zurechnungsgrund oder als Zurechnungsausschlussgrund – herangezogen werden. Die Zurechnung soll nach den allgemeinen Ausführungen oben eine Umgehung der Hauptnorm verhindern.75 Wäre die Zurechnung vom Willen des Zurechnungsadressaten abhängig, hätte dieser die Zurechnungsentscheidung in der Hand, was dem verfolgten Zurechnungszweck zuwiderliefe. Zurechnung erfolgt zum Teil gegen oder ohne den Willen des Zurechnungsadressaten76 – etwa im Fall der Anscheinsvollmacht –, da die Zurechnung oftmals dem Schutz Anderer dient und den Zurechnungsadressaten belastet. Ist der Wille des Zurechnungsadressaten auf das Verhalten Dritter gerichtet, dann kann dies zwar Indiz für eine Zurechnung sein, allein entscheidende Bedeutung kann dem Willen allerdings nicht zukommen. Nur weil etwas begrüßt oder gewollt wird, ist noch kein Urteil über die Verantwortlichkeit gesprochen. Insoweit reicht der Wille nach hier vertretener Ansicht weniger weit als die Finalität, welche noch zu besprechen sein wird. Daneben finden sich noch besondere, rechtsbereichsspezifische Einwände gegen die Nutzung des Willens als Zurechnungsgrund. Im Gefahrenabwehrrecht bedarf es wegen der Erkennbarkeit für die einschreitende Behörde einer Orientierung an objektiven Kriterien, da ansonsten eine effektive Gefahrenabwehr nicht möglich wäre, wenn zunächst die inneren Absichten erforscht werden müssten.77 Weiterhin stößt ein Abstellen auf den Willen des Zurechnungsadressaten bei der Zurechnung zu juristischen Personen an Grenzen, da diese an sich keinen Willen bilden können. Der Wille der Organe muss der juristischen Person erst zugerechnet werden und ist nicht originär vorhanden.78 Der Wille hat damit keine absolute Wirkung, das Nichtvorliegen des Willens unterbricht nicht die Zurechnung. Daneben bestehen – wie gezeigt – rechtsgebietsspezifische Einwände, welche den Mehrwert des Zurechnungsgrundes schmälern. Dies mag das Gewicht des Zurechnungsgrundes relativieren, die 75
Dazu bereits unter § 1 A.II und § 1 A. XI. Siehe dazu auch die Erwägungen zur Schutzwürdigkeit unten und etwa Waldkirch, Zufall und Zurechnung im Haftungsrecht, 2018, S. 104. 77 Siehe etwa Lange, Zweckveranlassung, 2014, S. 133 ff. und insbesondere 135. Dazu auch oben beim Zweckveranlasser unter § 2 D. V. 2. a). 78 Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S. 85. 76
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Feststellung, dass ein kraft Kausalität bestehender Verantwortlichkeitszusammenhang durch den Willen verstärkt wird, dürfte dennoch zutreffend sein. Eine vollständige Ablehnung des Zurechnungsgrundes lässt sich aus den herausgearbeiteten, bereichsspezifischen Ausnahmen jedenfalls nicht folgern. Das privatrechtliche Haftungsrecht fußt maßgeblich – wenngleich auch nicht ausschließlich79 – auf dem Verschuldensprinzip und damit auf Verschulden, welches sich in Vorsatz und Fahrlässigkeit untergliedern lässt.80 In dem Merkmal des Vorsatzes, gemeinhin verstanden als Wissen und Wollen des Erfolges81, tritt aber augenscheinlich, neben einem Wissenselement, vor allem der dahinterstehende Wille zu Tage. Stützt sich die Haftungszurechnung im Privatrecht aber grundlegend auf das Verschuldensprinzip, kann der Wille als Kern des Vorsatzes nicht vorschnell als irrelevant verworfen werden. Weit fruchtbarer erscheint die Nutzung des Willens in Verbindung mit anderen Zurechnungsgründen. Der einseitige Wille allein ist trotz Kausalität nicht ausreichend, um einen belastbaren Verantwortungszusammenhang herzustellen, zusammen mit dem gleichlautenden Willen des Zurechnungssubjekts kann aber eine zurechnungsbegründende Absprache entstehen. Verbindet man den Willen mit dem Wissenselement, so liegt mit dem Vorsatz im Sinne des Verschuldensprinzips ein brauchbarer Zurechnungsgrund vor. Im Zusammenspiel mit einem Mindestmaß an Herrschaft kann sich ebenfalls ein starker Zurechnungsgrund ergeben: Wer den kausal herbeigeführten Erfolg oder das Verhalten Dritter will, gleichzeitig aber auch Einwirkungsmöglichkeiten besitzt, dem erscheint der Erfolgseintritt zurechenbar. Die letztgenannte Kombination lässt sich etwa bei der Eigenzurechnung im Rahmen der objektiven Zurechnung erkennen. Hierbei spielt der Wille nur eine untergeordnete Rolle und die Zurechnung kann aufgrund der fehlenden Beherrschbarkeit entfallen, etwa bei Zufall oder atypischen oder nicht beherrschbaren Ereignissen wie dem Blitzschlag auf das herausgeschickte Kind. Ist aber eine Beherrschbarkeit und ein entsprechender Wille gegeben, spricht dies zusammengenommen stärker für eine Zurechnung. Somit gilt, dass das subjektive Merkmal des Willens als alleiniger Zurechnungsgrund keine Bedeutung hat, in Zusammenschau mit anderen Zurechnungsgründen, etwa einem Mindestmaß an Beherrschung oder der Kenntnis, aber die 79
Siehe zum Verschuldensprinzip und anderen Zurechnungsgründen im Zivilrecht oben unter § 4 A. I. 3. 80 Siehe die Ausführungen zum Verschuldensprinzip oben § 4 A. I. 3. 81 Siehe etwa BGH NJW-RR 2012, 404. Aus der Literatur statt aller Grüneberg, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 276 Rn. 10. Grundlegend Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, 141987, S. 279 ff.
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Zurechnung begründen kann. Es handelt sich damit um einen unselbständigen Zurechnungsgrund. Verfolgt man diesen Gedanken weiter, so lässt sich eine Art Konkurrenz zwischen dem Willen und den zusammengesetzten Zurechnungsgründen erkennen. Ist ein zusammengesetzter Zurechnungsgrund, welcher den Willen enthält, bereits erfüllt, dann bedarf es nicht des Rückgriffs auf den allgemeinen Grund. Insoweit ist der besondere Zurechnungsgrund spezieller als die allgemeine, unselbständige Zurechnungsbegründung über den Willen. Weiterhin handelt es sich auch um einen relativen Zurechnungsgrund, da ein Fehlen des Willens nicht die Zurechnung unterbricht. Dies ergibt sich aus der oben herausgearbeiteten Zielrichtung der Zurechnung, die häufig gegen den Willen des Zurechnungsadressaten geschieht. Als Rechtsgedanke ergibt sich, dass der Wille des Zurechnungsadressaten zurechnungsbegründende Funktion ausschließlich in Verbindung mit anderen Zurechnungsgründen besitzen kann. 4. Finalität Der Begriff der Finalität ist trotz der Verwendung in den oben genannten Fällen vieldeutig und unklar.82 Teilweise wird darunter die Zielgerichtetheit einer (staatlichen) Maßnahme verstanden.83 Unterscheiden lassen sich dabei eine subjektive und objektive Finalität. Subjektive Finalität ist das vom Willen getragene Bezwecken einer Folge, während objektive Finalität vorliegt, wenn sich ein solches Bezwecken objektiv aus dem Verhalten ergibt.84 Findet beim Grundrechtseingriff eher eine objektive Betrachtung statt85, ist dies beim Zweckveranlasser umstritten, hier werden teilweise beide Möglichkeiten nebeneinander verwendet.86 Subjektive Finalität ist eng verwandt mit dem Willen, der bereits erläutert wurde. Allerdings geht die Finalität darüber hinaus, da der eintretende Erfolg bezweckt und nicht nur gewollt ist.87 Die subjektive Finalität verknüpft Wille 82
Siehe oben § 3 D. IV. Siehe für den Grundrechtseingriff nur Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, S. 139, 189. 84 Vgl. etwa Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 42020, § 8 Rn. 110; Kritik an der Begrifflichkeit des objektiven Bezweckens übt etwa Lange, Zweckveranlassung, 2014, S. 136 f.; ebenfalls kritisch zu einer objektiven Zweckbestimmung Morlok, in: Gabriel/Gröschner (Hrsg.), Subsumtion, 2012, S. 179, 203. 85 Vgl. Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 188 ff. 86 Zu den Nachweisen oben § 2 D. V. 2. a). 87 Eine ähnliche Bedeutung von Bezwecken legt wohl auch Morlok, in: Gabriel/Gröschner (Hrsg.), Subsumtion, 2012, S. 179, 203 zugrunde, wenn er differenziert zwischen bezweckten Folgen und lediglich erwünschten Nebenfolgen. Zum Unterschied von Wille und Bezwecken auch Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, 141987, S. 279 f. 83
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und subjektive Vorhersehbarkeit. Der Wille bezieht sich nur auf das Ergebnis, die Finalität verknüpft dagegen Handlung und Erfolg durch den „Zweckzusammenhang“. Subjektive Finalität impliziert damit das Vorliegen einer subjektiven Vorhersehbarkeit88 und besteht folglich aus der Vorhersehbarkeit und dem Willen des Zurechnungsadressaten. Seziert man die Finalität weiter und unterscheidet die objektive und subjektive Ausprägung, so lässt sich auch bei der objektiven Finalität die Vorhersehbarkeit als Voraussetzung extrahieren. Denn ohne eine Vorhersehbarkeit kann objektiv keine Bezweckung festgestellt werden. Bei der objektiven Finalität kommt es nicht auf den Willen an oder dieser ist nicht feststellbar. Hier genügt, dass sich der Wille aus dem Verhalten ergibt, wofür ein gewisser Grad an Wahrscheinlichkeit ausreichen dürfte. Die Verbindung zur Adäquanz ist unübersehbar. Kommt es nun bei der Bestimmung des Willens auf objektive Kriterien an, wie eine gewisse Wahrscheinlichkeit oder Vorhersehbarkeit, dann ist diesem „Abzweig“ der objektiven Finalität kein Mehrwert im Vergleich zur objektiven Vorhersehbarkeit oder der Adäquanz zuzugestehen. Die Finalität enthält nach alledem ebenfalls das Merkmal der Vorhersehbarkeit. Die Vorhersehbarkeit selbst lässt sich weitergehend untergliedern in eine objektive wie subjektive Komponente. Während die subjektive Vorhersehbarkeit auf den Horizont des beteiligten Subjekts abstellt, wird bei der objektiven Vorhersehbarkeit der Erkenntnisstand eines gedachten Dritten hinzugezogen. Aus dieser Verkettung von Vorhersehbarkeit und Finalität wird zum Teil – aufgrund des ohnehin begrenzten Erkenntnisgewinns durch ein Abstellen auf subjektive Elemente des Zurechnungsadressaten in einigen Rechtsbereichen – geschlossen, es komme lediglich auf die Vorhersehbarkeit an und nicht auf die zumeist ohnehin nur objektiv bestimmte und daher im Kern „unechte“ Finalität.89 Daneben wird die Finalität auch teilweise offen mit der Frage der Vorhersehbarkeit kurzgeschlossen oder gleichgesetzt.90 Finalität in der subjektiven Ausprägung ist eine innere Tatsache, die, ähnlich wie der Wille, schwerlich nachweisbar ist. Dies ist gerade in Bereichen des Gefahrenabwehrrechts, bei der es auf die zügige, äußerliche Erkennbarkeit eines Sachverhalts ankommt, eher untauglich. Wenn die Bestimmung daher ohnehin 88 Ebenso Lange, Zweckveranlassung, 2014, S. 136; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte, 1970, S. 23. 89 Vgl. Lange, Zweckveranlassung, 2014, S. 134. 90 In diese Richtung etwa Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte, 1970, S. 23. Er meint, dass die Finalität fehle, wenn die Folge subjektiv nicht erkannt wurde oder objektiv nicht erkannt werden konnte. Die Finalität geht damit praktisch vollständig in der Betrachtung der Vorhersehbarkeit auf. Kritisch dazu Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, S. 140, siehe dort insbesondere Fn. 294 mit zahlreichen Nachweisen.
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durch objektive Merkmale erfolgt, könnte man auch gleich die leichter erkennbaren äußeren Kriterien ohne Umweg über subjektive Kriterien nutzen.91 Zum Teil wird das subjektive Element daher grundsätzlich abgelehnt und der Vorsatz als untaugliches Kriterium zur Zurechnung von Verhalten Dritter bezeichnet.92 Teilweise wird die Finalität dagegen auch als notwendige, teilweise als hinreichende Zurechnungsbegründung verwendet.93 Eine Unanwendbarkeit in einigen Teilbereichen führt aber noch nicht zu einer Nutzlosigkeit des Zurechnungsgrundes als solchen. Daneben dürften beide Perspektiven nebeneinander zu plausiblen Ergebnissen führen und sich nicht ausschließen: Ist die subjektive Gemengelage nicht eindeutig, was regelmäßig der Fall sein dürfte, ist zur Unterstützung immer noch eine Argumentation mit objektiven Umständen denkbar. Es stellt sich damit die grundsätzliche Frage, ob die Finalität als Merkmal weiter zu verfolgen ist. Die Finalität ist mit dem Makel behaftet, dass sie neben der Vorhersehbarkeit als zentralem Merkmal auch den Willen enthält. Es wurde bereits herausgearbeitet, dass der Wille allein ein äußerst schwaches und unselbständiges Kriterium zur Zurechnungsbegründung ist, da die Zurechnung teilweise sogar dem Zweck dient, den entgegenstehenden Willen des Zurechnungsadressaten zu überwinden. Der Wille, und damit auch das Merkmal der Finalität, stoßen auch bei solchen Zurechnungsfragen an ihre Grenzen, bei denen es um die Zurechnung von Exzessen geht, denn auf die Exzesse ist der Wille regelmäßig nicht gerichtet. Der Zweckveranlasser hat in der Regel keinen Willen, gefährliches Verhalten hervorzurufen: Der Schaufensterinhaber will kein Verkehrschaos, sondern lediglich ein Anhalten so vieler interessierter Personen, dass keine Gefährdung eintritt. Der Geschäftsherr will keine Pflichtverletzung des Erfüllungsgehilfen, sondern nur das ordnungsgemäße Erfüllungsverhalten. Lässt man einen generellen Willen genügen94, verschwimmt die Trennschärfe des subjektiven Elements allerdings erheblich, denn dann wird etwas zugerechnet, was nah am Gewollten ist oder möglicherweise auch vorhersehbar ist, aber eben nicht das Gewollte selbst. Diese Diskrepanz zwischen Reichweite des subjektiven Elements und dem Zurechnungsgegenstand spricht gegen eine Nutzung subjektiver Merkmale zur Zurechnungsbegründung.
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Lange, Zweckveranlassung, 2014, S. 134. Ders., Zweckveranlassung, 2014, S. 135. 93 Umfassende Nachweise bei Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, 140. 94 In diese Richtung wohl Bott, Wissenszurechnung bei Organisationen, 2000, S. 38: Der Wille muss sich nur auf das Handeln des anderen an sich beziehen, nicht auf das im Ergebnis zugerechnete Verhalten. 92
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Auf der anderen Seite lässt sich für die Finalität ins Feld führen, dass sie einen kraft Vorhersehbarkeit bestehenden Verantwortungszusammenhang durch den Willen jedenfalls verstärkt. Entscheidend ist die verschiedene Wertigkeit der Zurechnungszusammenhänge: Eine Zurechnung von Verhalten, das nicht nur vorhergesehen, sondern darüber hinaus auch noch gewollt war, ist naheliegender und plausibler als ein lediglich vorhergesehenes Verhalten Dritter. Die subjektive Prägung durch den Willen verstärkt den Verantwortungszusammenhang. Ist aber eine Abstufung erkennbar, dann spricht nichts dagegen, den Willen im Zusammenspiel mit der subjektiven Vorhersehbarkeit als starkes Indiz für eine Zurechnung zu nutzen. Stärkstes Indiz für die Zurechnung ist damit die subjektive Finalität, welche aus dem Willen und der subjektiven Vorhersehbarkeit besteht. Weit weniger stark ist dann die subjektive Vorhersehbarkeit als alleinigem Kriterium, welches noch anschließend besprochen wird. Die objektive Finalität wird als Zurechnungsgrund nicht weiterverfolgt, da sie in den Gründen der objektiven Vorhersehbarkeit und Adäquanz95 aufgeht und keinen eigenständigen Anwendungsbereich mehr enthält. Die Finalität wird in einigen Fallgestaltungen zufriedenstellend als Zurechnungsgrund eingesetzt und soll auch für die weitere Untersuchung Verwendung finden. Die Verwendung als Zurechnungsgrund muss aber ähnlich beschränkt bleiben wie beim Willen. Als positive Wendung zur Zurechnungsbegründung ist sie denkbar. Als negativer Zurechnungsgrund ist sie dagegen nicht brauchbar. Denn fehlende (subjektive) Finalität ist kein Grund gegen die Zurechnung96 und auch kein absoluter Zurechnungsgrund, schließlich wäre dann beim Grundrechtseingriff die oben dargestellte Lösung97 mangels Finalität nicht gangbar. Dies würde aber bedeuten, unbeabsichtigte Nebenfolgen staatlichen Handelns schutzlos zu belassen. Es ist gemeinhin anerkannt, dass dieses Ergebnis nicht haltbar ist.98 Die Zurechnungsbegründung durch Finalität ist eine besondere Ausprägung der Willenszurechnung. Hier wird der Wille des Zurechnungsadressaten mit der Vorhersehbarkeit verknüpft. Durch die Verknüpfung mit der Vorhersehbarkeit wird der Wille als unselbständiger, das heißt allein unbrauchbarer Zurechnungsgrund zu einem selbständigen Zurechnungsgrund der Finalität zusammengesetzt. Die Finalität ist mit anderen Worten eine besonders starke Form des Zurechnungsgrundes des Willens. Mit der Verknüpfung von Wille und Vorhersehbarkeit ist die Finalität damit dem Vorsatz sehr ähnlich: Denn auch dieser verknüpft 95
Siehe unten § 4 A. II.14. Für den Eingriff Siehe etwa Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 195 f. 97 § 2 D. III. 1. 98 Vgl. etwa Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte, 1970, S. 22. 96
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Wissen und Wollen im Rahmen des Verschuldensprinzips.99 Das Wissenselement ist mit der reinen Vorhersehbarkeit beim Zurechnungsgrund der Finalität vergleichsweise schwach ausgeprägt, die Vorhersehbarkeit weist hier mit dem Für-möglich-Halten aus dem Vorsatz100 gewisse Schnittmengen auf. Auf die positive Kenntnis als stärkeres Wissenselement kommt es für die Finalität nicht weiter an, hier ist aber auch bei den Wissenselementen eine entsprechende Abstufbarkeit zu erkennen. Das Wollenselement tritt in Form des Bezweckens deutlich gewichtiger hervor, was sich mit der Absicht als dem Wollen der Tatbestandsverwirklichung101 vergleichen lässt. Die Verknüpfung der beiden Zurechnungsgründe von Vorhersehbarkeit und Wille formt hier mit dem Vorsatz in Form der Absicht einen aus dem Verschuldensprinzip bekannten Zurechnungsgrund. Es ergibt sich damit, dass die subjektive Finalität, bestehend aus subjektiver Vorhersehbarkeit und dem Willen als rein positivem Zurechnungsgrund, Anwendung finden kann. Bei der Finalität handelt es sich, ebenso wie bei dem Willen, um keinen absoluten Zurechnungsgrund, da diese in vielen Fällen lediglich zur Verstärkung der Zurechnungsbegründung herangezogen wird, ein Fehlen aber nicht zum Ausschluss der Zurechnung führt. Folglich liegt lediglich ein relativer Zurechnungsgrund vor. Als Rechtsgedanke der (subjektiven) Finalität lässt sich folglich für die Zurechnungsgründe extrahieren: Der Zurechnungsadressat muss den bezweckten und gewollten Zurechnungsgegenstand grundsätzlich gegen sich gelten lassen, oder konkreter: Derjenige, der einen Erfolg durch einen Dritten bezweckt und damit will sowie vorhersieht, muss das Handeln des Dritten gegen sich gelten lassen.102 5. Interesse Das Interesse als Zurechnungsgrund ist zunächst objektiv zu bestimmen und unabhängig vom subjektiven Willen.103 Das Interesse im oben verstandenen Sinne weist viele Schnittmengen mit anderen Zurechnungsgründen auf, etwa der Beherrschung, vor allem aber der Arbeitsteilung. Der Grad des Interesses zeigt an, wie stark eine Subordination oder Beherrschung zwischen den Subjekten ausgeprägt ist. Je stärker das eigene Interesse 99
Statt aller etwa Dauner-Lieb, in: Dauner-Lieb/Langen (Hrsg.), BGB, 42021, § 276 Rn. 10. Etwa Grüneberg, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 276 Rn. 10. 101 Schaub, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.03.2021, § 276 Rn. 53. 102 Ähnlich Sachs, in: Stern (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band III/2, 1994, S. 76, 189 in Bezug auf den Grundrechtseingriff. 103 Heinze, Rechtsnachfolge in Unterlassen, 1974, S. 78 f., 85. 100
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des Handelnden ist, desto geringer ist die auf ihn gerichtete Beherrschung. Je schwächer sein eigenes Interesse ausgeprägt ist, desto stärker deutet dies auf ein Subordinationsverhältnis hin. Als Beispiel kann hier die Mittäterschaft genannt werden, bei der beide Mittäter ein hohes eigenes Interesse an ihrem Handeln haben und daher keine Unterordnung oder Beherrschung zu erkennen ist. Beim Besitzdiener hat der Handelnde gar kein Interesse und findet sich auch tatsächlich in einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis wieder. Weniger deutlich ist dies beim mittelbaren Besitzer, der auch ein gewichtiges eigenes Interesse an der Sache hat und bei dem deshalb keine starke Subordination erkennbar ist. Insgesamt scheint das Handeln eines Subjekts im Interesse eines anderen Subjekts tendenziell für eine Zurechnung zu sprechen, ist auch in allen oben genannten Beispielen zwar denkbarer Zurechnungsgrund, bei näherer Betrachtung indes nur von untergeordneter Bedeutung: Zwar kann das Interesse auf den Grad der Beherrschung hinweisen, nur aus dem Interesse kann sich allerdings die Beherrschung nicht ergeben. Auch bei der Mittäterschaft wurde schon als bestimmender Zurechnungsgrund die Absprache, das heißt die wechselseitige Willensübereinstimmung, hervorgehoben. Das Interesse mag hier zur Unterstützung herangezogen werden, ist aber kein zu prüfendes Kriterium der Mittäterschaft, wenn man die subjektive Täterlehre der Rechtsprechung außer Betracht lässt. Daneben ist das Abhängigkeitsverhältnis beim Besitzdiener nicht durch ein Abstellen auf das Interesse zu erfassen. Eine Begleiterscheinung der untergeordneten Stellung ist zwar das fehlende eigene Interesse, ein gegenteiliger Schluss, dass fehlendes Interesse auf eine soziale Abhängigkeit hindeutet, ist aber daraus nicht zu ziehen. Das Merkmal des Interesses kann allein nicht ausschlaggebend sein, wie auch der Blick auf weitere Beispiele verdeutlicht, etwa das Handeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht. Egal, ob im Interesse eines anderen gehandelt wird oder nicht, das Handeln außerhalb der Vertretungsmacht wird nicht eo ipso zugerechnet, sondern erst nach der Genehmigung durch den Vertretenen, § 179 Abs. 1 BGB. Handeln im Interesse eines anderen ist damit erst dann eine ausreichende Zurechnungsbegründung, wenn das Handeln im fremden Interesse auch mit dem Willen des Zurechnungsadressaten geschieht. Dies lässt sich auch aus den Wertungen der – in dieser Arbeit mangels weitergehender Relevanz nicht behandelten – Geschäftsführung ohne Auftrag ableiten. Das Handeln im fremden Interesse genügt nicht, es bedarf bei der Führung eines fremden Geschäfts noch der Übereinstimmung mit dem Willen des Geschäftsherrn als weiterer Voraussetzung.104 Ebenso ist es beim Erfüllungsgehilfen, der nur dann „für“ den Schuldner
104 Siehe etwa Sprau, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, Einf v § 677 Rn. 4.
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agiert, wenn er mit Wissen und Wollen desselben handelt.105 Ist neben dem Handeln im Interesse des Zurechnungsadressaten auch ein entsprechender Wille des Zurechnungsadressaten erforderlich, dann liegt aber bereits eine Einschaltung im Sinne der weiter oben bereits angeklungenen und noch unten näher zu präzisierenden Arbeitsteilungsdefinition vor.106 Dem Interessegedanken kommt damit lediglich innerhalb der Arbeitsteilung Gewicht zu und nicht als selbständiger Zurechnungsgrund. Ein allgemeiner Rechtsgedanke, dass die Auswirkungen eines Verhaltens Dritter durch denjenigen getragen werden sollen, in dessen Interesse das Verhalten geschieht, ist nicht zu gewinnen.107 Als unselbständiger Zurechnungsgrund kann das Interesse aber mit schwacher Begründungskraft dennoch beibehalten werden. Als Rechtsgedanke ergibt sich folglich: Das Handeln Dritter im Interesse eines Subjekts kann bei Vorliegen weiterer Zurechnungsgründe zurechnungsbegründende Wirkung entfalten. 6. Arbeitsteilung Es wurden bereits die Schwierigkeiten skizziert, die bei der Nutzung der Arbeitsteilung als Zurechnungsgrund entstehen. Im Folgenden sollen die dargestellten Zurechnungsbegründungen bewertet und Verknüpfungen zu den anderen Zurechnungsgründen hergestellt werden. Zunächst muss mit einem Definitionsversuch begonnen werden, um die Arbeitsteilung von anderen Zurechnungsgründen abgrenzen, aber auch um die Begründungsansätze einordnen zu können. Arbeitsteilung ist nach hiesigem Verständnis die wissen- und willentliche Einschaltung eines anderen im eigenen Interesse. a) Argumentationsansätze und ihre Bewertung Bei einem Verständnis nach der oben angeführten Definition zeigt sich die Verbindung der Einzelwerke zum Gesamtwerk durch das Interesse des Einschaltenden. Dies deckt sich mit den oben herausgearbeiteten Motiven des BGB, auch 105
§ 2 C. V. 1. Siehe bereits oben § 2 C. V. 1. und sogleich § 4 A. II. 6. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 22014, S. 181; Larenz, JuS 1965, 373, 375; Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn für schuldlos erlittene Schäden des Geschäftsführers beim Auftrag und bei der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag, 1965, S. 49 ff. nennen zwar das Handeln im fremden Interesse als Zurechnungsgrund, verbinden damit aber den Risiko-Nutznießungsgedanken, welcher bei der Arbeitsteilung Anwendung findet. Die Genannten gehen auch bei dem Handeln im fremden Interesse von Wissen und Wollen des Zurechnungsadressaten aus, sodass danach ein Gleichlauf mit der hiesigen Arbeitsteilungsdefinition gegeben ist. 107 Ebenso Spiro, Die Haftung für Erfüllungsgehilfen, 1984, S. 61. 106
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dort wurde aus dem Einschalten des Gehilfen im eigenen Interesse auf das eigene Risiko des Schuldners geschlossen.108 Ähnlich wird beim Erfüllungsgehilfen auf den „Pflichtenkreis“ abgestellt, in dem die Arbeitsteilung in der Regel stattfindet: Derjenige, in dessen Pflichtenkreis Aufgaben erledigt werden, muss sich an dem Verhalten der eingesetzten Personen festhalten lassen. Für die Haftung des Erfüllungsgehilfen wird zum Teil von einer „Einschaltungshaftung“109 gesprochen, wenn nämlich der Schuldner einen anderen an seiner Stelle in seinem Pflichtenkreis handeln lässt und sich damit einer anderen Person „bedient“ im Sinne des § 278 BGB, so soll der Schuldner für das Verhalten der Hilfsperson einstehen.110 Hierbei handelt es sich nicht um eine eigene Kategorie der Zurechnung111, sondern um einen unselbständigen Aspekt, der hier unter dem Oberbegriff Arbeitsteilung Platz finden soll. Denn bei genauerer Betrachtung bestehen große Ähnlichkeiten zum hier verwendeten Begriff der Arbeitsteilung: Der Pflichtenkreis, welcher durch die Parteien vereinbart ist, entspricht dem Interesse. Setzt der Schuldner den Gehilfen in seinem „Pflichtenkreis“, also zur Erfüllung seiner Pflichten im Schuldverhältnis ein, dann handelt dieser abstrakter gesprochen im Interesse des Schuldners. Wen die Pflichten treffen, welche der eingeschaltete Dritte erfüllt, dessen Interesse wird durch die Einschaltung auch verfolgt. Der Vorteil der Arbeitsteilung wird durch die Übernahme des „Personalrisikos“ – also durch eine Ausweitung der Haftung – ausgeglichen. Dieser häufiger in der Zurechnungsbegründung anzutreffende „Risiko-Nutznießungsgedanke“112, 108
Nachweise auch zu den nachfolgend erneut aufgegriffenen Ansichten finden sich – sofern nicht separat angegeben – zur Vermeidung von Dopplungen bei der Darstellung unter § 2 C. V. 2. c). 109 Vgl. Westermann, JuS 1961, 333, 338; Granitza, Erfüllungsgehilfen- und Repräsentantenhaftung, 1969, S. 127. 110 Zustimmend Granitza, Erfüllungsgehilfen- und Repräsentantenhaftung, 1969, S. 130. 111 So aber anschließend an Westermann, JuS 1961, 333, 335 dann Granitza, Erfüllungsgehilfen- und Repräsentantenhaftung, 1969, S. 126 ff., der drei Gruppen von Zurechnungsnormen unterscheidet: Die Repräsentationshaftung, die Einschaltungshaftung und die mittelbare Verschuldenshaftung. 112 Die Formulierung stammt von Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 143 ff. Siehe zu der Argumentationslinie etwa bereits Westermann, JuS 1961, 333, 335; Granitza, Erfüllungsgehilfen- und Repräsentantenhaftung, 1969, S. 127; ähnlich Schultz, NJW 1990, 477, 479; Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S. 77; Rohde, Die Wissenszurechnung bei rechtsgeschäftlicher Tätigkeit einer juristischen Person, 1999, S. 95; Di Fabio, JZ 2020, 1073, 1075; Morlok, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, 22013, § 52 Rn. 64. Ohne die Arbeitsteilung ausdrücklich zu benennen stellen auch Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2 2014, S. 181; Larenz, JuS 1965, 373, 375; Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn für schuldlos erlittene Schäden des Geschäftsführers beim Auftrag und bei der berechtigten Geschäfts-
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der eine besondere Ausprägung des Interesses darstellt113, lässt sich an einer Vielzahl von Zurechnungskonstellationen nachweisen, etwa beim Erfüllungsgehilfen oder bei der Frage der Grundrechtsgebundenheit. Das Argument, der Vorteil der Arbeitsteilung müsste auch durch den Nachteil der Zurechnung ausgeglichen werden, ist jedenfalls für den privatwirtschaftlichen Verkehr in seiner Pauschalität ernstzunehmenden Einwänden ausgesetzt;114 schließlich liegt der Nutzen der Arbeitsteilung zwar vorerst beim Einsetzenden, von den Erleichterungen profitiert aber mittelbar auch der Geschäftspartner115 und weiter gedacht auch das gesamte System, welches durch Arbeitsteilung an Komplexität gewinnt. Dennoch ist der Grundgedanke der Argumentation richtig: Die unmittelbare Erleichterung hat der Einsetzende, er kann eigene Aufgaben auslagern. Es erscheint sinnvoll, dass er für diese Vorteile auch einen „Preis“ zahlen muss. Ein Teil des Nutzens wird „abgeschöpft“, aber nicht grundlos, sondern um Dritte zu schützen. Eine einseitige und vollständige Risikozuweisung lediglich aufgrund des Nutznießungsarguments ist damit freilich nicht verbunden.116 Ein ähnliches Ausgleichsargument wird verfolgt, wenn man davon ausgeht, dass die Zurechnung der Erfolge der Arbeitsteilung Hand in Hand gehen muss mit den Misserfolgen. Wer sich die Erfüllungshandlungen in Arbeitsteilung zurechnen lassen möchte, muss sich auch die bei gleicher Gelegenheit begangenen Verletzungshandlungen des Erfüllungsgehilfen zurechnen lassen. Dies ist die Idee der Zurechnungseinheit, die letztendlich argumentativ deutliche Ähnlichkeiten zum obigen Risiko-Nutznießungsgedanken aufweist. Teilweise wird die Zurechnung bei der Arbeitsteilung außerdem mit der erhöhten Schutzwürdigkeit des Dritten begründet. Arbeitsteilung steigert für den Dritten, dem gegenüber die Arbeit geteilt wird, das Risiko von Schädigungen. Es sind nun Einwirkungsmöglichkeiten durch Personen denkbar, die sich der Dritte unter Umständen gar nicht als Vertragspartner ausgesucht hat. Insofern spricht die Risikoerhöhung für eine erhöhte Schutzwürdigkeit des Dritten, welcher
führung ohne Auftrag, 1965, S. 49 ff. und insbesondere S. 52 für die Tätigkeit Dritter in fremden Interesse auf das Risiko-Nutznießungsargument ab. 113 Nutzen und Interesse gehen für die Zurechnungsbegründung argumentativ in dieselbe Richtung, siehe dazu auch Heinze, Rechtsnachfolge in Unterlassen, 1974, S. 81, der Beherrschung und Interesse als Zurechnungsgründe ausmacht, für das Interesse aber ebenfalls den Nutznießungsaspekt bemüht. 114 Vgl. Bott, Wissenszurechnung bei Organisationen, 2000, S. 48 ff. 115 Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 144 f.; ähnlich Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 1979, S. 95; vgl. auch Spiro, Die Haftung für Erfüllungsgehilfen, 1984, S. 60 f. Kritisch auch Ulber, in: Westermann/Grunewald/MaierReimer (Hrsg.), Erman Bürgerliches Gesetzbuch, 162020, § 278 Rn. 1. 116 Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 145.
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durch die Zurechnung gedient wird.117 Außerdem wird die Risikoerhöhung freiwillig durch den Einschaltenden vorgenommen, sodass dieser im Vergleich zum Dritten weniger schutzwürdig erscheint. Zur Schutzwürdigkeit zählt auch der Aspekt des Umgehungsschutzes. Durch Einschaltung von Personen in der Sphäre des Geschäftspartners soll sich die Rechtsstellung des Dritten nicht verschlechtern. Hierhin gehört auch der Gedanke, dass man sich durch Delegation keinen Pflichten entziehen können soll. Auf derartige Schutzwürdigkeitserwägungen wird noch separat einzugehen sein.118 Daneben ist das Risiko, welches durch die Handlungen des Eingeschalteten hervorgerufen wird, vom Einschaltenden beherrschbar, er kann den Eingeschalteten überwachen und vor allem aussuchen. Diese Begründung nach der Risikobeherrschung lässt bereits Gemeinsamkeiten mit dem Zurechnungsgrund der Beherrschung erkennen und soll dort unter dem Stichwort der Risikobeherrschung thematisiert werden.119 Ginge man so weit, im Sinne des Gleichstellungsarguments zu behaupten, der Einschaltende müsse so stehen, als habe er selbst gehandelt, dann wird Folge und Begründung der Zurechnung kurzgeschlossen. Den Zurechnungsadressat mit Merkmalen auszustatten, die jemand anderes verwirklicht hat und ihn damit so zu stellen, als habe er die Hauptnorm selbst verwirklicht, ist die Idee und das Ziel der Zurechnung, nicht aber ihre Begründung. Mit einem solchen Zirkelschluss würde die Zurechnung letztlich mit sich selbst begründet.120 Anders gewendet ist das Argument aber brauchbar: Wenn eine Zurechnung damit begründet wird, dass der arbeitsteilig Handelnde nicht besser stehen soll als der allein Handelnde, so zielt dies im Kern auf Schutzwürdigkeitserwägungen ab. Ob durch Arbeitsteilung jemand besser steht, ist einerlei – ohne Vorteile für den Einschaltenden würde dieser keine Arbeitsteilung anstreben und die Zurechnung würde die Arbeitsteilung „abwürgen“ –, entscheidender ist, dass die Kehrseite dieser Besserstellung eine Verschlechterung der Rechtslage beim Geschäftsgegner darstellen kann. Diese Schlechterstellung des Vertragspartners ist als Schutzwürdigkeitserwägung zu verhindern. Das Gleichstellungsargument ist damit eine in Fällen der Arbeitsteilung besonders ausgeformte Schutzwürdigkeitserwägung.121 Der Ein117 Ähnlich Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S. 77. 118 Zur Schutzwürdigkeit siehe oben § 3 D. XVIII. und unten § 4 A. II.16. 119 Dazu sogleich unter § 4 A. II. 7. 120 Grundsätzliche Kritik am Gleichstellungsargument bei Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 1979, S. 75 ff.; Bott, Wissenszurechnung bei Organisationen, 2000, S. 56 ff. 121 Umfassend Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 176 ff. und S. 186 ff. m. w. N. Kritisch zum Gleichstellungsargument und dem Versuch, das Drei-Personen-Verhältnis wieder in
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schaltende darf also sehr wohl durch die Einschaltung Vorteile genießen, diese dürfen aber nicht zulasten des Dritten gehen. Überzeugend, aber gleichwohl den vorigen Argumenten vergleichbar, ist der Versuch, durch die Ausweitung des Machtbereichs durch Arbeitsteilung auch auf eine Ausweitung der Haftung zu schließen. b) Zusammenfassung Die Arbeitsteilung wird gemeinhin als Zurechnungsgrund angesehen122, wenngleich dem Begriff bisher, wie bereits vorab gezeigt, eine klare Konturierung fehlt. Die hinter der Begrifflichkeit der Arbeitsteilung liegenden Wertungsgesichtspunkte und Argumentationslinien sind indes ähnlich, genannt sei hier nur das häufig anzutreffende Ausgleichsargument, dass der Vorteil der Einschaltung eines Dritten durch Arbeitsteilung die Ausweitung der Haftung als Nachteil ausgeglichen werden müsse.123 Die Erwägungen überschneiden sich mit Aspekten der Risikoerhöhung oder anderen Schutzwürdigkeitserwägungen. Teilweise werden Aspekte der Arbeitsteilung und Risikosteigerung auch mit solchen der Beherrschung kurzgeschlossen, wenn für die Zurechnung etwa ins Feld geführt wird, durch die Arbeitsteilung werde ein Risiko geschaffen, welches der Einschaltende beherrschen kann.124 Die genaue Ausgestaltung des Arbeitsteilungsbegriffs wird in Teilen auch ähnlich dem hier eingebrachten Vorschlag vorgenommen, etwa wenn auf Wissen und insbesondere Wollen des Einschaltenden ebenso abgestellt wird wie auf das Handeln im Interesse des Einschaltenden, wobei der Wille des Eingeschalteten
ein Zwei-Personen-Verhältnis umzuwandeln etwa Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 8. 122 Aus dem Öffentlichen Recht Morlok, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, 22013, § 52 Rn. 64 in Bezug auf das Verschuldensprinzip und Rn. 57 ff. in Bezug auf die „Aufgabenbezogene Zurechnung“, welche starke Ähnlichkeit mit einer funktionalen Betrachtung im Sinne der hiesigen Arbeitsteilung aufweist. Siehe daneben aus dem Zivilrecht Bott, Wissenszurechnung bei Organisationen, 2000, S. 46; Rohde, Die Wissenszurechnung bei rechtsgeschäftlicher Tätigkeit einer juristischen Person, 1999, S. 95 ff.; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 198; Schultz, NJW 1990, 477, 479; Richardi, AcP 169 (1969), 385, 398 ff.; Oldenbourg, Die Wissenszurechnung, 1934, S. 42. Von einem Zurechnungsgrund der „arbeitsteiligen Veranlassung“ spricht Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 1979, S. 95 ff.; Schmidt-Kessel/Kramme, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 152020, § 278 Rn. 1 mit Verweis auf BGH NJW 1006, 451 und auf Grundmann, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82019, § 278 Rn. 3. 123 Siehe die Nachweise in § 4 Fn. 112. 124 Bott, Wissenszurechnung bei Organisationen, 2000, S. 46.
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unbeachtlich sein soll.125 Daneben soll aber der Wille der Zurechnung unerheblich sein, der (generelle) Wille der Arbeitsteilung genüge.126 c) Eigener Ansatz Auch wenn die Begründungsansätze teils stark voneinander abweichen, zum Teil aber auch sehr ähnliche Aspekte in eine neue Terminologie bringen, so lässt sich aus der Haftung für das Fehlverhalten von Hilfspersonen als allgemeiner, auch in anderen Rechtsordnungen existierender Rechtsgrundsatz127 – respondeat supe rior – ohne Weiteres auch eine Zurechnung kraft Arbeitsteilung entwickeln. Überzeugend ist, trotz aller Bedenken, die argumentative Anknüpfung an die Nutznießungs- oder Gleichstellungsargumentation, denn sie versucht bereits, das Risiko billig zu verteilen: Sie preist den Nutzen, die Verantwortung der Risikoschaffung und Schutzwürdigkeitserwägungen in die Verteilung der Verantwortlichkeit ein und sorgt damit – auch in ökonomischer Hinsicht – für eine effiziente Verteilung des Risikos.128 Entscheidendes Element einer Begründung durch Arbeitsteilung ist der Pflichtenkreis und das hinter der Einsetzung stehende Interesse an dem Gesamtwerk. Daneben hat der Einschaltende durch Hinzuziehung eines Dritten (Arbeitsteilung) ein Risiko geschaffen, daran muss er sich grundsätzlich festhalten lassen. Eng verbunden mit dem ganzen Komplex der Arbeitsteilung sind damit Aspekte der Schutzwürdigkeit. Arbeitsteilung erscheint solange nicht zurechnungsrelevant, wie sie für Dritte keine Nachteile bringt. Drohen Dritte durch Arbeitsteilung einer Seite Nachteile zu erleiden, kommt die Zurechnung der benachteiligten Partei zu Hilfe, um entstandene Billigkeitslücken schließen zu können, 125
Bei der von Westermann erdachten Fallgruppe der Einschaltungshaftung begrenzt dieser die Zurechnung durch Arbeitsteilung auf solche schuldrechtlichen Pflichten, die zwischen Einschaltendem und Dritten bestehen. Weiterhin ist auch für ihn der Wille des Gehilfen irrelevant, für die Arbeitsteilung dagegen auch ein Wille des Einschaltenden erforderlich. Weiterhin ist die Einschaltung zur Erfüllung der eigenen vertraglichen Verpflichtungen eine Art des Handelns Fremder im eigenen Interesse. Siehe dazu Westermann, JuS 1961, 333, 338. Ebenfalls auf ein Handeln Dritter im eigenen Interesse abstellend in Bezug auf die begriffliche Umrahmung der Arbeitsteilung Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 198. Wenn die Zielsetzung der Handlung des Amtswalters im hoheitlichen Aufgabenbereich liegt, will dies auch Morlok, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, 22013, § 52 Rn. 56 als Argument für die Zurechnung begreifen. Hierin lässt sich im weitesten Sinne auch der Interessenaspekt wiedererkennen, wenn man das Handeln im staatlichen Aufgabenbereich als Handeln in fremden Interesse begreift. 126 Etwa Richardi, AcP 169 (1969), 385, 398 ff. 127 Wicke, Respondeat Superior, 2000, passim. 128 Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 146 spricht bei aller Kritik auch an der pauschalen Anwendung des Arguments von einem „Gerechtigkeitstopos“.
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wie sich anhand der Ausweitung der Grundrechtsbindung oder der Haftung für den Erfüllungsgehilfen zeigt. Hier wie dort ist originäres Ziel der Zurechnung bei Arbeitsteilung die Verhinderung von Nachteilen für schutzwürdige Dritte. Arbeitsteilung als Zurechnungsbegründung ist damit eine besondere Form der Schutzwürdigkeitserwägung. In einem engen Zusammenhang stehen Arbeitsteilung und Absprache. Auch wenn man zunächst auf den Gedanken kommen könnte, der Arbeitsteilung liege zwangsläufig eine Absprache zugrunde, so lassen sich auch Konstellationen der Arbeitsteilung auffinden, in denen keine Absprache, sondern ein Beherrschungsverhältnis zugrunde liegt, etwa bei der mittelbaren Täterschaft. Absprache und Arbeitsteilung sind damit nebeneinander anwendbare Zurechnungsgründe. Die Arbeitsteilung verstärkt die Zurechnung über Beherrschung oder Absprache hinaus. In der Arbeitsteilung, also der Einschaltung eines anderen, liegt notwendig auch der Wille des Einschaltenden, der Eingeschaltete möge Handlungen vornehmen. Insofern ist Arbeitsteilung vom Willen des „Geschäftsherrn“ getragen, egal, ob der Einschaltende die Arbeitsteilung durch Abrede oder Beherrschung herbeiführt. Dies zeigt sich unter anderem bei der Haftung für den Erfüllungsgehilfen: Dort muss der Einschaltende den Willen zur Einschaltung des Dritten haben, auf konkrete Handlungen muss sich der Wille nicht beziehen.129 Und auch bei der gewillkürten Stellvertretung ist die Zurechnung vom Willen des Einschaltenden abhängig, er hat die Wirksamkeit der Stellvertretung durch seine Vollmachterteilung schließlich in der Hand. Insofern ist der bereits oben angeführte Begriff des „Willenswerkzeugs“130 durchaus passend. Bei der zugrunde gelegten Definition der Arbeitsteilung ist auch das Interesse inkludiert. Eine Interessenzurechnung allein ohne Willen des Zurechnungsadressaten ist dabei, wie gezeigt, nicht denkbar.131 Allerdings kann das Interesse unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsteilung, das heißt unter Verknüpfung mit dem Willen und der Kenntnis des Zurechnungsadressaten, fruchtbar gemacht werden, nicht aber als selbständiger Zurechnungsgrund. Wille und Interesse sind zwar keine selbständigen Zurechnungsgründe, sie können aber unter dem Dach der Arbeitsteilung, also zusammengesetzt, eine Zurechnung begründen. Weiterhin sind auch Beherrschungsaspekte erkennbar, denn das Risiko, welches durch die Handlungen des Eingeschalteten hervorgerufen wird, ist vom Einschaltenden beherrschbar, er kann diesen überwachen und vor allem aussuchen. 129 Siehe die Nachweise bei ders., Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 386 und oben § 2 C. V. 1. 130 Siehe oben § 2 Fn. 236. 131 Siehe § 4 A. II. 5.
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§ 4 Grundgedanken einer allgemeinen Zurechnungslehre
Diese Begründung verbindet die Zurechnungsgründe der Arbeitsteilung und Beherrschung miteinander. Materieller Grund hinter der Arbeitsteilung sind besondere Schutzwürdigkeitserwägungen und insbesondere der Schutz Dritter vor Nachteilen unter Berücksichtigung der Nutzenverteilung: Der Dritte soll durch die Einschaltung von Hilfspersonen nicht schlechter stehen als bei einem eigenen Verhalten des Zurechnungsadressaten. Arbeitsteilung ist nach alledem ein lediglich relativer Zurechnungsgrund, dessen Vorliegen für eine Zurechnung, dessen Fehlen aber nicht gegen eine Zurechnung spricht. Unter Arbeitsteilung ist zusammenfassend das von Wissen und Willen des Einschaltenden getragene Handeln eines anderen im Interesse des Einschaltenden zu verstehen. Als Rechtsgedanke für die Zurechnung lässt sich daraus folgender Rechtssatz extrahieren: Wer einen anderen mit Wissen und Wollen im eigenen Interesse einschaltet, der muss sich das Verhalten zurechnen lassen, soweit die Schutzwürdigkeit Dritter betroffen ist. 7. Beherrschung Beherrschung heißt im Kontext der Zurechnung Beherrschbarkeit132, wird aber teilweise auch als Beherrschenkönnen133 oder Steuerbarkeit134 bezeichnet. Gemeint ist die potenzielle, nicht notwendigerweise ausgeübte Beherrschung über einen Geschehensablauf, eine Person oder einen Zustand. Die Beherrschung als zurückhaltendes Verständnis von Herrschaft konnte bei vielen der untersuchten Zurechnungsbeispiele nachgewiesen werden. Der teilweise vorgebrachte Aspekt der besonderen Nähe zur Gefahr oder zum Risiko ist ebenfalls ein Aspekt der Beherrschung. Die besondere Nähe wird durch die Einwirkungsmöglichkeiten bestimmt. Liegt eine besondere Nähe vor, dann liegen regelmäßig auch besonders ausgeprägte Einwirkungsmöglichkeiten vor. Ist jemand der Gefahr am nächsten, ist damit auch die größtmögliche Einwirkungsmöglichkeit gegeben, womit diese Person unter Umständen „Herrscher“ ist und Beherrschbarkeit innehat. Aus der Stellung als „Gefahrnächster“ folgt die Annahme einer Beherrschbarkeit. „Die Gefahrtragung geht mit der Gefahrbeherrschung Hand in Hand.“135 132
So etwa Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 1979, S. 79, 100 ff. 133 Diese Bezeichnung findet sich bei Heinze, Rechtsnachfolge in Unterlassen, 1974, S. 85 f. 134 Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S. 86 f.; Richardi, AcP 169 (1969), 385, S. 385 ff. und S. 395 ff. 135 Müller-Erzbach, AcP 106 (1910), 309, 415.
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Nicht erforderlich ist die Beherrschung konkreter Verhaltensweisen. Dem entspricht auch die Einordnung des Beherrschungskriteriums als abstrakte Beherrschung136, was die von konkretem Verhalten losgelöste Beherrschungsmöglichkeit meint. Bei der Grundrechtsbindung etwa müssen auch keine einzelnen Verhaltensweisen des gemischtwirtschaftlichen Unternehmens konkret beherrscht werden, es genügt, dass der Staat durch die Mehrheit der Anteile durchgreifen könnte und es in Zukunft kann. Es geht nur um die theoretische rechtliche oder tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit, nicht eine konkrete Einwirkung zur Verhinderung einer Handlung. Beherrschbarkeit liegt nach Auswertung der obigen Anwendungsbeispiele bereits dann vor, wenn das Verhalten Dritter verhinderbar ist. Hier ist allerdings keine Verhinderbarkeit im Sinne einer retrospektiven conditio-sine-qua-non-Kausalitätsbetrachtung gemeint, – schließlich wäre dieses Kriterium dann uferlos –, sondern im Sinne einer rechtlichen Verhinderungsmacht. Verhinderbarkeit im kausalen Sinne ist die hypothetische Verhinderung der zuzurechnenden Handlung durch Hinwegdenken einer Handlung. Verhinderbarkeit im Sinne einer rechtlichen Beherrschung ist dagegen die Verhinderung für die Zukunft, ob also das möglicherweise bereits eingetretene Verhalten für die Zukunft verhindert werden könnte. Die Nichtausübung der Beherrschung (im eigenen Herrschaftsbereich) zur Abänderung des Verhaltens Dritter führt dann zu einer Zurechnung. Maßgeblich für die Beherrschung ist eine gewisse Einwirkungs- und Kontrollmöglichkeit als notwendige Bedingung.137 Dieser Gedanke lässt sich auch bei einer Begründung über die Risikobeherrschung wiederfinden.138 Ohne Einwirkungsmöglichkeit lässt sich nicht von einer Beherrschung sprechen. Das Organisationsrisiko liegt bei demjenigen, welcher die abstrakte Beherrschbarkeit inne136 Zur Unterscheidung von abstrakter und konkreter Beherrschung etwa Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 1979, S. 79. 137 In diese Richtung etwa bei der Verantwortung für „Outsourcing“ bei weiterhin bestehenden Einwirkungsmöglichkeiten Di Fabio, JZ 2020, 1073, 1075. Unter Rückgriff auf die ökonomische Agenturtheorie etwa Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 202 f. Eine Haftung entlang der Einwirkungssphäre und eine dementsprechende Gefahrverteilung sieht bereits Rümelin, Schadensersatz ohne Verschulden, 1910, S. 45 ff. als denkbar an. Ähnlich ders., Der Zufall im Recht, 1896, S. 37. 138 Canaris, in: Bucher/Canaris/Honsell u. a. (Hrsg.), Norm und Wirkung, 2005, S. 179, 206; Bott, Wissenszurechnung bei Organisationen, 2000, S. 46; Medicus, in: Klingmüller (Hrsg.), Möglichkeiten zur Wissenszurechnung, 1994, S. 4, 11 ff.; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 198; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 482. Zur Gefahrbeherrschung als Zurechnungsgrund Müller-Erzbach, AcP 106 (1910), 309, 347 ff., 413 ff., 439; Spiro, Die Haftung für Erfüllungsgehilfen, 1984, S. 71 f.; Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 200 f. und zuletzt etwa Breuer, Wissen, Zurechnung und Ad-hoc-Publizität, 2020, S. 48 mit weiteren Nachweisen.
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hat und Auswahl- und Überwachungsmöglichkeiten ausüben kann.139 Eine solche Auswahl-, Überwachungs- und Steuerungsmöglichkeit liegt beispielsweise beim Vertretenen vor, dieser kann durch die Ausgestaltung der Vollmacht die Reichweite der Zurechnung beeinflussen.140 Beherrschung kann sich aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ergeben. Dazu zählen auch – wie bei der Grundrechtsbindung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen gezeigt wurde – finanzielle und personelle Abhängigkeiten oder Verflechtungen zwischen juristischen Personen oder entsprechende Kapitalbeteiligungen. Derartige Zurechnungsbegründungen finden sich beispielsweise auch im Kartellrecht, etwa wenn zu bestimmen ist, ob zwei Unternehmen als „wirtschaftliche Einheit“ zu bewerten sind.141 Rechtliche Beherrschung liegt ebenfalls vor bei niedergelegten Durchgriffsrechten auf die beherrschte Organisation, daneben bei der Herrschaft kraft organisierter Machtapparate im Rahmen der mittelbaren Täterschaft. Macht ergibt sich teilweise aber auch aus einer tatsächlichen Machtstellung, etwa aufgrund des sozialen Abhängigkeitsverhältnisses beim Besitzdiener oder der Nötigungs- oder Irrtumsherrschaft im Strafrecht. Die Kriterien, mit denen eine rechtliche oder tatsächliche Herrschaft abgebildet werden können, lassen sich nicht abschließend bestimmen. Erforderlich sind aber Gesichtspunkte, die eine ausreichende Kontrolle des Zurechnungsadressaten auf das Zurechnungssubjekt abbilden können. In Frage zu stellen ist noch, ob der Beherrschung ein subjektives Element immanent ist. Grundsätzlich erforderlich erscheint die Kenntnis des Zurechnungsadressaten von der Beherrschungssituation. Ob zur Beherrschung auch das hinzugerechnet wird, was der Zurechnungsadressat hätte erkennen können, lässt sich unterschiedlich beurteilen. Gerade bei der Anscheinsvollmacht ist dieses Dilemma zu erkennen, denn hier werden im Punkt der Zurechenbarkeit Elemente des Verschuldensprinzips mit dem Risikoprinzip kurzgeschlossen. Dennoch geht die überwiegende Ansicht von der Anwendbarkeit der Anscheinsvollmacht aus.142 Dies soll auch hier zugrunde gelegt werden. Beherrschung ist bereits dann anzunehmen, wenn ein Verhalten oder Zustand beherrscht werden kann.143 Für diese Möglichkeit ist die positive Kenntnis des Beherrschenden nicht erforder-
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Vgl. etwa Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 487. Ebenso etwa Breuer, Wissen, Zurechnung und Ad-hoc-Publizität, 2020, S. 49 m. w. N. 141 Grubert, Die Zurechnung von Verstößen im Kartell- und Vergaberecht, 2019, S. 28 ff. mit weiteren Nachweisen. 142 Siehe dazu oben § 2 C. II. 2. 143 Auf die Möglichkeit der Beherrschung stellt bereits Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, 1927, S. 52 f. ab. Ebenso etwa Heinze, Rechtsnachfolge in Unterlassen, 1974, S. 85. 140
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lich, sondern es genügt, wenn diese Beherrschungsmöglichkeit objektiv hätte erkannt werden können. Beherrschung als Zurechnungsgrund ist graduell abstufbar. Es kann nicht genügen, nur das Ob der Beherrschung zu untersuchen, es bedarf auch einer Betrachtung des Wie. Es sind in den obigen Beispielen besonders stark und weniger stark ausgeprägte Beherrschungsverhältnisse zu erkennen. Während bei der mittelbaren Täterschaft, der Besitzdienerschaft oder der Zustandsverantwortlichkeit über eine Sache wegen der hier vorliegenden intensiven Herrschaft auch Tathandlungen oder Zustände zugerechnet werden, wird bei weniger stark ausgeprägten Formen, etwa bei der Zurechnung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, nur ein einzelner Aspekt, nämlich die Grundrechtsgebundenheit, durch Zurechnung ausgeweitet, nicht aber jegliches Verhalten oder privatrechtliche Ansprüche gegen gemischtwirtschaftlicher Unternehmen zugerechnet. Die Intensität der Zurechnung ist folglich mit der Intensität der Beherrschung verknüpft.144 Man könnte auch in Ansehung der Ausarbeitungen zu den Herrschaftssphären eine Ausweitung des eigenen Rechtskreises bei rechtlicher Beherrschung annehmen: Was rechtlich beherrscht wird, gehört ohne weiteres zum rechtlichen Machtbereich. Wer das Verhalten oder einen Dritten tatsächlich beherrscht, muss sich das Verhalten zurechnen lassen. Die Auswertung hat gezeigt, dass der Beherrschungsaspekt in vielen Spielarten teilweise auch in anderen Zurechnungsgründen Anklang findet, so etwa bei der Zurechnung kraft Rechtsschein oder der Unmittelbarkeit. Die Beherrschung kann als eigenständige Zurechnungsbegründung herangezogen werden, kann aber auch mit anderen Zurechnungsgründen verknüpft werden. Es handelt sich folglich um einen selbständigen Zurechnungsgrund. Wegen der Fälle, in denen auch ohne Beherrschung eine Zurechnung angenommen wird, handelt es sich darüber hinaus um einen relativen Zurechnungsgrund. Beherrschung ist unter Zugrundelegung der hier erfolgten Auswertung ein taugliches Instrument, um die Zurechnung zu begründen.145 Herrschaft kann sich 144
So auch Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 1979, S. 87. 145 Siehe von Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1963, S. 803. Jedenfalls in Bezug auf die Herrschaft über Personen übereinstimmend bereits Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung und die Stellung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs zur objektiven Schadensersatzpflicht, 1896, S. 59. Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 175 spricht von „genereller Beherrschung“ zur Zurechnungsbegründung. Zur Zurechnungsbegründung durch Beherrschung siehe etwa statt aller Heinze, Rechtsnachfolge in Unterlassen, 1974, S. 85 f.; Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 1979, S. 79, 100 ff.; Richardi, AcP 169 (1969), 385, 385 ff. und 395 ff.; Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S. 86 f.; Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag,
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auf tatsächliche oder rechtliche Elemente stützen. Beherrschung bedeutet Beherrschenkönnen und damit vor allem Verhinderbarkeit. Beherrschung ist ein zentrales Merkmal, auf welches eine Zurechnungslehre aufgebaut werden kann. Als Rechtsgedanke ergibt sich folglich, dass einem Subjekt der Zurechnungsgegenstand zugerechnet wird, wenn es diesen beherrschen kann oder beherrscht. Ein Subjekt muss sich beispielsweise das Verhalten eines Dritten zurechnen lassen, wenn das Verhalten oder der Dritte beherrscht werden kann oder beherrscht wird. 8. Sphärenkonstruktion Eine Zurechnung nach Sphären ist getragen von dem Gedanken, dass jedes Subjekt Herrschaft über den eigenen Rechtskreis innehat. Ein allgemeiner Rechtsgedanke seit dem Römischen Recht besteht darin, dass jeder selbst den Schaden zu tragen hat, der im eigenen Bereich eingetreten ist, selbst wenn er zufällig geschieht, casum sentit dominus.146 Was innerhalb des eigenen Machtbereichs passiert, wird also grundsätzlich zugerechnet. Der Rechtskreis ist, wie bereits angedeutet, nicht starr, sondern kann erweitert werden. Denkbares Mittel zur Erweiterung des Rechtskreises ist die Absprache. Dies lässt sich anhand der Mittäterschaft und der Stellvertretung aufzeigen. Weiterhin lässt sich der Rechtsgedanke mit der Arbeitsteilung verknüpfen: Wer Dritte in seiner Sphäre arbeiten lässt, muss sich das Verhalten zurechnen lassen. Dies zeigen die Beispiele der Duldungs- und Anscheinsvollmacht, der Haftung für den Erfüllungsgehilfen, der Repräsentantenhaftung, aber auch der Amtshaftung, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Sphärenzurechnung erscheint nach den hier gezeigten Beispielen als eine bildliche Ausprägung von Herrschaftsbereichen im Recht. Sie bestimmen sich zum Teil nach individueller Absprache wie beim Erfüllungsgehilfen, richten sich aber ansonsten nach dem individuellen Machtbereich. Grundsätzlich liegen Handlungen oder Zustände in dem Machtbereich dessen, der sie verhindern 2012, S. 202 f. sowie die zahlreichen Nachweise zur Risikobeherrschung in § 4 Fn. 138. Bei der stark öffentlich-rechtlich geprägten Betrachtung von Morlok wird eine Zurechnung auf erster Stufe aufgrund eines Beleihungsaktes oder eines Weisungsverhältnisses angenommen. Hierin lässt sich eine Zurechnungsbegründung durch Beherrschung erkennen, siehe Morlok, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, 22013, § 52 Rn. 43 ff. und Rn. 60 ff. Aus strafrechtlicher Perspektive leitet etwa auch Jakobs, Die strafrechtliche Zurechnung von Tun und Unterlassen, 1996, S. 21 mit seiner Lehre von den Organisationskreisen eine entsprechende Zurechnung aus der Herrschaft ab. 146 Was so viel bedeutet wie: „Den Schaden trägt der Eigentümer“. Gemeint ist damit vor allem auch die Gefahr des zufälligen Untergangs. Siehe dazu etwa Waldkirch, Zufall und Zurechnung im Haftungsrecht, 2018, S. 99 ff.
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kann. Macht im Sinne dieser Machtbereiche bedeutet die Verhinderbarkeit, Steuerbarkeit, aber auch jederzeitige Durchgriffsmöglichkeit, ohne dass Dritte dem entgegentreten können. Die Verfügungsmacht über den Dritten bringt diesen in den Herrschaftskreis.147 Versteht man die Sphärenkonstruktionen somit als Beschreibung der Machtbereiche, dann ist die Konstruktion von Beherrschungssphären denkbar eng mit dem Zurechnungsgrund der Beherrschung selbst verbunden, denn nur beherrschte Handlungen gehören zur Herrschaftssphäre. Wenn dies aber augenscheinlich der einzig maßgebliche Punkt der Herrschaftssphären ist, dann bestehen keine Unterschiede zum Zurechnungsgrund der Beherrschung.148 Folglich gehen die Erwägungen von Herrschaftssphären und der Herrschaft als solche ineinander über, sodass die Beschreibung von Sphären keine eigenständige Begründung der Zurechnung ist. 9. Kenntnis Es wurde bereits herausgestellt, dass der Zurechnungsgrund der Kenntnis in den ausgewerteten Zurechnungskonstellationen nur eine untergeordnete Rolle spielt. Ein Problem liegt in der Bestimmung der Reichweite der Kenntnis. Fraglich ist, ob der Zurechnungsadressat den Zurechnungsgegenstand, regelmäßig das genaue Verhalten Dritter, kennen muss oder es ausreicht, wenn Kenntnis vorliegt, dass überhaupt ein Dritter irgendwie tätig wird. Im ersten Fall könnten Exzesse nicht zugerechnet werden, da sie dem Zurechnungsadressat nicht bekannt sind. Das Verhalten des Erfüllungsgehilfen geschieht mit Wissen des Schuldners, allerdings bezieht sich das Wissen nur auf die „geplanten“ Handlungen, nicht die Pflichtverletzung als Exzess. Dies spricht daher für die zweite Lesart, die Kenntnis muss sich nur „im Grundsatz“ auf das Handeln Dritter be147
Ähnliches lässt sich bei Hollands, Gefahrenzurechnung im Polizeirecht, 2005, S. 47 f. erkennen. Indes finden hier unzulässige Verallgemeinerungen dieses Rechtsgedankens statt. Zwar wird zum einen auf das Verfügenkönnen des Herrschenden abgestellt, dann aber mit dem Verrichtungsgehilfen gerade ein Beispiel gewählt, bei dem trotz Weisungsrecht eben keine (zivilrechtliche) Haftungszurechnung vorliegt, sondern lediglich eine Zurechnung bei der (polizeirechtlichen) Gefahrverursachung. Insofern ist die Schlussfolgerung, lediglich vom Weisungsrecht über den Verrichtungsgehilfen auf eine Zurechnung fremden Verhaltens zu schließen, in der Pauschalität nicht haltbar und höchstens rechtsgebietsspezifisch für das Gefahrenabwehrrecht zutreffend. 148 Eine entsprechende Nähe der Sphärentheorie zum Prinzip abstrakter Beherrschbarkeit sieht auch Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 1979, S. 87. Siehe zur ständigen Kontrollierbarkeit der eigenen Sphäre und der daraus abzuleitenden grundsätzlichen Vorhersehbarkeit von Störungen aus der eigenen Sphäre ders., Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 1979, S. 223.
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ziehen, es muss keine genaue Kenntnis vom Zurechnungsgegenstand vorliegen. Diese Problematik verläuft parallel auch beim Bezugspunkt des Willens.149 Die Grundannahme, dass Kenntnis vom Zurechnungsgegenstand, etwa dem Verhalten Dritter, für eine Zurechnung spricht, ist in ihrer Weite zunächst bedenklich: Aus der Kenntnis einer Person über Handlungen einer anderen Person erwächst noch keine Verantwortlichkeit. Und die reine Kenntnis von Kausalverläufen sagt noch nichts darüber aus, ob das Verhalten auch wirklich in den Verantwortungsbereich einer Person fällt. Kenntnis vom Verhalten Dritter zeigt damit keine enge Verbindung zwischen Zurechnungsadressat und Zurechnungsgegenstand an. Gegen die Brauchbarkeit der Kenntnis lässt sich einwenden, dass bei der Beherrschung bereits die Frage verneint wurde, ob eine Kenntnis notwendige Voraussetzung für das Merkmal der Beherrschung ist. Bei den Rechtsscheinvollmachten zeigt sich anhand der Anscheinsvollmacht – sofern man sie anerkennt – die Möglichkeit einer Zurechnung auch ohne Kenntnis, wenngleich hier auf die Vorhersehbarkeit ausgewichen wird. Weiterhin lassen sich die rechtsgebietsspezifischen Einwände gegen eine Beachtung des Willens als subjektives Element für die Zurechnung auch bei der Kenntnis wiederfinden.150 Jedenfalls die positive Kenntnis dürfte als notwendige Voraussetzung einer Zurechnung zu weit gehen, da diese teilweise schwerlich nachweisbar ist. Stellt man auf äußere, objektive Umstände ab, um das Vorliegen der Kenntnis zu bestimmen, dann ist hierbei besonders die Vorhersehbarkeit von Relevanz. Je stärker die Vorhersehbarkeit ausgeprägt ist, desto näher liegt dies an einer (objektiv bestimmten) Kenntnis. Wenn aber die Vorhersehbarkeit entscheidendes Merkmal ist, könnte auf die subjektive Komponente verzichtet werden. Allerdings ist auch hier zu bemerken, dass die Brauchbarkeit der Kenntnis als wesentlich stärker ausgeprägtes Wissenselement als die Vorhersehbarkeit trotz der genannten Gründe nicht vorschnell in Abrede gestellt werden sollte. Die Kenntnis ist in vielen Zurechnungsgründen mitenthalten oder kann mit ihnen zusammengesetzt die Zurechnung begründen. Die Kenntnis ist bei der Duldungsvollmacht bei der Errichtung des Rechtsscheins enthalten, daneben bei der Frage nach der Beherrschung zwar nicht notwendige Bedingung, aber verstärkendes Element. Auch das oben dargestellte Verschuldensprinzip, insbesondere der Vorsatz, basieren auf Wissen und Wollen.151 Wissen und Wollen ergeben zusammengenommen eine klassische Begründung der Zurechnung im Sinne des
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Siehe dazu oben § 4 A. II. 3. Siehe § 4 A. II. 3. 151 Oben § 4 A. I. 3. a). 150
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Verschuldensprinzips. Weiterhin lässt sich ein Wissenselement auch bei dem Zurechnungsgrund der Arbeitsteilung auffinden.152 Als alleiniges Kriterium zur Begründung einer Zurechnung ist die Kenntnis zwar nicht tragfähig, es handelt sich mithin um einen unselbständigen Zurechnungsgrund, in Zusammenschau mit anderen Gründen kann die Kenntnis aber die Zurechnung begründen. Es gelten damit die gleichen Einschränkungen wie beim Willen als Zurechnungsgrund.153 Kenntnis und Vorhersehbarkeit stehen in einem logischen Konkurrenzverhältnis. Liegt bereits positive Kenntnis als Wissenselement vor, dann ist die reine Vorhersehbarkeit bereits gegeben. Als Rechtsgedanke ergibt sich damit: Wer Kenntnis von einem Zurechnungsgegenstand hat, muss sich diesen bei Bestehen weiterer Zurechnungsgründe unter Umständen zurechnen lassen. 10. Risikoerhöhung Gerade in den vornehmlich zu lösenden Dreieckskonstellationen und der Zurechnung von einem Subjekt zum anderen erscheint die Risikoerhöhung zwar als denkbarer Begründungsansatz154, ist aber in anderen hier genannten Zurechnungsgründen bereits mitenthalten. Für die Risikoerhöhung als solche ist neben dem Beherrschungsaspekt155, der Arbeitsteilung156, den Schutzwürdigkeitserwägungen und dem Schutzzweck der Norm nach den hier ausgewerteten Beispielen kein eigener Anwendungsbereich erkennbar. Daneben ist das „Risiko“ bereits unscharf zu bestimmen, ob es etwa um das Risiko für Schädigungen oder das Risiko eines Rechtsscheins geht; weiterhin fehlt ein brauchbarer Maßstab, welches Risiko erhöht und welches als „normal“ zu veranschlagen ist.157 Wenn man dies auf den Rechtsgedanken bringen wollte, 152
Dazu oben unter § 4 A. II. 6. Siehe oben § 4 A. II. 3. 154 So etwa Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 482. 155 Etwa „Wagnisbeherrschung“ im Rahmen der Gefährdungshaftung bei Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, 1941, S. 100. 156 Westermann, JuS 1961, 333 f. gibt zu bedenken, dass mit zunehmender Arbeitsteilung die Einwirkungsmöglichkeiten, nicht aber das Vermögen des Handelnden stiegen. Je größer demnach die Arbeitsteilung, desto stärker sei das Bedürfnis nach einer Haftungsausweitung durch Zurechnung. Derjenige, der die Einwirkungsmöglichkeiten durch Einschaltung steigert, solle auch das Risiko tragen. Hier wird somit die Arbeitsteilung mit der Risikoerhöhung verbunden. 157 Ähnliche Kritik an der schwierigen Abgrenzbarkeit von gefährlichen und nicht-gefährlichen Tätigkeiten etwa bei Edlbacher, in: Wilburg (Hrsg.), Festschrift zum 60. Geburtstag von Walter Wilburg, 1965, S. 81, 85 m. w. N. Eine umfassende Analyse findet sich bereits bei Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung und die Stellung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs 153
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dass demjenigen zugerechnet wird, der ein Risiko geschaffen hat, erscheint dies sehr weit und auch nicht mit ausreichend konturierten Kriterien hinterlegt, schließlich geht es bei Zurechnung nicht immer um Fragen der Risikoschaffung für Dritte. Der Gedanke der Risikoerhöhung erscheint freilich als eine der tragenden Säulen der materiellen Begründung der zivilrechtlichen Gefährdungshaftung. Hier wird die Haftung verschuldensunabhängig und auch ohne Erfordernis einer Rechtswidrigkeit allein aufgrund der besonderen Gefährlichkeit begründet158, was sich mit dem Gedanken der Risikoerhöhung verbinden lässt. Da die Gefährdungshaftung aber auch nur dann zu einer Zurechnung führt, wenn die Gefahr durch den Zurechnungsadressaten geschaffen und somit beherrscht wird oder jedenfalls aus seinem Machtbereich stammt159, lässt sich die Gefährdungshaftung als ein Anwendungsfall des Zurechnungsgrundes der Beherrschung konstruieren: Wer eine Gefahr beherrscht oder sie aus dem eigenen Machtbereich entweichen lässt, der muss sich unter dieser Begründung die Folgen unter Umständen zurechnen lassen. Wer eine (später) unbeherrschbare Gefahr schafft, handelt durch die – noch beherrschte Schaffung – offenkundig fahrlässig, sodass sich eine Zurechnung aus dem Verschuldensprinzip ergeben kann. Lücken verbleiben bei einem derartigen Verständnis nicht, sodass die Risikoerhöhung als eigener Zurechnungsgrund nicht weiterverfolgt werden braucht. Sofern unter Risikoerhöhung eine besondere Gefahrschaffung verstanden wird, die über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht, dann wäre vielmehr das allgemeine Lebensrisiko als Zurechnungsausschlussgrund zu untersuchen.160 Die hierbei virulenten Fälle, etwa die Herausforderungsfälle, lassen sich indes als Schutzzweckerwägung verstehen und sollen auch dort besprochen werden.
zur objektiven Schadensersatzpflicht, 1896, S. 46 ff.; Rümelin, Der Zufall im Recht, 1896, S. 31 ff. 158 Zur Gefährdungshaftung Deutsch, JuS 1981, 317, 318; Edlbacher, in: Wilburg (Hrsg.), Festschrift zum 60. Geburtstag von Walter Wilburg, 1965, S. 81, 85 f.; Esser, Schuldrecht Allgemeiner und Besonderer Teil, 21960, S. 159. Zur Gefährdungshaftung im Öffentlichen Recht etwa Jaenicke, VVDStRL 20 (1963), 135 ff.; Leisner, VVDStRL 20 (1963), 185 ff.; Morlok, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, 22013, § 52 Rn. 69 ff. 159 Zur Verbindung von Gefährdungshaftung und Herrschaftssphäre bereits Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung und die Stellung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs zur objektiven Schadensersatzpflicht, 1896, S. 56 f. 160 Siehe dazu Deutsch, VersR 1993, 1041 ff.
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11. Unmittelbarkeit Die Unmittelbarkeit ist begrifflichen Unsicherheiten ausgesetzt. In der Literatur, aber auch der Rechtsprechung, wird der Begriff denkbar unterschiedlich verwendet.161 Teilweise wird die Unmittelbarkeit abgelehnt in Fällen, in denen Kausalketten von einer oder mehreren Zwischenursachen unterbrochen werden; teilweise wird die Unmittelbarkeit auch mit der Rechtsqualität kurzgeschlossen und beim Grundrechtseingriff von mittelbar-faktischen Eingriffen gesprochen.162 Weiterhin finden sich auch Ansichten, die in der Unmittelbarkeit lediglich eine Beachtung des Normzwecks sehen oder letzten Endes eine wertende Betrachtung zur „Abgrenzung von Verantwortungsbereichen“ fordern, was die Unmittelbarkeit aber zu einer begrifflichen Hülle ohne inhaltlichen Mehrwert herabstuft.163 Bereits oben angeklungen ist die Verbindung des Sphären-Gedankens mit der Unmittelbarkeit. Gerade in Fallgestaltungen, in denen es um die Zurechnung von Handlungen anhand von Kausalverläufen geht, sind beide Gründe deckungsgleich: Wenn der Kausalverlauf ohne Eintritt in einen anderen Machtbereich, also die Sphäre Dritter, zu einem Erfolg führt, dann liegt eine unmittelbare Verursachung vor; tritt dagegen ein Dritter hinzu, liegt nur eine mittelbare Verursachung vor. Unmittelbarkeit bedeutet danach, dass kein Dritter selbstverantwortlich eingegriffen hat.164 Vergewissert man sich der Bedeutung der Unmittelbarkeit, dann deutet diese auf einen besonders engen Zusammenhang von Ursache und Wirkung hin. Schließlich ist mit der notwendigen Bedingung der Kausalität die äquivalent-kausale Verursachung bereits gegeben. Mit der Unmittelbarkeit wird dann darüber hinaus bestimmt, dass kein anderes Subjekt zwischen Handlung und Erfolg steht. Der bestehende (kausale) Ursachenzusammenhang wird dadurch wesentlich verstärkt, da im Falle der Unmittelbarkeit der „Letztverursacher“ im Sinne des „letztverursachenden Subjekts“ in Rede steht. Ist Unmittelbarkeit das Gegenstück zum Dazwischentreten Dritter, dann könnte man zunächst annehmen, dass die Abgrenzung von Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit der Unterscheidung von Eigen- und Fremdzurechnung gleichkommt. 161 Zu anderen Bedeutungen der Unmittelbarkeit aus der verfassungs- und verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung siehe die umfassende Betrachtung bei Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 197 ff. 162 Zahlreiche Nachweise bei ders., Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 207; kritisch dazu etwa Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, 32013, Vorb. Rn. 125 m. w. N. 163 Siehe dazu die Nachweise bei Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 207 f.; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte, 1970, S. 90. 164 Für den Grundrechtseingriff etwa Hobusch, JA 2019, 278, 279; ähnlich Hufen, Staatsrecht II, 82020, § 8 Rn. 10.
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Dies erscheint auf den ersten Blick plausibel, folgt doch aus dem Fehlen Dritter im Kausalverlauf auch das Fehlen entsprechender Merkmale oder Verhalten Dritter, die zugerechnet werden müssten. Fremdzurechnung ist nach dem oben dargelegten Ansatz gegeben, wenn der Zurechnungsgegenstand mit einem zweiten Subjekt verbunden ist oder der Zurechnungsgegenstand von einem anderen Subjekt erfüllt ist.165 Nicht vom Anwendungsbereich der Fremdzurechnung erfasst ist damit die Zurechnung von Naturereignissen oder auch von zufälligen Ereignissen, da es sich hierbei um keine Subjekte im hier relevanten Sinne handelt. Naturereignisse unterbrechen aber auch die Unmittelbarkeit nicht: Der staatliche Betreiber einer Mülldeponie greift unmittelbar in die Grundrechte des benachbarten Bauern ein, wenn dieser durch angelockte Tiere geschädigt wird.166 Das Verhalten der Tiere, die keine Dritten im Sinne der Fremdzurechnung und der Mittelbarkeit sind, wird zugerechnet. Diese Kausalglieder sind zwar nicht vom Zurechnungsadressaten selbst erfüllt, aber eben auch nicht von einem anderen Subjekt erfüllte oder mit einem solchen verbundene Merkmale. Sie sind damit nicht „fremd“, es handelt sich vielmehr um eine Eigenzurechnung. Augenscheinlich stellt die Unterscheidung von Fremd- und Eigenzurechnung sowie von Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit auf die gleichen Kriterien ab. In beiden Fällen geht es um die Frage, ob ein anderes Subjekt selbstverantwortlich eingegriffen hat oder nicht. Für die Abgrenzung ist nicht die Frage von Belang, ob ein Zwischenglied in der Kausalkette vorhanden ist, entscheidend ist vielmehr, ob es sich dabei um ein Subjekt handelt. Die Unmittelbarkeit ist nach diesem Verständnis nicht lediglich die Herausarbeitung der letzten Ursache, sondern der letzten durch ein Subjekt gesetzten Ursache. Insoweit sind Fremdzurechnung und Mittelbarkeit sowie Eigenzurechnung und Unmittelbarkeit kongruent. Ein Blick in die Entwicklung der Rechtsprechung in der Staatshaftung, die oben bereits kurz angerissen wurde, spricht gegen die Unmittelbarkeit als eigenständigem Zurechnungsgrund. Während die Rechtsprechung beim enteignungsgleichen Eingriff zunächst das Unmittelbarkeitserfordernis im Sinne einer strengen naturwissenschaftlichen Bedeutung verstanden hat und nur auf die Letztursache abgestellt hat167, so ist sie von diesem Standpunkt mittlerweile abgerückt und hat das Kriterium der Unmittelbarkeit für weitere Wertungsgesichtspunkte, insbesondere Adäquanz- und Schutzzweckerwägungen, geöffnet.168 Ist aber die 165
Siehe dazu oben § 1 A. X. Siehe dazu BGH NJW 1980, 770. 167 Etwa BGHZ 54, 332; 55, 229. 168 Beispielhaft BGHZ 92, 34, 41; BGH NJW 1980, 770. Für eine Zusammenfassung der Rechtsprechungsentwicklung siehe etwa Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 62013, S. 301 ff.; Lange, Zweckveranlassung, 2014, S. 240. 166
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Unmittelbarkeit allein nicht in der Lage, die Zurechnung zu begründen und bedarf sie zusätzlicher Kriterien, um sachgerechte Ergebnisse zu produzieren, dann könnte man schlussfolgern, dass in der Unmittelbarkeit allein nicht die Lösung zur Begründung der Zurechnung für einer Vielzahl von Zurechnungskonstellationen gefunden werden kann. Allerdings greifen diese Bedenken nicht völlig durch. Naturereignisse, also etwa das Verhalten der Vögel im obigen Mülldeponie-Beispiel, werden bei unterstellter Kausalität so lange zugerechnet, wie kein Ausschlussgrund eingreift. Hier kommen in Betracht die fehlende Beherrschbarkeit, die Atypik des Kausalverlaufs im Sinne der Adäquanz oder auch Schutzzweckerwägungen. Dass nun Zurechnungsausschlussgründe die Zurechnung unterbrechen können, ist allerdings kein Argument gegen die Unmittelbarkeit als Zurechnungsgrund. Die Zurechnungsgründe gelten nicht zwangsläufig absolut, sondern sind stets einer Interessenabwägung ausgesetzt. Auch die besondere Verbindung von Unmittelbarkeit und den entgegengesetzten, oben genannten Ausschlussgründen, deutet nicht auf eine inhaltliche Durchsetzung der Unmittelbarkeit mit diesen Punkten hin. Die Eigenzurechnung und Unmittelbarkeit stellen bei unterstellter Kausalität augenscheinlich eine Vermutung für die Zurechnung dar, da kein anderes Subjekt mehr zwischen Verursachung und Verursachungserfolg liegt. Ist nur ein Subjekt kausal und unmittelbar verantwortlich, lässt sich die Äquivalenzformel probat begrenzen. Hier kommen dann lediglich Zurechnungsausschlussgründe in Betracht, um die Zurechnung zu unterbrechen. Umgekehrt scheint bei der Mittelbarkeit beziehungsweise Fremdzurechnung zunächst eine Vermutung gegen die Zurechnung zu sprechen, da es mit dem dazwischentretenden Rechtssubjekt nach dem Grundsatz der Selbstverantwortlichkeit ein ebenfalls selbstverantwortliches Subjekt gibt, welches sich in die Verursachungskette schiebt. Zur Begründung der Zurechnung bedarf es folglich neben der Kausalität noch weiterer Erwägungen. Die untersuchten Beispiele untermauern eine derartige Sichtweise. Im Falle des Grundrechtseingriffs wird vertreten, die Kausalität und die Unmittelbarkeit genügten, um die Zurechnung herzustellen. Umgekehrt ist die Zurechnung im Falle der Mittelbarkeit aber nicht ausgeschlossen, sondern lediglich in Relation zur Unmittelbarkeit besonders rechtfertigungsbedürftig, andernfalls könnte es die Fallgruppe der mittelbaren Eingriffe überhaupt nicht geben. Der Unmittelbarkeit kommt damit eine Filterfunktion zu. Sie gibt an, ob Dritte in den Kausalverlauf eingetreten sind. Ist dies der Fall, müssen sich (gewichtigere) materielle Gründe finden lassen, warum das Verhalten Dritter zugerechnet werden soll, um den Grundsatz der Selbstverantwortlichkeit zu durchbrechen, da die Mittelbarkeit indiziell gegen eine Zurechnung spricht. Ist die Verursachung unmittelbar, also ohne Dazwischentreten Dritter eingetreten, dann spricht dies
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zusammen mit der Kausalität zunächst für eine Zurechnung. Dies lässt sich mit der eingangs dargestellten Verbindung zum Sphärengedanken begründen, welcher wiederum mit dem Herrschaftsgedanken verbunden ist: Von dem Ausgangspunkt, dass der Kausalverlauf bis zum Eintritt in die „Geschädigtensphäre“ in der Macht des Zurechnungsadressaten liegt, ist die Unmittelbarkeit mit der Beherrschung und der Abgrenzung nach Verantwortlichkeitssphären verbunden. Liegt die Unmittelbarkeit zusammen mit der Kausalität vor und sind keine anderen positiven wie negativen Zurechnungsgründe gegeben, dann spricht dies in der Interessenabwägung für eine Zurechnung. Es handelt sich somit um einen selbständigen Zurechnungsgrund, der in dem genannten Fall keiner weiteren Zurechnungsgründe mehr bedarf. Wegen der verschiedenen Konstellationen, in denen eine Zurechnung auch ohne die Unmittelbarkeit begründet werden kann, handelt es sich um einen relativen, keinen absoluten Zurechnungsgrund. Als Rechtsgedanke ergibt sich daraus, dass eine Zurechnung zu einem Subjekt naheliegt, welches ein Verhalten oder einen Erfolg unmittelbar, das heißt als letztverantwortliches Subjekt, herbeigeführt hat. 12. Rechtsschein Aus den untersuchten Beispielen lässt sich eine Zurechnung aufgrund Rechtsscheins herleiten. Im Falle der Rechtsscheinvollmachten ist neben dem Rechtsschein selbst die Zurechenbarkeit desselben erforderlich. Die Zurechenbarkeit deutet bereits von der Wortbedeutung her auf eine Verbindung mit der Zurechnung hin. Die Anscheins- und Duldungsvollmacht erfordern neben der Erzeugung des Rechtsscheins durch das Verhalten Dritter auch einen Konnex zwischen diesem Verhalten und dem Zurechnungsadressaten. Dieser liegt vor entweder bei Nichtverhinderung trotz Kenntnis (Duldungsvollmacht) oder Kennenmüssen (Anscheinsvollmacht), aber auch bei aktiven Handlungen, etwa durch die Vollmachtserteilung des Vertretenen gegenüber dem Dritten (§§ 170, 171 BGB) oder der Aushändigung einer entsprechenden Urkunde (§ 172 BGB). Der angebliche Vertreter kann einen noch so starken Rechtsschein beim Vertragspartner erzeugen, eine Zurechnung kommt im Falle der Duldungs- und Anscheinsvollmacht erst bei einer Gutgläubigkeit des Dritten und der Zurechenbarkeit zustande: Nur wenn der Hintermann das den Rechtsschein erzeugende Verhalten gekannt und geduldet hat (Duldungsvollmacht), es nicht kannte, aber hätte erkennen und damit verhindern können (Anscheinsvollmacht) oder anderweitig an der Erzeugung des Rechtsscheins beteiligt war, kommt eine Zurechnung in Betracht. Die Zurechenbarkeit kann daher umschrieben werden als die Verantwortlichkeit des Zurechnungsadressaten für den Rechtsschein. Es ist die in der Fallgestaltung von Anscheins- und Duldungsvollmacht notwendige wer-
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tende Verbindung, welche die Zurechnung begründet. In dieser Zurechenbarkeit sind dann weitere Zurechnungsgründe verborgen, die es freizulegen gilt. Bei der Duldungsvollmacht ist dies die Kenntnis von dem Handeln des Dritten, bei der Anscheinsvollmacht wird auf das Verschuldensprinzip und damit die Fahrlässigkeit, also Verhinderbarkeit trotz Vorhersehbarkeit, zurückgegriffen. Wenn Zurechenbarkeit die Verantwortlichkeit über den Rechtsschein darstellt, dann liegt hierin auch eine Art von Beherrschung verborgen. In den genannten Fallgruppen der Rechtsscheinvollmachten hat es der Vertretene in der Hand, den Rechtsschein zu durchbrechen, ihn zu verhindern. Er beherrscht mit anderen Worten den Rechtsschein durch die bei der Zurechenbarkeit relevanten Merkmale. Denn die Zurechenbarkeit ist die Möglichkeit, den Rechtsschein zu zerstören oder die Entstehung zu verhindern. Und Beherrschung bedeutet Verhinderbarkeit. Diese Möglichkeit der Verhinderung des Rechtsscheins ist regelmäßig die Minimalvoraussetzung der Zurechnung bei den Rechtsscheinvollmachten.169 Nimmt man dies als Grundlage, dann erscheint auch beim Rechtsschein ein Beherrschungselement zum Tragen zu kommen. Wer den Rechtsschein beherrscht, muss ihn auch gegen sich gelten lassen. Dementsprechend wird als Folge der Rechtsscheinzurechnung der auf den Rechtsschein Vertrauende so gestellt, als ob der Rechtsschein der Wirklichkeit entsprechen würde.170 Nun könnte man auf die Idee kommen, die Rechtsscheinzurechnung wegen der prominenten Bedeutung der Beherrschung insgesamt dem Beherrschungsaspekt unterzuordnen. Dafür spricht, dass taugliche Gegenstände der Beherrschung nicht nur Subjekte und Objekte sind, sondern auch Zustände. Für den Zustand „Rechtsschein“ könnte durch Beherrschung ein Subjekt verantwortlich sein, womit einer Zurechnung nichts im Wege stünde. Dagegen ist einzuwenden, dass die Beherrschbarkeit in Form der Zurechenbarkeit bei anderen Rechtsscheinkonstellationen fehlt, bei der oben untersuchten Neutralitätspflicht für Amtsträger hat der Staat kein Beherrschungsmittel über den gesetzten Rechtsschein. Da Beherrschung ein besonders relevantes, aber nicht zwangsläufiges Element der Rechtsscheinzurechnung ist, hat der Rechtsschein als Zurechnungsgrund zu Recht seine eigenständige Bedeutung. Rechtsscheinzurechnung kann es demnach mit und ohne Zurechenbarkeit im Sinne einer Beherrschung geben. Je stärker der Rechtsschein ausgeprägt ist, desto geringere Anforderungen sind an die Zurechenbarkeit zu stellen. Wird durch 169
Vgl. Schubert, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 167 Rn. 119. 170 Vgl. dazu näher in Bezug auf die Vertrauenshaftung bereits Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 518 und 521 ff.; Canaris, in: Bydlinski/Krejci/Schilcher u. a. (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, S. 103, 108.
