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German Pages 285 [286] Year 2004
GUNNAR JANSON Ökonomische Theorie im Recht
Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung Begründet von Prof. Dr. Dr. h. c. Ernst E. Hirsch Herausgegeben von Prof. Dr. Manfred Rehbinder
Band 85
Ökonomische Theorie im Recht Anwendbarkeit und Erkenntniswert im allgemeinen und am Beispiel des Arbeitsrechts
Von
Gunnar Janson
Duncker & Humblot • Berlin
Die Landesgraduiertenförderung des Landes Baden-Württemberg unterstützte diese Arbeit durch die Gewährung eines Stipendiums sowie eines Druckkostenzuschusses.
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
D 25 Alle Rechte vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7514 ISBN 3-428-11336-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706© Internet: http://www.duncker-humblot.de
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
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A. Grundlagen der ökonomischen Theorie des Rechts 19 I. Entwicklung der ökonomischen Theorie des Rechts 19 1. Zur Verbindung von Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaften 19 2. Gegenstand der ökonomischen Theorie des Rechts 21 II. Das ökonomische Paradigma 24 1. Methodologischer Individualismus 24 2. Knappheit der Ressourcen 26 3. Der „homo oeconomicus" 26 a) Präferenzen 27 b) Eigennützigkeit 31 aa) Zum Merkmal „Eigen" im Begriff der Eigennützigkeit 31 bb) Zum Merkmal „Nutzen" im Begriff der Eigennützigkeit 31 (1) Generelle Offenheit des Nutzenbegriffs 31 (2) Reduktion der Komplexität 32 (a) Eigeninteressiertes Verhalten 32 (b) Rein monetäre Betrachtung 33 (c) Handhabung in der ökonomischen Theorie des Rechts 34 (3) Ergebnis 37 cc) Gesamtergebnis 37 c) Rational verhalten 38 aa) Rationalität im neoklassischen Grundmodell des homo oeconomicus ... 38 bb) Rationalität im neoinstitutionellen Modell des homo oeconomicus 40 cc) Das Problem der Anomalien 43 d) Der homo oeconomicus: Menschenbild vs. Analysekonstrukt 46 e) Anwendungsbereich des ökonomischen Verhaltensmodells 48 aa) Erweiterung des Modells zur umfassenden Darstellung 48 bb) Reduzierung des Modells zur einfachen Handhabung 49 cc) Würdigung der beiden Ansätze 50 f) Auswirkungen des ökonomischen Verhaltensmodells 51 g) Gesamtwürdigung 53 B. Wesentliche Ansätze der ökonomischen Theorie des Rechts I. Grundbegriffe für die neoinstitutionellen Ansätze 1. Externe Effekte 2. Transaktionskosten II. Der Property-Rights-Ansatz 1. Der Begriff der Verfligungsrechte
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6
nsverzeichnis 2. Die Ausführungen von Coase a) Das Coase-Theorem b) Das Problem der Reziprozität c) Ergebnis 3. Gegenstand des Ansatzes 4. Zwei Beispiele zum Property-Rights-Ansatz a) Beispiel I: Die Funktion der Marke b) Beispiel II: Die Ausgestaltung des Haftungsrechts 5. Bedeutung des Property-Rights-Ansatzes III. Der Transaktionskosten-Ansatz 1. Problem des Opportunismus 2. Eigenschaften von Transaktionen 3. Beispiel für den Transaktionskosten-Ansatz 4. Bedeutung des Transaktionskosten-Ansatzes IV. Der Agency-Ansatz 1. Voraussetzungen des Agency-Ansatzes 2. Verschiedene Probleme asymmetrischer Informationsverteilung 3. Bedeutung des Agency-Ansatzes V. Gesamtergebnis
C. Normative Kriterien der ökonomischen Theorie des Rechts I. Effizienzprinzip 1. Begriffliche Abgrenzung 2. Vom Benthairfschen Utilitarismus zur Neuen Wohlfahrtsökonomik 3. Ausformungen des wohlfahrtsökonomischen Effizienzkriteriums a) Pareto-Kriterium b) Kaldor-Hicks-Kriterium aa) Inhalt des Kaldor-Hicks-Kriteriums bb) Probleme bei der Anwendung des Kaldor-Hicks-Kriteriums (1) Distribution (2) Grundrechtegarantie (3) Meßbarkeit (a) Bewertung immaterieller Größen (b) Komparative Statik (c) Partialanalyse c) Abwandlung von Posner: Das Reichtumsmaximierungsprinzip aa) Inhalt des Reichtumsmaximierungsprinzips bb) Probleme bei der Anwendung des Reichtumsmaximierungsprinzips (1) Unwissenschaftlichkeit (2) Zahlungsbereitschaft (3) Ergebnis cc) Die Folgerungen Posners für die Ausgestaltung des Rechts 4. Philosophische Rechtfertigung: Werturteilsproblematik und Effizienz a) Konsensfähigkeit bei „natürlicher Unwissenheit" b) Konsensfähigkeit bei „artifizieller Unwissenheit" c) Ergebnis II. Konsensprinzip 1. Faktischer Konsens 2. Hypothetischer Konsens
61 62 64 67 68 70 71 72 75 75 76 76 78 79 80 80 81 83 85 87 88 88 89 90 90 91 92 93 93 95 96 97 97 98 98 99 99 99 100 101 101 103 104 106 107 108 109 111
nsverzeichnis 3. Ergebnis III. Gesamtergebnis und Bedeutung der normativen Kriterien für das Recht 1. Gesamtergebnis 2. Bedeutung der normativen Kriterien fur das Recht D. Adressat der ökonomischen Theorie des Rechts I. Soziologische Jurisprudenz 1. Begriff und Gegenstand der soziologischen Jurisprudenz 2. Streit um die Anwendbarkeit sozialwissenschaftlicher Argumente im Recht. a) Soziologische Jurisprudenz im Rahmen der Gesetzgebung b) Soziologische Jurisprudenz im Rahmen der Rechtsprechung aa) Rechtssoziologie als reine Erklärungswissenschaft bb) Rechtssoziologie als angewandte Handlungswissenschaft II. Ökonomische Theorie des Rechts als Instrument der Gesetzgebung 1. Erkenntnisgewinn für die Legislative durch die ökonomische Theorie a) Anwendungsbereich für das ökonomische Verhaltensmodell b) Anwendungsbereich für die positiven neoinstitutionellen Ansätze c) Anwendungsbereich für die normativen ökonomischen Kriterien d) Beispiel: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz e) Ergebnis 2. Probleme bei der legislativen Anwendung der ökonomischen Rechtstheorie. a) Normativer Individualismus als Problem b) Informationsdefizite als Problem c) Normkontinuität als Problem d) Ergebnis 3. Reichweite der Nutzung der ökonomischen Theorie durch die Legislative.... III. Ökonomische Theorie des Rechts als Instrument der Rechtsprechung 1. Erkenntnisgewinn für die Judikative durch die ökonomische Theorie a) Ökonomische Theorie des Rechts im Rahmen der teleologischen Auslegung aa) Die subjektiv-teleologische Auslegung bb) Die objektiv-teleologische Auslegung cc) Folgenorientierung b) Ökonomische Theorie des Rechts im Rahmen von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen c) Ökonomische Theorie des Rechts im Rahmen der Rechtsfortbildung d) Ergebnis 2. Probleme der Judikative als Anwenderin der ökonomischen Rechtstheorie... a) Fehlende Legitimation zur Verwendung ökonomischer Argumente aa) Rechtsfindung durch Auslegung (1) Subjektiv-teleologisch (2) Objektiv-teleologisch (3) Folgenberücksichtigung (4) Vorschlag von Kirchner (5) Vereinigungstheorie (6) Ergebnis bb) Rechtsfindung bei Generalklauseln und offenen Wertbegriffen cc) Rechtsfindung im Rahmen der lückenfüllenden Rechtsfortbildung (1) Normative Kriterien als Rechtsprinzipien (a) Begriff des Rechtsprinzips
7 114 115 115 117 121 121 121 122 122 124 124 125 127 127 128 129 130 132 133 133 134 135 138 140 140 142 143 144 144 147 148 148 151 151 152 152 154 154 156 159 160 160 162 163 164 166 166
8
nsverzeichnis (b) Ökonomische Effzienz als Rechtsprinzip (c) Ökonomischer Konsens als Rechtsprinzip (d) Ergebnis (2) Normative Kriterien als lediglich außerrechtliche Wertungen (a) Reichweite der Bindung an Recht und Gesetz (b) Bedeutung von Effizienz und Konsens (3) Ergebnis dd) Gesamtergebnis b) Fehlen notwendiger Informationen aa) Zur Möglichkeit der Erlangung exakter Informationen bb) Zur Wirtschaftlichkeit der Erlangung exakter Informationen cc) Ergebnis c) Problem der fachlichen Kompetenz zur Informationsverarbeitung d) Ungeeignetheit des Prozeßrechts aa) Beibringung der Informationen nach aktuellem Prozeßrecht (1) Subsumtionstatsachen (2) Rechtsgewinnungstatsachen bb) Verfahrensverzögerung durch Subsumtions- und Rechtstatsachen cc) Kostenproblematik nach aktuellem Prozeßrecht dd) Aufgabe subjektiver Rechte zugunsten der Allgemeinheit e) Verlust von Rechtssicherheit f) Fehlende Initiativmöglichkeit g) Abkehr von den Wertvorstellungen des Rechts h) Ergebnis 3. Reichweite der Nutzung der ökonomischen Theorie durch die Judikative IV. Gesamtergebnis
167 170 172 174 174 177 178 179 179 179 181 183 185 187 187 188 189 191 192 194 195 197 199 199 201 203
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht I. Besonderheiten des Arbeitsrechts II. Arbeitsvertrag und Kündigungsschutz 1. Der Arbeitsvertrag a) Der Arbeitsvertrag aus juristischer und aus ökonomischer Sicht b) Probleme im Rahmen des Arbeitsvertrags aa) Asymmetrische Informationsverteilung bb) Asymmetrische Trennungskosten (1) Asymmetrische Trennungskosten durch Humankapitalinvestitionen (2) Ansatzpunkt der Humankapitaltheorie (a) Allgemeine und branchenspezifische Qualifikationen (b) Betriebsspezifische Qualifikationen (c) Folgerungen cc) Zwischenergebnis c) Ergebnis 2. Der Kündigungsschutz a) Entwicklungen im Kündigungsschutzgesetz b) Ökonomische Wirkungen des Kündigungsschutzgesetzes aa) Negative Wirkungen bb) Positive Wirkungen cc) Zwischenergebnis c) Kündigungsschutz aus Sicht der ökonomischen Theorie des Rechts
207 207 210 211 211 211 212 213 .213 214 215 216 217 218 219 219 219 220 221 225 227 228
nsverzeichnis aa) Sicherung von Quasi-Renten bb) Internalisierung externer Effekte bei den Vertragspartnern cc) Internalisierung externer Effekte bei Dritten d) Ergebnis III. Haftungsprivilegierung beim innerbetrieblichen Schadensausgleich 1. Eingeschränkte Haftung des Arbeitnehmers 2. Kostenarten der ökonomischen Theorie des Rechts 3. Gesamtkostenminimierung durch innerbetrieblichen Schadensausgleich a) Primäre Kosten b) Sekundäre Kosten c) Tertiäre Kosten d) Ergebnis IV. Adressat der konkreten ökonomischen Überlegungen 1. Die Legislative als Adressat der ökonomischen Rechtstheorie 2. Die Judikative als Adressat der ökonomischen Rechtstheorie V. Zusammenfassung
9 228 233 234 235 236 237 238 239 239 241 244 246 246 247 247 250
F. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick I. Ergebnisse II. Ausblick
253 253 256
Literaturverzeichnis
258
Stichwortverzeichnis
281
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.F. ABl. EG AcP AER AGBG ALR AMG AP AöR ARSP Art. ASR ASS Aufl. BAGE BB Bd. BetrVG BGB BGBl. BGH BGHZ BHO BImSchG BJE BLR BR-Drucks. BT-Drucks. BVerfG BVerfGE CLR CWLR ders. / dies. DB DRiZ EER EG Einl/Einl. EJ
andere Ansicht alte Fassung Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Archiv für die civilistische Praxis The American Economic Review Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vom 09.12.1976 Alabama Law Review Arzneimittelgesetz in der Fassung v. 11.12.1998 Arbeitsrechtliche Praxis (Entscheidungssammlung) Archiv für öffentliches Recht Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel American Sociological Review Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Auflage Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Der Betriebs-Berater Band Betriebsverfassungsgesetz in der Fassung v. 25.09.2001 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung v. 02.01.2002 Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung v. 19.08.1969 Bundesimmissionsschutzgesetz in der Fassung v. 14.05.1990 Bell Journal of Economics Boston University Law Review Bundesrats-Drucksache Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts California Law Review Case Western Reserve Law Review derselbe / dieselbe(n) Der Betrieb Deutsche Richterzeitung European Economic Review Europäische Gemeinschaft / Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft v. 25.03.1957 (Amsterdamer Fassung) Einleitung Economic Journal
Abkürzungsverzeichnis
ErfK et al. f. / ff. FAZ FG Fn. FS GemMVO GG GGO GKG GMB1. GRUR GRUR Int. GS GVG HaLR HGrG HJLPP HLR Hrsg. HStR i.S.d. InsO IRLE JA JbfNÖuStat JbfNPÖ JbfRR JbfSoWi JEBO JEL JEP JFE JITE JLE JLEO JLS JME JoB JoF JPE JPoE JR Jura JuS JZ KritV
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Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht und andere folgende (Seitenzahl / Randnummer) Frankfurter Allgemeine Zeitung Freundesgabe Fußnote Festschrift Verordnung des Rates über die Gemeinschaftsmarke v. 20.12.1993 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 23.05.1949 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien Gerichtskostengesetz in der Fassung v. 15.12.1975 Gemeinsames Ministerialblatt Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil Gedächtnissymposium Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung v. 01.01.2002 Harvard Law Review Haushaltsgrundsätzegesetz v. 12.08.1969 Harvard Journal of Law and Public Policy Hofstra Law Review Herausgeber Handbuch des Staatsrechts im Sinne der / des Insolvenzordnung v. 05.10.1994 International Review of Law and Economics Juristische Arbeitsblätter Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik Jahrbuch fur Neue Politische Ökonomie Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Jahrbuch für Sozialwissenschaft Journal of Economic Behavior and Organization Journal of Economic Literature Journal of Economic Perspectives Journal of Financial Economics Journal of Institutional and Theoretical Economics (bis 1985: ZgS) Journal of Law and Economics Journal of Law, Economics, and Organization Journal of Legal Studies Journal of Monetary Economics Journal of Business Journal of Finance Journal of Public Economics Journal of Political Economy Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft
12
KrW-/AbfG KSchG KZfSS LHR LSI MarkenG MittAB MüKo mwN NJW NJW-RR NVwZ NZA OLG Pharmalnd PPA ProdSG QJE R&S RabelsZ RAG RdA Rdnr. RES RGZ RT SCLR SGb SLR SZVS TJB TzBfG UWG VermG VersR VerwArch VVDStRL WiB WiSt WISU WLR WuR WuW WZG YLJ ZfA ZfP ZfpF
Abkürzungsverzeichnis
Kreislaufwirtschaft- und Abfallgesetz v. 27.09.1994 Kündigungsschutzgesetz v. 25.08.1969 Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Law and History Review Law and Social Inquiry Markengesetz vom 25.10.1994 Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Oberlandesgericht Die Pharmazeutische Industrie Philosophy & Public Affairs Produktsicherheitsgesetz v. 22.04.1997 Quarterly Journal of Economics Rationality and Society Rabeis Zeitschrift fur ausländisches und internationales Privatrecht Reichsarbeitsgericht Recht der Arbeit Randnummer(n) Review of Economic Studies Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rechtstheorie Southern California Law Review Die Sozialgerichtsbarkeit Stanford Law Review Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik The Journal of Business Teilzeit- und Befristungsgesetz v. 21.12.2000 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. 07.06.1909 Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen in der Fassung v. 21.12.1998 Versicherungsrecht Verwaltungsarchiv Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Wirtschaftsrechtliche Beratung Wirtschaftswissenschaftliches Studium Das Wirtschaftsstudium Wisconsin Law Review Wirtschaft und Recht Wirtschaft und Wettbewerb Warenzeichengesetz in der Fassung vom 02.01.1968 The Yale Law Journal Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Personalforschung Zeitschrift für philosophische Forschung
Abkürzungsverzeichnis
ZfRS ZfWiPo ZG ZGB ZGR ZgS ZHR ZIAS zit. ZPO ZRP ZUM ZVersWiss
zws
Zeitschrift für Rechtssoziologie Zeitschrift für Wirtschaftspolitik Zeitschrift für Gesetzgebung Schweizerisches Zivilgesetzbuch v. 10.12.1907 Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (seit 1986: JITE) Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht zitiert Zivilprozeßordnung in der Fassung v. 12.09.1950 Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
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Einleitung Nicht viele Probleme haben die Rechtswissenschaft in den letzten Jahrzehnten so intensiv beschäftigt und so drastisch entzweit wie die „Ökonomische Theorie des Rechts". So meint zum einen Adams1, mit Hilfe der Rechtsökonomik sei es möglich, „Zusammenhänge präzise offen zu legen und damit umfängliches, vielleicht sogar erbittertes weltanschauliches Streiten überflüssig zu machen"; insofern sei die ökonomische Theorie geeignet, „das herkömmliche juristische Theorienschmieden ebenso (zu) verändern wie die Erfindung des Mikroskops die Ansichten der Mediziner über die Ursachen der Infektionskrankheiten". In Übereinstimmung damit halten manche Autoren 2 die rechtsökonomische Betrachtungsweise für ein Werkzeug, welches als „Universalschlüssel" in allen Rechtsbereichen eingesetzt werden kann und auch eingesetzt werden sollte. Dagegen wird von Kritikern vorgebracht, die ökonomische Theorie sei - zumindest allein - nicht in der Lage, den unterschiedlichen Problemen der Rechtsordnung umfassend gerecht zu werden 3. Die „Scheingenauigkeit"4 von manchem rechtsökonomisch arbeitenden Autor gipfele in der „Überheblichkeit, (...) anstatt die Modelle an die Wirklichkeit anzupassen, die Wirklichkeit seinen Modellen gemäß zu formen" 5. Fezer wird am deutlichsten, wenn er ausdrücklich von der „Eindimensionalität des ökonomischen Kalküls" spricht, welches das „Recht als Sandkastenspiel, Jurisprudenz als Glasperlenspielerei" 6 sehe; folgerichtig zieht er daher schon früh den Schluß, die „ökonomische Rechtstheorie ist ein Irrweg, den zu beschreiten das Recht sich hüten sollte" 7 . Eine solch fundamentale Kritik überrascht auf den ersten Blick vor allem deshalb, weil auch in der Rechtswissenschaft gerade in jüngerer Zeit immer
1
Adams, Jura 1984, 337, 348. Posner HLR 1980/81, 775, 780; etwas vorsichtiger Schäfer/Ott , Lehrbuch, S. 6 f.; Steinmetzler , JA 1998, 335 hält die ökonomische Theorie für „einen der wichtigsten wissenschaftlichen Ansätze", um das Privatrecht „aus seiner gesellschaftspolitisch neutralen Isolierung ... in einen umfassenden rechtlichen Ordnungsverbund zu integrieren". 2
3
Hotz , WuR 1982, 293, 311 f.; Fezer , JZ 1986, 817, 821 ff.; ders., JZ 1988, 223, 224 f.
4
Fezer , JZ 1988, 223, 224; Eidenmüller , Effizienz, S. 78 f. Insgesamt positiver, aber nicht ohne Ironie spricht Horn , AcP 1976, 307, 311 davon, zentrale Termini besäßen j e n e kreative Unscharfe, welche die Langlebigkeit von Begriffen in der Diskussion verbürgt." 5 6 1
Blankenburg , ZfRS 1986, 242, 243. Fezer, JZ 1986,817, 820. Fezer, JZ 1986,817,824.
Einleitung
16
öfter der Ruf nach interdisziplinärem Arbeiten 8 und verstärktem Kostenbewußtsein9 laut wird. Diesen beiden Forderungen wird die ökonomische Theorie des Rechts nicht nur gerecht, sie wird durch diese Gebote vielmehr geradezu definiert: So wendet sie zum einen das wirtschaftswissenschaftliche Instrumentarium auf die Rechtswissenschaft an, zum anderen stellt sie eine überwiegend (aber nicht notwendigerweise ausschließlich) kostenorientierte Betrachtungsweise an. Behrens versucht den der ökonomischen Theorie trotz allem entgegengebrachten Widerstand mit der Beobachtung zu erklären, „Juristen neigen allzu leicht dazu, interdisziplinäre Theorieansätze zurückzuweisen, ohne die Zwischenstufe des Verstehens durchlaufen zu haben"10. Um dem zu begegnen, sollen im folgenden vor dem Hintergrund der genannten grundlegenden Differenzen zwischen den Befürwortern und Gegnern des Ansatzes die Möglichkeiten der ökonomischen Rechtstheorie ebenso wie ihre Grenzen genauer beleuchtet werden. In diesem Zusammenhang ist es unerläßlich, einige Mißverständnisse aufzuklären, welche den zumeist von juristischer Seite geäußerten Vorbehalten gegen die ökonomische Theorie des Rechts zugrunde liegen und die Verständigung zwischen Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaften teilweise erheblich belasten. Dazu werden im ersten Kapitel die Grundlagen der ökonomischen Theorie des Rechts betrachtet, indem ihre historische Entwicklung kurz nachgezeichnet und sodann das ökonomische Paradigma als eigentliches Fundament der ökonomischen Theorie erörtert wird; hierbei wird ein besonderes Augenmerk auf das seit jeher äußerst kontrovers diskutierte ökonomische Verhaltensmodell, den „homo oeconomicus", gerichtet. Danach werden im zweiten Kapitel die drei für die ökonomische Rechtstheorie zentralen neoinstitutionellen Ansätze vorgestellt, und ihre Anwendung jeweils anhand von Beispielen erläutert. Dem folgt im dritten Kapitel eine Betrachtung der verschiedenen, immer wieder heftig umstrittenen normativen Kriterien der ökonomischen Theorie des Rechts, wobei ausführlich auf die mit diesen Kriterien verbundenen technischen, inhaltlichen und philosophischen Probleme eingegangen wird. Den Schwerpunkt der Arbeit bildet das vierte Kapitel, in dem die Anwendbarkeit und Reichweite der ökonomischen Theorie im Recht erörtert wird. Hier wird der Frage nachgegangen, ob sich - wie oft vorgebracht - nur der Gesetzgeber als Adressat der Rechtsökonomik eignet, oder ob und gegebenenfalls wann auch die Gerichte deren Erkenntnisse bei ihrer Arbeit verwenden dürfen bzw. 8
Vgl. die Darstellungen bei Behrens, JbfNPÖ 1988, 209 f., 224 f.; Kreutz, NZA 2001, 472; Schmidtchen in ders., S. 29 ff. nennt zahlreiche Gründe für den Nutzen interdisziplinärer Arbeit. Daß der Ruf nach mehr ökonomischem Sachverstand im Recht nicht neu ist, zeigen die Ausführungen von Holmes, HaLR 1896/97, 457, 474, der dort bemerkt, „... every lawyer ought to seek an understanding of economics" (zit. nach Mercuro/Medema , S. 172). 9 So z.B. die Entschließung der Präsidenten der OLG und des BGH in der DRiZ 1994, 320. 10 Behrens, Die ökonomischen Grundlagen, S. VI.
I. Einleitung
17
sollten. Im fünften Kapitel erfolgt eine ökonomische Betrachtung konkreter rechtlicher Probleme. Dafür wurde der Bereich des Arbeitsrechts ausgewählt, der sich zum einen aufgrund seiner wirtschaftlichen Relevanz gut als Materie für eine solche Analyse eignet, andererseits aber wegen der verschiedenen zu berücksichtigenden Interessen und Wertungen besondere Probleme aufwirft. Die in der Arbeit entwickelten Ergebnisse werden in einer Schlußbetrachtung im sechsten Kapitel zusammengefaßt.
A. Grundlagen der ökonomischen Theorie des Rechts Im folgenden soll zum besseren Verständnis zunächst kurz die Entwicklung der ökonomischen Theorie des Rechts beleuchtet werden (I.), bevor auf das eigentliche Fundament der Ökonomik, nämlich das ökonomische Paradigma, eingegangen wird (II.). I. Entwicklung der ökonomischen Theorie des Rechts
1. Zur Verbindung von Rechtswissenschaft
und Wirtschaftswissenschaften
Die Erkenntnis, daß Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaften von großer Bedeutung füreinander sind, ist nicht neu. Schon bei Aristoteles 1 finden sich Ausfuhrungen zur wirtschaftlichen Bedeutung unterschiedlicher Rechtsgestaltungen. Die moderne Ökonomik und ihre Beziehung zum Recht beginnt dagegen mit den Arbeiten des Moralphilosophen und Nationalökonomen Adam Smith2. Bei ihm finden sich neben der Unterscheidung verschiedener gesellschaftsprägender Institutionen letztlich auch die Grundzüge des ökonomischen Verhaltensmodells. In der Folgezeit wurde es ruhiger um die interdisziplinären Forschungsbemühungen. So konstatierte Eucken in seinen 1939 erschienenen „Grundlagen der Nationalökonomie", „Rechtsdenken und nationalökonomisches Denken sind im Laufe des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre besonderen Wege gegangen und haben sich nur selten berührt" 3. Dieses Phänomen führt Kirchner 4 darauf zurück, daß die Angst vor wissenschaftlichen Autonomieverlusten die Vertreter beider Zweige jeden Kooperationsversuch als „Imperialismus" 5 werten und ihre Disziplin gegenüber der jeweils anderen 1 Aristoteles, S. 115: „In gewisser Hinsicht muß der Besitz gemeinsam sein, doch im allgemeinen privat. Geteilte Obsorge wird nämlich keine Vorwürfe gegeneinander aufkommen lassen, ja man wird eher weiterkommen, wenn jeder einzelne mit dem eigenen beschäftigt ist." 2
ZimaroM'skilRadzicki/Wines, Arizona Law Review 1993, 397, 401. Eucken, Grundlagen, S. 241. Ganz ähnlich der Befund von Kirchner, JbfNPÖ 1988, 192. Dagegen beschreibt mit Heck, Begriffsbildung, S. 205, Fn. 1 einer der bedeutendsten Rechtsmethodiker die Ökonomie als „Schwesterwissenschaft" der Jurisprudenz. 3
4 5
Kirchner, JbfNPÖ 1988, 192 f. (mwN); ders., Ökonomische Theorie des Rechts, S. 10.
So der Vorwurf von Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 12 (mwN), der dies für eine „nicht zu unterschätzende(n) Selbstüberheblichkeit" mancher Ökonomen hält. Dagegen meint Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 153 f., die ökonomische Theorie sei nicht mehr oder weniger imperialistisch als gerade die Rechtswissenschaft.
A. Grundlagen
20
abschotten ließ. Im Rahmen der Neoklassik verengte sich der Blickwinkel der Wirtschaftswissenschaften mit der um 1870 aufkommenden Marginalbetrachtung6 immer mehr auf den Bereich der Güterwirtschaft bzw. der originär ökonomischen Märkte 7. Damit einher ging auch eine akademische Isolation: Wurden vorher noch an vielen Fakultäten die „Gesamten Staatswissenschaften" gelehrt, kam es nun mehr und mehr zu einer Aufspaltung derselben in die Wirtschaftswissenschaften (Volks- und Betriebswirtschaftslehre) auf der einen und die Rechtswissenschaft auf der anderen Seite8. Zwar gibt es auch in jener Zeit Versuche, die Disziplinen miteinander zu verbinden. So findet sich im Werk „Das Recht des Schadenersatzes vom Standpunkte der Nationalökonomie" von Mataja aus dem Jahre 1888 die Forderung, das gesamte Schadensersatzrecht in erster Linie an ökonomischen Überlegungen auszurichten9. Auch die Materialien zum BGB belegen, daß ausdrücklich volkswirtschaftliche Argumente ins neue Recht einfließen sollten10. Trotzdem läßt sich nicht übersehen, daß die systemátische Trennung der „Gesamten Staatswissenschaften" in Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaften nachhaltig geschah, und zwar mit ambivalenten Folgen: Zwar konnten beide Zweige nunmehr durch Konzentration auf sich selbst eine „methodische Strenge" 11 erwerben, die der wissenschaftlichen Entwicklung eine erhebliche Beschleunigung beschert haben dürfte; zum anderen resultierte aus der neu gewonnenen Autonomie aber auch ein Zustand, den Lehmann mit den Worten beschreibt: „Juristen wissen nicht, was Ökonomen, Ökonomen wissen nicht, was Juristen tun." 12 Die eigentliche „Law and Economics"-Bewegung beginnt erst mit dem ökonomischen Institutionalismus13. Die (Wieder-)Entdeckung der Betrachtung von Institutionen aller Art ermöglicht es den Wirtschaftswissenschaften, nunmehr auch das Recht selbst dem Datenkranz zu entheben und zum Gegenstand der Analyse zu machen. Die Ökonomie definiert sich nun nicht mehr über ihren Gegenstand, sondern über ihre Methode14, weshalb Coase von einer „divorce of the theory from its subject"15 spricht. Die institutionalistische Bewegung erfolgt
6
Zu dieser Entwicklung auch Hovenkamp , LHR 1999, 201, 202. Damit erklärt sich die schon relativ früh einsetzende „Ökonomisierung" des Kartellrechts, vgl. Posner , Economic Analysis, S. 25; Kirchner , WuW 1992, 584 USentenelle , HJLPP 1997, 121. 8 So auch Lehmann, S. 1; Kirchner , Ökonomische Theorie des Rechts, S. 5; Backhaus , S. 2 ff.; ähnlich auch Deckert, Folgenorientierung, S. 27. 9 Mataja, S. 121 ff. 10 Kommissionsbericht zur unerlaubten Handlung in Mugdan, Bd. II, S. 1301 f. 11 Engel in ders., S. 40. 12 Lehmann, S. 2, der anmerkt, dieser Zustand bestehe „bedenklicherweise freilich noch immer". 13 Mercuro/Medema , S. 110, die einen guten Überblick über die verschiedenen Schulen geben. 14 Kirchner , Ökonomische Theorie des Rechts. S. 10 f f ; Pies, S. 90 ff.; Becker, S. 3; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 153. 15 Coase in ders., S. 3. 7
I. Entwicklung der ökonomischen Theorie des Rechts
21
16
in zwei Schüben: Der erste, amerikanische Institutionalismus kann zwar die bis dahin von der Neoklassik beherrschte Ökonomie dahingehend sensibilisieren, daß durch die Beschränkung des Gegenstandsbereichs auf originär wirtschaftliche Phänomene eine Vielzahl ökonomisch bedeutsamer Phänomene ausgeblendet werden, ist jedoch selbst nicht in der Lage, die Betrachtung der Institutionen in das wirtschaftswissenschaftliche Instrumentarium zu integrieren und somit eine Alternative zur bisherigen Betrachtungsweise zu präsentieren. Dies gelingt erst mit Hilfe der „Neuen Institutionenökonomik", die seit Beginn der sechziger Jahre immer mehr Anhänger gewinnt und sich in Form verschiedener Ansätze zu einem leistungsstarken Analyse-Instrument entwickelt. Zwar steht auch sie auf der Basis der neoklassischen Theorie, macht aber durch Modifikation einiger Annahmen eine umfassende Betrachtung des Rechts überhaupt erst möglich 17 . Durch diese Ausweitung der Analyse von einer eingeschränkten Betrachtung traditionell wirtschaftlicher Bereiche hin zu einer umfassenden Theorie sozialer Wahlhandlung vollzieht sich der Wechsel von der Ökonomie zur Ökonomik 18. 2. Gegenstand der ökonomischen Theorie des Rechts Die ökonomische Theorie des Rechts baut auf dem Instrumentarium der Wirtschaftswissenschaften auf und ist daher eher eine wirtschaftswissenschaftliche als eine juristische Theorie 19. Sie stellt einen Teilbereich der Neuen Institutionenökonomik dar 20 , welche zwar ursprünglich ftir das Gebiet der „Industriellen Organisation" entwickelt wurde 21 , in der Folge aber sämtliche gesellschaftlichen Institutionen zum Gegenstand ihrer Betrachtung machte. Der Begriff der „Institution" darf im Rahmen der Neuen Institutionenökonomik nicht mit der umgangssprachlichen Bedeutung gleichgesetzt werden. Während nach letzterer unter einer Institution lediglich eine „gesellschaftliche, staatliche oder kirchliche Einrichtung (zu verstehen ist), in der bestimmte Aufgaben, meist in gesetzlich geregelter Form, wahrgenommen werden" 22 , interpretiert die Institutionenökonomik den Begriff weiter. Zwar gibt es keine völlig einheitliche Definition 23 , jedoch läßt sich bei den verschiedenen Autoren ein so hohes
16
Vgl. die gute Darstellung bei Feldmann , Eine institutionalistische Revolution?, S. 27 ff. Feldmann , Eine institutionalistische Revolution?, S. 32; Kirchner , Ökonomische Theorie des Rechts, S. 11; ders., JbtNPÖ 1988, 192, 197 f.; Kerber in Leipold/Pies, S. 148. 17
18
Kirchner , Ökonomische Theorie des Rechts, S. 12. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 28. 20 Behrens , Die ökonomischen Grundlagen, S. 4; Kirchner in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, S. 72; ders., JbtNPÖ 1988, 192, 203; Weigel, S. 10; mißverständlich insofern Kittner , Rdnr. 124. 19
21
Richter , Institutionen ökonomisch analysiert, S. 23. Brockhaus , Bd. 10, S. 578. 23 Die Offenheit des Begriffs ist nicht zuletzt damit zu begründen, daß vermieden werden soll, mit einer zu frühzeitigen Festlegung in dem noch jungen Arbeitsbereich die Forschung zu beschränken, vgl. zu diesem Problem Arrow , Essays, S. 224. 22
A. Grundlagen
22
Maß an Homogenität feststellen, daß letztlich nur Nuancen differieren: Institutionen im ökonomischen Sinne sind demnach „Regeln im sozialen Verhalten oder zweckgerichtete Bündel derartiger Regeln (Organisationen), welche bestimmte Verhaltensweisen in wiederkehrenden Situationen verbieten, gebieten oder erlauben" 24. Damit unterfallen den Institutionen z.B. Märkte, Unternehmen, Verbände und die Gesellschaft selbst, letztlich aber auch Rechtsnormen, soziale Normen und Verträge 25. Sie alle werden im Rahmen der Neuen Institutionenökonomik als Systeme der Anreizsetzung und Sanktionierung zum Gegenstand der Analyse. Die ökonomische Theorie des Rechts vereinigt - wie erwähnt - als Teilgebiet der Neuen Institutionenökonomik mehrere Ansätze. Hier zeigt sich, daß es die ökonomische Rechtstheorie überhaupt nicht gibt 26 . Oft wird fälschlicherweise der Begriff der ökonomischen Theorie des Rechts mit der Betrachtung Posners gleichgesetzt, welcher zwar dieselben Ansätze wie die Neuen Institutionenökonomik verwendet 27, gleichzeitig aber der Neoklassik noch so stark verhaftet ist, daß z.B. Williamson 28 jegliche Nähe zur Institutionenökonomik verneint. Im folgenden ist in dieser Arbeit, wenn von der ökonomischen Rechtstheorie gesprochen wird, stets die Gesamtheit der Ansätze gemeint, die das Recht mit Hilfe des wirtschaftswissenschaftlichen Instrumentariums untersuchen. Dabei sind die mit Hilfe der ökonomischen Theorie des Rechts behandelbaren Fragen vielfältig 29 . Wichtig ist jedoch, streng zwischen der positiven und der normativen Theorie zu unterscheiden. Der positive Ansatz ist deskriptiv-analytisch und dient dazu, „das Wissen über die soziale Welt zu verbessern" 30. Er läßt sich nochmals unterteilen in eine Betrachtung ex ante (prognostische Funktion) sowie ex post (explikative Funktion). Im Rahmen der positiven Betrachtung ex ante lassen sich auf Grundlage des ökonomischen Verhaltensmodells nomologische Erkenntnisse gewinnen. So kann prognostiziert werden, welche Auswirkungen auf das Handeln der Akteure sich z.B. im Falle veränderter Haftungsregelungen ergeben. Auf diese Weise läßt sich vorhersagen, ob bzw. welche Vorsorgemaßnahmen 24 25
Martiensen, S. 25. Ähnlich auch Richter/Furubotn, S. 7 f. Brockhaus, Bd. 10, S. 579; Martiensen, S. 11; Vanberg, Evolutorische Ökonomik, S. 12 ff.
26 Insofern zurecht: Zimarowski/Radzicki/Wines, Arizona Law Review 1993, 397, 400; Frank, ZfRS 1986, 191 ff.; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 6; Backhaus, S. 10; Malloy in Malloy/Evensky, S. 153; Behrens, ZfA 1989, 209, 211. Sehr anschaulich Eger in Nagel, S. 270: „Es ist methodisch falsch und führt zu Mißverständnissen, wenn man nach ,der* richtigen ökonomischen Analyse des Rechts fragt. Es gibt hierfür keine richtige ökonomische Theorie; ebensowenig gibt es eine richtige juristische Theorie des Rechts. Vielmehr müssen sich die Juristen weiter zwischen Positivismus und Naturrecht ,durchwursteln 1, indem sie einen (schwach) nichtpositivistischen Rechtsbegriff verwenden." 27 28 29 30
Vgl. Posner, Economic Analysis, S. 35; ders., JITE 1993, 73 ff. Williamson, JITE 1993, 99 ff.; ähnlich auch Richter in Krause-Junk, S. 340. Hierzu z.B. Schäfer in Ott/Schäfer, S. 1 f. Kirchner, ökonomische Theorie des Rechts, S. 8; ders. in Hof/Schulte, S. 39.
I. Entwicklung der ökonomischen Theorie des Rechts
23
die Individuen unter verschiedenen Haftungsszenarien treffen werden. Eine solche Folgenanalyse ist unerläßlich, um der rechtlichen Steuerungsfunktion zu genügen. Insofern übernimmt die ökonomische Theorie in dieser Variante die Funktion, die Hirsch als grundlegende Aufgabe der Rechtssoziologie beschreibt, nämlich „die funktionellen Zusammenhänge und Abhängigkeiten zwischen dem Regulator ,Recht4 und dem zu regulierenden Gesellschaftsintegrat aufzufinden und hieraus wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten (...) abzuleiten4'31. Die positive Untersuchung ex post dient dazu, das Zustandekommen von Institutionen aller Art, also auch von Normen, zu erklären. So läßt sich z.B. die Funktion der allgemeinen Geschäftsbedingungen 32, der rechtlich geschützten Marken 33 oder auch des gesamten Rechtssystems aus ökonomischer Sicht erläutern. Für letzteres wird von einigen Vertretern der ökonomischen Rechtstheorie konstatiert, daß die Entwicklung hin zur allokativen Effizienz ein tragender Gesichtspunkt innerhalb der Evolution des Rechts sei 34 . Da insoweit die „wahren Gründe" für die Rechtsausgestaltung aufzuklären versucht werden, steht diese Variante der ökonomischen Rechtstheorie in der Tradition des „legal realism" 35 . Sofern sie nach den das Normsystem tatsächlich prägenden Prinzipien sucht, kann sie also letztlich als Ergänzung der Rechtstatsachenforschung und damit als Grundlage 36 der soziologischen Jurisprudenz 37 verstanden werden 38. Dagegen versucht die normative ökonomische Theorie des Rechts, anhand von bestimmten Kriterien Aussagen darüber zu treffen, welche Normausgestaltung einer anderen vorzuziehen ist. Sie sucht dabei in erster Linie nach Normvarianten, die das Ziel der Allokationseffizienz oder (in jüngerer Zeit auch) der individuellen Zustimmungsfähigkeit in möglichst hohem Maße erfüllen. Insgesamt bleibt festzuhalten, daß die ökonomische Theorie des Rechts ein Teilbereich der Neuen Institutionenökonomik ist und verschiedene Ansätze in sich vereinigt. Alle diese Ansätze dienen dazu, sowohl die Entstehung und Funktion von Rechtsfiguren zu beschreiben (positive Theorie), als auch das Recht nach bestimmten, mehr oder weniger typisch ökonomischen Kriterien zu 31 32 33
Hirsch in Bernsdorf, 2. Aufl., S. 877. Umfassend in jüngerer Zeit z.B. Kötz , JuS 2003, 209 ff. Dazu auch unter C.I.3.c)cc). Dazu genauer unter B.II.4.a).
34 Posner , Economic Analysis, S. 26 ff.; ders ., HLR 1979/80, 487, 502 f f ; Schäfer in Ott/Schäfer, S. 18 f., 21 f.; Ott in Ott/Schäfer, S. 33 ff.; Kubier , FS-Steindorff, S. 689 (mwN); Kötz , JZ 2002, 257, 262 f.; Schmidt-Saltzer, Produkthaftung, Bd. I I I / l , S. 8 f. 35 So auch Eidenmüller , Effizienz, S. 406 ff. Zum „legal realism": Raiser, Das lebende Recht, S. 34; Röhl, Rechtssoziologie, S. 53 ff. Als bedeutendster Vertreter des „legal realism" gilt Karl Llewellyn (vgl. z.B. Llewellyn in Hirsch/Rehbinder, S. 54 f f , besonders S. 65). Über Llewellyn und sein Werk zusammenfassend: Rehbinder , KZfSS 1966, 532 ff. und ders., KZfSS 1964, 533, 552 ff. 36 Vgl. dazu Rehbinder, KZfSS 1966, 532, 534; ders., JbfRR 1970, 333, 339. 37 Chiotellis/Fikentscher , S. 1. Zur soziologischen Jurisprudenz genauer unter D.I. 38 So auch Backhaus , S. 27; Lehmann, S. 12 spricht davon, mit der ökonomischen Betrachtung könne „eine Lücke geschlossen werden, die die theoretische Soziologie uns bislang immer besonders schmerzlich hat empfinden lassen."
24
A. Grundlagen
formen (normative Theorie). Insofern ist die ökonomische Theorie nicht nur in vielen verschiedenen rechtlichen Bereichen anwendbar, sondern kann in diesen jeweils auch in unterschiedlicher Weise von Nutzen sein. Wie weitgehend zum einen die Reichweite der Theorie bezüglich der analysierbaren Rechtsbereiche ist und wie groß die von der ökonomischen Theorie tatsächlich zu erwartende Unterstützung sein kann, wird in den folgenden Kapiteln intensiver erörtert. II. Das ökonomische Paradigma Nachdem sich die Wirtschaftswissenschaften nunmehr nicht durch ihren Gegenstandsbereich, sondern vielmehr durch ihre Methode definieren, stellt sich zur Abgrenzung gegenüber anderen Forschungsdisziplinen die Frage, welche allgemeinen Voraussetzungen dem Ansatz zugrunde liegen. Die Ökonomik ist charakterisiert durch das sogenannte „Ökonomische Paradigma" 39, welches auf vier Annahmen basiert: Dem methodologischen Individualismus, der Knappheit der Ressourcen, dem Eigennutztheorem sowie der Annahme rationalen Verhaltens. Die beiden zuletzt genannten Prämissen bilden die Grundlage für das sehr kontrovers diskutierte 40 Verhaltensmodell des „homo oeconomicus". Ihm wird im folgenden besondere Aufmerksamkeit gewidmet, da es - teils berechtigt, teils aufgrund von Mißverständnissen - immer wieder Gegenstand oft heftiger Kritik ist. Besonders wichtig erscheint dabei vor allem zu prüfen, ob das ökonomische Verhaltensmodell tatsächlich so stark von dem die Rechtsordnung prägenden Menschenbild abweicht, wie oftmals angenommen wird 41 . 1. Methodologischer Individualismus Grundlage der modernen 42 Ökonomik ist der methodologische Individualismus 43 . Er stellt das Individuum in den Mittelpunkt der Betrachtung, indem er es als „Ausgangspunkt und Träger aller Entscheidungen in einer Gesellschaft" 44 akzeptiert. Aus dieser Annahme folgt zweierlei: Zum einen sind es allein die Individuen, die einen Willen bilden können, da nur sie über Präferenzen verfugen; insofern werden nur die individuellen Interessen und Bedürfnisse, 39 Vgl. nur Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 12 ff.; ders. in Hof/Schulte, S. 39; kritisch zu den ökonomischen Prämissen Brodbeck, Die fragwürdigen Grundlagen der Ökonomie. 40 Beispielhaft hierfür ist die - nicht immer nur wissenschaftliche - Kontroverse zwischen Fezer, JZ 1986, 817 ff. (besonders S. 822) sowie JZ 1988, 223 ff. und Ott/Schäfer, JZ 1988, 213 ff.; lesenswert zur Diskussion um den homo oeconomicus auch Tietzel, JbfSoWi 1981, 115 ff. 41 Beide für völlig unvereinbar hält aber Fezer, JZ 1986, 817, 822; ders., JuS 1991, 889, 894. 42 Kirchgässner weist im JbfNPÖ 1988, 128, 131 darauf hin, daß die individualistische Betrachtungsweise selbst nicht neu ist, sondern schon zur Zeit der Klassik existierte; vgl. auch Albert in Albert et al., Ökonometrische Modelle, S. 53 und Malloy in Malloy/Evensky, S. 130. 43 Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 18; Schwintowski, methodologischen Individualismus insgesamt Arrow, AER 1994, 1 ff. 44 Schwintowski, JZ 1998, 581, 584.
JZ 1998, 581, 583 f.; zum
II. Das ökonomische Paradigma
25
nicht aber ein irgendwie gearteter Kollektivwille (z.B. ein abstraktes Unternehmensinteresse) berücksichtigt. Zum anderen werden auch nur natürliche Personen als in der Lage angesehen zu handeln; jedes auftretende kollektive Phänomen kann und muß daher auf individuelles Verhalten zurückgeführt werden 45. Nicht nötig ist dagegen, daß das Ergebnis des individuellen Handelns auch tatsächlich mit den Präferenzen übereinstimmt. Vielmehr kann das kollektive Ergebnis dieses Handelns aufgrund nicht-intendierter Nebenfolgen durchaus von den Präferenzen der Akteure abweichen. Ferner bedeutet die Zugrundelegung des methodologischen Individualismus nicht, daß eine auf ihm basierende Theorie das tatsächliche Verhalten jeder einzelnen Person erklären kann bzw. soll. Vielmehr steht (auch im Rahmen der ökonomischen Rechtstheorie) die Erklärung und Vorhersage des Verhaltens von Aggregaten, also von größeren Gruppen von Akteuren, im Vordergrund 46. Streng zu trennen ist der methodologische vom normativen Individualismus, nach dem nicht nur jedes Denken und Handeln durch den einzelnen geschieht, sondern alle Staatsziele und -aufgaben nur unter alleiniger Berücksichtigung individueller Interessen formuliert werden dürfen 47. Andere Präferenzen (z.B. staatlicher Paternalismus) werden beim normativen Individualismus nicht akzeptiert, da davon ausgegangen wird, daß die Akteure selbst am besten wissen, was für sie gut ist. Die Problematik des normativen Individualismus wird in erster Linie bei der - später noch ausfuhrlich darzustellenden 48 - Frage nach dem normativen Kriterium der ökonomischen Theorie des Rechts relevant. Im methodologischen Individualismus liegt eine erste - wichtige - Parallele der Ökonomik zu unserem heutigen Rechtsverständnis. Spätestens seit der Aufklärung geht nämlich auch das Recht grundsätzlich vom autonomen Individuum aus49. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der verfassungsrechtlichen Gewährung von Grundrechten, die ihren überwiegend individualistischen Kern auch nicht dadurch einbüßen, daß die Verfassung zugleich kollektiv auszuübende Grundrechte beinhaltet50. Der methodologische Individualismus paßt damit zum „Menschenbild des Grundgesetzes", welches nach dem Bundesverfassungsgericht vom einzelnen „als eigenverantwortliche(r) Persönlichkeit (ausgeht), die sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft frei entfaltet" 51. Insgesamt bleibt 45
Kirchgässner in Engel/Morlok, S. 51. Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 21 ff. 47 Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 3; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 20 f.; Pies, S. 136 f. 48 Vgl. dazu unten C.II, und D.II.2.a). 49 Führ, Ökonomisches Prinzip, S. 50; Kirchgässner in Engel/Morlok, S. 56 (dort weist er zurecht daraufhin, daß mit der Entscheidung für den methodologischen Individualismus keinesfalls nur das isolierte, sondern allenfalls das autonome Individuum betrachtet wird, weshalb eine Betrachtung von Gruppen und ihrer Entscheidungsfindung weiterhin möglich bleibt, vgl. auch ErleilLeschkelSauerland, S. 6; letzteres scheint z.B. Morlok in Engel/Morlok, S. 11 bei seinen kritischen Ausführungen zum methodologischen Individualismus zu übersehen). 46
50 51
Ausführlicher Eidenmüller, JZ 2001, 1041, 1051 und besonders Führ, Grundlagen, S. 31. BVerfGE 30, 173, 193 und BVerfGE 47, 327, 369; ähnlich auch BVerfGE 4, 7, 15 f.
A. Grundlagen
26
daher festzuhalten, daß der ökonomische und der juristische Blickwinkel zumindest grundsätzlich miteinander vereinbar sind 52 . 2. Knappheit der Ressourcen Die Voraussetzung der Knappheit der Ressourcen verdeutlicht, daß die zur Bedürfnisbefriedigung zur Verfügung stehenden Mittel begrenzt sind, wohingegen die menschlichen Bedürfnisse grundsätzlich unbegrenzt sind 53 . Während der methodologische Individualismus noch eine vom ökonomischen Ansatz unabhängige und für alle Modelle individuellen Handelns gültige Annahme war 54 , scheint mit der Knappheit der Ressourcen nun unmittelbar die Frage nach dem „Wirtschaften" als ureigenstes Erkenntnisobjekt der Ökonomie aufgeworfen. Dabei ist jedoch zu beachten, daß sich die Ressourcenknappheit nicht nur auf wirtschaftliche Güter im traditionellen Sinne bezieht55, sondern auch auf immaterielle Güter wie z.B. das Fachwissen zur Erzeugung von Wirtschaftsgütern oder die (nach Behrens 56 wohl knappste Ressource) Zeit. Erst dieses allgegenwärtige Knappheitsproblem macht menschliche Wahlhandlungen zur Bedürfnisbefriedigung in allen Bereichen nötig und damit den ökonomischen Ansatz zu einem allgemeinen entscheidungstheoretischen57. 3. Der „homo oeconomicus" Nachdem nun also die Analyseeinheit der Ökonomik das Individuum ist, welches aufgrund permanenter Knappheit dazu gezwungen ist, sich zwischen verschiedenen Handlungsalternativen zu entscheiden, stellt sich als nächstes die Frage, nach welchen Kriterien dieser Entscheidungsprozeß aus Sicht der Wirtschaftswissenschaft abläuft. Dabei geht die Ökonomik vom sogenannten „homo oeconomicus" aus, einem in höchstem Maße kontrovers diskutierten 58 Verhaltensmodell. Das Modell soll zunächst dazu dienen, menschliches
52 So anscheinend auch Fezer, JZ 1986, 817, 822, der jedoch (wie Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 3) in den methodologischen Individualismus schon Teile des ökonomischen Verhaltensmodells hineinprojeziert (dagegen zurecht Kirchgässner in Engel/Morlok, S. 51 f.). 53 54 55 56 57 58
Für viele nur Behrens, RT 1981, 472, 474; Schäfer/Ott, Vgl. Kirchgässner in Engel/Morlok, S. 51. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 12. Behrens, ZfA 1989, 209, 212.
Lehrbuch, S. 55.
Behrens, RT 1981, 472, 474; Homann/Suchanek, S. 60.
Eine gute Darstellung des homo oeconomicus findet sich z.B. bei Homann/Suchanek, S. 414 f f ; eine detaillierte Beschreibung der verschiedenen Strömungen innerhalb des ökonomischen Verhaltensmodells gibt Homann in Sautter, S. 387 ff. Für die Zugrundelegung dieses Ansatzes sprechen sich neben vielen anderen z.B. Führ, Grundlagen, S. 30 ff. sowie Kirchgässner, Homo Oeconomicus und Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 18 aus. Strikt gegen die Anwendbarkeit des Modells richtet sich v.a. Fezer, JZ 1986, 817, 822; dersJuS 1991, 889, 894; differenzierend z.B. Hotz, WuR 1982, 293, 303 ff.
II. Das ökonomische Paradigma 59
27
60
Verhalten allgemein zu erklären . Dadurch ist seine Anwendung nicht auf den Bereich der Wirtschaftswissenschaften beschränkt, sondern auch in anderen Sozialwissenschaften (wie z.B. der Politik- oder Rechtswissenschaft) möglich. Relevanz für die Rechtsgestaltung erhält das Modell aber vor allem dadurch, daß es über die einfache Erklärung hinaus falsifizierbare Prognosen über Individualverhalten zuläßt, anhand derer sich die Wirkungen von Rechtsänderungen aufzeigen lassen. Das so gewonnene positive Wissen kann genutzt werden, um z.B. die Wirksamkeit einer Maßnahme zu antizipieren und gegebenenfalls die Maßnahme noch einmal zu überdenken, zu verändern oder ganz zu verwerfen. Stets zu beachten bleibt allerdings, daß die Vorhersagen lediglich bedingter Natur sein können: Zum einen kann menschliches Handeln aufgrund seiner vielschichtigen Motivation nicht mit letzter Sicherheit prognostiziert werden; zum anderen stellt sich das allgemeine Induktionsproblem, nach dem nicht von einer endlichen Menge an Beobachtungen auf eine stets zutreffende Regel geschlossen werden darf 51. Das Verhaltensmodell des homo oeconomicus beruht im wesentlichen auf den Annahmen des Rationalverhaltens sowie des Eigeninteresses. Beide Hypothesen sind streng voneinander zu trennen: Die Frage nach dem Eigeninteresse betrifft die Präferenzlage bzw. Motivation des homo oeconomicus, während mit der Annahme von Rationalverhalten die tatsächliche Verarbeitung gewonnener Informationen auf Grundlage eben dieser Präferenzen gemeint ist. Erst die Rationalitätsannahme ermöglicht, einen systematischen (und nicht rein zufälligen) Zusammenhang zwischen den Präferenzen der Individuen und ihren daraus resultierenden Handlungen zu erkennen. Im folgenden sollen die allgemeinen Probleme der Ökonomik beim methodischen Umgang mit Präferenzen dargestellt werden (a), bevor dann die beiden Hauptannahmen des ökonomischen Verhaltensmodells, also der Eigennutz (b) und das Rationalverhalten (c), genauer untersucht werden. Anschließend erfolgt eine Diskussion des Anwendungsbereichs des ökonomischen Verhaltensmodells (d) sowie die Erörterung der Fragen, ob es sich beim homo oeconomicus wirklich um ein Menschenbild handelt (e) und ob die Ausrichtung an ihm das tatsächliche Verhalten der Akteure beeinflußt (f). Schließlich werden die Ergebnisse zusammengefaßt (g). a) Präferenzen Die ökonomische Theorie trennt sehr genau zwischen Präferenzen auf der einen und Restriktionen auf der anderen Seite. Während Präferenzen 62 die 59 60 61
Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 8 f. Führ, Grundlagen, S. 32. Vgl. Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 7, 140.
62 A u f die Notwendigkeit der Betrachtung von Präferenzen gerade für die ökonomische Rechtsbetrachtung weist z.B. North, JEL 1978,963, 973 hin. Zu den üblichen Konsistenzannahmen der Präferenzen (Vollständigkeit, Reflexivität und Transitivität) vgl. statt vieler nur Varian, S. 32. Zu den Problemen mit Präferenzen allgemein vgl. Tietz.
28
A. Grundlagen
Wertvorstellungen eines Individuums ausdrücken, wirken die Restriktionen einschränkend auf seinen Handlungsspielraum 63. Dabei erschöpft sich der Begriff der Restriktion nicht in der Budgetbeschränkung des einzelnen, sondern erfaßt z.B. auch das Verhalten der übrigen Individuen und nicht zuletzt das die Handlungsfreiheit beschränkende Recht. Aus letzterem erklärt sich zugleich die Notwendigkeit der Trennung von Präferenzen und Restriktionen für die ökonomische Analyse des Rechts: Um Verhaltensänderungen durch Veränderungen des Rechts (also der Restriktionen) überhaupt erklären zu können, muß zunächst einmal davon ausgegangen werden, daß gleichzeitig die Bewertungsmaßstäbe (also die Präferenzen) des einzelnen im wesentlichen unverändert geblieben sind (sog. „ceteris paribus"-Annahme 64). Ansonsten könnten Verhaltensänderungen nicht nur auf den Wandel der Restriktionen zurückgeführt werden, sondern theoretisch auch aus einer eventuell gleichzeitigen und zufälligen Modifikation der Präferenzen herrühren. Daß mit einem Modell veränderlicher Präferenzen nahezu jedes Verhalten erklärt, keines aber mehr prognostiziert werden kann, leuchtet unmittelbar ein. Es besteht insofern bei der Zulassung von Präferenzveränderungen stets die Gefahr einer Tautologie65. Um einem solchen Zirkelschluß zu entgehen, unterstellen ökonomische Modelle meist konstante Präferenzen, so daß den Individuen die Möglichkeit zu lernen oder den Geschmack zu wechseln methodisch abgeschnitten wird 66 . Die Annahme konstanter Präferenzen hat jedoch in der Wissenschaft für erhebliche Diskussion gesorgt 67. Ihr wird entgegengesetzt, daß sich Präferenzen zum einen sehr wohl über den Zeitablauf wandeln und zum anderen veränderte Restriktionen auch wieder Rückwirkungen auf die Präferenzstruktur haben können68. Diese Argumente werden von den Verfechtern 69 konstanter Präferenzen zwar zumeist nicht in Frage gestellt, jedoch damit zu entkräften versucht, daß sich die Präferenzen der Individuen jedenfalls erheblich langsamer verändern als die Restriktionen. Eine solche Argumentation leuchtet besonders für die ökonomische Betrachtung des Rechts unmittelbar ein, da eine Rechtsänderung (abgesehen vielleicht von der Herausbildung von Gewohnheitsrecht) nicht schleichend geschieht, sondern durch einen unmittelbaren hoheitlichen 63
Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 13. Pies, S. 97; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 8. 65 Daraufweisen z.B. Weizsäcker, ZgS 1984, 90, 91 und Eidenmüller, Effizienz, S. 32 f. hin; vgl. auch Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 40 f., der dort vor einer allzu schnellen Erklärung durch Präferenzwandel warnt. 66 Noch weitergehend BeckerlStigler, AER 1977, 76, die von nahezu identischen Präferenzen aller Individuen ausgehen. Eine solche methodische Einschränkung vereinfacht zwar (gerade die mathematische) Handhabbarkeit des Verhaltensmodells erheblich, erscheint jedoch weder besonders realistisch noch überhaupt notwendig. Dagegen daher wohl zurecht auch Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 42. 64
67
Vgl. dazu nur Gäfgen, S. 57, der dort auch kurz auf die Präferenzgenese eingeht. So z.B. Kelman, WLR 1979, 769, 795; ebenso Gintis, QJE 1972, 572, 594 und Baker PPA 1975, 3, 37 f., der z.B. auf die Wirkung von Werbung hinweist. 69 Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 39; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts. S. 8. 68
II. Das ökonomische Paradigma
29
Gestaltungsakt. Da Gesetze üblicherweise auch nicht allzu lange vor ihrem Inkrafttreten angekündigt werden, scheint es realistisch, daß eine Rechtsänderung zumindest in der kurzen und mittleren Frist auf nahezu unveränderte individuelle Präferenzen trifft und insofern für die Betrachtung in diesem Zeitraum die Annahme konstanter Präferenzen durchaus realistisch ist. Damit aber ist noch nichts über die langfristige Wirkung der Rechtsänderung auf die Präferenzsituation gesagt. Hier kann das Recht durchaus auf die Handlungsmotive der Individuen einwirken 70 . Gesteht man dies zu, stellt sich bei der Antizipation individuellen Verhaltens die Frage, ob der jeweilige Präferenzwandel die intendierte Verhaltensänderung abschwächt oder verstärkt. Insofern ist es also durchaus auch möglich, daß die Änderung der Präferenzen in der langen Frist dazu führt, die Steuerungswirkung der Rechtsänderung zu unterstützen. Jedenfalls wird man aber kaum davon ausgehen können, daß sich der einzelne durch solche „adaptierte Präferenzen" 71 plötzlich konträr zu seinen ursprünglichen Motiven verhält. Ein Präferenzwandel dürfte zumeist vielmehr marginaler Natur sein72. Daher kann man davon ausgehen, daß Präferenzänderungen das Prognoseergebnis des ökonomischen Verhaltensmodells auch langfristig nur begrenzt beeinflussen, wobei die Wirkung einer Änderung des Rechts auf die Präferenzen je nach Rechtsgebiet und Bedeutung der geänderten Norm unterschiedlich stark sein kann. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß der homo oeconomicus mit auch langfristig strikt konstanten Präferenzen jedenfalls nicht exakt der Realität73 entspricht. In dieser nämlich können sich Präferenzen und damit das auf ihnen basierende Verhalten so verändern, daß eine einst von den Akteuren bevorzugte Regelung nach gewisser Zeit einer anderen rechtlichen Ausgestaltung als unterlegen angesehen wird. Derartige Diskrepanzen zur Realität führen jedoch zu Problemen bei der Empfehlung einer bestimmten Normausgestaltung auf Basis des Verhaltensmodells. Insofern wird hier die Unterscheidung zweier verschiedener Varianten des ökonomischen Verhaltensmodells erstmals 74 relevant, nämlich des neoklassischen und des neoinstitutionellen homo oeconomicus75. 70 So macht es sich Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 40 wohl zu leicht, wenn er meint, die Erklärung von Verhaltensänderungen über veränderte Restriktionen sei „sinnvoller" als über veränderte Präferenzen. Bevor man zur Frage nach dem „sinnvolleren" Erklärungsmuster kommen kann, ist nämlich zu prüfen, ob die Annahme konstanter Präferenzen überhaupt „sinnvoll" ist. 71 Vgl. dazu Tietzel, JbfNPÖ 1988, 38, 60 ff., der insofern von einer „opportunistischen Präferenzbildung" spricht; Sunstein, CLR 1986, 1129, 1145 ff. 72 Ähnlich (am Beispiel des \JmwQ\tbewußtseins) wohl Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 46; pessimistischer ist dagegen Eidenmüller, Effizienz, S. 372. 73
Zur Frage, ob es auf den Realitätsgehalt überhaupt ankommt, vgl. unten A.II.3.d). Hierzu vor allem unter A.II.3 c). 75 Wie jede Unterscheidung von Entwicklungsströmen ist auch diese nicht absolut trennscharf zu verstehen. Vielmehr gibt es bei unterschiedlichen Autoren z.T. erhcbliche Überschneidungen. Dennoch erscheint die hier vorgenommene Differenzierung derjenigen zwischen „homo oeconomicus" als neoklassischem und „resourceful evaluating maximizing man" (REMM) als neoinstitutio74
A. Grundlagen
30
Das Individuum der neueren Ökonomik 76 hat im (statischen) neoklassischen Modell stabile Präferenzen, vollständig bekannte Handlungsalternativen und beschränkt sich auf eine reine Nutzenmaximierung. Dagegen erlaubt der Ansatz der Neuen Institutionenökonomik dem homo oeconomicus, seine Präferenzen an veränderte Restriktionen (z.B. an eine Rechtsnovelle) anzupassen. Insofern beeinflußt das Recht als Restriktion im neoinstitutionellen Ansatz nicht nur das Verhalten, sondern auch die zugrundeliegenden Präferenzen, deren Veränderung dann möglicherweise wiederum eine Modifizierung des Rechts nötig macht. Daher geht Führ 77 von einer wechselseitigen Beeinflussung von Präferenzen einerseits und Institutionen (wie dem Recht) andererseits aus. Es handele sich um einen Suchprozeß, der wegen sich ständig ändernder Präferenzen und Restriktionen nie in einem Gleichgewichtszustand ende, sondern der ständigen Ermittlung weiterer Entwicklungsmöglichkeiten bedürfe. Diese Modifikation des Modells erschwert zwar die mathematische Handhabbarkeit nicht unerheblich. Sie läßt jedoch die in der Neuen Institutionenökonomik ohnehin weit verbreitete verbale Analyse unberührt. Zudem wird durch sie zum einen dem Einwand begegnet, die Ökonomik sei als realistisches Prognoseinstrument bereits deshalb ungeeignet, weil sie systematisch die Möglichkeit einer - wenn auch nur langsamen - Weiterentwicklung individueller Präferenzen ignoriere; daneben läßt die Nähe zur Annahme stabiler Präferenzen in der für die Betrachtung vor allem relevanten kurzen und mittleren Frist nach wie vor gute Prognoseergebnisse zu, verlangt aber eine ständige Überprüfung der zugrunde gelegten Präferenzen. Eng mit dem Problem, ob sich die Präferenzen der Akteure verändern können, hängt die Frage zusammen, wann auf die individuellen Präferenzen eingewirkt werden sollte und ob nicht die Ökonomik dem Recht hierfür Kriterien liefern kann 78 . Mit einem solchen auf die Bedürfnisse des einzelnen einwirkenden Paternalismus ist jedoch die Gefahr einer wissenschaftsgestützten Wertediktatur verbunden, die sich mit einer im Sinne Max Webers wertfreien Sozialwissenschaft nicht verträgt 79. Zudem wird die Möglichkeit, tatsächlich gezielt auf die Präferenzen einzuwirken, zumeist skeptisch beurteilt 80 : Es dürfte regelmäßig einfacher und wirkungsvoller sein, ein bestimmtes Verhalten durch Veränderung der Restriktionen zu erreichen, auch wenn damit beim einzelnen keine „moralische Überzeugungsarbeit" geleistet werde, welche das Verhalten unabhängig von den jeweiligen Restriktionen generieren könne.
nellem Modellmenschen überlegen (daher auch Martiensen, S. 199; Homann/Suchanek, S. 419; Tietzel, JbfSoWi 1981, 115, 125, 136 f.). Diese Begriffe werden nämlich in der Literatur oft synonym verwendet (Lehmann, S. 16.; Ott, FG-Kübler, S. 27), was vielfach Anlaß für Mißverständnisse ist. 76 Richter/Furubotn, S. 3 f.; Führ, Grundlagen, S. 50 f. 77 Führ, Grundlagen, S. 64 f.; kritisch dazu Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 16. 78 79 80
Ausführlich Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 42 ff. sowie Eidenmüller, Effizienz, § 9. Ähnlich Eidenmüller, Effizienz, S. 373, 390; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 43. Kirchgässner, JZ 1991, 104, 111 \ders., Homo Oeconomicus, S. 43.
II. Das ökonomische Paradigma
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Im Ergebnis zeigt sich, daß die Betrachtung der Präferenzen eine Reihe von Problemen aufwirft, die bei der Anwendung des Verhaltensmodells beachtet werden müssen, jedoch keine grundsätzlichen Zweifel an seiner Tauglichkeit aufkommen lassen81. Das Bewußtsein für solche Schwierigkeiten ist vielmehr nötig, um zu erkennen, in welchen Situationen die Erklärung bzw. Prognose menschlichen Verhaltens mit Hilfe des Modells überhaupt nur erfolgreich sein kann. Problematischer als dieser methodische Umgang mit den Präferenzen ist dagegen die im folgenden zu erörternde Modellierung ihres Inhalts. b) Eigennützigkeit Das Merkmal der Eigennützigkeit beschreibt den „Charakter" 82 des homo oeconomicus. Es wird hinterfragt, was dem Individuum Nutzen verschafft, wie also genau seine Präferenzstruktur aussieht. Der Begriff der Eigennützigkeit zerfällt dabei in zwei Komponenten: „Eigen" und „Nutzen". aa) Zum Merkmal „Eigen" im Begriff der Eigennützigkeit Das erste Element bedeutet lediglich, daß das ökonomische Verhaltensmodell unterstellt, der einzelne entscheide nur auf Grundlage seiner eigenen Nutzenfunktion 83. Der Begriff des „Eigen"-Nutzes ist daher insofern trügerisch, als der homo oeconomicus bezüglich der inhaltlichen Modellierung seiner Präferenzen zunächst völlig offen ist. Es kann also über die moralische Qualität seines Handelns in diesem Stadium noch gar nichts gesagt werden: Das durch die eigene Präferenzsituation motivierte Verhalten kann anderen gegenüber ebenso gut altruistisch wie egoistisch, ja sogar mißgünstig sein84. bb) Zum Merkmal „Nutzen" im Begriff der Eigennützigkeit (1) Generelle Offenheit des Nutzenbegriffs. Was genau dem Individuum Nutzen verschafft, ist eine Frage der inhaltlichen Auffüllung der zweiten Komponente, des „Nutzen"-Elements. Dieses gibt letztlich an, wie die individuellen Präferenzen ausgestaltet sind. Neben rein monetären Vorteilen können auch die soziale Anerkennung oder aber moralische und sexuelle Bedürfnisse in die individuelle Nutzenfunktion eingehen85. Daraus folgt, daß das ökonomische Modell in dieser allgemeinen Ausprägung auf alle Lebens- und Rechtsbereiche anwendbar ist, da generell jede Art von Nutzen Berücksichtigung finden kann, mithin eine Beschränkung z.B. auf den rein wirtschaftlichen Bereich nicht geboten ist. Dies korrespondiert mit der bereits angesprochenen Tatsache, daß 81
Sehr kritisch jedoch zur Theorie der Präferenzen insgesamt: Tietzel, JbfNPÖ 1988, 38 ff. Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 46. 83 Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 13. 84 PicotlDietl in Ott/Schäfer, S. 307; Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 60; Kirchgässner, JZ 1991, 104, 106; Morlok in Engel/Morlok, S. 20. 85 Morlok in Engel/Morlok, S. 20; Führ, Ökonomisches Prinzip, S. 9. 82
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A. Grundlagen
sich die moderne Ökonomik nicht mehr über ihren Gegenstandsbereich, sondern über ihren methodischen Ansatz definiert. Neben materiellen und immateriellen können grundsätzlich auch interdependente Präferenzen (Altruismus, Neid, Mißgunst, etc.) in die Nutzenfunktion Eingang finden. Im Falle des Altruismus beispielsweise beschenkt dann der X den Y gerade deshalb, weil diese Schenkung (auch) seinen eigenen Nutzen erhöht. Eine derartig weit gefaßte Eigennutzannahme fuhrt aber - zumindest soweit sie nicht empirisch aufgeladen ist - dazu, daß jedes Verhalten erklärt, aber keines mehr prognostiziert werden kann. Es stellt sich insofern ein ähnliches Problem wie bei der oben dargestellten Annahme sich verändernder Präferenzen: Das Modell droht an dieser Stelle erneut tautologisch zu werden 86, da jedes beobachtete Verhalten entweder über die Konstruktion von Nutzensteigerungen aus Interdependenzen zu anderen Personen oder über beliebige immaterielle Präferenzen erklärt werden kann. Insofern ist die empirische Ermittlung der dem individuellen Handeln tatsächlich zugrundeliegenden Präferenzen eine wichtige Aufgabe der Forschung 87. (2) Reduktion der Komplexität. Da es aber oftmals an der notwendigen Empirie fehlt und die Modellierung eines vielschichtigen Nutzenkalküls die Komplexität der Modelle rasch erhöht, so daß diese ihre Handhabbarkeit verlieren 88 , wird die Annahme der Eigennützigkeit vielfach auf eine materiell-eigeninteressierte Kosten/Nutzen-Kalkulation reduziert, um auf diese Weise dem Problem von Zirkelschlüssen zu entgehen. Es wird zum einen altruistisches Verhalten ausgeschlossen, zum anderen werden in erster Linie „typisch wirtschaftliche" bzw. monetarisierbare Aspekte berücksichtigt. Dann ist der homo oeconomicus der Modellwelt oft doch „der kühl kalkulierende nutzenmaximierende Egoist" 89 , der flir seinen schlechten Ruf verantwortlich ist. Es bleibt zu prüfen, wie sinnvoll für die allgemeine Ökonomik die Reduktion der Komplexität auf eigeninteressiertes Verhalten (a) und rein monetäre Präferenzen (b) ist. Diese Frage wird sodann für die ökonomische Rechtstheorie erörtert (c). (a) Der Begriff des eigeninteressierten Verhaltens weicht insofern vom allgemeinen Eigennutztheorem ab, als bei ihm die Nutzenfunktion nicht flir altruistische, egoistische oder mißgünstige Präferenzen offen ist. Im Gegensatz zum Eigen nutz wird beim Eigen interesse unterstellt, daß das Individuum egoistisch ist. „Egoismus" darf hierbei allerdings nicht mit „Mißgunst" anderen gegenüber verwechselt werden 90. Der einzelne verhält sich seinen Mitmenschen gegenüber lediglich mit „gegenseitig desinteressierter Vernünftigkeit" 91 , d.h., er 86 87 88 89 90 91
Vgl. für viele nur Eidenmüller, Effizienz, S. 148 und Morlok in Engel/Morlok, S. 13. So wohl auch Homann/Suchanek, S. 418. Morlok in Engel/Morlok, S. 20. Führ, Ökonomisches Prinzip, S. 10 (mwN). Kirchgässner in Morlok, S. 53; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 13. Rawls, A Theory of Justice, S. 144: mutually desinterested rationality. . .".
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nimmt seine Interesse wahr, ohne zu beachten, ob andere daraus Nutzen ziehen oder Schaden nehmen. Die Unterstellung von Eigeninteresse ist insofern inhaltlich neutral Eigeninteressiertes Verhaltens ist besonders in den Bereichen realistisch, in denen der einzelne aufgrund marktlichen Wettbewerbsdrucks gar keine andere Möglichkeit hat, als sich egoistisch zu verhalten 92. Zahlt z.B. ein Unternehmer seinem Rohstofflieferanten aus Altruismus ein über dem Marktpreis liegendes Entgelt, so läuft er Gefahr, einen komparativen Nachteil gegenüber seinen zum Marktpreis einkaufenden Konkurrenten zu erleiden und so möglicherweise aus dem Markt gedrängt zu werden. Eigeninteresse ist hier überlebensnotwendig. Allgemein wird eigeninteressiertes Verhalten immer dort besonders häufig zu beobachten sein, wo keine oder nur eine entfernte persönliche Beziehung besteht. So wird sich das Individuum beim reinen Leistungsaustausch nicht altruistisch, sondern dem Wohl seiner Mitmenschen gegenüber eher gleichgültig verhalten, während in anderen Bereichen (z.B. in der Familie 93 ) enge persönliche Bindungen bestehen, die ein „gegenseitig desinteressiertes" Verhalten höchst unwahrscheinlich erscheinen lassen. Daneben ist zu bedenken, daß selbst in einer Gesellschaft mit weit verbreitetem Altruismus bereits wenige egoistische Individuen genügen, um auch die anderen zu eben solchem Verhalten zu zwingen 94 . Zudem läßt sich beobachten, daß die Frage, ob Menschen altruistisch oder egoistisch handeln, oftmals eng mit den damit verbundenen Kosten zusammenhängt. So ist in sogenannten „Kleinkostensituationen" eher mit altruistischem Verhalten zu rechnen als in solchen, in denen es um größere (nicht unbedingt nur monetäre) Opfer geht95. Auch hier bedarf es also bei der Analyse jeweils einer genauen Prüfung, ob die Annahme eigeninteressierten Verhaltens zutreffend ist, wobei insgesamt davon auszugehen sein dürfte, daß mit steigender Anonymität der Lebenssituation der Realitätsgehalt der Annahme von Eigeninteresse steigt. (b) Die Reduzierung der Betrachtung auf rein monetäre bzw. monetarisierbare Größen wird häufig zum Anlaß von Kritik genommen, da sie die Individuen auf lediglich materialistisch orientierte, seelenlose Additionsmaschinen zu reduzieren scheint, die geradezu danach streben, die „in mühsamen gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen anerkannten Werte wieder über Bord zu werfen und sich fortan nur noch um den Geldbeutel zu kümmern" 96 . Solchen Menschen wird in der Realität wohl zurecht wenig Sympathie entgegengebracht. Es ist jedoch zu beachten, daß diese Reduktion auf monetäre Größen ein modellarischer Kunstgriff ist, um den zugrundeliegenden Nutzen vergleichbar zu machen und so in eine einheitliche Kalkulation einbringen zu können. Dabei 92 93 94 95 96
Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 48 f. Auch Becker, S. 300 f., erkennt im familiären Bereich interdependente Nutzenfunktionen an. Rehbinder, Einführung, S. 178; Homann/Suchanek, S. 420. Ausführlich dazu Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 63, 157 ff. So die bewußt kontrafaktische Darstellung bei Blaschczok, S. 245.
} Jansen
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können die einzelnen Nutzenwerte gänzlich immaterieller Natur sein; ihre Monetarisierung dient nicht dazu, den homo oeconomicus als „materialistische Person" zu diffamieren, sondern vielmehr dazu, die ansonsten nicht vergleichbaren Größen gleichnamig zu machen97. Daß sich die Ökonomik für die pekuniäre Maßeinheit als „gemeinsamen Nenner" entschieden hat, überrascht aus drei Gründen nicht: Zum einen liegt der Ursprung der Wirtschaftswissenschaften in der Frage des „Wirtschaftens", also des Umgangs mit mengenmäßig beschränkten, handelbaren Ressourcen. Zweitens sind monetäre Größen wesentlich einfacher zu messen98 als beispielsweise emotionale. Am wichtigsten aber dürfte drittens sein, daß es sich bei materiellen Vorteilen wohl um das häufig zentrale nutzenstiftende Argument handelt, da Geld heutzutage in beinahe alle „Handlungsmöglichkeiten"99 umgewandelt werden kann. Insofern können Individuen ftir eine Vielzahl von Nutzenverlusten mit Geld kompensiert werden, welches sie aufgrund seiner universellen Verwendbarkeit jederzeit anderweitig zur Nutzensteigerung einsetzen können. Diese Universalität ist es auch, die Menschen in nahezu allen Situationen auf materielle (oder in materielle Kategorien übersetzbare) Anreize reagieren läßt. Zwar kann die Intensität der individuellen Reaktion auf solche Anreize je nach Lebensbereich divergieren, eine Auswirkung auf den Nutzen und das Verhalten des Individuums wird sich aber typischerweise einstellen. (c) Auch in der ökonomischen Theorie des Rechts geht man zumeist von der Annahme materiell-eigeninteressierter Präferenzen aus. Dabei ist die Unterstellung von Eigeninteresse für das Recht insofern nützlich, als sie einen Anknüpfungspunkt für rechtliche Steuerung bietet. Kann man nämlich davon ausgehen, daß der einzelne sich eigeninteressiert verhält, so läßt sich diese Handlungsmaxime bei der Normsetzung kanalisieren 100 und zur Erreichung anderer Gesetzeszwecke nutzbar 101 machen. Die Monetarisierung allen Nutzens wird dagegen in besonderem Maße von Posner betrieben, der seinen Analysen als Effizienzkriterium nicht zuletzt deshalb das „wealth maximization principle" 102 , also das „Reichtumsmaximierungsprinzip", zugrunde legt. Wie bereits angesprochen handelt es sich bei Posners Betrachtung aber nur um eine - wenn auch in vielen Bereichen die am weitesten verbreitete - Ausprägung der ökonomischen Rechtstheorie, die vor allen anderen gerade aufgrund ihrer Monokausalität 97
Zu diesem Problemkreis mehr unter C.I.
98
Vgl. hierzu z.B. das Beispiel von Eidenmüller, JZ 1999, 53, 57. Umfassend zu Nutzenmessung und interpersonellem Nutzenvergleich auch Eidenmüller, Effizienz, S. 52, 188 ff., 204 ff. 99
So auch Homann/Suchanek, S. 66. Pies, S. 86 f. 101 So schon Jhering, S. 24: „Wie kann die Welt bestehen beim Egoismus, der nichts für sie, sondern alles nur für sich selbst will? Die Antwort lautet: dadurch, daß sie ihn in ihre Dienste nimmt, daß sie ihm den Lohn zahlt, den er begehrt. Sie interessiere ihn bei ihren Zwecken, dann ist sie seiner Mitwirkung sicher." Ähnlich Blaschczok, S. 275 f. 102 Vgl. Posner, JLS 1979, 103, 119 ff. mit der Kritik von Veljanovski, IRLE 1981, 5 ff.; vgl. hierzu die genauere Darstellung unter C.I.3.C). 100
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immer wieder Gegenstand heftiger Kritik geworden ist. Es sollte aber bereits deutlich geworden sein, daß die monetäre Betrachtung durch die ökonomische Theorie aus Gründen der Praktikabilität geschieht und keinesfalls modellimmanent bzw. zwingend nötig ist 103 , besonders dann nicht, wenn andere - gewichtige und nicht-monetarisierbare - individuelle Präferenzen bekannt sind. Andererseits ist auch und gerade im Recht die Annahme materiell-eigeninteressierten Verhaltens alles andere als unrealistisch. So wird man im Zivilrecht und insbesondere im Schuldrecht als Leistungsaustauschrecht - regelmäßig von einem Eigeninteresse im obigen Sinne ausgehen können, da die Parteien sich zumeist weder besonders fördern noch einander schaden wollen, jedoch stets ihren eigenen Kooperationsvorteil im Blick haben104. Gegen die Kritik, das Modell des homo oeconomicus zeichne ein unrealistisches und zu pessimistisches Bild des Menschen, ist zu bedenken, wann Normen überhaupt relevant werden: Stünden sich nämlich alle Beteiligten wohlwollend gegenüber, dann bedürfte es im Grunde gar keiner rechtlichen Regelung; die Individuen würden sich regelmäßig selbständig einigen. Im Falle ausgeprägten gegenseitigen Wohlwollens wäre das Recht als Instrument zur Konfliktlösung demnach überflüssig. Gesetze werden also vor allem dann bedeutsam, wenn die Individuen ihren Vorteil gegen den Willen der anderen durchsetzen wollen, also offenbar nicht wohlwollend agieren. In diesem Zusammenhang zeigt sich die Bedeutung der Eigennutzannahme gerade am Beispiel des Familienrechts (im Gegensatz zum oben angesprochenen Verhalten innerhalb der Familie jenseits des Rechts): So scheint es z.B. im Scheidungsverfahren oft eher nötig, die Realitätsnähe der Annahme eines desinteressiert-vernünftigen Menschen dahingehend zu überprüfen, ob sie nicht zu optimistisch ist, da die Parteien einander möglicherweise mit gegenseitigem Haß begegnen.105 Wie sehr das auf „kostenorientiertes Verhalten" vereinfachte Modell des homo oeconomicus zur Antizipation und Erklärung der individuellen Reaktion auf das Recht bzw. seine Änderungen geeignet ist, zeigt ein Beispiel bei Kirchgässner 106: Wird auf einer freien Straße z.B. an einer Autobahnbaustelle ein Tempolimit von 60 Stundenkilometern angezeigt, dann beobachtet man, daß nahezu alle Autofahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreiten, selten aber um mehr als 20-30 Stundenkilometer. Hier wird ganz offensichtlich der Nutzen der Zeitersparnis mit den Kosten der erwarteten Strafe abgewogen. Dabei setzt sich die erwartete Strafe zusammen aus der Wahrscheinlichkeit 103
Zutreffend: Morlok in Engel/Morlok, S. 20; Führ, Ökonomisches Prinzip, S. 9. Schon im Jahre 1930 vermutete auch Llewellyn in Hirsch/Rehbinder, S. 84, „daß der Einfluß eines Verbotes weit geringer ist, als sich der Jurist gemeinhin vorstellt, wenn nur ein Eigeninteresse existiert, das einen spürbaren Druck ausübt". Der Rechtsunterworfene wird daher oftmals - wie vom ökonomischen Verhaltensmodell unterstellt - das tun, was zwar (wie Llewellyn in Abgrenzung zu Coke und Holmes betont) vom Recht nicht intendiert, aber doch forciert wird: Der Akteur wird wählen, ob es für ihn günstiger ist, einen Vertrag zu erfüllen oder Schadensersatz zu leisten. 105 So auch Kirchgässner, JZ 1991, 104, 108. 106 Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 34 f. 104
3*
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einer erfolgreichen Verfolgung der Ordnungswidrigkeit multipliziert mit der Höhe des jeweiligen Bußgelds107. Eine Verhaltenssteuerung könnte demnach entweder über eine Veränderung der Bußgeldhöhe oder aber der Überwachungsdichte geschehen. Insofern überrascht nicht, daß an Stellen, an denen bekanntermaßen Radarkontrollen durchgeführt werden, im Durchschnitt signifikant niedrigere Geschwindigkeiten gefahren werden als an solchen ohne Überwachung. Nach der ökonomischen Theorie wäre danach zu erwarten, daß Empfänger hoher Einkommen häufiger und intensiver die Geschwindigkeit überschreiten als Empfänger geringer Einkommen, bei denen das Kosten/Nutzen-Optimum eher niedriger liegt. Für Empfänger hoher Einkommen sind die Kosten nämlich relativ zum Einkommen betrachtet niedriger und darüber hinaus auch noch der Nutzen der Geschwindigkeitsüberschreitung wegen des von ihnen typischerweise hoch bewerteten Faktors „Zeit" größer. Aus Sicht des ökonomischen Verhaltensmodells wäre daher für eine über die verschiedenen Verkehrsteilnehmer hinweg gleichmäßig wirkende Verhaltenssteuerung ein Bußgeldsystem nach z.B. Tagessätzen dem momentanen pauschalierten System vorzuziehen. Das Beispiel zeigt, daß die Rechtsunterworfenen Sanktionen sehr wohl als „Kosten" auffassen 108, wobei deren Übertragung in monetäre Größen oftmals Schwierigkeiten bereiten kann; jedenfalls reduzieren diese Kosten die Attraktivität einer Handlungsalternative und wirken so verhaltenssteuernd. Im Bereich des Zivilrechts gelingt diese Steuerung u.a. durch die Androhung der Sanktion „Prozeßverlust", die mit z.T. erheblichen Kosten verbunden sein kann. Insofern läßt sich, auch wenn man dem materiell-eigeninteressierten Modellmenschen keine Sympathie entgegenzubringen vermag, kaum abstreiten, daß von dieser (in hohem Maße monetären) Sanktion ein ganz erheblicher Verhaltensanreiz ausgeht, den der einzelne in sein Verhaltenskalkül mit aufnimmt 109 . Es erscheint daher durchaus realistisch, mit dem Verständnis der ökonomischen Theorie des Rechts anzunehmen, daß die Rechtsunterworfenen anders als im Modell des homo sociologicus110 - keine reinen Normbefolger, 107 Auch der zeitweise Verlust des Führerscheins kann in diesem Sinne monetarisiert werden, scheint aber nach den genannten Beobachtungen jenseits der „Schmerzgrenze" der Individuen zu liegen, da die Höchstgeschwindigkeit selten um mehr als 40 km/h überschritten wird. 108
Dazu auch Eidenmüller, Effizienz, S. 34 ff.; Führ, Grundlagen, S. 55, 59. Vgl. hierzu auch Marianne Weber, S. 300, die aus einem Brief von Max Weber einen von diesem beobachteten symptomatischen Beleg für kostenorientiertes Verhalten zitiert: „... die TramGesellschaft ist bankerott, seit Jahren - wie üblich - verwaltet sie ein ,Receiver\ der kein Interesse an der Abkürzung der Liquidation hat und daher keine neuen Wagen anschafft - die alten versagen alle Augenblick. Jährlich gegen 400 Leute werden tot oder zu Krüppeln gefahren, ersteres kostet laut Gesetz die Gesellschaft 5000 Dollar (an die Witwe oder Erben), letzteres 10000 Dollar (an die Verletzten solange sie nicht bestimmte Vorsichtsmaßregeln trifft). Sie hat nun kalkuliert, daß sie die 400 Entschädigungen weniger kosten, als die verlangten Vorsichtsmaßregeln und bringt diese nicht an." Mit Hilfe des ökonomischen Verhaltensmodells ließe sich bei Errichtung des Gesetzes ein solches Verhalten vorhersehen und das Gesetz entsprechend korrigieren. 109
110
Kirchgässner, JbfNPÖ 1993, 181; Richter/Furubotn, S. 40 (mwN); Vanberg in Wegner/Wieland, S. 381 ff. (mwN); Baurmann. S. 133 erkennt eine gewisse Nähe gerade des neo-
II. Das ökonomische Paradigma
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sondern vielmehr kalkulierende Individuen sind, die ihren eigenen Nutzen zu maximieren versuchen. (3) Ergebnis. Insgesamt zeigt sich, daß im Rahmen der ökonomischen Rechtstheorie die Reduzierung auf materielle Präferenzen den Realitätsgehalt des ökonomischen Verhaltensmodells deutlich stärker einschränkt als die Annahme eigeninteressierten Verhaltens, die gerade im Recht zumeist durchaus haltbar erscheint 111. Dafür, daß man trotz aller genannten Probleme der Rechtsgestaltung in vielen Fällen ein auf rein materielles Eigeninteresse reduziertes Bild des „desinteressiert-vernünftigen" homo oeconomicus zugrunde legen kann, sprechen zudem zwei weitere Gründe: Zum einen geht es der Ökonomik um die Erklärung des Verhaltens von Aggregaten 112. Insofern schadet es der Aussagekraft des Modells nicht, wenn sich einzelne Individuen nicht wie vorhergesagt verhalten. Es geht vielmehr um die Beschreibung menschlichen Verhaltens im Durchschnitt 113 . Zweitens eignet sich der im Vergleich zum Bild seiner Kritiker eher etwas pessimistisch beschriebene reduzierte Modellmensch der Ökonomik besonders dann gut als Grundlage für rechtliche Entwürfe, wenn man mit Radbruch davon ausgeht, daß das Recht sowohl sich selbst als auch die Allgemeinheit vor Ausnutzung durch einzelne schützen und sich daher vor allem „(...) an der fiktiven Konstruktion des sehr eigennützigen und sehr klugen Menschen orientieren und erproben" 114 muß. Insofern sprechen Esser/Schmidt vom homo oeconomicus sogar als dem „Paten des liberalen Schuldrechts" 115. cc) Gesamtergebnis Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß das Merkmal der Eigennützigkeit des ökonomischen Verhaltensmodells generell für alle Arten von Präferenzen offen ist 116 . Erst die aus Praktikabilitätsgründen erfolgende Reduzierung führt zum institutionellen homo oeconomicus zum homo sociologicus. Zum Modell des homo sociologicus umfassend Dahrendorf \ Homo Sociologicus. 111
Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 49. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 13; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 21 f., 30; Eidenmüller, JZ 2001, 1041, 1042. 112
1,3 Dabei ist aber zu beachten, daß die tatsächliche Varianz menschlichen Verhaltens um den im Modell unterstellten Mittelwert nicht zu groß sein darf (vgl. Martiensen, S. 162): Eine Gruppe, bei der sich die eine Hälfte extrem mißgünstig, die andere vollkommen altruistisch verhält, entspricht zwar im Durchschnitt dem „desinteressiert-vernünftigen" Individuum; jedoch müßten die Ergebnisse der ökonomischen Betrachtung hier wohl mit größter Vorsicht auszuwerten sein. 114 Radbruch, Mensch im Recht, S. 12 mit Verweis auf Kant, der vom Gesetzgeber Normen forderte, die auch „für ein Volk von Teufeln passen". u s Esser/Schmidt, S. 39. 1,6
Daran ändert auch nichts das immer wieder zur Begründung der Gleichsetzung von Eigennutz und Egoismus verwendete Zitat von Adam Smith (Wealth of Nations, S. 22: „It is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker, that we expect our dinner, but from their regard to their own interest. We adress ourselves, not to their humanity but to their self-love, and never talk to them of our own necessities but of their advantages."); auch er erkannte letztlich bei allen Menschen gewisse Moralvorstellungen an (vgl. Smith, Theory of Moral Sentiments, S. 1).
