111 56 56MB
German Pages 659 [663] Year 2000
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 47
Christian Heinrich
Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit Die Grundlagen der Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle am Beispiel ausgewählter Probleme des Arbeitsrechts
Mohr Siebeck
Christian Heinrich, geboren 1965; 1984-1989 Studium der Rechtswissenschaft in Passau; 1993 zweites juristisches Staatsexamen; 1993-1999 wiss. Assistent an der Universität Passau; 1995 Promotion; 1999 Habilitation; Privatdozent für Bürgerliches Recht, Zivilprozeßrecht und Arbeitsrecht an der Universität Passau.
Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Juristischen Fakultät der Universität Passau gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Die Deutsche Bibliothek -
CIP-Einheitsaufnahme
Heinrich, Christian: Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit: die Grundlagen der Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle am Beispiel ausgewählter Probleme des Arbeitsrechts / Christian Heinrich. - 1. Aufl. Tübingen : Mohr Siebeck, 2000 (Jus privatum ; 47) ISBN 3-16-147381-7
978-3-16-157900-4 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019
© 2000 J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen aus der Garamond-Antiqua belichtet, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Niefern gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0941-9610
Vorwort Der Wandel ist ein Strukturprinzip unserer Gesellschaft. Auch das Recht ist in die Dynamik einbezogen. Eine Aufgabe des Rechts ist es, auf die Veränderungen der allgemeinen Anschauungen, auf wirtschaftliche und technische Neuerungen angemessen zu reagieren. Eines der Instrumente für die Erfassung neuer Entwicklungen stellen die Generalklauseln dar. Deren offener Tatbestand erlaubt es, gegenwärtige Verhaltensweisen der Praxis rechtlich auch dann zu erfassen, wenn der Gesetzgeber einen Aspekt nicht ausdrücklich geregelt hat. Auf Generalklauseln wird vor allem deshalb zurückgegriffen, um neue oder ungewöhnliche Vertragsgestaltungen auf ihre Vereinbarkeit mit der Rechtsordnung zu überprüfen. Bei der Anwendung der Generalklauseln ist das Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle auszutarieren. Hier zeigen sich geänderte Einschätzungen, noch bevor sie vom Gesetzgeber aufgegriffen und durch einzelne Vorschriften umgesetzt werden. So fanden die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1993 zur Wirksamkeit von Bürgschaften mittelloser Verwandter über §138 BGB Eingang in das Zivilrecht. Bei der Anwendung der wertungsoffenen Normen kommt es darauf an, die Grenze zwischen Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle »aus dem Dunkel einer gefühlsmäßig bestimmten Gerechtigkeitsargumentation« (Karl Larenz) zu befreien und auf ein tragfähiges methodisches Fundament zu stellen. Die Integrität und Akzeptanz der Privatautonomie sind von Leitlinien abhängig, die formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit in eine rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Balance bringen. Gerichtliche Interventionen in die vom Konsens der Beteiligten getragenen Vereinbarungen lassen sich nur dann von bloßer Kasuistik hin zu einem transparenten Kriterienkatalog umgestalten, wenn den Gerichten klare Richtlinien für die Entscheidungsfindung an die Hand gegeben werden. Diese Arbeit zielt zunächst darauf, die Strukturen von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle herauszuarbeiten, um anschließend ein neues Vertragskontrollmodell zu entwickeln. Die Privatautonomie und ihre Grenzen stellen eine »old-timer-Problematik« (Wolfgang Zöllner) dar, zu der eine unübersehbare Flut von Literatur und Rechtsprechung existiert. Die zahlreichen Äußerungen haben das Thema nicht erschöpft - im Gegenteil. Ein Ende der wissenschaftlichen Diskussion über die Balance zwischen Freiheit und Kontrolle ist nicht in Sicht. Hier verhält es sich ähnlich, wie es John Wheeler für die Naturwissenschaften formuliert hat: »Je mehr die Insel des Wissens wächst, um so größer wird die Küstenlinie des Unbekannten.« Im Verlauf der bisherigen Diskussion haben sich eine derartige Menge von
VI
Vorwort
Anschauungsmaterial und eine solche Fülle an Argumentationsmustern angesammelt, daß es an der Zeit scheint, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Die Bilanzierung des derzeitigen Erkenntnisstandes bildet die Basis für den Versuch, ein Vertrags(kontroll)modell zu entwickeln, dem einerseits ein präziser Wertungskatalog zugrundeliegt und das es andererseits erlaubt, zukünftige Herausforderungen an das Recht zu bewältigen und den Trend zur Europäisierung des Privatrechts einzubeziehen. Erarbeitet wird ein theoretischer Bezugsrahmen der Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle, innerhalb dessen sich viele Einzelprobleme in neuem Licht präsentieren. Dabei müssen die Ausführungen angesichts der Weite des Themas fragmentarisch bleiben; nur einzelne ausgewählte Gesichtspunkte können herausgegriffen werden. Das Thema Vertragsfreiheit kann aus mannigfaltigen Blickwinkeln und mit wechselnder Schwerpunktsetzung untersucht werden. Die hier gewählte Darstellung wird hoffentlich die zukünftige Diskussion über das »Dezennien-Thema der Zivilrechtswissenschaft« (Peter Hommelhoff) anregen. Die Arbeit wurde im Sommersemester 1999 von der Juristischen Fakultät der Universität Passau als Habilitationsschrift angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten bis August 1999 eingearbeitet werden. Meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Hans-Joachim Musielak, danke ich für die vielfältige persönliche und fachliche Förderung während meiner Zeit an seinem Lehrstuhl. Seine stete Gesprächsbereitschaft, kritischen Anregungen und seine Rücksichtnahme haben den Fortgang der Arbeit maßgeblich gefördert. Besonderer Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Wolfgang Hromadka, der nicht nur das Zweitgutachten erstellt, sondern mir mit weiterführenden Hinweisen die Überarbeitung des Manuskriptes erleichtert hat. Herzlich bedanken möchte ich mich weiterhin bei allen Mitgliedern der Passauer Fakultät für das angenehme Arbeitsklima und die zügige Durchführung des Habilitationsverfahrens. Bei der Durchsicht des Manuskriptes sind mir zahlreiche Freunde und Kollegen hilfreich zur Seite gestanden. Ihnen allen, insbesondere Christoph Hindinger, Frank Maschmann, Dres. Arne Ott, Peter Gröschler und Christian von Coelln, danke ich sehr. Danken möchte ich ferner dem Verlag Mohr Siebeck in Person von Herrn Dr. Franz-Peter Gillig für die Aufnahme der Schrift in die Reihe Jus Privatum und allen Mitarbeitern des Verlages für die unkomplizierte Drucklegung. Für die großzügige finanzielle Unterstützung durch einen Druckkostenzuschuß danke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ohne die Unterstützung meiner Eltern, meiner Freundin und meines Bruders wäre der Abschluß des Habilitationsvorhabens nicht möglich gewesen. Vielen Dank! Passau, im November 1999
Christian Heinrich
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis Abkürzungen
IX XXI
Einleitung
1
ERSTER TEIL: Grundlagen privatrechtlicher Selbstgestaltung 1. KAPITEL: Die historische Entwicklung 2. KAPITEL: Begriff und Struktur der Vertragsfreiheit 3. KAPITEL: Verfassungsrechtliche Implikationen 4. KAPITEL: Europarechtliche Gesichtspunkte
13 43 69 148
ZWEITER TEIL: Leitlinien einer Freiheitsbegrenzung 5. KAPITEL: D a s V e r t r a g s ( k o n t r o l l ) m o d e l l
171
6. KAPITEL: Die einzelnen Vertragskontrollvarianten
223
DRITTER TEIL: Inhaltskontrolle durch Generalklauseln 7. KAPITEL: Generalklauseln und flexibles System 8. KAPITEL: Die »guten Sitten« als Wertungsrahmen 9. KAPITEL: Der Treu und Glauben - Grundsatz
315 368 392
10. KAPITEL: A n g e m e s s e n h e i t s k o n t r o l l e
426
11. KAPITEL: Synthese zur Inhaltskontrolle durch Generalklauseln
470
VIERTER TEIL: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht 12. KAPITEL: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht 13. KAPITEL: Angemessenheitsprüfung im Arbeitsrecht
487 541
Schlußwort
565
Literaturverzeichnis
569
Sachregister
625
Inhaltsverzeichnis Abkürzungen
XXI
Einleitung
1
ERSTER TEIL
Grundlagen privatrechtlicher Selbstgestaltung 1. Kapitel: Die historische Entwicklung
13
I. II. III. IV.
14 19 21 24 24 26 34 36
VI. Zusammenfassung
41
2. Kapitel: Begriff und Struktur der Vertragsfreiheit
43
Römisches Recht Älteres deutsches Recht Die Sichtweise der Glossatoren und Kommentatoren Die Entwicklung vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts 1. Partikularrechte und Usus modernus 2. Die Naturrechtslehre 3. Naturrechtskodifikationen V. Kodifikation des Bürgerlichen Gesetzbuches im 19. Jahrhundert
I. Stellung der Vertragsfreiheit im zivilrechtlichen Normengefüge 1. Vertragsfreiheit und Rechtsgeschäftslehre
2. Willenserklärung und Konsens 3. Verankerung der Vertragsfreiheit in der Privatrechtsordnung . . . . 4. Dispositives Recht und Auslegung 5. Vertragsfreiheit und Bindungswirkung II. Erscheinungsformen der Vertragsfreiheit 1. Formelle und materielle Vertragsfreiheit 2. Abschluß-, Inhalts- und Formfreiheit a) Abschlußfreiheit b) Inhaltsfreiheit c) Formfreiheit
III. Vertragsfreiheit und Stufenbau der Rechtsordnung IV. Resümee
43 43
45 46 47 50 53 53 55 55 59 60
64 67
X
Inhaltsverzeichnis
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche Implikationen I. Die grundrechtliche Anerkennung der Vertragsfreiheit 1. Vertragsfreiheit als Gegebenheit des einfachen Rechts 2. Vertragsfreiheit als objektiv-rechtlicher Faktor 3. Art. 2 Abs. 1 G G als verfassungsrechtliche Verankerung 4. Vertragsfreiheit als Konglomerat verschiedener grundrechtlicher Gewährleistungen 5. Eigene Ansicht zum Standort der Vertragsfreiheit in der Gesamtkonzeption des Grundgesetzes
69 70 71 72 74 76 78
a) Vertragsfreiheit als A b w e h r g r u n d r e c h t aa) Art. 2 Abs. 1 G G als Ausgangspunkt bb) Spezielle Freiheitsgrundrechte als sedes materiae der Vertragsfreiheit
78 78
b) Vertragsfreiheit u n d Schrankendogmatik aa) Relevanz der Schrankenlehre bb) Kompetentieller Charakter der Vertragsfreiheit cc) Schranken der Vertragsfreiheit dd) Kriterien der Güterabwägung
89 89 92 94 98
c) Vertragsfreiheit als Einrichtungsgarantie
II. Der Einfluß verfassungsrechtlicher Vorgaben auf das Privatrechtsverhältnis 1. Der objektiv-rechtliche Gehalt im allgemeinen 2. Die Schutzpflichtenlehre 3. Die Wirkungslehren im Rahmen der Bürger/Bürger-Relation . . . .