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den Besitz der Rechtsschein des Eigentums erzeugt, dann handelt es sich hierbei um einen starken, weil gesetzlich fixierten Rechtsschein. § 1006 BGB lässt den Dritten unzweifelhaft darauf vertrauen, dass der Besitzer auch Eigentümer ist. Weniger stark ausgeprägt ist der Rechtsschein bei den genannten Rechtsscheinvollmachten nach §§ 170–172 BGB, da das Innenverhältnis für den Dritten nicht erkennbar ist. Zugunsten des Vertretenen ist hier die Zurechnung durch das die Tatbestände beeinflussende Merkmal der Zurechenbarkeit nur auf diejenigen Fälle begrenzt, in denen dieser durch die in den Normen genannten Handlungen selbst einen entsprechenden Anlass für den Rechtsschein gegeben hat. In den Fällen der Duldungsvollmacht ist der Rechtsschein nicht durch aktives Tun des Vertretenen entstanden, sondern lediglich durch die Handlungen des Vertreters. Der Rechtsschein ist also weniger stark ausgeprägt, sodass hier stärkere Anforderungen an die Zurechenbarkeit zu stellen sind, damit der Vertretene nicht – entgegen der Wertung des § 179 Abs. 1 BGB – ohne weiteres durch einen Vertreter ohne „echte“ Vertretungsmacht verpflichtet wird. Der Rechtsschein wird hier verstärkt um den Zurechnungsgrund der Kenntnis, da die Duldung die Nichtverhinderung trotz Kenntnis ist.171 Im Falle der Anscheinsvollmacht ist statt der Kenntnis die vorwerfbare Unkenntnis, also die subjektive Vorhersehbarkeit und Verhinderbarkeit des Vertreterhandelns, also ein weit weniger anspruchsvolles Wissenselement erforderlich. Je stärker damit der entstandene Rechtsschein ausgeprägt ist, desto geringere Anforderungen sind an die Zurechenbarkeit zu stellen und umgekehrt. Die „Zurechenbarkeit des Rechtsscheins“ ist keine Zurechnung im Rechtssinne. Der Rechtsschein braucht nicht zugerechnet werden, dieser ist nämlich in keiner Hauptnorm strittig und muss nicht von einem Subjekt auf ein anderes übertragen werden. Gemeint ist mit der Zurechenbarkeit eine wertende Betrachtung der Verantwortlichkeit für den Rechtsschein. Schließlich reagiert die Rechtsscheinhaftung gemeinhin auf eine Steigerung des Risikos durch den Belasteten der Rechtsscheinhaftung172, da ein entsprechender Vertrauenstatbestand geschaffen wird.173 Und nur wenn eine Verantwortung für den Rechtsschein besteht, ist eine Haftung entsprechend des Rechtsscheins billig. Neben den hier untersuchten Rechtsscheinvollmachten lässt sich eine Zurechnung durch Rechtsschein auch in anderen Konstellationen auffinden, etwa bei der kartellrechtlichen Bestimmung einer wirtschaftlichen Einheit mehrerer Unternehmen durch Abstellen auf die gemeinsame Außendarstellung derselben.174 171
Siehe die Nachweise oben unter § 2 Fn. 252 und bei § 2 C. II. 2. Schubert, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 167 Rn. 116. 173 Larenz, JuS 1965, 373, 374 und 377 f. 174 Grubert, Die Zurechnung von Verstößen im Kartell- und Vergaberecht, 2019, S. 53 f. 172
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Die Rechtsscheinzurechnung ist eng verbunden mit Schutzwürdigkeitserwägungen. Wenn bei der Zurechenbarkeit etwa die Gutgläubigkeit des Dritten Relevanz entfaltet, dann lässt sich daraus ableiten, dass Rechtsscheinerwägungen genau diesem Zwecke dienen sollen. Die Zurechnung kraft Rechtsschein hat ihren materiellen Grund in der Schaffung eines Vertrauenstatbestandes, wobei das Vertrauen des Dritten schutzwürdig ist. Erneut stellt sich auch hier die bei der Beherrschung aufgeworfene Frage, ob die Zurechenbarkeit des Rechtsscheins bereits gegeben ist, wenn der Beherrschende den Rechtsschein hätte erkennen können oder ob tatsächliche Kenntnis vorliegen muss. Wenn aber der Rechtsschein und die Verhinderung objektiv zu bestimmen sind, dann spricht einiges dafür, dass es auf die Kenntnis als zwingende Voraussetzung nicht ankommen kann. Hier kann auf die obigen Ausführungen zur Beherrschung verwiesen werden.175 Dieses Verständnis entspricht im Übrigen den Anforderungen an die Anscheinsvollmacht, die, anders als die Duldungsvollmacht, keine positive Kenntnis verlangt. Unabhängig von der für sich genommen geringen Relevanz des Willens des Zurechnungsadressaten als Zurechnungsgrund176 überwindet die Rechtsscheinzurechnung sogar einen entgegenstehenden Willen des Zurechnungsadressaten. Es spielt bei der Anscheinsvollmacht keine Rolle, ob der den Anschein Zulassende innerlich das Handeln begrüßt oder es missbilligt, entscheidend ist lediglich die fahrlässige Unkenntnis. Der Rechtsschein ist somit objektiv zu bestimmen. Liegen dagegen subjektive Merkmale vor, etwa eine entsprechende Kenntnis wie bei der Duldungsvollmacht, dann verstärkt dies die Zurechnung. Die Zurechnung durch Rechtsschein ist in der Lage, nicht vorliegende Zurechnungsgründe zu ersetzen. Dies lässt sich aus der Systematik der Rechtsscheinvollmachten schließen, bei denen die Absprache, etwa das Vorliegen einer rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht, vorrangig untersucht wird. Liegt eine entsprechende Absprache in Form einer wirksamen Vollmachterteilung nicht vor, kommt eine Überwindung durch Rechtsschein in Betracht. Durch das Vorliegen der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht wird der auf den Rechtsschein Vertrauende so gestellt, als ob der Rechtsschein der Wirklichkeit entspricht, und damit eine Vollmacht und abstrakter eine Absprache als Zurechnungsbegründung fiktiv hinzugedacht. Gegenstand des Rechtsscheins dürfte in vielen Fällen ein abstrakter Zurechnungsgrund sein. Der Anschein der staatlichen Form, der Anschein von Arbeitsteilung oder Absprache oder der Anschein einer Beherrschung erscheinen als denkbare Zurechnungskonstellationen, in denen die an sich nicht vorliegenden Zurechnungsgründe durch den Rechtsschein ersetzt werden. 175 176
§ 4 A. II. 7. Siehe oben § 4 A. II. 3.
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Wille, Kenntnis, Vorhersehbarkeit und Beherrschung können zur Ausgestaltung des Rechtsscheins und insbesondere der Zurechenbarkeit des Rechtsscheins herangezogen werden, wodurch der Zurechnungsgrund verstärkt wird. Der Rechtsschein kann die Zurechnung begründen, das Fehlen schließt die Zurechnung indes nicht aus, womit es sich um einen relativen Zurechnungsgrund handelt. Dieser kann auch für sich genommen die Zurechnung begründen und ist folglich ein selbständiger Zurechnungsgrund. Als Rechtsgedanke ergibt sich demnach: Wer einen Rechtsschein zurechenbar veranlasst, muss sich den Gegenstand des Rechtsscheins, regelmäßig einen anderen Zurechnungsgrund, so zurechnen lassen, als ob dieser vorliegt. Oder konkreter in Bezug auf eine Fremdzurechnung: Wer verhindern kann, dass ein Dritter für ihn auftritt, muss sich das Verhalten zurechnen lassen, wenn er trotz Kenntnis oder Kennenmüssen untätig bleibt. 13. Veranlassung Veranlassung rechnet erwartbares, vorhersehbares Verhalten Dritter zu. Beim Zweckveranlasser geht es um erwartbares, vorhersehbares Verhalten Dritter, welches selbst unmittelbar eine Gefahr darstellt, wohingegen das veranlassende Verhalten für sich genommen keine Gefahr darstellt. Und auch die sogenannten Herausforderungsfälle sind gerade dadurch gekennzeichnet, dass nur Schäden aus solchen selbstschädigenden Verhaltensweisen ersetzbar sein sollen, die der „Retter“ aus billigenswerten Motiven erlitten hat und bei denen der Anlass der Verfolgung und das durch die Verfolgung entstehende Risiko in einem angemessenen Verhältnis stehen.177 Die Verbindung zwischen dem Zurechnungsgegenstand, regelmäßig dem Verhalten Dritter, und dem Zurechnungsadressaten liegt zunächst in der kausalen Verursachung. Die Veranlassung muss aber darüber hinausgehen, da ihr sonst kein weitergehender Gehalt zukommen kann. Das Veranlassungsprinzip hilft bei der Begründung der Zurechnung nicht weiter, sofern es als reines „Verursachungsprinzip“ nur als andere Bezeichnung einer reinen Kausalität begriffen wird.178 177 Aus
der Rechtsprechung etwa BGHZ 57, 25, 31 f.; 132, 164, 169; vgl. Wagner, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 8 2020, § 823 Rn. 509 f.; Flume, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 249 Rn. 317. 178 So bereits Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung und die Stellung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs zur objektiven Schadensersatzpflicht, 1896, S. 24 ff. Mit weiteren Nachweisen in Bezug auf die Vertrauenshaftung Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 474.
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Wird das Veranlassungsprinzip aber mit weiteren Bedeutungsgehalten angereichert, so kommen hier etwa der Wille des Handelnden oder Verschuldensoder Adäquanzgesichtspunkte zum Tragen. Dann ist das Prinzip der Veranlassung allerdings kein eigener Zurechnungsgrund, sondern es wird in verschiedenen Fällen zur Erzielung sachgerechter Ergebnisse tatsächlich auf andere Zurechnungsgründe zurückgegriffen, welche lediglich unter dem Begriff der Veranlassung untersucht werden.179 Selbiges gilt für Aspekte der Vorhersehbarkeit oder Adäquanz, welche unter den Begriff der Veranlassung gefasst werden können. Geht es bei der Veranlassung um die Vorhersehbarkeit eines Drittverhaltens als Folge eigenen Verhaltens, dann liegt eine Verbindung zur Adäquanz nahe, denn auch hier wird das zugerechnet, womit nach allgemeiner Lebenserfahrung zu rechnen war. Die Veranlassung enthält dann aber mit Elementen wie Vorhersehbarkeit und Adäquanz weitere materielle Unterpunkte, welche es zu beleuchten gilt. Beim Zweckveranlasser etwa, der eine Gefahr durch Dritte veranlasst hat, bedarf es des Rückgriffs auf, freilich umstrittene, Kriterien, etwa der Unmittelbarkeit oder der Adäquanz. Der Veranlassung als Oberbegriff bedarf es dafür nicht.180 Die Veranlassung als Begründung im Sinne der Schaffung einer über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehenden Gefahr geht nicht über das hinaus, was bereits im Rahmen der Risikoerhöhung thematisiert wurde.181 Der Begriff der Veranlassung kann somit keine taugliche Begründung der Zurechnung darstellen. Geht der Gehalt nicht über Kausalitätsgesichtspunkte hinaus, so ist dies bereits mit der erörterten äquivalenten Kausalität als Zurechnungsgrund abgedeckt. Wird er als wertender Oberbegriff verstanden, sind die dahinter liegenden Wertungen von Belang, welche jedoch ebenfalls in eigens thematisierten Zurechnungsgründen aufgefangen sind. Die Veranlassung wird daher als Zurechnungsgrund nicht weiterverfolgt. 14. Vorhersehbarkeit und Adäquanz Vorhersehbarkeit und Adäquanz werden hier gemeinsam behandelt, sodass es zunächst einer Abgrenzung der Begrifflichkeiten bedarf.
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Vgl. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 476. Ähnlich in Bezug auf hinter dem Veranlassungsprinzip steckende Billigkeitserwägungen bereits Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung und die Stellung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs zur objektiven Schadensersatzpflicht, 1896, S. 26. 181 Siehe § 4 A. II.10. zur Risikoerhöhung und § 4 A. III. 6. zum Schutzzweck. 180
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§ 4 Grundgedanken einer allgemeinen Zurechnungslehre
a) Zur Bedeutung der Adäquanz Begrifflich handelt es sich bei der Adäquanz um die Begrenzung der Zurechnung auf regelmäßige Folgen einer Ursache. Regelmäßig ist eine Folge nach klassischer Lehre, wenn sie nicht vorhergesehen und nicht gewollt ist.182 Adäquanz bedeutet im strafrechtlichen Sinne, dass die Verbindung zwischen Handlung und Erfolgseintritt der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht und nicht außergewöhnlich ist.183 Teilweise wird Adäquanz als gegeben angesehen, wenn der Eintritt der Folge nach allgemeiner Lebenserfahrung vorhersehbar ist.184 Unterschiedlich beurteilt wird dabei, ob es für die Adäquanz einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs bedarf.185 Regelmäßig wird Adäquanz auch negativ umschrieben, dass „der eingetretene Erfolg nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit“186 liegen darf oder dass Ursachen irrelevant sind, welche „unter höchst ungewöhnlichen, […] unvorhersehbaren Umständen“187 zum Erfolgseintritt führen, was einem weitgehenden Gleichlauf zwischen Vorhersehbarkeit und Adäquanz entspricht. Ein adäquater Zusammenhang liegt nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung vor, „wenn eine Tatsache im allgemeinen [sic] und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung eines Erfolgs geeignet war“.188 Die Adäquanzlehre wird teilweise aber auch als überflüssiger „Platzhalter für Billigkeitskriterien“ vollständig abgelehnt.189 b) Gemeinsamkeiten zwischen Vorhersehbarkeit und Adäquanz Es lassen sich unter dem Oberbegriff der Vorhersehbarkeit eine objektive wie subjektive Vorhersehbarkeit unterscheiden. Die objektive Vorhersehbarkeit ist 182 Zur klassischen Adäquanzlehre u. a. von Bars siehe etwa die Kritik bei Bernert, AcP 169 (1969), 423, 426 f. 183 Siehe dazu oben § 2 B. I. 3. 184 Lange, Zweckveranlassung, 2014, S. 118 f. 185 Nachweise bei ders., Zweckveranlassung, 2014, S. 119. 186 Nachweise bei Brandner, Gefahrenerkennbarkeit und polizeirechtliche Verhaltensverantwortlichkeit, 1990, S. 75. 187 Vgl. RGZ 133, 126, 127; BGH NJW 2002, 2232, 2233. Aus der Literatur statt aller Looschelders, Schuldrecht – Allgemeiner Teil, 182020, § 45 Rn. 13. 188 Siehe nur BGHZ 3, 261, 267 mit Verweis auf RGZ 133, 126, 127 und BGH NJW 2005, 1420, 1421; zur Verbindung der positiven und negativen Formel auch Oetker, in: Säcker/Rix ecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82019, § 249 Rn. 110; weitere Nachweise bei Flume, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 249 Rn. 284. 189 Siehe etwa Jansen, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, 2007, §§ 249–253 Rn. 66; Bernert, AcP 169 (1969), 423 ff.
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regelmäßig weniger streng als die subjektive, da die Sichtweise des konkreten Subjekts ausgeblendet wird. Die objektive Vorhersehbarkeit ist eng verwandt mit Erwägungen zur Adäquanz. Hier wie dort geht es um einen gewissen, objektiv zu bestimmenden Grad der Vorhersehbarkeit einer Folge. Bei der Adäquanz wird auf den Eintritt einer Folge nach allgemeiner Lebenswahrscheinlichkeit abgestellt und damit ein konkreter Vorhersehbarkeitsmaßstab mitgeliefert. Dahinter steckt die Idee, dass mit dem, was nach allgemeiner Lebenserfahrung Folge eines Handelns ist, auch zu rechnen ist. Das, was zu erwarten war, erscheint billigerweise zurechenbar; das dagegen, was nicht vorhersehbar war, erscheint nicht zurechenbar.190 Adäquanzerwägungen sind folglich im Kern Vorhersehbarkeitserwägungen. Adäquanz und Vorhersehbarkeit gehen damit in die gleiche Richtung. Adäquat kausal ist, was nach allgemeiner Lebenserfahrung vorhersehbar ist. Die reine objektive Vorhersehbarkeit ist für sich genommen schwer brauchbar, da ein Vergleichsmaßstab fehlt. Vorhersehbar ist für einen allwissenden objektiven Dritten alles, für einen beschränkten objektiven Dritten nichts. Diese Lücke im Maßstab wird geschlossen durch die Vorhersehbarkeit nach allgemeiner Lebenserfahrung. Hinter der Adäquanz steckt als Basis eine objektive Vorhersehbarkeit. Durch die objektivierte Betrachtungsweise einer Vorhersehbarkeit nach allgemeiner Lebenserfahrung und der Loslösung von subjektiven Merkmalen ist die Adäquanz eine besondere Form der objektiven Vorhersehbarkeit.191 Bei der subjektiven Vorhersehbarkeit ist der Rekurs auf eine allgemeine Lebenserfahrung nicht vonnöten, da der Bezugspunkt der Erkenntnishorizont des Subjekts selbst ist. Subjektive Vorhersehbarkeit ist damit kein Fall der Adäquanz. Unter dem Dach der Vorhersehbarkeit als Oberbegriff lassen sich also die subjektive und die objektive Vorhersehbarkeit unterscheiden, wobei die Adäquanz ein besonderer Fall objektiver Vorhersehbarkeit ist.192 c) Eigenschaften der Vorhersehbarkeit als Zurechnungsgrund Zu klären ist, von welcher Intensität die Vorhersehbarkeit sein muss. Es stellt sich erneut die Frage, ob beispielsweise Verhalten Dritter in allen Einzelheiten vorhergesehen werden muss, oder ob die grobe Vorhersehbarkeit genügt. Ebenso 190
von Bar, der Entwickler der Adäquanzlehre, ging davon aus, dass eine regelmäßige Folge im Sinne der Adäquanz nicht vorliegen soll, wenn der Handelnde sie nicht vorhergesehen und nicht gewollt hat. Damit wird die Adäquanz für vorsätzliches Handeln aber weitgehend ausgeblendet, was heute kritisiert wird, vgl. etwa Flume, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 249 Rn. 284 m. w. N.; kritisch auch Bernert, AcP 169 (1969), 423, 427 f. 191 Vgl. Lange, Zweckveranlassung, 2014, S. 118. 192 Im Folgenden wird „Vorhersehbarkeit“ als Oberbegriff für die genannten Erscheinungsformen genutzt.
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wie bei der Reichweite von Kenntnis und Wille dürfen keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Je detaillierter die erforderliche Vorhersehbarkeit, desto unbrauchbarer wird das Kriterium. Eine Vorhersehbarkeit in allen Einzelheiten ist in einer komplexen Welt beinahe ausgeschlossen. Genügen muss daher die Vorhersehbarkeit des Geschehens in seinen Grundzügen.193 aa) Zurechnungsbegründung durch Adäquanz Die Adäquanz wird in einigen Fällen für, in anderen gegen die Begründung einer Zurechnung ins Feld geführt. Atypische Verläufe werden grundsätzlich miterfasst beim Grundrechtseingriff, nicht hingegen bei der objektiven Zurechnung. Das ist zu erklären mit der unterschiedlichen Interessenabwägung des jeweiligen Zurechnungsproblems. Bei der objektiven Zurechnung ist der „Urzustand“ zurechnungsfeindlich, da eine strafrechtliche Sanktion nur für das ausgesprochen werden soll, was eindeutig auf eine Handlung zurückgeht. Anders ist die Ausgangslage beim Grundrechtseingriff. Die Ausgangslage ist hier die umfassende Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt. Atypische Verläufe sollen den Staat nicht ent- und den Bürger nicht belasten. Auch nicht vorhersehbare Beeinträchtigungen sind Beeinträchtigungen. In welche Richtung die Zurechnung nun ausfällt, ist also anhand der Adäquanz allein nicht zu beurteilen; es bedarf einer Betrachtung weiterer Zurechnungsgründe, in den oben genannten Fällen insbesondere der Betrachtung der Schutzwürdigkeit und des systematischen Zusammenhangs der Hauptnorm. Wenn die Adäquanz in den soeben genannten Fällen in positiver wie negativer Hinsicht nicht zwangsläufig einen Ausschlag für oder gegen die Zurechnung gibt, dann handelt es sich um einen relativen Zurechnungsgrund. Wenn der Grundrechtseingriff adäquat kausal ist, spricht das für eine Zurechnung. Dasselbe gilt für den Zweckveranlasser: War das Handeln Dritter allgemein vorhersehbar, dann liegt eine Zurechnung nahe. Ist das Handeln des Mittäters zwar exzessiv, war dies aber vorhersehbar, dann kommt eine Zurechnung in Betracht. Der Umkehrschluss, dass bei der objektiven Zurechnung, beim Zweckveranlasser oder beim Grundrechtseingriff bei fehlender Adäquanz keine Zurechnung in Betracht kommt, ist nicht ohne Weiteres zu ziehen. Diese Differenzierungen sind zu thematisieren bei der negativen Funktion der Adäquanz als Zurechnungsausschlussgrund.194 Positiv gewendet kann die Adäquanz zur Zurechnungsbegründung herangezogen werden, erscheint indes für sich genommen als eher schwach ausgeprägter Zurechnungsgrund. 193
Ähnlich wohl Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 142; Spiro, Die Haftung für Erfüllungsgehilfen, 1984, S. 59. 194 § 4 A. III. 4.
A. Inhaltliche Ausgestaltung eines Zurechnungsmodells
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bb) Zurechnungsbegründung durch Vorhersehbarkeit i. e. S. Vorhersehbarkeit wird teilweise in den Fällen der Mittelbarkeit als eine Grundvoraussetzung einer Zurechnung begriffen.195 Dies zeigt sich bei den klassischen Fremdzurechnungsfällen der Mittäterschaft, des Zweckveranlassers oder des mittelbaren Eingriffs. Merkmale, etwa Verhalten anderer Subjekte, werden demnach nur dann zugerechnet, wenn die Vorhersehbarkeit gegeben ist. Auch in vielen Fällen, in denen nicht explizit eine Fremdzurechnung über die Vorhersehbarkeit begründet wird, kann diese aufgefunden werden, beispielsweise bei den Rechtsscheinvollmachten, bei denen die Zurechenbarkeit letztendlich auch eine Vorhersehbarkeit vermitteln kann – und bei der Anscheinsvollmacht auch als Element des Fahrlässigkeitsaspekts zu prüfen ist – oder auch der Gehilfen- oder Amtshaftung, bei denen ein Fehlverhalten bis zu einem gewissen Grad nicht außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit liegen darf. Bei Gehilfen- und Amtshaftung könnte man indes auch eine Vorhersehbarkeit solcher Exzesse durchaus bestreiten, wodurch letztendlich wieder der Vorhersehbarkeitsmaßstab in Rede steht. Völlig atypisch und unvorhersehbar ist der Exzess freilich nicht, wenn aber sogar mit Fehlverhalten zu rechnen ist, dann fehlt der Vorhersehbarkeit an ausreichender Kontur, um überhaupt als überzeugender Grund eingeführt zu werden, schließlich spräche sonst bei jedem Exzess die Vorhersehbarkeit für eine Zurechnung. Daneben sind die Beschränkungen der Zurechnung bei der Amtsund Gehilfenhaftung weniger Vorhersehbarkeits-, denn Schutzzweckerwägungen, da der Einschaltende nicht für jedes Handeln des Gehilfen haften soll, sondern nur für solches, das „in Ausübung“ geschieht. Der Schluss, die Vorhersehbarkeit sei notwendige Bedingung für die Fremdzurechnung, mag somit jedenfalls in den meisten Fällen zutreffen, ist in ihrer Verallgemeinerung indes zweifelhaft. Jedenfalls handelt es sich bei dem Zurechnungsgrund in Fällen der Mittelbarkeit um eine für sich genommen mäßige positive Zurechnungsbegründung und bei der fehlenden Vorhersehbarkeit vor allem um einen überzeugenden Zurechnungsausschlussgrund. Ist die fehlende Vorhersehbarkeit als negativer Grund nutzbar, kann die Einordnung der positiven Vorhersehbarkeit als absoluter Grund dahinstehen, denn es gilt, dass das Vorliegen der Vorhersehbarkeit für, das Fehlen der Vorhersehbarkeit gegen eine Zurechnung streitet. Die Vorhersehbarkeit ist damit relativer Zurechnungsgrund. Bei der unmittelbaren Verursachung stellt sich die Zurechnung nach Adäquanzgesichtspunkten ebenfalls verschiedenartig dar. Sind keine anderen Subjekte beteiligt und liegt damit Unmittelbarkeit vor, kommt es dennoch beim Grundrechtseingriff und im Gefahrenabwehrrecht zu keiner Anwendung der Ad195 Von einer Grundvoraussetzung sprechen Michael/Morlok, Grundrechte, 72020, Rn. 498; vgl. auch Lange, Zweckveranlassung, 2014, S. 132 f.
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äquanz, bei der objektiven Zurechnung indes schon. Es zeigen sich hier bereichsspezifische Besonderheiten. d) Vorhersehbarkeit in Verbindung mit anderen Zurechnungsgründen Die Vorhersehbarkeit ist in verschiedenen Zurechnungsgründen enthalten oder verstärkt ihre Wirkung. Wird die Vorhersehbarkeit mit einem Maß an Beherrschung kombiniert, so lässt sich damit erneut an das Verschuldensprinzip anknüpfen: Bei der Bestimmung der Fahrlässigkeit im Zivilrecht wird zumeist mit der objektiven Vorhersehbarkeit auf eine im Kern objektive Fahrlässigkeit196 oder im Strafrecht mit vornehmlich subjektiver Vorhersehbarkeit auf eine subjektive Fahrlässigkeit geschlossen197. Im Privatrecht wird zur Umschreibung der Fahrlässigkeit auf die Erkennbarkeit der wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände einerseits und die Vermeidbarkeit andererseits abgestellt.198 Während Wille und Finalität gemeinsam mit der Kenntnis oder Vorhersehbarkeit an die Elemente des Vorsatzes erinnern, so deutet die Vorhersehbarkeit mit der Verhinderbarkeit auf die Bestimmung der Fahrlässigkeit und damit ebenfalls auf einen Teilbereich des Verschuldensprinzips hin.199 Mit der Beherrschung in Form der Verhinderbarkeit kann die Vorhersehbarkeit also die Zurechnung begründen.200 Die Vorhersehbarkeit ist verbunden mit der Unmittelbarkeit. Je unmittelbarer ein Kausalverlauf, desto eher ist er auch (objektiv) vorhersehbar, je mittelbarer 196 Siehe etwa die Nachweise bei Grüneberg, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 2021, § 276 Rn. 15. 197 Zur strafrechtlichen Bestimmung der Fahrlässigkeit statt aller Schuster, in: Schönke/ Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, § 15 Rn. 123 ff. m. w. N. 198 Zur Vorhersehbarkeit BGHZ 39, 281, 285; BGH NJW-RR 2006, 965, zur Vermeidbarkeit BGHZ 39, 281, 285; BGH NJW 2007, 762. Zur Bestimmung der Fahrlässigkeit auch Schaub, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.03.2021, § 276 Rn. 55 ff.; Grüneberg, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 276 Rn. 12 ff. 199 Dass es per se keinen Sorgfaltsverstoß bedeuten kann, beliebiges Handeln Dritter nicht zu verhindern, ist offenkundig, es geht hier lediglich um die abstrakte zurechnungsbegründende Funktion von Verhinderbarkeit und Vorhersehbarkeit. Ob – wie im Falle der Fahrlässigkeit – ein rechtlich missbilligtes Verhalten oder ein Erfolg Gegenstand der Zurechnung ist oder ob es sich um ein „normales“ Verhalten handelt, ist unerheblich: Die Zurechnung bezieht sich schließlich auf das Verhalten, nicht auf den – außerhalb der Zurechnung liegenden – Vorwurf eines Verstoßes gegen rechtliche Pflichten, dieser ist vielmehr in der Haftungsnorm selbst niedergelegt. 200 Vorhersehbarkeit und Verhinderbarkeit verknüpft auch Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 1979, S. 89 unter dem Begriff der Absorption. Von Vorhersehbarkeit und Steuerbarkeit bzw. Beherrschbarkeit spricht Morlok, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, 22013, § 52 Rn. 60, 64. Siehe auch ders., RW 2019, 262, 286. 80
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und verschachtelter, je weiter also die ursprüngliche Handlung von dem eigentlichen Erfolg entfernt ist, desto weniger (objektiv) vorhersehbar ist der Erfolgseintritt. In der (subjektiven) Finalität ist die Vorhersehbarkeit enthalten, welche zusammen mit dem Willen den Zurechnungsgrund ergibt.201 Die Vorhersehbarkeit ist als potenzielle Kenntnis der Folgen weiter gefasst als die Kenntnis. Vorhersehbarkeit bedeutet Kennenkönnen. Liegt Kenntnis vor, ist damit auch eine Vorhersehbarkeit regelmäßig zu bejahen. Die Vorhersehbarkeit ist geeignet, als positives Element den Zurechnungsausschluss durch einen Exzess zu überlagern. Die Vorhersehbarkeit neigt die Gesamtabwägung beim Mittäterexzess trotz der Überlagerung des Zurechnungsgrundes der Absprache durch den Exzess wieder in Richtung einer Zurechnung. e) Zusammenfassung Subjektive Vorhersehbarkeit und objektive Vorhersehbarkeit, also vor allem Adäquanz, sind in positiver Hinsicht brauchbare Merkmale zur Begründung einer Zurechnung. Ob ihnen auch eine begrenzende Funktion im Sinne eines Zurechnungsausschlussgrundes zukommt, ist noch zu erörtern.202 Es handelt sich um relative Zurechnungsgründe, da auch ohne Vorhersehbarkeit eine Zurechnung denkbar ist. Die Vorhersehbarkeit kann die Zurechnung auch ohne weitere positive Zurechnungsgründe untermauern, somit handelt es sich um einen selbständigen Zurechnungsgrund. Als Rechtsgedanke lässt sich damit formulieren: Für eine Zurechnung einer Folge spricht die subjektive oder objektive Vorhersehbarkeit der Folge. Die objektive wie subjektive Vorhersehbarkeit ist hinreichende, aber nicht notwendige Bedingung für eine Zurechnung. 15. Handlungsform Die Handlungsform ist für wenige Zurechnungsfragen denkbar, nämlich ausschließlich für solche, welche die Abgrenzung von privater und staatlicher Sphäre zum Gegenstand haben. Bei dieser Prüfung erscheint es naheliegend, auf die spezifisch öffentliche-rechtliche, „staatliche“ Rechtsform abzustellen. In anderen Zurechnungskonstellationen kann die Handlungsform schon von vornherein keinen Beitrag zu einer Zurechnungsentscheidung leisten. Die Form kann daher nur für die eindeutigen Fälle herangezogen werden, für die Zuordnung von Handlungsformen, die dem Staat ebenso zustehen wie Priva201 202
Siehe oben § 4 A. II. 4. Dazu unten § 4 A. III. 4.
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§ 4 Grundgedanken einer allgemeinen Zurechnungslehre
ten, kann die Form keine weitere Hilfestellung geben. Die Form ist daher einzig ein positiver Zurechnungsgrund für die Zurechnung zum Staat. In Frage zu stellen ist indes, ob die Frage nach der Rechtsform staatlichen Handelns einen eigenständigen Zurechnungsgrund darstellt. Denkbar wäre auch, in der Handlungsform eine besonders starke Form der Rechtsscheinzurechnung zu erblicken. Wegen der eigentümlichen Handlungsform, die nur dem Staat offensteht, ist ein derart starker Rechtsschein gegeben, dass der Staat sich daran festhalten lassen muss.203 Dies ist jedenfalls bei der Neutralitätspflicht für Amts träger zu erkennen, hier wird von der äußeren Form des Handelns der Anschein des Staatlichen erweckt, was für eine Zurechnung zum Staat ausreicht. Zwar kann im Falle der Neutralitätspflicht die Begründung über die verwendete Form als Rechtsscheinzurechnung dargestellt werden, beim Grundrechtseingriff ist die Rechtsform des Handelns weniger eindeutig als Rechtsscheinaspekt zu identifizieren. Die Klarheit des Kriteriums der Form wird durch eine Integration in den Rechtsschein relativiert, weshalb eine Zusammenfügung nicht sinnvoll erscheint. Denn die Form ist ein einfach zu handhabender und brauchbarer Zurechnungsgrund.204 Die Form kann mit der Kausalität allein eine Zurechnung begründen, sodass es sich um einen selbständigen Zurechnungsgrund handelt. Wegen der nur eingeschränkten Nutzbarkeit ist die Form ein relativer Zurechnungsgrund. Als Rechtsgedanke ergibt sich daraus: Der Staat muss sich Handlungen zurechnen lassen, wenn sie in eigentümlich staatlicher Form geschehen. 16. Schutzwürdigkeit Die gesamte Rechtstechnik der Zurechnung ist geleitet von Schutzwürdigkeitserwägungen, was sich anhand der Vielzahl an nachgewiesenen Schutzwürdigkeitserwägungen verifiziert hat.205 Der Gedanke des Umgehungsschutzes der Hauptnorm206, welcher bereits eingangs als Kernelement der Zurechnung hervorgehoben wurde207, fällt unter die 203
Wenn nach Westermann die Fallgruppe der Repräsentationshaftung insgesamt darauf gerichtet ist, die Zurechnung abzubilden, welche in der Erwartung des Rechtsverkehrs begründet liegt, dann lässt der äußere Schein offenkundig auf die Zurechnung schließen. Der Anschein eines staatlichen Ursprungs einer Handlung lässt sich nach Westermann, JuS 1961, 333, 337 durch eine hoheitliche Handlungsform erwecken. Folglich scheint auch Westermann in der staatlichen Form eher einen Aspekt der Rechtsscheinzurechnung zu erkennen. 204 Ähnlich ders., JuS 1961, 333, 337; Morlok, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, 22013, § 52 Rn. 54. 205 Oben § 3 D. XVIII. 206 § 3 D. XVII. 207 Siehe bereits § 1 A. XI., § 1 A. II. und § 1 A. III.
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hier dargestellten Schutzwürdigkeitserwägungen und soll daher nicht mehr separat verfolgt werden. Dieser Aspekt ist auch bei der Arbeitsteilung und als besondere Ausprägung von Schutzwürdigkeitserwägungen zum Ausdruck gekommen: Der Einschaltende soll nicht besser gestellt sein, als wenn er selbst gehandelt hätte; daneben soll der Dritte nicht schlechter gestellt sein durch die Einschaltung einer weiteren Person auf Seiten des Einschaltenden. Im Vordergrund der Schutzwürdigkeitserwägungen steht nach der erfolgten Auswertung der Schutz Dritter, seltener der Schutz des Zurechnungssubjekts oder -gegenstandes.208 In den seltensten Fällen steht die Schutzwürdigkeit des Zurechnungsadressaten im Fokus. Die Erwägung der Schutzwürdigkeit wird zum Teil als Schutz des Rechtsverkehrs oder aber auch als Vertrauensschutzaspekte dargestellt.209 Eine nähere Klassifizierung ist anhand der Vielzahl der unterschiedlichen Schutzgegenstände indes kaum praktikabel, folglich kann hier lediglich festgehalten werden, dass Schutzwürdigkeitsgesichtspunkte in die Bewertung einbezogen werden. Fest steht, dass die Schutzwürdigkeit eine Erwägung darstellt, die alle Zurechnungskonstellationen durchzieht und in der Interessenabwägung für oder gegen eine Zurechnung angeführt werden kann. Nach hiesigem Verständnis stellen die Schutzwürdigkeitserwägungen damit einen absoluten Zurechnungsgrund dar, da sie zwingend zu untersuchen sind und sich für die Zurechnungsentscheidung schutzwürdige Interessen auffinden lassen müssen. Dies dürfte keine allzu hohe Hürden aufstellen, sichert aber die Billigkeit des Ergebnisses ab. Die Schutzwürdigkeitserwägungen sind als besonders relevante Gesichtspunkte der Interessenabwägung auch in der Lage, die Reichweite der Zurechnung zu beeinflussen, sie können auch zurechnungsbegrenzende Eigenschaften haben und sind damit kein ausschließlich positiver Zurechnungsgrund. Als Rechtsgedanke ergibt sich damit, dass sich die Zurechnung an den schutzwürdigen Interessen der Beteiligten orientieren muss.210
208
§ 3 D. XVIII. Beispielhaft für die Wissenszurechnung mit Nachweisen Breuer, Wissen, Zurechnung und Ad-hoc-Publizität, 2020, S. 123 ff. 210 Eine präzisere Formulierung erscheint nicht möglich, schließlich gibt es teilweise Fälle, in denen dem schutzwürdigen Subjekt zugerechnet wird (zum Beispiel mittelbarer Besitzer oder Besitzdiener) und solche, in denen dem nicht schutzwürdigen Subjekt (zum Beispiel der den Erfüllungsgehilfen Einschaltende) zugerechnet wird. 209
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§ 4 Grundgedanken einer allgemeinen Zurechnungslehre
III. Die maßgeblichen Zurechnungsausschlussgründe 1. Mittelbarkeit Das Dazwischentreten Dritter ist gleichbedeutend mit der Mittelbarkeit. Nach eingangs formuliertem Begriffsverständnis ist die Unmittelbarkeit gegeben, wenn kein anderes Subjekt als der Zurechnungsadressat den Erfolg verursacht hat.211 Ist ein anderes Subjekt beteiligt, handelt es sich um eine mittelbare Verursachung. Die Gedanken zum Dazwischentreten Dritter als Zurechnungsausschluss können unter den gemeinhin gebrauchten Begriff des Selbstverantwortungsprinzips gefasst werden. Das Selbstverantwortungsprinzip geht davon aus, dass jeder zunächst nur für das eigene Verhalten verantwortlich ist.212 Daraus ergibt sich konsequenterweise auch der Ausschluss von Verantwortung, sofern Dritte eigenverantwortlich handeln. Das Selbstverantwortungsprinzip spricht somit – wie bereits oben ausführlicher dargelegt213 – gegen eine Zurechnung im Falle der Mittelbarkeit. Zwar spricht ein eigenverantwortliches Verhalten Dritter gegen eine Zurechnung, es handelt sich aber um keinen absoluten Zurechnungsausschlussgrund, denn eine Vielzahl der erläuterten Zurechnungskonstellationen sind Beispiele, in denen ein Handeln Dritter zugerechnet wird. Das Dazwischentreten Dritter spricht zusammenfassend grundsätzlich gegen eine Zurechnung. Dies kann in einer Abwägung zu einer Ablehnung der Zurechnung führen, wenn überhaupt keine positiven Zurechnungsgründe in Betracht kommen, Zurechnungsgründe in der Interessenabwägung keine Zurechnung rechtfertigen oder weitere Zurechnungsausschlussgründe die Interessenabwägung zuungunsten der Zurechnung beeinflussen. Es gilt folglich – wie bei der Unmittelbarkeit bereits ausgeführt214 – der Rechtsgedanke, dass die Mittelbarkeit ohne Vorliegen positiver Zurechnungsgründe zu einer Ablehnung der Zurechnung führt. 2. Exzess Exzesse unterbrechen die Zurechnung bei absprachebedingter Zurechnung. Der Exzess ist damit der Zurechnungsausschlussgrund, welcher die zurechnungsbe211
Siehe bereits § 4 A. II. 11. Zur verfassungsrechtlichen Dimension und Verortung des Selbstverantwortungsprinzips nur Hillgruber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2012, S. 165, 167 f. Siehe auch insgesamt den Tagungsband Riesenhuber (Hrsg.), Das Prinzip der Selbstverantwortung, 2012 und bereits oben § 4 A. I. 213 Siehe oben § 4 A. I. 214 § 4 A. II. 11. 212
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gründende Wirkung der Absprache neutralisieren kann. Er ist ausschließlich bezogen auf die Absprache und damit der spezifische Gegengrund, die Kehrseite der Absprache. Exzesse werden zum Teil über Rechtsscheintatbestände zugerechnet. Handelt ein Vertreter ohne Vertretungsmacht, dann ist zu untersuchen, ob eine Rechtsscheinvollmacht vorliegt. Der Rechtsschein ist damit geeignet, die begrenzende Wirkung von Absprache und Exzess zu überwinden. Exzesse werden nur soweit zugerechnet, wie sie in einem engen Zusammenhang mit der verabredeten Tätigkeit stehen und ausreichend gewichtige positive Gründe bestehen. Dies zeigt sich beim Mittäterexzess, aber auch bei den Fragen, wann Gehilfe oder Amtsträger „in Ausführung“ oder „bei Gelegenheit“ gehandelt haben. Selbstredend hat der Gehilfe bei seiner Schädigung des Gläubigers nicht innerhalb der verabredeten Arbeitsteilung gehandelt; hier zielt die Zurechnung gerade darauf ab, den Exzess zuzurechnen. Nur wenn die Handlung des Gehilfen nichts mit der zu erledigenden Aufgabe oder den Möglichkeiten der Gehilfenstellung zu tun hat, scheidet eine Zurechnung aus.215 Dies bedarf indes wegen der negativen Wirkung des Exzesses als Zurechnungsausschlussgrund dann der Untermauerung durch positive Zurechnungsgründe. Ebenso ist es beim Mittäterexzess, hier genügen Kausalität und Vorhersehbarkeit der Folge sowie Schutzwürdigkeitsaspekte, um die Zurechnung eines Exzesses zu begründen. Auch Exzesse sind somit zurechenbar, es bedarf aber einer weitergehenden Begründung durch positive Zurechnungsgründe. Folglich ist der Ausschlussgrund des Exzesses kein absoluter Zurechnungsausschlussgrund, sondern dieser Grund kann auch durch andere Gründe aufgewogen werden, es handelt sich um einen selbständigen, relativen Zurechnungsausschlussgrund. Als Rechtsgedanke ergibt sich zusammenfassend: Je stärker das Zurechnungssubjekt der Absprache entsprechend handelt, desto eher spricht dies für eine Zurechnung. Je weniger stark die Absprache eingehalten wird und je eher ein Exzess vorliegt, desto mehr spricht dies gegen eine Zurechnung. Verlässt ein Subjekt eine bestehende Absprache, so streitet dies gegen eine Zurechnung. 3. Fehlende Beherrschbarkeit In der fehlenden Beherrschbarkeit liegt die Kehrseite des Zurechnungsgrundes der Beherrschung. Dieser wurde extensiv verstanden als Beherrschbarkeit, also nicht notwendig ausgeübte rechtliche oder tatsächliche Beherrschung.216 Ebenso 215
Siehe etwa Spiro, Die Haftung für Erfüllungsgehilfen, 1984, S. 170 f. Siehe dazu auch § 2 C. V. 1. 216 Siehe oben § 4 A. II. 7.
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muss dann auch die Kehrseite nicht nur die Beherrschung, sondern die Beherrschungsmöglichkeit in den Blick nehmen. Fehlt die Beherrschungsmöglichkeit über einen Geschehensablauf, dann müssen starke Gründe für eine Zurechnung sprechen, um diese zu begründen, schließlich lässt sich bei fehlender Beherrschbarkeit kaum eine denkbare Verantwortlichkeit konstruieren. Ohne Beherrschbarkeit besteht keine Verhinderbarkeit, keine Macht über den Geschehensablauf und auch keine Vorwerfbarkeit. Die Verhinderbarkeit ist zusammen mit der Vorhersehbarkeit eines der Elemente der Fahrlässigkeit217, ohne Verhinderbarkeit kann nicht einmal ein Fahrlässigkeitsvorwurf im Sinne des Verschuldensprinzips erfolgen. Die fehlende Beherrschbarkeit ist folglich ein gewichtiger Grund gegen die Zurechnung.218 Da aber auch viele Zurechnungskonstellationen ohne das (positive) Merkmal der Beherrschung und der Beherrschungsmöglichkeit auskommen, kann es sich bei fehlender Beherrschung nicht um einen absoluten Ausschlussgrund der Zurechnung, sondern nur um einen relativen handeln. Die fehlende Beherrschbarkeit ist ein selbständiger Zurechnungsausschlussgrund, da sie keiner Verknüpfung mit anderen Ausschlussgründen bedarf. Als Rechtsgedanke lässt sich formulieren, dass die fehlende Beherrschungsmöglichkeit des Zurechnungsadressaten über den Zurechnungsgegenstand grundsätzlich gegen eine Zurechnung spricht. 4. Fehlende Adäquanz oder Vorhersehbarkeit Wie gezeigt ist die fehlende Adäquanz nur in einigen Fällen zurechnungshemmend, teilweise werden – insbesondere in den Fällen der Eigenzurechnung – auch atypische Kausalverläufe zugerechnet. Zu erklären ist diese Differenz mit den verschiedenen Grundwertungen der Systeme und der unterschiedlichen Schutzwürdigkeitsbetrachtungen: Beim Strafrecht liegt der Grundzustand in der Straffreiheit. Die Vermutung geht zugunsten des möglichen Täters, da die Erfüllung des Tatbestandes mit Sanktionen bewehrt ist. Somit schadet ein atypischer Verlauf der Zurechnung. Beim Grundrechtseingriff ist der Grundzustand die umfassende Bindung des Staates an die Grundrechte. Die Vermutung spricht hier umgekehrt für eine Geltung der Grundrechte auch bei atypischen Fällen. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis in einem Rechtsbereich kann also auch Auswirkungen auf die Interessenabwägung bei der Zurechnung haben. Daneben soll im Falle der atypischen Folge staatlichen Handelns nicht der Zufall zuungunsten des 217
Dazu bereits oben § 4 A. II. 14. d). Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 1979, S. 88 f. 218
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Grundrechtsberechtigten wirken. Hier erscheint die umfassende Bindung auch als Schutzwürdigkeitserwägung begreifbar zu sein. Die fehlende Vorhersehbarkeit ist ein Zurechnungsausschlussgrund.219 Sie ist an sich eng verknüpft mit der fehlenden Beherrschbarkeit. Die fehlende Vorhersehbarkeit spricht jedenfalls indiziell für eine fehlende Beherrschbarkeit220, der Umkehrschluss ist dagegen nicht zwingend: Auch vorhersehbare Geschehensabläufe können unbeherrschbar sein und damit nicht zugerechnet werden. Die obigen Beispiele zeigen, dass inadäquate, also atypische Fälle in Fällen der Eigenzurechnung teilweise zugerechnet werden, teilweise aber auch nicht. Daraus folgt, dass die fehlende Adäquanz zwar ein Argument gegen die Zurechnung darstellen kann, diese fehlende Vorhersehbarkeit aber nicht zwangsläufig auch zu einem Ausschluss der Zurechnung führt. Auch dieses Merkmal ist damit kein absoluter Grund gegen die Zurechnung.221 Dieser Ausschlussgrund entspricht als Kehrseite dem positiven Grund der Vorhersehbarkeit beziehungsweise der Adäquanz. Außerhalb der Adäquanz liegende Verläufe sind atypisch. Vorhersehbarkeit und Adäquanz sprechen positiv für eine Zurechnung, ihr Fehlen spricht aber gleichzeitig auch gegen eine Zurechnung, anders als dies bei rein positiven Zurechnungsgründen der Fall ist. Als Rechtsgedanke ergibt sich damit, dass die fehlende Vorhersehbarkeit und die fehlende Adäquanz gegen eine Zurechnung sprechen. 5. Geringe Risiken Wie beim Grundrechtseingriff gezeigt, stellt die Intensität kein geeignetes Wertungskriterium zur Darstellung eines Verantwortungszusammenhanges dar.222 Die Intensität einer Beeinträchtigung gibt keinen Aufschluss darüber, wer verantwortlich ist. Dies hat mit der Perspektive zu tun, mit welcher die Intensität bestimmt wird: Die Intensität ergibt sich vornehmlich aus der Betroffenensicht. Die Nachverfolgung einer Verantwortlichkeit für einen Erfolg muss aber zwangsläufig über eine derartige Betrachtung hinausgehen, um den Verantwortungszusammenhang mit dem Verursacher aufzudecken. 219 Umfassend zur Vorhersehbarkeit als Grenze der Risikozurechnung ders., Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 1979, S. 217 ff. und bereits S. 88 f., zur Erkennbarkeit und der Rolle von Informationsquellen S. 85. 220 So etwa ders., Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, 1979, S. 217: Hier wird die fehlende abstrakte Beherrschbarkeit in der Regel angenommen bei fehlender Vorhersehbarkeit. 221 Zum Problem, ob Vorhersehbarkeit notwendige Bedingung der Fremdzurechnung ist, bereits § 3 E. IV. 222 § 2 D. III. 2. b).
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6. Schutzzweck der Norm Der Rückgriff auf den Normzweck zur Begrenzung der Zurechnung sichert die Gerechtigkeit des gefundenen Ergebnisses ab, da hier eine Rückkopplung an den Normzweck der Hauptnorm stattfindet. Die Zurechnung ist daher, wie oben bereits postuliert,223 stets an der jeweiligen Hauptnorm auszurichten und steht in ihrem „Dienst“. Die Zurechnung darf zur Sicherung der Hauptnorm folglich nur so weit gehen, wie die Auslegung der Hauptnorm es zulässt. Es wurde gezeigt, dass Erwägungen zur Risikoerhöhung und Veranlassung keine eigenständige Bedeutung entfalten. Die Realisierung des lediglich allgemeinen Lebensrisikos und nicht eines besonders geschaffenen Risikos hat als eine Erwägung des Schutzzweckzusammenhangs zurechnungsausschließende Wirkung.224 Das allgemeine Lebensrisiko als Zurechnungsausschlussgrund richtet sich gegen die Zuweisung – beispielsweise der Haftung – zu einer anderen Person, sondern belässt den status quo: Insbesondere bei einem Vorliegen von Aspekten des Verschuldensprinzips oder der Gefährdungshaftung als positiver Zurechnungsbegründung ist das Argument des allgemeinen Lebensrisikos dazu geeignet, die Verantwortung auf die rechtliche Zuständigkeit für den eigenen Rechtskreis zurückzuführen. Dies geschieht im Rahmen des Schutzzwecks der Norm.225 Die Argumentation des allgemeinen Lebensrisiko ist damit gerade bei der Fremdzurechnung als Zurechnungsausschlussgrund relevant. Besteht neben der Unmittelbarkeit kein positiver Zurechnungsgrund zur Verteilung der Verantwortung, dann muss für das allgemeine Lebensrisiko, ähnlich wie für den Zufall, grundsätzlich der Inhaber des Rechtskreises haften, casum sentit dominus. Hierfür bedarf es des allgemeinen Lebensrisikos aber nicht mehr als (dann positivem) Begründungsansatz der Eigenzurechnung, die skizzierte Unmittelbarkeit genügt bereits.226 Schutzzweckerwägungen sind eng verwandt mit der Betrachtung der Schutzwürdigkeit und auch der Interessenabwägung. Bei Bestimmung des Schutzzwecks der Norm wird teilweise davon ausgegangen, dass eine Abwägung der verschiedenen Interessen stattzufinden habe227, was die Grenzen weiter 223
§ 1 A. II.
224 Abstrakte Darstellung als negativer Zurechnungsgrund bei Deutsch, VersR 1993, 1041 ff.
Zur daraus folgenden besonderen Verbindung zur Adäquanz etwa Morlok, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, 22013, § 52 Rn. 85. 225 Deutsch, VersR 1993, 1041, 1043. 226 Anders offenbar ders., VersR 1993, 1041, 1046, der im allgemeinen Lebensrisiko die „Zuweisung des Schadens an den Inhaber des Rechtsguts“ versteht, welches nicht durch Gefährdungs- oder Verschuldenshaftung „durchbrochen“ wird. 227 Siehe etwa Looschelders, Schuldrecht – Allgemeiner Teil, 182020, § 45 Rn. 19.
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verwischen würde. Gleichwohl sollen die drei Aspekte im Rahmen der Zurechnungsbegründung auseinandergehalten werden. Als Rechtsgedanke lässt sich formulieren, dass die Reichweite der Zurechnung begrenzt wird durch die Erwägungen des Schutzzwecks der Hauptnorm. Hierbei ist insbesondere zu beachten, ob sich lediglich das allgemeine Lebensrisiko realisiert, dies spricht gegen eine Fremdzurechnung.
IV. Tabellarische Übersicht: Zurechnungs- und Zurechnungsausschlussgründe Aus den herausgearbeiteten Zurechnungsgründen und Zurechnungsausschlussgründen ergibt sich folgende tabellarische Darstellung. Zurechnungsgrund Zurechnungsausschlussgrund Kausalität Fehlende Kausalität Unmittelbarkeit Mittelbarkeit Wille – Kenntnis – Interesse – Beherrschung Fehlende Beherrschung Rechtsschein – Vorhersehbarkeit/Adäquanz Fehlende Vorhersehbarkeit/Adäquanz (Staatliche) Handlungsform – Absprache Exzess Bestehend aus Wille und Wille Arbeitsteilung – Bestehend aus Kenntnis, Wille, Interesse Finalität – Bestehend aus Wille, Vorhersehbarkeit – Schutzzweck der Norm Schutzwürdigkeit Gesamtinteressenabwägung Die vorgeschlagene Reihenfolge der Zurechnungsgründe ist nicht zwingend. Gleichwohl ist sie in der dargestellten Form naheliegend: Die notwendige Bedingung der Kausalität sollte eingangs geprüft werden. Der absolute Zurechnungsgrund der Schutzwürdigkeit sollte wegen der engen Verbindung zur Interessenabwägung indes erst als letzter Zurechnungsgrund untersucht werden. Als Ein-
254
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stieg in die Prüfung bietet sich die Abgrenzung von Eigen- und Fremdzurechnung über das Merkmal der (Un-)Mittelbarkeit an, schließlich entscheidet sich hier, ob das Fehlen von Zurechnungsgründen zu einer Verneinung der Zurechnung (Mittelbarkeit) oder das Fehlen von Zurechnungsausschlussgründen zu einer Begründung der Zurechnung (Unmittelbarkeit) führt. Sodann erscheint es sinnvoll, die unselbständigen Zurechnungsgründe zu prüfen, da sie für die zusammengesetzten Gründe erforderlich sind und so Inzidenzprüfungen vermieden werden können. So erklärt sich die Positionierung des Willens, der Kenntnis und des Interesses. In der Folge sind die selbständigen, nicht zusammengesetzten Zurechnungsgründe zu untersuchen und im Anschluss die zusammengesetzten. Der Schutzzweck der Norm ist eng verwandt mit den Schutzwürdigkeitserwägungen. Diese sind bereits ein wesentlicher Aspekt der abschließenden Interessenabwägung. Insofern bilden diese Prüfungspunkte den Abschluss der Gliederung. Da die Gründe aber in keinem zwingenden Rangverhältnis stehen und eine Gesamtabwägung stattfindet, ist auch eine andere Prüfungsreihenfolge denkbar.
V. Übersicht: Die Rechtsgedanken der Zurechnungsgründe Aus der obigen Ausarbeitung228 haben sich in Bezug auf die Zurechnungsgründe folgende abstrakt gefasste Rechtsgedanken ergeben: Für jede Zurechnung ist die äquivalent-kausale Verursachung Grundvoraussetzung. Für eine Zurechnung zu einem Subjekt spricht, dass dieses ein Verhalten oder einen Erfolg unmittelbar, das heißt als letztverantwortliches Subjekt, herbeigeführt hat. Die Mittelbarkeit dagegen führt ohne Vorliegen positiver Zurechnungsgründe zu einer Ablehnung der Zurechnung. Der Wille eines Subjekts in Bezug auf einen Zurechnungsgegenstand kann nur in Verbindung mit einem anderen Zurechnungsgrund zurechnungsbegründende Funktion entfalten. Wer Kenntnis von einem Zurechnungsgegenstand hat, muss sich diesen bei Bestehen weiterer Zurechnungsgründe unter Umständen zurechnen lassen. Das Handeln Dritter im Interesse eines Subjekts spricht bei Vorliegen weiterer Zurechnungsgründe für eine Zurechnung des Verhaltens zu diesem Subjekt. Wenn ein Subjekt einen Zurechnungsgegenstand beherrscht oder beherrschen kann, ist dies ein starkes Argument für eine Zurechnung. Umgekehrt streitet die 228
Diese Auflistung dient sowohl der Übersichtlichkeit als auch der Verständlichkeit der folgenden Ausführungen. Siehe vertiefend die Einzelheiten zu den jeweiligen Zurechnungsgründen unter § 4 A. II. und § 4 A. III.
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fehlende Beherrschungsmöglichkeit eines Subjekts über einen Zurechnungsgegenstand gegen eine Zurechnung. Wer einen Rechtsschein zurechenbar veranlasst, muss sich den Gegenstand des Rechtsscheins, regelmäßig einen anderen Zurechnungsgrund, so zurechnen lassen, als ob dieser vorliegt. Die subjektive oder objektive Vorhersehbarkeit des Zurechnungsgegenstandes sprechen für die Zurechnung desselben, die fehlende Vorhersehbarkeit oder die fehlende Adäquanz gegen eine Zurechnung. Der Staat muss sich Handlungen zurechnen lassen, wenn sie in eigentümlich staatlicher Form geschehen. Die Absprache eines Zurechnungsgegenstandes zwischen zwei Subjekten in Form einer faktischen Willensübereinstimmung ist ein Argument für die Zurechnung des Zurechnungsgegenstandes. Im Falle von Verhalten Dritter als Zurechnungsgegenstand heißt das: Wer mit Dritten ein Verhalten abspricht, muss sich dieses grundsätzlich zurechnen lassen. Verlässt ein Subjekt eine bestehende Absprache, so wirkt dieser Exzess zurechnungshemmend. Wer einen anderen mit Wissen und Wollen im eigenen Interesse einschaltet (Arbeitsteilung), der muss sich das Verhalten regelmäßig zurechnen lassen, soweit schutzwürdige Interessen Dritter betroffen sind. Der Zurechnungsadressat muss den (final) bezweckten Zurechnungsgegenstand grundsätzlich gegen sich gelten lassen, oder beispielhaft formuliert: Derjenige, der einen Erfolg durch einen Dritten bezweckt und damit will sowie vorhersieht, muss das Handeln des Dritten regelmäßig gegen sich gelten lassen. Das Ob und Wie und damit insbesondere der konkrete Umfang der Zurechnung orientiert sich an den schutzwürdigen Interessen der Beteiligten. Die Reichweite der Zurechnung wird begrenzt durch den Schutzzweck der Hauptnorm. Ob und Wie der Zurechnung orientieren sich an den schutzwürdigen Interessen der Beteiligten.
VI. Systematisierung der erarbeiteten Zurechnungsgründe Eine abstrakte Gewichtung der herausgearbeiteten Zurechnungsgründe ist schwerlich zu erstellen, da dies von der jeweiligen Konstellation und der Interessenabwägung abhängig ist. Die unselbständigen Zurechnungsgründe können als schwächer bezeichnet werden, da sie für sich genommen nicht die Zurechnung auslösen können. Die genannten Zurechnungsgründe sind in positive und negative aufgeteilt. Differenziert werden kann außerdem zwischen absoluten und relativen Zurech-
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§ 4 Grundgedanken einer allgemeinen Zurechnungslehre
nungsgründen. Ebenfalls lässt sich unterscheiden zwischen selbständigen wie unselbständigen Zurechnungsgründen. Von Interesse ist noch, ob alle Zurechnungsgründe für Eigen- und Fremdzurechnung gleichermaßen gelten. Augenscheinlich ist jedoch, dass einige der genannten Zurechnungsgründe ausschließlich im Rahmen der Fremdzurechnung anwendbar sind. Hier lassen sich nennen die Absprache, das Handeln eines anderen im eigenen Interesse sowie die Arbeitsteilung. Die Absprache besteht aus einer untechnischen Willensübereinstimmung der beiden beteiligten Subjekte. Da der Zurechnungsgrund folglich zwei Subjekte erfordert, handelt es sich zwangsläufig um Fremdzurechnungskonstellationen. Ebenso liegt es beim Handeln in fremdem Interesse, auch dies ist nur bei zwei Subjekten denkbar. Der unter anderem aus dem Interesse zusammengesetzte Zurechnungsgrund der Arbeitsteilung ist mit derselben Begründung ebenfalls nur in Fremdzurechnungskonstellationen anwendbar. Alle anderen Zurechnungsgründe können bei der Eigen- wie bei der Fremdzurechnung verwendet werden.
VII. Zurechnungsgründe sind rechtsgebietsabhängig Die Zurechnung als allgemeine Rechtstechnik kann nicht abstrakt mit einem starren Katalog von Zurechnungsgründen für alle Rechtsgebiete beschrieben werden. Die Wertungen, welche einfließen, sind stark abhängig vom zugrundeliegenden Rechtsgebiet. Hinter der umfassenden Grundrechtsbindung stehen andere Erwägungen als hinter dem zivilen Haftungsrecht oder der objektiven Zurechnung im Strafrecht. Dies hat auch mit den Folgen der Zurechnung zu tun: Während im Polizeirecht bei der Zurechnung einer Gefahrverursachung lediglich die Möglichkeit besteht, als Störer in Anspruch genommen zu werden, folgt aus der Zurechnung des Verhaltens des Erfüllungsgehilfen weitestgehend ohne weitere „Haltelinien“ eine Haftung des Schuldners. 1. Grundwertungen der Rechtsgebiete Das in Frage stehende Rechtsproblem und die Wertungen, welche das Rechtsgebiet durchdringen, sind bei den Zurechnungsproblemen einzubeziehen. Wenn bei der Grundrechtsgebundenheit öffentlich beherrschter Unternehmen die Wertung des Art. 1 Abs. 3 GG in Ansatz gebracht wird, dann gibt dies der anzustellenden Interessenabwägung bereits eine Richtung. Auch die Schutzwürdigkeit des Bürgers bei Eingriffen in die Grundrechte rechtfertigt eine grundsätzlich andere Behandlung atypischer Fälle als bei der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, bei der atypische Fälle zu einem Zurechnungsausschluss führen sollen. Wie bereits oben
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näher ausgeführt ist das Regel-Ausnahme-Verhältnis in den genannten Gebieten denkbar unterschiedlich, was Auswirkungen auf die Zurechnungsentscheidung und den Ausgang der Interessenabwägung haben kann. Daneben fällt der Begründungsaufwand hier je nach Gegenstand der Zurechnung und zugrundeliegenden rechtsgebietsspezifischen Grundwertungen unterschiedlich intensiv aus. 2. Regelungszusammenhang bestimmt Zurechnungsintensität Weiterhin sind die Regelungszusammenhänge der Zurechnungsprobleme in den Blick zu nehmen. Die verfassungsrechtliche oder einfachgesetzliche Systematik ist bei der Bestimmung der Zurechnung und der notwendigen Interessenabwägung zu beachten.229 In Betracht kommen daneben auch sehr konkrete Fragestellungen, an denen sich die Entscheidung orientieren kann. Es spielt etwa eine Rolle, gegen wen ein etwaiger Anspruch im „Ausgangsverhältnis“ gerichtet ist und wer Anspruchssteller ist. Daneben ist zu beachten, wie die Risiken im Rechtsbereich abstrakt verteilt sind, welche Grundwertungen also bereits durch systematische Auslegung vorgefunden werden können. Daneben wurde auch gezeigt, dass Zurechnung eine besondere Art der Schutzwürdigkeitserwägung ist: Erwägungen zur Schutzwürdigkeit sind daher ebenso einzustellen. Als Beispiel dieser Bezugnahme auf die Regelungszusammenhänge und den zugrundeliegenden Anspruch im Verhältnis des Dritten zum Zurechnungsadressaten lässt sich die Beherrschung unter Unternehmen nennen. Wird ein Unternehmen durch ein anderes Unternehmen beherrscht, so führt dies zu einer Zurechnung bei der Bestimmung der Arbeitnehmerzahl (vgl. § 5 Abs. 1 MitbestG) zum herrschenden Unternehmen als Umgehungsschutz. Vertragspartner des abhängigen Unternehmens können aber nicht auf vertraglicher Grundlage gegen die herrschende Gesellschaft vorgehen, wenn sie ihre Ansprüche geltend machen wollen. Sie haben ihre Verträge mit einem anderen Rechtssubjekt geschlossen. Für eine Zurechnung der vertraglichen Verpflichtungen fehlt es an einer entsprechenden Begründung, schutzwürdigen Interessen und im Übrigen bereits an einer Zurechnungsnorm. Für die Arbeitnehmerzurechnung liegt der materielle Grund im Umgehungsschutz und, hier nicht allein zum Tragen kommend, dem Beherrschungsgedanken. Die Erwägungen, mit denen gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Bezug auf die Grundrechtsbindung dem Staat zugeschlagen 229
Waltermann, AcP 192 (1992), 181, 191 etwa führt in Bezug auf die Wissenszurechnung aus, dass „Regelungszusammenhang und Sinn und Zweck“ der Zurechnungsnorm die Zurechnung beeinflussen. Auch Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 480 will verschiedene Tatbestände innerhalb der Vertrauenshaftung unterschiedlich beurteilen „je nachdem, welche Funktion diese zu erfüllen haben und welche Wertungen sich hinsichtlich der Zurechnungsproblematik aus dem Gesetz entnehmen lassen.“
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werden, sind ebenso wenig brauchbar, um eine Überleitung der vertraglichen Haftung dieser Unternehmen auf den Staat zu rechtfertigen. Es kommt somit nur zu einer selektiven Zurechnung. Nicht alle Ansprüche und Rechte des einen Subjekts werden dem Zurechnungsadressaten zugeordnet, da es dafür in der Regel keine Rechtfertigung gibt. Die Zurechnung orientiert sich vielmehr an den Erfordernissen des jeweiligen Rechtsbereichs, des jeweils in Rede stehenden Anspruchs und der Schutzwürdigkeit der Betroffenen. Hiernach ist die Reichweite der Zurechnung ebenfalls von dem einzelnen Rechtsproblem und der Intensität der Zurechnungsgründe abhängig. Man kann in Anbetracht der Schutzwürdigkeitserwägungen und der Interessenabwägung, welche die Interessen der Beteiligten in die Entscheidung einstellt, Folgendes formulieren: Je schwerwiegender die Folge der Zurechnung und je geringer damit die Schutzwürdigkeit Dritter und je höher die Schutzwürdigkeit des Zurechnungsadressaten, desto gewichtiger müssen die Zurechnungsgründe sein. 3. Rechtsgebietsspezifische Zurechnungsgründe Besonders eindrücklich lässt sich die Rechtsgebietsbezogenheit der Zurechnungsgründe an der Form des Handelns zeigen. Während dies in zivil- oder strafrechtlichen Zurechnungskonstellationen keine Rolle spielt, ist die Form des Handelns bei der Zuordnung einer Handlung zum Staat ein klares und einfach zu bestimmendes Kriterium, um eine Handlung in die staatliche Sphäre zu rücken. Es verwundert daher nicht, dass dieses Kriterium ausschließlich im Öffentlichen Recht und auch dort nur an den Stellen auftaucht, in denen es um die Abgrenzung der staatlichen von der privaten Sphäre geht, etwa bei der Neutralitätspflicht für Amtsträger, der „Staatlichkeit“ eines Grundrechtseingriffs, der Grundrechtsgebundenheit oder der Amtshaftung. Selbstredend ist dieses Sonderkriterium nicht allein geeignet, die Zurechnungsprobleme erschöpfend zu erklären; es bietet sich aber als erster Schritt zur Untersuchung an, um klare Fälle lösen zu können. Als rechtsgebietsbezogene Begrenzung der Zurechnung wurde nicht nur die Schutzwürdigkeit herangezogen, sondern daneben sind auch Schutzzweckerwägungen geeignet, die Zurechnung auf dasjenige zu begrenzen, was zur Erhaltung der Hauptnorm erforderlich ist. Der Schutzzweck der Hauptnorm ist daher eine Rückführung eher abstrakter Zurechnungserwägungen auf die konkret in Rede stehende Hauptnorm. Durch die Herausarbeitung des Normzwecks und der Einbeziehung in die Zurechnungsentscheidung kann die Verknüpfung der Zurechnungsentscheidung mit dem Willen des Gesetzgebers abgesichert werden. Daneben wird der Rechtsgebietsbezogenheit gedient, wenn spezifische Wertungen bei der Betrachtung des Normzwecks einfließen.
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Die herausgearbeitete Rechtsgebietsbezogenheit bedeutet freilich nicht, dass alle abstrakten Zurechnungsgründe in unterschiedlichen Rechtsbereichen andere Bedeutungsgehalte haben, dann wäre die Idee einer Abstrahierung gescheitert. Es handelt sich um eine geringe Anzahl an Zurechnungsgründen, die Einfallstor für die spezifischen Wertungen des jeweiligen Rechtsbereichs sind. Dabei handelt es sich insbesondere um die Schutzwürdigkeit als die gerechtigkeitsfunktionale Absicherung der Zurechnung, daneben um den Schutzzweck der Norm, da dieser Zurechnungsausschlussgrund eine „überschießende“ Zurechnung verhindert und eine Rückkopplung an die ratio der Hauptnorm gewährleistet. Weiterhin ist auch die Interessenabwägung insgesamt geeignet, Besonderheiten des Rechtsgebiets aufzufangen.
VIII. Nicht abschließende Anzahl an Zurechnungsgründen Eine Zurechnungslehre kann keinen numerus clausus an Zurechnungsgründen entwickeln, welche für alle denkbaren Zurechnungsgründe Geltung beanspruchen. Dies würde den Abstraktionsgrad so stark erhöhen, dass keine sachgerechten Lösungen gefunden werden könnten. Die dargestellten Zurechnungsgründe eignen sich aber als abstrakte Werkzeuge, um zukünftige Zurechnungsprobleme im Kern rechtsgebietsvergleichend aufzulösen und mit allgemeinen Zurechnungsgründen zu überprüfen. Dabei sind nicht bei jeder Gelegenheit alle Zurechnungsgründe in gleichem Maße in Stellung zu bringen. Es ist auch denkbar, dass aus dem reichen Fundus nur ein Grund für ein Problem passt. Dieses flexible Verständnis von alternativ zur Anwendung zu bringenden Zurechnungsgründen ist bei den subjektiv geprägten Zurechnungsgründen zu erkennen: In der Regel wird eine Zurechnung gerade nicht dem Willen des Zurechnungsadressaten entsprechen. Den Willen oder die Finalität als absolute Zurechnungsgründe auszumachen, würde die Zurechnung weitgehend ausschalten. Indes ist die Finalität dennoch als Zurechnungsbegründung denkbar, weil sie in einigen Fallgestaltungen den notwendigen Konnex zwischen Ursache und Wirkung treffend herstellen kann. Diese Flexibilität ist notwendige Konsequenz der starken Rechtsgebietsbezogenheit der Zurechnung. Soll die Liste an Zurechnungsgründen für alle denkbaren Zurechnungskonstellationen in allen Rechtbereichen anwendbar sein, dann ist ein höheres Maß an Flexibilität erforderlich, was durch die alternative Anwendung erreicht wird. Dies erlaubt es auch, für ein Zurechnungsproblem unpassende Zurechnungsgründe nicht sofort auch für andere Problemstellungen verwerfen zu müssen. Daneben ist nicht ausgemacht, dass weitere Zurechnungs-
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gründe existieren, die in den untersuchten Konstellationen nicht enthalten oder nicht näher herausgearbeitet wurden. Bei den analysierten Zurechnungsbeispielen handelt es sich notwendigerweise um eine Auswahl.
IX. Politischer Einschlag der Zurechnung Die Interessenabwägung und insbesondere die Bewertung der Schutzwürdigkeit sind notwendigerweise subjektiven Wertungen des Rechtsanwenders ausgesetzt. Geschriebene Zurechnung hat einen politischen Einschlag, wenn der Gesetzgeber sich durch Schaffung einer Zurechnungsnorm anschickt, mit der ratio legis auch Zurechnungsgründe zu konkretisieren. Der Gesetzgeber ist aber kein Monolith, welcher nur ein Einzelinteresse verfolgt; dieser ist vielmehr Einflüssen aus den unterschiedlichsten Richtungen ausgesetzt. Der Gesetzgeber kann bei der Schaffung einer Zurechnungsnorm – je nach politischen Mehrheiten – die Zurechnungsgründe zur Entfaltung bringen, die er für richtig hält, wie sich zuletzt an der Debatte über das sogenannte Lieferkettengesetz gezeigt hat, welches grundlegende Zurechnungsfragen aufwirft.230 In jeder geschriebenen Zurechnungsnorm ist damit auch eine politische Entscheidung für oder gegen die Zurechnung enthalten.231 Dies ist keine Schwäche der Zurechnung232, sondern gesetzlichen Regelungen immanent. Ist bereits die geschriebene Zurechnung politisch geprägt, dann ist dies bei der ungeschriebenen Zurechnung erst recht nicht zu vermeiden. Die Herausarbeitung der Schutzwürdigkeit oder des Schutzzwecks, besonders aber die Durchführung der Interessenabwägung selbst haben einen wertenden, daher zwangsläufig subjektiven Charakter. Insbesondere die, für ungeschriebene Zurechnung erforderliche, Rechtsfortbildung ist – bei aller methodischer Formung und dogmatischer Begrenzung – subjektiv geprägt, gleichwohl aber allgemein anerkannt. Ein subjektiv-politischer Einschlag ist in beiden Fällen der Zurechnung gegeben. Die Verkennung subjektiver Momente auch in der 230
BT-Drs. 19/28649 (Gesetzesentwurf) und BT-Drs. 19/30505 (Ausschussempfehlung). Kritisch dazu Di Fabio, JZ 2020, 1073, 1075 f. 231 Dies erkennt bereits Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung und die Stellung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs zur objektiven Schadensersatzpflicht, 1896, S. 50, wenn er bei der Frage nach einer gesetzlichen Anordnung der Gefährdungshaftung auch „socialpolitischen [sic] Erwägungen“, die „Volksanschauungen“ sowie die „wirtschaftlichen Machtverhältnisse“ einbeziehen will. 232 Anders wohl Di Fabio, JZ 2020, 1073, 1078, welcher eine Entgrenzung der Zurechnung und einen Verlust des „personalen Substrats“ sowie die Abkehr von der individuellen Verantwortung hin zu einer Zuschreibung an „die Gesellschaft“ und eine „willkürliche Zurechnung“ befürchtet.
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Wissenschaft kommt – um es mit Max Weber zu sagen – einer „naiven Selbsttäuschung“ gleich.233
X. Anschlussfähigkeit der Zurechnungsgründe Die herausgearbeiteten Zurechnungsgründe lassen sich ohne Probleme an bestehende, teilweise rechtsgebietsspezifische Begründungen zur Zurechnung anschließen. Bestehende Zurechnungsprinzipien können durch Zusammensetzung der herausgearbeiteten Zurechnungsgründe abgebildet werden. Wenn das strafrechtliche Kausalprinzip234 als Zurechnungsbegründung herangezogen wird, dann ist dies mit der Erfassung der Kausalität als Zurechnungsgrund mit abgedeckt. Das Verschuldensprinzip als die Herstellung einer Verantwortlichkeit mithilfe von Vorsatz oder Fahrlässigkeit lässt sich mit den angegebenen Zurechnungsgründen ebenfalls darstellen. Wie bei der Ausarbeitung zur Vorhersehbarkeit235 und Finalität236 aufgezeigt, lässt sich durch die Kombination von Zurechnungsgründen im Stile eines „Baukastens“ das Verschuldensprinzip nachbilden. Beherrschung im Sinne von Verhinderbarkeit ergibt zusammen mit der Vorhersehbarkeit die Voraussetzungen der Fahrlässigkeit. Wille und Vorhersehbarkeit ergeben im Falle der Finalität den Vorsatz. Das Verschuldensprinzip ist von den dargestellten Zurechnungsgründen also absorbiert. Selbiges gilt für die Gefährdungshaftung, die als Aspekte der Beherrschbarkeit darstellbar sind.237 Das Veranlassungsprinzip wurde als eigene Zurechnungsbegründung verworfen, da die hinter dem Begriff stehenden Wertungen, vornehmlich Adäquanz- und Vorhersehbarkeitsgesichtspunkte, in den übrigen Zurechnungsgründen enthalten sind.238 Das Risikoprinzip und der daraus folgende Gedanke der Risikobeherrschung lässt sich dem Beherrschungsgedanken zuordnen.239 Es zeigt sich, dass die bisherigen, rechtsgebietsspezifischen Versuche einer Zurechnungsbegründung durch die vorliegenden Zurechnungsgründe probat dargestellt werden können. Durch die Verbindung der einzelnen Zurechnungsgründe ist die Anschlussfähigkeit an bisherige Zurechnungsprinzipien ohne weiteres möglich. 233
Weber, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 19 (1904), 22, 56. So etwa Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 302019, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rn. 72. 235 § 4 A. II. 14. d). 236 Siehe zunächst bereits unter § 4 A. II. 3 ausführlicher herausgearbeitet unter § 4 A. II. 4. 237 § 4 A. II. 10. 238 § 4 A. II. 13. 239 § 4 A. II. 7. 234
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XI. Zusammenfassung Die Kausalität und auch die Schutzwürdigkeitserwägungen können als absolute Zurechnungsgründe betrachtet werden und kommen mithin stets zur Anwendung. Für die Kausalität ist dies naheliegend, da sie den notwendigen Konnex zwischen Ursache und Wirkung herstellt, auf den materielle Gründe zur Begründung der Verantwortlichkeit aufbauen. Die Schutzwürdigkeit ist überall zu erkennen, teilweise jedoch nicht explizit hervorgehoben. Nach oben eingeführter Terminologie handelt es sich bei absoluten Zurechnungsgründen um Zurechnungszwecke. Die prominente Rolle der Schutzwürdigkeitserwägungen zeigt auf, dass die anfangs geäußerte These, die Zurechnung diene dem Umgehungsschutz und sei gerechtigkeitsfunktional, offensichtlich zutreffend ist. Kein anderer untersuchter Zurechnungsgrund durchdringt alle genannten Fallkonstellationen. Zurechnung funktioniert damit nicht als Prinzip im Sinne eines starren Tatbestandes von festen Zurechnungsgründen, sondern einzelfall- und rechtsbereichsbezogen. Es muss also darum gehen, die Zurechnungsgründe nicht kumulativ, sondern alternativ zur Anwendung zu bringen. Dies wird bei der methodischen Umrahmung zu beachten sein. Insgesamt zeigt sich eine gewisse Unschärfe der Zurechnungsgründe, da sie auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Regelungsbereichen und Rechtsbereichen passen sollen. Ein Grund für die Unschärfe dürfte der hier unternommene Versuch sein, die Eigen- und Fremdzurechnung einer gemeinsamen Behandlung zuzuführen. Die Unschärfe wird in der praktischen Behandlung dadurch erleichtert, dass die Zurechnungsgründe in wertender Betrachtung alternativ, nicht kumulativ geprüft werden sollen. Nicht passende Zurechnungsgründe können dann ausgelassen werden. Die Zurechnungsgründe haben durch ihre nun abstrahierte Form Prinzipiencharakter. Sie enthalten Grundwertungen, welche aus den unterschiedlichen hier analysierten Konstellationen gewonnen wurden. Trotz der erfolgten Versuche, sie begrifflich zu schärfen und inhaltlich abzugrenzen, sind sie als solche Prinzipien keiner vollständigen Konkretisierung zugänglich. Ziel der Ausarbeitung war indes nicht die Herausarbeitung von trennscharfen Definitionen, sondern die Aufdeckung von breit gefassten Wertungszusammenhängen, welche sich hinter der Zurechnung verbergen. Diese Zusammenhänge lassen sich nur prinzipienhaft formulieren, wie die obige Auflistung verdeutlicht. Bei der Darstellung der Grundwertungen ist das Abstraktionsniveau der Zurechnungsgründe notgedrungen sehr hoch, was zwangsläufig Wertungsspielräume eröffnet. Die Sorge vor der Offenheit der Begriffe ist zum einen wegen des hier unternommenen Versuchs der begrifflichen Einhegung unbegründet, zum anderen
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sind offene Wertungsspielräume ein typisches Merkmal von Zurechnungsproblemen und kein malus. In einer Vielzahl der Fälle wird die Zurechnungsbegründung bisher durch eine „wertende Betrachtung im Einzelfall“ vorgenommen, die zugrunde gelegten Wertungen aber dadurch mehr verschleiert denn offenbart. Dagegen verspricht das hier vorgeschlagenen Zurechnungsmodell eine Neustrukturierung und eine stärkere dogmatische Einhegung der Argumentation. Grundlegende Aspekte der Zurechnung konnten insbesondere in Bezug auf die zusammengesetzten Zurechnungsgründe aufgezeigt werden. Während die unselbständigen Zurechnungsgründe wie Wille, Kenntnis und Interesse durch ihre hohe Abstraktion allein kaum brauchbar sind, können sie durch die Verbindung mit anderen Zurechnungsgründen konkretisiert werden. Arbeitsteilung oder Finalität, aber auch Aspekte des Verschuldens sind Beispiele dieser Möglichkeit, aus den hier freigelegten Grundwertungen weitere positive oder negative Zurechnungsgründe zu gewinnen. Weiterhin wurde im Laufe der Konturierung der Zurechnungsgründe die Anschlussfähigkeit mit bisherigen Ansätzen der Zurechnungsbegründung aufgezeigt. Bekannte Zurechnungsprinzipien wie das Gefährdungsprinzip oder das Verschuldensprinzip lassen sich mit den hier stark abstrahierten Zurechnungsgründen darstellen. Dies erfolgt durch die Zusammensetzung verschiedener Zurechnungsgründe im Stile eines „Baukastens“. Zwischen den Zurechnungsgründen zeigt sich – insbesondere wegen der „Schwäche“ der unselbständigen Zurechnungsgründe – ein Konkurrenzverhältnis. Die zusammengesetzten Zurechnungsgründe sind spezieller als die enthaltenen unselbständigen Zurechnungsgründe. Daneben sind die zusammengesetzten Zurechnungsgründe begründungsstärker als die unselbständigen, da sie mehrere Zurechnungsaspekte verknüpfen. Die Zurechnungsgründe sind darüber hinaus zum großen Teil graduell abstufbar und können je nach Intensität auch den Umfang der Zurechnung mitbestimmen. Durch die Schutzwürdigkeitsbetrachtungen, aber auch die Betrachtung des Schutzzwecks der Norm, ist die Zurechnung stets rechtsgebietsbezogen. So wird die Einfügbarkeit der Zurechnungsentscheidung in die entsprechende Systematik des Rechtsgebiets erleichtert und eine Anschlussfähigkeit sichergestellt. Systematische Zusammenhänge des Rechtsgebiets sind bei der Anwendung der Zurechnung zu beachten. Die Reichweite der Zurechnung ist abhängig von der zugrundeliegenden Hauptnorm, steht aber auch in Verhältnis zu der Intensität der vorhandenen Zurechnungsgründe. Je schwerwiegender der Zurechnungsgegenstand, je „belastender“ also die Zurechnung, desto stärker müssen die Zurechnungsgründe wiegen.
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B. Methodische Ausgestaltung eines Zurechnungsmodells Nach der inhaltlichen Ausformulierung einer allgemeinen Zurechnungslehre muss der Frage nach der methodischen Anschlussfähigkeit eine gewisse Aufmerksamkeit geschenkt werden. Bereits eingangs wurde die Zurechnung von der Rechtsfortbildung und der Auslegung abgegrenzt.240 Dies kann indes nicht ausreichen, da die hier vorgenommene Abgrenzung keinen Aufschluss über die Anwendung der in diesem Kapitel ausgearbeiteten Zurechnungslehre und insbesondere der Zurechnungsgründe gibt. Es zeigt sich, dass die bisher zu Tage getretene Vorstellung der Anwendung der Zurechnungsgründe Ähnlichkeiten mit den methodischen Ideen des sogenannten „Beweglichen Systems“ und der Topik aufweisen. Es sollen daher im Folgenden beide Varianten dargestellt und auf Schnittmengen untersucht werden. Ziel ist es dabei, Gemeinsamkeiten aufzudecken und eine methodische Anschlussfähigkeit aufzuzeigen, nicht aber, eine finale methodologische Gesamtlösung zu erarbeiten, dies muss weiterer Bearbeitung vorbehalten bleiben. Daneben erscheinen auch weitere methodische Implementierungen denkbar, die Darstellung soll aber auf die beiden Genannten beschränkt bleiben.