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materiell-eigeninteressierten homo oeconomicus des neoklassischen Standardmodells. Aus dieser dem Modell grundsätzlich nicht immanenten Reduktion seines Realitätsgehalts resultiert in gleicher Weise auch eine Verengung des Anwendungsbereichs, dem nur durch Inkaufnahme einer Erhöhung der Komplexität entgegengewirkt werden kann, die einer empirischen Grundlage 117 bedarf. c) Rationalverhalten Der wohl heikelste und im ökonomischen Verhaltensmodell am intensivsten angegriffene Aspekt ist die Unterstellung individueller Rationalität. Während das Eigennutztheorem untersucht, welche Präferenzen die Grundlage der individuellen Verhaltensentscheidung bilden, behandelt die Rationalitätsannahme die Frage, wie diese Entscheidung getroffen wird 1 1 8 . Dabei versteht die ökonomische Theorie des Rechts unter „Rationalität" zunächst einmal nur, daß sich das Individuum systematisch nach seinen Präferenzen verhält, also sich an den eigenen Bedürfnissen und den von ihm erwarteten Handlungsfolgen orientiert 119 . Indem davon ausgegangen wird, daß der einzelne versucht, aus seinem Handeln größtmöglichen Nutzen zu ziehen, wird ein systematischer Zusammenhang zwischen der Änderung von Restriktionen und der des Verhaltens unterstellt: Steigt unter veränderten Rahmenbedingungen der Nutzen einer bestimmten Handlung, so wird sich das Individuum eher für diese entscheiden bzw. sie anderen Handlungsalternativen vorziehen. Dabei kommt es nicht darauf an, daß der Nutzen tatsächlich objektiv gestiegen, die Maßnahme also „rational" im Sinne von „objektiv sinnvoll" ist. Vielmehr muß sich nur aus der subjektiven Sicht des Individuums eine Nutzenverbesserung einstellen 120 , und sich der einzelne gerade aufgrund dieses Kalküls bewußt (und nicht etwa zufällig, z.B. durch Münzwurf) für die Handlung entschieden haben. Im folgenden soll untersucht werden, wie die verschiedenen Varianten des homo oeconomicus diese Rationalität zu modellieren versuchen. Zunächst soll der Modellmensch vom neoklassischen (aa) sowie vom neoinstitutionellen (bb) Typ untersucht werden, bevor unter (cc) Anomalien darzustellen sind, die Zweifel an der Rationalitätsannahme insgesamt aufkommen lassen. aa) Rationalität im neoklassischen Grundmodell des homo oeconomicus Ein sich im ursprünglichen neoklassischen Sinne rational verhaltender Akteur prüft in jedem Einzelfall seinen Nutzen aus den ihm zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten im Hinblick auf seine Präferenzen und geht sodann 1,7
Zur Notwendigkeit einer empirischen Basis vgl. nur Selten, JITE 1990, 649, 656. Häufig wird aber auch die Eigennutzannahme innerhalb des Rational Verhaltens besprochen, da beide eng miteinander zusammenhängen. So z.B. bei Martiensen, Kapitel 5. 1,9 Führ, Grundlagen, S. 32; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 13 f. Eine glänzende Darstellung der verschiedenen Arten von Rationalität findet sich bei Martiensen, Kapitel 5 und 6. 120 So auch Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 14. 118
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nach dem ökonomischen Prinzip vor. Das heißt, er maximiert entweder bei gegebenem Mitteleinsatz den Nutzen unter verschiedenen Nebenbedingungen122 oder minimiert den Mitteleinsatz unter Konstanthaltung des Nutzens. In der ursprünglichen Ausprägung besitzt das Individuum vollständige Information 123 , d.h., es kennt sämtliche Handlungsalternativen und ihren Nutzen, so daß die Maximierung „nur" noch ein mathematischer Prozeß ist. Die Kalkulation geschieht in jedem einzelnen Fall aufs Neue („situative Nutzenmaximierung" 124 ) und ohne Zeitverlust, unabhängig davon, wie kompliziert das zugrundeliegende Maximierungsproblem ist. Dabei entstehen für den einzelnen weder Kosten für die Informationsbeschaffung noch fur deren Verarbeitung. Er wird somit quasi zum sich blitzschnell und auf Grundlage aller nötigen Informationen fehlerfrei entscheidenden Computer mit uneingeschränkter Problemlösungskompetenz, weshalb man auch von „perfekter Rationalität" oder „Hyperrationalität" spricht 125 . Diese Friktionslosigkeit ist in der Neoklassik deshalb Voraussetzung, weil die Akteure ihre Welt durch Erkennen und Durchführen von Arbitrage nach jeder Änderung der Restriktionen in einen Gleichgewichtszustand zurückversetzen 126. Eine gewisse Modifikation zur Reduzierung der Anforderungen an den Informationsgehalt erfährt das Modell dann, wenn das Individuum nicht unter Sicherheit, sondern unter Unsicherheit entscheidet. In diesen Fällen weiß der einzelne nicht sicher, welche genauen Folgen sich aus einer Handlungsalternative ergeben, sondern er kennt nur noch die Wahrscheinlichkeiten, mit der bestimmte Handlungen zu bestimmten Auszahlungen (= Nutzen) führen. Dann maximiert er nicht mehr seinen tatsächlichen Nutzen, sondern nur noch seinen Erwartungsnutzen, also den mit der Eintrittswahrscheinlichkeit für ein bestimmtes Ereignis gewichteten Nutzen 127 . Bei dieser Kalkulation unter unvollständiger Information handelt es sich allerdings weiterhin um eine Entscheidung unter vollkommener Information, da dem Individuum sämtliche Wahrscheinlichkeitsverteilungen und Auszahlungen bekannt sind. Es ist offensichtlich, daß eine solche Rationalitätsannahme mit der Lebenswirklichkeit wenig Gemeinsamkeiten hat. Sie beruht auf irrealen Annahmen über den Informationsstand und dessen Verarbeitbarkeit durch den einzelnen. So führen in der Realität die Beschaffung und Verarbeitung von Informationen ebenso wie die Abwicklung und Überwachung von Transaktionen über den 121 Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 9; vgl. auch Führ, Ökonomisches Prinzip, S. 8 ff.; ders., Grundlagen, S. 33. 122 HomanntSuchanek, S. 414. 123 124 125 126 127
Kirchner, FS-Beisse, S. 271; Martiensen, S. 142; Kirchgässner, Führ, Grundlagen, S. 35. Richter/Furubotn, S. 4; Martiensen, S. 145 ff. Vanberg, Evolutorische Ökonomik, S. 4. Martiensen, S. 150 f.
Homo Oeconomicus, S. 17 f.
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Markt stets zu Kosten 128 , da sie Ressourcen (und sei es auch nur Zeit) verbrauchen, die den Individuen ansonsten anderweitig zur Verfügung stünden (sogenannte „Opportunitätskosten" 129). Nimmt man dieses Problem ernst, leuchtet ein, daß ein rational handelnder Akteur keinesfalls so lange Informationen beschaffen wird, bis er vollständig informiert ist. Die Erreichung dieses Informationsgrads ist einerseits zu teuer, andererseits auch faktisch unmöglich, da das Individuum über zukünftige Ereignisse Prognosen aufstellen muß, deren Art und Wahrscheinlichkeit ihres Eintreffens unsicher sind 130 . Daher wird das Grundmodell des vollinformierten, situativ nutzenmaximierenden homo oeconomicus auch von Anhängern des ökonomischen Verhaltensmodells als „Zerrbild" 131 bezeichnet, welches der modernen Interpretation des ökonomischen Verhaltensmodells nicht mehr gerecht werde. Interessanterweise ist es aber gerade dieses Grundmodell, welches die Kritiker immer wieder herausfordert 132. bb) Rationalität im neoinstitutionellen Modell des homo oeconomicus Aufgrund der angesprochenen Realitätsferne der zugrundeliegenden Annahmen wurde die Rationalität im Modell des homo oeconomicus um verschiedene Problemlösungsvorschläge erweitert. Als besonders grundlegend erwies sich dabei v.a. der auf den Forschungsarbeiten des Wirtschaftswissenschaftlers und Psychologen Herbert A. Simon basierende Einwand der „bounded rationality" 133 , welcher zwei Problemkreise betrifft 134 : Die Rationalität ist eingeschränkt, weil der einzelne zum einen eben gerade nicht alle Handlungsalternativen und -folgen kennt, und zum anderen diese Daten auch nicht kostenlos und unendlich schnell verarbeiten kann 135 . In beiden Fällen ist der Begriff der „bounded rationality" aber insofern mißverständlich, als nicht die Rationalität selbst eingeschränkt ist, sondern lediglich die Kenntnis der Entscheidungsalternativen und ihre Verarbeitung 136. 128
Bei den Beispielen handelt es sich um „Transaktionskosten"; dazu mehr unter B.I.2. Gabler Wirtschaftslexikon, S. 2319 definiert Opportunitätskosten als „entgangene Erträge oder Nutzen im Vergleich zu einer besseren Handlungsalternative". 130 Richter/Furubotn, S. 4; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 13. 131 Darauf hinweisend: Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 17. Sen, PPA 1977, 317, spricht bei dieser Variante des homo oeconomicus sogar vom „rational fool". 129
132
So Fezer, JZ 1986, 817, 822; ders., JuS 1991, 889, 894.
133
Zur „bounded rationality" insgesamt: Simon in Hogarth/Reder, S. 25 ff.; ders., Models of Man, S. 196 ff.; ders., Models of Bounded Rationality; Kreps in Newman, Bd. 1, S. 168 ff.; Vanberg, R&S 2002, 7 f f ; Gründe für und gegen die Annahme der „bounded rationality" gibt Conlisk, JEL 1996, 669 ff. 134 Homann/Suchanek, S. 416; Führ, Grundlagen, S. 37; zu den verschiedenen Modellen eingeschränkter Rationalität sehr anschaulich Martiensen, Kapitel 6. 135 Vgl. dazu schon A.II.3.c)aa). Teilweise wird auch nur der letztgenannte Aspekt der „bounded rationality" zugeordnet, vgl. Eggertsson in Newman, Bd. 2, S. 667 und Richter/Furubotn, S. 4. 136 Martiensen, S. 137; Führ, Grundlagen, S. 47 f.
II. Das ökonomische Paradigma
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Es ist daher zunächst zu fragen, welche Änderung die Annahme mit sich bringt, der einzelne kenne nicht mehr alle seine Verhaltensoptionen. Ist nämlich nur noch ein Teil der Handlungsalternativen sowie der daraus resultierenden Konsequenzen bekannt, besteht für die Individuen immer die Möglichkeit, weitere Informationen zu sammeln. Da nun aber im voraus nicht einmal für die Akteure selbst bestimmbar ist, wie lange dieses Sammeln von Informationen lohnt, bzw. wann der Prozeß zugunsten einer Entscheidung abgebrochen werden sollte, geht Simon davon aus, daß die Individuen ihren Nutzen nicht auf ein theoretisches Optimum hin maximieren, sondern lediglich versuchen, ein befriedigendes Nutzenniveau zu erreichen. Sobald dieses realisiert werden könne, werde die entsprechende Handlung gewählt. Gebe es dagegen keine Möglichkeit, den gewünschten Nutzen zu verwirklichen, werde das Anspruchsniveau gesenkt. Damit wird der homo oeconomicus vom „Maximierer" zum „Satisfizierer" 137 , was aber der Maximierungsthese im ökonomischen Verhaltensmodell insofern nicht widerspricht, als Satisfizierung auch als eine „Maximierung unter Berücksichtigung der Entscheidungs- und Informationskosten" behandelt werden kann 138 . Eng mit diesem Problem verwandt ist als zweite Modifikation des Modells die Erkenntnis, daß Menschen aufgrund beschränkter geistiger Kapazitäten grundsätzlich gerade nicht in der Lage sind, jedes noch so komplexe Kalkulationsproblem zu lösen. Oft ist das dazu nötige Datenmaterial erheblich zu umfangreich, als daß ein solcher vollständiger Kalkulationsprozeß angestrengt werden könnte 139 . Daher wendet das Individuum (Faust-)Regeln an, wobei besonders in häufig wiederkehrenden Situationen eine Regelbefolgung im Interesse des einzelnen sein dürfte 140 . In der Wissenschaft ist bislang noch keine überzeugende allgemeine theoretische Modellierung der Frage gelungen, wann die Individuen welche Regel anwenden141. Insofern fußt eine Betrachtung dieses zweiten Problems der „bounded rationality" sehr schnell entweder auf nahezu beliebigen ad-hoc-Annahmen, die die Aussagekraft des Modells entleeren, oder aber sie bedarf eines empirischen Unterbaus 142, an dem es jedenfalls bislang noch weitgehend fehlt. In jedem Fall verliert das ökonomische Modell zur Verhaltensprognose durch derartige Modifikationen deutlich an Schwung 143 . Insofern stellt sich die Frage, ob dieser Erhöhung des modellarischen Aufwands ein annähernd vergleichbar großer Erklärungsgewinn gegenübersteht. 137
Simon, AER 1979, 493, 503; ausführlich dazu Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 31. Vgl. Meckling, SZVS 1976, 545, 549; ausführlich auch Homann/Suchanek, S. 415; Kräkel, S. 53 spricht davon, die Maximierung träfe dann nur nicht mehr die objektive „First Best"-Lösung. 138
139
Dies zeigt Martiensen, S. 185 anschaulich am Beispiel des Schachspiels.
140
Ausführlich zur Bedeutung von Regeln. Kirchgässner, JbfNPÖ 1993, 181, 183 ff.; ders., Homo Oeconomicus, S. 33 f.; ähnlich Führ, Grundlagen, S. 38 ff. 141 142 143
Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 63; Vanberg, R&S 2002, 7,41. Teubner in ders., S. 11. So Decken in Hot7Schulte, S. 183.
42
A. Grundlagen
Daran bestehen aus verschiedenen Gründen erhebliche Zweifel: Zum einen kann man die dargestellten Faustregeln selbst als Institutionen im Sinne der Neuen Institutionenökonomik verstehen. Geht man nun davon aus, daß sich Institutionen im evolutorischen Prozeß bewährt haben 144 , dann dürfte das Ergebnis einer auf ihnen basierenden Regelanwendung dem einer „echten" Maximierung sehr nahe kommen. Um im Ergebnis ein Maximierungsverhalten zu beobachten oder zu unterstellen, bedarf es also gerade keines Maximierungsbewußtseins der Individuen 145 . Zweitens ist zu bedenken, daß die Frage danach, wie die Akteure mit der Begrenztheit ihrer Verarbeitungskapazität umgehen, nicht primärer Gegenstand der ökonomischen Analyse ist, sondern vielmehr oftmals den Restriktionen zugeordnet werden kann 146 : Im Rahmen der Neuen Institutionenökonomik nämlich wird „bounded rationality" vor allem zur Voraussetzung der Betrachtung, da viele Institutionen gerade dazu dienen, besser mit ihr umgehen zu können. Gilt nun also, daß einerseits aufgrund evolutorischer Bewährung die angewendeten Faustregeln im Ergebnis der Einzelfallmaximierung sehr nahe kommen und daß andererseits die Handlungsauswahl selbst gar nicht Gegenstand der ökonomischen Betrachtung ist, dann sind die Probleme der eingeschränkten Rationalität zwar zur Kenntnis zu nehmen, werden aber allenfalls in Ausnahmefällen relevant, in denen scheinbar systematische Rationalitätsdefizite auftreten 147. Eine solche auf unvollständiger Information und Informationsverarbeitungskapazität basierende eingeschränkte Rationalität ist und bleibt nach alldem jedenfalls ein Unterfall des modernen ökonomischen Rationalitätsbegriffs und steht allenfalls im Widerspruch zum Modell des situativ-nutzenmaximierenden homo oeconomicus der Neoklassik. Zwar erschwert sie die genaue Vorhersage individueller Handlungen und damit auch der Quantifizierung von aus der Verhaltensänderung resultierenden Folgen. Dennoch werden sich die Akteure der jeweiligen Situation stets systematisch anpassen, also „rational" im ökonomischen Sinne verhalten. Eine Verhaltensänderung bleibt auch im Modell der „bounded rationality" grundsätzlich prognostizierbar, so daß trotz aller Erschwernisse weiterhin gehaltvolle Aussagen abgeleitet werden können 148 . Daß insofern teilweise nur noch tendenzielle Größenströme vorhersagbar sind, beeinträchtigt den Wert einer ökonomischen Analyse des Rechts insofern nicht, als es sich bei der Verarbeitung nicht exakt meßbarer Größen um ein Problem
144
Picot/Dietl
145
Becker, S. 6; Friedman in Friedman, S. 3 f f ; Behrens, JbfNPÖ 1988, 209, 220.
in Ott/Schäfer, S. 325 f.; Kunz in Druwe/Kunz, S. 104 f.; Martiensen, S. 164.
146 Homann/Suchanek, S. 416 f.; ähnlich Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 30; wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis von Eidenmüller, JZ 2001, 1041, 1045, wonach bei eingeschränkter Rationalität die vom Individuum gewählte Option nicht mehr zwingend die objektiv beste ist, so daß aus ökonomischer Sicht zweifelhaft sein kann, ob die Durchsetzung oder gar Simulation des Ergebnisses eines Vertrags zwischen Wirtschaftssubjekten tatsächlich ratsam ist. 147 So auch Eidenmüller, JZ 2001, 1041, 1045; ErleilLeschke!Sauerland, S. 15 f. 148 Vgl. Frey, S. 11; Arrow in Eatwell/Milgate/Newman, Bd. 2, S. 69 ff.
II. Das ökonomische Paradigma
43 149
handelt, mit dem die Rechtswissenschaft seit jeher konfrontiert ist . Auch die nur grobe Quantifizierbarkeit von Größen läßt Einsichten und Erkenntnisse zu, die ohne eine ökonomische Betrachtung möglicherweise verborgen blieben. cc) Das Problem der Anomalien Nachdem also die „bounded rationality" lediglich als Unterfall der - weiterhin gültigen - Rationalitätsannahme angesehen werden kann, stellt die AnomalienForschung von v.a. Daniel Kahneman und Arnos Tversky einen Angriff auf die Rationalitätshypothese überhaupt dar 150 . Die bislang erforschten Anomalien nämlich lassen den Verdacht aufkommen, daß Akteure eben gerade nicht rational, also nach ihren Präferenzen, sondern „aus dem Bauch heraus" entscheiden. So zeigt sich z.B. bei der Anomalie der „Besitzeffekte" 151 , daß die Wirtschaftssubjekte Gegenstände und Rechte nicht unabhängig vom jeweiligen Inhaber allein nach dem subjektiven (oder gar: objektiven) Wert beurteilen, sondern daß es vielmehr systematische Divergenzen in den Preis Vorstellungen geben kann, je nachdem, ob die Individuen für den Gegenstand oder das Recht bezahlen müssen oder aber einen Preis verlangen können: Untersuchungen in diesem Bereich haben ergeben, daß der einzelne als Inhaber des Rechts oder als Eigentümer der Sache oftmals einen doppelt so hohen Preis verlangt als er selbst für den Gegenstand zu zahlen bereit wäre 152 . So ist z.B. empirisch beobachtbar 153 , daß Konsumenten beim Kauf eines neuen Fernsehers ihr altes SchwarzWeiß-Gerät behalten, obwohl sie es für Euro 50,- verkaufen könnten. Bei seiner Zerstörung würden sie dagegen diesen Betrag weder für eine Reparatur noch für eine Neubeschaffung ausgeben. Ein solches Auseinanderfallen der Wertschätzung je nachdem, ob man das Recht bereits inne hat oder nicht, läßt sich zwar mit der Gewöhnung an bestimmte Güter oder aber mit einer sogenannten „Verlustaversion" erklären 154. Von einem ökonomisch rationalen Akteur dagegen würde man erwarten, daß die Wertschätzung allenfalls marginal differiert. Bei der „Framing-Anomalie" 155 zeigt sich, daß die Präsentation der verschiedenen Handlungsalternativen eine durchaus signifikante Rolle spielen 149
Ott, FG-Kübler, S. 43; Schmidtchen, JbfNÖuStat 1998, 251, 255 f. Kahneman/Tversky, TJB 1986, 251 f f ; intensiv mit Anomalien und ihrer Bedeutung beschäftigt sich Eichenberger. Ein kurzer Überblick über die wichtigsten Anomalien findet sich auch bei Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 63 ff. sowie bei Haug in Druwe/Kunz, S. 126 ff. 151 Kahneman/Knetsch/Thaler, JPoE 1990, 1325, 1329 ff.; mögliche Gründe für dieses Phänomen finden sich bei Thaler, JEBO 1980, S. 39 ff.; zum ganzen sehr ausführlich Eidenmüller, Effizienz, S. 125 ff. 150
152
Umfassend dazu Kahneman/Knetsch/Thaler, JPoE 1990, 1325, 1329 ff. Beispiel nach Kelman, SCLR 1979, 669, 681. 154 Hierzu (sowie zur gesamten Empirie) ausführlich Eidenmüller, Effizienz, S. 125 ff. 155 Tversky!Kahneman, Science 1981, 453 f f ; Kahneman/Tversky, American Psychologist 1984, 341, 343 f.; kritisch dazu aber Stocke in Druwe/Kunz, S. 197 ff. 153
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A. Grundlagen
kann: So ziehen von zwei alternativen Programmen zur Rettung Kranker deutlich mehr Probanten ein Programm, bei dem ein Drittel der Kranken überlebt, einem „anderen" Programm vor, bei dem zwei Drittel der Infizierten sterben. Auch dies dürfte bei Unterstellung von Rationalität im ökonomischen Sinne nicht möglich sein: Ein sich rational verhaltendes Individuum müßte zwar keinesfalls immer die ex post objektiv richtige Entscheidung treffen, es sollte aber die möglichen Handlungen allein nach ihrem Inhalt bewerten und bei wie hier evident - gleichem Aussagegehalt keine der Alternativen bevorzugen. Relevant für die ökonomische Rechtsbetrachtung ist auch die „Selbstüberschätzungs-Anomalie"156, nach der Menschen ihre Fähigkeiten nicht zutreffend (oder jedenfalls um ihr tatsächliches Können normal verteilt) einschätzen, sondern zu einer systematischen Selbstüberschätzung neigen. Solche Fehleinschätzungen beruhen zumeist auf dem schwierigen Umgang mit geringen Wahrscheinlichkeiten und fuhren daher insbesondere im Bereich von seltenen Ereignissen zu einem zu niedrigen Vorsorgeaufwand 157. Während sich die genannten Anomalien in der Tat kaum mit der Annahme rationalen Verhaltens vereinbaren lassen, gibt es andere „Anomalien", die ihrem Namen nicht gerecht werden: So führen Homann/Suchanek158 das Beispiel an, nach dem geschenkte Theaterkarten signifikant häufiger verfallen als selbst gekaufte. Dies kann aus Sicht des Akteurs allerdings schon deshalb rational sein, weil ihm eine selbst erworbene Karte typischerweise einen höheren Nutzen stiftet. In diesem Fall nämlich hat er das Schauspiel selbst ausgesucht und eigens dafür eine Karte gekauft; der Preis der Karte spiegelt dabei nicht unbedingt seine tatsächliche Wertschätzung wieder. Selbst wenn man aber vernachlässigt, daß eine selbst ausgesuchte Theaterkarte regelmäßig einen höheren Nutzen stiften dürfte als eine geschenkte, ist dieser Sachverhalt noch auf andere Weise mit der Rationalitätshypothese der ökonomischen Theorie vereinbar: Während nämlich eine geschenkte Theaterkarte das Vermögen des einzelnen erhöht, bleibt dieses im Falle des Eigenerwerbs gleich groß, wobei lediglich eine Position „Bargeld" in eine „Theaterkarte" umgewandelt wird. Geht man nun vom sinkenden Grenznutzen des Einkommens 159 aus, wird deutlich, warum die geschenkte Theaterkarte als geringwertiger erachtet wird als die selbst gekaufte: Im Verhältnis zum gesamten Vermögen hat die Karte einen geringeren Wert. Ein anderes Beispiel dafür, daß die Rationalitätsannahme nicht allzu schnell aufgegeben werden sollte, ist das Phänomen von Investitionsentscheidungen. So läßt sich beobachten, daß Manager Investitionen tätigen, aus denen zwar schnellere und/oder weniger risikobehaftete, oft aber auch 156
Dazu z.B. Eichenberget, S. 13 f., 27. Am Beispiel von Naturgewalten z.B. Jolls/Sunste in! Thaler, SLR 1998, 1471, 1519. 158 Homann/Suchanek, S. 417 f. 159 Nach der Theorie vom sinkenden Grenznutzen des Einkommens stiftet der erste Euro seinem Inhaber mehr Nutzen als jeder weitere, da mit steigendem Einkommen das Geld für immer weniger existentielle Bedürfnisse genutzt wird; vgl. z.B. Calabresi, HLR 1979/80, 553, 556 f. 157
II. Das ökonomische Paradigma
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niedrigere Rückflüsse zu erwarten sind als aus anderen Kapitalanlagen. Weisen die getätigten Investitionsentscheidungen gegenüber den nicht verwirklichten einen geringeren Kapitalwert auf, sind also für das Unternehmen objektiv als inferior charakterisierbar, dann scheint die Entscheidung des Managers auf den ersten Blick irrational zu sein. Die Erklärung seines Verhaltens mit der Annahme von „bounded rationality" übersieht jedoch, daß die Präferenzen der Manager hier u.U. oftmals nicht mit dem Ziel der Unternehmenseigner übereinstimmt, welche eine langfristige Gewinnmaximierung anstreben. Die Manager werden nämlich vor allem an ihren kurzfristigen Erfolgen gemessen und nehmen insofern gewisse Abstriche bei den Investitionsrückflüssen in Kauf, um eine schnellere und sicherere Rendite zu erzielen 160. Hier zeigt sich, daß im ersten Eindruck „irrationales" Verhalten oftmals für den einzelnen Manager durchaus rational sein kann, wenn man seine Situation und damit auch seine Präferenzen richtig erfaßt. Insofern muß - bevor ein Verhalten als der Rationalitätsannahme widersprechend angesehen wird - eine intensive Suche nach anderen Präferenzen als Grund für das beobachtete Verhalten erfolgen 161. Diese Präferenzen können zwar oft schwierig zu erforschen und zu modellieren sein, dürften aber eine Vielzahl vermeintlicher Anomalien letztlich doch als rationales Verhalten erklären. Dies erklärt, weshalb Ökonomen 162 oft davor warnen, die Rationalitätsannahme vorschnell aufzugeben; sie wird als für die Sozialwissenschaften ebenso wichtig angesehen wie das Kausalitätsprinzip für die Naturwissenschaften 163. Trotzdem kann die grundsätzliche Existenz von Anomalien nicht geleugnet werden. Bereits der dargestellte kleine Ausschnitt heute bekannter Anomalien könnte daher Zweifel an der Zweckmäßigkeit der Rationalitätsannahme des ökonomischen Verhaltensmodells begründen. Immerhin scheinen einige Irregularitäten dafür zu sprechen, daß die Individuen vor ihrer Entscheidung überhaupt nicht kalkulieren, sondern rein intuitiv vorgehen (vgl. hierzu z.B. die „Framing-Anomalie"). Es gibt jedoch gute Argumente dafür, diese Anomalien zwar zur Kenntnis zu nehmen und bei der Betrachtung zu berücksichtigen, sie in ihrer Bedeutung aber nicht zu überschätzen: So handelt es sich zum einen bei den aufgezeigten Irregularitäten häufig um Phänomene von begrenzter Reichweite 164 , die keinesfalls geeignet sind, das gesamte ökonomische Verhaltensmodell zu entwerten. Zweitens kann man in vielen Lebensbereichen davon ausgehen, daß aufgrund wettbewerblichen Drucks Anomalien evolutorisch nicht stabil sein werden 165 , da die den Anomalien unterliegenden (und damit ausbeutbaren) Individuen und v.a. Unternehmen durch den Wettbewerb 160 161 162 163 164 165
So auch Narayanan , JoF 1985, 1469 ff.; ders., JoB 1985, 309 ff. Homann/Suchanek, S. 418; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 15. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 15 f. So z.B. Kirchgässner, JZ 1991, 104, 107; ders., Homo Oeconomicus, S. 18. Homann/Suchanek, S. 417. Kunz in Druwe/Kunz, S. 103 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 67.
A. Grundlagen
46
verdrängt werden. Drittens gilt besonders für die ökonomische Betrachtung des Rechts, daß es nicht so sehr darum geht, individuelles Verhalten „aus dem Nichts heraus" zu prognostizieren. Vielmehr sollen systematische Verhaltensänderungen auf veränderte Restriktionen untersucht werden. Die veränderte Anreizsituation läßt - ähnlich wie im Fall der eingeschränkten Rationalität auch dann noch Schlüsse auf Verhaltensänderungen zu, wenn diese nicht auf rein rationalen Erwägungen beruhen. Lediglich die genaue Quantifizierung des Verhaltens (wie dies vom neoklassischen Modell angestrebt wird) wird dadurch erschwert. Viertens und letztens ist zu erwarten, daß individuelle Anomalien oft durch Aggregation auf der Makro-Ebene weggefiltert werden 166 , solange ihnen nicht die überwiegende Anzahl von Wirtschaftssubjekten erlegen ist. Insgesamt verstärkt also die Erkenntnis, daß das ökonomische Verhaltensmodell - wie alle wissenschaftlichen Modelle 167 - mit Anomalien zu kämpfen hat, die bereits oben gewonnene Einsicht, daß ein Zugrundelegen des Modells vom homo oeconomicus in verschiedenen Anwendungsbereichen unterschiedlich fruchtbar ist. Die Bedeutung der Anomalien für den zu untersuchenden Bereich ist situativ zu prüfen und aufzudecken, um den möglicherweise reduzierten Erkenntniswert der ökonomischen Betrachtung nicht zu verschleiern. d) Der homo oeconomicus: Menschenbild vs. Analysekonstrukt Mit der oben aufgeworfenen Frage nach dem Realitätsgehalt des ökonomischen Verhaltensmodells hängt das Problem seiner Bedeutung für die Ökonomik eng zusammen. Kritiker werfen dem homo oeconomicus immer wieder vor, ein verzerrtes Menschenbild zu zeichnen, vor dem es ihnen „schaudern mach(e)" 168 . Diese Einschätzung rührt nicht zuletzt von einem etwas sorglosen Umgang mit dem Begriff „Menschenbild" durch die Befürworter des ökonomischen Verhaltensmodells her. So spricht z.B. Kirchgässner im Zusammenhang mit dem homo oeconomicus ausdrücklich von einem „Menschenbild" 169 . Jedoch versteht er diesen Begriff offenbar nicht in seiner weiten Bedeutung als „umfassendes, positive und normative Aspekte integrierendes Bild vom R e n schen' in der ganzen Breite und Fülle seiner historischen, gegenwärtigen und zukünftigen Existenz" 170 , sondern schränkt seine Einschätzung an anderer Stelle selbst dahingehend ein, daß der homo oeconomicus „nicht ,umfassend'" 171 verstanden werden dürfe.
166 167
Plumper in Druwe/Kunz, S. 164 ff. Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 221.
168
Fezer, JZ 1986, 817, 822; ähnlich, wenn auch der Ökonomik positiver gegenüberstehend, Kreutz, NZA 2001, 472; vgl. dazu auch die Darstellung bei Dahrendorf S. 70 f. 169
Kirchgässner in Engel/Morlok, S. 56; ders. y JZ 1991, 104, 105. So aber Homann/Suchanek, S. 426, die deshalb im homo oeconomicus auch gerade kein Menschenbild sehen. 171 Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 291. 170
II. Das ökonomische Paradigma
47
Nach ganz überwiegender Ansicht ist nämlich der homo oeconomicus gerade kein Menschenbild (und schon gar kein „normatives Ideal" 172 ), sondern vielmehr nur ein rein heuristisches Analysekonstrukt 173. Dafür spricht zum einen, daß Gegenstand der Wirtschaftswissenschaft nicht die Erklärung der Motivation individuellen Verhaltens ist, sondern vielmehr die aus dem eigenverantwortlichen Verhalten resultierende Analyse gesamtgesellschaftlicher Folgen. Die Frage nach den Motiven unterfällt dagegen eher den Disziplinen der Psychologie und der Soziologie 174 , weshalb die Ökonomik eine solche Betrachtung weder anstellen muß noch will. Zum anderen sind sich die Ökonomen auch durchaus bewußt, daß ihre Disziplin gar nicht in der Lage sein kann, menschliches Verhalten in seiner Gesamtheit zu erfassen: „Jeder Mensch ist unendlich viel mehr, als dieses - oder jedes andere - Modell je begrifflich erfassen könnte" 175 . Insofern kommt es nach Ansicht vieler auf den Realitätsgehalt der zugrundeliegenden Annahmen überhaupt nicht an 176 . Vielmehr entscheide über die Werthaftigkeit eines Modells allein seine prognostische Qualität, also ob sich die ex ante getroffenen Aussagen - unabhängig davon, ob das Ergebnis allein, überwiegend oder auch gar nicht aus den zugrundegelegten Annahmen resultiert - ex post bestätigen. Dagegen hält eine andere Ansicht 177 die Realitätsnähe der dem Modell zugrunde gelegten Annahmen nicht für völlig unerheblich. Ihre Forderung nach einer gewissen Realitätsnähe scheint insofern plausibel, als eine völlig von der Wirklichkeit losgelöste Betrachtung eine erhebliche Gefahr birgt: So werden zwar möglicherweise auch von realitätsfernen Modellen richtige Prognosen aufgestellt. Diese basieren aber u.U. im wesentlichen auf anderen als den unterstellten Präferenzen, wobei die tatsächlichen Motive die unterstellten dominieren und insofern nur zufällig gleiches Verhalten bewirken. Wird nun auf dieser realitätsfernen Analyse eine normative Handlungsempfehlung abgegeben, dann wird diese oftmals deshalb nicht greifen, da die unterstellten Wirkungsmechanismen nicht der Wirklichkeit entsprechen. Insofern sollte - entgegen der erstgenannten Ansicht - der Realitätsgehalt der Theorie nicht völlig ausgeblendet werden. Trotzdem ist der homo oeconomicus nicht - wie oft kritisiert - als ein Menschenbild, sondern als ein Analysekonstrukt zu verstehen, bei dem die Realitätsnähe zwar nicht im Vordergrund steht, für die Überzeugungskraft und den Prognosewert des Modells aber keinesfalls unerheblich ist.
172
Darauf weisen HomannlSuchanek, S. 425 zurecht hin; ebenso Blaschczok, S. 276 f.
173
Friedman in Friedman, S. 8 f., 40 f.; Homann, JbfNPÖ 1988,99, 118; ders., FS-Hesse, S. 396; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 13, 18; Pies, S. 95, 141, differenzierend auf S. 189 f f ; Dahrendorfs. 70 f., Posner, Economic Analysis, S. 17 ff.; Eidenmüller, JZ2001, 1041, 1045. 174
Dazu auch HomannlSuchanek, S. 419, 427, 442 ff.
175
HomannlSuchanek, S. 423. Friedman in Friedman, S. 8 f., 40 f.; Pies, S. 95, 141. ErleilLeschkelSauer land, S. 16; HomannlSuchanek, S. 418.
176 177
48
A. Grundlagen
e) Anwendungsbereich des ökonomischen Verhaltensmodells Nachdem der Realitätsgehalt des homo oeconomicus nach hier vertretener Ansicht also von Bedeutung für den Aussagewert der ökonomischen Theorie ist, ergibt sich die Antwort auf die Frage nach dem Anwendungsbereich des ökonomischen Verhaltensmodells für das Recht wie von selbst: Der homo oeconomicus ist immer dann zu berücksichtigen, wenn er das Verhalten der Rechtsunterworfenen hinreichend genau beschreibt. Dabei kann auf zwei verschiedene Arten vorgegangen werden. Man kann entweder die dem Modell zugrundeliegenden Annahmen erweitern, so daß dieses auf immer mehr Sachverhalte anwendbar ist. Oder man behält die Reduktion auf wenige Grundannahmen bei, um die einfache Handhabbarkeit des Modells zu gewährleisten, muß sich dann aber mit einem engeren Anwendungsbereich abfinden. aa) Erweiterung des Modells zur umfassenden Darstellung Den ersten Weg gehen viele Vertreter der neoinstitutionellen Ausprägung des ökonomischen Verhaltensmodells 178, indem sie sich verstärkt mit der Annahme der „bounded rationality" befassen, sowohl die Präferenzen als auch den Eigennutzbegriff in seiner weiten Form zu modellieren versuchen und teilweise sogar eingeschränkte Willensstärke 179 berücksichtigen. Dadurch nähert sich die Ökonomik immer stärker anderen Verhaltenswissenschaften wie der Soziologie und der Sozialpsychologie an 180 , was wiederum eine intensivere Einbeziehung dieser Nachbarwissenschaften nötig macht. Ein solcher Weg wird besonders von den Autoren beschritten, die das ökonomische Verhaltensmodell zur Grundlage einer umfassenden realwissenschaftlichen Betrachtung des Rechts machen wollen 181 . Der Preis für einen derartig weitreichenden Anwendungsbereich des homo oeconomicus ist, daß das Modell stärker von empirischen Daten abhängig wird und seine einfache Handhabbarkeit verliert 182 .
178
Eggertsson in Newman, Bd. 2, S. 666; Coase, ZgS 1984, 229, 231; Führ, Grundlagen, S. 52 f.; Feldmann, Ordnungstheoretische Aspekte, S. 297; Richter/Furubotn, S. 3 f. 179 Z.B. Selten, JITE 1990, 649, 656; all dies vereinigt der in den USA unter dem Namen „Behavioral Law and Economics" diskutierte Ansatz, dessen Darstellung sich findet bei Jolls/Sunstein/Thaler, SLR 1998, 1471 ff.; ähnlich hierzu Korobkin/Ulen, CLR 2000, 1051 ff.; vgl. dazu aber auch die Kritik von Posner, SLR 1998, 1551 ff. und Engert, ARSP 2002, 130, 131. Explizit gegen die Neue Institutionenökonomik: Posner, JITE 1993, S. 73 ff. 180 Führ, Grundlagen, S. 31 f., 51 f.; Albert, Marktsoziologie, S. 47 f., 51 f., 131 ff.; Deckert in Hof/Schulte, S. 183; Morlok in Engel/Morlok, S. 24 (Fn. 62). 181 So z.B. Albert, Rechtswissenschaft, S. 7 ff.; Eidenmüller, JZ 1999, 53 ff.; Führ, Grundlagen, S. 26 ff.; Kirchner, ökonomische Theorie des Rechts, S. 18. 182 Vgl. Selten, JITE 1990, 649, 656; Deckert in Hof/Schulte, S. 183; Führ, Grundlagen, S. 52 f.
II. Das ökonomische Paradigma
49
bb) Reduzierung des Modells zur einfachen Handhabung Den zweiten Weg dagegen schlagen z.B. Homann/Suchanek183 ein, indem sie die Anwendbarkeit des homo oeconomicus auf Situationen mit DilemmaStrukturen beschränken, also auf Konstellationen, in denen konfligierende individuelle Interessen zwischen Wirtschaftssubjekten bestehen. Solche Situationen seien zwar in nahezu allen Lebensbereichen auffindbar, womit sich die große Reichweite der ökonomischen Analyse begründe. Andererseits dürfe dies aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die hochselektive Problemstellung eben gerade nicht für alle Bereiche gleichermaßen tauge 184 . Dabei ist für die Anwendbarkeit des reduzierten Verhaltensmodells festzuhalten, daß Materialismus für die zu modellierende reale Betrachtungsgruppe nicht unbedingt das alleinige nutzenstiftende Motiv sein muß. Es können auch andere, nicht monetarisierbare Beweggründe das Verhalten der Individuen beeinflussen. Um mit dem reduzierten Modell jedoch zu verläßlichen Aussagen zu gelangen, müssen die materiellen Motive die immateriellen Beweggründe in ihrer Intensität zumindest dominieren. Je geringer die Bedeutung der monetarisierbaren Motive ist, desto weniger werden nämlich Vermögenszuwächse den Nutzen des Individuums erhöhen und desto weniger stark wird sich die Verhaltensänderung des einzelnen auf geldwerte Anreize auswirken. Das heißt nicht, daß solche Anreize sein Verhalten ceteris paribus nicht auch verändern. Es besteht jedoch die Gefahr, daß ihre Auswirkungen durch andere Motive überkompensiert werden. Welche Rolle die materiellen bzw. übrigen Beweggründe im jeweils mit dem ökonomischen Verhaltensmodell zu untersuchenden Sachverhalt tatsächlich spielen, ist im Einzelfall zu ermitteln, um sich nicht dem immer wieder von Kritikern 185 gemachten Vorwurf auszusetzen, mit Hilfe der ökonomischen Theorie völlig ungeeignete Zusammenhänge zu analysieren 186. Dabei wird man im Öffentlichen Recht 187 und vor allem im Strafrecht 188 tendenziell kritischer eingestellt sein müssen als im Zivilrecht, welches in weiten Teilen auf materiellen Leistungsaustausch gerichtet ist. Im Ergebnis ist nach dieser Ansicht mit der Reduktion des Modells gleichzeitig eine Beschränkung seiner Allgemeingültigkeit verbunden, die
183 Homann/Suchanek, S. 419 f f , 426; ebenso Erlei! Leschke/Sauerland, S. 3; ähnlich schon Eder, ZflRS 1986, 1, 16. 184 Zur Reichweite: Homann/Suchanek, S. 433 ff.; zu den Einschränkungen: dies., S. 429, 441 f. 185 Vgl. z.B. Fezer, JZ 1986, 817, 822 f. 186 Führ, Grundlagen, S. 36; Homann, FS-Hesse. S. 401 ff.; auch Behrens, Die ökonomischen Grundlagen, S. VIII hält die Offenlegung der zugrunde gelegten Annahmen für den Erfolg der ökonomischen Rechtsbetrachtung für essentiell. 187 Kritisch für das Verwaltungsverfahren: Voßkuhle, Die Verwaltung 2001, 347, 368; positiver: Kirchner in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, S. 78 ff.; Salje, RT 1984, 277, 291 ff. 188 Mercuro, S. 183; zur ökonomischen Theorie des Selbstmords vgl. Hamermesh/Soss mit der Kritik von Prisching, ZfpF 1983, 256, 263 und Kirchgässner, JbfNPÖ 1988, 128, 140.
4 Janson
A. Grundlagen
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letztlich zu Lasten des „Universalitätsanspruchs" 189 der Ökonomik geht: Diese überschreitet zwar immer noch die Grenzen ihres klassischen, rein wirtschaftlichen Anwendungsbereichs und definiert sich weiterhin vor allem über ihre Methode. Sie nähert sich aber zumindest wieder stärker den vom „Wirtschaften" geprägten Sachverhalten an. Bei der Unterstellung reiner Kostenkalkulation ist der homo oeconomicus demnach primär in solchen Bereichen anwendbar, in denen es um monetarisierbare Sachverhalte geht. cc) Würdigung der beiden Ansätze Welche der beiden Möglichkeiten man wählt, ist im Endeffekt von der Ökonomik nicht vorgegeben. Es bietet sich an, je nach Situation zu entscheiden, ob das „sparsamere" Modell dem Sachverhalt hinreichend gerecht wird; dann ist es aus Gründen der Einfachheit dem komplexeren neoinstitutionellen Modell vorzuziehen 190. Ansonsten bedarf es - je nach Sachlage - weiterer Annahmen, die in das Modell implementiert werden können. Diese sind freilich als zwar bewußte, aber oftmals nicht unbedingt zwingende Auswahl zusätzlicher Elemente aufzudecken und damit der Diskussion zugänglich zu machen191. In keinem Fall darf jeder beliebige Lebenssachverhalt mit dem ökonomischen Verhaltensmodell zu lösen versucht werden, indem die Realität an das Modell angepaßt wird 192 . Es ist nämlich nicht die Reduktion der Komplexität als solche, die immer wieder Zweifel an der ökonomischen Betrachtungsweise aufkommen läßt 193 ; eine solche Reduktion liegt in der Natur eines jeden Modells, welches gerade dazu dient, ein komplexes Problem durch Vereinfachung anschaulich zu machen. Zurecht wird oft darauf hingewiesen, daß eine „Landkarte im Maßstab 1:1" 194 keinerlei Nutzen entfaltet. Ein wichtiger Grund für die teils heftige Kritik an der ökonomischen Theorie des Rechts dürfte aber die Tatsache sein, daß einer ihrer „Urväter", Richard Posner, die mit dieser Reduktion verbundenen Einschränkung nicht gelten läßt: Er versucht, mit Hilfe des reduzierten Modellmenschen sämtliche Sachverhalte zu behandeln, unabhängig davon, ob die von ihm an den homo oeconomicus gestellten Voraussetzungen auf die jeweilige Problemstellung passen oder nicht. Ein solches Vorgehen bringt jedoch die ökonomische Theorie in Mißkredit 195 und fordert Kritiker immer wieder (und in diesem Zusammenhang auch völlig berechtigt) heraus. Demnach erscheint es für eine seriöse Betrachtung auf 189 Becker, S. 2; Posner, HLR 1981, 775, 780. Kritisch zu diesem Anspruch Burrows/Veljanovski in dies., S. 15 sowie Fezer, JZ 1986, 817, 819 und sogar Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 214 f. 190 Ähnlich auch Führ, Grundlagen, S. 47, 79 f. 191 192
Führ, Grundlagen, S. 53.
Davor warnt zurecht Blankenburg, ZfRS 1986, 242, 243. So aber - in ähnlichem Kontext - ein weiterer Vorwurf von Fezer, JZ 1986, 817, 823; dagegen für Modelle als unentbehrliches Erkenntnismittel z.B. Kaiser, FS-Hallstein, S. 266. 194 Deshalb für reduzierende Modelle: Varian, S. 1; Schmidtchen in Schmidtchen, S. 14. 195 Blaschczok, S. 245; ähnlich Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 34; Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 214 f. 193
II. Das ökonomische Paradigma
51
Grundlage der ökonomischen Methode unumgänglich, sich entweder damit abzufinden, daß die Ökonomik für bestimmte Bereiche weniger geeignet ist als für andere, oder die dem Modell zugrundeliegenden Annahmen zu erweitern in dem Wissen, mit jeder weiteren Konkretisierung den Modellcharakter des homo oeconomicus durch Erhöhung der Komplexität herabzusetzen und die Grenzen zu anderen Sozialwissenschaften zu überschreiten. Die zu fordernde Korrespondenz zwischen der Komplexität des Modells und dem sachlichen Anwendungsbereich ist zwar bereits für die von ihrem Charakter her in erster Linie 1 9 6 positive ökonomische Theorie relevant. Wenn sie nicht berücksichtigt wird, ist das im Rahmen der positiven Betrachtung jedoch noch weitgehend unproblematisch 197. Legt man nämlich ein stark vereinfachtes Modell zugrunde, welches dem zu untersuchenden realen Sachverhalt nicht entspricht, so erhält man im schlimmsten Fall Ergebnisse, die in der Realität nicht beobachtet werden können und die deshalb ex post empirisch wieder verworfen werden müssen. Ganz anders ist dies, wenn der ökonomischen Theorie auch normative Bedeutung zukommen soll. Im Rahmen einer normativen Betrachtung kann die übermäßige Verkürzung des Modells nicht nur zu fehlerhaften Verhaltens/?rog/7as£;7, sondern letztlich zu falschen Handlungsempfehlungen führen: Werden nämlich die auf Grundlage des reduzierten Verhaltensmodells gefundenen Ergebnisse für die normative ökonomische Theorie genutzt und „zur - möglichst alleinigen - Richtschnur politischer Gestaltung gemacht" 198 , dann greifen die empfohlenen Maßnahmen u.U. deshalb nicht, weil sie nicht bei den tatsächlichen Präferenzen der Individuen ansetzen. In diesem Fall führt die ökonomische Theorie bestenfalls noch zu zufällig richtigen Ergebnissen. Daher ist für die normative ökonomische Rechtstheorie um so mehr eine Kongruenz von Komplexität des Modells und sachlichem Anwendungsbereich zu fordern. f) Auswirkungen des ökonomischen Verhaltensmodells Daß der homo oeconomicus keinesfalls das „normative Ideal" der Ökonomik vom tatsächlichen Menschen ist, wurde bereits angemerkt. Von Kritikern wird jedoch immer wieder skeptisch geäußert, die permanente Konfrontation mit dem ökonomischen Verhaltensmodell präge den Charakter des Menschen und verderbe so seine Moral, weshalb das Modell abzulehnen sei 199 . Für die ökonomische Rechtstheorie ist dieser Vorwurf insofern von großer Bedeutung, als vom Recht immer wieder gefordert wird, es solle auf die Rechtsunterworfenen zumindest auch normativ einwirken und moralisches Handeln fördern 200. Eine
196
Kirchgässner, JZ 1991, 104, 105; Kirchner, FS-Beisse, S. 272, 277, 286. Eidenmüller, Effizienz, S. 40 f.; Führ, Ökonomisches Prinzip, S. 11; Martiensen, S. 145. 198 Führ, Ökonomisches Prinzip, S. 11; Baker, PPA 1975, 3, 47 f. 199 Vgl. die Darstellung bei Homann/Suchanek, S. 462 f f ; das Problem aufwerfend, ohne jedoch die ablehnende Schlußfolgerung zu ziehen: Morlok in Engel/Morlok, S. 17. 200 Vgl. nur Kopp in Bartlsperger, S. 59 (mwN). 197
4'
A. Grundlagen
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Berücksichtigung des ökonomischen Verhaltensmodells im Recht könnte dieser Funktion daher zuwider laufen. Gegen die These, der homo oeconomicus dürfe aufgrund der von ihm ausgehenden Verhaltensprägung für die Rechtsordnung keine Rolle spielen, lassen sich aber zwei Argumente vorbringen: Erstens kann man geteilter Ansicht darüber sein, inwieweit das Rechtssystem auf ein möglicherweise höchst effektive 2 0 1 Normen generierendes Instrument wie den homo oeconomicus verzichten sollte, um seinen moralisch-pädagogischen Auftrag zu erfüllen. Das gilt vor allem vor dem Hintergrund, daß das Recht ohnehin nur mittelbar auf die Moral einwirken kann, da sich moralisches Handeln nicht mit Zwang durchsetzen läßt. Insofern kann die Rechtsordnung ohnehin nur ein „ethisches Minimum" 2 0 2 vorgeben und sich von dort aus der Moral so weit wie möglich zu nähern versuchen, ohne sie jemals zu erreichen 203. Zweitens stellt sich aber vor allem die Frage, ob die beiden Aussagen, die Anwendung des ökonomischen Verhaltensmodells präge den Charakter des Menschen und das Recht müsse moralisches Handeln fördern, wirklich unvereinbar nebeneinander stehen. Es ist nämlich durchaus denkbar, daß das Recht gerade durch die Konfrontation der Individuen mit dem ökonomischen Modell moralisches Handeln zu fördern vermag. In der Tat spricht einiges dafür, daß die Verinnerlichung von Kosten/Nutzen-Abwägungen das Denken und Handeln der Rechtsunterworfenen prägt 204 . Insofern kann die Konfrontation der Akteure mit dem ökonomischen Verhaltensmodell aber auch als „Schutz des einzelnen vor Ausbeutung" verstanden werden. Immer wieder sind Normen derart ausgestaltet, daß sie die Ausnutzung einer Partei durch die andere zulassen, wenngleich das Recht diese Fälle weitgehend auszuschließen versucht. Läßt aber eine Norm die Besserstellung einer Partei zu, so ist davon auszugehen, daß es stets Individuen gibt, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden. Als Folge daraus wird in diesen Fällen moralisches Verhalten nicht dauerhaft zu erwarten sein 205 . Solches Verhalten wird nämlich vor allem dann nicht praktiziert, wenn es den moralisch Handelnden unentwegt schlechter stellt und ihn damit für sein an sich wünschenswertes Handeln bestraft 206. Insofern kann durch verstärkte Sensibilisierung für diese Gefahr dem einzelnen die Chance gegeben werden, gegen eine mögliche Ausbeutung durch andere Individuen institutionelle Vorkehrungen zu treffen. Die 201 Unter „Effektivität" wird hier eine möglichst weitgehende Zweckerreichung verstanden, vgl. auch von Arnim, S. 51; Friedman, JbfRR 1972, S. 206 ff. Dazu auch unten C.1.1. 202
Jellinek, Die sozialethische Bedeutung, S. 45. Zum ganzen Rehbinder, Einführung, S. 151 mit einem Verweis auf Kant. 204 Vgl. z.B. Tenbruck., S. 29 f.; Martiensen, S. 111; Morlok in Engel/Morlok, S. 17; Führ, Grundlagen, S. 79; letztlich gestehen auch Homann/Suchanek, S. 462 ff. eine solche Prägung zu. Siehe als Beispiel schon den Brief von Max Weber unter A.II.3.b)bb)(2)(c) (Fn. 109). 203
205 Symptomatisch hierzu die - medienwirksame - Diskussion um die Ausnutzung von Steuerschlupflöchern durch Zahlung von Nacht- und Feiertagszuschlägen durch Fußball-Vereine. So titelt das Handelsblatt v. 19/20.09.2003 (Nr. 181), S. 48: „Gesetzlich korrekt und moralisch verwerflich". 206 So auch Pies, S. 185 f.; Homann/Suchanek, S. 463 f.
II. Das ökonomische Paradigma
53
Sensibilisierung der Akteure für dieses Problem wirkt dann also gerade nicht moralerodierend, sondern moralstabilisierend. Zudem wird im Endeffekt ein ethisch wünschenswertes Ergebnis erzielt, ohne daß es notwendigerweise auf ein Moralbewußtsein der Beteiligten ankommt. Zwar bleibt es ihnen weiterhin unbenommen, sich moralisch zu verhalten. Sie werden dies aber nicht mehr blind-naiv tun, sondern unter erhöhter Aufmerksamkeit für daraus möglicherweise resultierende Gefahren 207. Der Kenntnis und dem selbständigen Umgang mit solchen Gefahren liegt wiederum das Bild vom selbständigen, mündigen Individuum zugrunde, auf dem auch das Rechtssystem basiert 208. g) Gesamtwürdigung Das ökonomische Verhaltensmodell zeichnet sich primär durch die Trennung von Restriktionen und Präferenzen aus. Es dient der systematischen Verhaltenserklärung und -prognose von Aggregaten, nicht von einzelnen Akteuren. Dabei ist der homo oeconomicus generell offen für alle Arten von Vorlieben und Geisteshaltungen und insofern nicht auf die oft unterstellten Eigenschaften des Materialismus und des Egoismus beschränkt. Diese Einschränkungen rühren von der in der Neoklassik betriebenen 209 Reduzierung des Blickwinkels der Wirtschaftswissenschaften auf den rein güterwirtschaftlichen Bereich her und sind insofern in keinem Fall dem Modell als solchem anzulasten. Vielmehr ist mit der Ausweitung des Anwendungsbereichs auf nicht-marktliche Sachverhalte auch die Reduktion der Präferenzen wieder rückgängig zu machen, zumindest dann, wenn auch eine normative ökonomische Betrachtungen erfolgen sollen. Seinen schlechten Ruf „verdankt" der homo oeconomicus nämlich in erster Linie der Tatsache, daß mit der Beschränkung des Anwendungsbereichs auch das Modell auf wenige Annahmen reduziert wurde, die Komplexität aber mit der erneuten Ausweitung des Gegenstandsbereichs nicht in gleichem Maße erhöht wurde. Unabhängig von der Existenz von Anomalien dürfte die richtige Modellierung der Präferenzen ein größeres Problem darstellen als die Zugrundelegung von Rationalität, wenngleich letztere in jüngerer Vergangenheit der Hauptkritikpunkt am ökonomischen Verhaltensmodell war. Um im Falle einer Erweiterung des Modells durch z.B. die Öffnung der Präferenzen Tautologien zu vermeiden, bedarf es noch erheblicher empirischer Arbeit, die bislang nur sehr spärlich geleistet worden ist. Keinesfalls ist der homo oeconomicus als umfassendes Menschenbild mißzuverstehen. Es handelt sich bei ihm vielmehr um ein reines Analysekonstrukt, bei dem sich durch unterschiedliche Annahmen verschiedene Aspekte menschlichen Verhaltens beobachten und antizipieren lassen. Dabei sind die zugrundeliegenden Hypothesen dem Rechtsdenken weit weniger fremd, als Kritiker des 207 208 209
Homann/Suchanek, S. 463. Dazu bereits unter A.II. 1.; ähnlich auch Homann/Suchanek, S. 464. Vgl. dazu Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 10.
A. Grundlagen
54
ökonomischen Verhaltensmodells oft glauben machen wollen 210 . Es ist nämlich zu berücksichtigen, daß sich auch das Recht, dem es unter anderem auf eine Verhaltenssteuerung ankommt, eine Vorstellung von seinem Adressaten machen muß 211 . Ein sich willkürlich verhaltendes, also nicht rational die Vorund Nachteile seines Handelns bewertendes Individuum ließe sich über Rechtsnormen gar nicht oder nur höchst zufällig in seinem Verhalten beeinflussen und liegt insofern auch der Rechtswissenschaft nicht zugrunde. Allerdings sind die vom Recht angebotenen Alternativen kaum als solche zu bezeichnen: Formeln wie der „verständige Durchschnittsmensch", der „billig und gerecht Denkende" oder der „Verbraucher" können wohl kaum als überlegene Konstrukte angesehen werden, um der Vielschichtigkeit des Rechts gerecht zu werden und eine gewisse intersubjektive Nachvollziehbarkeit zu garantieren 212. Auch die übrigen Sozialwissenschaften sind nicht in der Lage, ein alternatives Modell zu entwickeln, welches den Platz des homo oeconomicus in puncto Realitätsnähe oder Prognosequalität streitig machen könnte 213 . Nicht umsonst wird das ökonomische Verhaltensmodell als das am weitesten fortentwickelte angesehen214. Der homo oeconomicus kann für die Formulierung von Gesetzen besonders dort von Nutzen sein, wo der einzelne vor einer Ausnutzung durch die übrigen Rechtsunterworfenen geschützt werden soll. Zudem kann durch richtige Anreizsetzung eigennütziges Verhalten in sozial wünschenswerte Bahnen kanalisiert werden. Zur Verhaltensanalyse eignet sich das reduzierte neoklassische Grundmodell typischerweise besser für Unternehmer als für Private, da erstere sich aufgrund des Wettbewerbsdrucks quasi permanent in einer „Dilemma-Struktur" befinden; dennoch wird sich auch das Verhalten von Bürgern oft mit dem reduzierten Modell erklären lassen. Besonders in „Kleinkostensituationen" ist jedoch erhebliche Vorsicht in bezug auf das unterstellte Eigeninteresse geboten. In den Bereichen, denen das neoklassische Modell mangels Realitätsnähe nicht gerecht zu werden vermag, bedarf es zusätzlicher Annahmen, durch die der homo oeconomicus seine neoinstitutionelle Ausprägung erfährt. Er wird um theoretische und empirische Erkenntnisse aus z.B. der Psychologie und der Soziologie erweitert, wodurch sich sein Anwendungsbereich ausweitet. Der Preis dafür ist, daß das Modell komplexer, empirieabhängiger und weniger einfach handhabbar wird, weshalb es erst dann verwendet werden sollte, wenn
2,0 211 212 213
Vgl. dazu nur A.II. 1.; ebenso Kirchgässner in Engel/Morlok, S. 51; Esserl Schmidt, S. 39. Behrens, ZfA 1989, 209, 212; Kirchner, FS-Beisse, S. 274 f. So auch Lehmann, S. 13; Kühler in Ott/Schäfer, S. 304 f.; Ott, FG-Kübler, S. 25.
Vgl. dazu nur die Darstellung bei Eidenmüller, JZ 1999, 53, 55. Führ, Grundlagen, S. 31; Kirchgässner, JZ 1991, 104, 107; Engel in Engel, S. 36; Popper, Das Elend des Historizismus, S. 110; Homann in Sautter, S. 400 meint, der homo oeconomicus sei in bestimmten Konstellationen das „unübertroffene und unverzichtbare Analyseinstrument". Schon Eugen Ehrlich hielt die Volkswirtschaftslehre für die fortgeschrittenste Gesellschaftswissenschaft, vgl. Rehbinder, Die Begründung der Rechtssoziologie, S. 83. 214
II. Das ökonomische Paradigma
55 215
es in seiner reduzierten Form systematisch zu falschen Ergebnissen fuhrt . Das neoinstitutionelle Verhaltensmodell überschreitet die Grenzen zu den Nachbarwissenschaften und eignet sich so auch als Grundlage für eine umfassende realwissenschaftliche Betrachtung des Rechts. Dabei verliert es jedoch einiges von seinem „typisch ökonomischen" Einschlag 216 , weshalb diese verhaltenswissenschaftlich orientierte Variante des Modells auch als „partielle Soziologie" bezeichnet wird 2 1 7 . Die Ansicht, den homo oeconomicus entweder in seiner neoklassischen oder seiner neoinstitutionellen Ausprägung je nach zugrundeliegender Problemstellung „bereichsspezifisch" 218 einzusetzen, unterscheidet sich z.B. von der Auffassung Posners. Nach Posner kann das gesamte Recht mit Hilfe des neoklassischen Verhaltensmodells betrachtet werden. In der Tat ist zuzugeben, daß Einschränkungen im Anwendungsbereich stets dem Vorwurf ausgesetzt sind, als „ad hoc"-Begrenzungen willkürlich zu sein 219 . Dennoch scheint sich mehr und mehr die Meinung durchzusetzen, daß eine gut begründete Auswahl mit dem ökonomischen Verhaltensmodell zu betrachtender Rechtsprobleme dem blinden Glauben an einen „Generalschlüssel" vorzuziehen ist 220 . Dabei muß innerhalb eines Rechtsgebietes nicht zwingend stets das gleiche Modell verwendet werden: Da es in erster Linie auf die Situation ankommt, in der sich das Individuum befindet, ist es vielmehr möglich, daß sich für die Lösung bestimmter Probleme eines Rechtsgebietes eher der neoklassische, für andere eher der neoinstitutionelle homo oeconomicus anbietet. Unter Umständen können gewisse Fragen desselben Rechtsgebietes für die Berücksichtigung des ökonomischen Verhaltensmodells aber auch völlig ungeeignet sein 221 . Keinesfalls erscheint es angebracht, einen Rechtsbereich vorab prinzipiell von der Betrachtung auszuschließen222. Der bereichsspezifische Einsatz des ökonomischen Verhaltensmodells trägt damit dem Umstand Rechnung, daß auch die ökonomische Theorie Schwächen hat, die sie in bestimmten Szenarien unanwendbar machen. Diese Schwächen jedoch liegen in der Natur sämtlicher Modelle: Posner 223 betont zurecht, Newtons Gesetz fallender Körper gelte im
215 ErleilLeschkelSauerland, S. 15 f.; ähnlich Eidenmüller, JZ 2001, 1041, 1045. Andererseits kann - wie Scheel, S. 274 betont - gerade der mit steigender Komplexität verbundene Verlust an kristalliner Schärfe dazu führen, daß es der auf diese Weise „auf den Boden der Tatsachen" zurückgeholten Ökonomik leichter gemacht wird, sich wieder der Rechtswissenschaft anzunähern. 216 217
Tietzel, JbfSoWi 1981, 115, \31\Führ, Grundlagen, S. 51. Tietzel, JbfSoWi 1981, 115, 117. Ähnlich Morlok in Engel/Morlok, S. 24, Fn. 62; Becker, S. 3.
218
Morlok in Engel/Morlok, S. 22; Führ, Grundlagen, S. 47, der auch noch daraufhinweist, daß je nach Untersuchungsgegenstand verschiedene Aspekte unterschiedlich stark zu betonen sind. 219 220
Vgl. Assmann in Ott/Schäfer, Allokationseffizienz, S. 47; Eidenmüller, Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 214; Führ, Grundlagen, S. 53.
Effizienz, S. 70.
221 So z.B. bei der „diligentia quam in suis" (§ 277 BGB), bei der es um die Ermittlung des subjektiven Sorgfaltsmaßstabs einer bestimmten Person geht, vgl. ?a\andt-Heinrichs, § 277, Rdnr. 5. 222 So auch Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 222. 223 Posner, Economic Analysis, S. 18.
56
A. Grundlagen
Vakuum nicht; trotzdem bestehe an der grundsätzlichen Richtigkeit unter „normalen" Bedingungen kein Zweifel. Sich mit den Schwächen des ökonomischen Verhaltensmodells vertraut zu machen bedeutet demnach nicht, es verwerfen zu müssen; seine Unzulänglichkeiten zu kennen bedeutet vielmehr, es sinnvoll anwenden zu können.
B. Wesentliche Ansätze der ökonomischen Theorie des Rechts Obwohl die ökonomische Rechtstheorie ganz allgemein das Instrumentarium der Wirtschaftswissenschaften auf rechtliche Fragen anwendet1, wird der Begriff der „Ökonomischen Analyse des Rechts" noch immer nahezu ausschließlich mit der Betrachtungsweise der Chicago-School, namentlich mit der von Richard Posner, in Verbindung gebracht2. Zwar dominiert der dort verwendete „PropertyRights-Ansatz" die ökonomische Theorie des Rechts, jedoch sind für die Untersuchung zivilrechtlicher Probleme noch zwei weitere Ansätze, die ebenfalls der Neuen Institutionenökonomik zuzuordnen sind3, relevant: Es handelt sich dabei um die „Transaktionskostenökonomik", sowie um die „Agency-Theorie". Diese insgesamt drei Ansätze sollen - nachdem einige allgemeine Grundbegriffe erörtern wurden - in den folgenden Kapiteln kurz dargestellt werden, um das wesentliche Instrumentarium der positiven ökonomischen Theorie im Zivilrecht zu beleuchten. Der vierte wichtige Ansatz der Neuen Institutionenökonomik, die Verfassungsökonomik 4, bleibt aufgrund der hier gewählten Beschränkung auf den zivilistischen Bereich unberücksichtigt. Bereits an dieser Stelle sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die einzelnen Ansätze weniger als eigenständige, unabhängige Theorien, sondern vielmehr als Strömungen innerhalb der Neuen Institutionenökonomik aufzufassen sind. Dabei gibt es zwischen ihnen - bei allen Unterschieden im Betrachtungswinkel und in der Methode eine Vielzahl von Berührungspunkten und Überlappungen5. I. Grundbegriffe für die neoinstitutionellen Ansätze Da es sich bei der Neuen Institutionenökonomik um einen relativ jungen Forschungszweig handelt, entbehren einige ihrer zentralen Begriffe immer noch einer allgemein anerkannten Definition. Das bedeutet jedoch nicht, daß bestehende Unschärfen eine Arbeit mit der ökonomischen Theorie des Rechts praktisch undurchführbar machen6: Die Definitionen unterscheiden sich allenfalls in 1 2 3
Vgl. dazu bereits unter A.I.2. Kerber in Leipold/Pies, S. 148; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 6.
Kittner, Rdnr. 124; Kerber in Leipold/Pies, S. 148 f.; Picot/Dietl in Ott/Schäfer, S. 306 ff. Vgl. Feldmann, Eine institutional istische Revolution?, S. 53 ff., 75 f f , 84 f f ; kurz zu den Ansätzen z.B. Bonus!Hellinger in Gabler Wirtschaftslexikon, S. 2227 ff.; Thiele, WISU 1994, 993 ff. 5 Picot! Dietl! Franck, S. 54 f. 6 So aber wirkt letztlich der Befund von Eidenmüller, Effizienz, S. 78, 97 ff., 103 ff.; noch pessimistischer Fezer, JZ 1988, 223, 224. 4
58
B. Ansätze der positiven ökonomischen Theorie des Rechts
Randbereichen, sind aber im Kern identisch7. Im folgenden werden zwei zentrale Begriffe, nämlich die „externen Effekte" und die „Transaktionskosten", kurz erläutert. /. Externe Effekte 8
Unter externen Effekten (auch Externalitäten genannt) sind solche Auswirkungen individuellen Verhaltens zu verstehen, die nicht unmittelbar beim Handelnden selbst, sondern bei anderen Rechtssubjekten anfallen. Dabei unterscheidet man zwischen positiven und negativen externen Effekten, je nachdem, ob sie den Nutzen des Betroffenen steigern oder senken. Als typisches Beispiel für eine (sogar gegenseitige) positive Externalität wird oft die Wirkung eines Obstgartens in der Nähe einer Bienenzucht aufgeführt, als klassischer negativer externer Effekt dagegen die Wasserverschmutzung einer Fabrik zu Lasten einer flußabwärts gelegenen Fischerei. Für die Allokation relevant werden Externalitäten dann, wenn sie nicht marktlich gehandelt werden, wenn also der Verursacher die durch ihn verursachten sozialen Kosten nicht in seiner privaten Kalkulation berücksichtigen muß. Kann z.B. die oben genannte Fabrik kostenlos Abwässer in den Fluß einleiten und dabei den Fischfang flußabwärts beeinträchtigen, dann wird sie ihre produktiven Aktivitäten ausdehnen, bis der Erlös des von ihr produzierten Gutes ihre eigenen Kosten gerade deckt9. Entstehen aber durch die reduzierte Fangmenge der flußabwärts gelegenen Fischerei mittelbar von der Fabrik nicht berücksichtigte soziale Kosten, dann ist die Ausbringungsmenge der Fabrik u.U. gesamtwirtschaftlich gesehen zu hoch, bzw. es wird das von ihr produzierte Gut zu günstig verkauft. Auf diese Weise kommt es zu einer ineffizienten Allokation 10 . 2. Transaktionskosten Der Begriff der Transaktionskosten ist für die moderne Ökonomik ebenso grundlegend wie unscharf definiert 11. Im wesentlichen hat sich jedoch in der Institutionenökonomik ein weites Verständnis durchgesetzt. Ganz allgemein fallen Transaktionskosten bei der Errichtung, der Änderung und der Nutzung 7 So auch Schmidtchen, JbfNÖuStat 1998, 251, 255 f., der hierbei auf die dem Recht geradezu immanenten Definitionsschwierigkeiten auch bei zentralen Begriffen hinweist. 8 Vgl. hierzu nahezu jedes Lehrbuch der MikroÖkonomie, z.B. Varian, S. 554 ff. 9 Die Ausweitung der Produktion lohnt sich typischerweise so lange, bis der Marktpreis gleich den Kosten einer weiteren produzierten Einheit (Grenzkosten) ist, vgl. für alle nur Varian, S. 365 f. 10 Gleiches gilt spiegelbildlich für positive externe Effekte, bei denen zu wenig des jeweiligen Gutes bereitgestellt wird, weil der Verursacher nur seinen eigenen Nutzen in die Kalkulation einstellt, den der übrigen Teilnehmer aber vernachlässigt, weil sie ihm die durch die Externalität bewirkte Besserstellung nicht abgelten. 11 Umfassend zum Begriff der Transaktionskosten z.B. Martiensen, S. 271 ff. und Richter! Furubotn, S. 45 f f ; kurz zum unterschiedlich weiten Begriffsverständnis Eidenmüller, Effizienz, S. 97 ff.
I. Grundbegriffe flir die neoinstitutionellen Ansätze
59
von Institutionen aller Art an, also z.B. auf Märkten und in Unternehmen. Sie lassen sich - wie für Kosten üblich - in fixe (zur Errichtung von Institutionen nötige) und variable (zu deren Nutzung nötige) Kosten unterteilen und werden oft als „Reibungsverluste" 12 wirtschaftlicher Tätigkeit angesehen. Insofern handelt es sich um den Komplementärbegriff zu den Produktionskosten 13, wobei sich bei der Abgrenzung Probleme ergeben können. Welche Größenordnung die Transaktionskosten einnehmen, zeigt - unabhängig von den Schwierigkeiten bei der Erfassung der einzelnen Werte — eine Studie von Wallis/North 14 in der für diese Kostenkategorie ein rund 50%iger Anteil am gesamten Bruttosozialprodukt der Vereinigten Staaten ermittelt wird. Daß trotz dieser immensen Bedeutung weiterhin eine knappe, aber trotzdem umfassende und verständliche Definition nicht gefunden werden konnte, ist wohl im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß Transaktionskosten in unterschiedlichster Weise und an den verschiedensten Stellen des Wirtschaftssystems anfallen. Insofern begnügt man sich zumeist mit einer Aufzählung der verschiedenen Tranksaktionskostenarten 15: Man unterscheidet hierbei zwischen Vertragsanbahnungs-, Vereinbarungs-, Vertragsanpassungs-, Kontroll- und Durchsetzungskosten. Für die ökonomische Rechtsbetrachtung lassen sich diese Kosten anschaulich am Beispiel des Kaufvertrages aufzeigen. Bis zum Vertragsschluß fallen neben Vertragsanbahnungskosten (in Form von Such- und Informationskosten) für beide Seiten auch Vereinbarungskosten (z.B. durch aufwendige Verhandlungen oder notarielle Dienste) an. Nach Vertragsschluß dagegen entstehen Kosten durch die Kontrolle der jeweils erhaltenen Leistung und durch möglicherweise notwendig gewordene Vertragsanpassungen. Schließlich kann es auch nötig sein, die vertraglichen Leistungspflichten vor Gericht geltend zu machen, wobei Durchsetzungskosten anfallen. Transaktionskosten können durch technischen Fortschritt oftmals erheblich verringert werden 16. So kann beispielsweise das Internet den Aufwand für die Suche nach Informationen jeder Art erheblich reduzieren. Hier ist es mit Hilfe von Suchmaschinen möglich, in Sekundenschnelle eine Vielzahl von Anbietern eines gewünschten Produktes ausfindig zu machen. Zudem finden sich vielfach Kundenevaluationen über die Liefergewohnheiten der privaten und gewerblichen Verkäufer, wodurch deren Vertrauenswürdigkeit einigermaßen unabhängig und objektiv bewertet wird. Durch die damit verbundene Senkung der 12 13
Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon, S. 3074.
Williamson , The Economic Institutions, S. 18 f. (deutsche Übersetzung: S. 21); Krakel, Organisation und Management, S. 7; Richter in Ordelheide/Rudolph/Büsselmann, S. 421; zur Problematik der Abgrenzung mit instruktiven Beispielen Eidenmüller , Effizienz, S. 100 ff.; ders. in Breidenbach/Grundmann/Mülbert/Singer, S. 22 f. 14 Wallis/North in Engerman/Gallman, S. 95 ff.; ebenso Richter/Furubotn, S. 45. 15 Die genaue Einteilung der Transaktionskostenkategorien variiert zwischen den einzelnen Autoren. Siehe daher für viele nur Richter/Furubotn, S. 51 ff. 16 Dazu auch Feldmann, Ordnungstheoretische Aspekte, S. 59.
60
B. Ansätze der positiven ökonomischen Theorie des Rechts
Vertragsanbahnungskosten kommt eine Vielzahl von Transaktionen überhaupt erst zustande17. II. Der Property-Rights-Ansatz Der Propery-Rights-Approach ist der wohl wichtigste Ansatz für die ökonomische Rechtstheorie und insbesondere die Grundlage für die Betrachtung des gesamten Rechts mit Hilfe der Ökonomik durch Posner 18. Die Wurzeln dieses Ansatzes liegen im Aufsatz „The Problem of Social Cost" von Ronald Coase19. Sie wurden in der Folgezeit besonders von Alchian, Demsetz, Furubotn und Pejovich weiterentwickelt 20. Im deutschsprachigen Raum finden sich neben der wohl am weitesten verbreiteten Übersetzung der „Property Rights" als „Verfügungsrechte" auch Begriffe wie „Handlungs-", „Eigentums-" oder „Besitzrechte". Letztere Termini bergen jedoch, da sie im Recht bereits mit nicht deckungsgleichen Bedeutungen belegt sind, die Gefahr von Mißverständnissen. Insofern erscheint zunächst eine Klärung des Begriffs der Verfügungsrechte nützlich (1.). Dem folgt eine Darstellung der Ausfuhrungen von Coase in seinem bereits erwähnten Artikel „The Problem of Social Cost", da dieser als Ursprung der neuen ökonomischen Rechtstheorie für deren Verständnis unentbehrlich ist (2.). Sodann sollen die Hauptaussagen des Ansatzes (3.) erörtert werden. 1. Der Begriff der Verfügungsrechte Ebenso wie bei den beiden bereits dargestellten Grundbegriffen der Neuen Institutionenökonomik fehlt es auch beim Begriff der Verfügungsrechte an einer allgemein anerkannten Definition 21 . Auch hier sind jedoch die Unterschiede zwischen den einzelnen Autoren gering. Kerngedanke der Betrachtung von Verfügungsrechten ist, daß nicht der Besitz eines Gutes oder das Eigentum an ihm den eigentlichen Wert für dessen Inhaber ausmacht, sondern daß dieser Wert vor allem aus den mit dem Gut verbundenen Rechten resultiert. Dabei ist der Begriff der Güter weit zu verstehen. Aus ökonomischer Sicht können Verfügungsrechte nicht nur an Sachen (also körperlichen Gegenständen i.S.d. § 90 BGB), sondern auch an Rechten (z.B. Patenten und Urheberrechten) und sogar an Personen bestehen22. So richtet sich der Wert eines Grundstückes
17
Zu den Gefahren des Internet dagegen z.B. Greiner, S. 4 ff.
18
Posner, Economic Analysis, S. 35. Coase, JLE 1960, 1 ff. 20 Eine umfassende Sammlung mit zentralen Aufsätzen findet sich bei Furubotn!Pejovich. The Economics of Property Rights. 21 Vgl. die umfassende Darstellung bei Martiensen, S. 221 ff. und Richter!Furubotn, S. 87 ff. 19
22
Martiensen, S. 223.
II. Der Property-Rights-Ansatz
61
z.B. nicht nur nach seiner Lage oder seiner Bodenbeschaffenheit, sondern auch nach den auf ihm liegenden Lasten und - oft sogar am wichtigsten - nach der Nutzbarkeit z.B. als Bauland. Auch der „Wert" eines Arbeitnehmers für ein Unternehmen hängt wesentlich von der Reichweite des Direktionsrechts (§315 BGB) ab. An diesen Beispielen wird deutlich, daß der Property-RightsBegriff nicht nur absolute Verfügungsrechte wie das Eigentums- oder Besitzrecht umfaßt, sondern auch relative Rechte wie Vertrags- oder Deliktsansprüche und in neuerer Zeit auch nicht gesetzlich geschützte Rechte wie das Kundschafts Verhältnis23. Insofern reicht der Begriff weiter 24 als der des Eigentums i.S.d. § 903 BGB. Verbunden mit einem Gut ist im allgemeinen ein mehr oder weniger umfassendes „Bündel einzelner Rechte". Solche Rechte können in viererlei Form auftreten 25: Zunächst gewähren die Verfugungsrechte ihrem Inhaber, das jeweilige Gut zu nutzen (usus) und zweitens dessen Erträge einzubehalten (usus fructus); drittens darf er Veränderungen an dem Gut vornehmen (abusus) und viertens das mit dem Gut verbundene Bündel an Rechten ganz oder teilweise auf andere übertragen. Verfügungsrechte können beschränkt werden, und zwar öffentlichrechtlich (im Fall des Grundstücks z.B. durch ein Bebauungsverbot oder eine Auflage) oder auch privatrechtlich (beim Grundstück z.B. durch die Einräumung eines Wegerechts). Immer werden dabei eine oder mehrere der genannten vier Verwendungsmöglichkeiten beim Inhaber des „Rechte-Bündels" eingeschränkt. In der Ökonomie spricht man dann von einer „Verdünnung" der Verfügungsrechte, die regelmäßig den Wert des verbleibenden Bündels an Rechten beeinträchtigt. 2. Die Ausführungen von Coase Der im Jahre 1960 erschienene Aufsatz „The Problem of Social Cost" 26 von Ronald Coase gilt als einer der sowohl in der ökonomischen als mittlerweile auch in der juristischen Literatur am häufigsten zitierten 27, muß aber wohl auch als einer der am häufigsten mißverstandenen und fehlinterpretierten angesehen werden. Er ist weithin 28 als Ursprung der neueren ökonomischen Rechtstheorie anerkannt. Dabei geht es Coase weniger um die Begründung eines neuen Forschungszweiges als vielmehr um die Kritik der bis dahin vorherrschenden
23
Richter in Krause-Junk, S. 328; ausführlicher bei Richter/Furubotn, S. 87 ff. Steinmetzler, JA 1998, 335, 337 f.; Assmann/Kirchner!Schanze in dies., Fn. 3 sehen die Reichweite jedoch parallel zum Eigentumsbegriff des Art. 14 GG. Martiensen, S. 113 erkennt auch Bereiche, in denen der Begriff der Property Rights enger sein soll, nennt aber kein Beispiel. 24
25 Tietzel, ZfWiPo 1981, 207, 210; Alchian, JITE 1984, 34; Richter, ZWS 1990, 571, 574 f.; Schenk, ZWS 1992, 337,350. 26 21 28
Coase, JLE 1960, 1 ff. Aufderheide in Pies/Leschke, S. 141. Für viele nur Schäfer!Ott, Lehrbuch, S. 90; Aufderheide
in Pies/Leschke, S. 142.
62
B. Ansätze der positiven ökonomischen Theorie des Rechts
Pigou'sehen Wohlfahrtsökonomik 29. Ziel dieser ist nämlich, Externalitäten durch (sogenannte Pigou-) Steuern bzw. Subventionen oder gesetzliche Höchstbzw. Mindestgrenzen beim physischen Verursacher zu internalisieren, also in das Kalkül des Handelnden eingehen zu lassen. Insofern verlangt Pigou vom Staat stets interventionistisches Verhalten, um die durch Externalitäten entstehenden Wohlfahrtsverluste zu verhindern. Der Staat sei dazu regelmäßig besser in der Lage als die Individuen im Wege privater Verhandlungen 30. Coase kritisiert diese Argumentation in zwei Schritten, die im folgenden nachzuzeichnen sind: Zum einen zeigt er mit dem nach ihm benannten CoaseTheorem die Inkonsistenz von Pigous Externalitätenbehandlung auf (a), zum anderen macht er auf die Reziprozität des Problems aufmerksam (b). a) Das Coase-Theorem Meist wird am Aufsatz „The Problem of Social Cost" das sogenannte „Coase-Theorem" in den Vordergrund gerückt. Hierin zeigt Coase am Beispiel des Nachbarrechts mit unterschiedlichen Haftungsszenarien, daß die Wirtschaftswissenschaften seiner Zeit mit der Behandlung von Externalitäten ein Problem zu lösen versuchten, welches nach ihrer eigenen Definition gar nicht existieren durfte. Dabei unterstellt er die Annahmen der Neoklassik, also vor allem das Fehlen von Transaktionskosten 31 und die Existenz vollkommener Konkurrenz 32, bewußt kontrafaktisch als richtig. Zur Illustration seines Anliegens geht er von einem Viehzüchter und einem Getreidefarmer aus, deren Grundstücke unumzäunt aneinander grenzen. Das frei herumlaufende Vieh des Züchters zertrampelt das Getreide des Farmers und zerstört dessen Ernte. Insoweit liegt ein externer Effekt vor. Mit wachsender Herdengröße steigt für den Farmer die Höhe der Schäden am Getreide (aus Gründen der rechnerischen Vereinfachung bei Coase: proportional 33) an, während für den Züchter jedes Tier der Herde einen Erlös erbringt. Ist nun (wie im ersten Szenario 34 bei Coase) der Züchter zur Schadensersatzleistung an den Farmer verpflichtet, dann wird er seine Herde so lange vergrößern, wie die Mehrerträge eines jeden weiteren Tieres sowohl seine zusätzlichen Kosten als auch den Schadensersatzanspruch des Farmers decken. Die Pflicht zur Schadensersatzleistung wird ihn also nicht von der schädigenden Handlung abhalten, sie wird diese aber auf ein Maß reduzieren, durch das keine der Parteien im Endeffekt schlechter steht als ohne Schädigung: So wird der Farmer für die Ernteschäden durch den Schadensersatz kompensiert, der 29 Kirchner, WuW 1992, 584, 588; LeschkelSauerland ZfWiPo 1981,207,212. 30 Pigou, S. 192; Dahlman, JLE 1979, 141, 155. 31 32 33 34
Coase, JLE Coase, JLE Coase, JLE Coase, JLE
1960, 1960, 1960, 1960,
in Pies/Leschke, S. 182 ff.; Tietzel,
1, 2, 19 (deutsche Übersetzung: S. 133, 153). 1,3 (deutsche Übersetzung: S. 134). 1,3 (deutsche Übersetzung: S. 133). 1, 2 ff. (deutsche Übersetzung: S. 133 ff.).
II. Der Property-Rights-Ansatz
63
schädigende Züchter dagegen hat gerade um der überproportionalen Mehrerlöse willen den Schaden bewußt verursacht und insofern „eingepreist". Fehlt dagegen (wie im zweiten Szenario 35) eine Schadensersatzpflicht, kann der Viehzüchter die Herde beliebig erweitern, ohne für die dadurch beim Farmer entstehenden Kosten aufkommen zu müssen. Jedoch wird der Farmer dem Züchter Geld dafür anbieten, die Herde klein zu halten, damit sein eigener Ernteertrag nicht zu stark zurückgeht. Er wird dabei für die Verkleinerung der Herde um ein Tier maximal den Betrag zu zahlen bereit sein, um den sich sein Ernteschaden durch die Reduzierung vermindert. Dies ist exakt der Betrag, den der Züchter im ersten Szenario als Schadensersatz an ihn zu leisten hatte. Erweitert im zweiten Szenario also der Züchter seine Herde um ein Tier, verzichtet er auf die Transferleistung durch den Farmer, was für ihn letztlich ebenfalls Kosten verursacht. Es spielt aus Sicht des Züchters also keine Rolle, ob die Vergrößerung seiner Herde dazu führt, daß er einen Geldbetrag als Schadensersatz an den Farmer zu leisten hat oder aber daß er auf eine Transferleistung in gleicher Höhe verzichten muß. In jedem Fall muß er wählen zwischen dem Ertrag eines weiteren Herdentiers und der zu leistenden oder entgangenen Geldzahlung. Er wird diese Wahl danach treffen, was ihm den größeren Nutzen bringt 36 . Damit teilt sich das Coase-Theorem unter der Voraussetzung, daß alle Verfügungsrechte genau spezifiziert 37 und frei übertragbar sind, in eine ..Invarianzthese" und eine „Effizienzthese" auf: Nach der Invarianzthese ist es für die Allokation letztendlich unerheblich, ob die Rechtsordnung dem Farmer ein Recht auf Schadensersatz oder aber dem Züchter ein Recht auf Schädigung zuteilt. In beiden Fällen wird die Herde des Züchters letztlich gleich groß sein38. Die Effizienzthese dagegen besagt, daß unter den genannten Voraussetzungen die Allokation im Ergebnis auch gesamtgesellschaftlich den Ertrag maximiert, da die Akteure durch gegenseitige Transferleistungen nur ein so hohes Maß an Schädigung wählen, daß es sich für beide Seiten lohnt 39 . Das Coase-Theorem beruht auf den oben genannten und der Pigou'schen Wohlfahrtsökonomik zuzuordnenden strengen Annahmen, von denen insbesondere die Abwesenheit von Transaktionskosten äußerst wirklichkeitsfremd
35
Coase, JLE 1960, 1, 6 ff. (deutsche Übersetzung: S. 137 ff ). Hier zeigt sich die unter A.II.3.a)bb) erläuterte Problematik. Im Beispiel wird vom Normalfall ausgegangen, in dem Nutzen und Erlös gleichgesetzt werden. Ein Züchter wird also stets den mit seiner Herde erzielbaren Erlös zu maximieren versuchen. Seine Präferenzen können aber auch dahin gehen, z.B. aus Prestige-Gründen die größte Herde der Gegend zu besitzen, was die obige Argumentation zunichte machen würde. Dem wird von Coase, JLE 1960, 1, 3 (deutsche Übersetzung: S. 134) durch die Annahme vollkommener Konkurrenz begegnet, durch die der Züchter aus Gründen des Wettbewerbsdrucks in erster Linie nach seiner Erlösstruktur entscheiden muß. 36
37
Coase, JLE 1960, 1, 8 (deutsche Übersetzung: S. 139). Coase, JLE 1960, 1, 7 (deutsche Übersetzung: S. 138). 39 Eidenmüller, Effizienz, S. 61; Aufderheide in Pies/Leschke, S. 144; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen, S. 118 ff. 38
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e r i e n ökonomischen Theorie des Rechts
ist. Das wird von Coase nicht nur gesehen, sondern explizit zugestanden40. Er tut das deshalb so unbefangen, weil seine eigentliche Aussage gerade nicht im Theorem selbst liegt 41 . Dieses soll vielmehr nur den eigentlichen Kerngedanken vorbereiten, nämlich das Problem der „Reziprozität" 42 . Insofern überrascht es, daß immer wieder der fehlende Realismus des Theorems selbst als ein wesentliches Argument gegen die ökonomische Rechtsbetrachtung ins Feld geführt wird 43 . An dieser Stelle nämlich hat Coase's eigentliche ökonomische Analyse noch gar nicht begonnen. Seine primäre Aussage soll keinesfalls unter Abwesenheit von Transaktionskosten gemacht werden; vielmehr ist es - wie schon in seinem 1937 veröffentlichten Aufsatz 44 „The Nature of the Firm" - gerade der Sinn seiner Ausführungen, auf die Bedeutung von Transaktionskosten für die ökonomische Betrachtung hinzuweisen. In diesen nämlich sieht Coase das oben45 angesprochene Problem, welches die Wohlfahrtsökonomik der damaligen Zeit lösen wollte, obwohl es sich nach ihren eigenen Annahmen nicht hätte stellen dürfen: In der Pigou4 sehen Welt ohne Transaktionskosten müßten - und das soll das Coase-Theorem zeigen - lediglich die Verfügungsrechte eindeutig spezifiziert sein, um durch private Verhandlungen zu immer dem selben, ertragsmaximalen Ergebnis zu gelangen. Die von Pigou geforderten Staatseingriffe wären insofern in der von ihm selbst unterstellten Welt gerade nicht nötig. Auch das Rechtssystem würde in einer solchen Welt über die Spezifikation der Verfügungsrechte hinaus keinerlei allokative Bedeutung mehr haben, sondern allein dazu dienen, die durch die Transaktionen entstehenden Ansprüche kostenlos durchzusetzen. Daß Coase diese Ansicht nicht teilt und lediglich bewußt kontrafaktisch die Pigou4sehen Annahmen unterstellt, zeigt sich daran, daß er im folgenden den Gegenvorschlag der reziproken Betrachtung macht. b) Das Problem der Reziprozität Bei Pigou werden - wie oben dargestellt - wohlfahrtsmindernde Externalitäten dadurch internalisiert, daß der Staat stets beim aktiv Handelnden, der als Verursacher angesehen wird, ansetzt: So schädigt die Eisenbahngesellschaft mit dem von ihrer Dampflok verursachten Funkenflug die Ernte der Bauern und ist deshalb zu Ausgleichszahlungen zu verpflichten 46, während Schadstoffe emittierende Unternehmen die natürlichen Ressourcen auf Kosten der Allgemeinheit verunreinigen und daher mit einer Steuer zu belasten sind 47 .