85
102
108 108 109 112
a) D e r Direktwirkungsansatz von Schwabe aa) Theoretische Konzeption bb) Kritische Würdigung
114 114 115
b) Die Theorie der unmittelbaren D r i t t w i r k u n g aa) Charakteristika bb) Kritische Stimmen
116 116 117
c) Die Lehre der mittelbaren G r u n d r e c h t s w i r k u n g aa) Inhalt bb) Kritik
118 118 119
4. These einer modifizierten mediaten Horizontalwirkung a) Indirekte D r i t t w i r k u n g als Grundlage (erste Ebene) b) Modifikation durch Richterrecht (zweite Ebene)
III. Der Schutz des Menschen vor sich selbst 1. Aufgabe grundrechtlich geschützter Freiheiten
121 121 126
136 137
a) Grundrechtsschutz als ius cogens b) Verzicht auf G r u n d r e c h t e als A k t grundrechtlich garantierter Freiheitsausübung c) These einer eingeschränkten Grundrechtsverfügungsfähigkeit
138 139 140
2. Leitlinien für die Bestimmung der Grundrechtsdisposition durch Vertragsschluß
141
Inhaltsverzeichnis
XI
a) Grundsätzliche Divergenz zum Verzicht im öffentlichen Recht b) Voraussetzungen und Grenzen einer vertraglichen Schutzdisposition
141
4. Kapitel: Europarechtliche Gesichtspunkte I. Die Ausgangslage II. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit im Europarecht 1. Objektiv-rechtliche Lage 2. Vertragsfreiheit als europäisches Individualgrundrecht III. Vertragskontrolle im Europarecht
143
148 148 154 154 158 161
ZWEITER TEIL
Leitlinien einer Freiheitsbegrenzung 5. Kapitel: Das Vertrags(kontroll)modell I. Interdependenz von Vertragsmodell und Vertragskontrolle II. Bisher entwickelte Vertrags(kontroll)ansätze 1. Die Lehre von der Richtigkeitsgewähr 2. Die Selbstbestimmungsthese 3. Die Theorie der sozialen Vertragsfunktion 4. Theorie der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit 5. Das liberale Informationsmodell 6. Vertragskontrolle als Bestandsschutzgewährleistung 7. Die positiv-rechtliche Paritätstheorie 8. Der sonderprivatrechtliche Ansatz 9. Das Eintreten für die Prärogative des Gesetzgebers 10. Der normtheoretische Lösungsansatz III. Das Dilemma der monokausalen Erklärungsversuche 1. Zur Lehre von der Richtigkeitsgewähr 2. Zur Selbstbestimmungsthese 3. Zur Theorie der sozialen Vertragsfunktion 4. Zur These der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit 5. Zum liberalen Informationsmodell 6. Zur Einschätzung als Bestandsschutzgewährleistung 7. Zur positiv-rechtlichen Paritätslehre 8. Zum sonderprivatrechtlichen Ansatz 9. Zur Prärogative des Gesetzgebers 10. Zum normtheoretischen Lösungsansatz 11. Resümee
171 171 174 174 175 177 179 180 182 184 185 187 187 190 190 191 192 193 195 198 199 200 202 203 205
XII
Inhaltsverzeichnis
IV. Das flexible Wertungssystem eines Zusammenspiels von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle 1. Ausgangsbasis und Grundstruktur 2. Flexibilisierungssystematik a) Formale Vertragsfreiheit als Grundlage b) Begrenzung flexibler Elemente
3. Voraussetzungen und Grenzen eines flexiblen Wertungssystems . a) Anwendungsbereich b) Vorgehensweise und Voraussetzungen c) Grenzen des flexiblen Systems
4. Flexibles System und Rechtsstaatsprinzip 5. Abgrenzung von vergleichbaren Methoden V. Vom Allgemeinen zum Besonderen - Zusammenfassung und Ausblick über die weitere Darstellung
6. Kapitel: Die Vertragskontrollvarianten
I. Vertragskontrolle als Inbegriff der Vertragsgerechtigkeit II. Abschlußkontrolle 1. Unmittelbare positive Abschlußkontrolle 2. Mittelbare positive Abschlußkontrolle a) D u r c h gesetzliche Anordnungen b) Mittels Analogie zu gesetzlichen Vorgaben c) N a c h allgemeinen Vorschriften, insbesondere §826 B G B aa) Dogmatische Konstruktion bb) Voraussetzungen cc) Inhaltliche Ausgestaltung
3. Unmittelbare negative Abschlußkontrolle a) Die Bedeutung des § 134 BGB b) Ein Beispiel: das SchwarbG
4. Mittelbare negative Abschlußkontrolle a) Nachträglich entstandene abschlußnegierende Faktoren aa) Die Grundaussage bb) Der Ausnahmefall b) Ursprünglich existierende dem Vertragsschluß widerstreitende U m stände
5. Ergebnis III. Einbeziehungs- oder Vertragsgegenstandskontrolle 1. Die Einbeziehungskontrolle im engeren Sinn 2. Die sogenannte Einbeziehungskontrolle im weiteren Sinn a) Unternehmerischer Geschäftsverkehr b) Arbeitsrecht aa) Einbeziehungskontrolle und Bereichsausnahme bb) Einbeziehungskontrolle nach allgemeinen Grundsätzen
205 205 207 207 210
211 212 212 217
218 219 221
223
223 224 225 225 225 229 230 230 232 235
238 238 243
249 249 249 252 260
266 266 266 274 275 283 283 288
Inhaltsverzeichnis
XIII
cc) Inhalt und Umfang der Einbeziehung dd) Resümee
291 295
IV. Inhaltskontrolle 1. Sittenwidrigkeitskontrolle a) b) c) d)
Anwendungsbereich Maßstab Rechtsfolge Verhältnis zur Angemessenheitskontrolle
2. Angemessenheitskontrolle oder Inhaltskontrolle im engeren Sinn a) Terminologie b) Angemessenheitskontrolle nach dem AGB-Gesetz aa) Anwendungsbereich bb) Maßstab cc) Rechtsfolgen c) Angemessenheitskontrolle nach §242 BGB
3. Ausübungs- oder Verhaltenskontrolle a) Anwendungsbereich b) Maßstab c) Rechtsfolge
296 296 296 296 298 300
301 301 301 301 302 302 303
304 304 305 305
4. Billigkeits- oder Bestimmungskontrolle a) Anwendungsbereich b) Maßstab c) Rechtsfolge
306 306 307 308
V. Einzel- oder Sonderkontrolle VI. Ergebnis
309 309
DRITTER TEIL
Inhaltskontrolle durch Generalklauseln 7. Kapitel: Generalklauseln und flexibles System I. Der generell-abstrakte Charakter der Freiheitsgrenzen 1. Punktuelle und generelle Freiheitsgrenzen 2. Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe 3. Die Bedeutung der Generalklauseln II. Methodische Überlegungen 1. Grundlagen der Wertungsanalyse 2. Methodische Vorgehensweise a) Fallgruppenbildung b) Typenlehre c) Wertungsanalyse aa) Grundstruktur
315 315 315 316 317 320 320 323 323 324 325 325
XIV
Inhaltsverzeichnis bb) Vorgehensweise cc) Maßstab
326 329
III. Wertungsfaktoren und Konkretisierungselemente 1. Formale und materiale Rechtsprinzipien 2. Entwicklung materialer Rechtsprinzipien 3. Prinzipienvielfalt und flexibles System 4. Allgemeine Grundwertungen und besondere Wertungsvorgaben 5. Ergebnis
329 329 330 331
IV. Grundelemente des flexiblen Systems 1. Struktur und Bedeutung 2. Fundamentale Rechtsprinzipien der Inhaltskontrolle
336 336 338
333 335
a) D e r Grundwert des Personen- und Persönlichkeitsschutzes aa) Personenschutz bb) Persönlichkeitsschutz
338 339 341
b) Das Grundprinzip der Selbstbestimmung aa) Formale Selbstbestimmung bb) Materielle Aspekte
346 346 348
c) Das aa) bb) cc)
Prinzip der Eigenverantwortung Zurechenbarkeit Grenzen der Selbstverantwortung Der Gedanke der Mitverantwortung
350 351 353 354
d) Das aa) bb) cc) dd)
Rechtsprinzip des Vertrauens- und des Verkehrsschutzes Konkurrenzen Der objektive Vertrauenstatbestand Der subjektive Tatbestand der Verantwortlichkeit Die subjektive Komponente der Schutzwürdigkeit
356 356 356 358 360
e) Das aa) bb) cc)
soziale Gerechtigkeitsprinzip Ausgangslage Formale Gerechtigkeit Materiale Gerechtigkeit
361 361 362 362
V. Zusammenfassung
8. Kapitel: Die »guten Sitten« als Wertungsrahmen I. Die guten Sitten 1. Die Funktion des § 138 Abs. 1 BGB 2. Der Begriff der guten Sitten im allgemeinen a) Rechts- und Sozialmoral b) D e r außergesetzliche Bezugsrahmen
365
368 368 368 369 369 369
c) Die Konkretisierungsgrundlage
371
d) Die Dynamik des Sittenwidrigkeitsmerkmals
372
3. Die Prüfung der Sittenwidrigkeit im einzelnen
373
a) Objektive Sittenwidrigkeitselemente aa) Interne Konkretisierungsfaktoren
374 375
Inhaltsverzeichnis bb) Externe Umstände b) Subjektive Anforderungen
II. Der Wuchertatbestand 1. Anwendungsbereich 2. Auffälliges Mißverhältnis 3. Ausnutzung einer Ausbeutungslage 4. Der Wuchertatbestand und das flexible System 5. Das Verhältnis von §138 Abs. 2 BGB zu §138 Abs. 1 BGB
XV 379 382
384 384 385 386 388 389
III. Resümee
391
9. Kapitel: Der Treu und Glauben - Grundsatz
392
I. Der Normgehalt des §242 BGB 1. Die Bedeutung des §242 B G B 2. Uberblick zu den Funktionsweisen 3. Analyse des Wertungsrahmens
392 392 393 395
a) Die Wortkombination Treu und Glauben b) Die Verkehrssitte
II. Grundlagen der Ausübungskontrolle
395 396
397
III. Der institutionelle Rechtsmißbrauch 1. Institutioneller Mißbrauch der Vertragsfreiheit 2. Institutioneller Mißbrauch einer Vertragsposition
400 400 405
IV. Der individuelle Rechtsmißbrauch 1. Grundlagen und Abgrenzung
406 406
a) Grundlagen b) Abgrenzung zur Willenserklärung
2. Konkretisierungselemente für das Beispiel der Verwirkung a) Grundstruktur
406 407
410 410
b) Wesentliche Abwägungsfaktoren aa) Vertrauen des Verpflichteten bb) Schutzwürdigkeit des Vertrauens cc) Vertrauensdisposition dd) Subsidiarität der Mißbrauchskontrolle ee) Vorverhalten des Rechtsinhabers ff) Zurechenbarkeit
410 410 411 412 412 413 416
c) Die aa) bb) cc)
417 417 417 418
Auswirkungen des flexiblen Systems Offenheit des Tatbestandes Kritik an Teilen der Rechtsprechung Ergebnis
3. Konkretisierungselemente für das Beispiel der Erwirkung a) Grundlagen b) Abgrenzung aa) Die betriebliche Übung bb) Vertrags- und Vertrauensansatz cc) Stellungnahme
419 419 419 420 420 421
XVI
Inhaltsverzeichnis
V. Resümee 10. Kapitel: Angemessenheitskontrolle I. Legitimation einer Angemessenheitskontrolle II. Die Angemessenheitskontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen .. 1. Systematik 2. Der Wertungsrahmen der Angemessenheitsprüfung
425 426 426 428 428 430
a) Lokalisation einer Vergleichsgrundlage aa) Dispositives Recht bb) Vertragsstruktur
430 430 433
b) Nachteilige Abweichung aa) Nachteilsdiagnose bb) Zeitpunkt
435 435 436
c) Kompensation d u r c h einen Vorteil aa) Grundsatz bb) Kollektiv ausgehandelte Klauselwerke cc) Äquivalenz kompensierender Komplexe
438 438 439 441
d) Verstoß gegen Treu u n d Glauben aa) Wesentlichkeit der Benachteiligung bb) Interessenabwägung
445 445 446
3. Angemessenheitsprüfung und flexibles System a) Das Wechselspiel der Wertungen b) Das Transparenzgebot als Bestandteil des flexiblen Systems aa) Wirkungsspektrum des Transparenzgedankens bb) Abschluß- und Abwicklungstransparenz cc) Intransparenz und unangemessene Benachteiligung dd) Transparenzkontrolle und Vertragsgerechtigkeit
III. Angemessenheitskontrolle bei Verbraucherverträgen 1. Grundlagen
448 448 450 450 454 456 458
459 459