I. Lösung als „Bewegliches System“ 1. Grundlagen des Beweglichen Systems a) Bewegliche und starre Normen Der Ausgangspunkt des Beweglichen Systems ist rechtsdogmatischer Natur. In der Regel sind Rechtssätze nach dem klassischen „Wenn …, dann …“-Schema von Tatbestand und Rechtsfolge konstruiert. Das Vorliegen des Tatbestandes ergibt eine gesetzlich vorgegebene Rechtsfolge. Im Gegensatz dazu stehen Ansätze, welche sich – in welcher konkreten Begründung auch immer – von der gesetzlichen Formulierung lösen wollen und das Ergebnis im Rahmen einer freieren, das heißt von der Norm gelösten, Rechtsfindung durch den Rechtsanwender erreichen wollen. Für eine möglichst starre Normenkonstruktion sprechen die Rechtssicherheit und die damit einhergehende Vorhersehbarkeit der Entscheidung ebenso wie die Einfachheit und Schnelligkeit der Entscheidungsfindung sowie die stärkere Steu-
240
Siehe oben § 1 A. XII.
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erungswirkung auf den Normadressaten.241 Auf der anderen Seite führt eine ausschließlich starre Regelung zu einem unflexiblen Rechtssystem, welches im Einzelfall ungerechte, da nicht durch den Rechtsanwender differenzierbare Ergebnisse produzieren kann.242 Dass der Gesetzgeber daneben schnell überfordert sein dürfte, alle Fälle vorherzusehen und zu regeln, liegt ebenfalls auf der Hand.243 Weiterhin wird der Rechtsanwender versuchen, durch versteckte Korrekturen des Gesetzes im Mantel der Auslegung oder der Sachverhaltsfeststellung unannehmbare Ergebnisse zu vermeiden, womit aber das System starrer Tatbestände ad absurdum geführt wird.244 Begibt sich der Rechtsanwender auf den Weg, die starren Normen mit Billigkeitserwägungen zu retten, leidet die Rechtssicherheit und der eigentliche gesetzgeberische Zweck wird in sein Gegenteil verkehrt.245 Ein starres System erfüllt seine Vorteile nur dann, wenn eine tatsächliche Bindung an das Gesetz besteht, was nur bei einem völligen Abschneiden von Wertungsentscheidungen des Rechtsanwenders durch vollständige Kodifizierung der Wertentscheidungen denkbar ist.246 Durch einen steigenden Differenzierungsgrad wird ein Rechtssystem den widerstreitenden Interessen zwar gerechter, die Rechtssicherheit leidet aber. Daneben dürfte eine freie Rechtsfindung auch für den Rechtsanwender mit erheblichem Mehraufwand verbunden sein.247 Das deutsche Zivilrecht ist in dieser Hinsicht deutlich „starrer“ formuliert248 als das ältere, österreichische Pendant, das ABGB. Dieses enthält etwa in den §§ 6–8 bemerkenswerte Klarstellungen zur Auslegung: Insbesondere § 7 ABGB, welcher im Falle erfolgloser Wortlautauslegung zu der Beachtung ähnlicher Fälle und auf die „Gründe anderer damit verwandter Gesetze“ sowie der Zugrun241
Umfassende Auswertung bei Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 70 ff. 242 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 22011, S. 537 f.; Koziol, Austrian Law Journal 2017, 160, 169. 243 Vgl. etwa Koziol, Austrian Law Journal 2017, 160, 161. 244 Vgl. Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 23. 245 Vgl. zur Kritik an der deutschen Rechtsprechung in dieser Hinsicht etwa Koziol, Austrian Law Journal 2017, 160, 162. 246 Vgl. Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 72 f. 247 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 83 bereits mit Bezug auf das bewegliche System. 248 Vgl. ders., Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 78: „Das System des geltenden deutschen Rechts ist grundsätzlich nicht beweglich, sondern unbeweglich.“ Michael, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, 2000, S. 267, 270 ff. weist dagegen in allen Rechtsbereichen auch komparative Normstrukturen nach.
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delegung natürlicher Rechtsgrundsätze verpflichtet, deutet diese höhere „Elastizität“249 des österreichischen Rechts bereits an. b) Das Bewegliche System als „Mittelweg“ Das Bewegliche System ist ein Hybridmodell, welches sich als Mittelweg zwischen die beiden Grundprinzipien der Rechtssicherheit und der Gerechtigkeit einfügt. Es ist nach Canaris ein „glücklicher Kompromiss“: Mit Blick auf die fehlende Rechtssicherheit ist es besser als schlichte Billigkeitsklauseln, auf der anderen Seite aber auch besser als die „Rigorismen“ starrer Normen.250 Das Bewegliche System versteht rechtliche Erscheinungen nicht als „starren Körper, sondern das Ergebnis einer Kräftewirkung“251. Damit löst es sich teilweise von einem starren Normverständnis und will stattdessen komparative Elemente einführen, die nicht nach einer „Wenn …, dann …“-Logik, sondern nach einem komparativen „je mehr …, desto …“-Modus funktionieren.252 Die Rechtsfolge wird also nicht determiniert durch das schlichte Vorliegen von Tatbestandsmerkmalen, es kommt vielmehr darauf an, wie stark gewisse Merkmale erfüllt sind, um die Rechtsfolge zu bestimmen. c) Zum Begriff der Elemente Die widerstreitenden Kräfte, die zu einer rechtlichen Entscheidung führen, lassen sich als Elemente des Systems bezeichnen. Wilburg selbst, der Erfinder des Beweglichen Systems, hat keine einheitliche Bezeichnung gewählt253 und bezeichnet die Elemente zum Teil schlicht als „bewegliche Kräfte“254. Andere verwenden daneben die Begriffe Grund, Gesichtspunkt, Kriterium, Prinzip oder Grundsatz.255 Im weiteren Verlauf soll die Begrifflichkeit des Elements genutzt werden. Synonym erscheinen auch die Bezeichnung als Gründe oder Gesichts249
Koziol, Austrian Law Journal 2017, 160, 161; vgl. auch Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 23. 250 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 85. 251 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 5. 252 Vgl. Bydlinski, in: Bydlinski/Krejci/Schilcher u. a. (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, S. 28. 253 Siehe auch die Auflistung der verschiedenen von Wilburg genutzten Begrifflichkeiten bei Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 18 Fn. 14. 254 So etwa Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 12. 255 Nachweise bei Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 18. Kritisch zur Terminologie etwa Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2 1983, S. 75. Von Zurechnungskriterien spricht Möllers, Juristische Methodenlehre, 32020, § 8 Rn. 4.
B. Methodische Ausgestaltung eines Zurechnungsmodells
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punkte oder auch Kräfte. Bei der Nutzung der Begrifflichkeit „Gründe“ drohen allerdings Missverständnisse mit den oben herausgearbeiteten Zurechnungsgründen, bei den „Kriterien“ mit den Zurechnungskriterien. Der Begriff der Prinzipien ist bereits anderweitig belegt, da nicht beabsichtigt ist, die rechtsgebietsspezifischen Wertungen etwa mit dem Demokratieprinzip begrifflich auf eine Ebene zu stellen.256 d) Die Elemente des Beweglichen Systems Als Elemente der genannten Krafteinwirkung kommen Wertungsgesichtspunkte des jeweiligen Rechtsgebiets zum Tragen. Diese lassen sich rechtsvergleichend257 aus den vorliegenden gesetzlichen Normen induzieren oder aus faktischen Gegebenheiten ableiten.258 Das Bewegliche System ist damit, wie Dogmatik an sich, keine „wertungsneutrale Begriffsarbeit“259, sondern wertungsgeprägt. Die Elemente des Beweglichen Systems sind Optimierungsgebote, für die keine vollständige Befolgungspflicht besteht, es handelt sich um „abstufbare Sollensanforderungen“, denen „nach Möglichkeit“ Folge geleistet werden soll unter Berücksichtigung anderer, kollidierender Gesichtspunkte260. Die Elemente sind nicht als absolute oder starre Größen zu verstehen, entscheidend ist die „Gesamtwirkung ihres variablen Spiels“261: Tritt ein Element besonders stark auf, so kann dies allein zur Begründung genügen.262 Durch die Nutzung der verschiedenen Elemente kann das System auch flexibel auf Wertungsänderungen reagieren. Ändert sich die Wertung eines Elements, ist das bewegliche System durch einen Austausch einzelner Elemente weiterhin nutzbar.263 Die Anwendung des Beweglichen Systems schließt nicht die Heranziehung auch starrer, nicht abstufbarer Elemente aus. Beides kann auch kombiniert wer-
256 Mit weitergehender Begründung zutreffend Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 19 f. 257 Zum rechtsvergleichenden Zug des Beweglichen Systems Steininger, in: Bydlinski/Krejci/Schilcher u. a. (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, S. 1, 5 f.; Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 15. 258 Bydlinski/Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 32018, S. 99; ähnlich Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 37. 259 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 61991, S. 233. 260 Vgl. mit anderer Nomenklatur Bydlinski/Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 32018, S. 99. 261 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 13. 262 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 13; Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997, S. 55 f. 263 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 14.
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den.264 Ebenso wenig wie die Rechtsordnung als Ganzes unbeweglich oder als Ganzes beweglich ausgestaltet werden kann265, ist das eine vollständig ohne das andere zu betrachten: Es herrscht ein „Nebeneinander von beweglichen und unbeweglichen Systemteilen“266. e) Gleichrangigkeit und Austauschbarkeit der Elemente Die Elemente stehen grundsätzlich gleichrangig nebeneinander. Eine denkbare Abstufung der Prinzipien untereinander ist dem System jedenfalls nicht fremd und kann mit ihm abgebildet werden.267 Hinter der Gleichrangigkeit versteckt sich damit vielmehr die Ablehnung absoluter Prinzipien. Wilburg kritisierte seinerzeit, es sei ein allgemeines Problem, dass an sich gut gemeinte Prinzipien die Alleinherrschaft anstrebten268, hierin sah er einen Mangel der herrschenden Lehre269. Eng verwandt mit der grundsätzlichen Gleichrangigkeit der Elemente ist die wechselseitige Austauschbarkeit. Im Idealtypus eines beweglichen Systems sind alle Elemente durch andere Elemente des Systems austauschbar.270 Selbst ein Element, wenn es in ausreichender Stärke vorliegt, soll genügen können.271 Mischformen zwischen beweglichen und unbeweglichen Elementen sind wie gezeigt aber nicht ausgeschlossen. So ist es denkbar, bewegliche mit unbeweglichen Elementen zu kombinieren. Es kann aber auch ein Mindestmaß eines beweglichen oder unbeweglichen Elements erforderlich sein, welches dann nicht
264 Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997, S. 54; mit Anwendungsbeispiel etwa Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 85 f. 265 Zur Unmöglichkeit, das gesamte Recht aus beweglichen Elementen zusammenzusetzen Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 4; MayerMaly, in: Canaris (Hrsg.), Festschrift für Karl Larenz zum 80. [achtzigsten] Geburtstag am 23. April 1983, 1983, S. 395, 407. 266 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 80. 267 Überzeugend Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997, S. 52 ff. m. w. N.; Schilcher, in: Bydlinski/Krejci/Schilcher u. a. (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, S. 287, S. 287 ff., S. 312 f. 268 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 12; zustimmend etwa auch Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 80. 269 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 22. 270 Siehe etwa Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 75; Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997, S. 51. 271 Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, 1941, S. 13.
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durch jedes andere Element ersetzt werden kann.272 Die Austauschbarkeit und auch die Gleichrangigkeit aller Elemente sind damit nur in einem Idealtypus des Beweglichen Systems gegeben.273 Es kann auch Elemente geben, die so gewichtig sind, dass sie nicht austauschbar sind. Michael weist dies auch bei den von Wilburg genannten Elementen für das Schadensrecht nach, die eher den Charakter einer notwendigen Voraussetzung haben.274 f) Abschließende Anzahl der Elemente Dies bedeutet freilich nicht die Gleichrangigkeit aller in der Rechtsordnung relevanter Prinzipien, sondern vielmehr die grundsätzliche Gleichrangigkeit nur der herausgearbeiteten Elemente, die grundsätzlich abschließend sind. Trotz allem ist das Bewegliche System nicht gleichbedeutend mit einem „offenen System“, in welchem beliebige Gesichtspunkte zur Falllösung hinzugezogen werden. Offenheit meint die fehlende Abschließbarkeit der Gründe für die Rechtsfolge275, die Beweglichkeit bezieht sich auf die Abstufbarkeit der Elemente. Ein offenes System ist nicht notwendig beweglich, ebenso wenig wie ein Bewegliches System zwangsläufig offen ist.276 Um eine methodische Beherrschbarkeit zu erreichen und auch um eine Abgrenzung zu einer reinen Billigkeitsjurisprudenz herzustellen, sind die Elemente des Beweglichen Systems allerdings grundsätzlich abschließend277, wenngleich nach Wilburg auch eine Ergänzung um „zusätzliche Lösungsgesichtspunkte“ zur Lösung von Sonderproblemen denkbar ist278.
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Vgl. Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997, S. 54. 273 Vgl. jeweils bei ders., Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997, S. 52 ff. 274 Ders., Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997, S. 54 insb. Fn. 18. 275 Nach Canaris, in: Bydlinski/Krejci/Schilcher u. a. (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, S. 103, 104 ist Rechtserkenntnis stets ein offenes System, da neue Einsichten oder auch neue Normen und Wertungen durch den Gesetzgeber hinzukommen können. 276 Ders., Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 75 f. 277 So etwa Möllers, Juristische Methodenlehre, 32020, § 8 Rn. 4; Canaris, in: Bydlinski/ Krejci/Schilcher u. a. (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, S. 103, 104: „Verhältnismäßig kleiner Kreis“. Von der Möglichkeit eines beweglichen, aber offenen Systems zur Anwendung der von ihm herausgearbeiteten Zurechnungsprinzipien im Schadensrecht spricht Larenz, JuS 1965, 373, 379. 278 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 77.
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g) Elemente und Rechtsfolge Die Elemente des Beweglichen Systems sind keine Rechtsnormen, sondern „generelle Wertungstendenzen in Bezug auf umfassende Sachverhalte und die darauf bezogenen konkreteren Rechtskomplexe“279. Anders als die Analogie führt die Herauspräparierung der Elemente nicht zu einer bestimmten Rechtsfolge, sondern nur zu einer „Orientierung an der im Prinzip ausgedrückten Werttendenz“280, die Rechtsfolge ergibt sich aufgrund der komparativen Stärke der Elemente281, ist abhängig von den beteiligten Elementen282. Die Rechtsfolge kann damit selbst beweglich sein283, muss es aber auch nicht284. Typische Beispiele einer beweglichen Rechtsfolge sind mitgehende Rechtsfolgen wie das Schmerzensgeld oder das Mitverschulden.285 Die Elemente geben hier den Grad des Mitverschuldens an: Aufgrund ihrer Stärke und der wechselseitigen Beeinflussung steht im Ergebnis dann eine abstufbare Rechtsfolge. Zu scheiden ist diese Folge des Beweglichen Systems von Fällen, in denen auch bei starren Normen die Rechtsfolge beweglich erscheint, es aber tatsächlich nicht ist. Auch die Höhe eines Erfüllungsanspruchs oder der Höhe eines Schadensersatzes hängt von der Höhe des Schadens und damit von der Höhe eines Tatbestandsmerkmals ab. Hier fehlt aber ein Entscheidungsspielraum286 und die Austauschbarkeit des Merkmals, daneben steht das Merkmal in einem unverrückbaren Verhältnis zur Rechtsfolge.287 Westerhoff nennt diese scheinbar beweglichen Elemente lediglich die Rechtsfolge der Höhe nach „bestimmende[n]
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Bydlinski/Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 32018, S. 99. Dies., Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 32018, S. 99. 281 Koziol, Austrian Law Journal 2017, 160, 166 f.; Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997, S. 115 ff. 282 Bydlinski/Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 32018, S. 103. 283 Koziol, Austrian Law Journal 2017, 160, 167; zu den abstufbaren Ergebnissen des Systems auch Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 14; Otte, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, 2000, S. 143, 149. 284 Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997, S. 51. 285 Vgl. Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 20 f.; Otte, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, 2000, S. 143, 149. 286 So etwa Otte, in: Albert (Hrsg.), Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, 1972, S. 301, 316. 287 Umfassend Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 21 mit weiteren Nachweisen. 280
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Voraussetzungen“, die beweglichen Elemente dagegen sind die Rechtsfolge „begründende[n] Voraussetzungen“.288 Hier zeigt sich eine der Besonderheiten des Beweglichen Systems. Es werden nicht nur Gründe für und gegen einen Anspruch gegenübergestellt, sondern sie werden auch in Beziehung zur Rechtsfolge gestellt.289 Das Bewegliche System erfordert durch die Betrachtung der verschiedenen Prinzipien „je nach Zahl und Stärke“290 der Elemente neben der Herausarbeitung der wesentlichen Argumente für oder gegen eine Rechtsfolge291 im Kern eine Interessenabwägung292, welche in der Regel durch den Gesetzgeber, ansonsten durch den Rechtsanwender vorgenommen wird.293 Diese Interessenabwägung aller maßgeblichen Wertungen des Rechtsproblems geht über die reine Auslegung nach dem verfolgten Gesetzeszweck hinaus. Der durch schlichte Auslegung gefundene Zweck ist regelmäßig nur ein „hochstilisierter Ausschnitt aus verschiedenen Gründen einer Regelung“294. Wird vorschnell auf den Gesetzeszweck ohne umfassende Herausarbeitung der Elemente abgestellt, dann kann sich sogar ein Zirkelschluss ergeben, wenn der Gegenstand der Deduktion bereits in dem Sinne verstanden wird, wie das Ergebnis lauten soll.295 h) Bewegliches System und „Basiswertungen“ Aus der Abwägung der Elemente lassen sich auch rechtsgebietsbezogen „Basiswertungen“ extrahieren, die in das Zusammenspiel der Elemente eingestellt wer288 Siehe dazu mit weiteren Nachweisen ders., Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 21 f. 289 Ders., Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 22. 290 Wilburg, AcP 163 (1964), 346, 347; ähnlich Canaris, in: Bydlinski/Krejci/Schilcher u. a. (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, S. 103, 111. 291 So beschreibt Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 18 den Vorgang des Abwägens. 292 Vgl. Wilburg, in: Ebert (Hrsg.), Festschrift Hermann Baltl, 1978, S. 557, 568; Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 16, 21, 6; Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, 1941, S. 44, 64. Aus seiner Anhängerschaft siehe nur Deutsch, in: Bydlinski/Krejci/Schilcher u. a. (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, S. 43, 47; Otte, in: Bydlinski/Krejci/Schilcher u. a. (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, S. 271, 280 f.; und die umfassenden weiteren Nachweise bei Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 17. 293 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 22011, S. 535; Koziol, Austrian Law Journal 2017, 160, 167; siehe auch Bydlinski/Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 32018, S. 99. 294 Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 81. 295 Vgl. ders., Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 83.
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§ 4 Grundgedanken einer allgemeinen Zurechnungslehre
den können.296 Wilburg selbst spricht von einer „Durchschnittsregel“297. Diese kann sich auch durch das Gesetz oder Präjudiz ergeben.298 Die Lösung von Problemstellungen anhand ihrer mehr oder weniger starken Abweichung von einem wertungsmäßig ausgebreiteten „typischen Normalfall“299 weist dann gewisse Ähnlichkeiten zu juristischen Schlussfolgerungen auf.300 Bei den Elementen handelt es sich nicht um beliebige Gesichtspunkte. Dies würde zu einer Willkür und einer beinahe freien Entscheidung des Rechtsanwenders führen, es geht vielmehr um ein „gelenktes Ermessen“301 des Rechtsanwenders. Idealtypisch benennt das Gesetz die entscheidenden Faktoren und ihre Gewichtung und überlässt dem Rechtsanwender die Ausfüllung im Einzelfall302 oder regelt beispielhaft typische Fälle303. Als Beispiel lassen sich die gesetzlichen Ziele für die Erstellung von öffentlich-rechtlichen Plänen nennen: Die Verwaltung ist unter Beachtung der im Gesetz niedergelegten Planziele dazu berufen, einen bestmöglichen Plan zu erstellen.304 i) Methodische Abgrenzungen Ähnlich, aber nicht verwandt ist das Bewegliche System mit der inhaltlichen Ausfüllung von Generalklauseln. Diese sind unbestritten ausfüllungsbedürftig durch Wertungen, was ein originärer Anwendungsbereich des Beweglichen Systems ist.305 Das bewegliche System soll aber nicht nur bei Generalklauseln gel296 Koziol, Austrian Law Journal 2017, 160, 167; Schilcher, Theorie der sozialen Schadensverteilung, 1977, S. 204. 297 Siehe Wilburg, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 43. Deutschen Juristentages München 1960, 1962, C 19. 298 Bydlinski, in: Bydlinski/Krejci/Schilcher u. a. (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, S. 34. 299 Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 26; zur Übertragung von Wertungen auf ähnliche Elemente etwa Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 22011, S. 538. 300 Siehe etwa Otte, in: Albert (Hrsg.), Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, 1972, S. 301, 314; Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 23 m. w. N. 301 Vgl. Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 22; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 75. 302 Koziol, Austrian Law Journal 2017, 160, 168. 303 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 22. 304 Zu diesem und anderen Beispielen im Öffentlichen Recht siehe Korinek, in: Bydlinski/ Krejci/Schilcher u. a. (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, S. 243, 245; Michael, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, 2000, S. 267, 272 ff. 305 Vgl. dazu Mayer-Maly, in: Bydlinski/Krejci/Schilcher u. a. (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, S. 117 ff.; Schilcher, in: Bydlinski/Krejci/
B. Methodische Ausgestaltung eines Zurechnungsmodells
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ten306, sondern strebt, anders als Generalklauseln als Einfallstor der Billigkeit, eine „Grundsätzlichkeit“ an307, welche den Generalklauseln fremd ist. Trotz gewisser Ähnlichkeit steht das Bewegliche System damit eher zwischen Generalklauseln und festem Tatbestand.308 Die Anwendung des Beweglichen Systems kann dazu führen, Konkretisierung und Fortbildung des Rechts methodisch abzusichern und dafür sorgen, dass die „Rechtswissenschaft in diesem Rahmen die Kräfte und Ideen frei gestalten [kann], ohne dass es neuer Gesetze bedarf.“309 Nicht für alle Rechtsgebiete ist das Bewegliche System indes gleichermaßen geeignet.310 In dem oben angegebenen Spannungsfeld zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit gibt es Bereiche, in denen die Rechtssicherheit einer Materie überragende Bedeutung zukommt, etwa dem Straf- oder Grundbuchrecht.311 Hier ist der Bedarf für stark ausdifferenzierte Normen gering und starre Normen sind vorzugswürdig. Komparativ lässt sich auch hier formulieren: Je stärker die Rechtssicherheit in einem Bereich ins Gewicht fällt und je klarer die Differenzierungen festgeschrieben werden können und je geringer der Bedarf für Differenzierungen ist, desto eher muss der Gesetzgeber „starre“ Normen regeln; je weniger das möglich ist, desto eher sind die relevanten Kriterien, deren Gewicht und ihr Zusammenspiel anzugeben.312 Insbesondere bei komplexen, wertungsabhängigen und nicht klar überschaubaren Sachverhalten kommt die Idee des Beweglichen Systems zu voller Entfaltung. Für den Gesetzgeber ist damit ein Mittelweg von starren und teilweise beweglichen Tatbeständen angezeigt.313 Das Bewegliche System ist in seiner Anwendung nicht nur auf das Privatrecht begrenzt, sondern umfassend einsetzbar.314 Abzugrenzen ist das Bewegliche System von der Interessenjurisprudenz, die zwar auf den ersten Blick ähnlich erscheint, da hier nach soziologischer Methode Schilcher u. a. (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, S. 287, 289. 306 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 82. 307 Siehe nochmals Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 6. 308 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 82. 309 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 23. 310 Vgl. Koziol, Austrian Law Journal 2017, 160, 169; Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997, S. 60 f. 311 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 4; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 83. 312 So Koziol, Austrian Law Journal 2017, 160, 170. 313 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 22011, S. 533; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 84 f. 314 Korinek, in: Bydlinski/Krejci/Schilcher u. a. (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, S. 243, 248.
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die Motive der gesetzlichen Regelung in den Vordergrund gerückt und weitergebildet werden.315 Das Bewegliche System ist gerade dazu erdacht, bisher versteckte Wertungsgefüge im Recht offenzulegen und auf Prinzipien zurückzuführen. Anders als eine Begründung nach Billigkeit oder nach einer ominösen „wertenden Betrachtung des Einzelfalls“, welche die maßgeblichen, die Entscheidung begründenden Aspekte eher unter Worthülsen verschleiern denn offenzulegen sucht, geht das Bewegliche System den gegenteiligen Weg und konstituiert die Wertungselemente, in deren Spannungsfeld sich je nach Einzelfall eine Entscheidung ergibt, um eben nicht auf Billigkeit, gute Sitten oder Rechtsempfinden zurückgreifen zu müssen.316 Billigkeit als solche ist für die Rechtsanwendung vielmehr gefährlich, da sie keine grundsätzliche, prinzipienhafte Bedeutung beanspruchen kann, sie ebnet vielmehr den Weg zur freien Rechtsfindung.317 Daneben handelt es sich beim Beweglichen System auch um auch keine freie Rechtsanwendung, sondern um eine Bindung des Rechtsanwenders an ein „gelenktes Ermessen“318: Dem Anwender verbleibt ein Spielraum, aber nur unter Zugrundelegung der herausgearbeiteten Grundwertungen. Daneben unterscheidet die grundsätzlich abschließende Anzahl der maßgeblichen Wertungsgründe das Bewegliche System von der Billigkeitsjurisprudenz319, gleichwohl Wilburg selbst zu bedenken gibt, dass auch „neue Gesichtspunkte und Kräfte“ hinzukommen könnten320. In dem Widerstreit zwischen starrem Normverständnis und freier Rechtsfindung nimmt das Bewegliche System damit wie gezeigt eine vermittelnde Position ein. Durch die Ausrichtung erscheint es dem Gerechtigkeitspostulat durch die stark individualisierte Ausrichtung näher, gleichwohl dem Gerechtigkeitsgedanken auch eine generalisierende Tendenz innewohnend ist.321 Außerdem erlaubt das Bewegliche System zwar eine wesentlich stärkere individuelle Differenzierung als ein unbewegliches System, allerdings nur bis zu einem gewissen Grad, denn beim Beweglichen System sind die Prinzipien ebenfalls nur in begrenzter Anzahl vorhanden. Damit geht das Bewegliche System den oben bereits genann315 Zur Abgrenzung etwa Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 5; Hücking, Der Systemversuch Wilburgs, 1982, S. 2. 316 Siehe auch Möllers, Juristische Methodenlehre, 32020, § 8 Rn. 7; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 22011, S. 537; Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 22; ähnlich Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 72. 317 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 6. 318 Ders., Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 22. 319 Möllers, Juristische Methodenlehre, 32020, § 8 Rn. 7; Canaris, in: Bydlinski/Krejci/ Schilcher u. a. (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, 103. 320 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 14. 321 Dazu Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 83.
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ten Mittelweg. Es hat durch die abstrakte Erarbeitung der Elemente einen generalisierenden, durch die Betrachtung der Stärke der Elemente im konkreten Einzelfall dagegen auch einen individualisierten Charakter.322 Unter der individuellen Differenzierung und dem Abwenden von starren Normgefügen liegt auch kein Verlust an Rechtsgleichheit, da die beweglichen Elemente einer materiellen Gleichheit durch die Betrachtung aller Einzelheiten eher gerecht werden.323 Methodisch wird das Bewegliche System bei ihrem Erfinder Wilburg nicht weiter ausdifferenziert: Eine Unterscheidung zwischen Fortbildung des geltenden oder Formung künftigen Rechts unterbleibt.324 Er versteht das Bewegliche System für das positive Recht als Teil der Gesetzestechnik, für die Rechtsfortbildung sei sie eine „Frage des juristischen Temperaments“325. Die Grenze des beweglichen Systems liegt, wie bei der teleologischen Auslegung auch, in eindeutigen Wertungen positiver Normen. Über die positive Vorschrift kann das Bewegliche System ebenso wenig „hinweghelfen“ wie die Auslegung, die verbindliche Norm ist bei der Rechtsfindung zu respektieren.326 Das Bewegliche System kann aber zur Auslegung und Rechtsfortbildung herangezogen werden, unabhängig von der Frage, ob die Beweglichkeit in dem Tatbestand bereits gesetzlich niedergelegt ist oder nicht.327 Mangels weitergehender Relevanz für die Anwendung des Beweglichen Systems soll hier die grundlegende Kritik an der Systemqualität des Beweglichen Systems nicht weiter vertieft werden. Mit Canaris soll hier aber am Systembegriff des Beweglichen Systems festgehalten werden, wenngleich auch er das System Wilburgs als „Grenzfall“ einstuft, die Grundelemente der Einheit und inneren Ordnung erblicken will.328 Als Kernelemente der Lehre vom Beweglichen System lassen sich nach alledem folgende Merkmale festhalten: Es besteht aus abstufbaren, also „bewegli322
Vgl. ders., Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 83. Westerhoff, Die Elemente des Beweglichen Systems, 1991, S. 67; zur indiviuellen Interessenabwägung als Grundlage von Gleichbehandlung und Gerechtigkeit Koziol, Austrian Law Journal 2017, 160, 167. 324 Kritisch dazu etwa Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 22011, S. 541 f. 325 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950, S. 22. 326 Möllers, Juristische Methodenlehre, 32020, § 8 Rn. 7. Hierbei handelt es sich aber um kein besonderes Problem des Beweglichen Systems, sondern diese Fragen stellen sich bei jeder Rechtsfortbildung, siehe Michael, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, 2000, S. 267, 276 ff. 327 Michael, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, 2000, S. 267, 277 ff. 328 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 76 ff. 323
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§ 4 Grundgedanken einer allgemeinen Zurechnungslehre
chen“ Elementen, welche rechtsgebietsspezifische Grundwertungen sind, deren Zusammenwirken dann zur Lösung des Einzelfalls herangezogen wird. Die Elemente sind grundsätzlich gleichrangig und austauschbar. Es besteht kein starrer Tatbestand, sondern eine geringe Anzahl an Wertungsgesichtspunkten, nach deren Wechselwirkung die Rechtsfolge bestimmt wird. Diese sind grundsätzlich abschließend, aber einer Weiterentwicklung nicht verschlossen. 2. Zurechnung und Bewegliches System Die dargestellte Methodik des Beweglichen Systems ist vereinbar mit der vorab skizzierten Zurechnungslehre. a) Rechtsgebietsbezogenheit der Zurechnungsgründe Die erste Übereinstimmung betrifft die Rechtsgebietsbezogenheit. Das Bewegliche System entfaltet seine Wirkung nur durch Herauspräparierung der Wertungen, die einem Rechtsgebiet zugrunde liegen. Ähnliches wurde in dieser Arbeit ebenfalls im Stile eines „internen Rechtsvergleichs“ in Hinblick auf die Zurechnung versucht. Hier wurde die Zurechnung abstrakt als Rechtstechnik ebenso in den Blick genommen wie die Besonderheiten der jeweiligen Rechtsgebiete durch die Einpreisung von Schutzwürdigkeitserwägungen und die daraus resultierende Interessenabwägung. Aus den in den Blick genommenen Zurechnungskonstellationen wurden Wertungen für die Darstellung von Zurechnung gewonnen. Dies sind die beweglichen Elemente im Sinne Wilburgs. Durch die Schutzwürdigkeits-, sowie Schutzzweckerwägungen und die Interessenabwägung wird die Tür darüber hinaus ausgestoßen, rechtsgebietsspezifische Wertungen einfließen zu lassen. b) Austauschbarkeit der Zurechnungsgründe Die Beweglichkeit des Systems, insbesondere die grundsätzliche Austauschbarkeit der Elemente, entspricht dem hiesigen Vorschlag. Alle genannten Zurechnungsgründe bis auf die Kausalität und die Schutzwürdigkeitserwägungen sind ersetzbar durch andere der genannten Gründe. Es wurde herausgearbeitet, dass die Zurechnungsgründe alternativ, nicht kumulativ zur Lösung von Zurechnungsfragen herangezogen werden. In keinem der untersuchten Fälle sind alle herausgearbeiteten Zurechnungsgründe vorhanden. Teilweise genügen ein oder zwei Gesichtspunkte, welche zusammen mit den rechtsgebietsspezifischen Wertungen zu einer Zurechnung führen. Bei der Zurechnung der Grundrechtsgebundenheit gemischtwirtschaftlicher Unternehmen oder der Besitzdienerschaft etwa ist der maßgebliche Zurech-
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nungsgrund das Beherrschungsverhältnis.329 Die übrigen Zurechnungsgründe spielen praktisch keine Rolle. Bei den Rechtsscheinvollmachten ist vor allem der Rechtsschein entscheidend, hinzu kommt in schwächerer Form auch eine Beherrschbarkeit des Rechtsscheins in Form der Zurechenbarkeit.330 Bei wieder anderen Zurechnungskonstellationen wie der Mittäterschaft331 oder des mittelbaren Besitzes332 kommt es vornehmlich auf die Absprache zwischen den Subjekten an, welche an sich stark zurechnungsbegründend wirkt, um nur einige Beispiele zu nennen. Problematisch erscheint jedoch die fehlende Abgeschlossenheit des Katalogs an Zurechnungsgründen. Zwar wurden den untersuchten Zurechnungskonstellationen die genannten Zurechnungsgründe und Zurechnungsausschlussgründe entnommen, ob diese aber abschließend sind, darüber kann hier kein Urteil gefällt werden. Es erscheint jedenfalls unwahrscheinlich, dass die Liste an Zurechnungsgründen nicht auch offen für Erweiterungen ist. Damit ließe sich gegen eine Anwendung des Beweglichen Systems die fehlende Abgeschlossenheit des Zurechnungssystems einwenden: Ohne Abschließbarkeit handelt es sich um kein wirkliches System. Indes ist die Abschließbarkeit zwar grundsätzlich Voraussetzung des Beweglichen Systems, zwingend ist dies indes nicht. Auch Wilburg selbst hat eine Ergänzung der herausgearbeiteten Elemente für möglich erachtet. Die fehlende Abgeschlossenheit schadet damit nicht. c) Gleichrangigkeit der Zurechnungsgründe Auch die grundsätzliche Gleichrangigkeit der Elemente ist in dem vorgeschlagenen Modell zu erkennen, wenngleich bei den einzelnen Zurechnungsgründen bereits herausgearbeitet wurde, in welcher Wechselwirkung sie mit anderen Zurechnungsgründen stehen. Teilweise überwinden Zurechnungsgründe das Vorliegen eines Zurechnungsausschlussgrundes, der Rechtsschein kann beispielsweise einen entgegenstehenden Willen überlagern und nicht vorliegende Zurechnungsgründe ersetzen. Zum Teil handelt es sich auch um unselbständige Zurechnungsgründe, die erst gemeinsam mit anderen eine ausreichende Begründungsmacht erreichen. Aus der grundsätzlichen Gleichrangigkeit ergibt sich auch beim Zurechnungsmodell das Fehlen absoluter Prinzipien. Mit Ausnahme der Kausalität und der Schutzwürdigkeitserwägungen ist jedes Element ersetzbar. Dies gilt sowohl für die positiven wie negativen Zurechnungsgründe. 329
Siehe etwa oben § 2 D. II. 2. c) und § 2 C. III. 3. e). § 2 C. II. 3. e). 331 § 2 B. II. 3. e). 332 § 2 C. IV. 2. e). 330
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Zwischen den Zurechnungsgründen sind trotz grundsätzlicher Gleichrangigkeit graduell Wertigkeitsunterschiede zu erkennen. Die Beherrschung ist ein starker Zurechnungsgrund, der allein bereits in den Fällen der Grundrechtsgebundenheit gemischtwirtschaftlicher Unternehmen ausreicht, um eine Zurechnung trotz Mittelbarkeit zu begründen. Darauf deuten auch die Besitzdienerschaft und die mittelbare Täterschaft hin. Kernelement einer Zurechnung ist hier beinahe ausschließlich die Beherrschung. Auf der anderen Seite sind Zurechnungsgründe erkennbar, die nur schwache indizielle Bedeutung aufweisen: Die Unmittelbarkeit beispielsweise ist an sich nur eine Weichenstellung, die noch kein starkes Überwiegen zugunsten einer Zurechnung erkennen lässt. Erst bei einem Fehlen von Zurechnungsausschlussgründen genügen Kausalität und Unmittelbarkeit zur Begründung der Zurechnung. Hierbei handelt es sich folglich um einen schwachen Zurechnungsgrund. Weiterhin sind die unselbständigen Zurechnungsgründe bereits per definitionem schwache Zurechnungsgründe, da sie die Zurechnung nicht ohne das Vorliegen weiterer Gründe rechtfertigen können. d) Abstufbarkeit der Zurechnungsgründe Die Zurechnungsgründe sind die beweglichen Elemente des Systems für oder gegen die Zurechnung. Diese Gegenüberstellung von Gründen und Gegengründen entspricht auch dem Beweglichen System, auch dort gibt es nach Wilburg „Belastungselemente“, welche gegen den Anspruch ins Gewicht fallen.333 Die herausgearbeiteten Zurechnungsgründe sind als Elemente jedenfalls zumeist graduell abstufbar. Dass nicht alle Gründe komparativ darstellbar sind, schadet der Nutzbarkeit, wie herausgearbeitet wurde, indes nicht: Ein bewegliches System kann auch zum Teil aus starren, unbeweglichen Elementen bestehen. Bis auf die Form sind alle genannten Punkte abstufbar und komparativ darstellbar. Die Absprache und der Exzess stehen sich zunächst als Grund und Gegengrund gegenüber. Der Exzess als Abweichung von der Absprache ist komparativ darstellbar, wenn die Stärke der Abweichung von einer bestehenden Absprache als Maßstab genommen wird. Die positive Voraussetzung der Absprache ist auch komparativ darstellbar: Je stärker der Grad der Absprache, je detaillierter also die Absprache erfolgt, desto eher spricht dies für eine Zurechnung, je loser eine Absprache erfolgt, desto geringeres Gewicht hat die Absprache als Zurechnungs-
333 Siehe Wilburg, AcP 163 (1964), 346, 347, beispielhaft am Schadensersatz auf S. 356. Posch, in: Bydlinski/Krejci/Schilcher u. a. (Hrsg.), Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986, S. 253, 254, 266 spricht bei der Interessenabwägung von einem „Zusammen- und Gegeneinanderspiel der Gesichtspunkte“.
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grund. Es lassen sich also unterscheiden die Intensität der Absprache auf der einen Seite und die Intensität des Exzesses auf der anderen Seite. Die Arbeitsteilung, welche aus dem Interesse und dem Willen des Zurechnungsadressaten besteht, kann man ebenfalls komparativ darstellen. Je stärker das fremde Interesse im Vordergrund steht, desto weniger stark kann ein Wille ausgeprägt sein. Und umgekehrt, je stärker der Wille ausgeprägt ist, desto geringer kann das Fremdinteresse ausfallen. Zu beachten ist aber, dass dies nur die Intensität des Zurechnungsgrundes betrifft. Die Arbeitsteilung hat keine negative Begründungsmacht: Eine fehlende Arbeitsteilung ist kein Argument gegen eine Zurechnung, sondern schlicht das Ausscheiden eines positiven Grundes. Komparativ darstellbar ist auch die Beherrschung. Hier ist auf positiver Seite die Intensität der Beherrschung zur Abstufung heranzuziehen. Je stärker die Herrschaft ausgeprägt ist, je stärker die Beherrschbarkeit ausgeprägt ist, desto eher spricht dies für die Zurechnung. Der positive Zurechnungsgrund der Beherrschung kann hier reichen von starker Macht über das Handeln wie bei der tatsächlichen Herrschaft des mittelbaren Täters oder der jederzeitigen Zugriffsmöglichkeit wie beim Besitzdiener bis hin zu schwächerer Beherrschung wie der schlichten Verhinderungsmöglichkeit, etwa bei der Anscheinsvollmacht. Der Zurechnungsgrund ist abstufbar bis zum negativen Zurechnungsausschlussgrund der fehlenden Beherrschbarkeit. Fehlt die Beherrschbarkeit, dann spricht dies gegen eine Zurechnung. Die fehlende Beherrschbarkeit ist allerdings nicht stärker differenzierbar, entweder sie fehlt, oder sie fehlt nicht. Ähnliches ergibt sich bei der Unmittelbarkeit und dem spiegelbildlichen Gegengrund der Mittelbarkeit. Die Unmittelbarkeit als die Feststellung, dass kein Subjekt dazwischengetreten ist, ist nicht mehr steigerbar: Denn bei lediglich einem beteiligten Subjekt liegt keine Unmittelbarkeit, sondern die Mittelbarkeit vor. Diese Mittelbarkeit dagegen erscheint abstufbar. Kausalverkäufe können in Bezug auf die Mittelbarkeit komparativ dargestellt werden. Je stärker die Mittelbarkeit ausgeprägt ist, je mehr Subjekte auf verschiedenen Ebenen als Kausalglieder in der gesamten Kausalkette enthalten sind, desto weniger spricht dies für eine Zurechnung des Kausalverlaufs. Je weniger stark die Mittelbarkeit ausgeprägt ist, desto eher ist die Zurechnung möglich. Die Anforderungen an die Zurechnung steigen folglich mit dem Grad der Mittelbarkeit. Hier ist eine Parallele zur Vorhersehbarkeit zu erblicken: Je mittelbarer der Kausalverlauf, desto weniger ist der Erfolg vorhersehbar. Auch beim Rechtsschein lässt sich eine komparative Wertung gewinnen. Je stärker der äußere Anschein für ein Handeln des Subjekts spricht, desto eher muss sich dieses Subjekt auch das Handeln zurechnen lassen. Umgekehrt gilt, je weniger stark ein Rechtsschein ausgeprägt ist, desto eher müssen andere Zurechnungsgründe hinzukommen, um eine Zurechnung zu begründen, etwa die Vor-
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hersehbarkeit oder Beherrschbarkeit des Rechtsscheins bei der Anscheins- und Duldungsvollmacht. Als Beispiel dieser unterschiedlichen Stärke des Rechtsscheins lässt sich auf die Rechtsscheinvollmachten verweisen: Die §§ 170–172 BGB bauen einen sehr starker Rechtsschein auf, daher wird hier unabhängig vom Willen oder von weiteren Umständen zugerechnet. Es bedarf keiner Duldung, keiner subjektiven Vorwerfbarkeit oder keines Erkennenkönnens. Bei der Anscheinsvollmacht dagegen ist der Rechtsschein weit schwächer ausgeprägt, er ergibt sich nur aus Umständen und nicht aus einer tatsächlich gegebenen, aber möglicherweise nicht mehr wirksamen Vollmacht. Deshalb bedarf es weiterer Kriterien, um eine Zurechnung zu begründen, etwa subjektiver Elemente, wenn die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis für die Anscheinsvollmacht oder der rechtliche oder tatsächlicher Wille bei der Duldungsvollmacht erforderlich ist. Es zeigt sich anhand dieser Beispiele, dass die Stärke des Rechtsscheins Auswirkungen auf die Anforderungen zur Zurechnungsbegründung hat. Je schwächer der Rechtsschein, desto eher bedarf es weiterer Zurechnungsgründe zur Unterstützung, je stärker der Rechtsschein, desto eher kann auch dieser Grund allein ausreichend sein. Die Finalität als das Bezwecken einer Folge ist mit dem Willen des Subjekts und der (subjektiven) Vorhersehbarkeit verknüpft. Dieser Wille ist abstufbar, ähnlich wie der strafrechtliche Vorsatz in Bezug auf das voluntative Element in den dolus directus ersten Grades und in den dolus eventualis differenziert werden kann. Insgesamt lässt sich das Zusammenspiel von Wille und Vorhersehbarkeit auch wie folgt verstehen: Je stärker der Wille ausgeprägt ist, desto weniger stark braucht die Vorhersehbarkeit ausgestaltet zu sein. Je stärker die Vorhersehbarkeit ist, desto weniger stark braucht der Wille zu sein, um eine Zurechnung zu begründen. Diese Beobachtungen lassen sich auch beim strafrechtlichen Vorsatz wiederfinden. Liegt ein besonders starker Wille vor, kommt es auf das Wissenselement, welches hier der Vorhersehbarkeit entspricht, nicht entscheidend an, hier sind dann niedrigere Anforderungen zu stellen. Der Mittelweg stellt ein mäßiges Wissen- und ein mäßiges Willenselement dar, welches eine Zurechnung ebenso begründen kann.334 Insofern ist gezeigt, dass die Finalität abstufbar ist. Abstufbar ist auch die Vorhersehbarkeit. Je stärker eine objektive Vorhersehbarkeit gegeben ist, desto näher ist dies an der Kenntnis. Von mittlerer Vorhersehbarkeit ist dann etwa die Adäquanz als objektivierte allgemeine Lebenserfahrung. Die Vorhersehbarkeit ist von der positiven Vorhersehbarkeit (sicherer Eintritt einer Folge) bis zur vollständig fehlenden Vorhersehbarkeit (Eintritt einer 334 Bei einem sicheren Wissen kommt es im Falle des Vorsatzes auf subjektive Elemente gar nicht an, dann wäre bei der hiesigen Konzeption der Zurechnungsgrund der Finalität allerdings nicht mehr erfüllt, da das Willenselement völlig fehlen würde, sondern es ist auf die dann vorliegende (volle) Kenntnis als eigener Zurechnungsgrund auszuweichen.
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Folge war unter keinen denkbaren Umständen objektiv vorhersehbar) abstufbar. Es kann in positiver wie in negativer Hinsicht zu Abstufungen kommen. Je stärker die Vorhersehbarkeit ausgeprägt ist, desto weniger kommt es auf voluntative Elemente an. Die Schutzwürdigkeit wirkt auf den ersten Blick als schwierig abstufbar. Allerdings kann man hier zum einen die Intensität der Schutzwürdigkeitsaspekte in der Gesamtabwägung als eine graduelle Abstufung begreifen. Zum anderen kann die Schutzwürdigkeit als Aspekt entweder stark für, weniger stark für, aber auch gegen eine Zurechnung sprechen, da es sich hierbei selbst um ein wertendes Kriterium handelt. Abstufungen sind mithin problemlos darstellbar.335 e) Kein Erfordernis starrer Normen In den genannten Zurechnungskonstellationen überwiegen ungeschriebene Elemente. Entweder sind Zurechnungsnormen völlig ungeschrieben oder zwar geschrieben, aber in Bezug auf Kriterien oder Rechtsfolge unvollkommen. Daraus lässt sich ableiten, dass die Zurechnung in den untersuchten und in Wissenschaft und Rechtsprechung anerkannten Fällen kein System starrer Normen erfordert. Zurechnungsfragen scheinen nach der hiesigen Auswertung in besonderem Maße ungeschriebene Regelungen zu erfordern, um ihren Zweck zu erfüllen. Sogar im strafrechtlichen Kontext, der besonders sensibel erscheint und in dem es aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit besonders auf starre Normen ankommen müsste, ist die Zurechnung anhand ungeschriebener Kriterien zu erkennen: Keine der drei hier untersuchten strafrechtlichen Zurechnungskonstellationen ist geschrieben vollkommen. In allen Fällen sind die Kriterien durch Rechtsfortbildung entstanden, in den Fällen der objektiven Zurechnung fehlt eine Zurechnungsnorm vollständig. Die bereits angeführte mittelbare Täterschaft zeigt, dass die Ausfüllung der Zurechnung durch Rechtsfortbildung bereits gängige Praxis ist. Genauso hat schließlich der Strafrechtsgesetzgeber gehandelt, als er die Zurechnung der Tatbeiträge des Werkzeugs zum Hintermann, also das „Ob“, mit der grundlegenden Niederlegung der mittelbaren Täterschaft zwar angeordnet hat, die Herausarbeitung der Fallgruppen und Wertungen, also das „Wie“ der Zurechnung, aber Wissenschaft und Praxis überlassen hat. Selbst im Strafrecht ist also das dort gesteigerte Erfordernis starrer Normen kein Ausschluss für die hier skizzierte Methode des Beweglichen Systems. Denn sind die Zurechnungskonstellationen zur Ausfüllung durch Theorie und Praxis „freigege335
Im Beispiel von Möllers, Juristische Methodenlehre, 32020, § 8 Rn. 12 f. wird dieser Aspekt unter der Begrifflichkeit „Vertrauensschutz“ auch als mögliches Element des Beweglichen Systems genannt.
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ben“, spricht nichts gegen die wertende Systematisierung durch das Bewegliche System. Insgesamt erscheint der Gesetzgeber das Primat einer möglichst vollständigen Rechtssetzung zunehmend aufzugeben und entgegen der kompetenziellen Rollenverteilung des Grundgesetzes immer mehr Ausgestaltung auf die Rechtsprechung zu übertragen. Wenn der Gesetzgeber sich etwa nicht selbst zutraut, die Abgrenzung zwischen anwaltlicher Tätigkeit und Inkassotätigkeit vorzunehmen und eine „detaillierte gesetzliche Festlegung […] in Anbetracht der Vielschichtigkeit der in Betracht kommenden Sachverhalte“ als nicht sinnvoll erachtet und stattdessen Platz lassen will „für eine richterliche Rechtsfortbildung“336, dann ist dies nur ein aktuelles Beispiel für einen mittlerweile stark zurückhaltendes Selbstverständnis des Gesetzgebers und einer klare Absage an eine Durchkodifizierung des Rechts ohne Wertungsspielräume. Umso wichtiger erscheint dann eine strukturierte Aufarbeitung der Wertungsgesichtspunkte. f) Interessenabwägung als Kern Gemeinsam ist der Methode des Beweglichen Systems als auch der vorgeschlagenen Zurechnungslehre das Erfordernis einer Interessenabwägung. Erst durch diese ergibt sich das Ob und auch das Wie der Rechtsfolge. Bei der Zurechnung geht es in einigen der gezeigten Fälle nicht nur um die Frage, ob eine Zurechnung zu erfolgen hat, sondern auch, wie weit sie reichen soll. Es stellt sich die Frage, ob eine Zurechnung aller Verhaltensweisen oder Absichten erfolgen soll oder nur in Bezug auf einzelne Aspekte. Das vom Staat beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen soll nur dem Staat zur Sicherstellung der Grundrechtsgebundenheit zugerechnet werden, nicht in Fragen privatrechtlicher Haftung. Bei den Fällen der mittelbaren Täterschaft und der Mittäterschaft wäre auch eine Zurechnung von weit mehr als nur der Verhaltensweisen denkbar, auch Wissenselemente könnten zugerechnet werden, wie es in anderen Rechtsgebieten ebenfalls denkbar ist. Durch die Interessenabwägung und die rechtsgebietsbezogene Wertung, nur für eigene Schuld strafrechtlich haften zu müssen, wird hier die Zurechnung begrenzt auf den lediglich objektiven Tatbeitrag des anderen. Auch bei der Gehilfenhaftung und der 336
Römermann, Fundamentaler Richtungswechsel im Sinne von Legal Tech, 2020 (https:// www.lto.de/recht/juristen/b/anwaelte-erfolgshonorar-prozesskosten-rdg-bmjv-referentenent wurf-brak-berufsrecht-legaltech/) (geprüft am 24.02.2023); Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz, Referentenentwurf – Entwurf eines Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt, 2020 (https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Rechtsdienstleister.pdf;jsessionid=152BF077 D55ED64D8332D7ADCEE84DEB.1_cid324?__blob=publicationFile&v=1), S. 18 (geprüft am 24.02.2023).
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Amtshaftung ist die Zurechnung begrenzt auf Verhalten, das „in Ausführung“ geschieht und nicht „bei Gelegenheit“. Die Unterscheidung begrenzt die Zurechnung auf Verhaltensweisen, welche mit dem Anlass der Schädigung in einem besonders engen Zusammenhang stehen. Im Interesse des Geschädigten dürfte indes eine vollständige Einstandspflicht für den Gehilfen liegen, das Interesse des Einschaltenden ist umgekehrt auf eine Eigenhaftung des Gehilfen gerichtet, schließlich handelt dieser pflichtwidrig. Im Rahmen einer Abwägung der widerstreitenden Gründe und der genannten Interessenlagen sowie der jeweiligen Schutzwürdigkeit ist das entsprechende Ergebnis zu finden. Unterschiedliche Akzentuierungen sind auch hier denkbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die genaue Ausgestaltung dieser Zurechnungsbegrenzung weiterhin umstritten ist. Das Bewegliche System bietet hier mit der umfassenden Interessenabwägung und den abstrakten Zurechnungsgründen eine Möglichkeit, die Ergebnisse weit besser zu begründen als bisher. Die Interessenabwägung ist folglich als Kern der dargebrachten Zurechnungsidee und des beweglichen Systems zu betrachten. g) Beweglichkeit des Ergebnisses Wie gezeigt ist das Ergebnis der Interessenabwägung nicht nur das Ob, sondern auch das Wie der Zurechnung. Damit ist auch die Rechtsfolge – wie in den eben besprochenen Beispielen gezeigt – beweglich. So kann im Einzelfall aufgrund der Interessenabwägung die Zurechnung geringer ausfallen, wenn etwa nur Verhalten zugerechnet wird, oder aber auch weiter ausfallen, wenn neben Verhalten auch Verschulden zugerechnet wird. Dies ist eine Frage des Einzelfalls. Die Rechtsfolge der Zurechnung ist also auch stets abhängig von den rechtlichen Umständen des Rechtsgebiets und den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls und damit von beweglichen Elementen, maßgeblich aber von der Hauptnorm geprägt, denn von der Hauptnorm aus wird Zurechnung überhaupt gedacht. h) Zusammenfassung Zum Teil wird die Technik der Zurechnung auch bereits als ein bewegliches System verstanden.337 Damit ist gezeigt, dass die hier genenannte Konzeption einer Zurechnungslehre jedenfalls kompatibel mit der Methode des Beweglichen Systems ist. 337 Mit Blick auf die Zurechnungsoperation des § 278 BGB etwa Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 136 f.; allgemein auch Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 267 f.; Schmidt, AcP 170 (1970), 502, 514. Larenz, JuS 1965, 373, 379 schlägt für die Schadenszurechnung im Zivilrecht ebenfalls das Bewegliche System Wilburgs vor.
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II. Lösung als Topoi Denkbar ist auch Verständnis der herausgearbeiteten Zurechnungsgründe als Topoikatalog. 1. Grundlagen zur Toposbildung a) Topik zwischen System- und Problemdenken Nicht weniger anspruchsvoll als die Begründung über das Bewegliche System erscheint eine methodische Verankerung der gefundenen materiellen Zurechnungsbegründung als Topoikatalog, schließlich führt der Streit um die Anwendbarkeit der Topik in die Untiefen rechtstheoretischer Grundlagendebatten. Hier soll sich indes lediglich darauf beschränkt werden, einen Toposbegriff zu skizzieren und diesen auf die Zurechnung anzuwenden, nicht die Topik als Methode gegen alle denkbaren Angriffe abzuschirmen, auch dies führte zu weit fort von dem Anliegen der Arbeit, die materielle Begründung von Zurechnung zu entschlüsseln. Die methodischen Probleme der Topik beginnen bereits bei der Nomenklatur und der unterschiedlichen Begriffsverständnisse. In der Philosophie wird unter der Topik gemeinhin ein Teilbereich der Rhetorik verstanden, welcher auf „situative Argumentationsschemata (Topoi)“ aufbaut,338 es handelt sich um eine „Disputierkunst“, welche aus dem gleichnamigen Werk Aristoteles’ gewonnen wurde.339 Die Topoi sind bei Aristoteles spezifische Aspekte, welche für die Argumentation sowie die Herausbildung von Prämissen herangezogen werden340, sie werden aber auch als eine Sammlung von „Allgemeinplätzen, gängigen Argumenten“341 oder „Standardargumente“342 bezeichnet. Mitte des 20. Jahrhunderts entbrannte in der Rechtswissenschaft nach der maßgeblichen Schrift Viehwegs der Streit über die methodische Nutzbarkeit der Topik in der Jurisprudenz.343 Nach Viehweg sind Topoi „vielseitig verwendbare, überall annehmbare Gesichtspunkte, die im Für und Wider des Meinungsmäßigen gebraucht werden und zum Wahren hinführen können“344, was indes offen 338
Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht, 2007, S. 14. Nachweise bei Launhardt, Topik und rhetorische Rechtstheorie, 2010, S. 16. 340 Dies., Topik und rhetorische Rechtstheorie, 2010, S. 18 mit weiteren Nachweisen. 341 Diederichsen, NJW 1966, 697. 342 Struck, Topische Jurisprudenz, 1971, S. 14. 343 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 51974. Nachweise zur dann entbrannten Diskussion etwa bei Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht, 2007, S. 16; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 135. 344 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 51974, S. 24. 339
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lässt, ob es sich dabei um beliebige Gesichtspunkte handelt, die in der rechtlichen Argumentation irgendeine Rolle spielen.345 Topik ist ein „Rezeptbuch“ zur Lösung von Rechtsproblemen346, ein Sammeln der entscheidungserheblichen Argumente347, ein Auffinden von Leitsätzen und Leitbegriffen aus den Problemen selbst348. Topik ist das Streben nach „kontrollierbarer Kreativität“.349 Die Idee der Topik ist eine Technik des Problemdenkens.350 Sie setzt am Problem an, nicht an einem System.351 Für ein festes System gibt es nach Viehweg nur eine begrenzte Anzahl an denkbaren Problemen, die durch rein deduktive Ableitung gelöst werden können. „Der Einsatz am System bewirkt eine Problemauslese“352, mit anderen Worten: Ein starres System zur Lösung aller Probleme klammert schlicht Probleme aus. Die starre Unterordnung der Problemlösung unter einem Systemdogma schadet der Problemlösung und führt bei den Problemen zu einer „Vergewaltigung ihrer Eigengesetzlichkeit“353. Umgekehrt schafft eine Problemorientierung eine Systemauslese. Hilft das eine System zur Lösung des Problems nicht weiter, kann ein anderes zum Einsatz kommen, ohne dass es der Darstellung eines umfassenden Gesamtsystems bedarf. Es herrscht folglich Systempluralität354, schließlich sind der „Jurisprudenz […] nicht das System, sondern die Probleme vorgegeben.“355. Durch die Einbeziehung aller rechtlichen und außerrechtlichen Gesichtspunkte handelt es sich bei der Topik um ein induktives, kein deduktives Verfahren.356 Die Topik legt damit das Grundproblem der verschiedenen Ansätze von Systemdenken und Problemdenken offen.357 Heute ist gemeinhin anerkannt, dass 345
Kritisch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 61991, S. 147. Insbesondere wegen der unklaren Terminologie ähnlich kritisch Westerhoff, Methodische Wertung im Recht, 1974, S. 61 f. 346 In Bezug auf die Topik Ciceros Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 51974, S. 26. 347 Vgl. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 21976, S. 147. 348 Kaser, Zur Methode der römischen Rechtsfindung, 1962, S. 52. 349 Viehweg, in: Breuer/Schanze (Hrsg.), Topik, 1981, S. 65, 68. 350 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 51974, S. 31; Launhardt, Topik und rhetorische Rechtstheorie, 2010, S. 20. Kritisch zu dieser Aussage, mit der „so gut wie nichts gewonnen“ sei Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 136. 351 Zur Entwicklung des Systembegriffs siehe etwa Vesting, Rechtstheorie, 22015, Rn. 67 ff. Maßgeblich Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 11 ff. 352 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 51974, S. 33. 353 So Hartmann, Kantstudien, 1924, S. 162 ff. zitiert nach Zippelius, NJW 1967, 2229. 354 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 51974, S. 33. 355 Ehmke, VVDStRL 20 (1963), 53, 55. 356 Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 164; Kaser, Zur Methode der römischen Rechtsfindung, 1962, S. 53. „Induktiv-heuristische Abwägung“ bei Möllers, Juristische Methodenlehre, 32020, § 14 Rn. 51; vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, 62019, S. 319. 357 Zippelius, NJW 1967, 2229. Kritisch zur Reservierung der Problemorientiertheit für die
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die Rechtsordnung kein reines, logisch auf Axiome rückführbares System ist.358 Die Rechtsordnung ist kein System abschließend formulierter Sätze, welche schlicht auf den einzelnen Fall anzuwenden sind und aus denen eine Falllösung „abgeleitet“ werden kann.359 Zu jedem Problem muss umgekehrt das passende System gefunden werden.360 Denkbar und nach heutigem Verständnis vorzugswürdig ist eine Kombination von systematischen und topischen Gedanken361, selbst ein topisches System wurde von Viehweg für denkbar gehalten.362 Ein rein axiomatisches System müsste auf Grundaxiome rückführbar sein, welche untereinander widerspruchsfrei sind und welche außerhalb des Systems selbst stehen: Aus den Axiomen müsste das System in Kettendefinitionen abgeleitet werden können.363 Ein solches rein deduktiv aufgebautes Rechtssystem ist zwar technisch umsetzbar, erfordert aber eine enorme Präzision des Gesetzgebers364, führt indes durch die Kettenableitungen zu „lebensfremder Abstraktion“.365 Darüber hinaus sind die Grundaxiome willkürlich nach rechtspolitischen Motiven gesetzt366, was im Einzelfall zu einer Ungerechtigkeit des Systems führen kann367. Die Gerechtigkeit muss nach Viehweg aber Grundfrage der Jurisprudenz sein368 – und Gerechtigkeit lässt sich mit abstrakten Topoi einfacher darstellen als durch andere Methoden, da die Topoi vernunftsbasiert sind.369 Die Topik ist daneben
Topik etwa Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 136 mit weiteren Nachweisen. 358 Mit Nachweisen jeweils Zippelius, NJW 1967, 2229, 2230 oder Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht, 2007, S. 23. 359 Ehmke, VVDStRL 20 (1963), 53, 55. 360 Ders., VVDStRL 20 (1963), 53, 55. 361 Möllers, Juristische Methodenlehre, 32020, § 14 Rn. 59; Kramer, Juristische Methodenlehre, 62019, S. 321; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 151; Horn, in: Breuer/Schanze (Hrsg.), Topik, 1981, S. 57, 59; Zippelius, NJW 1967, 2229, 2233; Diederichsen, NJW 1966, 697, 704 f.; Müller, Normstruktur und Normativität, 1966, S. 57; Raiser, NJW 1964, 1201, 1203 f.; Schneider, VVDStRL 20 (1963), 1, 37 und 51; Kaser, Zur Methode der römischen Rechtsfindung, 1962, S. 53; Engisch, ZStW 69 (1957), 591, 601; Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 1956, S. 6 f., S. 44 ff. 362 Viehweg, in: Diemer (Hrsg.), System und Klassifikation in Wissenschaft und Dokumentation, 1968, S. 96, 96 ff., 102. 363 Nachweise bei Launhardt, Topik und rhetorische Rechtstheorie, 2010, S. 30. 364 Zu den Anforderungen Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 51974, S. 92. 365 Diederichsen, NJW 1966, 697, 699. 366 Dazu Kaser, Zur Methode der römischen Rechtsfindung, 1962, S. 51. 367 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 51974, S. 92. 368 Ders., Topik und Jurisprudenz, 51974, S. 63. 369 Instruktiv Struck, Topische Jurisprudenz, 1971, S. 38 f.: Wer kann sich gegen einen Topos der Angemessenheit oder Zumutbarkeit erwehren? Dagegen etwa Schlüchter, Mittlerfunk-
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durchsetzungsstark, da sie methodisch nicht festgelegt ist: Topoi können sich dem geschriebenen Recht entnehmen lassen wie dem Gewohnheitsrecht.370 b) Inhaltliche Ausgestaltung der Topik Viehweg unterscheidet Topoi erster und zweiter Stufe. Topik erster Stufe ist die Annäherung an Probleme durch das intuitive Heranziehen mehr oder weniger vom Zufall gewählter Aspekte.371 Topik zweiter Stufe ist dagegen der Rückgriff auf ein bewährtes Arsenal an zu berücksichtigenden Gesichtspunkten, dies sind die sogenannten Topoikataloge.372 Teilweise wird auch das Verfahren zur Bildung von Topoikatalogen als Verfahrenstopik, die materiellen Prinzipien als materielle oder inhaltliche Topik bezeichnet.373 Topik bedeutet, zur Lösung des Einzelfalls auf schon vorhandene Einsichten und Prinzipien zurückzugreifen, um den zu lösenden Einzelfall mit diesen zu vergleichen.374 Als Argumentationstechnik dient sie einer „Rundum-Erörterung“ des Rechtsproblems durch Beleuchtung aller Gesichtspunkte.375 Die Kataloge der Topoi müssen nicht allgemeingültig sein376, sondern können auch fachspezifisch zusammengesetzt sein377, sie können und sollen gar nicht Vollständigkeit für sich beanspruchen.378 Auch das geschriebene Gesetz ist regelmäßig nicht allgemeingültig angelegt und Grundgedanken einer Regelung gibt es regelmäßig mehr als eine.379 Die Reihenfolge von Topoikatalogen spielt dabei keine Rolle.380 Topoi dienen als „Orientierungsmöglichkeiten und Leitfäden des Gedanken“381 und helfen auch bei wechselnden Problemsituationen bei der Suche nach Lösungsansätzen. Diesem Zweck folgend haben sie eine vage Formution der Präjudizien, 1986, S. 12, die kritisiert, aus einer formalen Argumentationstechnik wie der Topik könne kein inhaltliches Gerechtigkeitspostulat folgen. 370 Mit Verweis auf die Durchsetzungskraft der Rechtsgedanken des §§ 74, 75 EinlALR Struck, Topische Jurisprudenz, 1971, S. 43. 371 Launhardt, Topik und rhetorische Rechtstheorie, 2010, S. 22. 372 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 51974, S. 35; Launhardt, Topik und rhetorische Rechtstheorie, 2010, S. 22; Kramer, Juristische Methodenlehre, 62019, S. 320. 373 Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht, 2007, S. 18. 374 Zippelius, NJW 1967, 2229, 2232. 375 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 61991, S. 145. 376 So etwa auch Struck, Topische Jurisprudenz, 1971, S. 47; Zippelius, NJW 1967, 2229, 2232. 377 Launhardt, Topik und rhetorische Rechtstheorie, 2010, S. 23. 378 Struck, Topische Jurisprudenz, 1971, S. 20. 379 Ders., Topische Jurisprudenz, 1971, S. 47. 380 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 61991, S. 146; Struck, Topische Jurisprudenz, 1971, S. 20. 381 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 51974, S. 38; Launhardt, Topik und rhetorische Rechtstheorie, 2010, S. 23.
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§ 4 Grundgedanken einer allgemeinen Zurechnungslehre
lierung.382 Die gefundenen Topoi sind dabei auch nicht im Sinne einer deduktiven Methode wieder zwingend auf neue Einzelfälle ableitbar, es geht vielmehr darum, argumentativen Halt zu erreichen, dabei aber Beweglichkeit und Erweiterungsfähigkeit nicht aus den Augen zu verlieren383, insofern sind Generalklauseln Topoi sehr ähnlich.384 Durch eine Vielzahl von berücksichtigungsfähigen Kategorien zeichnen sich Kataloge von Topoi durch ihre Flexibilität aus.385 Auch eine Hierarchisierung der Topoi ist nicht zwangsläufig, sie stehen vielmehr grundsätzlich gleichrangig nebeneinander.386 Durch die Neuartigkeit von Problemen muss auch der Versuch der Theoriebildung offen bleiben für Korrekturen387, es findet also eine Wechselwirkung zwischen Fallbetrachtung und Theoriebildung statt388, Topik ist eine praxisorientierte Methode.389 Dieses Vorantasten nach Fällen ist eine Methode ähnlich dem anglo-amerikanischen case law. Es findet eine laufende Ergänzung statt, es handelt sich also um kein starres, sondern bewegliches System.390 Die Topik hilft aufzudecken, welche Erwägungen zur Lösungssuche eine Rolle spielen, ohne selbst die Lösung zu enthalten.391 Atypische Fälle lassen sich durch die flexiblere topische Diskussion besser in den Griff bekommen als durch starre Normen.392 Dadurch kann die Topik auch – im Gegensatz zu einem starren Normsystem – Umgehungsversuche verhindern.393 Daneben kann sie durch die Topoikataloge die Argumentationsleistung verstärken und daneben durch die sprachlich laientaugliche Vermittlung der Entscheidung durch verständliche Topoi einer (richterlichen) Entscheidung mehr Gewicht verschaffen.394 Kern einer topischen Auseinandersetzung als Gerechtigkeitsproblem ist eine Interessenabwägung, die einzelnen topischen Sätze werden hier miteinander abgewogen395, schließlich „durchdringen“ sich die unterschiedlichen, auch inhaltlich gegensätzlichen Topoi.396 382
Struck, Topische Jurisprudenz, 1971, S. 46 ff. Launhardt, Topik und rhetorische Rechtstheorie, 2010, S. 23. 384 Struck, Topische Jurisprudenz, 1971, S. 18. 385 Vgl. ders., Topische Jurisprudenz, 1971, S. 65 f. 386 Ders., Topische Jurisprudenz, 1971, S. 55. 387 Ehmke, VVDStRL 20 (1963), 53, 56. 388 Ders., VVDStRL 20 (1963), 53, 57. 389 Struck, Topische Jurisprudenz, 1971, S. 64. 390 Zippelius, NJW 1967, 2229, 2231. 391 Ders., NJW 1967, 2229, 2233. 392 Struck, Topische Jurisprudenz, 1971, S. 68, 74. 393 Ders., Topische Jurisprudenz, 1971, S. 68. 394 Ders., Topische Jurisprudenz, 1971, S. 74 und S. 71 ff. 395 Zippelius, NJW 1967, 2229, 2233; Kramer, Juristische Methodenlehre, 62019, S. 297 f. 396 Struck, Topische Jurisprudenz, 1971, S. 55 ff. 383
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Es ist von Rechtsbereich zu Rechtsbereich unterschiedlich, wie „offen“ dieser für einen topischen Einschlag ist.397 Gerade das Verfassungsrecht mit seiner „strukturellen Offenheit“398 scheint für eine Konkretisierung und Rechtsfortbildung auch durch topische Schlüsse prädestiniert: Hier sind weniger geschriebene Normen denn ausfüllungsbedürftige Interpretationsgesichtspunkte wie Werte, Rechtsgüter oder Prinzipien zu finden.399 Insbesondere wegen des Prinzips der Einheit der Verfassung400 ist das Verfassungsrecht auf die Bildung von Prinzipien angewiesen.401 Teilweise werden die Grundrechte sogar als Topoi bezeichnet.402 c) Grenzen der Topik Die Kritik an der Topik ist reichhaltig und lässt sich auf verschiedene Begründungsansätze zurückführen. Dabei wird zum ersten allgemein Kritik an der Einordnung des juristischen Denkens als topisch kritisiert. Zum zweiten wird die Topik als unvereinbar mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz angesehen und zum dritten wird bestritten, dass die Topik als Methode zur Herstellung eines gesellschaftlichen Konsens geeignet ist.403 Daneben wird viertens die Topik auch in methodischer Hinsicht kritisiert. Auf die allgemeine Einordnung des juristischen Denkens soll es an dieser Stelle nicht weiter ankommen.404 Weit handfester ist der Vorwurf, die Topik verletze 397
Zurückhaltend für das Strafrecht etwa ders., Topische Jurisprudenz, 1971, S. 4 f. Ehmke, VVDStRL 20 (1963), 53, 62. 399 Ders., VVDStRL 20 (1963), 53, 62. Kritisch wegen des politischen Einschlags des Verfassungsrechts Müller, Normstruktur und Normativität, 1966, S. 58. Ähnlich Böckenförde, NJW 1976, 2089, 2093. 400 Siehe etwa Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20 1999, Rn. 20, 71. 401 Ehmke, VVDStRL 20 (1963), 53, 73 und 77 ff.; erneut Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 201999, Rn. 20, 71. 402 Struck, Topische Jurisprudenz, 1971, S. 53. 403 Diese drei Kritiklinien nennt etwa Launhardt, Topik und rhetorische Rechtstheorie, 2010, S. 38 f. 404 Gleichwohl etwa Diederichsen ohne Weiteres darin zuzustimmen ist, dass der Nachweis der Untauglichkeit eines streng axiomatischen Systems noch kein Beweis für die Topik ist, da der Systembegriff nicht mehr derart mathematisch-axiomatisch verstanden wird und die Ablehnung des Systembegriffs nur dann für die Topik streiten würde, sofern es nur einen derartigen gäbe. Viehwegs vehemente Kritik hieran erscheint daher tatsächlich wie ein „Kampf gegen Windmühlenflügel“. Siehe dazu Diederichsen, NJW 1966, 697, 700; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 148; Engisch, ZStW 69 (1957), 591, 600. In neueren Veröffentlichungen hat Viehweg dann auch seine „Systemkritik“ auf eine reine Kritik am deduktiv-axiomatischen System zurückgefahren und sogar die Bildung eines „topischen Systems“ in Aussicht gestellt, siehe dazu Viehweg, in: Diemer (Hrsg.), System und Klassifika398
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§ 4 Grundgedanken einer allgemeinen Zurechnungslehre
die Gesetzesbindung und den Gewaltenteilungsgrundsatz. Hierbei wird etwa darauf verwiesen, ein „freier Dialog“, wie ihn die Abwägung der Topoi vorsehe, könne nicht das Gesetz als einen unter mehreren Gesichtspunkten ersetzen405 und sei daher nur bei einem Fehlen gesetzlicher Wertmaßstäbe anwendbar.406 Es dürfe zu keiner verdeckten Rechtsfortbildung durch Topoi kommen407, die Topoi ergäben dagegen lediglich Entscheidungsvorschläge, denen es an einer entsprechenden Verbindlichkeit mangele.408 Die Zielvorgabe der Herbeiführung einer gerechten Entscheidung wird ebenfalls kritisiert, schließlich handele es sich dabei um einen subjektiven Begriff. Der Rechtsanwender habe aber zu beantworten, was geltendes Recht ist, nicht was gerecht ist, der Anwender sei Diener, nicht Herr des Rechts.409 Weiterhin wird die Topik auch methodisch als untauglich kritisiert, da durch die Abstrahierung und Niederlegung von Wertungen in Katalogen der eigentlich gewollte Problembezug verloren ginge.410 Die Topoikataloge seien daher „wirklichkeits- und problemfern, ausufernd ungeordnet und schwer zu handhaben“.411 Daneben sei nicht klar, warum dieser und nicht ein anderer Topos zur Anwendung komme412 und wie die Topoi zueinander stünden.413 tion in Wissenschaft und Dokumentation, 1968, S. 96, S. 96 ff. Zu dem Widerspruch, der sich aus der Systembildung aus der an sich „bindungsscheuen“ Topik ergibt Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 135. 405 Kramer, Juristische Methodenlehre, 62019, S. 321; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 144 f.; Müller, Normstruktur und Normativität, 1966, S. 59. Ähnlich Böckenförde, NJW 1976, 2089, 2093. 406 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie und juristische Methodenlehre, 2020, Rn. 614; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 149 ff. Kritisch in Bezug auf die fehlende Bindung an Recht und Gesetz in Viehwegs Topik sowie der fehlenden Distanzierung zur Freirechtsbewegung Diederichsen, NJW 1966, 697, 702 und zum fehlenden Raum der Topik bei expliziten gesetzlichen Regelungen etwa S. 703. 407 Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht, 2007, S. 22. 408 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 144; Diederichsen, NJW 1966, 697, 703. 409 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie und juristische Methodenlehre, 2020, Rn. 615. Kritisch ebenfalls Diederichsen, NJW 1966, 697, 702, welcher in den Topoi lediglich Billigkeitsphrasen erkennt. Ähnlich Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2 1983, S. 144 f. 410 Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht, 2007, S. 21. 411 Ders., Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht, 2007, S. 22. 412 Schlüchter, Mittlerfunktion der Präjudizien, 1986, S. 11. 413 Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 165; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 61991, S. 147. Auf die notwendige innere Systematik verweist auch Kaser, Zur Methode der römischen Rechtsfindung, 1962, S. 53. Insgesamt kritisch zur topischen Methode neben den bereits Genannten etwa auch Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 8 2015, S. 39 ff.; Dreier, Recht – Moral – Ideologie, 1981, S. 116 f.; Böckenförde, NJW 1976,
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d) „Normativ geleitete Topik“ als Lösung Nach hiesigem Verständnis stehen die gefundenen Topoi nicht gleichberechtigt neben der Norm, eine „freie Topik“ ist mit Blick auf die Bindung an das Gesetz und die Gewaltenteilung abzulehnen. Die Topoi dienen stattdessen der Norm, sie sind mit den Worten Hesses „normativ geleitet“ und begrenzt.414 Die „freie Topik“ Viehwegs wird damit so modifiziert, dass das Gesetz nicht nur als einer von vielen Gesichtspunkten relativiert wird415, der Normbefehl ist damit so lange zu beachten, wie er keine Auslegungsspielräume belässt416. Kommt die Auslegung zum Einsatz, spricht indes nichts dagegen, die topischen Gesichtspunkte hierbei miteinzubeziehen, die teilweise dann vorgenommene Zuschlagung der topischen Gesichtspunkte unter dem Begriff der teleologischen Auslegung schadet dabei freilich nicht.417 Erst recht spricht nichts dagegen, die Topik bei der Gesetzgebung418, bei der Normkonkretisierung419, bei Fehlen gesetzlicher Wertungen420, etwa bei Lücken des Gesetzes421, oder zur Begründung von Billigkeitsentscheidungen422 heranzuziehen. Mit diesem Verständnis lassen sich die methodischen Einwände gegen die Topik – auch wegen der so deutlich relativierten Verbindlichkeit423 – zerstreuen. Im Übrigen dürfte diese Verbindung ein Beispiel für eben jene Kombination von System- und Problemdenken sein, die heute gemeinhin als vorzugswürdig angesehen wird.424 2089, 2091 ff.; Westerhoff, Methodische Wertung im Recht, 1974, S. 60 ff.; Zippelius, NJW 1967, 2229; Diederichsen, NJW 1966, 697. 414 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 201999, Rn. 76, zur Topik Rn. 66 ff. Zustimmend etwa Möllers, Juristische Methodenlehre, 32020, § 14 Rn. 57 ff.; Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 165 f. 415 Kramer, Juristische Methodenlehre, 62019, S. 321. Unklar etwa Horn, in: Breuer/Schanze (Hrsg.), Topik, 1981, S. 57, 60, der von einer „gewissen Bedeutung“ des Gesetzes und der Gesetzessystematik spricht. Siehe daneben die Nachweise oben § 4 Fn. 414. 416 Dann ist die Norm schließlich ohne weiteres subsumtionsfähig, siehe dazu etwa Otte, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, 2000, S. 143, 146. 417 Reimer, Juristische Methodenlehre, 22020, Rn. 397; Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, 1996, S. 183. 418 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 146 f. 419 Möllers, Juristische Methodenlehre, 32020, § 14 Rn. 57. 420 Kramer, Juristische Methodenlehre, 62019, S. 321. 421 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 150. Auf die topische Funktion der Rechtsvergleichung bei Lücken weist etwa Kramer, Juristische Methodenlehre, 62019, S. 320 hin. 422 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 150 f. 423 Zum Problem der Verbindlichkeit bei der Topik erneut ders., Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 21983, S. 144 f. und 149. 424 Siehe die reichhaltigen Nachweise oben in § 4 Fn. 361.
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§ 4 Grundgedanken einer allgemeinen Zurechnungslehre
2. Zurechnung und Topik Die Zurechnung nach den oben herausgearbeiteten Merkmalen lässt sich ohne Weiteres mit der Topik verknüpfen. Die Zurechnungsgründe sind induktiv gewonnene Hypothesen zur Auflösung von zukünftigen Zurechnungsproblemen. Sie sind damit am Problem der Zurechnung ausgerichtet und nicht deduktiv abgeleitet von Grundaxiomen, sondern induktiv gewonnen aus den jeweiligen Problemwertungen. Die Zurechnungsgründe sind damit Präjudizien, welche sich durch eine Betrachtung von allgemeinen Zurechnungsproblemen ergeben, es sind Erwägungen, die in mehreren Fällen zur Begründung herangezogen werden und daher auch tauglich erscheinen, für zukünftige Fälle Anwendung zu finden. Die Richtigkeit der zusammengetragenen Gesichtspunkte steht nicht a priori fest und wird von Fall zu Fall untersucht. Die fehlende Anwendbarkeit bei einem Zurechnungsproblem führt nicht zur Unwirksamkeit des gesamten Zurechnungsgrundes, sondern bereichsspezifische Anpassungen der Topoi sind denkbar. Es gibt damit kein festes Kontingent an Zurechnungsgründen, sondern eine erweiterungsfähige Anzahl an Grundwertungen. So kann über die induktiv am Problem selbst gewonnenen Grundwertungen ein „Herantasten“ an die Lösung ermöglicht werden. Damit verbunden sind die Zurechnungsgründe – ebenso wie die Topoikataloge – beweglich und erweiterungsfähig. Sie sind nicht abschließend und beweglich im Sinne einer nicht stets geforderten Anwendbarkeit. Die aufgeführten Zurechnungsgründe sind grundsätzlich gleichrangig und ohne Anwendung einer Hierarchie zu verstehen. Zwar wurde der Versuch unternommen, speziellere von allgemeineren Zurechnungsgründen zu scheiden, dies liegt jedoch in der Natur der Sache: Je spezifischer ein Topos ausgeprägt ist, je konkreter also die Aussage gefasst ist, desto stärker ist die argumentative Kraft. Ebenso ist es bei den Zurechnungsgründen, hier entfalten die zusammengesetzten durchaus mehr argumentative Kraft als sehr abstrakte Einzelgründe. Diese sind teilweise wegen ihres hohen Abstraktionsgrades auch unselbständige Erwägungen und daher als alleinige Zurechnungsgründe ungeeignet. Dies spricht jedoch nicht gegen eine grundsätzliche Gleichrangigkeit der ursprünglichen Zurechnungsgründe. Werden zwei Gründe verknüpft spricht die stärkere Gewichtung dieses verbundenen Grundes nicht gegen die grundsätzliche Gleichrangigkeit aller ursprünglichen Erwägungen. Einzig die absoluten Zurechnungsgründe sind von dieser Gleichrangigkeit ausgenommen, sie sind schließlich im Gegensatz zu den anderen nicht austauschbar und damit nicht gleichrangig. Daneben ist das Gewicht der einzelnen Topoi abhängig von der zu erörternden Rechtsfrage, unabhängig von einer konkreten Fragestellung ist neben den absoluten Zurechnungsgründen keine abstrakte Gewichtung vorzunehmen.
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B. Methodische Ausgestaltung eines Zurechnungsmodells
Die Zurechnungsgründe tragen den Problembezug in sich, indem das Ergebnis der Zurechnungsentscheidung nicht allein von abstrakten Topoi argumentativ vorstrukturiert wird, sondern das Ergebnis Absicherung erfährt durch die konkreten, rechtsgebietsspezifischen Problemwertungen in den Punkten der Schutzwürdigkeit und Interessenabwägung. Der Topik ist wegen des verfolgten Ziels der Herstellung von Gerechtigkeit eine umfassende Interessenabwägung immanent. Auch die Zurechnung ist, wie gezeigt, gerechtigkeitsfunktional und kann nur durch eine umfassende Interessenabwägung gewonnen werden. Die vornehmliche Kritik an der Topik, die fehlende Bindung an das Gesetz sowie die Überschreitung der Grenzen zur Rechtsfortbildung, kann dem vorliegenden Konzept nicht schaden, schließlich wurde diese Abgrenzung bereits oben behutsam vorweggenommen, sodass die Zurechnung nach den methodischen Vorbemerkungen425 gerade nicht dazu dienen kann, verschleierte Rechtsfortbildung zu betreiben. Bedient sich die Zurechnung aber zu ihrer Geltung weiterer Methoden, etwa der Auslegung oder der Rechtsfortbildung, dann ist ihre topische (Argumentations-)Struktur kein Grund gegen das hier vorgeschlagene Modell. Die Topoi stehen gerade nicht mit dem geschriebenen Recht auf einer Stufe und können dieses nicht ohne Weiteres überlagern, es handelt sich vielmehr um eine „normativ gebundene“ Topik im Sinne Hesses.426 Die übrige Kritik kann dann aber der hier vorgeschlagenen konkreten Ausgestaltung ebenso wenig schaden: Die Zielvorgabe ist mit der Gerechtigkeit zwar subjektiv geprägt, dies stellt die hier vorgeschlagene Zurechnungslehre aber nicht über das Recht. Die Gerechtigkeitsfunktionalität wird auch nicht über die anderen Aspekte erhoben, sondern ist im Rahmen der umfassenden Abwägung mit einzustellen. Topoi sind eine gute Methode, um atypische Fälle flexibel beherrschen zu können und insbesondere Umgehungsversuche zu verhindern. Genau diesem Zweck dient auch die Zurechnung, die Umgehung der Hauptnorm zu verhindern ist ihr originäres Ziel. Weiterhin mögen die hier vorgeschlagenen Aspekte teilweise einen hohen Abstraktionsgrad aufweisen, die Möglichkeit der Zusammensetzung von Zurechnungsgründen sowie die Erforschung der Interessenlage kann aber den Weg weisen zu einer Lösung des entsprechenden Rechtsproblems. Auch Topoi haben einen derartigen Abstraktionsgrad. Daneben sind die zusammengesetzten Zurechnungsgründe weit schärfer und deutlich begründungsstärker, außerdem 425
Zur methodologischen Verortung der Zurechnung § 1 A. XII. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 67 ff. und 77 f. 426
1999,
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§ 4 Grundgedanken einer allgemeinen Zurechnungslehre
lässt sich durch die Zusammenstellung auch an bisherige Zurechnungslehren anschließen. Anhand der hier gezeigten Begründung sind viele Schnittmengen mit der Ausarbeitung zum Beweglichen System erkennbar. Nicht ohne Grund werden die Elemente des Beweglichen Systems selbst als Topoi bezeichnet.427 Insgesamt sind die gesammelten Zurechnungsgründe ohne Probleme als Topoikatalog anzuwenden, gleichwohl die topische Grundstruktur hier eingehegt ist durch die eingangs formulierten methodischen Einschränkungen.
III. Zusammenfassung Wie gezeigt lassen sich die materiellen Wertungen, die in Bezug auf die Zurechnung herausgearbeitet wurden, in verschiedenen Methoden darstellen. Das Bewegliche System ist dazu ebenso in der Lage wie die Anwendung von Topoikatalogen. Maßgebliches Ziel des kurzen methodischen Abrisses war es indes auch nur, die methodische Anschlussfähigkeit an eine oder mehrere methodische Figuren darzustellen. Eine abschließende methodische Bewertung muss an anderer Stelle erfolgen. Denkbar erscheinen auch weitere methodische Einkleidungen, auch eine schlichte Integration der gefundenen Wertungen in die Methoden der Auslegung und Rechtsfortbildung sind problemlos darstellbar. Die vorgestellten Varianten können indes Auftakt zu einer stärkeren methodischen Ausgestaltung und Differenzierung sein, müssen dies indes auch nicht. Einen Beitrag zum Streit zwischen System- und Problemdenken soll die kurze methodologische Verortung nicht leisten – ein Zuschlagen der hier geäußerten Ansichten zu der einen oder anderen Denkweise soll die argumentative Kraft der aufgefundenen Ergebnisse nicht schmälern.428 Die methodische Implementierung ist insoweit flexibel, wie die Zurechnungsgründe Prinzipiencharakter haben und wegen ihres starken Abstraktionsniveaus konkretisierungsfähig, aber auch konkretisierungsbedürftig sind. Der Vorteil der beiden gezeigten Methoden ist die nötige Flexibilität, welche die Anwendung der sehr abstrakten Zurechnungsgründe mit der nötigen Korrekturmöglichkeit im Einzelfall verbindet. Insoweit ist es besonders wichtig, dass Konzepte gefunden 427
So bereits Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 51974, S. 105 ff. und 110. Ebenso aus der neueren Literatur Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht, 2007, S. 17; Möllers, Juristische Methodenlehre, 32020, § 14 Rn. 54. Eine inhaltliche Gegenüberstellung findet sich bei Hücking, Der Systemversuch Wilburgs, 1982, S. 51 ff., der „deutliche Parallelen“ ausmacht. 428 Ganz ähnlich positioniert sich Struck, Topische Jurisprudenz, 1971, S. 8 f.