40 41 42
Coase, JLE i960, 1, 15 f. (deutsche Übersetzung: S. 148 f.). Vgl. auch Kerber in Leipold/Pies, Fn. 5; Aufderheide in Pies/Leschke, S. 145. Hierzu sogleich unter B.II.2.b).
43 So z.B. bei Fezer, JZ 1986, 817, 820; ähnlich mißverständlich Kittner, Rdnr. 137 ff. und Decken, RT 1995, 117, 125. 44 Coase, Economica 1937, S. 386 ff. 45 Dazu schon zu Beginn dieses Gliederungspunktes. 46 Coase, JLE 1960, 1, 30 ff. (deutsche Übersetzung: S. 166 ff). 47 Coase, JLE 1960, 1, 1 f. (deutsche Übersetzung: S. 131).
II. Der Property-Rights-Ansatz
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Das eigentliche Anliegen, welches Coase mit seinem Aufsatz verfolgt, ist die Schaffung einer Alternative zu dieser einseitigen Rollenverteilung. Nach seiner Ansicht wird das zu lösende Problem durch die traditionelle Sichtweise verschleiert 48. Es sei nämlich gerade nicht lediglich einseitig, wie von Pigou unterstellt, sondern vielmehr reziproker Natur: Ebenso, wie man den emittierenden Unternehmer als Störer der Anwohner ansehen kann, können auch die Anwohner durch ihre simple Anwesenheit als Störer des Unternehmers angesehen werden, der nun auf sie Rücksicht nehmen muß 49 . Damit sind beide Parteien gleichermaßen als Verursacher des Problems anzusehen, weshalb sich Coase für eine symmetrische Betrachtung der Störereigenschaft ausspricht. Wenn nun die Existenz von Transaktionskosten nicht mehr geleugnet wird und somit nicht mehr - wie noch im Coase-Theorem - alle denkbaren wohlfahrtssteigernden Maßnahmen gleichsam automatisch auf privater Ebene vorgenommen werden, dann muß sich die Frage anschließen, ob es gesamtwirtschaftlich sinnvoller ist, den Anwohnern ein Recht auf Schadensersatz zuzugestehen oder aber dem Unternehmer ein Recht auf Schädigung der Anwohner. Damit wird von Coase die Reichweite des Problems im Vergleich zu Pigou vergrößert. Anders als bei Pigou werden bei Coase nicht mehr sämtliche Externalitäten internalisiert, sondern es wird in zwei Schritten vorgegangen: Zunächst ist zu prüfen, „ob" eine Internalisierung durch das Recht überhaupt vorzunehmen ist. Das kann dann abzulehnen sein, wenn die erzielbare Kostenersparnis geringer ist als die mit der Rechtsänderung verbundenen Kosten. Zweitens stellt sich die nicht minder schwer zu beantwortende Frage, „durch wen" bzw. auf wessen Kosten die Internalisierung zu geschehen hat; hierfür ist entscheidend, wer sie volkswirtschaftlich günstiger vornehmen bzw. wann ein höherer gesamtgesellschaftlicher Ertrag realisiert werden kann. Coase vergleicht insofern die Kosten und den Nutzen der verschiedenen sozialen Arrangements, welche sich aus der unterschiedlichen Zuordnung individueller Rechte ergeben 50, im Rahmen komparativer Statik 51 miteinander. Dieses Problem stellte sich für Pigou vorher nicht, da er stets den physisch Handelnden für verantwortlich hielt, weshalb dieser für die Internalisierung zuständig sein sollte. Coase dagegen sieht nicht von vornherein den physischen Verursacher in der Pflicht, sondern erkennt das eigentliche Problem als eine Folge der Anspruchskonkurrenz der Parteien um ein knappes Gut 52 . Insofern wird systematisch zu betrachten versucht, welche Handlungsmöglichkeiten einer Gesellschaft entgehen, wenn die jeweilige Aktivität zugelassen wird. Die Betonung von Coase liegt auf der Tatsache, daß jedes Recht einer Partei für die 48
Coase, JLE 1960, 1, 2 (deutsche Übersetzung: S. 132). Als juristisches Paradebeispiel vgl. BVerwG NVwZ 1993, 1184 ff. („Schweinemastfall"). 50 Aufderheide in Pies/Leschke, S. 143; Leschke/Sauerland in Pies/Leschke, S. 185 f. 51 Coase, JLE 1960, 1, 43 (deutsche Übersetzung: S. 181); zur komparativen Statik allgemein: Homann/Suchanek, S. 130 f. 52 LeschkeiSauerland in Pies/Leschke, S. 185; Aufderheide in Pies/Leschke, S. 143. 49
5 Janson
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andere Partei als Kehrseite eine Pflicht darstellt, deren Befolgung Kosten verursachen kann. Coase verfolgt also einen Opportunitätskostenansatz 53, da er nicht mehr einzelne Handlungen als solche betrachtet, sondern vielmehr individuelle Aktivitäten im gesellschaftlichen Zusammenspiel. Erst dieser Blickwinkel ermöglicht nun aber eine ökonomische Theorie des Rechts. Die Betrachtung und der Vergleich verschiedener sozialer Arrangements macht überhaupt nur deshalb einen Sinn, weil aufgrund von Transaktionskosten dem Recht auch eine allokative Funktion zukommt 54 . Anders als unter den sterilen Bedingungen des Coase-Theorems nämlich gelangen die Ressourcen nicht mehr automatisch durch private Vereinbarung in die optimale Verwendung (Effizienzthese), und zwar unabhängig von der rechtlichen Situation (Invarianzthese). Vielmehr wird in der Realität eine einmal erfolgte hoheitliche Zuweisung von Rechten oft schon deshalb nicht mehr durch Individualvereinbarung verändert, weil die damit verbundenen Transaktionskosten den durch Neuzuweisung erzielbaren Netto-Nutzen übersteigen würden. In solchen Fällen hat die ursprüngliche Rechtszuweisung erhebliche Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt. Demnach ist die Kernthese 55 des Aufsatzes „The Problem of Social Cost" nicht - wie oft fälschlicherweise angenommen - das Coase-Theorem selbst. Vielmehr soll mit der Darstellung der Reziprozität des Externalitätenproblems die Bedeutung des Rechts für die allokative Effizienz betont werden. Dabei will Coase die Betrachtung ausdrücklich nicht auf den monetären Wert des Ertrags alternativer sozialer Arrangements begrenzen, sondern diese aufgrund eines umfassenden Vergleichs aller relevanten Auswirkungen in sämtlichen Lebensbereichen bewerten 56. Er tut das lediglich aus Gründen der vereinfachten Darstellung im Aufsatz selbst nicht. Damit ist das Programm der rechtsökonomischen Betrachtung nach Coase im wesentlichen wie folgt zu verstehen 57: Das Recht als Instrumentarium zur Konfliktlösung ist überhaupt nur nötig, da knappheitsbedingte Interessenkonflikte zwischen den Individuen auftreten, die einer Regelung bedürfen. Solche rechtlichen Regelungen setzen für die Individuen unterschiedliche Anreize, in bestimmter (und im Rahmen des ökonomischen Verhaltensmodells: vorhersehbarer) Weise zu handeln. Aufgabe der ökonomischen Rechtsbetrachtung ist nach Coase nun, die durch Normen generierbaren sozialen Arrangements zu identifizieren, die daraus auf Grundlage des ökonomischen Verhaltensmodells zu erwartenden Folgen zu ermitteln und sie sodann umfassend auf ihre relative Vorteilhaftigkeit hin zu untersuchen.
53 Coase, JLE 1960, 1, 40 (deutsche Übersetzung: S. 178); dazu auch Aufderheide Pies/Leschke, S. 146; LeschkelSauerland \n Pies/Leschke, S. 186. 54
Coase, JLE 1960, 1, 16 (deutsche Übersetzung: S. 148 f.).
55
So zurecht auch Rowley in Newman, Bd. 2, S. 479 f.; Aufderheide Coase, JLE 1960, 1, 19, 43 (deutsche Übersetzung: S. 153, 181). So Aufderheide in Pies/Leschke, S. 143.
56 57
in
in Pies/Leschke, S. 145.
II. Der Property-Rights-Ansatz
67
c) Ergebnis Die Ausführungen in seinem Aufsatz „The Problem of Social Cost" sind von Coase, wie angedeutet, weniger als Entwicklung einer neuen ökonomischen Theorie über rechtliche Fragestellung gedacht, sondern sind vielmehr als Kritik an der Pigou'schen Wohlfahrtsökonomik zu verstehen. Er entlarvt diese mit Hilfe des Coase-Theorems als inkonsistent, da sie mit der Externalitätenbetrachtung ein Problem zu lösen versucht, welches bei konsequenter Anwendung der Modellvoraussetzungen gar nicht bestehen dürfte: In der Pigou'sehen Welt ohne Transaktionskosten würden - sobald alle Rechte eindeutig zugewiesen sind - Externalitäten nämlich durch private Vereinbarungen und Rechtsübertragungen internalisiert. Insofern bedürfte es der stets von Pigou geforderten Staatsinterventionen nicht. Coase lenkt den Blick darauf, Produktionsfaktoren nicht länger nur als physische Gegenstände zu betrachten, sondern vielmehr als Bündel von (Verfügungs-)Rechten 58, denen auf der Gegenseite auch immer Pflichten eines anderen gegenüberstehen. Diese Erkenntnis ermöglicht, das seiner Meinung nach von Pigou unsachgerecht gelöste Externalitätenproblem auf andere Weise anzugehen. Er schlägt vor, einen Zugang zu wählen, der die Reziprozität der Problemstruktur berücksichtigt; beide Seiten sollen als potentielle Verursacher des Problems angesehen werden. Damit stellen sich für Coase zwei Fragen: Zum einen muß im Einzelfall überprüft werden, ob staatliche Regulierung z.B. durch Abgabensysteme stets die bessere Alternative im Vergleich zu Rechtszuweisungen und daraus u.U. resultierenden privaten Folgeverhandlungen ist 59 . Zum anderen ist zu ermitteln, welcher Partei die Rechte zugewiesen werden müssen, um aus gesamtwirtschaftlicher Sicht das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Dazu sind die verschiedenen erreichbaren sozialen Arrangements nicht nur - wie im Aufsatz aus Vereinfachungsgründen geschehen - auf die unterschiedliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sondern umfassend auf sämtliche Auswirkungen in allen Lebensbereichen zu untersuchen. Dies dürfte auch der Grund dafür sein, daß Coase vor allem eine positive Analyse 60 fordert; die nach ihm gebotene umfassende Betrachtung läßt sich schwerlich mit einem einzigen normativen Kriterium vergleichen und bewerten. Obwohl es Coase ursprünglich gar nicht um die Beeinflussung der Rechtswissenschaft ging 61 , ist der Aufsatz „The Problem of Social Cost" der Beginn einer engeren interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaften. Zwar ist dieser Gedanke keineswegs neu.
58
Coase, JLE 1960, 1, 44 (deutsche Übersetzung: S. 182 f.). Das dürfte aufgrund der Informationsprobleme nach Coase wohl die absolute Ausnahme sein, vgl. Coase, JLE 1960, 1, 18, 41 f. (deutsche Übersetzung: S. 152, 179 f.). 60 Vgl. Rowley in Newman, Bd. 2, S. 483; Kirchner, WuW 1982, 584, 585. 61 Coase, JLE 1993,239, 251. 59
5:
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Bereits Adam Smith sah die Ökonomik als „science of legislation" an 62 . Neu ist aber die Einführung der Kostenart „Transaktionskosten" 63, deren Berücksichtigung überhaupt erst auf die Probleme der realen Welt aufmerksam macht. Nicht die externen Effekte selbst sind nämlich das Haupthindernisse auf dem Weg zur allokativen Effizienz, sondern vielmehr gerade diese Transaktionskosten, die eine Internalisierung der externen Effekte oft unmöglich machen64. Daher sollen auch nicht alle externen Effekte internalisiert werden, sondern allein die, bei denen der Nutzen einer Internalisierung die Kosten übersteigt 65. Entgegen einer immer wieder geäußerten Meinung geht es Coase also gerade nicht nur darum, die Transaktionskosten zu minimieren, sondern vielmehr darum, die sozialen Gesamtkosten so gering wie möglich zu halten und dabei nicht - wie oft geschehen - die Kategorie der Transaktionskosten zu vernachlässigen66. 3. Gegenstand des Ansatzes Wie erwähnt ist der zentrale Gedanke des Property-Rights-Ansatzes, daß nicht der Besitz oder das Eigentum als solche den Wert eines Gutes ausmachen, sondern vielmehr die Gesamtheit der an diesem bestehenden Verfügungsrechte. Es wird davon ausgegangen, daß unterschiedliche Ausgestaltung, Zuordnung und Beschränkung dieser Verfiigungsrechte sowohl die Allokation und Nutzung von Gütern 67 als auch das Verhalten der Akteure 68 in bestimmter und vorhersehbarer Weise beeinflußt. Dabei baut die Theorie der Verfiigungsrechte auf der Neoklassik auf, die sie durch Berücksichtigung differenzierterer Rationalitätsannahmen im Verhaltensmodell des homo oeconomicus sowie die Betrachtung institutioneller Besonderheiten erweitert und in ihrem Anwendungsbereich aus62
Vanberg in Külp/Vanberg, S. 580; zur Verbindung von Recht und Ökonomik bereits A.1.1. Die Bedeutung dieser Kostenkategorie ist (trotz aller Quantifizierungsprobleme) kaum zu überschätzen. Das gilt sowohl für die Wirtschaftswissenschaften als auch mehr und mehr für die Rechtswissenschaft. So weist Aufderheide in Pies/Leschke, S. 151 darauf hin, „eine seriöse wettbewerbsrechtliche Untersuchung zu Fusionen und Fusionskontrolle ist heute ohne Auseinandersetzung mit den komparativen Transaktionskosten nicht mehr denkbar". 63
64 65
So auch Kirchner, WuW 1982, 584, 590. Coase, JLE 1960, 1, 26 (deutsche Übersetzung: S. 161).
66 Insofern geht der Einwand von Eidenmüller, Effizienz, S. 102 f. fehl, nach dem Institutionenökonomik und rechtspolitische Beratung unterschiedlich ausgerichtet seien, da erstere die gesamtwirtschaftlichen Kosten, zweitere aber nur die Transaktionskosten betrachte. Tatsächlich muß es auch und gerade der rechtspolitischen Beratung darum gehen, die volkswirtschaftlichen Kosten insgesamt zu minimieren, wenn sie effizienzorientiert agieren will: Eine Rechtsänderung, die zu einer Transaktionskostenreduzierung führt, nützt nämlich unter Effizienzgesichtspunkten zumindest dann nichts, wenn durch sie bei den Unternehmen z.B. höhere Produktionskosten anfallen, die die Effizienzgewinne überkompensieren. Richtig dagegen für das Zusammenspiel von Interventionsund Transaktionskosten: Eidenmüller, Effizienz, S. 106 f. 67
Furubotn/Pejovich, JEL 1972, 1137, 1139. Martiensen, S. 113 formuliert deshalb: „Sag mir, wie die Verfügungsrechte strukturiert sind, und ich sage Dir, wie das Allokationsergebnis aussieht". 68
II. Der Property-Rights-Ansatz
69
69
dehnt . Der Verfligungsrechte-Ansatz beschäftigt sich im wesentlichen mit drei Fragestellungen 70, wobei die beiden ersten eine positiv geprägte ökonomische Rechtsbetrachtung widerspiegeln, während die dritte normativ geprägt ist: (1) Wie sind bestimmte Bündelungen von Verfugungsrechten entstanden und welche Wirkungen gehen von ihnen aus? (2) Wie ist die Struktur der Verfügungsrechte in einer Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt beschaffen? (3) Wie sollten Handlungsrechte unter normativen Gesichtpunkten gebündelt werden, um bestimmte Ziele zu erreichen? In seiner positiven Form zur Erklärung von Verfügungsrechte-Bündeln (1) geht der Property-Rights-Ansatz davon aus, daß eine erstmalige Zuweisung von Rechten zu einer Internalisierung externer Effekte führen kann. Bestehen nämlich an einer Sache keinerlei Rechte, so kann diese von der Allgemeinheit ungehindert genutzt werden. Da sämtliche Akteure das Gut unentgeltlich verwenden können, werden sie die dadurch entstehenden Kosten nicht in ihr Kalkül aufnehmen; es kommt zur systematischen Übernutzung des Gutes, zur sogenannten „Tragik der Allmende". Aus ökonomischer Sicht verursachen die Nutzer mit jeder Verwendung des Gutes Kosten für die übrigen Nutzer, also externe Effekte, die die Gesamtwohlfahrt reduzieren. Es läßt sich nun mathematisch beweisen71, daß durch Zuweisung der Verfügungsrechte an ein nutzenmaximierendes Individuum eine sozialverträgliche Verwendung garantiert werden kann. Ein homo oeconomicus wird nämlich, wenn er für den Gebrauch des Gutes zahlen muß, dieses nur so lange benutzen, daß das von ihm zu leistende Entgelt seinen Nutzen aus dem Gebrauch des Gutes nicht übersteigt. In Kenntnis dieser Tatsache kann der Property-Rights-Inhaber den Preis für die Benutzung so festlegen, daß sein eigener Gewinn maximiert wird. Dies ist genau dann der Fall, wenn die Nutzung des zuletzt zugelassenen Akteurs Schäden und Abnutzungen in genau der Höhe des von ihm zu zahlenden Entgelts verursacht 72. Durch die Zulassung weiterer Personen würde der RechteInhaber nun nämlich seinen Gewinn verringern. Diese persönlich optimale Allokation ist gleichzeitig auch die gesamtwirtschaftlich wünschenswerte, da die Akteure die von ihnen selbst verursachten Kosten in ihre Kalkulation mit einbeziehen und so eine schädliche Übernutzung des Gutes verhindern 73.
69 Martiensen, S. 254; Feldmann, Eine institutionalistische Revolution?, S. 80; Schenk, ZWS 1992, 352 f. 70
Nach Schäfer/Ott,
Lehrbuch, S. 88.
71
Übersichtliche Zahlenbeispiele bei Lehmann, S. 35 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 102 ff.; die ausführliche mathematische Beschreibung des Problems findet sich bei Wellisch, Bd. 1, S. 151 ff. 72
Es handelt sich dabei um die Bedingung zur Gewinnmaximierung: Preis = Grenzkosten. Zu einer vollständigen Verhinderung kommt es nur im (unrealistischen) Falle der Abwesenheit von Transaktionskosten. Auch bei Annahme von Transaktionskosten stellt sich jedoch in jedem 73
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e r i e n ökonomischen Theorie des Rechts
Die positive Ermittlung der tatsächlich zu beobachtenden Struktur von Verfügungsrechten (2) ähnelt in hohem Maße der empirischen Rechtstatsachenforschung und soll daher im Rahmen der hier vorgenommenen Darstellung der ökonomischen Rechtstheorie nicht vertieft werden. In der normativen Variante (3) hält sie am Konzept der komparativen Statik fest, betrachtet also Gleichgewichtszustände bei unterschiedlicher Zuweisung von Verfugungsrechten und bewertet sie anhand ihres Potentials, externe Effekte zu internalisieren, möglichst geringe Transaktionskosten zu verursachen und positiv auf gewünschte Allokations-, Verteilungs- und Wachstumseffekte hinzuwirken 74 . Veränderungen in der Verfügungsrechte-Struktur können durch gesellschaftliche, aber auch durch technische Entwicklungen nötig werden. War es z.B. bei einem bestimmten „öffentlichen Gut" 75 wegen hoher Transaktionskosten nicht möglich, Verfügungsrechte zuzuordnen und durchzusetzen, kann durch neue Techniken das Merkmal der „Nichtausschließbarkeit" überwunden und eine Privatisierung ermöglicht werden. Dadurch kann das Problem der Übernutzung („free-riding") des ehemals öffentlichen Gutes entfallen 76. Diese Ausführungen machen deutlich, weshalb der Property-Rights-Ansatz allgemein zu dem Ergebnis kommt, daß zwingende Normen mit Skepsis zu betrachten sind 77 . Durch tatsächliche soziale Veränderungen oder auch nicht vom Gesetzgeber bedachte (Neben-)Folgen kann es für die Rechtssubjekte sinnvoll sein, ein anderes als das gesetzlich vorgesehene institutionelle Arrangement zu finden. Wird dieses durch ius cogens verhindert, können erhebliche - und zudem unausweichliche und völlig unnötige - Transaktionskosten anfallen, und so volkswirtschaftliche Einbußen verursacht werden. 4. Zwei Beispiele zum Property-Rights-Ansatz Der Property-Rights-Approach macht sich die von Coase entwickelten Gedanken zum Zusammenspiel von Transaktionskosten, externen Effekten und Verfügungsrechten zunutze. An zwei kurzen Beispielen soll gezeigt werden, welche Erkenntnisse der Verfügungsrechte-Ansatz u.a. zu liefern vermag.
Fall eine volkswirtschaftlich superiore Nutzung des Gutes ein, da die Individuen aufgrund der für sie entstehenden Kosten die Sache keinesfalls intensiver nutzen werden als zuvor. 74 Feldmann, Eine institutional istische Revolution?, S. 58 f. 75 Ein „öffentliches Gut" kann nicht über den Markt angeboten werden, da es sich durch die Merkmale der „Nichtrivalität" (= ein weiterer Benutzer reduziert nicht den Nutzwert des Gutes für die anderen) und „Nichtausschließbarkeit" (= niemand kann von der Nutzung ausgeschlossen werden) auszeichnet, vgl. für alle nur Wellisch, Bd. 1, S. 55 f f In dieser Situation ist niemand bereit, für das entsprechende Gut zu bezahlen, da er es auch unentgeltlich benutzen kann, so daß es öffentlich bereitgestellt werden muß. Lehrbuchbeispiel für ein öffentliches Gut ist die Landesverteidigung. 76
Picot/Dietl in Ott/Schäfer, S. 309; Feldmann, Eine institutional istische Revolution?, S. 48. Vgl. dazu Schenk, ZWS 1992, 337, 352; Picot/Dietl in Ott/Schäfer, S. 311; Eidenmüller, JZ 2001, 1041,1043. 77
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Der Property-Rights-Ansatz
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a) Beispiel I: Die Funktion der Marke Wie dargestellt fuhrt die Zuweisung von Property Rights unter rational handelnden Akteuren zu einer Internalisierung externer Effekte. Ein Verfügungsrecht soll dann geschaffen werden, wenn der Nutzen dieser Internalisierung die Kosten der Errichtung übersteigt 78. Genau dies ist aus ökonomischer Sicht ein wichtiger Grund für den Markenschutz. Der Schutz der Marke soll nämlich u.a. für ihren Inhaber Anreize schaffen, in die Entwicklung, die Qualität und das Marketing seiner Produkte zu investieren, um so höhere Erträge realisieren zu können. Das wird regelmäßig nur dann möglich sein, wenn es Konkurrenten verboten ist, unter dem Zeichen des Markeninhabers eigene Produkte zu vertreiben und dabei dessen Investitionen in seinen Good-Will auszunutzen79. Nur wenn dies ausgeschlossen ist, kann die Marke als Mittel der Identifikation für die Herkunft und die Qualität der Ware eine Informationsfunktion wahrnehmen, die beim Verbraucher zur Einsparung von Transaktionskosten führt 80 . Es ist wohl kaum zu verleugnen, daß bekannte „Marken"-Produkte schon aufgrund der mit ihnen verbundenen Assoziationen den Informationsbedarf aus Verbrauchersicht deutlich zu reduzieren vermögen. Mit Hilfe des Property-Rights-Ansatzes zeigt sich also, daß der volkswirtschaftliche Nutzen von Markenschutz nicht nur in der Schaffung von Investitionsanreizen für den Markeninhaber besteht, sondern auch in der Reduktion von Informationskosten für den Verbraucher 81. Dagegen sind als Kosten eines weitreichenderen Markenschutzes neben den Registrierungs- und Verwaltungskosten auch solche zu berücksichtigen, die sich aus der monopolähnlichen Stellung des Markeninhabers ergeben. Wird nämlich ein zu umfassender Markenschutz gewährt, besteht die Gefahr, daß sich der Inhaber dem Konkurrenzdruck auf den Wettbewerbsmärkten zu entziehen vermag 82. Die Property-RightsTheorie kann also den Markenschutz als ein evolutorisch stabiles Verfügungsrecht erklären, weil und solange83 seine Kosten geringer sind als der mit der Internalisierung externer Effekte verbundene volkswirtschaftliche Nutzen. Die ökonomische Sichtweise hat bei der Neugestaltung des Markenrechts eine erhebliche Rolle gespielt. So wurde vom bis zum 31.12.1994 geltenden 78 79
Demsetz, AER 1967, 347, 350.
Henning-Bodewig!Kur, RabelsZ 1981,317, 320. 80
S. 264 f.; Drexl. S. 607; Lehmann, GRUR Int. 1986, 6 f.; Balz,
Van den Bergh!Lehmann, GRUR Int. 1992, 588, 598; ihnen folgt Drexl, S. 606. Kritisch zur freien Übertragbarkeit des Warenzeichens: Balz, RabelsZ 1981, 317, 320 ff. 82 Van den Bergh!Lehmann, GRUR Int. 1992, 588, 598; Balz, RabelsZ 1981, 317, 323. 83 Diese normative Frage nach der optimalen Reichweite des Markenschutzes kann hier nicht weiter untersucht werden. Aus dem Vorangegangenen sollte jedoch deutlich geworden sein, daß die Intensivierung des Markenschutzes nach der ökonomischen Theorie nicht nur Kosten einspart, sondern auch verursacht (z.B. durch Wettbewerbsreduzierung). Insofern kann Henning-Bodewig!Kur, S. 267 und Drexl, S. 608 nicht darin gefolgt werden, der Property-Rights-Ansatz verlange stets nach einer Ausdehnung des Markenschutzes und vernachlässige so die Interessen des Verbrauchers. 81
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Warenzeichengesetz (WZG) in erster Linie die Herkunftsfunktion einer Marke als rechtlich geschützte Funktion angesehen84. Als Folge dieser restriktiven Funktionsbestimmung mußte zur umfassenden Gewährleistung des Markenschutzes oftmals das Wettbewerbsrecht flankierend eingreifen 85. Um die Marke weitreichend zu schützen und „gegen einzelfallbezogene Eingriffe des allgemeinen Wettbewerbsrechts" 86 zu immunisieren, wurde mit dem Inkrafttreten des Markengesetzes zum 01.01.1995 ein „Paradigmenwechsel" 87 eingeläutet, der im Markengesetz selbst einen umfassenden Schutz aller ökonomischen Funktionen der Marke sicherstellt 88. Zwar bleibt die Herkunftsfunktion weiterhin eine zentrale Funktion der Marke, ist jedoch z.B. mit der Qualitätsfunktion 89 oder der Werbefunktion 90 in Einklang zu bringen. Daneben wurde u.a. die bislang von § 8 I WZG für unwirksam erklärte freie Übertragbarkeit der Marke als eigenständiger Vermögensgegenstand91 ermöglicht. Aus Property-Rights-Sicht wurde dadurch das im WZG sehr stark verdünnte Verfügungsrechte-Bündel „Marke" gestärkt, was nicht zuletzt bei der Auslegung verschiedener Vorschriften des Markengesetzes zu berücksichtigen ist 92 . b) Beispiel II: Die Ausgestaltung des Haftungsrechts Im Haftungsrecht lassen sich mit Hilfe des Verfügungsrechte-Ansatzes die Anreizwirkungen alternativer Haftungsausgestaltungen und die damit verbundenen unterschiedlich hohen Transaktionskosten aufdecken 93. Das CoaseTheorem hat verdeutlicht, daß bei Abwesenheit von Transaktionskosten jede eindeutige Haftungsregel die gesamtwirtschaftlichen Probleme gleichermaßen gut lösen könne. Alle potentiell durch deliktische Handlung anfallenden Kosten würden von vornherein internalisiert. Da dies in der Realität aber aufgrund von bestehenden Transaktionskosten gerade nicht geschieht, erhält das Recht eine zumindest auch allokative Wirkung 94 . Es zeigt sich, daß unterschiedliche Haftungsregeln nicht nur ein Verteilungsproblem zwischen den Parteien lösen; dies
84 Fezer, Markenrecht, Einl MarkenG, Rdnr. 31 (mwN); BT-Drucks. 12/6581, S. 81 f.; BRDrucks. 793/93, 116 f.; BGHZ 100, 26, 28 f.; Lehmann!Schönfeld, GRUR 1994, 481, 487. 85
Vgl. dazu nur Fezer, Markenrecht, Einl MarkenG, Rdnr. 33 f. (mwN). So Balz, RabelsZ 1981, 317, 327. 87 Diese Bedeutung mißt Fezer, Markenrecht, Einl MarkenG, Rdnr. 35 den Änderungen bei. 88 Fezer, Markenrecht, Einl MarkenG, Rdnr. 35, 39 ff. 89 Dazu ausdrücklich BR-Drucks. 795/93, S. 139 mit Verweis auf § 24 II MarkenG. 90 Fezer, Markenrecht, Einl MarkenG, Rdnr. 41. 91 Vgl. dazu Erwägungsgrund Nr. 10 der GemMVO Nr. 40/94, ABI. EG 1994, Nr. L 11/2; Fezer, Markenrecht, Einl MarkenG, Rdnr. 35 mit vielen weiteren Beispielen; Drexl, S. 599. 86
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Fezer, Markenrecht, Einl MarkenG, Rdnr. 41 mit zahlreichen Beispielen. Adams, Ökonomische Analyse, S. 45 ff.; knapper bei PicotlDietl in Ott/Schäfer, S. 311 ff. 94 Coase, JLE 1960, 1,16 (deutsche Übersetzung: S. 148 f.). Anders als oft zu lesen spricht dieser nämlich dem Recht in der transaktionskostenfreien Welt nicht jede Relevanz ab, sondern nur dessen allokative Bedeutung. 93
II. Der Property-Rights-Ansatz
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liefe auf ein ökonomisch sinnloses Nullsummen-Spiel hinaus. Vielmehr führen unterschiedliche Haftungsarrangements anreizbedingt zu unterschiedlich hohen volkswirtschaftlichen Gesamtkosten und unterschiedlich effektiver Vermeidung zukünftiger Schäden. Nicht nur die Frage, wie „der Kuchen" aufgeteilt wird, ist demnach mit dem Haftungsrecht zu lösen; vielmehr wird auch die Frage, wie groß der zu verteilende „Kuchen" überhaupt sein kann, durch die Ausgestaltung des Rechts beeinflußt. Idealerweise bedarf es eines Arrangements, bei dem die Haftung nicht einer Seite allein auferlegt wird, sondern bei dem beide Seiten Anreize haben, zumindest einige der ihnen möglichen Vorsorgemaßnahmen zu treffen, damit die gesamtwirtschaftlichen Kosten minimiert werden. Aus ökonomischer Sicht ist also zunächst die wohlfahrtstheoretisch optimale Menge an Schadensprävention zu ermitteln. Erst dann kann untersucht werden, welches Haftungsarrangement die geeigneten Anreize setzt, damit die Akteure von sich aus jeweils eine volkswirtschaftlich gesehen optimale Vorsorge betreiben. Der Umfang des erforderlichen Vorsorgeaufwands ist nach der „Learned Hand"-Formel 96 wie folgt zu bestimmen: Präventive Maßnahmen sind von den Individuen so lange vorzunehmen, wie die Kosten „einer weiteren Einheit Vorsorge" (= Grenzkosten der Prävention) den Nutzen dieser Maßnahme nicht überschreiten. Dabei dürfte typischerweise von „steigenden Grenzkosten der Prävention" auszugehen sein, also von Vermeidungskosten, die mit dem Umfang der Präventionsmaßnahmen überproportional ansteigen. So fällt einer Partei üblicherweise die Vermeidung von grob fahrlässig verursachten Schäden sehr viel leichter als die von leicht fahrlässig verursachten, welche im täglichen Leben immer wieder geschehen und - wenn überhaupt - nur mit großem Zeit- und Kostenaufwand reduziert werden können97. Adams 98 vergleicht daher in seiner Habilitationsschrift die verschiedenen Arten der Haftung unter ökonomischen Gesichtspunkten, wobei er seine verbale Argumentation so weit als möglich formal fundiert. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, daß im Falle der reinen Opferhaftung („casum sentit dominus"), bei der dem Schädiger ein „Verfügungsrecht auf Schädigung" zugewiesen wird, zwei Abweichungen vom dargestellten volkswirtschaftlich optimalen Umfang an Präventionsmaßnahmen zu beobachten sein werden: Zum einen wird der 95
Zum Begriff des Nullsummenspiels z.B. Bairdt Gertneri Picker, S. 317. Genauer zu dieser noch unter D.III. 1 .b). 97 Bei der Haftungsausgestaltung im Verhältnis von „Straßenbaulastträger" und „Fahrzeughalter" (Picot/Dietl in Ott/Schäfer, S. 311 ff.) ist es z.B. dem Fahrzeughalter durch Einbau von Stoßdämpfern möglich, die Schäden aus „üblichen" Straßenschäden mit verhältnismäßig geringem Aufwand vollständig zu verhindern. Ein wirksamer Schutz gegen tiefe Löcher im Straßenbelag wäre - wenn überhaupt - nur durch deutlich aufwendigere bzw. teurere Mechanismen möglich. Dagegen können die Straßenbaulastträger tiefe Schlaglöcher mit relativ geringem Aufwand durch einfache Ausbesserungen einebnen. Die dabei an den Rändern stets entstehenden leichten Erhebungen wären wiederum nur mit einer - völlig unverhältnismäßigen - Neuasphaltierung zu verhindern. 96
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Zum folgenden daher größtenteils auch Adams, Ökonomische Analyse, S. 36 ff.
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Schädiger, der in diesem Szenario gänzlich von der Haftung befreit ist, seinen Vorsorgeaufwand auf Null reduzieren, obwohl es ihm nach den obigen Ausführungen zum Umfang der Prävention oblegen hätte, selbst Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Zum anderen wird das Opfer, welches nun den gesamten Schaden zu tragen verpflichtet ist, einen Vorsorgeaufwand treffen, der über dem sozialen Optimum liegt. Für das Opfer aber wird wegen der steigenden Grenzkosten der Prävention die Vermeidung eines Schadens mit einem größeren Aufwand verbunden sein als für den Schädiger. Damit wird bei der reinen Opferhaftung im Ergebnis insgesamt weniger Vorsorgeaufwand betrieben als sozial wünschenswert wäre, möglicherweise sogar mit gesamtwirtschaftlich höheren Kosten. Eine solche Allokation ist ineffizient. Entsprechendes gilt in vollem Umfang für die Ausgestaltung der Haftung als „Gefährdungshaftung ohne Berücksichtigung des Mitverschuldens" 99. Anders liegt die Sache bei der Verschuldenshaftung. Hier wird ein sorgfaltswidriges Verhalten einer Partei dann angenommen, wenn sie den ihr nach der obigen „Learned Hand"-Formel obliegenden Vorsorgemaßnahmen nicht nachkommt. Im Falle der Verschuldenshaftung wird ein nutzenmaximierender homo oeconomicus genau das Sorgfaltsniveau wählen, welches seine eigenen Kosten minimiert. Dabei gehen in das Kalkül sowohl die Kosten für die Vorsorgemaßnahmen als auch die mit der Eintrittswahrscheinlichkeit gewichteten potentiell zu leistenden Schadensersatzkosten ein. Wenn es nun der Rechtsprechung gelingt, das optimale Präventionsniveau auch als rechtlichen Fahrlässigkeitsmaßstab festzulegen, dann fallen auch im Recht privates und soziales Sorgfaltsoptimum zusammen100. Eine Verringerung unter das soziale Optimum lohnt sich für den potentiellen Schädiger nicht, da er die Kostenersparnis mit überproportional hohen Schadensersatzforderungen „erkauft". Ein höheres Sorgfaltsniveau ist von ihm ebenfalls nicht zu erwarten, da ihn bereits die Einhaltung des Vorsorgeoptimums von jeder Haftung freistellt, und damit weiteren Präventionskosten keine Einsparungen gegenüberstünden. Das potentielle Opfer wird, da es von einem wohlfahrtsökonomisch optimalen Präventionsniveau durch den Schädiger ausgehen kann, ebenfalls die sozial wünschenswerten Sorgfaltsvorkehrungen treffen. Bei weitergehenden Maßnahmen würden nämlich (anders als im Fall der reinen Opferhaftung) die Kosten die erwarteten Einsparungen übersteigen, während sich das Opfer bei geringerer Prävention der Gefahr einer u.U. hohen Haftung aussetzen würde. Damit stellt sich - wenn der Sorgfaltsmaßstab von der Rechtsprechung richtig angewendet wird - bei der Verschuldenshaftung im Ergebnis ein gesamtwirtschaftlich optimales Sorgfaltsniveau ein, welches zu den niedrigstmöglichen Kosten erzielt wird. Beide Seite werden nämlich genau die Präventionsmaßnahmen ergreifen, die sie am günstigsten durchführen können.
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Adams, Ökonomische Analyse, S. 50 f. Zur grafischen Herleitung vgl. nur Adams, Ökonomische Analyse, S. 53 ff.
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III. Der Transaktionskosten-Ansatz
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Die Herstellung einer effizienten Allokation steht stets unter dem Vorbehalt, daß die Rechtsprechung die durch eine Verschuldenshaftung ausgelösten Wirkungen nicht dadurch konterkariert, daß sie den rechtlichen Verschuldensmaßstab nicht richtig bestimmt. Genau das aber wirft in der Praxis erhebliche Informationsprobleme auf, die jedoch erst später behandelt werden sollen, da es sich um Schwierigkeiten der normativen ökonomischen Theorie handelt. 5. Bedeutung des Property-Rights-Ansatzes Insgesamt gibt die positive ökonomische Theorie mit dem Property-RightsApproach ein Instrumentarium an die Hand, mit dem verschiedenartigste Erkenntnisse gewonnen werden können. So eröffnete die Theorie der Verfügungsrechte im ersten - markenrechtlichen - Beispiel ein verändertes Verständnis der Funktion der Marke, welches unmittelbar für die rechtliche Gestaltung und die gerichtliche Auslegung von Bedeutung ist. Im zweiten - haftungsrechtlichen Beispiel sollte vor allem gezeigt werden, welche Verhaltensanreize von verschiedenen Haftungsszenarien ausgehen. Wie in den beiden Beispielen überwiegt bisher die verbale Behandlung des Property-Rights-Approach. Es besteht dadurch die Gefahr von willkürlichen ad-hoc-Argumentation und -Zuordnungen bestimmter Größen zu nicht immer trennscharfen Begriffen wie den Transaktionskosten 101. Eine solche Willkür ginge zweifellos zu Lasten des Aussagegehalts der Theorie, weshalb der Vorwurf ernst zu nehmen ist. Ihm kann jedoch durch weitere Spezifizierung der Begrifflichkeiten und deren Offenlegung in jeder Untersuchung begegnet werden, so daß der Einwand für eine kritische Prüfung der Voraussetzungen, nicht aber gegen die Theorie der Verfügungsrechte als solche spricht. III. Der Transaktionskosten-Ansatz Ebenso wie die Verfügungsrechte-Theorie auf den Ausführungen von Ronald Coase in „The Problem of Social Cost" basiert, läßt sich auch der Transaktionskosten-Ansatz auf eine seiner Arbeiten zurückführen, und zwar auf den Beitrag „The Nature of the Firm" 1 0 2 aus dem Jahre 1937. Coase geht in diesem Aufsatz der Frage nach, warum es überhaupt Unternehmen gibt, wenn doch wirtschaftliche Aktivitäten über den Markt abgewickelt werden können. Als Grund führt er die Kosten der Marktnutzung an, die innerhalb von Unternehmungen eingespart werden können 103 . Da aber auch diese Unternehmungen selbst Kosten verursachen, würden Transaktionen nur so lange intern abgewickelt, wie kompa101 Gäfgen, S. 58 f.; Eidenmüller, Effizienz, S. 97 f.; Feldmann, Eine institutionalistische Revolution?, S. 81. 102 Coase, Economica 1937, 386 ff. 103 Coase, Economica 1937, 386, 390.
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rative Kostenvorteile gegenüber dem Markt bestünden104. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß diese Erkenntnis als die eigentliche Geburtsstunde der „Transaktionskosten" angesehen werden kann, wenngleich Coase diesen Begriff in „The Nature of the Firm" noch nicht ausdrücklich verwendet. 7. Problem des Opportunismus Der Ansatz von Coase wurde vor allem von Williamson auf die Betrachtung aller Institutionen erweitert. Williamson geht ähnlich wie Coase davon aus, daß Institutionen ökonomisch betrachtet weniger einer monopolistischen Wettbewerbsbeschränkung als vielmehr der Einsparung von Transaktionskosten und dem Schutz vor opportunistischem Verhalten dienen 105 . Unter opportunistischem Verhalten bzw. Opportunismus versteht man in der Ökonomik die Verfolgung des Eigeninteresses unter Zuhilfenahme von List 106 . Dazu zählen das Lügen, Betrügen oder Stehlen genauso wie subtilere Formen der Vorteilsverschaffung durch Verzerrung oder Unterdrückung wertvoller Informationen oder auch die Ausnutzung eines Informationsgefälles. Während sich der neoklassische Egoist wegen der Annahme fehlender Transaktionskosten und der damit verbundenen vollständigen Antizipierbarkeit und kostenlosen Überprüfbarkeit aller Zustände stets Vertrags- und gesetzestreu verhält, kann der Opportunist in der „Transaktionskosten-Welt" auch illegale Methoden anwenden, um seine Ziele zu erreichen 107. Die Existenz von Transaktionskosten gibt ihm nämlich die Möglichkeit, in seinem unredlichen Tun nicht entdeckt zu werden. Opportunismus wird bei der Analyse jedoch lediglich als Möglichkeit individuellen Handelns berücksichtigt, keineswegs als zwingend zu erwartendes Verhalten unterstellt. 2. Eigenschaften von Transaktionen Die Wahrscheinlichkeit opportunistischen Verhaltens hängt also wesentlich von der Höhe der Transaktionskosten ab. Um die Anreizwirkungen bestimmter Szenarien darstellen zu können, ohne diese schwierig meßbare Größe genau quantifizieren zu müssen108, stellt Williamson zur Kategorisierung von Transaktionen auf drei Faktoren 109 ab, nämlich die Transaktionshäufigkeit, die Unsicherheit und die Faktorspezifität. 104
Coase, Economica 1937, 386, 394 f. Williamson, Economic Institutions, S. 32 f. (deutsche Übersetzung: S. 36 f.); Kräkel, Organisation und Management, S. 16. 106 Williamson, Economic Institutions, S. 47 ff., 64 ff. (deutsche Übersetzung: S. 54 f f , 73 ff.). 105
107 108
BonusiMaselli in Gabler Wirtschaftslexikon, S. 3075 f.
Williamson, Economic Institutions, S. 28 f., 80 f. (deutsche Übersetzung: S. 33 f., 91 f.) unterscheidet innerhalb der Transaktionskostenökonomik den „Meßansatz" vom „Beherrschungsansatz"; daraufhinweisend auch: Richter in Ordelheide/Rudolph/Büsselmann, S. 421. 109 Williamson, Economic Institutions, S. 52 ff. (deutsche Übersetzung: S. 59 ff.); Martiensen, S. 283 ff.; Thiele, WISU 1994, 993, 994; Picot in Ott/Schäfer, S. 316 f.
III. Der Transaktionskosten-Ansatz
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Die Transaktionshäufigkeit zielt auf die Frage ab, wie oft ein bestimmter Leistungsaustausch durchgeführt wird. Sie ist insofern für das institutionelle Arrangement relevant, als z.B. bei einmaligen Transaktionen die Aushandlung eines Vertrages möglicherweise an den damit verbundenen Transaktionskosten scheitert, bei wiederholten gleichartigen Transaktionen eine solche Aushandlung aber lohnt. Dagegen geht es bei der Unsicherheit darum, wie genau sich die Veränderung der Umweltbedingungen und das Verhalten der Transaktionspartner von den Akteuren vorhersehen lassen. Je genauer dies möglich ist, desto geringer sind die Transaktionskosten. Der wichtigste Faktor aber ist nach Williamson der Spezifitätsgrad der Beziehung. Er ist definiert als s=(E-Z)/E, wobei E für den Wert einer Ressource in der geplanten Transaktion (Erstverwendungswert) steht, Z dagegen für den Wert in der besten Nutzungsalternative (Zweitverwendungswert). Ist der Zweitverwendungswert null, die Ressource also in jeder anderen als der Erstnutzung wertlos, ergibt sich der höchstmögliche Spezifitätsgrad von eins. Je höher der Spezifitätsgrad, desto größer ist zum einen die Abhängigkeit einer Partei vom Zustandekommen und der vertragsgemäßen Durchführung der Transaktion, zum anderen aber auch die Gefahr von Opportunismus durch die andere Seite. Mit Hilfe dieser Kategorisierung lassen sich nach der Transaktionskostentheorie den verschiedenen Transaktionstypen unterschiedliche Vertragsarten zuordnen 110. Die Gefahr von Opportunismus besteht besonders bei längerfristigen Verträgen, deren Inhalt aufgrund der unterstellten eingeschränkten Rationalität, der komplexen Regelungsmaterie und der Existenz von Transaktionskosten nur unvollständig geregelt werden können (sog. „relationale Verträge" 111 ) 112 . Aufgrund dieser unvollständigen vertraglichen Regelung und der schwierigen Beweisführung vor Gericht bietet das Vertragsrecht vor derartigem Opportunismus nur sehr begrenzten Schutz 113 ; es droht dann ein sogenanntes „hold up"Problem. Dabei handelt es sich um die Situation, in der eine Partei eine für die Vertragserfüllung notwendige - und meist anderweitig nicht oder nur weniger gut verwertbare, im oben genannten Sinne also „spezifische" - Investition vornimmt, aufgrund derer sie durch die andere Partei erpreßbar wird. Das Ausmaß der Spezifität kann im Falle der Investition auch als „Quasi-Rente" gemessen werden. Unter einer Quasi-Rente versteht man den Differenzbetrag der Investition aus der geplanten und der nächstbesten Nutzung. Mit der Quasi110
Ausführlicher dazu Picot in Ott/Schäfer, S. 317 f. und Martiensen, S. 286 ff. Das Konzept relationaler Verträge entstammt einer empirischen Studie des Rechtssoziologen Macaulay, ASR 1963, 55 ff. Darin untersucht Macaulay, warum langfristige Verträge oft nur sehr grobe Regelungen enthalten, und kommt zu dem Ergebnis, daß Dauerverbindungen zum einen unter dem durch zu genaue Regelungsversuche offenbarten Mißtrauen, zum anderen durch den Mangel an Flexibilität leiden (S. 64 f.). 111
112 Williamson, Economic Institutions, S. 30 ff., 70 f. (deutsche Übersetzung: S. 34 ff., 78 ff.); Richter!Furubotn, S. 35 f., 173 ff. diskutieren relationale Verträge aufgrund ihrer Nähe zum Property-Rights-Ansatz in dessen Zusammenhang. 113 So auch Richter in Krause-Junk, S. 329.
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Rente soll letztlich die gleiche Aussage getroffen werden wie mit dem Spezifitätsgrad; bei letzterem wird das Ergebnis als Verhältniszahl, bei ersterer als unmittelbarer Geldbetrag ausgewiesen. Auch bei der Quasi-Rente ist also die Spezifität einer Investition um so größer, je geringer ihr Wert in einer anderen Verwendung ist. Eine hohe Quasi-Rente erhöht nach der Transaktionskostentheorie die Gefahr opportunistischen Verhaltens und reduziert damit letztlich die Wahrscheinlichkeit, daß die Transaktion zustande kommt. 3. Beispiel für den Tr ans aktions kosten-Ans atz Ein typisches Beispiel hierfür ist die Austauschbeziehung zwischen einem Zulieferer und seinem Abnehmer, die vorab einen festen Preis für die Vertragsware vereinbart haben114. Erwirbt der Zulieferer eine sehr genau auf die Wünsche des Abnehmers abgestimmte Maschine, um die an diesen zu liefernden Produkte in Zukunft günstiger produzieren zu können, dann hat diese Maschine typischerweise eine hohe Quasi-Rente; sie kann nämlich regelmäßig nicht für die Fertigung von anderen als die für den Abnehmer herzustellenden Güter genutzt werden. Liegen nun aufgrund der neu angeschafften Maschine die Produktionskosten des Zulieferers unter denen seiner Konkurrenten, scheint sich die Investition im wesentlichen zu seinen Gunsten auszuwirken, da er beim Verkauf der Güter zum vorher festgelegten Marktpreis eine höhere Gewinnspanne realisieren kann. Durch die Berücksichtigung opportunistischen Verhaltens ändert sich diese Betrachtung aber grundlegend: Oft nämlich werden wegen des begrenzten Wissens über zukünftige Marktentwicklungen unvollständige Vertrag geschlossen. So muß möglicherweise - z.B. aufgrund starker Nachfrageschwankungen - auf die vertragliche Festlegung der mindestens abzunehmenden Menge verzichtet werden. Dann aber besteht die Gefahr, daß der Abnehmer die kostenintensive Investition des Zulieferers dazu ausnutzt, Zugeständnisse bei anderen, vertraglich ebenfalls nicht fixierten Leistungen (z.B. Produktqualität, Kulanz oder Sonderrabatte) einzufordern. Da der Zulieferer nämlich die Maschine nutzen muß, um ihren Kaufpreis zu amortisieren, er aber aufgrund des hohen Spezifitätsgrades nur mit dem Abnehmer kontrahieren kann, kann dieser trotz bestehenden Wettbewerbs den Angebotspreis des Zulieferers u.U. sogar unter den Marktpreis drücken. Dadurch verringert sich zwar der Gewinn des Zulieferers, er kann aber weiterhin seine Kosten zumindest teilweise decken. Das ist für ihn immer noch besser, als den Abnehmer als Kunden zu verlieren und die spezifische Investition vergebens getätigt zu haben. Da aber der Zulieferer bei Vertragsschluß diese Gefahr erkennt, wird er sich auf eine derartige spezifische Investition ohne Vorleistungen vom Abnehmer z.B. durch Beteiligung an den Investitionskosten oder sogar an dem Unternehmen selbst - überhaupt nicht einlassen.
114
Dieses Beispiel findet sich z.B. bei Kräkel, Organisation und Management, S. 11 ff.
III. Der Transaktionskosten-Ansatz
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4. Bedeutung des Transaktionskosten-Ansatzes Anders als beim Verfligungsrechte-Ansatz, der sich unmittelbar mit der Zuweisung von Rechten beschäftigte, handelt es sich bei der Frage nach spezifischen Investitionen zunächst nur um eine innerbetriebliche Angelegenheit. Es fragt sich daher, inwieweit ein solches, scheinbar rein betriebswirtschaftliches Problem Bedeutung für die ökonomische Theorie des Rechts haben kann. Die volkswirtschaftliche Dimension wird aber dann deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß durch das Unterlassen einer für beide Seiten vorteilhaften Transaktion nicht nur erhebliches wirtschaftliches Potential nicht genutzt wird, sondern - wie hier in Folge der Unterinvestition - u.U. auch der technische Fortschritt gehemmt wird. Daher ist das Recht aus Sicht des TransaktionskostenAnsatzes so zu gestalten, daß derartige Gefahren, z.B. durch Zulassung von Unternehmensbeteiligungen des Abnehmers am Betrieb des Zulieferers, verhindert werden. Auf die Bedeutung derartiger Investitionen in an sich zunächst fremde Vermögenswerte wird noch ausführlich zurückzukommen sein 115 . Mit der Betrachtung von Unternehmen und relationalen Verträgen widmet sich die Transaktionskostentheorie ebenso wie der Verfügungsrechte-Ansatz in erster Linie den bewußt gestalteten Institutionen, was den Ansätzen aber keineswegs immanent ist 116 . Während Aufgabe des Verfügungsrechte-Ansatzes die Untersuchung und der Vergleich alternativer Rechtsstrukturen ist, beschäftigt sich der Transaktionskosten-Ansatz mit der Frage, welche Koordinationsform innerhalb eines gegebenen rechtlichen Umfelds optimal ist 117 . Damit wird die Transaktion selbst zur Grundeinheit der Analyse 118 . Die Ansätze verhalten sich insofern weitgehend komplementär 119. Ihre große Nähe zeigt sich darin, daß letztlich jedes Problem von dem einen in den anderen Ansatz überführt werden kann, indem die Transaktion als Übertragung von Verfügungsrechten aufgefaßt wird. Das ist möglich, seit der Begriff der Property Rights (entgegen seiner ursprünglichen Betrachtung nur absoluter Rechte) auch relative Rechte umfaßt 120 . Die Entwicklung der Transaktionskostentheorie ist noch nicht abgeschlossen und insofern noch verbesserungsbedürftig, aber auch -würdig. Dennoch liegt mit ihr bereits jetzt ein Ansatz vor, der weiterreichende Erkenntnisse ermöglicht. Dies um so mehr, als über den statischen Vergleich zweier Gleich-
115
Hierzu in Kapitel E.II, unter dem Stichwort „Humankapitalinvestitionen". Vgl. für die Anwendbarkeit der Verfügungsrechte-Theorie auf spontan gewachsene Institutionen z.B. Demsetz, AER 1967, 347, 350. Vgl. dazu für die Transaktionskostentheorie auch die Ausführungen von Williamson , JLEO 1991, 159, 161. 116
117
Williamson , ZgS 1990, 61, 67. Williamson , Economic Institutions, S. 1 (deutsche Übersetzung: S. 1). 119 So auch Picot in Ordelheide/Rudolph/Büsselmann, S. 147, 154. 120 Dazu Marliensen, S. 124; Picot in Ott/Schäfer, S. 313; anders aber z.B. noch Richter, Institutionen ökonomisch analysiert, S. 12 f. 118
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gewichtszustände hinaus auch dynamische Prozesse analysierbar werden 121 . Seine Aussagen haben sich bisher empirisch bewährt, wenngleich die Ergebnisse in diesem Bereich noch hinter der Entwicklung des theoretischen Ansatzes zurückbleiben 122. Weitere Verfeinerungen der Transaktionskostentheorie läßt nach Einschätzung von Williamson noch die Berücksichtigung umfassenderen und hochwertigeren empirischen Datenmaterials erwarten. IV. Der Agency-Ansatz Der dritte wichtige Ansatz der Neuen Institutionenökonomik ist der „Agency"-Ansatz, mit dessen Hilfe dargestellt werden kann, wie ein Rechtssubjekt (der Prinzipal) Aufgaben an ein anderes (den Agenten) delegiert. Untersuchungsgegenstand sind also die „Innenbeziehungen einer Institution" 123 , wobei vor allem die Anreizstrukturen in Organisationen auf ihre Wirksamkeit hin analysiert werden. Es soll durch geeignete Anreize bereits vor Vertragsschluß sichergestellt werden, daß ein zur Vertretung berechtigter Agent bestehende Informationsasymmetrien nicht zu seinen Gunsten ausnutzt124. 7. Voraussetzungen des Agency-Ansatzes Wer Prinzipal und wer Agent ist, ist für das zu betrachtende Verhältnis situativ zu entscheiden, da dieselbe Person gleichzeitig Prinzipal und Agent sein kann: So ist beispielsweise der Vorstand einer Aktiengesellschaft gegenüber den Mitarbeitern Prinzipal, gegenüber den Anteilseignern aber Agent. Dabei wird unterstellt, daß sich die Risikoneigung beider Parteien unterscheidet125. So geht man typischerweise davon aus, daß sich Agenten risikoavers verhalten, während der Prinzipal normalerweise risikoneutral ist. Dem Ansatz eigen ist, daß der Agent bei Erfüllung der ihm obliegenden Tätigkeit stets nicht nur seinen eigenen Nutzen, sondern auch den des Prinzipals beeinflußt. Der Nutzen des Prinzipals besteht dabei zumeist in der Erzielung eines möglichst hohen Gewinns, während der Nutzen des Agenten sich sowohl (positiv) aus der Höhe der Entlohnung als auch (negativ) der Höhe des Arbeitsaufwandes („Arbeitsleid" 126 ) zusammensetzt. Da Prinzipal und 121 Richter in Ordelheide/Rudolph/Büsselmann, S. 420; Feldmann, Eine institutionalistische Revolution?, S. 83. 122 So auch Feldmann, Eine institutionalistische Revolution?, S. 84; Kräkel, Organisation und Management, S. 13 ff.; Williamson, Transaktionskostenökonomik, S. 63 ff. 123
Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 26.
124
Bonus!Hellinger in Gabler Wirtschaftslexikon, S. 2229; zu Defiziten der Agency-Theorie siehe Meinhövel. 125
Vgl. zu den verschiedenen Risikoneigungen: Richter!Furubotn, S. 212 ff.; Rose-Ackerman in Ott/Schäfer, S. 275, Fn. 20. 126 Vgl. dazu z.B. Feldmann, Ordnungstheoretische Aspekte, S. 133.
S. 207 ff.; Varian,
IV. Der Agency-Ansatz
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Agent aufgrund verschiedener Ziele und Risikoneigung unterschiedliche Nutzenfunktionen haben, entsteht ein Interessenkonflikt und damit die Gefahr, daß der Agent diesen in seinem Sinne auflöst, sich also opportunistisch verhält. Für eine Ausnutzung unumgänglich ist das Bestehen eines Informationsgefälles zwischen dem Prinzipal und dem Agenten. Wären nämlich der Prinzipal und der Agent gleichermaßen vollständig informiert, könnte der Prinzipal das Handeln des Agenten perfekt überwachen, bewerten und damit ein Fehlverhalten unmittelbar sanktionieren. Unter vollständiger Information würde der Agent also stets im Sinne des Prinzipals handeln. Es käme zur besten aller möglichen Lösungen 127 des Agency-Problems, der „first best"-Lösung. Typischerweise aber sind die Informationen zwischen den Parteien asymmetrisch verteilt. Der Agent hat aufgrund größerer Sachnähe einen Informationsvorsprung, den er zu seinen eigenen Gunsten ausnutzen kann, was das Erreichen der bestmöglichen Lösung verhindert und zwingend in eine „second best"-Lösung mündet. 2. Verschiedene Probleme asymmetrischer Informationsverteilung Der Informationsvorsprung des Agenten kann sich in zwei Phasen äußern: Vor Vertragsschluß und nach Vertragsschluß. Beide Anknüpfungspunkte weisen sich teilweise überschneidende bzw. gemeinsam auftretende Problemkonstellationen auf, die unterschiedliche Maßnahmen durch den Prinzipal erfordern 128 . Vor Vertragsschluß besteht das Problem der „hidden characteristics", nach dem Abschluß das der „hidden action" sowie der „hidden information". Zunächst können vor Vertragsschluß vom Prinzipal grundsätzlich nicht alle Eigenschaften des Agenten erkannt werden („hidden characteristics" 129), obwohl sie sich u.U. erheblich auf das Zustandekommen und den Inhalt des Vertrags auswirken könnten. Der Agent kann deshalb durch Täuschung des Prinzipals einen Vertragsschluß herbeiführen, den dieser bei Kenntnis aller Tatsachen nicht getätigt hätte. Damit besteht die Gefahr der Auswahl von ungeeigneten Vertragspartnern. Diese sogenannte „adverse Selektion" kann wie Akerlof 3 0 gezeigt hat - zum Zusammenbruch ganzer Märkte führen. Die Reduzierung des Informationsgefälles kann auf verschiedene Weise geschehen: Zum einen kann der Agent von sich aus nachweisen, den Anforderungen gewachsen zu sein („signalling" 131 ), z.B. durch Prüfungsbescheinigungen, Gesundheitszeugnisse, Bonitätsnachweise, Führerscheine etc. Zum anderen kann der Prinzipal den Agenten z.B. durch Befragung auf seine Eignung hin
127
Feldmann, Ordnungstheoretische Aspekte, S. 134 f. Die nach PicotlDietl in Ott/Schäfer, S. 323 dritte Konstellation (hidden intention) wird hier nicht erläutert, da es sich um eine Überschneidung mit der Transaktionskostentheorie handelt. 128
129 130 131
6 Janson
PicotlDietl in Ott/Schäfer, S. 321 f. Akerlof, QJE 1970, 488 ff. Schauenberg in Bitz/Dellmann/Domsch/Wagner, S. 38 f.; MilgromlRoberts,
S. 154 ff.
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untersuchen („Screening" 132). Ferner kann der Prinzipal durch differenzierte Vertragsangebote den Agenten dazu bringen, seine Eigenschaften zu offenbaren („seif selection" 133 ), indem er ihn zwischen verschiedenen Verträgen wählen läßt. So kann beispielsweise134 ein Versicherer (Prinzipal) einem Versicherungsnehmer (Agent) verschiedene Verträge anbieten, die durch unterschiedliche Kombinationen von Selbstbeteiligung und Versicherungsprämie so ausgestaltet sind, daß ein nach seinen Präferenzen und Fähigkeiten auswählender Agent mit der Entscheidung gleichzeitig Erkenntnisse über sein Verhalten eröffnet. So werden unfallgefährdete Autofahrer eher einen Vertrag mit höherer Prämie und niedrigerer Selbstbeteiligung wählen als vorsichtige Fahrer. Zuletzt kann das Problem des Informationsvorsprungs auch durch Annäherung der Interessen beider Seiten entschärft werden: Probezeiten und Kündigungsrechte fuhren dazu, daß die Gefahr der Entlarvung des Agenten steigt, und dieser somit seine wahren Eigenschaften gar nicht erst versteckt. Hinter all diesen Instrumenten erkennt der Agency-Ansatz also Maßnahmen, mit denen ex ante die andere Vertragspartei auf ihre Eignung hin untersucht werden soll; während das beim „Screening" und „signalling" nicht sonderlich innovativ erscheint, stellt der Weg der „seif selection" eine Variante jenseits der einfachen Intuition dar. Hauptgegenstand der Agency-Theorie ist aber die Analyse des Verhaltens nach Vertragsschluß; in diesem Fall liegt die Schwierigkeit darin, daß der Prinzipal entweder die Handlungen des Agenten überhaupt nicht bzw. nicht ohne Verursachung von Kosten beobachten kann („hidden action" 135 ) oder aber die Handlung als solche zwar beobachten, mangels Fachkenntnis aber nicht bewerten kann („hidden information" 136 ). Ein gutes Betriebsergebnis kann - als Beispiel für „hidden action" - entweder auf eine besondere Anstrengung der Unternehmensführung oder aber auf in erster Linie günstige Umwelteinflüsse zurückzuführen sein. „Hidden information" bestehen dagegen beispielsweise bei der Beauftragung eines Arztes, dessen Methoden zur Heilbehandlung vom Laien regelmäßig nicht bewertet werden können. Beides sind Untergruppen des sogenannten moralischen Risikos („moral hazard" 137 ), dem sich der Prinzipal beim Tätigwerden eines Agenten ausgesetzt sieht. Dem Agenten wird dadurch die Möglichkeit eröffnet, durch opportunistisches Verhalten seinen Nutzen aus Einkommen abzüglich Arbeitsaufwand besonders günstig zu gestalten. Dem kann durch Angleichung der Interessen des Agenten an diejenigen des 132 MilgromlRoberts, S. 154 ff.; Stiglitz, AER 1975, 283, 292 ff.; Arrow, JPE 1973, 193, 194 ff.; Schauenberg in Bitz/Dellmann/Domsch/Wagner, S. 39 f.; Fleischer, S. 124 f. 133 Meinhövel, S. 90; Schauenberg in Bitz/Dellmann/Domsch/Wagner, S. 39; Fleischer, S. 125. 134
Beispiel aus Picot/Dietl in Ott/Schäfer, S. 321 f. ErleHLesckelSauerland, S. 112 f., 115 ff.; Picot/Dietl rubotn, S. 164; Schäfer!Ott, Lehrbuch, S. 368. 135
in Ott/Schäfer, S. 322 f.; Richter! Fu-
136 Erlei!LesckelSauerland, S. 113; RichterlFurubotn, S. 165; Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 368; Picot/Dietl in Ott/Schäfer, S. 323. 137 Richter!Furubotn, S. 163; Schauenberg in Bitz/Dellmann/Domsch/Wagner, S. 40; Milgrom!Roberts, S. 166 ff.
IV. Der Agency-Ansatz
83
Prinzipals begegnet werden, was zumeist durch anreizorientierte Ausgestaltung des Lohnprofils (z.B. mit Erfolgsbeteiligungen) geschieht. Um den Opportunismus des Agenten zu vermeiden, muß der Prinzipal also durch geeignete Anreiz- und Informationsmechanismen versuchen, das Informationsgefälle zu seinen Gunsten zu reduzieren und seine Wohlfahrtseinbußen gegenüber der „first best"-Lösung so gering wie möglich zu halten. Dabei entstehen aber seinerseits Kosten, die den Wohlfahrtsgewinn durch die verbesserte Informationslage nicht übersteigen dürfen. Die Gesamtheit der Abweichungen vom „first best"-Zustand bezeichnet man als „Agency-Kosten", die von Jensen und Meckling 138 in drei Kategorien systematisiert wurden. Zum einen entstehen für den Prinzipal Überwachungskosten durch die Beaufsichtigung des Agenten. Zweitens fallen beim Agenten Kosten für die Selbstbindung (z.B. für Garantiezusagen) an, durch die er dem Prinzipal eine freiwillige Beschränkung des eigenen Handlungsspielraums signalisieren kann. Drittens und letztens zu nennen sind als Residualverlust noch diejenigen Kosten, die trotz Überwachung und Selbstbindung aufgrund des bestehenden Handlungsspielraums verbleiben. Diese „Agency-Kosten" stehen in einer Wechselbeziehung zueinander 139: Die Ausweitung des Überwachungsaufwandes beispielsweise läßt eine Reduzierung der Selbstbindungskosten des Agenten und der Residualverluste zu, während umgekehrt z.B. weiterreichende glaubhafte Zusicherungen seitens des Agenten die Kontrollkosten und die Residualverluste zu verringern helfen. Insofern bestehen auch hier Möglichkeiten der Optimierung. 3. Bedeutung des Agency-Ansatzes Der Agency-Ansatz zerfällt je nach Herangehensweise in einen positiven und einen normativen Zweig 140 . Der positive Forschungszweig ist stärker empirisch orientiert 141 . Durch seine eher verbale Ausrichtung verfügt er über ein breiteres Untersuchungsfeld und größere Realitätsnähe142, ist aber aufgrund seiner geringeren Exaktheit auch um so stärker dem Vorwurf von Willkür und ad-hoc-Annahmen ausgesetzt. Nach ihm sind diejenigen Institutionen durchzusetzen, welche die Agency-Konflikte bestmöglich auflösen bzw. Agency-Kosten reduzieren. Dagegen ist die normative Agency-Theorie stärker theoretisch fundiert 143 . Ihre mathematischen Modelle sind von z.T. hoher Abstraktion und dienen dazu, optimale Vertragsarten für bestimmte Konstellationen des Prinzipal-Agenten-Problems zu finden, indem sie die Agency-Kosten reduzieren und das Risiko optimal auf die Parteien aufteilen. 138 139 140 141 142 143
6*
Jensen!Meckling, JFE 1976, 305, 308. Picot/Dietl in Ott/Schäfer, S. 320; Picot in Ordelheide/Rudolph/Büsselmann, S. 150. Jensen, Accounting Review 1983, 319 ff. Jensen!Meckling, JFE 1976, 305 ff.; Jensen, Accounting Review 1983, 319, 320 ff. Feldmann, Ordnungstheoretische Aspekte, S. 139. Grossman! Hart, Econometrica 1983, 7 ff.; Shavell, BJE 1979, S. 55 ff.
84
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Dazu bedarf sie strenger Annahmen, die Fragen nach der Realitätsnähe aufkommen lassen und somit den Anwendungsbereich der Theorie reduzieren 144. So wird u.a. unterstellt, der Prinzipal kenne die Nutzenfunktion des Agenten und hätte dieselben Erwartungen über das Auftreten exogener Ereignisse wie dieser 145. Beide Annahmen vereinfachen das zugrundeliegende Problem erheblich und sind deshalb bei der Nutzung der gefundenen Ergebnisse zu berücksichtigen. Da es sich bei der Prinzipal-Agenten-Theorie zunächst um innerbetriebliche Probleme zu handeln scheint, wird der Agency-Ansatz ebenso wie wesentliche Teile der Transaktionskostenökonomik z.B. von Schäfer/Ott explizit nicht zur ökonomischen Analyse des Rechts gezählt. Nach ihrer Definition umfaßt 146 diese nämlich vornehmlich das staatlich verfaßte Parlaments- und Richterrecht. Eine solche Trennung ist aus zwei Gründen problematisch: Zum einen kann die Betrachtung institutioneller Binnenstrukturen schon deshalb sinnvoll sein, weil rechtliche Eingriffe oftmals eine bestehende (und mit Hilfe der Ansätze erklärbare) institutioneninterne Verhaltenspraxis unmöglich machen, so daß die ökonomische Theorie für das Recht wertvolle Erkenntnisse zu liefern vermag; hier können dann z.B. die Ergebnisse der Agency-Theorie innerhalb des Verfügungsrechte-Ansatz oder der Transaktionskostenökonomik nutzbar gemacht werden. Zum anderen läßt sich mit Hilfe des Agency-Ansatzes sehr wohl auch Parlamentsrecht untersuchen. Beispielsweise betrachtet Easterbrook 147 die Frage des Insiderhandels, während Schanze148 die Probleme des Stellvertretungsrechts unter Zugrundelegung der Agency-Theorie analysiert und dabei erhebliche Parallelen zwischen juristischer und ökonomischer Betrachtung erkennt. Nach seiner Ansicht dienen auch dort zu verortende richterrechtliche Figuren wie das „Geschäft für den, den es angeht" 149 der Reduzierung von Agency-Kosten, da „bei Desinteresse an der Person des Kontrahenten keine dogmatisch bedingten Informationskosten auftreten sollen" 150 . Obgleich sich insofern jede Art von Vertretungsproblemen darstellen läßt, liegt der Schwerpunkt des Agency-Ansatzes im Bereich des Gesellschaftsrechts. Mit seiner Hilfe kann zum einen das Verhältnis der Gesellschaftsorgane zueinander beleuchtet151, zum anderen aber auch die Entstehung und Ausgestaltung neuer Unternehmensstrukturen untersucht werden. Letzteres stellt sich z.B. im Bereich des Franchising gerade für die richterrechtliche Betrachtung als 144
Vgl. dazu das analoge Problem beim homo oeconomicus unter A.II.3.e).
145
Zu diesen und weiteren Vereinfachungen im Rahmen der normativen Agency-Theorie: heldmann, Ordnungstheoretische Aspekte, S. 136 f. 146 Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 371. Das hindert sie freilich nicht daran, die dort gewonnenen Erkenntnisse in ihrem Lehrbuch darzustellen und argumentativ zu verwenden. 147 Easterbrook in Pratt/Zeckhauser, S. 81 ff. 148 Schanze in Ott/Schäfer, S. 60 ff. 149 150 151
PsAandt-Heinrichs, § 164, Rdnr. 8; Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 90. So Schanze in Ott/Schäfer, S. 65. Vgl. hierzu jüngst Eidenmüller, JZ 2001, 1041, 1046 ff.; ähnlich Fleischer, S. 145 (mwN).
V. Gesamtergebnis
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152
wichtiger Problemkreis dar . Insofern kommt auch der Agency-Theorie eine erhebliche Bedeutung für die ökonomische Rechtsbetrachtung zu. V. Gesamtergebnis Die verschiedenen Ansätze der Neuen Institutionenökonomik sind ohne die grundlegenden Arbeiten von Coase kaum vorstellbar. Durch ihre seither erfolgte Weiterentwicklung allerdings sind sie - was sich im praktischen Teil 1 5 3 der Arbeit noch zeigen wird - nicht so exakt voneinander zu trennen, wie hier aus Darstellungsgründen geschehen. Es wurde bereits zu Beginn des Kapitels erwähnt, daß alle drei Ansätze vielerlei Berührpunkte haben und teilweise ineinander übergehen 154. Bei der Nutzung aller Ansätze ist zu beachten, daß nicht nur Kosten in Form von Transaktions- oder Agency-Kosten entstehen, die durch institutionelle Veränderungen reduziert werden können, sondern daß diese Änderungen ihrerseits Ressourcen verbrauchen, die die erzielten Kostenersparnisse keinesfalls übersteigen dürfen. Daneben ist auch auf ein weiteres Problem hinzuweisen, welches der oben 155 erörterten charakterlichen Prägung durch das ökonomische Verhaltensmodell ähnelt: Wurde dort argumentiert, daß bei ständiger Konfrontation mit dem ökonomischen Verhaltensmodell andere als die dort unterstellten Verhaltensweisen verkümmerten, so wird nun teilweise befürchtet, daß durch rechtlichen Zwang u.U. freiwillige Verhaltensnormen zusammenbrechen, so daß zusätzliche (sogenannte „moralische") Kosten entstehen156. Bei der Anwendung der Theorie ist zu berücksichtigen, welches Rationalitätskonzept dem jeweiligen Ansatz zugrunde liegt. Generell betont die Transaktionskostenökonomik am stärksten die Bedeutung der eingeschränkten Rationalität, während die Agency-Theorie vom Zustand weitreichender Information ausgeht157 und insofern den größten Optimismus bezüglich der Vorhersehbarkeit und Steuerbarkeit aller Ereignisse und Handlungen an den Tag legt. Trotz der genannten Probleme und der unterschiedlichen Reichweite der einzelnen Theorien stellen die Ansätze der Neuen Institutionenökonomik einen erheblichen Erkenntnisfortschritt gegenüber der traditionellen Ökonomie dar. Für 152 Zur ökonomischen Betrachtung des Franchising z.B. Eger in Nagel, S. 224 ff.; Richter in Ordelheide/Rudolph/Büsselmann, S. 415 ff. 153 Dazu im arbeitsrechtlichen Kapitel unter E. 154
So auch Picot/Dietl/Franck, S. 54 f. Zur Vermischung von Verfügungsrechte- und Transaktionskostentheorie: Martiensen , S. 118 f., 262; zur Nähe von Transaktionskosten- und AgencyTheorie: Schanze in Ott/Schäfer, S. 72. 155 Vgl. dazu unter A.II.3.f). 156 Martiensen , S. 118, 264, der dort die Pflegeversicherung als Beispiel für die Zerstörung von innerer Motivation aufgrund als unverhältnismäßig empfundener Überwachung nennt. 157 Feldmann , Eine institutionalistische Revolution?, S. 81, 87.
86
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die ökonomische Rechtsbetrachtung nimmt die Verfugungsrechte-Theorie eine zentrale Rolle ein, wobei nicht unterschlagen werden soll, daß auch die Transaktionskostentheorie und der Agency-Ansatz teils eigenständig, teils innerhalb des Rahmens der Verfiigungsrechte-Analyse wichtige Einsichten ermöglichen 158.
158
So z.B. auch Schmidtchen, JbfNÖuStat 1998, 251, 256; Fleischer, S. 143 ff.
C. Normative Kriterien der ökonomischen Theorie des Rechts Die Ausrichtung der ökonomischen Theorie ist primär positiver Natur 1. Dasselbe gilt grundsätzlich auch für die ökonomische /tec/tfstheorie. Es wurde bereits dargestellt, daß Coase in „The Problem of Social Cost" eine rein positive Betrachtung ohne eindeutiges oder gar universales normatives Kriterium anstellte und statt dessen den umfassenden Vergleich der institutionellen Arrangements insgesamt forderte 2. Dennoch bemühen sich einige Autoren der ökonomischen Rechtsbetrachtung - allen voran Posner - um die Implementierung eines allgemeingültigen normativen Kriteriums 3. Damit stellt sich neben der Frage, welche Wirkungen die Ausgestaltung und Änderungen des Rechts haben (positive Betrachtung), nunmehr das weitergehende Problem, wie die jeweiligen Auswirkungen zu bewerten sind (normative Betrachtung). Da es sich bei den vorgeschlagenen Kriterien um nicht von der Rechtswissenschaft selbst entwickelte Wertungen handelt, steht diese ihnen zunächst einmal skeptisch gegenüber, zumal sie die eigene Autonomie gefährdet sieht4. Bisher wurde im Rahmen dieser Arbeit - ohne weiter auf eine Definition einzugehen - mehrfach angedeutet, daß das anzustrebende Ziel der ökonomischen Rechtsbetrachtung die Erreichung eines Zustands „allokativer Effizienz" sei. In diesem Kapitel soll nun der Frage nachgegangen werden, was unter Effizienz im Sinne der ökonomischen Rechtstheorie zu verstehen ist und ob es eventuell andere Kriterien für eine normative Bewertung gibt. Dazu werden im folgenden zunächst verschiedene Ausprägungen des wohlfahrtsökonomisch geprägten Effizienzkriteriums dargestellt und auf ihre Stärken und Schwächen hin untersucht (I.). Sodann wird das sich als Gegenentwurf verstehende Konsensprinzip mit den daraus resultierenden Problemen erörtert (II.), bevor eine allgemeine Bewertung der normativen ökonomischen Rechtsbetrachtung erfolgt (III.).
1 Kirchgässner, JZ 1991, 104, 105; ders., Homo Oeconomicus, S. 292, wobei er darauf hinweist, daß auf dieser positiven Grundlage die normative Diskussion „bereichert" werden könne. 2 Coase, JLE 1960, 1, 43 (deutsche Übersetzung: S. 181); vgl. dazu B.II.2.b). Etwas zu optimistisch insofern wohl Schäfer in Ott/Schäfer, Allokationseffizienz, S. 1 f. 3
Zu dieser Entwicklung Rowley in Newman, Bd. 2, S. 483; Kirchner, WuW 1992, 584, 585. Z.B. Fezer, JZ 1986, 817, 818; Assmann in Assmann/Kirchner/Schanze, S. 58; Pilgram, S. 3 f.; Taupitz, AcP 1996, 114, 133; dieser Angst wird insbesondere durch Klassifikation der Ökonomik als „imperialistisch" Vorschub geleistet, vgl. Adams, Jura 1984, 337 ff. 4
88
C. Normative Kriterien der ökonomischen Theorie des Rechts
I. Effizienzprinzip 7. Begriffliche
Abgrenzung
Die traditionelle Ökonomik definiert als Oberziel zur Überwindung der Ressourcenknappheit die „Allokationseffizienz". Diese hat ihre theoretische Fundierung in der Wohlfahrtsökonomik 5. Die Wohlfahrtsökonomik beschäftigt sich mit der Frage, auf welche Weise gesamtgesellschaftliche Wohlfahrtssteigerungen oder - wenn möglich - soziale Optima erzielt werden können. Der Begriff der (Allokations-)Effizienz hat in der ökonomischen Rechtstheorie einerseits eine breite Anhängerschaft gefunden 6, andererseits aber auch entschiedenen Widerspruch hervorgerufen: So meint Häberle, Effizienz werde zu einem „Reform-Schlagwort, zum politischen Kampfbegriff' 7 , während Kirchner von einem „vor Scheinexaktheit schillernden Begriff 48 spricht. Problematisch ist vor allem, daß unter Effizienz sehr unterschiedliches verstanden werden kann. So setzen Juristen sie zumeist mit einer Ausformung des ökonomischen Prinzips gleich, nach dem aus verschiedenen erreichbaren Alternativen die den größten Nettonutzen erzielende auszuwählen ist9. Es handelt sich dann um eine Erweiterung des Wirtschaftlichkeitsprinzips auf sämtliche auch nicht-ökonomische - Bereiche 10, nach der ein beliebiges Ziel so zu verfolgen ist, daß es entweder mit gegebenem Einsatz weitestmöglich oder aber bei vorgegebener Intensität mit möglichst geringem Einsatz verwirklicht wird. So verstanden eignet sich Effizienz nicht als alleiniges Kriterium zur Beurteilung von Zuständen, da sie noch einer inhaltlichen Auffüllung mit den jeweiligen Ziel vorgaben bedarf. Diese „ökonomische Effizienz" 11 , die sich auch in der ökonomischen Rechtsbetrachtung häufig findet 12 , ist nur eine notwendige Voraussetzung13 der erheblich weitreichenderen wohlfahrtstheoretischen Effizienz, die sich als Kriterium zum Vergleich sozialer Zustände versteht. Effizienz im Sinne der Wohlfahrtsökonomik meint nämlich nicht nur, ein beliebiges Ziel unter besonders günstiger Zweck-Mittel-Relation zu realisieren. 5
Kirchner, ökonomische Theorie des Rechts, S. 25.
6
Posner, Economic Analysis, S. 12 ff.; im deutschsprachigen Raum z.B. Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 23 f f ; dazu, daß Effizienz weiterhin das führende normative Kriterium ist, Shapiro/McClennen in Newman, Bd. 2, S. 460; Kerber in Leipold/Pies, S. 153. 7
Häberle, AöR 1973, 625 meint dabei den juristischen Effizienzbegriff, vgl. sogleich (Fn. 9). Kirchner in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, S. 73. 9 von Arnim, S. 47; Häberle, AöR 1973, 625, 634; Führ, Ökonomisches Prinzip, S. 9; Eidenmüller, Effizienz, S. 55. 10 Ausführlich dazu von Arnim, S. 19 ff., 47; knapper dagegen Eidenmüller, Effizienz, S. 55. 11 Feess, S. 64 f., 748, der dort auch auf die notwendige - und leider allzu oft fehlende Abgrenzung von ökonomischer und wohlfahrtstheoretischer Effizienz hinweist. 12 Vgl. z.B. Cooter/Ulen, S. 3, 11 f. Dabei ist diese Art der ökonomischen Effizienz oft, aber nicht zwingend auf monetäre Größen reduziert. 13 Hierzu insgesamt Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 26 ff. 8
I. Effizienzprinzip
89
14
Vielmehr ist hier Effizienz selbst das Ziel , da es soziale Gesamtzustände beschreibt, bei denen sämtlicher - auch nicht-monetärer - Nutzen der Individuen erfaßt ist. Es wird versucht, aus der Kenntnis der individuellen Präferenzen heraus einen möglichst wünschenswerten Gesellschaftszustand zu wählen15. Daß eine solche Auswahl stets ein Werturteil impliziert, leuchtet unmittelbar ein und dürfte wohl der Hauptgrund dafür sein, daß sich an der normativen ökonomischen Rechtsbetrachtung ein besonders erbitterter Streit um die Fruchtbarkeit der gesamten Theorie entzündet hat 16 . Trotz dieser Auseinandersetzungen gilt die Diskussion um die normativen Grundlagen immer noch als unterentwickelt 17. Nicht deckungsgleich ist der Begriff der Effizienz mit dem der Effektivität 18. Effektivität versteht sich als Unterpunkt des Wirtschaftlichkeitsprinzips und verlangt entweder einen möglichst hohen Grad der Zielerreichung bei gegebenem Mitteleinsatz 19 oder ist sogar von diesem unabhängig20. 2. Vom Bentham 'sehen Utilitarismus
zur Neuen Wohlfahrtsökonomik
Die Wohlfahrtsökonomik findet ihren Ursprung im Utilitarismus. Dieser beurteilt eine Handlung danach, wie sehr sie zur Mehrung des Glücks bzw. des Schmerzes („pleasure and pain"-Kalkül) der Menschen beiträgt, also an ihren Folgen und nicht an z.B. den ihr zugrundeliegenden Motiven 21 . Das Prinzip des Nutzens wird erstmals von Bentham als normatives ethisches Kriterium angeführt; zuvor findet es sich - z.B. bei Hume - lediglich als deskriptives Merkmal zur Erklärung menschlichen Verhaltens 22. Bentham erhebt das hedonistische Kalkül in einer Ausprägung zum normativen Postulat, in der Nutzen zum einen kardinal meßbar, zum anderen auch interpersonell vergleichbar ist 23 . Der Grad der Glückseligkeit eines Menschen ist demnach genauso eindeutig zu messen wie z.B. sein Gewicht 24 . Dieser Glaube an eine kardinale Meßbarkeit sowie eine interpersonelle Vergleichbarkeit des Nutzens liegt auch der (im wesentlichen von Pigou und Marshall geprägten) älteren Wohlfahrtsökonomik zugrunde, die bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts vorherrschte. Nach ihr 14 15
Eidenmüller, Schäfer/Ott,
Effizienz, S. 56. Lehrbuch, S. 24.
16
Fezer, JZ 1986, 817, 819; ders. JZ 1988, 223, 227; kritisch gegenüber dem normativen Anspruch der ökonomischen Rechtsbetrachtung auch Horn, AcP 1976, 307, 332 f. 17 So auch Shapiro/McClennen in Newman, Bd. 2, S. 464. 18 Terminologisch verwirrend insofern Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 272 f f , 283 f f ; mißverständlich auch Eidenmüller, Effizienz, S. 452. 19 von Arnim, S. 51. 20
Deckert in Hof/Schulte, S. 185 (mwN); wohl auch Gawel, Die Verwaltung 1999, 179,210 f. Umfassend zum Ganzen Eidenmüller, Effizienz, S. 41 ff., 173 ff.; Schernikau, S. 23 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 38 ff. 22 Schernikau, S. 23. 23 Bentham, Introduction, S. 11 ff., 38 ff. 24 Feldman in Newman, Bd. 2, S. 417. 21
C. Normative Kriterien der ökonomischen Theorie des Rechts
90
können gesellschaftliche Zustände durch einfache Aggregation sämtlicher individueller Nutzen, die sich bei den Akteuren gleichsam wie auf einem Fieberthermometer ablesen lassen, bewertet werden: Der Zustand mit dem höchsten gesellschaftlichen Gesamtnutzen ist danach der wünschenswerte. Den Annahmen der kardinalen Meßbarkeit und interpersonellen Vergleichbarkeit trat dann Robbins25 energisch entgegen. Er vertrat zum einen die Auffassung, man könne Nutzen nicht kardinal messen, sondern allenfalls ordinal reihen 26 ; so könne ein Akteur zwar bei der Wahl zwischen Alternativen die für ihn beste auswählen, keinesfalls aber in absoluten Größen ausdrücken, wie sehr ihm die gewählte besser gefalle als die übrigen. Zum anderen war Robbins der Ansicht, Nutzenvergleiche zwischen Individuen enthielten Werturteile 27 und seien insofern der wissenschaftlichen Überprüfung nicht zugänglich, da kein einheitlicher Bezugspunkt bzw. Maßstab für die Bewertung existiere. Diese beiden Kritikpunkte führten seit Ende der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts zum Wandel vom kardinalen zum ordinalen Nutzenbegriff, der sich vereinzelt bereits vorher abgezeichnet hatte28: Der Übergang von der alten zur neuen Wohlfahrtsökonomik war bereitet. 3. Ausformungen des wohlfahrtsökonomischen
Effizienzkriteriums
Nach alldem stellte sich jedoch das Problem, welches Kriterium einerseits als Grundlage für eine Bewertung wirtschaftspolitischer Maßnahmen überhaupt noch tauge, andererseits aber die Mängel der alten Wohlfahrtsökonomik überwinden könne. Die neue (paretianische) Wohlfahrtsökonomik trat deshalb mit dem Anspruch an, ein Kriterium zu definieren, welches zwei Maximen zu genügen habe: Zum einen sollte es weiterhin auf dem individualistischen Prinzip basieren, also den einzelnen als Träger des Nutzens auffassen und die Gesamtwohlfahrt aus der individuellen Wohlfahrt erklären, wenn auch nicht mehr wie im Utilitarismus als Summe der Wohlstandsniveaus der Individuen. Zum anderen sollte es eine „wissenschaftlich-objektive oder werturteilsfreie" 29 Basis haben - ein Anspruch, der sich als illusorisch erweisen sollte 30 . a) Pareto-Kriterium Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts, also zu einer Zeit, als noch die alte Wohlfahrtsökonomik mit ihren Annahmen der kardinalen Meßbarkeit und interpersonellen Vergleichbarkeit von Nutzen dominierte, hatte Vilfredo Pareto 25 26
Robbins, An Essay, S. 120 f f ; ders., EJ 1938, 635 ff.