a) Begriff b) Schutzzweck
459 461
2. Kontrollkriterien
462
a) Ausgangslage b) Konkret-individuelle U m s t ä n d e aa) Anwendungsbereich bb) Kontrollrahmen
462 462 462 463
c) Wirkungsweise aa) Zwei-Stufen-Prüfung bb) Doppelte Konkretisierungsfunktion cc) Intensitätsgrad des individuellen Wertungsfaktors dd) Kompensation und Transparenz
466 466 466 467 468
3. Ergebnis
469
Inhaltsverzeichnis
XVII
11. Kapitel: Synthese zur Inhaltskontrolle durch Generalklauseln
470
I. Ergebnis der Analyse II. Das Ubermaßverbot als Syndetikon der Kontrollelemente 1. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Zivilrecht 2. Anwendungsbereich 3. Wirkungsweise
470 471 471 472 473
III. Zumutbarkeit als Bindeglied 1. Anwendungsbereich 2. Wirkungsweise 3. Grenzen IV. Zusammenfassung zur Inhaltskontrolle mittels Generalklauseln 1. Dynamik der Generalklauseln 2. Konkretisierungsvorgang
475 475 475 477 477 477 478
a) Berücksichtigungsfähige Wertungselemente b) Wertungsintensität der Kontrollkriterien aa) Abstrakt-genereller Grad bb) Modifikationen im konkreten Fall
478 479 479 479
c) Wertungsrelation
481
3. Die Entscheidung bei einem Wertungspatt
482
VIERTER TEIL
Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht 12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
487
I. Der Arbeitsvertrag als Grundlage des Arbeitsverhältnisses 1. Der Arbeitsvertrag als Schuldvertrag 2. Das Arbeitsverhältnis als Dauerschuldverhältnis
487 487 488
a) Modifikationsansätze b) Stellungnahme
3. Die personale Komponente des Arbeitsvertrages
488 489
491
II. Die Vertragsfreiheit als Grundwertung des Arbeitsvertragsrechts . . . . 1. Die Lage im 19. Jahrhundert 2. Die veränderte Situation im 20. Jahrhundert
495 495 497
III. Die zivilrechtsatypische Regelungsdichte im Arbeitsvertragsrecht . . . 1. Tarifvertrag 2. Betriebsvereinbarung 3. Mitbestimmungsrechte
498 498 500 502
a) Ausgangslage b) Mitbestimmung und Individualautonomie aa) Theorie der notwendigen Mitbestimmung
502 503 503
XVIII
Inhaltsverzeichnis bb) Theorie der erzwingbaren Mitbestimmung cc) Stellungnahme
4. Arbeitsvertragliche Einheitsregelungen 5. Ergebnis IV. Auswirkungen der Regelungsdichte auf die Gestaltungsautonomie .. 1. Inhaltsfreiheit ablehnende Ansätze 2. Die Bedeutung der Inhaltsfreiheit a) Irrelevanz kollektiver Begleiterscheinungen b) Grundsätzliche Bedeutungslosigkeit faktischer Elemente
V. Die Grenzen der Freiheitsgrenzen 1. Anforderungen an die gesetzlichen Freiheitsgrenzen a) Der traditionelle Ansatz b) Aktuelle Tendenzen c) Ergebnis
2. Die Reichweite tarifvertraglicher Begrenzungen der Individualautonomie a) Allgemeine Grenzen b) Vertragsfreiheit als Regelungsgrenze
3. Die Grenzen der Freiheitsschranken durch Betriebsvereinbarung a) Das Verhältnis zur Tarifautonomie b) Das Verhältnis zur Individualautonomie c) Billigkeitskontrolle aa) Sogenannte konkrete Billigkeitskontrolle bb) Sogenannte abstrakte Billigkeitskontrolle d) Angemessenheitskontrolle aa) Die Sichtweise der Rechtsprechung bb) Stellungnahme cc) Ergebnis
4. Die Schranken arbeitsvertraglicher Einheitsregelungen 13. Kapitel: Angemessenheitsprüfung im Arbeitsrecht I. Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit im Individualarbeitsrecht 1. Der Stellenwert der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung 2. Soziale Individualautonomie als Kerngedanke des Arbeitsvertragsrechts a) Vorsorge b) Nachsorge
II. Die Angemessenheitskontrolle 1. Zulässigkeit 2. Dogmatische Grundlage
505 506
512 513 514 514 515 515 516
518 518 518 519 520
522 522 524
525 525 529 534 534 535 536 536 537 539
539 541 541 541 542 542 543
545 545 546
Inhaltsverzeichnis a) Analoge Anwendung der AGB-Maßstäbe b) §242 B G B als Kontrollmaßstab c) Angemessenheitskontrolle als Fall des institutionellen Rechtsmißbrauchs 3. A n w e n d u n g s b e r e i c h a) Arbeitsvertragliche Einheitsregelungen b) Einzelvertragliche Formulierungen 4. Ausgestaltung u n d M a ß s t a b der K o n t r o l l e a) Treu und Glauben b) Verkehrssitte 5. P r ü f u n g s v o r g a n g a) Vergleichsgrundlage b) Mißbräuchliche Abweichung aa) Abweichung vom (jeweiligen) Arbeitsvertragsmodell bb) Rechtsmißbräuchliche Abweichung cc) Mißbräuchliche Abweichung und flexibles Wertungssystem
XIX 546 547 549 550 550 550 552 552 554 554 554 557 558 560 561
III. Z u s a m m e n f a s s u n g
564
Schlußwort
565
Literaturverzeichnis
569
Sachregister
625
Abkürzungen a.A. a.a.O. ABGB ABl. Abs. AcP ADHGB ADSp ADWO a.E. AEntG a.F. AG AGBG AiB AK AktG AkZ allg.M. ALR Alt. a.M. AMG Anh. Anm. AnwBl. AÖR AP ArbG ArbGG ArbPlSchG ArbSchG ArbSichG ArbZG ArchBürgR ARS ARSt Art.
andere(r) Ansicht am angegebenen Ort Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Amtsblatt Absatz, Absätze Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen Allgemeine Deutsche Wechselordnung am Ende Arbeitnehmer-Entsendegesetz alte Fassung Amtsgericht, Aktiengesellschaft Gesetz zur Regelung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen Arbeitsrecht im Betrieb Alternativkommentar Aktiengesetz Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht allgemeine Meinung Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Alternative andere(r) Meinung Arzneimittelgesetz Anhang Anmerkung Anwaltsblatt Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsplatzschutzgesetz Arbeitsschutzgesetz Arbeitsicherstellungsgesetz Arbeitszeitgesetz Archiv für Bürgerliches Recht Arbeitsrechtssammlung, Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts, der Landesarbeitsgerichte und Arbeitsgerichte Arbeitsrecht in Stichworten, Arbeitsrechtliche Entscheidungssammlung Artikel
XXII AuA Aufl. AuR, ArbuR AZO BAG BAGE BAnz BauR BayObLG BayVBl. BayVGH BB BBG BBiG Bd. Begr. Beil. BErzGG BeschFG Beschl. BetrAVG BetrVG BfA BFH BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BImSchG BIStSozArbR BKGG Bl. BLG BNotO BPersVG BRAGO BRAO BR-Drucks. BSG BSHG BSozG BT-Drucks. Bull. BUrlG BUV BVerfG BVerfGG
Abkürzungen Arbeit und Arbeitsrecht Auflage Arbeit und Recht Arbeitszeitordnung Bundesarbeitsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesanzeiger Baurecht, Zeitschrift für das gesamte öffentliche und private Baurecht Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Der Betriebs-Berater Bundesbeamtengesetz Berufsbildungsgesetz Band Begründung Beilage Bundeserziehungsgeldgesetz Beschäftigungsförderungsgesetz Beschluß Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundesimmissionsschutzgesetz Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht Bundeskindergeldgesetz Blatt Bundesleistungsgesetz Bundesnotarordnung Bundespersonalvertretungsgesetz Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltsordnung Drucksachen des Deutschen Bundesrates Bundessozialgericht Bundessozialhilfegesetz Bundessozialgericht Drucksachen des Deutschen Bundestages Bulletin Bundesurlaubsgesetz Betriebs- und Unternehmensverfassung Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgerichtsgesetz
Abkürzungen BVerfGE BVerwG BVerwGE ca. CISG DAG DB DGB d.h. DJZ DNotZ DÖD DÖV Dok. DRiG DRiZ DStR DStZ DuD DuR DVB1. DVO D W DZWir EEA EG EGH EGBGB EGV Einf. Einl. endg. Entw. EU EuGH EuGRZ EuGVÜ EUV EuZW e.V. EWG EWIV EZA f., ff. FAG FamRZ FernUSG
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Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts circa Ubereinkommen der Vereinten Nationen über den internationalen Warenkauf Deutsche Angestelltengewerkschaft Der Betrieb Deutscher Gewerkschaftsbund das heißt Deutsche Juristen-Zeitung Deutsche Notar-Zeitschrift Der Öffentliche Dienst Die Öffentliche Verwaltung Dokument Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuerzeitung Datenschutz und Datensicherung Demokratie und Recht Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Deutsche Wohnungswirtschaft Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Einheitliche Europäische Akte Europäische Gemeinschaft Ehrengerichtshof Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführung Einleitung endgültig Entwurf Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft Zeitschrift für Europäische Grundrechte Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eingetragener Verein Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäische wirtschaftliche Interessenvertretung Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht folgende (r, s) Gesetz über Fernmeldeanlagen Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht
XXIV FG Fn. FuR GewO GG GK GKG GleichberG GmbH GmbHG Gnomon GRUR GS GVB1. GVG HAG Halbs. HandwO HGB h.L. h.M. HaustürWG HeimarbG HeimarbÄndG H O AI HzA i.d.F. i.E. insbes. InsO IPrax i.S.d. i.S.v. i.V.m. JA JArbR JArbSchG JgJher.Jb. JOR JR Jura JurBüro JuS JW JZ KAGG
Abkürzungen Finanzgericht Fußnote Familie und Recht Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Grundkurs, Gemeinschaftskommentar Gerichtskostengesetz Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz für Gesellschaften mit beschränkter Haftung Kritische Zeitschrift für die gesamte Klassische Altertumswissenschaft Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Großer Senat Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Heimarbeitsgesetz Halbsatz Handwerksordnung Handelsgesetzbuch herrschende Lehre herrschende Meinung Haustürwiderrufsgesetz Heimarbeitsgesetz Heimarbeitsänderungsgesetz Verordnung über die Honorare für Leistungen der Architekten und Ingenieure Handbuch zum Arbeitsrecht in der Fassung im Ergebnis insbesondere Insolvenzordnung Praxis des Internationalen Privatrechts im Sinne der, des im Sinne von in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Das Arbeitsrecht der Gegenwart. Jahrbuch für das gesamte Arbeitsrecht und die Arbeitsgerichtsbarkeit Jugendarbeitsschutzgesetz Jahrgang Jherings Jahrbücher der Dogmatik des Bürgerlichen Rechts Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Das Juristische Büro Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristen-Zeitung Gesetz über Kapitalauflagegesellschaften
Abkürzungen KG KGaA KJ KO KOM KSchG KTS LAG LG lit. LM MDR MHbeG MHRG MitBestG Mitt. Mot. MRK MuSchG m.weit.Nachw. Nachw. n.F. NJ NJW NJW-RR Nr. NStZ NVwZ NZA NZV OHG OLG OLGZ PersBefG Prot. RabelsZ RAG RdA RDV Recht RegE Rn. RG RGBl. RGZ RIW Rpfleger Rs. Rspr.