B. Methodische Ausgestaltung eines Zurechnungsmodells
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wurden, bei denen keine kumulative Anhäufung von Wertungen verlangt wurde, sondern lediglich eine alternative. Auch die besondere Hervorhebung der Interessenabwägung als eine umfassende Betrachtung eines Problems unter allen denkbaren Blickwinkeln war von hervorgehobener Wichtigkeit. Die Zurechnungsgründe sind gespeicherte Wertungen zum Thema Zurechnung aus den unterschiedlichsten Rechtsproblemen aller Rechtsbereiche. Aufgrund der Breite der vorgenommenen Untersuchung ist die Methode wegen der Schutzwürdigkeit und der Interessenabwägung an sich zwar rechtsgebietsbezogen und problemorientiert, die Ergebnisse sind indes teilweise hoch abstrakte Wertungen als Destillat dieser gespeicherten Wertungen. Dies stellt die in ihnen verborgenen Grundwertungen nicht in Frage. Die hier vorgenommene analytische Aufdeckung der Wertungsgefüge zeigt für ähnliche Zurechnungskonstellationen ähnliche Argumentationsfiguren auf. Diese gefundenen Zurechnungsgründe können bei ungelösten Zurechnungskonstellationen gewinnbringend eingesetzt werden. Unschärfen der Zurechnungsgründe und ihr prinzipienhafter Charakter sind keine zu kompensierenden Nachteile, sondern typische Nebenfolgen der hier vorgenommenen, breiten Untersuchung, welche sich durch alle Rechtsgebiete zieht und sowohl Eigen- als auch Fremdzurechnung gleichermaßen zu erfassen sucht. Verwunderlich ist die Abstraktionshöhe damit nicht. Gleichzeitig wird auch nicht der Anspruch erhoben, durch eine reine Ableitung aus den gefundenen Prinzipien eine fertige Lösung aufzufinden. Hier sichern die rechtsgebietsspezifischen Elemente das gefundene Ergebnis und die Einfügung in das konkrete Rechtsgebiet ab. Auf die gemeinhin üblichen Auslegungs- wie Rechtsfortbildungsgesichtspunkte wird daneben auch nicht verzichtet, die hier vorgestellten Erwägungen können hier indes einfließen. Die beiden vorgestellten Methoden sind mit ähnlichen Absicherungen vor „Übergriffen“ im Sinne einer freien Rechtsfortbildung versehen. Sie sollen nach hiesigem Verständnis keine Negierung des positiven Rechts durch Berufung auf überpositive Grundsätze ermöglichen. Nach hier vertretener Ansicht lassen sich beide Methoden sowohl in die systematische wie teleologische Auslegung als auch in die Rechtsfortbildung integrieren. Dies haben beide Methoden mit der Zurechnung gemein, auch diese kann sich methodisch der Rechtsfortbildung oder Auslegung bedienen.
§ 5 Zurechnungsfragen im Parteienrecht A. Grundlegende Zurechnungsfragen für politische Parteien Parteien sind in mehrerlei Hinsicht Zurechnungsproblemen ausgesetzt. Zum einen besteht wie bei Personenzusammenschlüssen üblich die Frage der Zurechnung von den Mitgliedern zur Organisation. Die Partei als rechtliches Konstrukt kann selbst nicht handeln, lediglich die Zurechnung von Handeln ihrer Organe ergibt Handlungen der Partei. Diese Parallele führt folglich in das Gesellschaftsund Vereinsrecht. Weiterhin besteht eine darüber hinausgehende Zurechnungsproblematik gegenüber Dritten, die nicht Mitglied der Partei sind. Hier sind die Zurechnung von Verhalten von Anhängern beim Parteiverbotsverfahren oder die Zurechnung von Werbemaßnahmen durch Dritte zu nennen. Eine weitere grundlegende Abgrenzungsproblematik besteht in der rechtlichen Verortung der Parteien zwischen den hergebrachten Sphären von Staat und Gesellschaft. Weil die Partei als gesellschaftliche Organisation aber in die Staatsorgane hineinwirkt, lebt sie in beiden Welten.1
B. Konkrete Zurechnungsproblemstellungen im Parteienrecht Zur Lösung parteienrechtlicher Zurechnungsprobleme soll das oben herausgearbeitete Zurechnungsmodell erprobt werden. Es soll gezeigt werden, wie die Erwägungen, welche das abstrakte Zurechnungsmodell in den Zurechnungsgründen und Zurechnungsausschlussgründen gespeichert hat, auch auf Zurechnungsprobleme im Parteienrecht übertragbar sind. Hierfür wird die bisherige rechtliche Erfassung dargestellt und mit dem Modell verglichen. Im Anschluss wird die Frage der Zurechnung vollständig nach dem Zurechnungsmodell bearbeitet und beantwortet.
1 Zur „Mittlerrolle“ der Parteien anschaulich Kunig, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 62012, Art. 21 Rn. 29 dort Fn. 85 m. w. N.
B. Konkrete Zurechnungsproblemstellungen im Parteienrecht
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Als Zurechnungsproblem soll im Folgenden zunächst das Unterfallen von parteinahen Organisationen unter den Parteibegriff untersucht werden. Dies soll am umstrittenen Beispiel der parteinahen Stiftungen geprüft werden (I.). Als zweiter Anwendungsfall soll die Frage der Zurechnung des Anhängerverhaltens im Parteiverbotsverfahren untersucht werden. Hierzu soll als Beispiel das Verhalten der AfD-Strömung „Flügel“ näher beleuchtet werden (II.). Abschließend wird der Frage nachzugehen sein, unter welchen Bedingungen sich Parteien Wahlkampf aktivitäten Dritter als Spende zurechnen lassen müssen. Beispielhaft soll dies an den Unterstützerkampagnen für die AfD der letzten Jahre gezeigt werden (III.).
I. Parteibegriff Bei der rechtlichen Betrachtung des Parteibegriffs steht in Frage, ob Organisationen, die rechtlich verselbständigt sind, der Partei zugerechnet werden. Namentlich für die im Umfeld der Partei operierenden und den Parteien mehr oder weniger nahestehenden Jugendorganisationen und Stiftungen ist dies besonders umstritten. Die Ausarbeitung soll sich der Problemlage mit einer Darstellung und Bewertung der bisherigen Ansichten zur abstrakten Abgrenzung von Organisationen im Parteiumfeld nähern (1.). Dann soll gezeigt werden, dass es sich um eine Zurechnungsfrage im Sinne der hier verwendeten Definition handelt (2.). Sodann sollen bereits auf abstrakter Ebene die dargestellten Argumente von Literatur und Rechtsprechung zur Abgrenzung mit den Zurechnungsgründen verglichen werden und erste Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden (3.), im Anschluss soll dann eine gesamte Untersuchung in Bezug auf die parteinahen Stiftungen erfolgen (4.). 1. Bisherige rechtliche Erfassung Zur Abgrenzung, ob eine Organisationen Teil der Partei ist, wird überwiegend nach Sonder- und Nebenorganisationen unterschieden.2 Sonderorganisationen sind nach ursprünglichem Verständnis Organisationen innerhalb der Partei, die an Beschlüsse von Parteiorganen gebunden sind und sich überwiegend aus Parteimitgliedern zusammensetzen.3 Nebenorganisationen sind solche, die nicht in die Partei eingegliedert sind, und dennoch zur Gesamtbewegung der Partei gehören und diese auf anderem Wege, etwa durch die Heranführung von Mitgliedern, 2 Weitere Nachweise bei Westerwelle, Das Parteienrecht und die politischen Jugendorganisationen, 1994, S. 44. 3 So in dem nicht ins Gesetz übernommenen Regierungsentwurf zum Parteiengesetz von 1959, BT-Drs. III/1509, S. 2 f.
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unterstützen.4 Die Abgrenzung der beiden Organisationsformen ist seit langem umstritten, nicht zuletzt deshalb, weil der Ausgang des Streitentscheides handfeste praktische Bedeutung hat: Sind Organisationen als Sonderorganisationen zu qualifizieren, so werden sie als Teil derselben „zur Partei gezogen“, sie unterliegen dann den gleichen Rechten, aber auch Verpflichtungen wie die Partei. Dies hat Auswirkungen auf die staatliche Finanzierung und insbesondere auf die Rechenschaftspflichten, welche das Grundgesetz den Parteien und damit dann auch den in sie eingegliederten Sonderorganisationen auferlegt. Weiterhin wirkt sich die Zuordnung auch auf die Reichweite des Parteiverbots aus. Anders gestaltet sich die Lage bei einer Nebenorganisation. Diese steht „neben“ der Partei, gehört zwar zu deren Umfeld, ist aber nicht Teil der Partei und nimmt nicht an den Gewährleistungen und Verpflichtungen des Art. 21 GG und den Regelungen des Parteiengesetzes teil, vielmehr finden hier Art. 9 Abs. 1 GG und gegebenenfalls die allgemeinen vereinsrechtlichen Regelungen Anwendung, welche deutlich weniger anspruchsvoll sind. Im Einzelnen ist bei der Differenzierung von Sonder- und Nebenorganisationen vieles ungeklärt. Unterscheiden lassen sich jedenfalls dem Grunde nach zwei Ansätze, ein formaler und ein funktionaler. a) Klassisch: Formaler Ansatz Der formale Ansatz unterscheidet (vornehmlich) nach der rechtlichen Ausgestaltung der Organisation: Ist die Organisation nach dem Gesamtbild der tatsächlichen und vor allem rechtlichen Verhältnisse in die Partei eingegliedert, liege eine Sonderorganisation (anderer Begriff: Teil-5 oder Unterorganisation6) vor.7 Bei mangelnder Eingliederung in die Partei liege dann eine Nebenorganisation vor. Die Unterscheidung geht maßgeblich auf zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Parteiverboten zurück.8 Die formale Ansicht knüpft anschließend an die genannten Urteile die Unterscheidung maßgeblich an die rechtliche Selbständigkeit.9 Diese rechtliche 4
Siehe BT-Drs. III/1509, S. 3. Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 36. Zu weiteren verwendeten Begrifflichkeiten Plate, Parteifinanzierung und Grundgesetz, 1966, S. 91. 6 Kölble, AöR 87 (1962), 48. 7 Siehe etwa Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, 2011, § 7 Rn. 19; Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 235. 8 BVerfGE 2, 1, 78; 5, 85, 392. 9 Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 235. 5
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Selbständigkeit wurde zunächst vornehmlich in den Satzungen der Parteien verortet, denn auch das Bundesverfassungsgericht habe ja die „satzungsmäßigen Organisationen“ als Teil der Partei betrachtet: Die ursprüngliche Unterscheidung lautete demnach also, dass eine satzungsgemäß zur Partei gehörende Organisation Sonderorganisation, eine satzungsgemäß nicht zur Partei zählende Organisation eine Nebenorganisation sei.10 Diese starre Differenzierung wird der Realität aber nicht gerecht, die rein formale Verankerung in der Satzung kann nicht ausschließliches Kriterium zur Beurteilung der Frage sein, ob eine Organisation Teil der Partei ist11, schließlich kann eine Organisation auch der Willensbildung der Partei unterworfen sein, selbst wenn sie nicht in der Satzung mit Regelungen bedacht ist12. Oerter13 nennt hier als Beispiel für die enge Beziehung insbesondere die in dem genannten Regierungsentwurf beabsichtigte Ermöglichung der Einflussnahme von Nebenorganisationen auf die Parteivorstände durch Vorstandsmitgliedschaften kraft Satzung in § 13 Abs. 3a PartG-E14. Daher haben sich weitere Merkmale zur Begründung der Selbständigkeit einer Organisation gebildet, die den „rein“ formalen Ansatz ergänzen. Oerter nennt als Abgrenzungskriterien etwa die Struktur der Mitgliedschaft der Organisation, soweit es eine Personenorganisation ist: Besteht diese überwiegend aus Parteimitgliedern, so spreche dies für eine Sonderorganisation.15 Weiterhin komme dem Einfluss auf die Organisation Bedeutung zu, mithin der Frage, wie eigenständig (von der Partei) die Organisation Entscheidungen treffen kann. Hierbei lässt sich dann (auch) auf die formalen Regelungen in den Satzungen abstellen. Daneben wird auch die Betrachtung der finanziellen Selbständigkeit als zweckdienlich erachtet, um Aufschluss über die Einordnung der Organisation geben zu kön10
Nachweise und Kritik zu dieser Ansicht bei Oerter, Rechtsfragen des Verhältnisses zwischen politischen Parteien und ihren Sonder- und Nebenorganisationen, 1971, S. 19. 11 Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 71; Morlok/Merten, Parteienrecht, 2018, S. 73 m. w. N.; Küstermann, Das Transparenzgebot des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG und seine Ausgestaltung durch das Parteiengesetz, 2003, S. 42. 12 So Oerter, Rechtsfragen des Verhältnisses zwischen politischen Parteien und ihren Sonder- und Nebenorganisationen, 1971, S. 18 f. Dazu auch Plate, Parteifinanzierung und Grundgesetz, 1966, S. 92 f., der eine „sehr enge Verbindung“ voraussetzt und diese nach tatsächlichen, nicht nach „formal-rechtlichen Merkmalen“ zu bestimmen versucht. 13 Oerter, Rechtsfragen des Verhältnisses zwischen politischen Parteien und ihren Sonderund Nebenorganisationen, 1971, S. 12. 14 BT-Drs. III/1509, S. 4. 15 Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 70 m. w. N.; Küstermann, Das Transparenzgebot des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG und seine Ausgestaltung durch das Parteiengesetz, 2003, S. 42; Oerter, Rechtsfragen des Verhältnisses zwischen politischen Parteien und ihren Sonder- und Nebenorganisationen, 1971, S. 20. Siehe auch bereits Seifert, DÖV 1956, 1, 5.
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nen:16 Liegt eine finanzielle Unabhängigkeit vor, so spreche dies für die Einordnung als Nebenorganisation. Indizien für eine Integration in die Parteistruktur sind danach die weitgehende Kongruenz der Mitgliedschaft, die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Partei, aber auch inhaltliche Verbindungen17, ein möglicherweise bestehendes Beherrschungsverhältnis18 oder auch übereinstimmende verfolgte politische Ziele19. Damit ist folglich nach dieser Ansicht neben der Untersuchung der rechtlichen (Satzungs-)Verhältnisse20 eine Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse notwendig.21 16 Oerter, Rechtsfragen des Verhältnisses zwischen politischen Parteien und ihren Sonderund Nebenorganisationen, 1971, S. 20; Seifert, DÖV 1956, 1, 5. 17 Oerter, Rechtsfragen des Verhältnisses zwischen politischen Parteien und ihren Sonderund Nebenorganisationen, 1971, S. 20 ff.; vgl. auch Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 70. 18 Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 206. 19 Küstermann, Das Transparenzgebot des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG und seine Ausgestaltung durch das Parteiengesetz, 2003, S. 43 m. w. N.; siehe auch Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 206. 20 Bei Kunig, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 62012, Art. 21 Rn. 74 werden Sonder- und Nebenorganisationen allein nach der organisatorischen Eingliederung abgegrenzt. Ähnlich Gusy, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 32001, Art. 21 Rn. 116; Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 235; in Bezug auf das Verbotsverfahren gehen Grzeszick/Rauber, in: Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 142018, Art. 21 Rn. 155 augenscheinlich ebenfalls ausschließlich von einer Erstreckung des Parteibegriffs auf die satzungsmäßigen Organisationen aus, wenngleich sie bei Ersatzorganisationen auf „materielle Kriterien“ wie „Art der Betätigung“ oder „Zielsetzung“ abstellen wollen (Rn. 157). Ähnlich Burghart, in: Hesselberger (Hrsg.), Grundgesetz: Kommentar, 780. EL Juni 2020, Art. 21 Rn. 391. Auch bei Leisner, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, 42018, Art. 21 Rn. 14 wird eine organisatorische Eingliederung verlangt, aus der sich dann eine Beherrschung ergebe. 21 So bereits Seifert, DÖV 1956, 1, 5; Plate, Parteifinanzierung und Grundgesetz, 1966, S. 93; Oerter, Rechtsfragen des Verhältnisses zwischen politischen Parteien und ihren Sonderund Nebenorganisationen, 1971, S. 21; Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 206; Höfling, in: Kaack/Roth (Hrsg.), Handbuch des deutschen Parteiensystems, 1980, Bd. 1, S. 125 ff., S. 153 ff.; Wewer, ZRP 1983, 86, 87; Höfling, NJW 1985, 1943, 1944; ähnlich auch Pieroth, in: Jarass/Kment (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 162020, Art. 21 Rn. 6, der auf Mitgliedschaft, ideelle, finanzielle und organisatorische Abhängigkeit abstellen will. Henke, in: Kahl (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, November 1991, Art. 21 Rn. 306 will „nicht auf die Rechtsform, […] sondern auf den Grad der praktischen Selbständigkeit oder Eingliederung im Verhältnis zur Parteiorganisation“ abstellen und reichert damit seine eher formale Sichtweise um materielle Kriterien an. Für eine tatsächliche Betrachtung auch Plate, Parteifinanzierung und Grundgesetz, 1966, S. 92 f.; von Coelln, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz Kommentar, 2020, § 46 Rn. 37; Küstermann, Das Transparenzgebot des Art. 21 Abs. 1 Satz 4
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b) Erweiternder funktionaler Ansatz Das drohende Missbrauchspotenzial durch die unterschiedliche Behandlung von typischen Umfeldorganisationen wie den Jugendorganisationen je nach rechtlicher Ausgestaltung22 hat zu wachsenden Zweifeln an dieser – maßgeblich auf die formale Organisationsform abstellenden – Ansicht geführt. Namentlich Morlok und die „Neue Düsseldorfer Schule“, wie Volkmann sie nennt23, wollen die überkommene Differenzierung zwischen Sonder- und Nebenorganisationen sogar vollständig überwinden und unabhängig davon bestimmen, ob Organisationen zur Partei und dem Rechtsregime des Art. 21 GG gehören oder nicht. Freilich wird auch hier die Verselbständigung der Organisationen betrachtet, allerdings wird nicht auf formale, sondern funktionale Aspekte abgestellt. Organisationen gehörten dann zum Regelungsregime des Art. 21 GG, wenn sie Aufgaben für die Partei erfüllen und dies auch in der Verantwortung der Partei geschieht. Maßgeblich soll es dabei auf das Selbstverständnis24 einerseits der Organisation selbst, andererseits auch der Partei ankommen.25 Als Begründungsansatz wird dabei unter anderem auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Kirchen verwiesen.26 Auch bei Religionsgemeinschaften sei die Frage nach den Umfeldorganisationen der Kirchen relevant, hier habe das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung solche Organisationen jedenfalls dann in den Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG einbezogen, wenn sie nach Selbstverständnis und Zweck oder Aufgabe dazu dienten, Funktionen der Kirche zu übernehmen.27 Wörtlich heißt es vom Bundesverfassungsgericht: „Nach Art. 137 Abs. 3 WRV sind nicht nur die organisierte Kirche und die rechtlich selbständigen Teile dieser Organisation, sondern alle der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform Objekte, bei deren Ordnung und Verwaltung die Kirche grundsätzlich frei ist, wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck
GG und seine Ausgestaltung durch das Parteiengesetz, 2003, S. 42 behauptet, dass Einigkeit bestehe, dass eine „formell bestehende rechtliche Autonomie oder die fehlende Verankerung in der Parteisatzung die Einordnung als Teilorganisation nicht ausschließt.“ 22 Vgl. Morlok/Merten, Parteienrecht, 2018, S. 74. 23 Volkmann, in: Alemann/Morlok/Godewerth (Hrsg.), Jugend und Politik, 2006, S. 111, 117. 24 Grundlegend zum Selbstverständnis Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, passim. 25 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 43; Morlok/Merten, Parteienrecht, 2018, S. 73; Westerwelle, Das Parteienrecht und die politischen Jugendorganisationen, 1994, S. 61 ff. 26 Tsatsos/Morlok, Parteienrecht, 1982, S. 81. 27 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 43.
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oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen und zu erfüllen.“28
Diese Wertungen für Religionsgemeinschaften und deren Umfeldakteure seien ohne weiteres auf die Parteien übertragbar, auch hier komme es nicht auf die Rechtsform der Organisation an, sondern allein das Selbstverständnis über Zweck und Aufgabe der Organisation solle genügen.29 Von den Gewährleistungen und Pflichten des Art. 21 GG sei damit jede Organisation erfasst, die – arbeitsteilig mit der Partei zusammenwirkend – für die Partei tätig wird, wobei es auf die rechtliche Ausformung und damit insbesondere auf die Unterscheidung zwischen Sonder- und Nebenorganisation gar nicht mehr ankomme.30 Vielmehr komme es auf eine „Tendenzzugehörigkeit in Gestalt des Selbstverständnisses auf beiden Seiten an“31. Damit sollen solche Organisationen erfasst werden, die von der Partei als für die Partei tätig betrachtet werden und sich ihrerseits auch als Unterstützer und Leistungserbringer für die Partei verstehen32. Nach dieser Ansicht ist maßgeblich auf die funktionale Aufgabenwahrnehmung33 und das Selbstverständnis abzustellen.34 Zum Teil werden auch noch weitere Aspekte genannt, nach denen die oben genannte Abgrenzung erfolgen soll. Ein Ansatz stellt zur Beurteilung der Zugehörigkeit zur Partei neben dem genannten funktionalen Aspekt alternativ auf die „offene Unterstützung“ im Wahlkampf ab.35 28
BVerfGE 46, 73, 85. Zu dem Begründungsansatz mit reichhaltigen Nachweisen etwa Westerwelle, Das Parteienrecht und die politischen Jugendorganisationen, 1994, S. 80 ff. 30 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 43; Morlok/Merten, Parteienrecht, 2018, S. 73. 31 Morlok, in: Ipsen (Hrsg.), 40 Jahre Parteiengesetz, 2009, S. 53, 71. Dazu auch ders., in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 43. 32 Morlok, in: Ipsen (Hrsg.), 40 Jahre Parteiengesetz, 2009, S. 53, 71. 33 Auf das „arbeitsteilige Zusammenwirken“ für die „verfassungsrechtliche Aufgabenerfüllung“ der Partei abstellend Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 71; auf die wahrgenommenen Funktionen will auch Kluth, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 4715.05.2021, Art. 21 Rn. 49 abheben und diese Organisationen der Rechenschaftspflicht unterstellen. 34 Morlok/Merten, Parteienrecht, 2018, S. 73; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 3 2015, Art. 21 Rn. 43; Morlok, in: Ipsen (Hrsg.), 40 Jahre Parteiengesetz, 2009, S. 53, 71 f.; Volkmann, in: Alemann/Morlok/Godewerth (Hrsg.), Jugend und Politik, 2006, S. 111, S. 116 ff.; Merten, Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, 1999, S. 121 ff.; Kißlinger, Das Recht auf politische Chancengleichheit, 1998, S. 108 f.; Westerwelle, Das Parteienrecht und die politischen Jugendorganisationen, 1994, S. 61 ff.; Tsatsos/Morlok, Parteienrecht, 1982, S. 81 f.; auf das Selbstverständnis neben anderen Kriterien will auch Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 36 abstellen. 35 Roellecke, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, 2002, Art. 21 Rn. 119. 29
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c) Eigener Ansatz Offenkundig ist das Abstellen auf die Organisationsform für die Bestimmung der verfassungsrechtlichen Zuordnung einer Organisation ungeeignet. Es darf durch eine formale Betrachtung nicht dazu kommen, dass durch eine organisatorische Frage, welche die Parteien kraft ihrer Satzungsautonomie und Organisationsfreiheit frei regeln können, die verfassungsrechtliche Zuordnung verändert wird und sich Parteien etwa der Rechenschaftspflicht für Teile ihrer Organisation entledigen können.36 Dies ist auch schon aufgrund der Normhierarchie ausgeschlossen. Nicht der einfache Gesetzgeber legt fest, was Teil der Partei im Sinne des Verfassungsrechts ist, geschweige denn die Partei durch die von ihr gesetzten innerparteilichen Normen selbst. Es darf mit anderen Worten keine „Flucht ins Vereinsrecht“37 erfolgen, ansonsten würde einer einfachen Umgehungsmöglichkeit Tür und Tor geöffnet.38 Der Verweis auf die Urteile des Bundesverfassungsgerichts von Verfechtern eines formalen Verständnisses trägt bei näherer Betrachtung nicht – Argumente für eine rein formale Betrachtung lassen sich diesen jedenfalls nicht entnehmen. Im Verbotsurteil zur SRP hat das Gericht ausgeführt: „Eines besonderen Verbots der von der SRP abhängigen Organisationen – Reichsfront, Reichsjugend, SRP-Frauenbund – bedarf es nicht. Sofern sie Teile der Partei sind, trifft sie deren 36
Diese Gefahr sieht auch Klein, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Unterrichtung durch die Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung, 2001, S. 3, 21. Siehe dazu insb. § 5 Fn. 38. Siehe auch Kluth, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 4715.05.2021, Art. 21 Rn. 49; Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 7 2018, Art. 21 Rn. 71; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 43. 37 Vgl. Volkmann, in: Alemann/Morlok/Godewerth (Hrsg.), Jugend und Politik, 2006, S. 111, 117. 38 Diese Gefahr sieht durchaus auch Klein, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Unterrichtung durch die Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung, 2001, S. 3, 21. Er weist darauf hin, dass eine Ausdehnung der Rechenschaftspflicht auf Hilfsund Nebenorganisationen rechtlich möglich und als Eingriff in Art. 9 Abs. 1 GG gerechtfertigt sei, um Finanzströme offenzulegen. Neben- oder Hilfsorganisationen unterfielen aber dennoch nicht Art. 21 GG. Gleichzeitig hält er fest, dass eine Nichtanwendung der Transparenzregelungen auch auf Neben- und Hilfsorganisationen die verfassungsrechtliche Transparenzpflicht beeinträchtige. Durch eine Auslagerung von Tätigkeiten könnten die Parteien der grundgesetzlichen Intention die Wirkung nehmen. Notwendig sei eine gesetzliche Regelung der Merkmale, nach denen die Ausweitung der Transparenzpflicht erfolgen solle, schließlich tummelten sich vielfältige Arten von Organisationen im Vorfeld der Parteien. Er schlägt vor, die Regelung auf solche Nebenorganisationen zu erstrecken, die nach dem Selbstverständnis, welches durch ihre Satzung zum Ausdruck komme, die Ziele einer Partei unterstützen. Die Partei solle für diese Organisationen eigene Rechenschaftsberichte abgeben und dementsprechend vollen Zugang zu den Unterlagen haben (bzw. der Wirtschaftsprüfer); siehe dazu etwa auch mit Nachweisen Westerwelle, Das Parteienrecht und die politischen Jugendorganisationen, 1994, S. 84.
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rechtliches Schicksal. Soweit es sich um selbständige Organisationen handelt, findet auf sie Art. 21 II GG keine Anwendung. Verletzen sie die „verfassungsmäßige Ordnung“, so kann die Exekutive auf Grund des Art. 9 II GG unmittelbar gegen sie einschreiten.“39
Damit hat es erstmals unterschieden zwischen „selbständigen Organisationen“, die nicht unter Art. 21 GG fallen, und „abhängigen Organisationen“, welche am Verbotsausspruch des Gerichts unmittelbar teilnehmen, sofern sie Teil der Partei sind. Die rechtlichen Maßstäbe, nach denen das Gericht hier die Differenzierung vornehmen möchte, bleiben allerdings unklar. Im KPD-Urteil musste sich das Gericht im abschließenden Teil erneut mit der Reichweite des Verbotes auseinandersetzen. Darin heißt es: „Die Auflösung der KPD ist im Urteil auszusprechen. Sie erstreckt sich auf alle ihre satzungsmäßigen Organisationen. Mit der Auflösung ist das Verbot zu verbinden, Ersatzorganisationen zu schaffen oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzusetzen. Auf nicht zur Partei gehörige, aber von ihr abhängige Organisationen, vor allem die sog. Tarnorganisationen, erstreckt sich hingegen die Auflösung nicht. Diese Organisationen nehmen nicht an dem Parteiprivileg des Art. 21 GG teil und fallen, soweit sie die verfassungsmäßige Ordnung verletzen, unter Art. 9 Abs. 2 GG.“40
Das Gericht nimmt die sogenannten Tarnorganisationen41 vom Parteibegriff hier ausdrücklich aus. Auch die „abhängigen“ Organisationen kommen wieder in dem Ausspruch vor, allerdings werden sie auch hier nur unter der Maßgabe von dem Verbot erfasst, dass sie Teil der Partei sind. Erstmals wird aber zu Beginn der obigen Fundstelle darauf hingewiesen, dass die Partei und „alle ihre satzungsmäßigen Organisationen“ aufgelöst werden. Nach Auswertung dieser – von Verfechtern der formalen Ansicht genannten42 – Fundstellen ist der Ertrag für die rechtliche Bewertung mäßig. Als Unterscheidung lässt sich aus dem SRP-Urteil das Begriffspaar „selbständig“ und „Teil der Partei“ konstruieren. Auf die Abhängigkeit soll es nach dem KPD-Urteil nicht ankommen, denn selbst abhängige Organisationen sind nicht vom Verbotsausspruch erfasst, sofern sie nicht „zur Partei gehörige“ sind. Die Abhängigkeit ist damit offenbar kein Gegensatz zur Selbständigkeit, auch abhängige Organisationen können selbständig sein, gleichwohl man nach unbefangenem Verständnis bei einer satzungsmäßigen Integration sehr wohl von einer rechtlichen Abhängigkeit sprechen könnte. Zwar geht das Bundesverfassungsgericht in den ge39
BVerfGE 2, 1, 78. BVerfGE 5, 85, 392. 41 Zum Begriff etwa Seifert, DÖV 1956, 1, 5. Zu den Gemeinsamkeiten von Tarnorganisation und Nebenorganisation etwa Kölble, AöR 87 (1962), 48, 49. 42 Mit besagtem Verweis etwa Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 235; Wißmann, in: Kersten/Rixen (Hrsg.), Parteiengesetz (PartG) und europäisches Parteienrecht, 2009, § 2 Rn. 22. 40
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nannten Fundstellen davon aus, dass satzungsmäßige Organisationen ohne Weiteres als solche Teile der Partei sind, ob aber die satzungsmäßige Verortung alleiniges Kriterium dieser Zuordnung ist, wird nicht beantwortet. Die Begrifflichkeiten des Bundesverfassungsgerichts und auch die gesetzliche Regelung geben keinen Hinweis auf eine ausschließliche Berücksichtigung der Satzungsverhältnisse. § 46 Abs. 2 BVerfGG besagt, dass die Feststellung der Verfassungswidrigkeit „auf einen rechtlich oder organisatorisch selbständigen Teil einer Partei beschränkt“ werden kann. Damit ist – ähnlich wie in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts – zunächst lediglich festgestellt, dass auch rechtlich oder organisatorisch selbständige Organisationen „Teil der Partei“ sein können.43 Andernfalls unterfielen diese nämlich gar nicht dem Parteienprivileg und könnten auch nicht vom Gericht verboten werden.44 Entscheidende Frage bei der Erörterung, ob eine Sonder- oder Nebenorganisation vorliegt, ist also vielmehr, ob es sich um einen Teil der Partei handelt, und nicht, ob es sich um einen rechtlich selbständigen Teil handelt. Diese Differenzierung wäre sinnlos, wenn die Bestimmung, ob ein „Parteiteil“ vorliegt, mit der Frage nach der rechtlichen Selbständigkeit verquickt wäre. Insofern kann der rechtlichen Ausgestaltung der Selbständigkeit nur eine indizielle Wirkung zukommen.45 Diese ist in einem ersten Schritt zu untersuchen, denn wenn die Organisation bereits rechtlich in die Parteistruktur eingefügt ist, erübrigt sich die Untersuchung der weiteren, weit weniger trennscharfen materiellen Kriterien. Das Vorliegen rechtlicher Selbständigkeit ist lediglich Anlass zur weiteren Prüfung und noch kein Argument für die Annahme einer Nebenorganisation. Beide hier aufgeworfenen Ansichten schließen sich darüber hinaus nicht kategorisch aus. Auch die ursprünglich rein formale Variante ist bereits nicht unerheblich um die Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse zwischen Organisati43
Diesen Begründungsansatz bemüht ähnlich bereits Plate, Parteifinanzierung und Grundgesetz, 1966, S. 92. 44 Anders Waldhoff, in: Walter/Grünewald (Hrsg.), BeckOK BVerfGG, 1001.01.2020, § 46 Rn. 4, der meint, „Teilorganisationen“ wie die Jugendorganisationen seien durch § 46 Abs. 2 BVerfGG dem Vereinsverbotsverfahren entzogen worden. Dies ist widersprüchlich, da Teilorganisationen doch Teil der Partei und damit bereits wegen Art. 21 GG unter das Parteienprivileg fallen, nicht erst durch die einfachgesetzliche Anordnung. Außerdem heißt es, dass der Ausspruch „beschränkt“ wird, nicht dass dieser ausgedehnt wird. Insofern zutreffend wie hier, insbesondere mit Hinweis auf die Notwendigkeit einer umfassenden tatsächlichen Betrachtung von Coelln, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz Kommentar, 2020, § 46 Rn. 52 ff. 45 Ähnlich beispielsweise schon Seifert, DÖV 1956, 1, 5; Küstermann, Das Transparenzgebot des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG und seine Ausgestaltung durch das Parteiengesetz, 2003, S. 43.
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on und Partei angereichert. Die genannten Kriterien um dasjenige des Selbstverständnisses zu ergänzen und außerdem die arbeitsteilige Erledigung von Parteiaufgaben zu untersuchen, erscheint ohne weiteres denkbar, womit sich beide Ansichten durchaus eher ergänzen denn ausschließen.46 2. Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition Die Frage nach der Zugehörigkeit von Organisationen zur Partei ist nach der hier eingeführten Definition eine Zurechnungsfrage. Als Hauptnormen kommen viele verschiedene Normen in Betracht. Die denkbaren Hauptnormen sind zunächst nur soweit beschränkt, als sie die Partei zur Adressatin haben. In Betracht kommen etwa die Regelung des Grundgesetzes, welche die Parteien zur Rechenschaftslegung und Transparenz über ihre Einnahmen und Ausgaben verpflichtet (Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG) oder aber die Regelungen zum Parteiverbot (Art. 21 Abs. 2 GG). Zu dem Begriff Partei würden hier wie dort unter Umständen auch die parteinahen Organisationen im Sinne der hier genannten Kriterien hinzugerechnet. Zurechnungsadressat wäre demnach die Partei, Zurechnungsgegenstand in diesem Fall die parteinahe Organisation als solches. Bei der methodischen Einkleidung wäre die Zurechnung in der Auslegung des Merkmals Partei verborgen. Die Zuordnung von Hilfsorganisationen wird zum Teil bereits als Zurechnung bezeichnet.47 3. Gemeinsamkeiten mit dem Zurechnungsmodell Zwischen den bisher in der Literatur genannten Abgrenzungskriterien und den Zurechnungsgründen sind einige Gemeinsamkeiten festzustellen. Zunächst lässt sich Beherrschung als Zurechnungsgrund in den Ausführungen wiederfinden. Eine rechtliche Beherrschung ist dann zu erblicken, wenn die Organisation rechtlich in die Parteistruktur eingegliedert ist, also ein Durchgriff auf die Organisation durch die Partei möglich ist. Rechtlich äußert sich die Beherrschung etwa durch Satzungsregelungen, durch offizielle oder inoffizielle Sanktionsmöglichkeiten der Partei gegen Mitglieder der Organisation oder ähnliches. Bei formaler Integration in den Parteiaufbau liegt auch eine Unterwerfung unter die Willensbildung der Parteiorgane vor. Die rechtliche Beherrschung ist der „unproblematische“ Teil, denn dieser beinhaltet letztendlich nicht mehr als die „klare“ Zurechnung einer bereits satzungsmäßig eingegliederten Organisation. 46 So auch Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 36; Volkmann, in: Alemann/Morlok/Godewerth (Hrsg.), Jugend und Politik, 2006, S. 111, 118. 47 Morlok/Merten, Parteienrecht, 2018, S. 74; Morlok, in: Ipsen (Hrsg.), 40 Jahre Parteiengesetz, 2009, S. 53, 71.
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Teilweise wird die Integration in die Organisation treffend als rechtliche Beherrschung betrachtet, darüber hinausgehende Möglichkeiten einer Beherrschung aber überhaupt nicht gesehen.48 Entscheidender ist die Frage nach den tatsächlichen Umständen, welche eine Zugehörigkeit umschreiben können. Die Betrachtung der tatsächlichen Umstände hat sich auch in der Literatur mittlerweile durchgesetzt. Hierbei werden unter anderem die Durchsetzung der Mitgliedschaft sowie der Einfluss auch in wirtschaftlicher Hinsicht genannt. Diese Punkte finden sich in dem Zurechnungsgrund der tatsächlichen Beherrschung problemlos wieder: Die Durchsetzung der Organisation und insbesondere der Führungsgremien mit Parteimitgliedern ist ein Indiz für eine personelle Beherrschung. Gerade der Zugriff auf die Entscheidungsgremien deutet auf eine beherrschende Stellung hin. Wer entscheidet, wer die Entscheidungen in der Organisation trifft, der entscheidet mittelbar selbst. Auch die Durchsetzung von Personenorganisationen mit Parteimitgliedern kann eine Beherrschung sichern. Gerade für mitgliedschaftlich verfasste Organisationen ist die Betrachtung der Mitgliederstruktur von Bedeutung. Gibt es hier eine weitgehende Kongruenz oder gar Identität, so spricht dies für eine Sonderorganisation. Auch die mitgliedschaftliche Verschränkung, etwa durch Mitgliedschaften kraft Satzung oder ähnlicher Instrumente, kann ein Indiz in diese Richtung darstellen. Zu denken ist hier etwa an die personelle Abhängigkeit bei der Besetzung von Führungsgremien, die dann weitergehend bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit der Organisation nehmen. Hierbei darf es allerdings nicht mit der rein rechtlichen Betrachtung der Satzungsregelungen sein Bewenden haben. Niedergelegte Vorschlagsrechte der Partei für die Führungspositionen sind die wohl denkbar stärkste Art des Parteieinflusses auf die Organisationen. Insofern kommt es hierbei dann auch nicht darauf an, ob ein gewisses Quorum der Mitgliederversammlung oder des Vorstandes der Organisation von der Partei „beschickt“ wird49, schließlich würde man dann die oben verworfenen rein formalen Kriterien doch als erheblich betrachten. Notwendig ist jedenfalls, dass es sich um Entscheidungsgremien handelt, also nicht lediglich um beratende Beiräte. Wird die Organisation also zumindest nicht unerheblich von der Partei mitgesteuert, so spricht dies indiziell für eine Parteizugehörigkeit. Aber nicht nur die rechtliche Ausgestaltung der Gremienbesetzung darf von Relevanz sein, schließlich sind die Parteien kraft ihrer Organisationsfreiheit keinen Beschränkungen unterworfen, auch das tatsächliche Verfahren der Besetzung muss Eingang in eine Betrachtung finden. Sind etwa ein nicht unerheblicher Teil der Gremien mit 48 Leisner, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, 42018, Art. 21 Rn. 14 etwa erkennt auch die Beherrschung als Kriterium, sieht aber eine solche offenbar nur bei einer rechtlichen Eingliederung. 49 Klaassen, Die Finanzierung parteinaher Stiftungen in den Ländern, 2016, S. 212 f.
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Parteifunktionären besetzt, so spricht dies für einen beherrschenden Einfluss der Partei.50 Weiterhin wird der finanzielle Einfluss als Indiz für eine Beherrschung angenommen. Wenn die Partei die Organisation vollständig oder mehrheitlich finanziert, liegt eine Abhängigkeit nahe. Je stärker die Organisation lediglich von der Partei finanziert wird, desto weniger spricht für eine Selbständigkeit und umso mehr für eine Verortung als unselbständiger Teil der Partei. Hierbei ist bei der finanziellen Abhängigkeit nicht ausschließlich auf eine direkte Finanzierung durch die Partei abzustellen. Auch die Verschaffung von finanziellen Mitteln lässt sich als finanzielle Abhängigkeit darstellen. Wenn nur die Partei imstande ist, die Drittmittel zu beschaffen, dann ist die Organisation ebenso abhängig wie in dem Fall, dass die Partei die Mittel selbst auskehrt. Auch das Verschaffen von staatlichen Zuwendungen und die Abhängigkeit von derartigen Einnahmen begründet eine mittelbare Abhängigkeit. Wenn also ohne Handeln von Parteivertretern eine staatliche Förderung nicht stattfindet, dann ist eine Abhängigkeit schlechterdings nicht zu leugnen. Für die Relevanz der bis hier genannten Punkte zur Beherrschung spricht nicht zuletzt, dass sich auch das Bundesverfassungsgericht ihrer – jedenfalls in Ansätzen und bei aller berechtigten Kritik an dem Urteil – bedient hat, als es entscheiden musste, ob die Finanzierung der parteinahen Stiftungen auch eine Form der Parteienfinanzierung darstellt. Maßgebliche Begründungsansätze waren neben der organisatorischen Trennung (dies entspricht hier der lediglich schwachen indiziellen Bedeutung der formalen Struktur) die unterschiedliche Zielsetzung51 und das Fehlen von „bestimmendem Einfluss“ auf die Inhalte und Schwerpunkte der Stiftungsarbeit52. Sowohl die Elemente der tatsächlichen als auch rechtlichen Beherrschung sind damit wiederzuerkennen. Der funktionale Ansatz, welcher unter anderem auf die Aufgabenwahrnehmung rekurriert und damit auch wörtlich auf das arbeitsteilige Zusammenwirken53 abstellt, entspricht dem Zurechnungsaspekt der Arbeitsteilung, schließlich werden hier mit dem Willen der Partei Aufgaben in ihrem Interesse durchgeführt. Interessen der Partei werden verfolgt, wenn der Partei Aufgaben abgenommen werden und sie folglich Aufwendungen erspart. Dafür bedarf es keiner Wahrnehmung spezifisch den Parteibegriff umfassender Aufgaben wie etwa der Einwirkung auf die politische Willensbildung. Auch der Entlastungseffekt bei nicht „pflichtigen“ Aufgaben der Parteien muss Beachtung finden. Dane50
Ders., Die Finanzierung parteinaher Stiftungen in den Ländern, 2016, S. 213. BVerfGE 73, 1, 33. 52 BVerfGE 73, 1, 35. 53 Siehe die Nachweise oben und bei Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 7 2018, Art. 21 Rn. 71 m. w. N. 51
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ben ist der Aufgabenkatalog über den sehr engen Bereich des „notwendigen“ Parteibegriffs hinaus kaum sinnvoll beschreibbar, die Parteien haben eben bis auf die Merkmale des Parteibegriffs keine pflichtigen „Aufgaben“, die sie erfüllen müssten. Sie sind keine Staatsorgane, denen Aufgaben oktroyiert sind, sondern sie genießen grundrechtliche Freiheit, Aufgaben wahrzunehmen oder auch nicht.54 Das arbeitsteilige Zusammenwirken bei der Erledigung von Kernaufgaben der Parteien spricht allerdings wesentlich stärker für eine Zuordnung zur Partei als die Erfüllung von eher randständigen Aufgaben. Wird durch Wahlkampfhilfe der Organisation für die nahestehende Partei auf die politische Willensbildung durchgegriffen, spricht dies stärker für eine Teilorganisation als bei der Bereitstellung von Expertise für die programmatische Erarbeitung oder für die politische Bildung. Die Arbeit der Organisationen im Parteiumfeld steht regelmäßig unter einer grundsätzlichen Billigung der Partei, ohne welche die Organisationen nicht existieren würden, wenngleich auch im Einzelfall missbilligendes Verhalten die Verbindung zwischen Partei und Organisation nicht kappt.55 Nimmt eine Organisation Aufgaben einer Partei wahr, so spricht dies allein bereits als Indiz für eine gewisse Bindung zur Partei. Erledigt die Organisation die Aufgabe in arbeitsteiligem Zusammenwirken mit der Partei und erfüllt sie diese Aufgaben gegebenenfalls auch in Absprache mit der Partei, so spricht dies dafür, dass sie als eine Art Beliehene56 Teil der Partei ist, denn dann hat die Partei lediglich ihr obliegende Aufgaben ausgelagert und einen Dritten mit der Erledigung beauftragt. Auch wenn es sich nicht um hoheitliche, sondern um verfassungsrechtliche Aufgaben handelt, so ist das Rechtsinstitut dem Grunde nach auch auf das Verhältnis der Partei zu Umfeldorganisationen anwendbar.57 Voraussetzung für die hier genannte Arbeitsteilung in diesem Sinne ist dabei aber auch das bewusste und gewollte Zusammenwirken der beiden Organisationen. Eine aufgedrängte Aufgabenerfüllung durch eine Organisation macht diese nicht einseitig zum Teil der Partei.58 Dies entspricht dem hier geforderten Willen der Partei. Mit einem bestehenden Willen der Organisation ist auch eine zurechnungsbegründende Abrede denkbar. Der funktionale Aspekt lässt sich zusammenfassend unschwer in den Zurechnungsgründen der Absprache und der Arbeitsteilung auffinden. 54
Vgl. Morlok, in: Ipsen (Hrsg.), 40 Jahre Parteiengesetz, 2009, S. 53, 62 ff. Siehe dazu Westerwelle, Das Parteienrecht und die politischen Jugendorganisationen, 1994, S. 80. 56 Merten, Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, 1999, S. 133 ff. 57 Bejahend etwa für die Stiftungen und diese dem Parteienrecht unterstellend dies., Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, 1999, S. 138. 58 Westerwelle, Das Parteienrecht und die politischen Jugendorganisationen, 1994, S. 86 f. mit Verweis auf Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 313. So auch Kißlinger, Das Recht auf politische Chancengleichheit, 1998, S. 108. 55
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Wenn auf das beiderseitige Selbstverständnis abgestellt wird, so lässt sich hierin der Zurechnungsgrund der Absprache jedenfalls in konkludenter Form wiederfinden. Auch ohne offizielle Anerkennung, die regelmäßig vorliegen dürfte, liegt ein gegenseitiger Wille zur Gemeinsamkeit vor. Ein solches beiderseitiges Selbstverständnis entspricht daher einer ausdrücklichen oder konkludenten Absprache. Bei der Bestimmung des Selbstverständnisses ist einerseits auf programmatisch niedergelegte, also fixierte, Selbstverständnisse, etwa in Programmen, Zielvereinbarungen, aber auch Organisationsstrukturen, zum anderen auf „eingelebte Selbstverständnisse“59 abzustellen60. Auch der Aspekt des gegenseitigen Selbstverständnisses lässt sich mit den genannten Zurechnungskriterien darstellen. Nur vereinzelt abgestellt wird offenkundig auf die Wirkung nach außen. Roellecke wirft als einer der wenigen diesen Aspekt auf, wenn er als Kriterium auch die offene Unterstützung bei der Wahlwerbung einbeziehen will.61 Seifert möchte in ähnlicher Richtung prüfen, ob es sich bei der Tätigkeit der Organisation „offen oder verdeckt“62 um eine Parteitätigkeit handelt. Dies lässt sich an den Zurechnungsgrund des – ebenfalls nach außen wirkenden – Rechtsscheins anknüpfen. Handelt der Dritte augenscheinlich für oder im Namen des Zurechnungsadressaten, dann muss sich dieser an dem Verhalten selbst festhalten lassen. Wirbt jemand offen und erkennbar für die Partei im Wahlkampf, dann kann dies als ein Auftreten der Partei erscheinen, sodass das Verhalten unter Hinzuziehung weiterer Kriterien zugerechnet werden kann. Auch spielt die Frage der Außenwirkung teilweise in den Arbeitsteilungsaspekt hinein: Wenn Aufgaben der Partei durch andere erledigt werden, ergibt sich für Außenstehende sehr wohl ein Rechtsschein der Zusammengehörigkeit. Als Beispiel lassen sich hier gemeinsame Veröffentlichungen, Veranstaltungen, aber auch personelle Überschneidungen nennen. Insgesamt handelt die Organisation zwar regelmäßig im Interesse der Partei, aber nicht in ihrem Namen. Erst dann könnte man von einer stärkeren Rolle des Rechtsscheinaspekts ausgehen. Je stärker aber die Abgrenzung für einen Außenstehenden erschwert wird, desto mehr spricht der Rechtsschein für eine Behandlung der Organisation als zur Partei gehörig. Je stärker der Schein entsteht, dass nicht die Organisation, sondern die Partei handelt, desto eher muss sich die Partei die Organisation und ihr Handeln zurechnen lassen. Auch dieser Zurechnungsgrund kann somit fruchtbar gemacht werden. 59
Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 220 f. Zur Anwendung des Selbstverständnisses für die Stiftungen siehe Merten, Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, 1999, S. 116 ff. 61 Siehe oben und erneut Roellecke, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, 2002, Art. 21 Rn. 119. 62 Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 206. 60
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Als Zurechnungsausschlussgrund lässt sich die Begrenzung der Zurechnung durch den Schutzzweck der Norm auch in Teilen der Literatur wiederfinden. Wenn dort etwa bei der Frage nach der Unterordnung von Organisationen zwar eine Hinzurechnung bei der Berechnung der staatlichen Finanzierung oder jedenfalls bei den Transparenzpflichten angenommen wird, aber eine Unterwerfung der zugeordneten Organisationen unter die nach Art. 21 Abs. 1 GG geforderten demokratischen Grundsätze als nicht erforderlich gehalten wird63, kommt hierbei eine Schutzzweckbetrachtung zum Ausdruck. Die „kritischen“ und durch Umgehung gefährdeten Bereiche der Finanzierung oder Rechenschaftspflicht sind mit Blick auf die Hauptnorm, nämlich die aus Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG erwachsene Rechenschaftspflicht und auch in Bezug auf die aus Art. 21 Abs. 1 GG folgende Staatsfreiheit der Parteien, sinnvoll, nicht aber die Erstreckung des Erfordernisses demokratischer Willensbildung auf die Hilfsorganisation. Hier besteht augenscheinlich keine Umgehungsgefahr für die Hauptnorm, womit dies gegen die Zurechnung des „überschießenden“ Teils spricht. An die Schutzwürdigkeit wird angeknüpft, wenn in der Literatur für ein funktionales Verständnis des Parteibegriffs auf die erhöhte Missbrauchs- und Umgehungsgefahr hingewiesen wird. Augenscheinlich wird das Interesse der Partei, ihre inneren Angelegenheiten selbständig zu regeln, hier als weniger schutzwürdig erachtet als etwa der Verfassungsauftrag zur Durchsetzung von Transparenz in der Finanzierung der politischen Parteien nach Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG. 4. Anwendung des Zurechnungsmodells auf die parteinahen Stiftungen Für die strittige Frage der rechtlichen Verortung von parteinahen Stiftungen soll mithilfe der entwickelten Zurechnungslehre eine weitere denkbare Argumentationslinie entworfen werden. a) Bisherige Einordnung der parteinahen Stiftungen aa) Stiftungsurteil des BVerfG In seinem maßgeblichen Stiftungsurteil musste sich das Bundesverfassungsgericht auch mit der Frage auseinandersetzen, ob es sich bei den Stiftungen nicht um Teile der Partei handelt, oder, mit anderen Worten, ob die Stiftungsfinanzierung nicht eigentlich Parteienfinanzierung sei.64 Zur Begründetheit führt der Se63 Institute oder Betriebe der Partei (etwa Druckereien o. ä.) sollen zwar Teil der Partei, aber nicht der innerparteilichen Demokratie unterworfen sein. So beispielsweise Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 36, dort insb. Fn. 219; ebenso Morlok/Merten, Parteienrecht, 2018, S. 74. 64 BVerfGE 73, 1, 2.
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nat zunächst aus, dass die Bereitstellung öffentlicher Mittel für die politische Bildungsarbeit „rechtlich und tatsächlich unabhängige Institutionen“ voraussetze, „da es verfassungsrechtlich nicht zulässig ist, den Parteien selbst solche Mittel zur Verfügung zu stellen“.65 Als Voraussetzung für eine Förderung der parteinahen Stiftungen sieht das Gericht eine notwendige, auch in der Praxis zu wahrende, „Distanz zu den jeweiligen Parteien“.66 Die genannte Distanz müsse sich insbesondere bei der Besetzung der Führungspositionen widerspiegeln. Als Mindestanforderung wird die Regelung des § 11 Abs. 2 S. 3 PartG genannt, die verhindert, dass Vorsitzender oder Schatzmeister der Partei in einer der Partei nahestehenden Stiftung eine ähnliche Funktion wahrnehmen.67 Weiterhin sollen die Stiftungen keinen Einfluss auf den Wettbewerb der Parteien nehmen, etwa durch „geldwerte Leistungen oder Wahlkampfhilfe“.68 Hier nennt das Gericht einen Negativkatalog von offensichtlich zweckentfremdeten Leistungen der Stiftung für die Partei, zum Beispiel die Kreditvergabe an die Partei, die „Verbreitung oder Überlassung von […] Werbematerial“ oder die Aufbietung von Mitarbeitern der Stiftung im Wahlkampf.69 Bei Umfragen differenziert das Gericht und verlangt, dass diese nicht am „Informationsbedürfnis der Parteien“, sondern an einem Forschungsziel auszurichten seien.70 In Bezug auf die Spenden an Stiftungen und Parteien stellt das Gericht klar, dass die Stiftungen wegen ihrer besonderen steuerlichen Begünstigung keine Spenden für die Partei annehmen dürften und verweist hier insbesondere auf die Regelung des § 25 Abs. 1 Nr. 1 PartG a. F., wonach Parteien keine Spenden von Stiftungen annehmen dürfen71, welcher dem heutigen § 25 Abs. 2 Nr. 2 PartG entspricht. Weitere Voraussetzung für die Förderung sei die Andersartigkeit der Zielsetzung zwischen Parteien und Stiftungen. Während Parteien im Wettbewerb um die Erringung und Ausübung von Macht streiten, so sollten die Stiftungen die Bürger zur Teilnahme an der offenen Diskussion politischer Themen und zur „Mitgestaltung des gesellschaftlichen und politischen Lebens“72 anregen. Diese Zwecke teilten sie mit den Parteien nicht, weil die Parteien vor allem auf die Teilnahme an Wahlen ausgerichtet seien. Zwar nenne auch das Parteiengesetz in 65
BVerfGE 73, 1, 31 f. BVerfGE 73, 1, 32. 67 BVerfGE 73, 1, 32. 68 BVerfGE 73, 1, 32. 69 BVerfGE 73, 1, 32. 70 BVerfGE 73, 1, 32 f. 71 BVerfGE 73, 1, 33. 72 BVerfGE 73, 1, 33. 66
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§ 2 Abs. 1 als Aufgabe der Parteien die politische Bildungsarbeit, dies sei aber im Gegensatz zu der Obliegenheit, als Zielsetzung an der politischen Willensbildung auf Bundes- oder Landesebene mitzuwirken, eine Aufgabe, welche die Parteien zwar erfüllen können, soweit sie dies für zweckmäßig erachten, aber nicht müssen.73 Sodann wendet das Gericht die abstrakt aufgeworfenen Maßstäbe auf die parteinahen Stiftungen an. Es stellt fest, dass die Stiftungen „nach ihren Satzungen rechtlich selbständig und organisatorisch von den Parteien unabhängig“74 seien. Die Stiftungssatzungen erwähnten die Parteien (mit Ausnahme der Konrad-Adenauer-Stiftung) nicht, Bestimmungen über organisatorische Verknüpfungen zwischen Partei und Stiftung bestünden darüber hinaus nicht. Die Zwecke deuteten darüber hinaus zwar auf eine Parteinähe hin, mehr komme durch diese aber nicht zum Ausdruck. Unter personellen Gesichtspunkten stellt das Gericht fest, dass die Geschäftsführer der Stiftungen in den Parteien keine hervorgehobenen Positionen ausübten. Anders sei dies bei den Organen: „[Die Organe] sind indes stark mit führenden Mitgliedern der nahestehenden Parteien durchsetzt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme gehen von den Organen der Stiftungen, insbesondere den Vorständen, Anregungen und Vorschläge für Themen aus, die von den Stiftungen im Rahmen ihrer Programme untersucht und behandelt werden. Die Programme werden jedoch weitgehend von den Mitarbeitern der Stiftungen entwickelt und durchgeführt. Die Organe der Stiftungen oder die nahestehenden Parteien nehmen jedenfalls keinen bestimmenden Einfluß [sic] auf Inhalte oder Gestaltung von Projekten und Tätigkeiten der Stiftungen.“75
Weitere Ausführungen zur personellen Verbindung zwischen Partei und Stiftung fehlen. Im Anschluss wird der genannte Negativ-Katalog an verbotenen Verhaltensweisen abgearbeitet: So wird festgestellt, dass die Stiftungen ihr Personal nicht für die Partei einsetzten, Tagungsstätten nur gegen angemessene Vergütung zur Verfügung gestellt würde und Veranstaltungen der Stiftungen allgemein zugänglich seien und damit nicht nur einer Partei zugutekämen. Auch die von den Stiftungen beauftragten Umfragen hielten sich an die verfassungsrechtlichen Anforderungen, da diese der Allgemeinheit zur Verfügung stünden.76 Fälle, in denen Stiftungsmittel für Parteizwecke verwendet wurden, lägen zum einen weit zurück und zum anderen habe es sich dabei lediglich um Einzelfälle gehandelt. Das Gericht nennt hier etwa für die Friedrich-Naumann-Stiftung „etliche wahlkampfbezogene Meinungsumfragen“, eine Anzeigenkampagne zu73
BVerfGE 73, 1, 33 f. BVerfGE 73, 1, 34. 75 BVerfGE 73, 1, 35. 76 BVerfGE 73, 1, 35 f. 74
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gunsten der FDP in den Jahren 1975 und 1976, Kredite der Stiftung in den Jahren 1982 und 1983 und die Verteilung der Mitgliederzeitschrift durch die Stiftung in den Jahren 1981 und 1982.77 Weitere Beispiele für zweckentfremdete Stiftungsmittel werden beispielhaft an der Hanns-Seidel-Stiftung aufgezeigt, die 1982 eine Wahlkampfhilfe für die CSU-Mitglieder anfertigte und der Partei zur Verteilung an ihre Mitglieder bereitstellte. Das Gericht wiederholt anschließend, dass sich von diesen Einzelfällen kein Rückschluss auf eine verdeckte Parteienfinanzierung ziehen lasse. Außerdem seien der Bundesinnenminister und der Bundesrechnungshof berufen, „derartige Grenzüberschreitungen“ durch eine Prüfung der Verwendung der Mittel zu verhindern.78 Sodann wendet sich das Gericht der Frage zu, ob in der Nichtberücksichtigung der Grünen-Stiftung ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liege. Zunächst erkennt der Senat an, dass trotz der vorher versuchten Abgrenzung von Partei- und Stiftungsaufgaben die Stiftungstätigkeit Vorteile für die Partei hat. Dies sei besonders in den Gebieten der „Forschung, der Materialsammlung und -aufbereitung, der Publikation, der Pflege internationaler Beziehungen, aber auch der politischen Bildung“ der Fall.79 Die Tätigkeit der Stiftungen erleichtere die Arbeit der Partei, etwa durch Rückgriff auf Forschungsergebnisse zur Formulierung tagespolitischer Forderungen. Trotz der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse kämen die Ergebnisse wegen der „einer bestimmten Partei zugewandten Aufgabenstellung“ maßgeblich der nahestehenden Partei zugute.80 Aus diesen (staatlich finanzierten) Vorteilen der Stiftungsarbeit für die Parteiarbeit zieht das Gericht den Schluss, eine Förderung sei dann mit dem Gleichheitssatz vereinbar, wenn sie „alle dauerhaften, ins Gewicht fallenden politischen Grundströmungen in der Bundesrepublik Deutschland angemessen berücksichtigt.“81 Das Gericht erkennt es bei der Betrachtung der Verteilung der Globalzuschüsse unter den Stiftungen als sachgerecht an, das Stärkeverhältnis der Grundströmungen anhand der Wahlergebnisse der ihnen nahestehenden Parteien zu bemessen.82 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Gericht maßgeblich auf die folgenden Merkmale abstellen möchte, um eine Zuordnung zur Partei zu untersuchen: Die Institutionen, die staatliche Mittel für politische Bildungsarbeit erhalten, müssen „rechtlich und tatsächlich“ unabhängig sein. Die notwendige Distanz lässt sich unter anderem aus einer personellen Unabhängigkeit der Leitungsorgane ermitteln. Dies bedeutet als Minimum, dass Vorsitzender und 77
BVerfGE 73, 1, 36 f. BVerfGE 73, 1, 37. 79 BVerfGE 73, 1, 37. 80 BVerfGE 73, 1, 38. 81 BVerfGE 73, 1, 38. 82 BVerfGE 73, 1, 38 f. 78
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Schatzmeister der Partei nicht eine gleiche Position in der Stiftung ausüben. In Bezug auf das Aufgabenfeld sind die Stiftungen nicht berechtigt, in den Wettbewerb der Parteien einzugreifen, jegliche Unterstützung im Wahlkampf ist nicht Teil ihrer Aufgabe. Daneben wird auf die verschiedene Zielsetzung der Organisationen abgestellt, bei den Parteien also die Erringung und Ausübung von Macht, bei den Stiftungen dagegen die Motivation zur Mitgestaltung des politischen Lebens. Finanzielle Aspekte nimmt das Gericht nur in Bezug auf das Verbot von Spenden der Stiftungen an die Partei in den Blick. An den Feststellungen des Urteils hält das Bundesverfassungsgericht bisher unverändert fest.83 bb) Rezeption in der Literatur Die Literatur folgt dem Gericht bei der rechtlichen Beurteilung der Stiftungen weitestgehend kritiklos. Insbesondere werden die Ausführungen des Gerichts zur personellen wie organisatorischen Selbständigkeit ohne weitere Begutachtung übernommen und die beiden Organisationen getrennt, wenn die Stiftungen ihre Arbeit als „rechtlich und tatsächlich unabhängige Institutionen“ und „selbständig, eigenverantwortlich und in geistiger Offenheit“ wahrnähmen.84 Zwar wird nicht in Abrede gestellt, dass die Stiftungen ihre nahestehende Partei unterstützten und förderten, es fehle allerdings zwischen beiden ein notwendiger organisatorischer Zusammenhang.85 Außerdem bildeten sich Stiftungen
83
Zuletzt etwa BVerfGE 146, 327, 375. In naher Zukunft wird das Gericht Gelegenheit erhalten, seine Rechtsprechung zu überprüfen, schließlich strengt die AfD derweil unter anderem ein Organstreitverfahren an, um die ihr nahestehende Desiderius-Erasmus-Stiftung in den Kreis der Empfänger aufzunehmen. Die Ausgangslage ähnelt damit derjenigen des Stiftungsurteils. Zu den bisherigen Versuchen der AfD und einem Ausblick auf eine mögliche Entscheidung des BVerfG etwa Hobusch, Millionen für die Parteiarbeit, 03.06.2019 (https://www.lto. de/recht/hintergruende/h/finanzierung-parteinah-stiftungen-organstreit-bverfg/) (geprüft am 24.02.2023); Hobusch, Parteinahe Stiftungen sind Partei-Stiftungen, 21.08.2020 (https://verfassungsblog.de/parteinahe-stiftungen-sind-partei-stiftungen/) (geprüft am 24.02.2023). 84 Grzeszick/Rauber, in: Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 142018, Art. 21 Rn. 80. Lediglich eine Wiedergabe des Stiftungsurteils bei Burghart, in: Hesselberger (Hrsg.), Grundgesetz: Kommentar, 780. EL Juni 2020, Art. 21 Rn. 201 ff. Ohne weitere Auseinandersetzung und sogar mit fehlerhaftem Verweis auf die amtliche Sammlung Blank, in: Blank/Fangmann/Hammer (Hrsg.), Grundgesetz, 21996, Art. 21 Rn. 10. 85 Henke, in: Kahl (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, November 1991, Art. 21 Rn. 307. Leisner, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, 42018, Art. 21 Rn. 14 fordert eine organisatorische Eingliederung oder eine Beherrschung durch die Partei.
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frei nach dem privaten Recht und seien rechtlich verselbständigt und beispielsweise nicht in die Parteivorstände kooptiert.86 Daneben wird – in Anlehnung an das Bundesverfassungsgericht – auf die fehlende Kongruenz der Zielsetzung abgestellt. Bei der Tätigkeit handele es sich vielmehr um „Außenbezirke politischer Tätigkeit“, die nicht ohne Weiteres den Parteien zugerechnet werden dürfe.87 Zielsetzung und Aufgaben von Stiftung und Partei stimmten nicht überein.88 Die Aufgabe der politischen Bildung, welche die Stiftung wahrnehmen, sei für die Parteien eine reine „fakultas“, keine „obligo“.89 Den Parteien dürften aber keine Aufgaben aufgezwungen werden, dies sei mit der negativen Betätigungsfreiheit der Parteien nicht vereinbar.90 Teilweise wird das Urteil zwar inhaltlich geteilt, es aber rechtspolitisch für sinnvoll erachtet, wenn die Stiftungen ähnlich den Parteien Rechenschaft über Herkunft und Verwendung ihrer Mittel ablegen müssten.91 Auch wenn die Stiftungen als Konsequenz der rechtlichen Verortung bei der Berechnung der relativen Obergrenze der Parteien nicht einbezogen werden92, wird das Urteil als eine „verfassungsrechtliche Sanktionierung des status quo“93 und letztendlich als eine Billigung der „mehrfachen finanziellen Absicherung der Parteien“94 gesehen, die Globalzuschüsse an die Stiftungen werden auch als „indirekte Zu-
86 Geerlings, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Probleme bei der staatlichen Finanzierung parteinaher Stiftungen, 2003, S. 140 ff. 87 Henke, in: Kahl (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, November 1991, Art. 21 Rn. 315. 88 Geerlings, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Probleme bei der staatlichen Finanzierung parteinaher Stiftungen, 2003, S. 140 ff. 89 Stricker, Der Parteienfinanzierungsstaat, 1998, S. 35 ff. 90 Stricker, Der Parteienfinanzierungsstaat, 1998, S. 38; Geerlings, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Probleme bei der staatlichen Finanzierung parteinaher Stiftungen, 2003, S. 141. 91 Klein, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Unterrichtung durch die Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung, 2001, S. 3, 22. In diese Richtung wohl auch Geerlings, ZParl 34 (2003), 768, 774. 92 Ipsen/Koch, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Art. 21 Rn. 102. Offengelassen in ders., in: ders. (Hrsg.), Parteiengesetz, 22018, Vor § 18 Rn. 73. Anders Volkmann, Politische Parteien und öffentliche Leistungen, 1993, S. 40 ff., der die Zuschüsse als staatliche Leistungen an die Parteien einordnet. 93 Ipsen, in: Wewer (Hrsg.), Parteienfinanzierung und politischer Wettbewerb, 1990, S. 74, 96. 94 Ders., in: Wewer (Hrsg.), Parteienfinanzierung und politischer Wettbewerb, 1990, S. 74, 97.
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wendungen oder Quersubventionen“95 für die Parteien bezeichnet und als staatliche Leistungen an die Parteien eingestuft96. cc) Vereinzelt: Stiftungen als Teil der Partei Die Verortung der Stiftungen durch das Bundesverfassungsgericht und die Begründung im Stiftungsurteil wird allerdings andernorts auch kritisiert. Bereits vor dem Stiftungsurteil wurden die Zuschüsse von Teilen der Literatur an die Stiftungen als staatliche Parteienfinanzierung betrachtet.97 Hierfür wird ein historisches Argument bemüht: Die Globalzuschüsse an die Stiftungen zur Finanzierung politischen Bildungsarbeit seien unmittelbar folgend auf das erste Parteienfinanzierungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1966 zur Verfügung gestellt worden, weil das Gericht darin die staatliche Finanzierung der allgemeinen Tätigkeit der Parteien und damit auch die Finanzierung der Bildungsarbeit untersagt und die staatliche Finanzierung rein auf die Wahlkampfkosten begrenzt hatte. Die Hanns-Seidel-Stiftung sei beispielsweise erst als Reaktion auf das Judikat gegründet wurde, um an den Stiftungsmitteln zu partizipieren.98 Die Stiftungen seien also lediglich zu diesem Zwecke, nämlich dem beabsichtigten Erhalt von staatlichen Zuwendungen für die Bildungsarbeit, formal ausgegründet worden.99 Daneben beherrschten die Parteien die Stiftungen, was sich insbesondere an den personellen Verschränkungen zeige, schließlich würden die Führungsgremien der Stiftungen zumeist mit Spitzenpersonal der Parteien besetzt.100 Es herrsche eine rechtliche und tatsächliche Verflechtung.101
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Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 47, 81. 96 Ders., Politische Parteien und öffentliche Leistungen, 1993, S. 40 ff. 97 von Arnim, Parteienfinanzierung, 1982, S. 134; von Arnim, ZRP 1982, 294, 300. 98 Siehe beispielsweise von Vieregge, Aus Politik und Zeitgeschichte 1977, 28, 34. 99 von Arnim, ZRP 1982, 294, 300; Ipsen, in: Wewer (Hrsg.), Parteienfinanzierung und politischer Wettbewerb, 1990, S. 74, 97. 100 Landfried, Parteifinanzen und politische Macht, 21994, S. 111 weist am Beispiel der Friedrich-Ebert-Stiftung für Mitte bis Ende der 1980er-Jahre die personellen Verschränkungen zwischen Partei und Stiftung nach. In den Führungsgremien der Stiftung sei jedenfalls in dieser Zeit das „Who is who“ der Parteispitze vertreten gewesen. Ebenso Morlok, MIP 1996, 7, 9 und bereits von Vieregge, Aus Politik und Zeitgeschichte 1977, 28, 30 am Beispiel der FriedrichEbert-Stiftung. Für Gusy, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 32001, Art. 21 Rn. 107 sind die Stiftungen „Arbeitsplätze für politisches Personal“, um Gefolgsleute zu belohnen. 101 Gusy, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 32001, Art. 21 Rn. 107.
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Unterschiedlich beurteilt wird die verschiedenartige Ausrichtung der Aufgaben. Einige sehen die Zuschüsse wegen der zwischen Parteien und Stiftungen bestehenden Gefahr der „Aufgabenverlagerung“102 als eine Umgehung der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts an.103 Teilweise wird dies auch am Nutzen der Stiftung für die Partei festgemacht.104 Wegen der Erfüllung von Parteiaufgaben sei die Stiftung eine Art „Beliehene“ der Partei.105 Andere ordnen die Stiftungsfinanzierung auch als Parteienfinanzierung ein.106 In der Literatur kritisiert wird auch eine Bagatellisierung der vom Bundesrechnungshof aufgedeckten Verstöße. Bei diesen handele es sich nicht lediglich um Einzelfälle, vielmehr zeige sich, dass in Anbetracht des kurzen Untersuchungszeitraums des Rechnungshofes und des stichprobenartigen Charakters der Untersuchung die Zahl an offensichtlichen Missbräuchen erheblich gewesen sei.107 Für eine Zuordnung der Stiftungen zur Partei wird auch die Identifizierung der Stiftung mit der Partei angeführt. Die Zuschüsse an die Stiftungen würden sich an den Wahlergebnissen der nahestehenden Parteien orientieren.108 Insofern identifiziere der Staat bei der Vergabe der Globalzuschüsse die Stiftungen mit den nahestehenden Parteien, weil er von einem Einfluss der Stiftungen auf die Wahlchancen der Parteien ausgehe.109 Diese partielle Zusammenrechnung von Stiftung und Partei lässt sich auch an anderer Stelle auffinden. Das Oberverwaltungsgericht NRW110 hat beispielswei102
von Arnim, ZRP 1982, 294, 300. Jedenfalls in Bezug auf die Gleichgerichtetheit der Aufgaben wohl anders Gusy, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 32001, Art. 21 Rn. 107. Kluth, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 4715.05.2021, Art. 21 Rn. 50 merkt an, dass ein reines Abstellen auf die organisatorische und personelle Unabhängigkeit von der nahestehenden Partei in Hinblick auf die den Parteien zukommende Organisationsfreiheit in dieser Allgemeinheit Bedenken begegne und sieht hier augenscheinlich auch eine die Gefahr der Umgehung. 104 Landfried, Parteifinanzen und politische Macht, 21994, S. 106 f. belegt empirisch, dass der Anteil an Parteimitgliedern unter den Seminarteilnehmern überproportional hoch gewesen sei und dass im Übrigen erst gar nicht alle Seminare öffentlich zugänglich seien. 105 Merten, Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, 1999, S. 118 ff.; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 42 f. 106 So beispielsweise Landfried, Parteifinanzen und politische Macht, 21994, S. 103 f.; von Vieregge, in: Wewer (Hrsg.), Parteienfinanzierung und politischer Wettbewerb, 1990, S. 164, 186 ff. 107 Landfried, Parteifinanzen und politische Macht, 21994, S. 110. 108 Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 72; Roellecke, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, 2002, Art. 21 Rn. 109 f. 109 Roellecke, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, 2002, Art. 21 Rn. 109 f. 110 OVG NRW NVwZ 1996, 913 ff. = NWVBl 1996, 181 ff. 103
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se die Gemeinwohlgefährlichkeit einer parteinahen Stiftung der Republikaner mit der Zielsetzung der ihr nahestehenden Partei begründet, was der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welches von einer Trennung von Partei und Stiftung ausgeht, widerspricht.111 b) Einordnung der parteinahen Stiftungen mit dem Zurechnungsmodell Die Prüfung erfolgt hier nicht chronologisch, sondern problemorientiert, sodass zum Teil die zusammengesetzten, stärkeren Zurechnungsgründe vorab geprüft werden. Nicht aufgeworfene Zurechnungsgründe spielen in der Argumentation zur Zurechnung der Stiftungen zur Partei keine Rolle. aa) Kausalität Die notwendige Kausalität ist ohne weitere Probleme gegeben, schließlich sind die Parteien als Zurechnungsadressat äquivalent kausal für das Handeln der ihr nahestehenden Stiftungen. bb) Mittelbarkeit Die Stiftungen sind rechtlich selbständige und von der Parteiorganisation getrennte Rechtssubjekte. Bei ihrer Tätigkeit handelt es sich aus Sicht der Partei um ein Dazwischentreten Dritter. Die Existenz eines rechtlich selbständigen Subjekts spricht zunächst gegen eine Zurechnung, sofern keine positiven Zurechnungsgründe vorliegen. Nur wenn keiner der genannten positiven Zurechnungsgründe einschlägig ist, kann die Mittelbarkeit allein zu einem Verneinen der Zurechnung führen. cc) Absprache Die parteinahen Stiftungen handeln in Absprache mit der Partei. Selten dürfte eine formelle, also ausdrückliche Absprache über das Handeln der Stiftung vorliegen. Eine solche läge etwa in einer förmlichen oder tatsächlich erfolgten Vereinbarung über das Handeln der Stiftung. In Betracht kämen hier etwa Verträge oder ähnliches zwischen Stiftung und Partei über die zu erfüllenden Aufgaben. Die Abrede zwischen den Stiftungen und den ihnen nahestehenden Parteien wird dagegen regelmäßig mindestens eine faktische Willensübereinstimmung darstellen, welche zumindest konkludent vorliegt.
111 Roellecke, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, 2002, Art. 21 Rn. 110; kritisch zu dem genannten Urteil auch Merten, MIP 1996, 14 ff.
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Der übereinstimmende Wille zur gegenseitigen Unterstützung ergibt sich aus dem beiderseitigen Selbstverständnis. Als Beispiel eines niedergelegten, programmatischen Selbstverständnisses sollen hier exemplarisch die Leitbilder von Konrad-Adenauer-Stiftung und Friedrich-Ebert-Stiftung dienen, in der Selbstverortung der Friedrich-Ebert-Stiftung heißt es: „Ideell verbunden mit Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung denken und arbeiten und werben wir für eine solidarische Gesellschaft (…).“112
Die Konrad-Adenauer-Stiftung legt in ihrem Leitbild fest: „Uns leitet das christliche Menschenbild. Dem politischen Vermächtnis Konrad Adenauers fühlen wir uns in besonderer Weise verbunden. […] Wir geben Impulse zur Fortentwicklung und Stärkung der christlich-demokratischen Bewegung. Dabei fühlen wir uns der Christlich Demokratischen Union Deutschlands verbunden, arbeiten jedoch eigenständig und unabhängig.“113
Beide Stiftungen geben in ihren Leitbildern klar zu erkennen, welcher Partei („Sozialdemokratie“ und „christlich-demokratische Bewegung“) sie sich nach ihrem Selbstverständnis zuordnen. Daneben zeigen die Stiftungen ihr parteinahes Selbstverständnis durch die Besetzung der Führungspositionen mit prominenten Parteimitgliedern sowie auch grundlegend durch die eigene Namensgebung: Die Stiftungen tragen die Parteinähe regelmäßig im Namen.114 Daneben kann auch ein formeller Beschluss der Stiftung über die Anerkennung der Parteinähe erfolgen.115 Neben diesem von Seiten der Stiftung ausgehenden Selbstverständnis als zur Partei gehörig zeigt auch das Verfahren der Stiftungsfinanzierung, dass die Partei ihre jeweilige Stiftung als zu sich gehörig definiert. Die Anerkennung einer Stiftung als parteinah erfolgt regelmäßig durch Beschluss eines Parteitages oder des Parteivorstandes.116 Die Partei kann aber auch, sofern es sich denn um eine echte Stiftung im Rechtssinne handelt, sogar als Stifter auftreten.117 Sofern mit dem Stiftungsurteil davon auszugehen ist, dass die politischen Stiftungen dann finanziert werden 112 Friedrich-Ebert-Stiftung, Leitbild (https://www.fes.de/stiftung/leitbild) (geprüft am 24.02.2023). 113 Konrad-Adenauer-Stiftung, Leitbild der Konrad Adenauer Stiftung (https://www.kas.de/ de/leitbild) (geprüft am 24.02.2023). 114 Siehe auch Klaassen, Die Finanzierung parteinaher Stiftungen in den Ländern, 2016, S. 204. 115 Ders., Die Finanzierung parteinaher Stiftungen in den Ländern, 2016, S. 203. 116 Für die noch neue AfD-nahe Stiftung etwa Steffen, AfD-Parteitag stimmt für eigene Parteistiftung, 30.06.2018 (https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-06/afd-parteistiftung-desiderius-erasmus-erika-steinbach) (geprüft am 24.02.2023); Klaassen, Die Finanzierung parteinaher Stiftungen in den Ländern, 2016, S. 201; siehe auch den Entwurf bei Kretschmer/Morlok/Merten, ZG 2000, 41, 56. 117 Merten, MIP 1996, 14, 21.
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dürfen, wenn sie ins Gewicht fallende politische Grundströmungen darstellen und die Bestimmung des Gewichts der Grundströmung von den Wahlergebnissen der nahestehenden Partei abhängig gemacht wird, so wird die Zugehörigkeit besonders deutlich: Die Stiftung als Grundströmung bekommt nur deshalb finanzielle Mittel, weil die Grundströmung durch die Partei für eine gewisse Zeit im Bundestag vertreten ist. Die Höhe der Stiftungsmittel ist gekoppelt an die Wahlergebnisse der Partei. Spätestens im Moment der Einstellung der Globalzuschüsse für die jeweiligen Stiftungen im Haushaltsausschuss findet die Identifikation zwischen Stiftung und Partei ihren Höhepunkt. Die Parteivertreter bringen in den „Kaminrunden“ ihre Stiftung in die Förderung und nicht irgendeine beliebige.118 Hier zeigt sich durch schlüssiges Handeln die Anerkennung der Stiftung durch die Partei.119 Hinzuweisen ist noch auf einen anderen, verfassungsprozessualen Aspekt: Die Geltendmachung einer Verletzung der Chancengleichheit der Parteien durch Nichtfinanzierung der parteinahen Stiftung kann selbstverständlich nur durch die Partei erfolgen, nicht durch die Stiftung selbst. Die Partei macht also die Benachteiligung „ihrer“ Stiftung als eigene Chancengleichheitsverletzung geltend120, ohne eine Prozessstandschaft müsste es sich dann aber auch bei den Stiftungsrechten um eigene Rechte der Partei handeln. Und zuletzt zeigt diese prozessuale Verquickung das gegenseitige Selbstverständnis auf, die Partei muss also ihre Stiftung mit ihren eigenen Verfassungsrechten „verteidigen“.121 Das beiderseitige Selbstverständnis ist vorhanden und lässt sich als Erfüllung des Zurechnungsgrundes der Absprache konstruieren. Dies spricht somit für eine Zurechnung. dd) Arbeitsteilung Auch der Zurechnungsgrund der Arbeitsteilung kommt für eine Zurechnung der Stiftung zur Partei in Betracht. Hierfür müsste die Stiftung mit Wissen und Wollen der Partei in ihrem Interesse tätig sein.
118 Geerlings, ZParl 34 (2003), 768, 774, zum Verfahren bereits kritisch von Arnim, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, 1996, S. 171. 119 So auch Klaassen, Die Finanzierung parteinaher Stiftungen in den Ländern, 2016, S. 202. 120 Siehe zu diesem Punkt bereits Hobusch, Parteinahe Stiftungen sind Partei-Stiftungen, 21.08.2020 (https://verfassungsblog.de/parteinahe-stiftungen-sind-partei-stiftungen/) (geprüft am 24.02.2023). 121 Zu den Zulässigkeitserwägungen im Stiftungsurteil BVerfGE 73, 1, 28 f. Auch hier hatte eine Partei gegen die Gewährung der Zuschüsse für die Stiftung geklagt, nicht die Stiftung selbst.
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Wie gezeigt, bedeutet die Erfüllung fremder Aufgaben ein Handeln im fremden Interesse. Somit ist für das Handeln im Interesse der Partei die Erfüllung von Parteiaufgaben in den Blick zu nehmen. Dazu sind die Tätigkeitsfelder der Stiftungen zu betrachten. (1) Politische Bildungsarbeit Politische Bildungsarbeit ist einer der hauptsächlichen Zwecke der Stiftungsgründungen und der originäre Arbeitsbereich der Stiftungen.122 Ziele politischer Bildungsarbeit sind zum einen die „Identifikation mit den Werten und Normen der Verfassung“123, die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Bundesrepublik und ihrer rechtsstaatlichen Prinzipien, die Vermittlung von Wissen in Bezug auf parlamentarische Willensbildungsprozesse und hinsichtlich demokratischer Institutionen in Deutschland und der Europäischen Union, die Befähigung, selbst mit politischem Wissen über politisches Handeln zu entscheiden und die Herstellung einer emotionalen Bindung an das Gemeinwesen.124 Allerdings ist auch diese Arbeit wertgeprägt und kaum objektiv zu betrachten.125 Dies zeigt auch das Bundesverfassungsgericht im Stiftungsurteil mit einer Aufzählung, in welche Richtung die einzelnen Stiftungen nach ihren Satzungen politische Bildungsarbeit verstehen: „Nach dem in den Satzungen angegebenen Zweck fördern die Stiftungen die politische Bildung im demokratischen Geiste (Friedrich-Ebert-Stiftung), auf der Grundlage des Liberalismus (Friedrich-Naumann-Stiftung), auf christlich-demokratischer Grundlage (Konrad-Adenauer-Stiftung), auf christlicher Grundlage (Hanns-Seidel-Stiftung).“126
Zwar wird bei der Vergabe öffentlicher Mittel, etwa der Bundeszentrale für politische Bildung, gefordert, dass diese nicht dem Eigeninteresse des Bildungsträgers dienen sollten und die Aktivitäten unter Beachtung der Überparteilichkeit durchzuführen seien, dies dürfte aber ein Widerspruch in sich sein, da politische Bildungsarbeit zwangsläufig in gewisser Weise parteilich ist.127 Insofern sieht sich die politische Bildungsarbeit der Stiftungen dem Vorwurf ausgesetzt, letztendlich nur eine Ausbildungsmöglichkeit für Anhänger und Funktionäre darzustellen.128 Die Zielgruppe der stiftungseigenen politischen 122
von Vieregge, Parteistiftungen, 1977, S. 109. Langguth, Aus Politik und Zeitgeschichte 1993, 38, 43. 124 Alle Punkte bei ders., Aus Politik und Zeitgeschichte 1993, 38, 43 ff. 125 Günther/Vesper, ZRP 1994, 289, 290. 126 BVerfGE 73, 1, 34. 127 Nachweise bei von Vieregge, Parteistiftungen, 1977, S. 128. 128 von Arnim, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, 1996, S. 100. 123
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Bildungsarbeit dürfte nicht ausschließlich, aber vorwiegend mit dem Kreis der Sympathisanten kongruent sein.129 Der hohe Anteil von Parteimitgliedern an den Teilnehmerzahlen deutet jedenfalls in diese Richtung hin.130 (2) Begabtenförderung Die politischen Stiftungen vergeben zur Studienförderung Stipendien. Den aufgenommenen Stipendiaten kommt damit eine finanzielle wie ideelle Förderung zugute. Die Auswahlkriterien der Stiftungen sind dabei unterschiedlich, eine Identifikation mit den Grundwerten der jeweiligen Stiftung, welche aufgrund des beiderseitigen Selbstverständnisses denen der Partei entsprechen, dürfte aber Minimalvoraussetzung sein.131 Die Mitgliedschaft in der nahestehenden Partei ist dabei keine zwingende Voraussetzung132, dürfte den Zugang aber nicht erschweren. Zwar hat die Begabtenförderung der Stiftungen keinen direkten „Zugang“ zum politischen Meinungsbildungsprozess, trotzdem existiert eine inhaltliche Ankopplung an die Grundwerte der Partei. Insofern dient die Begabtenförderung durch die mehr oder weniger stark ausgeprägte Parteinähe auch mittelbar der Rekrutierung und Förderung politischer Nachwuchskräfte.133 (3) Archive, Forschung und wissenschaftliche Politikberatung Viele Stiftungen betreiben Archive, Bibliotheken oder Forschungseinrichtungen. Die Ausrichtung der Forschungsbereiche und der Archive ist dabei von der politischen Grundströmung geprägt134, die Archive sind dabei teilweise auf die Musealisierung und Aufarbeitung der Parteigeschichte ausgerichtet.135 Die Archive und Bibliotheken sind zwar in der Regel allgemein zugänglich, wegen des besonderen Zuschnitts auf die Parteien werden aber hier parteifremde Nutzungen 129 Vgl. Merten, Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, 1999, S. 109; Günther/Vesper, ZRP 1994, 289, 290; von Arnim, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, 1996, S. 100. 130 Erneut Landfried, Parteifinanzen und politische Macht, 21994, S. 107. 131 Merten, Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, 1999, S. 108 m. w. N. Zur unterschiedlichen sozialen Zusammensetzung der Stipendiaten siehe von Vieregge, Parteistiftungen, 1977, S. 73 f. und Hellwig, Politische Bildung unter besonderer Berücksichtigung parteinaher Stiftungen in Deutschland und vergleichbarer Institutionen in Österreich, 1998, S. 232 und 235 ff. 132 Nachweise bei Klaassen, Die Finanzierung parteinaher Stiftungen in den Ländern, 2016, S. 58. 133 Merten, Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, 1999, S. 109; Hellwig, Politische Bildung unter besonderer Berücksichtigung parteinaher Stiftungen in Deutschland und vergleichbarer Institutionen in Österreich, 1998, S. 228 ff.; von Vieregge, ZParl 8 (1977), 51, 53. 134 Merten, Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, 1999, S. 109. 135 Geerlings, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Probleme bei der staatlichen Finanzierung parteinaher Stiftungen, 2003, S. 171.