Robbins, An Essay, S. 122 f. 27 Robbins, EJ 1938, 635, 640. 28 Jevons, S. 20. Dagegen glaubt Todt in Ott/Schäfer, S. 6 mittlerweile wieder eine wachsende ,Gemeinde von Kardinalisten" ausfindig machen zu können. 29 R. Möller, S. 23. 30 Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 24; R. Möller, S. 23; Schäfer in Ott/Schäfer, Allokationseffizienz, S. 2.
I. Effizienzprinzip
91
eine nach ihm benannte Entscheidungsregel der Sozialwahl vorgeschlagen, das sogenannte „Pareto-Kriterium" 31 . Es basierte auf dem ordinalen Nutzenkonzept und entwickelte sich zum „wichtigsten Meilenstein in der Dogmengeschichte der Wohlfahrtsökonomie" 32. Das Pareto-Kriterium teilt sich auf in eine starke und eine schwache Version. In seiner schwachen Ausformung besagt es, daß ein gesellschaftlicher Zustand einem anderen dann vorzuziehen ist, wenn in jenem alle Individuen einen höheren Nutzen erfahren als in diesem33; in seiner gebräuchlicheren starken Ausformung genügt es, daß sich der Nutzen einer Person erhöht, während kein anderer Akteur schlechter gestellt wird 34 . Ein Zustand, der dem Kriterium genügt, wird als „pareto-superior" bezeichnet, während ein Zustand „pareto-effizient" oder „pareto-optimal" genannt wird, wenn von ihm aus z.B. durch eine veränderte Rechtezuweisung niemand mehr besser gestellt werden kann, ohne einen anderen schlechter zu stellen35. Dadurch, daß das Pareto-Kriterium in beiden Ausprägungen jedenfalls nur dann erfüllt ist, wenn kein Individuum schlechter gestellt wird, erhält jedes Mitglied der zu betrachtenden Gruppe quasi ein Vetorecht. Es sind allerdings kaum Maßnahmen vorstellbar, bei denen der Nutzen aller steigt. Sobald jedoch nur ein Akteur einen Nutzenverlust erleidet, ist die Maßnahme nicht mehr paretosuperior und folglich nach diesem Kriterium legitimerweise undurchführbar. Es kommt zur Zementierung des status quo, so daß möglicherweise beträchtliche Wohlfahrtsgewinne nicht realisiert werden 36. Damit ist das Pareto-Kriterium als alleinige soziale Entscheidungshilfe letztlich ungeeignet37. b) Kaldor-Hicks-Kriterium Zur Erweiterung des beschränkten Anwendungsbereich des Pareto-Kriteriums entwickelten die Ökonomen Kaldor und Hicks unabhängig38 voneinander ein nach ihnen benanntes Kompensationskriterium, das „Kaldor-Hicks-Kriterium" 39 .
31
Pareto, Chap. VI, Nr. 33 und Appendice, Nr. 88 f.; vgl. auch Sen, S. 21.
32
Sohmen in von Beckrath/Giersch, S. 73. 33 In eher diesem Sinne wohl auch Pareto, Chap. VI, Nr. 33. 34 Sen, S. 21 ; Posner, Economic Analysis, S. 13 f.; Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 25. 35 Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 26; mißverständlich insofern Kittner, Rdnr. 122, der übersieht, daß eine Pareto-Verbesserung bereits am Widerspruch eines einzelnen scheitert. Zudem genügen Verträge nur dann dem Pareto- Kriterium, wenn sie keine negativen Auswirkungen auf Dritte haben. 36
Behrens, ZfA 1989,209,213; R. Möller, S. 25; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 26; andererseits weist Kirchgässner, JZ 1991, 104, 109 auf das Problem hin, daß, wenn eine paretoeffiziente Lösung besteht, zumeist eine ganze Fülle das Kriterium erfüllender Zustände besteht, zwischen denen auf Grundlage des Pareto-Kriteriums allein nicht mehr entschieden werden kann. 37 Generell kritisch gegenüber dem Pareto-Kriterium auch Calabresi, YLJ 1991, 1211 ff., der davon ausgeht, daß sich eine Gesellschaft bei gegebenen Transaktionskosten stets automatisch an der Pareto-Grenze befindet und diese nach außen verschoben werden muß, damit es keine Verlierer gibt (S. 1229 f.). Die Verschiebung könne durch Reduzierung der Transaktionskosten geschehen. 38 Kaldor, EJ 1939, 549 ff.; Hicks, EJ 1939, 696 ff. 39 Sohmen, S. 308 ff.; Feldman in Newman, Bd. 2, S. 417 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 32 ff.
92
C. Normative Kriterien der ökonomischen Theorie des Rechts
Nach ihm wird die Entscheidung zwischen zwei Zuständen zwar weiterhin auf Grundlage des individuellen Nutzens getroffen, jedoch muß nicht mehr jeder einzelne der Maßnahme zumindest indifferent gegenüberstehen. Vielmehr dürfen Kosten und Nutzen einer sozialen Entscheidung bei unterschiedlichen Personen(gruppen) anfallen 40. aa) Inhalt des Kaldor-Hicks-Kriteriums Nach dem weitverbreiteten 41 Kaldor-Hicks-Kriterium ist ein sozialer Zustand einem anderen dann vorzuziehen, wenn es erstens möglich wäre, vom alten Zustand ausgehend alle durch den Übergang in den neuen Zustand benachteiligten Individuen aus den entstandenen Wohlfahrtsgewinnen zu entschädigen und wenn zweitens nach dieser Entschädigung zumindest ein Individuum im neuen Zustand besser stünde als im alten42. Dabei bedarf es - weil es ausschließlich auf die Erzielung einer gesamtwirtschaftlichen Verbesserung ankommt der tatsächlichen Leistung dieser Kompensationszahlung letztlich nicht: Es genügt, daß eine solche möglich wäre und nicht alle Wohlfahrtszuwächse bei den Gewinnern aufzehren würde. Würde nämlich die Entschädigung tatsächlich geleistet, läge im Ergebnis eine Pareto-Verbesserung vor 43 . Es wirkt zunächst, als führe die Kaldor-Hicks-Betrachtung einen Schritt zurück in die alte Wohlfahrtsökonomik, da Nutzen scheinbar wiederum kardinal gemessen und interpersonell verglichen werden muß. Dies ist jedoch nicht der Fall 44 : Zwar bedarf es, da allein auf den individuellen Nutzen abgestellt wird, eines allwissenden Beobachters45, der von außen die Wohlfahrt quasi „ablesen"46 40
Behrens, ZfA 1989, 209, 214.
41
Posner, Economic Analysis, S. 15 meint, in 90% der als „effizient" beschriebenen Fälle sei Kaldor-Hicks-Effizienz gemeint; ebenso Calandrillo, BLR 2001, 957, 981. 42 43 44
Vgl. nur Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 32 ff. Formal dazu Sen, 1970, S. 30 f. Scheel, S. 101, SchäferlOtt, Lehrbuch, S. 32; Erlei!LeschketSauerland, S. 20. Mißverständlich insofern Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 26.
45
Daher wird das Kaldor-Hicks-Kriterium z.B. von Buchanan, JLE 1959, 124, 126 für völlig unrealistisch und inakzeptabel gehalten; ähnlich Leschket Sauerland in Pies/Leschke, S. 199. Anders Eidenmüller, Effizienz, S. 51, der nicht von einer von außen aus individuellem Verhalten abgeleiteten Nutzenfunktion ausgehen, sondern die Individuen jeweils fragen möchte, ob sie sich hypothetisch kompensiert fühlten, wenn sie für die Inkaufnahme von Verlusten bestimmte Vorteile zugesprochen bekämen. Damit nähert er sich zwar scheinbar dem - später zu diskutierenden konsensualen Legitimationskriterium an, verlagert aber letztlich das Problem des allwissenden Beobachters nur auf die individuelle Ebene, da der Einzelne nunmehr zwar selbst entscheiden würde, ob er hypothetisch kompensiert wäre, sich dann aber wissentlich zu seinen Ungunsten entscheiden müßte, wenn er - wie vorgesehen - später nicht auch tatsächlich kompensiert würde. Es bleibt unklar, welchen Anreiz ein Individuum unter diesen Voraussetzungen haben sollte, die Frage nach seiner hypothetischen Kompensation positiv zu beantworten. 46 Vgl. die Aufsatzserie von Hicks, RES 1940/41, 108 ff. sowie ders., RES 1941/42, 126 ff. und ders., RES 1943/44, S. 31 ff., in der er auf die verschiedenen Messungsmethoden im Rahmen seines Kompensationskriteriums eingeht. Zu den verschiedenen Wohlfahrtsmaßen (Konsumentenrente, Äquivalenzvariation und Kompensationsvariation) vgl. auch Wellisch, Bd. 2, S. 13 ff. sowie Boadwayl Bruce, Kap. 7 und 9.
I. Effizienzprinzip
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oder anderweitig ermitteln kann. Dieser Beobachter muß jeweils prüfen, ob die durch eine Maßnahme erzielten Wohlfahrtsgewinne sich so auf die Parteien aufteilen lassen, daß keine schlechter steht als zuvor. Die hypothetische Überprüfung wird aber bei jedem einzelnen vorgenommen, so daß die Akteure lediglich auf ihr früheres Nutzenniveau zurückgeführt werden müssen, unabhängig davon, wie hoch dieses absolut gemessen und im Vergleich zu den übrigen Akteuren ist. Es verbleibt damit zwar das Problem, daß ein allwissender Beobachter für die Effizienzentscheidung anstelle der subjektiven Einschätzungen der Individuen 47 letztlich seine eigene, externe Beurteilung des individuellen Nutzens zugrunde legt. Trotzdem aber bedarf es im Rahmen des Kaldor-HicksKriteriums weder einer kardinalen Meßbarkeit noch des interpersonellen Nutzenvergleichs 48. bb) Probleme bei der Anwendung des Kaldor-Hicks-Kriteriums Es ergeben sich jedoch für die Anwendbarkeit und Handhabbarkeit des Kaldor-Hicks-Kriteriums eine Vielzahl anderer Probleme. So ist methodisch zunächst anzumerken, daß das Kaldor-Hicks-Prinzip nicht immer eindeutige Ergebnisse liefert. Wie Scitovsky49 dargelegt hat, kann das Kriterium unter bestimmten Umständen sowohl den Zustand x gegenüber Zustand y, gleichzeitig aber auch y gegenüber x vorziehen. Während man diesem eher technischen Problem noch relativ einfach durch die Forderung begegnen kann, daß zwei zu vergleichende Zustände nicht wechselseitig das Effizienzkriterium erfüllen dürfen, wiegen die inhaltlichen Vorwürfe deutlich schwerer. (1) Distribution. So wird von den meisten Autoren 50 kritisiert, daß nach dem Kaldor-Hicks-Kriterium eine hypothetische Kompensation der Verlierer ausreichen soll. Zwar sprechen zwei Gründe gegen eine tatsächliche Kompensation der Verlierer 51 : So wäre zum einen der Kreis der zu entschädigenden Personen in der Regel unüberschaubar groß und schwer eingrenzbar; zum anderen würde die faktische Kompensation aufgrund des mit ihr verbundenen (u.U. erheblichen) Verwaltungsaufwandes zu Effizienzverlusten führen, die die gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsgewinne der Maßnahme wieder schmälern würden. Andererseits aber ergeben sich aus der fehlenden faktischen Kompensation u.U. erhebliche distributive Probleme. So besteht schon bei Zugrundelegung des Pareto-Kriteriums die Gefahr einer weiteren Öffnung der „sozialen Schere" dadurch, daß Reiche möglicherweise in höherem Maße besser gestellt werden als Arme. Die Anwendung des Kaldor-Hicks-Kriteriums kann darüber 47 48
Buchanan, JLE 1959, 124, 126. Insofern stimmt auch Kaldor, EJ 1939, 549 der Kritik von Robbins zu.
49 Scitovsky, RES 1941/42, 77, 83 ff.; eine knappe Darstellung des Scitovsky-Tests findet sich z.B. bei Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 33 und Feldman in Newman, Bd. 2, S. 418; vor einer Überschätzung der Bedeutung des Paradoxons warnt Schimmelpfennig in Leschke, S. 72. 50 Für viele Fezer, JZ 1988, 223, 226 f.; Erleil Leschke!Sauerland, S. 19; R. Möller, S. 25. 51 Vgl. hierzu z.B. Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 32.
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C. Normative Kriterien der ökonomischen Theorie des Rechts
hinaus aber Zustände legitimieren, bei denen nicht nur Arme weniger profitieren als Reiche, sondern sogar Reiche auf Kosten von Armen Wohlfahrtssteigerungen erfahren. Insofern sieht sich das Kaldor-Hicks-Kriterium dem Vorwurf ausgesetzt, „verteilungsblind" zu sein. Diese Kritik wird noch dadurch verstärkt, daß ökonomische Effizienz immer von einer gegebenen Ausgangsverteilung aus bestimmt werden muß, und damit die Möglichkeit einer grundlegenden systematischen Umverteilung ohnehin entfällt 52 . Neben der fehlenden Kompensation ergeben sich aber noch weitere distributive Schwierigkeiten: Es handelt sich zum einen um sogenannte Einkommens-, zum anderen um Besitzeffekte. Hinter dem Begriff der „Einkommenseffekte" s3 verbirgt sich, daß einkommensstarke Individuen für den Erwerb eines bestimmten Rechts oder Gutes mehr Geld ausgeben können als weniger gut situierte. Das liegt zum einen am abnehmenden Grenznutzen des Einkommens54, zum anderen auch schon an dem größeren faktisch zur Verfügung stehenden Vermögen. Daraus ergibt sich, daß reichere Personen höhere Kompensationen verlangen würden, das Kaldor-Hicks-Kriteriums also tendenziell die wohlhabenderen Teilnehmer übervorteilt 55. Dies hat der ökonomischen Theorie des Rechts den Vorwurf eingebracht, auf eine Verstärkung bestehender sozialer Ungerechtigkeiten geradezu hinzuwirken 56 . Das bereits angesprochene57 psychologische Phänomen der „.Besitzeffekte" führt dazu, daß Individuen ein Recht oder Gut nur zu einem höheren Preis zu verkaufen bereit sind, als sie selber dafür bezahlen würden. Dies führt im Ergebnis dazu, daß nicht mehr nur die eigentliche Nutzenbewertung, sondern darüber hinaus auch die unterschiedliche Erstverteilung der Rechte sowie die differierende Höhe der Besitzeffekte bei den Individuen die spätere Zuordnung von Rechten nach dem Kaldor-HicksKriterium beeinflussen können58. Damit wird das Prinzip als Entscheidungskriterium in vielen Fällen unklar und unbrauchbar 59. Die Außerachtlassung distributiver Aspekte ist dem Kaldor-Hicks-Kriterium in seiner rein technischen Anwendung zwar in der Tat immanent, jedoch sind 52 Hierzu z.B. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 26; kritisch insofern auch Führ, Ökonomisches Prinzip, S. 30 und Haas, S. 28 ff. 53 Ulen, LSI 1997, 191, 194; Calandrillo, BLR 2001, 957, 981 f.; Eidenmüller, Effizienz, S. 118 ff.; ders. in Breidenbach/Grundmann/Mülbert/Singer, S. 15 ff. 54 Dazu bereits A.II.3.c)cc). 55
Baker, PPA 1975-1976, 3, 16 ff.; Kronman, JLS 1980, 227, 240. Gotthold, ZHR 1980, 545, 557; Salje, RT 1984, 277, 290; Fezer, JZ 1986, 817, 824. 57 Vgl. dazu oben unter A.II.3.c)cc). 58 Insofern wird noch die Tendenz verstärkt, daß die Ausgangsverteilung für die Endverteilung eine erhebliche Bedeutung spielt; das anerkennt auch Posner, Economic Analysis, S. 15. Zwar stellt sich dann die Frage, inwieweit sich die Invarianzthese des Coase-Theorems aufrecht erhalten läßt (so auch Eidenmüller, Effizienz, S. 127, 133 f.); jedoch ist diese Frage für die ökonomische Theorie des Rechts insofern nur von untergeordneter Bedeutung, als es sich - wie gezeigt - bei dem Theorem nur um eine Argumentationshilfe für die eigentliche Rechtsbetrachtung handelt. 59 Calandrillo, BLR 2001, 957, 981 f.; ausführlich Eidenmüller, Effizienz, S. 136. 56
I. Effizienzprinzip
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einschränkend zwei Dinge zu beachten: Zum einen wird es von seinen Begründern 60 zumindest implizit stets unter einem Verteilungsvorbehalt gesehen. Zum anderen ist je nach Rechtsgebiet zu entscheiden, ob eine distributive Funktion überhaupt mit der jeweiligen Regelungsmaterie bewältigt werden kann. So ist z.B. ein diffus auf alle Einkommensschichten wirkendes Haftungsrecht für eine systematische Umverteilung schon deshalb ungeeignet, weil die auf seiner Grundlage bewirkten Zahlungsströme nur einzelne Personen und nicht ganze Bevölkerungsgruppen betreffen 61. Außerdem ist zu beachten, daß z.B. Unternehmer nicht schon aufgrund ihrer Unternehmereigenschaft zwingend zu den „sozial Starken" gehören. Damit fuhrt der Versuch, mit Hilfe einer Produkt- oder Produzentenhaftung primär distributiv tätig zu werden, in die Sackgasse. Ist nämlich der Produzent im konkreten Fall nicht besser situiert als der Verbraucher, dann ist der Inhaber des deliktischen Anspruchs gerade nicht der Akteur, der Empfänger von Umverteilungsmaßnahmen werden sollte. Hier zeigt sich, daß der Distributionsgedanke z.B. für das Schadensersatzrecht nur von untergeordneter Bedeutung sein kann 62 . Für andere Rechtsbereiche dagegen bleibt das Problem fehlender Verteilungsgerechtigkeit ernst zu nehmen, zumal deren Notwendigkeit in der ökonomischen Rechtsbetrachtung oftmals generell geleugnet63 oder zumindest dem Effizienzziel untergeordnet 64 wird. (2) Grundrechtegarantie. Eine weitere Schwierigkeit des Kaldor-HicksKriteriums ist die fehlende Sicherung von Grund- bzw. Freiheitsrechten 65. Zwar ist es möglich, auch solche Rechte als „Instrumente zur Sicherung individuellen Nutzenmaximierungsstrebens" 66 zu verstehen und unter Nutzenaspekten zu bewerten, so daß ihre Gewährung mit der ökonomischen Theorie durchaus nicht unvereinbar ist. Selbst dann aber können sie auf Grundlage des Kaldor-HicksKriteriums in den Fällen nicht garantiert werden, in denen der Nutzenzuwachs einiger Akteure so hoch ist, daß er die Nutzeneinbußen Dritter bei Handlungen, die diese Dritten in ihren Grundrechten beeinträchtigen, übersteigt. In solchen Fällen läßt sich nämlich der methodologische Individualismus mit dem utilitaristischen Aggregationsprinzip in einer Weise verbinden, die mit unseren 60
Kaldor, EJ 1939, 549, 551 f.; Hicks, EJ 1939, 696, 712. Dazu auch Haas, S. 34; Eidenmüller, Effizienz, S. 171 und S. 273 ff.; Scheel, S. 109; Kaplow/Shavell, HaLR 2000/01, 966, 993. Insgesamt kritisch gegenüber Umverteilung im Zivilrecht z.B. Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 222; Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 31. 62 Dagegen spricht auch nicht Eidenmüller, Effizienz, S. 306 ff. Er weist zwar auf die Bedeutung distributiver Belange bei außervertraglichen Schuldverhältnissen hin, anerkennt jedoch selbst, daß sie nur flankierende Wirkung entfalten können, also nicht gänzlich ausgeblendet werden sollen. 61
63 Posner, HLR 1980/81, 775, 780; ders., JLS 1979, 103, 130 ff.; vgl. aber nun die Einschränkung in ders., Economic Analysis, S. 13, 15; Hayek, Recht, S. 98; Friedman, Capitalism, S. 174. 64 So z.B. noch Schäfer/Ott, Lehrbuch, 1. Auflage, S. 6; einschränkend Koch, FS-Zweigert, S. 872; kritisch hierzu Kohl in Breidenbach/Grundmann/Mülbert/Singer, S. 36. 65 Fezer, JZ 1988, 223, 228; Blaschczok, S. 245; Kohl in Ott/Schäfer, S. 41 ff.; umfassend Eidenmüller, Effizienz, S. 207 ff., der auf S. 484 meint, „diese Fragestellung gehört zu den interessantesten Problemen, die die ökonomische Analyse des Rechts aufwirft." 66 Scheel, S. 110 f.
C. Normative Kriterien der ökonomischen Theorie des Rechts
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Vorstellungen von Recht und Moral unvereinbar ist 67 : Dies stellt Dworkin 68 am Beispiel des unschuldigen schwarzen Mannes dar, dessen Folterung bei uneingeschränkter Anwendung des Kaldor-Hicks-Kriteriums in einer Welt von Rassenhaß und Sadismus dann legitimiert wäre, wenn sich durch sie innerhalb der Gemeinschaft ein größerer Nutzen einstellen würde. Letztlich käme es damit für die Legitimität von Handlungen nur noch auf die Intensität der Gefühle wie Schadenfreude, Mißgunst, Rassismus etc. an, die zwar von der ökonomischen Theorie nicht unterstellt, aber eben auch nicht völlig ausgeblendet werden 69. Umgekehrt könnten Gefühle wie Bewunderung oder Verehrung dazu führen, „Volkshelden" jede beliebige Rechtsposition einzuräumen. Üblicherweise wird in der ökonomischen Literatur in diesem Zusammenhang das Bild vom „Nutzenmonster" 70 gebraucht, welches mit seinen „externen Präferenzen" 71 Minderheiteninteressen übergehen kann. Dem kann man nur dadurch begegnen, daß man unveräußerliche Rechte anerkennt 72; ansonsten könnte sich die Monstrosität, wenn sie nur hinreichend ausgeprägt ist, selbst rechtfertigen 73. Individualrechte haben im Rahmen des Kaldor-HicksKriteriums also keinen intrinsischen, sondern nur einen instrumentellen Wert 74 ; sie dienen allein dem gesamtgesellschaftlichen Wohl. Insofern muß - worauf noch zurück zu kommen sein wird 75 - gefragt werden, wie sehr ein Entscheidungskriterium überzeugen kann, welches „nicht in der Lage ist, unantastbare Rechte des einzelnen überzeugend zu begründen, (...) angesichts der Erfahrungen, die die Welt in diesem Jahrhundert mit diktatorischen Regimen gemacht hat" 76 . (3) Meßbarkeit. Die Anwendbarkeit des Kaldor-Hicks-Kriteriums wird durch ein weiteres, auf der Schnittstelle zwischen inhaltlicher und technischer Kritik liegendes Problem in Frage gestellt, nämlich durch die Frage der Meßbarkeit. So bleibt zum einen offen, wie genau der Nutzen beim Individuum selbst gemessen und bewertet werden kann, besonders, wenn es um Nichtvermögenswerte 77 geht (a). Das gilt sowohl für die Rechte, die dem einzelnen zugeordnet sind (z.B. Freundschaft), aber auch für solche, die für ihn als öffentliche Güter indisponibel sind (z.B. Rechtssicherheit 78). Zum anderen ist 67 68 69 70
Völlig zurecht insofern Sen, On Ethics and Economics, S. 47 ff. Dworkin , Law's Empire, S. 290. Dazu siehe A.II.3.b)bb)(l). Blaschczok, S. 251 (mwN); Nozick, S. 41.
71
Nach Dworkin , Taking Rights Seriously, S. 234 ff., 275 ff. sind externe Präferenzen solche, die sich auf die Nutzenempfindung anderer beziehen. 72
Kohl in Ott/Schäfer, S. 49 f.; Blaschzcok, S. 253; Kerber in Leipold/Pies, S. 153 deutet an, daß sonst u.U. die körperliche Unversehrtheit gegen monetäre Rechte anderer abgewogen werde. 73
Anschaulich Blaschczok, S. 251.
74
So zurecht Eidenmüller, Effizienz, S. 233. Dazu vgl. unter C.III.2. Eidenmüller, S. 208. Blaschczok, S. 255 ff.; Koch, RabelsZ 1976, 181, 184; Ott/Schäfer, Dazu Eidenmüller, JZ 1999, 53, 57.
75 76 77 78
JZ 1990, 563 ff.
I. Effizienzprinzip
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fraglich, ob und wie dynamische Aspekte im Rahmen der Effizienzbetrachtung Eingang finden können (b) und inwieweit die partialanalytische Betrachtung die Aussagekraft der Ergebnisse berührt (c). (a) Die Bewertung immaterieller 79 Größen wirft technische Probleme auf. Zwar ist sie dem Recht (z.B. bei der Gewährung von Schmerzensgeld) nicht völlig fremd, jedoch unterscheidet sich die Situation im Rahmen der ökonomischen Effizienzbetrachtung grundlegend: Anders als im Schadensersatzrecht soll hier nämlich nicht ex post eine Kompensation für erlittene Schäden gewährt werden, deren genaue Höhe von den Umständen des Einzelfalls abhängt80. Vielmehr hängt bei der ökonomischen Rechtstheorie die Durchführung der Rechtsänderung selbst von der Ex-Ante-Bewertung ab. Diese muß also aus Gründen der Rechtssicherheit vorhersehbar sein. Zudem enthält jede Berechnung ebenso wie die Frage, ob ein bestimmter Posten überhaupt berücksichtigt werden soll, eine Wertung 81 . Schon insofern kann man die Objektivität des Effizienzkriteriums in Frage stellen und der ökonomischen Theorie „Scheinexaktheit" vorwerfen 82. Darüber hinaus besteht bei der Nutzenmessung noch das Problem, daß die Individuen in unterschiedlichem Maße über die Fähigkeit verfügen, Freude zu empfinden. In vielen Fällen würde dann aber z.B. die größere Fähigkeit, Glück zu empfinden, Grund für die Übertragung von Vermögenswerten oder Rechten zugunsten des Empfindsameren sein. Ob es sich hierbei allerdings um ein adäquates bzw. stichhaltiges Kriterium für die Zuweisung von Verfügungsrechten handelt, ist mehr als fragwürdig 83. (b) Zumeist wird in der Ökonomik komparativ-statisch vorgegangen, d.h., es werden zwei Zustände auf ihre Effizienz hin miteinander vergleichen. Daraus, daß die aktuelle Regel weniger effizient als eine neu implementierbare ist, kann aber noch nicht geschlossen werden, daß eine Regeländerung tatsächlich effizient wäre. Ein komparativ-statischer Effizienzvorteil ist nur notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für die Wünschbarkeit einer Regeländerung unter dynamischen Effizienzgesichtspunkten 84. Dafür ist nämlich noch der Übergangsprozeß zu betrachten, und zwar unter zwei Aspekten: Zum einen entstehen, wenn man von der Existenz von Transaktionkosten ausgeht, bei der 79 Dabei ist die Anzahl immaterieller Güter geringer als oftmals angenommen. So betonen Esserl Schmidt, S. 18, „eine natürliche Unterscheidung in materielle und immaterielle Güter gibt es nicht. Entscheidend kommt es darauf an, ob in einer zur Kommerzialisierung breitester Lebensbereiche tendierenden Gesellschaft gewisse Genüsse marktmäßig gehandelt werden und damit prinzipiell auch ,ihren Preis 1 haben." Die Frage, ob ein Gut materialisiert werden kann, ist also strikt zu trennen von der Frage, ob es materialisiert werden sollte. 80
So Pal andt-//e/w/c/w, § 253, Rdnr. 4 ff. Fezer, JuS 1991, 889, 893; Taupitz, AcP 1996, 114, 164. 82 So deshalb auch z.B. Kirchner in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, S. 73; Eidenmüller, Effizienz, S. 78 f. 83 So auch Posner, Economic Analysis, S. 13. 84 So z.B. Kerber in Leipold/Pies, S. 155 f.; Kirchner, FS-Beisse, S. 271 f.; ders., Ökonomische Theorie des Rechts, S. 27; Schmidtchen in Ott/Schäfer, S. 329 f. 81
7 Janson
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C. Normative Kriterien der ökonomischen Theorie des Rechts
Implementierung einer Maßnahme im Recht stets unweigerlich auch Kosten („Interventionskosten") für z.B. die Verwaltung 85 . Diese können so hoch sein, daß sie die komparativ-statisch ermittelten Effizienzgewinne überkompensieren. Zum anderen müssen für eine umfassende Entscheidung, ob eine Regel im Endeffekt wirklich effizienter als eine andere ist, auch ihre Auswirkungen auf die zukünftige gesamtgesellschaftliche Entwicklung betrachtet werden, z.B. ihre Wirkung auf Innovationen86 oder wirtschaftliches Wachstum. Alle diese Aspekte sind im Rahmen einer umfassenden ökonomischen Rechtsbetrachtung zu berücksichtigen. Mit einer solchen dynamischen Analyse vergrößert sich jedoch das ohnehin bestehende Wissensproblem 87 nochmals erheblich, da nunmehr auch Schätzungen über zukünftige, vielfach noch weitgehend unabsehbare Größen angestellt werden müssen. (c) Ebenfalls das Wissens- und das Meßproblem berührt die Frage, ob eine partialanalytische Effizienzbetrachtung überhaupt der juristischen Aufgabe einer umfassenden Konfliktlösung gerecht 'werden kann. Die in den Wirtschaftswissenschaften häufig aus Vereinfachungsgründen angewandte Partialanalyse88 beschränkt nämlich die Interpretation der Folgen eines Eingriffs auf dessen unmittelbares Wirkungsfeld. Die übrigen Bereiche (zum Beispiel andere Märkte oder - im Recht - andere Normen), welche durch Fernwirkungen möglicherweise ebenfalls beeinflußt werden, bleiben in der Partialanalyse im wesentlichen außer acht. Das ist unproblematisch, solange diese Fernwirkungen eine nur geringe Intensität haben. Sind jedoch umfangreichere Auswirkungen einer Maßnahme auch in anderen Bereiche zu erwarten, dann ist die Aussagekraft der Partialanalyse kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls durch eine umfassende (und damit kompliziertere) Totalanalyse zu ersetzen. c) Abwandlung von Posner: Das Reichtumsmaximierungsprinzip Vor allem, um die Probleme der Meßbarkeit und Gewichtung von Nutzen zu umgehen89, wandelt Posner 90 das Kaldor-Hicks-Kriterium zu seinem eigenen Effizienzkriterium um, dem „Reichtumsmaximierungsprinzip". Dabei weist er ausdrücklich auf die Ähnlichkeit beider Prinzipien hin. Da es sich beim Reichtumsmaximierungsprinzip um ein auf rein monetären Größen basierendes Kriterium handelt, werden alle Anreize pekuniär bewertet. Damit stellt Posner
85 Dazu schon Coase, JLE 1960, 1, 26 (deutsche Übersetzung: S. 161); Taupitz in AcP 1996, 114, 165 möchte noch die Kosten der ökonomischen Analyse selbst berücksichtigt wissen und verlangt insofern, „die ökonomische Analyse ihrerseits ökonomisch zu analysieren". 86 Kerber in Leipold/Pies, S. 155 f.; Schmidtchen in Ott/Schäfer, S. 330 weist daraufhin, daß damit die komparative Statik nicht wertlos, aber jedenfalls ergänzungsbedürftig werde. 87
von Hayek in Kerber, S. 3 ff.; ders., Recht, S. 27 ff.; ders:, Econometrica 1937, 33 ff.
88
Dazu Eidenmüller,
89
Effizienz, S. 115, 161 ff.; Schmidtchen in Ott/Schäfer, S. 329.
Posner, HLR 1979/80,487,488; ölen, LSI 1997,191,193; Calandrillo, BLR 2001,957,981. 90 Posner, Economic Analysis, S. 13 ff.; ders., JLS 1979, 103, 119 ff.; ders., HLR 1979/80, 487 ff.; eine knappe Darstellung findet sich bei Kornhauser in Newman, Bd. 3, S. 679 ff.
I. Effizienzprinzip
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sicher, daß der seiner Betrachtung zugrunde liegende neoklassische homo oeconomicus auf jeden Anreiz reagieren kann 91 . aa) Inhalt des Reichtumsmaximierungsprinzips Wie beim Kaldor-Hicks-Kriterium bedarf es auch beim Reichtumsmaximierungsprinzip keiner tatsächlichen, sondern nur einer hypothetischen Kompensation. Posner vergleicht jedoch nicht mehr den gesamten Nutzen der Individuen, sondern verengt die Betrachtimg auf nur noch monetäre Größen, betreibt also im Grunde eine Kosten/Gew/w?-Analyse92. Reichtum („wealth") ist bei Posner 93 der in Dollar ausgedrückte Wert aller monetarisierbaren Größen. Die Monetarisierung erfolgt dabei nicht unbedingt anhand von Marktpreisen, sondern - z.B. wenn keine Marktpreise bekannt sind - anhand der subjektiven Zahlungsbereitschaft („willingness to pay") bzw. der Zustimmungsbereitschaft („willingsness to accept") der Individuen. Im Ergebnis sollen - nomen est omen - alle Entscheidungen so getroffen werden, daß die Summe der durch sie ausgelösten Vermögensänderungen bei den Betroffenen maximiert wird. Die rein pekuniäre Betrachtungsweise vereinfacht zwar die Handhabbarkeit des Kriteriums, verringert aber dessen Aussagekraft in bestimmten Bereichen so stark, daß es auch unter Ökonomen heftig angegriffen wird 94 . bb) Probleme bei der Anwendung des Reichtumsmaximierungsprinzips (1) Unwissenschaftlichkeit. Eine erste Schwierigkeit ergibt sich bei der Frage, ob diese Variante des Kaldor-Hicks-Prinzips noch über die Kritik Robbins erhaben ist, nach welcher kardinale Nutzenmessungen und interpersonelle Nutzenvergleiche als unwissenschaftliche Bemühungen zu unterlassen seien. In der Tat scheint sich das Problem zunächst nicht zu stellen, denn das Kriterium basiert gerade nicht mehr auf der Betrachtung von Nutzen, sondern rein monetärer Größen. Diese sind als „numeraire" 95 interpersonell vergleichbar, da sie einen genau festgelegten Wert haben. Aber auch hier trügt der Schein: Will man nämlich beim Reichtumsmaximierungsprinzip von einem positiven Geldsaldo auf eine Besserstellung der Gesellschaft schließen, muß man davon ausgehen, daß eine Geldeinheit bei verschiedenen Menschen gleich viel Nutzen
91
Mercuro/Medema, S. 173 sprechen insofern von „'price' incentives". Das Prinzip der „wealth maximization" von der Kosten/Nutzen-Analyse unterscheiden folglich z.B. Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 34 f. sowie Eidenmüller, Effizienz, S. 51 ff. Ähnlich auch Kornhauser in Newman, Bd. 3, S. 680 und ölen, LSI 1997, 191, 193. 92
93 Posner , JLS 1979, 103, 119: „... the value in dollars or dollar equivalents (...) of everything in society. It is measured by what people are willing to pay for something, or, i f they already own it, what they demand in money to give it up. The only kind of preference that counts in a system of wealth maximization is thus one that is backed up by money - in other words, that is registered in a market." 94 Vgl. dazu Scheel, S. 102; Dworkin, JLS 1980, 191 ff.; Kornhauser , HLR 1979/80, 591 ff. 95 Kornhauser in Newman, Bd. 3, S. 679; zum Begriff vgl. Gabler Wirtschaftslexikon, S. 2267.
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stiftet . Dagegen spricht aber schon die Theorie vom abnehmenden Grenznutzen des Einkommens97. Wird andererseits kein Schluß vom positiven Geldsaldo auf einen gesellschaftlichen Nutzenzuwachs gezogen, dann wählt man mit Hilfe des Reichtumsmaximierungsprinzips möglicherweise Veränderungen aus, die zwar die in der Gesellschaft verfugbare Geldmenge vergrößern, die Gesellschaft unter Nutzengesichtspunkten letztlich aber schlechter stellen. Insofern muß man sich beim Reichtumsmaximierungsprinzip damit abfinden, entweder die Gefahr einer gesellschaftlichen Schlechterstellung in Kauf zu nehmen oder aber interpersonelle Nutzenvergleiche zuzulassen98. (2) Zahlungsbereitschaft. Anders als bei der unter C.I.3.b) vorgestellten Interpretation des Kaldor-Hicks-Kriteriums wird beim Reichtumsmaximierungsprinzip nicht die Nutzenfunktion extern durch einen allwissenden Beobachter betrachtet, sondern die Zahlungsbereitschaft durch Befragung der Individuen bestimmt. Es ist jedoch sehr fraglich, warum die Individuen überhaupt ihre wahre Zahlungsbereitschaft aufdecken und nicht strategisch viel eher maßlos übertreiben sollten, um auf diese Weise das in Streit stehende Recht zugewiesen zu bekommen. Je höher sie nämlich ihre (kaum überprüfbare) Zahlungsbereitschaft angeben, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß der gesamtgesellschaftliche Reichtum dann maximal zu sein scheint, wenn gerade ihnen das zuzuweisende Recht übertragen wird. Neben diesem Praktikabilitätsargument und den oben dargestellten Einwänden bestehen gegen das Reichtumsmaximierungsprinzip aber auch nahezu sämtliche der bereits zum KaldorHicks-Kriterium aufgeführten Bedenken. Dazu zählen das Scitovsky-Paradoxon 99 , das Problem der Eigentums- und Besitzeffekte (dies nun um so mehr, als sie nicht nur auf die Kompensationszahlung, sondern auch schon auf die Zahlungsbereitschaft und die Zahlungsfähigkeit selbst einwirken können), sowie die fehlende Sensibilität für die Sicherung von Freiheitsrechten 100 und distributiven Belangen. Zudem werden durch das reine Abstellen auf monetäre Größen nicht-monetarisierbare Werte völlig ignoriert 101 oder können nur grob geschätzt werden 102 .
96
Das bemerkt auch Posner in Malloy/Evensky, S. 171. Bereits bevor Posners Interpretation existierte, kritisierte Arrow, Choice, S. 38 die monetäre Ausprägung des Kaldor-Hicks-Kriteriums. 97 Vgl. hierzu bereits unter A.II.3.c)cc). 98 So auch R. Möller, S. 27, der in diesem Zusammenhang darauf hinweist, daß Kaldor den ersten Weg wählte, indem er sein Kriterium bereits dann als erfüllt ansah, wenn die Möglichkeit einer Mehrung des sozialen Gesamtnutzens bestand, vgl. Kaldor, EJ 1939, 549, 550. 99
Im Rahmen des Reichtumsmaximierungsprinzips Kornhauser in Newman, Bd. 3, S. 681.
100
So Blaschczok, S. 252 f. Für Posner, JLS 1979, 103, 137 f. und ders. in Malloy/Evensky, S. 175 ff. scheint Grundrechtsschutz geradezu Ursache von Fehlallokationen zu sein. 101 Ulen, LSI 1997, 191, 193 f.; Kaplow/Shavell, HaLR 2000/01, 966, 1346; Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 285. Ein gutes Beispiel der mangelhaften Berücksichtigung nicht-monetärer Werte ist die „Theorie des effizienten Vertragsbruchs", vgl. Shavell, QJE 1984, 121 ff. sowie Schäfer!Ott, Lehrbuch, S. 423 ff. Hierbei wird ein Vertragsbruch als „effizient" z.B. dann zugelassen, wenn A an B etwas verkauft und später erfährt, daß C mehr gezahlt hätte. A soll dann nochmals an C ver-
I. Effizienzprinzip
101
(3) Ergebnis. Die genannten Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der zu kurz greifenden Gleichsetzung von Geldsummenmaximierung und gesamtgesellschaftlicher Zufriedenheit 103 lassen einerseits das Reichtumsmaximierungsprinzip Posners zumindest als alleiniges Entscheidungskriterium noch problematischer erscheinen als das Kaldor-Hicks-Kriterium. Andererseits dürften sie, da die Arbeiten Posners große Popularität genießen, nicht unerheblich zur weit verbreiteten Ablehnung der ökonomischen Rechtstheorie beigetragen haben. cc) Die Folgerungen Posners für die Ausgestaltung des Rechts Aufgrund der großen Prominenz 104 von Posners Ansatz, der fälschlicherweise allzu oft mit der ökonomischen Theorie des Rechts gleichgesetzt wird, soll an dieser Stelle noch kurz dargestellt werden, welche Schlüsse Posner aus der normativen Rechtstheorie zieht. Er legt seiner „Economic Analysis of Law" nämlich den Property-Rights-Approach zugrunde 105 und entwickelt aus dem Reichtumsmaximierungsprinzip Folgerungen, denen ein Rechtssystem seiner Meinung nach zu genügen habe. Nach seiner rein funktionalen Rechtsauffassung soll die Rechtsordnung vor allem drei Aufgaben erfüllen 106 : Zum einen soll sie eine möglichst weitreichende Handelbarkeit von Gütern und Rechten aller Art ermöglichen, um wohlfahrtssteigernde Transaktionen in größtmöglichem Umfang und in möglichst allen Lebensbereichen zuzulassen. Zweitens soll das Recht zur Senkung von Transaktionskosten beitragen, damit die Individuen die durch Schaffung eines umfassenden Marktes erreichten Transaktionsmöglichkeiten privatrechtlich und eigenverantwortlich möglichst vollständig realisieren können. Drittens soll in den Fällen, in denen aufgrund prohibitiv hoher Transaktionskosten ein Güter- oder Leistungsaustausch im Wege privater Vereinbarung nicht möglich ist, das Rechtssystem die Rechtsposition dem kaufen dürfen und dem B lediglich einen geringen Schadensersatz schulden, da so die Sache in die am höchsten bewertete Verwendung (bei C) gelangt; der nach § 285 BGB (entspricht § 281 BGB a.F.) bestehende Anspruch des B auf den durch den Verkauf an C erlangten Erlös soll nicht gewährt werden. Dabei wird jedoch übersehen, daß - zumindest, wenn man die Zahlungsbereitschaft aus dem Kaufpreis ableitet - B um so eher seinen Anspruch auf die Sache verliert, je günstiger er sie erworben hat. Auf diese Weise wird das Recht aber nicht notwendigerweise der Person mit der höchsten Zahlungsbereitschaft zugewiesen, sondern u.U. lediglich B, wenn er trotz des niedrigeren Kaufpreises die Sache doch höher bewertet als C, für sein Verhandlungsgeschick bestraft. Zudem darauf weisen Eidenmüller, JZ 1999, 53, 56 f. und Feldmann, Ordnungstheoretische Aspekte, S. 197 ff. hin - sind Auswirkungen auf das Rechtsbewußtsein und damit auch das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu befürchten, die überhaupt nicht berücksichtigt und schwer evaluierbar sind. 102
Zu diesem Problem auch Bundesministerium des Innern, Der Mandelkern-Bericht, S. 31. Shapiro/McClennen in Newman, Bd. 2, S. 462; kritisch Veljanovski, IRLE 1981, 5 ff. 104 Kerber in Leipold/Pies, S. 148 nennt ihn sogar das „dominierende Instrumentarium", weist aber zurecht immer wieder auf die vielen anderen Ansätze hin. 105 Posner, Economic Analysis, S. 35. Schwintowski, JZ 1998, 581 meint dagegen, Posners Betrachtung baue auf dem Transaktionskostenansatz auf. Im Ergebnis ändert dies freilich nichts. 106 Posner, JEP 1993, 195, 203 f.; Kirchner ¡Koch, Analyse&Kritik 1989, 111, 117; Kerber in Leipold/Pies, S. 149 f.; Polinsky in Assmann/Schanze/Kirchner, S. 108 ff.; Eidenmüller, JZ 2001, 1041, 1043; umfassend ders., Effizienz, S. 63 ff. 103
102
C. Normative Kriterien der ökonomischen Theorie des Rechts
Akteur mit der höchsten Zahlungsbereitschaft zuweisen und damit die private Transaktion simulieren. Alle drei von Posner als Funktionen des Rechts angesehenen Aufgaben bergen erhebliche Schwierigkeiten. Die Bereitstellung eines möglichst umfassenden Marktes für Rechte aller Art wirft ein sehr grundlegendes Problem auf, welches schon im Rahmen des Kaldor-Hicks-Kriteriums 107 diskutiert wurde. Wurde dort festgestellt, wie wenig zuverlässig das Prinzip Grundrechtspositionen zu schützen in der Lage ist, so zeigt sich nunmehr, daß Posner deren Schutz ohnehin nur eine instrumentelle Rolle zugesteht108. Eine solche Sicht der Grundrechte jedoch teilt die deutsche Verfassung mit guten Gründen nicht. Man mag eine möglichst weitreichende Zulassung des Handels von Rechten verlangen, muß sich aber jedenfalls stets der Tatsache bewußt sein, daß unsere Rechtsordnung aufgrund der Werte Vielfalt und dem ihr immanenten Paternalismus 109 bestimmte Rechte wohl niemals der individuellen Disposition anheim stellen kann und wird 1 1 0 . Die zweite Rechtsfunktion, also die Minimierung von Transaktionskosten, wirkt deregulierend, indem sie die Nutzung des Marktes durch Reduzierung der Kosten für die Akteure zu fördern versucht. Mit einer Senkung der Transaktionskosten wird es für die Akteure einfacher und preiswerter, Güter und Rechte aller Art zum beiderseitigen Vorteil auszutauschen. Eine solche Funktion erfüllen z.B. die dispositiven Regeln des Rechts, durch die den Parteien umfangreiche Vertragswerke erspart werden, die ansonsten z.B. Risikotragungsregeln für jeden Eventualfall beinhalten müßten. Aus ökonomischer Sicht kommt dem dispositiven Recht damit eine Entlastungsfunktion zu. Ein anderes Beispiel ist das frühere AGBG 1 1 1 , welches zwar grundsätzlich die - v.a. für den Verwender transaktionskostenreduzierenden - AGB zuläßt, andererseits aber den Verbraucher z.B. vor überraschenden Klauseln (§ 305c I BGB) schützt. Damit wird verhindert, daß dieser die AGB noch aufwendig durcharbeiten muß, was auch auf seiner Seite transaktionskostensenkend wirkt. Die Aussage, eine Reduzierung der Transaktionskosten sei stets effizienzsteigernd, ist aber dennoch in dieser Generalität nicht haltbar. Viel zu selten 112 wird aufgezeigt, daß es in bestimmten Bereichen durchaus sinnvoll sein kann, zur Erzielung effizienter Ergebnisse die Transaktionskosten hoch zu halten. So ist es eine vornehmliche Aufgabe des Wettbewerbsrechts, durch „künstliche" Konstanthaltung der Informationskosten zwischen den Unternehmen Monopolab107
Dazu unter C.I.3.b)bb)(2).
108
Posner, JLS 1979, 103, 133 hat folgenden makaberen Vorschlag: „ I f Nazi Germany wanted to get rid of the Jews, in a system of wealth maximization it would have had to buy them out." 109
Zu den daraus resultierenden Schwierigkeiten: Eidenmüller, Effizienz, S. 358 ff. Die Diskussionen um das Urteil vom VG Neustadt, NVwZ 1993, 98 ff. („Zwergenweitw u r f ) oder BVerwGE 64, 274, 280 („Peep-Show") zeigen, daß die Wertungen innerhalb der Bevölkerung keineswegs einmütig sind. 111 Zur ökonomischen Funktion der nunmehr §§ 305 ff. BGB z.B. Fleischer, S. 203 ff. 112 Aufderheide in Pies/Leschke, S. 154; ebenso Kirchner, WuW 1992, 584, 594 f. 110
I. Effizienzprinzip 113
103 114
sprachen zu verhindern . Nicht zuletzt ist auch hier nochmals daraufhinzuweisen, daß von einer marktmäßigen auf eine wirklich effiziente Rechtszuweisung überhaupt nur dann geschlossen werden kann, wenn die Parteien mit einem zumindest ähnlichen Grenznutzen des Geldes konfrontiert sind. Die dritte und für Posner zentrale Funktion des Rechts, die Marktsimulation, ist im Gegensatz zur zweiten interventionistischer Natur. Sie steht damit zum einen in bemerkenswertem Widerspruch zur nicht-interventionistischen Sichtweise von Coase115. Zum anderen greift sie - wie bereits angedeutet zumindest in dieser allgemeinen Formulierung zu kurz: So ist zu beachten, daß staatliche Eingriffe ihrerseits stets mit Kosten verbunden sind, so daß nicht jede Intervention immer auch eine effiziente Maßnahme darstellen muß. 4. Philosophische Rechtfertigung:
Werturteilsproblematik
und Effizienz
Mit dem Ruf nach Effizienz als normativem Kriterium begibt sich die ökonomische Theorie des Rechts in Konflikt mit dem Postulat der „Werturteilsfreiheit der Wissenschaft" 116. Nach diesem ist es nämlich nicht möglich, aus positiven wissenschaftlichen Erkenntnissen zwingende normative Schlüsse zu ziehen, da letztere stets einen subjektiven und damit nicht wissenschaftlich überprüfbaren Gehalt haben. Dem widersprechen auch die Autoren der ökonomischen Theorie des Rechts nicht. Sie glauben jedoch teilweise, das Effizienzprinzip als übergeordnetes Prinzip deshalb legitimieren zu können, weil es im Interesse aller Rechtssubjekte sei. Damit ließe sich das zugrundeliegende Werturteil durch einstimmige Akzeptanz der Rechtsunterworfenen rechtfertigen 117. Für das Pareto-Kriterium läßt sich ein Konsens der Individuen unschwer begründen 118: Da es dem Individuum letztlich ein Vetorecht einräumt, gäbe der einzelne durch die generelle Zustimmung zum Pareto-Kriterium keinerlei Rechte auf. Etwas anderes gilt dagegen für das Kaldor-Hicks-Kriterium (und erst recht für das Reichtumsmaximierungsprinzip). Bei dessen Anwendung als übergeordnetes Entscheidungsprinzip können die Individuen zumindest im Einzelfall Rechtseinbußen gegen ihren Willen erleiden. Insofern ergeben sich hier Schwierigkeiten bei der Rechtfertigung des Kriteriums durch einen allgemeinen Konsens. Warum nämlich sollte ein Akteur - besonders, wenn man vom homo oeconomicus ausgeht - einer Maßnahme zustimmen, von der andere profitieren, während er selbst schlechter gestellt wird? Die Antwort kann nur lauten: Wenn 113
Für viele nur Kirchner, WuW 1992, 584, 591 ff.; Fleischer, S. 200 ff. Hierzu auch C.I.3.b)bb)(l) und C.I.3.c)bb)(l); ausführlich auch Kittner, Rdnr. 128 ff. 115 Vgl. oben B.II.2.; so auch Kirchner in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, S. 78. 1,6 Weber, ASS 1904, S. 22 f f ; ders., Wissenschaft; ders., Soziologie, Weltgeschichtliche Analysen, Politik, S. 263 ff. 114
117
Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 217 f.; Posner, HLR 1979/80, 487, 491 f f ; Schäfer in Ott/Schäfer, Allokationseffizienz, S. 4 ff. 118 Behrens, ZfA 1989, 209, 214; ahnlich Eidenmüller, Effizienz, S. 235 f.
104
C. Normative Kriterien der ökonomischen Theorie des Rechts
sich das Individuum schon ex post nicht in einer besseren Lage wiederfindet, so wird es nur zustimmen, wenn und weil es sich von einer Maßnahme ex ante einen Erfolg verspricht, der eine Zustimmung lohnend erscheinen läßt. Insofern bedarf es für die konsensuale Rechtfertigung des Kaldor-Hicks-Kriteriums eines Szenarios, in dem die Anwendung dieses Effizienzprinzips für die Errichtung von Normen wenigstens ex ante zu einer Besserstellung sämtlicher Rechtsunterworfenen fuhrt 119 . Dazu wurde von den modernen Sozialvertragstheoretikern der Zustand der „natürlichen Unwissenheit" einerseits sowie derjenige der „artifiziellen Unwissenheit" andererseits entwickelt. a) Konsensfähigkeit bei „natürlicher Unwissenheit" Das Modell „natürlicher Unwissenheit", welches von vielen Autoren 120 zur Legitimation des Kaldor-Hicks-Prinzips oder einer seiner Varianten benutzt wird, geht von einer Situation aus, in der die Individuen zwar ihre eigene Person und ihre eigenen Fähigkeiten kennen, jedoch in Unsicherheit über zukünftige Entwicklungen leben. Über ihnen liegt insofern ein (dünner) „Schleier der Unsicherheit", ein „veil of uncertainty" 121 . Es fragt sich, ob in einer solchen Welt ein im Sinne des homo oeconomicus rational handelnder Akteur tatsächlich einer am Kaldor-Hicks-Kriterium orientierten Politik zustimmen würde. Dazu bedarf es zunächst folgender Vorüberlegung: Im dargestellten Szenario würde eine einzelne, am Kaldor-Hicks-Prinzip ausgerichtete Norm jedenfalls dann nicht den Konsenstest bestehen, wenn die Individuen die Regel auf ihre Person hin überprüfen und insofern antizipieren können, ob sie zu den Gewinnern oder Verlierern gehören 122. Sobald es nämlich Verlierer gibt, die sich ex ante als solche erkennen können, ist eine konsensuale Legitimation durch homines oeconomici nicht mehr erreichbar. In den Fällen dagegen, in denen sich der einzelne nicht bereits im Vorfeld der Gruppe der Gewinner oder Verlierer zuordnen kann 123 , kommt es für die Zustimmungsfähigkeit darauf an, ob es sich um eine einmalige oder um eine mehrmalige Anwendung der am Effizienzprinzip ausgerichteten Normen handelt. Bei einer einmaligen Anwendung des Effizienzprinzips ist vorher klar, daß am Ende Gewinner und Verlierer stehen werden. Daher werden risikoaverse Individuen ihre Zustimmung versagen. Somit bleibt zu überprüfen, ob nicht 119 In diesem Sinne auch Eidenmüller, Effizienz, S. 236. Zum ganzen ausfuhrlich ders., ebenda, S. 234 ff., Shapiro!McClennen in Newman, Bd. 2, S. 462 f., Dworkin, HLR 1979/80, 563 ff. und Schäfer in Ott/Schäfer, Allokationseffizienz, S. 4 ff. 120
Vgl. z.B. Posner, HLR 1979/80, 487, 499; Polinsky, QJE 1972, 407, 409 ff.; Buchanan, Constitutional Order; Buchanan!Tullock, The Calculus of Consent. 121 Buchanan, Constitutional Order, S. 48. 122 So bei Normen, die unmittelbar an Eigenschaften der Individuen ansetzen, z.B. bei einer Vermögensteuer. Die Akteure erkennen unter natürlicher Unwissenheit ex ante, ob sie dieser unterfallen. 123 So beispielsweise im Schadensersatzrecht, bei dem man vorher nicht wissen kann, ob man im Falle der Normanwendung Schädiger oder Geschädigter ist.
I. Effizienzprinzip
105
wenigstens die wiederholte Anwendung des Kaldor-Hicks-Kriteriums konsensual legitimierbar ist. Dies ließe sich wie folgt begründen: Führt die Anwendung des Prinzips in jedem Einzelfall zu einer gesamtgesellschaftlichen Nutzenerhöhung, dann kann bei nur ausreichend häufiger Anwendung theoretisch jedes Individuum besser stehen, wenn es ähnlich oft und mit ähnlicher Intensität zu den Gewinnern wie zu den Verlierern einer Maßnahme zählt. Für eine Zustimmung zum Kaldor-Hicks-Prinzip kommt es also darauf an, daß ex ante jedermann erwarten kann, durch die Regeländerungen besser gestellt zu werden, da sich das gesamtgesellschaftliche Wohlfahrtsniveau nach oben verschiebt. Dieser vielfach bemühte124 Gedanke der „Generalkompensation" wirft allerdings das Problem auf, daß auch bei häufiger Anwendung des KaldorHicks-Kriteriums nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, daß jeder einzelne ähnlich oft Verlierer und Gewinner vergleichbar wichtiger Maßnahmen ist 125 . Insofern werden ex post nicht alle Individuen tatsächlich besser gestellt sein als zuvor. Dann aber hängt die konsensuale Legitimation des Kriteriums zum einen von der Risikoneigung der Abstimmungsberechtigten 126, zum anderen von ihrer Risikoprämie in Form zu verteilender Effizienzgewinne ab. Je risikoaverser ein Individuum und je geringer die von ihm erwartete Risikoprämie ist, desto unwahrscheinlicher ist auch seine Zustimmung zur wiederholten Anwendung des Kaldor-Hicks-Prinzips. Insofern ist die Annahme, mit Hilfe der „natürlichen Unwissenheit" eine konsensuale Legitimation dieses Effizienzkriteriums zu erzielen, höchst problematisch. Es ergeben sich aber noch weitere Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Gedanken der Generalkompensation: Zunächst wird kritisiert, es fehle bislang an einer empirischen Überprüfung 127. Daneben wird vorgebracht, eine Generalkompensation sei nur dann realisierbar, wenn jedes Individuum gesellschaftlich gleichermaßen repräsentiert (und damit z.B. Lobbyismus ausgeschlossen) sei. Die Zustimmung von Individuen, die (wie im Falle z.B. der Kohlesubventionen) von ineffizienten geltenden Regeln massiv profitieren, sei ohnehin nur dann zu erwarten, wenn ein extrem langer Kompensationszeitraum gewählt würde; diesen aber würden die Akteure u.U. gar nicht mehr erleben. Insgesamt scheint damit das Kaldor-Hicks-Kriterium unter „natürlicher Unwissenheit" konsensual nicht legitimierbar 128 , weder im einzelnen noch im
124 Polinsky, QJE 1972, 407, 409 ff.; Hotelling, Econometrica 1938, 242, 258 f.; Hicks, RES 1940/41, 108, 111; von Weizsäcker in Neumann, S. 125 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 35 ff. 125 In diesem Sinne z.B. von Weizsäcker in Neumann, S. 129, der davon ausgeht, daß zwar die einzelnen Perzentile jeweils auf einem höheren Nutzenniveau angesiedelt sind, ein Wechsel der Individuen zwischen den Perzentilen aber möglich bleibt, so daß einzelne trotz aller Effizienzgewinne schlechter stehen können als vorher. 126
So deshalb auch Schäfer in Ott/Schäfer, Allokationseffizienz, S. 9. Diese und weitere Kritik findet sich bei Eidenmüller, Effizienz, S. 245 ff. 128 Eidenmüller, Effizienz, S. 250 f.; obgleich dem Gedanken ansonsten sehr positiv gegenüberstehend, hält ihn von Weizsäcker in Neumann, S. 141 für politisch undurchsetzbar. 127
106
C. Normative Kriterien der ökonomischen Theorie des Rechts
wiederholten Anwendungsfall. Daran ändert auch der Einwand nichts, die alltägliche Erfahrung spreche für eine Generalkompensation, da immer mehr ärmere Nationen sich effizienzorientierten Gesellschafts- und Wirtschaftssystemen zuwendeten, und zwar nicht aufgrund der Aussicht auf gerechtere Verteilung, sondern aufgrund der Chance, am Wachstumsprozeß teilzuhaben129. Aus dieser Tatsache kann man - wenn überhaupt - allenfalls auf die Wünschbarkeit bzw. Vorteilhaftigkeit einer effizienzorientierten Wirtschafts- und Staatsorganisation für eine Mehrheit der Bürger schließen, keinesfalls aber eine konsensuale Legitimation im Sinne eines Gesellschaftsvertrags fingieren 130 . Der Grund für die Unmöglichkeit einer konsensualen Legitimation unter „natürlicher Unwissenheit" dürfte sein, daß die Akteure bei Kenntnis ihrer Person und Fähigkeiten die Folgen effizienzorientierter Maßnahmen für sich zwar nur grob, aber dennoch zumindest so genau abschätzen können, daß jedenfalls einige sich bereits vorab als potentielle Verlierer ermitteln können. b) Konsensfähigkeit bei „artifizieller Unwissenheit" Um solche Antizipationsmöglichkeiten der Individuen einzuschränken und damit einen höheren Grad an Fairneß unter den Abstimmungsberechtigten des Sozialvertrags zu schaffen, verlangen einige Autoren 131 einen Konsens unter „artifizieller Unwissenheit". Dabei werden die Akteure mit einem (im Gegensatz zum „veil of uncertainty" erheblich dickeren) „veil of ignorance" 132 belegt, der sie nicht nur über allgemeine zukünftige Entwicklungen, sondern auch über ihre eigene Person, also ihre Hautfarbe, ihr Geschlecht, ihre Fähigkeiten usw. im Unklaren läßt. Als Folge werden gesellschaftsvertragliche Entscheidungen durch die Akteure unter völliger Unparteilichkeit gefällt. Von diesem gemeinsamen Standpunkt aus haben sich in der Literatur zwei Ansichten entwickelt, nach denen unter dem „veil of ignorance" völlig unterschiedliche gesellschaftliche Entscheidungskonzepte konsensual legitimiert werden: Rawls 133 entwickelt aus den gemachten Annahmen sein bekanntes MaximinPrinzip, während andere Autoren 134 deutlich utilitaristischere Schlüsse ziehen. Nach Rawls führt die Entscheidung unter artifizieller Unwissenheit dazu, daß jedermann aufgrund der Gefahr, in der späteren Gesellschaft selbst der am schlechtesten Gestellte zu sein, ein Interesse daran habe, das Wohl gerade dieser Person zu maximieren 135 . Entscheidend für die Sozialwahl sei also nur das Wohl dieses am schlechtesten stehenden Individuums. So würden z.B. Maßnahmen, 129
So Kötz/Schäfer,
130
Dies teilweise zugestehend: Schäfer/Ott,
131
Z.B. Harsanyi, JPoE 1955,309 f f ; Rawls, A Theory of Justice.
RT 1999, 130, 132. Lehrbuch, S. 36.
132 Rawls, A Theory of Justice, S. 136 ff. Auch BVerfGE 101, 158, 218 argumentiert im Rahmen des Länderfinanzausgleichs mit Rawls „Schleier des Nichtwissens". 133 134 135
Rawls, A Theory of Justice, S. 302 f. Harsanyi, JPoE 1953, 434 f.; ders., JPoE 1955, 309, 316; Vickrey, QJE 1960, 507, 523 ff. Rawls, A Theory of Justice, S. 302 f. ; dazu auch Sen, Resources, S. 278 ff.
I. Effizienzprinzip
107
bei denen diese Person nur wenig Wohlfahrt verlöre, selbst dann nicht akzeptiert, wenn allen übrigen gleichzeitig erhebliche Wohlfahrtsgewinne zuteil würden. Das Maximin-Prinzip geht also von einem sehr risikoaversen Individuum aus. Es wird schnell deutlich, daß dieses Kriterium keine Berührungspunkte mit dem Kaldor-Hicks-Prinzip hat, welches es hier konsensual zu legitimieren gilt. Dagegen sind die Individuen bei Harsanyi wesentlich weniger risikoscheu. Er unterstellt bei den Akteuren das Gleichwahrscheinlichkeitstheorem 136, geht also davon aus, daß jedes Individuum eine bestimmte gesellschaftliche Position mit gleicher Wahrscheinlichkeit einnehmen kann. Aufgrund dieser beiden Annahmen werden sich die Individuen nach Harsanyi auf eine Gesellschaftsform einigen, in der der Durchschnittsnutzen aller 137 und damit der Erwartungswert jedes einzelnen maximiert wird. Aber auch diese Ansicht birgt Schwierigkeiten, wenn man die beiden notwendigen Hypothesen Harsanyis kritisch hinterfragt: Erstens geht er davon aus, die Akteure könnten mit gleicher Wahrscheinlichkeit jede beliebige gesellschaftliche Position einnehmen. Das ist deshalb problematisch, als er damit den Individuen ihre Identität nimmt, indem er sie letztlich zwingt, ihre Intelligenz, Fähigkeiten usw. zu ignorieren 138. Auch fragt sich, ob beim Fehlen von objektiven Anhaltspunkten überhaupt davon ausgegangen werden kann, daß Ereignisse stochastisch gleichverteilt eintreten; dies ist jedenfalls in der Wahrscheinlichkeitstheorie nicht unumstritten 139. Zweitens ist die unterstellte, zumindest annähernde 140 Risikoneutralität eine vor allem bei Privatpersonen zweifelhafte 141 Annahme, insbesondere im Falle der hier diskutierten existentiellen Frage nach der eigenen Position in der Gesellschaft. c) Ergebnis Nach allem scheint die konsensuale Legitimation unter artifizieller Unwissenheit zwar eher möglich als unter natürlicher Unwissenheit. Vor dem Hintergrund der genannten Kritik zeigt sich aber, daß auch sie letztlich nicht in der Lage ist, das Kaldor-Hicks-Kriterium als übergeordnetes Gesellschaftsprinzip zu rechtfertigen. Damit ist der Effizienzgedanke im Ergebnis nicht besser oder schlechter legitimierbar als jedes andere Bewertungskriterium oder -prinzip. Für die Bedeutung der normativen ökonomischen Theorie im Recht läßt sich daraus ableiten, daß das Effizienzprinzip jedenfalls keinen Vorrang vor den 136
Harsanyi, JPoE 1953, 434 f.; ders., JPoE 1955, 309, 316; ders. in Sen/Williams, S. 44 f.
137
Harsanyi, JPoE 1955, 309, 316. Umfassend Eidenmüller, Effizienz, S. 253 ff. mit Verweis auf Nozick, S. 222 f., 226 f.; Shapiro/McClennen in Newman, Bd. 2, S. 463 f. 139 Dazu ausführlicher Eidenmüller, Effizienz, S. 256 f. 140 Je risikoaverser die Individuen sind, desto stärker muß sich der Erwartungswert durch die Anwendung des zu legitimierenden Kriteriums erhöhen, damit sie ihm zustimmen. 138
141 Bei Privatpersonen ist eher von risikoaversem Entscheidungsverhalten auszugehen, weshalb Konsens nur erzielt werden kann, wenn die Verbesserung des Erwartungswerts um den Grad der Risikoaversion steigt, den Individuen also eine Risikoprämie gezahlt wird.
108
C. Normative Kriterien der ökonomischen Theorie des Rechts
übrigen Prinzipien genießen kann. Damit ist über seine generelle Verwertbarkeit für die Rechtsausgestaltung aber noch kein Urteil gesprochen. Vielmehr wird lediglich deutlich, daß die Frage nach der juristischen Bedeutung der Effizienz durch das Recht selbst zu beantworten ist und nicht durch gesellschaftsvertragliche Konstrukte entschieden werden kann. II. Konsensprinzip Nachdem das Effizienzprinzip in seinen verschiedenen Facetten die genannten, alles andere als unerheblichen Schwierigkeiten aufwirft, stellt sich die Frage, ob damit bereits eine Ablehnung der normativen ökonomischen Rechtsbetrachtung insgesamt verbunden ist. Das Effizienzprinzip ist jedoch nicht das einzige Kriterium, nach dem in der Ökonomik Zustände als mehr oder weniger wünschenswert klassifiziert werden können. Neben dieser ergebnisorientierten Sichtweise bleibt nämlich noch eine prozeßorientierte 142 Betrachtung möglich. So wurde in jüngerer Zeit, besonders im Zuge des verstärkten Aufkommens der Verfassungsökonomik, vor allem von Kirchner 143 immer häufiger gefordert, auch innerhalb der ökonomischen Theorie des Rechts mit einem konsenstheoretischen Ansatz zu arbeiten. Damit nähert sich das normative Kriterium der ökonomischen Theorie dem Wahrheitsbegriff nach Habermas 144 an, wobei wie zu zeigen sein wird - trotz allem erhebliche Unterschiede verbleiben. Der konsenstheoretische Ansatz versteht sich explizit 145 als Gegenentwurf zum Effizienzprinzip der Wohlfahrtsökonomik. Anders als in Kapitel C.I.4. geht es also nicht darum, konsensual die Anwendung des Effizienzkriteriums als solche zu rechtfertigen, sondern vielmehr den Konsens als unmittelbaren Test für die Wünschbarkeit einer Regel selbst zu verstehen. Stimmen nämlich die Individuen freiwillig einer Norm zu, dann ist diese letztlich in gleicher Weise legitimiert wie ein freiwillig abgeschlossener privater Vertrag 146 . Es ist jedoch bereits vorab festzustellen, daß eine Übernahme des Konsenskriteriums aus der Verfassungsökonomik ins Zivilrecht nicht „eins zu eins" geschehen kann. Die Verfassungsökonomik setzt nämlich auf höchster rechtlicher Ebene an und betrachtet in erster Linie sehr grundlegende Fragestellungen. Dagegen sollen die zivilrechtlichen Normen konkrete Probleme zwischen einander
142 Renner in Pies/Leschke, S. 170; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 28; Vanberg in Leipold/Pies, S. 256 spricht in diesem Zusammenhang vom effizienzorientierten „Maximierungsparadigma" gegenüber einem vorzugswürdigen „Kooperationsparadigma"; ähnlich Buchanan, Essays on Political Economy, S. 21. 143 Kirchner in Hof/Schulte, S. 41 f.; ders. in Ott/Schäfer, Verhaltenssteuerung, S. 47; ders. in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, S. 80 f.; ders., JITE 1994, 37, 41. 144 Vgl. nur Habermas in Habermas/Luhmann, S. 123 ff. 145 Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 25. 146 Van Aaken! Hegmann, ARSP 2002, 28, 29.
I.
nprinzip
109
unmittelbar widerstreitenden Individualinteressen lösen. Aus verfassungsökonomischer Sicht geht es hier also um die „sub-konstitutionelle Ebene" 147 . Nach den Anhängern des ökonomischen Konsens soll die Anwendung des Konsensprinzips einen dem Effizienzkriterium immanenten Bruch 148 mit dem normativen Individualismus, also der Legitimation jeder Wahlentscheidung durch die Rückführbarkeit der Entscheidung auf den einzelnen149, vermeiden: So rekurriere ein sich am Effizienzziel orientierender Normersteller oder -interpret nicht auf die tatsächlichen Wahlentscheidungen der Individuen, sondern lediglich auf das den Akteuren unterstellte übergeordnete Oberziel 150 der Effizienz. Folge man dagegen dem konsenstheoretischen Ansatz, so werde unmittelbar auf die Entscheidung des einzelnen abgestellt und damit stets ein pareto-superiorer Zustand 151 gewählt. Eine solche Lösung sei dann eben nicht mehr nur durch die extern festgestellte Wohlfahrtsmehrung legitimiert, sondern vielmehr durch die Freiheit der individuellen Entscheidung. Ob dem tatsächlich so ist, wird im folgenden näher zu überprüfen sein. Dabei werden zwei verschiedene Arten des Konsens unterschieden 152, nämlich der „faktische" und der „hypothetische"153. Sie werden an dieser Stelle v.a. auf die von ihnen aufgeworfenen technischen Probleme untersucht. Die zusätzlich im Zusammenhang mit der ökonomischen Theorie des Rechts auftretenden Schwierigkeiten werden erst in Kapitel D. behandelt. /. Faktischer Konsens Ein faktischer Konsens setzt voraus, daß alle betroffenen Individuen befragt werden und sich daraufhin tatsächlich für eine bestimmte Regel entscheiden. Es handelt sich um ein höchst demokratisches Entscheidungskriterium, wobei es nicht der Zustimmung aller, sondern nur der „relevanten Akteure" 154 bedarf, 147
Vgl. dazu nur Vanberg in Leipold/Pies, S. 267.
148
Dagegen aber z.B. Kerber in Leipold/Pies, S. 151, der daraufhinweist, daß der normative Individualismus auch Grundlage für das Effizienzkriterium ist. 149 Siehe dazu bereits - in Abgrenzung zum methodologischen Individualismus - oben A.II. 1. 150 Kirchner in Ott/Schäfer, Verhaltenssteuerung, S. 47. 151 Für Erlei!Leschke/Sauerland, S. 20 ist daher der Konsens Buchanans eine „Anwendung des Pareto-Kriteriums auf Institutionen"; ebenso Leschket Sauerland in Pies/Leschke, S. 203. Voigt in Pies/Leschke, S. 166 interpretiert den Konsens-Test als „Versuch, die der Wohlfahrtsökonomik inhärente Wissensproblematik ernst zu nehmen, ohne das Pareto-Kriterium aufzugeben". 152 Dabei wird auf die Terminologie von z.B. Buchanan in ders., S. 270 und Kirchner in Hof/Schulte, S. 41 abgestellt. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 20 (mwN) ordnet Mack, S. 84 folgend den faktischen Konsens dem vertragstheoretischen Paradigma, den hypothetischen Konsens dem konsenstheoretischen Paradigma zu. Die Begriffe „faktisch" und „hypothetisch" anders (und semantisch zweifelhaft) gebraucht Aufderheide in Leschke, S. 42, was Voigt in Pies/Leschke, S. 169 zurecht kritisiert. 153
Besonders letzteren als normatives ökonomisches Kriterium fordern Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 26 f f ; ders., FS-Beisse, S. 273 f.; Pies/Leschke in Leschke/Sauerland, S. 203. 154 Leschke/Sauerland in Pies/Leschke, S. 202 f.
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C. Normative Kriterien der ökonomischen Theorie des Rechts
also lediglich derer, die von der Regel auch wirklich betroffen sind. Eine solche Zustimmung kann - um wieder juristisches Terrain zu betreten - von den Individuen auf zweierlei Weise gegeben werden: Durch ein Tun (aktiv) oder durch ein Unterlassen (passiv). Zustimmung durch ein aktives Tun erfordert eine ausdrücklich positive Äußerung auf die Frage, welche Norm im Recht zu implementieren sei. Neben der Tatsache, daß - anders als in der Schweiz 155 - der Volksentscheid dem parlamentarischen Demokratieverständnis widerspricht und daher in der deutschen Verfassung nur für seltene Ausnahmen (Art. 29 II, 118, 118aGG) vorgesehen ist, ergeben sich hierbei auch noch eine Vielzahl weiterer Probleme. So ist kaum willkürfrei zu ermitteln, welche Personen überhaupt zu den „Betroffenen" zählen, also an der Abstimmung zu beteiligen sind. Ferner besteht bei der geforderten Einstimmigkeit die Gefahr der Ausbeutung der Allgemeinheit durch denjenigen, der als letzter zustimmen muß und sich sein strategisches Veto von den übrigen zu einem hohen Preis abkaufen lassen kann 156 . Mehrheitsentscheidungen, die das Problem entschärfen könnten, werfen dagegen entweder Schwierigkeiten mit einer eventuell nötigen Kompensation oder dem Minderheitenschutz auf 5 7 . Daneben werden beim faktischen Konsens die Individuen - auch wenn sie kompensiert werden - einer Maßnahme u.U. auch dann nicht zustimmen, wenn sie anschließend lediglich nicht schlechter, die übrigen aber besser gestellt sind 158 . Viertens ist, wenn an der Rationalität der Abstimmungsberechtigten gezweifelt werden muß, zwischen vernünftigen und unvernünftigen Personen zu differenzieren, wobei letztere bei der Wahl nicht berücksichtigt werden dürfen 159 ; auch hier besteht wieder die Gefahr weitreichender Willkür. Schlußendlich spricht gegen einen tatsächlichen, aktiven Konsens auch das Kostenargument, da eine Abstimmung über jede Norm mit erheblichem Aufwand verbunden wäre. Eine Zustimmung durch Unterlassen wird angenommen, wenn die Individuen in einer Jurisdiktion verbleiben, obgleich ihnen eine Abwanderung („exit") möglich wäre 160 . Auch diese Konstruktion eignet sich jedoch nicht, um einen Konsens auf sub-konstitutioneller Ebene festzustellen: Zum einen gibt das Verweilen in einer Jurisdiktion keinerlei Auskunft über die Vorteilhaftigkeit einer einzelnen Norm für das jeweilige Individuum. So kann die zu implementierende Norm z.B. höchst nachteilig sein, während das gesamte Rechtssystem anderen Jurisdiktionen immer noch vorgezogen wird. Zum 155 Huber, S. 264 ft.; Adamovich/ Wohlgemuth in Streit/Wohlgemuth, S. 129 ff. (mwN). Vgl. dazu nur die Art. 138 ff. der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. 156 157
Dazu Kirchner, FS-Beisse, S. 273; Buchanan, JLE 1959, 124, 131. Buchanan, JLE 1959. 124, 135 f.
158 Dieses Problem, obgleich im Widerspruch zur Annahme des homo oeconomicus stehend, spricht Buchanan, JLE 1959, 124, 131 an. 159 Homann, Rationalität, S. 192; Voigt in Pies/Leschke, S. 165. 160 Dazu Hirschman, S. 17 ff.; Homann, JbfNPÖ 1985, 48, 55.
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anderen greift die Argumentation überhaupt nur ein, wenn die Kosten für die Abwanderung vertretbar gering sind 161 . Dies kann, zumal die Exit-Kosten 162 neben den reinen Informationskosten auch Substitutionskosten (z.B. für den Umzug auch das Erlernen einer fremden Sprache) umfassen, noch nicht einmal innerhalb der Europäischen Union mit Sicherheit bejaht werden. Damit ist ein faktischer Konsens weder durch Tun noch durch Unterlassen als Entscheidungskriterium geeignet. Gegen ersteren spricht - wie schon gegen das Pareto-Prinzip - zudem, daß er aufgrund der Vielzahl der durch eine Rechtsänderung betroffenen Personen kaum jemals erreichbar ist und somit den status quo begünstigt163. All diese Probleme werden auch in der ökonomischen Literatur ernst genommen, so daß der faktische Konsens nicht als praktisch erzielbar, sondern lediglich als theoretisches Ideal angesehen wird 1 6 4 . 2. Hypothetischer Konsens Auch für den faktischen Konsens wäre es aber nötig, dem tatsächlichen Wahlprozeß eine Ermittlung möglicher abstimmungsfähiger Regelungen durch den Rechtsgestalter vorausgehen zu lassen165. Dieser müßte für die Frage nach einer legitimen Norm auf deren Zustimmungsfähigkeit abstellen, also einen „hypothetischen Konsens" ermitteln. In der ökonomischen Literatur wird daher diskutiert, gerade diesen hypothetischen Konsens als Legitimationsgrundlage für die Rechtsgestaltung ausreichen zu lassen166. Beim hypothetischen Konsens kommt es nicht mehr auf die tatsächliche Zustimmung der Akteure an. Vielmehr genügt die theoretisch ermittelte ZustimmungsFähigkeit zu einer Maßnahme. Um aber einen hypothetischen Konsens überhaupt ermitteln zu können, bedarf es eines theoretischen Konstrukts wie z.B. dem Modell des homo oeconomicus167. Dabei ist zunächst zu fragen, welche der in Kapitel A.II.3. vorgestellten Modellvarianten herangezogen werden soll. Die engere, neoklassische Version führt unweigerlich zu dem Problem, daß die 161 Homann, Rationalität, S. 199 f., wobei die Frage nach der Höhe der „vertretbaren Kosten" wiederum der Willkür Tür und Tor öffnet; zutreffend insofern Voigt in Pies/Leschke, S. 170. 162 Vgl. zu den Exit-Kosten nur Adamovich/Wohlgemuth in Streit/Wohlgemuth, S. 124 ff.; Wohlgemuth in Streit/Wohlgemuth, S. 56; M. Wohlgemuth, S. 9 f. 163 Ein - im Rahmen der Verfassungsökonomik diskutiertes - auf konstitutioneller Ebene erfolgtes Abbedingen des Einstimmigkeitserfordernisses für die sub-konstitutionelle Ebene würde im Rahmen der ökonomischen Rechtstheorie dem Charakter des „Konsens" widersprechen. Davon scheint auch Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 27 f. auszugehen, wenn er den Konsens mit der tatsächlichen Kompensation beim Kaldor-Hicks-Kriterium vergleicht. 164
Vgl. dazu die Darstellung bei Kirchner, FS-Beisse, S. 273 f. So auch Buchanan, JLE 1959, 124, 127, der dies für eine Aufgabe des Ökonomen hält. 166 Besonders Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 26 ff.; ders., FS-Beisse, S. 273 f. 167 Kirchner, FS-Beisse, S. 273. Hierin liegt ein wichtiger Unterschied zur Konsensustheorie von Habermas in Habermas/Luhmann, S. 101 ff, der anstelle des homo oeconomicus kontrafaktisch eine „ideale Sprechsituation" unterstellt (S. 122). 165
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C. Normative Kriterien der ökonomischen Theorie des Rechts
wirklichen Präferenzen der Rechtsunterworfenen in vielen Situationen nur unzureichend abgebildet werden. Dagegen bedarf es für die Zugrundelegung des weiten, neoinstitutionellen homo oeconomicus empirischer Arbeit über die exakten Bedürfnisse der Individuen. In beiden Fällen ist zudem zu bedenken, daß der „Konsens" gar kein Konsens der realen Menschen ist, sondern lediglich eine hypothetische Zustimmung der (im Idealfall vernünftigen) Mehrheit: So wurde unter A.II.3. dargelegt, daß das Modell des homo oeconomicus gerade nicht dazu geeignet ist, das Verhalten jedes einzelnen zu erklären und die exakten individuellen Präferenzen zu berücksichtigen, sondern in erster Linie darauf abzielt, aggregierte gesamtgesellschaftliche Tendenzen aufzuzeigen. Darüber hinaus gibt es verschiedene Ansichten, auf welchen Kenntnisstand der Akteure über die eigene persönliche Situation abzustellen ist. Erneut wird also die bereits oben vorgenommene Unterscheidung zwischen dem „veil of ignorance" und dem „veil of uncertainty" bedeutsam. Während Buchanan168 lediglich eine Entscheidung unter Unsicherheit fordert, verlangt Kirchner 169 unter Zugrundelegung von Rawls „veil of ignorance", das Individuum in ein Stadium völliger Unkenntnis über die eigene Person zurückzuversetzen, also eine Entscheidung unter Ungewißheit treffen zu lassen. Auf diese Weise soll das Augenmerk von der monokausalen Effizienzbetrachtung hingewendet werden zu einer Gesamtschau von Effizienz, Distribution und Fairneß 170. Beide Arten des hypothetischen Konsens bergen jedoch Probleme. Unter der Buchanan'sehen Unsicherheit besteht aufgrund der bereits oben dargestellten 171 Kenntnis der Individuen über ihre gesellschaftliche Position eine Tendenz zur Zementierung distributiver Ungerechtigkeiten 172. Es müssen nämlich auch gut situierte Akteure für Verluste in irgendeiner Weise voll kompensiert werden, um der Maßnahme zuzustimmen. Insofern besteht - je nachdem, wie die Präferenzen modelliert werden - nicht nur die Gefahr einer Zementierung sondern sogar der Verstärkung von Verteilungsproblemen, da wohlhabende Akteure weniger auf die Verbesserungen angewiesen sind und sich insofern eher strategisch verhalten können, um sich ihre Zustimmung „abkaufen" zu lassen. Gegen die Zugrundelegung des Rawls'sehen Schleiers der Ungewißheit spricht dagegen vor allem ein bereits oben erwähnter 173 Einwand: Die unbefriedigende Identitätslosigkeit der Akteure läßt die Frage aufkommen, warum es 168
Buchanan, Public Finance, S. 219 und S. 239; ders., Freedom, S. 128 ff. Ausdrücklich in Kirchner, FS-Beisse, S. 274; ebenso Neumärker in Pies/Leschke, S. 196, der zwar einen „Schleier der Unsicherheit" fordert, diesen aber so stark verdichtet wissen möchte, daß es sich eher um einen „Schleier der Ungewißheit" handeln dürfte. 169
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Kirchner in Hof/Schulte, S. 41 \ders., FS-Beisse, S. 274; Neumärker in Pies/Leschke, S. 196 f. Dazu ausführlich unter C.I.4.a). 172 Aufderheide in Leschke, S. 51 f.; Schimmelpfennig in Leschke, S. 71, der deshalb davon ausgeht, daß der Konsens die allokative Effizienz geradezu verhindert (S. 70). 173 Dazu ausführlich unter C.I.4.b). 171
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überhaupt gerecht sein sollte, die Individuen nicht mit ihren Eigenheiten, Fähigkeiten und Schwächen, sondern als uniforme Wesen zu betrachten, denen zwar genaues Wissen über den Abstimmungsmechanismus und seine Folgen unterstellt wird, die aber von ihrer eigenen Person keinerlei Kenntnis haben. Hauptkritikpunkt an beiden Konstruktionen eines hypothetischen Konsens ist aber, daß letztlich eben doch nicht die Präferenzen der Individuen ausschlaggebend sind. Zwar muß der Nutzen nicht wie beim Effizienzkriterium extern „gemessen" werden, jedoch wird er beim hypothetischen Konsens von außen definiert. Um z.B. einen Buchanan'sehen Konsens unter Unsicherheit zu ermitteln, müssen nämlich stets die Präferenzen und Risikoneigungen der homines oeconomici vorher festgelegt werden; zumindest solange es an genauen empirischen Grundlagen fehlt, besteht hierbei ein weitreichender Freiheitsgrad. Auch beim Rawls'sehen Konsens unter Ungewißheit ist die Risikoneigung der Individuen vorab festzulegen und für das Ergebnis äußerst relevant. Das zeigt schon die Ableitung der völlig unterschiedlichen Ergebnisse durch Rawls und Harsanyi 174 . Auf der Grundlage vorher festgelegter Präferenzen und Risikoneigungen kann dann zwar eine „freiwillige Entscheidung" des Individuums herbeigeführt werden; diese hängt jedoch stets vollständig von den vorher zugrunde gelegten Annahmen ab 175 . Den prozeduralen Kriterien ist nämlich gerade immanent, daß sie selbst keine Inhalte produzieren können 176 , sondern lediglich bereits existierenden Inhalten durch Bereitstellung eines geeigneten Verfahrens zum Durchbruch verhelfen können. Führt man also bei beiden Konzepten den Konsenstest nicht faktisch, sondern nur hypothetisch durch, dann steht es letztlich einer kleinen wissenschaftlichen oder politischen Elite frei, durch Bestimmung der Risikoneigung und der Präferenzen mittelbar auch festzulegen, welchen Maßnahmen die Akteure zustimmen würden 177 . Gerade die Rückführung der Ergebnisse auf die tatsächlichen Präferenzen der Individuen aber war der ursprüngliche Grund für die Verschiebung des Blickwinkels vom „externen" Effizienzkriterium auf ein „internes" Konsenskriterium 178.
174 Vgl. dazu nur die unter C.I.4.b) dargestellten unterschiedlichen Rückschlüsse von Rawls („Maximin") und Harsanyi („utilitaristische Durchschnittsnutzenmaximierung"). 175 So auch kritisch Voigt, Gabler Wirtschaftslexikon, S. 1793; ders. in Pies/Leschke, S. 169 ff. 176 Ebenso Kaufmann, FS-Maihofer, S. 36; ders., Theorie der Gerechtigkeit, S. 38. 177 Homann, Rationalität, S. 200; Voigt in Pies/Leschke, S. 170; ders., Gabler Wirtschaftslexikon, S. 1793. Allgemein kritisch zum „Konsens der Fachleute" auch Führ, ökonomisches Prinzip, S. 31, Fn. 84; a.A. offenbar Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 217 f., die zwar explizit betonen, der „hypothetische Konsens ist ... keine Konsensunterstellung", sondern vielmehr aus der Prämisse abgeleitet, „daß die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft sich nutzenmaximierend verhalten", dann aber den folgenden Satz beginnen mit den Worten: „Ganz allgemein wird man unterstellen können, daß Konsens darüber herstellbar ist, ..." (Hervorhebung durch Verfasser). 178
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Vgl. dazu nur Kirchner in Ott/Schäfer, Verhaltenssteuerung, S. 47.
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3. Ergebnis Insgesamt wirft also auch das Konsensprinzip erhebliche Schwierigkeiten auf, die an seiner Tauglichkeit als universelles Entscheidungskriterium zweifeln lassen. Zwar würde ein faktischer Konsens der Rechtsunterworfenen durch aktive Wahl den normativen Individualismus in reiner Ausformung darstellen. Es wurde jedoch gezeigt, daß ein solcher für die Auswahl einfach-gesetzlicher Regeln weder erreichbar noch sinnvoll ist, da zum einen mit einer Zustimmung aller betroffenen Individuen nicht zu rechnen ist, zum anderen aber auch der mit der Abstimmung verbundene Aufwand außer Verhältnis stünde. Der hypothetische Konsens dagegen basiert gerade nicht auf den tatsächlichen Interessen der real Betroffenen. Ihm liegt vielmehr das Verhaltensmodell des homo oeconomicus zugrunde. Zwar ändert sich durch den konsensualen Blickwinkel vordergründig die Legitimation für gesellschaftliche Maßnahmen: Während das Effizienzprinzip als wünschenswert angesehen wird, weil es aus objektiver Sicht die Wohlfahrt mehrt, scheint der Legitimationsgrund beim Konsens die Freiheit der individuellen Entscheidung179 zu sein. Bei näherer Betrachtung jedoch besteht auch hier die Gefahr eines tautologischen Zirkels, da der Rechtsgestalter die Präferenzen des homo oeconomicus zunächst bestimmt, um sodann eine Norm(interpretation) zu präsentieren, die diesen Interessen entspricht. Dadurch können den Akteuren - vor allem, wenn man von eigeninteressierten Politikern und nicht von benevolenten Herrschern ausgeht - letztlich genauso wie in der Wohlfahrtsökonomik jegliche Präferenzen untergeschoben werden, um beliebige Ergebnisse zu rechtfertigen 180. Zuletzt bleibt zu klären, welche Auswirkungen sich für das Konsensprinzip als alleiniges Bewertungskriterium ergeben. Wie beim Effizienzkriterium (C.I.4.) könnte eine sozialvertragliche Rechtfertigung in Betracht gezogen werden. Dabei sind zwei Wege denkbar: Zum einen kann man das Konsenskriterium selbst konsensual zu rechtfertigen versuchen. Zum anderen besteht die Möglichkeit, nicht das Kriterium als solches zu rechtfertigen, sondern jede einzelne, auf Grundlage des hypothetischen Konsens durchgeführte Maßnahme als im Interesse aller Individuen legitimiert zu betrachten. Im Falle des ersten Legitimationsversuchs werden jedoch die Präferenzen der Individuen, die vom ökonomischen Verhaltensmodell abweichen, nicht berücksichtigt. Diese Akteure werden daher unter natürlicher Unwissenheit dem hypothetischen Konsens als primäres Bewertungskriterium nicht zustimmen. Können sie dagegen aufgrund artißzieller Unwissenheit die Abweichung ihrer Präferenzen vom homo oeconomicus selbst nicht erkennen, so werden - wie schon beim Effizienzkriterium - zumindest die risikoaversen Akteure ihre Zustimmung versagen. Eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung des ökonomischen Konsensprinzips scheidet demnach aus. Noch weniger eignet sich die zweite 179 180
Kirchner, ökonomische Theorie des Rechts, S. 28. Siehe auch Van Aaken/Hegmann, ARSP 2002, 28, 40.