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Kammergericht, Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Kritische Justiz Konkursordnung Dokumente der Kommission der Europäischen Gemeinschaften Kündigungsschutzgesetz Zeitschrift für Konkurs-, Treuhands- und Schiedsgerichtswesen Landesarbeitsgericht Landgericht Litera Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Monatsschrift für Deutsches Recht Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger Gesetz zur Regelung der Miethöhe Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer Mitteilung(en) Motive Menschenrechtskonvention Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter mit weiteren Nachweisen Nachweis(en) neue Fassung Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungsreport Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Sammlung der Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen Personenbeförderungsgesetz Protokoll Rabeis Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichsarbeitsgericht Recht der Arbeit Recht der Datenverarbeitung Zeitschrift »Das Recht« Regierungsentwurf Randnummer Reichsgericht Reichsgesetzblatt Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft Der Deutsche Rechtspfleger Rechtssache Rechtsprechung
XXVI S. s. SaBl. SAE SchlHA SchwarbG SchwbG SeuffA SGB SGG SJZ Slg. sog. SozSich. SprAuG StAZ StGB StPO str. SZ (RA) TKO TVG TWO TzWrG u. u.a. u.ä. Ufita UWG UrhG VB1BW VerbrKrG VersR VerwArch. VG vgl. VO VOB VOB/A VOB/B Vorbem. VuR WDStRL W G VwGO VwVfG WahlO
Abkürzungen Satz, Seite siehe Sammelblatt f ü r Rechtsvorschriften des Bundes u n d der Länder Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Schleswig-Holsteinische Anzeigen Gesetz zur B e k ä m p f u n g der Schwarzarbeit Schwerbehindertengesetz Seufferts Archiv f ü r Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Schweizerische Juristenzeitung Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und der Gerichtserstinstanz der Europäischen Gemeinschaften sogenannte (r, s) Soziale Sicherheit, Zeitschrift f ü r Sozialpolitik Sprecherausschußgesetz D a s Standesamt Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung streitig Zeitschrift der Savigny-Stiftung f ü r Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung Telekommunikationsordnung Tarifvertragsgesetz Tarifvertragsverordnung Teilzeit-Wohnrechtegesetz und unter anderem u n d ähnliche (s) Archiv f ü r Urheber-, Film-, F u n k - und Theaterrecht Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Urheberrechtsgesetz Verwaltungsblätter f ü r B a d e n - W ü r t t e m b e r g Verbraucherkreditgesetz Zeitschrift f ü r Versicherungsrecht Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht vergleiche Verordnung Verdingungsordnung f ü r Bauleistungen Allgemeine Bestimmungen f ü r die Vergabe von Bauleistungen Allgemeine Bestimmungen f ü r die A u s f ü h r u n g von Bauleistungen Vorbemerkung Verbraucher u n d Recht Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Versicherungsvertragsgesetz Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Wahlordnung
Abkürzungen WiB WRKSchG WM WRP WRV WuB WuM WuV WuW WuW/E z.B. ZBB ZBR ZEuP ZfA ZfBR ZfP ZfRV ZfS ZG ZGB ZGR ZHR Ziff. ZIP ZNR ZPO ZRP ZSR ZTR zust. ZVP ZVR ZZP
Wirtschaftsrechtliche Beratung Wohnraumkündigungsschutzgesetz Wertpapiermitteilungen Wettbewerb in Recht und Praxis Weimarer Reichsverfassung Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wohnungswirtschaft und Mietrecht Wirtschaft und Verwaltung Wirtschaft und Wettbewerb WuW-Entscheidungssammlung zum Kartellrecht zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht Zeitschrift für Politik Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für Schadensrecht Zivilgerichte Zivilgesetzbuch Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Sozialreform Zeitschrift für Tarifrecht zustimmend Zeitschrift für Verbraucherpolitik Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozeß
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Einleitung I. Der Status quo 1. Allgemeine E n t w i c k l u n g Als ein charakteristisches Merkmal einer offenen modernen Gesellschaft gilt die Privatautonomie. 1 Sie wird als Säule unserer Privatrechtsordnung bezeichnet. 2 Wertschätzung und Bedeutung privatautonom gestalteter Rechtsverhältnisse erreichten im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Nach den liberalen Vorstellungen dieser Zeit bestand die zentrale Funktion der Privatautonomie vor allem darin, den Bürgern einen Freiheitsraum zu gewährleisten, innerhalb dessen sich die Interessen der einzelnen Rechtssubjekte nach dem freien Spiel der Kräfte entfalten und zu einem gerechten Ausgleich ordnen sollten. Hauptelement der Privatautonomie ist die Vertragsfreiheit. Die Entwicklung »from status to contract« 3 prägte die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen dieser Zeit so sehr, daß Hurst das 19. Jahrhundert als »the years of contract« bezeichnet hat. 4 Im Verlauf des 20. Jahrhunderts ist eine zunehmende Gegenbewegung auszumachen. Die Eingriffe in die Privatautonomie haben sich vervielfacht. Rechtsprechung sowie Schrifttum, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch vermehrt Gesetzgebung und Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft weisen dirigistische Züge auf, durch die der Bereich der Privatautonomie immer mehr zugunsten zwingender rechtlicher Vorgaben eingeschränkt wird: Objektive U m stände wurden in verstärktem Maß für bedeutungsvoll erklärt; Äquivalenzgesichtspunkte, Aspekte des Verkehrsschutzes sowie der Sicherung der Daseinsvorsorge schränken das »Kontraktsrecht« 5 ein.
1 Der Begriff »Privatautonomie« faßt die drei Axiome »Person«, »Wille« und »Freiheit« zusammen, welche die Privatrechtsgesellschaft prägen und die v. Savigny aus der idealistischen Philosophie Kants entwickelt hat; näher Kiefner, in: Philosophie und Rechtswissenschaft, S. 3, 15. 2 Vgl. nur Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 72ff.; Flume, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 135ff.; Larenz, Allgemeiner Teil, §2 Ile; Medicus, Allgemeiner Teil, §17. 3 So die häufig zitierte Formulierung von Henry James Sumner Maine, Ancient Law. Its Connection with the Early History of Society and its Relation to Modern Ideas, 1861 (Nachdruck 1954), S. 141. 4 J. W. Hurst, Law and the Conditions of Freedom in the Nineteenth-Century United States, 1956, S. 18. 5 Zu diesem Begriff Rehbinder, Berliner Festschrift für Hirsch, S. 141,149ff., m. weit. Nachw., insbesondere auch zur Kritik an dieser Terminologie.
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Einleitung
Hingewiesen sei beispielhaft auf die von der Rechtsprechung herausgearbeitete und zwischenzeitlich im A G B G umgesetzte Kontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen, das maßgeblich von Oertmann6 entwickelte Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und die umfassende richterliche Vertragskontrolle im Arbeitsrecht.7 Eine deutliche Tendenz zur Einschränkung der Privatautonomie zeigt die aktuelle schuldrechtliche Gesetzgebung. Erwähnt seien an dieser Stelle lediglich § 651 k BGB, § 10 Abs. 1 MHRG, § 5 Abs. 3 S. 1 HausTWG oder § 18 S. 2 VerbrKrG. Immer mehr an Bedeutung gewinnen daneben EG-Richtlinien. Sie verbinden häufig den ihnen ursprünglich zugedachten Zweck der Vereinheitlichung und Harmonisierung europäischer Rechtsordnungen mit Gedanken des Verbraucherschutzes durch verbindliche Vorgaben für Vertragsgestaltungen.8 Dementsprechend begegnet das Credo von Flume »stat pro ratione voluntas«9 immer größeren Bedenken. So sieht Medicus die Zivilrechtsordnung in einer stetigen Abkehr von der Privatautonomie,10 spricht Zweigert von einem »Traumschloß«, einer »Utopie«11 und hält Ramm12 eine freie Selbstbestimmung bei der Gestaltung der Rechtsverhältnisse für realitätsfern.13 Der Bedeutungsverlust der Privatautonomie ist keine nationale Erscheinung, sondern liegt im internationalen Trend: Einschränkungen der Privatautonomie befinden sich heute in allen europäischen Rechtsordnungen im Vordringen.14 Freilich besteht Einigkeit, daß Privatautonomie nicht schrankenlos gewährleistet werden kann.15 Die Frage ist, inwieweit die Rechtsordnung in das freie Spiel der Kräfte eingreifen und durch ein immer filigraneres gesetzliches Regelungsnetz sowie extensive Anwendung von Generalklauseln den individuellen Gestaltungsspielraum einengen darf, kann oder sogar muß. Die Rechte des Individuums sind mit den Rechten der Gesellschaft in Einklang zu bringen. Besondere Relevanz gewinnt dabei die Begrenzung der Vertragsfreiheit als ein wesentlicher Teilaspekt der Privatautonomie. Die allgemeine Tendenz zu einer »Refeudalisierung« der Vertragsfreiheit ist kritisch zu hinterfragen.
Oertmann, Die Geschäftsgrundlage. Ein neuer Rechtsbegriff, 1921. Vgl. nur v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, passim. 8 Der Maastricht-Vertrag verpflichtet nunmehr in Art. 3 lit. t (ex-lit. s) EGV dazu, »einen Beitrag zur Verbesserung des Verbraucherschutzes« zu leisten. Die Perfektionierung des Verbraucherrechts durch zwingende Rechtsvorgaben führt zu einer Begrenzung der Vertragsfreiheit. Dazu Dreher, JZ 1997, 167, 177, m. zahlr. weit. Nachw. 9 Flume, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 135, 141. 10 Medicus, Abschied, S. 11 ff., 35. 11 Zweigert, Festschrift für Rheinstein, S. 493, 503. 12 Ramm, in: Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, S. 39, 40. 13 Ähnlich Zöllner, AcP 196 (1996), 1,4 Fn. 15: Durch die gesetzgeberischen und richterlichen Tätigkeiten sei das »bürgerliche Gesetzbuch immer kleinkarierter geworden, es entwickelt sich sozusagen zu einem kleinbürgerlichen Gesetzbuch.« 14 Kramer, Krise, S.9, m. Nachw. zum europäischen Schrifttum in Fn.2. 15 Siehe nur Musielak, in: Contratos: Actualidade e Evolucao, S. 359, 360ff. 6 7
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2. Aktuelle Fragen Die Frage des Umfanges richterlicher Kontrolle konsensual gesetzter Rechtsverhältnisse hat dabei gegenwärtig an Bedeutung nicht nur aufgrund vermehrter gesetzgeberischer Aktivitäten gewonnen, sondern vor allem auch durch drei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes. In das bisherige Verhältnis von Verfassung und Gesetz, wonach der Gesetzgeber die Handlungsfreiheit der Privatrechtssubjekte durch zwingendes Recht beschränken kann und diesem wiederum Art. 2 Abs. 1 GG Grenzen setzt, hat das Bundesverfassungsgericht mit den Entscheidungen vom 7. Februar 1990,16 vom 19. Oktober 199317 und vom 5. August 199418 dergestalt eingegriffen, daß im Ergebnis unter Umständen die Grundrechte, insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG, die Vertragsfreiheit beschränken. Dem Richter wird von Verfassungs wegen aufgegeben, historisch ursprünglich den Bürgern zugeordnete private Spielräume zu überwachen. In der rechtlichen Konstruktion hält das Bundesverfassungsgericht dabei an der maßgeblich von Diirig19 entwickelten Lehre der mittelbaren Grundrechtswirkung (zumindest verbal) fest, weitet die inhaltlichen Kontrollbefugnisse der Gerichte allerdings (unter anderem) dadurch aus, daß es die Generalklauseln des Zivilrechts, namentlich die §§ 138 Abs. 1, 242 BGB, dann als verletzt ansieht, wenn die vereinbarte Vertragsgestaltung eine Folge »strukturell ungleicher Verhandlungsstärke« ist. Die Entscheidungen haben eine umfangreiche20 und zwiespältige Resonanz in der Literatur gefunden: Zustimmung deshalb, weil sich das Bundesverfassungsgericht mit diesen Entscheidungen deutlich zu einer »materiellen Ethik sozialer Verantwortung« 21 bekannt hat, Kritik nicht nur deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht mit dem Begriff »strukturell ungleiche Verhandlungsstärke« den Zivilgerichten keine inhaltlich-sachlichen Kriterien für zukünftige Entscheidungen vorgegeben hat, sondern vor allem auch im Hinblick auf die unklar gebliebenen Wechselwirkungen von Verfassungs- und Privatrechtsordnung.22 Besondere Aktualität gewinnt die Frage nach der Reichweite der Vertragsfreiheit durch die voranschreitende europäische Integration. Der frühere Präsident 16 17 18 19
BVerfGE 81, 242. BVerfGE 89, 214. NJW 1994, 2749. Diirig, Festschrift für Nawiasky, S. 157, 158ff.