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jedenfalls selten sein.136 Auch die entwickelten Lösungsansätze aus den ausgewählten Forschungsbereichen kommen den Parteien zugute, etwa wenn Forschungsschwerpunkte die Wahlforschung, die Regierungslehre oder konkrete Politikbereiche wie die Verteidigungspolitik sind.137 Dass die Forschungs- und Publikationsaktivitäten der Stiftungen „zu einem gewissen Maße“ auch den Parteien zugutekommen, hat auch das Bundesverfassungsgericht nicht bestritten.138 (4) Internationale Zusammenarbeit Ein, gerade in den Anfangsjahren der Stiftungen139, wesentlicher Tätigkeitsbereich der parteinahen Stiftungen liegt in dem Bereich der internationalen Zusammenarbeit. Die Stiftungen unterhalten in Entwicklungs- und Schwellenländern, aber auch in den Vereinigten Staaten und zuletzt auch verstärkt in Europa Büros und Einrichtungen140. Sie sind Partner für Entwicklungshilfeprojekte und finanzieren diese oder führen diese mit eigenen Mitarbeitern durch141. Im Gegensatz zu staatlichen Organisationen sind sie – auch wegen ihrer Nicht-Staatlichkeit – flexibler und wirksamer in ihren Handlungsmöglichkeiten142, wegen ihrer Bindung an die im Bundestag vertretenen Parteien aber dennoch nicht völlig der staatlichen Sphäre entrückt und beziehen ihre Mittel der Entwicklungszusammenarbeit im Übrigen auch vornehmlich aus dem Entwicklungshilfeministerium. Sie wirken außerdem nach innen als „Informations- und Werbeträger für Entwicklungspolitik“143. Insbesondere bei der Tätigkeit der Stiftungen in den europäischen Staaten handelt es sich vornehmlich um eine wissenschaftliche Beratungstätigkeit.144 136 Ders., Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Probleme bei der staatlichen Finanzierung parteinaher Stiftungen, 2003, S. 171. 137 Einige dieser Punkte nennt in Bezug auf den Aufbau der KAS und der dortigen Forschungsinstitute von Vieregge, Parteistiftungen, 1977, S. 82. Für einen Überblick über die Forschungs- und Publikationsaktivitäten der Stiftungen siehe auch von Vieregge, Parteistiftungen, 1977, S. 80 ff.; Merten, Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, 1999, S. 108 f.; Günther/Vesper, ZRP 1994, 289, 290; von Vieregge, Aus Politik und Zeitgeschichte 1977, 28, 49 ff. 138 BVerfGE 73, 1, 37. 139 von Vieregge, ZParl 8 (1977), 51, 52; von Vieregge, in: Wewer (Hrsg.), Parteienfinanzierung und politischer Wettbewerb, 1990, S. 164, 165 f. 140 Merten, Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, 1999, S. 106 f.; von Vieregge, ZParl 8 (1977), 51, 60 f. 141 Zu den unterschiedlichen Herangehensweisen der Durchführung von Projekten mit eigenen Mitarbeitern oder der Unterstützung von Projekten von außen etwa von Vieregge, Parteistiftungen, 1977, S. 63 f. 142 Wewer, in: Haungs/Jesse (Hrsg.), Parteien in der Krise?, 1987, S. 215, 218; Drysch, Parteienfinanzierung, 1998, S. 202 m. w. N. 143 von Vieregge, Parteistiftungen, 1977, S. 69. 144 Merten, Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, 1999, S. 107.
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Der Bezug zur Aufgabenerfüllung der Parteien ist hier jedenfalls nicht auf den ersten Blick erkennbar. Geht man davon aus, dass die Stiftungen als Wissensspeicher jedenfalls auch den ihnen nahestehenden Parteien dienen145, etwa durch einen Austausch mit Partnerorganisationen, Austauschprogramme oder den Austausch mit Schwesterparteien, so liegt darin für die heimischen Parteien nicht zuletzt wegen der zunehmenden Internationalisierung und Europäisierung des Parteiensystems ein Vorteil.146 Die Unterstützung politisch der Mutterpartei nahestehender Akteure im Ausland ist für die Partei günstig, gerade weil im Ausland die Arbeit der Stiftung mit der dahinterstehenden Partei verbunden wird.147 (5) Gesamtbetrachtung Insgesamt ist zu erkennen, dass die Stiftungen die politischen Parteien unterstützen und sie in ihrer Aufgabenerfüllung entlasten. Zwar ist die politische Bildung als Parteiaufgabe in § 2 PartG aufgezählt148, nach dem Bundesverfassungsgericht stellt diese allerdings keine zwingende Aufgabe der Parteien, sondern lediglich eine eröffnete Möglichkeit dar. Das Gericht sieht nur die Zielsetzung, Einfluss auf die politische Willensbildung mit Ziel der Mitwirkung in den Volksvertretungen als „unverzichtbar“ für die Parteien an, alle übrigen, exemplarisch aufgezählten Aufgaben könnten zwar, müssten aber nicht von den Parteien wahrgenommen werden.149 Dieser Ansicht nach erfüllten die Stiftungen in Bezug auf die politische Bildung jedenfalls formal keine pflichtige Parteiaufgabe im Sinne des Parteiengesetzes150, sie würden vielmehr im „vorpolitischen Raum“ agieren.151
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von Vieregge, Parteistiftungen, 1977, S. 62 f. in Bezug auf die FES. Zur Europäisierung der Parteien siehe grundlegend die Beiträge Tsatsos, in: Tsatsos/ Morlok/Hesse u. a. (Hrsg.), Verfassung – Parteien – Europa, 1998, S. 553, 562 ff.; Tsatsos, in: Tsatsos/Morlok/Hesse u. a. (Hrsg.), Verfassung – Parteien – Europa, 1998, S. 621 ff.; Tsatsos, in: Tsatsos/Morlok/Hesse u. a. (Hrsg.), Verfassung – Parteien – Europa, 1998, S. 665 ff. 147 Merten, Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, 1999, S. 107. 148 Kritik an der Aufzählung bei von Arnim, DÖV 2007, 221 ff. 149 BVerfGE 73, 1, 33 f. 150 So etwa Stricker, Der Parteienfinanzierungsstaat, 1998, S. 35. Außerdem dürfte es sich bei der Aufgabenbestimmung des § 2 PartG im Übrigen weniger um eine konkrete Niederlegung von Pflichten für die Parteien handeln, sondern eher um die „Formulierung einer gesetzgeberischen Verhaltenserwartung“, wie es Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, 2011, § 1 Rn. 6 formuliert. Ähnlich Morlok/Merten, Parteienrecht, 2018, S. 10; Morlok, Parteiengesetz, 22013, § 1 Rn. 4. Anders wohl noch Merten, Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, 1999, S. 129, die zu den Parteiaufgaben ausführt, „[d]iese umfassenden Parteiaufgaben […] sind schon von Verfassungs wegen von den Parteien wahrzunehmen.“ 151 Langguth, Aus Politik und Zeitgeschichte 1993, 38, 41. 146
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Auf die Unterscheidung zwischen „echter“ obligatorischer oder „unechter“ fakultativer Aufgabe soll es hier indes gar nicht ankommen – auch weil das Aufgabenverständnis durchaus wandelbar erscheint.152 Es muss bereits genügen, wenn fakultative Aufgaben der Parteien durch Umfeldorganisationen erfüllt werden, insbesondere wenn diese Organisationen staatlicherseits finanziell unterstützt werden. Dann sind die Parteien nämlich um eine fakultative Aufgabe erleichtert, sie können ihre Finanzausstattung anderen Zwecken widmen. Nach dem zweiten Parteienfinanzierungsurteil153 ist die Finanzierung der Parteien auch für ihre allgemeine Tätigkeit grundsätzlich möglich, was die politische Bildung einschließt. Dennoch nehmen die Parteien diese Aufgabe nicht selbst wahr, sondern bedienen sich der parteinahen Stiftungen. Die staatlichen Gelder für die Parteien bleiben damit für andere Zwecke geschont, die Partei hat folglich Aufwendungen erspart. Für den Aspekt der Arbeitsteilung als Ersparen von Aufwendungen bedarf es folglich keiner verfassungsrechtlich verorteten Aufgaben. Je näher die ausgelagerten Aufgaben diesem „Kern“ der verfassungsrechtlichen Aufgabenstellung kommen, desto intensiver dürfte der Zurechnungsgrund der Arbeitsteilung zur Anwendung kommen. Die Arbeit der Stiftungen hat für die Parteien einen erheblichen Nutzen. Eine politisch aufgeladene Bildungsarbeit liegt sehr nahe an der Parteiarbeit154, namentlich an der Einflussnahme auf die öffentliche Meinung und an der parteilichen Werbung.155 Die Stipendienvergabe wirkt mittelbar als Nachwuchsförderung156 und damit jedenfalls in Teilen ähnlich wie die Jugendorganisationen. Ebenso ist die Forschungsarbeit zwar formal losgelöst von den Parteien, durch die Ausrichtung auf parteinahe Forschungsfragen ist auch hier die Grenze zur Parteiarbeit fließend.157 Die internationale Zusammenarbeit lässt sich nicht als originäre Aufgabe einer deutschen politischen Partei begreifen, nutzt der Partei aber – wie oben gezeigt – dennoch. 152
von Vieregge, Parteistiftungen, 1977, S. 130 weist darauf hin, dass die trennscharfe Abgrenzung von Stiftungs- und Parteiaufgaben bereits deshalb schwierig erscheint, weil die Parteiaufgaben sich auch verändern könnten: Selbst wenn nach hergebrachtem Verständnis eine Aufgabe nicht den Parteien zufalle, könne sie nach und nach zu einer solchen werden. 153 BVerfGE 85, 264. 154 Günther/Vesper, ZRP 1994, 289, 291 fordern daher die Ausgliederung von politischer Bildungsarbeit zu den Parteien und einen entsprechenden Aufschlag auf die staatliche Parteienfinanzierung. Zu dieser Nähe etwa auch Landfried, Parteifinanzen und politische Macht, 21994, S. 110. 155 Kersten, in: Kersten/Rixen (Hrsg.), Parteiengesetz (PartG) und europäisches Parteienrecht, 2009, § 1 Rn. 107. 156 Vgl. etwa von Vieregge, ZParl 8 (1977), 51, 53; von Arnim, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, 1996, S. 176 f. 157 Günther/Vesper, ZRP 1994, 289, 292.
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Diese positiven Effekte für die Partei hat auch das Bundesverfassungsgericht jedenfalls in „den Gebieten der Forschung, der Materialsammlung und -aufbereitung, der Publikation, der Pflege internationaler Beziehungen, aber auch der politischen Bildung im engeren Sinne“ gesehen, schließlich würden die Stiftungen die Arbeit der Parteien erleichtern.158 Selbst wenn die Ergebnisse der Forschungs institute der Stiftungen zwar regelmäßig öffentlich zugänglich seien, nutzten die regelmäßig auf die spezifischen Parteiinteressen zugeschnittenen Forschungsschwerpunkte der eigenen Partei in weitaus stärkerem Maße.159 Die Stiftungen sind nach alledem zwar keine reinen Erfüllungsgehilfen der Parteien, allerdings sind sie in ihrer Arbeit und Ausrichtung schwer von diesen zu trennen160, nahezu alle Tätigkeitsbereiche der Stiftungen sind parteipolitisch geprägt.161 Die Arbeit der Stiftungen wirkt für die ihnen nahestehenden Parteien. Zu einem nicht unerheblichen Maße werden also auch (fakultative) Aufgaben der Parteien miterfüllt. Daneben spricht auch historisch einiges dafür, dass die Parteien die politische Bildung ausschließlich wegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht selbst wahrnehmen und die Stiftungen mithin zur Erledigung dieser Aufgabe einschalten. Vor dem ersten Parteienfinanzierungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1966162 haben die Parteien selbst die politische Bildungsarbeit betrieben und dafür staatliche Gelder erhalten. Nach dem Urteil endete die politische Bildungsarbeit aber nicht, sie wurde lediglich ausgelagert. Die Parteien schufen ein Vehikel, das aber nicht mit den Parteien identisch sein durfte, um die politische Bildungsarbeit weiter betreiben zu können, und erschufen die Stiftungen als vorgeschaltete Organisationen zur politischen Bildungsarbeit. Exemplarisch lässt sich dies an der Hanns-Seidel-Stiftung zeigen. Hierbei handelt es sich um keine traditionsreiche, der CSU bereits historisch nahestehende Stiftung, sie wurde vielmehr erst in Reaktion auf das erste Parteienfinanzierungsurteil gegründet, um an den Zuschüssen zu partizipieren.163 Einzig die Friedrich-EbertStiftung fällt hier aus dem Rahmen, sie war bereits nach dem Tode Eberts 1925 gegründet worden und förderte die Bildung von Arbeiterkindern.164 Am Beispiel der Hanns-Seidel-Stiftung lässt sich indessen auch expressis verbis die Intention 158
BVerfGE 73, 1, 37 f. BVerfGE 73, 1, 38. 160 Ähnlich Landfried, Parteifinanzen und politische Macht, 21994, S. 110. 161 Merten, Parteinahe Stiftungen im Parteienrecht, 1999, S. 137. 162 BVerfGE 20, 56. 163 von Arnim, Die Deutschlandakte, 2009, S. 121; Morlok, MIP 1996, 7, 9 f.; Ipsen, in: Wewer (Hrsg.), Parteienfinanzierung und politischer Wettbewerb, 1990, S. 74, 97; von Arnim, ZRP 1982, 294, 300. 164 von Arnim, Die Deutschlandakte, 2009, S. 120. Umfassend von Vieregge, Aus Politik und Zeitgeschichte 1977, 28, 30. 159
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der Stiftungsgründung als Entlastung der Partei ablesen: Im Vorfeld der Gründung der Stiftung bat der CSU-Generalsekretär Streibl im Landesvorstand, „das gesamte Bildungsprogramm, das Kursprogramm der KPV und der Jungen Union […] nun über die Hanns-Seidel-Stiftung laufen [zu] lassen […]. Auch das wäre für die Partei eine große Entlastung.“165 Die Stiftungen sind daneben – wie noch sogleich ausführlich zu zeigen sein wird166 – finanziell abhängig von der Partei und dem Abschneiden der nahestehenden Partei bei Parlamentswahlen. Wenn aber die Ausstattung der Stiftung vom Wahlergebnis der Partei abhängig ist, so ist die Stiftung hier in der gleichen Lage wie die Parteibürokratie, die im Falle ausbleibender Wahlerfolge und knapper werdender finanzieller Ausstattung mit Kürzungen rechnen muss. Damit ist das Ziel der Stiftung nur vordergründig eine unparteiische Bildung. Natürlich ist es sogar überlebensnotwendig für die Stiftung, dass die eigene Partei bei Wahlen gut abschneidet, jedenfalls aber in den Bundestag einzieht. Ansonsten steht auch die Stiftung vor dem Aus. Eine Andersartigkeit der Ziele ist – anders als das Bundesverfassungsgericht meint167 – in Anbetracht der vorliegenden „Schicksalsgemeinschaft“168 zu verneinen. Erfüllen die Stiftungen damit jedenfalls teilweise Aufgaben ihrer Parteien, dann handeln sie nach der hiesigen Arbeitsteilungsdefinition auch im Parteiinteresse. Dies geschieht auch – wie bereits bei der Absprache nachgewiesen – mit dem Willen der Partei. Die Partei hat auch Kenntnis von den Tätigkeiten der Stiftung. Der Zurechnungsgrund der Arbeitsteilung liegt somit vor. ee) Finalität Der Wille der Parteien in Bezug auf das Handeln liegt vor, dies wurde bereits bei der Absprache und der Arbeitsteilung nachgewiesen. Das Verhalten der Stiftungen ist subjektiv wie objektiv vorhersehbar, da eine Absprache und Arbeitsteilung bestehen. Das Verhalten der Stiftung ist umgekehrt nicht unvorhersehbar. Da auch die die Vorhersehbarkeit des Handelns gegeben ist, ergibt sich auch die Finalität als zusammengesetzter Zurechnungsgrund. ff) Beherrschung Für den Zurechnungsgrund der Beherrschung lässt sich in Bezug auf die Stiftungen differenzieren in rechtliche und tatsächliche Beherrschung. 165
Zitiert nach von Vieregge, Aus Politik und Zeitgeschichte 1977, 28, 34. Siehe sogleich unter § 5 B. I. 4. b) ff). 167 BVerfGE 73, 1, 33 f. 168 Siehe unten § 5 B. I. 4. b) ff). 166
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(1) Rechtliche Beherrschung Rechtliche Beherrschung liegt vor, wenn aufgrund rechtlicher Regelungen die Möglichkeit eines Durchgriffs auf die Stiftung vorliegt oder diese organisatorisch in die Parteistruktur eingegliedert ist. Die Stiftungen sind regelmäßig Vereine169, die nicht in die Parteistruktur eingebunden sind. In Betracht kommt somit lediglich ein rechtlicher Durchgriff auf die Stiftung. Rechtlich fixierte Durchgriffsrechte oder Personalbestimmungsrechte sind in den Satzungen der parteinahen Stiftungen ebenso wenig vorhanden wie in den Satzungen der Parteien. Weiterhin ergeben sich keine rechtlichen Anknüpfungspunkte, mit denen die Partei das Verhalten der Stiftung steuern oder verhindern könnte. Eine rechtliche Beherrschung liegt daneben nicht bereits im allgemeinen Vorschlagsrecht für Personal. Selbst wenn das Vorschlagsrecht nach Satzung der Stiftung ausschließlich bei der Partei läge, dann wäre dies immer noch von Seiten der Stiftung einseitig abänderbar. Gegen den Willen der Stiftung können die Mitglieder nicht aufgenommen werden. Anders als bei einigen Jugendorganisationen bestehen auch bei den Stiftungen keine Genehmigungsvorbehalte durch die Partei für Personalentscheidungen.170 Die Stiftungen tauchen in den Satzungen der Parteien vielmehr praktisch gar nicht auf. In den FDP-Satzungswerken wird die Friedrich-Naumann-Stiftung lediglich in Bezug auf die Besetzung der beratenden Parteigremien genannt: Die Stiftung kann einen Mitarbeiter für Bundesfachausschüsse benennen. Der Benannte hat aber kein Stimmrecht, sondern nimmt als Gast an den Sitzungen der Fachausschüsse teil.171 Eine rechtliche Zugriffsmöglichkeit auf die Stiftung ist darin nicht zu erkennen. Rechtliche Beherrschung wird durch die Parteien folglich nicht ausgeübt.
169 Die parteinahen Stiftungen sind dabei nur dem Namen nach Stiftungen – rein rechtlich handelt es sich bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Hanns-Seidel-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung um eingetragene Vereine. Lediglich die Friedrich-Naumann-Stiftung ist eine Stiftung im Rechtssinne. Dennoch werden im Folgenden weiterhin die Begriffe der parteinahen Stiftung oder Stiftung im untechnischen Sinne genutzt. 170 Bei der Jungen Union und der CDU etwa zeigen sich diese rechtlichen Verschränkungen bei der Bestellung des Geschäftsführers der Jungen Union oder der Genehmigung der Satzung: Zwar haben Bundesvereinigungen, zu denen die Junge Union gemäß § 38 des Statuts der CDU zählt, eine eigene Satzung, diese bedarf aber nach § 39 Abs. 2 des Statuts der CDU der Genehmigung durch den Generalsekretär. Und auch der Geschäftsführer der Jungen Union wird gem. § 39 Abs. 2 S. 2 des Statuts der CDU „im Einvernehmen mit dem Generalsekretär ernannt“. Somit hat die Partei in Person des Generalsekretärs rechtliche Herrschaft über die Personalentscheidung. 171 Siehe § 2 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 lit. c) der Geschäftsordnung für die Bundesfachausschüsse, Liberalen Foren und Kommissionen (GOBFA) der Freien Demokratischen Partei.
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(2) Tatsächliche Beherrschung Tatsächliche Beherrschung kann nach dem oben Gesagten bei einer weitgehenden Durchsetzung der Mitgliedschaft, insbesondere der Führungsgremien, sowie bei einer wirtschaftlichen oder sonstigen Abhängigkeit vorliegen. Insofern rücken die tatsächlichen Verbindungen zwischen Partei und parteinahen Stiftungen in den Vordergrund. (a) Mitgliederstruktur Zunächst soll die Mitgliederstruktur der Stiftungen einer näheren Untersuchung unterzogen werden.172 Wegen der oben genannten rechtlichen Ausgründung als Vereine bestehen die parteinahen „Vereins-Stiftungen“ aus Mitgliedern. Es handelt sich bei den Stiftungen aber um keine Massenvereine, bei denen jedermann Mitglied werden könnte. Die Vereine bestehen vielmehr aus einer kleinen Anzahl ausgewählter Mitglieder. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat rund 130 Mitglieder173, die Konrad-Adenauer-Stiftung besteht aus 55 Mitgliedern174. Die HannsSeidel-Stiftung wird getragen von 38 Mitgliedern175, die Heinrich-Böll-Stiftung von 49 Personen176. Das Kuratorium der Friedrich-Naumann-Stiftung besteht aktuell aus 21 Personen177. Die parteinahen Stiftungen werden also von einem kleinen Personenkreis gesteuert, setzt man die Mitgliederanzahl der Stiftungen in Relation zur Parteimitgliedschaft. Insofern kommt der Auswahl und dem Aufnahmeverfahren bereits einige Bedeutung zu, denn die wenigen Personen haben einen deutlich stärkeren Einfluss auf die Steuerung der Arbeit und Ausrichtung der Stiftung als das einzelne Mitglied einer viele Tausend Mitglieder umfassenden Massenpartei. Bei der Friedrich-Ebert-Stiftung etwa heißt es in § 3 Abs. 1 der Satzung178, dass Mitglieder nur werden können, wer „sich um die demokratische Erziehung 172
Die nachfolgende Untersuchung zur Mitgliederstruktur berücksichtigt den Sach- und Rechtsstand zum August 2021. 173 Aufzählung bei Friedrich-Ebert-Stiftung, Mitgliederversammlung (https://www.fes.de/ stiftung/organigramm-gremien/mitgliederversammlung) (geprüft am 24.02.2023). 174 Konrad-Adenauer-Stiftung, Mitgliederversammlung (https://www.kas.de/mitgliederver sammlung) (geprüft am 24.02.2023). 175 Überblick über Vorstand und Mitglieder bei Hanns-Seidel-Stiftung, Vorstand und Mitglieder (https://www.hss.de/ueber-uns/taetigkeitsbereiche/organisation/leitung/) (geprüft am 24.02.2023). 176 Siehe § 4 Abs. 1 der Satzung der Heinrich-Böll-Stiftung. 177 Übersicht über das Kuratorium der Friedrich-Naumann-Stiftung unter FriedrichNaumann-Stiftung, Kuratorium (https://www.freiheit.org/de/kuratorium-0) (geprüft am 24.02.2023). 178 Die Satzung der Friedrich-Ebert-Stiftung ist auf den Webseiten der Stiftung einsehbar
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des deutschen Volkes besonders verdient gemacht“ habe oder „ihrer Persönlichkeit nach dafür Gewähr bieten, dass sie sich mit voller Tatkraft im Sinne der Zielsetzung des Vereins einsetzen werden“. Mitglieder werden auf schriftlichen Antrag an den Vorstand hin aufgenommen oder der Vorstand trägt besonderen Persönlichkeiten eine Mitgliedschaft an (§ 3 Abs. 2 der Satzung). Nach § 3 der Satzung der Konrad-Adenauer-Stiftung kann der Vorstand neuen Mitgliedern die „vorläufige Mitgliedschaft“ verleihen, die endgültige Entscheidung liegt bei der Mitgliederversammlung. Bei der Heinrich-Böll-Stiftung entscheidet die Mitgliederversammlung über die Aufnahme neuer Mitglieder. Allerdings ist ein Antrag auf Aufnahme nicht vorgesehen, sondern es müssen Wahlvorschläge eingereicht werden. Wahlvorschläge dürfen nach § 4 Abs. 3 der Satzung lediglich die Partei Bündnis 90/Die Grünen sowie die Bundestagsfraktion, die zugehörigen Landesstiftungen und die „Freundinnen und Freunden der Heinrich-Böll-Stiftung“179 abgeben. Bei der Friedrich-Naumann-Stiftung als „echter“ Stiftung entspricht das Kuratorium der Mitgliederversammlung. Es besteht aus bis zu 21 Mitgliedern, die vom Kuratorium selbst berufen werden. Vorschlagsberechtigt ist jedes Mitglied des Kuratoriums, wie § 4 Abs. 2 der Satzung der Friedrich-Naumann-Stiftung regelt.180 Die Mitglieder der Hanns-Seidel-Stiftung können natürliche, aber im Gegensatz zu den übrigen „Vereinsstiftungen“ auch juristische Personen sein. Über die Aufnahme in den Verein bestimmt die Mitgliederversammlung, welche aus den höchstens 40 Mitgliedern des Vereins besteht, siehe § 3 der Satzung.181 Bereits die Betrachtung der Mitgliederzahl der Stiftungen bringt zu Tage, dass es sich um einen vergleichsweise kleinen Personenkreis handelt, welcher die Geschicke der Stiftung bestimmt und dies insbesondere über ihre Satzungshoheit, die Wahl des Vorstandes, aber auch die Neuaufnahme von Mitgliedern realisiert. Die Mitgliederzahl ist bei allen Stiftungen begrenzt. Das Verfahren der Aufnahme zeigt darüber hinaus jedenfalls bei der Heinrich-Böll-Stiftung auch eine erste Verschränkung mit der Partei auf, schließlich ist das Vorschlagsrecht begrenzt und liegt jedenfalls auch bei der Bundespartei der Grünen sowie der Bundestagsunter Friedrich-Ebert-Stiftung, Satzung (https://www.fes.de/stiftung/organigramm-gremien) (geprüft am 24.02.2023). 179 Die Freundinnen und Freunde der Heinrich-Böll-Stiftung sind natürliche oder juristische Personen, aber auch Initiativgruppen, welche die Ziele der Stiftung unterstützen, dies der Stiftung gegenüber schriftlich anzeigen und „den Mindestförderbetrag zahlen“, vgl. § 12 Abs. 1 der Satzung. 180 Die Satzung ist abrufbar unter Friedrich-Naumann-Stiftung, Die Satzung der FriedrichNaumann-Stiftung für die Freiheit (https://www.freiheit.org/sites/default/files/2019-09/2019_ FNF-Satzung.pdf) (geprüft am 24.02.2023). 181 Die Satzung ist abrufbar unter Hanns-Seidel-Stiftung, Satzung (https://www.hss.de/ ueber-uns/taetigkeitsbereiche/organisation/leitung/) (geprüft am 24.02.2023).
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fraktion. Bei den Stiftungen handelt es sich um keine Massenorganisationen, bei denen beliebige Personen Mitglied werden, es sind vielmehr an sich „geschlossene“ Vereine. Neben diesen allgemeinen Beobachtungen ist für die Einordnung der Stiftungen auch entscheidend, wie sich der Mitgliederbestand relativ zu dem der Partei verhält. Keine der Stiftungen fordert die gleichzeitige Mitgliedschaft in der nahestehenden Partei als Voraussetzung für eine Mitgliedschaft, es gibt kein Prinzip doppelter Mitgliedschaft oder ähnliches. Das ist bei den Stiftungen allerdings auch nicht weiter verwunderlich, sind sie doch – im Gegensatz etwa zu den Jugendorganisationen – keine offenen Verbände, die um neue Mitglieder werben und bei denen Beitritte von Neumitgliedern erwünscht sind. Neben der abstrakt-rechtlichen Betrachtung der mitgliedschaftlichen Verschränkungen muss auch die tatsächliche Ebene Beachtung finden. Hier sind die konkreten Mitgliederversammlungen und Vorstände näher in den Blick zu nehmen. Von Interesse ist dabei die Parteinähe, weshalb sich als erste Kennzahl zunächst der Anteil der Parteimitglieder bestimmen lässt. Der Anteil der Parteimitglieder an der Mitgliederstruktur ist unterschiedlich hoch. Die Mitglieder der Konrad-Adenauer-Stiftung sind mindestens182 zu 87,5 % Parteimitglieder der CDU. Bei der Heinrich-Böll-Stiftung sind es mindestens 60 %. Bei der Friedrich-Ebert-Stiftung liegt der Anteil der Parteimitglieder an der Mitgliedschaft sogar bei mindestens 92,7 %. Bei der Hanns-SeidelStiftung war lediglich bei vier Mitgliedern keine Parteimitgliedschaft auszumachen, womit der Anteil hier mindestens 90 % beträgt. Bei der Friedrich-Naumann-Stiftung setzt sich das Kuratorium zu mindestens 85 % aus Parteimitgliedern zusammen. Bei der Betrachtung der Mitglieder fällt somit eine besondere Parteiaffinität ins Auge. Bei diversen Stiftungen tritt darüber hinaus auch zu Tage, dass es sich bei den Mitgliedern in den Stiftungen um besonders hervorgehobene Parteimitglieder handelt. So bestehen die Mitgliederversammlungen zu einem hohen Anteil aus ehemaligen oder aktiven Bundestagsabgeordneten oder auch ehemaligen Regierungschefs oder Ministern, aber auch ehemaligen und aktuellen Parteivor182 Alle folgenden Werte zu den Anteilen an Parteimitgliedschaften sind aus den frei verfügbaren Mitgliederlisten der Stiftungen entstanden und selbst errechnet. Für die genannten Mitglieder wurde recherchiert, ob die Parteizugehörigkeit öffentlich einsehbar ist. Insofern sind die hier errechneten Zahlen lediglich als Mindestanteile zu verstehen: Gerade bei weniger prominenten Mitgliedern sind Angaben zur Mitgliedschaft nicht ohne Weiteres aufzufinden, bei diesen wurde dann von einem Fehlen der Mitgliedschaft ausgegangen, weshalb bei der Auswertung eine Abweichung nach oben möglich ist, nicht aber nach unten. Stand der Errechnung ist August 2021. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde darauf verzichtet, für alle Mitglieder Nachweise über das Bestehen der Mitgliedschaft zu erbringen.
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sitzenden. Die Stiftungen besetzen ihre Mitgliederversammlungen unterschiedlich stark mit Parteifunktionären. Während die Heinrich-Böll-Stiftung hier durchaus zurückhaltend agiert, liest sich das Mitgliederverzeichnis bei FriedrichEbert-Stiftung, der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Hanns-Seidel-Stiftung wie eine Liste außerordentlich prominenter Parteimitglieder. Wenn aber die „Ehre“ einer Stiftungsmitgliedschaft vor allem verdienten Parteipersönlichkeiten zuteilwird, so ist dies ein veritables Argument für einen starken Parteibezug. Daneben ist allein der hohe Anteil an Parteimitgliedern und damit verbunden die relative Abgeschlossenheit der Vereine ein Indiz für eine Abschirmung der Stiftung von nicht parteilichen Einwirkungsmöglichkeiten. (b) Parteinähe der Leitungsebene Neben der Betrachtung der reinen Mitgliederstruktur ist aber auch der Blick auf die Vorstände der Stiftungen von Interesse, da diese die Arbeit der Stiftung noch unmittelbarer beeinflussen können. Hierbei handelt es sich um die Führungspositionen, deren Besetzung für eine Beherrschung von besonderer Wichtigkeit ist. Bei der Friedrich-Naumann-Stiftung besteht der sechsköpfige Vorstand vollständig aus Parteimitgliedern.183 Ebenso ist es bei der Hanns-Seidel-Stiftung, hier sind alle 15 Vorstandsmitglieder Mitglied der CSU. Die Friedrich-Ebert-Stiftung kann ebenfalls einen maximalen Anteil von Parteimitgliedern im Vorstand vorweisen: In dem zwölfköpfigen Gremium sind alle Mitglieder auch Parteimitglied. Von den 23 Mitgliedern des Vorstandes der Konrad-Adenauer-Stiftung sind mindestens 22 Mitglieder Parteimitglied der CDU184, was einem Anteil von mindestens rund 96 % entspricht. Bei der Heinrich-Böll-Stiftung sind ebenfalls die beiden Vorstandsvorsitzenden Mitglied der Grünen. Daneben sind die Vorstandsmitglieder in der Regel herausgehobene, bekannte Persönlichkeiten der Partei, beispielsweise ehemalige Parteivorsitzende, ehemalige Ministerpräsidenten oder ehemalige Minister. Bei der Friedrich-Ebert-Stiftung finden sich im engsten Führungszirkel – Vorsitz und stellvertretende Vorsitzende – zwei ehemalige Ministerpräsidenten, zum einen Kurt Beck, seines Zeichens auch ehemaliger Vorsitzender der Bundes-SPD, zum anderen Hannelore Kraft, die Vorsitzende der NRW-Landespartei und stellvertretende Bundesvorsitzende war. Seit Ende 2020 ist der ehemalige SPD-Vorsitzende Martin Schulz Vorsitzender der Stiftung, die Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe sowie der
183 Auch der hier im Folgenden genannte Anteil von Parteimitgliedern wurde nach der oben skizzierten Methodik recherchiert, sodass die Zahlen nicht einzeln nachgewiesen werden. 184 Beziehungsweise einer CDU-Schwesterpartei. So etwa bei Wolfgang Schüssel, der als ehemaliger Kanzler Österreichs Mitglied der ÖVP ist.
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ehemalige DGB-Vorsitzende Michael Sommer sind die Stellvertreter.185 Bei der Konrad-Adenauer-Stiftung sind im Vorstand ebenfalls prominente Parteimitglieder zu finden: Vorsitzender ist Norbert Lammert, ehemaliger Bundestagspräsident. Einer seiner Stellvertreter ist etwa Herrmann Gröhe, ehemaliger Generalsekretär der CDU, ehemaliger Bundesminister und aktuell stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Dem Vorstand gehören ebenso Kanzlerin Angela Merkel, die ehemalige Vorsitzende der CDU Annegret KrampKarrenbauer sowie Ralph Brinkhaus, der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an. Der Vorstand besteht, neben diesen besonders prominenten Mitgliedern, vornehmlich aus ehemaligen Ministern, Ministerpräsidenten und Staatssekretären.186 Das Bundesverfassungsgericht hat diese Besetzung der Organe der Stiftungen mit „führenden Mitgliedern der nahestehenden Parteien“187 zwar gesehen, ihr aber keine größere Aufmerksamkeit geschenkt, weil die Vorstände zwar Anregungen und Vorschläge zu Projekten oder Themen machten, diese aber „weitgehend“188 von Mitarbeitern der Stiftung durchgeführt würden. Dies ist aber kaum ausreichend, schließlich hat der Vorstand sehr wohl die Möglichkeit, die Arbeit der Stiftung auszurichten, daran zweifelt auch das Gericht nicht. Das Problem der Durchsetzung der Stiftungsorgane mit Parteifunktionären wird zwar registriert, bis auf den Hinweis auf die „Minimalanforderung“ der verbotenen Doppelfunktion von Schatzmeister und Vorsitz nach § 11 Abs. 2 S. 3 PartG189 kann sich das Gericht hier zu keiner Bewertung durchringen. Bei allen Stiftungen sind die Vorstände ausschließlich – teilweise mit prominenten – Parteimitgliedern besetzt. Durch die starke Beschränkung der Aufnahme, die Festsetzung einer Höchstmitgliederzahl, einer künstlichen Verknappung im Zugang also, wird der Kreis der Einflussträger begrenzt. Wäre der hohe Anteil der Parteimitglieder bei einem für jeden offenstehenden Verband lediglich ein eher schwaches Indiz, so deutet ein hoher Mitgliederanteil in einem geschlossenen, nicht durch jedermann zu erreichenden Verband sehr viel stärker auf eine besondere Parteinähe hin. Durch das bei der Heinrich-Böll-Stiftung bestehende Vorschlagsrecht wird weiterhin dafür gesorgt, dass nur parteinahe Mitglieder benannt werden, da der Vorschlag unter anderem von Partei oder Fraktion ausgeht. Neben der Stiftung selbst können sonst nämlich nur nahestehende Initiativen, die 185 Friedrich-Ebert-Stiftung, Organigramm und Gremien (https://www.fes.de/stiftung/orga nigramm-gremien/) (geprüft am 24.02.2023). 186 Siehe dazu Konrad-Adenauer-Stiftung, Vorstand (https://www.kas.de/de/vorstand) (geprüft am 24.02.2023). 187 BVerfGE 73, 1, 35. 188 BVerfGE 73, 1, 35. 189 BVerfGE 73, 1, 32.
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Bundestagsfraktion und die Bundespartei Mitglieder vorschlagen. So ehrlich die Regelung sein mag, so sehr zeigt sie die wohl bei allen Stiftungen derart praktizierten tatsächlichen Abläufe in Bezug auf die Mitgliederauswahl: Dass hier die Parteinähe eine Rolle spielt oder die Partei sogar die Mitglieder vorschlägt, ist bei der Heinrich-Böll-Stiftung rechtlich fixiert, in den anderen Stiftungen wohl lediglich informelle Praxis. Ungewöhnlich sind Fälle einer offenen Konfrontation zwischen Stiftung und Partei in Bezug auf die Besetzung der Stiftungsposten, ausgeschlossen ist dies indes nicht. Dies zeigen die Streitigkeiten zwischen Friedrich-Ebert-Stiftung und dem damaligen SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, bei dem sich die Stiftung – letztendlich erfolgreich – gegen einen Personalvorschlag der Parteispitze für die Leitung der Stiftung wehrte.190 Die Art und Weise der Auseinandersetzung und die Verwunderung von Seiten der Partei ob der autonomen Entscheidung der Stiftung sprechen klar dafür, dass die Stiftungspositionen in der Regel von Parteiseite „verteilt“ werden und eine andere Handhabung für Streit und Irritationen zwischen den Organisationen sorgt. Festzuhalten bleibt in Bezug auf die Mitgliederstruktur eine extreme Parteinähe bei den Stiftungen, die sich nicht anhand rechtlichen Mitgliederverschränkungen oder Mitgliedschaften kraft Amtes bestimmen lässt, sondern sich vielmehr aus der tatsächlichen Betrachtung der Mitgliederstruktur ergibt. Gerade die Tatsache, dass ausschließlich prominente Parteimitglieder die Geschicke der Stiftungen in deren Vorständen leiten, deutet auf eine Besetzung durch die Partei hin. (c) Wirtschaftliche Abhängigkeiten Bei der Bestimmung tatsächlicher Beherrschung durch wirtschaftliche Abhängigkeiten muss unterschieden werden zwischen unmittelbaren und mittelbaren finanziellen Einflüssen durch die Partei. Zwischen Partei und Stiftung ist kein direkter Geldfluss festzustellen. Der Blick muss daher vor allem auf die öffentlichen Zuwendungen gerichtet werden. Hierbei handelt es sich möglicherweise um indirekte Zuwendungen – also von der Partei veranlasste Zuwendungen durch Dritte –, welche nach den hier zu beachtenden Grundsätzen ebenso geeignet sind, eine Abhängigkeit zu begründen. Diese staatlichen Zuwendungen machen bei der Friedrich-Ebert-Stiftung von den Gesamteinnahmen einen Anteil von gut 94 % aus.191 Die zur Selbstbewirtschaftung überlassenen, nicht projektgebundenen Globalzuschüsse machen dabei rund 40 Millionen Euro und damit 190
von Hammerstein/Schwennicke, DER SPIEGEL 30.10.2010, S. 36 ff. Diese machen rund 183 Millionen von 194 Millionen Euro für das Jahr 2018 aus, siehe dazu Friedrich-Ebert-Stiftung, Jahresbericht 2019 (http://library.fes.de/pdf-files/fes/03208/jb2019.pdf), S. 60 (geprüft am 24.02.2023). 191
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rund 20 % aller Einnahmen für das Jahr 2018 aus.192 Bei den übrigen Stiftungen sind die Zahlen vergleichbar. Insofern besteht eine große Abhängigkeit der Stiftungen von den öffentlichen Zuschüssen. Über die Höhe der Zuschüsse verhandeln die Haushälter der Fraktionen im Haushaltsausschuss.193 Da die Stiftungen nicht Teil der Haushaltsverhandlungen sind und finanziell von diesen Verhandlungen stark abhängig sind, besteht eine Abhängigkeit zu denjenigen, welche die Entscheidung treffen, nämlich den Vertretern der Partei im Haushaltsausschuss. Aber nicht allein die besondere Wichtigkeit der durch Parteivertreter ausgehandelten staatlichen Mittel für die Haushalte der Stiftungen deutet auf eine Abhängigkeit hin. Die Verhandlungen sind nicht nur auf die Gesamthöhe der Globalzuschüsse gerichtet, auch wird über die Verteilung der vorhandenen Mittel Einigkeit erzielt. Damit schwingt sich die Partei faktisch zum Sachwalter der (finanziellen) Interessen der nahestehenden Stiftung auf. Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass ohne Einsatz der Parteivertreter die Interessen der Stiftung auf der Strecke bleiben. Insofern bestehen Abhängigkeiten in Richtung der Parteivertreter, aber auch in Bezug auf die Partei allgemein. Die Aufteilung der Stiftungsmittel erfolgt nach den Wahlerfolgen der nahestehenden Partei. So haben es sich die Stiftungen in ihrer „Gemeinsamen Erklärung zur staatlichen Finanzierung der Politischen Stiftungen“ festgeschrieben, in welcher sie als Anhaltspunkt zum Verteilungsschlüssel auf vier Bundestagswahlen abstellen wollen.194 Auch diesbezüglich besteht eine natürliche Abhängigkeit von der Partei. Bei den Stiftungen handelt es sich nicht um „normale“ Zuwendungsempfänger, sie sind vielmehr mit den Parteien in einer Art „Schicksalsgemeinschaft“. Dass es bei Misserfolgen der Partei auch um die Existenz der Stiftung geht, hat etwa die Friedrich-Naumann-Stiftung nach dem Scheitern der FDP bei der Bundestagswahl 2013 erleben müssen. So rief sie den Wiedereinzug der FDP als oberstes Stiftungsziel aus, wie es in einer internen Mitteilung des damaligen Geschäftsführers hieß: „Mit höheren Zuwendungen im Jahr 2014 gewinnen wir Gestaltungsspielraum für das oberste Stiftungsziel, unseren Beitrag zur Rückkehr der FDP in den Deutschen Bundestag zu leisten.“195 192 Errechnet aus den Einnahmen der Stiftung aus dies., Jahresbericht 2019 (http://library. fes.de/pdf-files/fes/03208/jb-2019.pdf), S. 60 (geprüft am 24.02.2023) und den Globalzuschüssen aus dem Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2018, EP 06 Titel 685 12-114. 193 Zu den oben bereits erwähnten „Kaminrunden“ erneut Geerlings, ZParl 34 (2003), 768, 774 und von Arnim, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, 1996, S. 171. 194 Konrad-Adenauer-Stiftung/Friedrich-Ebert-Stiftung/Friedrich-Naumann-Stiftung u. a., Gemeinsame Erklärung zur staatlichen Finanzierung der Politischen Stiftungen – Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. (https://www.kas.de/gemeinsame-erklaerung-zur-staatlichen-finanzierungder-politischen-stiftungen) (geprüft am 24.02.2023). 195 Zitiert nach Lutz/Müller, Das Kartell der Staatsplünderer, 10.10.2014 (https://www.welt.
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Abhängig ist die Stiftung auch allein deshalb, weil die Partei „ihre“ Stiftung ja benennen muss. Die erheblichste Drohgebärde der Partei ist damit stets das „Aberkennen“ der Parteinähe.196 Die Partei hat es mit diesem – freilich für beide Seiten nicht erstrebenswerten Mittel – in der Hand, die Stiftung einseitig aus dem Empfängerkreis der Globalzuschüsse zu entfernen. Ohne die Globalzuschüsse, welche den „Grundbetrieb“ der Stiftung inklusive der notwendigen Bürokratie absichern, könnten die Stiftungen in ihrer bisherigen Form nicht weiter bestehen. Die Folgen einer „Aberkennung“ der Parteinähe für die Stiftung sind damit erheblich. Die mittelbaren Zuwendungen an die Stiftungen, die Kriterien der Mittelbereitstellung und -aufteilung begründen eine tiefgreifende Abhängigkeit zwischen Partei und Stiftung. Die Partei hat über die Haushaltsverhandlungen maßgeblichen Anteil an der Aushandlung der Höhe und der Verteilung der Stiftungsmittel. Auch wenn die Partei keine direkten Leistungen an die Stiftungen erbringt, so sind auch die mittelbar verschafften Zuwendungen Indiz für eine Abhängigkeit und einen Einfluss der Partei in finanzieller Hinsicht. Wie bereits angesprochen, kann die Partei eine Verletzung der Chancengleichheit durch Nichtfinanzierung der Stiftung verfassungsgerichtlich rügen. Hierin lässt sich neben dem Selbstverständnis auch ein Beherrschungs- und Abhängigkeitsaspekt auffinden, wenn nämlich die Verteidigung der Stiftungsfinanzierung lediglich durch eine prozessuale Intervention der Partei möglich ist. (3) Zusammenfassung Insgesamt zeigt sich die Beherrschung der Stiftungen durch die Parteien anhand personeller wie wirtschaftlicher Kriterien. Zum einen ist die Mitgliedschaft beinahe ausschließlich durchsetzt mit Parteimitgliedern. Das Verfahren der Aufnahme in die Stiftungen deutet zum anderen auf eine erhebliche Parteinähe hin, jedenfalls bei einer Stiftung wird die Partei ausdrücklich als vorschlagsberechtigt aufgeführt. Die Besetzung der Führungsgremien zeigt darüber hinaus einen starken Einfluss der Partei, schließlich ist auch hier nicht nur der Anteil an Parteimitglieder hoch, es handelt sich sogar um herausgehobene, prominente Parteimitglieder, die regelmäßig ehemals wichtige Regierungs- und Parteiämter innehatten. Finanziell äußert sich die Beherrschung in der Abhängigkeit von den durch die Parteien vermittelten Zuschüssen. Die Höhe der Zuschüsse hängt von den Wahlergebnissen der Partei ab, weiterhin hat die Partei es einseitig in der Hand, die Stiftung als „ihre“ parteinahe Stiftung zu benennen oder nicht. de/politik/deutschland/article133107766/Das-Kartell-der-Staatspluenderer.html) (geprüft am 24.02.2023). 196 Beispiele nennt etwa von Arnim, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, 1996, S. 173.
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gg) Rechtsschein Bei den in der Literatur genannten Kriterien der Zuordnung konnte auch der Rechtsschein wiedergefunden werden. Nach den oben genannten Konkretisierungen kann dabei insbesondere der Frage nachgegangen werden, ob die Partei offen oder verdeckt bei ihrer Aufgabenwahrnehmung unterstützt wird und weitergehend, ob sogar der Anschein entstehen kann, dass die Partei selbst handelt. Stiftungen handeln offen die Partei unterstützend. Dies wurde bereits in ihrem Selbstverständnis erläutert, welches durch die Aktivitäten der Stiftung nach außen gerichtet wird. Durch die teilweise deutliche Bezugnahme wird eine Verbindung zu den Parteien hergestellt. Dass durch die Handlung der Stiftungen aber der Anschein entstehen könnte, die Parteien handelten selbst, ist tendenziell zu verneinen. Zwar könnte die Wirkung durch die extreme Parteidurchsetzung der Führungsebene der Stiftungen entstehen, wenn Bürger also allein anhand einer Vielzahl prominenter Parteimitglieder in einer Organisation eine Verknüpfung zur Partei herstellen. Darüber hinausgehende Umstände, aus denen sich der Rechtsschein speisen könnte, sind aber nicht ersichtlich. Die Aufgabenwahrnehmung für die Partei ist unter dem Arbeitsteilungsaspekt bereits gewichtet worden, eine erneute Verwendung in Bezug auf den Rechtsschein ist daher nicht angezeigt. Der Rechtsschein spricht daher zwar für eine Zuordnung der Stiftung zu den Parteien, das Gewicht des Rechtsscheinarguments ist indes beschränkt. hh) Form Auf die Form des Handelns kommt es hier nicht an, da es nicht um Zurechnung zur öffentlichen Sphäre geht. Parteien stehen in der gesellschaftlichen Sphäre und sind selbst nicht Staatsorgane oder Teil der Staatsorgane.197 Deshalb ist die Zurechnung zu den Parteien ebenfalls keine Zurechnung zum Staat, sondern die Zurechnung zwischen zwei privatrechtlichen Subjekten, wofür die Rechtsform keinen argumentativen Halt bietet. ii) Wille, Interesse, Kenntnis, Vorhersehbarkeit Die unselbständigen Zurechnungsgründe des Willens des Zurechnungsadressaten, des Interesses, der Kenntnis und der Vorhersehbarkeit sind wegen des Vorliegens der zusammengesetzten Zurechnungsgründe bereits geprüft worden und bedürfen daher keiner eigenen Untersuchung mehr.
197
Grundlegend Hesse, VVDStRL 17 (1959), 11, 27 ff.
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jj) Schutzzweck Die Zurechnung der Stiftungen zur Partei müsste auch innerhalb des Schutzzwecks liegen. Der Schutzzweck der Norm ist selbstredend abhängig von der Hauptnorm. Je nach Hauptnorm kann der Schutzzweck bei der Zuordnung von Organisationen zur Partei unterschiedlich ausfallen. Der Schutzzweck der Hauptnorm des Tatbestandes „Parteiverbot“ ist ein anderer als bei der Hauptnorm des Tatbestandes „Transparenzpflicht“ oder „staatliche Finanzierung“ der Partei. Derartige Schutzzweckerwägungen zeigen sich – freilich ohne beim Namen genannt zu werden – auch in der verfassungsrechtlichen Literatur. Im Schrifttum wird zum Teil die Ansicht vertreten, verschiedene Organisationen, die zwar unstreitig Teil der Partei sind – wie Parteidruckereien oder Parteibetriebe –, unterfielen dennoch nicht allen Pflichten des Art. 21 GG. Hier wird etwa bei derartigen Hilfsbetrieben eine Ausnahme von der Pflicht zur innerparteilichen Demokratie diskutiert.198 Derartige Abstufungen des Umfangs der Geltung lassen sich als Schutzzweckerwägungen klassifizieren. Dies kann dazu führen, dass die Parteibegriffe, welche Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG oder Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG zugrunde liegen, verschiedenartig sein können: Die Zurechnung entfaltet ihre Relevanz in den Bereichen, in denen eine Umgehungsgefahr besteht, dies ist bei der inneren Ordnung regelmäßig nicht der Fall. Die Vorgaben zur inneren Ordnung beziehen sich damit stärker auf den „Parteikern“, die Rechenschaftspflicht des Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG muss dagegen auch außerhalb der Kernorganisation stattfindende entferntere Finanzierungsströme absichern und aufdecken. Die beiden Schutzzwecke sind schlicht verschieden. Die Verpflichtung auf innerparteiliche Demokratie verfolgt zunächst den Zweck, undemokratische Parteien zu verhindern.199 Wenn der Bürger an der politischen Willensbildung vor allem durch Parteien als den „berufenen Vorkammern“200 der Demokratie teilnehmen kann, dann hängt diese Teilnahmemöglichkeit maßgeblich von der Offenheit und den demokratischen Partizipationschancen in den Parteien ab, hieran zeigt sich der „Wirklichkeitsgehalt der Volkssouveränität“201. Dem Schutz der 198 Dazu etwa Oerter, Rechtsfragen des Verhältnisses zwischen politischen Parteien und ihren Sonder- und Nebenorganisationen, 1971, S. 58; Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 71. 199 Schneider, in: Tsatsos/Elzinga (Hrsg.), Parteienrecht im europäischen Vergleich, 1990, S. 195. 200 Grimm, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 21994, § 14 Rn. 36. 201 Tsatsos, in: Tsatsos/Morlok/Hesse u. a. (Hrsg.), Verfassung – Parteien – Europa, 1998, S. 998.
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politischen Willensbildung in den Parteien nutzt es aber nicht, wenn die Partei druckereien demokratisch strukturiert werden, es genügt, wenn der entsprechend demokratisch legitimierte Parteivorstand diese kontrolliert – was bei von der Partei beherrschten Organisationen regelmäßig der Fall ist. Selbiges gilt für andere Hilfsorganisationen im Parteiumfeld, ihre Existenz unterläuft nicht die innerparteiliche Demokratie, schließlich findet in vielen (gerade technischen) Hilfsorganisationen keine politische Willensbildung statt202, hier bedarf es der Absicherung daher nicht. Für eine Zurechnung der Hilfsorganisationen zur Partei bei der Hauptnorm „innerparteiliche Demokratie“ gibt es folglich mit Blick auf den Schutzzweck keine Notwendigkeit. Bei den parteinahen Stiftungen muss ähnlich differenziert werden. Die nach hiesigem Verständnis personell wie wirtschaftlich beherrschten Stiftungen greifen nicht in die Parteiwillensbildung ein, da diese nicht über die Stiftungen durchgeführt wird. Ohne Verbindung zur innerparteilichen Willensbildung ist aber auch eine Unterwerfung unter demokratische Grundsätze sinnlos. Der Schutzzweck verlangt damit, die Stiftungen jedenfalls in Bezug auf die demokratischen Grundsätze nicht als Teil der Partei zu begreifen. Anders steht es bei der Frage nach den Transparenzregeln gemäß Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG. Hier besteht die Gefahr einer Auslagerung von der Partei nützlichen Tätigkeiten auf Hilfsorganisationen und damit auch auf die Stiftungen, die dann weder unter die Obergrenzen-Dogmatik des Bundesverfassungsgerichts fallen203 noch der Rechenschaftspflicht unterworfen sind. Insofern ist dem Schutzzweck des weit zu verstehenden Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG – auch mit Blick auf den Charakter als verfassungsrechtliche Schutzpflicht204 – durch eine Zuordnung der Hilfsorganisationen gedient. Eine Einschränkung der Zurechnung ist anhand des Schutzzwecks nicht erkennbar, da die Norm gerade aus Sicht des Bürgers für eine Transparenz in Hinblick auf die Finanzmacht der Parteien sorgen soll. Eine Zuordnung liegt damit dem Grunde nach im verfolgten Zweck von Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG, jedenfalls ist der Zurechnungsausschlussgrund des Schutzzwecks nicht gegeben. kk) Schutzwürdigkeitserwägungen Zunächst sind bei der Schutzwürdigkeit die betroffenen Subjekte, also Partei und Stiftung, in den Blick zu nehmen. 202 Siehe dazu Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 71 Fn. 447. 203 BVerfGE 85, 264. 204 BVerfGE 111, 54, 88 f.; 85, 264, 321. Siehe dazu auch Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 114.
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Die Partei ist insofern schutzwürdig, als dass sie sich keine Einnahmen oder Ausgaben beliebiger Dritter „anrechnen“ lassen möchte. Ihr Interesse geht dahin, ein möglichst schlagkräftiges Parteiumfeld zu etablieren, welches auch Parteiaufgaben wahrnimmt, ohne dabei unter die absolute wie relative Obergrenze zu fallen. Dadurch kann die Partei durch die Verteilung von Aufgaben auf mehrere, rechtlich selbständige Träger, beispielsweise mehr staatliche Gelder akquirieren als durch eine Integration in die Partei. Die staatlichen Zuschüsse an die Jugendorganisationen und die Stiftungen müssten sonst auf die Obergrenze angerechnet werden, was erhebliche finanzielle Auswirkungen auf die Parteien hätte. Gleichwohl lässt sich gegen die Schutzwürdigkeit der Partei das bekannte Risiko-Nutzen-Argument anbringen: Wer den Vorteil einer arbeitsteilig im eigenen Interesse arbeitenden Stiftung nutzen möchte, muss auch den Nachteil tragen. Dieser liegt hier in einer möglichen Anrechnung der Stiftungsfinanzen. Weiterhin hat die Partei die bestehende Lage selbst hergestellt, indem sie die entsprechende Stiftung finanziert und als eigene anerkennt und Parteiaufgaben erledigen lässt. Die Partei ist damit nicht schutzwürdig. Es ist zwar auch im Interesse der Stiftung, nicht als Teil der Partei betrachtet zu werden, da die finanzielle Ausstattung dann mit der Partei „geteilt“ werden müsste. Daneben ist auch die Unterwerfung unter die Rechenschaftspflicht für die Stiftung eine Belastung, da die steuerlich begünstigte Spendenannahmemöglichkeit dann mit den Veröffentlichungspflichten belastet würde. Die Verringerung der Chancen zur Spendeneinwerbung durch Transparenzvorschriften bedingt indes keine Schutzwürdigkeit. Im System politischer Willensbildung nach Art. 21 GG ist finanzielle Einflussnahme kein Fremdkörper. Auf eine Regulierung der Höhe hat sich der Verfassungsgeber nicht konzentriert, dagegen den Blick gerichtet auf die Herstellung von größtmöglicher Öffentlichkeit205: Solange die Partei offenlegen muss, von wem sie Geld erhält, kann sie auch Spenden in unbegrenzter Höhe annehmen. Transparenz ist damit Kernelement eines demokratischen Willensbildungsprozesses, sodass das denkbare Stiftungsinteresse an weniger Transparenz nicht schutzwürdig ist. Aus Sicht des Bürgers ist eine Unterwerfung der Stiftungen unter die Transparenzpflichten sinnvoll. Er kann so erkennen, welches Geld nicht nur zu den Parteien selbst, sondern auch zu den finanziell bestens ausgestatteten Umfeldorganisationen fließt. So können theoretisch unbegrenzt steuerlich abzugsfähige Spenden an die Stiftungen auffallen, welche bei einer Spende an die Partei für kritische Nachfragen des Bürgers sorgen würden. Daneben wäre aus Bürgersicht klarer erkennbar, welche staatlichen Mittel zu den Stiftungen fließen und wie die Stiftungen mit diesem Geld umgehen. Diese Offenheit des politischen Prozesses ist 205
Vgl. zu diesem Ziel maßgeblich BVerfGE 85, 164, 319.
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einer der Hauptaspekte der Transparenzpflicht. Durch Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG ist dieses Anliegen sogar mit Verfassungsrang bedacht worden. Sie sichert den politischen Prozess als solchen ab. Auch aus Sicht konkurrierender Parteien – insbesondere solcher ohne eigene geförderte Stiftung – liegt ein starkes Interesse an der Unterwerfung der Stiftungen unter die Transparenz-, aber auch die Finanzierungsregeln des Parteienrechts vor. Nicht im Bundestag vertretene Parteien erhalten keine staatliche Finanzierung für eine parteinahe Stiftung. Sie stehen neben den allgemein hinzunehmenden Nachteilen des außerparlamentarischen Daseins, etwa der geringeren medialen Beachtung, vor einer gläsernen Decke: Sie haben keine Fraktionen als Kraftzentren, auf die sie im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten auch inhaltliche Arbeit abwälzen können, sie haben daneben auch kein starkes, (auch) staatlich finanziertes Parteiumfeld, welches für die Partei in die Gesellschaft hineinwirkt. Die ohnehin existierenden Schwierigkeiten kleiner Parteien, im Wettbewerb mit etablierten Parteien zu bestehen, wird dadurch weiter vertieft, da den Parlamentsparteien neben den erheblichen Mitteln für die Fraktionen206 auch erhebliche Mittel für die Stiftungen als Umfeldorganisationen winken. Die finanzielle Unwucht, die im System der Parteienfinanzierung zwischen kleinen Parteien und den Parlamentsparteien vorherrscht, wird dadurch noch weiter vertieft. Die konkurrierenden, nicht an der Stiftungsförderung partizipierenden Parteien erscheinen daher schutzwürdig. ll) Interessenabwägung Bei der Interessenabwägung werden die Schutzwürdigkeitserwägungen und die positiven wie negativen Zurechnungsgründe gegenübergestellt. Mit der bestehenden Abrede und der Arbeitsteilung sprechen bei den Stiftungen zwei gewichtige Gründe für eine Zurechnung. Der stärkste Grund für eine Zurechnung ist mit der Beherrschung ebenfalls gegeben. Schwächer ausgeprägte Gründe wie die Finalität sind ebenfalls zu erkennen. Der Rechtsschein ist ansatzweise auszumachen, aber ebenso wie die Finalität hier nicht weiter entscheidend. Zum Gewicht der Zurechnungsgründe im konkreten Fall lässt sich noch der Vergleich mit anderen Zurechnungsfällen anstellen. Bei vielen der untersuchten Zurechnungskonstellationen genügen ein oder zwei Zurechnungsgründe: Bei der Mittäterschaft die Absprache, bei der Grundrechtsbindung die Beherrschung, beim Grundrechtsreingriff unter anderem die Finalität. Im vorliegenden Fall liegen alle die genannten Gründe kumulativ vor. Dies spricht für ein deutliches Gewicht der hier herausgearbeiteten Argumente. 206 Zur Überfinanzierung der Fraktionen siehe nur Hobusch, MIP 2019, 51 ff.; Hobusch, DÖV 2018, 552 ff. beide mit weiteren Nachweisen.
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Der Schutzzweckzusammenhang ist abhängig von der zugrundeliegenden Hauptnorm. Es wurde herausgearbeitet, dass eine Zuordnung als Teil der Partei nicht notwendig mit allen Pflichten des Art. 21 GG belastet ist. Die Erstreckung der innerparteilichen Demokratie auf die Stiftungen ist nach der Schutzzweckbetrachtung ausgenommen, da hier keine Umgehunggefahr besteht. Bei der Transparenzpflicht besteht eine solche Gefahr ebenso wie bei der staatlichen Finanzierung außerhalb der Obergrenzen der Parteien aber sehr wohl. Die Zurechnung zur Partei in Bezug auf die Rechenschaftspflicht liegt also hier im Schutzzweck. Weder Partei noch Stiftung haben darüber hinaus ein schutzwürdiges Interesse an der Beibehaltung der nicht erfolgenden Erstreckung der Rechenschaftspflicht auf die Stiftung. Dagegen sind die Interessen der Bürger und der anderen Parteien schutzwürdig. Ihr Interesse an einer weitgehenden Transparenz der Stiftungsfinanzen lässt sich normativ an Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG anknüpfen. Als Gegenargument ließe sich in Bezug auf die Unterwerfung unter die Finanzierungsobergrenzen ins Feld führen, dass dies das Ende der Stiftungsfinanzierung bedeuten würde. Dies muss aber nicht der Fall sein. Selbst wenn man die Stiftungen nach der derzeitigen Ausgestaltung als Teil der Partei betrachtet, schließt dies eine mögliche Änderung der Verhältnisse nicht aus. Die Parteien müssen eine derartige Veränderung inklusive eines Parteistiftungsgesetzes207 nur wollen. Die Arbeit der Stiftungen soll dadurch nicht beendet werden, sie bedarf aber einer anderen rechtlichen Grundlage und einer wirklichen Unabhängigkeit von den Parteien. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind sie nämlich zu einer Art „Schrödingers Katze“208 im Parteiumfeld mutiert: Sie müssen parteinah und parteifern zugleich sein, was aber in Anbetracht ihrer Aufgaben, Mitglieder und Ausrichtung eine Aporie darstellt. Daneben bedarf es aufgrund der Rechtsprechungsänderung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr der Konstruktion, die Stiftungen als unabhängige Organisationen als Zuwendungsempfänger in Stellung zu bringen, da eine direkte staatliche Teilfinanzierung der Parteien mittlerweile möglich ist.209 Der Verweis auf die bestehende rechtliche Selbständigkeit der Stiftungen ist kein valides Argument gegen eine Zurechnung. Die bestehende rechtliche Selbständigkeit ist lediglich Ausgangspunkt, nicht Ende der Untersuchung. Nur wenn 207
Dazu etwa Geerlings, ZParl 34 (2003), 768, 776; Geerlings, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Probleme bei der staatlichen Finanzierung parteinaher Stiftungen, 2003, S. 173 ff.; Kretschmer/Morlok/Merten, ZG 2000, 41, 44 ff. 208 Hobusch, Millionen für die Parteiarbeit, 03.06.2019 (https://www.lto.de/recht/hintergru ende/h/finanzierung-parteinah-stiftungen-organstreit-bverfg/) (geprüft am 24.02.2023); Hobusch, Parteinahe Stiftungen sind Partei-Stiftungen, 21.08.2020 (https://verfassungsblog.de/ parteinahe-stiftungen-sind-partei-stiftungen/) (geprüft am 24.02.2023). 209 So etwa Morlok, MIP 1996, 7, 12.
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die Mittelbarkeit zu bejahen ist und kein positiver Zurechnungsgrund ersichtlich ist, kann die Mittelbarkeit allein als Zurechnungsausschlussgrund genügen. Ansonsten müsste auch bei der Zurechnung der Verhaltensweisen des Mittäters stets betont werden, dieser sei ja ein eigenes Rechtssubjekt, weshalb eine Zurechnung ausscheide, und auch bei der Grundrechtsgebundenheit staatlich beherrschter Unternehmen würde dann die Betrachtung enden mit der Feststellung, es handele sich bei dem Unternehmen um ein eigenes Rechtssubjekt. Dies wird richtigerweise in den genannten Fällen nicht so gehandhabt, schließlich dient die Fremdzurechnung gerade der Zuordnung von Merkmalen eines Subjekts zum anderen: Es bedarf dazu schlicht nur der entsprechenden Begründung. Insgesamt kann mit dem Zurechnungsmodell eine Unterstellung der parteinahen Stiftungen unter die Regelung des Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG begründet werden. Nach den genannten Argumenten erscheint es sachgerecht, die Stiftungen den Transparenz- und Finanzierungsregelungen der Parteien zu unterwerfen. Die herausgearbeiteten Zurechnungsgründe haben die Möglichkeit eröffnet, die zum Teil bereits bestehende Argumentation neu zu strukturieren. Daneben konnten auch weitere Aspekte wie der Rechtsschein, die Absprache oder die Finalität aufgefunden werden, die in der bisherigen Diskussion weniger deutlich zum Tragen kommen.
II. Parteiverbot Auch beim Parteiverbot sind Zurechnungsfragen von Relevanz. Hier ist unter anderem problematisch, das Handeln welcher Personen oder Personengruppen für die Bewertung der Verbotsentscheidung von Relevanz ist. Die Bearbeitung folgt auch hier dem obigen Aufbau: Nach einer Darstellung der bisherigen rechtlichen Erfassung (1.) wird die Übereinstimmung mit der Zurechnungsdefinition untersucht (2.). Im Anschluss werden abstrakte Gemeinsamkeiten zwischen der bisherigen rechtlichen Diskussion und den Zurechnungsgründen herausgearbeitet (3.). Schließlich wird nach einer kurzen Sachverhaltsdarstellung zum AfD-„Flügel“ (4.) die Frage beleuchtet, ob sich die AfD das Verhalten dieses Personenkreises in einem etwaigen Verbotsverfahren unter Zugrundelegung des hiesigen Modells zurechnen lassen muss (5.). 1. Bisherige rechtliche Erfassung Der für das Parteiverbotsverfahren maßgebliche Art. 21 Abs. 2 GG lautet:
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„Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“
Demnach bestehen zur Charakterisierung der verfassungswidrigen Partei zwei grundlegende Tatbestandsmerkmale, die es zu unterscheiden gilt: Zum einen ist eine Partei verfassungswidrig, die nach ihren Zielen darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigten oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik zu gefährden. Daneben kann eine Partei auch – unabhängig von ihren Zielen – aufgrund des Verhaltens ihrer Anhänger darauf ausgehen, die oben genannten Schutzgüter zu beeinträchtigen. Nimmt man den Wortlaut also ernst, so sind die Ziele der Partei als auch das Verhalten der Anhänger die einzigen Erkenntnisquellen, aus denen sich die Grundlage für die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit ergibt.210 a) Ziele der Partei Die Ziele der Partei können vergleichsweise einfach objektiv nachgeprüft werden. Dabei lässt sich auf schriftliche niedergelegte Ziele, etwa Wahlprogramme, aber auch das „allgemeine“ Programm i. S. v. § 6 Abs. 1 S. 1 PartG abstellen. Daneben kann hier auf Parteiveröffentlichungen, Programmveröffentlichungen, Wahlkampfmaterial oder sonstige Öffentlichkeitsarbeit und „Schriften der von der Partei als maßgebend anerkannten Autoren“211 zurückgegriffen werden. Auch von der Partei beeinflusste Zeitungen oder Zeitschriften sowie Reden hervorgehobener Vertreter212, aber sogar auch mündliche Äußerungen der Mitglieder213 sind bei der Bestimmung relevant. Denn stellte man nur auf die (geschriebenen) Parteiprogramme ab, so würde dies nur solche Parteien betreffen, die offen und 210 Vgl. BVerfGE 144, 20, 214 Rn. 557; für die Literatur statt aller Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 535; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 150. 211 Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 96; beinahe wortgleich Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 7 2018, Art. 21 Rn. 234. Diese Formulierung findet sich in nahezu allen Kommentierungen und in BVerfGE 144, 20, 214 Rn. 558, gleichwohl nicht ohne weiteres klar ist, wie die Partei Autoren in einen solchen „Stand“ erheben kann. 212 Auch die vorgenannten Punkte nennt allesamt BVerfGE 144, 20, 214 Rn. 558 mit Verweis auf BVerfGE 5, 85, 144; wortgleich etwa Ipsen/Koch, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 9 2021, Art. 21 Rn. 155; Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 234. 213 Klafki, in: Kämmerer/Kotzur (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 72021, Art. 21 Rn. 107; Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 96; Kunig, in: Böckenförde/Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32005, § 40 Rn. 50.
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geradezu „plump“ ihre (verfassungsfeindlichen) Ziele formulieren, während möglicherweise gefährlichere Parteien mit subversiveren Methoden nicht erfasst wären.214 Es kommt mithin nicht auf die geschriebenen, sondern die tatsächlichen Ziele an215, denn es dürfte sogar die Regel sein, dass verfassungsfeindliche Parteien ihre derartigen Ziele nicht offen verkünden.216 Die Zielbestimmung lässt sich folglich mit dem „Gesamtbild der ‚Reden der führenden Funktionäre‘“217 umschreiben. Auffällig ist, dass die Zielbestimmung nicht ohne Rückgriff auf das Handeln der Mitglieder auskommt. Bereits an dieser Stelle ist das Verhältnis der Mitglieder oder herausgehobener Funktionäre zur Partei relevant und nicht erst beim Tatbestandsmerkmal des Verhaltens der Anhänger218, es besteht folglich eine Wechselwirkung zwischen beiden Merkmalen.219 Äußerungen einfacher oder führender Mitglieder werden der Partei in Bezug auf die geäußerten Ziele zugerechnet. Die entäußerten Ziele der Mitglieder werden als solche der Partei behandelt. Auch hierin liegt folglich ein Zurechnungsakt. b) Das Verhalten der Anhänger Das Verhalten der Anhänger als Tatbestandsmerkmal ist dagegen weit weniger klar zu bestimmen. Hier stellen sich zunächst diverse Anschlussfragen: Wer gehört zu dem adressierten Personenkreis der „Anhänger“ einer Partei? Sind es die Mitglieder, sind es lediglich Sympathisanten? Und wie lässt sich vom Verhalten der Anhänger auf die Partei schließen, welche Verbindung muss bestehen? Bereits nach diesen einleitenden Fragen wird deutlich, dass auch hier ein Zurechnungsproblem220 besteht: Wessen Verhalten wird der Partei zugerechnet, sodass 214
Zutreffend bereits Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 96. 215 Gusy, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 32001, Art. 21 Rn. 123. 216 Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 536 mit Verweis auf BVerfGE 5, 85, 144; 144, 20, 215 Rn. 559. 217 Kunig, in: Böckenförde/Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32005, § 40 Rn. 50. 218 Zu der Verquickung dieser beiden Voraussetzungen Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 96; Gusy, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 32001, Art. 21 Rn. 123; Kunig, in: Böckenförde/Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32005, § 40 Rn. 52. 219 BVerfGE 2, 1, 22; 5, 85, 144; Pieroth, in: Jarass/Kment (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 162020, Art. 21 Rn. 48; Kunig, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 62012, Art. 21 Rn. 78. 220 Die Zuordnung des „Verhaltens der Anhänger“ zur Partei wird in der Literatur auch als
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jene als verfassungswidrig eingestuft wird? Welche Kriterien beschreiben die Zurechnung zwischen Partei und Anhängern und wie kann der Zurechnungszusammenhang unterbrochen werden? Damit lässt sich in personeller wie in inhaltlicher Hinsicht differenzieren zum einen danach, wer Anhänger ist, zum anderen danach, wie die Anhänger und die Partei handeln oder nichthandeln müssen, um eine Zurechnung herzustellen oder zu unterbrechen. aa) Erfasster Personenkreis In personeller Hinsicht ist zunächst anzumerken, dass der Begriff der Anhänger einen größeren Personenkreis umfasst als die Parteimitglieder. Unter den Begriff der Anhängerschaft sollen nach der – im Schrifttum auf breite Zustimmung gestoßenen221 – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch Personen fallen, die sich zur Partei lediglich „bekennen“ oder sich für sie „einsetzen“ ohne Mitglied zu sein.222 Dies umfasst beispielsweise Wähler, Veranstaltungsbesucher oder Sympathisanten.223 Der weite Begriff ist notwendig, um auch die Nebenorganisationen im Parteiumfeld in die Betrachtung mit einzubeziehen.224 Das Gericht geht zutreffend davon aus, der Begriff der Anhänger einer Partei genüge dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot und sei nicht uferlos.225
Problem der Zurechnung bzw. Zurechenbarkeit bezeichnet. Siehe etwa Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 52 (Zurechenbarkeit); Grzeszick/Rauber, in: Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 142018, Art. 21 Rn. 140 (Zurechenbarkeit); Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 538 (Zurechenbarkeit); Klafki, in: Kämmerer/Kotzur (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 72021, Art. 21 Rn. 107 (Zurechnung); Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 96 (Zurechnung); Gusy, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 32001, Art. 21 Rn. 123 (Zurechnung); ebenso BVerfGE 144, 20, 215 Rn. 561. 221 Nachweise bei Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 235; Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 96; Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 537; Pieroth, in: Jarass/Kment (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 162020, Art. 21 Rn. 48; Kunig, in: Böckenförde/Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32005, § 40 Rn. 51. 222 So bereits BVerfGE 2, 1, 22; ausdrücklich bestätigt in BVerfGE 144, 20, 215 Rn. 560. 223 Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 236. 224 So etwa Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 537. 225 BVerfGE 144, 20, 215, Rn. 560.
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bb) Allgemeine Anforderungen an das Verhalten Nicht jedes Verhalten der weit verstandenen Anhängerschaft muss sich die Partei vorhalten lassen. Die Partei trifft keine umfassende, gelegenheitsunabhängige Haftung für das Verhalten oder Fehlverhalten ihrer Mitglieder oder Anhänger.226 Es bedarf eines Zurechnungszusammenhangs, damit keine unbegrenzte Verantwortlichkeit entsteht, die „eine Massenorganisation mit informeller Gefolgschaft gar nicht tragen kann“227. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu ausgeführt, dass eine Zurechnung „problematisch“ sei, wenn die Partei keinerlei Möglichkeit der Beeinflussung habe.228 Entscheidend sei daher, ob sich in dem Verhalten des Anhängers der Wille der Partei zeige, ob sich darin eine „Grundtendenz“ der Partei widerspiegele oder die Partei sich das Verhalten zu eigen mache.229 Auch in der Literatur wird vorgebracht, eine Zurechnung von Verhalten der Anhänger könne allgemein nur so weit reichen wie die Einflussmöglichkeiten der Partei, es fehle an einer „generellen Zurechnungsmöglichkeit“.230 Die Zurechnung orientiere sich am „Grad der Einflussmöglichkeiten“.231 Teilweise wird die zurückhaltende Zurechnung auch mit dem Schutzzweck der Norm begründet, wonach einseitiges Verhalten Dritter allein nicht in der Lage sei, eine Zurechnung zur Partei begründen.232 Parteiseitig bedürfe es danach eines eigenen Verhaltens oder jedenfalls eines qualifizierten Unterlassens.233 226
Vgl. nur Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 236. Ders., in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 236. 228 BVerfGE 144, 20, 215 Rn. 561. 229 BVerfGE 144, 20, 215 Rn. 561. Rein technisch begeht das BVerfG hier einen Fehler und schließt zwei Ebenen miteinander kurz. Denn es ist zu scheiden zwischen der Frage, welches Verhalten der Partei zugerechnet wird und der Frage, ob sich in diesem Verhalten eine Grundtendenz der Partei widerspiegelt. Daneben erscheint die Behauptung tautologisch: Nicht erst dann, wenn ein Verhalten der Grundtendenz entspricht, wird es zugerechnet. Ganz im Gegenteil wäre dann die Zurechnung des Verhaltens einiger Anhänger von einer Grundtendenz abhängig, die wiederum vom Verhalten der Anhänger bestimmt wird. Treffender formuliert es Kunig: Zwischen den Zielen der Partei und dem Verhalten bestehe eine Wechselwirkung, die Ziele könnten sich im Verhalten der Anhänger spiegeln und das Verhalten der Anhänger könne Schlüsse auf die Zielsetzung der Partei zulassen. Diese Wechselwirkung trifft aber keine Aussage über die Zurechnung von Verhalten zur Partei, denn diese findet in beiden Fällen gleichlaufend statt, das Verhalten der Mitglieder wird Zielen oder Handlungen der Partei zugeordnet. 230 Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 236. 231 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 152. 232 Vgl. Kunig, in: Böckenförde/Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32005, § 40 Rn. 51. Anders aber ders., in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 62012, Art. 21 Rn. 77, wonach auch eine Pflicht zur Distanzierung die Zurechnung auslösen können soll. 233 Kunig, in: Böckenförde/Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32005, § 40 Rn. 52. 227
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Neben diesen allgemeinen Voraussetzungen lässt sich nach dem Verhalten verschiedener Personengruppen differenzieren: Unterscheiden lassen sich Handlungen der Organe der Partei oder führender Mitglieder, Verhalten einfacher Mitglieder und von Anhängern, die keine Mitglieder sind. Je nach Personengruppe können unterschiedliche Anforderungen für die Zurechnung formuliert werden. cc) Verhalten von Organen, führenden Funktionären, Abgeordneten Unproblematisch234 sind der Partei die Tätigkeiten ihrer Organe, insbesondere der Parteiführung und leitender Funktionäre zuzurechnen235, daneben gilt dies für „Publikationsorgane der Partei“236 sowie für „führende Funktionäre von Teil organisationen“237, aber auch Nebenorganisationen.238 Der Partei zugerechnet werden auch Äußerungen ihrer Abgeordneten239, da diese herausgehobene Persönlichkeiten und „Sprachrohre“ einer Partei darstellen. Dies gilt sogar bei an sich unter Art. 46 Abs. 1 GG fallenden parlamentarischen Äußerungen, da die Indemnität das freie Mandat absichert, nicht aber den Schutz einer verfassungsfeindlichen Partei bezweckt.240 Dies führt indes dazu, dass die mittelbare Folge des Parteiverbots, nämlich der Verlust sämtlicher durch die Partei errungenen Mandate, auch wieder auf die Abgeordneten zurückfällt, was eine mittelbare Verwendung der parlamentarischen Äußerungen gegen die Abgeordneten selbst bedeutet.241 Der Mandatsverlust wird von Teilen der Lite-
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BVerfGE 144, 20, 216 Rn. 562: „Ohne weiteres“ zurechenbar. Siehe BVerfGE 144, 20, 216 Rn. 562; Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 7 2018, Art. 21 Rn. 237; Grzeszick/Rauber, in: Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 142018, Art. 21 Rn. 140. Gleichwohl bleibt auch beim Bundesverfassungsgericht unklar, welche Ebene unter „führende Funktionäre“ zu verstehen ist, ob darunter beispielsweise Vorstandsmitglieder von Kreisverbänden oder Landesverbänden fallen. 236 BVerfGE 144, 20, 216 Rn. 562. 237 BVerfGE 144, 20, 216 Rn. 562. 238 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 152 Fn. 535, schränkt dies freilich ein bei „deutlichen Distanzierungen“; obgleich sich der Verbotsausspruch selbst nicht auf Nebenorganisationen erstreckt, siehe nur Gusy, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 32001, Art. 21 Rn. 116 und bereits Kölble, AöR 87 (1962), 48, 50 m. w. N.; Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 537 merkt an, dass der Verfassunggeber in Ansehung der Organisationsfreiheit der Parteien das Parteiumfeld ganz bewusst in die Betrachtung einbeziehen wollte. 239 BVerfGE 144, 20, 217 ff. Rn. 567 ff. Aus der Literatur etwa Leisner, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, 42018, Art. 21 Rn. 38. 240 Gebilligt in BVerfGE 144, 20, 215 ff.; Siehe auch Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 540. 241 Siehe dazu BVerfGE 144, 20, 218 Rn. 568. 235
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ratur ohnehin als verfassungsrechtlich problematisch betrachtet.242 Das Bundesverfassungsgericht hat zuletzt in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung243 angedeutet244, den Mandatsverlust nicht als zwangsläufige Folge des Verbotsausspruchs anzusehen, wenn die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit der Partei überwiegend auf innerparlamentarische Äußerungen der Abgeordneten gestützt wird.245 Steht ein solcher automatischer Mandatsverlust nicht im Raum, so spricht erst recht nichts gegen eine Zurechnung von parlamentarischen Äußerungen im Parteiverbotsverfahren. dd) Verhalten einfacher Mitglieder Handeln einfache Mitglieder und besteht ein organisatorischer Zusammenhang zwischen dem Verhalten und der Partei, etwa durch den Auftritt auf Parteiveranstaltungen oder durch sonstige Zusammenhänge mit Aktivitäten der Partei, dann soll eine Zurechnung naheliegen.246 Fehlt es an einer organisatorischen Verknüpfung, so bedarf es parteiseitig einer Billigung oder Duldung der Handlungen, um eine Zurechnung herstellen zu können.247 Eine Zurechnung ist demnach anzunehmen, wenn das Verhalten trotz Kenntnis der Partei geduldet oder unterstützt wird, obgleich Gegenmaßnahmen denkbar und der Partei zuzumuten wären.248 242 Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 249; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 156; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 201999, Rn. 601; kritisch wohl auch Grzeszick/Rauber, in: Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 142018, Art. 21 Rn. 156; kritisch zu einer Anwendung des Mandatsverlusts unmittelbar aus Art. 21 Abs. 2 GG Ipsen/Koch, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Art. 21 Rn. 198 ff., die allerdings die Entscheidung dem einfachen Gesetzgeber zuschlagen wollen. Das freie Mandat verbiete jedenfalls nicht eine derartige Regelung, sie sei sogar verfassungspolitisch notwendig, wie die Erfahrungen aus der Weimarer Republik zeigten, siehe Rn. 199 f.; ähnlich Henke, in: Kahl (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, November 1991, Art. 21 Rn. 108. 243 Auch in den ersten Entscheidungen des BVerfG zum Parteiverbot hat das Gericht den Mandatsverlust unmittelbar auf Art. 21 Abs. 2 GG gestützt, siehe BVerfGE 2, 1, 75 und 77, bestätigt in BVerfGE 5, 85, 392. Das Gericht ging hier von einem Vorrang des Art. 21 vor Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG aus. Kritisch dazu etwa Henke, in: Kahl (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, November 1991, Art. 21 Rn. 106 ff., insbesondere Rn. 108. 244 BVerfGE 144, 20, 218 f. Rn. 569. 245 Ebenso interpretieren auch Grzeszick/Rauber, in: Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 14 2018, Art. 21 Rn. 156 die neuere Rechtsprechung aus dem NPD-Urteil. 246 BVerfGE 144, 20, 216, Rn. 563. 247 Das BVerfG fordert neben Billigung oder Duldung noch eine Handlung „im politischen Kontext“, siehe BVerfGE 144, 20, 216 Rn. 563, dazu noch sogleich. 248 Vgl. BVerfGE 144, 20, 216 Rn. 563; ebenso Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 237; Grzeszick/Rauber, in: Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 142018, Art. 21 Rn. 140; ähnlich Kunig, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 62012, Art. 21
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Als denkbare Sanktion ist hier an Rügen, Parteiausschlüsse249, öffentliche Missbilligung oder Distanzierung durch die Partei zu denken.250 Billigt oder duldet die Partei trotz der Möglichkeit einer Disziplinierung der Mitglieder also ein Verhalten, welches sie durch Gegenmaßnahmen verhindern könnte, muss sie es sich zurechnen lassen.251 ee) Verhalten der Parteianhänger Bei Personen, die keine Mitglieder, aber gleichwohl Anhänger einer Partei sind, werden die Anforderungen unterschiedlich umschrieben. Ausgangspunkt der Bewertung ist zunächst, dass es zur Zurechnungsbegründung einer „nachvollziehbaren Kontinuität der Beziehung des Individuums zur Partei“252 bedarf. Die Zurechnung des Anhängerverhaltens ist zur Sicherung vor Umgehungen notwendig, da sich die Partei sonst mit dem Hinweis, die Handelnden seien nur Anhänger und nicht Mitglieder der Partei, von dem Verhalten lossagen könnte, obgleich die Partei durch die Handlungsweisen beeinflusst wird.253 Die Partei soll die „Drecksarbeit“254 nicht auslagern können und es soll ein mögliches „Doppelspiel“255 verhindert werden. Differenzieren lässt sich nach aktiven Handlungsweisen der Partei in Bezug auf das Anhängerverhalten und dem bloßen Dulden oder Unterlassen. Bekennt sich die Partei durch ihre Organe explizit zu einem Verhalten der Anhänger oder unterstützt die Partei aktiv die Handlungen der Anhänger, dann bestehen gegen die Zurechnung keine Bedenken.256 Rn. 77 f.; auf eine Duldung trotz Gegenmaßnahmen zur Zurechnungsbegründung stellt Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 152 insb. Fn. 535 ab. 249 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 152; Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 540. 250 Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 237; Kunig, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 62012, Art. 21 Rn. 77; siehe auch Grzeszick/Rauber, in: Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 142018, Art. 21 Rn. 140. 251 „Die Partei“ kann freilich nichts unterlassen, sie ist ja nur eine organisatorische Hülle, im Falle eines rechtsfähigen Vereins eine juristische Person, die allein für sich genommen nicht handeln und auch nichts unterlassen kann. Streng genommen ist ein „Unterlassen der Partei“, welches zu einer Zurechnung führt, also vielmehr ein Unterlassen der Parteiführung bzw. der Organe der Partei. Diese haben schließlich die weitestgehenden Ordnungsmaßnahmen zur Verfügung, um sich gegen entsprechende Bestrebungen zur Wehr zu setzen. Zur besonderen Wichtigkeit der Betrachtung der Parteiführung insbesondere bei der Zurechnung von Verhalten einfacher Mitglieder Kunig, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 62012, Art. 21 Rn. 78. 252 Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 152 Fn. 535. 253 BVerfGE 144, 20, 216 Rn. 564. 254 Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 235. 255 Ders., in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 236. 256 Das BVerfG spricht in E 144, 20, 216 Rn. 564 von einer nicht näher konkretisierten
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Gegen eine Zurechnung des Anhängerverhaltens bei einem Dulden oder Unterlassen der Partei wird teilweise vorgebracht, es bestehe für die Partei keine Rechtspflicht zum Handeln und ihr sei ein Unterlassen dem Grunde nach nicht vorzuwerfen, da die Verteidigung der in Art. 21 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter nicht ihre Rechtspflicht sei.257 Allerdings erscheint dies in der geäußerten Pauschalität nicht haltbar, weil nicht zwischen den möglichen Personengruppen differenziert wird. Für die Mitglieder wird schließlich sehr wohl eine Zurechnung durch Unterlassen der Partei, nämlich durch Duldung, angenommen. Gemeint sein dürfte mit der Wendung damit eher, dass Parteien keine von Personen völlig unabhängige Garantenpflicht für die in Art. 21 Abs. 2 GG genannten Schutzgüter innehaben. Dass aber die Partei bei eigenen Mitgliedern und auch bei Anhängern durch Billigung oder Duldung auch durch ein Unterlassen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG gefährden kann, ist etwas anderes.258 Daran anschließend wird im überwiegenden Teil der Literatur auch die Möglichkeit einer Zurechnung ohne aktive Handlung der Partei durch „qualifiziertes Unterlassen“259 oder Duldung angenommen.260 Als Rechtsgrund für eine derartige Zurechnung wird die „Verantwortlichkeit, die mit der Einräumung der Mitwirkungsbefugnis an der politischen Willensbildung untrennbar verbunden ist“261 bezeichnet. Die Aufgabenbeschreibung der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG enthalte eine „Verantwortlichkeit […], sich von bemerkbaren Äußerungen von Bekennern zu distanzieren, um die Zurechenbarkeit von deren Äußerungen zur Partei auszuschließen.“262
„Beeinflussung“ durch die Partei zur Zurechnungsbegründung. Siehe außerdem Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 539; Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 96. 257 Siehe etwa Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 237; ähnlich bei Pieroth, in: Jarass/Kment (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 162020, Art. 21 Rn. 32; Gusy, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 32001, Art. 21 Rn. 123. 258 Ebenso Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 96. 259 Kunig, in: Böckenförde/Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32005, § 40 Rn. 52. 260 Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 96; Kluth, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 4715.05.2021, Art. 21 Rn. 208. Von einem konkludenten Bekennen spricht Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 538. 261 Kunig, in: Böckenförde/Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32005, § 40 Rn. 52. 262 Ders., in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 62012, Art. 21 Rn. 77.