III. Gesamtergebnis und Bedeutung der normativen Kriterien für das Recht
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Legitimationsvariante, bei der die auf Grundlage des Konsensprinzips entschiedenen einzelnen Maßnahmen als im Interesse aller Akteure liegend legitimiert werden sollen. Da dem hypothetischen Konsens das ökonomische Verhaltensmodell zugrunde liegt, handelt es sich nämlich eben doch nicht um eine Zustimmung aller. Zwar vermag der homo oeconomicus zumeist eine relativ gute Beschreibung der Entscheidung eines Aggregats, keinesfalls aber jedes einzelnen abzugeben. Es werden gerade nicht alle Menschen in der Realität tatsächlich so entscheiden, wie vom homo oeconomicus für die Gruppe vorausgesagt. Dann aber handelt es sich beim hypothetischen Konsens gerade nicht mehr um einen Konsens, sondern bestenfalls um eine für die rationale Mehrheit zustimmungsfähige Entscheidung. Beide Versuche der Legitimation des ökonomischen Konsensprinzips als alleiniges Bewertungskriterium führen also deshalb nicht zum Ziel, weil der hypothetische Konsens anders als der faktische gerade nicht auf die tatsächlichen Präferenzen der Rechtsunterworfenen abstellt, sondern das Verhaltensmodell des homo oeconomicus zugrunde legt. Im Ergebnis läßt sich deshalb der hypothetische Konsens genauso wenig aus sich heraus als vorrangiges Entscheidungskriterium legitimieren wie das Effizienzprinzip. III. Gesamtergebnis und Bedeutung der normativen Kriterien für das Recht
/. Gesamtergebnis Im Ergebnis zeigt sich, daß im Rahmen der Ökonomik neben dem (zumeist verwendeten) Kriterium der Allokationseffizienz auch andere Konzepte der Sozialwahl diskutiert werden 181 . Sie alle stellen unterschiedliche Gesichtspunkte in den Vordergrund: Die Effizienzkriterien versuchen, die Akteure objektiv besser stellen; während dies beim Pareto- und Kaldor-Hicks-Kriterium durch eine umfassende Nutzenbetrachtung geschieht, leitet das Reichtumsmaximierungsprinzip eines solche Besserstellung aus der monetären Bewertung aller Größen her. Dagegen geht es den Konsenskriterien nicht um eine objektive, sondern um eine subjektive Besserstellung der Beteiligten. Sämtliche dieser normativen Prinzipien sind allerdings mit Problemen behaftet, die an ihrer Tauglichkeit als alleinige Entscheidungskriterien zur Auswahl gesellschaftlicher Zustände oder Prozesse zweifeln lassen. Der Innovationsfeindlichkeit des Pareto-Kriteriums stehen beim KaldorHicks- und beim Reichtumsmaximierungsprinzip neben praktischen Bedenken zur Durchführbarkeit u.a. noch die Probleme der Eigentums- und Besitzeffekte, der fehlenden distributiven Sensibilität und der mangelhaften Sicherung von 181 Calandrillo, BLR 2001, 957, 982 ff., der neben den verschiedenen Varianten des KaldorHicks-Prinzips noch den Equalitarismus und das Maximin-Prinzip von Rawls darstellt. Zum Streit in der Ökonomik um die Möglichkeit normativer Aussagen Eidenmüller, Effizienz, S. 170, Fn. 6.
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C. Normative Kriterien der ökonomischen Theorie des Rechts
Freiheitsrechten, sowie (im Falle der Reichtumsmaximierung 182) der fehlenden Berücksichtigung nicht-monetärer Größen gegenüber. Ein Konsens über die Vorteilhaftigkeit des Effizienzkriteriums als alleinige Entscheidungsgrundlage wird kaum erzielbar sein, was Posner zwar anerkennt, aber für irrelevant hält, da er (zu Unrecht) eine weitreichende Zustimmung für hinreichend erachtet 183. Z.T. wird auch die Ansicht 184 vertreten, das Effizienzkriterium habe schon deshalb keine Aussagekraft, da jede Allokation bei gegebenen Transaktionskosten effizient sei. Es könne also lediglich darum gehen, durch Reduktion dieser Transaktionskosten den Raum effizienter Zustände zu vergrößern und sodann einen höheren Wohlfahrtsstandard zu erreichen. Diese Kritik kann für die ökonomische Rechtstheorie insofern dahinstehen, als es - wie Coase herausgearbeitet hat - gerade ihr Gegenstand ist, soziale Szenarien umfassend zu vergleichen. Will man dagegen nicht allgemein die allokative Effizienz als Zustandskriterium konsensual begründen, sondern jede einzelne Regelung kraft Zustimmung legitimieren, bedarf es eines prozessorientierten Kriteriums wie dem Konsensprinzip. Auch das Konsensprinzip kommt jedoch zunächst einmal nicht ohne Werturteile aus, da es sein Gerechtigkeitsideal lediglich auf die prozedurale Ebene verlagert; auch prozedurale Gerechtigkeitsvorstellungen sind aber unbegründbar und insofern in gewisser Weise willkürlich 185 . Der faktische Konsens für jede einzelne rechtsgestaltende Maßnahme ist wie gezeigt - praktisch völlig undurchführbar und zudem im deutschen Recht bis auf wenige Ausnahmen nicht vorgesehen. Dagegen scheint der hypothetische Konsens dem Recht zunächst näher zu stehen: So wird z.B. in § 138 BGB der Begriff der „guten Sitten" unter Zugrundelegung des „Rechtsgeflihl(s) aller billig und gerecht Denkenden" 186 gelöst, gleicht also geradezu idealtypisch dem von Buchanan geforderten „hypothetischen Konsens der vernünftigen Individuen" 187 . Dabei sieht Kirchner 188 im hypothetischen Konsens die Möglichkeit, neben dynamischen Effizienzargumenten gleichermaßen auch Allokations- und Distributionsbelange einzustellen sowie die verschiedenen Interessen der Individuen adäquat zu berücksichtigen. Dieser Ansatz kann daher als Versuch aufgefaßt werden, die Sozialwahl der Ökonomik auf ähnliche Fundamental-
182 Dagegen betrachtet das Kaldor-Hicks-Prinzip in seiner Ursprungsvariante auch nichtmonetäre Größen, vgl. ölen, LSI 1997, 191, 196. 183 Posner, Problems, S. 390; das erregt berechtigte Kritik von Eidenmüller, Effizienz, S. 243. 184 Buchanan in ders., S. 97; Calabresi, YLJ 1991, 1211, 1212; Richter/Furubotn, S. 488 ff.; Schmidtchen,, JbfNÖuStat 1998, 251, 257. 185 Picot/Dietl in Ott/Schäfer, S. 329 f. 186 BGHZ 52, 17, 20. Noch zum „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden": RGZ 80,219,221; Palandt-Heinrichs, § 138, Rdnr. 2; MüKo-Mayer-Maly/'Armbrüster, §138, Rdnr. 14. Zur Formulierung „aller" siehe aber auch BVerwGE 10, 164, 167 f. 187 Buchanan, JLE 1959, 124, 134 f. 188 Kirchner in Hof/Schulte, S. 41; ders., Ökonomische Theorie des Rechts, S. 27 f.
III. Gesamtergebnis und Bedeutung der normativen Kriterien für das Recht
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prinzipien zu stellen wie das Recht . Allerdings wurde gezeigt, daß auch beim hypothetischen Konsens die Präferenzen von außen ermittelt werden müssen, so daß man sich letztlich ähnlichen Problemen gegenüber sieht wie im Rahmen einer wohlfahrtstheoretischen Nutzenbetrachtung. 2. Bedeutung der normativen Kriterien für das Recht Nach alldem wird keines der genannten Prinzipien dem Anspruch gerecht, gesellschaftliche Zustände wissenschaftlich-objektiv oder werturteilsfrei zu vergleichen 190. Auch eine Rechtfertigung der sämtlichen Kriterien immanenten Werturteile durch Zustimmung aller Individuen läßt sich nicht erzielen. Damit muß der Versuch, ein umfassendes und allgemeingültiges Vergleichskriterium für gesellschaftliche Zustände aufzustellen, als gescheitert angesehen werden. Ein einzelnes, praktikables Prinzip zur Bewertung von Zuständen läßt sich was kaum überraschen kann - demnach auch in den Wirtschaftswissenschaften nicht finden. Zurecht betont Kirchner, daß beim Schritt von der positiven zur normativen Analyse Vorsicht geboten sei, da „Einfachrezepte leicht Gefahr laufen, weiter entfernt liegende Funktionszusammenhänge auszuklammern" 191. Nimmt man diese Kritik aber ernst, fragt sich, ob damit der normativen Ökonomik im Rahmen des Rechts insgesamt eine Absage erteilt werden muß. In keinem Fall kann jedenfalls für die ökonomische Rechtsbetrachtung der (ohnehin stark kritisierte) Universalitätsanspruch aufrecht erhalten werden, nach dem das gesamte Rechtssystem allein oder zumindest im wesentlichen am Kriterium der Effizienz auszurichten sei. Dieser vor allem vom frühen Posner 192 erhobene Anspruch, der z.T. ursächlich für eine generelle Ablehnung 193 der ökonomischen Theorie in der Rechtswissenschaft sein dürfte, geht letztlich auch deutlich über die Ansicht der Autoren hinaus, auf denen die ökonomische Rechtstheorie basiert: So wurde gezeigt 194 , daß Coase eine rein monetäre Betrachtung explizit als zu kurz greifend ablehnt, während Kaldor und Hicks ihr Effizienzkriterium stets unter einem Verteilungsvorbehalt sehen. Die Verengung des Nutzenbegriffs ist - wie gezeigt - außerdem nicht dem KaldorHicks-Kriterium 195 in seiner Grundform immanent, sondern betrifft allenfalls das rein pekuniäre Reichtumsmaximierungskriterium. Folgerichtig anerkennt
189 190 191
So denn auch Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 31. Gerade dies aber war der Anspruch der paretianischen Wohlfahrtsökonomik, vgl. oben C.I.3. Kirchner in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, S. 76.
192
Posner, HLR 1980/81, 775, 780; ebenso Schäfer/Ott, Lehrbuch, 1. Aufl., 1986, S. 6; anders aber schon Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 214 f. und Schäfer/Ott, Lehrbuch, 2. Aufl., 1995, S. 6. 193
Fezer, JZ 1986, 817 ff.; ders., JuS 1991, 889, 893; auch Taupitz, AcP 1996, 114, 126 spricht davon, die ökonomische Rechtsbetrachtung werde mit dem Abrücken von ihrem Absolutheitsanspruch ernstzunehmender. Zu diesem Problem auch Ott, FG-Kübler, S. 31. 194 195
Zu Coase unter B.II.2.b); zu Kaldor-Hicks unter C.I.3.b)bb)(l). So aber Eidenmüller, Effizienz, S. 261 ff.; dagegen zurecht z.B. Ulen, LSI 1997, 191, 196.
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auch Posner 196 in jüngerer Zeit, daß Allokationseffizienz als alleiniges bzw. stets dominierendes Kriterium nicht weitreichend genug ist, um die komplexe Wertestruktur 197 und die verschiedenen gesellschaftlichen Probleme 198 , denen sich das Recht gegenüber sieht, in den Griff zu bekommen. Wenn man aber keines der Kriterien der ökonomischen Theorie mehr als allgemein gültige und hinreichende 199 Bedingung für die Qualifikation eines Zustandes als wünschenswert betrachten kann, stellt sich die Frage, welche Rolle die normative ökonomische Theorie für das Recht überhaupt spielen kann. Zweifellos gewähren sämtliche normativ-ökonomischen Kriterien Einsichten, die im Recht Bedeutung erlangen können 200 . Eine Lösung könnte daher darin zu erblicken sein, mit Vanberg 201 die normativen Prinzipien nicht mehr als unbedingte, sondern nur noch als bedingte Empfehlungen zu verstehen. Eine Norm ist demnach nicht per se nach dem jeweiligen normativen Kriterium auszugestalten, sondern nur noch dann, wenn man eine bestimmte, für wünschenswert gehaltene Wirkung erzielen will. Insofern wären Effizienz- und Konsensprinzip nicht nur keine hinreichenden, sondern sogar nicht einmal notwendige Bedingungen202 für die Wünschbarkeit einer Regelung. Vielmehr wären sie als bedingte Empfehlungen nur noch bei Bedarf zu berücksichtigen. Wann ein solcher Bedarf bestünde, würde dabei vom Recht selbst bestimmt 203 . Mit diesem Abrücken vom ursprünglichen Allgemeingültigkeitsanspruch 204 aber wird die ökonomische Theorie des Rechts selbst auf ein Bruchstück einer umfassenden und tragfähigen Rechtstheorie reduziert, was - wie zurecht bemängelt wird - in Ermangelung einer solchen zur Theorielosigkeit überhaupt fuhrt 205 . Solange aber eine umfassende Theorie fehlt, können weder Rechtsetzung noch Rechtsprechung in Stillstand verharren. Es erscheint also legitim, eine mit philosophischen und/oder praktischen Problemen beladene Theorie 196 Posner, Econcomic Analysis, S. 15; über Posner: Kornhauser in Newman, Bd. 3, S. 682. Zur allgemeinen Entwicklung weg von monetären Kriterien: HojfmanlO'Shea, ALR 2002, 335, 357. 197 So auch Kirchner!Koch, Analyse & Kritik 1989, 111,119; Kubier in Neumann, S. 120 f. 198 Zu den verschiedenen Funktionen des Rechts Rehbinder, Rechtssoziologie, Rdnr. 96 f f ; den (zumindest faktischen) Konsens für den Fall erzieherischer rechtlicher Aufgaben verwirft explizit Heldrich, AcP 1986, 74, 97. 199 200
Insofern begrifflich unklar/?. Möller, S. 26. Dazu noch genauer in Kapitel D.II. 1 .c).
201
Vanberg in Leipold/Pies, S. 254, 274; ähnlich nun auch Eidenmüller, JZ 1999, 53, 55.
202
A.A. insofern Schmidtchen in Ott/Schäfer, S. 329.
203
Vgl. hierzu die erst unter D. erfolgende umfassendere Betrachtung.
204
Dazu Eidenmüller, Effizienz, S. 170; Fezer, JZ 1986, 817, 819; ders., JZ 1988, 223, 226; einschränkend Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 215; ebenfalls ohne den Ausschließlichkeitsanspruch auch van den Bergh!Lehmann, GRUR Int. 1992, 588, 589; Esser!Schmidt, S. 39 ziehen eine ökonomische Rechtsbetrachtung vor, die die „unerläßliche Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen mit ebenso unverzichtbaren sozialen Gerechtigkeitsbemühungen verknüpft". 205 So zurecht Blaschczok, S. 254; Assmann in Assmann/Kirchner/Schanze, S. 53 verlangte bereits vor einem viertel Jahrhundert, die ökonomische Analyse des Rechts in eine umfassende Theorie einzubetten.
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zumindest so lange zu berücksichtigen wie keine überlegene vorgelegt wird 2 0 6 . Die Kenntnis dieser Probleme fuhrt dann nicht zur Ablehnung der Theorie, sondern lediglich zu ihrer umsichtigen und kritischen Anwendung. In diesem Sinne vermögen beide Ausformungen des normativen Kriteriums, also sowohl das rein monetäre Effizienzprinzip als auch die nach hier vertretener Ansicht in gleiche Richtung laufenden, den gesamten individuellen Nutzen betrachtenden Effizienz- und Konsensprinzipien, wichtige Entscheidungsargumente für das Recht zu liefern. Die Wertentscheidung wird dem Recht damit nicht abgenommen, sie wird lediglich durch ökonomische Erkenntnisse transparenter gemacht. Auf diese Weise wird zwar die Eigenständigkeit der Rechtswissenschaft im argumentativen Bereich eingeschränkt, bleibt aber bei der Frage der Entscheidungsautonomie unangetastet. Die wohl nahezu unbestrittene 207 grundsätzliche Fruchtbarkeit ökonomischer Argumente im Recht bleibt so gewahrt, während die Ökonomik unter Aufgabe des Universalitätsanspruchs vom allein relevanten Entscheidungskriterium auf eine Argumentationshilfe reduziert wird. Die Wirtschaftswissenschaften werden (nur!) in diesem Zusammenhang zur Hilfswissenschaft 208 des Rechts, eine wohl zu Unrecht 209 als abwertend empfundene Bezeichnung. Eine solche Betrachtung korrespondiert auch wieder stärker mit der Ansicht von Coase210, gesellschaftliche Zustände zur Bewertung umfassend unter allen denkbaren Gesichtspunkten zu betrachten. Dabei ist die Frage danach, in welchem Zustand der gesellschaftliche Ertrag maximal ist, durchaus relevant. Daneben sind aber auch eine Vielzahl weiterer Aspekte zu berücksichtigen. Zwar ist trotz aller Kritik auch heute noch das Reichtumsmaximierungsprinzip zentral 211 für die ökonomische Rechtstheorie, es wird jedoch immer häufiger in Frage gestellt. Von seiner Anwendbarkeit jedoch hängt - wie Shapiro/McClennen 212 zurecht anmerken - das Schicksal der normativen ökonomischen Theorie nicht ab. Auch mehrdimensionale ökonomische Kriterien wie die umfassende Nutzenbetrachtung beim Kaldor-Hicks-Kriterium oder beim Konsensprinzip ermöglichen weitreichende Erkenntnisse. Trotz allem befindet sich die normative ökonomische Theorie des Rechts in jüngerer Zeit insgesamt auf dem
206
So Blaschczok, S. 254; Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 219; Calabresi, YLJ 1991, 1211, 1226 f. Kohl in Ott/Schäfer, S. 49 f.; Kubier in Ott/Schäfer, S. 299 f.; schon im Jahre 1929 hielt Schönfeld in Schreiber, S. 240 unter Anlehnung an das Reichsgericht wirtschaftsrechtliche Betrachtungen für „geradezu geboten"; zustimmend selbst Fezer, JZ 1988, 223, 225. 207
208
In diese Richtung auch Decken, RT 1995, 117, 125; dies., JA 1996, 712, 713; kritisch hierzu Kirchner, JbfNPÖ 1988, 192. 209 Rehbinder, Rechtssoziologie, Rdnr. 8. 2,0 Coase, JLE 1960, 1, 19, 43 (deutsche Übersetzung: S. 153, 181); ähnlich Calabresi, YLJ 1991, 1211, 1226 f., 1231 f.; zur komparativen Institutionenanalyse: HomannJSuchanek, S. 131 ff. 211 Kerber in Leipold/Pies, S. 153; das Reichtumsmaximierungsprinzip ist Anlaß für einen großen Teil der Kritik von Fezer, JZ 1988, 223,226. 212 Shapiro/McClennen in Newman, Bd. 2, S. 464; auch van de Bergh, EER 1996, 969, 974 hält das Primat der Effizienz insgesamt für die ökonomische Rechtsbetrachtung ftlr nicht zwingend.
C. Normative Kriterien der ökonomischen Theorie des Rechts
120
Rückzug 213 - wohl, weil die monokausalen Entscheidungskriterien als zu begrenzt erkannt werden und den umfassenden Kriterien der „typischökonomische Einschlag" fehlt. Die positive Betrachtung wird mehr und mehr in den Vordergrund gestellt, was nach der hier vertretenen Auffassung für die ökonomische Rechtstheorie insofern unproblematisch ist, als die „bedingten Empfehlungen" der ökonomischen Theorie letztlich ohnehin nur noch positiven Charakter haben: Sie formulieren nämlich gerade keine Verpflichtungen zur Rechtsausgestaltung, sondern stellen lediglich Kausalketten auf, derer sich andere Wissenschaften bedienen können. Insofern geht auch innerhalb der ökonomischen Theorie die Tendenz dahin, dem Recht selbst die Letztentscheidung über seine Wertungen zu überlassen. Wie und an welchen Stellen genau die ökonomischen Argumentationen in der Rechtswissenschaft Wirkung entfalten können, soll Gegenstand des folgenden Kapitels sein.
213
Shapiro! McClennen in Newman, Bd. 2, S. 464; vgl. nur Schmidtchen in ders., S. 10.
D. Adressat der ökonomischen Theorie des Rechts Für die Frage, wie sich die ökonomische Theorie in geltendes Recht einfügen läßt, ist der Begriff der „soziologischen Jurisprudenz" von zentraler Bedeutung. Dieser wird im folgenden näher zu erörtern sein (I.), bevor die Chancen und Probleme, die die ökonomische Rechtsbetrachtung mit sich bringt, sowohl für die Gesetzgebung (II.) als auch für die Gerichte (III.) diskutiert werden. Hierbei ist weiterhin streng zu trennen zwischen positiver und normativer ökonomischer Rechtstheorie, da beide - wie zu zeigen sein wird - verschiedene Problemebenen berühren. Eine Vermischung der beiden Zweige führt häufig dazu, daß bei der Aufdeckung von Schwierigkeiten im Bereich der einen auch die fruchtbaren Erkenntnisse der jeweils anderen Ausrichtung pauschal mitverworfen werden. I. Soziologische Jurisprudenz
1. Begriff und Gegenstand der soziologischen Jurisprudenz Unter soziologischer Jurisprudenz versteht man das Bestreben, Erkenntnisse der Gesellschaftswissenschaften für die Ausgestaltung des Rechts nutzbar zu machen. Sie ist insofern nicht mit dem Begriff der Rechtssoziologie zu verwechseln1. Es handelt sich vielmehr um eine juristische Methode, die sich vom rationalistischen Naturrecht ebenso abgrenzt wie von der historischen Rechtsschule, der Begriffsjurisprudenz und dem Gesetzespositivismus2. Soziologische Jurisprudenz ist also angewandte Rechtssoziologie zur „soziologisch orientierten Aufstellung, Anwendung und Durchsetzung der Rechtsnormen durch den Rechtsstab"3. Als angewandte Rechtssoziologie nutzt sie die Rechtssoziologie als Grundlagenwissenschaft, also als Hilfswissenschaft 4 zur Unterstützung bei der Rechtsgewinnung. Auf diese Weise werden Erkenntnisse und Ergebnisse der rein seinswissenschaftlichen 5 Rechtssoziologie zu normativen Aussagen transformiert, wobei diese Wertungen stets aufgrund „umfassender Kenntnis des sozialen Befundes" 6 vorgenommen werden. Während also die Rechts1 2 3 4 5 6
So ausdrücklich z.B. Hirsch in Bernsdorf, 1. Aufl., S. 414; ebenso Knauthe, S. 86. Röhl, Rechtssoziologie, S. 43; näher dazu unter D.I.2. Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 8; ders., Die Begründung der Rechtssoziologie, S. 87. Röhl, Rechtssoziologie, S. 87; Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 8. So z.B. Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 314. So Rehbinder, JbfRR 1970, 333, 340.
122
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r a t der ökonomischen Theorie des Rechts
Soziologie sich mit der Frage „quid facti?" beschäftigt, geht es der soziologischen Jurisprudenz darum, die Frage „quid iuris?" zu beantworten 7. Will man nun - wie hier - die ökonomische Theorie des Rechts überhaupt von der soziologischen Jurisprudenz erfaßt wissen, muß man den Begriff der ihr zugrundeliegenden Rechtssoziologie weit verstehen8: Es handelt sich dann nicht, wie oft angenommen, um Erkenntnisse nur der Soziologie im engeren Sinne9, sondern vielmehr um solche aller Wirklichkeits- bzw. Gesellschaftswissenschaften. Zu diesen zählen neben z.B. der Anthropologie und Psychologie zweifellos auch die Wirtschaftswissenschaften. Generell kann soziologische Jurisprudenz einerseits im Rahmen der Rechtspolitik für die Gesetzgebung, andererseits aber auch für die Rechtsanwendung durch den Richter fruchtbar gemacht werden 10, wie im folgenden noch näher auszufuhren sein wird. Dabei kann sie - entgegen der Ansicht von Gurvitch, der in ihr im Gegensatz zur Rechtssoziologie lediglich eine (wenn auch wertvolle) atheoretische Technik sah11 - sowohl empirisch als auch theoretisch betrieben werden 12. Auch insofern steht der Anwendung einer ökonomischen Theorie des Rechts im Rahmen der soziologischen Jurisprudenz also nichts im Wege. Daß innerhalb der soziologischen Jurisprudenz das Recht selbst die endgültige Wertung vornimmt, also Letztentscheidungsinstanz ist, korrespondiert zudem mit dem unter C.III.2. gefundenen Ergebnis, nach dem die Erkenntnisse der normativen ökonomischen Rechtsbetrachtung lediglich als bedingte Empfehlungen (und damit letztlich doch wieder nur als positive Kausalketten) zu verstehen sind. Eine so verstandene ökonomische Rechtstheorie achtet daher nicht nur die normative Autonomie des Rechts, sondern fügt sich im Wege der soziologischen Jurisprudenz geradezu in dieses ein. 2. Streit um die Anwendbarkeit sozialwissenschaftlicher
Argumente im Recht
a) Soziologische Jurisprudenz im Rahmen der Gesetzgebung An der Fruchtbarkeit der Rechtssoziologie für den Bereich der Gesetzgebung wird heutzutage kaum mehr gezweifelt 13. Zu deutlich ist die Tatsache, daß es zur Erschaffung neuer, die unterschiedlichen sozialen Bedürfhisse adäquat 7 8
Rehbinder, KZfSS 1964, 533, 539; ders., Die Begründung der Rechtssoziologie, S. 87. So z.B. Carbonnier, Rechtssoziologie, S. 46; ihm folgt Rehbinder, SGb 1975, 1.
9 Ein solches Verständnis scheint den Ausführungen von Röhl, Rechtssoziologie, S. 1 ff. und ders., GS-Wenz, S. 52 zugrunde zu liegen. Ebenso ausdrücklich bei Heldrich, AcP 1986, 74, 78 f. 10 Hirsch, Das Recht im sozialen Ordnungsgefüge, S. 44 f.; Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 8,26. 11 Gurvitch, Sociology of Law, S. 9 ff. 12 So zurecht z.B. Pound in Gurvitch/Moore, S. 301 f. 13 Hirsch in Bernsdorf, 2. Aufl., S. 879; Llewellyn in Hirsch/Rehbinder, S. 74; Strempel, FSWassermann, S. 232 f.; Knauthe, S. 86 ff.; so stimmt denn sogar Luhmann, AöR 1969, 1, 20 einer soziologischen Ausrichtung zumindest der Gesetzgebung zu. Andererseits warnt ders., Politische Theorie, S. 97 ff., 151 ff. vor einer „Selbstüberforderung des politischen Systems" (S. 152).
I. Soziologische Jurisprudenz
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regelnder Gesetze einer genauen Berücksichtigung der Rechtswirklichkeit bedarf. So stützt sich die Begründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften 14 für die Frage nach der Haftung von Kindern im Straßenverkehr u.a. auf Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie. Ein weiteres gutes Beispiel findet sich bei Raiser 15, der andeutet, wie wichtig sozialwissenschaftliche Erkenntnisse für das sachgemäße juristische Verständnis der Allgemeinen Geschäftsbedingungen war. Insbesondere die Rechtstatsachenforschung 16 ist hier also von erheblicher Bedeutung. Für die nötige Forschung ist eine wissenschaftliche Anleitung unerläßlich. Nur durch sie kann verhindert werden, daß es sich bei der Aufstellung einer Norm um einen „Schuß ins Dunkle" 17 handelt. Wohl um dieser Gefahr vorzubeugen hat sich das Bundesverfassungsgericht 18 eine Prüfungskompetenz für die Frage vorbehalten, „ob der Gesetzgeber den für seine Regelung erheblichen Sachverhalt ermittelt und dem Gesetz zugrunde gelegt hat". Er sei „dabei gehalten, sich aufgrund verläßlicher Quellen ein eigenes Bild von den tatsächlichen Verhältnissen (...) zu verschaffen (...); er darf sich nicht mit Berichten von interessierter Seite begnügen"19. Während die nachträgliche Wirkungsforschung 20, also die retrospektive Erfolgskontrolle von Gesetzen bei ihrer Umsetzung, beim Vollzug sowie bei der Wirkung (samt ihrer Nebenfolgen), mittlerweile ein integraler Bestandteil der rechtswissenschaftlichen Forschung ist 21 , steckt die prognostische Gesetzesfolgenabschätzung „noch immer in den Kinderschuhen" 22. Neben einer Unterstützung der Gesetzgebung bei der Folgenabschätzung zur Erhöhung der Effektivitätsquote bietet die Rechtssoziologie dem Gesetzgeber daneben noch Argumente an, mit denen er seine Entscheidung argumentativ fundieren kann, um sie so bei den Rechtsunterworfenen materiell zu legitimieren. Eine lediglich formell rechtmäßige, inhaltlich aber unplausible Norm hat nämlich in der 14
BT-Drucks. 14/7752, S. 26 (im folgenden: Schadensrechtsreformgesetz). Raiser , JZ 1970, 665, 669; zur Erklärung der Notwendigkeit von AGB mit Hilfe der ökonomischen Theorie vgl. nur Kötz, ZVersWiss 1993, 57, 65 ff. (mwN) oder Adams in Neumann, S. 655 ff. Umfassend zur Theorie der AGB-Kontrolle jüngst Schäfer , FS-Ott, S. 279 ff. 16 Dazu Raiser , Das lebende Recht, S. 35 ff; Röhl , Rechtssoziologie, S. 47 ff. Umfassend die Aufsatzsammlungen von Chiotellis/Fikentscher (Hrsg.), Rechtstatsachenforschung und Heinz (Hrsg.), Rechtstatsachenforschung heute. Zu den Methoden der Rechtstatsachenforschung z.B. Rehbinder , Rechtssoziologie, S. 56 f f Zur Relevanz der Rechtstatsachenforschung merkt Backhaus exemplarisch an, daß der erste Entwurf des BGB verworfen worden sei, weil er nicht auf dem Boden der Rechtstatsachen gestanden habe, vgl. Kirslein in Ott/Schäfer, S. 278. 15
17 18 19
Rehbinder , JbfRR 1970, 333, 354; ders ., Rechtssoziologie, S. 27; Eyrich in Heinz, S. 177. BVerfGE 86, 90, 108 f.; ähnlich auch schon BVerfGE 50, 290, 333.
BVerfGE 86, 90, 112 (Hervorhebung im Original). Dazu umfassend Raiser , Das lebende Recht, S. 243 ff. (besonders S. 250 ff.) sowie Strempel , FS-Wassermann, S. 227. 21 Vgl. dazu die Reihe „Wirkungsforschung zum Recht" von Hof et al. (Hrsg.). 22 So Deckert , Folgenorientierung, S. 92; dies, in Hof/Schulte, S. 185; auch das Bundesministerium des Innern , Leitfaden, S. 5 bemerkt, eine „Systematisierung ... gab es bisher jedoch nicht". 20
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r a t der ökonomischen Theorie des Rechts
Gesellschaft langfristig keine GeltungsWirkung 23. Insofern ist die soziale Akzeptanz von Gesetzen letztlich auch für deren Effektivität relevant. Sie wird zum demokratischen Sicherungsanker des Rechts als Gestaltungsmittel. b) Soziologische Jurisprudenz im Rahmen der Rechtsprechung Bezüglich der Einbeziehung fremdwissenschaftlicher Argumente in das Recht durch die Judikative bestanden und bestehen demgegenüber grundsätzliche Einwände24. Dies wohl vor allem deshalb, weil - neben der ohnehin durch die Wertung der soziologischen Jurisprudenz berührten Problematik der Werturteilsfreiheit 25 der Rechtswissenschaft 26 - im Rahmen der Rechtsprechung die Berücksichtigung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse zu erheblichen methodischen Problemen fuhren kann. So unterscheidet sich denn auch bei Befürwortern und Gegnern das Verständnis vom der soziologischen Jurisprudenz zugrunde liegenden Begriff der „Rechtssoziologie" sowie der allgemeinen rechtswissenschaftlichen Methodik. Es ist zu differenzieren 27 zwischen einer Strömung, die die Rechtssoziologie als reine Erklärungswissenschaft auffaßt, also eine deskriptive „Soziologie des Rechts" begründen möchte28, und einer anderen, die die Rechtssoziologie als angewandte Handlungswissenschaft auffaßt 29 , also eine „Soziologie im Recht" anstrebt. aa) Rechtssoziologie als reine Erklärungswissenschaft Das erstgenannte, rein erklärungswissenschaftliche Verständnis von Rechtssoziologie führt zu einer peniblen Trennung von Rechtssoziologie einerseits und Dogmatik andererseits. So weist Röhl 30 daraufhin, daß es für eine Rechtsgewinnung auf Grundlage rechtssoziologischer Erkenntnisse noch an einer 23 So Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 28 am Beispiel des - aus diesem Grunde aufgehobenen strafbewährten Verbots der Verbreitung von Softpornographie. Umfassend zur Akzeptanz von Gesetzen Würtenberger in Eisenmann/Rill, S. 79 ff. und ders. in Friedrichs/Jagodzinski, S. 380 ff. 24
Weber, Rechtssoziologie, S. 123 ff., 329 ff. (besonders S. 346 f.); Luhmann, AöR 1969, 1, 22; dersRechtssoziologie, 360 f.; ders., Rechtssystem und Rechtsdogmatik, S. 10 ff.; ähnlich auch Flume, Juristentag 1966, Bd. II, K-26, der den Richter dort allein an „rechtlich determinierte" Entscheidungen gebunden sieht, solange keine besondere gesetzliche Ermächtigung besteht. 25 Dazu bereits unter C.I.3. 26 A u f den Streit um die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz insgesamt wird hier nicht eingegangen, da dieser ebenso zeit- wie fruchtlos ist. Vgl. aber z.B. von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Für den wissenschaftlichen Charakter der Jurisprudenz plädiert z.B. Larenz, Über die Unentbehrlichkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, S. 12 ff. Dazu, sowie zur Frage, ob das Recht eine Sozrär/wissenschaft ist, Heldrich, AcP 1986, 74, 99 f. (mwN). 27
Dazu insgesamt Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 4 f.; Hirsch in Bernsdorf, 2. Aufl., S. 881 f. So etwa Weber, Rechtssoziologie; ebenso Luhmann, Rechtssystem; ders., Rechtssoziologie. 29 Hirsch in Eisermann, S. 154 ff.; ders., in Hirsch/Rehbinder, S. 11 ff.; Gurvitch, Sociology of Law, S. 11; Round in Gurvitch/Moore, S. 340; Röhl, Rechtssoziologie, S. 43 ff., 50 ff. (mwN); Ehrlich, Recht und Leben, S. 62 f. 30 Röhl, Das Dilemma der Rechtstatsachenforschung, S. 24, der diese Frage unter dem Blickwinkel der Relevanz der Rechtstatsachenforschung betrachtet. 28
I. Soziologische Jurisprudenz
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Theorie fehle, die die interdisziplinäre Übertragung steuere 31. Es genüge nicht, wenn es „begabten Juristen gelegentlich" gelänge, solche Erkenntnisse „intuitiv richtig in ihre dogmatischen Überlegungen einzubauen". Zudem sprächen zwei weitere Probleme gegen eine angewandte Rechtssoziologie32: Zum einen sei moralisch höchst fraglich, ob man in der Vergangenheit liegende Ereignisse mit Argumenten beurteilen sollte, die man für die Zukunft fordere und die insofern möglicherweise vorher gar nicht absehbar waren; zum anderen verhindere das Informationsparadoxon eine adäquate Behandlung zukünftiger Sachverhalte nach Maßgabe des heutigen Wissens. Daher halten Vertreter dieser Ansicht eine Trennung von Rechtssoziologie und Dogmatik für unumgänglich. Mit Hilfe dieser Trennung soll vermieden werden, daß „soziologische und ökonomische oder ethische Räsonnements an die Stelle juristischer Begriffe treten" 33 ; als Folge entwickelt sich das Verständnis vom „reinen Recht" im Sinne Kelsens, nach dem das Gesetz allein aus sich heraus zur sachgerechten Lösung aller Fälle in der Lage sein soll. Nicht zuletzt deshalb billigt Weber dem Recht eine eigene Logik zu, die nicht ohne Widersprüche zu der „auf den ökonomischen Effekt abzweckenden und auf ökonomisch qualifizierte Erwartungen" 34 abgestellte Interessenlage der Rechtsunterworfenen bleibe. Für ihn ist ein hoher Grad an juristischer Rationalität dann erreicht, wenn sich eine rechtliche Entscheidung unmittelbar logisch und vollständig aus dem Rechtssystem deduzieren läßt35. Damit mündet Webers Versuch der Vermeidung eines Methodensynkretismus unmittelbar in die Begriffsjurisprudenz als rechtsdogmatisches Ideal 36 . bb) Rechtssoziologie als angewandte Handlungswissenschaft Die Gegenansicht wehrt sich gegen eine solche Begriffsjurisprudenz, indem sie diese aufgrund der „Lückenhaftigkeit des Rechts" als unzulänglich entlarvt. Ging man früher noch von der Geschlossenheit des Rechtssystems aus37, so wird die Lückenhaftigkeit des Rechts heute wohl von niemandem mehr bestritten 38 . Trotzdem ist dem Richter die Rechtsverweigerung nicht gestattet, d.h. er muß den Streit zwischen den Parteien entscheiden39. Diese Entscheidungs31 Gerade darin aber sieht z.B. Luhmann, Rechtssystem, S. 18 die Überlegenheit der Dogmatik, die ermögliche, daß das „oft beschriebene Hin- und Herwandern des Blicks zwischen Normen und Fakten nicht ohne Führung bleibt, sich nicht nur der Entscheidungssituation, sondern auch dem Rechtssystem verpflichtet weiß." 32 33 34 35 36 37
Röhl, GS-Wenz, S. 51; dazu für die ökonomische Rechtstheorie genauer unter D.III.2.b). Weber , Rechtssoziologie, S. 346. Weber , Rechtssoziologie, S. 335 (Hervorhebung im Original). Weber , Rechtssoziologie, S. 341. So auch kritisch Rehbinder , JbfRR 1970, 333, 339.
Den Höhepunkt dieses Denkens bildet wohl die „Genealogie der Begriffe" von Puchta, nach der sich alle Rechtsbegriffe aus dem Oberbegriff des subjektiven Rechts ableiten lassen; vgl. dazu nur Larenz , Methodenlehre, S. 20 ff. 38 Nur noch klarstellend insofern BVerfGE 34, 269, 287. 39 Zu unserem Recht fremden Verfahrensweisen bei Gesetzeslücken: Neuner , Rechtsfindung, S. 51.
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r a t der ökonomischen Theorie des Rechts
pflicht fuhrt aber unter Berücksichtigung der Lückenhaftigkeit im Ergebnis dazu, daß dem Richter die Rechtsgewinnung allein aus dem Gesetz nicht immer möglich ist. Der Prozeß der Rechtsfindung ist insofern jedenfalls in bestimmten Fällen auch ein wertender. Der Richter ist demnach nicht nur „Subsumtionsautomat", sondern eher ein abwägender, wertender Entscheider 40. Aus der Erkenntnis der Lückenhaftigkeit des Rechts folgte die Entwicklung u.a. der Freirechtsschule mit ihren verschiedenen Strömungen sowie der Interessen- und Wertungsjurisprudenz 41. Sie alle fordern eine stärkere Berücksichtigung der sozialen Wirklichkeit bei der Rechtsfindung. Deren Notwendigkeit betont Fikentscher 42 ausdrücklich mit dem angesprochenen richterlichen Wertungsprozeß. Dieser müsse nämlich, um seinerseits nicht willkürlich zu sein, auf einer möglichst umfassenden Wirkungs- und Tatsachenkenntnis beruhen, die letztlich dazu diene, die unendliche Vielfalt des „Wertungsfächers" einzuengen und so die abschließende Rechtsfindung durch den Richter vorzubereiten. Aus dem dabei verbleibenden Freiheitsgrad des Richters ergibt sich zwangsläufig, daß ein Urteil für sich nicht den Anspruch der „einzigrichtigen Entscheidung" erheben kann 43 . Neben diesem methodischen Argument unterstützt die Berücksichtigung fremdwissenschaftlich aufbereiteter Realien die Rechtsfindung aber auch aus zwei weiteren Gründen: Der erste ist, daß das Recht seine sozialen Funktionen 44 nur dann erfüllen kann, wenn es die Rechtswirklichkeit nicht ausblendet. Versteht man nämlich das Recht u.a. als Instrument zur Konfliktlösung, so kann es nur dann effektive Wirkung entfalten, wenn es - anders als bei Weber nicht über eine „eigene Logik" verfügt, sondern sich an Handeln und Verständnis der Rechtsunterworfenen ausrichtet, mit anderen Worten also deren Sprache spricht. Reale Konflikte können demnach nur von einem an der Realität ausgerichteten Recht gelöst werden. Neben dieser reduzierten Problemlösungsfähigkeit führt ein die Realität übergehendes Recht darüber hinaus noch zu Akzeptanzverlusten in der Bevölkerung, woraus eine regelrechte „Justizverdrossenheit" resultieren kann. Fühlt der Bürger nämlich seine Bedürfhisse nicht mehr ausreichend berücksichtigt, so wird er durch Schiedsverfahren o.ä. das 40 Diese Wertungen entstammen z.T. dem Recht, sind aber vielfach auch richterliche Einschätzungen (zum Beispiel bei der Frage nach dem vorrangigen Auslegungscanon, wenn die Canones unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen), wie Rüßmann, JuS 1975, 352, 353 zurecht anmerkt. 41 Umfassend hierzu Larenz, Methodenlehre, S. 11-185. Einen kurzen Überblick gibt Röhl, Rechtssoziologie, S. 43 ff., der dort auch noch die Rechtstatsachenforschung behandelt. Die Begriffe etwas weiter faßt Rehbinder, KZfSS 1964, 533, 539 ff. 42
Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, S. 192 f. von Arnim, S. 45 f. Ähnlich auch Kirchneri Koch, Analyse & Kritik 1989, 111, 112 f., die in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß insoweit jede Gesetzesinterpretation zugleich auch eine begrenzte Rechtsfortbildung beinhaltet; ebenso Röhl, Rechtssoziologie, S. 44 (mwN). Für die Theorie der „einzig-richtigen Entscheidung" aber z.B. Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 279 ff.; differenzierend Eidenmüller, JZ 1999, 53, 58. 44 Vgl. zu den verschiedenen Funktionen des Rechts Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 117 ff. 43
II. Ökonomische Theorie des Rechts als Instrument der
eseung
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staatliche Rechtsmonopol zu umgehen versuchen. Dies wird um so eher geschehen, je komplexer der Rechtsstoff und je dynamischer der gesellschaftliche Entwicklungsprozeß ist 45 . Der zweite Grund für die Forderung nach Berücksichtigung fremdwissenschaftlicher Erkenntnisse im Recht ist, daß der gesamte Rechtsstab, insbesondere aber die Gerichte, vielfach auf Grundlage ungeprüfter Alltagstheorien oder selbstentwickelter Kausalketten Recht setzt oder anwendet 46 . Um die Qualität dieser Analysen zu steigern ist es deshalb unumgänglich, entweder - wie es bei Verfahren im gewerblichen Rechtsschutz geschieht47 empirische Dienste der Sozialwissenschaften in Anspruch zu nehmen48 oder durch deren Theorien den Rechtsstab bzw. Sachverständige wissenschaftlich anleiten zu lassen. Koch/Rüßmann sehen in der methodischen Analyse der Gesetzesanwendung „ein ,Einfallstor' für die teils erwünschten, teils gefürchteten Sozialwissenschaften" 49. Erkennt man die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Realwissen und dessen Verarbeitung an, eröffnet sich die Möglichkeit, die ökonomische Theorie im Wege der soziologischen Jurisprudenz für das Recht nutzbar zu machen. Der Streit um die generelle Fruchtbarmachung sozialwissenschaftlicher Argumente im Recht sollte hier nur kurz angedeutet werden. Neben dem Vorwurf des Methodensynkretismus als dogmatischem Argument finden sich noch eine Vielzahl weiterer, z.T. eng mit ihm zusammenhängender Gründe, die gegen eine soziologische Jurisprudenz vorgebracht werden. Sie werden im Verlauf des Kapitels zu erörtern sein, da eine ausführliche Diskussion nicht bereits an dieser Stelle abstrakt, sondern erst konkret auf die ökonomische Theorie des Rechts bezogen erfolgen soll. II. Ökonomische Theorie des Rechts als Instrument der Gesetzgebung
1. Erkenntnisgewinn für die Legislative durch die ökonomische Theorie Die ökonomische Theorie des Rechts eröffnet dem Gesetzgeber, nicht zuletzt aufgrund ihres vorwiegend konsequentialistischen Charakters 50, sowohl für die Gesetzesfolgenabschätzung als auch für die Bereitstellung normlegiti45
Rehbinder, KZfSS 1966, 532, 540. Heldrich, AcP 1986, 74, 85 meint, Richter würden „bisweilen recht ungeniert ihre persönliche Sachkunde für die Beurteilung sehr problematischer gesellschaftlicher Zusammenhänge in Anspruch nehmen. Die Konsultierung sozialwissenschaftlicher Fachliteratur scheint seltene Ausnahme". Ähnlich kritisch betonen Baumbach/Hefermehl, UWG, Einl UWG, Rdnr. 476, die „Gerichte neigen dazu, sich Sachkunde beizulegen, wo sie ihnen fehlt und fehlen muß " Ebenso Müller, JR 1992, 8 ff. 46
47 Sambuc, S. 53 ff; Troller, GRUR 1980, 522 ff; Rehbinder in ders., Abhandlungen zur Rechtssoziologie, S. 209 ff; Müller, JR 1992, 8, 11 f.; Teubner, Standards und Direktiven, S. 10 ff 48 49 50
Müller, JR 1992, 8, 10 ff Koch/Rüßmann, S. 219. Vgl. zum Gegenstand der ökonomischen Theorie schon unter A.I.2.
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D. Adressat der ökonomischen Theorie des Rechts
mierender Argumente erhebliche Erkenntnismöglichkeiten. Sie kann für die Legislative in ihrer positiven Variante sowohl durch die Fruchtbarmachung des ökonomischen Verhaltensmodells, als auch durch die drei unter B. dargestellten neoinstitutionellen Ansätze (Property-Rights-, Transaktionskosten- und Agency-Ansatz) nützlich sein. In ihrer normativen Variante eröffnet die Rechtsökonomik Erkenntnisgewinne und Argumentationshilfen durch die verschiedenen, in Kapitel C. aufgeführten Bewertungskriterien. a) Anwendungsbereich für das ökonomische Verhaltensmodell Das Verhaltensmodell der ökonomischen Theorie, der homo oeconomicus, erlaubt, realistische Prognosen über Verhaltensänderungen der betroffenen Individuen zu entwickeln. Mit seiner Hilfe können die tatsächlichen Auswirkungen einer Normmodifikation auf das Verhalten der Rechtsunterworfenen aufgezeigt werden, um so die Folgen dieser Rechtsänderung offenkundig zu machen. Damit ermöglicht das Modell des homo oeconomicus u.a. auch eine Aufdeckung der zu erwartenden Aktivitäten, die die Individuen anstrengen werden, um den Normzweck zu umgehen. Dabei ist - wie bereits unter A.II.3. betont - situativ zu prüfen, ob der Betrachtung das neoklassische oder aber das neoinstitutionelle Verhaltensmodell (mit den jeweiligen Stärken und Schwächen) zugrunde gelegt werden soll. Nur wenn das Verhalten der Individuen richtig vorausgesehen wird, ist es überhaupt möglich, Rechtsnormen zu schaffen, die eine dauerhafte und effektive Wirkung entfalten und somit der Steuerungsaufgabe des Rechts gerecht werden können51. Gerade dies ist unerläßlich für die Autorität und damit die Verbindlichkeit der Rechtsordnung 52. Das wird auch innerhalb der Gesetzesfolgenabschätzung 53 (als Teil der allgemeinen Gesetzgebungslehre54) erkannt, an deren Nützlichkeit zwar kaum gezweifelt, an deren Konkretisierung aber erst in jüngerer Zeit verstärkt gearbeitet wird 55 . Durch die Implementierung einer Verpflichtung zur Folgendarstellung und -berücksichtigung in § 44 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien 56 hat die gesetzgeberische Folgenabschätzung zum 51 Nach Führ, Grundlagen, S. 3 f., 18 ff. ergibt sich - trotz der normativen Grundperspektive des Rechts - die Notwendigkeit eines realwissenschaftlichen Verhaltensmodells „zwingend" aus dem Rationalitätsverständnis des Rechts. 52 Ebenso Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 26 f., Eyrich in Heinz, S. 175 und Kindermann, ZRP 1983, 204, 205, der darin auch das „Dilemma ... um die symbolische Gesetzgebung'" sieht. 53 Grimm, ZRP 2000, 87 ff.; Wagner, ZRP 1999, 480 ff.; Bohret!Konzendorf, Handbuch; Hadamek, ZG 2001, 382 ff. 54 Noll, Gesetzgebungslehre; Köck, VerwArch 2002, 1, 8 ff.; Kindermann, ZRP 1983, 204 f f ; Deckert in Hof/Schulte, S. 184 (mwN); aus mathematischer Sicht Rödig!Baden!Kindermann. 55 Vgl. den Neun-Punkte-Katalog bei Bohret!Hugger, S. 22 f f , anhand dessen die Qualität von Gesetzesentwürfen ex ante beurteilt werden können soll. Noch umfassender zur prospektiven, begleitenden und retrospektiven Gesetzesfolgenabschätzung Bohret!Konzendorf Handbuch. 56 Beschluß des Bundeskabinetts vom 26.07.2000, abgedruckt in GMB1. 2000, 526, 535 (im folgenden: GGO); dazu auch Köck, VerwArch 2002, 1, 11 ff.
II. Ökonomische Theorie des Rechts als Instrument der
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01.09.2000 ihre aktuelle, verbindliche Gestalt bekommen. Innerhalb dieser kann das der ökonomischen Theorie des Rechts entlehnte Modell des homo oeconomicus - welches nach überwiegender Ansicht den übrigen wissenschaftlichen Verhaltensmodellen überlegen ist 57 - eine gewichtige Rolle spielen58. b) Anwendungsbereich für die positiven neoinstitutionellen Ansätze Die drei neoinstitutionellen Ansätze der ökonomischen Theorie erlauben zum einen, bestimmte rechtliche und tatsächliche Phänomene ex post zu erklären. Zum anderen dienen sie dazu, auf Grundlage des ökonomischen Verhaltensmodells Kosten unterschiedlicher Art, die teilweise erst durch die Systematik dieser Ansätze erkennbar werden, zu ermitteln. Für den Gesetzgeber besteht der Wert dieser Erkenntnisse in der oben angesprochenen materiellen Rationalisierung seiner Entscheidung. Die Erklärung ex post ermöglicht ihm, den Grund für bestimmte Gesellschafts- und Rechtsinstitute besser zu verstehen und bei einer Normierung zu berücksichtigen. An der Relevanz der Ermittlung von (Folge-)kosten neuer Gesetzesvorhaben ex ante besteht ebenfalls kein Zweifel 59 : Zum einen fordert das Bundesverfassungsgericht vom Gesetzgeber, einer Norm stets den „für seine Regelung erheblichen Sachverhalt" 60 zugrunde zu legen; hierzu gehört, da zumindest immer auch monetäre Auswirkungen entstehen, stets das Kostenargument. Binnenrechtlich ergibt sich eine Pflicht zur umfassenden Berücksichtigung der Kostenkomponente - die lange nur auf ihre Wirkungen für den öffentlichen Haushalt zu prüfen war 61 - für die Gesetzesfolgenabschätzung seit einiger Zeit aus § 44 GGO. Zudem sollte die Gesetzgebung schon deshalb ex ante alle Folgen zu berücksichtigen versuchen, da sie sämtliche Folgen ihres Handelns verantworten muß 62 . Die ökonomische Theorie gibt der Gesetzgebung insofern Argumente an die Hand, mit denen sie entweder ihre Normvorstellung stützen kann oder gegen die sie ihren Rechtsetzungsvorschlag verteidigen muß. Letzteres z.B. dann, wenn die Kostenanalyse zwar gegen einen Gesetzesentwurf spricht, aber andere 57 Vgl. dazu die Darstellung unter A.II.3.g); ebenso Eidenmüller, JZ 1999, 53, 55; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 152. Unter Aufzeigung der Schwächen im Ergebnis auch Deckert in Hof/Schulte, S. 181 ff. 58 Auch der Bundesrechnungshof, BT-Drucks. 14/29, S. 73 erkennt in seiner ftlr die Änderung der GGO ursächlichen Kritik an der Gesetzgebungspraxis, daß allein „durch angemessene Gesetzesfolgenabschätzungen auf der Grundlage wirksamer Instrumente ... eine verläßliche Entscheidungsbasis für rechtsetzende Maßnahmen geschaffen werden" kann (Hervorhebung durch Verfasser). 59 Joussen, Juristentag 1994, Bd. II/2, K-174 betont, daß bei der Gesetzgebung ökonomische Implikationen stärker als bisher berücksichtigt werden müssen; ähnlich Gusy, ZRP 1985, 291, 293. 60 BVerfGE 86, 90, 109. 61 Der Prüfungsumfang wurde im Jahre 1996 durch Einfügung des damaligen § 22a GGO II erheblich erweitert, vgl. GMB1. 1996, 449. Dicke!Härtung, S. 9 f. unterscheiden insofern die „internen Kosten" der Gesetzesentstehung und -durchfiihrung von den „externen" Kosten, welche unmittelbar bei den Bürgern anfallen. Ähnlich Hofmann! Meyer-Teschendorf ZG 1998, 362. 62 Ott, FG-Kübler, S. 40.
9 Jansnn
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Prinzipien wichtiger erscheinen. In diesem Fall werden durch die Rechtsökonomik die Kosten offenbar, die der Gesellschaft durch die Höherbewertung anderer Rechtsgüter entstehen63. Damit unterstützt die ökonomische Theorie des Rechts eine intensive Auseinandersetzung mit verschiedenen Normalternativen in nahezu allen Rechtsgebieten64, wodurch die immer wieder geforderte Transparenz 65 und nicht zuletzt auch die Rationalität der Normvorschläge gefördert wird. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß die Kenntnis der Realfolgen von Rechtsnormen zwar den normativen Diskurs über deren Akzeptabilität nicht ersetzen, jedenfalls aber durch Aufklärung von ansonsten unberücksichtigten Zusammenhängen die tatsächliche Akzeptanz der Wertung durch die Rechtsunterworfenen erhöhen kann 66 . c) Anwendungsbereich für die normativen ökonomischen Kriterien Zuletzt kann die ökonomische Rechtstheorie auch noch Konzepte zur Bewertung von Zuständen beisteuern. Im Hinblick auf diese normative Funktion können - wie gezeigt wurde 67 - verschiedene Kriterien verwendet werden, von denen jedoch - im Gegensatz zum ursprünglichen Anspruch der ökonomischen Analyse Posners - keines Priorität genießt oder gar einen Absolutheitsanspruch stellen kann: Neben dem Prinzip der ökonomischen Effizienz i.S.v. „Wirtschaftlichkeit" 68 und den verschiedenen Kriterien wohlfahrtsökonomischer Effizienz wird im Rahmen der normativen ökonomischen Rechtsbetrachtung in jüngerer Zeit z.T. auch auf den Konsens abgestellt. Sämtliche Effizienzbegriffe bergen je nach Situation erhebliche Schwierigkeiten, die sie als kategorische Imperative unbrauchbar erscheinen lassen. Nichtsdestotrotz können sowohl wohlfahrtsökonomische Effizienzkonzepte als auch das Konsensprinzip als hypothetische Imperative ebenso wertvolle Erkenntnisse liefern wie das Wirtschaftlichkeitsprinzip, welches dem Rechtsdenken wohl am nächsten steht. Der Gesetzgeber hat nämlich bei der Wahl seiner Ziele und der zu deren Erreichung nötigen Ausgestaltung einen erheblichen Gestaltungsspielraum. Zwar muß er grundgesetzliche Vorgaben achten, ist aber darüber hinaus als Motor rechtspolitischer Vorhaben bei der Wahl von Ziel und Mittel weitgehend frei 69 .
63 Blaschczok, S. 248 ff. (mwN); Schmidtchen, JbfNÖuStat 1998, 251, 259; Behrens, ZfA 1989, 209, 219 f.; Kirchneri Koch, Analyse & Kritik 1989, 111, 120. 64 Aus der in A.II.3.b)bb) verfolgten Argumentation, nach der sich das Modell des neoklassischen homo oeconomicus nicht zur Erklärung aller Handlungen (gerade im Familienrecht etc.) eignet, darf nicht geschlossen werden, daß nicht dennoch durch Normen in diesen Rechtsgebieten auch wirtschaftliche Dispositionen getroffen werden; vgl. dazu auch Backhaus, S. 18. 65 Dazu Hof mann/Meyer- Teschendorf, ZG 1998, 362, 363. 66 67 68
So z.B. auch Eidenmüller, JZ 1999, 53, 54. Vgl. hierzu umfassend Kapitel C.
Dazu unterC.1.1. Stein, Staatsrecht, S. 158; Morgenthaler, S. 35 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 196; grundsätzlich zustimmend Lücke, ZG 2001, S. 1 ff., der aber aus den Grundrechten eine Vielzahl vom Gesetzgeber zu beachtender Prinzipien entwickelt, was dessen Spielraum erheblich einschränkt. 69
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Für die oft stark wirtschaftlich argumentierenden Effizienzargumente spricht 70, daß in einer immer stärker wirtschaftlich ausgerichteten und von ökonomischen Zwängen beeinflußten Gesellschaft auch die wirtschaftlichen Folgen der Normsetzung erhebliches argumentatives Gewicht haben müssen. Das verdeutlicht nicht zuletzt auch Art. 98 S. 2 EG, nach dem die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik so auszurichten haben, daß „ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird". Dabei wird der Effizienzgedanke z.B. im Güteraustauschrecht mehr Prominenz für sich in Anspruch nehmen dürfen als z.B. im Sozial- und Verteilungsrecht 71. Selbst in letzteren aber kann ein gewisses Maß wirtschaftlichen Denkens von Nöten sein, da Leistungen an eine Gruppe die für andere Gruppen zur Verfügung stehenden Mittel u.U. nicht nur proportional sondern durch „Multiplikator-Effekte" 72 überproportional vermindern können, so daß es möglicherweise lohnt, alternative Rechtsausgestaltungen zu prüfen. Zudem wird der Gesetzgeber im Fall zweier zur Zielerreichung gleich effektiver Varianten meist die gesamtwirtschaftlich „effizientere" zu wählen haben. In Fällen unterschiedlicher Zweckerreichung können ökonomische Erwägungen dagegen sowohl gegenüber anderen Wertungen den Vorzug erhalten als auch hinter sie zurücktreten. Unabhängig davon, welche Argumente später die Entscheidung tragen, bietet es sich jedoch bei solchen Analysen für die Rechtswissenschaft an, die selbe Methode zu wählen, die die primär mit ökonomischer Folgenbetrachtung befaßten Wirtschaftswissenschaften benutzen und in Jahrzehnten ausgearbeitet haben. Dabei können sämtliche Effizienzbegriffe zur juristischen Begründung herangezogen werden, da sie für das Recht eben keine BindungsWirkung entfalten und zudem verschiedene Probleme beleuchten73. Genauso wenig wie an das Effizienzkriterium ist der Gesetzgeber bei der Normaufstellung an die Berücksichtigung eines gesellschaftlichen Konsens gebunden. Andererseits wurde auf die akzeptanz- und effizienzfördernde Wirkung einer breiten Zustimmung durch die Rechtsunterworfenen bereits hingewiesen. Sie ist für die Stabilität der sozialen und politischen Ordnung unerläßlich 74. Insofern tut der Gesetzgeber gut daran, stets auch die Frage der Konsensfähigkeit eines neuen Gesetzes zu stellen75.
70 Bohret!Konzendorf S. 180 f f ; Deckert, Folgenorientierung, S. 99 ff. Das Bundesministerium des Innern, Leitfaden, S. 7 spricht ausdrücklich von einer Verpflichtung zum „sparsamen Umgang mit knappen Ressourcen". Entgegen Eyrich in Heinz, S. 176 dürfen dabei nicht nur die „internen Kosten" von Gesetzgebungsprozess und -durchftlhrung berücksichtigt werden, sondern eben auch oder gerade diejenigen („externen"), mit denen die Rechtsunterworfenen belastet werden; vgl. dazu auch den erwähnten Beschluß des Bundeskabinetts, abgedruckt in GMB1. 2000, 526, 535. 71
Steinmetzler, JA 1998, 335, 339; ähnlich Kirchner/Koch, Analyse & Kritik 1989, 111, 120. Statt aller: Gabler Wirtschaftslexikon, S. 2178 f. 73 Vgl. hierzu Kapitel C.III. 74 Hierzu auch Würtenberger in Eisenmann/Rill, S. 83 f.; ebenso BVerfGE 44, 125, 147. 75 Folgerichtig möchte auch die Bundesregierung die „Akzeptanz und Wirksamkeit von Recht" erhöhen, vgl. Bundesministerium des Innern. Leitfaden, S. 5; dass., Moderner Staat, S. 5. 72
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D. Adressat der ökonomischen Theorie des Rechts
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d) Beispiel: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Die Nähe der ökonomischen Rechtstheorie zur legislativen Problemstruktur soll hier kurz am Beispiel des auch vom Zivilgesetzgeber zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes76 erläutert werden, der für das gesamte deutsche Rechtssystem von Bedeutung ist. Nach diesem allgemeinen Grundsatz muß ein Gesetz dem Gemeinwohl dienen und darüber hinaus geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein77. Die Frage nach dem Gemeinwohl kann zwar mit dem Verweis auf einen möglichen hypothetischen Konsens nicht eindeutig beantwortet werden 78; ein solcher Konsens als mögliches Ergebnis einer ökonomischen Betrachtung kann jedoch zumindest als Indiz für eine Maßnahme im Interesse der Individuen gewertet werden. Für die Geeignetheit einer Norm wurde beim Gedanken der Effektivität bereits darauf hingewiesen, daß eine solche Betrachtung kaum seriös ohne ein realwissenschaftliches Verhaltensmodell durchführbar ist. Insofern bietet sich der homo oeconomicus in seinen verschiedenen Varianten als Analyseinstrument geradezu an. Darüber hinaus findet sich in der Erforderlichkeit auch noch der Effizienzgedanke im Sinne des Pareto-Prinzips wieder 79 ; eine mildere und gleich effektive Maßnahme ist demnach in der Regel vorzuziehen, da sie niemanden schlechter, aber wenigstens ein Individuum besser stellt. Letztlich kann im Gedanken der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zumindest auch eine Effizienzbetrachtung im Sinne des Wirtschaftlichkeitsprinzips erblickt werden. Zwar ist Eidenmüller 80 zuzugeben, daß sich diese auf den Wert der Rechtsgüter im juristischen Sinne bezieht, welcher vom wirtschaftlichen Wert (gemessen an Markt- oder Schattenpreisen) z.B. aufgrund von ethischen Wertungen abweichen kann; jedoch widerspricht eine solche Betrachtung dem ökonomischen Kosten/Nutzen-Kalkül nur dann, wenn man wie Eidenmüller - das Effizienzprinzip als kategorischen Imperativ ansieht. Geht man aber - wie hier - davon aus, daß es sich bei den normativen Kriterien der ökonomischen Rechtstheorie lediglich um hypothetische Imperative ohne Absolutheitsanspruch handelt, dann ist eine solche Kosten/Nutzen-Betrachtung zwar nicht hinreichend für die Entscheidung, welcher Normvorschlag verhältnismäßig im engeren Sinne ist; sie ist jedoch in jedem Fall ein wichtiger Indikator, der den monetären Bereich der Betrachtung weitgehend erfaßt. Diese Interpretation entspricht auch den von Eidenmüller kritisierten Ausführungen
76 Vgl. zum Verhältnismäßigkeitsprinzip nur von Münch in von Münch/Kunig, Vorb. Art. 119, Rdnr. 55, der dort kurz auf dessen verschiedene Herleitungsmöglichkeiten eingeht. Nach Ansicht des BVerfG entspringt der Gedanke dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. z.B. BVerfGE 69, 1, 35. 77 78
Von Münch in von Münch/Kunig, Vorb. Art. 1-19, Rdnr. 55; Degenhart, Rdnr. 391 ff. Z.B. im Falle der „paternalistischen Gesetzgebung"; dazu oben unter C.I.3.c)cc).
79 Ebenso Backhaus, S. 16 f. und sogar Eidenmüller, Effizienz, S. 470, Fn. 55. Pareto-Effizienz ist im Falle von Gesetzen allerdings deshalb problematisch, da bei den verschiedenen Normvorschlägen kaum jemals dieselben Personen in derselben Intensität betroffen sein werden. 80 Eidenmüller, Effizienz, S. 469.
II. Ökonomische Theorie des Rechts als Instrument der
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81
von Heinrichs , der im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Sachgüterabwägung zwar auch, aber eben nur „in der Regel" auf deren Wertrelation abstellt. In jedem Fall müssen bei solchen Wertrelationen in Gesetzesvorhaben auch Kostenkategorien wie z.B. die von der Legislative oft vernachlässigten Transaktionskosten berücksichtigt werden. Insgesamt kann also der Zivilgesetzgeber bei der Auffüllung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sämtliche Zweige der ökonomischen Rechtstheorie zur Strukturierung und Fundierung der Argumente im Prozeß der Normfindung berücksichtigen. Das bedeutet aber im Umkehrschluß nicht, daß er zu einer Einbeziehung der ökonomischen Theorie verfassungsrechtlich verpflichtet wäre. e) Ergebnis Sämtliche der dargestellten Anwendungsfelder der ökonomischen Theorie sind somit für die Gesetzgebung von unmittelbarem Nutzen. Alle drei unterstützen die Legislative in ihrer prospektiven, z.T. auch in ihrer retrospektiven Arbeit über die Auswirkung von Gesetzen: Mit Hilfe des ökonomischen Verhaltensmodells lassen sich die Normen auf ihre Effektivität hin untersuchen, während die neoinstitutionellen Ansätzen darüber hinaus die Entstehung von gesellschaftlichen und rechtlichen Phänomenen erklären und auf ihre Kostenfolgen hin betrachten. Die normativen Kriterien der ökonomischen Theorie eröffnen Argumente für die Vorzugswürdigkeit einer Norm. Durch diese überwiegend prospektive Orientierung wird die Gesetzgebung befähigt, ihre Ziele ex ante wissenschaftlich fundiert zu formulieren, was wiederum eine Erfolgskontrolle v.a. durch die Rechtswissenschaft und damit letztlich auch eine umfassende Wirkungsforschung ermöglicht. Auf diese Weise kann die Effektivität einer Gesetzgebung, die ihre „Legitimation durch Wirkung" 82 und nicht durch bloße Existenz erfährt, unterstützt werden. Für den Gesetzgeber ergibt sich zwar der unangenehme Nebeneffekt, daß im Nachhinein gelegentlich legislative Fehleinschätzungen aufgedeckt werden können; gerade dies aber schafft die Voraussetzungen, die nötigen Korrekturen vornehmen zu können und somit die Steuerungsfunktion 83 des Rechts bestmöglich zu sichern. 2. Probleme bei der legislativen Anwendung der ökonomischen Rechtstheorie Nachdem die Erkenntnismöglichkeiten einer legislativen Nutzung der ökonomischen Rechtstheorie aufgezeigt wurden, stellt sich nunmehr die Frage, 81 82
Palandt-Heinrichs, § 228, Rdnr. 8; kritisiert bei Eidenmüller,
Effizienz, S. 469.
Kettiger, Gesetzescontrolling, S. 8 f.; eine ganz ähnliche Diskussion findet in jüngerer Zeit unter dem Begriff „New Public Management" auch um die Organisation der Verwaltung statt, vgl. dazu Gruber/Schwander in Kettiger, S. 33 ff.; Rehbinder, FS-Brohm, S. 727 ff. 83 Vgl. z.B. BGHZ 17, 266, 276. Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 156 ff. sieht dagegen in der Verhaltenssteuerung keine exklusive Funktion des Rechts, sondern lediglich eine Leistung, die auch von anderen Gesellschaftssystemen erbracht werden kann.
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D. Adressat der ökonomischen Theorie des Rechts
ob der Gesetzgeber sie anzuwenden geeignet ist. Besonders Eidenmüller hat sich mit der Frage nach der Anwendbarkeit der ökonomischen Theorie durch Legislative und Jurisdiktion auseinandergesetzt. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, die „ökonomische Analyse des Rechts ist (...) primär eine Gesetzgebungstheorie" u. Dafür gibt es nach Eidenmüllers Ansicht mehrere Gründe. So resultiert ihm zufolge die besondere Eignung der Legislative zum einen aus der unmittelbaren demokratischen Legitimation des Bundestages als zentralem Gesetzgebungsorgan85, welches durch Wahlen bzw. Wiederwahlen der Kontrolle durch die Bürger unterliegt. Zum anderen ist - wie oben bereits erwähnt das langfristige Gesetzgebungsverfahren besonders geeignet, den nötigen Interessenausgleich und damit z.B. auch die Berücksichtigung der normativen Kriterien der ökonomischen Theorie vorzunehmen und hinreichend ausführlich - sowohl intern als auch (z.B. über die Medien mit der Öffentlichkeit) extern zu diskutieren 86. Daneben besitze auch allein der Gesetzgeber die nötige „Systemherrschaft" 87, die es ihm ermögliche, umfassende volkswirtschaftliche Anpassungsprozesse zu koordinieren, wenn Veränderungen in einem gesellschaftlichen Bereich auch Neuregelungen in anderen Bereichen nötig machen sollten. Schließlich habe die Gesetzgebung auch eine umfassende Kompetenz in tatsächlicher und in fachlicher Hinsicht, um die jeweiligen Maßnahmen einzuleiten und umzusetzen88. Damit hält Eidenmüller den Gesetzgeber für prädestiniert, die ökonomische Theorie bei der Normaufstellung anzuwenden, wenngleich er eine verfassungsrechtliche Verpflichtung der Legislative zur Berücksichtigung des Effizienzgedankens ablehnt89. Es verbleiben jedoch Probleme beim Einsatz der ökonomischen Rechtstheorie. Diese sind zum einen im Ansatz selbst begründet, zum überwiegenden Teil aber technischer Natur und insofern den typischen Schwierigkeiten der allgemeinen Gesetzesfolgenabschätzung sehr ähnlich. a) Normativer Individualismus als Problem Der ökonomischen Theorie des Rechts liegt - wie gezeigt - neben dem methodologischen auch der normative Individualismus zugrunde 90. Es werden also alle Wertentscheidungen allein unter Zugrundelegung der individuellen
84 Eidenmüller, Effizienz, S. 392 f f , 442 (Hervorhebung im Original); ders., AcP 1997, 80 f f ; ähnlich Taupitz, AcP 1996, 114, 166. 85
Eidenmüller, AcP 1997, 80, 94 ff.; ders., Effizienz, S. 395,414 ff. Eidenmüller, Effizienz, S. 419 (mwN); ders., AcP 1997, 80, 97 ff. (mwN). 87 Eidenmüller, Effizienz, S. 422 (mwN), 432 ff.; ders., AcP 1997, 80, 100 (mwN), 107 f. 88 Eidenmüller, Effizienz, S. 426 ff.; ders., AcP 1997, 80, 103 ff. 89 Eidenmüller, Effizienz, S. 443 ff.; anders (jedoch ohne nähere Erläuterung) aber Steinmetzler, JA 1998 335, 341 f. 90 Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 3; Kerber in Leipold/Pies, S. 151; anders Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 20 f., der dort die utilitaristische Effizienzbetrachtung für mit dem normativen Individualismus unvereinbar hält. 86
II. Ökonomische Theorie des Rechts als Instrument der
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Präferenzen der Akteure legitimiert. Diese Ausrichtung ermöglicht es, eine unmittelbare Verknüpfung der rechtlichen Entscheidung an die Wertungen der Betroffenen zu erreichen. Diese an sich demokratiefreundliche Rückkopplung wird jedoch in den Fällen zu einem Problem, in denen die Legislative sich nicht auf eine affirmative Gesetzgebung beschränken kann, also darauf, bereits in der Bevölkerung verankerte Wertungen zu Rechtsregeln zu formen und auf diese Weise ein hohes Maß an Akzeptanz und damit nicht zuletzt auch an Effektivität zu erzielen. Manchmal ist es nämlich auch Aufgabe der Legislative, Entscheidungen zu treffen und zu verantworten, bei denen sie nicht „mit dem uneingeschränkten Beifall der Bürger rechnen kann" 91 . Eine solche paternalistische Steuerung des Rechts gegen den (zumindest aktuellen) Willen der Rechtsunterworfenen ist zwar unter dem Gesichtspunkt der Selbstbestimmung nicht unproblematisch92, jedoch eine ureigene Funktion des Rechts93. Auf Paternalismus beruhende Normen können auf Grundlage der ökonomischen Theorie des Rechts ebenso wenig erklärt werden wie „symbolische Gesetze"94, bei denen die Gesetzgebung meist nicht einmal selbst auf eine besonders effektive Befolgung durch die Bürger hofft. Da beide Motive aber bei der Rechtsetzung eine Rolle spielen können, zeigt sich an diesen Fällen, daß die normative ökonomische Rechtstheorie aufgrund des ihr zugrunde liegenden Individualismus längst nicht immer zur Argumentation herangezogen werden darf. b) Informationsdefizite als Problem Technische Schwierigkeiten der ökonomischen Theorie des Rechts entstehen vor allem durch die nötigen Informationen, und zwar sowohl bei der Informationsbeschaffiing als auch bei deren Verarbeitung. So ist zum einen individueller Nutzen nicht einfach meßbar, zum anderen eine rein monetäre Darstellung des Nutzens insofern problematisch, als nicht überall Marktpreise existieren, so daß auf Schattenpreise o.ä. ausgewichen werden muß. Selbst wo aber Marktpreise verfügbar sind, bedeutet dies noch nicht, daß sie auch tatsächlich die Wertschätzung einer Person angeben. Darüber hinaus ergeben sich auch erhebliche Prognoseschwierigkeiten, zum einen bei der Festlegung der relevanten „Charakterzüge" 95 des homo oeconomicus, zum anderen bei der Antizipation zukünftiger Entwicklungen seines Umfelds. Beides erschwert die auf diesen Tatsachen basierende Folgenprognose 96 der ökonomischen Theorie. Die Probleme bei der Bestimmung der relevanter „Charakterzüge" des homo oeconomicus stellen sich vor allem in der neoinstitutionellen Variante. Die 91
Kindermann, ZRP 1983, 204, 205; umfassend auch Benda, Akzeptanz, S. 18 f.
92
Ausführlich diskutiert wird rechtlicher Paternalismus bei Eidenmüller,
93
Für viele nur Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 29 und S. 230 f. am Beispiel der Todesstrafe. Kindermann, ZPR 1983, 204, 205; Schmehl, ZRP 1991, 251 ff.; Neves, S. 27 ff, 48 ff.
94 95
Effizienz, S. 358 ff.
Dieser Begriff ist untechnisch zu verstehen. So wurde bereits unter A.II.3.d) darauf hingewiesen, daß der ökonomische Modellmensch gerade kein Menschenbild zu zeichnen versucht. 96 Umfassend dazu Deckert, Folgenorientierung, S. 152 ff.
D. Adressat der ökonomischen Theorie des Rechts
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ökonomische Theorie löst mit dem homo oeconomicus das Prognoseproblem nämlich nicht vollständig auf, sondern macht es lediglich durch Reduzierung der Wirklichkeit handhabbar. Auch im ökonomischen Verhaltensmodell werden daher - wie in jedem anderen Modell auch - Daten benötigt, um festzulegen, welche Parameter in der jeweiligen Situation überhaupt das individuelle Verhalten beeinflussen. Der Umfang dieses Informationsbedarfs ist in der neoklassischen Modellvariante verhältnismäßig gering, da die Individuen hier lediglich einen (meist monetären) Kosten/Nutzen-Vergleich anstellen. Damit ist die Handhabbarkeit des Verhaltensmodells relativ einfach, sein Anwendungsbereich aber beschränkt 97. In der neoinstitutionellen Variante dagegen erweitert sich zwar der Erkenntnisbereich, in gleicher Weise aber die Notwendigkeit zur empirischen Absicherung von über den reinen Kosten/Nutzen-Vergleich hinausgehenden verhaltensprägenden Parametern. Mit dieser gesteigerten Komplexität des Modells geht damit auch ein steigender Informationsbedarf einher. Werden aber für den neoinstitutionellen Modellmenschen verschiedene Verhaltensparameter detailliert aufgeführt, so stellt sich die Frage, warum der homo oeconomicus in alle Zukunft gerade in der so beschriebenen Weise reagieren soll. In der Ökonomik wird dieses Problem meist durch die Vorgabe umgangen, die Präferenzen der Individuen seien zeitkonsistent98. Damit wird es allerdings weniger gelöst als vielmehr „wegdefiniert"; die Brauchbarkeit der Vorhersage wird so jedenfalls in den Bereichen geschmälert, in denen verstärkt mit einem Bewußtseinswandel gerechnet werden muß. Läßt man dagegen - wie z.B. Führ 99 - Präferenzänderungen ausdrücklich zu, dann macht die Schwierigkeit, zukünftige Veränderungen sicher vorherzusehen, die Informationsbeschaffung wohl unmöglich. Ganz ähnlich liegen auch die Probleme bei der Antizipation zukünftiger Entwicklungen im Umfeld des homo oeconomicus. Während die Möglichkeit von Präferenzänderungen durch das ökonomische Verhaltensmodell gewöhnlich explizit ausgeschlossen wird, ist dies bei z.B. den Preisen für Rechte und Güter normalerweise nicht vorgesehen. Dennoch werden meist stillschweigend die aktuell gültigen Daten entweder unmittelbar übernommen oder - um im Beispiel der Preise zu bleiben - lediglich für die Zukunft abgezinst. Trotzdem sind unvorhersehbare Änderungen auch der relativen Preisstruktur denkbar, z.B. durch ein aufgrund technischer Entwicklung entstehendes Überangebot für ein Produkt. Eine solche dynamische Betrachtung sieht sich also stets dem Wissensproblem ausgesetzt, welches eine exakte Betrachtung verhindert. All das erfordert - je nach Fragestellung - für eine seriöse ökonomische Analyse eine aufwendige Empirie. Die benötigten Informationen werden häufig - wenn überhaupt vorhanden - nur im Rahmen von kosten- und zeitintensiven 97 98 99
Siehe hierzu umfassend A.II.3.e). Siehe schon unter A.II.3.a). Führ, Grundlagen, S. 50 f.
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100
Recherchen zu erlangen sein . Zudem bedarf es einer gewissen ökonomischen Kompetenz, um die erworbenen Informationen sinnvoll auszuwerten und sich normprägend zunutze machen zu können. Dazu ist die Legislative aufgrund der Langfristigkeit des Gesetzgebungsprozesses und den verschiedenen daran beteiligten Ministerien zumindest grundsätzlich in der Lage 101 . Diese Aufgabe anerkennend wurde 1973 zur stärkeren Berücksichtigung von Rechtstatsachen im Bundesjustizministerium eigens ein Referat „Rechtstatsachenforschung" eingerichtet, welches Studien teils selbst durchfuhrt, teils in Auftrag gibt 102 . Daneben wird immer wieder weitere Unterstützung gefordert, um dem Gesetzgeber bestmögliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Nach einer im Vordringen begriffenen Ansicht 103 soll die Rechtswissenschaft stärker als „Realwissenschaft" aufgefaßt werden und damit dem ansonsten allzu stark belasteten Rechtsstab Hilfe bei der jeweiligen Analyse leisten. So fordert z.B. Eidenmüller 104 in seinem Aufsatz „Rechtswissenschaft als Realwissenschaft" eine Hinwendung von der Rechtsanwendungswissenschaft zur Rechtsetzungswissenschaft, um auf diese Weise aus wissenschaftlicher Sicht bereits dann auf Gesetzesvorhaben Einfluß nehmen zu können, wenn die Probleme und Widersprüche entstünden, und nicht erst, wenn es sie mühsam nachträglich zu eliminieren gälte 105 . Damit einher geht eine stärkere empirische Ausrichtung der Rechtswissenschaft, wobei der Rechtstatsachenforschung ein besonderer Stellenwert eingeräumt wird. Neben der Folgenprognose von Gesetzesvorhaben ex ante wird dabei insbesondere auch auf die Relevanz der Kontrolle ex post hingewiesen, um einerseits zusätzliche Informationen für zukünftige Vorhaben zu sammeln, andererseits aber auch „etwaigen Illusionen der Steuerbarkeit und Machbarkeit" 106 vorzubeugen. Letztere ergibt sich vor allem daraus, daß ex ante schwerlich sämtliche Verhaltensoptionen der Individuen ermittelt bzw. bedacht werden können und diese somit weiterhin versuchen können, der jeweiligen Maßnahme auszuweichen. Insofern werden auch mit Hilfe der Folgenprognose selten „wasserdichte" Ergebnisse zu erzielen sein. Alles in allem dürfte sie aber dazu führen, daß bestimmte inferiore Lösungen schon frühzeitig aus dem 100
Vgl. z.B. Schäfer, KritV 1992, 374, 381; Eidenmüller, Effizienz, S. 168. Zurecht betont Weigel, S. 203, Vertreter der ökonomischen Analyse des Rechts hätten „nie den Anspruch erhoben, die Dinge einfach zu machen, sondern nur kalkulierbar..." (Hervorhebung im Original). 101 Für viele nur Eidenmüller, Effizienz, S. 428. 102 Dazu auch Heldrich, AcP 1986, 74, 111; Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 27; Raiser, Das lebende Recht, S. 36. 103 Eidenmüller, JZ 1999, 53 ff.; Deckert in Hof/Schulte, S. 184 ff.; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 30; Köck, VerwArch 2002, 1, 5 f.; Führ, Grundlagen, S. 3 ff.; Engel in ders., S. 30 ff.; Aiaihofer in Heinz, S. 157 ff.; Schmidtchen, JbfNÖuStat 1998, 251, 252; ders. in ders., S. 11; kritisch Röhl, Rechtsoziologie, S. 97 f. 104 105
Eidenmüller,
JZ 1999, 53 ff.
Eidenmüller, JZ 1999, 53, 60. 106 Deckert in Hof/Schulte, S. 187; auf die Gefahr eines zu großen Steuerungsoptimismus im Rahmen der ökonomischen Theorie weist - trotz aller Zuversicht bezüglich deren Leistungsfähigk e i t - auch Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 291, hin.
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Gesetzgebungsprozeß ausgeschlossen werden und damit dessen Qualität - trotz weiterhin möglicher Fehlprognosen - insgesamt steigt. Neben dieser Forderung nach mehr Rechtstatsachenforschung im Rahmen einer realwissenschaftlichen Ausrichtung der Rechtswissenschaft wird für die Gesetzesfolgenabschätzung zweitens immer wieder auch auf den Nutzen der Rechtsvergleichung hingewiesen, aus der der Gesetzgeber wichtige Erkenntnisse über die Wirkungsweise von Normausgestaltungen erwerben könne 107 . Drittens wird auch ein Rückgriff auf das realitätsnähere Erfahrungswissen der Gerichte empfohlen 108. Alle diese Quellen können der Gesetzgebung helfen, die nicht immer einfache, sondern vielfach sogar sehr zeit- und kostenintensive Beschaffung notwendiger (rechtstatsächlicher) Informationen zu bewältigen. Bei Nutzung dieser Quellen jedoch scheint das Informationsproblem lösbar. c) Normkontinuität als Problem Schließlich stellt sich bei einer - auf Grundlage der ökonomischen Rechtstheorie durchgeführten - Gesetzesfolgenabschätzung noch das Problem geringerer Normkontinuität. Dieses eng mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit zusammenhängende109 Prinzip besagt, daß der Gesetzgeber bestrebt sein sollte, möglichst dauerhafte Gesetze zu erlassen 110. Dies ist zum einen nötig, um Akzeptanz bei den Rechtsunterworfenen herbeizufuhren, die sich ständig ändernde Gesetze mit Gesetzesungehorsam beantworten 1,1 ; zum anderen ist ökonomisch zu bedenken, daß Individuen auch auf Grundlage von Normen disponieren, so daß u.U. erhebliche Anpassungskosten entstehen können, die nicht grundlos nach kurzer Zeit wieder enttäuscht werden dürfen. Wegen fehlender Informationen oder sonstiger Schwierigkeiten bei der Prognose von Sachverhalten 112 kann sich nun aber, auch wenn ex ante eine seriöse Gesetzesfolgenabschätzung durchgeführt worden ist, ex post herausstellen, daß der avisierte Gesetzeszweck nicht erreicht wurde. Aufgrund der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Beobachtungs-113 und Nachbesserungspflicht 114 des Gesetzgebers ist es dann nicht hinreichend, die fehlende Zweckerreichung zu konstatieren und in der Folge zu ignorieren. Gesetze dürfen nämlich gerade nicht in doppelter Hinsicht „verabschiedet" werden 115 : Die parlamentarische
107 Z.B. Woite, ZRP 2000, 260; dazu mit besonderem Augenmerk auf die Europäisierung des Zivilrechts jüngst auch Kötz, JZ 2002, 257 ff. und besonders S. 262 ff. 108 109 110 111
Schmid, ZRP 2001, 187. Vgl. dazu z.B. BVerfGE 86, 90, 110. Lücke, ZG 2001, 1, 4; zur jüngeren Entwicklung auch Chanos, S. 11 ff. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 160 f.; Lücke, ZG 2001, 1,4.
112
Gusy, ZRP 1985,291,292 ff.; Noll, Gesetzgebungslehre, S. 95.
113
BVerfGE 88,203, 309 f. BVerfGE 25,1, 13; BVerfGE 56, 54,78 f.; BVerfGE 90,145,219 f.; Mayer, S. 21 (mwN). So zurecht Heldrich, AcP 1986, 74, 110.
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Verabschiedung eines Gesetzes darf nicht dazu führen, daß sich der Gesetzgeber auch inhaltlich von seiner Folgenverantwortung verabschiedet. Werden nun aber die verfassungsgerichtlich auferlegten Verpflichtungen ernst genommen, darf trotz des Grundsatzes der Gesetzeskontinuität eine ihren Zweck verfehlende Norm nicht geltendes Recht bleiben. Die Gesetze verlieren also bereits durch die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts ihren „Ewigkeitswert" 116 . Eine Tendenz in diese Richtung zeigt sich auch daran, daß sowohl auf nationaler 117 als auch auf europäischer 118 Ebene zuweilen Normen implementiert werden, über deren Wirkungen jeweils noch ein Bericht zu erstellen ist, bevor eine endgültige Entscheidung über die genaue rechtliche Ausgestaltung getroffen wird. Noch weiter in diese Richtung geht der Vorschlag des Sachverständigenrates „Schlanker Staat", in dem eine generelle zeitliche Befristung angeregt wird 1 1 9 , um im Rahmen einer institutionalisierten Erfolgskontrolle dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu geben, Schwachstellen zu beseitigen. Der Charakter des Rechts würde sich so im Sinne Beutels 120 von einer gesellschaftlichen Konstante zum „sozialen Experiment" 121 verändern. Der Vorschlag verdeutlicht, daß eine effektive Normbefolgung und eine hohe inhaltliche Rationalität oftmals mit den Anforderungen an die Normkontinuität und die Rechtssicherheit konfligieren können 122 . Insofern sind beide Ziele in ein angemessenes Verhältnis zueinander zu stellen, um zu erreichen, daß die Legislative weder durch ständige Gesetzesänderungen 123 noch durch das Bestehenlassen uneffektiver Normen unter Hinweis auf die Rechtssicherheit ihre Autorität und den Normbefolgungswillen der Rechtsunterworfenen untergräbt. Normkontinuität ist zwar ein wichtiger Grundsatz, aber eben kein Selbstzweck: Das Recht muß sich in den Dienst des Menschen und nicht der Mensch sich in den Dienst des Rechts stellen 124 . Daher 116 1,7
Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 28; ders., JbfRR 1970, 333,354. Vgl. § 119 V I GVG.
118 Vgl. Art. 5 II RL 1999/44/EG (Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf), in den nach heftiger Kontroverse im Gesetzgebungsverfahren (Staudenmayer, NJW 1999, 2393, 2396) eine optionale Rügepflicht eingeführt wurde, über deren Wirkung die Kommission wacht und berichtet. 1,9 Sachverständigenrat „Schlanker Staat", Abschlußbericht, Bd. I, S. 21 ff., 203. Zur Befristung von Gesetzen insgesamt Chanos, S. 37 ff. 120 Beutel, Experimental Jurisprudence and the Scienstate, S. 68 ff.; ders., Die Experimentelle Rechtswissenschaft, S. 34 f f ; kritisch zur experimentellen Gesetzgebung Mader, JbfRR 1988,211 ff. 121 Rehbinder, JbfRR 1970, 333, 354; ders., Rechtssoziologie, S. 28, 233; Noll, Gesetzgebungslehre, S. 76. Kettiger, Gesetzescontrolling, S. 7 f. sieht den Grund für die Entwicklung zum „Gesetz als Lernprogramm" in der Dynamisierung des Rechts, das nicht mehr rein protektiv, sondern stärker steuernd genutzt wird; dazu auch ders. in ders., S. 272 und Gruberl Schwander in Kettiger, S. 59 ff. 122 Anders wegen eines dynamischen Verständnisses von Rechtssicherheit aber Gruberl Schwander in Kettiger, S. 75 ff. 123 Dies ist schon deshalb zu vermeiden, um dem immer wieder geäußerten Vorwurf der „Normenflut" und der „Regulierungswut" entgegenzuwirken, vgl. Schulze-Fielitz, S. 1 f f , 9 ff.; Köck, VerwArch 2002, 1; Wagner, ZRP 1999, 480; Gruberl Schwander in Kettiger, S. 47 ff. Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 233 deutet - trotz positiver Grundtendenz - in diesem Zusammenhang noch die ethische Problematik von sozialen „Experimenten mit Menschen" an. 124 Darauf schon hinweisend: Llewellyn in Hirsch/Rehbinder, S. 85.