20 Vgl- insbesondere die Stellungnahmen von Adomeit, NJW 1994, 2467; Becker, DZWir 1994, 9; Eschenbach/Niebaum, NVwZ 1994, 1079; Groeschke, BB 1994, 725; Grün, WM 1994, 713; Heinrichsmeier, FamRZ 1994,129; Hermes, NJW 1990,1764,1766f.; Hesse/Kauffmann,]Z 1995, 219; Honseil, NJW 1994, 565; Kohte, ZBB 1994, 172; Loritz, DNotZ 1994, 543; Medicus, AcP 192 (1992), 35; Preis/Rolfs, DB 1994, 261; Rehbein, JR 1995, 45; Rittner, NJW 1994, 3330; Schimansky, W M 1995, 461; v. Westphalen, MDR 1994, 5; Wiedemann, JZ 1990, 695; ders., JZ 1994, 411; Zöllner, AcP 196 (1996), 1. 21 So das bekannte Zitat von Wieacker, Sozialmodell, S. 18. 22 Zur Entwicklung der Privatrechtsgesellschaft angesichts zunehmender zwingender Vorgaben durch Gesetz und Richterrecht vgl. Bydlinski, Das Privatrecht im Rechtssystem einer »Privatrechtsgesellschaft«, 1994; Canaris, Festschrift für Lerche, S. 873; Zöllner, Die Privatrechtsgesellschaft im Gesetzes- und Richterstaat, 1996, jeweils mit zahlreichen weit. Nachw.
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der EG-Kommission Jacques Delors schätzt, daß etwa 75 Prozent der wirtschaftlich bedeutsamen Gesetzgebung durch europäische Vorgaben bestimmt oder selbst durch europäische Vorgaben geschaffen werden. 23 Auch über den Bereich wirtschaftsrechtlicher Regelungsbereiche hinaus ist der europäische Einfluß auf das geltende Privatrecht beträchtlich. 24 Trotz der Einflußnahme auf die nationale Rechtsordnung fehlen für das Verhältnis von Vertragsfreiheit zu Vertragskontrolle ausdrücklich formulierte europarechtliche Regelungen. Es ist deshalb von besonderem Interesse, die Haltung des Europarechts zur Vertragsfreiheit zu analysieren. II. R e l e v a n z d e r U n t e r s u c h u n g 1. Wissenschaftliche Erkenntnis Das Verhältnis von formaler Selbstbestimmung und materialer Gerechtigkeit ist wissenschaftlich von großem Interesse. Gerade auf den Gebieten, in denen der Gesetzgeber versäumt hat, dem Rechtsanwender klare und eindeutige Leitlinien vorzugeben, ist die theoretische Aufarbeitung einer Thematik geboten. Trotz einiger monographischer Analysen 25 erfordern die neuen »wegweisenden« 26 verfassungsgerichtlichen Entscheidungen eine aktuelle wissenschaftliche Standortbestimmung im Verhältnis von privatautonomer Rechtsgestaltung zu heteronomer Kontrolle; notwendig ist eine »umfassende Untersuchung zu den Funktionsgrenzen der Privatautonomie.« 27 Die Mehrzahl der erschienenen Werke berücksichtigt lediglich einen Teilaspekt der vielschichtigen Problematik. So werden insbesondere die zivilrechtliche und die verfassungsrechtliche Seite regelmäßig isoliert betrachtet, ihre Wechselwirkungen für die Bewältigung spezifischer Probleme nicht fruchtbar gemacht. D i e Arbeit bezieht deshalb auch verfassungs- u n d europarechtliche Gesichtspunkte ein. Angesichts der fortgeschrittenen Spezialisierung der Rechtsgebiete liegt die G e f a h r der Kompetenzüberschreitung einer zivilrechtlichen Arbeit und eines darauf zurückführbaren Dilettantismus in der Sache auf der H a n d . Gleichwohl ist es wichtig, das komplexe Problem der Vertragsfreiheit auch hinsichtlich seiner verfassungs- und europarechtlichen Facetten darzustellen. N u r die Gesamtschau vermag die Interdependenzen aufzuzeigen und 2 3 Rede im Europäischen Parlament vom 4.7.1988, Bull. E G 1988 Nr. 7/8, S. 124 (zitiert in der Maastricht-Entscheidung, BVerfGE 89, 155, 172). 2 4 Vgl. Hauschka, J Z 1990, 521; Rittner, J Z 1990, 838; Scholz/Hofmann, Z R P 1998, 295; Schwarze, J Z 1998, 1077, 1079. 25 F. v. Hippel, Das Problem der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie, 1936; F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, 1967; v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, 1982; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997. 26 Wiedemann, J Z 1994, 411. Löwe spricht sogar von einem »Meilenstein« im Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle, ZIP 1993, 1759. 27 Zöllner, Privatrechtsgesellschaft, S.42.
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der weiteren D i s k u s s i o n über die Vertragsfreiheit Impulse zu geben. D i e Einbeziehung öffentlich-rechtlicher Fragen wird der Idee der Einheit der Rechtsordnung gerecht und vermeidet eine zusammenhanglose, unter U m s t ä n d e n sogar widersprüchliche Entwicklung in den Rechtsgebieten. 2 8
Einige Arbeiten sind zudem zeitlich parallel entstanden, so daß ihnen eine Auseinandersetzung mit abweichenden Stellungnahmen nicht möglich war. Die hier vorgelegte Untersuchung versucht deshalb, den derzeitigen Diskussionsstand darzustellen und kritisch zu bewerten. Sie versteht sich als Beitrag zur Klärung von Grundsatzfragen. Die derart gewonnenen Erkenntnisse sollen die Grundlage für ein Verständnis der Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten bilden. Gegenstand der Arbeit ist eine dogmatische Strukturierung der Vertragsfreiheit und ihrer Grenzen. Trotz aller Dogmatikkritik 2 9 erschließt die kritische Analyse des Rechts, das heißt die Exegese der leitenden Wertungen und Prinzipien sowie deren systematische Ordnung, den normativen Gehalt des Rechts, zeigt die Leitlinien der Rechtsanwendung auf und vermag auf diese Weise der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit zu dienen. Versteht man Dogmatik als in gewisser Weise gesetzesbezogen, stellt sich die Frage »Kann der Jurist heute noch D o g matiker sein?« 3 0 nicht. Dogmatik ist als »Bemühen um die innere Stimmigkeit des Rechtssystems, um die Aufhellung juristischer Sinnzusammenhänge« 3 1 zu verstehen. Dogmatik bezieht sich auf die Rechtsordnung und ist wie diese offen für den Wandel maßgebender Grundwertungen. 3 2 Können Struktur und Inhalte des Rechts steten Wandlungen unterworfen sein, so gilt das ebenfalls für wissenschaftliche Erkenntnis. Möglich ist, den Gesamtzusammenhang der derzeitigen Erkenntnisse darzustellen und dadurch eine systemkonforme Lösung offener Fragen zu erreichen. Die hier mittels einer konsequenten Umsetzung des sogenannten flexiblen Zusammen- und Widerspiels der Wertungselemente gewonnenen Ergebnisse weichen teilweise von den gegenwärtig in Lehre und Rechtsprechung vertretenen Auffassungen ab. Gerade zur Dichotomie von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle kann man in vielen Punkten mit guten Gründen anderer Meinung sein. 33 Wissenschaft lebt vom Diskurs. N u r Vgl. Felix, Einheit, Einleitung. Vgl. die Hinweise bei Bydlinski, Methodenlehre, S. 19ff., 34ff. 30 So der gleichlautende Titel einer Schrift von Meyer-Cording. 31 Großfeld, Macht, S. 28; ähnlich Kötz, RabelsZ 54 (1990), 203, 204: Derjenige Jurist arbeite dogmatisch, »der darauf abzielt, das für ein bestimmtes Gebiet maßgebliche Material an Rechtsregeln nach einheitlichen, übergreifenden und durchschlagenden Grundgedanken namhaft zu machen.« 32 Canaris, Systemdenken, S. 61 ff.; Meyer-Cording, Jurist, S. 34ff.; Simitis, AcP 172 (1972), 131, 142f. Dem Begriff der Dogmatik wurden im Laufe der historischen Entwicklung unterschiedliche Inhalte zugeordnet. In der Zeit Hugos und Glücks trennte man klar zwischen Gesetz und Recht, vgl. Herberger, Dogmatik, S. 345 ff. Dagegen bezeichnet v. Savigny, System, § 20, eine Erörterung als dogmatisch, »wenn sie die zu einem bestimmten Zeitpunkt geltenden Rechtssätze in einem systematischen Zusammenhang vorträgt.« Dieses Verständnis prägt den Gegenstand dieser Schrift. 33 »Es ist bereits ein sehr alter und wird auchwol, wo nicht gar etwas sonderliches und unverhoftes darzwischen kommet, ein ewiger Streit unter denen Rechts-Gelehrten über die Frage blei28
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eine klare Konturierung der eigenen Meinung bietet auch die Angriffsfläche, die notwendig ist, um der Diskussion neue Impulse zu verleihen und so im Ergebnis die Forschung voranzutreiben. Rechtswissenschaft verkörpert kein mit Ewigkeitsgarantien ausgestattetes erratisches Gebilde, sondern befindet sich - wie die Gesellschaft insgesamt - in einem dynamischen, auf Innovation angelegten Prozeß. Selbst wenn Kritik an tradierten Auffassungen die allgemeine Anerkennung versagt bleibt, veranlaßt ein neuer Ansatz die sogenannte herrschende Meinung 34 , ihren Standpunkt zu überdenken und sich mit den abweichenden Überlegungen argumentativ auseinanderzusetzen. 2. Bedeutung für die Praxis Rechtstheorie ist jedoch nicht Selbstzweck. Rechtswissenschaft soll Anstöße für den Fortschritt des praktischen Rechtslebens geben, Grundlagen und Methoden der Rechtsgewinnung aufzeigen und über den Status quo hinausdenken. 35 Die Rechtsentwicklung ist zu hinterfragen und ihre Tendenz mit Alternativen zu vergleichen, um so Kautelarjurisprudenz, Judikative und Legislative Kriterien für zukünftige Entscheidungen an die Hand zu geben.36 Das gilt um so mehr in diesen Jahren, in denen die Weichen für das 21. Jahrhundert gestellt und nicht nur Bewährung und Perspektiven des Bürgerlichen Gesetzbuches diskutiert werden, sondern auch immer konkreter zwar (noch) nicht über eine »lex mercatoria« 37 , wohl aber über eine europäische Privatrechtsordnung nachgedacht wird. 38 Die Schrift will deshalb versuchen, dem Gesetzgeber bzw. den zuständigen Institutionen der Europäischen Gemeinschaft Anhaltspunkte und Abwägungsmaterial für künftige Vorschriften, Richtlinien oder unter Umständen ein transnationales Privatrecht zum Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle zur Verfügung zu stellen. Daneben soll mit der Abhandlung der Kautelarjurisprudenz soben: welche unter so vielen einander zuwider laufenden Meynungen die beste... sey?«, Ludovici, Einleitung, Vorrede § I. 34 Instruktiv Drosdeck, Herrschende Meinung, passim. 35 Braun, J Z 1 9 9 3 , 1 , 5 ff.; ders., ZRP 1998,41 f.; Benseier, Festschrift für Wassermann, S. 27ff.; vgl. auch Winkler, Wertbetrachtung, S. 3 ff. 36 »Es beruht aber alles Heil darauf, daß in diesen gesonderten Thätigkeiten jeder die ursprüngliche Einheit fest im Auge behalte, daß also in gewissem Grade jeder Theoretiker den praktischen, jeder Praktiker den theoretischen Sinn in sich erhalte und entwickle. Wo dieses nicht geschieht, w o die Trennung zwischen Theorie und Praxis eine absolute wird, da entsteht unvermeidlich die Gefahr, daß die Theorie zu einem leeren Spiel, die Praxis zu einem bloßen Handwerk herabsinke.«, so v. Savigny, System, S. X X . 37 Das (deutsche) Schrifttum ist in der Frage, inwieweit ein »Weltprivatrecht« in Form der sogenannten »lex mercatoria« sinnvoll ist, gespalten. Ablehnend u.a. Sandrock, JZ 1 9 9 6 , 1 , 8 ; Spickh o f f , RabelsZ 56 (1992), 116; befürwortend u.a. Kappus, IPrax 1993,137; Ehricke, JuS 1990, 967. 38 Ein Entwurf eines europäischen Privatrechts - »cum grano salis« dem »ius commune« vom 13. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts vergleichbar (vgl. Koschaker, Europa, S.67ff.), das für bestimmte Rechtsmaterien einheitliche länderübergreifende Regelungen vorsah, - ist von einer Expertenkommission vorgelegt worden. Dazu Zimmermann, JZ 1995, 477; Heiss, ZfRV 1995, 54; siehe ebenfalls Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71.