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Die Kriterien für eine Zurechnung des Verhaltens der Anhänger bei Unterlassen der Partei werden dabei unterschiedlich umschrieben, es wird eine Vielzahl von Kriterien angeboten, nach denen die Beurteilung erfolgen soll. Eine Zurechnung wird zunächst bei einer Billigung durch die der Parteiführung263, aber auch bei einer Zusammenarbeit oder Billigung durch die Mitglieder angenommen.264 Auch eine nachträgliche Billigung sei ausreichend, wenn die Partei sich die Aktivitäten als Teil ihrer eigenen Handlungen zu eigen macht.265 Daneben soll eine Zurechnung angenommen werden, wenn die Partei das Anhängerverhalten, welches sich beispielsweise im Zusammenhang mit Parteiaktivitäten oder in einem anderen Parteizusammenhang ergibt266, verhindern oder sich davon distanzieren könnte267, dies aber trotz bestehender Möglichkeit nicht tut und sich das Verhalten so „faktisch zu eigen macht“.268 Der Grundgedanke dieser Begrenzung der Zurechnung liegt darin, dass die Verantwortlichkeit nur soweit reichen soll wie die Einflussmöglichkeiten der Partei.269 Als derartige zurechnungshemmende Gegenmaßnahmen werden Ordnungsmaßnahmen270, die Auflösung „organisatorischer Verknüpfungen“271 oder jedenfalls öffentliche Distanzierungen bezeichnet272, zum Teil wird auch unspezifisch auf eine „unschwer mögliche“273 oder „zumutbare“274 Verhinderungsmöglichkeit abgestellt. 263 Eine Beschränkung auf die Organe der Partei nimmt hier Klein, in: Scholz/Herdegen/ Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 539 vor. 264 Aus der Literatur Kunig, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 62012, Art. 21 Rn. 78. Nicht näher konkretisierend spricht BVerfGE 144, 20, 216 Rn. 564 von einer „Billigung der Partei“. Ohne Differenzierung etwa auch die Neukommentierung von Klafki, in: Kämmerer/Kotzur (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 72021, Art. 21 Rn. 107. 265 Erneut BVerfGE, 144, 20, 216 Rn. 564. 266 BVerfGE 144, 20, 216 Rn. 563 spricht bei Mitgliedern von einem „Zusammenhang mit einer Parteiveranstaltung“ oder von einem „organisatorischen Zusammenhang“. Diese Beschreibung der Verbindung zur Partei wird man auch bei der Zurechnung von Anhängerverhalten anwenden können. 267 Vgl. etwa Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 237. 268 Kluth, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 4715.05.2021, Art. 21 Rn. 208. 269 BVerfGE 144, 20, 215 Rn. 561; Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 7 2018, Art. 21 Rn. 236; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 152. 270 BVerfGE, 144, 20, 216 Rn. 563 in Bezug auf Mitglieder. 271 Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 539. 272 Kluth, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 4715.05.2021, Art. 21 Rn. 208; Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 237; Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 152. 273 Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 96. 274 BVerfGE, 144, 20, 216 Rn. 563 erneut in Bezug auf Mitglieder.
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Als weitere Kriterien für die Bestimmung der Zurechnung wird daneben auch auf die „Massivität“ und „Häufigkeit“ des Verhaltens abgestellt275: Je massiver und je häufiger das Anhängerverhalten auftritt, desto eher muss sich die Partei dies auch bei fehlender aktiver Teilnahme daran zurechnen lassen. Weiterhin wird auch auf die Nähe zur Partei zurückgegriffen: Je näher die betreffenden Personen an der Parteiführung sind, desto niedriger sind die Anforderungen an die Zurechnung, je weiter weg die Personen stehen, desto höher sind die Anforderungen.276 Weiterhin wird darauf verwiesen, die in Betracht kommenden Kriterien seien wegen der „Fülle der Umstände“ nicht abstrakt-generell abschließend bestimmbar, sondern immer einzelfallbezogen.277 Auch das Bundesverfassungsgericht hat im NPD-Urteil keinen abschließenden Katalog an Erwägungen vorgestellt, sondern sich mit offenen und ausfüllungsbedürftigen Begrifflichkeiten – etwa einer „wie auch immer gearteten […] Beeinflussung“ – begnügt.278 ff) Begrenzung der Zurechnung Die genannte Zurechnung wird indes begrenzt durch weitere Merkmale. (1) Handeln „als Anhänger“ Zum einen begrenzt das Bundesverfassungsgericht die Zurechnung auf Handlungen der Anhängerschaft „im politischen Kontext“279. Das Gericht will beispielsweise nur Straftaten „im Zusammenhang mit Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG“ beziehungsweise solche mit politischem Hintergrund als relevant ansehen.280 Sinn und Zweck ist dabei, nicht von privaten Verfehlungen oder Straftaten auf solche der Partei zu schließen. Private Verfehlungen, die in keinem Zusammenhang mit 275 Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 96, insb. Fn. 634; Gusy, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 32001, Art. 21 Rn. 123. 276 Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 96, insb. Fn. 634; Gusy, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 32001, Art. 21 Rn. 123. 277 Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 538 mit Verweis auf BVerfGE 144, 20, 215 ff. Rn. 561 ff. Vgl. auch Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 96, insb. Fn. 634. 278 BVerfGE 144, 20, 216 Rn. 564. 279 BVerfGE 144, 20, 216 Rn. 563, siehe bereits § 5 Fn. 246. 280 BVerfGE 144, 20, 216 f. Rn. 563 und 565.
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dem Engagement oder der Unterstützung der Partei stehen, sollen dieser nicht zum Nachteil gereichen. In der Literatur wird dieses Kriterium zwar aufgegriffen, die Bezeichnung variiert allerdings, so wird teilweise davon gesprochen, dass die Parteimitglieder „als solche“ handeln müssten.281 Wie diese Zuordnung zu bewerkstelligen ist, bleibt indes unklar. Worin sich zeigen soll, ob eine Straftat oder Handlung „als Mitglied“ oder „als Privatperson“ begangen wird, ist schwerlich zu bestimmen. Jedenfalls dürften rein subjektive Motive der Handelnden nicht entscheidend sein, ansonsten hätten diese es in der Hand, je nach Motivlage eine Zurechnung herzustellen oder zu unterbrechen – und auf den Willen des Zurechnungssubjekts kommt es schließlich nicht an282. Es dürfte auch hier auf eine wertende Betrachtung des Einzelfalls hinauslaufen, etwa der konkreten Umstände der Handlung, der sachlichen, organisatorischen Verknüpfung der Handlungen mit der Partei oder jedenfalls einer Zuordnung der Handlungen zu einer politischen Sphäre.283 (2) Parteiwille Zum anderen wird die Rückkopplung auf den Parteiwillen als weitere Begrenzung eingeführt. Das Verhalten der Anhängerschaft, insbesondere in Bezug auf die Begehung von Straftaten, sei einer Partei nur dann zuzurechnen, wenn es als Ausdruck des Parteiwillens angesehen werden könne.284 Demnach verbleibt nach dem Bundesverfassungsgericht nur dann eine Zurechnung, wenn sie „erkennbar von der Partei beeinflusst sind und die Partei sich davon trotz Kenntnisnahme nicht distanziert beziehungsweise die Straftaten sogar gutheißt“.285 Das Verhalten der Anhänger soll dann dem Parteiwillen entsprechen, wenn das Verhalten eine vorhandene Grundtendenz widerspiegelt oder die Partei sich das Verhalten zu eigen macht.286 Die Grundtendenz soll wiederum aus dem zuge281 Ipsen/Koch, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 92021, Art. 21 Rn. 157; Streinz, in: Huber/ Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 236. 282 Siehe zum Zurechnungsgrund des Willens oben § 3 D. III und § 4 A. II. 3. 283 Die Zuordnung, ob „als Parteimitglied“ oder „als Privater“ gehandelt wurde, erinnert an verschiedene Zurechnungsprobleme aus dem Öffentlichen Recht, etwa der Neutralitätspflicht von Amtsträgern, da auch hier nach objektiven Umständen geprüft wird, in welcher „Sprecherrolle“ sich die Person befunden hat, aber auch der Spendenannahme von Parteien, wenn die Abgrenzung zwischen Partei- und Kandidatenspende vorzunehmen ist. Zur Neutralitätspflicht siehe nur oben § 2 D. IV. Zur Abgrenzung bei der Kandidatenspende zuletzt etwa Merten, MIP 2020, 158, 164 ff. oder Hobusch, Hemdsärmelig und illegal, 11.01.2020 (https://verfassungs blog.de/hemdsaermelig-und-illegal/) (geprüft am 24.02.2023). 284 Siehe etwa Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 540. 285 BVerfGE 144, 20, 217 Rn. 565. 286 BVerfGE 144, 20, 215 Rn. 561.
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rechneten Verhalten der Anhänger geschlussfolgert werden.287 Die Argumentation erscheint auf den ersten Blick zirkelschlussartig288, wenn ein Verhalten nur dann zugerechnet wird, sofern es einer Grundtendenz in der Partei entspricht, die Grundtendenz der Partei aber selbst aus dem Verhalten der Anhänger heraus bestimmt wird. Ob ein Verhalten also zugerechnet wird, hängt demnach von dem inhaltlich-politischen Verhalten der Mitglieder („Grundtendenz“) ab. Damit werden solche Verhaltensweisen, die nicht einer größeren Strömung der Partei angehören, von einer Zurechnung tendenziell ausgenommen und nur dann zugerechnet, wenn die Partei sich nicht distanziert oder sie gutheißt. (3) Berufung auf Grundrechte Eine Zurechnungsunterbrechung findet nicht allein deshalb statt, weil sich das Verhalten der Parteianhänger im Rahmen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit bewegt. Art. 21 Abs. 2 GG ist gerade dafür gedacht, diese Kundgaben zukünftig zu verbieten, daneben ist eine Versammlung durch die Partei solange möglich, wie die Partei nicht verboten ist. Wäre die Partei indes so lange nicht zu verbieten, wie sie sich legal versammeln kann, läge eine Tautologie vor, ein Verbot wäre unmöglich.289 (4) Bagatellschwelle Daneben wird eine weitere Einschränkung der Zurechnung angenommen und eine Art Bagatellschwelle eingeführt. So sollen nach der Literatur bloße „Einzelfälle“290, „Entgleisungen einzelner Mitglieder“291 oder „gelegentliches Ausrasten“292 für eine Zurechnung nicht ausreichen. Eine derartige Bagatellschwelle ist indes abzulehnen, jedenfalls wenn damit eine Zurechnung verneint wird. Zunächst ist kritisch zu beurteilen, dass die Intensität schon für die Zurechnung des Verhaltens der Anhänger herangezogen werden soll, ist die Abstufung, ob es sich um Einzelfälle oder um mehr handelt, doch diffus. Daneben erscheint auch mit Blick auf den Wortlaut die Intensität 287
Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 538 mit Verweis auf BVerfGE 144, 20, 215 Rn. 561 ff. 288 Siehe bereits die Kritik oben § 5 Fn. 229. 289 Zutreffend Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 50. EL 2016, Art. 21 Rn. 97. 290 Streinz, in: Huber/Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz, 72018, Art. 21 Rn. 237. 291 Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 538. Ähnlich BVerfGE 144, 20, 305 Rn. 841, welches eine Grundtendenz und keine Entgleisungen Einzelner als Voraussetzung nennt. 292 Ders., in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 539.
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eher in den Merkmalen des „darauf Ausgehens“, bei der Beeinträchtigung oder der Gefährdung aufzugehen, nicht aber im „Verhalten der Anhänger“. Derartige Einzelfälle dürften bereits über das Merkmal der erforderlichen Grundtendenz in der Partei herausgefiltert werden. Eine solche Schwelle verwischt außerdem die Grenzen zwischen den herauspräparierten Prüfungsschritten der Zurechnung und schließt sie kurz. Bei der Frage nach dem Verhalten der Anhänger steht in Frage, welches Verhalten überhaupt der Partei zugerechnet wird. Dies entscheidet sich nach den oben genannten Kriterien oder den Handlungen der Partei. Erst danach sind die dann der Partei zugerechneten Handlungen der Anhänger im Verbotsverfahren zu gewichten. Handelt es sich lediglich um irrelevante Einzelfälle, so ist ein Parteiverbot nicht angezeigt. Die Partei geht dann nach dem Gesamtbild des Verhaltens ihrer Anhänger, jedenfalls des fast ausschließlichen Teils, nicht auf eine Beseitigung, Beeinträchtigung oder Gefährdung der Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG aus, obgleich ihr das Handeln der Mitglieder dennoch als Verhalten der Anhänger zugerechnet wird. Auch beim vergleichbaren Fall der Zurechnung von Grundrechtseingriffen kommt es nicht auf die Intensität an. Nicht erst intensives Eingreifen ist dem Staat zuzurechnen, sondern auch kleinere Eingriffe, möglicherweise auch Bagatellen, denn auch hier besteht eine – wenn auch kleine – Verkürzung des grundrechtlichen Schutzbereichs, für den sich der Staat rechtfertigen muss. Die Intensität ist als Kriterium für eine Zurechnung untauglich, da sie nichts über die Herstellung von Verantwortlichkeit, als eher über das Gewicht der Verantwortlichkeit und die Anforderungen an eine Rechtfertigung verrät. Kurzum: Die Frage nach der Schwere der Beeinträchtigung beantwortet nicht, wer für die Beeinträchtigung verantwortlich ist.293 2. Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition Art. 21 Abs. 2 GG ist sowohl Hauptnorm als auch Zurechnungsnorm. Als Hauptnorm enthält sie originär vom Zurechnungsadressat selbst zu erfüllende Tatbestandsmerkmale, nämlich die Ziele der Partei und eine Rechtsfolge, allerdings ausdrücklich auch das Verhalten der Anhänger als ein Merkmal, welches nur durch Zurechnung erfüllt werden kann. Als Zurechnungsnorm stellt sie aber lediglich klar, dass das Verhalten der Anhänger zugerechnet werden soll, sie enthält folglich nur den Zurechnungsgegenstand und den Zurechnungsadressat. Die Kriterien, nach denen die Zurechnung des Verhaltens der Anhänger erfolgen soll, werden nicht genannt. Es handelt sich 293 Eine ähnliche Argumentation findet sich bei der Diskussion zum Grundrechtseingriff, siehe dazu § 2 D. III. 1.
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damit um eine geschriebene, aber unvollkommene Zurechnung in Form der Auslegung des Merkmals „Verhalten ihrer Anhänger“. Bei der Konstellation handelt es sich daneben um eine Fremdzurechnung, da Merkmale eines anderen Subjekts Zurechnungsgegenstand sind. 3. Gemeinsamkeiten mit dem Zurechnungsmodell Auch bei den bisher vorgebrachten Kriterien zur Bestimmung der Zurechnung des Anhängerverhaltens lassen sich die im Zurechnungsmodell herausgearbeiteten Zurechnungsgründe wiedererkennen. Wenn teilweise Kenntnis der Partei vom Anhängerverhalten gefordert wird, lässt sich dies mit der Vorhersehbarkeit oder der Kenntnis als Zurechnungsgründe verbinden: Da die positive Kenntnis häufig leerzulaufen droht, genügt Kennenmüssen, was bei einem hohen Grad an Vorhersehbarkeit gegeben ist. Je höher die Vorhersehbarkeit, desto näher ist diese Voraussetzung an der tatsächlichen positiven Kenntnis. Dreh- und Angelpunkt der rechtlichen Begründung der Zurechnung bei Mitgliedern aber auch bei Anhängern ist die Billigung oder ein entsprechendes Bekennen durch die Partei. Beides kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich hier mit der Formulierung einer „wie auch immer geartete[n] Beeinflussung oder Billigung“294 alle Türen offengehalten. Beim ausdrücklichen Gutheißen der Tätigkeiten ist die Zurechnung wesentlich offenkundiger als bei der konkludenten Billigung. Im Falle einer Duldung, also eines Nichthandelns trotz der Möglichkeit von Gegenmaßnahmen und Kenntnis der Lage erscheint aber eine Zurechnung ebenso denkbar wie bei der Duldungsvollmacht im Zivilrecht. In dem Dulden liegt dann – ebenso wie im Zivilrecht – ein tatsächlicher Duldungswille verborgen. Die Billigung kann sich auch durch sonstiges Verhalten ergeben. Wenn die Lehre und das Bundesverfassungsgericht zum Teil auf bestehenden Einfluss auf die Anhänger abstellen295, dann lassen sich hierin die Zurechnungsgründe der Absprache oder der Beherrschung erblicken: Nimmt die Partei Einfluss auf Dritte und handeln diese ohne beherrscht zu sein, dann liegt die im untechnischen Sinne erforderliche Willensübereinstimmung vor. Jedenfalls ist dann unter Umständen von einer konkludenten Absprache auszugehen. Je stärker der Einfluss ausgeprägt ist, desto stärker wird gegebenenfalls auch eine Beherrschung vorliegen. Wenn zum Teil ausdrücklich von einer Zusammenarbeit zur
294 295
BVerfGE 144, 20, 216 Rn. 564 zu Anhängern, die nicht Mitglied der Partei sind. Siehe die Nachweise oben unter § 5 B. II. 1. b) ee).
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Zurechnungsbegründung gesprochen wird296, dann lässt sich dies ebenfalls bei der Absprache, unter Umständen aber auch bei der Arbeitsteilung verorten. Die Arbeitsteilung ist schwieriger zu bestimmen, weil das Interesse der Partei in dieser Konstellation nicht ohne weiteres darstellbar sein dürfte, schließlich werden keine Parteiaufgaben erfüllt. Andererseits lässt sich hier an die Ziele der Partei anknüpfen, wie es auch das Bundesverfassungsgericht tut, indem es fordert, dass das Verhalten der Anhänger in einer Wechselwirkung mit der Zielsetzung der Partei steht.297 Verfolgen die Anhänger aber die Ziele der Partei, dann handeln sie damit im Interesse und zur Unterstützung der Partei. Liegt daneben eine ausdrückliche oder konkludente Billigung und damit ein entsprechender Wille vor, ist der Zurechnungsgrund der Arbeitsteilung erfüllt. Stärkere Relevanz entfaltet hier die Frage nach dem Rechtsschein. Hierbei gilt die Regel, dass eine Zurechnung umso eher in Betracht kommt, je stärker für Dritte der Eindruck entsteht, die Partei handelt selbst oder habe dies genehmigt. Somit ist der stärkste Rechtsschein in personeller Hinsicht bei Handlungen der Parteiführung gegeben, da hier der Eindruck entsteht, es werde eine Parteilinie verfolgt. Weniger stark ist die Ausprägung bei einfachen Mitgliedern, da diese keine herausgehobene Stellung innehaben, sie aber dennoch Teil der Partei sind. Der schwächste Rechtsschein erwächst bei Dritten, soweit nicht ausdrücklich im Namen der Partei gehandelt wird. Insoweit kann die an sich trivial erscheinende, oben ausgebreitete298 Feststellung in der Literatur, dass die Nähe der entsprechenden Personen zur Partei für eine Zurechnung, die fehlende Nähe tendenziell gegen eine Zurechnung spricht und entsprechend gewichtigere Argumente zur Begründung notwendig sind, unter anderem auf den Rechtsscheinaspekt zurückgeführt werden: Die Partei „haftet“ in der Öffentlichkeit ohne weiteres für die Parteiführung, aber genauso für herausgehobene Funktionäre und auch Abgeordnete. Dies sind die Personen, welche für die Partei an der politischen Willensbildung öffentlichkeitswirksam teilnehmen und von der Öffentlichkeit in ihrer Rolle als Parteiangehörige besonders wahrgenommen werden. Die Äußerungen einfacher Mitglieder werden dagegen nicht ohne weiteres der ganzen Partei zugeschrieben. Und erst recht erscheint Verhalten von außerhalb der Partei stehenden Personen noch einmal weiter von der Zuschreibung zur Partei entfernt, da hier der entsprechende Rechtsschein noch schwächer ist. Der Rechtsschein hat aber nicht nur eine personelle, sondern auch eine inhaltliche Komponente. Wenn Teile der Literatur zur Entscheidung über eine Zurechnung – insbesondere in den Fällen eines Duldens der Partei – auf die Intensität 296
Siehe die Nachweise oben unter § 5 B. II. 1. b) ee). Siehe dazu die Nachweise oben unter § 5 B. II. 1. a) am Ende. 298 Siehe die Nachweise oben unter § 5 B. II. 1. b) ee). 297
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und Häufigkeit der Vorkommnisse, aber auch mit dem Bundesverfassungsgericht auf die organisatorischen Verbindungen abstellen wollen299, sind Rechtsscheinaspekte erkennbar: Wird durch die organisatorischen Verbindungen, etwa durch das Auftreten auf Parteiveranstaltungen, deutlich, dass Partei und Anhänger eben doch in gemeinsamer Sache agieren, liegt ein entsprechender Rechtsschein nahe. Und auch Intensität und Häufigkeit der Vorkommnisse können bei Duldung durch die Partei einen entsprechenden Rechtsschein auslösen, wenn sich durch die Häufung der Eindruck aufdrängt, Partei und Anhänger verfolgten dieselben Ziele. Der Rechtsschein kann auch herangezogen werden, um auf eine bestehende stillschweigende Billigung im oben genannten Sinne zu schließen. Der Rechtsschein ist dann zurechenbar, wenn eine Verhinderungsmöglichkeit besteht. Eine solche Möglichkeit liegt regelmäßig zumindest in der Distanzierung von dem Verhalten. Zum Teil wird man die Partei bei Mitgliedern auch auf Ordnungsmaßnahmen verweisen können. Wie bei den Rechtsscheinvollmachten auch verbindet sich über diesen Aspekt der Zurechnungsgrund des Rechtsscheins mit dem der Beherrschung. Auch dieser Gesichtspunkt der Verhinderbarkeit deckt sich mit den in Rechtsprechung und Literatur diskutierten Gegenmaßnahmen der Parteien zur Zurechnungsunterbrechung. Die Beherrschung ist zurechnungsbegründend, kann aber auch im Falle fehlender Beherrschung zurechnungshemmend sein. Beide Aspekte lassen sich in der Literatur auffinden. In positiver Hinsicht lässt sich das Beherrschungsargument wenden auf die Differenzierung je nach Personengruppen. Bei Parteimitgliedern besteht nicht nur ein erhöhter Rechtsschein, der eine Zurechnung begründen kann, sondern es bestehen parteiseitig auch wesentlich stärker ausgeprägte Beherrschungsmöglichkeiten. Dem öffentlichen Bild der Partei oder ihren Zielen widersprechende Verhaltensweisen kann diese durch Ordnungsmaßnahmen sanktionieren. Hier besteht eine stärker ausgeprägte, rechtlich vermittelte Herrschaft, die sich folglich auch in einer stärkeren Zurechnung niederschlägt, wenn die Mittel nicht genutzt werden. Geht es dagegen um das Verhalten von Anhängern, fallen jedenfalls die intensiven Parteiordnungsmaßnahmen als rechtliche Beherrschung weg. Hier ist dann bestenfalls eine rechtliche Beherrschung durch ein Vorgehen gegen die Anhänger denkbar, beispielsweise wenn diese widerrechtlich im Namen der Partei handeln. Hier ergibt sich die Beherrschung dann aus der rechtlichen Verhinderbarkeit. Andernfalls bleibt hier nur die geringe Einwirkungsmöglichkeit der öffentlichen Distanzierung. In negativer Hinsicht ist die Beherrschung als fehlende Beherrschbarkeit ebenfalls in der bisherigen Argumentation anzutreffen. Eine Zurechnung soll nur so weit reichen wie die Einflussmöglichkeiten der Partei. Kann die Partei das 299
Siehe erneut die Nachweise oben unter § 5 B. II. 1. b) ee).
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fremde Verhalten nicht beherrschen oder beeinflussen, dann spricht dies stark gegen eine Zurechnung und für eine Selbstverantwortlichkeit. Wiederzuerkennen sind auch Schutzzweckerwägungen. Wenn nicht jedes Verhalten der Anhänger zugerechnet werden soll, sondern nur solches, das im politischen Kontext geschieht und „als Parteimitglied“, dann ähnelt das den Erwägungen zur Zurechnung von Tätigkeiten des Erfüllungsgehilfen oder Amtsträgers. Auch dort ist nicht jedes Verhalten zurechnungsrelevant, sondern nur solches, das „bei Erfüllung“ und nicht lediglich „bei Gelegenheit“ auftritt. Für das Parteiverbotsverfahren sollen die Anhänger und Mitglieder „als solche“ und nicht in eigener Sache handeln, private Verfehlungen ohne politischen Kontext sollen nicht auf die Partei zurückfallen. Es finden sich danach also einige der herausgearbeiteten Zurechnungsgründe auch bereits in den bisherigen Versuchen der Literatur, die Zurechnung des Anhängerverhaltens zur Partei zu konstruieren. 4. Zum Sachverhalt: Der „Flügel“ Die Gesamtpartei der AfD ist geteilt in verschiedene Strömungen. Nach dem Parteitag von 2015 vollzog sich eine Spaltung der Partei300, welche die eher moderate, wirtschaftsliberale Strömung um den abgewählten Vorsitzenden Lucke stark geschwächt hat.301 Daneben existieren ein konservativer Kreis und eine nationalistische Strömung rund um den „Flügel“.302 Zu dieser nationalistischen Strömung zählen auch die sogenannte „Patriotische Plattform“, welche Verbindungen zur neurechten und rechtsextremen Szene aufweist.303 Die völkische Strömung, aus welcher der „Flügel“ hervorgegangen ist, hat vor allem in den ostdeutschen Landesverbänden Sachsen, Brandenburg und Thüringen bereits seit 2014 durch Wahlerfolge stark an innerparteilichem Einfluss gewonnen.304 Die Strömung geht zurück auf die Initiatoren der „Erfurter Resolution“, welche unter anderem von den Landesvorsitzenden Thüringens Höcke und Sachsen-Anhalts Poggenburg im März 2015 veröffentlicht wurde.305 Die Reso300
Zum Konflikt des „wirtschaftsliberalen“ und des „national-konservativen“ Lagers im Vorfeld des besagten Parteitags Friedrich, Die AfD, 2017, S. 54 ff.; Bebnowski, in: Hensel/ Kallinich/Kiegeland u. a. (Hrsg.), Demokratie in Aufruhr, 2016, S. 138 ff.; Häusler/Roeser/ Scholten, Programmatik, Themensetzung und politische Praxis der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD), 2016, S. 43 f. 301 Franzmann, MIP 2016, 23, 34 f. 302 Lewandowsky, in: Decker/Neu (Hrsg.), Handbuch der deutschen Parteien, 32018, S. 161, 168. 303 Ders., in: Decker/Neu (Hrsg.), Handbuch der deutschen Parteien, 32018, S. 161, 168. 304 Friedrich, Die AfD, 2017, S. 57 ff. 305 Häusler/Roeser/Scholten, Programmatik, Themensetzung und politische Praxis der Par-
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lution wird teilweise als die „Geburtsurkunde“ des „Flügel“ bezeichnet.306 2016 hatten über 3500 Personen die Resolution unterzeichnet.307 Im Jahr 2020 wurden dem „Flügel“, dessen Vertreter immer wieder durch provokative NS-Rhetorik Aufsehen erregten, etwa 7000 Personen oder rund ein Fünftel der Gesamtpartei zugerechnet.308 Hauptakteure des „Flügel“ waren neben dem thüringischen Landes- und Fraktionsvorsitzenden Höcke und dem derweil aus der AfD ausgetretenen309 damaligen sachsen-anhaltischen Landes- und Fraktionsvorsitzenden Poggenburg der mittlerweile aus der AfD ausgeschlossene310, aber weiterhin der Brandenburger AfD-Landtagsfraktion angehörende ehemalige brandenburgische Landes- und Fraktionsvorsitzende Kalbitz sowie der Sprecher der „Patriotischen Plattform“ Tillschneider, die Genannten waren jedenfalls nach dem Impressum verantwortlich für die seinerzeitige Webseite des „Flügel“.311 Die innerhalb und außerhalb der Parteistrukturen312 wirkende, nationalistische Strömung313 ohne festen Mitgliederkreis314 hat sich, auch wegen der Anfang 2019 erfolgten Einstufung als „Verdachtsfall“ durch den Verfassungs-
tei „Alternative für Deutschland“ (AfD), 2016, S. 126. Zur Rolle der Erfurter Resolution für den innerparteilichen Machtkampf zwischen Petry und Lucke, siehe Friedrich, Die AfD, 2017, S. 62 ff. 306 Spiegel Online (Hrsg.), Das ist der AfD-„Flügel“, 12.03.2020 (https://www.spiegel.de/ politik/deutschland/afd-das-ist-der-fluegel-a-084fac0e-30cc-48e4-a859-034d78fb8ba3) (geprüft am 24.02.2023). 307 Häusler/Roeser/Scholten, Programmatik, Themensetzung und politische Praxis der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD), 2016, S. 127. 308 Spiegel Online (Hrsg.), Das ist der AfD-„Flügel“, 12.03.2020 (https://www.spiegel.de/ politik/deutschland/afd-das-ist-der-fluegel-a-084fac0e-30cc-48e4-a859-034d78fb8ba3) (geprüft am 24.02.2023). 309 Amann, André Poggenburg tritt aus der AfD aus, 10.01.2019 (https://www.spiegel.de/ politik/deutschland/andre-poggenburg-tritt-aus-der-afd-aus-a-1247481.html) (geprüft am 24.02.2023). 310 FAZ.net (Hrsg.), Kalbitz scheitert vor Gericht, 22.01.2021 (https://www.faz.net/aktuell/ politik/inland/antrag-gegen-afd-ausschluss-kalbitz-scheitert-vor-gericht-17159681.html) (geprüft am 24.02.2023). 311 Häusler/Roeser/Scholten, Programmatik, Themensetzung und politische Praxis der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD), 2016, S. 128. 312 Dies., Programmatik, Themensetzung und politische Praxis der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD), 2016, S. 125 ff. 313 Lewandowsky, in: Decker/Neu (Hrsg.), Handbuch der deutschen Parteien, 32018, S. 161, 168. 314 Spiegel Online (Hrsg.), Das ist der AfD-„Flügel“, 12.03.2020 (https://www.spiegel.de/ politik/deutschland/afd-das-ist-der-fluegel-a-084fac0e-30cc-48e4-a859-034d78fb8ba3) (geprüft am 24.02.2023).
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schutz315, derweil selbst aufgelöst316, der Einfluss in der Partei ist indes ungebrochen.317 Daneben bestehen Bedenken, ob sich die Vereinigung tatsächlich aufgelöst hat.318 5. Anwendung des Zurechnungsmodells auf den AfD-„Flügel“ Als Anwendungsbeispiel soll im Folgenden die aktuelle Diskussion rund um den „Flügel“ als Gruppierung der AfD dienen. Fraglich ist nun, ob die Handlungen dieses Personenkreises trotz Auflösung und auch ohne mitgliedschaftliche Anbindung als „Verhalten der Anhänger“ in einem möglichen Parteiverbotsverfahren Berücksichtigung finden könnten. Die folgenden tatsächlichen Ausführungen basieren auf Recherchen aus öffentlich zugänglichen Quellen und sind bewusst kurz gehalten. Es soll wegen der vielen tatsächlichen Unklarheiten lediglich darum gehen aufzuzeigen, wie die Zurechnungsgründe Anwendung finden können und an welchen Stellen sie relevant werden und welche tatsächlichen Fragen für eine Zurechnung zu beantworten sind. Eine tiefere Analyse muss indes an anderer Stelle erfolgen. a) Kausalität Das Handeln der „Flügel“-Anhänger ist kausal auf die Partei zurückzuführen. b) Mittelbarkeit Der „Flügel“ ist keine in die Parteistruktur integrierte Untergliederung. Es handelt sich bei den handelnden Personen und zum Teil Personenzusammenschlüssen um formal von der Partei getrennte Rechtssubjekte, sodass es sich um eine Fremdzurechnung handelt. Die gegebene Mittelbarkeit spricht in Anbetracht des Selbstverantwortungsprinzips bis zur Überlagerung durch positive Zurechnungsgründe gegen eine Zurechnung. 315 Dass., Das ist der AfD-„Flügel“, 12.03.2020 (https://www.spiegel.de/politik/deutsch land/afd-das-ist-der-fluegel-a-084fac0e-30cc-48e4-a859-034d78fb8ba3) (geprüft am 24.02. 2023). 316 Bernhard, Zweifel an der Auflösung des rechtsextremen „Flügels“, 30.04.2020 (https:// www.deutschlandfunk.de/afd-zweifel-an-der-aufloesung-des-rechtsextremen-fluegels.1773. de.html?dram:article_id=475744) (geprüft am 24.02.2023). 317 Tagesschau.de (Hrsg.), „Der Einfluss des „Flügels“ wird größer“, 11.10.2020 (https:// www.tagesschau.de/inland/afd-fluegel-verfassungsschutz-105.html) (geprüft am 29.07.2021). 318 Wierzioch, Verfassungsschutz bezweifelt Auflösung des AfD-Flügels, 30.04.2020 (htt ps://www.mdr.de/thueringen/verfassungsschutz-bezweifelt-aufloesung-afd-fluegel-100.html) (geprüft am 07.04.2021); Bernhard, Zweifel an der Auflösung des rechtsextremen „Flügels“, 30.04.2020 (https://www.deutschlandfunk.de/afd-zweifel-an-der-aufloesung-des-rechtsextre men-fluegels.1773.de.html?dram:article_id=475744) (geprüft am 24.02.2023).
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c) Finalität Bei der Billigung des Verhaltens kann es sich um eine ausdrückliche oder konkludente Billigung handeln. Vorliegend ist jedenfalls in verschiedenen Parteigliederungen die Billigung des Verhaltens des „Flügel“ eine offenkundige, schließlich sind die Personen identisch: Björn Höcke ist nicht nur einer der Protagonisten der Strömung, sondern auch Vorsitzender einer Landtagsfraktion und Parteivorsitzender eines Landesverbands. Jedenfalls von Teilorganisationen der Partei aus betrachtet liegt folglich sogar eine ausdrückliche Billigung vor. Daneben liegt eine solche Billigung auch durch einen nicht unerheblichen Teil der Mitglieder vor, welche wiederum auch eine Grundtendenz in der Partei ausmachen. Aber auch eine konkludente Billigung kommt in Betracht, da eine entsprechende Distanzierung durch die Partei unterbleibt, die Strömung ja sogar von bedeutenden Teilen der Partei getragen wird. Der Druck zur Auflösung hat nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes nur zu einem vordergründigen Ende der Aktivitäten geführt, tatsächlich besteht die Strömung unvermindert fort und der Einfluss des nationalistischen „Flügel“ in der Partei wächst.319 Als Ordnungsmaßnahmen in Betracht kämen hier Sanktionen gegen einzelne Akteure oder gesamte Landesverbände, deren Führung enge Verbindungen mit der Gruppierung unterhält. So könnte eine Zurechnung unterbrochen werden. Ohne derartige Maßnahmen ist ein entsprechender Duldungswille erkennbar. Zu Aktivitäten und Inhalten des „Flügel“ fehlt es an einer klaren Distanzierung und an Gegenmaßnahmen, obwohl diese möglich sind. Zwar hat auf Druck eine „Auflösung“ stattgefunden, die Arbeit des „Flügel“ geht aber offenbar unvermindert weiter, so jedenfalls die Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden.320 Die erhobene Forderung zur Selbstauflösung ist auch kein taugliches Gegenmittel, um möglicherweise verfassungswidrige Bestrebungen in Teilen der Partei in den Griff zu bekommen. Ein Beispiel für einen denkbaren Durchgriff ist etwa die Auflösung des AfD-Landesverbandes Saarland durch den Bundesparteitag321 oder die Absetzung eines Landesvorstandes durch den Bundesvorstand322. 319
Vgl. Lewandowsky, in: Decker/Neu (Hrsg.), Handbuch der deutschen Parteien, 32018, S. 161, 168. Siehe auch Tagesschau.de (Hrsg.), „Der Einfluss des „Flügels“ wird größer“, 11.10.2020 (https://www.tagesschau.de/inland/afd-fluegel-verfassungsschutz-105.html) (geprüft am 29.07.2021). 320 Wierzioch, Verfassungsschutz bezweifelt Auflösung des AfD-Flügels, 30.04.2020 (htt ps://www.mdr.de/thueringen/verfassungsschutz-bezweifelt-aufloesung-afd-fluegel-100.html) (geprüft am 07.04.2021). 321 Lewandowsky, in: Decker/Neu (Hrsg.), Handbuch der deutschen Parteien, 32018, S. 161, 168. 322 Dazu Schönberger, Innerparteiliche Demokratie und autoritäre Führungsstruktur: zur Absetzung des AfD-Landesvorstands in Niedersachsen, 02.02.2018 (https://verfassungsblog.
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Weiterhin ist an die Absetzung von Vorständen und individuelle Parteiordnungsmaßnahmen zu denken. Das Parteiordnungsverfahren gegen Höcke, welches noch unter der innerparteilichen Gegnerin und damaligen Parteivorsitzenden Petry in Gang gesetzt wurde323, endete für diesen ohne Konsequenzen.324 Erfolgreich war dagegen nach bisherigem Stand der Ausschluss von Kalbitz, der unter anderem seine vorherige Mitgliedschaft in der als rechtsextrem verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) nicht der Partei offenbart hatte.325 Auch Poggenburg war nach umstrittenen Reden im Jahr 2018 als Partei- und Fraktionsvorsitzender in Sachsen-Anhalt zurückgetreten326 und wurde 2019 vom Bundesvorstand mit einer zweijährigen Ämtersperre belegt327. Vorangegangen war allerdings auch ein Rauswurf aus dem „Flügel“.328 Zwar könnte man die genannten Verfahren und Rücktritte als Indizien für entsprechende Gegenmaßnahmen der Parteiführung werten, dagegen spricht jedoch der dennoch steigende Einfluss des „Flügel“ um Höcke innerhalb der Partei. Weiterhin ist es Teil der Strategie der Partei, bürgerlich eingestellte Wählergruppen durch ein öffentlichkeitswirksames Vorgehen gegen radikale Mitglieder als „Exempel“ glaubhaft von einer Distanzierung vom rechten Rand zu überzeugen.329 Somit genügen diese einzelnen Einwirkungen nicht, um eine ausreichende Distanzierung von den Aktivitäten des „Flügel“ herzustellen. Die Duldung der Aktivitäten trotz rechtlicher Verhinderungsmöglichkeit durch Gegenmaßnahmen ist zurechnungsbegründend.
de/innerparteiliche-demokratie-und-autoritaere-fuehrungsstruktur-zur-absetzung-des-afd-lan desvorstands-in-niedersachsen) (geprüft am 24.02.2023). 323 Friedrich, Die AfD, 2017, S. 79 f. 324 FAZ.net (Hrsg.), Björn Höcke darf in der AfD bleiben, 09.05.2018 (https://www.faz.net/ aktuell/politik/inland/kein-parteiausschluss-bjoern-hoecke-darf-in-der-afd-bleiben-15581947. html) (geprüft am 24.02.2023). 325 Dass., Kalbitz scheitert vor Gericht, 22.01.2021 (https://www.faz.net/aktuell/politik/ inland/antrag-gegen-afd-ausschluss-kalbitz-scheitert-vor-gericht-17159681.html) (geprüft am 24.02.2023). 326 Amann, Warum Poggenburg zurücktreten musste, 08.03.2018 (https://www.spiegel.de/ politik/deutschland/andre-poggenburgs-ruecktritt-das-sind-die-gruende-a-1197074.html) (geprüft am 24.02.2023). 327 Spiegel Online (Hrsg.), AfD-Spitze sperrt Poggenburg zwei Jahre lang für alle Ämter, 08.01.2019 (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/andre-poggenburg-afd-politiker-zweijahre-lang-fuer-alle-aemter-gesperrt-a-1247087.html) (geprüft am 24.02.2023). 328 Amann, Rechter Flügel wirft Rechtsaußen Poggenburg raus, 10.08.2018 (https://www. spiegel.de/politik/deutschland/afd-rechter-fluegel-wirft-rechtsaussen-poggenburg-raus-a1222531.html) (geprüft am 24.02.2023). 329 Von einem entsprechenden Strategiepapier in Zusammenhang mit dem Parteiordnungsverfahren gegen Höcke berichtet Friedrich, Die AfD, 2017, S. 80.
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§ 5 Zurechnungsfragen im Parteienrecht
Das Verhalten der Subjekte, hier der Anhänger rund um den „Flügel“, ist aus Sicht der Partei vorhersehbar. Das Handeln der Strömung geschieht jedenfalls mit grober Kenntnis der Parteiführung, teilweise durch die Parteiführung selbst. Da die Strömung schon vermehrt in Erscheinung getreten ist und sich Personen auch öffentlich als Vertreter des „Flügel“ positionieren, sind die Aktivitäten sehr wohl bekannt. Daneben sind auch führende Funktionäre einzelner Landesverbände, etwa Höcke oder Poggenburg, in herausgehobener Funktion in der Strömung aktiv. Mit dem parteiseitigen Willen in Form der Billigung und der Vorhersehbarkeit liegt folglich der Zurechnungsgrund der Finalität vor. d) Arbeitsteilung Schwierig zu bestimmen ist, ob die Strömung im Interesse der Partei handelt. Durch die enge Verzahnung mit Parteimitgliedern und Funktionären entspricht die radikale „Flügel“-Bewegung durchaus jedenfalls den Zielen eines Teils der Partei. Durch die fehlende Distanzierung der restlichen Partei330 können diese Ziele auch der restlichen Partei zugeordnet werden. Die Strömung wirkt auf rechtsradikale und rechtskonservative Kreise ein und vernetzt sich mit diesen.331 Da dies in grundsätzlicher Billigung der Parteiführung geschieht, lässt sich auch ein Arbeitsteilungsaspekt konstruieren. Durch die genannten Personalverflechtungen lässt sich auch eine aktive Unterstützung der Strömung durch jedenfalls Teile der Partei in Form verschiedener Landesverbände belegen, was nach den herausgearbeiteten Kriterien332 bereits für sich genommen eine Zurechnung begründen kann. e) Absprache Eine Absprache liegt nicht ausdrücklich, aber durch parteiseitige Billigung vor. Parteiseitig liegt eine Einflussnahme der Partei auf die Strömung und umgekehrt eine Beeinflussung der Ziele der Partei durch die Strömung vor. Diese wechselseitige Beeinflussung lässt sich durch die Personalüberschneidung in einigen Landesverbänden, durch das Handeln herausgehobene Parteifunktionäre als eine
330 Zu den teilweise widersprüchlichen Äußerungen und Handlungen der Parteiführung zum „Flügel“ Speit, Bürgerliche Scharfmacher, 2016, S. 305. Zu den Gegenmaßnahmen auch bereits oben § 5 B. II. 1. b) dd) und ee). 331 Zur Vernetzung von AfD und PEGIDA etwa Vorländer/Herold/Schäller, Pegida, 2016, S. 39 ff. 332 Zur aktiven Unterstützung als „ohne weiteres“ zurechnungsbegründend oben § 5 B. II. 1. b) ee).
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Willensübereinstimmung klassifizieren, was zurechnungsbegründende Wirkung hat. f) Rechtsschein Der Rechtsschein ist stark ausgeprägt, schließlich handeln für die Strömung nicht lediglich Anhänger oder einfache Mitglieder, sondern herausgehobene Funktionäre wie Höcke oder Poggenburg.333 Die handelnden Akteure sind nicht nur teilweise selbst Teil der Parteiführung, sondern auch Abgeordnete. Die Zurechnungsanforderungen für Abgeordnete, aber auch führende Mitglieder sind indes auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts niedrig.334 Die Nähe der handelnden Personen zur Parteispitze begünstigt die Zurechnung. Wenn sogar parlamentarische Äußerungen der Abgeordneten zulasten der Partei gewichtet werden können335, dann muss dies erst recht für die Organisation einer ganzen Strömung gelten. Sogar bei einem Handeln einfacher Mitglieder bedürfte es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Literatur bereits Gegenmaßnahmen durch die Partei336, um eine Zurechnung zu unterbrechen. Erst recht müssen der Partei also bei Anführern der Partei und ganzen Landesverbänden Gegenmaßnahmen abverlangt werden. Der Anschein eines gemeinsamen Handelns und einer gewissen Anerkennung wird durch gemeinsame Veranstaltungen sowie durch Auftritte von Spitzenpersonal der Partei bei den Treffen der Strömung verstärkt: So war der Auftritt des Parteivorsitzenden beim Kyffhäuser-Treffen des „Flügels“ bisher üblich.337 Mit der Verschränkung von Partei und Strömung und der überwiegenden Personenidentität spricht einiges für das Vorliegen der oben näher ausgebreiteten „organisatorischen Verschränkungen“, welche sogar ohne Billigung eine Zurechnung auslösen338: Denn nicht nur Auftritte Dritter bei der Partei können eine derartige Verknüpfung auslösen, auch Auftritte von Parteiführern bei den Dritten zeigen die Verschränkung auf. Dadurch wird die Strömung durch die Partei in gewisser Weise nach außen hin „anerkannt“. Die Intensität und Häufigkeit der Handlungen und Vorkommnisse kann ebenfalls als Grund angeführt werden, warum der Rechtsschein einer Zusammenar333
168.
334
Lewandowsky, in: Decker/Neu (Hrsg.), Handbuch der deutschen Parteien, 32018, S. 161,
Siehe die Nachweise oben § 5 B. II. 1. b) cc). Siehe die Nachweise oben § 5 B. II. 1. b) cc). 336 Siehe die Nachweise oben § 5 B. II. 1. b) dd). 337 Zu den Besuchen der Parteivorsitzenden bei dem Treffen des „Flügel“ etwa Friedrich, Die AfD, 2017, S. 76; Speit, Bürgerliche Scharfmacher, 2016, S. 307. 338 Siehe die Nachweise oben § 5 B. II. 1. b) ee). 335
368
§ 5 Zurechnungsfragen im Parteienrecht
beit entsteht. Die Dauer und Intensität der Zusammenarbeit spricht ebenfalls für eine Zuordnung der Strömung zur Partei. Trotz des entstandenen Rechtsscheins gab es parteiseitig keine Distanzierung oder Disziplinierung trotz der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeit dazu. Ohne Gegenmaßnahmen lässt sich auch die Zurechenbarkeit des Rechtsscheins bejahen. g) Beherrschung Eine Beherrschung liegt bei Einwirkungs- und Verhinderungsmöglichkeiten vor. Einwirkungsmöglichkeiten bestehen, da es sich bei den Mitgliedern der Strömung in hoher Zahl um Parteimitglieder handelt. Hier wären folglich Ordnungsmaßnahmen denkbar, auch Maßnahmen gegen ganze Landesverbände wie Thüringen oder Brandenburg wären denkbar. Bei Parteimitgliedern sind niedrigere Anforderungen an die Zurechnung zu stellen, da stärkere rechtliche parteiordnungsrechtliche Einwirkungsmöglichkeiten bestehen. Das Verhalten der Mitglieder, welche sich in der Strömung organisieren, ist demnach rechtlich beherrscht. Die rechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten wurden bereits bei der Herausstellung der Billigung im Rahmen der Finalität ausgebreitet.339 Im Rahmen der Strömung sind auch Verknüpfungen zu Nichtmitgliedern ersichtlich. Das Handeln dieser Personen ist aber über die gemeinsame Strömung des „Flügel“ mit der Partei verbunden. Eine formale Ausgründung ist unerheblich. Die gemeinsame Strömung mit Parteimitgliedern ist Ansatzpunkt für die möglichen „organisatorischen Verschränkungen“, welche das Bundesverfassungsgericht als zurechnungsbegründend ansieht340, und auch Auftritte auf Parteiveranstaltungen sprechen für Zurechnung auch den Anhängerverhaltens zur Partei. Schließlich fehlt es auch gegenüber den Dritten, welche als Anhänger im Sinne des Art. 21 GG zu klassifizieren sind, an einer glaubhaften Distanzierung. Hier bestehen also ebenfalls Möglichkeiten, das Verhalten der Nichtmitglieder der Partei zuzurechnen. h) Wille, Interesse, Kenntnis, Vorhersehbarkeit Die Zurechnungsgründe des Willens, des Interesses, der Kenntnis und der Vorhersehbarkeit haben bereits in den untersuchten zusammengesetzten Zurechnungsgründen Eingang gefunden und müssen daher hier nicht erneut untersucht werden.
339 340
Siehe oben unter § 5 B. II. 5. c). Vgl. oben § 5 B. II. 1. b) ee).
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i) Schutzzweck Mögliches verfassungsfeindliches Verhalten ist dann relevant, wenn es den politischen Kontext betrifft. Hier geht es bei den in Rede stehenden Verhaltensweisen ausschließlich um politisches Handeln und keine privaten Straftaten. Für eine dezidierte Schutzzweckuntersuchung ist allerdings die Konkretisierung der Verhaltensweisen erforderlich, was hier aufgrund des abstrakt gehaltenen Sachverhalts nicht weiter möglich ist. j) Schutzwürdigkeit Schutzgut des Parteiverbots ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Das Parteiverbot ist Ausdruck des Grundsatzes der „wehrhaften Demokratie“.341 Die Effektivität dieses Schutzes muss gewährleistet sein bei gleichzeitiger Herausarbeitung hoher Anforderungen zum Schutze des Parteienprivilegs. Der demokratische politische Prozess und die Gesellschaft sind vor verfassungswidrigen Parteien zu schützen, sie sind diejenigen, welche das Parteiverbot schützt. Nicht schutzwürdig ist dagegen die Partei. Sie hat es selbst in der Hand, ihre Anhängerschaft von verfassungswidrigen Umtrieben zu bereinigen und insbesondere Teilorganisationen, wenn sie verfassungswidrige Tendenzen aufweisen, zu disziplinieren oder aufzulösen. Tut sie dies nicht, so ist sie für die Zurechnung der Handlungen als Parteiverhalten mitverantwortlich. Sie ist zwar insoweit schutzwürdig, als dass nicht einzelne „Ausraster“ zur Verfassungswidrigkeit der Gesamtpartei führen und verdient auch Schutz, dass ihr keine Anhänger „untergeschoben“ werden. Allerdings hat sie dies durch die genannten Einwirkungs- und Verhinderungsmöglichkeiten selbst in der Hand, selbst wenn sich Mitglieder und Nichtmitglieder in einer derartigen Strömung auffinden lassen. Ihre Schutzwürdigkeit wurde also bei diesen einschränkenden Merkmalen mitbedacht. Auf der anderen Seite würde es Missbrauch Tür und Tor öffnen, wenn Parteien ausschließlich für ihre Parteiführung oder für ihre Mitglieder verantwortlich wären. Dies könnte, insbesondere wegen der Unklarheit der Einordnung des Parteiumfeldes und der Organisationsfreiheit der Parteien342, zu einer einfachen Umgehungsmöglichkeit führen. Die Zusammenarbeit des „Flügel“ auch mit rechtsradikalen Strömungen außerhalb der Partei geht von der Partei beziehungsweise von Mitgliedern, aber 341 Das BVerfG verwendet daneben den Begriff „streitbar“, siehe BVerfGE 5, 85, 139; zuletzt E 144, 20, 164 Rn. 418. Zur Begrifflichkeit eingehend Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 32015, Art. 21 Rn. 144. 342 Klein, in: Scholz/Herdegen/Klein (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Oktober 2020, Art. 21 Rn. 537.
370
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auch Parteiführern aus. Diese Zusammenarbeit nutzt der Partei durch den Kontakt in neurechte und rechtsradikale Kreise. Dann muss aber auch das Verhalten dieses Verbindungsstücks, des „Flügel“, zulasten der Partei gehen. Dies entspricht dem Risiko-Nutznießungsgedanken, welcher häufig für die Zurechnung ins Feld geführt wurde343: Wer durch Einschaltung Dritter einen Vorteil erlangt, der muss sich auch die Nachteile des Drittverhaltens zurechnen lassen. k) Interessenabwägung Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen spricht einiges dafür, der Partei im Verbotsverfahren Verhaltensweisen von Anhängern des „Flügel“ zuzurechnen, unabhängig von der Frage, ob es sich ausschließlich, überwiegend oder nur zum Teil um Parteimitglieder handelt. Dafür sprechen die klaren personellen und inhaltlichen Überschneidungen zwischen der Strömung und führenden Parteikadern. Weiterhin ist die fehlende Disziplinierung und Abgrenzung durch die Partei und insbesondere die Parteispitze zurechnungsbegründend, es handelt sich um eine Duldung trotz Verhinderungsmöglichkeit. Eine ausdrückliche oder jedenfalls eine konkludente Billigung liegen nach hiesigem Verständnis ebenso vor wie eine maßgebliche Einflussnahme der Partei auf die Strömung durch herausgehobene Parteimitglieder. Die Nähe und Prominenz der involvierten Parteimitglieder spricht für die Zurechnung. Dies lässt sich auch mit dem Zurechnungsgrund des Rechtsscheins untermauern, schließlich muss bei Dritten der Eindruck entstehen, dass die Strömung durch das Auftreten führender Parteifunktionäre durchaus auch die Ziele der Partei verfolgt. Auch die Schutzwürdigkeitserwägungen fallen im konkreten Fall zugunsten einer Zurechnung aus. Der Schutzzweck war mangels hinreichender Konkretisierung der zugrundeliegenden Verhaltensweisen kein Grund gegen die Zurechnung. Nach dieser hier weitgehend abstrakt vorgenommenen Gewichtung besteht, ohne dass konkrete Verhaltensweisen in den Blick genommen worden sind, wegen der genannten Zurechnungsgründe ein deutliches Überwiegen an Argumenten für eine Zurechnung. Wegen der herausgearbeiteten Zurechnungsgründe erscheint eine Zurechnung des Verhaltens der Anhänger des „Flügel“ – unabhängig von ihrer Mitgliedschaft in der Partei – als „Verhalten der Anhänger“ im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG interessengerecht. Damit ist freilich nicht gesagt, ob das Verhalten der „Flügel“-Anhänger auch inhaltlich ein Parteiverbot der gesamten AfD rechtfertigen könnte, es ist nur festgestellt, dass die Aktivitäten dieser Strömung als zugerechnete Handlungen von 343
Dazu oben § 4 A. II. 6. a).
B. Konkrete Zurechnungsproblemstellungen im Parteienrecht
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Anhängern der Partei Eingang in ein solches Verfahren finden können. Ihre inhaltliche Bewertung war nicht Gegenstand der hiesigen Untersuchung.
III. Wahlkampf durch Dritte Dass Dritte für eine Partei in den Wahlkampf eingreifen, ist an sich nichts Besonderes. Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG postuliert zwar, dass die Parteien an der politischen Willensbildung mitwirken, von einem Monopol der Willensbildung lässt sich aber hier nicht sprechen. Auch wenn sich der politische Prozess faktisch auf die Parteien verengt und diese die „berufenen Vorkammern“344 der Demokratie sind, nehmen neben den Parteien und dem parteinahen Umfeld auch noch weitere Akteure an „der Politik“ teil, etwa Verbände, Kirchen, Gewerkschaften und viele mehr. Die besonderen Rechte, aber auch Pflichten aus Art. 21 GG und insbesondere die im Parteienrecht ausdifferenzierten Transparenzvorschriften gelten selbstredend nur für die Parteien und nicht für Unterstützer im Wahlkampf. Gleichwohl stellt sich aufgrund aktueller und historischer Unterstützungsaktionen für Parteien durch Dritte die Frage, ob sich die Partei unter Umständen Wahlkampfaktionen Dritter zurechnen lassen muss und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist. Nach einer Darstellung der bisherigen rechtlichen Einordnung des beschriebenen Phänomens (1.) und einer Untersuchung, ob es sich dabei um Zurechnung im hier zugrunde gelegten Sinne handelt (2.), sollen die Gemeinsamkeiten zwischen der bisherigen rechtlichen Diskussion und dem Zurechnungsmodell herausgestellt werden (3.). Nach einer Sachverhaltsdarstellung (4.) soll anhand des Zurechnungsmodells bewertet werden, ob sich die AfD die dort dargestellten Wahlkampfaktivitäten Dritter zurechnen lassen muss (5.). 1. Bisherige rechtliche Einordnung a) Probleme von Wahlkampf durch Dritte Auf den ersten Blick erscheint die Wahlkampfaktivität Dritter nicht mehr zu sein als die Ausübung grundrechtlicher Freiheit und Teilnahme am politischen Prozess. Indes bleiben dadurch verschiedene Transparenzanforderungen auf der Strecke: Fließt das Geld nicht der Partei zu, taucht es regelmäßig auch nicht im Rechenschaftsbericht auf. Insoweit bleiben Höhe und Herkunft der Mittel im 344 Grimm, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 21994, § 14 Rn. 36.
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Dunkeln. Dies nutzt zum einen Spendern, die anonym bleiben wollen, zum anderen werden illegale Spendenzuflüsse, etwa aus dem Ausland (§ 25 Abs. 2 Nr. 3 PartG), ermöglicht. Für die Partei sind die Unterstützungsaktionen aber beinahe so nützlich wie eigene Kampagnen, gerade wenn sie in die Konzeption der Drittkampagne miteingebunden ist. Unter Umständen ist die Drittkampagne sogar effektiver als eine eigene Kampagne, da Wahlaufrufe Dritter für eine Partei als vertrauenswürdiger, vielfältiger oder origineller wahrgenommen werden können als Eigenwerbung der Partei.345 b) Zum Begriff der Parallelaktionen Wahlkampfaktionen durch Dritte werden gemeinhin als „Parallelaktionen“ bezeichnet. Erstmals taucht der Begriff der Parallelaktion beziehungsweise der parallel campaigns346 bei Kitzinger auf. Dieser verweist auf die Verwendung des Wortes in Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“. In dem Werk findet sich eine Unterstützergruppe von diversen honorigen Personen zusammen, um das Thronjubiläum des österreichisch-ungarischen Kaisers gebührend zu feiern und das jahresgleich stattfindende Jubiläum des deutschen Kaisers in den Schatten zu stellen. Diese „vaterländische Aktion“ wird kurz als Parallelaktion bezeichnet.347 Kitzinger will mit der Begrifflichkeit nicht nur einen spezifischen Fall der Unterstützungsaktionen Dritter für Parteien abdecken, sondern einen Oberbegriff für Unterstützungsaktionen Dritter etablieren. So erläutert er, den wertenden Begriff der „Tarnorganisation“ für die staatlich finanzierten Unterstützungsaktionen im Umfeld der Bundesregierung unter Adenauer nicht verwenden zu wollen, sondern stattdessen einen „weiteren Begriff“, der die „Tätigkeit dieser Organisationen einschließt“.348 Damit schwebt Kitzinger wohl ein Begriff vor, der staatliche wie nicht-staatliche Organisationen sowie staatlich wie nicht-staatlich finanzierte Akteure er345
So etwa Dübber, Parteienfinanzierung in Deutschland, 1962, S. 35. Kitzinger, German electoral politics, 1960, S. 106. 347 Musil, in: Frisé (Hrsg.), Gesammelte Werke: in neun Bänden, 1978, S. 9, 87. Die Idee hinter der Aktion war die Zelebrierung des 70-jährigen Thronjubiläums von Kaiser Franz-Josef. Das Jubiläum droht vom früher im Jahr stattfindenden Jubiläum des deutschen Kaisers Wilhelm II. in den Schatten gestellt zu werden. Daher finden sich „patriotische Persönlichkeiten“ zusammen, die dies verhindern und das Jahr 1918 zum „Friedensjahr“ zu Ehren des Kaisers machen wollen (S. 78 f.) Der Begriff Parallelaktion bezog sich bei Musil vor allem auf der Parallelität zu der vergleichbaren Aktion in Deutschland zugunsten des deutschen Kaisers (vgl. S. 87). Mitglieder der Aktion waren zunächst keine Minister, dafür aber der Chef der Staatsbank, Barone, Damen des hohen Adels, Vertreter von Hochschulen, Kunstvereinigungen, der Industrie und der Kirche, aber auch Regierungsstellen entsandten Mitarbeiter. Daneben war die kaiserliche Zivilkanzlei vertreten, der Kaiser war folglich eingebunden (S. 172). 348 Kitzinger, Wahlkampf in Westdeutschland, 1960, S. 73. 346
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fasst. Daneben ist auch die Art der Unterstützung nicht fixiert: Ihm geht es sowohl um ausdrückliche Propaganda für eine Partei als auch um indirekte Wahlhilfe ohne explizite Namensnennung. Sein Verweis auf die „Tarnorganisationen“ legt eine gewisse Absprache mit der Partei jedenfalls nahe; wegen der ausdrücklichen Lösung von diesem Begriff scheint er mit Parallelaktionen nicht zwangsläufig eine abgesprochene, aber auch nicht zwangsläufig eine nicht abgesprochene Aktion Dritter zu meinen. Dübber nimmt auf die Terminologie Kitzingers ausdrücklich Bezug und macht sich diese zu eigen.349 Er versucht sich indessen an einer weiteren Strukturierung der möglichen Unterstützungsaktionen. Dübber unterscheidet drei Typen von Unterstützungskampagnen: Als Typ I bezeichnet er die „Propagierung allgemeiner politischer Ziele“, die zwischen den konkurrierenden Parteien nicht außer Frage stehen, also allgemeine Aufrufe zur Wahlteilnahme, oder für „Freiheit, Demokratie und Wiedervereinigung“ einzutreten.350 Diese allgemeinen Aufrufe seien in der Regel keiner Partei zuzuordnen und damit nicht weiter von Interesse. Unter dem Typ II fasst er die Unterstützung oder Bekämpfung einzelner Parteien ohne ausdrückliche Benennung des Parteinamens, diese Art der Aktion bezeichnet er als „Parallelkampagne“.351 Als Beispiel nennt er die Veröffentlichungen der „Waage“, aber auch Wahlaufrufe der Gewerkschaften oder die Hirtenbriefe der Kirchen mit dem Aufruf, Parteien zu wählen, die christlichen Forderungen nachgingen.352 Typ III der Verbandshilfe stellt für Dübber die ausdrückliche Aufforderung dar, eine Partei zu wählen. Von dieser Möglichkeit würde indes nur zurückhaltend Gebrauch gemacht, da die Organisationen „geradezu krampfhaft“ versuchten, den Anschein ihrer Überparteilichkeit zu wahren.353 Als Beispiel nennt er etwa bei der CDU die „Gemeinschaft für christlich-soziale Schulung und öffentliche Meinungsbildung e.V., Bonn“, die vor Wahlen die Publikation „Kurz und Aktuell“ herausgebe, in der ausdrücklich zur Wahl der CDU aufgerufen werde („Christen wählen CDU“).354 Die Fördergesellschaften, welchen nach Dübber der ausschließliche Zweck zukomme, Spenden für einzelne Parteien anzunehmen, will er als Hintergrundparteien wie die Parteien behandeln.355 Parallelaktionen sind nach Dübbers Typ II also die Unterstützung- oder Bekämpfungsaktionen Dritter ohne ausdrücklichen namentlichen Bezug auf eine Partei. 349
Dübber, Parteienfinanzierung in Deutschland, 1962, S. 35. Ders., Parteienfinanzierung in Deutschland, 1962, S. 49. 351 Ders., Parteienfinanzierung in Deutschland, 1962, S. 50. 352 Ders., Parteienfinanzierung in Deutschland, 1962, S. 50. 353 Ders., Parteienfinanzierung in Deutschland, 1962, S. 52. Zu Parallelaktionen der Regierung schreibt er unter S. 35: „Sicher präsentiert ihre Propaganda niemals die wörtliche Aufforderung, eine bestimmte Partei zu wählen.“ 354 Ders., Parteienfinanzierung in Deutschland, 1962, S. 52. 355 Ders., Parteienfinanzierung in Deutschland, 1962, S. 53. 350
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Die heute maßgebliche Definition geht auf Morlok zurück.356 Dieser leitet den Begriff der Parallelaktionen vor allem als Gegensatz zum Spendenbegriff her und definiert diesen damit negativ. Spende und Parallelaktion schlössen sich aus. Öffentlichkeitsarbeit zugunsten eines Kandidaten oder einer Partei sei zwar für die Partei nützlich, ohne „effektive Einwirkungsmöglichkeit“ handele sich aber um keine Spende, sondern um eine Parallelaktion.357 Das Merkmal des fehlenden ausdrücklichen Bezugs auf die Partei wird vereinzelt vorgebracht358, zumeist jedoch abgelehnt.359 Vereinzelt wird auch innerhalb der Definition explizit unterschieden zwischen einer staatlichen und nicht-staatlichen Parallelaktion.360 Teilweise wird unter dem Begriff auch eine parteiunterstützende Maßnahme von Dritten verstanden, die keinen direkten oder auch nur mittelbaren Zufluss in die Parteikassen bedeute, sondern die Parteiwerbung durch parallel dazu laufende Aktionen unterstützen.361 Damit wird hier nicht auf die Maßnahmen selbst oder die Parteinennung, sondern auf den fehlenden direkten oder mittelbaren (Geld-)Zufluss in die Parteikassen abgestellt.
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Das Ausschlussverhältnis zwischen Spende und Parallelaktion klingt bereits vorher bei Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 319 letzter Absatz an, wenn dieser „parteiwerbende Wählerinitiativen“ als ausweispflichtig und nicht als Parallelaktion einstuft. Siehe zustimmend etwa Deutscher Bundestag, Bericht der Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung, 2001, S. 42; Kersten, in: Kersten/Rixen (Hrsg.), Parteiengesetz (PartG) und europäisches Parteienrecht, 2009, § 27 Rn. 28. 357 Morlok, NJW 2000, 761, 764. Siehe auch ders., in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Unterrichtung durch die Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung, 2001, S. 49, 68. 358 Neben Dübber, Parteienfinanzierung in Deutschland, 1962, S. 50 versteht Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 319 darunter „Werbemaßnahmen für die Ziele einer Partei ohne ausdrücklichen Bezug auf dieselbe“. 359 Küstermann, Die Rechenschaftspflicht der politischen Parteien, 2002, S. 191 f. Ansonsten wird das Merkmal in der Literatur nicht weiter herangezogen. 360 Siehe neben Kitzinger, Wahlkampf in Westdeutschland, 1960, S. 73 auch Schleth, in: Scheuch/Wildenmann (Hrsg.), Zur Soziologie der Wahl, 21968, S. 215, 266. 361 Kulitz, Unternehmerspenden an politische Parteien, 1983, S. 100 ff. Ähnlich etwa Rubenkönig, Die Rechenschaftspflicht der politischen Parteien nach Art. 21 Absatz 1 Satz 4 Grundgesetz, 2003, S. 104, 140.
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Andere beschreiben Parallelaktionen ohne weitere Eingrenzung als „Wahlwerbung durch Dritte“362, „Werbeveranstaltungen durch Dritte“363 oder „politische Unterstützungsveranstaltungen Dritter“364. Die bisherige Auseinandersetzung zeigt bereits, dass die Begrifflichkeit der Parallelaktion in ganz unterschiedlicher Weise benutzt wird. Es kann sich um staatliche oder nicht-staatliche Werbemaßnahmen für Parteien handeln. Ob diese aber ausdrücklich oder nicht ausdrücklich für eine Partei werben, ob es sich dabei um einen Gegenbegriff zur Spende handelt und ob ein Mittelzufluss bei der Partei relevant ist oder nicht, wird unterschiedlich beurteilt. Ohne eine klare Terminologie kann der Bereich aber rechtlich nicht sinnvoll erschlossen werden, sodass es zunächst einer Festlegung der Begrifflichkeit bedarf. c) Eigener Begriffsvorschlag Es bietet sich bei einer begrifflichen Neujustierung die Einfügung von Differenzierungsmerkmalen an, um bei der noch zu erörternden möglichen Einordnung als Spende oder Einnahme zwischen den verschiedenen Varianten differenzieren zu können.365 Eine solche Differenzierung scheint bisher lediglich Dübber vorgenommen zu haben. Als Unterscheidungsmerkmal der Parallelaktionen soll zum einen das Begriffspaar echt und unecht eingeführt werden. Echte Parallelaktionen sind solche, die – frei nach Kitzingers Intention mit dem Verweis auf Musil – wirklich parallel und damit ohne Absprache oder Einwirkung der Partei stattfinden. Unechte Parallelaktionen sind solche, die tatsächlich durch die Partei beeinflusst oder gesteuert werden. Sie sind unecht, da es sich um keine parallele Kampagne handelt, sondern um eine eigentlich ebenfalls von der Partei ausgehende, verdeckte Parteikampagne.366 Um bei dem Bild der Parallelität zu bleiben: Bei der echten Parallelaktion treffen sich die beiden Geraden der Partei- und der Drittkampagne 362
Bäcker/Merten, MIP 2019, 235. Ähnlich Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Indirekte Parteienfinanzierung durch Wahlwerbung, 2018, S. 4: „Werbeveranstaltungen oder -maßnahmen, die nicht von der Partei selbst, sondern von Dritten durchgeführt werden.“ 363 Lehmann, Der Rechenschaftsbericht der politischen Partei, 2018, S. 226. 364 Krumbholz, Finanzierung und Rechnungslegung der politischen Parteien und deren Umfeld, 2010, S. 86. 365 Hobusch, DÖV 2020, 548, 550. 366 Eine ähnliche Terminologie findet sich bereits bei der Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes: Hier werden Parallelaktionen als „echt“ bezeichnet, welchen ein „aktives Übereinkommen“ zwischen Partei und Urheber der Aktion fehle, siehe Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Indirekte Parteienfinanzierung durch Wahlwerbung, 2018, S. 5. Nach Bäcker/Merten, MIP 2019, 235, 240 sind Parallelaktionen nicht „echt“, wenn es ein „wie auch immer verstandenes Einvernehmen mit der Partei“ gibt.
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nicht, es gibt keinen Schnittpunkt, welcher beide Kampagnen miteinander verbindet. Bei einer unechten Parallelaktion liegt dieser Schnittpunkt in der Einflussnahme oder Steuerung der Partei. Beide Geraden gehen von der Partei aus und schneiden sich hier, sind also nicht echt, sondern unecht parallel. Daneben ist in einigen Definitionsversuchen auch nach der Intensität der Werbung unterschieden worden: Dübber geht bei seiner Begrifflichkeit ja von keiner ausdrücklichen Werbung aus, sondern schlägt dies seinem Typ III zu. Um dies in der Kategorisierung abzubilden, bieten sich die Begrifflichkeit der expliziten oder impliziten Parallelaktion an. Explizite Werbung liegt vor bei der namentlichen Nennung der beworbenen Partei. Implizit ist die Kampagne dagegen, wenn etwa für die Ziele einer Partei geworben wird, ohne dass ausdrücklich namentlich auf sie Bezug genommen wird. Vor allem aus Betrachtungen des Wahlkampfes in den USA ist ein weiterer Aspekt bedenkenswert: Wenngleich in Deutschland wenig verbreitet, ist auch die Publizierung negativer Kampagnen über rivalisierende Parteien denkbar. Gerade in Wahlkämpfen, in denen eine Wahl tatsächlich oder rein faktisch zwischen nur zwei Kandidaten oder Parteien entschieden wird, gewinnt die Bekämpfung des Gegners zur Besserstellung der eigenen Partei an Relevanz. Der Nutzen kann aus Parteisicht sogar höher sein, wenn eine Drittkampagne nicht positiv für sie, sondern negativ, mit dem Anschein der Objektivität, gegen den Gegner wirkt. Insoweit sollen unter dem Begriff der Parallelaktionen nicht nur positive, sondern auch negative Kampagnen gefasst werden, ein Werben kann also für oder gegen eine Partei erfolgen. Wenn zum Teil in der Literatur noch vom Begriff der Parallelaktionen solche ausgenommen werden, die einen unmittelbaren oder mittelbaren Mittelzufluss bei der Partei bewirken, dann erscheint dies verzichtbar. Unter unmittelbaren Geldzuflüssen sind nach hiesigem Verständnis direkte Geldzuwendungen an die Partei zu verstehen. Diese können nicht gleichzeitig eine Werbekampagne für die Partei darstellen. Mittelbare Zuwendungen sind Handlungen Dritter, welche die Partei bereichern, ihr aber kein Geld zufließt, etwa geldwerte Zuwendung in Form von Dienstleistungen. Genau um die Frage, ob Parallelaktionen solche geldwerten Zuwendungen darstellen können, geht es indes. Nähme man auch solche Kampagnen aus, dann würde der Begriff der Parallelaktion nur solche – rechtlich unproblematischen – Kampagnen erfassen, die überhaupt keine Bereicherung bei der Partei auslösen. Dann wären im Übrigen auch die weiteren Merkmale zur Kategorisierung sinnlos. Insoweit ist ein direkter, jedenfalls aber ein mittelbarer Mittelzufluss nicht vom Begriff auszunehmen.
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Parallelaktionen sind damit jedes explizite wie implizite, abgestimmte (unechte) wie unabgestimmte (echte) Werben eines Dritten für oder gegen eine Partei.367 d) Einnahmen- und Spendensystematik des Parteiengesetzes Das Parteiengesetz kennt Spenden und Einnahmen. Gemäß § 27 Abs. 1 S. 3 PartG sind Spenden über Mitgliedsbeiträge und Mandatsträgerabgaben hinausgehende Leistungen an die Partei. § 27 Abs. 1 S. 4 PartG erweitert den Spendenbegriff auf geldwerte Zuwendungen aller Art. Als Einnahmen sind gemäß § 26 Abs. 1 S. 1 PartG alle erlangten Geld- beziehungsweise geldwerten Leistungen zu begreifen. Die Begriffe sind also teilweise deckungsgleich. Jede Spende ist eine Einnahme, aber nicht jede Einnahme ist eine Spende. Weiterhin ordnet § 26 Abs. 1 S. 2 PartG die „Übernahme von Veranstaltungen und Maßnahmen, mit denen ausdrücklich für eine Partei geworben wird“ als Einnahme ein. Spenden und Einnahmen werden regelmäßig abgegrenzt nach den Merkmalen der Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit.368 Nur bei Spenden finden allerdings die gesetzlich niedergelegten Spendenannahmeverbote in § 25 Abs. 2 PartG Anwendung. Spender müssen nach § 25 Abs. 3 S. 1 PartG ab einem Betrag von 10.000 Euro namentlich im Rechenschaftsbericht erwähnt werden, eine ähnliche Offenlegungspflicht existiert gemäß § 27 Abs. 2 S. 2 PartG auch für Einnahmen. Das Gesetz regelt für Einnahmen oder Spenden die verschiedenen Schritte bis zu einer Zuordnung zur Partei. Spenden empfangen können gemäß § 25 Abs. 1 S. 3 PartG auch Parteimitglieder, sind dann aber strafbewehrt zur Weiterleitung an das für Finanzen zuständige Vorstandsmitglied verpflichtet. Erlangt wird die Spende durch die Partei nach § 25 Abs. 1 S. 4 PartG dagegen erst, wenn die Spende in den Verfügungsbereich eines hauptamtlichen Mitarbeiters oder des für Finanzangelegenheiten zuständen Vorstandsmitglieds gelangt ist. Die Spende gilt nach § 25 Abs. 1 S. 4 HS. 2 PartG als nicht erlangt, wenn sie unverzüglich zurückgeleitet wird. Die Erlangung ist, anders als der Empfang durch ein Parteimitglied, der Zeitpunkt, in welchem eine Zuordnung zur Partei stattfindet. Die Erlangung für Geldzuflüsse zu bestimmen, begegnet keinen größeren Schwierigkeiten, schließlich ist bei Geldspenden weniger die Erlangungs- oder Annahmehandlung problematisch als vielmehr der Zeitpunkt der Erlangung. Bei geldwerten Zuwendungen, zu denen etwa Dienstleistungen, aber auch die hier relevanten Parallelaktionen zählen, ist indes weniger der Zeitpunkt kritisch, sondern bereits die Erlangungs- oder Empfangshandlung: Wie gelangt eine Dienstleistung Drit367
Ähnlich bereits Hobusch, DÖV 2020, 548, 550. Zu den Tatbestandsmerkmalen etwa Kersten, in: Kersten/Rixen (Hrsg.), Parteiengesetz (PartG) und europäisches Parteienrecht, 2009, § 27 Rn. 11 ff. mit weiteren Nachweisen. 368
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ter oder eine Parallelkampagne in den Verfügungsbereich des Mitglieds oder des Finanzvorstandes? Durch welches Verhalten kann eine geldwerte Leistung angenommen werden? Der Erlangung kommt aber nach § 25 PartG entscheidende Bedeutung zu, ohne eine Erlangung gelten weder die Spendenannahmeverbote noch die parteienrechtlichen Offenlegungspflichten. Normativer Anknüpfungspunkt ist damit die Frage, wann und vor allem wie eine geldwerte Zuwendung – etwa eine Parallelaktion – nach § 25 Abs. 1 S. 3 PartG empfangen und nach § 25 Abs. 1 S. 4 PartG in den Verfügungsbereich gelangt, sodass diese durch die Partei „erlangt“ ist.369 Die Frage der Zurechnung von Parallelaktionen ist folglich im Kern eine Frage nach dem Empfang und der Erlangung geldwerter Zuwendungen. Hierfür bedarf es der näheren Ausarbeitung von nicht unmittelbar im Gesetz auffindbarer Kriterien, um die bisherige Einnahme- und Spendensystematik auch für geldwerte Zuwendungen fruchtbar zu machen. e) Bisherige Einordnung: Parallelaktionen als Einnahme oder Spende? Im Schrifttum und Rechtsprechung werden Parallelaktionen beziehungsweise Werbeaktionen Dritter weit überwiegend nicht als Spende oder Einnahme für die Partei begriffen. Gleichwohl werden Kriterien genannt, nach denen eine Spende vorliegen soll. Es lassen sich vier verschiedene Ansichten unterscheiden. In einigen Untersuchungen wird neben der Ausdrücklichkeit der Werbung für die Partei370 auch ein Einverständnis der Partei gefordert, wenn von einer „Autorisation“371, einer „einverständliche[n] Leistungsübernahme“372, einer Abstimmung373 oder zumindest Zustimmung als Mindestvoraussetzung374 die Rede ist. 369
Präsident des Deutschen Bundestages, Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, 2013, S. 22 spricht von einem „Erlangungssurrogat“. Ähnlich auch Küstermann, Das Transparenzgebot des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG und seine Ausgestaltung durch das Parteiengesetz, 2003, S. 141. 370 Bei Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 319 sind „bloße Werbemaßnahmen für die Ziele einer Partei“ ohne ausdrücklicher Bezug zur Partei nicht als Einnahmen der Partei zu werten. Dübber, Parteienfinanzierung in Deutschland, 1962, S. 52 spricht von der „unmittelbaren und wörtlichen Aufforderung, eine bestimmte Partei zu wählen“. Mit Blick auf § 26 Abs. 1 S. 2 PartG kommt für Helmes, Spenden an politische Parteien und an Abgeordnete des Deutschen Bundestages, 2014, S. 96 ebenfalls nur ausdrückliche Werbung als Spende in Frage. 371 Dübber, Parteienfinanzierung in Deutschland, 1962, S. 52. 372 Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 319. 373 Helmes, Spenden an politische Parteien und an Abgeordnete des Deutschen Bundestages, 2014, S. 96. 374 Die Zustimmung genüge, wenn alle relevanten Umstände der Werbung im Moment der
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Das Erfordernis der parteiseitigen Zustimmung wird hierbei aus dem Wort „Übergabe“ aus § 26 Abs. 1 S. 2 PartG abgeleitet375, daneben sei eine Zurechnung ausgeschlossen ohne Kenntnis oder steuernden Einfluss auf fremdes Verhalten376, die Partei müsse sich unerwünschte Wahlwerbung nicht zurechnen lassen.377 Nach einer anderen Ansicht, die maßgeblich auf Morlok378 zurückgeht, wird lediglich auf den Einfluss der Partei abgestellt: Bei Werbemaßnahmen oder Wahlaufrufen liege eine Parteispende nur dann vor, wenn die Partei „wesentlichen Einfluss auf die Art der Verwendung des Zugedachten“379 hatte, entscheidend sei eine „alleinige Dispositionsbefugnis oder jedenfalls Mitgestaltungsmöglichkeit“380, um eine Zurechnung zu bejahen. Die Beschreibung des Einflusses in der Literatur fällt im Detail unterschiedlich aus, ist inhaltlich jedoch weitgehend deckungsgleich. Teilweise wird ein Einfluss „über Inhalt sowie Art und Weise der Durchführung und Kommunikation der Veranstaltung“381 als ausreichend gesehen, Anderen genügt ein Mindestmaß an Einfluss auf das „Ob und
Zustimmung bekannt seien, ansonsten bedürfe es einer darüber hinausgehenden Beeinflussung durch die Partei, so ders., Spenden an politische Parteien und an Abgeordnete des Deutschen Bundestages, 2014, S. 97. 375 Ders., Spenden an politische Parteien und an Abgeordnete des Deutschen Bundestages, 2014, S. 96. 376 Ders., Spenden an politische Parteien und an Abgeordnete des Deutschen Bundestages, 2014, S. 96. 377 Dübber, Parteienfinanzierung in Deutschland, 1962, S. 52. 378 Morlok, NJW 2000, 761, 764. 379 Ders., NJW 2000, 761, 764. Ebenso Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, 2011, § 25 Rn. 10. Aus der Rechtsprechung dem folgend auch VG Berlin, Urteil vom 14.01.2010 – 2 K 118.09 –, juris Rn. 18.; zuletzt VG Berlin, Urteil vom 09.01.2020 – 2 K 170.19 –, juris Rn. 28. 380 Morlok, NJW 2000, 761, 764. Dem folgend auch die der Rechtsprechung, siehe VG Berlin, Urteil vom 14.01.2010 – 2 K 118.09 –, juris Rn. 18.; zuletzt VG Berlin, Urteil vom 09.01.2020 – 2 K 170.19 –, juris Rn. 28. Ähnlich Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, 2011, § 26 Rn. 9, die ein „Mindestmaß an Einflussmöglichkeit“ als Voraussetzung nennt. Küstermann, Das Transparenzgebot des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG und seine Ausgestaltung durch das Parteiengesetz, 2003, S. 141 spricht ebenfalls davon, dass die Partei über den Vorteil „disponieren“ können müsse. 381 Kersten, in: Kersten/Rixen (Hrsg.), Parteiengesetz (PartG) und europäisches Parteienrecht, 2009, § 27 Rn. 30. Beispielhaft nennt auch Küstermann, Das Transparenzgebot des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG und seine Ausgestaltung durch das Parteiengesetz, 2003, S. 141 einen bestimmenden Einfluss der Partei über „Medium und […] Aussage“ zur Begründung einer ausreichenden Verfügungsmacht der Partei.
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Wie“382 oder schlicht Einfluss383, wieder andere fordern, dass „der annahmeberechtigten Person [im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 4 PartG] eine entsprechende Einflussmöglichkeit einvernehmlich eingeräumt wurde“384, teilweise wird auch eine reine Zustimmung als ausreichend erachtet385, andere fordern neben der Zustimmung der Parteiverantwortlichen noch die Kenntnis386. Die Ausdrücklichkeit der Werbung sei indes als Kriterium untauglich387, in den diskutierten Fällen von Kampagnen von Gewerkschaften oder Kirchen habe bisher keine ausdrückliche Werbung für eine Partei stattgefunden.388 Daneben sei der der objektive Nutzen der Kampagne für die Partei nicht ausreichend389, vielmehr komme es daneben auf eine Verfügungsmacht der Partei an, ansonsten könne schließlich der Partei eine Spende aufgedrängt werden.390 Der Partei müsse es nach Kenntnisnahme noch möglich sein, sich von einer Un382 Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, 2011, § 27 Rn. 18. Von einer „Absprache über das grundsätzliche Ob und Wie“ spricht Präsident des Deutschen Bundestages, Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, 2013, S. 22. 383 Wettig-Danielmeier, ZParl 32 (2001), 528, 532 stellt etwa lapidar fest: „Parallelaktionen werden in der Regel unabhängig von den Parteien geführt, von ihnen nicht beeinflusst und gehören daher zum Recht auf freie Meinungsäußerung.“ 384 Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, 2011, § 25 Rn. 10. Ähnlich die Bundestagsverwaltung, welche für eine Erlangung im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 4 PartG auf „Kenntnis und die grundsätzliche Zustimmung der Parteiverantwortlichen“ abstellt, siehe Präsident des Deutschen Bundestages, Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, 2013, S. 22. 385 In der reinen Zustimmung („Mach das!“) zu einer Plakatkampagne hat das Verwaltungsgericht Berlin im Fall Meuthen einen ausreichenden wesentlichen Einfluss gesehen, siehe VG Berlin, Urteil vom 09.01.2020 – 2 K 170.19 –, juris Rn. 32. 386 Präsident des Deutschen Bundestages, Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, 2013, S. 22. 387 Küstermann, Das Transparenzgebot des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG und seine Ausgestaltung durch das Parteiengesetz, 2003, S. 141; Morlok, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Unterrichtung durch die Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung, 2001, S. 49, 68. 388 Morlok, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Unterrichtung durch die Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung, 2001, S. 49, 68; Küstermann, Das Transparenzgebot des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG und seine Ausgestaltung durch das Parteiengesetz, 2003, S. 141: Es erfolge eine Nennung der Partei nur in Ausnahmefällen. 389 Dass der objektive Nutzen allein untauglich ist, dürfte allgemeine Ansicht sein, siehe etwa Krumbholz, Finanzierung und Rechnungslegung der politischen Parteien und deren Umfeld, 2010, S. 86; Rubenkönig, Die Rechenschaftspflicht der politischen Parteien nach Art. 21 Absatz 1 Satz 4 Grundgesetz, 2003, S. 140; Morlok, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Unterrichtung durch die Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung, 2001, S. 49, 68; Deutscher Bundestag, Bericht der Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung, 2001, S. 83. 390 Morlok, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Unterrichtung durch die Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung, 2001, S. 49, 68.