D. Adressat der ökonomischen Theorie des Rechts
140
ist dem bereits von Montesquieu125 geäußerten Vorbehalt zuzustimmen, nach dem an einem Gesetz nicht ohne triftigen Grund Veränderungen vorgenommen werden dürfen. Die Ineffektivität einer Norm - unabhängig davon, ob sie von einer unzureichenden Prognose der individuellen Verhaltensoptionen oder von der mangelhaften Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen herrührt - kann aber in der Regel als „triftiger Grund" in diesem Sinne angesehen werden. Der Grundsatz der Normkontinuität steht damit der Anwendung der ökonomischen Analyse durch die Gesetzgebung jedenfalls nicht grundsätzlich im Wege. d) Ergebnis Insgesamt zeigt sich, daß der Einsatz der ökonomischen Rechtstheorie im Rahmen der Gesetzgebungstheorie neben dem modellimmanenten Problem der Legitimierung paternalistischer und symbolischer Normen im wesentlichen dieselben Schwierigkeiten aufwirft, die der Gesetzesfolgenabschätzung ohnehin anhaften. Diese erschweren zwar die Arbeit der Legislative, stellen jedoch keinesfalls unüberwindbare Hürden dar. 3. Reichweite der Nutzung der ökonomischen Theorie durch die Legislative Bei allem Optimismus über mögliche Erkenntnisgewinne bei einer systematischen Anwendung der ökonomischen Theorie des Rechts durch den Gesetzgeber muß man konstatieren, daß bisher noch eine erhebliche Zurückhaltung bei der Rezeption besteht. Nicht treffend ist jedoch der Einwand, die ökonomische Rechtsbetrachtung habe keinerlei Bedeutung für die Schöpfung geltenden Rechts 126 und existiere insofern nur auf dem Papier. Zutreffend erscheint vielmehr, daß die ökonomische Theorie zwar (teils bewußt, teils unbewußt) angewendet wird, dabei aber oft nicht unter ihrem Namen firmiert. So finden sich in den über einhundert Jahre alten Beratungen zum Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches ausdrücklich 127 volkswirtschaftliche Erwägungen, die zwar weniger differenziert als die heutige ökonomische Theorie sind, sich aber argumentativ in keiner Weise von dieser unterscheiden. Auch die Begründung zum Schadensrechtsreformgesetz 128 enthält eine Vielzahl von Ergebnissen der ökonomischen Theorie des Rechts. Daneben wird im Gesetzentwurf eines Umwelthaftungsgesetzes vom 14.02.1990 sogar ausdrücklich das Ziel der allokati125 126
Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, Bd. 2, 366.
So aber noch Kirchner, IRLE 1991, 277. Vgl. dazu Danckelmann in Mudgan, Bd. II, S. 1372; zu dem, was heute unter „cheapest cost avoider" und „Transationskosten" diskutiert wird, vgl. den Kommissionsbericht zur unerlaubten Handlung in Mugdan, Bd. II, S. 1301 f. Dazu auch Taupitz, AcP 1996, 114, 149 ff. (mwN). 128 BT-Drucks. 14/7752. Hier wird z.B. auf S. 16, 25 auf die Versicherbarkeit von Schäden und die damit einhergehende Prämienerhöhung abgestellt. Im Ergebnis wird dabei versucht, die Versicherungspflicht demjenigen aufzuerlegen, der diese mit einem Minimum an Transaktionskosten vornehmen kann. Ökonomisch handelt es sich hierbei um das Argument des „cheapest insurer", vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 378. 127
II. Ökonomische Theorie des Rechts als Instrument der
eseung
141
129
ven Effizienz aufgeführt , während der Gesetzentwurf einer Insolvenzordnung vom 15.04.1992 auf der ökonomischen Rechtstheorie insgesamt beruht 130 . Ist die fehlende Kenntlichmachung der volkswirtschaftlichen Argumente als ökonomische Rechtstheorie bei den Beratungen zum Entwurfs des BGB noch damit zu erklären, daß diese der Entwicklung der Theorie zeitlich weit voraus lagen, so stellt sich bei den jüngeren Gesetzesvorhaben die Frage, warum der Begriff der ökonomischen Theorie fast schon vorsätzlich umgangen zu werden scheint 131 . Wenn nämlich selbst die Gesetzgebung diesen Terminus offenbar geradezu vermeidet, bleiben letztlich die hinter dem Gesetz stehenden Interessen unklar und wird die „Politik des Gesetzes"132 verschleiert, was die historische und teleologische Auslegung bei der Gesetzesanwendung erheblich erschwert. Daß im Rahmen der Gesetzgebung die ökonomische Theorie als solche allerdings oftmals tatsächlich völlig unberücksichtigt bleibt, zeigt das Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern 133 vom 22. März 2002. Durch dieses wurde z.B. § 32 I UrhG dahin geändert, daß einem Urheber nunmehr eine „angemessene Vergütung" zusteht, die durch einen gesetzlichen Anspruch auf Anpassung einer bereits ausgehandelten Vergütung durchgesetzt werden kann (§ 32 I S. 3 UrhG). Da die Frage, was eine „angemessene Vergütung" ist, alles andere als eindeutig ist 134 , sind nicht zuletzt durch diesen nachträglichen Korrekturanspruch in der Praxis erhebliche Feststellungskosten zu erwarten, bei denen es sich um nachträglich verursachte Transaktionskosten handelt. Unabhängig von den übrigen z.B. arbeitsrechtlichen Friktionen 135 und unabhängig davon, ob man der Meinung ist, daß diese Kosten möglicherweise in keinem Verhältnis zur Verbesserung des Einkommens des Urhebers bzw. zu den Auswirkungen für den Endverbraucher stehen, ist jedenfalls ernsthaft zu bezweifeln, daß der oberflächliche Hinweis des Gesetzgebungsentwurfs, „Auswirkungen auf (...) das gesamtwirtschaftliche Preisniveau sind in geringem Umfang zu erwarten, jedoch nicht quantifizierbar" 136 , dem Kostenproblem hinreichend Rechnung trägt.
129 BT-Drucks. 11/6454, S. 13; dazu auch Taupitz, AcP 1996, 114, 148 f. und Eidenmüller, AcP 1997, 80, 116 f. 130
BT-Drucks. 12/2443, S. 106; dazu auch Eidenmüller, AcP 1997, 80, 116 f. So heißt es statt eines knappen Hinweises auf die ökonomische Theorie des Rechts in der BT-Drucks. 12/2443, S. 106: „Die hier vorgeschlagenen Regelungen sind besonders vom amerikanischen Recht, vor allem jedoch von neueren, noch stärker marktwirtschaftlich orientierten Strömungen in der Rechtswissenschaft der Vereinigten Staaten von Amerika beeinflußt." 131
132 133
Steindorff,
FS-Larenz, S. 217 ff.
BGBl. 12002, 1155 ff. 134 Kritisch insofern Jacobs, NJW 2002, 1905, 1907. Zu den praktischen Problemen auch Handelsblatt v. 25.02.2003 (Nr. 39), S. 18. Zur wirtschaftlichen Bedeutung des Urheberrechts Schricker-Schricker, Einleitung, Rdnr. 8 ff.; Niggemann, S. 103 (mwN); Reinbothe, Z U M 1998, 428. 135 Dazu insbesondere Thüsing, GRUR 2002, 203 ff. 136 BT-Drucks. 14/6433, S. 2, 13.
142
D. Adressat der ökonomischen Theorie des Rechts
Als Gesamtergebnis bleibt also festzuhalten, daß die ökonomische Theorie in der Gesetzgebung bisher zwar stellenweise eine gewisse Rolle spielt, ihre systematische Einbindung aber noch vermissen läßt. Dies ist insofern erstaunlich, als eine solche Einbindung zum einen ohne erheblichen Aufwand möglich wäre 137 , zum anderen sogar durch die Neufassung des § 44 GGO geradezu gefordert wird. Dabei ist die ökonomische Theorie in ihrer positiven Variante eng mit der Rechtstatsachenforschung verbunden, teils sogar mit ihr identisch. Sie stellt ein Modell menschlichen Verhaltens zur Verfugung, welches je nach Regelungsmaterie modifiziert werden kann und sollte. Zudem hilft der positive Zweig der ökonomischen Rechtsbetrachtung, oft übersehene Kosten aufzudecken, die eine Maßnahme u.U. in einem anderen Licht erscheinen lassen können. Durch ein Gesetz entstehende Kosten kann die Legislative nämlich schon deshalb nicht ignorieren, da sie als Initiator auch für eine mögliche Verschwendung gesellschaftlicher Ressourcen verantwortlich ist 138 . Für die Bewältigung dieses Problems stellt die normative ökonomische Theorie (nach der hier vertretenen Ansicht nicht bindende) normlegitimierende Argumente zur Verfügung. All das macht die ökonomische Theorie zu einer Methode, deren Ergebnisse „kräftig auf den Gesetzgeber (...) zurückscheinen" 139 können. Damit dieses Licht im Dunkel des Gesetzgebungsprozesses aber nicht für unumsetzbare Programmsätze mißbraucht wird, die nur „zum Schein" wirtschaftstheoretische Erkenntnisse berücksichtigen, wäre eine Intensivierung der realwissenschaftlichen Ausrichtung in der Rechtswissenschaft sicherlich forderlich. So kann verhindert werden, daß eine Bismarck 140 zugeschriebene Aussage wieder mehr und mehr Bedeutung erlangt, nach der gilt: „Beim Wurstmachen und beim Gesetzemachen darf man nicht zuschauen, weil es einem sonst schlecht wird." III. Ökonomische Theorie des Rechts als Instrument der Rechtsprechung Die Anwendbarkeit der ökonomischen Theorie im Rahmen richterlicher Rechtsfindung wurde in Deutschland lange Zeit wenig hinterfragt 141 und mit Blick auf ihr Ursprungsland, die Vereinigten Staaten von Amerika, als zulässig erachtet. Erst in jüngerer Zeit wurde die Kritik an der Verwertbarkeit ökonomischer Argumente durch den Richter lauter 142 . Dabei ist es im besonderen das 137
Ähnlich für die Umsetzung des New Public Management insofern Kettiger in ders., S. 31.
138
So zurecht Ott, FG-Kübler, S. 40. Taupitz, AcP 1996, 114, 116.
139 140 141
Zitiert nach Grimm, ZRP 2000, 87.
So geht das Standard-Lehrbuch von Schäfer/Ott lediglich auf einer Seite (S. 16) rudimentär auf eine Möglichkeit der Implementierung ökonomischer Argumente im Rahmen der Methodik ein. 142 Vor allem Eidenmüller, Effizienz, S. 393 ff. Etwas vorsichtiger aber noch ders. in Breidenbach/Grundmann/Mülbert/Singer, S. 28; äußerst kritisch auch Kohl in Breidenbach/Grundmann/MüIbert/Singer, S. 29 ff.; optimistischer dagegen z.B. Schmidtchen, JbfNÖuStat 1998, 251, 260 tlf.; Ott, FG-Kübler, S. 21 ff.; Fischer, ZfA 2002, 215 ff.; Grundmann, RabelsZ 1997, 423 ff.
III. Ökonomische Theorie des Rechts als Instrument der Rechtsprechung
143
143
Verdienst von Eidenmüller, durch die ausfuhrliche Erörterung der strukturellen Unterschiede zwischen amerikanischem und deutschem Rechtssystem eine Diskussion entfacht zu haben, die auf die Gefahren aufmerksam macht, welche durch unreflektierte Übernahme aus dem anglo-amerikanischen Fallrecht entstehen. Im folgenden soll untersucht werden, inwieweit die dabei kritisch vorgebrachten Argumente die ablehnende Haltung tragen, wenn man wie hier - zum einen die normativen Kriterien der ökonomischen Rechtstheorie nur als bedingte Imperative versteht und zum anderen den positiven Zweig der Theorie nicht aus der Betrachtung ausblendet. Dazu wird zunächst wiederum der Erkenntnisgewinn der ökonomischen Theorie im Rahmen der richterlichen Rechtsfindung dargestellt (1.). Im folgenden werden die rechtlichen und tatsächlichen Probleme, also vor allem die Frage nach der Legitimation der Gerichte zum Gebrauch rechtsökonomischer Argumente und die Probleme bei der Informationsbeschaffung, -Verarbeitung und -beibringung, beleuchtet (2.). Abschließend wird noch die Rolle der ökonomischen Theorie in der aktuellen Rechtsprechung untersucht (3.). 1. Erkenntnisgewinn für die Judikative
durch die ökonomische Theorie
Für die Rechtsprechung eröffnet die ökonomische Rechtstheorie ganz ähnliche Einsichten wie für die Gesetzgebung. Auch für den Richter können sowohl die Berücksichtigung des ökonomischen Verhaltensmodells als auch die positiven neoinstitutionellen Ansätze sowie die normativen Kriterien wichtige Erkenntnisse bzw. Argumentationshilfen liefern. Daß die Gerichte dabei aufgrund von Art. 20 III GG in hohem Maße an die legislativen Vorgaben gebunden sind und damit über einen deutlich geringeren Gestaltungsspielraum verfügen als der Gesetzgeber, spielt für die Frage nach dem möglichen Erkenntnisgewinn durch die ökonomische Theorie noch keine Rolle. Auf die Zulässigkeit der Anwendung ökonomischer Kriterien wird später noch ausführlich zurückzukommen sein 144 . Hier geht es zunächst nur darum festzustellen, welche Einsichten die Rechtsprechung mit Hilfe der ökonomischen Theorie erlangen kann, nicht darum, welche Erkenntnisse von ihr tatsächlich de lege lata verwendet werden können. Zu diesem Zweck wird im folgenden zwischen der Auslegung (a), der Ausgestaltung von Generalklauseln 145 und unbestimmten Rechtsbegriffen (b) und der Rechtsfortbildung (c) unterschieden. Diese Trennung ist weder logisch zwingend noch stets eindeutig abgrenzbar, sondern geschieht allein aus Gründen der Anschaulichkeit. Es ist mittlerweile allgemein anerkannt, daß Auslegung und Lückenfüllung im Rahmen der Rechtsfindung fließend ineinander 143
Eidenmüller, Effizienz, S. 404 ff., 414 ff. Vgl. hierzu D.III.2.a). 145 Zu „Generalklauseln als Gegenstand der Sozialwissenschaften" vgl. den gleichnamigen, von HassemerlHoffman-RiemlWeiss herausgegebenen Band. 144
144
D. Adressat der ökonomischen Theorie des Rechts 146
übergehen . Nicht umsonst wird immer wieder darauf hingewiesen, daß eine erstmalige ebenso wie eine veränderte Auslegung stets auch als Rechtsfortbildung aufgefaßt werden kann. Innerhalb der verschiedenen Formen der Rechtsfindung wird auf die einzelnen Ansätze der ökonomischen Theorie des Rechts eingegangen. a) Ökonomische Theorie des Rechts im Rahmen der teleologischen Auslegung Die teleologische Auslegung, deren dominierende Bedeutung für das Ergebnis der Rechtsfindung unbestritten ist 147 , wird oft als „Krone der Auslegung" 148 bezeichnet. Diametral zu ihrer Relevanz steht jedoch die fehlende Einmütigkeit über ihre Ausgestaltung: So wird der Telos von manchen149 subjektiv, von anderen 150 objektiv ermittelt. Dieser Streit kann hier (noch 151 ) dahinstehen, da es für die Frage nach einem möglichen Erkenntnisgewinn durch die ökonomische Theorie auf die Legitimität der zugrundeliegenden Methode nicht ankommt. Zur Veranschaulichung sollen beide Auslegungsarten an dieser Stelle getrennt betrachtet werden. Daneben wird noch die Folgenorientierung untersucht, die nach verbreiteter Ansicht ebenfalls zur teleologischen Auslegung gehört 152 . aa) Die subjektiv-teleologische Auslegung Die subjektiv-teleologische Auslegung stellt den Willen des Gesetzgebers in den Vordergrund ihrer Betrachtung. Es wird folglich auf den ausdrücklichen Zweck einer Norm zum Zeitpunkt ihrer Entstehung abgestellt, indem z.B. die Materialien und Motive in den Mittelpunkt der Rechtsfindung gerückt werden. Wann immer aber solche gesetzgeberischen Motive bekannt sind, bedarf es für eine Auslegung eines irgendwie gearteten Verhaltensmodells. Ist nämlich wie so oft - der Wortlaut einer Vorschrift nicht eindeutig, sondern läßt mehrere Interpretationsmöglichkeiten zu, dann stellt sich für den Richter die Frage, mit welcher Auslegung er dem Zweck der Norm am besten gerecht werden kann. 146 Larenz, Methodenlehre, S. 367; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 159, 187 f.; Esser, Grundsatz, S. 259; von Arnim/Brink, Methodik, S. 213 ff.; Rhinow, Rechtsetzung, S. 127; Starck, VVDStRL 1976, 43, 70; Sosnitza, JA 2000, 708, 709. 147 So z.B. Larenz, Methodenlehre, S. 316 f.; Canaris, Systemdenken, S. 91; Rehbinder, Einfuhrung, S. 80 ff.; Palandt-Heinrichs, Einl. vor § 1, Rdnr. 38. 148
Vogel, S. 124; Deckert, Folgenorientierung, S. 46. Nach dem „Willen des Gesetzgebers" fragen z.B. Heck, Gesetzesauslegung, S. 56 ff.; ders., AcP 1914 (Heft 112), 1, 59 ff.; Depenheuer, Wortlaut, S. 54 f.; Fischer, ZfA 2002, 215, 231 f.; MüKo-Säcker, Einleitung, Rdnr. 65, 105 f f ; Kohl in Breidenbach/Grundmann/Mülbert/Singer, S. 29 ff.; letztlich auch Eidenmüller, Effizienz, S. 450 ff. 149
150 Den „Willen des Gesetzes" zu ermitteln versuchen z.B. Radbruch, Sauer, Kohler und Binding (vgl. die Nachweise bei Engisch, Einführung, S. 111 und Larenz, Methodenlehre, S. 316). 151
Genauer dazu aber unter D.III.2.a). Vgl. z.B. Koch/Rüßmann, S. 232; Rehbinder, JbfRR 1970, 333, 353; dagegen wollen Kocht Kirchner, Analyse & Kritik 1989, 111, 122 ff. und Deckert, Folgenorientierung, S. 50 f., 233 die teleologische Auslegung von der Folgenberücksichtigung methodisch trennen. 152
III. Ökonomische Theorie des Rechts als Instrument der Rechtsprechung
145
Eine solche Effektivitätsprognose ist aber nur dann möglich, wenn die Verhaltensänderungen der Rechtssubjekte mit hinreichender Genauigkeit antizipiert werden können. Wenn eine empirische Untersuchung, die aufgrund der hypothetischen Fragestellung ohnehin eher wenig verläßliche Ergebnisse erwarten ließe, zu aufwendig ist, kann die Voraussage der Verhaltensänderung entweder mit Alltagstheorien geschehen153 oder aber auf wissenschaftlichen Modellen basieren, denen überprüfbare Hypothesen zugrunde liegen und die so überhaupt erst zu rationaler Kritik befähigen. Sowohl das neoklassische als auch das neoinstitutionelle Verhaltensmodell des homo oeconomicus erlauben dem Richter (je nach Rechtsgebiet qualitativ unterschiedliche) Vorhersagen darüber, wie sich seine Entscheidung auf das Handeln der Rechtsunterworfenen auswirkt. In der aktuellen Rechtsprechung wird zwar oft mit den Wirkungen einer bestimmten Auslegung auf die Handlungen der Rechtsunterworfenen argumentiert, es werden jedoch keine Aussagen über die unterstellten Kausalverläufe gemacht154. Hier kann das ökonomische Verhaltensmodell, gerade in seiner neoinstitutionellen Form, Transparenz schaffen und damit den Diskurs und die Entscheidungsrationalität fordern. Die neoinstitutionellen Ansätze der positiven ökonomischen Theorie bieten dem Richter (wie auch schon der Gesetzgebung) ein Instrumentarium, mit Hilfe dessen ihm ermöglicht wird, verschiedene Rechtsszenarien auf ihre unterschiedliche Anreizsetzung hin zu vergleichen und sämtliche anfallenden Kosten systematisch und umfassend aufzudecken. Von der Rechtsprechung werden die „verdeckten Kosten" (z.B. die Transaktionskosten) zumeist nicht herausgearbeitet und damit in der Argumentation vernachlässigt, obgleich sie das Ergebnis z.B. einer Kosten/Nutzen-Rechnung ins Gegenteil verkehren können. Wann solche Überlegungen subjektiv-teleologisch geboten sind, ist situativ zu entscheiden. So ist der Richter im bereits angesprochenen155 Beispiel der Insolvenzordnung gehalten, der Gesetzgebung in ihrer Ausrichtung anhand der ökonomischen Theorie zu folgen. Die Normen sind nämlich „von neueren, noch stärker marktwirtschaftlich orientierten Strömungen in der Rechtswissenschaft der Vereinigten Staaten von Amerika beeinflußt" 156 . Die offene Formulierung legt aber die Vermutung nahe, daß die ökonomische Theorie nicht nur als normativer Gesetzeszweck in das Gesetz Eingang gefunden hat, sondern auch helfen kann, die Funktion der Normen besser zu verstehen. Insofern ist der Richter hier aus subjektiv-teleologischer Sicht geradezu verpflichtet, zur Erarbeitung des zur Auslegung nötigen Normverständnisses dieselbe Betrachtungsweise einzunehmen wie die Gesetzgebung. Er muß also auch selbst die Überlegungen
153 Kritisch zu diesen insgesamt Heldrich, AcP 1986, 74, 80, 87; Müller, JR 1992, 8 ff.; Wulfhorst in Schul in/Dreher, S. 53; Röhl, Rechtssoziologie, S. 90 ff.; als „Daumenregeln" ablehnend Adams, Jura 1984, 337, 344. Umfassend Bürkle, Richterliche Alltagstheorien, S. 2 ff. (mwN). 154 Skeptisch insofern auch Lehmann, S. 13; Kühler in Ott/Schäfer, S. 304. 155 Vgl. unter D.1I.3. 156 BT-Drucks. 12/2443, S. 106.
10 Jansen
D. Adressat der ökonomischen Theorie des Rechts
146
der positiven ökonomischen Theorie des Rechts anstellen. Gleiches gilt, wie Grundmann 157 am Beispiel des AGBG näher darlegt, auch jenseits der reinen Kosten/Nutzen-Rechnungen z.B. für die Wahrnehmung und Behandlung transaktionshemmender Informationsasymmetrien, deren Verhinderung vom Gesetzgeber als wichtiges Ziel erkannt worden sei. Auch für die normativen Konzepte der ökonomischen Rechtstheorie gibt es im Rahmen der subjektiv-teleologischen Auslegung einen deutlich größeren Anwendungsbereich als oft angenommen wird 1 5 8 . So findet sich - wie bereits angedeutet - im Entwurf 5 9 zum Umwelthaftungsgesetz als ausdrücklicher Normzweck die Herstellung allokativer Effizienz und damit ein Wille, den der Richter berücksichtigen muß. Ob dabei ein wohlfahrtsökonomisches Effizienzkonzept oder aber - was wahrscheinlicher erscheint - lediglich Effizienz i.S.v. Wirtschaftlichkeit gemeint ist, bleibt nach dem Entwurf offen und eröffnet dem Richter insofern Auslegungsfreiräume. Auch im Falle der bereits erwähnten Insolvenzordnung muß man nach Lektüre des Gesetzesentwurfs davon ausgehen, daß die ökonomische Theorie nicht nur Mittel zur Erklärung von Kausalzusammenhängen ist, sondern auch den Zweck des Gesetzes zumindest mitprägt. Insoweit bleiben die Effizienzkriterien nicht zu vernachlässigende Auslegungskriterien. Selbst der ökonomische Konsens, der in Wirklichkeit kein Konsens, sondern lediglich eine Zustimmung der Mehrheit ist 160 , kann als normatives Kriterium für das Gericht bei der Auslegung bedeutsam sein 161 , solange es nicht um symbolische oder gar explizit gegen bestimmte soziale Entwicklungen ansteuernde Gesetze geht. Dadurch nämlich, daß der Gesetzgeber sich selbst die Pflicht auferlegt hat, die „Akzeptanz und Wirksamkeit von Recht" 162 zu erhöhen, erhält bei fehlender Eindeutigkeit des Wortlauts auch das Konsensargument im Rahmen der Auslegung normatives Gewicht. Aufgrund der Allgemeinheit dieser legislativen Selbstverpflichtung gilt das selbst dann, wenn der Gesetzgeber im Rahmen des Rechtsetzungsprozesses nicht noch einmal explizit auf die Bedeutung der Akzeptanz hinweist. Regelmäßig dürfte also der gesellschaftliche Konsens zwar nur ein Nebenzweck sein, im Rahmen der Auslegung aber dennoch Berücksichtigung finden können. Insgesamt jedoch zeigt sich, daß alle Zweige der ökonomischen Theorie des Rechts im Rahmen der subjektiv-teleologischen Auslegung, die den Willen des Gesetzgebers in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung stellt, ihren Platz haben163. 157 158 159 160
Grundmann, RabelsZ 1997, 432, 437 ff. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 26; dagegen Eidenmüller, Effizienz, S. 452. BT-Drucks. 11/6454, S. 13. Dazu bereits ausführlich unter C.II.2.
161 Zurecht weist aber z.B. Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 18 daraufhin, daß der Richter nicht an einen gesellschaftlichen Konsens gebunden ist. Zur Bedeutung der Akzeptanz und damit der Zustimmung zu Urteilen allgemein Würtenberger in H o f Schulte, S. 210 ff. 162 Vgl. Bundesministerium des Innern, Leitfaden, S. 5; dass., Moderner Staat, S. 5. 163 Ähnlich auch Grundmann, RabelsZ 1997,432, 440,452 f.
III. Ökonomische Theorie des Rechts als Instrument der Rechtsprechung
147
Besonders, aber nicht nur dann, wenn Gesetze auf „volkswirtschaftlichen Erwägungen" 164 beruhen, kann die ökonomische Theorie des Rechts das Verständnis für die jeweilige Norm verbessern und damit die hinter der Norm stehenden Interessen herauszuarbeiten helfen. bb) Die objektiv-teleologische Auslegung Bei der objektiv-teleologischen Auslegung steht nicht der historische Wille des Gesetzgebers, sondern vielmehr der „geltungszeitliche" normative Sinn des Gesetzes165 im Vordergrund. Es werden also von der Judikative innerhalb der Wortsinngrenze Schlüsse auf die aufgrund gewandelter Lebensverhältnisse vom Gesetzgeber nicht bedachten Wertungen gezogen, wodurch die teleologische Auslegung zur „Einbruchsteile für rationale Argumente jeder Art" 1 6 6 werden kann. Innerhalb der objektiv-teleologischen Auslegung unterscheidet sich der Erkenntniswert der ökonomischen Theorie nicht von dem der subjektivteleologischen167. Allein der Grund für die Einbeziehung der jeweiligen Wertungen und Interessen ist ein anderer, nämlich nicht-historischer. Insofern kann für die Frage nach dem qualitativen Erkenntniswert der ökonomischen Theorie grundsätzlich auf die Ausführungen zur subjektivteleologischen Auslegung verwiesen werden. Eine Erweiterung ergibt sich allerdings in quantitativer Hinsicht: Dadurch, daß sich gerade im Laufe der letzten Jahre ein zunehmendes Bewußtsein für den sparsamen Umgang mit knappen Ressourcen 168 als ernstzunehmendes gesamtgesellschaftliches Problem herausgebildet hat, kommt gerade den Bereichen der ökonomischen Theorie, die sich mit Kosten- und Effizienzüberlegungen beschäftigen, im Rahmen der objektiv-teleologischen Auslegung wachsende Bedeutung zu. Ähnliches gilt aufgrund der in jüngerer Zeit geforderten Erhöhung der Akzeptanz 169 auch für konsensuale Überlegungen.
164 Dagegen meint Windscheid in Oertmann, S. 112 über diese, es seien „Erwägungen, welche nicht Sache des Juristen als solchen sind". 165 So Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 428; ähnlich Larenz, Methodenlehre, S. 316 ff. 166 Schwintowski, JA 1992, 102, 104. 167 Heldrich, AcP 1986, 74, 108 betont sogar gerade für die objektiv-teleologische Auslegung die Bedeutung der Rechtstatsachenforschung, welche auch durch die ökonomische Theorie unterstützt werden kann. 168 Ein Indiz dafür ist z.B. die angesprochene, immer umfassender werdende Kosten/NutzenAnalyse im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung, vgl. u.a. § 44 GGO. Esser/Schmidt, S. 42 f. meinen sogar, daß seit jeher hinter schuldrechtlichen Figuren wirtschaftliche Überlegungen zu finden seien. 169 Vgl. zur selbst auferlegten Vorgabe des Gesetzgebers oben D.III.l.a)aa).
10*
D. Adressat der ökonomischen Theorie des Rechts
148
cc) Folgenorientierung Äußerst umstritten ist die sogenannte „Folgenberücksichtigung" 170 durch die Rechtsprechung. Sie wird entweder als Teil der teleologischen Auslegung 171 oder aber als eigene Auslegungsmethode172 verstanden. Mit Hilfe der Folgenberücksichtigung sollen sämtliche generalisierbaren und empirisch erfaßbaren Realfolgen aufgedeckt und bewertet werden. Damit nicht zu verwechseln ist die Berücksichtigung von Individualfolgen, die selbstverständlich für den Richter bei der Urteilsfindung keine Rolle spielen dürfen 173 . Läßt man die Folgenberücksichtigung für die richterliche Normauslegung zu, führt zur Bestimmung der Folgen an einem realwissenschaftlichen Verhaltensmodell kein Weg vorbei. Nur mit Hilfe eines solchen Modells ist es überhaupt möglich, Vorhersagen über zukünftige Entwicklungen und Reaktionen der Menschen zu machen. Dazu bietet sich das Modell vom homo oeconomicus deshalb für die Analyse an, weil es unter den bekannten Verhaltensmodellen trotz aller Einwände - als das prognosesicherste gilt 1 7 4 . Weiter besteht wohl Einigkeit darüber, daß eine der wichtigsten Aufgaben einer die Folgen berücksichtigenden Rechtsprechung über eine reine Verhaltensprognose hinaus die Aufdeckung sämtlicher Kosten des jeweiligen Gerichtsurteils sein muß 175 ; insofern kommen an dieser Stelle die neoinstitutionellen Ansätze der ökonomischen Rechtstheorie zur Geltung. Zuletzt bieten auch die normativen Effizienzkriterien und das Konsensprinzip im Zusammenhang mit der Folgenorientierung Argumente für oder gegen eine bestimmte Auslegungsvariante. b) Ökonomische Theorie des Rechts im Rahmen von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen Über eine reine Effektivitätsprognose verschiedener Auslegungsvarianten hinaus kann das ökonomische Verhaltensmodell auch zur Konkretisierung von ausfullungsbedürftigen Maßstäben, also von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen, verwendet werden. Es vermag dann - im Vergleich zu den momentanen Konkretisierungsversuchen der Judikative - die Transparenz zu erhöhen, wenngleich sich in der Sache keine wesentlichen Neuerungen 170 Umfassend die Monographien von Lübbe-Wolf/\ Rechtsfolgen, sowie Decken, Folgenorientierung und Coles. Daneben auch Koch!Rüßmann, S. 227 ff., 232; Rüßmann, JuS 1975, 352, 357 f.; Sendler, FS-Simon, S. 132 ff.; Kocht Kirchner, Analyse & Kritik 1989, 111 ff.; Rottleuthner, ARSP Beiheft 1980, 97 ff.; Teubner, RT 1975, 179 ff. Kritisch dagegen Luhmann, Rechtssystem, S. 48; ders., Soziologische Beobachtung, S. 28 ff. (mwN). 171 172
Vergleiche dazu KochtRüßmann, S. 232; Rehbinder, JbfRR 1970, 333, 353.
Decken, Folgenorientierung, S. 233. Kocht Kirchner, Analyse & Kritik 1989, 111, 122 ff. Zu den Abgrenzungsschwierigkeiten z.B. Sendler, FS-Simon, S. 132 ff. (mwN). 173 Gerade das aber ist die insofern fehlgehende Kritik von Pawlowski, Einführung, Rdnr. 124. Dagegen jedoch ausdrücklich Sendler, FS-Simon, S. 142 f., Fn. 117. Ähnlich Sambuc, S. 101 f. 174 Vgl. dazu die Ausführungen bei D.II. 1 .a). 175 Decken, Folgenorientierung, S. 99, 114; Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 25 f.
III. Ökonomische Theorie des Rechts als Instrument der Rechtsprechung
149
ergeben. Von der aktuellen Rechtsprechung werden nämlich unterschiedliche Formeln wie z.B. der „verständige Mensch" 176 oder gar der „verständige, wirtschaftlich denkende Mensch" 177 bemüht. Dabei werden jedoch sowohl die diesen „Menschen" zugrunde gelegten Eigenschaften als auch die Kausalketten ihres Verhaltens verschwiegen, obgleich beide oft in hohem Maße denen des homo oeconomicus ähneln. Auch sie unterstellen nämlich rationales Verhalten auf Grundlage bestimmter, vorher festgelegter (jedoch allenfalls sporadisch dargestellter) Präferenzen durch die Individuen. Diese lediglich rudimentäre Aufzählung der Präferenzen führt zu einem aus rechtsstaatlicher Sicht unerfreulichen Freiheitsgrad bei der Gewinnung von Ergebnissen. Von den Gerichten wird oft mit einer gewissen Evidenz argumentiert, daß z.B. ein „durchschnittlicher Verbraucher" ein bestimmtes Verhaltensmuster zeige. Worauf diese Vermutung basiert, wird nicht erkennbar. Auf diese Weise gewonnene Erkenntnisse sind damit weit weniger nachvollziehbar, als wenn man im Stile des ökonomischen Verhaltensmodells zunächst die Präferenzen der Individuen - sei es durch empirische Beobachtung oder, wenn nicht anders möglich, durch Schätzungen bestimmt, um daraus Handlungen auf Basis der Rationalitätsannahme abzuleiten. Ein solches Vorgehen zwingt nämlich zur Aufdeckung sämtlicher der Entscheidung zugrundeliegender Wertungen und verhindert zumindest, daß sozialwissenschaftlich nicht fundierte Prämissen und Kausalketten unreflektiert in die Rechtsfindung eingehen. Der Unterschied bei der Anwendung des ökonomischen Verhaltensmodells im Vergleich zum momentan in der Gerichtspraxis geläufigen Vorgehen wäre also weniger inhaltlicher Natur als vielmehr eine stärkere Disziplinierung des Richters, um die Rechtsunterworfenen vor Willkür bei der Feststellung vermeintlicher Kausalketten zu schützen. Ein Beispiel dafür, daß die Rechtsprechung ein dem homo oeconomicus sehr ähnliches Denken unterstellt, ist § 157 BGB 1 7 8 . Bei der Frage nach dem für die ergänzende Vertragsauslegung relevanten „hypothetischen Parteiwillen" 179 wird nach herrschender Ansicht auf die Wertungen der Beteiligten abgestellt, also ein individueller und nicht etwa ein generalisierender Maßstab angelegt180. Auf Grundlage dieser subjektiven individuellen Präferenzen wird dann objektiv bestimmt, was die Parteien vernünftigerweise vereinbart hätten 181 . Eine solche 176
RGZ 149, 6, 7; BGHZ 9, 316, 318; BGHZ 74, 25, 28. BGHZ 54, 82, 85; BGHZ 61, 346, 349. 178 A.A. Eidenmüller, Effizienz, S. 456 ff., da dieser einerseits das objektive (zweite) Element des hypothetischen Parteiwillens unterschätzt, andererseits vom neoklassischen homo oeconomicus ausgehend dessen Präferenzen auf lediglich monetäre Vorteilsuche begrenzt und somit das Verhaltensmodell mit einer rein „effizienzorientierten Auslegung des § 157" (S. 457) gleichsetzt. 179 BGHZ 7, 231, 235; BGHZ 9, 273, 278; BGHZ 90, 69, 77; BGH NJW 1995, 1212, 1213; BGH NJW 2002, 2310,2311. 180 MüKo-Mayer-Maly/Busche, §157, Rdnr. 38 f.; Pa\>i?r, Art. 20, Rdnr. 41.
Eidenmüller, Effizienz, S. 426; Bydlinski, AcP 1988, 447,466 ff. Vgl. hierzu z.B. Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 325; Schmidt-Bleibtreu/KleinBrockmeyer, Art. 20, Rdnr. 37; Schnapp in von Milnch/Kunig, Art. 20, Rdnr. 30; Dreier-SchulzeFielitz, Art. 20 R, Rdnr. 43, 134 ff. 462 Eidenmüller, JZ 1999, 53, 57; Kühler, FS-Steindorff, S. 698. 461
13*
D. Adressat der ökonomischen Theorie des Rechts
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gebotene Verhalten geben können 463 , ist komparativ zu beantworten. Es stellt sich nämlich die Frage, ob die momentane Konkretisierung von nicht eindeutigen Gesetzen eine bessere Vorhersehbarkeit garantiert 464. Dies dürfte regelmäßig zu verneinen sein, da mit Hilfe der ökonomischen Theorie lediglich die Normen auf eine rationale Basis gestellt werden sollen, die ohnehin keine eindeutige Rechtsfolge anordnen. Der dabei bestehende Freiheitsgrad kann also ex ante vom Rechtssubjekt auch nach dem bisherigen richterlichen Vorgehen nicht ohne weiteres bestimmt werden. Mehr noch kann der Rechtsunterworfene bei der ökonomischen Theorie zumindest noch eine mehr oder weniger genaue Schätzung vornehmen, während er sich ansonsten - erinnert sei hier nur an die Rechtsprechung zur „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" des § 276 II BGB einer nahezu unüberschaubaren Kasuistik gegenübersieht. Insofern vermag die Berücksichtigung ökonomischer Argumente im Recht das Problem fehlender Rechtssicherheit aufgrund ex ante nicht vollständig bekannter Informationen nicht zu lösen, stellt aber im Vergleich zur reinen Kasuistik immer noch eine verbesserte Antizipationsgrundlage zu Verfügung. Die Frage nach dem „ob" der Berücksichtigung ökonomischer Argumente im Recht stellt sich weniger bei der frühen ökonomischen Analyse Posners, in der Effizienz als alleinige und stets anzuwendende Maxime galt. Sie tritt aber dann auf, wenn - wie hier - Effizienz als ein Rechts/?n>?z7/? verstanden wird, welches in den verschiedenen Rechtsbereichen mit anderen Prinzipien in Ausgleich gebracht werden muß oder auch ganz überlagert werden kann. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß der Freiheitsgrad des Richters mit steigender Anzahl an Rechtsprinzipien zunimmt. Jedes hinzukommende Rechtsprinzip erfordert vom Richter eine komplizierter werdende Austarierung verschiedener Werte, wodurch die Vorhersehbarkeit der Entscheidung abnimmt. Unter Rechtssicherheitsaspekten wäre es also sinnvoll, Recht völlig ohne Berücksichtigung von Prinzipien und allein am Buchstaben des Gesetzes zu entwickeln. Daß ein solches Vorgehen zum Scheitern verurteilt und mit dem heutigen Rechtsverständnis nicht vereinbar ist, wurde bereits erläutert. Zudem widerspräche es der Tatsache, daß Rechtssicherheit selbst nur ein aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitetes Prinzip ist 465 , welches mit anderen Gerechtigkeitsvorstellungen in Einklang gebracht werden muß. Die Vielzahl der existierenden Rechtsprinzipien führt bereits heute dazu, daß der Ausgang eines Prozesses nicht mehr mit Sicherheit vorhergesagt werden kann 466 . Dies ist der Preis, der in einer lückenhaften Rechtsordnung für ein möglichst großes Maß an 463
Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 163 ff. weist insofern auf die subjektiven Abweichungen bei der Bestimmung z.B. von Wahrscheinlichkeiten hin, die dem Einzelnen eindeutige Überlegungen über das gebotene Verhalten unmöglich machen würden. 464
So auch Kubier, FS-Steindorff, S. 696 f. BVerfGE 2, 380, 403; BVerfGE 3, 225, 237; BVerfGE 20, 323,330; BVerfGE 25, 269, 290; BVerfGE 60, 253, 268 f. Umfassend Isensee/Kirchhof-Schmidt-Aßmann, § 24, Rdnr. 81 ff. 465
466
Sendler, FS-Simon, S. 143 spricht insofern von unpräzisen „Schaukel institute(n)".
III. Ökonomische Theorie des Rechts als Instrument der Rechtsprechung
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materieller (Einzelfall-)Gerechtigkeit zu zahlen bleibt. Zudem ist zu berücksichtigen, daß - wie gezeigt wurde - die ökonomische Rechtstheorie keine gesetzgeberischen Entscheidungen konterkarieren darf, sondern vielmehr lediglich in den Bereichen, in denen das Recht keine eindeutige Entscheidung trifft, die Rechtsfindung auf eine umfassendere rationale Basis stellen soll. Insofern besteht Rechtssicherheit in diesen Bereichen ohnehin erst aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung. Auch bei der Verwendung ökonomischer Argumente ist aber zu erwarten, daß sich für die verschiedenen Problemkonstellationen Fallgruppen entwickeln, die die Vorhersehbarkeit von Urteilen garantieren. Zuletzt erlangt das Problem der Rechtssicherheit noch unter einem anderen Aspekt Bedeutung: Die Individuen werden typischerweise auf die aktuelle Gesetzesauslegung vertrauen und im Falle einer Rechtsprechungsänderung mit erheblichen finanziellen Konsequenzen belastet. Aber auch diese Schwierigkeit ist nicht neu, sondern jeder Rechtsprechungsänderung immanent. Trotzdem sind solche Änderungen immer wieder zu beobachten, um der „Diskrepanz zwischen der Statik des legislativen Aktes und der Dynamik der Weiterentwicklung der für die Norm relevanten Rahmenbedingungen"467 entgegenzuwirken. Es ist zwar richtig, daß in grundlegenden und weitreichenden Entscheidungen ein gesetzgeberisches Tätigwerden dem richterlichen vorzuziehen wäre; dies um so mehr, als Änderungen der Rechtsprechung anders als Änderungen von Gesetzen eine „ex tunc"-Wirkung haben468. Bedenkt man diesbezüglich aber, daß sich durch das Gesetzgebungsverfahren allein die benötigten Neuregelungen und Normanpassungen gar nicht mehr bewerkstelligen lassen469, spricht der Aspekt der Rechtssicherheit nicht grundsätzlich gegen eine Rechtsprechungsänderung durch die Gerichte 470 , sondern ist lediglich im Rahmen der Abwägung der Rechtsprinzipien in gebührendem Maße zu berücksichtigen. f) Fehlende Initiativmöglichkeit Auch für die Judikative selbst stellt indes die Anpassung und Korrektur von Entscheidungen ein nicht unerhebliches Problem dar. Immer wieder wird darauf hingewiesen, der Richter sei mangels Initiativmöglichkeiten regelmäßig nicht in der Lage, aus eigenem Antrieb ein Präjudiz zu ändern. In der Tat kann der Richter, anders als der Gesetzgeber, seine Rechtspraxis nur ändern, wenn er mit
467 468 469 470
Kirchner in HoffSchulte, S. 34. Vgl. dazu Rehbinder, JuS 1991, 542 f. So Kubier, JZ 1969, 645, 647; ders., DRiZ 1969, 379, 382 f.
Zumal der Gesetzgeber auch über die Konkretisierung von unbestimmten Rechtsbegriffen hinaus wichtige rechtliche Entscheidungen an „Wissenschaft und Praxis" delegiert, die an der Sache „näher dran" sind. Vgl. dazu aus der jüngeren Vergangenheit nur BT-Drucks. 14/8780, S. 18; umfassend auch Jakobs, Wissenschaft und Gesetzgebung, S. 128 ff.
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D. Adressat der ökonomischen Theorie des Rechts
der entsprechenden Frage erneut konfrontiert wird 4 7 1 . Dieser Einwand wird in den Fällen zu einem besonderen Problem, in denen sich herausstellt, daß eine judikative Effizienzbetrachtung eine suboptimale Allokation fördert und insofern ihrer eigenen Zielsetzung zuwider läuft; daraus könnte möglicherweise eine dauerhafte Zementierung eines ineffizienten Zustandes resultieren, aufgrund derer nachhaltige Effizienzverluste zu befürchten wären. Gegen eine Überbewertung dieses sicherlich nicht zu verleugnenden Problems sprechen aber eine Vielzahl von Argumenten: Zunächst ist zu berücksichtigen, daß auch bei der judikativen Verfolgung anderer Rechtsprinzipien Fehleinschätzungen der Gerichte zu einer suboptimalen Verwirklichung des jeweiligen Rechtsgedankens führen können. Solche Fehler sind also dem Prinzipiendenken und Abwägen durch den Richter geradezu immanent. Dennoch sind diese Methoden der Rechtsfindung aus der Praxis nicht wegzudenken. Zweitens ist die Frage zu stellen, ob man eine generelle Gleichgültigkeit gegenüber Effizienzfragen damit begründen kann, daß u.U. durch bestimmte Fehlentscheidungen partielle Effizienzverluste zu befürchten sind. Die Bedeutung dieser partiellen Effizienzverluste ist insbesondere dann nicht überzubewerten, wenn Effizienz im Gegensatz zur ökonomischen Analyse im frühen Posner-Stil nicht als das alleinige, sondern - wie hier - als ein Entscheidungskriterium angesehen wird. Dann nämlich führen allokativ suboptimale Entscheidungen nicht dazu, daß das jeweilige Urteil völlig ad absurdum gefuhrt wird, sondern lediglich teilweise seine Steuerungsfunktion verfehlt. Zudem ist drittens festzuhalten, daß mit steigender grundsätzlicher Bedeutung und steigendem Streitwert eines Rechtsproblems auch die Bereitschaft der Rechtsunterworfenen zunimmt, dieses gerichtlich klären zu lassen. Insofern kann man davon ausgehen, daß die Gerichte in den meisten Fällen zumindest dann regelmäßig mit den streitigen Fragen befaßt sein werden, wenn tatsächlich bedeutende negative Effizienzwirkungen von einem Urteil ausgehen sollten. Dauerhafte Effizienzverluste dürften also zumeist lediglich in solchen Bereichen zu befurchten sein, in denen sie ohnehin nur eine untergeordnete Bedeutung haben. Sollten aber dennoch einmal größere Effizienzverluste nicht erneut vor Gericht verhandelt werden, da z.B. die Nachteile sich derart auf die Rechtssubjekte verteilen, daß sich eine Prozeßführung für den einzelnen nicht lohnt, in der Masse aber erhebliche wirtschaftliche Nachteile resultieren, dann kann immer noch der Gesetzgeber korrigierend tätig werden. Das darf zwar insofern nicht zum Regelfall werden, als der Gesetzgeber durch die richterliche Rechts(fort)bildung gerade entlastet werden soll 472 , kann aber damit begründet werden, daß der richterliche Fehler überhaupt nur durch ungenaue gesetzgeberische Vorgaben veranlaßt wurde. Ohnehin dürfte dieser Weg nur ein seltener Ausnahmefall bleiben. Die Rechtspraxis zeigt nämlich, daß es im allgemeinen 471 Für die ökonomische Analyse v.a. Eidenmüller, Effizienz, S. 434 f f Zum Richterrecht bzw. zu den Präjudizien allgemein Heldrich, JbfRR 1972, 305, 337 f.; Rhinow, S. 192. 472 So wie erwähnt Kubier, JZ 1969, 645, 647; ders., DRiZ 1969, 379, 382 f.
III. Ökonomische Theorie des Rechts als Instrument der Rechtsprechung
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an Prozessen nicht mangelt. Davon scheint auch der Gesetzgeber auszugehen, der zuweilen selbst ausdrücklich die genaue Ausgestaltung einer Rechtsfigur an die Rechtsprechung und Wissenschaft delegiert, damit diese als problemnähere Instanzen sukzessive eine sachgerechte Lösung entwickeln können 473 . Obwohl also das Problem der fehlenden richterlichen Initiativmöglichkeit nicht völlig von der Hand gewiesen werden kann, spricht es gleichwohl nicht generell gegen die Berücksichtigung ökonomischer Argumente im Recht. g) Abkehr von den Wertvorstellungen des Rechts Schließlich wird gegen eine Anwendung der ökonomischen Theorie im Recht immer wieder vorgebracht, auf diese Weise würden wirtschaftliche Wertvorstellungen unzulässig über das traditionelle juristische Denken gestellt 474 . Mag dieser Vorwurf für die ursprünglich von Posner vertretene, monokausal den Grundsatz größtmöglicher Effizienz in den Vordergrund drängende, ökonomische Analyse richtig sein, so trifft er auf das hier vertretene Verständnis der Berücksichtigung ökonomischer Argumente im Recht nicht zu. Es sollte vielmehr in den vergangenen Kapiteln deutlich geworden sein, daß Effizienz dem geltenden Recht gerade nicht fremd ist, sondern vielmehr - nicht zuletzt aufgrund der jüngeren Entwicklung - zu einem Grundsatz herangereift ist, der den Begriff „Rechtsprinzip" für sich in Anspruch nehmen kann. Durch die Charakterisierung als Rechtsprinzip wird zugleich deutlich, daß andere Werte des Rechts nicht verdrängt werden können oder sollen, sondern vielmehr mit Effizienzgesichtspunkten im Wege praktischer Konkordanz in Einklang zu bringen sind. So verstanden fügt sich die ökonomische Theorie des Rechts auch in die geltende Methodik ein und erhebt keinesfalls den Anspruch, eindeutige Normen korrigieren zu können 475 . h) Ergebnis Im Ergebnis bleibt an dieser Stelle festzuhalten, daß die gegen die ökonomische Theorie vorgebrachten Einwände ihre judikative Anwendung nicht ausschließen. Rechtlich besteht de lege lata kein unüberwindbares Hindernis zur Berücksichtigung ökonomischer Argumente durch den Richter. So ist er zum einen vom geltenden Recht in den genannten Grenzen legitimiert, 473 Dieses Vorgehen findet sich bereits in den Motiven zum BGB, vgl. Motive zum dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. III, S. 332. Unlängst wieder in BT-Drucks. 14/8780, S. 18. Hieran zeigt sich, daß die vermeintlich fehlende abstrakte Regelungsbreite des Urteils (so Eidenmüller, Effizienz, S. 434) als Argument gegen die ökonomische Theorie auch fir diese eingebracht werden kann. Es ist oft von Vorteil, daß die Rechtsprechung einen Regelungskomplex nicht in toto zu bewältigen hat, sondern durch immer neue Urteile ein Problem sukzessive und mosaikartig lösen kann. Vgl. dazu auch Hergenröder, S. 361; Walz in ders., S. 27 f.; Wank, ZGR 1988,314, 373; Deckert, Folgenorientierung, S. 220; Ott, FG-Kübler, S. 36 f., 43. 474 475
Fezer, JuS 1986, 817. 823; Horn, AcP 1976, 307, 312 f.; Röhl, GS-Wenz, S. 58. Dazu auch Kühler., FS-Steindorff, S. 697 f.
200
D. Adressat der ökonomischen Theorie des Rechts
solche Argumente bei der Rechtsfindung zu berücksichtigen. Zum anderen spricht auch das Prozeßrecht nicht gegen eine ökonomisch motivierte Entscheidungsfindung. Zuletzt widerspricht eine auf einen Absolutheitsanspruch verzichtende ökonomische Theorie auch nicht den sonstigen Wertvorstellungen des Rechts, sondern ist mit diesen in Einklang zu bringen. Als gravierender stellen sich dagegen die tatsächlichen Probleme dar. So ist zu berücksichtigen, daß die für eine ökonomische Betrachtung nötigen Informationen teils schwer zu erlangen, teils nicht exakt sein werden. In jedem Fall aber ist ihre Beschaffung mit Kosten und Prozeßverzögerungen verbunden. Diese können je nach Materie und ökonomischer Kompetenz des Richters unterschiedlich hoch sein. Der Richter steht insofern vor dem Dilemma, daß er Ressourcen für die Beschaffung von Informationen verwendet, von denen er im voraus gar nicht weiß, ob sie seine Entscheidung in irgendeiner Weise beeinflussen werden 476 . Dies ist jedoch für den Richter insofern kein unbekanntes Problem, als auch die Hinzuziehung weiterer juristischer Literatur (oder Sachverständiger gemäß § 144 I ZPO) bei der Urteilsfmdung Kosten und Zeitverluste verursacht, den Urteilsspruch oft jedoch im Ergebnis nicht verändert. In der Praxis bemüht der Richter sie aber dennoch, um sich der Rationalität seiner Entscheidung zu versichern. Insgesamt führen die tatsächlichen Probleme der ökonomischen Theorie in Verbindung mit der Qualifizierung von Effizienz als Rechtsprinzip dazu, daß für den Richter keine Verpflichtung bestehen kann, eine ökonomische Betrachtung anzustellen. Er muß vielmehr im voraus überlegen, ob unter Berücksichtigung der dem zu entscheidenden Streit zugrundliegenden Interessenlage von einer solchen Betrachtungsweise Erkenntnisgewinne zu erwarten sind. Dies wird um so eher der Fall sein, je grundlegender und wirtschaftlich bedeutsamer der von ihm zu entscheidende Sachverhalt ist, typischerweise also vor allem bei den Obergerichten 477. Dabei darf er in keinem Fall die Grenzen der gängigen Methodik sprengen. Soziologische Jurisprudenz heißt nicht, die Dogmatik durch rechtstatsächliche Gegebenheiten zu ersetzen, sondern lediglich, sie um diese zu ergänzen 478. Unabhängig davon nämlich, wie lauter der Richter ist, bedarf seine Entscheidung stets einer juristischen Methode 479 . Rechtsmethodik und ökonomische Theorie sind dann durchaus miteinander vereinbar.
476 Auch dahin ist wohl der Hinweis von Taupitz, AcP 1996, 114, 165 zu verstehen, nach dem die ökonomische Analyse selbst einmal ökonomisch zu analysieren wäre. 477 Schmidt-Bleibtreu/Klein-£rocfoweyer, Art. 20, Rdnr. 41 weist daraufhin, daß es wegen der Präjudizwirkung ohnehin in der Natur v.a. der Obergerichte läge, den Blick auch auf das Allgemeine zu richten. 478 Heldrich, AcP 1986, 74, 101 ff.; Rehbinder, JbfRR 1970, 333, 339, 347; ähnlich auch Engel in ders., S. 26 f.; speziell zur Folgenorientierung Sendler, FS-Simon, S. 146. 479 Röhl, Rechtssoziologie, S. 46; Sendler, FS-Simon, S. 143 f., 146, der von der Dogmatik als einer unentbehrlichen „'Lebenslüge 4 der Juristen" spricht.
III. Ökonomische Theorie des Rechts als Instrument der Rechtsprechung
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3. Reichweite der Nutzung der ökonomischen Theorie durch die Judikative Nachdem aufgezeigt wurde, in welchem Umfang die ökonomische Theorie im Recht de lege lata Berücksichtigung finden kann, soll noch kurz darauf eingegangen werden, inwieweit von diesen Möglichkeiten durch die Rechtsprechung bisher tatsächlich Gebrauch gemacht wird. Über die Frage nach dem Umfang der Nutzung der ökonomischen Theorie in der Praxis herrscht nämlich eine bemerkenswerte Uneinigkeit: So wird von den Befürwortern der ökonomischen Rechtstheorie behauptet, daß „die gängige Gerichtspraxis faktisch der Effizienzethik entspricht" 480 . Die Gegner der Theorie bringen dagegen vor, es existiere »kein einziges Urteil eines obersten Bundesgerichts, in dem explizit auf die Methoden und Ableitungen der ökonomischen Analyse zurückgegriffen wird" 4 8 1 . Beide Ansichten stellen für sich betrachtet nur eine Teilwahrheit dar. So ist einerseits zu berücksichtigen, daß nicht jeder juristische Gedanke, der sich in die Kategorien der ökonomischen Rechtstheorie übersetzen läßt, auch tatsächlich ein ökonomisches Argument ist. Um die Reichweite der Nutzung der ökonomischen Theorie festzustellen, kommt es nämlich nicht darauf an, ob ein Ergebnis objektiv mehr oder weniger zufällig der Effizienzlogik folgt. Die Nutzung der ökonomischen Theorie ist vielmehr ein bewußter Prozeß. Dazu ist es notwendig, daß auch der subjektive Wille des Richters dahin geht, sein Urteil mit volkswirtschaftlichen Argumenten zu begründen 482. Andererseits bedarf es zur Anwendung der Grundgedanken der ökonomischen Theorie nicht des Gebrauchs ihrer exakten Terminologie 483 : Wenn nicht einmal der Gesetzgeber die genauen Begrifflichkeiten verwendet, obwohl er einer Norm ausdrücklich das Gedankengut der ökonomischen Theorie zugrunde legt 484 , wird man vom Richter kaum erwarten können, daß er diesen Schritt vornimmt. Dies um so weniger, als die Vorbehalte gegenüber der ökonomischen Rechtstheorie in der juristischen Literatur noch so groß sind, daß eine ausdrückliche Verwendung der wirtschaftlichen Terminologie und Argumente die Gefahr einer unerwünschten Kritik am jeweiligen Urteil deutlich erhöhen würde. Auch deshalb werden diese Argumente oftmals in anderem Gewand präsentiert, was die Transparenz und damit letztlich auch die Akzeptanz reduziert. Trotzdem lassen sich einige Urteile finden, in denen sehr wohl bewußt mit gesamtwirtschaftlichen Kategorien und mit Effizienz argumentiert wird, wenn auch Begriffe wie „Transaktionskosten", „Kaldor-Hicks-Effizienz" o.a. fehlen. Dabei ist zwischen 480
Z.B. Schäfer, KritV 1992, 374,379. Eidenmüller, Effizienz, S. 425 (Hervorhebung im Original); Deckert in Hof/Schulte, S. 178; Kirchner, IRLE 1991, 277; Markesinis/von Bar, S. 30 f., die sie aber für zulässig erachten (S. 18 f.). 482 Insofern fordert Eidenmüller, Effizienz, S. 472 ff., für die Beantwortung der Reichweite der ökonomischen Rechtstheorie zurecht eine „subjektive Übereinstimmung". 483 So aber Eidenmüller, Effizienz, S. 425, Fn. 35, wenngleich er diese Forderung auf S. 473 teilweise zurücknimmt, indem er der fehlenden Terminologie nur indiziellen Charakter zumißt. 484 Vgl. hierzu die in D.II.3. bzw. D.III.l.a)aa) dargestellten Materialen zur Insolvenzordnung. 481
202
D. Adressat der ökonomischen Theorie des Rechts
den eher formalen, mit mathematischer Genauigkeit arbeitenden, und den verbalen Argumentationen zu unterscheiden. Beispiele für formalere ökonomische Effizienzbetrachtungen finden sich in der deutschen Rechtsprechung in der Tat wohl nicht. Einen Ansatz für eine Kosten/Nutzen-Betrachtung bildet der sogenannte „Eishockeyfall" des Bundesgerichtshofs 485, in dem eine Frau durch einen über die Spielfeldbegrenzung hinausgeschleuderten Hartgummi-Puck verletzt wurde. Es stellte sich daher u.a. die Frage, ob der Veranstalter des Eishockeyspiels eine höhere Plexiglasbande zum Schutz der Zuschauer hätte installieren müssen. Hier argumentiert der BGH - ganz im Stile einer formal-ökonomischen Betrachtung mit den Kosten einer solchen Bande (110.000-150.000 DM) und den Schadenseintrittswahrscheinlichkeiten mit einer solchen Spielfeldbegrenzung („ein- bis zweimal in 1000 Spielen") und ohne eine solche („sehr viel häufiger") 486 . Er vergleicht diese Größen aber letztlich - anders als die ökonomische Theorie es täte - nicht mit den Kosten durch entstehende Verletzungen, sondern scheut die Bezifferung der immateriellen Schäden. Dadurch bleibt die ökonomische Betrachtung letztlich auf der Strecke und die vom Gericht angeführten Daten ohne weitere Aussage. Man mag dieses Vorgehen des Bundesgerichtshofs kritisieren, zumal die Daten offensichtlich den Entscheidungsprozeß mitgeprägt haben, da sie ansonsten nicht hätten erhoben werden müssen. Insgesamt bleibt aber festzustellen, daß - soweit ersichtlich - von den Gerichten bislang allenfalls ansatzweise echte formal-ökonomische Überlegungen angestellt wurden. Deutlich häufiger finden sich dagegen verbale ökonomische Betrachtungen, auch wenn diese nicht als solche ausgegeben werden. Ein Beispiel dafür ist das von der Rechtsprechung vielfach bemühte Versicherbarkeitsargument 487, welches in hohem Maße von volkswirtschaftlichen Überlegungen geprägt ist und zu einer Reduktion der Transaktionskosten führt 488 . Im Kartellrecht finden sich ebenfalls häufig wirtschaftliche Effizienzüberlegungen, die institutionenökonomischen Erwägungen sehr nahe kommen 489 . Auch die ausnahmsweise Durchgriffshaftung für sich im Rechtsverkehr treuwidrig verhaltende Vereinsmitglieder wurde vom Bundesgerichtshof damit begründet, es sei vom Gericht „die juristische Konstruktion hintanzusetzen, wenn die Wirklichkeiten des Lebens, die wirtschaftlichen Bedürfnisse und die Macht der Tatsachen eine solche
485
BGH NJW 1984, 801 ff. Dazu auch Grundmann, RabelsZ 1997, 423, 428 f. Während der erstgenannte Wert durch Anfrage beim Deutschen Eishockeybund ermittelt wurde, bestimmte das Gericht letzteren aus eigener Sachkunde („...wie gerichtsbekannt ist..."). 486
487 Im Rahmen des Schadensersatzrechts eine geradezu idealtypische ökonomische Betrachtung: BGH NJW 1972, 1363 f. Im Rahmen des AGBG: BGHZ 33, 216, 220; BGHZ 103, 316, 326; BGHZ 114, 238, 246; MüKo-Basedow, § 9 AGBG, Rdnr. 21 ff. Zum innerbetrieblichen Schadensausgleich vgl. Kapitel E.III. Umfassend zur Versicherbarkeit Scheel. 488
Vgl. hierzu D.III.2.a)cc)(l)(b)(cc). BGHZ 41, 42, 48 ff.; BGHZ 49, 367, 376. Mit dem unter B.III.2. erörterten „hold up"Problem beschäftigt sich BGH NJW-RR 1995, 1260, 1261; dazu Schäfer in Sadowski, S. 39 ff. 489
IV. Gesamtergebnis
203
490
Handhabung gebieten" ; der Grund für die Haftung ist hier also das zu Effizienzverlusten führende „Moral Hazard"-Problem, dem durch eine schärfere Haftung entgegengewirkt werden soll. Kaum den Ansprüchen der ökonomischen Theorie genügt dagegen die von den Gerichten ausdrücklich so genannte „wirtschaftliche Betrachtungsweise" 491. Die ihr fehlende methodische Anleitung läßt sie eher wie eine Alltagsregel in der Verpackung einer wissenschaftlichen Theorie erscheinen 492, welche aber durch die ökonomische Rechtstheorie eine erhebliche Substantiierung erfahren könnte. A l l dies zeigt, daß die Gerichte sich, wenngleich nicht unter Anwendung der für die ökonomische Theorie typischen Terminologie, zuweilen ganz bewußt der Effizienzlogik bedienen. Dies geschieht meist im Stile einer verbalen Betrachtung, die der Jdealiter von praktischer Vernunft geleiteten Interessenabwägung der Rechtsprechung" 493 sehr nahe kommt und deshalb zwar (vom Richter beabsichtigt494) der ökonomischen Rationalität entspricht, jedoch die Stringenz und Struktur der ökonomischen Theorie (noch) vermissen läßt. Eine wenig strukturierte Rezeption birgt allerdings die Gefahr, daß wichtige Probleme übersehen und die gewünschten Intentionen verfehlt werden 495 . Die von den Gerichten ausdrücklich vorgenommene „Berücksichtigung wirtschaftlicher Belange" kommt allenfalls zufällig zum Ergebnis einer ökonomischen Analyse. Damit spielt die ökonomische Theorie bei den Gerichten bislang also in der Tat allenfalls eine untergeordnete Rolle. IV. Gesamtergebnis Auf den vorangegangenen Seiten wurde untersucht, wer als geeigneter Adressat der ökonomischen Rechtstheorie gelten kann. Dabei wurde zunächst auf den Inhalt und die Bedeutung einer soziologischen Jurisprudenz hingewiesen. Aus dem sich um ihre Zulässigkeit und Sinnhaftigkeit rankenden Streit wurden Argumente für und gegen die ökonomische Theorie des Rechts untersucht, wobei zwischen deren Nutzen für die Rechtsprechung und die Gerichte unterschieden wurde. An der Bedeutung der ökonomischen Theorie des Rechts für die Legislative besteht keinerlei Zweifel. Sie vermag durch ihr Verhaltensmodell und die posi490 491
BGHZ 54, 222, 224 (mwN); ständige Rechtsprechung seit RGZ 99, 232,234.
Vgl. hierzu nur die zahlreichen Nachweise bei Rittner, S. 16 f. Insofern kritisch Rittner, S. 54 ff. (zum Begriff: S. 16 f.). Positiver dagegen C. Möller, Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Privatrecht. 493 Scheel, S. 274 (Hervorhebung im Original). 494 Nochmals erwähnt sei hier BGHZ 54, 222,224: „... wenn ... die wirtschaftlichen Bedürfnisse ... eine solche Handhabung gebieten". 495 So z.B., wenn der aus Effizienzgesichtspunkten (vgl. BGHZ 135, 116, 122 f.) eingeführte Gedanke der Versicherbarkeit über die Fälle leichter Fahrlässigkeit hinaus ausgedehnt wird und damit dem ökonomisch wichtigen Präventionseffekt zuwider läuft (vgl. hierzu nur Scheel, S. 19). 492
D. Adressat der ökonomischen Theorie des Rechts
204
tiven institutionenökonomischen Ansätze in vielen Fällen ein leistungsstarkes und systematisches Erklärungs- und Prognoseinstrument zur Verfügung zu stellen. Die Lückenhaftigkeit des Rechts sowie die Freiheit des Gesetzgebers bei der Wahl der von ihm zu verfolgenden Ziele lassen auch ihre normative Berücksichtigung geradezu geboten erscheinen, wenn man sich die Bedeutung der wirtschaftlichen Gegebenheiten für die Gesellschaft vor Augen hält. Ihnen kann und darf sich das Recht bei der Normaufstellung nicht verschließen. Jüngere Gestaltungsakte der Legislative belegen eine gestiegene Sensibilität der Gesetzgebung für die von der ökonomischen Theorie behandelten Probleme. Allerdings zeigt sich auch, daß die Legislative Erkenntnisse der ökonomischen Rechtstheorie allzu oft als nicht näher belegte Programmsätze in Gesetzesvorhaben einfügt. Insofern scheint es, als erkenne sie zwar die Bedeutung solcher Einsichten, wolle sich aber der Mühe von genauen Analysen nicht unterziehen. Eine mögliche Erklärung für diesen Befund mag sein, daß mit der Genauigkeit und Transparenz der Analyse auch die Gefahr von Kritik steigt. Genau diese Wirkung ist aber einer der großen Vorzüge der ökonomischen Rechtstheorie, die zu einer exakten Aufstellung der einzelnen, zugrunde gelegten Annahmen zwingt und somit den Diskurs über den jeweiligen Hoheitsakt ermöglicht. Dies sollte die Legislative nicht als Gefahr, sondern vielmehr als Chance zur Erzielung größerer Akzeptanz und Effektivität begreifen. Die Bedeutung der ökonomischen Theorie für die Judikative ist dagegen seit längerem höchst streitig. Eidenmüllers ablehnende Haltung 496 gegenüber einer Anwendung der ökonomischen Theorie durch die Gerichte ist wohl auch damit zu erklären, daß er die ökonomische Analyse im Stile des frühen Posners untersucht 497. Deren einseitiges Effizienzpostulat würde nämlich in der Tat eine grundlegende rechtspolitische Reform verlangen, die nicht alleine der Rechtsprechung überlassen bleiben könnte, sondern in erster Linie einer legislativen Umsetzung bedürfte. Während Eidenmüller also die positive ökonomische Theorie völlig ausblendet498 und die Frage nach der Zulässigkeit einer grundlegenden richterrechtlichen Umgestaltung des Rechts nach Effizienzgesichtspunkten untersucht und zurecht verneint, wurde hier die weniger grundsätzliche Frage geprüft, an welchen Stellen und inwiefern ökonomische Argumente überhaupt im Recht berücksichtigt werden dürfen. Die Lückenhaftigkeit des Rechts legt auch hier nahe, die neoinstitutionellen Ansätze zur Erklärung bestimmter gesellschaftlicher und rechtlicher Institute zuzulassen. Darüber hinaus wurde gezeigt, daß auch die normativen 496 Zwar spricht Eidenmüller, Effizienz, S. 392 ff., 442 selbst davon, die ökonomische Theorie des Rechts sei „... primär eine Gesetzgebungstheorie" (Hervorhebung im Original). Die von ihm vorgebrachten Argumente führen im Ergebnis allerdings - wie Schmidtchen, JbfNÖuStat 1998,251, 260 zutreffend bemerkt - zu einer Betrachtung „entweder - oder". Optimistischer, wenngleich immer noch mit Einschränkungen, aber schon Eidenmüller, JZ 1999, 53, 57. 497 498
Ausdrücklich Eidenmüller, Effizienz, S. 69 (Fn. 31). Kritisch dazu Ott, FG-Kübler, S. 44. So der Vorwurf von Schmidtchen, JbfNÖuStat 1998, 251, 263.
IV. Gesamtergebnis
205
ökonomischen Kriterien auf Grundlage des ökonomischen Verhaltensmodells und der neoinstitutionellen Ansätze sich für die richterliche Rechtsfindung fruchtbar machen lassen. Besonders, wenn man nicht von einer - nur theoretisch möglichen - perfekten Deduzierbarkeit der Entscheidung aus dem Gesetz ausgeht, zeigt sich, daß derartige Instrumente für die Rechtsprechung in bestimmten Situationen sogar unerläßlich sein können, sobald diese ein gewisses Maß an Rationalität erzielen möchte. Das wird auch aus dem Selbstverständnis der Gerichte deutlich: Über die subjektiv-teleologische Auslegung hinaus werden von diesen nämlich sowohl objektiv-teleologische als auch die Folgen berücksichtigende Argumente angewendet. In allen diesen Methoden der Rechtsfindung lassen sich Erkenntnisse der ökonomischen Rechtstheorie einbringen. Insofern wurde zu zeigen versucht, daß die ökonomische Theorie, solange sie keinen Absolutheitsanspruch erhebt, die juristische Dogmatik nicht verdrängt, sondern ergänzt. Die von Kritikern vorgebrachten Bedenken vermögen die judikative Anwendung der ökonomischen Theorie nicht als unzulässig oder unmöglich zu entlarven. Insbesondere ist der Richter legitimiert , die Erkenntnisse der ökonomischen Rechtstheorie bei der Auslegung zu berücksichtigen und bei der Rechtsfortbildung über die Rechtsprinzipien von Effizienz und Konsens einfließen zu lassen. Besonders die tatsächlichen Probleme sind allerdings geeignet, die Bedeutung der ökonomischen Theorie für die Rechtsfindung nicht zu überschätzen: Ob die Einholung der notwendigen Informationen immer möglich und lohnend ist, muß der Richter ex ante situativ und kritisch prüfen. Es wurde gezeigt, daß die Gerichte sich zumindest auch der Effizienzlogik bedienen, wenngleich nicht unter Anwendung der für die ökonomische Theorie typischen Terminologie. Dieses Problem rührt aber eher von bestehenden Berührungsängsten und einer fehlender wissenschaftlicher Aufbereitung als von mangelnder Implementierbarkeit her. Bedauerlich ist dies jedoch vor allem, weil die ökonomische Analyse mit ihrer Methode dem Richter helfen könnte, seine (nicht nur wirtschaftlichen) Überlegungen zu systematisieren und offen darzulegen. Trotz aller Bindung an Gesetz und Recht erfordert die Rechtsfindung in gewissen Grenzen nämlich auch vom Richter selbst Wertentscheidungen 499, deren Rationalität und Transparenz sich mit Hilfe der ökonomischen Theorie deutlich steigern ließen. Gerade wenn man - wie hier - Effizienz als globales Prinzip des Zivilrechts auffaßt, ist eine systematische Betrachtung unerläßlich. Dabei ist die Anwendung der ökonomischen Theorie als „Generalschlüssel" 500 zweifellos fehl am Platze; der Richter soll gerade nicht zum Judex oeconomicus"501 werden. Vielmehr bedarf es einer „selektiven Rezeption" 502 auf Basis der rechtswissenschaftlichen Dogmatik. Welche Bedeutung z.B. dem 499
Rüßmann, JuS 1975, 352, 353.
500
Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 214; Führ, Grundlagen, S. 53. Eidenmüller , Effizienz, S. 19. Morlok in Engel/Morlok, S. 25.
501 502
D. Adressat der ökonomischen Theorie des Rechts
206
Effizienzprinzip im Rahmen der jeweiligen Regelungsmaterie zuteil wird, wäre auf Grundlage der positiven ökonomischen Theorie z.B. durch eine stärker realwissenschaftlich orientierte Rechtswissenschaft herauszuarbeiten. Auf diese Weise kann die Rechtswissenschaft die Rechtsprechung in ihrem Ziel unterstützen, „die Wirklichkeiten des Lebens, die wirtschaftlichen Bedürfnisse und die Macht der Tatsachen"503 zu berücksichtigen. Insgesamt bleibt festzuhalten, daß die ökonomische Rechtstheorie nach allem nicht nur Gesetzgebungstheorie ist, sondern auch bei der richterlichen Rechtsfindung einen erheblich Beitrag zu leisten vermag 504 . Dieser wird in dem Maße steigen, in dem der Gesetzgeber seiner selbst505 auferlegten Pflicht nachkommt, seinen Akten umfassende Kosten/Nutzen-Rechnungen zugrunde zu legen und dabei stärker das Bemühen zu betonen, die Akzeptanz von Recht zu erhöhen.
503
BGHZ 54, 222, 224. In bemerkenswertem Gegensatz zu Eidemmüller verlangen Kirchner!Koch, Analyse & Kritik 1989, 111, 125 die „Integration der ÖAR... in erster Linie für den richterlichen Bereich". Ähnlich auch schon Kirchner, AG 1986, 205, 218. 505 Vgl. nochmals § 44 GGO sowie Bundesministerium des Innern, Leitfaden, S. 5 504
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht Im folgenden Kapitel sollen die bisherigen Erkenntnisse an konkreten arbeitsrechtlichen Beispielen erörtert werden. Dazu wird zunächst auf die Besonderheiten des Arbeitsrechts insgesamt eingegangen (I.), bevor die ökonomische Theorie für die Frage des Kündigungsschutzes (II.) sowie des Haftungsprivilegs für Arbeitnehmer im Rahmen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs (III.) fruchtbar gemacht wird. Die Betrachtung basiert dabei auf dem (im Vergleich zum Konsens gängigeren) normativen Kriterium der (Kaldor-Hicks-)Effizienz. Sodann sollen der Adressat der zu den konkreten Problemen gewonnenen Erkenntnisse bestimmt (IV.) und die Ergebnisse abschließend noch einmal zusammengefaßt werden (V.). I. Besonderheiten des Arbeitsrechts Unter dem Begriff des Arbeitsrechts wird üblicherweise „das die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern regelnde Sonderrecht" 1 verstanden. Im Kern handelt es sich um privatrechtliches Dienstvertragsrecht, bei dem der Arbeitnehmer unselbständige Arbeit leistet. Das Arbeitsrecht wirft schon deshalb besondere Probleme auf, weil es auf der einen Seite Teil des Wirtschaftsrechts, auf der anderen Seite aber auch ein wichtiges Instrument staatlicher Sozialpolitik ist2. Als Teil des Wirtschaftsrechts beeinflußt das Arbeitsrecht die Arbeitsangebotsentscheidung des Arbeitnehmers ebenso wie die unternehmerische Entscheidung über die Nachfrage nach dem Produktionsfaktor Arbeit. Dadurch, daß dieses Kalkül letztlich die Entscheidung über den Einsatz aller Produktionsmitteln mitbestimmt, erhält das Arbeitsrecht eine allokative Schlüsselstellung. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, daß in Zeiten zunehmenden Standortwettbewerbs Änderungen im deutschen Arbeitsrecht von ausländischen Investoren zum Anlaß genommen werden, Investitionen in Deutschland zu reduzieren oder ganz zu unterlassen, während inländische Investoren teilweise sogar aktiv tätig werden, um ihre Produktion ins Ausland zu verlagern 3. Seine weitreichende Wirkung als Instrument staatlicher Sozial-
1 2
Zöllner, S. 1. Ähnlich MüArbR-Richardis § 1, Rdnr. 1; Rehbinder, Arbeitsrecht, Rdnr. 1.
Zöllner, S. 5 f. und 12; MüAibR-Richardi, § 6, Rdnr. 15 ff. sowie § 39, Rdnr. 1 ff.; Löwisch, Arbeitsrecht, Rdnr. 28 ff. und 36 ff.; insgesamt zu diesem Gegensatz auch Fischer, ZfA 2002, 215, 216 f.; Schellhaaß, ZfA 1984, 139, 141; Franzi Rüthers, RdA 1999, 32. 3 Stege, FS-Hanau, S. 130 f. (mit instruktivem Beispiel); ebenso Zöllner, S. 13 (mwN).
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
208
politik entfaltet das Arbeitsrecht vor allem dadurch, daß es die Güterverteilung unmittelbar beeinflußt. So berührt es zum einen die Verteilung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zum anderen aber auch die Verteilung unter den Arbeitnehmern. Dies vor allem deshalb, weil für letztere das durch abhängige Arbeit erzielte Einkommen als alleinige oder zumindest bedeutendste Erwerbsquelle existentielle Bedeutung hat. Über seine rein existenzsichernde Funktion hinaus dient das Arbeitsrecht aber in immer stärkerem Maße auch dem Schutz und der Entfaltung des Arbeitnehmers 4. Damit sind Effizienzminderungen durch das Arbeitsrecht in besonderer Weise darauf zu überprüfen, ob und in welchem Maße die wirtschaftlichen Erwägungen anderen Zielen zum Opfer fallen. Keinesfalls sind solche Effizienzminderungen - anders als noch von der frühen ökonomischen Analyse des Rechts vertreten - per se abzulehnen, wenn statt dessen andere Ziele in den Vordergrund gerückt werden. Auf der anderen Seite ist die mangelnde Berücksichtigung wirtschaftlicher Notwendigkeiten einer der häufigsten Kritikpunkte am Arbeitsrecht 5. Oftmals wirken übersteigerte Schutznormen sogar dahingehend kontraproduktiv, daß sie durch eine Verteuerung des Faktors Arbeit für die an sich zu schützenden Personenkreise erhebliche Nachteile bewirken 6. Es greift jedoch zu kurz zu behaupten, das Arbeitsrecht sei als Ausdruck staatlicher Investitionslenkung stets eine „Verschwendung von Ressourcen"7. Es wird gerade Gegenstand dieses Kapitels sein zu zeigen, ob und wie das Arbeitsrecht aufgrund von Marktunvollkommenheiten sehr wohl effizienzfördernd wirken kann8. Mit den beiden verschiedenen Ebenen des Arbeitsrechts als Wirtschafts- und Sozialrecht geht auch die unterschiedliche Beurteilung dieses Rechtsgebiets durch Juristen und Ökonomen einher. Beide betonen jeweils einen Aspekt so stark, daß sie Gefahr laufen, den jeweils anderen zu vernachlässigen: Während viele Juristen den Sozialschutz für den Arbeitnehmer als primäre Aufgabe des Arbeitsrechts ansehen, werden von Ökonomen oftmals Effizienzbelange in einer Weise in den Vordergrund gestellt9, die die übrigen Ziele des Arbeitsrechts ebenso wie auch die grundrechtlichen Notwendigkeiten vollständig übergeht. Eine Kooperation auf Grundlage der ökonomischen Theorie des Rechts kann hier helfen, beide Aspekte in ein angemessenes Verhältnis zueinander zu bringen. Eine weitere arbeitsrechtliche Besonderheit ist die Bedeutung der Judikative für diesen Rechtskomplex. Zwar wird das Arbeitsrecht durch eine Vielzahl
4 5 6
Zöllner, S. 12, 22 f f (mwN). Vgl. Ott, FG-Kübler, S. 29; Franzi Rüthers, RdA 1999, 32 ff.; Fischer, ZfA 2002, 215, 237.
So z.B. Schäfer in Sadowski/Walwei, S. 43 f.; Weigel, S. 190. Dazu genauer unter E.II.2.b)aa). So aber Zöllner, S. 13. 8 In diesem Sinne auch Eger!Weise in Ott/Schäfer, S. 67. 9 So auch der Befund von Eger in Sadowski/Walwei, S. 46; Eger/Weise in Ott/Schäfer, S. 50, 66; Franz!Rüthers, RdA 1999, 32. 7
I. Besonderheiten des Arbeitsrechts
209
10
unterschiedlicher Rechtsquellen geregelt ; dennoch ist das Richterrecht in diesem Gebiet besonders ausgeprägt, da zum einen ganze Bereiche (z.B. das Arbeitskampfrecht) überhaupt nicht geregelt sind, zum anderen viele unbestimmte Rechtsbegriffe 11 (z.B. „sozial ungerechtfertigt", „unzumutbar") Anwendung finden. Dafür gibt es mehrere Gründe: So ist das vollständige Fehlen von Regelungen oftmals darauf zurückzuführen, daß es sich um „besonders sensible Bereiche" 12 handelt, in denen der Gesetzgeber scheut, sich mit einer (endgültigen) Normierung „zwischen alle Stühle" zu setzen. Die vielen unbestimmten Rechtsbegriffe an zentralen Stellen der Materie sind dagegen notwendig, um den sich ändernden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gerecht werden zu können. Da sich nämlich die Volkswirtschaft in einem ständigen Wandel befindet, bedarf auch das mit ihr verwobene Arbeitsrecht einer ständigen (nicht nur zyklischen) Anpassung13. Im Ergebnis ist daher der Richter im Arbeitsrecht in einer Position, die in besonderer Weise rechtsgestalterisches Tätigwerden verlangt. Eine weitere Besonderheit des Arbeitsrechts ist sein Gegenstand. Zwar ist Arbeit ein „gewöhnliches Gut" 14 im ökonomischen Sinne mit der Folge, daß mit steigendem Preis die Nachfrage sinkt und umgekehrt. Sie ist allerdings kein gewöhnliches Gut im umgangssprachlichen Sinne: Auf ihre existentielle Bedeutung für die Arbeitnehmer wurde bereits hingewiesen. Daneben aber ist vor allem bedeutsam, daß die Arbeitsleistung nicht immer gleichartig ist. Zwar sieht die neoklassische Markttheorie Arbeit als ein homogenes Gut an, welches in stets gleicher Qualität zwischen den Vertragsparteien ausgetauscht wird. Demgegenüber wird in der neueren Arbeitsmarktökonomie davon ausgegangen, „daß mehrere voneinander verschiedene Arbeitsmarktsegmente existieren" 15. Der nachfolgenden Analyse soll der im wesentlichen von Sengenberger 16 entwickelte Ansatz vom dreigeteilten Arbeitsmarkt zugrunde gelegt werden, da dieser die deutschen Arbeitsmarktstrukturen am besten nachbildet17. Die drei Arbeitsmarktsegmente untergliedern sich - nach der Art und Qualifikation der in ihnen angebotenen Arbeitsleistung - in das externe, das berufsfachliche und das betriebliche Segment18. Für das externe Segment ist charakteristisch, daß lediglich allgemeine Qualifikationen, sogenannte „Jedermannsqualifikationen" (z.B. motorische Fähigkeit oder das Lesen und Schreiben), erforderlich sind. 10
So unterscheidet z.B. Rehbinder, Arbeitsrecht, Rdnr. 29 ff. acht verschiedene Rechtsquellen. Vgl. zu letzterem auch die Kritik vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1989/90, BT-Drucks. 11/5786, Nr. 371. 12 So z.B. auch Dütz, Arbeitsrecht, Rdnr. 14. 13 In diesem Sinne auch Walwei in Sadowski/Walwei, S. 76. 11
14
Vgl. zu dieser Terminologie Varian, S. 98.
15
KräkeL Karrierepolitik, S. 33 ff., der dort genauer auf die verschiedenen Ansätze eingeht. Zu alldem auch Schäfer in Sadowski/Walwei, S. 37; Eger in Sadowski/Walwei, S. 48 ff. 16 17 18
Siehe Sengenberger in ders.; ebenso ders., Arbeitsmarktstruktur. So auch Kräkel, Karrierepolitik, S. 35. Sengenberger in ders., S. 16 f.; ders, Arbeitsmarktstruktur, S. 41, 50, 58 ff.
14 Janson
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
210
Das berufsfachliche Segment hingegen verlangt von den Arbeitnehmern neben den allgemeinen auch branchenspezifische Qualifikationen, die sie auf ihre Tätigkeit in einem bestimmten Berufszweig vorbereiten und sich zumeist mit Zertifikaten belegen lassen (z.B. Meisterprüfung oder Staatsexamen als Instrumente des „Signalling" 19 ). Dagegen ist das betriebliche Segment dadurch gekennzeichnet, daß die Arbeitskräfte über betriebsspezifische Qualifikationen verfugen, also über solche, die sie in einem bestimmten Unternehmen erworben haben und nur dort einsetzen können. Diese Teilung des Marktes in drei Bereiche macht Arbeit zu einem heterogenen Gut, was bei der Analyse zu berücksichtigen ist. Schließlich bleibt noch zu fragen, inwieweit das ökonomische Verhaltensmodell für den Bereich des Arbeitsrechts überhaupt paßt. Wie bereits erörtert betreffen Fragen des Arbeitsrechts - vor allem der Aufnahme und der Beendigung von Arbeitsverhältnissen - existentielle Belange des Arbeitnehmers, aufgrund des Wettbewerbsdrucks aber auch des Arbeitgebers. Es handelt sich oftmals um Entscheidungen von großer wirtschaftlicher Tragweite, bei denen sich die Parteien verschiedenen Problemen gegenübersehen. Insofern wird man davon ausgehen können, daß beide Seiten auf Grundlage möglichst umfassender Informationen sehr genau die Kosten und den Nutzen einer Handlung prüfen werden, sich also rational im ökonomischen Sinne verhalten. Daneben werden sie eigennützig - also auf Grundlage ihrer eigenen Präferenzen 20 - entscheiden, wobei den monetären Präferenzen eine bedeutende und oftmals sogar überragend wichtige Rolle zukommt. Allgemein ist daher auch und vielleicht sogar gerade im Arbeitsrecht von Akteuren auszugehen, deren Verhalten sich mit dem Modell des homo oeconomicus sehr gut beschreiben läßt 21 , wobei - je nach zu behandelnder Fragestellung 22 - die neoklassische oder die neoinstitutionelle Variante zum Tragen kommen kann. II. Arbeitsvertrag und Kündigungsschutz Nach dieser Darstellungen der Besonderheiten des Arbeitsrechts soll nun zunächst der Arbeitsvertrag in seiner ökonomischen Funktion beleuchtet (1.) und sodann der Kündigungsschutz auf seine ökonomischen Wirkungen hin untersucht werden (2.).