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wie der Rechtsprechung durch die Erarbeitung einer theoretischen Grundkonzeption und die hierdurch erreichte Transparenz der Wertungselemente für die Konkretisierung der Generalklauseln zur Vertragskontrolle die tägliche Arbeit erleichtert werden. Bei der Beurteilung von Vertragsverhältnissen haben die Gerichte häufig anhand von Generalklauseln - genannt seien nur §§ 138 Abs. 1 BGB, 242 BGB, §9 Abs. 1 A G B G - über die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften zu entscheiden. Die hierbei entwickelte Kasuistik mag für die Rechtspraxis eine Erleichterung bedeuten, sie verwehrt jedoch den Blick auf gemeinsame Grundlagen und Hintergründe mit der Folge, daß neue Probleme systemfremd der einen oder anderen Fallgruppe zugeordnet werden. Vor allem in diesen Fällen ist die theoretische Durchdringung der Thematik unverzichtbare Entscheidungshilfe für die richterliche Kontrolle der Privatautonomie. Maßgeblich kommt es nicht auf die Kenntnis der Fallgruppen an, sondern darauf, die kasuistische Auffächerung eines Rechtssatzes als Konsequenz gesetzlicher Wertungen zu erfassen. Die Kenntnis der hinter den Fallgruppen stehenden Grundprinzipien der Vertragskontrolle hilft überdies, eine Erosion der Vertragsfreiheit zu verhindern. Mangelnde Transparenz der Voraussetzungen, unter denen eine Generalklausel angewendet werden kann, hat dazu geführt, daß die Rechtsprechung in vielen Fällen unter dem »Deckmantel« der §§ 138 Abs. 1,242 BGB, §9 Abs. 1 A G B G eine umfassende Billigkeits- und Gerechtigkeitsprüfung vornimmt. Die Generalklauseln sind - wie Hattenhauer es ausdrückt - stellenweise zu »Kobolden« geworden, die überall nach Belieben des Rechtsanwenders alles oder nichts bewirken können.39 Einer solchen Judikatur fehlen Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.40 Stabilisierung der Rechtspraxis, Rechtskontinuität und damit ein erhöhtes Vertrauen in die Justizpraxis verlangen eines, Dogmatik. Gefordert ist die Rechtswissenschaft.
III. Begrenzung der Thematik Weite wie Uferlosigkeit des Themas machen Selbstbeschränkungen notwendig. Augenscheinlich sind die Berührungspunkte zu rechtssoziologischen41 und rechtsphilosophischen42 Fragestellungen. Autonomie sowie Souveränität der Wissenschaftsbereiche schließen eine Behandlung dieser Teilaspekte aus. Nur am Rande kann auf die empirischen Gegebenheiten menschlichen Zusammenlebens und auf Gerechtigkeitsaspekte eingegangen werden. Gleiches gilt für die ökonoHattenhauer, Z R P 1978, 83, 85. Hattenhauer, Z R P 1978, 83, 85 (»Kadijustiz«, »Richterwillkür«). 4 1 Zur Aufgabenstellung der Rechtssoziologie Röhl, Rechtssoziologie, S. 1 ff.; Rotter/Dux/ Lautmann, Rechtssoziologie, S. 20ff.; Zippelius, Grundbegriffe, S. 1 f.; vgl. auch Köndgen, Selbstbindung, S. 164ff., 192ff., 233ff., 271 ff., der soziologische Aspekte für die Vertragslehre fruchtbar macht. 4 2 Zur Bedeutung der Rechtsphilosophie Kaufmann, Grundprobleme, S. 1 1 , 1 3 ff.; Smid, Einführung, S. 1 ff.; Zippelius, Rechtsphilosophie, S.3ff. 39 40
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Einleitung
mische Analyse 4 3 der Vertragsfreiheit und ihrer Grenzen, also die Frage nach den Auswirkungen rechtlicher Vorgaben auf die Allokationseffizienz. D i e Begrenztheit privater E i n k o m m e n und ihre zusätzliche Einschränkung durch zunehmend steigende Sozialversicherungsausgaben und Steuern führen zu faktischen E i n b u ßen an Privatautonomie. Inwieweit hier die G r e n z e des Zulässigen überschritten wird, ist ein vieldiskutiertes Problem. Eine eingehende Erörterung dieser Fragen würde den R a h m e n der Arbeit bei weitem sprengen. Gegenstand der Schrift sind die D o g m a t i k der Vertragsfreiheit und der normative Gehalt der sie einschränkenden Generalklauseln. 4 4 J e nach den Bereichen, in denen Privatautonomie wirkt, läßt sich Vertragsfreiheit beispielsweise in eine schuldrechtliche, sachenrechtliche, familien- oder erbrechtliche oder auch spezifisch handels- und gesellschaftsrechtliche Version aufgliedern. Sämtliche Facetten der Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle zum G e genstand einer Abhandlung zu machen, würde den R a h m e n einer Monographie übersteigen. D i e Arbeit beschränkt sich deshalb auf Fragen, die den schuldrechtlichen Austauschvertrag betreffen, und stellt die inhaltsbezogene Vertragskontrolle in den Mittelpunkt der Ausführungen. Besonderes Augenmerk auf das A r beitsrecht zu richten, rechtfertigt sich nicht nur aus der Aktualität arbeitsrechtlicher Untersuchungen zur Selbst- und Fremdbestimmung, 4 5 sondern auch daraus, daß im Arbeitsrecht durch den Vertragsabschluß zwischen dem typischerweise wirtschaftlich überlegenen Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer Kontrollbedürfnisse plastisch zu Tage treten. 4 6 Das Arbeitsrecht stellt sich daher als »Schrittmacher eines allgemeinen Teils des Rechts des schwächeren Partners« dar. 47
43 Grundüberlegung dieses Denkansatzes ist, daß jeder bestrebt ist, seinen persönlichen Nutzen zu mehren, wobei das Pareto-Optimum dann erreicht ist, wenn die vorhandenen Ressourcen derart verteilt sind, daß keiner seinen Nutzen verbessern kann, ohne den eines anderen zu verschlechtern. Auf die Rechtsordnung übertragen heißt das, daß eine Vorschrift nach dem ökonomischen Ansatz dann effizient ist, wenn sie entweder für alle Beteiligten (wirtschaftliche) Vorteile bringt oder zwar nur einigen, dafür aber niemanden benachteiligt. Zur Bedeutung ökonomischer Gesichtspunkte bei der Rechtsanwendung vgl. Burow, JuS 1993, 8; Eidenmüller, Effizienz, passim; Fezer ,JZ 1986,817; ders. ,JZ 1988,223; Ott/Schäfer, JZ 1 9 8 8 , S c h w i n t o w s k i , JZ 1998, 581. 44 Die Arbeit verfolgt also ein normatives Erkenntnisziel. Zur wissenschaftlichen Dreidimensionalität (Faktizität, Idealität, Normativität) siehe Kantorowicz, Rechtswissenschaft, S. 69ff.; Rehbinder, Begründung, S. 131 f. 45 Vgl. nur Bengelsdorf, DB 1997, 874; Dieterich, RdA 1995, 129; Fastrich, RdA 1997, 65; H. Hanau, Individualautonomie und Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, 1994; Kittner, Festschrift für Kissel, S.497; Konzen, ZfA 1991, 379; Lorenz, JZ 1997, 277; Picker, Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, S. 879; Richardi, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes, S. 537; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb. Der Schutz von Vertrags- und Wettbewerbsfreiheit im Arbeitsrecht, 1996. 46 H.P. Westermann, AcP 178 (1978), 150, 153ff., m. weit. Nachw. 47 Gamillscheg, AcP 176 (1976), 197ff. (Zitat auf S.209); siehe auch Weitnauer, Schutz, S. 18ff.