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terstützungsaktion zu distanzieren und dadurch „die Annahme der Spende zu verweigern“391. Allerdings wird eingeräumt, dass dieses enge Verständnis zu Beweisschwierigkeiten führen könne392, weshalb unter anderem als Indiz für eine Zurechnung die „Einfügung in eine übergreifende Werbekampagne“393 genannt wird. Zuletzt wurden als weitere Indizien auch die organisatorische, rechtliche und finanzielle Eigenständigkeit der Unterstützerorganisation genannt.394 Eine andere Ansicht will dagegen maßgeblich auf das Merkmal der „ausdrücklichen Werbung“ im Sinne des § 26 Abs. 1 S. 2 PartG abstellen: Das Erfordernis der Dispositionsbefugnis oder Mitgestaltungsmöglichkeit sei zu vage und zu unklar, was in Anbetracht der möglichen Sanktionen für Verstöße problematisch sei395, daneben sei die Einflussnahme praktisch schwierig zu beweisen.396 Vielmehr könne die Lösung nur in der bisherigen Regelung des § 26 Abs. 1 S. 2 PartG gefunden werden und zwar in dem Merkmal der „ausdrücklichen Werbung“.397 Werbung lediglich für die inhaltlichen Ziele einer Partei sei dagegen nicht vom Parteiengesetz erfasst.398 In neueren Ausführungen erscheint auch Morlok den kategorischen Widerstand gegen das Kriterium der ausdrücklichen Werbung aufzugeben und in den Fällen eine Zurechnung anzunehmen, in denen Dritte Logo und Name der Partei ohne Zustimmung verwenden und die Partei dem nicht widerspricht.399 391 Präsident des Deutschen Bundestages, Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, 2013, S. 22. 392 Zu den Beweisschwierigkeiten Morlok, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Unterrichtung durch die Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung, 2001, S. 49, 68. 393 Ders., in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Unterrichtung durch die Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung, 2001, S. 49, 68. 394 Morlok/Merten, Parteienrecht, 2018, S. 193. 395 Klein, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Unterrichtung durch die Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung, 2001, S. 3, 14. 396 Krumbholz, Finanzierung und Rechnungslegung der politischen Parteien und deren Umfeld, 2010, S. 88; Klein, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Unterrichtung durch die Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung, 2001, S. 3, 14. 397 Klein, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Unterrichtung durch die Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung, 2001, S. 3, 14. Ohne Bezug zur Norm stellt Rubenkönig, Die Rechenschaftspflicht der politischen Parteien nach Art. 21 Absatz 1 Satz 4 Grundgesetz, 2003, S. 140 fest, dass „grundsätzlich […] Zuwendungen, mit denen ausdrücklich [Hervorhebung im Original] für eine Partei geworben wird, Einnahmen im Sinne des Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG und des Parteiengesetzes“ seien. Ähnlich wie Klein argumentieren auch Müller/Albrecht, DVBl. 2000, 1315, 1324, die lediglich auf den objektiven Mittelzufluss bei den Parteien und den entsprechenden Zuwendungswillen abstellen wollen, einen subjektiven Annahmewillen jedenfalls in Bezug auf Fraktionsspenden an Parteien ablehnen. 398 Klein, NJW 2000, 1441, 1450. 399 Ohne nähere Begründung Morlok/Merten, Parteienrecht, 2018, S. 193.
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Ein vermittelnder Ansatz lehnt die vorgenannten Lösungsvorschläge ab, der eine sei zu eng, der andere zu weit.400 Für eine Zurechnung als Spende genüge bereits die Zustimmung der Partei, eine weitergehende Einflussnahme sei nicht erforderlich.401 Hierfür wird die Bedeutung des Wortes „Übernahme“ herangezogen, welche für ein „einverständliches Zusammenwirken“ spreche.402 Bei einem Einfluss der Partei auf die Maßnahme liege jedenfalls eine konkludente Zustimmung vor.403 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die herrschende Meinung wohl der eher restriktiven Auslegung Morloks anhängt und einen maßgeblichen Einfluss beziehungsweise eine Dispositionsbefugnis fordert. Dagegen wird von Klein und einigen Anderen ein weiter Zurechnungsbegriff vertreten, der sich an der „ausdrücklichen Werbung“ im Sinne des § 26 Abs. 1 S. 2 PartG festmacht, letztendlich also den Inhalt der Parallelaktion in den Vordergrund rückt. Weiterhin wird zum Teil auf das ausdrückliche oder konkludente Einverständnis der Partei abgestellt und auf weitere Zurechnungskriterien verzichtet. Andere fordern kumulativ Einverständnis und ausdrückliche Werbung. f) Kritik am restriktiven Verständnis Die bisherige rechtliche Erfassung von Parallelaktionen und ihre Einordnung als Einnahme oder Spende ist widersprüchlich und inkonsistent. aa) Unklare Anforderungen an den notwendigen Einfluss Bereits bei der Bestimmung des notwendigen Parteieinflusses treten diese Unklarheiten offen zutage. Schönberger fordert etwa zum einen lediglich ein „Mindestmaß“ an Einfluss, zum anderen aber auch „wesentlichen“ Einfluss. Und auch Morlok verlangt einerseits eine „effektive Einwirkungsmöglichkeit“, oder „wesentlichen Einfluss auf die Art und Weise der Verwendung“, andererseits eine „alleinige Dispositionsbefugnis oder jedenfalls Mitgestaltungsmöglichkeit“. Die genannten Anforderungen sind dabei aber höchst unterschiedlich.
400
Jochum, in: Ipsen (Hrsg.), Parteiengesetz, 22018, § 26 Rn. 5. Dies., in: Ipsen (Hrsg.), Parteiengesetz, 22018, § 26 Rn. 5. Auch Bäcker/Merten, MIP 2019, 235, 240 sehen bei einem „wie auch immer verstandenen […] Einvernehmen“ eine Spende. 402 Jochum, in: Ipsen (Hrsg.), Parteiengesetz, 22018, § 26 Rn. 5. 403 Dies., in: Ipsen (Hrsg.), Parteiengesetz, 22018, § 26 Rn. 5. Ähnlich hat bereits Helmes, Spenden an politische Parteien und an Abgeordnete des Deutschen Bundestages, 2014, S. 97 – bei im Einzelnen unterschiedlicher Ansicht – die Zustimmung als Mindestvoraussetzung, die Einflussnahme als darüber hinausgehend herausgestellt. 401
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Wesentlicher Einfluss dürfte solcher von einigem Gewicht sein, der also auch relativ zu den anderen Beteiligten der Partei einen bestimmenden Einfluss zubilligt, bei einem Abstellen auf das Mindestmaß erscheint dagegen auch eine geringere Beteiligung an der Planung oder Durchführung der Parallelaktion ausreichend. Und auch die effektive Einwirkungsmöglichkeit, verstanden als die Möglichkeit der Partei, einwirken zu können, stellt niedrigere Anforderungen an eine Zurechnung als der wesentliche Einfluss. Ähnlich ist die Unterschiedlichkeit bei der alleinigen Dispositionsbefugnis und der Mitgestaltungsmöglichkeit: Die reine Mitgestaltungsmöglichkeit ist denkbar einfach zu erfüllen, wohingegen die alleinige Dispositionsbefugnis dem Wortsinne nach die rechtliche Macht (Befugnis) enthält, die Kampagne „zur Disposition“ zu stellen und daher eine rechtliche Verhinderungsmacht jedenfalls naheliegend erscheinen lässt. Von einer rechtlichen Verhinderungsmacht ist die Mitgestaltungsmöglichkeit, das heißt die mögliche, aber nicht notwendig genutzte Chance zur Mitgestaltung, denkbar weit entfernt. Insgesamt zeigt das letztgenannte Begriffspaar die unterschiedlichen Anforderungen am besten auf: Die alleinige Dispositionsbefugnis ist die stärkste Anforderung an die Einwirkung der Partei, die reine Möglichkeit der Mitgestaltung oder Einwirkung dagegen die geringste, weil fakultative, nicht notwendigerweise genutzte Einwirkung.404 Weiterhin ist bereits die Grundannahme der herrschenden Ansicht zu bestreiten, wonach nur dann eine Spende an die Partei vorliegt, wenn die Partei wesentlichen Einfluss auf die Erstellung oder Verwendung hat. Auch das Angebot eines Dritten, für die Partei eine umfassende, aber nicht näher bezeichnete Kampagne zu erstellen und die reine Zustimmung der Partei zu einem solchen Vorgehen müssen bereits ausreichen.405 Nicht erforderlich für eine Zurechnung ist über die reine Zustimmung hinausgehender wesentlicher Einfluss auf die Details. Nach herrschender Meinung könnte die Partei so Kampagnen Dritter „zustimmen“, sich durch die bewusst herbeigeführte Unwissenheit in Bezug auf die Details der Kampagne aber einer Zurechnung entziehen.406
404
Zum Vorgenannten auch eingehend Hobusch, DÖV 2020, 548, 552. Ebenso das VG Berlin, Urteil vom 09.01.2020 – 2 K 170.19 –, juris Rn. 32, welches in der reinen Zustimmung („Mach das!“) zu einer Plakatkampagne einen ausreichenden wesentlichen Einfluss gesehen hat. Siehe auch Hobusch, DÖV 2020, 548, 552; Hobusch, Hemdsärmelig und illegal, 11.01.2020 (https://verfassungsblog.de/hemdsaermelig-und-illegal/) (geprüft am 24.02.2023); Hobusch, MIP 2019, 134, 136. 406 Dazu bereits Hobusch, DÖV 2020, 548, 552; Hobusch, MIP 2019, 134, 136; Hobusch, Hemdsärmelig und illegal, 11.01.2020 (https://verfassungsblog.de/hemdsaermelig-und-ille gal/) (geprüft am 24.02.2023). 405
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bb) Besonderheiten von Parallelaktionen Ausgeblendet werden bei der Einordnung von Parallelaktionen regelmäßig deren Besonderheiten. Im Gegensatz zu einer Geldspende ist der in einer Kampagne liegende Geldwert der Partei auch dann faktisch zugeflossen, wenn sie rechtlich nicht über ihn verfügen kann, da der Geldwert in Werbemaßnahmen gegenüber Dritten liegt und der Werbeeffekt auch ohne maßgeblichen Einfluss der Partei eintreten kann, weil die Partei zumindest Aufwendungen erspart. Anders als bei Geld, das erst dann zu einer Bereicherung führt, wenn die Partei darüber rechtlich verfügen, das heißt es ausgegeben und etwa in Wahlwerbung umsetzen kann, erlangt die Partei durch Parallelaktionen auch ohne entsprechende Verfügungsmacht einen Vorteil: Selbst ohne Zuwachs an Besitz, Eigentum oder von Forderungen kann die Partei durch eine Drittkampagne bereichert werden. Von einem Ersparen eigener Aufwendungen dürfte dann auszugehen sein, wenn die Parallel aktion im Sinne der Partei vorgenommen wird. Der maßgebliche Einfluss ist dafür ein denkbares, aber nicht das einzige denkbare Kriterium. cc) Relevanz des § 26 PartG Die bisherige Auseinandersetzung krankt auch daran, dass die ausdrückliche gesetzliche Regelung des § 26 Abs. 1 S. 2 PartG bisher nur von einem Teil der Literatur zur Lösung des Problems herangezogen wird, gleichwohl die Regelung die „Übernahme von Maßnahmen, die ausdrücklich für eine Partei werben“ als Einnahme einordnet. Die Literatur versteht den Erhalt einer solchen Maßnahme lediglich als Spende, sodass die Anforderungen an die Einnahmequalität identisch seien mit der Frage nach der Spendenqualität.407 Würden hier die gleichen Voraussetzungen zu erfüllen sein wie bei einer Zurechnung von geldwerten Zuwendungen als Spende im Sinne des § 25 PartG, dann wäre die Regelung allerdings vollständig nutzlos, schließlich enthält sie mit dem Erfordernis der ausdrücklichen Werbung ein über den normalen Spendenbegriff hinausgehendes Tatbestandsmerkmal. Käme es lediglich auf die Voraussetzungen der Einflussnahme oder der Dispositionsbefugnis an, die bei allen geldwerten Zuwendungen greifen sollen, dann würden an die Zurechnung von ausdrücklicher Werbung durch Dritte sogar höhere Forderungen gestellt als an die Zurechnung von Dienstleistungen oder anderen geldwerten Zuwendungen. Die Interpretation der herrschenden Ansicht missachtet den Wunsch des Gesetzgebers, für „ausdrückliche Werbung“ offenkundig einfachere Voraussetzungen zur Zurechnung zu schaffen. Im Gesetzentwurf zum Parteiengesetz aus dem Jahr 1957 heißt es zu der gleichlautenden Vorschrift: 407
So etwa Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, 2011, § 26 Rn. 9.
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„Als Einnahmen müssen ferner die Vermögenswerte gelten, die einer Partei dadurch zuwachsen, daß ein Dritter für die Partei wirbt. Dagegen werden bloße Werbemaßnahmen für bestimmte materielle Ziele einer Partei ohne ausdrückliche Aufforderung, für die Partei zu stimmen, ihr Gelder zuzuwenden usw., außer Betracht gelassen, da sie sich praktisch nicht erfassen lassen.“408
Ausweislich der Begründung stand für den Gesetzgeber damit gerade die Abgrenzung zwischen ausdrücklicher Werbung, das heißt der Werbung mit Namensnennung, und nicht-ausdrücklicher Werbung als solcher, bei der lediglich für die Ziele einer Partei geworben wird, im Vordergrund. Die ausdrückliche Werbung soll durch § 26 Abs. 1 S. 2 PartG anderen Anforderungen unterstellt werden als die übrige Werbung für eine Partei. Weitere Zurechnungskriterien, etwa eine Einvernehmlichkeit oder Einfluss lassen sich in der Begründung jedenfalls nicht auffinden. Die Regelung des § 26 Abs. 1 S. 2 PartG spricht damit gegen eine pauschale Lösung für alle geldwerten Zuwendungen, sondern gibt für ausdrückliche Werbung durch Dritte ein weiteres Abgrenzungskriterium an die Hand.409 2. Kongruenz mit der Zurechnungsdefinition Wie gezeigt ist die Problematik der Parallelaktionen virulent im Punkt der Erlangung und auch beim Empfang der Spende. Erforderlich für eine Erlangung der Spende durch die Partei ist das Gelangen in den Verfügungsbereich des Schatzmeisters oder eines hauptamtlichen Mitarbeiters, § 25 Abs. 1 S. 4 PartG. Da geldwerte Zuwendungen ebenso schwer von Parteimitgliedern angenommen – also „empfangen“ – werden können wie „erlangt“ durch die genannten annahmeberechtigten Personen, stellen sich hier ähnliche Probleme. Die Hauptnorm ist also entweder die Weiterleitungspflicht für das Parteimitglied oder die Erlangungsvorschrift durch die Partei. Beides erfordert ein Gelangen der Spende in den jeweiligen Verfügungsbereich. Ein solches „Beherrschen“ der Zuwendung mag zwar bei Geld in Form der tatsächlichen Verfügungsgewalt oder Sachherrschaft denkbar sein, bei geldwerten Zuwendungen und bei Parallelaktionen ist es dies nicht. Der Verfügungsbereich wird damit durch Zurechnung des Verfügungsbereiches eines Dritten, nämlich des Urhebers der Parallelaktion oder der geldwerten Zuwendung allgemein erweitert: Die Einfluss nehmende Partei wird so gestellt, als habe sie Verfügungsgewalt über das Verhalten des Dritten. Ist das Tatbestandsmerkmal erfüllt, eröffnen sich die Rechtsfolgen der Weiterleitungspflicht für das annehmende Mitglied oder die Erlangungswirkung
408 409
BT-Drs. III/1509, S. 31. Siehe auch Hobusch, DÖV 2020, 548, 553.
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für die Partei. Gegenstand der Zurechnung ist damit die Handlung Dritter, welche in den Verfügungsbereich der Partei transferiert wird. Zugerechnet wird das Verhalten Dritter durch Erlangung der Partei (§ 25 Abs. 1 S. 4 PartG), was der regelmäßige Fall sein dürfte und auch in der weiteren Untersuchung zugrunde gelegt wird. Technisch gesehen handelt es sich hier um eine verkettete Zurechnung: Die Handlung des Dritten wird dem Verfügungsbereich des Schatzmeisters oder hauptamtlichen Mitarbeiters zugeschlagen und dessen Verfügungsbereich wird dem Verfügungsbereich der Partei zugerechnet. Daneben ist aber auch die Zurechnung des Verhaltens zum annehmenden Parteimitglied (§ 25 Abs. 1 S. 3 PartG) denkbar. Im Folgenden soll indes der Fall der Erlangung näher beleuchtet werden, da hier direkt eine Zurechnung zur Partei stattfindet. Im Ergebnis dürften die Lösungsansätze zur Zurechnungsbegründung indes ähnlich sein. 3. Gemeinsamkeiten mit dem Zurechnungsmodell Die herrschende Meinung stellt als wesentliches Merkmal auf den Parteieinfluss ab. Hierbei variieren die Voraussetzungen von einer „Mitgestaltungsmöglichkeit“ bis hin zu einer „alleinigen Dispositionsbefugnis“. Teilweise wird auch eine „einverständliche Leistungsübernahme“ gefordert. a) Wille als Zustimmung Da es sich bei der Frage der Erlangung einer geldwerten Zuwendung in Form der Parallelaktion um die Zurechnung fremden Verhaltens handelt, können Erwägungen nicht überzeugen, die (allein) auf den Willen des Zuwendungsgebers abstellen. Finalität oder Wille im hier verstandenen zurechnungsbegründenden Sinne bedeutet immer Wille des Zurechnungsadressaten, nicht des Zurechnungssubjekts. Kommt es somit auf den Willen der Partei bei Parallelaktionen an, so ist dieser zwar in praxi schwerlich zu bestimmen, denkbare Formen sind eine ausdrückliche Zustimmung, aber auch eine konkludente Billigung durch die Partei. Die Billigung ohne ausdrückliche Willensentäußerung dürfte dabei häufiger anzutreffen sein.410 Die ausdrückliche oder konkludente Zustimmung zur Parallelaktion als Kriterium für die Zurechnung wird von der überwiegenden Literatur als 410 Schleth, in: Scheuch/Wildenmann (Hrsg.), Zur Soziologie der Wahl, 21968, S. 215, 266 schreibt bei seiner Untersuchung zur CDU etwa: „Es gab […] Fälle, in denen die […] Wahlkampfakteure der CDU entweder die Werbemaßnahmen anderer Institutionen fest eingeplant hatten oder aber wohlwollend duldeten, daß bestimmte Dinge ‚von anderen für die CDU getan‘ wurden.“
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Minimalvoraussetzung herangezogen. Diese Minimalvoraussetzung lässt sich im Zurechnungsmodell mit dem Zurechnungsgrund des Willens beschreiben. b) Arbeitsteilung Lässt sich ein Wille der Partei konstruieren, liegt regelmäßig auch der Zurechnungsgrund der Arbeitsteilung vor. Das Handeln Dritter erfolgt dann nicht nur mit Willen des Zurechnungsadressaten, sondern auch mit Wissen und in dessen Interesse. Das Interesse lässt sich hier sowohl anhand der Parteiaufgaben als auch aufgrund des monetären Aspekts begründen. Zum einen handelt der Dritte bei einer werbenden Kampagne für die Partei im Interesse der Partei, da Werbung für diese gemacht wird. In Wahlkampfzeiten, in denen die Partei auch selbst Werbung für sich und ihre Ziele macht, hat sie damit sonst notwendige Aufwendungen erspart oder jedenfalls an Reichweite ihrer Öffentlichkeitsarbeit gewonnen. Parteien sind zwar keine reinen Wahlkampfmaschinen, die Auseinandersetzung im Wahlkampf stellt aber die Parteien in der öffentlichen Wahrnehmung noch deutlicher in den Fokus. Die Teilnahme an Wahlen und damit verbunden auch die notwendige Begleitung des Wahlkampfes durch Öffentlichkeitsarbeit zählen zu den Kernaufgaben der Parteien in einer modernen Mediendemokratie, sie sind „Spezialorganisationen zur politischen Willensbildung“411, was sich im Besonderen in Zeiten von Wahlen durch ihre Öffentlichkeitsarbeit zeigt. Liegt auch noch das Wissenselement vor, sind alle Merkmale der Arbeitsteilungsdefinition erfüllt. c) Parteieinfluss als Beherrschung oder Absprache Als eines der zentralen Kriterien für eine Zurechnung einer Parallelaktion wird von Rechtsprechung und Literatur auf den Parteieinfluss abgestellt. Dieser lässt sich entweder in dem Zurechnungsgrund der kooperativen Absprache oder subordinativen Beherrschung auffinden. Beide Varianten sind denkbar, um Einfluss auf ein anderes Subjekt zu nehmen. aa) Parteieinfluss als Absprache Der Zurechnungsgrund der Absprache steht im Mittelpunkt einer Zurechnung von Parallelaktionen. Die Absprache „vergiftet“ die Parallelaktion und macht sie zu einer unechten Parallelaktion.412 Die Absprache kann durch die in der Literatur teilweise vorgebrachte „einverständliche Leistungsübernahme“, aber auch durch 411
412
Morlok, in: Ipsen (Hrsg.), 40 Jahre Parteiengesetz, 2009, S. 53, 62. Hobusch, DÖV 2020, 548, 555.
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eine konkludente Absprache zustande kommen. Die Absprache besteht nicht aus rechtlichen Willenserklärungen, sondern ist untechnisch zu verstehen. Liegt bereits parteiseitig ein entsprechender Wille vor, kann dieser auch zur Begründung der Absprache herangezogen werden. Der Wille des Urhebers der Parallelaktion, die Partei zu unterstützen, dürfte evident sein. Bei einer begünstigenden, werbenden Kampagne tritt dieser Wille jedenfalls durch schlüssiges Verhalten hervor. Für die Absprache ist daneben lediglich der Wille des Zurechnungssubjekts in Bezug auf das vorzunehmende Verhalten erforderlich, ein besonders ausgeprägter Begünstigungswille – oder vorliegend ein besonderer Bereicherungswille in Bezug auf die Partei – ist nicht erforderlich. Zusammen mit dem Willen der Partei liegt somit auch eine Willensübereinstimmung vor, welche den Zurechnungsgrund der Absprache zur Anwendung bringt. Die Einordnung einer abgesprochenen Parallelaktion als Spende ist im Ergebnis auch unstreitig. Zwar ist der Zurechnungsgrund der Absprache für das Problem der Parallelaktionen einer der stärksten Zurechnungsgründe, die Anwendung ist jedoch erheblichen Beweisproblemen ausgesetzt. Der Nachweis einer ausdrücklichen Willensübereinstimmung dürfte in den seltensten Fällen erbracht werden können. Auf die Frage, welche Person innerhalb der Partei den Einfluss ausüben muss, soll hier nur kurz eingegangen werden. Entgegen der Bundestagsverwaltung, welche den Parteieinfluss als „Erlangungssurrogat“ auf „grundsätzlich repräsentative Parteifunktionäre“ beschränkt,413 kommt es mit Schönberger bei der Einflussnahme zu einer Annahme bereits durch die einflussnehmende Person, welche diese Information dann an die annahmeberechtigten Personen innerhalb der Partei weiterleiten muss und dadurch die Erlangung der Partei auslöst.414 Insoweit ist die Einflussnahme aber kein Erlangungssurrogat, sondern nur ein Annahmesurrogat415 beziehungsweise noch genauer ein Empfangssurrogat416. So ist Missbrauch vorgebeugt und ein Gleichlauf mit der Geldspendenerlangung sichergestellt, denn auch bei Geldspenden liegt eine Spende nicht erst dann vor, wenn sie von einer annahmeberechtigten Person entgegengenommen wird, sondern auch hier kann jedes Mitglied Spenden annehmen, ist aber strafbewehrt zur Weiterleitung verpflichtet (§ 25 Abs. 1 S. 3 PartG).417 Es wäre widersinnig, wenn Parallelaktionen nur erlangt und nicht empfangen werden können und damit von vornherein der Kreis der zulässigen Empfänger auf die (wenigen) „annahmebe413 Präsident des Deutschen Bundestages, Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, 2013, S. 22. 414 Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, 2011, § 25 Rn. 10. 415 Hobusch, DÖV 2020, 548, 554. 416 Diese Terminologie schließt den Kreis zu den oben genannten Begrifflichkeiten des Spendenempfangs und der Spendenerlangung. 417 Vertiefend Hobusch, DÖV 2020, 548, 554.
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rechtigten“ Personen verengt würde. Dies würde es im Übrigen Parteien erleichtern, durch organisatorische Maßnahmen eine Erlangung zu verhindern. bb) Parteieinfluss als Beherrschung Wenn zum Teil auf die „Dispositionsbefugnis“ oder eben auch auf den Einfluss allgemein abgestellt wird, dann lässt sich hierin die (rechtliche) Herrschaft als Zurechnungsgrund auffinden. Wer allein über die Handlungen eines anderen disponieren kann, der hat die rechtliche oder tatsächliche Herrschaft inne. Die rechtliche Herrschaft über die Parallelkampagne ist gegeben, wenn zumindest eine rechtliche Verhinderungsmöglichkeit besteht und das Handeln Dritter damit „in der Hand“ der Partei liegt und trotz Kenntnis oder Kennenmüssen nicht verhindert wird. Die Herrschaft ergibt sich folglich aus der Möglichkeit, von der bestehenden Rechtsmacht Gebrauch zu machen. Wird von einer derartigen Rechtsmacht kein Gebrauch gemacht, lässt sich daraus ein Duldungswille konstruieren: Wer Kenntnis und die Möglichkeit der Verhinderung hat, kann wie bei der Duldungsvollmacht mit den Folgen des Drittverhaltens belastet werden, wenn ein entsprechender Rechtsschein besteht. Ist die Tür für die Herrschaft als Zurechnungsgrund einmal geöffnet, so zeigen auch weitere Begründungsversuche der Literatur in diese Richtung. Wenn auf die Unabhängigkeit der Urheber abgestellt wird und auch hier nach organisato rischen, finanziellen oder personellen Aspekten gefragt wird, dann sind dies ähnliche Aspekte wie beim Parteibegriff. Auf einer organisatorischen Ebene beschreiben diese Aspekte ebenfalls eine mögliche Herrschaft der Partei über den Urheber der Parallelaktion. Ist dieser von der Partei beherrscht, wird es sich regelmäßig um eine Teilorganisation handeln, die ohnehin der Rechenschaftspflicht untersteht, da sie als beherrschte Organisation Teil der Partei ist oder jedenfalls der Rechenschaftspflicht untergeordnet wird. Dennoch können die genannten Kriterien auch in dieser Konstellation herangezogen werden. d) Ausdrückliche Werbung als Rechtsschein Wenn Teile der Literatur auf den Aspekt der ausdrücklichen Werbung und der Intensität der Werbung abstellen wollen418, dann lässt sich dies an den Zurechnungsgrund des Rechtsscheins anknüpfen. Die hier vorgeschlagene Differenzierung zwischen impliziter und expliziter Werbung ist im Gesetz angelegt (§ 26 Abs. 1 S. 2 PartG) und auch bei der Definition der Parallelaktionen berücksichtigt worden.419 Ausdrückliche Werbung für eine Partei erweckt aus Bürgersicht 418 419
Oben § 5 B. III. 1. e). Zum Begriffsvorschlag § 5 B. III. 1. c).
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den Anschein, nicht der Dritte sei Urheber, sondern die Partei oder jedenfalls eine entsprechende Absprache bestehe, da ausdrückliche Werbung für eine Partei im Wahlkampf regelmäßig durch die Parteien selbst erfolgt. Der Rechtsschein ist der Partei auch zurechenbar, wenn die Veröffentlichung unterbunden werden kann, die Partei also eine rechtliche Verhinderungsmöglichkeit innehat und Kenntnis oder Kennenmüssen vorliegt. Dieser Zurechnungsgrund passt augenscheinlich nur als Surrogat für die Erlangung (§ 25 Abs. 1 S. 4 PartG), da der entsprechende Rechtsschein und das Nichthandeln trotz Möglichkeit und Kenntnismöglichkeit nur gegen die herausgehobenen Repräsentanten gerichtet sein können: Das einfache Spenden annehmende Mitglied (§ 25 Abs. 1 S. 3 PartG) hat schließlich schon von vornherein keine rechtliche Handhabe gegen den Dritten, welcher den Rechtsschein für die Partei erzeugt. Die rechtliche Verhinderungsmöglichkeit der Partei respektive der Parteiführung liegt in den namensrechtlichen Ansprüchen begründet. e) Exkurs: Namensrecht als Verhinderungsmöglichkeit Für den Zurechnungsgrund der Beherrschung, aber auch für die Zurechenbarkeit des Rechtsscheins ist entscheidend, ob eine rechtliche Verhinderungsmöglichkeit für die Partei gegenüber dem Dritten besteht. Dieser Frage wurde augenscheinlich in der Literatur bisher keine nähere Beachtung geschenkt. aa) Parteienrechtlicher Namensschutz nicht anwendbar Neben dem zivilrechtlichen Namensschutz des § 12 BGB steht den Parteien ein besonderer Namensschutz in § 4 PartG zur Verfügung. § 4 PartG ist einer der wenigen Fälle einer direkten rechtlichen Konkurrenzsituation der Parteien untereinander. Das Parteiengesetz enthält eigene Regelungen zum Schutz des Partei namens.420 Zweck des § 4 PartG ist die Sicherstellung der Unterscheidbarkeit der Parteien, wie das Unterscheidungsgebot in § 4 Abs. 1 S. 1 PartG verdeutlicht. Erfasst vom Namensrecht des § 4 PartG sind nicht nur der Name, sondern auch Namensbestandteile und die Kurzbezeichnung wie § 4 Abs. 1 HS. 2 PartG zeigt. 420
In der Zeit vor dem Parteiengesetz standen für die durchaus praktisch relevante Frage des Namensrechts kaum brauchbare Lösungen bereit, insbesondere was die prozessuale Geltendmachung anging. Zu den Problemen und der Notwendigkeit eines Parteiengesetzes zur Lösung ebenjener Probleme siehe Redelberger, NJW 1953, 1889, 1891. Zur Frage der Geltendmachung der Parteirechte durch den Vorstand auch OLG Frankfurt, NJW 1952, 793, 793 f.; kritisch dazu die Anmerkung von Lent, NJW 1952, 792, 793.
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Zusatzbezeichnungen genießen nur einen untergeordneten Schutz.421 Es gilt – ähnlich wie im Markenrecht – das sogenannte Prioritätsprinzip422: Der Namensschutz gebührt also der „älteren“ Partei, wohingegen die „jüngere“ Partei bei der Auswahl ihres Namens gewissen Beschränkungen unterliegt. Der Schutz des Namens in § 4 PartG verstärkt – als lex specialis423 – den allgemeinen zivilrechtlichen Namensschutz des § 12 BGB zwar, ersetzt ihn aber nicht.424 Verstärkt wird der Namensschutz für die Parteien untereinander, indem es etwa nicht darauf ankommt, ob dem Namen eine individualisierende Eigenart425 oder Verkehrsgeltung zukommt426. Daneben spielt die räumliche Ausdehnung – anders als bei Vereinen nach § 57 Abs. 2 BGB – keine Rolle, der Namensschutz gilt im gesamten Bundesgebiet.427 Auch Begrifflichkeiten, denen an sich keine namensbildende Funktion zukommt, beispielsweise Alltagsbegriffe428, können eine Verwechslungsgefahr begründen.429 Diese Beschränkung der freien Namenswahl der Parteien ist angemessen, da Parteien zahlenmäßig weniger Konkurrenz gegenüberstehen als beispielsweise reguläre Unternehmen und daher mehr Möglichkeiten zur Namenswahl bestehen.430
421
Morlok, MIP 2004/2005, 49, 52. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Parteiengesetz, 22018, § 4 Rn. 3; Schwarz, in: Kersten/Rixen (Hrsg.), Parteiengesetz (PartG) und europäisches Parteienrecht, 2009, § 4 Rn. 4. 423 Schwarz, in: Kersten/Rixen (Hrsg.), Parteiengesetz (PartG) und europäisches Parteienrecht, 2009, § 4 Rn. 2. 424 BVerfGE 89, 291, 308; aus der frühen Literatur etwa Merle, DÖV 1968, 84, 85; in der Gesetzesbegründung heißt es, der bürgerlich-rechtliche Namensschutz allein sei nicht ausreichend, um Namensmissbrauch zu begegnen, siehe BT-Drs. III/1509, S. 18 und daneben o.A., Rechtliche Ordnung des Parteiwesens, 1957, S. 163. 425 Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, 2011, § 4 Rn. 6; a. A. Schwarz, in: Kersten/Rixen (Hrsg.), Parteiengesetz (PartG) und europäisches Parteienrecht, 2009, § 4 Rn. 7 siehe dort Fn. 21. 426 Morlok, Parteiengesetz, 22013, § 4 Rn. 2; Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, 2011, § 4 Rn. 6 mit Verweis auf BGH NJW 1981, 914, 915; Schwarz, in: Kersten/Rixen (Hrsg.), Parteiengesetz (PartG) und europäisches Parteienrecht, 2009, § 4 Rn. 4; Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Parteiengesetz, 22018, § 4 Rn. 3, der mit Verweis auf den BGH ausführt, dass Namensschutz für Parteien unabhängig von der Dauer des Bestehens der Partei bestehen müsse, womit es auf Verkehrsgeltung nicht ankommen könne. Siehe dazu auch Wietschel, BayVbl. 1998, 488, 489 = dies., MIP 1996, 29, 31 f. 427 Statt vieler Roellecke, DRiZ 1968, 117, 119. 428 Schwarz, in: Kersten/Rixen (Hrsg.), Parteiengesetz (PartG) und europäisches Parteienrecht, 2009, § 4 Rn. 6. 429 Mit Beispielen Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, 2011, § 4 Rn. 6 f. 430 Schmitt-Gaede/Arz, NJW 2013, 2729, 2731 f. 422
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Das Parteiengesetz stellt keinen öffentlich-rechtlichen Namensschutz bereit431, es verweist die Parteien zur Durchsetzung vielmehr auf die Regeln des bürgerlichen Namensrechts und des Zivilprozesses432, indem es schlicht keine eigenen Regelungen zur Durchsetzung bereitstellt433. Insofern ist eine zwangsweise Durchsetzung der Unterscheidbarkeit Sache der Parteien434 und keiner öffentlichen Stelle. § 4 PartG zielt ausweislich des Wortlautes der Regelung allein auf die Parteien untereinander ab, nutzen andere Organisationen den Parteinamen, so bestimmt sich alles weitere nach dem allgemeinen Namensrecht des § 12 BGB.435 Für die möglichen Verhinderungsmöglichkeiten der Partei gegen die Parallelaktion kann es auf § 4 PartG somit nicht entscheidend ankommen, da es sich bei den Dritten im Sinne der Parallelaktionen regelmäßig nicht um eine Partei handelt. bb) Das bürgerliche Namensrecht Das Namensrecht des bürgerlichen Rechts hat sich trotz oder vielleicht gerade wegen der spezialgesetzlichen, das allgemeine Namensrecht verdrängenden436 Modifikationen im Wirtschaftsrecht, namentlich im Marken-, Patent- oder etwa Handelsrecht zu einer „Generalklausel des gesamten Bezeichnungsrechts“437, zur Spitze des Eisbergs438 entwickelt. Die verschiedenen Ausrichtungen des Namensrechts lassen sich auch bei der noch immer umstrittenen Rechtsnatur des Namensrechts veranschaulichen: Weisen die wirtschaftlichen Interessen eher in das Immaterialgüterrecht, so zeigt der Schutz der Identität und Privatsphäre auch
431
BVerfGE 89, 291, 308. Siehe etwa Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, 2011, § 4 Rn. 1, zur Reichweite der zivilrechtlichen Ansprüche der Parteien untereinander siehe § 4 Rn. 10 f.; dazu auch Schwarz, in: Kersten/Rixen (Hrsg.), Parteiengesetz (PartG) und europäisches Parteienrecht, 2009, § 4 Rn. 15 ff. 433 Anders noch der Entwurf zum Parteiengesetz von 1959, BT-Drs. III/1509, der in § 7 Abs. 4 PartG-E klarstellte, dass das bürgerliche Namensrecht im Übrigen maßgeblich sei. Dazu auch Roellecke, DRiZ 1968, 117, 119. 434 Vgl. Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Parteiengesetz, 22018, § 4 Rn. 7. 435 Morlok, MIP 2004/2005, 49, 52; Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, 2011, § 4 Rn. 8; Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Parteiengesetz, 22018, § 4 Rn. 7. 436 So die h.M: Siehe etwa BGH NJW 2002, 2031, 2033; 2005, 1196; Ellenberger, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 12 Rn. 15; Martinek/Heine, in: Herberger/ Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 8; Koos, in: Heidel/Hüßtege/Mansel u. a. (Hrsg.), BGB, 42021, § 12 Rn. 15. 437 Fezer, Markenrecht, 42009, § 15 Rn. 53; ähnlich Schlüter, JuS 1975, 558, 560. 438 Vgl. Martinek/Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 8. 432
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die Aspekte an, die vornehmlich das Persönlichkeitsrecht tangieren.439 In der Literatur ist daher von einer „Doppelnatur des Namensrechts“440 die Rede. Zu den Grundfunktionen des Namensrechts zählt die Identitäts- beziehungsweise Individualisierungsfunktion, welche den Träger des Namens in seiner Individualität als Rechtssubjekt erfasst.441 Daneben lässt sich auch eine Ordnungsfunktion auffinden, welche in dem öffentlichen Interesse begründet ist, einer Person einen Namen zuzuordnen442, um die Zuordnung von Rechten zur Person zu ermöglichen.443 Bereits früh erfolgte eine Ausweitung des Namensrechts des § 12 BGB auf juristische Personen444, inzwischen genießen etwa auch nicht-rechtsfähige Personenverbände den Schutz des § 12 BGB.445 Um eine Individualisierbarkeit zu erreichen, benötigt ein Name Unterscheidungskraft446, das heißt die „Eigenschaft […], kraft derer sie zur Unterscheidung und zur Kennzeichnung einer bestimmten Person oder eines bestimmten Gegenstandes geeignet ist.“447 Gegenstände genießen nur ausnahmsweise Namensschutz, wenn sie „namensartige Kennzeichen“ sind, ihre Bezeichnung also „wie ein Name“ gebraucht wird.448 Unterscheidungskraft kann sich aus zweier439
Umfassend zum Streitstand zur Rechtsnatur und mit weiteren Nachweisen Koch, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.06.2021, § 12 Rn. 4 ff.; Koos, in: Heidel/ Hüßtege/Mansel u. a. (Hrsg.), BGB, 42021, § 12 Rn. 19 ff. 440 Martinek/Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 5. 441 BGH NJW 1959, 525; NJW 2002, 2031; Prütting, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 152020, § 12 Rn. 2; Burkhardt/Pfeifer, in: Burkhardt/Gamer/Pfeifer u. a. (Hrsg.), Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 62018, 10. Kapitel Rn. 40. 442 Prütting, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 152020, § 12 Rn. 3. 443 Martinek/Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 2 m. w. N. 444 Zu der Kritik daran und mit Hinweis auf die Entstehungsgeschichte, die einer Ausweitung nicht entgegenstehe Schlüter, JuS 1975, 558, 560 f. 445 Siehe etwa Martinek/Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 3 und Rn. 21 ff.; Koos, in: Heidel/Hüßtege/Mansel u. a. (Hrsg.), BGB, 42021, § 12 Rn. 67; Burkhardt/Pfeifer, in: Burkhardt/Gamer/Pfeifer u. a. (Hrsg.), Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 62018, 10. Kapitel Rn. 41 alle mit weiteren Nachweisen. 446 Vgl. Ellenberger, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 12 Rn. 11. 447 Martinek/Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 6; ähnlich Fezer, Markenrecht, 42009, § 15 Rn. 78. 448 Mit Nachweisen Martinek/Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 6; Ellenberger, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 12 Rn. 11; siehe auch Koos, in: Heidel/Hüßtege/Mansel u. a. (Hrsg.), BGB, 42021, § 12 Rn. 88.
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lei ergeben: Zum einen kann Unterscheidungskraft bereits von Natur aus (originär) oder kraft Verkehrsgeltung (derivativ) entstehen.449 Von Natur aus haben jedenfalls umgangssprachliche Begrifflichkeiten und Gattungsbegriffe keine Unterscheidungskraft.450 Voraussetzung für die Verkehrsgeltung ist, dass ein erheblicher Teil des angesprochenen Verkehrskreises die Kennzeichnung „aufgrund von Erfahrung und gedanklicher Verbindung“ als Bezeichnung einer Person oder eines Gegenstandes versteht.451 Der Namensschutz beginnt bei natürlichen Personen mit Geburt, Heirat oder Adoption, andernfalls mit der Erlangung der Verkehrsgeltung und endet grundsätzlich mit dem Tod452 oder dem Entfall der Verkehrsgeltung453. Räumlich ist der Namensschutz grundsätzlich unbeschränkt im gesamten Bundesgebiet anwendbar454, solange der Name Verkehrsgeltung besitzt.455 (1) Ansprüche des Namensinhabers Aus § 12 BGB ergeben sich Abwehransprüche gegen Namensleugnung und Namensanmaßung. Andere Verletzungen, etwa ehrschädigender Natur, werden über die allgemeinen deliktsrechtlichen Ansprüche der §§ 823 ff. sowie § 1004 BGB abgesichert.456 Namensleugnung ist die ausdrückliche oder konkludente „Nichtanerkennung des Namens des Berechtigten“457, wenn dem Berechtigten also das 449
Zuletzt etwa BGH GRUR 2008, 801, Rn. 12 ff.; BGH GRUR 2002, 917, 919; siehe auch die Rechtsprechungsnachweise bei Martinek/Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 6; Koos, in: Heidel/Hüßtege/Mansel u. a. (Hrsg.), BGB, 42021, § 12 Rn. 85, 87; Fezer, Markenrecht, 42009, § 15 Rn. 78. 450 Siehe etwa Burkhardt/Pfeifer, in: Burkhardt/Gamer/Pfeifer u. a. (Hrsg.), Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 62018, 10. Kapitel Rn. 42; Fezer, Markenrecht, 42009, § 15 Rn. 79 f. 451 Martinek/Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 6, 28; Koos, in: Heidel/Hüßtege/Mansel u. a. (Hrsg.), BGB, 42021, § 12 Rn. 88. 452 Auch postmortaler Namensschutz ist indes unter Umständen möglich, siehe Martinek/ Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 9 11.02.2021, § 12 Rn. 53 ff. m. w. N.; Burkhardt/Pfeifer, in: Burkhardt/Gamer/Pfeifer u. a. (Hrsg.), Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 62018, 10. Kapitel Rn. 47. 453 Siehe nur Koos, in: Heidel/Hüßtege/Mansel u. a. (Hrsg.), BGB, 42021, § 12 Rn. 88 m. w. N. 454 BGH GRUR 1955, 299, 300; 1961, 535; 1970, 479. Koos, in: Heidel/Hüßtege/Mansel u. a. (Hrsg.), BGB, 42021, § 12 Rn. 47; Fezer, Markenrecht, 42009, § 15 Rn. 86. 455 Koos, in: Heidel/Hüßtege/Mansel u. a. (Hrsg.), BGB, 42021, § 12 Rn. 48; Bamberger/ Förster, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 12 Rn. 57. 456 Vgl. Bamberger/Förster, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 12 Rn. 103. 457 Dies., in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 12 Rn. 72.
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Recht bestritten wird, einen gewissen Namen zu tragen.458 Die Namensanmaßung liegt vor bei jedem unbefugten Gebrauch eines gleichartigen Namens, durch den schutzwürdige Interessen des Namensinhabers verletzt werden.459 Für die Frage nach Ansprüchen der Partei gegen den Urheber der Parallelaktion kommt regelmäßig lediglich die Namensanmaßung in Betracht, weshalb die Ausführungen auf diese Variante beschränkt werden. Hierfür muss der Gebrauch eines Namens vorliegen. Dieser müsste unbefugt erfolgen und daneben schutz würdige Interessen des Namensinhabers verletzen. Der Gebrauch eines Namens liegt vor, wenn ein gleicher oder verwechslungsfähiger Name verwendet wird.460 Erforderlich ist darüber hinaus die Auslösung einer Zuordnungsverwirrung, sodass nach Auffassung eines nicht unerheblichen Teils des Verkehrs der Eindruck entsteht, der Name eines anderen werde als eigener Name verwendet.461 Diese Zuordnungsverwirrung kann etwa dann entstehen, wenn der Namensinhaber durch die Nutzung des Namens „in Beziehung zu bestimmten Einrichtungen, Gütern oder Erzeugnissen gesetzt“462 wird oder auch dann, wenn der Eindruck entsteht, der Namensträger habe der Verwendung zugestimmt463. Es genügt bereits die Herstellung einer gedanklichen Verbindung zum Namensträger464 oder auch der Eindruck wirtschaftlicher oder organisatorischer Verbindungen465, aber auch der Anschein persönlicher Beziehung 458
Ähnlich etwa BGHZ 155, 273, Rn. 16. Siehe auch Koch, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.06.2021, § 12 Rn. 90; Prütting, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 152020, § 12 Rn. 15. 459 Martinek/Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 65; Burkhardt/Pfeifer, in: Burkhardt/Gamer/Pfeifer u. a. (Hrsg.), Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 62018, 10. Kapitel Rn. 44; Prütting, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 152020, § 12 Rn. 16; Fezer, Markenrecht, 42009, § 15 Rn. 102; ähnlich Bamberger/Förster, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 58 01.05.2021, § 12 Rn. 73. 460 Prütting, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 152020, § 12 Rn. 16; Koos, in: Heidel/Hüßtege/Mansel u. a. (Hrsg.), BGB, 42021, § 12 Rn. 193. 461 Vgl. nur BGHZ 155, 273, Rn. 17. 462 So bereits BGHZ 30, 7, 9; weitere Nachweise bei Martinek/Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 67; Ellenberger, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 12 Rn. 23. 463 BGHZ 126, 208, 216; 119, 237, 245; BGH NJW 1993, 918; Bamberger/Förster, in: Hau/ Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 12 Rn. 73; Martinek/Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 67; Ellenberger, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 12 Rn. 23; Koos, in: Heidel/Hüßtege/Mansel u. a. (Hrsg.), BGB, 42021, § 12 Rn. 205a; Burkhardt/Pfeifer, in: Burkhardt/Gamer/ Pfeifer u. a. (Hrsg.), Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 62018, 10. Kapitel Rn. 46. 464 Bamberger/Förster, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 12 Rn. 73. 465 Siehe nur BGHZ 119, 237, 245.
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zum Namensträger466. Eine Zuordnungsverwirrung entsteht auch bei dem Anschein einer inhaltlichen Verbindung zwischen dem Namensgebrauch und dem Namensträger467, etwa bei dem Gebrauch eines fremden Namens unter einem Aufruf.468 Auch der mittelbare Hinweis auf den Namensträger kann bereits unter Umständen eine Zuordnungsverwirrung auslösen.469 Die Bewertung, ob eine Zuordnungsverwirrung vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und kann nicht abstrakt beantwortet werden. Nicht der abstrakte Name ist schließlich von dem unbefugten Namensgebrauch verletzt, sondern immer der konkret dahinterstehende Namensträger470, der Schutz des Namens ist kein Selbstzweck471. Wer den Namen eines anderen verwendet, muss durch Formulierungen oder klarstellende Zusätze deutlich machen, dass jedenfalls bei der überwiegenden Mehrheit des angesprochenen Personenkreises keine Irritationen über den tatsächlichen Urheber entstehen.472 Neben dem Adressatenkreis ist auch der Kontext von Bedeutung: Schlüter führt das eingängige Beispiel einer Satirezeitschrift an, in der viele Leser mit einer satirischen Parteiwerbung rechnen würden, im öffentlichen Raum sei dies ohne Zusätze indes nicht klar zu erkennen.473 Kein Namensgebrauch und damit auch kein Fall des § 12 BGB ist die schlichte Namensnennung. Werden Personen mit ihrem richtigen Namen bezeichnet und sei es auch in einem Zusammenhang, liegt darin grundsätzlich keine Verletzung des Namensrechts.474 Satirische Namensverfremdungen sind in der Regel Namensnennungen475, können aber auch eine Identitätstäuschung darstellen.476 466
Fezer, Markenrecht, 42009, § 15 Rn. 103. So bereits OLG Koblenz DRZ 1948, 176 und die Besprechung bei Nipperdey, DRZ 1948, 177. Ähnlich etwa Koos, in: Heidel/Hüßtege/Mansel u. a. (Hrsg.), BGB, 42021, § 12 Rn. 206. 468 Säcker, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 12 Rn. 113. 469 Martinek/Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 67 m. w. N. 470 Instruktiv dies., in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 67. 471 Siehe auch Fezer, Markenrecht, 42009, § 15 Rn. 103: „Der Name wird aber nicht um seiner selbst willen geschützt, sondern im Interesse der Persönlichkeit des Namensträgers.“ 472 Prütting, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 152020, § 12 Rn. 16; Schlüter, JuS 1975, 558, 562. 473 Schlüter, JuS 1975, 558, 562. 474 Ellenberger, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 12 Rn. 23. 475 Martinek/Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 70. 476 Siehe beispielsweise BGH GRUR 2005, 583 f. und die weiteren Beispiele bei Bamberger/Förster, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 12 Rn. 76. 467
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Die namensmäßige Erwähnung von Personen des öffentlichen Lebens in Werbeanzeigen oder im künstlerischen Gebrauch kann unter Umständen als Namensanmaßung zu bewerten sein.477 In der Catarina-Valente-Entscheidung hat der Bundesgerichtshof lediglich eine Namensnennung angenommen, wenn die Verwendung des Namens eine Zurechnung der Inhalte der Werbung ausschließt.478 Gegebenenfalls ist dann aber eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Betracht zu ziehen.479 Werden Plakate unter Gebrauch eines Parteinamens verwendet ist für die Abgrenzung entscheidend, ob es sich für den Betrachter um eine Aussage über die Partei, dann Namensnennung, oder um eine Aussage der Partei, dann Namensgebrauch, handelt.480 Die Verwendung des Namens „sozialdemokratische Aktion“ durch eine Abspaltung von SPD-Mitgliedern wurde als Namensanmaßung eingeordnet, da sie nahelegen würde, es handele sich um eine Organisation im Zusammenhang mit der SPD oder einer Gruppe von besonders aktiven SPD-Mitgliedern.481 Die Plakatierung gegen eine Partei gerichteter ironischer Wahlwerbung unter Nutzung des Parteisignums wurde ebenfalls als Namensanmaßung eingeordnet, da der Anschein einer Parteiveröffentlichung erweckt werde.482 Die Partei brauche es sich nicht gefallen lassen, dass der Name für eine feindliche Parole verwendet wird und der Irrtum hervorgerufen wird, die Inhalte stammten vom Namensträger.483 Der Slogan „Die CSU des Nordens – die Republikaner“ bei einer Wahl zur Hamburger Bürgerschaft verletze die CSU bereits deshalb in ihrem Namensrecht, da – trotz fehlender direkter Konkurrenz – diese gegen ihren Willen mit den Republikanern in Verbindung gebracht werde.484 In der Registrierung und dem Betrieb einer Webseite „wir-sind-afd.de“, auf welcher Zitate von Parteimitgliedern gesammelt und kritisiert werden, liegt eine Verletzung des Namensrechts der Partei, da die Partei durch die Nutzung der Parteibezeichnung in der Domain mit dieser in Verbindung gebracht werde und klarstellende Zu
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So bereits RGZ 125, 80, 84; BGHZ 30, 7, 9. Fezer, Markenrecht, 42009, § 15 Rn. 107. So bereits BGHZ 30, 7, 9 f. Siehe die zahlreichen Beispiele bei Bamberger/Förster, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 12 Rn. 79. 479 Erneut BGHZ 30, 7, 10 ff. 480 Schlüter, JuS 1975, 558, 562. 481 OLG Frankfurt NJW 1952, 792, 794. 482 OLG Karlsruhe NJW 1972, 1810 f. 483 OLG Karlsruhe NJW 1972, 1810, 1811. 484 So wohl LG Bremen, Urteil vom 20.06.1996 – 7 O 2058/1995. Weder Nachfragen beim Landgericht noch bei der CSU als Beteiligte des Verfahrens führten dazu, dass das Urteil eingesehen werden konnte. Von dem Urteil referiert aber Wietschel, BayVbl. 1998, 488 = dies., MIP 1996, 29 f. 478
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sätze über die Urheberschaft schon in der Domain fehlten.485 Daneben erwecke auch die Nutzung der typische Farben der Partei bei der Webseite den Eindruck einer Verbindung, die tatsächlich nicht bestehe.486 Der Namensgebrauch muss daneben auch unbefugt sein. Dies ist der Fall, wenn der Nutzer kein Benutzungsrecht hat487 und kein eigener Name gebraucht wird488. Unbefugt wird gemeinhin verstanden als widerrechtlich489, wobei eine Interessenabwägung vorzunehmen ist.490 Weiterhin müsste ein schutzwürdiges Interesse des Namensinhabers durch die Verwendung des Namens verletzt sein. Der Interessenbegriff wird weit verstanden und erfasst hier nicht nur Wirtschafts- oder Vermögensinteressen, sondern auch ideelle Interessen wie ein reines Affektionsinteresse.491 Der Gebrauch eines fremden Namens indiziert eine Interessenverletzung.492 Bei der Verwendung eines bürgerlichen Namens ist für die Interessenverletzung ausreichend, dass eine Verwechslungsgefahr493 begründet wird oder aber ein Zusammenhang zwischen Verwender und Namensinhaber hergestellt wird, welcher den Vorstellungen des Namensinhabers zuwiderläuft.494 Ausreichend ist, wenn der Anschein familiärer, geschäftlicher oder sonstiger Zusammenhänge495 beziehungs-
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OLG Köln, Beschluss vom 27.09.2018 – I-7 U 85/18 –, juris Rn. 20 ff. OLG Köln, Beschluss vom 27.09.2018 – I-7 U 85/18 –, juris Rn. 26. 487 BGH GRUR 2014, 506 Rn. 19; Bamberger/Förster, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 12 Rn. 80; Prütting, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 152020, § 12 Rn. 16; Koch, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.06.2021, § 12 Rn. 125; Schmitt-Gaede/Arz, NJW 2013, 2729, 2731. 488 Siehe bereits RGZ 56, 190. 489 Ellenberger, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 12 Rn. 28. 490 Vgl. Bamberger/Förster, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 12 Rn. 80; Martinek/Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 81; Prütting, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 152020, § 12 Rn. 16; Fritzsche, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2018, § 12 Rn. 298. 491 Siehe etwa für die Rechtsprechung BGH NJW 1994, 245, 247; aus der Literatur mit weiteren Nachweisen Fezer, Markenrecht, 42009, § 15 Rn. 114. 492 Mit Nachweisen Burkhardt/Pfeifer, in: Burkhardt/Gamer/Pfeifer u. a. (Hrsg.), Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 62018, 10. Kapitel Rn. 52. 493 Dazu eingehend Bamberger/Förster, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 58 01.05.2021, § 12 Rn. 94 ff. 494 Vgl. etwa BGHZ 8, 314, 323. Aus der Literatur etwa dies., in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 12 Rn. 89. 495 Vgl. etwa BGHZ 124, 181. Aus der Literatur etwa dies., in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 5801.05.2021, § 12 Rn. 89. 486
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weise eine Identifizierung mit dem Inhalt496 erweckt wird. Das abstrakte Risiko einer derartigen Verwechslungsgefahr genügt.497 Insgesamt erscheinen die bei der Interessenverletzung in der Literatur aufgeführten Punkte ähnlich zu denen, die bereits beim Namensgebrauch zur Abgrenzung herangezogen werden. Zwischen der Zuordnungsverwirrung, der Unbefugtheit – soweit man sie bereits mit einer Abwägung belasten will – und der Interessenverletzung bestehen offenkundig fließende Übergänge.498 (2) Rechtsfolgen namensrechtlicher Ansprüche Als Rechtsfolgen aus § 12 BGB ergeben sich zunächst die Beseitigung der Beeinträchtigung (§ 12 S. 1 BGB) und ein Anspruch auf Unterlassen bei weiteren Beeinträchtigungen (§ 12 S. 2 BGB). Der erstgenannte Anspruch zielt auf die Beseitigung der bereits eingetretenen und noch fortdauernden Beeinträchtigung499, nicht indes die Rückgängigmachung von durch die Beeinträchtigung ausgelösten Wirkungen, was einen Gleichlauf mit § 1004 BGB bedeutet500. Wären auch die Wirkungen erfasst, so zielte der Anspruch faktisch auf Naturalrestitution, was einen Wertungswiderspruch zu § 823 Abs. 1 BGB bedeuten würde, der ein Verschulden erfordert.501 Für den Unterlassungsanspruch (§ 12 S. 2 BGB) sind ein rechtswidriger Eingriff und die Gefahr weiterer Beeinträchtigungen erforderlich, bereits bei einer unmittelbar drohenden erstmaligen Beeinträchtigung, einer Erstbegehungsgefahr, kann ein Unterlassungsanspruch bestehen.502 496 So bereits OLG Koblenz DRZ 1948, 176 und die Besprechung bei Nipperdey, DRZ 1948, 177. Ähnlich etwa Koos, in: Heidel/Hüßtege/Mansel u. a. (Hrsg.), BGB, 42021, § 12 Rn. 206. 497 Säcker, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 12 Rn. 98 mit Verweis auf OLG Karlsruhe WRP 1976, 254, 255. 498 Ähnlich Koch, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.06.2021, § 12 Rn. 126; Säcker, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 12 Rn. 102 merkt an, dass die Verwechslungsgefahr eigentlich erst auf Ebene der Interessenverletzung zu prüfen sei, diese aber „so eng miteinander verwoben“ seien, dass zur Vermeidung von Doppelausführungen auch bereits vorher auf die Verwechslungsgefahr abgestellt wird. Zu den unterschiedlichen Prüfungsorten der Verwechslungsfähigkeit und der Verwechslungsgefahr auch Ellenberger, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 802021, § 12 Rn. 33. 499 Martinek/Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 91; Koch, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.06.2021, § 12 Rn. 189. 500 Martinek/Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 911.02.2021, § 12 Rn. 93; Ellenberger, in: Palandt (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 80 2021, § 12 Rn. 36; vgl. auch Fritzsche, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2018, § 12 Rn. 349. 501 Daher kritisch zu den Abgrenzungsversuchen der h. M. Schlüter, JuS 1975, 558, 563 f. 502 Koch, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK BGB, 01.06.2021, § 12 Rn. 190 f.;
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Neben den originär namensrechtlichen, negatorischen Ansprüchen aus § 12 BGB kommen weiterhin eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts503, Ansprüche aus Delikt, namentlich § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Namensrecht als absolutes Recht504, ungerechtfertigter Bereicherung505 und Geschäftsführung ohne Auftrag506 in Betracht. cc) Anwendung: Wahlwerbung durch Dritte und Namensrecht Nach der oben erfolgten Auswertung von Rechtsprechung und Literatur zu § 12 BGB bestehen denkbare Ansatzpunkte zur Verteidigung gegen Drittkampagnen unter ausdrücklichem Bezug auf eine Partei. Diese werden auch bereits von den Parteien selbstverständlich genutzt507 wie die obigen Rechtsprechungsbeispiele zeigen. Bisher fand allerdings keine Verknüpfung der namensrechtlichen Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche mit etwaigen parteienfinanzierungsrechtlichen Regeln statt. Bei der Einordnung, ob eine Namensanmaßung oder eine Namensnennung vorliegt, kommt es unter anderem auf den Kontext der der Veröffentlichung an. Eine Namensnennung ist – wie oben ausgeführt – dann einschlägig, wenn der Urheber klar erkennbar nicht die Partei selbst ist, es also um eine Aussage über die Partei geht, nicht um eine Aussage der Partei. Dies muss aus der Veröffentlichung selbst hervorgehen, die Heranziehung des Impressums ist irrelevant508, schließlich wird die Namensanmaßung und die Zuordnungsverwirrung nicht durch ein falsches Impressum, sondern durch die irreführende Namensnutzung in der Werbung selbst geschaffen. Je deutlicher auch die farbliche Gestaltung Martinek/Heine, in: Herberger/Martinek/Rüßmann u. a. (Hrsg.), juris Praxiskommentar BGB, 9 11.02.2021, § 12 Rn. 94. 503 Beispielsweise wenn kein Namensgebrauch, sondern nur eine Namensnutzung vorliegt und damit § 12 BGB nicht greift, siehe etwa BGHZ 30, 7, 10 ff. und Schlüter, JuS 1975, 558, 562; Fritzsche, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2018, § 12 Rn. 271. 504 Siehe nur Säcker, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 82018, § 12 Rn. 167; zu Besonderheiten der Schadensberechnung Fritzsche, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2018, § 12 Rn. 350. 505 Fritzsche, in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2018, § 12 Rn. 351. 506 Zu Rechtsverfolgungskosten aus Geschäftsführung ohne Auftrag siehe ders., in: Roth (Hrsg.), Staudinger BGB, 2018, § 12 Rn. 351. 507 Für aktuelle Beispiele sei hier nur verwiesen auf Bild.de (Hrsg.), Wer hängt gefälschte SPD-Plakate in NRW auf?, 23.04.2020 (https://www.bild.de/regional/ruhrgebiet/ruhrgebietaktuell/staatsschutz-ermittelt-wer-haengt-gefaelschte-spd-plakate-in-nrw-auf-70226808.bild. html) (geprüft am 24.02.2023); Lehmann, Wagenknecht geht gegen AfD-Plakat vor, 15.04.2021 (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/sahra-wagenknecht-gegen-afd-linkenpolitike rin-leitet-rechtliche-schritte-wegen-plakat-ein-a-f7041d24-0e07-461e-9fbc-d3a448b92281) (geprüft am 24.02.2023). 508 OLG Karlsruhe NJW 1972, 1810, 1811.
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dem Erscheinungsbild der Partei nahekommt, desto schwerwiegender dürfte die Zuordnungsverwirrung ausfallen. Eine Namensanmaßung liegt dann vor, wenn der Eindruck entsteht, Urheber der Veröffentlichung sei die Partei. Ausreichend ist darüber hinaus bereits der Eindruck, dass sich die Partei mit den Aussagen identifiziere, oder ihnen zugestimmt habe. Es genügt sogar der Anschein einer Verbindung zwischen Urheber und Partei. Die Rechtsprechung, welche es Parteien ermöglicht, gegen eine Verknüpfung negativer Inhalte unter ihrem Namen vorzugehen509, lässt sich auch auf positive Inhalte übertragen: Wenn eine Partei sich gegen untergeschobene Inhalte zur Wehr setzen kann, dann darf es keine Rolle spielen, ob diese Inhalte ironisch gegen die Partei gerichtet sind, oder es sich um positive, möglicherweise aber nicht dem Parteiprogramm entsprechende, „aufgedrängte“ Inhalte handelt. Die Partei muss selbst entscheiden können, was veröffentlicht wird und den Anschein einer Parteiveröffentlichung erweckt.510 Für einen Schutz der Partei vor entsprechender inhaltlicher Vereinnahmung spricht auch die „Offenheit und Fairneß [sic] des politischen Kampfes“511. Normativ lässt sich dies an der Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG anknüpfen: Die Partei muss es zur Beeinflussung der politischen Willensbildung selbst in der Hand haben, welche Inhalte veröffentlicht und ihr zugeschrieben werden.512 Wollen die Parteien ihre Funktion als Mittler zwischen Volk und staatlichen Organen wahrnehmen, bedarf es formulierter Inhalte, Programmen und Zielvorstellungen, von denen sie den Bürger zu überzeugen suchen.513 Mittel der Parteien sind dabei „Information, Argument und Überzeugung“514. Die politische Willensbildung durch die Parteien kann aber nur funktionieren, wenn die Zuordnung von Inhalten zu den Parteien gewährleistet ist. Der Bürger muss klar erkennen können, wem eine Wahlaussage zuzuordnen ist. Dass dem Gesetzgeber dieser Aspekt besonders wichtig ist, deutet sich durch die explizite Anordnung der Namensführungspflicht in § 4 Abs. 1 S. 2 PartG an515: Gerade im Wahlkampf soll erkennbar sein, welche Inhalte einer Partei zugeordnet werden. Zuordnungsverwirrungen können im Wahlkampf sogar zu einem Schaden an demokratischer 509
Erneut OLG Karlsruhe NJW 1972, 1810, 1811. OLG Köln, Beschluss vom 27.09.2018 – I-7 U 85/18 –, juris Rn. 38. 511 OLG Karlsruhe NJW 1972, 1810, 1812. 512 OLG Köln, Beschluss vom 27.09.2018 – I-7 U 85/18 –, juris Rn. 38, geht von einer „Beeinträchtigung“ der Aufgabe der politischen Willensbildung durch die Registrierung einer Domain unter Nutzung eines Parteinamens aus. 513 Siehe dazu BVerfGE 47, 130, 140 oder auch Burghart, in: Hesselberger (Hrsg.), Grundgesetz: Kommentar, 780. EL Juni 2020, Art. 21 Rn. 58. 514 BVerfGE 47, 130, 141. 515 Auf die Bedeutung der Namensführungspflicht weist auch Schlüter, JuS 1975, 558, 562 hin. 510
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Legitimation führen, wenn die Wähler durch Wahlpropaganda auf „die falsche Fährte“ geführt werden und – beispielsweise durch falsche Zuschreibung von Inhalten und damit mehr oder weniger irrtümlich – ihre Stimme einer Partei geben, die sie sonst nicht gewählt hätten. Die Namensführungspflicht dürfte dabei weiter reichen als die ohnehin auch für Wahlwerbung geltende Impressumspflicht.516 Die namensrechtlichen Ansprüche kommen damit jedenfalls in den Fällen ausdrücklicher – das heißt namentlicher – Werbung für eine Partei als Verhinderungsmöglichkeit in Betracht, wenn die Drittkampagne derart gestaltet ist, dass sie den Anschein erweckt, es sei tatsächlich eine Parteikampagne, was durch die farbliche Gestaltung oder die jeweilige Nutzung des Parteinamens geschehen kann. Jedenfalls in diesen Fällen steht der Partei ein namensrechtlicher Abwehranspruch auf Beseitigung und Unterlassung aus § 12 BGB zu. Kommt bei der Gestaltung hingegen klar zum Ausdruck, dass es sich um Werbung für die Partei durch einen Dritten handelt, dann sind namensrechtliche Ansprüche nur erkennbar, wenn der Anschein einer Einwilligung oder sonstigen Verbindung erweckt wird. dd) Folgerungen für die Rechtsscheinzurechnung Eine Verhinderungsmacht der Partei ergibt sich bei ausdrücklicher Werbung im Sinne des § 26 Abs. 1 S. 2 PartG durch das Namensrecht der Partei. Die Zurechnung aufgrund des Rechtsscheins und der „Duldung“ desselben kann so weit gezogen werden, wie die Verhinderungsmöglichkeit reicht. Die Intensität des Rechtsscheins kann hier zu unterschiedlichen Zurechnungsergebnissen führen. Der stärkste Rechtsschein besteht bei einer Kampagne, die eine Zuordnungsverwirrung auslöst und für eine Parteikampagne gehalten wird. Hier besteht ein intensiver Rechtsschein und auch die Zurechenbarkeit in Form der Verhinderungsmöglichkeit steigt mit der Intensität des Rechtsscheins. Wenn dagegen eine Kampagne zwar ausdrücklich für eine Partei wirbt, die (fremde) Urheberschaft indes deutlich hervortritt, dann ist der Rechtsscheinaspekt weniger stark ausgeprägt. Im Wahlkampf geht ein durchschnittlicher Beob516 Nach Ipsen, in: ders. (Hrsg.), Parteiengesetz, 22018, § 4 Rn. 13 erfordert § 4 Abs. 1 S. 2 PartG eine Verwendung des Namens der Partei in der Werbung. Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung, 2011, § 4 Rn. 23 sieht dagegen einen inhaltlichen Gleichlauf mit der Impressumspflicht, als Anwendungsbereich der Namensführungspflicht verbliebe nur die Wahlwerbung im Rundfunk. Historisch spricht einiges für ein weites Verständnis, wollte der Gesetzgeber doch durch die Regelung verhindern, dass die Parteien im Wahlkampf „irgendwelchen ‚zugkräftigeren‘ Bezeichnungen“ aus taktischen Gründen den Vorzug geben könnten, sich also unter anderem oder ohne Namen im Wahlkampf einmischen könnten, siehe dazu den Entwurf für ein Parteiengesetz BT-Drs. III/1509, S. 17.
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achter indes regelmäßig davon aus, dass Veröffentlichungen, die unter Namensnennung für eine Partei werben, auch von der Partei stammen. Die Anforderungen an die Erkennbarkeit der parteifremden Urheberschaft dürften in der Wahlkampfzeit hoch sein. Zur Erschütterung des Rechtsscheins kann der Verweis auf eine verwandt klingende Internetseite ebenso wenig genügen wie die korrekte Urheberschaft im Impressum, da der Rechtsschein bereits durch die Wahrnehmung der Veröffentlichung ausgelöst wird. Daneben genügt für eine Zuordnungsverwirrung bereits der Anschein einer Verbindung zwischen Urheber und Namensinhaber oder der Anschein einer Zustimmung durch den Namensträger. Hier ist der Rechtsschein zwar schwächer ausgeprägt als bei einer fremden „Anscheinskampagne“, indes besteht auch hier nach den herausgearbeiteten namensrechtlichen Grundsätzen je nach Ausgestaltung im Einzelfall eine Verhinderungsmöglichkeit. Insoweit kann auch in diesen Fällen ausdrücklicher, namentlicher Werbung einiges für eine Zurechnung sprechen. Der Rechtsschein ist noch schwächer ausgeprägt bei Kampagnen, die nicht ausdrücklich, also ohne Namensbezug, für eine Partei werben. Hier ist die Entstehung des Rechtsscheins bereits nur eingeschränkt denkbar, schließlich ist eine Urheberschaft der Partei möglich, ohne namentlichen Bezug indes in der Öffentlichkeitsarbeit jedenfalls untypisch. Nur weil abstrakte Ziele einer Partei veröffentlicht werden, liegt eine Urheberschaft der Partei dadurch noch nicht nahe. Darüber hinaus dürfte der Wert einer impliziten und damit eher subversiven Kampagne spürbar unter einer expliziten liegen. In diesen Fällen ist der Zurechnungsgrund des Rechtsscheins zwar vorhanden, aber sehr schwach ausgeprägt. Ohne Nennung eines Namens scheiden hier namensrechtliche Ansprüche regelmäßig aus. Mit der genannten Abstufung lässt sich zum einen die gesetzlich angeordnete Einbeziehung von ausdrücklicher Werbung im Sinne des § 26 Abs. 1 S. 2 PartG realisieren, zum anderen sicherstellen, ausreichend Spielraum für die Bewertung des Einzelfalls bereitzustellen. f) Kenntnis und Vorhersehbarkeit Das Verhalten Dritter steht nur dann einer Zurechnung offen, wenn das Handeln Dritter vorhersehbar war. Erforderlich ist für die Zurechnung eine Kenntnis oder jedenfalls eine so stark ausgeprägte Vorhersehbarkeit, dass man von einem Kennenmüssen ausgehen kann. Nur dann erscheint es angemessen, nicht abgesprochene Handlungen Dritter zuzurechnen. Verwiesen werden kann für diese beiden Varianten in Zusammenschau mit dem Rechtsschein auf die Duldungs- und Anscheinsvollmacht, die einer ähnlichen Konstellation zugrunde liegen: Auch hier genügt ein beherrschbarer Rechtsschein sowie die Kenntnis bei der Duldungs-
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und das Kennenmüssen bei der Anscheinsvollmacht. Die Anforderungen sind also nicht niedriger als bei anderen Zurechnungskonstellationen auch. Fehlt es an der Vorhersehbarkeit, so streitet dies vehement gegen eine Zurechnung, da es zu einer Fremdzurechnung im Falle fehlender Vorhersehbarkeit regelmäßig nicht kommt. g) Finalität In den Fällen, in denen keine Absprache vorliegt, kann die Zurechnung daneben mit dem zusammengesetzten Zurechnungsgrund der Finalität begründet werden, schließlich wird in diesen Fällen als Minimalvoraussetzung einer Zurechnung auch eine Kenntnis oder zumindest Vorhersehbarkeit des Handelns Dritter zu fordern sein, sodass bei bestehendem ausdrücklichem oder konkludenten Willen der Zurechnungsgrund der Finalität vorliegt. h) Zusammenfassung Aus der eingangs vorgenommenen, begrifflichen Abgrenzung lässt sich damit folgern, dass unechte Parallelaktionen stets als Spende einzustufen und der Partei zuzurechnen sind. Der Zurechnungsgrund der Absprache „vergiftet“ die Aktion und macht sie zu einer Parteiaktion, unabhängig, ob eine implizite oder explizite Aktion vorliegt. Bei einer echten Parallelaktion ist zu differenzieren: Echte explizite Parallelaktionen sind im Einzelfall zuzurechnen, wenn der Rechtsschein entsprechend stark ausgeprägt ist und die entsprechende (namensrechtliche) Verhinderungsmacht besteht. Je weniger stark der Rechtsschein ausgeprägt ist, je klarer also ist, dass der Urheber nicht die Partei ist, desto stärker müssen andere Zurechnungsgründe hinzukommen, um eine Zurechnung zu begründen. Bei echten impliziten Parallelaktionen fehlt es sowohl an dem Zurechnungsgrund der Absprache als auch an einem ausreichend starken Rechtsschein. Sie sind damit regelmäßig nicht der Partei zuzurechnen und damit keine Spenden. 4. Zum Sachverhalt: Zwei Beispiele für Wahlkampf durch Dritte Denkbar ist Wahlkampf durch Dritte aus der öffentlichen und privaten Sphäre. Aus der öffentlichen Sphäre sind die Regierungen, Fraktionen oder Abgeordnete als denkbare Urheber zu nennen. Indes sind die Möglichkeiten hier bereits de jure stark beschränkt: Die staatlichen Stellen dürfen keine direkten Spenden an die Parteien leisten. § 25 Abs. 2 Nr. 1 PartG verbietet Spenden von Fraktionen und staatlichen Stellen, § 25 Abs. 2 Nr. 5 PartG verbietet Spenden von Unternehmen, an denen die öffentliche Hand mit bis zu 25 % beteiligt ist. Fraktionen ist
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die Verwendung ihrer Mittel für Parteiaufgaben gemäß § 50 Abs. 4 S. 2 AbgG ausdrücklich verboten. Auch ungeschrieben sind die Grenzen der Wahlkampf finanzierung durch öffentliche Stellen erkennbar: Die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung unterliegt gerade in Wahlkampfzeiten besonders strengen Anforderungen, Regierungsöffentlichkeitsarbeit darf nicht zu Wahlkampfzwecken missbraucht werden.517 Neben der Neutralitätspflicht als Schranke518 ist daneben die Zweckbindung staatlicher Mittel ausreichende Sicherung, sodass jedenfalls nach geltendem Recht Wahlkampf für Parteien aus der öffentlichen Sphäre unterbunden ist. Die Ausgangslage in der privaten Sphäre ist dagegen eine andere: Die privaten Wahlkampfhelfer sind nicht Adressaten der Chancengleichheit der Parteien, sie sind vielmehr selbst Träger politischer Grundrechte. Deshalb soll sich die weitere Untersuchung nicht dem Wahlkampf aus der öffentlichen, sondern der privaten Sphäre widmen. a) Fördergesellschaften als direkter Wahlkampfakteur – Die „WAAGE“ aa) Zur Rolle der Fördergesellschaften Bereits seit der Weimarer Republik und sogar davor519 wurden die bürgerlichen, tendenziell mitgliederschwachen520 Parteien finanziell von sogenannten Fördergesellschaften unterstützt. Hinter diesen „Spendenkartellen“521 verbargen sich Verbände von Unternehmen, die durch eine Konzentration der Spendensammlung eine Steigerung ihres Einflusses auf die Parteien erreichen wollten, daneben aber auch anonym und steuerbegünstigt522 Geld an die Parteien spenden wollten.523 Teilweise werden die Fördergesellschaften daher auch als „Spenden 517
Maßgeblich BVerfGE 44, 125. Siehe etwa oben § 2 D. IV. 519 Beispiele für Fördergesellschaften aus der Kaiserzeit bei Weber, Die Interessengruppen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, 1977, S. 315 und Dübber, Geld und Politik, 1970, S. 38 f. 520 Vgl. etwa Dübber, Geld und Politik, 1970, S. 23 m. w. N., der auf das sehr unterschiedliche Zahlenverhältnis von Parteimitglieder pro 100 Wahlberechtigte abstellt. Zur Bedeutung der Wirtschaft für die Wahlkampffinanzierung etwa auch S. 29 f.; Werthmüller, Parteienfinanzierung und Spendenpraxis, 1990, S. 30; zur genannten Abhängigkeit und der Unterscheidung in Mitglieder- und Wählerparteien auch Ebbighausen, Die Kosten der Parteiendemokratie, 1996, S. 52; Weber, Die Interessengruppen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, 1977, S. 310. 521 Breitling, PVS 9 (1968), 223, 231. 522 Zur steuerbegünstigten Ausgestaltung der sog. Staatsbürgerlichen Vereinigungen siehe nur die Ausführungen in BVerfGE 8, 51, 55 f. 523 Zu den Vorteilen für die Unternehmen auch Bösch, Die Adenauer-CDU, 2001, S. 203 f.; 518
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waschanlagen“524 bezeichnet. Die Parteien konnten die regelmäßigeren Zuwendungen für den Ausbau eines Parteiapparates und Partei- sowie Wahlkampfaktivitäten nutzen.525 Profiteure waren CDU, FDP und zunächst auch die DP im groben Verhältnis ihrer Parlamentssitze.526 Die finanzielle Schlagkraft der För dergesellschaften war enorm, allein über die „Staatsbürgerliche Vereinigung 1954 e.V.“ wickelten bis zu 50 bis 60 Großunternehmen ihre Parteispenden ab527, die verteilten Gelder im Wahljahr 1953 betrugen 17,2 Millionen Mark, für das Jahr 1957 waren es sogar 41,3 Millionen Mark.528 Die finanzielle Abhängigkeit wurde von den Fördergesellschaften auch als Druckmittel eingesetzt, um die bürgerlichen Parteien zur Koalitionsbildung anzuhalten.529 Der Einfluss der Fördergesellschaften ging so weit, dass die Parteien ihre Etats vorab mit den Gesellschaften absprachen und teilweise „heruntergehandelt“ wurden.530 bb) Die „Waage“ als besondere Fördergesellschaft Bereits wenig vor der Staatsbürgerlichen Vereinigung wurde am 23. September 1952 die „Gemeinschaft zur Förderung des sozialen Ausgleichs – die Waage“ in
Lösche, Kleine Geschichte der deutschen Parteien, 21994, S. 178; Lösche, Wovon leben die Parteien?, 1984, S. 43 f.; Kulitz, Unternehmerspenden an politische Parteien, 1983, S. 53 f. 524 Drysch, Parteienfinanzierung, 1998, S. 79. „Geldwaschanlagen“ bei Bösch, Die Ade nauer-CDU, 2001, S. 198. 525 Bösch, Die Adenauer-CDU, 2001, S. 203. 526 Die Aufteilung im Jahr 1949 erfolgte nach dem folgenden Verhältnis: CDU und CSU erhielten 65 % der Mittel, die FDP 25 %, die DP 10 %, siehe dazu Nachweise bei Ebbighausen, Die Kosten der Parteiendemokratie, 1996, S. 85; Bösch, Die Adenauer-CDU, 2001, S. 199. 527 Haungs, Parteifinanzierung, 1963, S. 15; Nachweise auch bei Weinmann, Die Finanzierung politischer Parteien in steuerrechtlicher Betrachtung, 1966, S. 119 f. 528 Dübber, Geld und Politik, 1970, S. 41. Plate, Parteifinanzierung und Grundgesetz, 1966, S. 50 gibt 19,4 Millionen Mark an, was Dübber lediglich als „Wahlsonderleistung Bund“ ausweist. 529 Die FDP in NRW wandte sich Mitte der 50er-Jahre von der CDU ab und unterstützte eine SPD-Regierung. Im Anschluss wurden die Zuwendungen der Fördergesellschaften eingestellt, um Druck auf die Partei auszuüben. Nach dem Ende der sozialliberalen Koalition wurden die Zahlungen wieder aufgenommen. Zu diesem Fall Ebbighausen, Die Kosten der Parteiendemokratie, 1996, S. 88; Dübber, Parteienfinanzierung in Deutschland, 1962, S. 42; zum Ganzen auch SPD-Parteivorstand, Die Finanzierung des Wahlkampfes 1957, 1957, S. 23. Zur „FDP im Würgegriff“ auch Dübber, Geld und Politik, 1970, S. 58 ff. und Lösche, Wovon leben die Parteien?, 1984, S. 44 f.; Lösche, Kleine Geschichte der deutschen Parteien, 21994, S. 178. Zur Abhängigkeit auch Breitling, PVS 9 (1968), 223, 231. 530 Bösch, Die Adenauer-CDU, 2001, S. 199, 204; Weber, Die Interessengruppen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, 1977, S. 317; Kitzinger, Wahlkampf in Westdeutschland, 1960, S. 166 ff.
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Köln gegründet.531 Auch hier gehörten zu den Gründungsmitgliedern vor allem Industrielle532, es waren aber auch Werbefachleute angeschlossen533, daneben bestanden beste Beziehungen in Regierungskreise534. Der maßgebliche Unterschied zu den Aktivitäten der „normalen“ Staatsbürgerlichen Vereinigungen lag darin, dass die „Waage“ auch selbst in den Meinungskampf eingriff: Mit Zeitungsanzeigen und moderner Öffentlichkeitsarbeit amerikanischen Vorbilds535 wurde für das Wirtschaftssystem der sozialen Marktwirtschaft geworben und die Wirtschaftspolitik Erhards unterstützt. So sollte ein gesellschaftliches Klima geschaffen werden, welches die Unionsparteien bei den Bundestagswahlen unterstützen sollte.536 Erhard war „Markenzeichen und Symbol des Vereins“, nahm auch an Sitzungen teil und hatte nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die generelle Ausrichtung der Aktivitäten.537 Die nähere Betrachtung der Gründungsmitglieder deutet vor allem auf den starken Einfluss der Industrie, besonders der Chemiebranche hin.538 Die Mitgliederliste von 1952 führt 58 Generaldirektoren oder leitende Angestellte und deren Unternehmen auf, davon hatten 40 direkt oder indirekte Verbindungen zur chemischen Industrie539, und auch ein Großteil des „Waage“-Budgets bestritten die Chemie-Riesen Bayer, BASF und Hoechst.540 Politisch war die Vereinigung als klar CDU-orientiert einzuordnen. Einige der Gründungsmitglieder, Burgbacher und Horten etwa, hatten in der CDU in herausgehobenen Positionen. Horten war Finanzexperte innerhalb der CDU, Burgbacher war seit 1948 Mitglied der Partei, wurde 1957 in den Bundestag gewählt und war seit 1960 Bundesschatzmeister der CDU, er galt als Experte in Steuer- und Parteienfinanzierungsfragen.541 531 SPD-Parteivorstand, Unternehmermillionen kaufen politische Macht, 1953, S. 25. Im Folgenden nur „Waage“. 532 Hoffmann, Die Finanzen der Parteien, 1973, S. 141; SPD-Parteivorstand, Unternehmermillionen kaufen politische Macht, 1953, S. 25. 533 Zur Rolle der Agentur Brose für die „Waage“ siehe Schindelbeck/Ilgen, „Haste was, biste was!“, 1999, S. 81 ff. 534 Dies., „Haste was, biste was!“, 1999, S. 38. 535 Brose, Die Entdeckung des Verbrauchers, 1958, passim; zur „Waage“ hier insbesondere S. 26 ff. 536 Vgl. Hoffmann, Die Finanzen der Parteien, 1973, S. 141. 537 Schindelbeck/Ilgen, „Haste was, biste was!“, 1999, S. 38. 538 Gründungsmitglieder waren etwa Bayer-Vorstand Fritz Jacobi oder der langjährige Vorsitzende der Waldhof AG Mannheim. Auch der langjährige Vorsitzende der „Waage“, Franz Greiss, hatte starke Verbindungen zur Chemiebranche, siehe zu den Personen eingehend dies., „Haste was, biste was!“, 1999, S. 39 ff. 539 Dies., „Haste was, biste was!“, 1999, S. 48. 540 Dies., „Haste was, biste was!“, 1999, S. 43. 541 Dies., „Haste was, biste was!“, 1999, S. 41.