19
Vgl. dazu unter B.IV.2. Daß diese Präferenzen zwischen den in einem Unternehmen beschäftigten Personen oftmals massiv divergieren können, zeigt Kreutz, NZA 2001, 472, 475 f. 21 So auch Walz, KritV 1992, 355, 356; Kirchgässner in Engel/Morlok, S. 53 f. 22 Daß auch nicht-monetäre Aspekte in der Kalkulation des Arbeitnehmers eine Rolle spielen, zeigt Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 186 f. Er sieht eine „starke Evidenz dafür", daß ein Übermaß an Kontrolle die Motivation und damit die Produktivität des Arbeitnehmers senkt. 20
II. Arbeitsvertrag und Kündigungsschutz
211
7. Der Arbeitsvertrag a) Der Arbeitsvertrag aus juristischer und aus ökonomischer Sicht Das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer basiert auf dem Arbeitsvertrag. Bei diesem handelt es sich aus juristischer Sicht um ein privatrechtliches Dauerschuldverhältnis, in dem sich der Arbeitgeber zur Zahlung der Vergütung, der Arbeitnehmer zur Erbringung der vereinbarten Leistung verpflichtet (§611 I BGB). Da es sich um einen Dienstvertrag handelt, ist - anders als beim Werkvertrag - der Erfolg der (i.ü. unselbständigen) Arbeitsleitung nicht geschuldet23. Aus ökonomischer Sicht dient der Vertrag in erster Linie dazu, Ressourcen einer nützlichen Verwendung zuzuführen. Er kann diese Aufgabe aber nur dann wirksam erfüllen, wenn - wie z.B. beim Bargeschäft des täglichen Lebens Gegenstand und Modalitäten des Vertrages eindeutig feststehen 24. Beim Arbeitsvertrag handelt es sich jedoch um einen relationalen Vertrag. Darunter versteht man eine langfristige Vereinbarung, bei der wesentliche Vertragspflichten nicht genauer spezifiziert werden, weil zum einen die Beschreibung eines vollständigen Vertrags aufgrund der Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen unmöglich oder zumindest prohibitiv teuer ist, zum anderen die fehlende Spezifikation eine gewisse Flexibilität der Ausgestaltung ermöglicht 25 . Im Falle des Arbeitsvertrags wird zwar die Leistung des Arbeitgebers in Form fixer und variabler Lohnbestandteile eindeutig festgelegt; über die Leistung des Arbeitnehmers dagegen wird regelmäßig lediglich eine Rahmenvereinbarung getroffen. In einem solchen relationalen Vertrag erwirbt der Arbeitgeber demnach über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers relative Verfügungsrechte 26, welche sein Direktionsrecht (§315 BGB) begründen. b) Probleme im Rahmen des Arbeitsvertrags Da die Leistungspflicht des Arbeitnehmers nur grob umrissen und ihre Erbringung zudem - vor allem für die Gerichte - sehr schwer überprüfbar ist, besteht für beide Vertragsparteien ein Anreiz zu opportunistischem Verhalten („double moral hazard" 27): Während der Arbeitnehmer der Gefahr ausgesetzt ist, daß der Arbeitgeber das Direktionsrecht überspannt und ihm eine ungeeignete Stelle zuweist oder seine Dienste über Gebühr in Anspruch nimmt, 23 24 25
Zu alldem für viele nur Palandt-Pw/zo, Einf. vor § 611, Rdnr. 1 ff.; Zöllner, S. 40 ff. Behrens, ZfA 1989, 209, 222. Richter/Furubotn, S. 173 ff.; Behrens, ZfA 1989,209,224; Martiensen, S. 118; Schrüfer,
S. 54.
26
Eger!Weise in Ott/Schäfer, S. 49 mit dem Hinweis, daß der Arbeitgeber - anders als bei gewöhnlichen Austauschverträgen - weiterhin mit dem „Verkaufte(n)" verbunden bleibt. Ähnlich Eger in Sadowski/Walwei, S. 47; ders. in Nagel, S. 220 ff.; Schrüfer, S. 40 ff., 50 ff. Umfassend zu den relativen Verftlgungsrechten Richter!Furubotn, S. 135 ff. 27 Vgl. dazu KirsteinlKittner!Schmidtchen in Ott/Schäfer, S. 92; Brors in Ott/Schäfer, S. 220 ff. spricht insofern von „strategischem Verhalten" der Vertragsparteien.
14*
212
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
sieht sich der Arbeitgeber mit dem Problem konfrontiert, daß der Arbeitnehmer möglicherweise sein Anstrengungsniveau reduziert und die ihm übertragenen Aufgaben nur noch unzureichend erfüllt. Beide Arten von Opportunismus mindern aus volkswirtschaftlicher Sicht die Effizienz, da Arbeitskraft vergeudet wird - entweder durch Zuweisung ungeeigneter Aufgaben an den Arbeitnehmer oder durch dessen (teilweise) Arbeitsverweigerung. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß in Antizipation solcher Schwierigkeiten die Gefahr besteht, daß ein aus ökonomischer Sicht sinnvoller Vertrag gar nicht erst zustande kommt 28 . Ein daraus resultierender Zusammenbruch des Arbeitsmarktes ist jedoch aufgrund dessen zentraler Bedeutung für die Gesellschaft und die Volkswirtschaft nicht zu erwarten. Vielmehr werden sich die Vertragsparteien in der Realität durch geeignete institutionelle Arrangements gegen opportunistisches Verhalten zu schützen versuchen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen opportunistischem Verhalten aufgrund von Informationsasymmetrien und solchem aufgrund von asymmetrischen Trennungskosten 29. aa) Asymmetrische Informationsverteilung Von Informationsasymmetrien spricht man, wenn die Vertragsparteien über wesentliche Vertragsumstände unterschiedlich gut informiert sind. Besteht beispielsweise eine Informationsasymmetrie zugunsten des Arbeitnehmers, dann kann der Arbeitgeber zur Vermeidung von opportunistischem Verhalten mit verstärkten Kontrollen, sei es in eigener Person oder mit Hilfe einer dafür eingesetzten hierarchischen Ebene, reagieren 30. Solche institutionellen Arrangements dürfen aus ökonomischer Sicht vom Rechtssystem nicht ohne zwingenden Grund erschwert werden 31. Vielmehr muß auch das Recht berücksichtigen, daß derartige Kontrollmaßnahmen nicht etwa einem übersteigerten arbeitgeberseitigen Informationsverlangen über die Person des Arbeitnehmers entspringen, sondern bis zu einem gewissen Grad für eine effiziente vertragliche Ressourcenlenkung nötig sein können32. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Kontrolle in einer vollständigen Überwachung des Arbeitnehmers enden darf, die diesen in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt 33. Eine solche institutionelle Gestaltung ist für die effizienzfördernde Ausformung des Arbeitsverhältnisses kaum nötig. Aus ökonomischer Sicht bestehen daher keine Bedenken, wenn das Rechtssystem einem solchen Verhalten des Arbeitgebers entgegenwirkt. 28 29
Vgl. dazu schon unter B.IV.2. („Zusammenbruch des,market for lemons'" nach Akerlof). Eger in Nagel, S. 216 ff.; ders. in Sadowski/Walwei, S. 47 ff.
30 Eine andere Möglichkeit ist, Anreize so zu setzen, daß die Gewinnmaximierung als primäres Ziel des Arbeitgebers auch in die Präferenzen des Arbeitnehmers eingeht, z.B. durch Provisionen. 31 Vgl. hierzu z.B. die Entwicklung zur Frage des Arbeitgebers nach einer Schwangerschaft der Arbeitnehmerin. Für zulässig erachtet z.B. von BAGE 5, 159, 163 und BAGE 11, 270, 273 ff., bevor BAGE 71, 252, 255 eine Rechtsprechungsänderung einläutete. Seither hält das Bundesarbeitsgericht diese Frage als eine diskriminierende Persönlichkeitsrechtsverletzung für unzulässig. 32 Zur Zulässigkeit einer Ehrlichkeitskontrolle des Arbeitnehmers vgl. BAGE 93, 1 ff. 33 Zur Unzulässigkeit einer Video-Überwachung des Arbeitnehmers vgl. BAGE 68, 52 ff.
II. Arbeitsvertrag und Kündigungsschutz
213
Anders als für den Arbeitgeber, der opportunistisches Verhalten des Arbeitnehmers z.B. durch Kontrollmaßnahmen einzuschränken vermag, bestehen für den Arbeitnehmer keinerlei Möglichkeiten, sich durch private institutionelle Vorkehrungen gegen opportunistisches Verhalten des Arbeitgebers wirksam zu schützen34. Er ist vielmehr auf das Rechtssystem angewiesen, welches auch aus Effizienzgründen darauf hinzuwirken hat, daß das Direktionsrecht vom Arbeitgeber nicht dahingehend mißbraucht wird, durch unbezahlte Ausweitung der Arbeitspflicht den vorher festgelegten Lohn des Arbeitgebers ex post faktisch zu senken. Hier liegt demnach ein erster der eingangs angesprochenen Bereiche vor, in dem einem aus ökonomischer Sicht „richtig" verstandenen Arbeitsrecht effizienzfördernde Wirkung zukommen kann 35 . bb) Asymmetrische Trennungskosten Neben solchen Informationsasymmetrien können auch asymmetrische Trennungskosten zu Opportunismus fuhren 36. Unter Trennungskosten versteht man die Kosten, die den Parteien im Falle einer Kündigung entstehen. Sie lassen sich ermitteln, indem der Nutzen der jeweiligen Partei innerhalb des aktuellen Arbeitsverhältnisses mit der nächstbesten Alternative verglichen wird. Für den Arbeitgeber bedeutet dies, daß vom Nutzen der Beschäftigung eines Arbeitnehmers der Nutzen der Einstellung eines anderen Arbeitnehmers bzw. der ersatzlosen Streichung der Stelle subtrahiert sowie eventuell anfallende Kosten für eine Neueinstellung addiert werden müssen. Dementsprechend lassen sich die Trennungskosten für den Arbeitnehmer ermitteln, indem man von seinem Nutzen aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis den Nutzen der besten Alternative (sei es ein anderes Beschäftigungsverhältnis oder aber Arbeitslosigkeit) abzieht und die mit der Veränderung verbundenen Kosten (z.B. Umzug, Umschulung, Bewerbung) hinzurechnet. (1) Asymmetrische Trennungskosten durch Humankapitalinvestitionen. wesentlicher Grund für die Existenz asymmetrischer Trennungskosten liegt in der unterschiedlichen Aufteilung der Investitionen in Humankapital zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Unter Humankapital versteht man „das auf Ausbildung und Erziehung beruhende Leistungspotential der Arbeitskräfte (Arbeitsvermögen)" 37. Es handelt sich damit um den Wert des Aufwandes (in Form von Zeit und Geld), der in eine Person - sei es durch sie selbst oder durch andere - im Laufe ihres Lebens zur Aus- und Weiterbildung investiert wird. Humankapital ist unmittelbar an die Person gebunden und somit von endlicher 34
So auch Behrens, ZfA 1989, 209, 229.
35
Vgl. dazu E I. Zurecht weist insofern Kirchner in Ott/Schäfer, Ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, S. 85 darauf hin, daß eine gesetzliche Regulierung nur dann nötig ist, wenn die Probleme nicht durch „intelligente Arbeitsverträge" zu lösen sind. 36
Dazu Eger in Sadowski/Walwei, S. 48; ders. in Nagel, S. 217. Gabler Wirtschaftslexikon, S. 1460. Umfassend zur Bedeutung von Humankapital Doré/Ciar in Clar/Doré/Mohr, S. 159 ff. 37
Ein
214
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht 38
Lebensdauer . Da es veralten kann, sinkt der Wert einer einmal getätigten Humankapitalinvestition um so schneller, je kurzlebiger das mit ihr erworbene Wissen ist. Keinesfalls dient der Begriff des Humankapitals - wie fälschlicherweise oft angenommen39 - dazu, den Menschen als solchen zu bewerten, zu monetarisieren oder gar selbst als „Kapital" anzusehen40; die Person ist vielmehr Träger des Humankapitals. Das Vorhandensein und der Ausbau von Humankapital ist für die Produktivität und damit die Wohlfahrt einer Gesellschaft ein bedeutender Faktor 41 . Insofern besteht eine Parallele zum Sachkapital, welches als Produktionsstock für die Volkswirtschaft ebenfalls unentbehrlich ist. Darauf, daß Humankapital unterschiedlich spezifisch sein kann, wurde bereits hingewiesen42. Mit steigender Spezifität des Humankapitals steigt auch die Gefahr von opportunistischem Verhalten. Es stellt sich insofern das gleiche Problem, das bereits im Rahmen der Transaktionskosten-Theorie erörtert wurde 43 : Die Partei, die die höheren spezifischen Investitionen getätigt und somit die höheren Trennungskosten zu tragen hat, wird für den Vertragspartner erpreßbar. Damit müssen letztlich schon bei der Frage, welche Vertragsseite die Ausund Fortbildungskosten des Arbeitnehmers übernimmt, die Schwierigkeiten eines daraus resultierenden Machtungleichgewichts im Rahmen „intelligenter Verträge" 44 berücksichtigt werden. Aus Sicht der Transaktionskostenökonomie ist nämlich nicht unbedingt der weniger gut situierte Vertragspartner in der schwächeren Position, sondern vielmehr derjenige, der mehr spezifische Investitionen getätigt hat 45 . Insoweit ergibt sich eine wichtige Änderung des Blickwinkels gegenüber der üblichen juristischen Betrachtungsweise, die unabhängig von der jeweiligen Situation - stets den Arbeitnehmer für die schwächere und damit schutzbedürftigere Vertragsseite hält 46 . (2) Ansatzpunkt der Humankapitaltheorie. Die Humankapitaltheorie 47 schlägt für die Aufteilung der Humankapitalinvestition zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Differenzierung nach dem Spezifitätsgrad der Investition vor. Nach ihr entscheidet sich das Individuum für eine Humankapitalinvestition 38
So auch Homburg, ZWS 1995, 339, 345.
39
Vgl. Schäfer in Sadowski/Walwei, S. 37, der darauf hinweist, daß dieser Irrtum unter Juristen weit verbreitet ist. 40 Insofern spricht z.B. auch BVerfGE 103, 242, 247 völlig unbefangen vom „... in der Zeit der Kindererziehung gebildete(n) Humankapital...". 41 Kirstein/KittneriSchmidtchen in Ott/Schäfer, S. 92; umfassend dazu der Sammelband von Clar/Dorö/Mohr. 42 Dazu schon eingangs unter E.I. 43 44 45
Vgl. dazu schon oben B.III.2./3. Dazu schon oben E.II.l.b)bb) (Fn. 35).
So auch der Beitrag von Schmidtchen in der Diskussionszusammenfassung von Kirstein in Ott/Schäfer, S. 242. Ähnlich Nutzinger in ders., S. 316 f. 46 Vgl. hierzu nur BVerfGE 81, 242, 254 f.; BVerfGE 85, 191, 213; BAGE 23, 160, 163; BAGE 63, 63, 66 f.; BAGE 76, 155, 167 und 169. 47 Vgl. dazu z.B. Becker, Human Capital, S. 29 ff.; Schultz; Rissiek, S. 13 ff.
II. Arbeitsvertrag und Kündigungsschutz
215
im Stile des homo oeconomicus auf Grundlage eines Kosten/Nutzen-Kalküls. Eine Investition wird demnach getätigt, wenn die zukünftigen (abgezinsten) Rückflüsse aus einem durch die Investition veranlaßten höheren Lohn die Kosten der Bildungsmaßnahme übersteigen 48. Daß die für eine solche Kalkulation notwendigen Daten nicht alle verfügbar bzw. oft nur geschätzt sind, da z.B. die Rückflüsse als zukünftige (monetäre oder auch nicht-monetäre) Ströme unsicher sind, ändert nichts daran, daß die Individuen zumindest grundsätzlich ein solches Kalkül anstellen49. Anders als die obige Einteilung des Arbeitsmarktes in drei Segmente genügt für die Betrachtung der Investitionsaufteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer an dieser Stelle eine Unterscheidung in zwei Gruppen, nämlich in allgemeine und branchenspezifische Qualifikationen auf der einen und betriebsspezifische Qualifikationen auf der anderen Seite. Dies liegt daran, daß bei der Investition in Humankapital allein danach differenziert werden muß, ob der Arbeitnehmer von ihr bei irgendeinem anderen Arbeitgeber profitieren kann. (a) Investitionen in allgemeine und branchenspezifische Qualifikationen eines Arbeitnehmers erhöhen dessen Produktivität auch in anderen Betrieben. Nach der Humankapitaltheorie geht mit einer Erweiterung oder Verbesserung dieser Qualifikationen stets ein höherer Lohn einher. Der Arbeitnehmer wird nämlich aufgrund des bestehenden Wettbewerbs nach seiner Wertgrenzproduktivität bezahlt50, erhält also als Lohn den Wert der im Unternehmen durch ihn mehr produzierten Ausbringung abzüglich aller Kosten. Steigt nun durch die Humankapitalinvestition sein Wertgrenzprodukt, dann steigt in gleicher Weise sein Marktwert und damit sein erwarteter Lohn. In diesem Fall muß der Arbeitgeber, wenn er die Humankapitalinvestition finanziert hat, mit einer Abwanderung des Arbeitnehmers rechnen. Ein Konkurrenzunternehmen könnte dem Arbeitnehmer nämlich einen Lohn zahlen, der seinem neuen Wertgrenzprodukt entspricht. Der ursprüngliche Arbeitgeber dagegen könnte allenfalls einen Lohn zahlen, der zwar möglicherweise über dem alten, jedenfalls aber unter dem neuen Wertgrenzprodukt liegt, da sich in seiner Kalkulation noch die Humankapitalinvestition amortisieren müßte. Dies führt dazu, daß er die Kosten einer derartigen Investition auch dann nicht zu tragen bereit ist, wenn diese an sich vorteilhaft ist. Als Beispiel sei eine Investition in allgemeine oder branchenspezifische Qualifikationen in Form einer Schulung unterstellt, die für den Arbeitgeber durch die anfallende Gebühr sowie den Arbeitsausfall des Arbeitnehmers einmalig Kosten in Höhe von Euro 2000,- verursacht, in der Zukunft aber die jährliche Produktivität dieses Arbeitnehmers von Euro 40.000,- auf Euro 41.000,erhöht. Unter der Bedingung, daß der Arbeitnehmer (je nach Zinsfuß etwas
48
Backes-Gellner/Lazear/Wolff,
49
So zurecht Backes-Gellner/Lazear/Wolff,
50
Vgl. Becker, JPoE 1962, 9, 11 ff.; ders., Human Capital, S. 31; Hutchens, JEP 1989, 49, 50.
S. 4 ff.; Rissiek, S. 34 ff. (mwN). S. 16. Hierzu auch schon unter A.II.3.C).
216
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
über) zwei Jahre im Betrieb verweilt, ist eine solche Investition lohnend. Allerdings könnten Konkurrenzunternehmen dem Arbeitnehmer nun bis zu Euro 41.000,- als Gehalt anbieten, während der mit der Humankapitalinvestition belastete Arbeitgeber zu deren Amortisation unter Euro 41.000,- bleiben müßte. Im Ergebnis besteht damit die Gefahr, daß der Arbeitnehmer abwandert und der Arbeitgeber die Kosten der Humankapitalinvestition nutzlos aufgewendet hat. Damit es nun nicht zu einer Unterinvestition in Humankapital kommt, muß der Arbeitnehmer die allgemeinen und branchenspezifischen Humankapitalinvestitionen selbst tragen. Dies stellt für ihn insofern nur ein geringes Risiko dar, als allein er in den folgenden Perioden von seiner Investition profitiert. Da sich sein Wettbewerbslohn am Wertgrenzprodukt bemißt, fließen ihm die Erträge seiner gesteigerten Produktivität unmittelbar selbst zu. Häufig wird allgemeines oder branchenspezifisches Humankapital aber nicht extern (wie im Beispiel auf Schulungen), sondern intern („on the job") erworben. In diesen Fällen scheint die Theorie zunächst mit den Beobachtungen in der Praxis unvereinbar, da Arbeitnehmer für „on the job"-Ausbildungen nicht zu bezahlen scheinen. Diese Beobachtung ist jedoch nur vordergründig richtig: Zwar leisten Arbeitnehmer für Tätigkeiten, bei denen sie allgemeines oder branchenspezifisches Humankapital erwerben, üblicherweise keine Zahlungen an den Arbeitgeber; implizit aber bezahlen sie für diese Ausbildung durch Lohnverzicht 51. So werden junge Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Tätigkeit typischerweise weniger Gehalt beziehen als ältere, was gleichzeitig das mit dem Alter ansteigende Lohnprofil erklärt 52 („senioritätsabhängige Löhne"). Dieser Gehaltsverzicht in jungen Jahren ist damit die „Investition" des Arbeitnehmers, um mit fortschreitendem Alter vom erworbenen Humankapital zu profitieren. (b) Investitionen in betriebsspezifische Qualifikationen 53 eines Arbeitnehmers erhöhen dessen Produktivität zwar grundsätzlich genauso wie allgemeine oder branchenspezifische, aber eben nur im jeweiligen Betrieb. Insofern besteht für den Arbeitgeber hier nicht die Gefahr der Abwanderung des Arbeitnehmers, nachdem in dessen Humankapital investiert wurde. Vielmehr eröffnet sich sogar die Möglichkeit, dem betriebsspezifisch qualifizierten Arbeitnehmer einen Lohn zu zahlen, der über einem Angebot konkurrierender Unternehmen liegt, da er bei seinem aktuellen Arbeitgeber aufgrund dieser Qualifikationen eine höhere Produktivität aufweist. Dabei muß allerdings der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht die volle Produktivitätssteigerung entlohnen, da eine Ab51 Backes-GellnerlLazearlWolff, S. 21 f f ; Becker, JPoE 1962, 9, 13, der als Beispiel fehlerhafter Verträge die Pilotenausbildung in der Armee nennt (S. 16). Dort ließen sich während der Ausbildung höhere Löhne als in zivilen Ausbildungsverhältnissen erzielen, so daß viele Piloten in der Armee das Fliegen erlernten, um möglichst bald zur zivilen Luftfahrt zu wechseln, wo aufgrund ersparter Ausbildungskosten höhere Gehälter gezahlt werden konnten. 52 Umfassend dazu Hutchens, JEP 1989, 49, 50 ff.; ebenso Kirstein!KittneriSchmidtchen Ott/Schäfer, S. 102; Franke, S. 31 ff. 53 Dazu Becker, JPoE 1962, 9, 17 ff.
in
II. Arbeitsvertrag und Kündigungsschutz
217
Wanderung schon bei einem geringfügig über dem Lohnangebot der Konkurrenz liegenden Gehalt nicht zu befürchten ist. Trüge nun der Arbeitnehmer - wie bei den allgemeinen und den branchenspezifischen Investitionen - die Fortbildungskosten vollständig selbst, wäre er für den Arbeitgeber ausbeutbar. Der Arbeitgeber würde nämlich die gesteigerte Produktivität des Arbeitgebers nicht mit einem höheren Lohn honorieren, sondern ihm weiterhin lediglich den Wettbewerbslohn ohne betriebsspezifische Qualifikationen bezahlen. Eine Drohung des Arbeitnehmers mit Kündigung wäre - wenn, wie in der Humankapitaltheorie üblicherweise angenommen, der Lohn für die Wahl des Arbeitsplatzes im Vordergrund steht - unglaubwürdig: Der Arbeitnehmer könnte mit seinen betriebsspezifischen Qualifikationen in anderen Unternehmen nämlich nichts anfangen und würde daher ebenfalls nur den Wettbewerbslohn ohne solche Fähigkeiten erhalten. Im Ergebnis hätte der Arbeitnehmer dann eine (Kosten verursachende) Investition getätigt, von deren aufgrund gesteigerter Produktivität erhöhten Rückflüssen lediglich der Arbeitgeber profitieren würde. Im anderen Fall, in dem der Arbeitgeber die vollen Investitionskosten übernähme, wäre die Situation genau umgekehrt: Nunmehr könnte der Arbeitnehmer den Arbeitgeber erpressen. Nachdem nämlich das Unternehmen die Kosten für seine Weiterbildung aufgewendet hätte, könnte der Arbeitnehmer Teile der aus ihr resultierenden Produktivitätsvorteile für sich verlangen. Würde nämlich der Arbeitnehmer weiterhin nur seinen vorherigen Wettbewerbslohn erhalten, würde er sich mit einer Abwanderung zu einem anderen Unternehmen nicht schlechter stellen. Die Drohung mit einer Kündigung wäre insofern glaubhaft, als der Arbeitnehmer keine Lohnverluste befürchten müßte. Dann hätte das Unternehmen die Investitionskosten für die Weiterbildung des Arbeitnehmers aufgewendet, ohne entsprechende Rückflüsse zu erzielen. Folglich werden also Arbeitgeber und Arbeitnehmer die aus der Weiterbildung resultierenden Erträge untereinander aufteilen. Im Normalfall werden sie daher auch die Kosten der Humankapitalinvestition anteilig tragen 54. (c) Nach alldem unterscheidet die Humankapitaltheorie also bei der Frage danach, welche Vertragsseite die Kosten für Humankapitalinvestitionen tragen sollte, zwischen allgemeinem und branchenspezifischem auf der einen und betriebsspezifischem Humankapital auf der anderen Seite. Während in der Theorie die Investitionen in die beiden erstgenannten vollständig vom Arbeitnehmer zu tragen sind, da er allein in der Folgezeit von ihnen zu profitieren vermag, werden die Vertragspartner im Falle betriebsspezifischer Qualifikationen die Investitionskosten untereinander aufteilen. Dadurch werden beide Parteien aneinander gebunden, so daß die Verträge selbstdurchsetzend
54 Vgl. Hutchens, JEP 1989, 49, 51 (mwN); Rissiek, S. 103 ff. Zum Ganzen mit erläuternden Grafiken und Beispielen Backes-GellnerILazearIWolff, S. 34 ff.
218
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
werden („self-enforcing contracts") 55. Daß sich Arbeitgeber in der Praxis trotz allem auch an allgemeinen Humankapitalinvestitionen beteiligen, widerlegt die Theorie nicht 56 : Es ist nämlich zu beachten, daß die Arbeitsmärkte unvollkommen sind. Ein Arbeitsplatzwechsel ist für den Arbeitnehmer nicht kostenlos möglich; vielmehr entstehen ihm Transaktionskosten bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung, beim Umzug etc. Daher ist zu erwarten, daß der Arbeitgeber den weitergebildeten Arbeitnehmer nicht mit seinem vollen Wertgrenzprodukt entlohnen muß. Er kann ihm vielmehr ein Gehalt zahlen, welches unter dem neuen Wertgrenzprodukt liegt, da eine Kündigung des Arbeitnehmers aufgrund der damit anfallenden Transaktionskosten nicht zu befürchten ist. Auf diese Weise wird ihm ein finanzieller Spielraum gegeben, sich auch an allgemeinen Humankapitalinvestitionen zu beteiligen. Trotzdem bleiben die Aussagen der Humankapitaltheorie im Kern unberührt: Zwar stimmt die scharfe Trennung, welche Vertragsseite welche Investitionen zu tätigen hat, mit der Praxis nicht immer exakt überein; dennoch wird das oben ermittelte Ergebnis, welche Partei grundsätzlich die Kosten der Weiterbildung trägt, zumindest näherungsweise zu beobachten sein, wenn die Gefahr opportunistischen Verhaltens ausgeschlossen werden soll. cc) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, daß sowohl Informationsasymmetrien als auch asymmetrische Trennungskosten zu einem effizienzmindernden Opportunismus von mindestens einer Vertragsseite führen können. Die daraus resultierenden Probleme bei der Vertragsgestaltung sind aber nicht nur für die Parteien selbst von Bedeutung, sondern haben auch auf den Arbeitsmarkt unmittelbare Auswirkungen, welche das Recht nicht völlig außer acht lassen darf. So führt das Verbot kostengünstiger Vorkehrungen 57 gegen opportunistisches Verhalten zu steigenden Kosten für den Faktor Arbeit. Verschiebt sich nun das Preisverhältnis zwischen Humankapital und Sachkapital, dann verändert sich damit auch das volkswirtschaftlich optimale Verhältnis dieser beiden zueinander. Da aber Humankapital und Sachkapital bis zu einem gewissen Grade substituierbar sind 58 , wird aus Kostengründen ersteres systematisch durch letzteres ersetzt. Für die Unternehmen ist es dann nämlich günstiger, für bestimmte Tätigkeiten verstärkt Maschinen einzusetzen, wodurch sich die Zahl der Arbeitsplätze reduziert. Ähnliches gilt auch im Falle von asymmetrischen Trennungskosten. Von den Ergebnissen der Humankapitaltheorie abweichende (z.B. gesetzlich bestimmte) Kostentragungspflichten würden - wie erwähnt 55 Richter!Furubotn, S. 173 f f (mwN); D. Kubier in Ott/Schäfer, S. 258 f f ; Becker, JPoE 1962, 9, 21; derartige Ausgestaltungen hat wohl Kirchner in Ott/Schäfer, Ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, S. 85 im Auge, wenn er von „intelligente(n) Arbeitsverträge(n)" spricht. 56 Zu alldem auch KnolüKoss, ZfP 1995, 401 ff.; Acemoglu!Pischke, QJE 1998, 79 ff.; dies., JPoE 1999, 539 ff. 57 Es sei hier nur auf die Beispiele in E.II. 1 .b)aa) (Fn. 31 ff.) verwiesen. 58 Vgl. dazu auch Rissiek, S. 19.
II. Arbeitsvertrag und Kündigungsschutz
219
zu einer zu geringen Investitionsbereitschaft in Humankapital fuhren. Die sinkenden Investitionen würden das Humankapital quantitativ verringern und damit - im Wettbewerb - letztlich verteuern. Die Folge wäre wiederum eine Substitution durch Sachkapital. c) Ergebnis Es zeigt sich, daß der Arbeitsvertrag sowohl aufgrund seiner notwendigen Unbestimmtheit als auch aufgrund seiner Dauerhaftigkeit für beide Vertragsseiten besondere Probleme aufwirft, die hier als asymmetrische Informationsund Trennungskosten bezeichnet wurden. Beide erhöhen die Gefahr opportunistischen Verhaltens, dem sowohl auf der Ebene privater Verträge als auch durch Gesetzgebung und die Judikative entgegengewirkt werden kann. Damit kommt dem Arbeitsvertrag eine wichtige ökonomische Funktion zu. Durch Respektierung und Unterstützung dieser Funktion kann das Arbeitsrecht nicht nur eine effizienzmindernde, sondern auch eine effizienzneutrale oder sogar effizienzfordernde Wirkung entfalten. 2. Der Kündigungsschutz Nachdem die ökonomische Bedeutung des Arbeitsvertrags erörtert wurde, stellt sich im folgenden die Frage, in welcher Weise den Parteien aus ökonomischer Sicht eine Auflösung dieses Vertrages ermöglicht werden sollte. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgt zumeist im Wege der Kündigung 59 . Daher bezeichnet Schwerdtner das Kündigungsschutzrecht auch als das „Nervenzentrum" 60 des Arbeitsvertragsrechts. Nach einer kurzen Darstellung der Entwicklung des Kündigungsschutzrechts (a) sollen zunächst im Wege einer positiven Betrachtung dessen ökonomische Auswirkungen de lege lata aufgezeigt (b) und sodann Vorschläge der normativen ökonomischen Theorie des Rechts erörtert werden (c). Abschließend erfolgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse (d). a) Entwicklungen im Kündigungsschutzgesetz Im arbeitsvertraglichen Bestandsschutz ist zu unterscheiden zwischen dem präventiv ausgerichteten kollektiven sowie dem repressiv wirkenden individuellen Kündigungsschutzrecht. Während zum kollektiven Kündigungsschutzrecht z.B. das Betriebsverfassungsgesetz gehört, steht im Zentrum des individuellen Kündigungsschutzes das Kündigungsschutzgesetz. Im folgenden soll vor allem das individuelle Kündigungsschutzrecht - und damit in erster Linie das Kündigungsschutzgesetz - ökonomisch betrachtet werden. Das Kündigungsschutz-
59 60
Umfassend zur Kündigung aus juristischer Sicht Stahlhacke/Preis/Vossen. MüKo-Schwerdtner, § 622 Anh., Rdnr. 1.
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
220
gesetz trat am 14.08.1951 in Kraft 61 und war vom historischen Gesetzgeber als reiner Willkürschutz gegen ungerechtfertigte Entlassungen des Arbeitnehmers angelegt62. So heißt es in der Begründung zum Entwurf des Gesetzes, der „Schutz des Arbeitnehmers wird mit der Regelung des Entwurfs verbessert, ohne daß damit wirklich notwendige Kündigungen verhindert oder auch nur erschwert würden. Das Gesetz wendet sich nicht gegen Entlassungen, die aus triftigen Gründen erforderlich sind, sondern lediglich gegen solche Kündigungen, die einer hinreichenden Begründung entbehren und deshalb als eine willkürliche Durchschneidung des Bandes der Betriebszugehörigkeit erscheinen"63. Damit eine Kündigung rechtmäßig war, bedurfte es in erster Linie eines Grundes i.S.d. § 1 II KSchG. Diese gesetzgeberische Interessenbewertung wurde seitdem von den Gerichten durch sukzessive Ausweitung der Kündigungsvoraussetzungen fortentwickelt 64. Das Bundesverfassungsgericht 65 leitet aus Art. 12 I GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip z.B. eine Pflicht her, den ursprünglich vom Gesetzgeber nur unter den Geltungsvoraussetzungen der sechsmonatigen Betriebszugehörigkeit und der Mindestbeschäftigtenzahl (§§ 1 I, 23 12 KSchG) gewährten Schutz vor Willkür und sozialer Unverträglichkeit auch auf Kleinstbetriebe auszudehnen. Es wird zu prüfen sein, ob ein derartig weiter Kündigungsschutz im wohlverstandenen Interesse der Arbeitnehmer ist bzw. im Interesse welcher Arbeitnehmer er ist. b) Ökonomische Wirkungen des Kündigungsschutzes Die Wirkungen des Kündigungsschutzes sind ebenso vielfältig wie umstritten. Immer wieder wird das deutsche Kündigungsschutzrecht mit dem der USA verglichen, welches aufgrund einer vermeintlich niedrigeren Regelungsdichte eine positivere ökonomische Wirkung habe66. Im folgenden soll zunächst sowohl auf die negativen (aa) als auch auf die positiven (bb) ökonomischen Wirkungen von Kündigungsschutzregelungen eingegangen werden. 61 Vgl. BGBl. I 1951, 499 ff. Zu den vorangehenden Entwürfen umfassend v. HoyningenHuene/Linck, Einleitung, Rdnr. 28 ff. 62 Dazu Franz/Rüthers, RdA 1999, 32, 35 (mwN); Fischer, ZfA 2002, 215, 241; MüKoSchwerdtner, § 622 Anh., Rdnr. 2 f. (mwN); ders. in Deutsches Anwaltsinstitut e.V., S. 214 f. 63 Abgedruckt in RdA 1951, 58, 63. 64 Vgl. z.B. Löwisch, Arbeitsrecht, Rdnr. 1300 ff.; differenzierend ders., Kündigungsschutzgesetz, Rdnr. 61 ff. Sehr kritisch zu dieser Entwicklung MüKo-Schwerdtner, § 622 Anh., Rdnr. 3; Fischer, ZfA 2002, 215, 241 f.; Ascheid, Rdnr. 203, 425. Dagegen glaubt Preis, N Z A 1997, 1073, 1078, zur Vermeidung der Umgehung gesetzlicher Wertungen eine Entwicklung in der Rechtsprechung weg von einer allzu weitreichenden Interessenabwägung zu erkennen. 65
BVerfGE 97, 169, 179. Mit differenzierenden Ergebnissen z.B. Kirstein/Kittner/Schmidtchen in Ott/Schäfer, S. 90 ff; Kittneri Kohler, BB 2000 (Beilage 4), 1 f f ; Ochel, MittAB 1998, 262 ff; Eger in Sadowski/Walwei, S. 45 ff; EgeriWeise in Ott/Schäfer, S. 48 ff, die auf S. 64 daraufhinweisen, daß in den USA lediglich der Bundesstaat Montana ein umfassendes Kündigungsschutzgesetz erlassen habe. Dagegen hält Walwei in Sadowski/Walwei die Arbeitsmarktwirkungen von Kündigungsschutzregeln insgesamt für „überschätzt". 66
II. Arbeitsvertrag und Kündigungsschutz
221
aa) Negative Wirkungen Zumeist wird in der (wissenschaftlichen) Diskussion vorgebracht, der Kündigungsschutz stehe in bemerkenswertem Konflikt zum Ziel ökonomischer Effizienz. Dafür werden verschiedene Gründe angeführt. Zunächst wird immer wieder darauf hingewiesen, daß die Ausweitung des Kündigungsschutzes (sei es durch Weiterbeschäftigungsverpflichtungen, Lohnfortzahlungen, Abfindungen o.a.) sich für den Arbeitgeber als Kostenerhöhung darstellt 67. Je strenger die dem Arbeitgeber vom Rechtssystem auferlegten Maßstäbe zur Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sind, desto schwieriger und teurer wird diese Handlungsalternative für ihn. Da die Kosten von einem ökonomisch rational handelnden Arbeitgeber bei der Entscheidung, einen Arbeitnehmer einzustellen, antizipiert werden, sinkt ceteris paribus seine Bereitschaft zu Neueinstellungen68. Dadurch verschlechtert sich die Position potentieller Arbeitnehmer, obgleich die Arbeitnehmerschaft durch den Kündigungsschutz an sich gegen eine vermeintliche Übermacht der Arbeitgeberschaft geschützt und ihre Position verbessert werden soll 69 . Im Ergebnis werden nur noch solche Personen eingestellt, die produktiv genug sind, die gesamten Kosten ihrer Beschäftigung zu erwirtschaften 70. Daneben besteht die Gefahr, daß Arbeitgeber auf andere Beschäftigungsformen ausweichen, um die zusätzlichen Kosten des erweiterten Kündigungsschutzes nicht tragen zu müssen71. In eine ähnliche Richtung zielt das zweite Argument, welches als Beleg für negative Effizienzwirkungen des Kündigungsschutzes vorgebracht wird. Danach führen fehlende gesetzliche Regelungen und die dadurch bedingte richterrechtliche Ausgestaltung sowie lange und aufwendige Kündigungsschutzprozesse zu
67 Vgl. Demougin in Ott/Schäfer, S. 274; Eger in Sadowski/Walwei, S. 53; Busch,, BB 2003, 470, 471 (mwN); Buttler! Walwei, MittAB 1990, 386, 388; Walwei in Sadowski/Walwei, S. 80; Schellhaaß, ZfA 1984, 139, 156 ff. 68 Adams, Jura 1984, 337, 339; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1989/90, BT-Drucks. 11/5786, Nr. 370. Dagegen weist Walwei in Sadowski/Walwei, S. 93 f. (mwN) darauf hin, daß die hohe Regelungsdichte zwar u.U. die Einstellungsbereitschaft reduziere, diesem Effekt aber möglicherweise durch die Erschwerung von Entlassungen entgegengewirkt werde, so daß der Nettoeffekt unsicher sei. Das mag zwar kurzfristig zutreffen, vermeidet aber jedenfalls langfristig nicht ein niedrigeres Beschäftigungsniveau, sondern führt allenfalls zu einem „Hinterherhinken" hinter den wirtschaftlichen Notwendigkeiten. 69 Franz!Rüthers, RdA 1999, 32, 38 sprechen insofern von der „Rache des Gutgemeinten". Dies erklärt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Jahresgutachten 1989/90, BT-Drucks. 11/5786, Nr. 365: „Je höher die Entlassungsbarrieren durch den Kündigungsschutz geschraubt werden, desto höher sind auch die Einstellungsbarrieren. Dies ist der Punkt, an dem der arbeitsrechtliche Schutzgedanke zugunsten des sozial Schwächeren, der auch dem Kündigungsschutzgesetz zugrunde liegt, in sein Gegenteil umschlagen kann". Ähnliche Fehlsteuerungen lassen sich auch im Mietrecht beobachten, vgl. dazu z.B. Eidenmüller, JZ 1999, 53, 54; Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 30. 70 71
So auch (bezüglich sämtlicher kostensteigernder Normen) Eger/Weise Walwei in Sadowski/Walwei, S. 81.
in Ott/Schäfer, S. 65.
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
222
großer Rechts- und Planungsunsicherheit bei den Vertragsparteien 72. Auch die aus dieser Planungsunsicherheit resultierenden Kosten reduzieren die Einstellungsbereitschaft der Arbeitgeber. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß Effizienzverluste in diesem Falle dadurch entstehen, daß das Fehlen von Normen eine exakt vorhersehbaren Rechtsfolge verhindert. Dieses Problem ist jedoch keine originäre Schwäche des Kündigungsschutzrechtes, sondern findet sich in jedem Rechtsgebiet, in dem sich häufig und unvermittelt ändernde Voraussetzungen die Vorhersehbarkeit eines Urteils erschweren 73. Eine solche Rechtslage führt dazu, daß die Parteien zum Rechtsstreit animiert werden, weil sie sich gute Chancen ausrechnen, den Prozeß zu gewinnen. Diese Gefahr ist beim stark richterrechtlich geprägten Arbeitsrecht besonders hoch und ökonomisch nur dadurch zu rechtfertigen, daß durch den richterlichen Freiheitsgrad eine höhere Flexibilität an sich ändernde Umweltbedingungen erreicht wird 74 . Ihr kann vor allem dadurch entgegengewirkt werden, daß die Gerichte tragende Begründungen nicht ohne zwingenden Grund ändern, sondern verläßliche Fallgruppen und damit Rechtssicherheit schaffen. Drittens wird zuweilen darauf hingewiesen, ein zu weitreichender Kündigungsschutz verringere die Motivation des Arbeitnehmers zur Leistungserbringung 75. Zwar leuchtet unmittelbar ein, daß ein im ökonomischen Sinne rationaler Arbeitnehmer wenig Grund zur Anstrengung hat, wenn sein Arbeitsplatz auf Dauer gesichert ist. Dem kann andererseits aber schon durch das Ausbleiben von Beförderungen in gewissem Maße entgegengewirkt werden. Außerdem läßt sich auch ein gegenläufiger Effekt feststellen: Die Motivation von Arbeitnehmern kann durchaus dadurch steigen, daß sie vor „willkürlichen Kündigungen geschützt"76 sind. Die engere Bindung an den Betrieb kann die Identifikation und die Leistungsbereitschaft sowie die Weitergabe von Fähigkeiten und Sonderwissen an andere Arbeitnehmer fördern 77. Gerade letzteres wäre ohne Kündigungsschutz in weitaus geringerem Maße zu erwarten, da besondere Fähigkeiten eines Arbeitnehmers ihn gegenüber seinen Kollegen positiv abheben und daher zu seiner Arbeitsplatzsicherheit beitragen. Die 72 Buttler/Walwei, MittAB 1990, 386, 392; Walwei in Sadowski/Walwei, S. 82; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1989/90, BTDrucks. 11/5786, Nr. 370. Ebenso MüKo-Schwerdtner, § 622 Anh., Rdnr. 4. 73 Hierzu Adams, Ökonomische Analyse des Zivilprozesses, S. 28, 77 ff., der zurecht darauf hinweist, daß Gerichtsurteile aus ökonomischer Sicht gerade durch ihre über den Einzelfall hinausgehende Wirkung positive externe Effekte aufweisen, wenn sie Rechtsunsicherheit beseitigen. 74 75
Dazu schon D.III.2.e).
D. Kubier in Ott/Schäfer, S. 258. So der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1989/90, BT-Drucks. 11/5786, Nr. 367 f. Ebenso auch Walwei in Sadowski/Walwei, S. 95; Nagel in Ott/Schäfer, S. 37 f.; Eger/Weise in Ott/Schäfer, S. 58, 71. ButtlerIWalwei, MittAB 1990, 386, 388 ff. weisen insofern u.a. auf die motivierende Funktion des Kündigungsschutz als Alternative zu Überwachungsmaßnahmen oder Lohnsteigerungen hin. 77 Hierzu auch Posner, Economic Analysis, S. 357; Schmid, MittAB 1992, 232, 238; Eger!Weise in Ott/Schäfer, S. 74; Franz!Rüthers, RdA 1999, 32, 33. 76
II. Arbeitsvertrag und Kündigungsschutz
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Weitergabe dieses Wissens wirkt insofern effizienzfordernd, als dadurch mehr Beschäftigte mit höherer Produktivität arbeiten können. Der motivatorische Aspekt spricht demnach zwar gegen einen ausufernden Kündigungsschutz, nicht aber gegen jede Form der Arbeitsplatzsicherheit. Ein weiteres Argument 78 gegen den Kündigungsschutz ist aus ökonomischer Sicht das Problem der adversen Selektion durch die „Sozialauswahl" 79 des zu kündigenden Arbeitnehmers. Gemäß § 1 I I I 1 KSchG muß nämlich der Arbeitgeber im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung vergleichbar qualifizierter Beschäftigter „soziale Gesichtspunkte" berücksichtigen, wozu z.B. das Alter des Arbeitnehmers, die Dauer der Betriebszugehörigkeit, seine Aussichten auf dem Arbeitsmarkt, seine Unterhaltspflichten oder auch seine im Betrieb erlittenen Krankheiten und Verletzungen zu zählen sind 80 . Damit schützt die Norm in erster Linie ältere Arbeitnehmer, so daß sich das Unternehmen im Falle umfangreicher Entlassungen zu einer „Altenwerkstatt" 81 zu entwickeln droht. Dies kann die Altersstruktur 82 innerhalb des Unternehmens und damit auch die Flexibilität der Belegschaft so verändern, daß die Produktivität negativ beeinflußt wird 83 . Dem steht jedoch aus ökonomischer Sicht entgegen, daß gerade die älteren Arbeitnehmer für das Unternehmen aufgrund ihrer im Laufe vieler Jahre erworbenen betriebsspezifischen Qualifikationen besonders wertvoll sein können84. Sie scheinen nach der Humankapitaltheorie aber ab einem gewissen Alter vor allem deshalb besonders schutzwürdig, weil vor allem ihr allgemeines Humankapital veraltet, sie aber (zumeist) senioritätsabhängig entlohnt werden. Insofern kann es passieren, daß sie in fortgeschrittenem Alter über ihrer Wertgrenzproduktivität entlohnt werden, weil sie zu Beginn ihrer Tätigkeit einen Lohn unterhalb des Wertgrenzproduktes erhalten und sich mit dem Arbeitgeber auf ein steigendes Lohnprofil geeinigt haben. Wenn dies aber so ist, dann haben sie in jungen Jahren ein „Pfand" (in Höhe der Differenz zwischen ihrem Lohn und dem höheren Wertgrenzprodukt) geleistet, das ihnen im Alter durch ein steigendes Lohnprofil ausgezahlt werden soll. Insofern besteht für den Arbeitgeber ab einem gewissen Alter des Beschäftigten ein besonderer Anreiz, diesem zu kündigen; dann nämlich könnte er das eingezahlte
78
So Eger in Sadowski/Walwei, S. 61; Eger!Weise in Ott/Schäfer, S. 56 f f Vgl. z.B. Löwisch, Arbeitsrecht, Rdnr. 1346 ff.; Hanau!Adomeit, Rdnr. 862 ff.; umfassend dazu ErfK-Ascheid, § 1 KSchG, Rdnr. 461 ff. 80 Löwisch, Arbeitsrecht, Rdnr. 1350; Hanau!Adomeit, Rdnr. 866. 81 So überspitzt Hanau!Adomeit, Rdnr. 868; weniger drastisch Busch, BB 2003, 470,472. 82 Vgl. zu dem Streit, ob die zeitweise in § 1 KSchG aufgenommene „ausgewogene Altersstruktur" auch nach ihrer Streichung noch ein relevantes Kriterium bei der Kündigung sein kann: Hanau!Adomeit, Rdnr. 868 (pro); Kittner/Daubler/Zwanziger-to/toer, § 1 KSchG, Rdnr. 309 (contra, jedoch mit umfassenden Nachweisen zu dieser Diskussion). Aus der jüngeren öffentlichen Diskussion z.B. Handelsblatt v. 11.02.2003 (Nr. 29), S. 9. 79
83 Typischerweise werden sich junge Arbeitnehmer eher als ältere mit neuen Produktionsprozessen etc. arrangieren können (man bedenke das Beispiel der EDV). 84 Backes-Gellner!Lazear!Wolff, S. 40; Franke, S. 33.
224
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
Pfand behalten. Da steigenden Lohnprofilen eine effizienzfördernde Wirkung zukommt 85 , sind aus ökonomischer Sicht ältere Arbeitnehmer in besonderer Weise von opportunistischen Kündigungen durch den Arbeitgeber gefährdet und deshalb zu schützen. Auch hier sprechen also Gründe für und gegen die Sozialauswahl beim Kündigungsschutz. Fünftens wird gegen den Kündigungsschutz vorgebracht, die mit ihm verbundene sinkende Flexibilität bei der Anpassung an strukturelle Veränderungen verursache bei den Betrieben erhebliche Kosten und habe eine produktivitäts- 86 und innovationsfeindliche 87 Wirkung. In der Tat kann die Bindung des Arbeitnehmers an den Betrieb u.U. die Nutzung seiner Arbeitskraft in der sinnvollsten Verwendung verhindern. Ist nämlich der Arbeitnehmer in einer schrumpfenden Branche beschäftigt, während aufgrund volkswirtschaftlich veränderter Rahmenbedingungen andere Branchen wachsen, dann kann die durch den Kündigungsschutz verlängerte Beschäftigungsdauer zu gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverlusten fuhren. Zwar besteht trotz des Kündigungsschutzes die Möglichkeit einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Dieser wird der Arbeitnehmer jedoch nur zustimmen, wenn die Bedingungen in seinem neuen Job hinter den bisherigen nicht zurückbleiben. Ist aber die Produktivität des Arbeitnehmers in einem schrumpfenden Wirtschaftszweig niedriger als in einer wachsenden Branche, dann ist ein Stellenwechsel gesamtwirtschaftlich auch dann zu befürworten, wenn der Arbeitnehmer im schrumpfenden Wirtschaftszweig höhere Löhne beziehen kann. Der an sich vorhandene Anpassungsdruck wird durch den Kündigungsschutz jedoch verringert, so daß durch Beschäftigung des Arbeitnehmers im unproduktiveren Zweig zum einen Produktivitätsverluste entstehen und zum anderen das Unternehmen der schrumpfenden Branche mit weiterhin hohen Kosten belastet wird. In eine ganz ähnliche Richtung zielt das sechste Argument gegen Kündigungsschutz, welches auf dessen unmittelbare Kehrseite hinweist 88 . Es geht insofern nicht um die Arbeitsplatzmobilität unter den Arbeitnehmern, sondern zwischen Arbeitnehmern und Arbeitslosen: Je intensiver nämlich die Arbeitsplätze der Arbeitnehmer gesichert werden, desto schwieriger wird es - bei gleichbleibendem Arbeitsplatzangebot - für Arbeitslose, selbst eine Tätigkeit aufnehmen zu können. Im Ergebnis „senkt (der Kündigungsschutz) das Zugangsrisiko in Arbeitslosigkeit und erhöht aber gleichzeitig deren Dauer" 89 . Dieser Zusammenhang wird in den Wirtschaftswissenschaften als „Insider-Outsider-
85 86
Vgl. hierzu bereits E.II.l.b)bb)(2)(a).
Buttler/Walwei, MittAB 1990, 386, 387; Walwei in Sadowski/Walwei, S. 81; MüKoSchwerdtner, § 622 Anh., Rdnr. 5. 87 Eger in Sadowski/Walwei, S. 53. 88 Walwei in Sadowski/Walwei, S. 81, 99; Buttler/Walwei, MittAB 1990, 386, 387, 393; Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999, 415, 416. 89 Walwei in Sadowski/Walwei, S. 89.
II. Arbeitsvertrag und Kündigungsschutz
225
90
Problem" bezeichnet. Auch hier wird - neben verteilungspolitischen Folgen eine effiziente Allokation dadurch verhindert, daß Arbeitskräfte nicht in ihre produktivste Verwendung gelenkt werden. Vielmehr werden durch Kündigungsschutz (künstlich) Transaktionskosten aufgebaut, die sich - ähnlich wie betriebsspezifische Humankapitalinvestitionen91 - für die Arbeitslosen als Wettbewerbsbarrieren auf dem Arbeitsmarkt darstellen. Dabei zeigt sich, daß - nicht zuletzt mangels Repräsentation durch Interessengruppen - die Belange von Arbeitslosen im gegenwärtigen Arbeitsrecht kaum berücksichtigt werden. Dies macht ein Umdenken in der arbeitsrechtlichen Wissenschaft insofern nötig 92 , als die Zahl der Arbeitslosen seit Jahrzehnten praktisch kontinuierlich steigt. Ökonomisch betrachtet verursacht der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wirkende Kündigungsschutz für die Arbeitslosen negative externe Effekte. bb) Positive Wirkungen Trotz dieser großen Zahl effizienzmindernder Folgen kann ein „richtig" verstandener Kündigungsschutz auch nicht zu vernachlässigende positive Wirkungen entfalten. Insofern wurde bereits auf den motivationsfordernden Effekt der Beschäftigungsstabilisierung hingewiesen93. Daneben wird z.B. von Okun 94 der Schutz vor opportunistischem Verhalten durch den Arbeitgeber betont. Nach ihm besiegelt der Arbeitsvertrag nicht den Austausch von Leistung und Lohn, sondern vielmehr den „unsichtbaren Händedruck" zum Austausch eines unsichtbaren Leistungsversprechens gegen ein unsichtbares Karriereversprechen. Insofern ist das Kündigungsschutzrecht nach Okun nur eine gesetzliche und damit besser durchsetzbare Kodifikation dessen, was die Parteien ohnehin privat vereinbart hätten. Durch diese Kodifikation soll eine Verletzung des durch den „unsichtbaren Händedruck" zustande gekommenen Vertrags sanktionierbar werden. Inhaltlich jedoch bringt diese gesetzliche Verankerung keinerlei Pflichten, die über den unsichtbaren Vertrag hinausgehen. Nach dieser Ansicht geht vom Kündigungsschutz kein effizienzmindernder
90 Buttler/Wahvei, MittAB 1990, 386, 387; Eger in Sadowski/Walwei, S. 55. Umfassend zur Insider-Outsider-Theorie, nach der die Gewerkschaften allein die Beschäftigten repräsentieren und daher deren Gehälter so festlegen, daß die Arbeitnehmer zwar ihre Anstellung behalten, aber nicht durch Zugeständnisse bei den Löhnen auch den Arbeitslosen eine Zugangschance zum Arbeitsmarkt verschaffen, z.B. Lindbeck/Snower, Ball, JME 1990, 459 ff.; J. Möller, WiSt 1991, 333 ff.; kritisch zu dieser Theorie Henneberger/Keller in Gabler Wirtschaftslexikon, S. 239 ff. 91 Behrens, ZfA 1989, 209, 225 und Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999, 415, 417 betonen, daß solche betriebsspezifischen Humankapitalinvestitionen den Mitarbeiter zwar an den Betrieb binden, gleichzeitig aber sowohl für andere Arbeitnehmer als auch für Arbeitslose wettbewerbsbeschränkend wirken. 92 So auch Franz/Rüthers, RdA 1999, 32, 38; Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999, 415, 416; Walwei in Sadowski/Walwei, S. 99. Gegen die Berücksichtigung der Belange von Arbeitslosen zumindest bei der Auslegung von § 1 KSchG wendet sich ausdrücklich Fischer, ZfA 2002, 215, 241. 93 Dazu oben E.II.2.b)aa). 94 Okun, S. 89 ff.
15 Janson
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
226
Verlust an Flexibilität aus. Ihm kommt vielmehr die effizienzfördernde Funktion zu, die den Arbeitnehmern von redlichen Arbeitgebern ohnehin zugestandenen Rechte abzusichern und aus transaktionskostentheoretischer Sicht aufwendige Schutzmaßnahmen zu verhindern 95. Darüber hinaus können Kündigungsschutzregelungen auch dazu dienen, volkswirtschaftlich ineffiziente Trennungen zu vermeiden 96. Von einer solchen spricht man, wenn die Trennungsentscheidung die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung negativ beeinflußt. Dazu kommt es z.B. dann, wenn von einer Kündigung negative externe Effekte beim Vertragpartner ausgehen, die der Handelnde deshalb nicht berücksichtigt, weil er sie nicht ersetzen muß. Im Falle der arbeitnehmerseitigen Kündigung bestehen solche negativen externen Effekte für den Arbeitgeber z.B. aus dem Verlust von Quasi-Renten97 aus Humankapitalinvestitionen sowie in den Kosten für die Wiederbesetzung des Arbeitsplatzes. Für den Arbeitnehmer entstehen im Falle einer Kündigung durch den Arbeitgeber ebenfalls Kosten durch den Verlust von Quasi-Renten aus Humankapitalinvestitionen (besonders bei senioritätsabhängiger Entlohnung mit steigenden Lohnprofilen), aber auch Kosten durch eine Reintegration in den Arbeitsmarkt oder einen notwendigen Umzug (sogenannte „Mobilitätskosten") 98 . Aufgrund dieser externen Effekte beim Vertragspartner ist aus volkswirtschaftlicher Sicht eine Kündigung nur dann effizient, wenn die im alten Arbeitsverhältnis noch zu erzielende Nettowertschöpfüng des Arbeitnehmers, also seine Produktivität abzüglich der durch seine Beschäftigung verursachten Kosten, geringer ist als die um die Wechselkosten99 reduzierte Nettowertschöpfüng im neuen Arbeitsverhältnis 100. Dieser volkswirtschaftlichen Optimalitätsbedingung stehen die individuellen Kalküle der Akteure gegenüber. Der Arbeitgeber wird dem Arbeitnehmer aus betriebswirtschaftlicher Sicht bereits dann kündigen, wenn dessen Weiterbeschäftigungskosten die Wertschöpfung übersteigen. Dagegen wird der Arbeitnehmer das Beschäftigungsverhältnis dann auflösen, wenn er in einer neuen Anstellung nach Abzug der Umzugskosten ein höheres Gehalt erzielen kann. Ein effizienter Kündigungsschutz muß also so ausgestaltet werden, daß die Akteure mit den von ihnen verursachten externen Effekten möglichst weitgehend selbst belastet werden, um so das individuelle Kalkül dem gesamtwirtschaftlich optimalen Kalkül anzunähern 101.
95 96 97 98
Zu alldem auch Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 474 f. Eger in Sadowski/Walwei, S. 51 f.; SchellhaaßlNolle, JbfNÖuStat 1999,415,416; Nolle, S. 8 ff. Siehe dazu B.III.2. Zu alldem Nolle, S. 8 f.
99 Hierunter sind die Kosten zu verstehen, die bei den drei von einem potentiellen Arbeitsplatzwechsel betroffenen Seiten anfallen. So entstehen für den bisherigen Arbeitgeber z.B. Suchkosten nach einem neuen Arbeitnehmer, für den Arbeitnehmer dagegen z.B. Mobilitätskosten, die gegebenenfalls durch den neuen Arbeitgeber (teilweise) übernommen werden. 100 101
Ähnlich insofern Nolle, S. 15 f.; Eger in Sadowski/Walwei, S. 51 f. Dazu ausführlicher noch unter E.II.2.c)bb)/cc).
II. Arbeitsvertrag und Kündigungsschutz
227
Neben der Internalisierung externer Effekte können Kündigungsschutzregeln viertens auch insofern effizienzfordernd wirken, als sie externe Effekte im Verhältnis zu unbeteiligten Dritten internalisieren 102. Es ist offenkundig, daß jede Kündigung eines Arbeitnehmers die öffentlichen Haushalte und damit letztlich alle Steuerzahler in hohem Maße belastet: Neben Ausfällen an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen entstehen unmittelbare Ausgaben für die öffentliche Hand in Form von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe, aber auch schwer meßbare soziale Kosten 103 . Wenn es durch geeignete Ausformungen von Kündigungsschutznormen gelingt, diese Kosten nicht weiter als externe Effekte auf die Allgemeinheit abzuwälzen, so ist damit zum einen eine geringere Anzahl an Kündigungen, zum anderen eine Erhöhung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt zu erwarten 104, da Verzerrungen beseitigt werden. Zuletzt gehen vom Kündigungsschutz auch dadurch positive volkswirtschaftliche Effekte aus, als er die Beschäftigungsdauer erhöht und damit die Investitionen in Humankapital fordert. Können nämlich Arbeitgeber und Arbeitnehmer davon ausgehen, daß das Beschäftigungsverhältnis nur unter Wahrung bestimmter Fristen (und arbeitgeberseitig lediglich aus besonderen Gründen) beendet werden kann, dann steigt die durchschnittliche Amortisationsdauer des Kapitaleinsatzes und beide Seiten haben einen größeren Anreiz, in die Ausbildung des Arbeitnehmers zu investieren 105. Insofern sehen Buttler/Walwei im Kündigungsschutz die den Humankapitalinvestitionen vorweggenommene „Anschubfinanzierung" 106 für das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, deren Intensität mit Dauer der Betriebszugehörigkeit steigt. cc) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis kann hier festgehalten werden, daß - anders als oft angenommen - von Kündigungsschutznormen sowohl negative als auch positive Effizienzwirkungen ausgehen. Es zeigt sich, daß das Arbeitsrecht nicht zwingend effizienzfeindlich ist. Welche Effekte überwiegen und ob damit dem gegenwärtig geltenden Kündigungsschutz insgesamt eine effizienzfördernde Wirkung zukommt oder nicht, soll hier nicht Gegenstand der Betrachtung sein 107 , da der Kündigungsschutz insgesamt - unabhängig von seinen Wirkungen - politisch kaum jemals zur Disposition stehen dürfte. Es geht insofern nicht
102 Umfassend dazu Nolte, S. 33 ff. Ebenso Dörsam, ZWS 1997, 55, 68. Ähnlich auch der Gedanke bei Salje in Ott/Schäfer, S. 237. 103 In diesem Zusammenhang sind das die Kosten, die z.B. durch einen arbeitslosigkeitsbedingt verstärkten Alkohol- und Drogenkonsum entstehen; vgl. zum ganzen Montada in ders., S. 10 f. 104 Hierzu auch Nolte, S. 34 (mwN). 105 Eger/Weise in Ott/Schäfer, S. 74 f.; Kirstein/Kittner/Schmidtchen in Ott/Schäfer, S. 100; Franz!Rüthers, RdA 1999, 32, 33; Nolte, S. 38 ff.; Buttler/Walwei, MittAB 1990, 386, 388, 392; Dörsam, ZWS 1997,55,68. 106 Buttler/Walwei, MittAB 1990, 386, 392. 107 Dazu aber (mit insgesamt positiver Grundtendenz) Franke, S. 110.
15'
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
228
um die Frage des „ob", sondern um die Frage des „wie". Daher ist im folgenden zu prüfen, wie die aus Sicht der ökonomischen Theorie des Rechts problematischen Aspekte des Kündigungsschutzes entschärft werden können, ohne dessen positive Wirkungen zu beeinträchtigen. Unabhängig von seiner absoluten Effizienzwirkung kann der Kündigungsschutz auf diese Weise zumindest effizienter werden. Wie das gesamte Recht ist nämlich auch der Kündigungsschutz - was durch die neoinstitutionelle Betrachtungsweise betont wird - gerade kein „Nullsummenspiel", bei dem eine Seite empfängt, was die andere verliert; vielmehr kann durch geeignete Ausgestaltung ein „Positivsummenspiel" entstehen, welches die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt erhöht 108 . c) Kündigungsschutz aus Sicht der ökonomischen Theorie des Rechts Obwohl Zöllner anmerkt, beim Kündigungsschutzrecht „handel(e) es sich um einen der menschlich sensibelsten Bereiche des Arbeitsrechts, dem man sich besonders ungern mit der Attitüde ökonomischer Rationalität zuwendet" 109 , werden von verschiedenen Vertretern der ökonomischen Rechtstheorie Vorschläge zur Effizienzsteigerung dieser Regelungsmaterie gemacht. Im folgenden sollen einige Anregungen exemplarisch vorgestellt werden. Aus Sicht der Rechtsökonomik sind - wie die Diskussion um die Vor- und Nachteile gezeigt hat - die Beschäftigungskosten möglichst gering zu halten, um effizienzfeindliche Wirkungen durch den Kündigungsschutz zu vermeiden. Daneben sollen aber auch Humankapitalinvestitionen gefördert, Quasi-Renten gesichert und durch Internalisierung externer Effekte ineffiziente Trennungen vermieden werden 110 . Diese Aufgaben sind eng miteinander verknüpft, da - wie gezeigt 111 eine der Hauptursachen für ineffiziente Trennungen im Verlust der Quasi-Rente durch einen zu geringen Schutz der Humankapitalinvestitionen liegt. Andererseits erhöht eine zu strikte Sicherung solcher Investitionen die Beschäftigungskosten. Es ist folglich zu prüfen, durch welche Ausgestaltung des Kündigungsschutzes zum einen die Quasi-Renten wirksam und kostengünstig gesichert (aa), zum anderen externe Effekte beim Vertragspartner (bb) und bei Dritten (cc) internalisiert werden können. aa) Sicherung von Quasi-Renten Zur Sicherung von Quasi-Renten setzen z.B. Schellhaaß/Nolte112 bei den Humankapitalinvestitionen an und differenzieren in ihrem Vorschlag zur institutionellen Ausgestaltung der Arbeitsplatzsicherung nach deren Spezifitätsgrad. Dabei greifen sie die bereits vorgestellte Unterscheidung der Qualifikationen in 108
So auch Kirchner in Ott/Schäfer, S. 85; van Aaken in Ott/Schäfer, S. 89 sieht darin gerade die „Aufklärungsfunktion" der ökonomischen Theorie des Rechts. 109 Zöllner, ZfA 1994, 423, 433. 110 Hierzu z.B. Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999, 415, 416; Nolte, S. 79 ff. 111 Siehe dazu bereits unter E.II.2.b)bb). 112 Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999, 415,418 ff.; darauf aufbauend Nolte, S. 79 ff.
II. Arbeitsvertrag und Kündigungsschutz
229
drei Gruppen (allgemeine, branchenspezifische und betriebsspezifische) auf. Bei der Art der Arbeitsplatzsicherung grenzen sie den reinen Willkürschutz von einem umfassenden Kündigungsschutz ab 113 . Ist der Arbeitsplatz nur mit dem Willkürschutz gesichert, so genügt für eine Kündigung des Arbeitnehmers ein in § 1 II 1 KSchG genannter (personen-, Verhaltens- oder betriebsbedingter) Grund. Im Falle umfassenden Kündigungsschutzes dagegen bedarf es der drei zusätzlich von der aktuellen Rechtsprechung geforderten Überlegungen, nämlich der Negativprognose, der Ultima-Ratio-Beurteilung und der Abwägung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen 114. Zunächst untersuchen Schellhaaß/Nolte das effiziente Maß an Kündigungsschutz für Arbeitsverhältnisse mit allgemeinen Qualifikationen. Da vorerst von jeglichen Mobilitätskosten (wie Kosten für Umzug, Umschulungen, erneute Bewerbungen, etc.) abstrahiert wird, entstehen durch eine Kündigung in diesem Qualifikationssegment keinerlei ProduktivitätsVerluste. Ökonomisch betrachtet kann der lediglich allgemein qualifizierte Arbeitnehmer also unmittelbar durch einen anderen ersetzt werden, ohne daß Quasi-Renten und damit letztlich Humankapitalinvestitionen verloren gehen115. Daher bedarf es nach der ökonomischen Theorie für derartige Arbeitsverhältnisse keines umfassenden Kündigungsschutzes. Andererseits darf aus ökonomischer Sicht auch nicht jeglicher Kündigungsschutz fehlen: Um Humankapitalinvestitionen zu fördern ist es vielmehr effizient, den Arbeitnehmer gegen willkürliche Entlassungen abzusichern, also eine Kündigung allein aus den in § 1 II KSchG genannten Gründen zuzulassen116. Ein darüber hinausgehender Kündigungsschutz dagegen führt aufgrund der hohen Nachfrageelastizität 117 gerade in diesem Arbeitsmarktsegment zu einer erheblichen Reduzierung des Angebots an Arbeitsplätzen. Im Unterschied zu den lediglich allgemein qualifizierten Arbeitnehmern besteht bei der Kündigung von Arbeitnehmern mit branchenspezifischen Qualifikationen die Gefahr von zusätzlichen Humankapital- und damit Produktivitätsverlusten. Durch die - wie dargestellt 118 vom Arbeitnehmer getragenen Investitionen in branchenspezifisches Humankapital schrumpft nämlich dessen ursprünglich weiter Einsatzbereich im Laufe seiner Beschäftigungszeit auf eine
113 Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999, 415, 419. Vgl. dazu die bereits E.II.2.a) angedeutete ursprüngliche gesetzgeberische Intention beim Kündigungsschutzgesetz. 114 Hierzu Kittner/Köhler, BB 2000 (Beilage 4), 1, 20 ff.; ausführlich z.B. v. HoyningenHuene/Linck, § 1, Rdnr. 130 ff. 115 Zu alldem Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999,415,418 ff. 116 Dazu bereits unter E.II.2.b)bb). 117 Unter einer hohen Nachfrageelastizität versteht man eine starke Reaktion der Nachfrage auf sich verändernde Preise, vgl. Varian, S. 257 ff., hier also eine überproportional kräftige Verringerung der Nachfrage nach Arbeitskräften im Falle steigender Kosten durch einen umfassenderen Kündigungsschutz. Dazu auch Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999, 415, 420 sowie Nolte, S. 93 ff. 118
Siehe dazu E.II.l.b)bb)(2)(a).
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
230
bestimmte Branche zusammen119. Ist ein Wechsel innerhalb der Branche nicht möglich, so gehen durch den Wechsel des Arbeitnehmers in eine andere Branche Humankapitalinvestitionen verloren, weil Quasi-Renten nicht realisiert werden können. Aus ökonomischer Sicht geht es also weniger um den die juristische Betrachtung dominierenden Bestandsschutz 120 des speziellen Arbeitsverhältnisses als vielmehr um die Sicherung dieser Quasi-Renten, durch die eine optimale Wertschöpfung erreicht werden soll. Dies gilt um so mehr, als eine solche Sicherung auch die Vornahme von Investitionen in der Zukunft stärkt 121 : Im Vertrauen auf eine langfristige Anstellung werden nämlich mehr Arbeitnehmer zur Vornahme von Humankapitalinvestitionen bereit sein. Insofern sind branchenspezifisch qualifizierte Arbeitnehmer durch einen weitreichenderen Kündigungsschutz als allgemein qualifizierte gegen die unmittelbare Konkurrenz vergleichbarer Wettbewerber zu schützen122. Der strukturell bedingte Anpassungsdruck, aufgrund dessen dienstältere Arbeitnehmer bei jüngerer Konkurrenz eine Tätigkeit in einer anderen Branche suchen müßten, verlagert sich durch den erweiterten Kündigungsschutz auf Berufsanfänger, welche noch nicht in gleicher Weise über „enteignungsanfällige Quasi-Renten" verfügen. Daher fordern Schellhaaß/Nolte für branchenspezifisch qualifizierte Arbeitnehmer 123 einen über den reinen Willkürschutz hinausgehenden Schutz vor Beendigungskündigungen, der den Arbeitnehmer vor einer Verdrängung durch externe Bewerber absichert. Einen solchen erkennen sie zum einen in der Rechtsprechungspraxis, die betriebsbedingte Kündigungen nur dann zuläßt, wenn die jeweilige Arbeitsmöglichkeit tatsächlich endgültig entfällt 124 , zum anderen aber auch in Regelungen wie § 93 BetrVG, die es dem Betriebsrat ermöglicht, für Neubesetzungen von Stellen eine vorangehende interne Ausschreibung zu fordern. Dagegen darf der Kündigungsschutz aus neoinstitutioneller Sicht nicht so weit gehen, wirtschaftlich gebotene Anpassungen zu verhindern. Vielmehr ist gegen Änderungskündigungen auch in diesem Arbeitsmarktsegment lediglich ein Willkürschutz zu institutionalisieren. Auf diese Weise sollen einerseits eine „Besitzstandsgarantie für ein einmal erreichtes Einkommen" verhindert und Anpassungen an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse erlaubt, andererseits aber die sonst zu beobachtenden Beendigungskündigungen vermieden werden 125.
119 Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999, 415, 423 f. nennen hier exemplarisch den DiplomKaufmann, der nach seinem Examen nahezu jede kaufmännische Stelle besetzen kann, nach einigen Jahren in der Pharmabranche aber aufgrund des erlangten branchenspezifischen Kapitals nicht mehr mit gleicher Produktivität in einer anderen Branche eingesetzt werden kann. 120 So - in bemerkenswerter Abwendung vom ursprünglichen Gesetzeszweck (vgl. E.II.2.a)) das Bundesarbeitsgericht, BAGE 16, 285, 291; BAGE 34, 309, 327; BAGE 35, 30,41. 121 122
Hierzu siehe Nolte, S. 96 f.; Schellhaaß/Nolte,
JbfNÖuStat 1999, 415, 422 f.
Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999,415,423 ziehen hier eine Parallele zum Patentschutz. 123 Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999,415,422 ff.; noch umfassender Nolte, S. 95 ff. 124 Vgl. dazu v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1, Rdnr. 368; Kittner/Däubler/Zwanziger-Ä^/ier, § 1 KSchG, Rdnr. 274 ff.; Löwisch, Kündigungsschutzgesetz, § 1, Rdnr. 260 ff. 125 Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999, 415, 423 f.
II. Arbeitsvertrag und Kündigungsschutz
231
Betriebsspezifische Qualifikationen können nur im Betrieb selbst gesammelt und deshalb von externen Arbeitskräften nicht vorgewiesen werden. Sie begründen Quasi-Renten, wegen derer beide Vertragsseiten an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses interessiert sind, zumal sie beide anteilig die Kosten der Humankapitalinvestition getragen haben126. Es bedarf deshalb - anders als bei den branchenspezifisch qualifizierten Arbeitnehmern - auf den ersten Blick keiner „ 4 künstliche(n) 4 Marktzutrittsschranke" 127 für Arbeitsuchende durch einen über den reinen Willkürschutz hinausgehenden Schutz vor Beendigungskündigungen. Es ergibt sich in diesem Segment jedoch ein anderes Problem: Da nämlich der Umfang an betriebsspezifischen Qualifikationen durch „on the job"-Weiterbildungen nicht exakt bestimmbar ist, erhält der Arbeitnehmer in der Praxis als Lohn nicht das exakte Wertgrenzprodukt seiner Tätigkeit, sondern zumeist einen Grundlohn zuzüglich eines festgelegten (und typischerweise im Laufe der Zeit ansteigenden) Qualifikationszuschlags. Ist dieser Zuschlag jedoch vor Erwerb der Qualifikation festgelegt, so erhöht sich die Gefahr ineffizienter Trennungen. Steigt nämlich der Wert der betriebsspezifischen Qualifikationen des Arbeitnehmers durch Veränderungen, die außerhalb des Arbeitsverhältnisses liegen 128 , dann ist der Qualifikationszuschlag zu gering. Täuscht sich dagegen der Arbeitgeber z.B. über die Lernfähigkeit des Arbeitnehmers, dann ist der Qualifikationszuschlag u.U. zu hoch bemessen. In jedem Fall besteht die Gefahr, daß der Qualifikationszuschlag nicht der tatsächlichen Steigerung der Wertschöpfüng durch den Arbeitnehmer entspricht. Dann aber fallen erneut die gesamtwirtschaftliche und die individuell optimale Trennungsentscheidung auseinander: Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist die Trennung effizient, wenn der Arbeitnehmer in einem anderen Beschäftigungsverhältnis eine höhere Wertschöpfung erzielen kann. Individuell-rational dagegen wird ein Arbeitnehmer dann kündigen, wenn er in einem anderen Unternehmen einen höheren Lohn erzielen kann 129 . Da mit dieser Kündigung jedoch die QuasiRenten aus den betriebsspezifischen Humankapitalinvestitionen verloren gehen, ist ein solcher Schritt volkswirtschaftlich nur dann effizient, wenn der Produktivitätszuwachs des Arbeitnehmers durch den Betriebswechsel größer ist als der gesamte Verlust an Quasi-Rente. Ist dies nicht der Fall, dann ist es aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sinnvoll, dem Arbeitgeber die Möglichkeit zu geben, durch Erhöhung des Qualifikationszuschlages den Arbeitnehmer im Betrieb zu halten; dies läßt das deutsche Arbeitsrecht durch das geltende Günstigkeitsprinzip 130 zu. Dagegen wird ein Arbeitgeber dann kündigen, wenn die tatsächliche Produktivitätssteigerung des Arbeitnehmers aus der Humankapitalinvestition den Qualifikationszuschlag unterschreitet, ihm also einen 126
Dazu bereits E.II. 1 .b)bb)(2)(b).
127
Schellhaaß/Nolte,
128
JbfNÖuStat 1999,415, 424.
Solche „exogenen Schocks" können z.B. im Boom einer Branche gesehen werden, durch den der Arbeitnehmer bei gleichbleibender Qualifikation eine größere Wertschöpfung erzielt. 129 Diese Werte sind um die Mobilitätskosten zu bereinigen. 130 Vgl. Löwisch, Arbeitsrecht, Rdnr. 52; Zöllner, S. 66 f.; MWAibR-Richardi, § 8, Rdnr. 24.
232
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
Nettoverlust beschert. Eine solche arbeitgeberseitige Kündigung geschieht volkswirtschaftlich ineffizient - selbst dann, wenn die Rückflüsse aus der betriebsspezifischen Humankapitalinvestition positiv sind, aber unterhalb des fixen Qualifikationszuschlags bleiben. Um in einer solchen Situation das betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich optimale Kalkül aneinander anzunähern, empfehlen Schellhaaß/Nolte131 die Flexibilisierung des Qualifikationszuschlags und damit eines Teils des Lohns nach unten („Notfalltarif'). Zur Vermeidung opportunistischen Verhaltens durch den Arbeitgeber, der das Vorliegen einer solchen Situation auch vorgeben könnte, um den Lohn der Arbeitnehmer zu drücken, soll der - im Vergleich zum einzelnen Arbeitnehmer besser informierbare und informierte - Betriebsrat eine ökonomische Überwachungsfünktion übernehmen 132. Wo eine derartige Möglichkeit zur Lohnanpassung nach unten 133 dagegen nicht gegeben sei, bedürfe es eines umfassenden Kündigungsschutzes, wie ihn das deutsche Arbeitsrecht mit seiner Abwägung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteresse sowie mit der Beteiligung des Betriebsrates an betriebsbedingten Kündigungen kenne 134 . Im Ergebnis kommen Schellhaaß/Nolte zur Sicherung der Quasi-Renten zu einem gestaffelten System der Kündigungsschutzintensität. Während lediglich allgemein qualifizierte Arbeitnehmer aus ökonomischer Sicht nur gegen willkürliche Kündigungen geschützt werden müssen, besteht bei branchenspezifisch qualifizierten ein volkswirtschaftlicher Bedarf nach einem weitergehenden Schutz. Ein (momentan allen Arbeitnehmern zugestandener) umfassender Kündigungsschutz ist lediglich betriebsspezifisch qualifizierten Arbeitnehmern zu gewähren, bei denen keine Notfalltarife vereinbart sind; diese Personengruppe wird ansonsten aus Furcht vor (durch zu hohe Qualifikationszuschläge begründeten) Kündigungen in zu geringem Maße volkswirtschaftlich wünschenswerte Humankapitalinvestitionen tätigen, wenn sie nicht durch das Recht umfassend geschützt wird. Unabhängig von möglicherweise ebenfalls relevanten, hier aber aus Darstellungsgründen nicht berücksichtigten, nicht-ökonomischen Wertungen handelt es sich bei diesem Modell um den aus institutionenökonomischer Sicht wohl am besten zur Sicherung von Quasi-Renten geeigneten Vorschlag.
131
Schellhaaß/Nolte,
JbfNÖuStat 1999, 415, 427.
132
So auch Nolte, S. 113 f., der zur Verhinderung opportunistischen Arbeitgeberverhaltens die justitiable Vereinbarung von Indikatoren zur Bestimmung solcher Situationen vorschlägt. Dazu, daß nicht jede Form von Kündigungsschutz gesetzlich gewährt sein muß, vgl. auch Buttler/ Walwei, MittAB 1990, 386, 388 f. und den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1989/90, BT-Drucks. 11/5786, Nr. 367. Zur Notwendigkeit bestimmter gesetzlich normierter Kündigungsschutzregeln aber Eger in Sadowski/Walwei, S. 53 ff. 133 Nochmals sei daraufhingewiesen, daß es sich bei dieser Lohnanpassung lediglich um die Reduktion des Qualifikationszuschlages handelt. Der Grundlohn bleibt unangetastet, da es aus volkswirtschaftlicher Sicht nur um die Sicherung der Quasi-Renten geht. 134 Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999,415, 427; Nolte, S. 114.
II. Arbeitsvertrag und Kündigungsschutz
233
bb) Internalisierung externer Effekte bei den Vertragspartnern In der Realität besteht neben der Gefahr von Produktivitätsverlusten durch enttäuschte Humankapitalinvestitionen noch das Problem der externen Effekte, welche durch eine Kündigung entstehen. Entläßt der Arbeitgeber nämlich einen Arbeitnehmer, so entstehen für diesen Mobilitätskosten 135 , die es zu internalisieren gilt. Der Arbeitgeber muß also dazu gebracht werden, solche Kosten in sein Kündigungskalkül einzubeziehen. Dies kann entweder durch die Zahlung einer Abfindung in Höhe der Wiedereingliederungskosten auf dem externen Arbeitsmarkt geschehen oder aber durch Versetzung des Arbeitnehmers im Betrieb 136 . Die genaue Festlegung der Modalitäten kann im Sozialplan (§§ 111 ff. BetrVG) geschehen137. Ist der Arbeitgeber zu solchen Leistungen verpflichtet, so wird die für ihn günstigere Wahl aufgrund der Internalisierung externer Kosten auch die volkswirtschaftlich effiziente sein. Durch ein solches Abfindungsmodell werden für den Arbeitgeber die Kosten einer Entlassung oder Umsetzung zwar im Vergleich zur aktuellen Kündigungssituation mit Sozialauswahl, bei der auch heute schon in der Mehrzahl der Fälle eine Abfindung gezahlt wird 1 3 8 , nicht unbedingt geringer, aber jedenfalls kalkulierbar 139 . Auch dadurch können ineffiziente Trennungen vermieden werden. Das ist der Grund, weshalb immer öfter gefordert wird, „die Sozialauswahl von einem rechtlichen in ein finanzielles Kündigungshemmnis zu transformieren" 140. Die Aushandlung des Sozialplans durch Betriebsrat und Unternehmer mit einer Einigungsstelle zur Lösung von Konflikten reduziert insofern die Transaktionskosten, als auf diese Weise - im Vergleich z.B. zu einer gerichtlichen Klärung - sachnähere und mit den Unternehmensinterna vertrautere Personen die Entscheidung treffen, so daß nicht sämtliche Informationen erst im Prozeß erörtert und verarbeitet werden müssen141. Allerdings bedarf es nach Ansicht von Schellhaaß/Nolte zweier Änderungen gegenüber der aktuellen Rechtslage, in welcher der Sozialplan die Abfindungskosten in einem Punkt ineffizient erweitert, in einem anderen aber auch zu eng bemißt: Zu weit reiche der Sozialplan aus ökonomischer Sicht dort, wo er einen Ausgleich der EinkommensvQrlustQ vorsähe 135
Dazu bereits unter E.II.2.b)bb). Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999,415, 420 f. 137 Zum Sozialplan aus ökonomischer Sicht Schellhaaß, ZfA 1989,167 f f ; Franke, S. 88 ff. 138 Vgl. schon Zöllner, Juristentag 1952, Bd. I, D-135 f.; Löwisch, Kündigungsschutzgesetz, Vorbemerkung zu § 1, Rdnr. 14; Kittner/Däubler/Zwanziger-Däwb/e/*, Einleitung, Rdnr. 969. 139 So auch Willemsen, NJW 2000, 2779, 2784; Busch, BB 2003, 470, 472. 136
140
Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999, 415, 421; v. Hoyningen-Huene/Linck, Einleitung, Rdnr. 66 (mwN): Busch, BB 2003, 470, 471 (mwN). Ebenso bereits Behrens, ZfA 1989, 209, 234, der spiegelbildlich einen - in anderen Ländern vorgesehenen - Kündigungsschutz zugunsten der Arbeitgeber anregt, da diese ebenfalls den Verlust von Quasi-Renten befürchten müssen. Bei der Stärkung der Abfindungslösung ist jedoch im Auge zu behalten, daß das aktuelle Kündigungsschutzgesetz überwiegend als ein „Bestandsschutzgesetz und kein Abfindungsgesetz" verstanden wird, vgl. dazu nur v. Hoyningen-Huene/Linck, § 9, Rdnr. 5 (mwN) und Kittner/Däubler/ZwanzigerDäubler, Einleitung, Rdnr. 969 f. (mwN). 141 Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999,415, 422.
234
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
(§ 112 V 2 Nr. 1 BetrVG). Diese resultierten nämlich aus einer zu geringen Produktivität im Verhältnis zu den Kosten des Arbeitsplatzes und sollten deshalb generell nicht ersetzt werden; zur Zahlung einer an der Betriebszugehörigkeit orientierten Abfindungskomponente dürfe der Arbeitgeber unter Effizienzgesichtspunkten nämlich nur dann verpflichtet werden, wenn der Arbeitnehmer aufgrund von Senioritätslöhnen ein „Pfand" eingezahlt habe, welches er durch die Kündigung zu verlieren drohe 142 . Zu eng seien die Ausgleichspflichten des Sozialplanes aus ökonomischer Sicht in den Bereichen, in denen ein solcher gar nicht erstellt werden müsse, weil es sich entweder um eine betriebsbedingte Einzelkündigung handele oder ein Betriebsrat überhaupt nicht existiere 143 . cc) Interaalisierung externer Effekte bei Dritten Nachdem nun ein zur Sicherung von Humankapitalinvestitionen effizienter Kündigungsschutz vorgestellt wurde, der zudem externe Effekte internalisiert, die bei der jeweils anderen Vertragspartei entstehen, ist noch zu prüfen, inwiefern externe Effekte auch bei Dritten anfallen und daher vom Kalkül des Handelnden umfaßt sein müssen. Solche Effekte entstehen - wie bereits angedeutet144 - durch Ausfälle beim Steueraufkommen und den Sozialversicherungsbeiträgen, durch Arbeitslosengeld und Sozialhilfe sowie durch soziale Kosten. Um dem entgegenzuwirken, sieht das deutsche Arbeitsrecht in § 17KSchG eine Anzeigepflicht bei umfangreichen Entlassungsmaßnahmen vor. Bei dieser Norm handelt es sich nicht um ein Schutzgesetz zugunsten des Arbeitnehmers, sondern um eine Vorwarnung, durch die der Arbeitsverwaltung Zeit zur Ergreifung von abmildernden Maßnahmen gegeben werden soll 145 . Trotzdem besteht aber bei der Arbeitslosenversicherung die Gefahr einer erheblichen Externalisierung von Kosten: Da sich die Arbeitslosenversicherung aus Beiträgen finanziert, für die Arbeitgeber und Arbeitnehmer anteilig mit einem festgelegten Prozentsatz des Arbeitnehmer-Bruttoeinkommens aufkommen, unterscheidet sie - anders als z.B. die private Kfz-Versicherung - nicht nach dem Grad der „Schadensverursachung". Im Ergebnis zahlen Arbeitgeber, die die Versicherung mit umfangreicheren Entlassungsmaßnahmen stärker belasten, ebenso hohe Beiträge wie Arbeitgeber, die keinerlei Belastungen verursachen. Werden erstere nicht mit den gesamten von ihnen ausgelösten Kosten belastet, so treten Verzerrungen auf, von denen eine gesamtwirtschaftlich ineffiziente Kündigungsaktivität ausgeht. Daher richtet sich z.B. in den USA der in die Arbeitslosenversicherung einzuzahlende Beitrag nach der Anzahl der Entlassungen des jeweiligen Unternehmens 146. Auf diese Weise werden die von 142
Zu diesem Gedanken auch Nolte, S. 199 ff., der dort auf die Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Abfindungshöhe hinweist. 143 Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999, 415,421. 144 Vgl. dazu E.II.2.b)bb). 145 ErfK-Ascheid, § 17 KSchG, Rdnr. 2 (mwN); v. Hoyningen-Huene/Linck, § 17, Rdnr. 65. 146 Genoskol Hirtel Weber, Wirtschaftsdienst 1999, 44; umfassend Graser, ZIAS 1999, 48 ff.
II. Arbeitsvertrag und Kündigungsschutz
235
Kündigungen ausgehenden (negativen) externen Effekte für Dritte internalisiert, so daß die Unternehmen zu einer gesamtwirtschaftlich effizienten Kündigungsaktivität angehalten werden. Insgesamt ist jedoch zu beachten, daß das Nebeneinander von Internalisierung externer Effekte zu Lasten der Arbeitnehmer auf der einen Seite und zu Lasten Dritter auf der anderen Seite so aufeinander abgestimmt wird, daß die Arbeitgeber nicht für den selben Effekt doppelt belastet werden, da hierdurch letztlich wiederum volkswirtschaftlich unerwünschte Ineffizienzen entstehen147. d) Ergebnis Die hier vorgestellten Anregungen für ein verändertes Verständnis von Kündigungsschutz dienen dazu, wesentliche Kritikpunkte der ökonomischen Theorie des Rechts an der Ausgestaltung des Kündigungsschutzrechts abzumildern. Zum einen werden keine über das nötige Maß hinausgehenden Marktzutrittsschranken für Arbeitsuchende aufgebaut, so daß der Interessenausgleich zwischen - in der ökonomischen Terminologie - „Insidern" und „Outsidern" des Arbeitsmarktes nicht auf Kosten letzterer ausgetragen wird. Diese Notwendigkeit erkennt auch das Bundesverfassungsgericht, wenn es ausführt, daß Art. 12 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip „gerade auch zur Sorge für diejenigen verpflichtet, die keinen Arbeitsplatz haben und einen solchen suchen" 148 . Insofern stimmen hier die Wertungen der Ökonomik und des Rechts überein, was freilich von den Arbeitsgerichten nicht immer in hinreichendem Maße berücksichtigt wird. Zweitens werden für beide Vertragsparteien die Folgen ihres Handelns internalisiert, so daß die zwischen ihnen getroffenen Entscheidungen nicht nur betriebs-, sondern auch gesamtwirtschaftlich wünschenswert sind. Dies führt ebenso wie die transaktionskostensenkende, verstärkt betriebsinterne Überwachung von Kündigungen zu einer Entlastung der Gerichte und damit dazu, daß das Informationsgefälle zwischen diesen und den Vertragsparteien an Bedeutung verliert 149 . Die Funktion des Kündigungsschutzes reduziert sich im Ergebnis in weiten Teilen auf die Sicherung von Quasi-Renten und die Internalisierung externer Kosten für die andere Vertragspartei und für Dritte. Damit ändert sich das Verständnis weg von einem immer wieder geforderten Zugehörigkeitsschutz des Arbeitnehmers zum „Betrieb als eine(m) sozialen Organismus" 150 und hin zum ursprünglich avisierten 151 Schutz vor einer willkürlichen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, ohne dabei jedoch die Funktion eines möglichst 147
Darauf weist zurecht Nolte, S. 37 (mwN) hin.
148
BVerfGE 59, 231,266. Hierzu auch Schellhaaß/Nolte,
149
JbfNÖuStat 1999, 415, 428.
150
Herschel, BB 1977, 708, 709, der im weiteren sogar von einem „Schutz eines durch persönlichen Einsatz erworbenen Besitzstandes" spricht. 151 Vgl. dazu E.II.2.a). Zum Streit über die Funktion des Kündigungsschutzes insgesamt Domdorf, ZfA 1989, 345, 348 (mwN).