Einleitung
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IV. Gang der Untersuchung Die Wechselwirkungen von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle erscheinen als in sich komplex und kaum überschaubar. Anlaß häufiger Mißverständnisse und Unklarheiten sind stellenweise ungenaue Vorstellungen, die mit der Terminologie verbunden werden. Eine ausdrückliche gesetzliche Beschreibung fehlt. Gerade der facettenreiche Begriff »Vertragsfreiheit« wird gelegentlich mit unterschiedlichen Inhalten belegt. Zu Beginn der Schrift wird deshalb in einem kurzen geschichtlichen Teil die Entwicklung der Vertragsfreiheit nachgezeichnet, um von dieser historischen Basis aus Begriff und Erscheinungsformen der Vertragsfreiheit zu klären. Sind Reichweite und Bedeutung präzise bestimmt, kann untersucht werden, in welchem Umfang die einzelnen Elemente der Vertragsfreiheit verfassungs- und europarechtlich anerkannt sind und inwieweit öffentlich-rechtliche Aspekte eine Inhaltskontrolle gebieten oder verbieten. Im Anschluß an die öffentlich-rechtlichen Ausführungen des ersten Teils befaßt sich der zweite Abschnitt der Arbeit sodann mit der rechtstheoretischen Einordnung der Vertragskontrolle und ihrer Verankerung in der Rechtsordnung. Der Erörterung einzelner Fallkonstellationen kommt dabei eine sowohl induktive als auch deduktive Funktion zu. Versucht werden soll, von allgemein anerkannten Kontrollgrundsätzen auf die dahinterstehende Systematik zu schließen. Die erarbeiteten zivilrechtlichen Grundsätze werden an ausgewählten Fragen erprobt, um so die vertretenen wissenschaftlichen Standpunkte auch auf ihre praktische Tauglichkeit hin zu verifizieren. Der dritte Teil überträgt die methodischen Erkenntnisse auf die Generalklauseln zur inhaltsbezogenen Vertragskontrolle. Für die Anwendung der offenen Tatbestände wird ein Konkretisierungsmodell entwickelt, das rechtsstaatlichen Anforderungen genügt und sich stimmig in die Gesamtrechtsordnung einfügt. Den Abschluß der Untersuchung bildet ein Uberblick zur Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle im Arbeitsrecht. Auch hier können aus der Fülle offener Fragestellungen nur einzelne Aspekte herausgegriffen werden. Im Mittelpunkt der Erörterung steht die Angemessenheitskontrolle von Arbeitsverträgen.
ERSTER T E I L
Grundlagen privatrechtlicher Selbstgestaltung
1. Kapitel
Die historische Entwicklung B e v o r auf die Bedeutung der Privatautonomie im (heutigen) Vertragsrecht sowie deren richterliche Kontrolle eingegangen wird, ist in einem kurzen Uberblick die geschichtliche Entwicklung 1 der Vertragsfreiheit zu erörtern. Die historischen Determinanten bilden die Basis für eine weitere Auseinandersetzung mit dem Wert der Vertragsfreiheit in einer Privatrechtsgesellschaft, bei der die inhaltliche Gestaltung privatrechtlicher Rechtsverhältnisse zunehmend durch Gesetz und Richterrecht geprägt ist. Ausgangspunkt der Erörterungen ist das römische Privatrecht. 2 Es hat die europäischen Rechtssysteme der Gegenwart entscheidend beeinflußt. D i e römischen Regelungen lebten nach dem Zerfall der Imperium R o manum in den germanischen Nachfolgestaaten des frühen Mittelalters in vulgarisierter F o r m weiter und erfuhren mit der Wiederentdeckung des Gesetzgebungswerkes Kaiser Justinians - seit dem 12. Jahrhundert 3 als Corpus Iuris Civilis 4 bezeichnet - vor allem in Italien ihre Renaissance. D i e wissenschaftliche Beschäftigung mit den Digesten führte zur Rezeption des römischen Rechts in Deutschland. D i e Synkrise römischer, kanonischer und germanischer Rechtselemente, das sogenannte römisch-gemeine Recht, ist wiederum nicht unerhebliche G r u n d lage der heute geltenden bürgerlichen Rechtsordnung; die Pandektenwissenschaft des 19. Jahrhunderts hat das Bürgerliche Gesetzbuch nachhaltig geprägt. Sie beeinflußte vornehmlich das neuzeitliche Schuldrecht sowie teilweise auch das Sachen- und Erbrecht, während die deutschen Partikularrechte in Teilbereichen des Sachenrechts und vor allem im Familienrecht ihre Geltung behauptet haben.
1 Zur Bedeutung einer historischen Analyse und der Diskussion über den Grad ihrer Wertigkeit für ein besseres Verständnis der geltenden Rechtsordnung Conrad, Rechtsgeschichte Bd. I, S. XVIII; Landau, Z N R 1980,117,119; Mayer-Maly, J Z 1971,1,3; Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, Einl.; Liebs, Römisches Recht, S. 11 ff.; Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Einl.; Klippel, Juristische Zeitgeschichte - Die Bedeutung der Rechtsgeschichte für die Zivilrechtswissenschaft, 1985, S. 14ff. 2 Zur Entwicklung der Selbstbestimmungsidee Kroeschell, in: Selbstbestimmung, S. 19ff. 3 Krüger, Geschichte, §52 (S.434); Manthe, Gnomon 66 (1994), 521, 523 Fn.9. 4 Das Corpus Iuris Civilis wurde in drei Teilen (Codex, Digesten, Institutionen) in den Jahren 529 bis 533 publiziert; nach Abschluß der Kodifikationsarbeiten führte Justinian seine Reformgesetzgebung weiter, die als sogenannte Novellen überliefert sind. Vgl. Manthe, Privatrecht, S.449, 457; Kunkel/Selb, Römisches Recht, §23 und §24; Krüger, Geschichte, §§42ff.
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1. Teil: Grundlagen
privatrechtlicher
Selbstgestaltung
I. Römisches Recht Das Zeitalter geschriebenen, allgemein zugänglichen römischen Rechts beginnt mit dem Zwölf-Tafel-Gesetz, einer Zusammenstellung des 449 v. Chr. geltenden Rechts. 5 Es enthält mit dem Rechtssatz » C u m nexum faciet mancipiumque, uti lingua nuncupassit, ita ius esto« 6 eine erste entscheidende Weichenstellung. Die staatliche Gesetzgebung - die von einem patrizischen Zehnmännerkollegium erarbeitete lex duodecim tabularum wurde in den Zenturiatkomitien gebilligt und als unabänderlich beschworen - lehnt in diesem Gesetz eine ausschließlich staatliche Rechtsorganisation ab und läßt die private Selbstgestaltung institutionell zu. »Ita ius esto« ist damit die bewußte Befürwortung eines autonomen Gestaltungsspielraums sowie eine Absage an eine unmittelbare inhaltliche Ausformung privater Rechtsverhältnisse durch den Staat. Neben dieser Grundaussage enthält das Gesetz vorwiegend privatrechtliche Regelungen. Die rechtsgeschäftlichen N o r mierungen sind von strengem Formalismus geprägt. D e m altrömischen Recht liegt die Vorstellung zugrunde, daß eine durchsetzbare Verpflichtung nur in bestimmten Formen oder im Rahmen konkreter, von der Rechtsordnung anerkannter Geschäfte zustande kommen könne. Ein Konsens der Parteien war für die Gültigkeit ohne Belang, es kam in erster Linie auf die Einhaltung der vorgeschriebenen Geschäftsform an; unterlief bei den mündlich zu sprechenden Formeln nur der geringste Fehler, so war die gesamte Rechtsgestaltung unwirksam. 7 D e r praktisch bedeutsamste Rechtsakt hieß mancipatio. 8 Dabei handelt es sich u m ein negotium per aes et libram, das es ermöglicht, Herrschaftsrechte an Sachen und Personen zu übertragen. Vor einem Waagehalter und fünf Zeugen ergreift der Erwerber einen Gegenstand und spricht die der Vindikation nachgebildete Manzipationsformel » H u n c ego hominem ex iure Q u i r i t i u m m e u m esse aio, isque mihi emptus esto hoc aere aeneaque libra«. D e r Veräußerer unterläßt die contravindicatio und nimmt den v o m libripens zugewonnenen Kaufpreis entgegen. 9
Die Gesetze der zwölf Tafeln bleiben auch in nachfolgender Zeit das grundlegende Gesetzeswerk; spätere Kodifikationen beschränken sich auf die Regelung von Einzelfragen. Das Schwergewicht römischer Privatrechtsentwicklung liegt in der vorklassischen und klassischen Zeit nicht bei der Gesetzgebung, sondern der interpretatio der Juristen, welche die lex duodecim tabularum sowie die Edikte der 5
Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I, S. 287ff.; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 46f.; stellenweise wird die lex duodecim tabularum als private Sammlung angesehen, teilweise die Entstehungszeit später datiert, hierzu mit zahlreichen Nachweisen Kunkel/Selb, Römisches Recht, §4 (Fn.2, 3). 6 Tab. VI, 1; dazu Manigk, Festschrift für Koschaker, S. 266, 269f. 7 Käser, Lehrbuch, §6; ders., Römisches Privatrecht I, §8 mit zahlr. weit. Nachw. Der formrichtige Akt entfaltet konsequenterweise nach (alt)römischen Vorstellungen allerdings die volle der Form entsprechende Wirkung auch dann, wenn sie vom Handelnden nicht gewollt ist. 8 Manthe, Privatrecht, S.449, 452, 454. 9 Der Formalismus wurde auch noch in Zeiten beibehalten, als es gemünztes Geld gab; es wurde symbolisch mit einer Münze an die Waagschale geschlagen, mancipatio nummo uno, vgl. Liebs, Römisches Recht, S. 169ff.
1. Kapitel: Die historische Entwicklung
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Magistrate kommentieren und in juristischen Gutachten darstellen. 1 0 So e n t w i c kelte sich aus der sponsio des Zwölf-Tafel-Gesetzes die Stipulation; 1 1 sie war der (einseitige) abstrakte Schuldvertrag der Römer, der es erlaubte, jede zulässige Leistung zum Gegenstand einer vertraglichen Verpflichtung zu machen. Die Genese der Bindung beruhte auf dem Gebrauch ritueller Wortformeln. Gaius, Institutiones III, Tit.: De obligationibus verbis contractis, §§92f.: Verbis obligatio fit ex interrogatione et responsione, velut: »Dari spondes?« »Spondeo«; »Dabis?« »Dabo«; »Promittis?« »Promitto«; »Facies?« »Faciam«. Sed haec quidem verborum obligatio: »Dari spondes?« »Spondeo« propria civium Romanorum est; ceterae vero iuris gentium sunt, ¡taque inter omnes homines, sive cives Romanos sive peregrinos, valent. In der nachklassischen Entwicklung verlagerte sich der Schwerpunkt der stipulatio von der mündlichen Frage-Antwort-Zeremonie hin zu einer Beurkundung des Stipulationsvorganges; die Wirksamkeit des Geschäftes blieb also formgebunden. 1 2 D i e Einigung der Parteien ohne Beachtung besonderer Förmlichkeiten genügte zur Rechtsentstehung bei vier im einzelnen aufgezählten Vertragstypen, den Konsensualverträgen: emptio venditio (Kauf), locatio conductio (Miete, Pacht, Dienst- und Werkvertrag), mandatum (Auftrag) und societas (Gesellschaft). Eine Verpflichtung k o m m t in diesen Fällen durch Konsens der Beteiligten zustande, sofern auch die fides gebietet, die Parteien am übereinstimmenden Willen festzuhalten. 1 3 Abreden, die sich nicht im R a h m e n der vorgegebenen Vertragstypen und Formalien halten, erzeugen als nuda pacta keine klagbaren A n sprüche: ex nudo pacto actio non nascitur. 1 4 Derartige Abmachungen begründen allerdings eine Einrede (exceptio pacti). I m Laufe der Zeit wurden Formstrenge und Typenzwang allmählich abgeschwächt. 1 5 D i e Prätoren und später die Kaiser werteten einzelne pacta zu klagbaren Verträgen auf und stellten sie als pacta vestita den pacta nuda gegenüber. Die Lockerung formaler und typenabhängiger Voraussetzungen zeigt sich auch an den Innominat(real)kontrakten. Sie erlaubten zu10 Söllner, Einführung, §7 III; Honseil, Römisches Recht, §2; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 55ff.; Kunkel/Selb, Römisches Recht, §§ 5ff. Vgl. auch Papinian, D.I.1.7 pr.: Ius autem civile est, quod ex legibus, plebis scitis, senatus consultis, decretis principum, auctoritate prudentium venit. 11 Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 53; vgl. auch D.45.1—46; 1.3.15-20; zu weiteren Erklärungsversuchen Kunkel/Honseil, Römisches Recht, §47 (S. 106 Fn.3, 4). 12 Scherrer, Entwicklung, S.15f.; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S.279ff. C.8.37.10: Omnes stipulationes, etiamsi non solemnibus vel directis, sed quibuscumque verbis pro consensu contrahentium compositae sint, legibus cognitae suam habeant firmitatem. Diese entscheidende Stelle in einem Gesetz Kaiser Leos aus dem Jahr 472 ist, was das Verhältnis mündlicher und schriftlicher Elemente der Stipulation betrifft, bis heute umstritten; Einigkeit besteht darüber, daß in der Spätantike der Schwerpunkt auf der Beurkundung gelegen hat. Dazu Käser, Römisches Privatrecht II, §263, m. weit. Nachw. 13 Liebs, Römisches Recht, S.247ff.; Honseil, Römisches Recht, §3 1. 14 Vgl. D.2.14.7.4. Als Begründung für die Klaglosigkeit formuliert Ulpian: Sed cum nulla subest causa, propter conventionem hic constat non posse constituí obligationem: igitur nuda pactio obligationem non parit. 15 Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S.277: »Zug zur Formfreiheit«; Scherrer, Entwicklung, S. 15: »Lockerung der Formstrenge«.