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Trotz prinzipieller CDU-Nähe ist nicht aus dem Blick zu verlieren, dass sich die Industriemanager dieser Zeit in einer Doppelrolle sahen. Sie waren gleichzeitig Verantwortliche für ihre Unternehmen, wollten aber auch „staatsbürgerliche Verantwortung“ tragen, sie waren gleichzeitig „Industrielle und Staatsfunktionär“.542 Außerdem war der Drang des Unternehmertums, den politischen Betrieb zu beeinflussen, sei es durch sogenannte „Industrieabgeordnete“ oder sogar durch Gründung einer eigenen national-konservativen Partei543, in dieser Zeit offenkundig ausgeprägter als heute. cc) Aktivitäten und Schwerpunkte Die Hauptaktivität der „Waage“ bestand in der Veröffentlichung von Werbeanzeigen in Zeitschriften. Insgesamt 149 Anzeigenmotive wurden in der Geschichte der Vereinigung veröffentlicht, daneben drei Plakate, zwei Broschüren und fünf Kinofilme.544 Ihre aktivste Zeit hatte die „Waage“ bis 1959.545 Gerade in der Vorwahlzeit der Jahre 1953 und 1957, aber auch zwischen den Wahlen war die Vereinigung aktiv. Zwei der Filme kamen unmittelbar vor der Bundestagswahl 1953 in die Kinos. Zwar waren die Plakate inhaltlich auf Integration ausgerichtet, zeigten dem Betrachter allerdings deutlich, für welche Partei die Vereinigung indirekt werben wollte. Für Ludwig Erhard wurde sogar ausdrücklich unter Namensnennung geworben. Der Nutzen für derartiger Kampagnen für die CDU ist schwerlich zu beurteilen, für die Wahl 1953 wird mit einer Wählerwanderung aufgrund der „Waage“-Veröffentlichungen von bis zu 5 %-Punkten ausgegangen.546 dd) Zum Umfang und Inhalt der Aktionen Eine der Anzeigen aus dem Jahr 1952 liest sich wie folgt: „Wer rettete uns aus dem Elend? (…) Arbeiterschaft und Unternehmer in der SOZIALEN MARKTWIRTSCHAFT! (…) Ein Mann machte Schluss mit der Bezugsscheinwirtschaft (…). Mutig zerriss er die ‚Behördlichen Vorschriften zur Bewirtschaftung gewerblicher Erzeugnisse‘. Er sagte: Geld ist der einzige Bezugsschein freier Menschen.“547
542
Dies., „Haste was, biste was!“, 1999, S. 57. Siehe dies., „Haste was, biste was!“, 1999, S. 57 zu den entsprechenden Gedankenspielen Ulrich Haberlands, bis 1961 Vorstandsvorsitzender der Bayer AG. 544 Dies., „Haste was, biste was!“, 1999, S. 102. 545 Dies., „Haste was, biste was!“, 1999, S. 101 teilen die Entwicklung der „Waage“ in fünf Lebensabschnitte ein. 546 Siehe dies., „Haste was, biste was!“, 1999, S. 203 m. w. N. 547 Nachweis bei SPD-Parteivorstand, Unternehmermillionen kaufen politische Macht, 1953, S. 26. 543
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Die erste Stufe der „Waage“-Kampagne im Herbst 1952 hatte außerordentliche Ausmaße: In 445 Tageszeitungen und Wochenzeitschriften erschienen Anzeigen des Vereins, insgesamt kamen so 12 Millionen Exemplare zusammen. Hinzu traten noch 10 Großanzeigen und 20 Kleinplakate zur Nutzung in Verkaufsstellen. 1953 folgten dann zwei weitere Stufen der Kampagne, bei der 10 Tage angeblich sämtliche Plakatanschlagstellen im Bundesgebiet genutzt worden sind sowie 6 „Dialogfilme“ veröffentlicht wurden.548 Zur Bundestagswahl 1957 veröffentlichte die „Waage“ erneut zahlreiche Plakat- und Anzeigenkampagnen. Eines der Plakate enthielt den Slogan: „Nicht blind machen lassen. Stabil bleibt die Deutsche Mark nur durch ERHARDs SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT“549. Drei Wochen vor der Wahl 1957 erreichte die Kampagne ihren Höhepunkt: Plakate mit dem Konterfei Erhards wurden in großer Anzahl aufgehängt, allein die Illustrierte „Wir Alle“ ging an 12 Millionen Haushalte.550 Für 1957 schätzte die oppositionelle SPD, dass 40 Millionen Mark in staat liche und 30 Millionen in private Wahlkampfaktionen durch Dritte investiert wurden.551 Kitzinger geht bei seiner Untersuchung von mindestens 5 Millionen Mark für private Drittkampagnen aus.552 Für 1961 sind 18 verschiedene Anzeigen der „Waage“ in Zeitungen mit insgesamt 100 Millionen Zeitungsexemplaren bekannt, allerdings erfolgte hier keine direkte Nennung Erhards oder der CDU als Partei. Als Slogan enthielten die Anzeigen: „Die soziale Marktwirtschaft schuf feste Fundamente – wir bauen weiter Stein auf Stein.“ Teilweise waren die Werbebotschaften auch deutlich weniger verklausuliert: „Nun etwas neues [sic!] probieren – zu riskant!“.553 Schleth554 setzt die Werbeausgaben der „Waage“ mit mindestens 2 Millionen Mark in den Jahren 1958, 1959 und 1960 an. Für 1961 hat er rund 10 Millionen Mark für alle Parallelkampagnen (staatlich wie privat) errechnet, davon entfällt ein nicht unerheblicher Teil auf die „Waage“555. Sindelbeck und Ilgen listen in ihrer umfassenden Untersuchung zur „Waage“ alle Werbemaßnahmen inklusive der geschätzten Gesamtkosten auf, die sie 548
f).
549 550
Ders., Unternehmermillionen kaufen politische Macht, 1953, S. 26. Siehe das Bild bei Kitzinger, Wahlkampf in Westdeutschland, 1960, S. 80 dort Abb. IV
Ders., Wahlkampf in Westdeutschland, 1960, S. 77. Nachweis bei ders., ZfP 1960, 382, 391. 552 Ders., ZfP 1960, 382, 393. 553 Zu den Kampagnen auch Schleth, in: Scheuch/Wildenmann (Hrsg.), Zur Soziologie der Wahl, 21968, S. 215, 269. 554 Ders., in: Scheuch/Wildenmann (Hrsg.), Zur Soziologie der Wahl, 21968, S. 215, 265 f. 555 Ders., in: Scheuch/Wildenmann (Hrsg.), Zur Soziologie der Wahl, 21968, S. 215, 266, siehe auch die tabellarische Darstellung auf S. 273. 551
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durch Einsicht in die Archive sowie Gespräche mit den seinerzeit handelnden Akteuren gewonnen haben. Sie geben die Kosten der Kampagne im Vorfeld der Bundestagswahl 1953 mit rund 3,7 Millionen Mark an, für das Wahljahr 1957 zumindest rund 1,5 Millionen Mark und für 1961 einen Wert von rund 1,3 Millionen Mark.556 Die Anzeigenkampagnen waren nicht nur inhaltlich aufeinander abgestimmt, die Veröffentlichungen und ihre Wirkung wurden auch von demoskopischen Instituten untersucht und die Kampagnen daraufhin angepasst, wie vorgelegte Schriftstücke nahelegen.557 Daneben ist der wirtschaftliche Wert der Anzeigenkampagnen auch dazu genutzt worden, wohlwollende Berichterstattung in Zeitungen durch die Platzierung der Anzeigen zu honorieren, während kritische Berichterstattung zu einem Entzug der lukrativen „Waage-Aufträge“ führte.558 Die „Werbemillionen“ wurden damit auch als inhaltliches Druckmittel gegenüber der Presse verwendet, um eine positive Berichterstattung im Sinne der „Waage“ und den unterstützten Parteien zu garantieren. Die „Waage“ stellt aber nur ein Beispiel für Vereinigungen dar, die auch direkte Öffentlichkeitsarbeit mit mittelbarer Wirkung für die Partei betrieben. Zu nennen sind hier noch die Vereine zur Förderung der sozialen Marktwirtschaft. Der Ableger in Nordrhein-Westfalen sah als Werkzeuge zur Erreichung der satzungsmäßigen Ziele insbesondere die „Öffentlichkeitsarbeit im Zeichen der sozialen Marktwirtschaft“ vor.559 b) Aktueller: AfD Eine ähnliche Konstruktion liegt einem wesentlich aktuelleren Fall zugrunde: Die AfD wurde in den vergangenen Jahren in erheblichem Ausmaß durch diverse Wahlkampfaktivitäten von einem Verein unterstützt. Dieser Verein, der sich zwar von der Partei distanzierte und jede Verbindung abstritt, rief gleichwohl in seinen Kampagnen zur Wahl der AfD auf. Bei den Kampagnen handelte es sich um Zeitungsinserate, Plakatwerbung, aber auch Internetwerbung und die Zurverfü556
Schindelbeck/Ilgen, „Haste was, biste was!“, 1999, S. 270 ff. SPD-Parteivorstand, Unternehmermillionen kaufen politische Macht, 1953, S. 25; zur Rolle der Demoskopie für die „Waage“ siehe Schindelbeck/Ilgen, „Haste was, biste was!“, 1999, S. 72 ff. 558 Hoffmann, Die Finanzen der Parteien, 1973, S. 141 f.; SPD-Parteivorstand, Unternehmermillionen kaufen politische Macht, 1953, S. 25 f. zu dem Fall der „Neuen Presse“ in Coburg, denen nach der Veröffentlichung eines kritischen Leitartikels mitgeteilt wurde, dass die darin geäußerte inhaltliche Positionierung es unmöglich mache, der Zeitung weitere „Waage“-Aufträge zukommen zu lassen. 559 Siehe dazu SPD-Parteivorstand, Die Finanzierung des Wahlkampfes 1957, 1957, S. 13. 557
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gungstellung von Druckerzeugnissen. Durch die Berichterstattung zu diesem Fall sah sich auch die Bundestagsverwaltung dazu veranlasst, Untersuchungen wegen einer möglicherweise bestehenden illegalen Parteienfinanzierung aufzunehmen.560 In einigen untersuchten Fällen hat die Bundestagsverwaltung bereits erste Strafzahlungen wegen illegaler Spenden festgesetzt, wogegen die AfD derweil gerichtlich vorgeht.561 aa) Geschichte und Struktur des Unterstützer-Vereins Seinen Anfang nahm die Unterstützung durch den Verein im Jahr 2016. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im Frühjahr 2016 wurde eine Kampagne zur Unterstützung der AfD erstmals entdeckt und medial aufgegriffen.562 Bereits im März 2016 eröffnete die Bundestagsverwaltung nach entsprechenden Forderungen ein Prüfverfahren.563 Urheberin der Wahlkampfaktion war eine „Vereinigung zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten“564. Diese Vereinigung wurde laut Impressum von Josef Konrad vertreten, welcher AfD-Mitglied und in Bayern für die Partei aktiv ist und 560
Die hier wiedergegebenen Erkenntnisse basieren ausschließlich auf der Auswertung von Berichterstattung zu dem Thema. Endgültige Klarheit über die Konstruktion des Hilfevereins wird möglicherweise erst eine umfassendere Gerichtsentscheidung in naher Zukunft bringen. 561 Pittelkow/Riedel/Theile, AfD geht gegen ihre Wahlkampf-Helfer vor, 10.08.2018 (htt ps://www.sueddeutsche.de/politik/parteienfinanzierung-afd-geht-gegen-ihre-wahlkampf-hel fer-vor-1.4089529) (geprüft am 24.02.2023); Bender, AfD distanziert sich von Unterstützerverein, 22.07.2018 (http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/erstmals-juristisches-vorgehen-afd-distanziert-sich-von-unterstuetzerverein-15703035.html) (geprüft am 24.02.2023); Spiegel Online (Hrsg.), AfD geht gegen eigene Unterstützer vor, 21.07.2018 (http://www.spie gel.de/politik/deutschland/afd-geht-gegen-eigene-unterstuetzer-vor-a-1219408.html) (geprüft am 24.02.2023). 562 Kain, 12 Millionäre spendieren der AfD Wahlwerbung, 03.03.2016 (https://www.bild. de/politik/inland/alternative-fuer-deutschland/bekommen-wahlkampfhilfe-von-millionaeren44779754.bild.html) (geprüft am 24.02.2023); Spiegel Online (Hrsg.), Hetz‐Flyer schüren Verdacht auf illegale Parteispende, 05.03.2016 (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ afd-verdacht-auf-illegale-parteispende-a-1080705.html) (geprüft am 24.02.2023). 563 Handelsblatt (Hrsg.), Verdacht illegaler Parteispende: Bundestagsverwaltung nimmt AfD-Wahlkampfhilfe ins Visier, 07.03.2016 (http://www.handelsblatt.com/politik/deutsch land/verdacht-illegaler-parteispende-bundestagsverwaltung-nimmt-afd-wahlkampfhilfe-insvisier/13064812-all.html) (geprüft am 24.02.2023). 564 Kain, 12 Millionäre spendieren der AfD Wahlwerbung, 03.03.2016 (https://www.bild. de/politik/inland/alternative-fuer-deutschland/bekommen-wahlkampfhilfe-von-millionaeren44779754.bild.html) (geprüft am 24.02.2023); Lobbypedia, Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten (https://lobbypedia.de/wiki/Verein_zur_Erhal tung_der_Rechtsstaatlichkeit_und_der_b%C3%BCrgerlichen_Freiheiten) (geprüft am 24.02. 2023).
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auch Chefredakteur des herausgegebenen Wahlkampfblattes „Extrablatt“ war.565 Konrad ist Geschäftsführer eines Unternehmens, welches neben den Wahlkampfpublikationen viele weitere Publikationen der AfD verlegt566 und auch Werbeartikel für die Partei vertreibt567. Die Verantwortlichkeit wechselte dann laut den auf der Internetseite einsehbaren Informationen im Sommer 2016 auf Michael Paulwitz, einen in der rechtsextremen Szene vernetzten ehemaligen Republikaner.568 Ähnliche Kampagnen wie aus dem Frühjahr waren auch bei den folgenden Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin im Herbst 2016 zu beobachten. Hierbei trat dann zum ersten Mal ein ähnlich klingender „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten“ auf. Die Gründung des zunächst in Leipzig und nun in Stuttgart ansässigen Vereins569 fand am 21.09.2016 statt570. Über die Mitgliederstruktur ist bisher nur wenig bekannt. Klar ist, dass es sich bei den Mitgliedern des Vereins um der AfD jedenfalls nahestehende Personen handelt. Vorsitzender des Vereins ist David Bendels. Dieser bestreitet, jegliche Verbindung zur AfD zu haben, obgleich er auf Wahlkampfveranstaltungen der
565 Haupt, Mecklenburg-Vorpommern: Die geheimen Helfer der AfD, 21.08.2016 (http:// www.faz.net/aktuell/politik/wahl-in-mecklenburg-vorpommern/afd-erhaelt-wahlunterstuet zung-von-verein-in-mecklenburg-vorpommern-14398142.html) (geprüft am 24.02.2023); siehe auch Bender, Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.10.2018, S. 2; als Herausgeber wird Konrad bezeichnet bei Bensmann/von Daniels/Grill u. a., Schwarzbuch AfD, März 2017, S. 125. 566 Kain, 12 Millionäre spendieren der AfD Wahlwerbung, 03.03.2016 (https://www.bild. de/politik/inland/alternative-fuer-deutschland/bekommen-wahlkampfhilfe-von-millionaeren44779754.bild.html) (geprüft am 24.02.2023). 567 Bender, Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.10.2018, S. 2. 568 Haupt, Mecklenburg-Vorpommern: Die geheimen Helfer der AfD, 21.08.2016 (http:// www.faz.net/aktuell/politik/wahl-in-mecklenburg-vorpommern/afd-erhaelt-wahlunterstuet zung-von-verein-in-mecklenburg-vorpommern-14398142.html) (geprüft am 24.02.2023); Sawatzki, Dubiose AfD-Wahlkampfhilfe: Warum nichts geklärt wird und was sich ändern muss, 05.09.2016 (https://www.lobbycontrol.de/2016/09/warum-die-dubiose-afd-wahlkampfhilfe-un aufgeklaert-bleibt-und-was-sich-aendern-muss/) (geprüft am 24.02.2023). 569 Sawatzki, Dubiose AfD-Wahlkampfhilfe: Warum nichts geklärt wird und was sich ändern muss, 05.09.2016 (https://www.lobbycontrol.de/2016/09/warum-die-dubiose-afd-wahl kampfhilfe-unaufgeklaert-bleibt-und-was-sich-aendern-muss/) (geprüft am 24.02.2023); Haupt, Mecklenburg-Vorpommern: Die geheimen Helfer der AfD, 21.08.2016 (http://www. faz.net/aktuell/politik/wahl-in-mecklenburg-vorpommern/afd-erhaelt-wahlunterstuetzungvon-verein-in-mecklenburg-vorpommern-14398142.html) (geprüft am 24.02.2023). 570 Lobbypedia, Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten (https://lobbypedia.de/wiki/Verein_zur_Erhaltung_der_Rechtsstaatlichkeit_und_der_b% C3%BCrgerlichen_Freiheiten) (geprüft am 24.02.2023).
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Partei auftritt.571 Der Verein sei laut Bendels überparteilich572 und mache von seinem Recht Gebrauch, Wahlempfehlungen abzugeben.573 Auch Absprachen mit der Partei gebe es nicht.574 bb) Verbindungen in die Schweiz Die Finanzierung des Vereins wirft indes Fragen auf, nicht zuletzt wegen widersprüchlicher Aussagen von Konrad und Bendels: Einmal wird angegeben, es handele sich bei den Gönnern um einige wohlhabende, „besorgte Bürger“575, ein anderes Mal heißt es, der Verein finanziere sich aus Kleinstspenden und habe einige Tausend Unterstützer576, teilweise wird behauptet, die Spenden kämen von mittelständischen Unternehmen577 oder privaten Großspendern578. Weiterhin gibt es zahlreiche Indizien, die auf einen möglichen Spendenzufluss aus der Schweiz hindeuten. Recherchen haben Verbindungen zwischen Bendels und der Goal AG des Millionärs Alexander Segert579 und Milliardär Henning 571 Fuchs/Zimmermann, Schatten-Spender, 13.05.2017 (https://www.zeit.de/2017/20/afdfinanzierung-verein-nrw-spenden-david-bendels/komplettansicht) (geprüft am 24.02.2023); Fiedler, Die mysteriösen Unterstützer der AfD, 21.11.2018 (https://www.tagesspiegel.de/poli tik/parteienfinanzierung-die-mysterioesen-unterstuetzer-der-afd/23665470.html) (geprüft am 24.02.2023). 572 Gill/Schepsmeier, Teure Wahlkampfhilfe für die AfD, 19.04.2017 (https://www.ndr.de/ nachrichten/schleswig-holstein/landtagswahl_2017/Teure-Wahlkampfhilfe-fuer-die-AfD, afd1092.html) (geprüft am 24.02.2023). 573 Bender, Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.10.2018, S. 2. 574 Vgl. nur etwa Handelsblatt (Hrsg.), Verdacht illegaler Parteispende: Bundestagsverwaltung nimmt AfD-Wahlkampfhilfe ins Visier, 07.03.2016 (http://www.handelsblatt.com/politik/ deutschland/verdacht-illegaler-parteispende-bundestagsverwaltung-nimmt-afd-wahlkampfhil fe-ins-visier/13064812-all.html) (geprüft am 24.02.2023). 575 Dass., Verdacht illegaler Parteispende: Bundestagsverwaltung nimmt AfD-Wahlkampfhilfe ins Visier, 07.03.2016 (http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/verdacht-illega ler-parteispende-bundestagsverwaltung-nimmt-afd-wahlkampfhilfe-ins-visier/13064812-all. html) (geprüft am 24.02.2023). 576 Gill/Schepsmeier, Teure Wahlkampfhilfe für die AfD, 19.04.2017 (https://www.ndr.de/ nachrichten/schleswig-holstein/landtagswahl_2017/Teure-Wahlkampfhilfe-fuer-die-AfD, afd1092.html) (geprüft am 24.02.2023); Haupt, Mecklenburg-Vorpommern: Die geheimen Helfer der AfD, 21.08.2016 (http://www.faz.net/aktuell/politik/wahl-in-mecklenburg-vorpom mern/afd-erhaelt-wahlunterstuetzung-von-verein-in-mecklenburg-vorpommern-14398142. html) (geprüft am 24.02.2023). 577 von Daniels, Anonyme Großspender helfen der AfD im Wahlkampf mit Gratis-Zeitungen und Plakaten, 10.04.2017 (https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2017/04/10/anony me-grossspender-helfen-der-afd-im-wahlkampf-mit-gratis-zeitungen-und-plakaten) (geprüft am 24.02.2023). 578 Bensmann/von Daniels/Grill u. a., Schwarzbuch AfD, März 2017, S. 126. 579 Lobbypedia, Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freihei-
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Conle aufgedeckt.580 Auch hat der Verein die Goal AG mit der Durchführung diverser Aktivitäten beauftragt, sogar der Posteingang des Vereins wird mutmaßlich von der Goal AG geführt, wie Nachforschungen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nahelegen.581 Mittlerweile hat die ehemalige Parteivorsitzende Petry eingeräumt, dass es zwischen Conle und der Parteispitze im Vorfeld der Werbehilfen verschiedene Treffen in Leipzig und Zürich gegeben habe582 und zwischen Conle und dem Verein haben Recherchen jedenfalls Anhaltspunkte für personelle Verflechtungen zutage gefördert.583 cc) Eigene Aktivitäten der Goal AG Die Goal AG war aber auch selbst an Wahlkampfaktivitäten beteiligt, sie erstellte und betrieb etwa die Homepage des Parteichefs Jörg Meuthen im Jahr 2016, dazu kommen Plakataktionen für die AfD-Kandidaten Pretzell und Reil584 sowie Weidel585 im Wahlkampf 2017.
ten (https://lobbypedia.de/wiki/Verein_zur_Erhaltung_der_Rechtsstaatlichkeit_und_der_b% C3%BCrgerlichen_Freiheiten) (geprüft am 24.02.2023). 580 Bensmann/Stoll, Frauke Petry zur AfD-Spendenaffäre, 09.03.2021 (https://www.zdf.de/ politik/frontal-21/petry-zu-afd-spendenaffaere-100.html) (geprüft am 24.02.2023). 581 Haupt, Internationale Solidarität für die AfD, 24.04.2017 (http://www.faz.net/aktuell/ politik/inland/machen-auslaendische-nationalisten-werbung-fuer-die-afd-14983480.html) (geprüft am 24.02.2023); Pittelkow/Riedel, Die „Swiss Connection“ der AfD, 18.01.2019 (https:// www.tagesschau.de/inland/spenden-afd-101.html) (geprüft am 29.07.2021). Von der Unterstützung des Vereins durch die Goal AG berichten auch Bensmann/Stoll, Frauke Petry zur AfD-Spendenaffäre, 09.03.2021 (https://www.zdf.de/politik/frontal-21/petry-zu-afd-spenden affaere-100.html) (geprüft am 24.02.2023). 582 Bensmann/Stoll, Frauke Petry zur AfD-Spendenaffäre, 09.03.2021 (https://www.zdf.de/ politik/frontal-21/petry-zu-afd-spendenaffaere-100.html) (geprüft am 24.02.2023). 583 Bensmann/Keller/von Daniels, Der Schattenmann, 09.03.2021 (https://correctiv.org/topstories/2021/03/09/frauke-petry-ueber-geheime-treffen-der-afd-parteispitze-mit-immobilienmilliardaer/) (geprüft am 24.02.2023). 584 Konietzny, „Ähnlichkeiten mit Flick-Affäre“ – Wie tief steckt die AfD im Spendensumpf?, 17.08.2018 (https://www.n-tv.de/politik/Wie-tief-steckt-die-AfD-im-Spendensumpfarticle20578172.html) (geprüft am 24.02.2023). Siehe dazu auch detailliert Lobbypedia, Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten (https://lobbypedia.de/ wiki/Verein_zur_Erhaltung_der_Rechtsstaatlichkeit_und_der_b%C3%BCrgerlichen_Freihei ten) (geprüft am 24.02.2023). Siehe auch die Ausführungen bei Ulrich Müller, Hintergrundpapier, 2017 (https://www.lobbycontrol.de/wp-content/uploads/Hintergrundpapier_Verdeckte_ Wahlhilfe_AfD.pdf), S. 4 ff. (geprüft am 24.02.2023). 585 Bensmann/Keller/von Daniels, Der Schattenmann, 09.03.2021 (https://correctiv.org/topstories/2021/03/09/frauke-petry-ueber-geheime-treffen-der-afd-parteispitze-mit-immobilienmilliardaer/) (geprüft am 24.02.2023).
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Meuthen hatte 2016 noch jegliche Kenntnis von dem „Extrablatt“ und den Plakaten abgestritten586, im Mai 2017 dann eingeräumt, Segert zu kennen und später weitergehend zugegeben, der Betrieb seiner Homepage durch die Goal AG sei für ihn lediglich ein „unentgeltlicher Freundschaftsdienst“ gewesen. Im August 2017 räumte er zusätzlich ein, dass die Goal AG auch Anzeigen und Plakate für ihn bezahlt habe, allerdings ohne eine Beauftragung von ihm.587 In dem Fall der Goal AG ist auch die Bundestagsverwaltung aktiv geworden. Die Übernahme der Homepage und die Plakate für Meuthen stufte diese als illegale Parteispenden ein und verhängte ein entsprechendes Bußgeld.588 Auch laufen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, die zur Durchsuchung der AfD-Landesgeschäftsstelle in Düsseldorf im Sommer 2019 geführt haben.589 Das Verwaltungsgericht Berlin hat den Strafbescheid der Bundestagsverwaltung derweil für rechtmäßig gehalten und die dagegen gerichtete Klage der AfD abgewiesen.590 Es deutet nach heutigem Erkenntnisstand immer mehr darauf hin, dass die Parallelaktionen des Unterstützervereins und der Goal AG weniger einzelne Parteienfinanzierungsskandale sind, sondern dass es sich vielmehr um einzelne Aspekte eines großen Parteienfinanzierungsskandals handelt, der auf die gleichen Geldgeber zurückzuführen ist.591
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Bensmann/von Daniels/Grill u. a., Schwarzbuch AfD, März 2017, S. 125. Bensmann/von Daniels, AfD-Meuthen und die Spende aus der Schweiz, 29.08.2017 (https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2017/08/29/afd-meuthen-und-die-spende-aus-derschweiz) (geprüft am 24.02.2023). 588 Spiegel Online (Hrsg.), AfD klagt gegen Strafzahlungen von rund 400.000 Euro, 16.05.2019 (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-klagt-vor-gericht-gegen-strafzah lungen-von-rund-400-000-euro-spendenaffaere-a-1267851.html) (geprüft am 24.02.2023). 589 Spiegel Online (Hrsg.), Ermittler durchsuchen AfD-Zentrale in Düsseldorf, 25.06.2019 (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-ermittler-durchsuchen-parteizentrale-in-dues seldorf-a-1274216.html) (geprüft am 24.02.2023); Zeit Online (Hrsg.), Polizei durchsucht Zentrale der NRW-AfD, 25.06.2019 (https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-06/nord rhein-westfalen-afd-zentrale-durchsuchung-illegale-wahlkampfhilfe-duesseldorf) (geprüft am 24.02.2023). 590 Siehe dazu VG Berlin, Urteil vom 09. Januar 2020 – 2 K 170.19 –, und die Besprechung bei Hobusch, Hemdsärmelig und illegal, 11.01.2020 (https://verfassungsblog.de/hemdsaermelig-und-illegal/) (geprüft am 24.02.2023); zu den Hintergründen auch Lobbypedia, Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten (https://lobbypedia.de/wiki/ Verein_zur_Erhaltung_der_Rechtsstaatlichkeit_und_der_b%C3%BCrgerlichen_Freiheiten) (geprüft am 24.02.2023). 591 Bensmann/Keller/von Daniels, Der Schattenmann, 09.03.2021 (https://correctiv.org/topstories/2021/03/09/frauke-petry-ueber-geheime-treffen-der-afd-parteispitze-mit-immobilienmilliardaer/) (geprüft am 24.02.2023). 587
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dd) Aktivitäten des Vereins Seit den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im Jahr 2016 hat der Verein die AfD in sämtlichen Landtags- und Bundestagswahlen mit Kampagnen unterstützt.592 Die Unterstützung erfolgte nach jetzigem Kenntnisstand auf verschiedenen Wegen. Zum einen gab es in den entsprechenden Wahlkämpfen umfassende Plakatkampagnen, eine Bereitstellung von Druckerzeugnissen, insbesondere des „Deutschland-Kuriers“ und des „Extrablatts“ als Wahlkampfmaterial sowie zum anderen die Schaltung von Anzeigen, die zur Wahl der AfD aufriefen.593 (1) Plakatkampagnen Größter Posten der genannten Unterstützungskampagne sind die Plakatkampagnen, die bereits bei den ersten Aktivitäten der Vereinigung und des späteren Vereins zu erkennen waren. Die erste Kampagne zu den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg enthielt unter anderem Plakate, welche mit dem Slogan „Köln – Stuttgart – Hamburg … Mehr Sicherheit für unsere Frauen und Töchter! Jetzt AfD wählen“ oder „Köln – Stuttgart – Hamburg… Nur meckern nützt nichts. Jetzt AfD wählen“ zur Wahl der AfD aufriefen.594 Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern lauteten die Slogans ähnlich, dort hieß es „Mehr Schutz für Familie und Eigentum! Jetzt AfD wählen“ und „Damit Deutschland nicht zerstört wird! Jetzt AfD wählen“.595 Die Plakate waren in blau gestaltet, dazu war neben dem Parteinamen ein rotes Stimmkreuz zu sehen, was beides zusammengenommen den Parteifarben entspricht. Daneben ist auffällig, dass die Kampagne, obgleich sie nicht direkt von 592
Siehe dazu die intensive Befassung bei Lobbycontrol und die Übersicht der zusammengetragenen Kampagnen mit einer Schätzung des Gegenwertes bei Lobbypedia, Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten (https://lobbypedia.de/wiki/ Verein_zur_Erhaltung_der_Rechtsstaatlichkeit_und_der_b%C3%BCrgerlichen_Freiheiten) (geprüft am 24.02.2023). 593 Dass., Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten (https://lobbypedia.de/wiki/Verein_zur_Erhaltung_der_Rechtsstaatlichkeit_und_der_b% C3%BCrgerlichen_Freiheiten) (geprüft am 24.02.2023). 594 Kain, 12 Millionäre spendieren der AfD Wahlwerbung, 03.03.2016 (https://www.bild. de/politik/inland/alternative-fuer-deutschland/bekommen-wahlkampfhilfe-von-millionaeren44779754.bild.html) (geprüft am 24.02.2023); Handelsblatt (Hrsg.), Verdacht illegaler Parteispende: Bundestagsverwaltung nimmt AfD-Wahlkampfhilfe ins Visier, 07.03.2016 (http:// www.handelsblatt.com/politik/deutschland/verdacht-illegaler-parteispende-bundestagsverwal tung-nimmt-afd-wahlkampfhilfe-ins-visier/13064812-all.html) (geprüft am 24.02.2023). 595 Haupt, Mecklenburg-Vorpommern: Die geheimen Helfer der AfD, 21.08.2016 (http:// www.faz.net/aktuell/politik/wahl-in-mecklenburg-vorpommern/afd-erhaelt-wahlunterstuet zung-von-verein-in-mecklenburg-vorpommern-14398142.html) (geprüft am 24.02.2023).
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der Partei ausgeführt wurde, direkt unter Nennung des Parteinamens zur Wahl derselben aufrief. (2) Druckerzeugnisse Daneben wurde auch ein Gratis-Blatt verteilt, das sogenannte „Extrablatt“, später „Deutschland-Kurier“, welches die Wahl der Partei empfahl. Die Zeitungen enthielten Kolumnen von AfD-Politikern oder Interviews mit hochrangigen Vertretern der Partei.596 Die Zeitung rief ausdrücklich zur Wahl der AfD auf. Nicht nur der Druck der Zeitung wurde vom Verein übernommen, auch der Versand und teilweise die Verteilung fanden nicht (nur) durch die Partei, sondern durch den Verein statt.597 Die Auflage betrug nach Recherchen diverser Medien bereits bei der ersten Landtagswahl in Rheinland-Pfalz 2016 rund 1,54 Millionen Exemplare, bei der Wahl in Baden-Württemberg 2 bis 4 Millionen598. Beim bayerischen Landtagswahlkampf 2018 sind erstmals Mails auftaucht, die nahelegen, dass die Exemplare bewusst von der Partei bestellt wurden599, was bisher stets zurückgewiesen wurde. Als weitere Wahlkampfaktivitäten, die hier nicht näher beleuchtet werden sollen, sind noch Internetvideos und Internetwerbung zu nennen.600
596 Dies., Mecklenburg-Vorpommern: Die geheimen Helfer der AfD, 21.08.2016 (http:// www.faz.net/aktuell/politik/wahl-in-mecklenburg-vorpommern/afd-erhaelt-wahlunterstuet zung-von-verein-in-mecklenburg-vorpommern-14398142.html) (geprüft am 24.02.2023). 597 Siehe etwa die Beispiele bei Lobbypedia, Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten (https://lobbypedia.de/wiki/Verein_zur_Erhaltung_der_Rechts staatlichkeit_und_der_b%C3%BCrgerlichen_Freiheiten) (geprüft am 24.02.2023); Wichmann, Wahlwerbung durch Dritte, 07.06.2018 (http://faktenfinder.tagesschau.de/inland/finanzen-afd101.html) (geprüft am 24.02.2023). 598 Kain, 12 Millionäre spendieren der AfD Wahlwerbung, 03.03.2016 (https://www.bild. de/politik/inland/alternative-fuer-deutschland/bekommen-wahlkampfhilfe-von-millionaeren44779754.bild.html) (geprüft am 24.02.2023); Lobbypedia, Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten (https://lobbypedia.de/wiki/Verein_zur_Erhal tung_der_Rechtsstaatlichkeit_und_der_b%C3%BCrgerlichen_Freiheiten) (geprüft am 24.02. 2023). 599 Bolz/Milatz, Heimliche Wahlkampfhilfe in Bayern, 20.09.2018 (https://www.tages schau.de/inland/afd-verein-103.html) (geprüft am 29.07.2021); Fiedler, Die mysteriösen Unterstützer der AfD, 21.11.2018 (https://www.tagesspiegel.de/politik/parteienfinanzierung-diemysterioesen-unterstuetzer-der-afd/23665470.html) (geprüft am 24.02.2023). 600 Lobbypedia, Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten (https://lobbypedia.de/wiki/Verein_zur_Erhaltung_der_Rechtsstaatlichkeit_und_der_b% C3%BCrgerlichen_Freiheiten) (geprüft am 24.02.2023).
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ee) Finanzielle Bedeutung der Unterstützungsaktionen Die Wahlkampfhilfen des Vereins, welche die Partei bis heute nicht im Rechenschaftsbericht als Spenden ausweist, haben eine erhebliche Höhe erreicht. Lobbycontrol geht von einem zweistelligen Millionenbetrag bis Anfang 2017 aus, das heißt ohne Berücksichtigung der Bundestagswahl.601 Allein für die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein geht die Zeit in Recherchen von Kosten von rund vier Millionen Euro aus.602 ff) Vorgehen der AfD gegen Verein Wegen der Aufnahme einer Untersuchung durch die Bundestagsverwaltung603 erwägt nun die AfD, gegen ihren Unterstützerverein vorzugehen. Nach Angaben der Partei habe sie den Verein aufgefordert, es zukünftig zu unterlassen, „Werbemaßnahmen unter Benennung der AfD“ zu veröffentlichen und stützt sich dabei auf ihr Namens- und Markenrecht.604 Weiterhin wird vorgebracht, der Verein dürfe nicht den Eindruck erwecken, es handele sich um eine Publikation der AfD.605 gg) Wahrscheinliche Konstruktion der Unterstützeraktionen Nach jetzigem Kenntnisstand werben die Goal AG und der „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheit“ Spenden aus nicht näher benannten Quellen ein, Verbindungen in die Schweiz erscheinen aber naheliegend. Die Gelder fließen indes nicht an die Partei, sondern werden verwendet, um Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Diese Öffentlichkeitsarbeit ist, so legen es die Rechercheergebnisse und auch die enge Verbindung zwischen dem Vereinsvorsitzenden und AfD-Funktionären nahe, teilweise abgestimmt mit der Partei. Dafür sprechen die erfolgten Treffen zwischen den Geldgebern und der Parteispitze. Jedenfalls greift die Partei in Bezug auf die Druckerzeugnisse zum 601 Wichmann, Wahlwerbung durch Dritte, 07.06.2018 (http://faktenfinder.tagesschau.de/ inland/finanzen-afd-101.html) (geprüft am 24.02.2023). 602 Fuchs/Zimmermann, Schatten-Spender, 13.05.2017 (https://www.zeit.de/2017/20/afd-fi nanzierung-verein-nrw-spenden-david-bendels/komplettansicht) (geprüft am 24.02.2023). 603 Bender, AfD distanziert sich von Unterstützerverein, 22.07.2018 (http://www.faz.net/ aktuell/politik/inland/erstmals-juristisches-vorgehen-afd-distanziert-sich-von-unterstuetzer verein-15703035.html) (geprüft am 24.02.2023). 604 Zeit Online (Hrsg.), AfD klagt gegen Unterstützerverein, 10.08.2018 (https://www.zeit. de/politik/deutschland/2018-08/parteienfinanzierung-afd-klage-wahlkampf-verdacht) (geprüft am 24.02.2023). 605 Pittelkow/Riedel/Theile, AfD geht gegen ihre Wahlkampf-Helfer vor, 10.08.2018 (htt ps://www.sueddeutsche.de/politik/parteienfinanzierung-afd-geht-gegen-ihre-wahlkampf-hel fer-vor-1.4089529) (geprüft am 24.02.2023).
B. Konkrete Zurechnungsproblemstellungen im Parteienrecht
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Teil ausdrücklich auf den Verein zurück und bestellt Zeitungen zur Verteilung durch die Partei oder lässt diese verteilen. 5. Anwendung des Zurechnungsmodells Die herausgearbeiteten Maßstäbe sollen nun anhand der Unterstützung der AfD durch den offenbar ihr nahestehenden Verein angewendet werden. Zur Sachverhaltsdarstellung wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. a) Mittelbarkeit Bei den Urhebern der Parallelaktionen handelt es sich um von der Partei verschiedene Rechtssubjekte, sodass die Mittelbarkeit gegeben ist. b) Finalität Die Finalität bedarf des Willens des Zurechnungsadressaten sowie der Vorhersehbarkeit des Zurechnungsgegenstandes. Ob im vorliegenden Fall die Aktionen mit dem Willen der Partei stattgefunden haben, ist schwierig zu beurteilen. Zwar deuten die Verschränkungen mit dem Verein auf eine Billigung durch die Partei hin, eine ausdrückliche Zustimmung dürfte jedoch regelmäßig schwer beweisbar sein. Anders liegt die Sache etwa in dem vom Verwaltungsgericht Berlin zu entscheidenden, ähnlich gelagerten „Fall Meuthen“: Hier hatte die Goal AG Meuthen eine Freistellungsvereinbarung unterzeichnen lassen. Insoweit musste Meuthen jedenfalls im Großen und Ganzen klar sein, wofür die Goal AG diese Freistellung benötigte. Hier liegt zumindest eine konkludente Zustimmung durch Erteilung der Freistellung nahe. Daneben habe er auch auf das Angebot „Plakate zu machen“ mit „Mach das!“ reagiert.606 Auch ohne exakte Kenntnis über den Umfang oder Inhalt der Plakate dürfte diese Globalzustimmung bereits zur Begründung eines entsprechenden Willens ausreichen. Aus der mittlerweile nachgewiesenen „Bestellung“ von kostenlosen Zeitungen zur Verteilung durch die Partei oder den Verein lässt sich ohne weiteres ein entsprechender Wille der Partei entnehmen. Die Parallelaktionen der Goal AG rücken durch die nun öffentlich gewordenen Treffen zwischen Parteivorsitzenden und Geldgeber in ein anderes Licht. In Anbetracht des Angebots zu anonymen Spenden und der erfolgten Treffen607 liegt ein Wille der Partei zur Durchführung etwaiger Aktionen jedenfalls nicht fern.
606
VG Berlin, Urteil vom 09. Januar 2020 – 2 K 170.19 –, juris Rn. 8. Bensmann/Stoll, Frauke Petry zur AfD-Spendenaffäre, 09.03.2021 (https://www.zdf.de/ politik/frontal-21/petry-zu-afd-spendenaffaere-100.html) (geprüft am 24.02.2023). 607
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§ 5 Zurechnungsfragen im Parteienrecht
Ein konkludenter Wille lässt sich aus der Duldung trotz Kenntnis oder Kennenmüssen entnehmen, wenn gleichzeitig ein zurechenbarer Rechtsschein besteht. Soweit keine Absprache oder sonstige Beeinflussung vorliegt, ist das Handeln Dritter an sich nicht vorhersehbar. Ohne Vorhersehbarkeit kann eine Zurechnung von Handlungen Dritter nicht begründet werden. Erst bei möglicher Vorhersehbarkeit oder tatsächlicher Kenntniserlangung kommt eine Zurechnung in Betracht. Die Vorhersehbarkeit ist spätestens dann gegeben, wenn die Möglichkeit der Kenntnis besteht. Erst ab dieser Möglichkeit der Kenntnis kann eine Zurechnung stattfinden. Kenntnis oder Kennenmüssen liegt bei einer millionenschweren Kampagne, bei denen Indizien sogar auf eine Absprache hindeuten, spätestens ab dem Moment der medialen Berichterstattung ohne Zweifel vor. Daneben deuten eventuell erfolgte Absprachen zwischen Verein und Partei sowie zwischen Geldgeber und Partei auf eine Kenntnis der Partei hin. Selbst wenn keine sichere Kenntnis über die Kampagnen bestanden haben sollte, war dies nach den erfolgten Gesprächen, in denen die Möglichkeit anonymer Unterstützung ausgelotet worden sein soll, vorhersehbar. Mit dem Vorliegen von Vorhersehbarkeit und Wille des Zurechnungsadressaten ist auch der zusammengesetzte Zurechnungsgrund der Finalität erfüllt. Für die Zurechnung spricht also der Wille der Partei in Bezug auf das Handeln Dritter und die Vorhersehbarkeit desselben. c) Absprache Steht der Wille der Partei als Zurechnungsadressat fest, so dürfte der Zurechnungsgrund der Absprache ebenfalls vorliegen. Die Verbindungen zwischen dem Vereinsvorsitzenden und der Partei, etwa durch die Auftritte auf Parteiveranstaltungen, sprechen dafür, dass zumindest eine konkludente Absprache erfolgt ist, die Beweislage ist hier allerdings unzureichend. In den Fällen der Goal AG dürfte sogar eine ausdrückliche Absprache vorliegen, Meuthen hatte die oben angesprochene Freistellungsvereinbarung mit Blick auf die erfolgenden Veröffentlichungen unterzeichnet und damit diese gebilligt. Auch die Treffen zwischen der damaligen Parteivorsitzenden Petry und den Geldgebern sprechen für eine Absprache zur Durchführung der Parallelaktion, wenngleich auch hier die Beweisbarkeit problematisch erscheint. d) Arbeitsteilung Für die Arbeitsteilung ist neben dem Wissen und Wollen, was nach den bisherigen Ausführungen vorliegt, ein Handeln im fremden Interesse erforderlich. Vor-
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liegend lässt sich das Interessen anhand der finanziellen Vorteile der Partei begründen. Die Partei erspart durch das Handeln der Parallelaktionen eigene Wahlkampfaufwendungen. Der in der Parallelaktion verkörperte Werbewert ist durch die Gestaltung der Kampagnen als ausdrückliche Parallelaktionen besonders hoch: Die Kampagne wird für eine solche der Partei gehalten, obwohl die Partei finanziell keinen Beitrag leisten musste. Nicht ohne Grund haben die Aktionen zu einer Beruhigung der finanziell angespannten Lage im Wahlkampf beigetragen.608 Die Parallelaktionen entsprechen damit objektiv betrachtet dem Interesse der Partei. Das Anfragen der Verteilung von entsprechendem Material durch den Verein deutet ebenso auf ein Handeln im Interesse der Partei hin. Mit Kenntnis und Willen der Partei liegt zusammen mit dem Interesse der zusammengesetzte Zurechnungsgrund der Arbeitsteilung vor. e) Rechtsschein Angewendet auf Werbekampagnen Dritter handelt es sich bei der AfD-nahen Plakatkampagne an sich um eine Verletzung des Namensrechts. Es wird durch die farbliche Gestaltung des Plakates und die Nutzung des Namens im Plakattext der Eindruck erweckt, das Plakat sei von der AfD oder von ihr jedenfalls genehmigt, womit eine Zuordnungsverwirrung vorliegt. Diese ist im genannten Fall durch die farbliche Gestaltung und die auch konzeptionelle Ähnlichkeit mit AfD-Plakaten besonders stark ausgeprägt. Die Zuordnungsverwirrung liegt ansonsten bereits in der Verbindung, welche die genannten Plakate zwischen den enthaltenen Forderungen und der Partei herstellt. Der Verkehr geht davon aus, dass in Farbe und Design der Partei gehaltene Plakate mit der Verwendung des Namens AfD und dem damit verbundenen Aufruf, die Partei zu wählen, in der Wahlkampfzeit, in der alle Parteien als Urheber ähnlich gestalteter Plakate für sich werben, von der beworbenen Partei stammen oder von ihr jedenfalls verantwortet oder genehmigt wurden oder dass eine Verbindung zwischen Plakaturheber und Partei besteht. Daneben wird die Partei mit den inhaltlichen Aussagen der Plakate identifiziert, die Aussagen werden der Partei zugeschrieben. Selbst wenn die Partei der Aussage (zufällig) nachträglich zustimmt, so wird ihr eine inhaltliche Positionierung aufgedrängt, die sie nicht getätigt hat oder nicht tätigen wollte, andernfalls hätte sie es selbst getan. Bei den Plakaten ist auch nicht erkennbar, dass sie von anderen Urhebern als der Partei stammen. Einziger Hinweis ist hier das Impressum, welches aber nach zutreffender Ansicht für die Bestimmung des Rechtsscheins ohne Belang ist, hierbei ist vielmehr die Gestaltung 608
Bensmann/Keller/von Daniels, Der Schattenmann, 09.03.2021 (https://correctiv.org/topstories/2021/03/09/frauke-petry-ueber-geheime-treffen-der-afd-parteispitze-mit-immobilienmilliardaer/) (geprüft am 24.02.2023).
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der Plakate in den Blick zu nehmen. Auch der allgemein gehaltene Name der angegebenen Webseite erschüttert nicht den Rechtsschein, da die Domain jedenfalls nicht klarstellt, dass es sich nicht um eine Parteiplakatierung handelt, schließlich sind Kampagnenseiten, welche nicht das Parteisignum enthalten, durchaus üblich. Damit liegt der unbefugte Gebrauch eines Namens vor. Auch die Interessenabwägung kann hier nur für die Partei streiten. Es gibt kein schützenswertes Interesse, Plakate im Stil einer Partei zu erstellen und ihr so Inhalte „unterzuschieben“. Derartiges Verhalten untergräbt den politischen Prozess und beeinträchtigt die Parteien in der Teilnahme an der politischen Willensbildung. Die Idee, verwechslungsähnliche Plakate im Wahlkampf zu nutzen, widerspricht auch der Intention des lediglich einfachgesetzlich niedergelegten parteienrechtlichen Namensrechts. Die Namensführungspflicht im Wahlkampf als Ausprägung dieses verfassungsrechtlich verbürgten Teils der Parteienfreiheit spricht ebenfalls dafür, besonders den Wahlkampf von Verwechslungsgefahren freizuhalten. Die Meinungsfreiheit wird durch eine mögliche Untersagung entsprechender Kampagnen zwar beschränkt, dies erfolgt aber in verfassungskonformer Weise durch das Namensrecht als allgemeines Gesetz. Als kollidierendes Verfassungsgut kann daneben noch die Parteienfreiheit ins Feld geführt werden. Liegt eine Namensanmaßung somit vor, dann besteht ein Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch der Partei aus § 12 BGB. Mit dem denkbaren Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch der Partei liegt auch die Zurechenbarkeit des Rechtsscheins vor, nämlich jedenfalls eine Verhinderbarkeit im Sinne der Beherrschung und Kenntnis oder jedenfalls Kennenmüssen. Es liegt folglich eine ausdrückliche Werbung im Sinne des § 26 Abs. 1 S. 2 PartG vor und eine explizite Parallelaktion, die unter Nennung des Namens für eine Partei wirbt. Der Rechtsschein ist hier besonders stark ausgeprägt, da nicht nur eine Verbindung zwischen Partei und Urheber hergestellt wird, sondern sogar die Veröffentlichungen als solche der Partei wahrgenommen werden. f) Beherrschung Die Beherrschung liegt jedenfalls in der Verhinderbarkeit begründet, welche zur Zurechenbarkeit des Rechtsscheins benötigt wird. Durch die oben herausgearbeiteten namensrechtlichen Ansprüche hat die Partei es in der Hand, die Kampagne ablaufen zu lassen oder zu stoppen. Sie hat damit rechtliche Herrschaft über die Parallelaktion. Lässt sie die Aktion trotz Kenntnis oder Kennenmüssen aber ablaufen und hat dabei die Möglichkeit der Verhinderung, so spricht dies für die Zurechnung.
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Eine tatsächliche Beherrschung im Sinne personeller, finanzieller oder sonstiger Aspekte ist hier bei Betrachtung der bekannten Fakten zwar denkbar, allerdings erscheinen dafür über die reine Mitgliederstruktur hinaus kaum Beherrschungskriterien einschlägig zu sein. Daneben ist auch die finanzielle Abhängigkeit nicht gegeben, schließlich wird der Verein nicht unmittelbar oder mittelbar von der Partei finanziert, sondern von Dritten. Selbst eine hohe Kongruenz der Mitgliedschaft wäre damit nicht genug, um eine Einordnung als Teilorganisation vorzunehmen. Die Beeinflussung der Geldgeber durch die Parteiführung, welche anhand der Treffen wohl plausibel nachweisbar ist, sind kein Aspekt der Beherrschung, sondern dem Zurechnungsgrund der Absprache zuzuordnen. g) Wille, Interesse, Kenntnis, Vorhersehbarkeit Wille, Vorhersehbarkeit und Kenntnis wurden bereits im Rahmen der Finalität untersucht, das Interesse bereits im Punkt der Arbeitsteilung zur Anwendung gebracht. Diese Zurechnungsgründe bedürfen daher für sich genommen keiner Untersuchung mehr. h) Schutzwürdigkeit Die Partei ist insoweit schutzwürdig, als ihr keine Haftung entstehen soll, obgleich sie keine Verhinderungsmöglichkeit hat. Die Nichtverhinderung trotz Möglichkeit wurde aber vorliegend geprüft. Daneben ist die Partei in Bezug auf eine Reaktionspflicht nicht schutzwürdig, wenn sie die Zurechnung auslösenden Tatbestände selbst herbeigeführt hat, sie also eine Absprache getroffen oder die Aktion beeinflusst hat. Lediglich bei der Rechtsscheinzurechnung besteht daher grundsätzlich eine Schutzwürdigkeit. Allerdings mildert das Erfordernis von Kenntnis oder Kennenmüssen als Absicherung die Schutzwürdigkeit ab. Schutzwürdigkeit besteht in Hinblick auf das Prozessrisiko: Die Partei soll sich nicht in unabsehbare Prozessrisiken zur Aufdeckung der Identität des Ur hebers der Parallelaktion stürzen müssen. Allerdings ist bereits nach jetziger Rechtslage von der Partei die Ermittlung der wahren Spenderidentität zu verlangen, sodass von einem Mehraufwand nicht ausgegangen werden kann. Grundsätzlich ist die politische Betätigung Dritter schutzwürdig. Die Teilnahme an der politischen Willensbildung erfolgt nicht nur durch Parteien, sondern eben auch durch Bürger, Vereine oder Verbände. Allerdings endet die Schutzwürdigkeit dort, wo der Anschein entsteht, die Partei hätte gehandelt oder hätte zugestimmt. Dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfällt es nicht, die eigene Meinung als eine fremde auszugeben.609 Die Unterstellung einer gleichen 609
Zum fehlenden Schutz unrichtiger Zitate und unwahrer Tatsachenbehauptungen durch
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Meinung oder einer Übereinstimmung ist ebenfalls nicht geschützt.610 Diese fehlende Schutzwürdigkeit ist bereits bei der Prüfung der Interessen bei den namensrechtlichen Ansprüchen zur Geltung gekommen. Weiterhin ist die Folge der Zurechnung für die Urheber der Parallelaktion nur mittelbar belastend. Müssen die Parteien die Parallelaktionen in den Rechenschaftsbericht aufnehmen oder ansonsten die Aktion verhindern, dann sind anonyme Parallelaktionen nicht mehr möglich. Dies ist aber durchaus auch der Gedanke hinter der Transparenzpflicht des Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG und den einfachgesetzlichen Bestimmungen des § 25 Abs. 2 Nr. 6 PartG oder des § 26 Abs. 1 S. 2 PartG. Das Interesse, der Partei ungenannt Zuwendungen zukommen zu lassen, ist nach der gesetzlichen Konzeption nicht schutzwürdig. Daneben ist die Durchführung von Parallelaktionen auch weiterhin möglich, die Folgen für die Partei sind aber möglicherweise nicht von den Urhebern beabsichtigt, womit es plausibel erscheint, dass Unterstützer andere Wege zur Stärkung der Partei nutzen werden. Schutzwürdig sind die Bürger, welche durch die Zurechnung der Parallelaktion zur Partei erkennen können, wer die Partei finanziell unterstützt. Diese Funktion des Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG droht durch eine fehlende Zurechnung leerzulaufen. Anonyme Kampagnen von Vereinen, die sich nicht offiziell einer Partei zuordnen lassen und welche ihre Gelder aus dem Ausland oder anonym erhalten, könnte das bisherige System der Parteienfinanzierung vollständig unterlaufen und den politischen Prozess beschädigen. i) Interessenabwägung In der Interessenabwägung sind die Besonderheiten des Einzelfalls zu begutachten wie die Gewichtung der einzelnen Zurechnungsgründe. Im vorliegenden Fall liegt eine Billigung durch konkludentes Verhalten ebenso vor wie ein stark ausgeprägter Rechtsschein durch die implizite Parallelak tion. Hinzu kommt die Nichtergreifung einer Verhinderungsmöglichkeit trotz Kenntnis von der Aktion. Zurechnungsausschlussgründe sind nicht erkennbar. die Meinungsfreiheit BVerfGE 54, 208, 219 ff.; Wietschel, BayVbl. 1998, 488, 489 = Wietschel, MIP 1996, 29, 32; ebenso Schlüter, JuS 1975, 558, 563. Wenn Wietschel dabei allerdings auf das ebenfalls hier besprochene Urteil des OLG Karlsruhe, NJW 1972, 1810 ff. hinweist, dann hat das Gericht in seiner Entscheidung den Schutzbereich der Meinungsfreiheit eben nicht abgelehnt und die Meinungsfreiheit erst im Rahmen der Abwägung zurücktreten lassen (S. 1812). Da es sich bei den genannten Plakaten unter Umständen um Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG handelt, ist die Abwägung wohl ohnehin nicht zu vermeiden. Ähnlich Schlüter, JuS 1975, 558, 563. 610 Wietschel, BayVbl. 1998, 488, 489 = Wietschel, MIP 1996, 29, 32; Schlüter, JuS 1975, 558, 563.
B. Konkrete Zurechnungsproblemstellungen im Parteienrecht
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Gegen eine Zurechnung der Parallelaktionen zur Partei wird teilweise die Missbrauchsgefahr vorgebracht, welche durch falsche Parallelaktionen entstehen könnte.611 Andererseits ist Missbrauch durch illegale Spenden zur „Beschäftigung“ der Partei schon jetzt möglich. Probleme sind diesbezüglich augenscheinlich noch nie aufgetreten.612 Problematisch erscheint die Auferlegung des Prozessrisikos auf die Parteien. Gerade in Grenzfällen dürfte die Partei aus Sorge um die Richtigkeit ihres Rechenschaftsberichts eher schnell zu rechtlichen Mitteln gedrängt sein. Andererseits sind die Urheber der Parallelaktionen regelmäßig keine Gegner der Partei, welche sich Kämpfe mit ihr über die Identität der Spender liefern wollen. In der Regel handelt es sich um Unterstützer der Partei, welche der Partei nicht schaden wollen und andere Wege zur Unterstützung beschreiten würden. Daneben ist das Namensrecht ein zwar abwägungsoffener Bereich, der aber durch sehr lange Rechtsprechungskontinuität geprägt ist. Insofern sind die Parteien bei der Prüfung der Erfolgsaussichten nicht völlig schutzlos gestellt. Gleichwohl bietet sich gerade beim Vorgehen der Partei gegen Parallelaktionen eine gesetzliche Regelung mit einem einfachen Abwehr- bzw. Auskunftsanspruch an.613 Die Distanzierungspflicht als solche wird kritisiert614, ist an sich jedoch keine Besonderheit: Auch beim Parteiverbot wird – wie gezeigt – von Literatur und Rechtsprechung eine Distanzierung der Partei von verfassungswidrigen Anhängern gefordert. Eine ähnliche Ausgangslage besteht auch hier, wobei die Rechtsfolgen der Parteiverbotsentscheidung wesentlich schwerwiegender sind. Die Zurückweisungspflicht ist zwar eine Belastung für die Partei, indes beherrschbar, da begrenzt durch Kenntnis und Kennenmüssen. Zum anderen besteht eine Zurückweisungspflicht bereits jetzt bei illegalen Spenden oder insgesamt als Unter611
Roßner, RuP 2016, 213. Hobusch, DÖV 2020, 548, 557. 613 Hobusch, DÖV 2020, 548, 557; Bäcker/Merten, MIP 2019, 235, 242 f.; die Einführung einer eigenen Transparenzpflicht für die Parallelaktionen ab einem Geldwert von 10.000 Euro fordert von Notz, Dritte im Bunde: Für mehr Transparenz in der Partei- und Wahlkampffinanzierung, 25.05.2019 (https://verfassungsblog.de/dritte-im-bunde-fuer-mehr-transparenz-inder-partei-und-wahlkampffinanzierung/) (geprüft am 24.02.2023); bereits kurz nach Verabschiedung des Parteiengesetzes forderte Breitling, PVS 9 (1968), 223, 230 unter anderem mit Blick auf die Fördergesellschaften ein „Gesetz zur Offenlegung politischer Finanzierung“ und wollte hier alle einbeziehen, die „Gelder sammeln und damit auf die politische Willensbildung des Volkes einwirken.“ 614 Morlok/Merten, Parteienrecht, 2018, S. 193 fordern auch bei Nutzung des Logos bei Plakatspenden eine aktive Distanzierung und sehen ansonsten „gegebenenfalls“ eine Zurechnung. Anders dann bei Bäcker/Merten, MIP 2019, 235, 236, dort wird eine solche „Widerspruchslösung“ zwar kritisiert, im eigenen Regelungsvorschlag (S. 242 f.) wird die Partei dann aber ebenfalls mit einem Unterlassungsanspruch ausgestattet und so letztendlich doch eine aktive Zurückweisung verlangt. 612
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§ 5 Zurechnungsfragen im Parteienrecht
brechung der Erlangung nach § 25 Abs. 1 S. 4 HS. 2 PartG. Auch hier wird der Partei zugemutet, die Spende zeitnah zu prüfen und unverzüglich zurückzuleiten, sofern sie sie nicht gegen sich gelten lassen möchte. Eine solche „Zurückweisungspflicht“ ist mit der Systematik im Recht der Parteienfinanzierung sehr wohl kompatibel.615 Weiterhin ist zu beachten, dass die Partei von der Annahme von Spenden profitiert. Eingeworbene Spenden steigern die relative Obergrenze nach § 18 Abs. 5 S. 1 PartG und Spenden natürlicher Personen daneben den Zuwendungsanteil der staatlichen Parteienfinanzierung (§ 18 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 PartG). Gleichzeitig könnte man an der Zurechnung kritisieren, dass der politische Diskurs dadurch auf Parteien verengt wird. Allerdings greift die Zurechnung nur bei einer Einflussnahme, Absprache oder einem erheblichen Rechtsschein. Die politische Betätigung Dritter wird dadurch nicht beeinträchtigt, sondern nur eine irreführende Beeinflussung der politischen Willensbildung verhindert und die Transparenz der Parteifinanzen sichergestellt. Die rechtsgebietsspezifischen Besonderheiten führen zu keiner anderen Bewertung. Das einfache Parteispendenrecht dient der Umsetzung und Effektivierung der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Transparenzpflicht des Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG. Die verfassungsrechtliche Ausgangslage spricht für ein weites Verständnis des Spendenbegriffs und auch der Annahme- oder Erlangungssystematik. Die Transparenzpflicht spricht in der Interessenabwägung unter Zugrundelegung eines weiten Spendenbegriffs somit für eine Belastung der Partei mit den Parallelaktionen, um die Transparenz in der Wahlwerbung sicherzustellen. Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG fordert daneben auch eine effektive Transparenz. So hat das Bundesverfassungsgericht im zweiten Parteienfinanzierungsurteil festgestellt, dass Geld- oder geldwerte Zuwendungen an Abgeordnete denselben Transparenzvorschriften genügen müssen wie entsprechende Zuwendungen an Parteien. Eine entsprechende Offenlegung des Spenders folge aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG „schon im Blick auf Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG“, ansonsten würde der Umgehung von Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG „Vorschub geleistet“.616 Sogar eine Ausdehnung der Transparenzpflicht auf die Abgeordneten ist mithin denkbar, um dem Transparenzgedanken Rechnung zu tragen und vor Umgehungen zu schützen. Für die Zurechnung nach dem hiesigen Modell spricht daneben auch die gesetzliche Wertung des § 26 Abs. 1 S. 2 PartG, welcher auf die ausdrückliche Werbung und damit den Rechtsscheinaspekt abstellt. Würde es allerdings auch beim Rechtsschein auf die Absprache oder den Einfluss ankommen wie bei anderen geldwerten Zuwendungen, dann hätte das Merkmal der ausdrücklichen Werbung
615 616
Hobusch, MIP 2019, 134, 136. BVerfGE 85, 264, 325.
B. Konkrete Zurechnungsproblemstellungen im Parteienrecht
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keinerlei Relevanz. Weiterhin spricht der Wille des historischen Gesetzgebers für ein derartiges Verständnis. Im Vergleich mit anderen Rechtsscheintatbeständen wie der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht erscheinen die Rechtsfolgen für die Parteien überschaubar. Bei der Duldungsvollmacht kann die Duldung eines Rechtsscheins zur Zuordnung rechtsgeschäftlicher Verpflichtungen in unbegrenzter Höhe führen. Im vorliegenden Fall sind daneben noch weitere Zurechnungsgründe ersichtlich, welche die Abwägung zugunsten einer Zurechnung verschieben. Für die Frage, ob die geldwerten Zuwendungen damit in den Verfügungsbereich der Partei gelangt sind und ob die Drittkampagnen diesem Verfügungsbereich zugeordnet werden sollen, spricht nach den aufgeführten Argumenten einiges für eine Zurechnung. Im Ergebnis scheint die Zurechnung der beschriebenen Parallelkampagne zur Partei damit interessengerecht.
Schlussbetrachtung A. Praktische Anschlussfähigkeit der Zurechnungsgründe Die Anwendung im Parteienrecht hat die breite Einsetzbarkeit des hier entwickelten Zurechnungsmodells gezeigt. Im Recht der politischen Parteien konnten die Zurechnungsgründe Ausgangspunkt einer argumentativen Neuerschließung sein. Durch die Verknüpfung der bisherigen Problembehandlung mit den ausgearbeiteten Zurechnungsgründen konnten inhaltliche Gemeinsamkeiten aufgedeckt werden, welche die Richtigkeit der herausgearbeiteten Zurechnungsgesichtspunkte aufgrund der inhaltlichen Anschlussfähigkeit an bisherige Argumentationslinien erhärten. Insgesamt erscheinen der Anwendbarkeit – freilich begrenzt durch die Zurechnungsdefinition selbst – keine rechtsgebietsspezifischen Begrenzungen immanent zu sein, schließlich stammen die eingeflossenen Wertungen selbst aus den unterschiedlichsten Rechtsbereichen.
B. Harmonisierungsfunktion der Zurechnungsgründe Die Argumentation hat durch die Anknüpfung an die abstrakten Zurechnungsgründe an Tiefe gewonnen und einen rechtsvergleichenden Einschlag erhalten. Durch den „Baukasten“ an Zurechnungsgründen, mit dem die Analyse und argumentative Erfassung eines Zurechnungsproblems erfolgt, besteht ein grobes Raster, welches die unterschiedlichen Zurechnungskonstellationen in neuartiger Weise miteinander vergleichbar macht. Nicht nur die Herleitung der Zurechnungsgründe ist induktiv-rechtsvergleichend erfolgt, auch die Argumentation der einzelnen Probleme kann nun rechtsvergleichende Aspekte in sich aufnehmen, wenn es um die Bestimmung der erforderlichen Intensität der Zurechnungsgründe für die Interessenabwägung geht: Ist bei der Reichweite des Parteiverbots – einer Maßnahme mit einer extrem belastenden Rechtsfolge – die Billigung, das heißt der Wille oder die Finalität, eines der zentralen Elemente zur Zurechnungsbegründung, so ist überraschend, warum dieser Aspekt bei den Parallelaktionen nicht wie selbstverständlich ebenso herangezogen wird, obgleich die Rechtsfol-
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Schlussbetrachtung
ge hier deutlich weniger einschneidend ist. Die Literatur stellt hier aber weit höhere Anforderungen und verlangt einen besonders ausgeprägten Einfluss der Partei. Die Zurechnungslehre ermöglicht es, die beiden Fallgestaltungen jedenfalls in einem hohen Abstraktionsgrad in Bezug auf die Zurechnungsgründe miteinander zu vergleichen und offenkundig bestehende Wertungswidersprüche aufzudecken und aufzulösen. Die Zurechnungslehre dient damit auch dem Ziel, Zurechnungskonstellationen neu zu erschließen und die Bewertung von Zurechnung in den verschiedenen Rechtsgebiete zu vereinheitlichen. Die Herausarbeitung abstrakter Zurechnungsgründe im Rahmen der hier vorgestellten Zurechnungslehre harmonisiert die rechtliche Beurteilung von Zurechnungsproblemen. Die Erwägungen aus der Zurechnung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen und der Zurechnung von Organisationen zur Partei weisen bei einem derartigen Vergleich starke Ähnlichkeiten auf. Die maßgeblichen Argumentationslinien aus der Fraport-Entscheidung und der aktienrechtlichen Literatur lassen sich in Form des Zurechnungsgrundes der Beherrschung auch auf die parteienrechtliche Pro blematik der Zurechnung von Organisationen zur Partei übertragen. Der Zurechnungsgrund der Arbeitsteilung aus der Haftung für den Erfüllungsgehilfen lässt sich bei Fragen der Auslagerung von Parteiaufgaben auf andere Organisationen ebenfalls verwenden, schließlich weisen auch diese Fälle hohe Ähnlichkeiten auf. Die Beispiele ließen sich an dieser Stelle beliebig fortsetzen. Derartige Vergleichbarkeiten herzustellen und wiederkehrende Argumentationsmuster im Recht aufzudecken, ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil zur Beurteilung neuartiger Problemstellungen. Das Abstellen auf bekannte Wertungen und Präjudizien erleichtert die Beurteilung eines neuartigen Rechtsproblems. Die Herauspräparierung von das Recht durchziehenden Wertungen ist eine der vornehmsten Aufgaben der Rechtswissenschaft. Mit der vorgelegten Zurechnungslehre wird das bisher unterbelichtete Phänomen der Zurechnung in einem umfassenden Sinne erschlossen. Bestehen inhaltliche Ähnlichkeiten zwischen zwei Problemlagen, dann spricht vieles dafür, die Argumentationslinien des einen Falles – sofern möglich – auch in der Diskussion des ähnlichen Problems zur Anwendung zu bringen. Die Bestimmung der Vergleichbarkeit der Fälle wird dabei erleichtert durch die technische Zurechnungsdefinition (§ 1), welche dem induktiven Teil der vorliegenden Arbeit (§ 2 und § 3) vorangestellt und ihr zugrunde gelegt wurde. Die Definition der Zurechnung als Rechtstechnik ermöglicht es, ähnliche Fälle zu identifizieren und sie sodann durch die prinzipienartigen, abstrakten Zurechnungsgründe auf inhaltliche Gemeinsamkeiten zu überprüfen.
D. Die Gerechtigkeitsfunktion der Zurechnung
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C. Zurechnungsgründe als „Wissensspeicher“ Das vorgestellte System der Zurechnung hat durch die rechtsvergleichenden Elemente die Fähigkeit, zur Harmonisierung des Rechts beizutragen. Durch die Etablierung eines groben Vergleichsmaßstabes in Form der Zurechnungsdefinition und der induktiven Herausarbeitung von Wertungen aus einzelnen Zurechnungsproblemen des Straf- und Zivilrechts sowie des Öffentlichen Rechts sind diese Wertungen in die inhaltliche Ausgestaltung der Zurechnungsgründe eingeflossen. Das Recht speichert seine „Weisheiten“ regelmäßig in Einzelfragen und nicht allumfassend und abstrakt. Diese gespeicherten Wertungen enthalten zum Teil einen extrem hohen Differenzierungsgrad und gewährleisten so ein hohes Maß an Einzelfallgerechtigkeit. Diese Wertungen sind durch den induktiven Teil der Arbeit erschlossen worden (§ 2 und § 3) und haben Niederschlag in den herausgearbeiteten Zurechnungsgründen gefunden (§ 4). Die Dekonstruktion der in einzelnen Zurechnungskonstellationen verborgenen Wertungen dient dazu, vergleichbare Probleme aus anderen Bereichen konsistent lösen zu können und die einzelnen „Wissensspeicher“ des Rechts zur Gewinnung abstrakter Wertungen zu öffnen. Die abstrakten Zurechnungsgründe werden dadurch selbst zum Speicher abstrakter, aus Einzelfällen herausgearbeiteter Wertungen zur Beurteilung des Phänomens Zurechnung.
D. Die Gerechtigkeitsfunktion der Zurechnung Neben der Harmonisierungsfunktion wurde auch bereits eingangs die Gerechtigkeitsfunktionalität der Zurechnung hervorgehoben.1 Dies hat sich im Verlauf der Untersuchung erhärtet, insbesondere die Interessenabwägung und die Betrachtung der Schutzwürdigkeit lassen sich auf diese Grundfunktion der Zurechnung zurückführen, die Schutzwürdigkeitserwägungen sind in allen Zurechnungskonstellationen relevant und sind damit Zurechnungszweck.2 Auch die Grundidee des Umgehungsschutzes ist eine Frage der Herstellung von Gerechtigkeit im Einzelfall. Die Zurechnung sorgt durch ihre Rechtsfolge im Übrigen für eine gerechte Verteilung von Risiko und Nutzen.
1 2
§ 1 A. XI. § 4 A. II. 16. und § 4 A. XI.
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Schlussbetrachtung
E. Inhaltliche Ausgestaltung des Zurechnungsmodells Die induktive Untersuchung hat eine Vielzahl an möglichen Zurechnungsgründen zutage gefördert.3 Diese lassen sich kategorisieren in positive, das heißt zurechnungsbegründende und negative, das heißt zurechnungshemmende Zurechnungsgründe. Weiterhin lässt sich differenzieren zwischen selbständigen und unselbständigen Zurechnungsgründen. Die Zurechnungsgründe sind in ihrer Intensität variabel und abstufbar. Der Kreis der Zurechnungsgründe ist nicht abschließend bestimmbar. Aus den untersuchten Zurechnungskonstellationen wurden die folgenden Zurechnungsgründe ermittelt: Als positive selbständige Zurechnungsgründe konnten die Kausalität, die Unmittelbarkeit, der Wille, die Kenntnis, das Interesse, die Beherrschung, der Rechtsschein, die Vorhersehbarkeit/Adäquanz und die Form ausgemacht werden. Zusammengesetzte positive Zurechnungsgründe sind die Absprache, die Arbeitsteilung, die Finalität. Zurechnungsausschlussgründe sind die Mittelbarkeit, die fehlende Beherrschung, die fehlende Vorhersehbarkeit/Adäquanz und Exzesse, darüber hinaus liegt in Erwägungen zum Schutzzweck der Norm ein Zurechnungsausschlussgrund. Ergänzt werden die positiven und negativen Gründe durch die Schutzwürdigkeitserwägungen sowie die Interessenabwägung.4 Diese Aufzählung ergibt sich aus der hier vorgenommenen Analyse von Zurechnungsproblemen, was die die Existenz weiterer Zurechnungsgründe nicht ausschließt. Die Zurechnungsgründe haben in ihrem hohen Abstraktionsgrad Prinzipiencharakter, was in Anbetracht der Weite der untersuchten Konstellationen unumgänglich erscheint. Die Zurechnungsgründe sind als Speicher von abstrakten Wertungen aber konkretisierungsfähig. Das Ergebnis der Zurechnungsuntersuchung ist dabei stets den gebietsspezifischen Wertungen ausgesetzt und der Interessenabwägung im Einzelfall unterworfen. So wird ein Übergewicht abstrakter Wertungen verhindert und Raum belassen zur Herstellung gerechter Lösungen im Einzelfall. Die Zurechnungsgründe der Schutzwürdigkeit und insbesondere die Interessenabwägung legen hiervon beredtes Zeugnis ab.
F. Methodische Flexibilität des Zurechnungsmodells Das Zurechnungsmodell lässt sich – wie gezeigt – in unterschiedlicher Weise methodisch implementieren. Die Anwendung als Topoikatalog oder in Form ei3 4
§ 4 A. II. und.§ 4 A. III. Siehe die Kurzübersichten unter § 4 A. IV. und § 4 A. V.
G. Perspektiven der Fortentwicklung
433
nes Beweglichen Systems ändert nichts an den vorangegangenen Feststellungen. Deshalb wurde in der vorliegenden Arbeit zwar ein Vorschlag zur methodischen Anknüpfung unterbreitet5, auf eine endgültige Entscheidung aber verzichtet. Mehr als eine Demonstration von Möglichkeiten ist damit nicht verbunden, auch andere methodische Anknüpfungspunkte sind denkbar. Zurechnung ist an sich keine Rechtsmethode und damit nicht auf einer Stufe mit der Auslegung oder der Rechtsfortbildung zu verorten. Die Zurechnung ist eine Rechtstechnik, bei der eine Hauptnorm in der gezeigten spezifischen Weise mit einer Zurechnungsnorm verknüpft ist, sodass dem Zurechnungsadressaten Merkmale zugeordnet werden, um die Hauptnorm zu erfüllen. Im Falle vollkommen geschriebener Zurechnung handelt es sich schlicht um eine besondere Regelungstechnik, welche für den Anwender keine Besonderheiten aufweist. In den Fällen der teilweisen – also bei unvollkommen geschriebener Zurechnung – bis vollständigen Ungeschriebenheit handelt es sich um eine Form der Rechtsfortbildung.
G. Perspektiven der Fortentwicklung Bisher fehlt es – nicht nur im Zivilrecht – an der Etablierung einer breiten Zurechnungsdogmatik. Vielmehr wird bereichsspezifisch an einzelnen Zurechnungsproblemen gearbeitet, die Verbindung zwischen unterschiedlichen Fällen von Zurechnung, die das ganze Recht durchziehen, ist dabei in den Hintergrund gerückt. Durch die Einzelfallorientierung fehlt es einer Gesamtkonzeption und einer dogmatischen Grundlage. Weiterhin werden Argumentationsquellen nicht ausgeschöpft, wenn der Blick stets ausschließlich auf die Lösung des Einzelproblems gerichtet bleibt. Mit der vorliegenden Untersuchung ist der Versuch verbunden, einen Vorschlag für eine breiter aufgestellte Zurechnungslehre zu entwickeln, die sowohl für die Eigenzurechnung als auch für die besonders relevante Fremdzurechnung Anwendung findet. Die gefundenen Wertungen lassen sich auch durch die methodische Flexibilität brauchbar in die Lösung von Zurechnungsproblemen integrieren, egal ob durch Auslegung oder Rechtsfortbildung. Ob die genannten Zurechnungsgründe universal anwendbar sind, lässt sich anhand der Vielzahl der denkbaren Zurechnungsprobleme nicht abschließend beantworten. Da das vorgeschlagene Modell aber durch die rechtsspezifischen Einfallstore den Geist des konkreten Rechtsproblems „atmet“ und flexibel auch durch Auslassung von einzelnen Aspekten auf den Einzelfall reagieren kann, spricht vieles für eine umfas5
§ 4 B.
434
Schlussbetrachtung
sende Anwendbarkeit. Die Herausarbeitung weiterer, positiver wie negativer Zurechnungsgründe oder ihre inhaltliche Schärfung muss weiterer Bearbeitung vorbehalten bleiben. Auch bei einer Ablehnung der methodischen Verortung der Zurechnung oder der Infragestellung ihrer argumentativen Kraft lassen sich anhand der Anwendungsbeispiele im Parteienrecht sehr deutlich die besonderen Vorzüge der hier skizzierten Zurechnungslehre feststellen: Die herausgearbeiteten Wertungen können Anhaltspunkte zur argumentativen Neuerschließung von Zurechnungsproblemen sein und die Argumentation auf neue Aspekte lenken, die bisher nicht oder nicht ausreichend Berücksichtigung gefunden haben. Selbst wenn die herausgearbeiteten Wertungen nur zur Neuordnung der argumentativen Struktur und zur Herstellung einer breiteren Vergleichbarkeit zwischen Zurechnungsproblemen führen, ist bereits ein Gewinn für die Rechtswissenschaft erkennbar.
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Sachverzeichnis Abrede siehe Absprache Absprache 62 f., 73, 84, 104, 115, 175– 176, 205 f., 309 f., 319, 358, 366 f., 387 ff., 420 Adäquanz 41, 43 ff., 52, 147, 160, 168, 169, 189, 239–245 Adäquanz, fehlende 193 f., 250 f. Allgemeine Lebenserfahrung siehe Adäquanz Allgemeine Zurechnungslehre 4, 8, 37, 195–264 Allgemeines Lebensrisiko 145 Amtsautorität 150 f., 153 f. Amtshaftung 117 f., 153, 158 Amtsressourcen 150 Analogie 31, 34 Anscheinsvollmacht 87–90 Anzahl der Zurechnungsgründe 259, 431 Äquivalenztheorie 40 f., 52 Arbeitsteilung 56 f., 63, 73, 76, 85, 100, 112, 114 f., 179 f., 215–222, 308 f., 321, 366, 387, 420 f. Aufbau der Zurechnung 8–11 Auslegung 30 f., 34 Beherrschung 53 ff., 70, 71–74, 85, 94, 95, 100 f., 104 f., 116, 127 ff., 133 ff., 146 f., 167 f., 180–184, 213 f., 218, 222–227, 235, 244, 306 ff., 328–337, 358, 360, 368, 389, 422 f. –, fehlende 44, 53 f., 193, 249 f., 360 f. –, kombinierte 129 ff. Besitzdiener 95–102, 105 Besitzmittlungsverhältnis 102 ff. Bewegliches System 264–283 Billigkeit 20, 30, 34, 123, 170 Botenschaft 77 f.
Chancengleichheit der Parteien 148, 152 Conditio-sine-qua-non-Formel siehe Äquivalenztheorie Dazwischentreten Dritter 47, 54, 64 f., 73, 143 f., 168, 231 Deduktion 37 Differenzmethode 38, 132 Drittzurechnung siehe Fremdzurechnung Duldungsvollmacht 87–90 Eigenverantwortliche Selbstgefährdung 47 f. Eigenzurechnung 26–29, 33, 51 f., 141, 172 f. Einschaltungshaftung 110, 123 Einvernehmliche Fremdgefährdung 48, 54 Elemente des Beweglichen Systems 266 ff. Exzess 58, 64, 86, 95, 115 f., 122, 124, 176, 205, 193, 248 f. Fahrlässigkeit 244, 261 Finalität 43 f., 123, 137, 140, 142, 145 ff., 155, 168 f., 178, 209–213, 328, 364 ff., 404, 419 f. Fördergesellschaften 405–419 Form 117, 123, 126, 132, 137 f., 140–143, 155, 166, 189, 245 f., 338 Fremdzurechnung 26–29, 33, 35, 51 f., 62, 69, 83, 93, 100, 103, 109, 121, 133, 141, 153, 172 f., 231 f. Garantiehaftung 110, 114 Gemeinsamer Tatentschluss 57 f. Gemeinschaftliche Tatbegehung 57, 59 Gemeinwohl 19 Gemischtwirtschaftliche Unternehmen 127 Gerechtigkeitsfunktion der Zurechnung 20, 29 f., 34, 430
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Sachverzeichnis
Gesetzesanwendung 34 Gesetzliche Regelung der Zurechnung 7 Gleichstellungsargument 63, 73, 112, 114, 135, 216, 218 Grundnorm 9 Grundrechtsbindung 124–136, 152 f. Grundrechtseingriff 136–147, 152 f. – erweiterter siehe moderner – klassischer 137 – moderner 137 f., 158 Haftung für den Erfüllungsgehilfen 105– 109, 121 f., 132, 134 Haftungsnorm 16 Haftungszuweisung 16 Handeln in fremdem Interesse 84 f., 101, 104, 111 Harmonisierungsfunktion der Zurechnung 428 f. Herrschaft siehe Beherrschung Hypothetischer Kausalverlauf 46 Imperativität 137 f., 140, 142 Imputatio 7 Induktion 12, 16, 37 Intensität 142, 194, 251, 357 Interesse 63, 116, 178 f., 213 ff. Interessenabwägung 18–21, 28, 34, 157, 342 ff., 370 f., 424–427 Juristische Person 14, 124, 207 Kausalität 40 f., 52, 139 f., 142, 159, 164, 168, 174 f., 204 f., 319, 364 Kausalprinzip 261 Kenntnis 186, 227 ff., 358, 403 f. Kettenzurechnung siehe Zurechnungs verkettung Kollektivperson 10, 25, 56, 61 Konkurrenz der Zurechnungsgründe 209, 229 Lehre vom Regressverbot 47, 51, 54 Leutehaftung 113 Methodik der Arbeit 5 Methodik der Zurechnung 30–33, 264–295, 431 f.
Mittäterschaft 54, 55–64, 132, 144 Mittelbare Drittwirkung von Grundrechten 124, 132 Mittelbare Staatshaftung 119 f. Mittelbare Täterschaft 54, 64–74, 144 Mittelbarer Besitz 97, 101 ff. Mittelbarkeit 143 f., 147, 192, 231–234, 248, 319, 364, 419 Namensrecht der Parteien 390–403 Nebenorganisationen 297–306 Neutralitätspflicht von Amtsträgern 147– 158 Normativ geleitete Topik 291 Objektive Zurechnung 40–55, 141, 143 ff., 168 Offenkundigkeitsprinzip 78 f. Öffentliches Amt 117 Organisationskreise 47, 53 Parallelaktionen 371–427 Parteinahe Stiftungen 311–344 Parteiverbot 344–371 Philosophisches Zurechnungsverständnis 6 f., 39 f. Politischer Einschlag der Zurechnung 260 f. Polizei- und ordnungsrechtliche Verant wortlichkeit 158–170 Privatautonomie 201 ff. Prüfungsreihenfolge der Zurechnungs gründe 253 f. Rechtmäßiges Alternativverhalten 46 Rechtsfortbildung 30 ff., 34 Rechtsgebietsabhängigkeit der Zurechnungsgründe 256–259 Rechtskreis 123 Rechtsschein 88, 93, 156, 187 f., 234–238, 246, 310, 338, 359 f., 367 f., 389, 421 f. Rechtsscheinvollmachten 86–95 Rechtstechnik 34 Rechtswidrigkeitslehre 160–163, 167 Reflexivität 25, 34, 61 Risikoerhöhung 44, 112, 114, 161, 187, 229 f. Risikoerhöhungslehre 42
Sachverzeichnis Risiko-Nutznießungs-Argument siehe Gleichstellungsargument Risikosphäre 161 Risikoverringerung 45, 53 Schuldprinzip 197 f. Schutzwürdigkeit 86, 95, 111 f., 114, 123, 135, 170, 190 ff., 217, 237, 246 f., 311, 340 ff., 369 f., 423 f. Schutzzweck der Norm 45 f., 53, 86, 145, 147, 157, 194, 230, 252 f., 311, 339 f., 369 Selbstverantwortungsprinzip 27 f., 65, 73 f., 86, 95, 101, 105, 195–203 Sonderorganisation 297–306 Sozialadäquanz 144, 160 Sozialadäquates Risiko 53 Sphäre 146, 185 f., 226 f. Staatliche Sphäre 121 f., 125, 148, 155 Stellvertretung 74–86 Stellvertretung, mittelbare 75 f. Stiftungsurteil 311–315 Täter hinter dem Täter 68 Täterwille 66, 70 Tatherrschaft 54, 59 ff., 63, 65, 69 f. Tatsächliche Sachherrschaft 97 Topik 284–294 – Kritik 289 f. – normativ geleitete 291 – und Zurechnung 292 ff. Transitivität 13, 21–24, 28, 34 Umgehungsschutz 62, 70 f., 111, 133 ff., 190, 218, 247 Unmittelbarkeit 137–140, 142 f., 146, 159, 168, 187, 231–234 Veranlassung 167, 169, 188, 238 f. Verantwortlichkeitsverhältnis siehe Verantwortungszusammenhang Verantwortungszusammenhang 16, 18, 20, 28, 33, 35 Verfassung der Freiheit 202 Verhalten der Parteianhänger 346–357 Verhaltensverantwortlichkeit 158–161 Verhältnismäßigkeit 159, 161 Verhinderungsmöglichkeit 94 Verrichtungsgehilfe 164 f., 168
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Verschuldensprinzip 122, 159, 167, 199 ff., 208, 212 f., 244, 261 Vorhersehbarkeit 45, 53, 139, 144, 146, 160, 169, 188, 229, 239–245, 358, 404 Vorhersehbarkeit, fehlende 193 f., 250 f. Vorsatz 208, 212 f., 244, 261 Wertungsbezogenheit der Zurechnung 20 Wille 101, 116, 122, 176 f., 178, 206–209, 237, 386 f. Willensherrschaft – kraft Irrtums 66 f. – kraft Nötigung 67 f. – kraft organisierter Machtapparate 68 f., 72 f. Zielsetzung 117 Zufall 9, 13, 53 Zurechenbarkeit des Rechtsscheins 93 f., 234 f. Zurechnung als Rechtstechnik 30, 32, 33, 432 Zurechnung und Rechtsfortbildung 32 f. Zurechnungsadressat 8, 13 f., 33, 49, 61, 69, 81, 98, 103, 109, 133, 152, 166 Zurechnungsausschlussgründe 27 f., 33, 55, 147, 192 ff., 248–253 Zurechnungsdefinition 6, 36, 38 Zurechnungseinheit 113, 116 Zurechnungsgegenstand 10, 33, 49 ff., 69, 81, 98 f., 109, 132, 141, 166, 171 f. Zurechnungsgründe 4, 10, 12, 16–21, 39, 52–55, 104, 110, 121, 174–192, 203–248, 431 – absolute 205, 255–256 – als Rechtfertigung der Zurechnung 16 ff. – Anzahl 259, 431 – Konkurrenz 209, 229 – negative siehe Zurechnungsausschlussgründe – Prüfungsreihenfolge 253 f. – Rechtsgebietsabhängigkeit der 256–259 – relative 205, 206 f., 212, 225, 234, 238, 255 f., 431 – selbständige 206, 209, 225, 234, 238, 255 f., 431 – unselbständige 206, 215, 229, 255 f., 431
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Sachverzeichnis
– zusammengesetzte 206 f., 208 f., 244 f., 255 f., 261 f., 431 Zurechnungskriterien 13, 33, 52, 62, 83, 110, 121 Zurechnungsnorm 9, 12 f., 14 ff., 33, 103 – geschrieben 15, 20 f., 32 ff., 38, 173 f. – geschrieben unvollkommen 15 f., 38, 61, 69, 103, 110, 121, 166 – geschrieben vollkommen 15 f., 34, 38, 92, 100
– ungeschrieben 15, 19 f., 30–34, 38, 51, 92, 133, 141, 153, 173 f. Zurechnungssubjekt 8 f. Zurechnungsverkettung 14, 21–24, 31, 34, 92, 141 Zurechnungszweck 11 f., 33 Zustandsverantwortlichkeit 165, 167 Zweckmäßigkeitslehre 43, 145 f. Zweckveranlasser 161–164