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
236
weitreichenden Bestandsschutzes152 aus den Augen zu verlieren. Diese Funktion wird dadurch gewahrt, daß der so verstandene Kündigungsschutz seiner inneren Logik das ökonomisch-rationale Verhalten der Akteure zugrunde legt und versucht, dieses in gesamtwirtschaftlich effiziente Bahnen zu lenken. Dadurch, daß der verbleibende Willkürschutz einen der in § 1 II 1 KSchG genannten Gründe zur Voraussetzung jeder Kündigung macht, kommt es auch nicht zum oft befürchteten „unzumutbar gesteigerten Leistungsdruck(s) und Unterbietungswettbewerb" 153. Der Kündigungsschutz ist lediglich nicht mehr Teil einer „reaktiv-kompensatorische(n) Schadensbegrenzungspolitik, (... welche) gegen die betriebswirtschaftliche Logik der Unternehmen ankämpf(t)" 154 , sondern wirkt aktiv-gestalterisch auf volkswirtschaftlich wünschenswerte Entscheidungen der Individuen hin. I I I . Haftungsprivilegierung beim innerbetrieblichen Schadensausgleich Nach den allgemeinen Regeln haftet ein Schädiger dem Geschädigten für von ihm verursachte Schäden grundsätzlich verschuldensabhängig, also bei Vorsatz und Fahrlässigkeit (§ 276 I 1 BGB). Eine ausdrückliche gesetzliche Abweichung von diesem Grundsatz gibt es für das Arbeitsrecht nicht 155 . Dennoch hat die Rechtsprechung schon früh das den §§ 249 ff. zugrunde liegende Prinzip der Totalreparation für die Arbeitnehmerhaftung durchbrochen und dem Arbeitnehmer eine Haftungserleichterung teilweise zugestanden156. Während das Haftungsprivileg beim innerbetrieblichen Schadensausgleich zunächst nur für sogenannte „gefahrgeneigte Arbeit" 1 5 7 galt, wurde diese Einschränkung in der Folgezeit 158 aufgegeben und die Haftungsprivilegierung auf alle „betrieblich veranlaßten Tätigkeiten" ausgeweitet. Auf den ersten Blick scheint daraus eine Mehrbelastung des Arbeitgebers zu resultieren, von der negative gesamtwirtschaftliche Effizienzwirkungen ausgehen. Es werden nämlich zum einen dem Arbeitgeber Kosten auferlegt, die das Gut Arbeit verteuern und damit die Nachfrage reduzieren. Zum anderen werden 152
Vgl. dazu BAGE 16,285,291; BAGE 34,309, 327; BAGE 35,30,41. A u f diese Gefahr weisen bei vollständiger Abschaffung des Kündigungsschutzes (die - wie gezeigt - auch ökonomisch nicht wünschenswert wäre) zurecht v. Hoyningen-Huene/Linck, Einleitung, Rdnr. I I a (mwN) hin. 153
154
Schellhaaß/Nolte, JbfNÖuStat 1999,415,428. Auch § 619a BGB ändert für den Arbeitnehmer nicht den Verschuldensmaßstab, sondern verlagert allein die Beweislast zu seinen Gunsten; umfassend dazu Oetker, BB 2002, 43 ff. und ErfK-Preis, § 619a BGB, Rdnr. 1 f. Dagegen weist Walker, JuS 2002, 736, 737 daraufhin, bei der Umformulierung des § 276 I 1 BGB habe der Gesetzgeber das Arbeitsrecht vor Augen gehabt (vgl. BT-Drucks. 14/6857, S. 48). 156 Hierzu ErfK-Preis, § 619a BGB, Rdnr. 9 mit Verweis auf ein Urteil des RAG von 1937. 155
157
Vgl. z.B. BAGE 7, 290, 295. Der Richtungswechsel durch den Großen Senat in BAGE 78, 56, 61 ff. wurde vorbereitet von BAGE 44, 170, 175. Umfassend z.B. Schaub, WiB 1994, 227 f.; Walker, JuS 2002, 736, 737. 158
III. Haftungsprivilegierung beim innerbetrieblichen Schadensausgleich
237
dem Schädiger die Folgen der Schädigung zumindest teilweise abgenommen, was seinen Anreiz zur Schadensvermeidung negativ zu beeinflussen droht. Während in der juristischen Betrachtung die Ausgleichsfunktion für erlittene Schäden das Haftungsrecht dominiert 159 , ist aus ökonomischer Sicht gerade die Verhinderung zukünftiger Schäden und der daraus erwachsenden volkswirtschaftlichen Kosten die Hauptaufgaben des Haftungsrechts 160. Dabei geht es jedoch nicht um eine hundertprozentige Schadensprävention, sondern vielmehr um eine „ökonomisch sinnvolle". Der Grad an Vorsorge ist ökonomisch dann optimiert, wenn weitergehende Präventionsmaßnahmen höhere Kosten verursachen würden als ein mit seiner Eintrittswahrscheinlichkeit multiplizierter Schaden161. 1. Eingeschränkte Haftung des Arbeitnehmers Das Bundesarbeitsgericht hat für die Haftungsbeschränkung des Arbeitnehmers ein mehrstufiges System geschaffen, welches den Haftungsumfang im wesentlichen nach dem Grad des Verschuldens unterscheidet. Seit Beginn war die Rechtsprechung von der sogenannten „Haftungstrias" 162 geprägt, die zwischen leichter Fahrlässigkeit (1. Stufe), mittlerer Fahrlässigkeit (2. Stufe) und grober Fahrlässigkeit bzw. Vorsatz (3. Stufe) differenziert 163. Während bei leichter Fahrlässigkeit die Haftung des Arbeitnehmers vollständig entfällt und der Arbeitgeber den gesamten Schaden zu tragen hat, kommt es bei mittlerer Fahrlässigkeit zu einer anteiligen Kostentragung durch den Arbeitnehmer und den Arbeitgeber. Im Bereich der groben Fahrlässigkeit bzw. des Vorsatzes hat die Rechtsprechung über die Jahre eine weitere Differenzierung entwickelt 164 . War der Arbeitnehmer bei einem derartigen Verschulden anfangs noch stets zur vollen Kostentragung verpflichtet, so wurde diese Ausgestaltung dahingehend modifiziert, daß nunmehr selbst bei grober Fahrlässigkeit eine vollumfängliche Haftung allenfalls dann in Betracht kommt, wenn das Haftungsrisiko nicht außer Verhältnis zum Einkommen steht. Erst bei „gröbster Fahrlässigkeit" und Vorsatz haftet der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber auf den vollen Betrag. 159 Staudinger-J. Hager, Vorbem zu §§ 823 ff., Rdnr. 9 (mwN); MüKo-Mertens, Vor §§ 823 ff, Rdnr. 41 ff (mwN). Daneben wird auch noch der Straf-, der Schutz- und der Genugtuungsfunktion eine Bedeutung zugemessen. 160 Calabresi, S. 24. Umfassend Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 113 ff. In der juristischen Diskussion wird der Präventionsgedanke dagegen zumeist als „Sekundärfunktion" (MüKo-Mertens, Vor §§ 823 ff, Rdnr. 44) oder „in vielen Fällen erwünschtes Nebenprodukt" (Larenz, Schuldrecht, S. 423) angesehen. Dagegen stellt der Große Senat in BAGE 78, 56, 63 ff. stärker auf den Präventionsgedanken ab. 161
Dazu schon B.II.4.b). Für viele nur Sandmann, S. 7; Busemann, Rdnr. 34 ff; Walker, JuS 2002, 736, 738. 163 Umfassend und jeweils mit weiteren Nachweisen hierzu z.B. ErfK-Preis, § 619a BGB, Rdnr. 13 ff; Walker, JuS 2002, 736, 738 f.; Busemann, Rdnr. 34 ff; Löwisch, Rdnr. 1178 f f ; Zöllner, S. 252 ff; MüArbR-Blomeyer, § 59, Rdnr. 40 ff. 164 Dazu z.B. Walker, JuS 2002, 736, 738. 162
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
238
Insofern hat sich die Haftungstrias im Laufe einer sich ständig verändernden Rechtsprechung zu einer „Haftungsquart" 165 entwickelt. 2. Kostenarten der ökonomischen Theorie des Rechts In der ökonomischen Theorie des Schadensersatzrechts unterscheidet man zur vollständigen Erfassung der Schadenskosten seit Calabresi 166 drei Kostenarten: Unter den primären Kosten sind alle durch den Schaden vernichteten (materiellen und immateriellen) Nutzwerte zu verstehen. Es werden sämtliche Unfallschäden erfaßt, also neben den Kosten der Wiederherstellung auch Opportunitätskosten wie durch einen Krankenhausaufenthalt entgangene Freizeit oder Urlaubsfreude. Sekundäre Kosten dagegen sind solche Kosten, die durch eine sub-optimale Risikostreuung entstehen. Da die ökonomische Theorie versucht, möglichst genau den Nutzen der Individuen zu erfassen, spielt es z.B. eine Rolle, ob ein Schaden bei einem Individuum anfällt oder aber ein Schaden gleicher Höhe auf viele Akteure verteilt wird („abnehmender Grenznutzen" 167); eine einseitige Schadensverteilung erhöht regelmäßig die sekundären Kosten. Unter den tertiären Kosten versteht man dagegen die Kosten der Schadensabwicklung, also z.B. Anwalts- und Gerichtskosten, aber auch typische Transaktionskosten für die Einholung von Informationen oder die Schadensregulierung. Aus ökonomischer Sicht ist eine Haftungsregel dann effizient, wenn sie die Summe dieser drei Kostenarten zuzüglich der Präventionskosten minimiert 168 . Dabei ist zu beachten, daß niemals alle Kostenarten zugleich reduziert werden können, da zwischen ihnen Zielkonflikte bestehen169: Um beispielsweise die primären Kosten zu minimieren, ließe sich eine Haftungsregel einfuhren, nach der der Schädiger den doppelten Schadensersatz zu leisten hätte. Die Folge wäre eine erhöhte Sorgfalt potentieller Schädiger und mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Rückgang der Schadensfälle, was zu sinkenden primären Kosten fuhren würde. Dennoch würden an anderen Stellen Ineffizienzen entstehen: Zum einen verteuerte sich die zum Schaden führende Handlung, z.B. der Transport von Gütern auf der Straße, in aus gesamtwirtschaftlicher Sicht nicht wünschenswertem Maße, was zu einer Verringerung dieser Aktivität führen und damit die Produktivität beeinträchtigen würde; zum anderen träfen potentielle Schädiger einen ineffizient hohen Vorsorgeaufwand, wodurch die sekundären Kosten stiegen. Zuletzt würden auch die tertiären Kosten durch den höheren Streitwert und die damit verbundene Bereitschaft zur intensiveren Rechtsverfolgung in die Höhe schnellen. Umgekehrt würde eine Haftungsregel, bei der 165 Von einer solchen spricht auch Brüggemann in Ott/Schäfer, S. 142, der allerdings nicht gröbste Fahrlässigkeit und Vorsatz zusammenfaßt, sondern grobe und gröbste Fahrlässigkeit. 166 167 168 169
Calabresi, S. 26 ff. In der deutschen Literatur umfassend Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 116 ff. Zum abnehmenden Grenznutzen des Einkommens bereits A.II.3.c)cc). Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 129; Taupitz, AcP 1996,114,143; Sadowski in Sadowski/Walwei, S. 8. So zurecht Taupitz, AcP 1996, 114,142; Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 128 ff.
III. Haftungsprivilegierung beim innerbetrieblichen Schadensausgleich
239
stets der Geschädigte den Schaden zu tragen hätte („casum sentit dominus"), zwar die tertiären Kosten minimieren, gleichzeitig aber zu einem ineffizient geringen Vorsorgeaufwand beim Schädiger fuhren und damit die primären Kosten in die Höhe treiben. Dies ließe sich auch durch den zu erwartenden ineffizient hohen Vorsorgeaufwand der potentiell Geschädigten nicht ändern. Insgesamt zeigt sich also, daß nicht alle drei Kostenarten gleichzeitig reduziert werden können, sondern daß die angesprochenen Zielkonflikte nach einer Austarierung verlangen, die bestenfalls eine Minimierung der Gesamtkosten ermöglicht. 3. Gesamtkostenminimierung
durch innerbetrieblichen
Schadens ausgleich
Durch die Ausgestaltung der Schadensersatzpflicht werden den Akteuren letztlich Verfügungsrechte zugewiesen. Nach der ökonomischen Theorie sollen diese Rechte so verteilt werden, wie sich die Individuen zur Kostenminimierung unter Abwesenheit von Transaktionskosten selbst geeinigt hätten 170 . Es ist zu fragen, wie gut die gegenwärtige Rechtsprechung zum innerbetrieblichen Schadensausgleich geeignet ist, die ökonomische Funktion der Minimierung von Gesamtkosten zu bewältigen. a) Primäre Kosten Um die primären Kosten, also die Unfallschäden, gering zu halten, ist die Haftung grundsätzlich demjenigen Individuum aufzuerlegen, welches die Schadensanzahl und den Schadensumfang am besten beeinflussen kann. Insofern stehen die Präventionskosten in engem Zusammenhang zu den primären Kosten 171 , da beide gerade von dem mit der Haftung betrauten Akteur zu erbringen sind und - wie schon die Darstellung der „Learned Hand"-Formel 172 zeigte - bei der Frage nach dem Grad der Schadensvorsorge gegeneinander abgewogen werden: Ein Mehr an Schadens Vorsorge verringert die primären Kosten und damit auch unmittelbar den Haftungsumfang des Ersatzpflichtigen 173. Das Individuum, welches die Schäden in ihrer Zahl und Intensität am besten beeinflussen kann, ist typischerweise dasjenige, welches Schäden mit dem geringsten Aufwand vermeiden kann. Ein solcher Akteur wird daher in der ökonomischen Theorie des Rechts als „cheapest cost avoider" 174 bezeichnet. 170 Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 101; Eidenmüller, im Rahmen des Coase-Theorems unter B.II.2.a). 171
Effizienz, S. 63 und 65. Hierzu genauer bereits
Scheel, S. 122, Fn. 747 zählt die Präventionskosten sogar zu den primären Kosten.
172
Vgl. dazu B.II.4.b). Insofern ist - entgegen der Ansicht von Taupitz, AcP 1996, 114, 139 - davon auszugehen, daß auch im Bereich des Schadensrechts eine „Steuerungsempfindlichkeit" der Akteure besteht: Auch wenn diese sich im Schadensfall „'blitzschnell' entscheiden" müssen, kann die Schadenshöhe und -intensität durch geeignete Vorsorgemaßnahmen sehr wohl beeinflußt werden. 173
174 Diese Figur geht zurück auf Calabresi, S. 135 ff. Vgl. auch Adams, ökonomische Analyse, S. 20 f.; Blaschczok, S. 183 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 211 ff.; Kerber in Leipold/Pies, S. 163.
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
240
Verursacher eines Schadens ist damit „nicht derjenige, der im lebensweltlichen Sinne einen Schaden hervorgerufen hat, sondern (... der) am besten in der Lage gewesen wäre, mit seinem Verhalten einen Unfall zu verhindern" 175 . Als solcher ist im Bereich des innerbetrieblichen Schadensausgleichs regelmäßig der Arbeitnehmer anzusehen. Er kommt mit den ihm anvertrauten Gegenständen in unmittelbaren Kontakt und kann durch eine Erhöhung der Sorgfalt direkt auf die Schadenswahrscheinlichkeit einwirken. Es ist allerdings zu beachten, daß eine vollständige Haftung durch den Arbeitnehmer nicht im Interesse des Arbeitgebers ist. Wenn nämlich der Arbeitnehmer für jegliche Form von Fahrlässigkeit haften müßte, würde dies dazu fuhren, daß er eine maximale Schadensprävention betreiben würde, wodurch der Betriebsablauf u.U. erheblich beeinträchtigt würde 176 . Außerdem muß berücksichtigt werden, daß es sich bei Präventionsmaßnahmen meist um betriebskollektive Güter 177 handelt, also um Güter, die für den Betrieb nur einmal „angeschafft" werden müssen, damit viele der dort beschäftigten Akteure von ihnen profitieren können. Aufgrund dieses Charakters als „Öffentliches Gut" 1 7 8 ist eine gesamtwirtschaftlich effiziente Bereitstellung durch individuelle Vorsorge zum einen nicht zu erwarten. Zum anderen kann der Arbeitgeber bei Investitionen in Maßnahmen zur Schadensprävention Skalenerträge 179 realisieren. Insofern ist nicht der Arbeitnehmer, sondern typischerweise der Arbeitgeber im Bereich eines niedrigen Fahrlässigkeitsniveaus zur Schadensprävention geeigneter, da die Verhütung von z.B. leicht fahrlässig verursachten Schäden für den Arbeitnehmer nur mit großen Kosten möglich ist. Es ist also nach den Grundsätzen der „Learned Hand"Formel 180 aus ökonomischer Sicht durchaus effizient, den Arbeitnehmer für leichte Fahrlässigkeit von der Haftung freizustellen und für normale Fahrlässigkeit nur anteilig haften zu lassen. Es kann aus Sicht der ökonomischen Theorie nur darum gehen, durch die Haftungsverpflichtung die Sorgfalt des Arbeitnehmers auf ein Maß zu bringen, in dem die Summe der durch ihn ausgelösten Präventions- und Schadensersatzkosten minimiert wird. Die juristische Argumentation in diesem Bereich ist der ökonomischen sehr ähnlich. Die Figur des „cheapest cost avoider" findet sich hier in Form einer „näher daran"-Argumentation 181, nach der jeder Akteur für die Risiken haftet, die er besser zu beherrschen vermag. Insofern begründet auch das Bundesarbeits175
Kerber in Leipold/Pics, S. 163.
176
So auch Schneider/Sadowski in Ott/Schäfer, S. 134. Dazu Sadowski in Sadowski/Walwei, S. 8 ff.; Schneider/Sadowski
177 178
in Ott/Schäfer, S. 118 ff.
Zum öffentlichen Gut vgl. bereits oben unter B.II.3. 179 Unter Skalenerträgen versteht man im vorliegenden Zusammenhang die Kostenersparnisse durch Größenvorteile, vgl. Gabler Wirtschaftslexikon, S. 803 (im Gegensatz zu S. 2773). 180 Der Gedanke der „Learned Hand"-Formel, also die Optimierung von Schadens- und Präventionskosten, liegt letztlich auch dem innerbetrieblichen Schadensausgleich zugrunde. Allerdings fallen bei letzterem der Profiteur der Handlung (Arbeitgeber) und der grundsätzlich Haftende (Arbeitnehmer) auseinander. 181 BGHZ 51, 91, 105. Dazu auch Esser!Schmidt, S. 43; Köhler, ZHR 1980, 589, 595.
III. Haftungsprivilegierung beim innerbetrieblichen Schadensausgleich
241
182
gericht die Haftungserleichterung für den Arbeitnehmer vor allem mit der Betriebsrisikolehre m und den daraus resultierenden Folgen für die Schadensvermeidung durch die Vertragsparteien. Nach der Betriebsrisikolehre bestimmt der Arbeitgeber durch Zuweisung einer Tätigkeit an den Arbeitnehmer wesentlich die Höhe und den Grad der Beherrschbarkeit des Haftungsrisikos des Arbeitnehmers. Gleichzeitig aber kann er „(k)raft seiner Organisationsbefugnis (...) Bedingungen für Schadensrisiken schaffen, beibehalten oder verändern, z.B. Gefahrenmomenten entgegenwirken durch Veränderung der Arbeitsabläufe, durch bessere Überwachung oder durch Sicherheitsvorkehrungen" 184. Auch dem Bundesarbeitsgericht geht es also darum, die Haftung so auf die Parteien zu verteilen, daß durch die Präventionsanreize die Anzahl und Intensität der Schäden möglichst gering bleibt. Letztlich verlaufen für die primären Kosten die ökonomische und die juristische Argumentation parallel, so daß die gegenwärtige Rechtsprechung hier als ökonomisch effizient zu charakterisiert ist. Eine zum Teil geforderte vollständige Haftungsfreistellung des Arbeitnehmers für innerbetriebliche Schäden dagegen würde dem Effizienzkriterium nicht standhalten, da durch fehlende oder zumindest deutlich verminderte Präventionsanreize für den Arbeitnehmer die Gefahr des „moral hazard" und damit die primären Kosten steigen würden. b) Sekundäre Kosten Es stellt sich daher die Frage, ob auch die sekundären Kosten, also die Kosten der Risikoverteilung, von der gegenwärtigen Rechtsprechung zum innerbetrieblichen Schadensausgleich minimiert werden. Dabei kommt den sekundären Kosten gerade im Arbeitsrecht eine besondere Bedeutung zu, da die Parteien hier - anders als im allgemeinen Schadensersatzrecht - systematisch unterschiedliche Risikoneigungen und Versicherungsmöglichkeiten haben185. Nach der ökonomischen Rechtstheorie ist dem Akteur die Haftung aufzuerlegen, der sich gegen die Risiken besser versichern kann („cheapest insurer") 186 . Im Falle des innerbetrieblichen Schadensausgleichs führen solche Überlegungen zu einer Schadensersatzverpflichtung des Arbeitgebers. Während nämlich der Arbeitnehmer individuelle Versicherungen abschließen müßte, die auf dem Versicherungsmarkt zum Teil weder für Einzelpersonen noch für alle Berufsgruppen verfügbar sind, kann der Arbeitgeber sein Unternehmen umfassend gegen Schäden versichern 187. Auch hierbei kann er - aufgrund des verglichen 182
Vgl. z.B. BAGE 5, 1, 4 f.; BAGE 78, 56, 63; BAGE 59, 203, 207.
183
Umfassend zur Betriebsrisikolehre Tamm\ ebenso Sandmann, S. 67 ff. Vgl. die Ausführungen des Großen Senats in BAGE 78, 56, 65.
184 185
So zurecht SchneiderlSadowski in Ott/Schäfer, S. 129. Dazu genauer im folgenden. Hierzu Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 378 ff.; Blaschczok, S. 199 ff.; Adams, Ökonomische Analyse, S. 24; Wehrt, KritV 1992, 358, 366 ff.; Kerber in Leipold/Pies, S. 163; Scheel, S. 123 f. 187 Sadowski in Sadowski/Walwei, S. 10 f.; SchneiderlSadowski in Ott/Schäfer, S. 129 ff. 186
16 Janson
242
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
mit dem einzelnen Arbeitnehmer größeren Versicherungsbedarfs - wiederum Skalenerträge erzielen. Bei großen Betrieben stellt sich zudem die Möglichkeit einer „Selbstversicherung" 188, bei der aufgrund der breiten Risikostreuung zumindest langfristig 189 die ersparten Versicherungsprämien die selbst zu begleichenden Schäden übertreffen. Auch die Risikoneigungen der Akteure sprechen für eine solche Lösung, weil die ökonomische Theorie üblicherweise von risikoaversen Arbeitnehmern und risikoneutralen Unternehmern ausgeht190. Da die Versicherungsprämien im wesentlichen191 vom Lohn der Arbeitnehmer abgezogen werden, handelt es sich im Ergebnis um eine Form der „Pflichtversicherung" 192 , die aber der Risikoneigung der Parteien entspricht und insofern im Interesse beider Seiten ist. Die Figur des „cheapest insurer" gilt lediglich für solche Schäden, die nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Kosten von einem „cheapest cost avoider" vermieden werden können 193 . Dies ist im Falle der Arbeitnehmerhaftung zumindest im Bereich leichter und mittlerer Fahrlässigkeit anzunehmen, da bei einem Beschäftigungsverhältnis individuelle Fehler des Arbeitnehmers auf Dauer unvermeidbar sind bzw. die Vermeidungskosten - z.B. durch die Verlangsamung des Betriebsablaufs außer Verhältnis ansteigen. In diesem Bereich obliegt es aus ökonomischer Sicht deshalb dem Arbeitgeber, für einen ausreichenden Versicherungsschutz zu sorgen, um den Arbeitnehmer vor kaum vermeidbaren Schadensersatzverpflichtungen zu bewahren. Sind dagegen Risiken weder vermeidbar noch versicherbar, ist nach der ökonomischen Theorie diejenige Partei zur Kostentragung zu verpflichten, die den Schaden besser absorbieren kann („superior risk bearer") 194 . Dabei handelt es sich letztlich um eine „Haftung des wirtschaftlich Stärkeren", die sich damit rechtfertigen läßt, daß dieser über bessere Möglichkeiten der Risikostreuung und Selbstversicherung verfügt. Auch dies ist im Falle des innerbetrieblichen Schadensausgleichs regelmäßig der Arbeitgeber. Sämtliche der hier geschilderten Haftungsvarianten sind Ausdruck der Überlegungen des Aufsatzes „The Problem of Social Cost" von Ronald Coase195. Es wird nämlich gerade nicht der physische Verursacher des Schadens als Schädiger betrachtet, sondern der Schaden als Ergebnis der Kollision zweier
188
Vgl. Blaschczok, S. 200 f. Kurzfristig besteht dagegen die Gefahr, einen großen Schaden zu erleiden, bevor die zu dessen Deckung notwendigen Versicherungsprämien eingespart wurden. 190 Dazu bereits unter B.IV. 1. 191 Wie weitgehend die Überwälzung der Kosten auf den Arbeitnehmer gelingt, ist letztlich eine Frage der „Elastizitäten", also der Reaktion der Arbeitsnachfrage und des Arbeitsangebots auf ein sich veränderndes Lohnniveau. 189
192 193
So in anderem Zusammenhang Kirchner in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, S. 77.
Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 378 f.; Wehrt, KritV 1992, 358, 366. Mißverständlich dagegen Sadowski in Sadowski/Walwei, S. 10 f.; Schneider!Sadowski in Ott/Schäfer, S. 129 f. 194 Hierzu Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 384 ff.; Blaschczok, S. 210 ff.; Scheel, S. 124; Wehrt, KritV 1992,358, 366 ff. 195 Vgl. hierzu die Erörterungen in Kapitel B.II.2.
III. Haftungsprivilegierung beim innerbetrieblichen Schadensausgleich
243
widerstreitender Interessensphären gesehen; dabei handelt es sich letztlich um den Gedanken, den Coase die „Reziprozität des Problems" nennt. Ganz ähnlich wird das Problem in der juristischen Praxis gelöst. Aus ökonomischer Sicht hatte sich eine Versicherung für Schäden durch leichte und normale Fahrlässigkeit als effizient herausgestellt, da die Prämien regelmäßig unter dem Aufwand der (kaum hundertprozentig möglichen) Schadensvermeidung liegen dürften. Zwar berücksichtigt die Rechtsprechung zum innerbetrieblichen Schadensausgleich die Überlegungen zur Versicherbarkeit im Rahmen leichter Fahrlässigkeit überhaupt nicht; dies liegt jedoch allein daran, daß der Arbeitgeber aufgrund der Unvermeidbarkeit solcher Schäden hier ohnehin schon vollständig haften muß. Dagegen hält das Bundesarbeitsgericht im Rahmen der normalen Fahrlässigkeit Schädigungen nicht für unvermeidbar und kommt deshalb nicht unmittelbar zu einer Haftungsfreistellung des Arbeitnehmers. Vielmehr argumentiert es hier mit einer besseren Versicherbarkeit durch den Arbeitgeber und erlegt ihm insofern eine Versicherungsobliegenheit für durch den Arbeitnehmer verursachte Schäden auf 9 6 . Dabei wird jedoch der Arbeitnehmer vom Gericht mit den Kosten der Selbstbeteiligung belastet. Dem liegt offensichtlich der Gedanke zugrunde, durch eine vollständige Haftungsfreistellung des Arbeitnehmers nicht die von Scheel197 befürchtete Kollision mit dem Präventionsgedanken zu bewirken und so die primären Kosten in die Höhe zu treiben. Im Ergebnis wird damit die Figur des „cheapest insurer" von der Rechtsprechung im Rahmen der Frage nach der „Versicherbarkeit" aufgegriffen 198. Daneben findet auch der „superior risk bearer" Eingang in die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts. Für außer Verhältnis zu seinem Einkommen stehende Schäden haftet der Arbeitnehmer nämlich regelmäßig nur anteilig 199 , da er in diesen Fällen „schon von seinem Arbeitsentgelt her nicht in der Lage ist, Risikovorsorge zu betreiben oder einen eingetretenen Schaden zu ersetzen" 200. In jüngerer Zeit wurde dieser ursprünglich nur für den Bereich der normalen Fahrlässigkeit geltende Grundsatz auch auf Fälle mit grober Fahrlässigkeit ausgeweitet. Dabei wird trotz allem der Präventionsgedanke letztlich nicht vernachlässigt, da zum einen die für den Arbeitnehmer verbleibende Haftungssumme lediglich auf eine überhaupt von ihm tragbare Größenordnung reduziert wird und damit immer
196 Vgl. hierzu z.B. BAGE 57, 47, 53 f. Umfassende Darstellungen finden sich bei Busemann, S. 81 f. (mwN); Sandmann, S. 13 f., 135 ff.; Horbach, S. 179 ff. 197 Scheel, S. 19. 198 Insofern trifft die Aussage von Blaschczok, S. 199 nicht zu, die „Denkfigur des cheapest insurer (sei) im Ergebnis nicht verwertbar." Bei der Frage des innerbetrieblichen Schadensausgleichs ist sie nicht nur verwertbar, sondern sie wird sogar schon berücksichtigt. 199
Vgl. BAGE 63, 127, 131 f.; weitere Beispiel abseits des Arbeitsrechts finden sich bei Wehrt, KritV 1992, 358, 369 ff. 200 Vgl. BAGE 63, 127, 134 f.
16*
244
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
noch erheblich sein kann, zum anderen im Falle „gröbster Fahrlässigkeit" die (präventiv wirkende) volle Haftung des Arbeitnehmers bestehen bleibt 201 . Im Ergebnis ähneln sich wie schon bei den primären Kosten auch im Bereich der sekundären Kosten die Argumentationen von ökonomischer Theorie und Rechtsprechung in hohem Maße. Auch hier ist die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte also als aus ökonomischer Sicht effizient zu charakterisieren. Es ist augenscheinlich, daß die Gerichte bemüht sind, den Arbeitgeber als die über die betrieblichen Risiken umfassender informierte Vertragsseite durch die Versicherungsobliegenheit und das Abstellen auf die Absorptionsfähigkeit für Schäden möglichst weitreichend zu belasten. Um jedoch andererseits die Gefahr eines „moral hazard" auszuschließen, verbleibt auch noch ein gewisses Haftungsrisiko beim Arbeitnehmer 202. c) Tertiäre Kosten Schließlich bleibt zu prüfen, ob die Rechtsprechung zum innerbetrieblichen Schadensausgleich auch die tertiären Kosten, also die Kosten der Schadensregulierung, minimiert. Dabei ist vor allem zweierlei von Bedeutung: Erstens stellt sich das Problem der Rechtssicherheit. Dabei fällt auf, daß die Rechtsprechung zur Arbeitnehmerhaftung in den letzten Jahrzehnten häufigen Veränderungen unterlag 203 , die sich negativ auf die Vorhersehbarkeit von Entscheidungen auswirken. Daneben wird die Rechtssicherheit zugunsten einer höheren Einzelfallgerechtigkeit 204 dadurch beeinträchtigt, daß sich die Gerichte durch eine Vielzahl von in ihrer Bedeutung nicht festgelegten Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten einen weitreichenden Freiheitsgrad geschaffen haben205. Durch diese Rechtsunsicherheit werden die Parteien eher zur Führung von Prozessen bereit sein. Wären dagegen die gerichtlichen Entscheidungen einigermaßen sicher vorhersehbar, dann könnten die Parteien das Urteil besser antizipieren und so den Streit mit reduziertem Zeit- und Kostenaufwand einvernehmlich und außergerichtlich lösen. Gleichzeitig steigt bei häufigen Rechtsänderungen auch der Informationsaufwand für die Gerichte, die die Veränderungen wahrnehmen und immer komplexere Strukturen des Haftungsrechts bei ihrer Entscheidung berücksichtigen müssen. Im Gegensatz zur gerichtlichen Praxis löst die ökonomische Theorie diesen Konflikt zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit zugunsten der ersteren auf. Aus ihrer Sicht geht es
201
Hierzu umfassend Walker, JuS 2002, 736, 738 (mwN).
202
So besteht wie gesehen die Versicherungsobliegenheit des Arbeitgebers nur bei normaler Fahrlässigkeit. Daneben muß der Arbeitnehmer die Selbstbeteiligung im Versicherungsfalle tragen, und es besteht bei gröbster Fahrlässigkeit und Vorsatz keine Haftungseinschränkung aufgrund eines möglichen Mißverhältnisses zwischen Arbeitsentgelt und Schaden. 203 204 205
H. Wohlgemuth, DB 1991, 910 spricht insofern gar von einem „Zickzack-Kurs" Preis, S. 463. Sadowski in Sadowski/Walwei, S. 12; SchneiderlSadowski in Ott/Schäfer, S. 131.
III. Haftungsprivilegierung beim innerbetrieblichen Schadensausgleich
245
gerade um eine optimale PräventionsWirkung, die jedoch mit zurückgehender Rechtssicherheit sinkt 206 . Es wurde an anderer Stelle 207 gezeigt, daß daraus für das Recht keinerlei BindungsWirkung entsteht. Die ökonomische Theorie kann dem Recht bei der Wertungsentscheidung keine Vorgaben machen. Sie zeigt jedoch auf, daß die Erhöhung der Einzelfallgerechtigkeit zu Lasten der Rechtssicherheit gehen kann und dadurch mit einer (u.U. erheblichen) Erhöhung der tertiären Kosten verbunden ist. Letztlich darf auch nicht vergessen werden, daß die Änderungen einer Norm oder auch der Rechtsprechungspraxis stets mit Rechtsumstellungskosten verbunden sind 208 , also mit Kosten für die Einarbeitung, den Druck neuer Bücher und Gesetzestexte, etc. Ein für die Höhe der tertiären Kosten zweiter wichtiger Punkt beim innerbetrieblichen Schadensausgleich ist die von der Rechtsprechung vorgenommene Pauschalierung der Haftungszuweisung im Wege der Haftungstrias oder -quart. Nach der ökonomischen Theorie in ihrer neoklassischen Form mit vollständiger Information wäre es nämlich eigentlich nötig, den „cheapest cost avoider", den „cheapest insurer" und den „superior risk bearer" für jeden Einzelfall gesondert zu ermitteln. Dazu bedürften die Gerichte als außerhalb der Vertragsbeziehung stehende Verfahrensbeteiligte einer großen Menge Informationen, deren Verarbeitung in der Realität Zeit und Geld kosten würde. Um diese Kosten zu sparen, werden von den Gerichten die einzelnen ökonomischen Haftungsfiguren dem Arbeitnehmer (er ist vor allem im Bereich normaler, grober und gröbster Fahrlässigkeit sowie bei Vorsatz „cheapest cost avoider") bzw. dem Arbeitgeber (er ist für Schäden durch leichte Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers „cheapest cost avoider" und zudem typischerweise „cheapest insurer" und „superior risk bearer") pauschal zugewiesen. Dies ist unter den gegebenen Voraussetzungen der „Transaktionskosten-Welt" durchaus im Sinne der ökonomischen Theorie. Es steht nämlich zu befürchten, daß die Kosten für die Erlangung genauerer Informationen die Effizienzgewinne aus der exakten Berechnung des Sorgfaltsmaßstabes übersteigen würden. Die aus einer Pauschalierung resultierenden Präventionsanreize der Akteure mögen also u.U. nicht exakt das ökonomisch optimale Sorgfaltsniveau treffen. Es ist aber wahrscheinlich, daß sie ihm so nahe kommen, daß die durch genauere Haftungszuweisung vermiedenen primären Kosten von den damit gestiegenen tertiären Kosten überkompensiert werden. Insofern sprechen Schneider/Sadowski 209 davon, die pauschale Risikozuweisung sei angesichts beschränkter Information der Gerichte die „second best"-Lösung, um die Sorgfaltsanforderungen an die Akteure ökonomisch sinnvoll zu bestimmen.
206 Dazu z.B. Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 7. Nach Ott in Ott/Schäfer, S. 28 dient Rechtssicherheit geradezu der Effizienz. 207 Vgl. dazu vor allem D.II.l.c) und D.III.2.a)cc)(l). 208 Darauf weist zurecht Feldmann, Ordnungstheoretische Aspekte, S. 271 hin. 209 Schneider/Sadowski in Ott/Schäfer, S. 120, 137.
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
246
d) Ergebnis Im Ergebnis zeigt sich, daß sich die Ausgestaltung der Haftung beim innerbetrieblichen Schadensausgleich mit Hilfe der positiven ökonomischen Theorie des Rechts gut erklären läßt. Behrens 210 meint sogar, die Rechtsökonomik sei besser als alle anderen Begründungsversuche zu einer Erklärung dieser Rechtsprechungspraxis geeignet. Die Lösung des Bundesarbeitsgerichts zum innerbetrieblichen Schadensausgleich ist nämlich aus Sicht der ökonomischen Theorie weitgehend effizient. Sowohl die primären als auch die sekundären Kosten werden durch die Haftungsausgestaltung minimiert. Ganz im Stile des Reziprozitäts-Problems von Coase wird nicht zwingend der den Schaden physisch herbeiführende Arbeitnehmer als Verursacher angesehen, sondern durch Überwälzung weitreichender Haftungsverpflichtungen auf den Arbeitgeber ein volkswirtschaftlich optimales Ergebnis herbeizuführen versucht. Die Haftungsverteilung führt letztlich dazu, daß es dem Arbeitgeber obliegt, aus „Eigeninteresse (...) eine kostenminimale Kombination aus Prävention, Versicherung und Schadenstragung (zu) suchen" 211 . Andererseits wird durch die verbleibende Haftung ein „moral hazard" vermieden, indem auch dem Arbeitnehmer ein gewisses Maß an Prävention abverlangt wird. Wenngleich der Umfang der Vorsorgemaßnahmen aufgrund der sich ständig ändernden Rahmenbedingungen von der Rechtsprechung kaum so festgelegt werden kann, daß langfristig das volkswirtschaftliche Sorgfaltsoptimum hervorgebracht wird, können die Gerichte dies durch geeignete Haftungsausgestaltung doch zumindest näherungsweise erreichen. In normativer Hinsicht legt die Rechtsökonomik dagegen nahe, tertiäre Kosten dadurch einzusparen, daß Billigkeitsund Zumutbarkeitsargumente nicht die Vorhersehbarkeit der Entscheidung und damit die Rechtssicherheit beeinträchtigen. Die überwiegende Bestätigung der Rechtsprechung zum innerbetrieblichen Schadensausgleich durch die ökonomische Theorie belegt noch einmal, daß die Rechtsökonomik keineswegs stets zu Lasten des sozial Schwächeren argumentiert 212. IV. Adressat der konkreten ökonomischen Überlegungen Nachdem in abstrakter Form bereits ausführlich Erörterungen über die Verwertbarkeit bzw. den Adressaten von Erkenntnissen der ökonomischen Rechtstheorie angestellt wurden, stellt sich die Frage an dieser Stelle nun noch einmal konkret in bezug auf die arbeitsrechtlichen Beispiele.
210
Behrens, ZfA 1989, 209, 231 f. Zu den juristischen Erklärungsversuchen Zöllner, S. 254.
211
Sadowski in SadowskiAValwei, S. 13.
212 Insofern sei nochmals auf diese (unberechtigte) Kritik verwiesen, vgl. C.I.3.b)bb)(l). Zurecht meint auch Sadowski in SadowskiAValwei, S. 14, „(a)uch Fragen des sozialen Schutzes sind Gegenstand der Effizienzanalyse."
IV. Adressat der konkreten ökonomischen Überlegungen
247
1. Die Legislative als Adressat der ökonomischen Rechtstheorie An der Eignung der Legislative zur Berücksichtigung der ökonomischen Erkenntnisse bestand schon in der abstrakten Betrachtung kein Zweifel 213 . Sie verfugt über eine weitreichende tatsächliche und fachliche Kompetenz und kann im Gesetzgebungsverfahren auf eine umfassende Austarierung der einzelnen Interessen hinwirken. Dies erklärt auch die immer wieder laut werdenden Appelle an den Gesetzgeber, im Arbeitsrecht stärker auf die ökonomischen Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen214. Ob diese Appelle letztlich Wirkung zeigen, mag mit Blick auf die gewichtigen und unterschiedlichen Anliegen der verschiedenen Interessengruppen zweifelhaft erscheinen. Immerhin jedoch läßt sich in jüngerer Zeit eine verstärkte wissenschaftliche und öffentliche Diskussion gerade um die vorgestellten Probleme erkennen. So wird z.B. offen über eine Abschaffung der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen zugunsten einer Abfindungsregelung nachgedacht215. 2. Die Judikative als Adressat der ökonomischen Rechtstheorie Ob für die Judikative in gleicher Weise die Möglichkeit einer Verwendung von Erkenntnissen der ökonomischen Theorie des Rechts besteht, ist auch für das Arbeitsrecht äußerst umstritten 216 , obgleich als einer der häufigsten Kritikpunkte an der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung die mangelnde Berücksichtigung wirtschaftlicher Notwendigkeiten vorgebracht wird 2 1 7 . Einigermaßen breite Zustimmung findet die Verwendung ökonomischer Erkenntnisse noch im ohnehin richterrechtlich geprägten Bereich der Arbeitnehmerhaftung. Hier fehlt es an detaillierten gesetzgeberischen Vorgaben, so daß von einer Bereichslücke auszugehen ist, deren Schließung sogar im Interesse des historischen Gesetzgebers gelegen hat 218 . Wie dargelegt folgt die Arbeitnehmerhaftung im wesentlichen der Logik der ökonomischen Theorie des Rechts219, so daß die Aufbereitung durch diese vor allem der Erklärung und Verdeutlichung der Argumentation sowie der terminologischen Präzisierung dienen kann.
213
Siehe dazu nur Kapitel D.II. Franzi Rüthers, RdA 1999, 32, 38; ButtlerIWalwei, MittAB 1990, 386, 393; Zöllner, S. 13. 215 Dazu FAZ v. 01.02.2003 (Nr. 27), S. 11; Handelsblatt v. 31.01./Ol.02.2003 (Nr. 22), S. 4; Handelsblatt v. 11.02.2003 (Nr. 29), S. 4. 216 Umfassend dazu bereits allgemein unter D.III. Speziell für das Arbeitsrecht z.B. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1989/90, BT-Drucks. 11/5786, Nr. 371 (positiv zur Berücksichtigung wirtschaftlicher Erkenntnisse); Fischer, ZfA 2002,215,241 f. (ablehnend zur Nutzung ökonomischer Erkenntnisse im Kündigungsschutzrecht) und 245 ff. (differenzierend zur Nutzung im Arbeitsrecht insgesamt). 214
217
Z.B. Ott, FG-Kübler, S. 29; Franzi Rüthers, RdA 1999, 32 ff.; Fischer, ZfA 2002, 215, 237. Hierzu weist ErfK-Preis, § 619a BGB, Rdnr. 1 daraufhin, daß schon bei der Kodifizierung des BGB die Forderung nach einer „baldthunlichst" einzubringenden spezialgesetzlichen Regelung schadensersatzrechtlicher Fragen im Arbeitsvertragsrecht aufgeworfen wurde. 219 In diesem Sinne auch Sadowski in Sadowski/Walwei, S. 13. 218
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
248
Anders aber könnte die Sachlage im Bereich des Kündigungsschutzrechts aussehen. Da diese Regelungsmaterie vom Gesetzgeber normiert wurde, wird dem Richter mangels Regelungslücke immer wieder ein Rückgriff auf ökonomische Erkenntnisse versagt. Es gibt allerdings zahlreiche Beispiele für die juristische Relevanz von Ergebnissen der ökonomischen Rechtstheorie 220. So findet sich in der jüngeren Rechtsprechung des BAG 2 2 1 ein Fall, in dem eine Fluggesellschaft für einen Piloten unter Aufwendung hoher Humankapitalinvestitionen die Ausbildung zum Flugkapitän sowie den Erwerb der Musterberechtigung auf dem Flugzeugmuster Boeing 737 finanzierte. Im Zuge dieser Finanzierung wurde eine Rückzahlungsklausel vertraglich vereinbart, nach der der Arbeitnehmer im Falle einer Kündigung innerhalb der ersten drei Jahre die Ausbildungskosten anteilig zurückzahlen mußte. Kurz nach Ende der Ausbildung kündigte der Pilot das Arbeitsverhältnis und flog für eine andere Fluggesellschaft. Aus ökonomischer Sicht handelt es sich sowohl bei der Musterberechtigung als auch bei der Kapitänsausbildung um den Erwerb von branchenspezifischem Humankapital, da beide Voraussetzung für das Führen eines Flugzeuges sind, welches von den meisten großen Fluggesellschaften verwendet wird. Außerhalb der Branche dagegen wird der Arbeitnehmer durch die Ausbildung kaum jemals berufliche Vorteile genießen. Nach den obigen Ausführungen 222 zur Humankapitaltheorie wäre demnach eine Kostentragung durch den Arbeitnehmer zu erwarten. Bei kostenintensiven und umfangreichen Fortbildungsmaßnahmen 223 wie einer Pilotenausbildung, die noch dazu eher zu Beginn der Berufslaufbahn anfallen, ist jedoch eine Übernahme durch den zumeist noch wenig vermögenden Arbeitnehmer kaum möglich. Insofern besteht für den Arbeitgeber die Notwendigkeit, selbst für die Investition aufzukommen. Um sich gegen ein (wie im Fall geschehenes) Abwandern des Arbeitnehmers zu schützen, muß der Arbeitgeber dann aber Maßnahmen zur Bindung des Arbeitnehmers an das Unternehmen ergreifen. Diese liegen (wie geschehen) z.B. in einer Klausel, durch die der Arbeitnehmer bei einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor Amortisation der Investition zur Rückzahlung verpflichtet wird. Im Kern stellt sich also die Frage, ob eine derartige Klausel - wie vom Arbeitnehmer vorgebracht 224 - gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt. Es geht damit um die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, der aber für die Wirksamkeit und die Modalitäten der Kündigung entscheidend ist. Nach umfassenden Ausführungen zum Maßstab der Prüfung führt das BAG aus, die Interessenabwägung sei „daran zu orientieren, ob und inwieweit der
220 221 222 223 224
Beispiele aus der Rechtsprechung z.B. bei Schäfer in Sadowski/Walwei, S. 39 ff. BAGE 76, 155 ff. Vgl. dazu E.II.l.b)bb)(2)(a). Im besagten Fall ging es um Gesamtkosten von D M 100.000,- (also gut Euro 51.000,-). BAGE 76, 155, 159 und 165.
IV. Adressat der konkreten ökonomischen Überlegungen
249
Arbeitnehmer mit der Aus- oder Weiterbildung einen geldwerten Vorteil erlangt (habe ...). Die Vereinbarung von Rückzahlungsklauseln kommt namentlich dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer die erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten auch außerhalb des Betriebes (...) verwerten (...) kann. (...) Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer eine in der Praxis anerkannte Qualifikation erwirbt" 225 . Insofern hält das BAG - genau wie die Humankapitaltheorie - den Unterschied von allgemeinen/branchenspezifischen Qualifikationen auf der einen und betriebsspezifischen Qualifikationen auf der anderen Seite für entscheidungserheblich. Zu letzteren führt das BAG im folgenden allerdings aus, „eine Kostenbeteiligung des Arbeitnehmers (scheide) in der Regel dann aus, wenn die Aus- oder Weiterbildung nur innerbetrieblich von Nutzen ist" 2 2 6 . Dem wäre aus Sicht der Humankapitaltheorie lediglich insofern zu widersprechen, als für betriebsspezifische Qualifikationen eine anteilige Tragung der Investitionskosten durch beide Vertragspartner zu bevorzugen wäre 227 . Nur in diesem Falle hat nämlich der Arbeitnehmer auch ein Anrecht darauf, an seiner Produktivitätssteigerung und der daraus resultierenden QuasiRente zu partizipieren. In diesem Punkt besteht also noch Potential für die normative ökonomische Rechtstheorie. Aus ökonomischer Sicht effizient ist dagegen wiederum die Passage im Urteil, in der die Höhe der Rückzahlung auf den Betrag begrenzt wird, den der Arbeitgeber tatsächlich aufgewendet hat 228 . Eine darüber hinausgehende Zahlungspflicht, die - wie das BAG anmerkt einer „Vertragsstrafe" gleichkäme, würde letztlich wieder zu einer reduzierten Weiterbildungsbereitschaft der Arbeitnehmer und damit zu einem ineffizient niedrigen Niveau an Humankapitalinvestitionen führen. Aber auch im Bereich des „reinen" Arbeitsrechts (wie dem Kündigungsschutzgesetz) können ökonomische Erkenntnisse für die Rechtsprechung von Bedeutung sein. Zweifellos ist eine umfassende Reform des Kündigungsschutzes nicht Sache der Judikative, sondern der Legislative. Dennoch kann die Rechtsprechung auch hier im Rahmen der Auslegung durch Verlagerung von Schwerpunkten in gewissen Grenzen Wertungsverschiebungen bewirken. So legen die Ausführungen von Schellhaaß/Nolte229 nahe, den Kündigungsschutz nicht unreflektiert in dem (irrigen) Glauben zu erweitern, damit die Position der Arbeitnehmer nachhaltig zu stärken. Dazu bedarf es nach Fischer 230 zwar weniger der ökonomischen Theorie des Rechts als vielmehr einer Rückbesinnung auf den Willen des historischen Gesetzgebers, nach dem das Kündigungs-
225 BAGE 76, 155, 170 f. (mwN). Mit dieser Auslegung entsteht im Ergebnis ein - zumindest partieller - „Arbeitgeberschutz", wie ihn Buttler/Walwei, MittAB 1990, 386, 393 fordern. 226 227
BAGE 76, 155, 171.
So zurecht Schäfer in Sadowski/Walwei, S. 42. 228 BAGE 76, 155, 172. Im Sachverhalt selbst wurden bestimmte Beträge von den Parteien nämlich pauschaliert und vor Gericht bestritten, so daß sich die Frage der Beweislast stellte. 229 Schellhaaß/Nolte , JbfNatÖuStat 1999, 415 ff. 230 Fischer, ZfA 2002, 215,241 f. und 246 f.
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
250
Schutzgesetz allein als Schutz vor willkürlichen Trennungen zu verstehen sei 231 . Momentan sei nämlich der Richter durch die neuen gesetzgeberischen Wertungen gebunden, weshalb insbesondere die Interessen der Arbeitsuchenden keine Berücksichtigung finden dürften 232 . Dem kann jedoch nach der hier vertretenen Ansicht und besonders vor dem Hintergrund des Selbstverständnisses der Judikative nicht vollumfänglich zugestimmt werden. Richtig ist, daß der Richter sich an die Wertungsentscheidungen des Gesetzgebers zu halten hat. Andererseits haben die Gerichte durch die Anpassung der Normen an die jeweiligen Entwicklungen im Wege der objektiv-teleologischen Auslegung Gewichtungen verändert und - im Zuge des Versuchs einer immer arbeitnehmerfreundlicheren Ausgestaltung des Rechts - Abwägungen zugunsten einer Seite vorgenommen. Wenn sich nun z.B. im Rahmen der ökonomischen Rechtstheorie herausstellt, daß dadurch weder der ursprüngliche noch der aus heutiger Sicht angestrebte Gesetzeszweck verwirklicht wird, dann können diese ökonomischen Erkenntnisse sehr wohl zu einer erneuten (Rück-)Verschiebung von Wertungsentscheidungen und Abwägungsergebnissen fuhren, solange sie den erkennbaren gesetzgeberischen Wertungen nicht widersprechen. Dabei können die Interessen der Arbeitsuchenden auch jenseits einer ausdrücklichen gesetzgeberischen Wertung in die Entscheidungsfindung einbezogen werden, zumal das Bundesverfassungsgericht 233 eine Pflicht zu ihrer Berücksichtigung aus Art. 12 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip entwickelt hat. Insgesamt bestätigt sich also auch hier das Ergebnis der in Kapitel D. durchgeführten abstrakten Betrachtung: Die Kenntnis realwissenschaftlicher Zusammenhänge vermag die richterliche Entscheidung zu beeinflussen und damit deren Rationalität zu erhöhen. So kann eine auf präziser Terminologie basierende Darstellung von entscheidungsrelevanten Sachzusammenhängen die Klarheit und damit die Akzeptanz der Entscheidung erhöhen. Zudem schärfen Argumente der ökonomischen Rechtstheorie den Blick für bislang nicht berücksichtigte Konfliktsituationen, durch die „Reibungsverluste" entstehen. Zuletzt können auch fehlerhafte Verschiebungen von Wertungsentscheidungen als solche entlarvt und entsprechend korrigiert werden. V. Zusammenfassung Aufgrund der Tatsache, daß das Arbeitsrecht sowohl Teil des Wirtschaftsrechts als auch ein bedeutendes Steuerungsinstrument der Sozialpolitik ist, bietet es sich einerseits für eine ökonomische Betrachtung geradezu an, wirft andererseits aber auch besondere Probleme auf. Dabei zeigt sich, daß die ökonomische Rechtstheorie keineswegs gesellschaftliche Leistungsgefälle 231 232 233
Vgl. dazu die Begründung zum Entwurf des Kündigungsschutzgesetzes, RdA 1951, 58, 63. Fischer, ZfA 2002, 215, 242. BVerfGE 59, 231,266.
V. Zusammenfassung
251
durch einseitige Bevorzugung des „sozial Stärkeren" forciert, sondern sehr wohl die Belange beider Seiten zu berücksichtigen vermag. Während der Arbeitsvertrag aus juristischer Sicht ein Dauerschuldverhältnis ist, welches die gegenseitigen Leistungspflichten festlegt, handelt es sich aus ökonomischer Sicht um einen relationalen Vertrag, dessen aus seiner Unvollständigkeit herrührende Unzulänglichkeiten durch geeignete institutionelle Arrangements zu beheben sind. So kann die Gefahr von opportunistischem Verhalten aufgrund von Informationsasymmetrien und asymmetrischen Trennungskosten im Wege „intelligenter Verträge" unterbunden werden. Dem Arbeitsvertrag kommt damit eine wichtige ökonomische Funktion zu, durch deren Wahrung das Arbeitsrecht eine effizienzfördernde Wirkung erzielen kann. Die Beendigung des Arbeitsvertrages geschieht im Wege der Kündigung. Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht kann der Kündigungsschutz neben effizienzmindernden durchaus auch effizienzsteigernde Wirkungen entfalten. Gegenüber der gegenwärtigen Ausgestaltung des deutschen Kündigungsschutzrechts ließe sich die Produktivität und die Effizienz aus ökonomischer Sicht dadurch verbessern, daß das individuelle Kalkül der Akteure in gesamtwirtschaftlich wünschenswerte Bahnen kanalisiert wird. Dies kann durch die Unterscheidung der Arbeitsverhältnisse nach Art der Qualifikation ebenso geschehen wie durch die Internalisierung von mit einer Kündigung verbundenen externen Effekten. Auf diese Weise werden die Marktzutrittschancen für Arbeitsuchende erhöht; gleichzeitig aber wird der bestandsschützende Charakter des Kündigungsschutzes durch eine verbesserte Vermeidung ineffizienter Trennungen gewahrt bzw. noch ausgebaut. Während im Bereich des Kündigungsschutzes aus Sicht der normativen ökonomischen Theorie des Rechts noch ein erhebliches Optimierungspotential besteht, stimmen die Argumentationen von Rechtsprechung und Ökonomik im Rahmen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs nahezu vollständig überein. Die gegenwärtige Ausgestaltung der Arbeitnehmerhaftung in diesem Bereich minimiert die Gesamtkosten aus primären, sekundären und tertiären Kosten sowie aus Präventionskosten annähernd. Lediglich bei den tertiären Kosten entstehen aus ökonomischer Sicht noch Ineffizienzen durch den weitreichenden richterlichen Freiheitsgrad und die dadurch bedingte Rechtsunsicherheit. Bezüglich des Adressaten ökonomischer Erkenntnisse bestätigen sich auch im Arbeitsrecht die abstrakten Erläuterungen aus Kapitel D. Der Legislative eröffnet die ökonomische Rechtstheorie eine Vielzahl von berücksichtigenswerten Kausalketten, die keineswegs auf eine eindimensionale ökonomische Betrachtung beschränkt sind. Daß auch die Praxis dies mehr und mehr zur Kenntnis nimmt, zeigen die jüngsten Diskussionen zu den Reformen im Arbeitsrecht. Aber auch die Judikative kann die Ergebnisse der Rechtsökonomik im Rahmen der Urteilsfindung berücksichtigen, solange nicht gesetzgeberische Vorgaben dies verbieten. Gerade im teilweise nur sehr rudimentär normierten Arbeits-
252
E. Anwendungsbeispiele aus dem Arbeitsrecht
recht ergeben sich damit weite Bereiche, in denen die ökonomische Theorie zur Verdeutlichung von Zusammenhängen und zur Präzisierung von Problemen eingesetzt werden kann 234 . Die besondere Bedeutung der Rechtsökonomik für diese Aufgabe sehen Franz/Rüthers darin, daß „ökonomische Gesetze bisweilen wirksamer, allerdings auch grausamer sind als juristische" 235 .
234 235
Insofern auch Behrens, ZfA 1989, 209,237 f. Franzi Rüthers, RdA 1999, 32, 38.
F. Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick
I. Ergebnisse In den vorangegangenen Kapiteln wurde die Bedeutung der ökonomischen Theorie für das Recht dargestellt. Eine umfassende Verbindung von Recht und Wirtschaftswissenschaften ist erst möglich, seit sich letztere nicht mehr über ihren Gegenstand, sondern über ihre Methode definieren. Auf diese Weise entsteht ein (zumindest theoretisch) universell einsetzbaren Ansatz, die Ökonomik. Es zeigte sich, daß der homo oeconomicus lediglich ein Verhaltensmodell, keinesfalls aber ein Menschenbild ist. Dabei sind die ihm zugrunde liegenden Annahmen in den meisten Fällen weder von der Realität noch von dem Menschenbild, auf welchem das Recht basiert, besonders weit entfernt. Dies gilt vor allem dann, wenn man neben dem neoklassischen auch den neoinstitutionellen homo oeconomicus zuläßt, der erhebliche Modifikationen erlaubt, aber weiterhin grundsätzlich auf den ökonomischen Annahmen beruht. Die neoinstitutionelle Variante des Verhaltensmodells erhöht zwar die Zahl der notwendigen Informationen und damit den empirischen Aufwand, erweitert dadurch aber den Anwendungsbereich des Modells und läßt trotz allem noch verläßliche Vorhersagen über das Verhalten von Aggregaten zu. Insofern ist jeweils situativ zu prüfen, ob das einfachere neoklassische Modell für die Betrachtung einer Problemsituation genügt, oder ob es dazu der aufwendigeren neoinstitutionellen Variante bedarf. Als neoinstitutionelle Ansätze der positiven ökonomischen Rechtstheorie wurden die Property-Rights-, die Transaktionskosten- und die Prinzipal-Agenten-Theorie dargestellt. Diese Ansätze ermöglichen, Institutionen aller Art aus Sicht der Wirtschaftswissenschaften zu erklären und damit deren ökonomische (Anreiz-)Funktion zu beleuchten. Auf diese Weise lassen sich beispielsweise Informationsasymmetrien, spezifische Investitionen oder ganz allgemein versteckte Transaktionskosten erkennen. Gleichzeitig eröffnet der Coase'sche Opportunitätskostenansatz ein auch für das Recht sehr fruchtbares Denken in Alternativen 1. Zu den Institutionen im Sinne der Neuen Institutionenökonomik gehören sowohl das gesamte Rechtssystem als auch jede einzelne Norm. Sie alle können damit zum Gegenstand der Untersuchung werden. Neben dieser 1
Umfassend dazu Führ, ökonomisches Prinzip, S. 53 f.; Sadowski in Sadowski/Walwei, S. 4 f.
F. Ergebnisse und Ausblick
254
explikativen Funktion kommt den neoinstitutionellen Ansätzen aber noch eine für die Rechtsgestaltung u.U. wichtigere prospektive Aufgabe zu: Auf Grundlage des homo oeconomicus können sie auch dazu genutzt werden, Verhaltensänderungen der Individuen und die dadurch entstehenden volkswirtschaftlichen Kosten systematisch aufzudecken. Mit ihrer Hilfe ist es also möglich zu antizipieren, ob eine anstehende Rechtsänderung aus Sicht der ökonomischen Theorie die vorher ermittelte Funktion der Norm bzw. des Normkomplexes erfüllt oder aber zu vereiteln droht. Die normative Rechtsökonomik nutzt die positive ökonomische Theorie als Grundlage. Sie versucht, das Recht systematisch anhand des Effizienz- bzw. in jüngerer Zeit auch des Konsensgedankens auszurichten. Es wurde gezeigt, daß beide Kriterien in der Ermittlung von Aussagen über gewisse Schwächen verfügen und sich - entgegen dem ursprünglichen Anspruch der ökonomischen Rechtstheorie - als alleinige Maßstäbe für die Ausgestaltung des Rechts nicht eignen. Mag für die Wirtschaftswissenschaften eine Verengung des Blickwinkels gerade auf den Effizienzgrundsatz sinnvoll sein, um Institutionen von einem originär ökonomischen Standpunkt aus zu betrachten, so kann diese Vorgabe das Recht nicht binden. Während nämlich das Effizienzkriterium tragende Prinzipien unseres Rechtssystems nicht zu garantieren in der Lage ist, ist der tatsächliche Konsens ein „rechtspolitisches Ideal" 2 , welches nicht erreichbar, sondern bei einer rechtlichen Entscheidung allenfalls anzustreben ist; der Rückgriff auf den hypothetischen Konsens eröffnet dagegen weitreichende Manipulationsmöglichkeiten. Die Betonung dieser Argumente durch die ökonomische Theorie kann aber aus juristischer Sicht dazu dienen, oft vernachlässigten Kriterien wie Effizienz und Konsens ihren Platz im Kanon des rechtlichen Wertepluralismus einzuräumen; sie können so bewußt und systematisch in die Argumentation aufgenommen werden. Welche Rolle den normativen Kriterien im Rahmen des Rechts zukommt, kann jedoch nur dieses selbst entscheiden. Aus dem Rechtsdenken allein muß sich ergeben, in welchen Situationen andere Kriterien berücksichtigt oder für vorrangig erklärt werden müssen. Trotzdem läßt sich mit Hilfe der normativen ökonomischen Theorie des Rechts ein erheblicher Erkenntnisgewinn erzielen: Indem sie z.B. der Entscheidung des Rechtsstabs eine rein unter Effizienzgesichtspunkten angelegte Regelung entgegenstellt, kann die normative Rechtsökonomik diesem aufzeigen, welche volkswirtschaftlichen Kosten er durch die Berücksichtigung anderer Argumente verursacht. Das zwingt den Rechtsstab nicht dazu, seine Entscheidung ökonomisch auszurichten, führt aber zu einem gesteigerten Begründungszwang und damit zu einer erhöhten Rationalität der jeweiligen Entscheidung3.
2
Würtenberger in Eisenmann/Rill, S. 81. Zurecht betonen daher selbst LarenzICanaris, Schuldrecht II/2, S. 417, daß die Ergebnisse einer so verstandenen normativen ökonomischen Rechtstheorie zumindest in Einzelfällen geeignet seien, das Ergebnis entscheidend zu beeinflussen. 3
I. Ergebnisse
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Die Frage nach dem geeigneten Adressaten der ökonomischen Rechtstheorie steht in engem Zusammenhang mit der Frage der soziologischen Jurisprudenz. Der Gesetzgeber profitiert bei der Rechtsgestaltung wie gesehen von sämtlichen Ausprägungen der ökonomischen Theorie. Zudem ist weitgehend unbestritten, daß er zur Verwendung rechtsökonomischer Erkenntnisse geeignet ist; immer öfter jedoch wird zu seiner Unterstützung eine stärker realwissenschaftlich orientierte Rechtswissenschaft gefordert. Als Motor rechtspolitischer Vorhaben hat der Gesetzgeber einen großen Freiheitsgrad bei der Auswahl seiner Ziele. Die jüngeren Entwicklungen bei der Formulierung des legislativen Auftrages in bezug auf die Transparenz, das Kostenbewußtsein und die Akzeptanz von Normen legen indes nahe, daß das Recht des Gesetzgebers zur Berücksichtigung der ökonomischen Theorie mehr und mehr in eine Selbstverpflichtung übergeht. Indem er die normativen Kriterien der ökonomischen Theorie auch zu Maximen des Gesetzgebungsverfahrens macht, gewinnt die Rechtsökonomik erheblich an Bedeutung. Problematischer stellt sich die Situation für die Rechtsprechung dar, da diese aufgrund von Art. 20 III GG deutlich umfassender an gesetzlich Vorentschiedenes gebunden ist als der Gesetzgeber. Auch hier zeigte sich jedoch, daß die ins Feld geführten Argumente nicht geeignet sind, dem Richter die Verwendung von Erkenntnissen der ökonomischen Theorie zu versagen. Vielmehr sind die rechtlichen Hindernisse letztlich wohl geringer als die tatsächlichen. Gerade das (tatsächliche) Informationsproblem nämlich führt in der Praxis dazu, daß eine Verpflichtung des Richters zur Anwendung der ökonomischen Theorie nicht bestehen kann. Andererseits macht die Lückenhaftigkeit des Rechts außerrechtliche Argumente für die Entscheidung unentbehrlich. Da es sich bei beiden normativen Kriterien der Rechtsökonomik um „sachlich vernünftige Argumente" handelt, können sie also nach herrschendem Methodenverständnis bei der Auslegung von Normen Berücksichtigung finden. Erkennt man - wie hier - in diesen Kriterien darüber hinaus noch Rechtsprinzipien, so sind sie auch bei der Rechtsfortbildung im Wege praktischer Konkordanz mit den übrigen Grundsätzen der Rechtsordnung in Einklang zu bringen. Dabei ist es die Aufgabe der Gerichte festzulegen, wie sie die jeweiligen Prinzipien im Rahmen ihrer Entscheidung gewichten. Gerade im teilweise nur rudimentär normierten Arbeitsrecht eröffnet sich für den Richter ein weitreichender Wertungsspielraum. Hier zeigte sich exemplarisch der Nutzen der realwissenschaftlich fundierten ökonomischen Theorie, die aufgrund der Doppelfunktion des Arbeitsrechts als soziales und wirtschaftliches Lenkungsinstrument eine enge inhaltliche Nähebeziehung zur Regelungsmaterie aufweist. Indem die Rechtsökonomik z.B. Informationsdefizite, asymmetrische Trennungskosten und die Internalisierung externer Effekte zum Gegenstand ihrer Betrachtung macht, vermag sie durch diese Verschiebung des Blickwinkels sowohl bislang unbeachtete Probleme aufzudecken als auch (unverbindliche) Verbesserungsvorschläge darzulegen. Es überrascht insofern nicht, daß sich in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung durchaus rechtsökonomische Gedanken wiederfinden. Aber auch in der Diskussion um Gesetzesvorhaben werden die
F. Ergebnisse und Ausblick
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Anregungen der Rechtsökonomik in jüngerer Zeit verstärkt aufgegriffen. Letzteres ist schon deshalb zu begrüßen, weil z.B. das Kündigungsschutzrecht aus ökonomischer Sicht noch ein erhebliches Optimierungspotential bereithält, wohingegen z.B. der richterrechtlich entwickelte innerbetriebliche Schadensausgleich (bewußt oder unbewußt) bereits annähernd der ökonomischen Effizienzlogik folgt. II. Ausblick Nach wie vor wird die ökonomische Rechtsbetrachtung in Deutschland insgesamt jedoch eher zurückhaltend rezipiert 4. Insofern besteht eine gewisse Diskrepanz zwischen ihrer durch die gesetzgeberischen Aktivitäten in jüngerer Zeit gestiegenen Bedeutung für das Recht und ihrer aktuell noch relativ geringen Bedeutung im Recht. Zwar finden sich - wie im Laufe der Arbeit gezeigt - an verschiedenen Stellen im Rechtsdenken sowohl explizite als auch implizite Hinweise auf die ökonomische Theorie; zudem hat sie mittlerweile in einigen juristischen Lehrbüchern und Kommentaren ihren Platz gefunden 5. Dennoch ist man von einer allgemeinen Akzeptanz noch weit entfernt. Dies ist insofern bedauerlich, als der Blick in die ökonomische Nachbarwissenschaft die juristische Entscheidungsrationalität bei der Ausgestaltung und Anwendung von Recht erhöhen kann. Es wurde bereits an anderer Stelle daraufhingewiesen, daß die ökonomische Theorie Zusammenhänge zu verdeutlichen vermag, die ohne sie verborgen blieben. Daneben erhöht sie die Transparenz von Wertungen innerhalb der Jurisprudenz. Allgemein steigern rechtsexterne Theorien die Rationalität aber auch dahingehend, daß sie z.B. das richterliche „Vorverständnis" nivellieren und damit eine gleichmäßige Rechtsanwendung fördern 6. Nach der eingangs erwähnten Trennung der „Gesamten Staatswissenschaften" in Wirtschaftswissenschaften und Rechtswissenschaft sind beide also zumindest im Rahmen der ökonomischen Theorie des Rechts insoweit wieder zusammenzufuhren, daß eine gegenseitige Bereicherung ohne Berührungsängste möglich ist7. Die Zusammenarbeit wird dabei je nach Rechtsbereich unterschiedlich eng erfolgen. In dem Maße, in dem die Ökonomisierung des Lebens voranschreitet, erweitert sich auch der Anwendungsbereich der ökonomischen Theorie 8. Schon heute ist sie daher insbesondere für das Zivilrecht unverzichtbar 9, wenngleich 4
Dieser Befund von Kirchner, IRLE 1991, 277 gilt also in abgeschwächter Form fort. Z.B. ?a\andt'Heinrichs y Einleitung, Rdnr. 32 sowie § 276, Rdnr. 19; Esser ¡Schmidt, S. 38 ff.; Kittner, S. 42 ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, S. 417. 5
6 7 8 9
In diesem Sinne wohl auch Tontrup in Engel, S. 55 f. So auch Engel in ders., S. 40; ähnlich Kirchner!Koch, Analyse & Kritik 1989, 111, 126. Morlok in Engel/Morlok, S. 1.
Kerber in Leipold/Pies, S. 167. Ebenso Bydlinski, AcP 1988, 447, 466, der u.a. für die ökonomische Theorie betont, es wäre ein „schweres Versäumnis des methodischen Rechtsdenkens, wenn es die für seine Aufgabenerfüllung tatsächlich hilfreichen Stücke der genannten dogmatik-
II. Ausblick
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rechtsökonomische Argumente auch hier nicht den Ausschlag für eine bestimmte Entscheidung des Rechtsstabs geben müssen. Insofern kann von einem Absolutheitsanspruch der ökonomischen Theorie keine Rede sein. Überhaupt darf die Rechtsökonomik nicht im Stadium des frühen Posner verharren, sondern sollte - wie in dieser Arbeit betont wurde - ein stärkeres Augenmerk auf den Bereich der Neuen Institutionenökonomik legen10. Dabei ist kaum davon auszugehen, daß die Entwicklung in diesem Bereich bereits abgeschlossen ist; die ökonomische Theorie des Rechts muß sich der Institutionenökonomik also nicht nur annähern, sondern sich auch mit ihr weiterentwickeln. Bei allen Möglichkeiten, die dieser Zweig der Wirtschaftswissenschaften bietet, ist allerdings vor einem allzu großen Steuerungsoptimismus zu warnen 11. Die Berücksichtigung konsequentialistischer Argumente durch die Jurisprudenz darf nicht zu dem Versuch fuhren, sämtliche Lebensbereiche bis ins Detail normieren oder nach bestimmten Vorstellungen gestalten zu wollen. Ein solches Unterfangen wäre zum Scheitern verurteilt. Die ökonomische Theorie kann lediglich dabei helfen, ohnehin anstehende Regelungen in bezug auf ihre Vorteilhaftigkeit zu untersuchen. Auch hierbei kann und wird es zu gelegentlichen Fehlprognosen kommen. Die Systematik der Betrachtung dürfte allerdings dazu beitragen, die Zahl der entstehenden Irrtümer zu minimieren. Insofern ist zwar davon auszugehen, daß der Jurist weiterhin auch ohne die Rechtsökonomik einen großen Teil seiner „Schritte" selbst vornehmen kann; die ökonomische Theorie kann aber oftmals helfen, den Boden unter seinen Füßen zu stabilisieren 12.
und methodenkritischen Theorien nicht verarbeiten und im jeweiligen speziellen Zusammenhang zur Verbesserung seiner Leistungsfähigkeit aufnehmen würde. A u f die weit über solche Bedeutung hinausgehenden Ansprüche der Theorien selbst kommt es dabei nicht im geringsten an." 10 Grundmann, AcP 1997, 423, 440; Kerber in Leipold/Pies, S. 167. 11 Darauf weist zurecht Deckert in Hof/Schulte, S. 187 (mwN) hin, die deshalb flankierend eine empirische Folgenkontrolle verlangt. 12 Anders über die gesamte Rechtssoziologie aber noch Gurvitch, Sociology of Law, S. 10 f.: „The jurist can no longer make a single step without doing the work of a sociologist, without calling in the sociology of law".
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trtverzeichnis Adverse Selektion 81,223 Agency-Theorie 57, 80 ff., 128 Agenten 80 ff., 253 Aggregate 25, 37, 46, 53, 112, 115, 253 Akzeptanz 103, 124 ff., 130 ff., 138, 146 ff., 178 ff., 201 ff., 250, 255 f. Allgemeine Geschäftsbedingungen 23, 102, 123, 146 Allokationseffizienz 23, 66 f f , 87 f., 115 ff., 155, 207 Allokationsfimktion des Rechts 66, 72, 207 Alltagstheorien 127, 145, 180, 203 Altruismus 31 ff. Anomalie - allgemein 43 f f , 53 - der Besitzeffekte 43 - Framing- 43 f. - Selbstüberschätzungs- 44 Anwender der ökonomischen Theorie des Rechts, Gesetzgeber als 127 ff. Anwender der ökonomischen Theorie des Rechts, Richter als 142 ff. Arbeitnehmerhaftung 236 ff. Arbeitslosenversicherung 234 Arbeitsmarkt, dreigeteilter 209 Arbeitsmarktsegment, -berufsfachliches 209 f. -betriebliches 209 f. -externes 209 f. Arbeitsrecht, -allgemein 18, 141, 207ff. - -s, Besonderheiten des 207 ff. - -s, Rechtsquellen des 209 Arbeitsvertrag - aus juristischer Sicht 211 - aus ökonomischer Sicht 211 Auslegung - objektiv-teleologische 147 ff., 156 f f , 205, 250
- subjektiv-teleologische 144 f f , 154 ff., 205 Autoritätsverlust 128, 139, 171 Begriffsjurisprudenz 121, 125, 154 Beibringungsgrundsatz 187 ff., 194 Beispielsfalle, -„Eishockeyfall" 202 -„Pilotenfall" 248 - „Schweinemastfall" 65 -„Wildschutzfall" 182 Beschleunigungsgrundsatz 192 Besitzeffekte 43, 94, 100, 115 Bestimmtheitsgrundsatz 163 Betriebsrisikolehre 238 Bounded rationality 40 ff., 77 Cheapest cost avoider 140, 239 ff. Cheapest insurer 140, 241 ff. Chicago-School 54 Coase-Theorem, -allgemein 62 ff., 94, 239 - Effizienzthese 63, 66 - Invarianzthese 63, 66, 94 Dilemma 49,54,177,179,200 Direktionsrecht 61,211 ff. Distributionsprobleme 93 ff., 112, 115 Dynamische Betrachtung 80, 97 f., 116, 136 Effektivität 89, 123 f., 132 ff., 140, 145, 148, 152, 178, 191,204 Effizienz, - Allokations-, s. Allokationseffizienz - als Rechtsprinzip 166 ff. - als Verfassungsprinzip 168 - Kaldor-Hicks-, s. Kaldor-HicksEffizienz - konsensuale Legitimation der 103 ff.
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trtverzeichnis
- ökonomische 88 - Pareto-, s. Pareto-Effizienz Egoismus 31 ff., 53, 76 Eigeninteresse 27, 32 ff., 54, 76, 114, 246 Eigennutzen 24, 27, 32, 35, 38, 48 Eigennutztheorem 24, 32, 38 Einkommenseffekte 94 Elastizität 229,242 Empfehlung, (un)bedingte 118 ff. Entlastungsfunktion des Rechts 102 Erwartungsnutzen 39 Ethik 52 f., 89, 125, 132 Externalitäten, s. externe Effekte Externe Effekte 58, 61, 64 ff., 68 f f , 193, 225 ff., 233 ff., 255 Fairneß 106,112 Folgenorientierung 148 f., 159,162,177 fif. Folgenprognose, s. Prognose Franchising 84 f. Free-Riding 70 Gefahrgeneigte Arbeit 236 Generalklauseln 148 ff., 163 f., 179 Generalkompensation 105 f. Generalschlüssel, ökonomische Theorie als 55,205 Gesetzesbindung der Rechtsprechung 154 ff., 175 Gesetzesfolgenabschätzung 123, 127 ff. , 134, 138 ff. Gesetzespositivismus 121 Gesetzgeber als Anwender der ökonomischen Theorie des Rechts 127 ff., 247 Gesetzgebungslehre 128 Gesetzgebungstheorie 134,140,206 Gewaltenteilungsgrundsatz 153, 158, 163, 179 Gleichwahrscheinlichkeitstheorem 107 Grenznutzen des Einkommens 44, 94, 100, 103 Grundrechte und ökonomische Theorie des Rechts 25, 95 ff., 102, 168, 208 Gut, - gewöhnliches 209 -heterogenes 210 - homogenes 209 - kollektives, s. öffentliches - öffentliches 70, 97, 240, 193, 240
Haftungsrecht, s. Schadensersatzrecht Hard case 152 Hidden action 81 f. Hidden characteristics 81 Hidden information 81 f. „Hold up"-Problem 77 Homo oeconomicus, - allgemein 24, 26 f f , 68 f., 99 ff., I l l ff., 128 ff., 145 ff., 170,210, 215, 253 f. - als Analysekonstrukt 46 ff., - als Menschenbild 24 ff., 46 ff., 253 - als Satisfizierer 41 - Charakter des 31 ff. - neoinstitutionell 29 ff., 40 ff. -neoklassisch 29 f f , 38 ff. Homo sociologicus 36 f. Humankapital, -allgemein 213 ff., 223, 248 f. - -investition 213 f f , 225 ff., 248 ff. --theorie 214 ff. Individualismus, - methodologischer 24 f f , 90, 95 -normativer 25, 109, 114, 134 f. Individuum, autonomes 25 Induktionsproblematik 27 Information, - unvollständige 39, 42 - vollkommene 39 - vollständige 39, 42, 81, 245 Informationsasymmetrie 80, 146, 212 ff., 248 ff. Informationsbedarf 71, 136, 179, 187 Informationsdefizit 135 ff., 255 Informationsparadoxon 125 Initiativmöglichkeit, fehlende 197 ff. Insider-Outsider-Problem 224, 235 Institution, Begriff der 21 Institutionalismus 20 f. Interdisziplinarität 18 f. 67, 125 Interessenjurisprudenz 126 Investition, spezifische 77 ff., 214, 225, 231 f., 248, 253 Investitionslenkung 208 Kaldor-Hicks-Kriterium 91 ff., 115 ff., 201,207 Kleinkostensituation 33, 54
Stichwortverzeichnis Knappheit der Ressourcen 24, 26, 66, 88, 169 f., 178 Kognitiver Supermann, Richter als 184 Kompensation, -hypothetische 92 ff. -tatsächliche 90 ff. Kompetenz, fehlende fachliche des Richters 185 ff., 247 Konkurrenz, vollkommene 62 f. Konsens, - als Rechtsprinzip 170 ff. -faktischer 109 ff. - hypothetischer 111 ff. Kosten, - Agency- 83 ff. - asymmetrische Trennungs- 213 ff. , 251,255 - Ausbildungs- 216,248 - Beschäftigungs- 226, 228 - Durchsetzungs- 59 -externe 129,233,235 - Grenz- der Prävention 73 f. - Informations- 41, 59, 71, 84, 102, 111, 182
-interne 129,131 - Interventions- 98 -Kontroll- 83 - moralische 85 - Mobilitäts- 226,229,233 - Opportunitäts- 40, 66, 181, 238, 253 - Präventions- 74, 238 ff., 251 - primäre 238 ff., 251 -sekundäre 238, 241 ff. -soziale 58,68,227,234 - Substitutions- 111 -tertiäre 238 f., 244 ff., 251 - Transaktions- 58 ff., 75 ff., 101 ff., 133, 141, 145, 182, 201 f., 214, 218, 225 f., 233 ff., 253 - Vereinbarungs- 59 - Vertragsanbahnungs- 59 f. - Vertragsanpassungs- 59 -Wechsel- 226 Kosten/Nutzen-Kalkulation 32, 132, 150,215 Kostenrechts, Ungeeignetheit des 192 ff. Kündigungsschutz, -allgemein 210, 219 ff., 248 ff. - negative Wirkungen von 221 ff.
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- positive Wirkungen von 225 ff. - vor Willkür 220, 222, 229 ff., 235 f. - umfassender 229, 231, 241 „Learned Hand"-Formel 73 f., 150, 189, 239 f. Legitimation, - demokratische des Gesetzgebers 134 - demokratische des Richters 152 ff. Lohnprofil, ansteigendes 216, 223 ff. Lückenhaftigkeit des Rechts 125 f., 164 ff., 175, 178, 204, 255 Marke, -Funktion der 23, 71 f. - Herkunftsfunktion der 71 f. - Qualitätsfunktion der 71 f. -Schutzder 71 f. - Werbefunktion der 72 Marktunvollkommenheit 208,218 Maximierer, homo oeconomicus als 30, 32, 34, 37, 39 ff., 63, 69, 95, 98 ff., 106 f., 150 Meßbarkeit, kardinale 89 ff., 99, 179 Methodensynkretismus 125, 127 Minderheiten, Schutz von 96, 110, 171 Mißgunst 31 f., 96 Monetarisierung 32 ff., 49 f., 99 f., 214 Moral 30 f., 51 ff., 82, 85, 96, 125, 164 Moral hazard 82, 203, 211, 241, 244 ff. Nachfrageelastizität 229 Neue Institutionenökonomik 21 f f , 30, 42, 57 ff., 80, 85, 202, 204, 232, 253, 257 Nichtwissens, Schleier des 106 ff., 112 Normative ökonomische Theorie 18, 22 ff., 51, 87 f f , 121 f f , 130 f f , 142 f f , 166 f f , 207, 243 f f , 251 ff. Normkontinuität 138 ff. Nullsummenspiel, Recht als 73, 228 Nutzenfunktion 31 f f , 81, 84, 100 Nutzenmaximierung, situative 39 f , 42 Nutzenmessung, kardinale 89 f f , 99, 179 Nutzenmonster 96 Nutzenreihung, ordinale 90 f. Nutzenvergleich, interpersoneller 89 f f , 99 f , 179
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Ökonomik, - normative, s. normative ökonomische Theorie - positive, s. positive ökonomische Theorie Ökonomisches Paradigma 18 f., 24 ff. Ökonomisches Prinzip 39, 88 Ökonomisches Verhaltensmodell, s. homo oeconomicus Opportunismus 76 ff., 181, 211 ff., 218 f., 224 f , 251 Optimierung 83, 155, 167 ff., 237, 251, 256 Pareto- Effizienz 90 ff., 103, 115, 132 -optimal 91 -superior 91 Parteiwille, hypothetischer 149 f. Partialanalyse 98 Patemalismus 25, 30, 102, 135, 140, 178 Pfand, Lohn- 223 f., 234 Pflichtversicherung 242 Pigou-Steuem 62 ff. Politik des Gesetzes 141, 155 Politikwissenschaft 27 Positive ökonomische Theorie 22 f., 27, 51, 57 f., 67 ff., 75, 87, 103, 117, 120 ff., 128 f., 142 ff., 150, 153 f., 166, 175 f f , 193, 204 ff., 216, 246, 253 f. Präferenzen, - adaptierte 29 -allgemein 24 ff., 43 ff., 82, 89, 112 ff., 135 f., 149 f., 172 f., 210 - externe 96 - interdependente 32 f. - konstante 28 f. --struktur 28,31 Präventionsmaßnahmen 73 f., 151,237 ff. Praktische Konkordanz 156, 167, 174, 199, 255 Prinzipien, - als Optimierungsgebote 167, 172, 174 -Rechts- 157, 166 ff, 188, 196 ff, 255 ~ globales 167 ff., 205 - lokales 167 ff. - Verfassungs- 168, 172 Prinzipal-Agenten-Theorie, s. AgencyTheorie
Produktivität 214 f f , 223 f f , 233 f., 249, 251 Prognose 27 f f , 40 f , 47, 51 f f , 128, 135 f f , 204, 229, 257 Property-Rights-Ansatz 57, 60 f f , 101, 128, 253 Prozeßbeschleunigung 191 f. Prozeßrecht 187 ff. Qualifikationen - allgemeine 209 f , 215 f f , 229 ff. - betriebsspezifische 210, 215 f f , 223, 229 f f , 249 - branchenspezifische 210, 215, 229, 231, 248 f. Quasi-Rente 77 f , 226 f f , 235, 249 Rationalität, - eingeschränkte, s. bounded rationality -Hyper- 39 - perfekte 39 Rationalverhalten 27, 38 f f , 68, 77, 85, 110, 149 f , 203 Realitätsgehalt 33, 37 f , 46 ff. Realwissenschaft, Recht als 48, 55, 132, 137 f f , 148, 184, 187, 206, 250, 255 Rechtsfortbildung 151 f f , 157, 164 f f , 172 f f , 193,205, 255 Rechtsgewinnungstatsachen 187, 186 ff. Rechtspflegeministerium 181 Rechtsprinzip, s. Prinzip Rechtssicherheit 97, 138 f , 153, 167, 171, 180, 195 f f , 222, 244 ff. Rechtssoziologie 23, 121 f f , 189 Rechtsstaatlichkeit 149, 153, 196 Rechtstatsachenforschung 23, 70, 123, 137 f f , 170, 184 Rechtsverweigerungsverbot 125, 165 Reichtumsmaximierungsprinzip 34, 98 f f , 115 ff. Restriktionen 27 f f , 38 f f , 46, 53 Reziprozität nach Coase 64 f f , 243, 246 Richter als Anwender der ökonomischen Theorie des Rechts 142 f f , 247 ff. Risikoneigung 80 f , 105, 113, 241 f. Sachverstand, fehlender fachlicher des Richters 185 ff. Satisfizierer, s. homo oeconomicus
Stichwortverzeichnis Schadensausgleich, innerbetrieblicher 233 Schadensersatz, - -recht 20, 62 f f , 72 f f , 95, 123, 169, 182, 186, 236 f f , 238 ff. - R e c h t a u f 63,65 Schädigung, Recht auf 63, 65, 73 Schleier der Unsicherheit, s. Unsicherheit Selbstversicherung 242 Senioritätslohn 216,223,226,234 Signalling 81 f , 210 Simulation des Marktes 102 f. Sorgfaltsmaßstab 74, 150, 182, 196, 238 f f , 245 f. Sozialauswahl 223 f , 233, 247 Sozialingenieur, Richter als 177 Sozialplan 233 f. Sozialpsychologie 48 Sozialrecht 208 Sozialwissenschaft 27, 30, 45, 51, 54, 122 f f , 149, 189 Soziologie 47 f., 54 f., 122, 124 Soziologische Jurisprudenz 23, 121 f f , 179, 183, 186, 189, 192, 200, 203, 255 Spezifitätsgrad 77 f , 214, 228 Statik, komparative 65, 70, 97 f. Subjektives Recht 194 f., Subsumtionsautomat, Richter als 126 Subsumtionstatsachen 188 ff. Superior risk bearer 242 ff. Symbolische Gesetzgebung 128,135, 140, 146 Tautologie 28, 32, 53, 114, 157, 159 Tragik der Allmende 69 Transaktions - -häufigkeit 76 f. - -kosten, s. Kosten - -kostenökonomik 75 ff. Transparenz 119,130,145,148,180, 182, 201, 204 f , 255 f. Unbestimmte Rechtsbegriffe 163 ff, 209 Universalitätsanspruch der ökonomischen Theorie 50,117,119 Unsicherheit, - Entscheidung unter 112
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-Schleier der 104 f f , 112 Untersuchungsgrundsatz 191 Unwissenheit, - artifizielle 104, 106 f f , 114, 172 -natürliche 104,114,172 Utilitarismus 89 f , 95, 106, 168 Vereinigungstheorie 160 ff. Verfassungsökonomik 57, 108 f. Verfassungsprinzip, s. Prinzip Verfügungsrechte - allgemein 60 f f , 68 f f , 75, 79, 85 f , 97,211,239 - Verdünnung der 61 Vergleichbarkeit, interpersonelle 89 f f , 99 f , 179 Verhaltensmodell 24 f f , 36 f f , 45 f f , 48 f f , 66, 85, 114 f , 128, 143 f f , 205, 210, 253 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 132, 168 Verlustaversion 43 Versicherbarkeit 169, 202, 243 Verteilungsprobleme, s. Distribution, Probleme der Verträge, relationale 77, 79, 211, 251 Vertrauensschutz 167 Vorhersagen, s. Prognose Wertgrenzprodukt 215 f f , 231 Wertgrenzproduktivität 215, 223 Wertungsjurisprudenz 126 Werturteilsfreiheit der Wissenschaft, Postulat der 103,124 Wettbewerbsrecht 72, 102 Wirkungsforschung 123, 133 Wirtschaftlichkeitsprinzip 88, 130, 132 Wirtschaftsrecht 207,250 Wissensproblem 98, 136 Wohlfahrtsökonomik 62 f f , 88 f f , 108, 114 ff. Wohlfahrtsverluste 62, 224 Zahlungsbereitschaft 99 f f , 180 Zustimmungsbereitschaft 99