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1. Teil: Grundlagen
privatrechtlicher
Selbstgestaltung
nächst nur die Kondiktion einer Vorleistung, wenn die entsprechende Gegenleistung ausblieb; erst später ließ man die Klage auf Gegenleistung zu, wenn die Leistung erbracht war. Voraussetzung der Klagbarkeit war mithin wie bei den sogenannten benannten Realverträgen, daß der eine Teil bereits geleistet hat. 16 Der kurze Abriß des römischen Rechtsdenkens zeigt, daß die römische Rechtsordnung von der Vorstellung geprägt war, rechtliche Bindungen kraft privater Selbstbestimmung erforderten ein rituelles Handeln. Die Form war notwendiger Ausdruck des Rechtsgeschäftes selbst; nur die feierliche Rede, die zeremonielle Handlung hatte rechtliche Bedeutung. Erst das hochentwickelte Verkehrsrecht der klassischen Epoche brachte Erleichterungen. Die Intensivierung des Handelsverkehrs und die Entwicklung des ius gentium führte dazu, daß bei der Konzeption neuer Rechtsinstitute auf eine (strenge) Formbindung immer häufiger verzichtet wurde. Formgebundene Akte wie mancipatio oder in iure cessio wurden in der Praxis zur Ausnahme; bevorzugt wurden schuldrechtlich Konsensualund Realkontrakte, sachenrechtlich die traditio. Trotz der allmählichen Lockerung der Formstrenge bleibt das römische Recht allerdings dem Formalismus verhaftet, die freie Wahl der äußeren Form eines Rechtsaktes ist nicht erlaubt. Die Vertragsfreiheit ist eingeschränkt. 17 Eine ähnliche Entwicklung nahm das Recht des einzelnen, beliebige Geschäfte abzuschließen. Freigeborene (ingenui) 18 waren in ihrer Abschlußfreiheit nicht eingeengt, 19 während ansonsten der Kreis handlungsfähiger Personen in vielfältiger Weise eingeschränkt war, sich jedoch im Laufe der Zeit immer mehr öffnete. Unfreien, die als personae alieni iuris im Eigentum ihres Herrn standen, 20 war die Möglichkeit, als selbständige Rechtssubjekte am Geschäftsverkehr teilzunehmen, verwehrt. Verfügungsgeschäfte über Vermögensrechte des Herrn 2 1 bedurften der Zustimmung des paterfamilias und konnten nur in nicht förmlichen Akten vorgenommen werden. Die rechtliche Befugnis, sich selbst durch Rechtsakt zu verpflichten, stand einem Sklaven ebenfalls nicht offen; ein von einem Unfreien abgeschlossener Vertrag erzeugte lediglich eine Naturalobligation. 2 2 Von allen 16 Vgl. D.19.5.5 pr. Vor allem die oströmische Schule hat die Entwicklungen des klassischen Rechts zu eigenständigen Rechtsinstituten ausgebaut, in vier Gruppen (do ut des, do ut facias, facio ut des, facio ut facias) gegliedert und damit in erster Linie den Tausch sowie ähnliche Geschäfte erfaßt. Dazu Käser, Römisches Privatrecht I, § 135; Kunkel/Honseil, Römisches Recht, § 124. 17 Vgl. Käser, Römisches Privatrecht I, §57. 18 Zur Rechtsstellung der Freigelassenen Käser, Römisches Privatrecht I, §§69ff., m. weit. Nachw. 19 Nanz, Entstehung, S. 6f.; Scherrer, Entwicklung, S. 14f.; Käser, Lehrbuch, § 6. 2 0 D.1.5.4pr., 1. Zum antiken Sklaventum Brockmeyer, Antike Sklaverei, 1979; Nehlsen, Sklavenrecht zwischen Antike und Mittelalter, Teil I, 1972. 21 Der Sklave ist nicht rechtsfähig (Kunkel/Honseil, Römisches Recht, §32 I, 2; Käser, Lehrbuch, § 15 1,2) und damit nicht vermögensfähig; aller Erwerb des Sklaven fällt dem Herrn zu, der auch darüber entscheidet, ob der Erwerb dem peculium oder dem sonstigen Vermögen des paterfamilias zuzuordnen ist. 2 2 D.44.7.14: Servi... ex contractibus autem civiliter quidem non obligantur, sed naturaliter et obligantur et obligant. U m eine Vertretung des Herrn durch den Sklaven zu ermöglichen, führten die Prätoren sog. adjektizische Klagen ein, dazu Käser, Römisches Privatrecht I, § 141.
1. Kapitel: Die historische Entwicklung
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Rechtsgeschäften ausgeschlossen waren ebenfalls Kinder, wobei sich die Altersgrenze zunächst an der individuellen Fähigkeit orientierte, die Worte der F o r m a l akte zu sprechen, während in der nachklassischen Zeit feste Altersgrenzen eingerichtet wurden. 2 3 Wegen Jugendlichkeit bevormundeten Personen standen Frauen zunächst gleich, was aber bereits im klassischen R e c h t kritisiert wurde. 2 4 I m justinianischen R e c h t wurde die tutela mulierum gänzlich beseitigt. 2 5 Das römische Recht erschwerte also - zumindest für den paterfamilias - den Abschluß eines Vertrages in keiner Weise. G r o ß e n Spielraum ließ die römische Rechtsordnung in der Ausgestaltung des Inhalts der Rechtsgeschäfte. Weitgehend ohne Einfluß auf die Inhaltsfreiheit blieb der Typenzwang des römischen Rechts, in dem sich statt eines einheitlichen Rechtsgeschäfts- oder Vertragsbegriffs eine Vielzahl von festen Rechtsgeschäftstypen herausbildete, die eine actio erzeugten. Typenzwang und Formbedürftigkeit sind dabei zu sondern. Die Palette typisierter rechtlicher Handlungsformen umfaßte nicht nur Verträge mit strengen formalen Wirksamkeitsvoraussetzungen wie die Stipulation sondern auch solche, die - wie die Konsensualkontrakte durch bloße Willenseinigung zustande kamen. D i e begrenzte Zahl klagbarer A b reden hatte allerdings auf die freie Wahl der Ausgestaltung Auswirkungen. Die Wendungen »haec omnia sie sint aeeipienda, nisi si quid aliud specialiter actum sit« 2 6 oder »nisi aliud convenit« 2 7 zeigen zwar, daß Rechtsgeschäfte nach Belieben der Beteiligten und abweichend von gesetzlichen oder gewohnheitsrechtlichen Regelungen ausgeformt werden konnten, die Durchsetzbarkeit blieb hingegen abhängig von der Einhaltung eines klagbaren Vertragstyps. Rechtsgeschäfte dürfen keine Abreden enthalten, die gegen ausdrückliche Verbote oder gegen ungeschriebene N o r m e n der Sittlichkeit verstoßen. 2 8 Ausdrückliche Verbote finden sich außer in formellen leges auch in Edikten, Senatskonsuiten und Kaiserkonstitutionen. So verweigerte das unter Kaiser Vespasian eingeführte S C . Macedonianum 2 9 dem Gläubiger, der einem Haussohn ein Darlehen gewährt hatte, die gerichtliche Durchsetzung seines Anspruches auf Rückzahlung. Das unter Kaiser 2 3 Kinder über 7 Jahre (impúberes infantia maiores) konnten ein Rechtsgeschäft wirksam abschließen, sofern es ihnen lediglich einen Vorteil gewährte, ansonsten war die Zustimmung eines Vormundes (auetoritas tutoris) nötig, 1.1.21 pr. Geschäfte, die sowohl Rechte als auch Pflichten enthielten, waren nur hinsichtlich der Berechtigung wirksam, sogenanntes negotium claudicans. Im einzelnen Käser, Römisches Privatrecht I, §65. 24 Vgl. Gai. 1.190. 2 5 1.1.144:... veteres enim voluerunt feminas, etiamsiperfectae aetatis sint, propter animi levitatem in tutela esse. 2 6 D.19.2.19.2. 2 7 D.13.6.5.14. 28 Vgl. D.2.14.27.4 (pacta quae turpem causam continent, non sunt observanda) oder die Konstitution Diokletians C.8.38.4 (cum omnia quae contra bonos mores vel in pacto vel in stipulatione dedueuntur, nullius momenti sint) sowie D.2.14.28 pr. (contra iuris civilis regulas pacta conventa rata non habentur). In den Pauli Sententiae wird die Regel neque contra leges, neque contra bonos mores pacisci possumus (Pauli Sent. 1.1.4 de pactis conventis) als Grundsatz römischen Privatrechts bezeichnet. 2 9 Zwischen 69 und 79 n.Chr.; vgl. D.14.6.1 pr.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
N e r o erlassene S C . Vellaeanum 3 0 verbietet Frauen die Interzession zugunsten anderer Personen. F ü r eine Sittenwidrigkeitskontrolle existieren Belege erst aus hochklassischer Zeit. 3 1 Danach galten als sittenwidrig insbesondere Rechtsgeschäfte, mit denen die Eheschließungsfreiheit eingeschränkt 3 2 oder über den Nachlaß lebender Personen disponiert wurde; 3 3 Erbverträge kannte das römische Recht daher nicht. Das römische Recht war gleichwohl nicht auf die Intestaterbfolge beschränkt, es herrschte vielmehr weitgehende Testierfreiheit. Kontrolliert wurde die inhaltliche Gestaltung von einem sogenannten Hundertmännergericht (centum viri). Verstieß ein Testament gegen die Grundsätze des (materiellen) Pflichtteilsrechts, erklärte das Gremium das Testament für unwirksam, da der Erblasser nicht bei Verstand gewesen sein könne (non sanae mentis). Aus der Kasuistik entwickelten sich sodann feste Regeln zur Inhaltskontrolle. 34 Daneben bestanden enge formelle Wirksamkeitsanforderungen. Das überwiegend verwendete Manzipationstestament war in seiner ursprünglichen Fassung hinsichtlich seiner Wirksamkeit abhängig von den vor fünf Zeugen und dem libripens gesprochenen Formeln, während schließlich aus Gründen der Geheimhaltung und Beweissicherung als formgültiges Testament eine vom Erblasser unterschriebene Urkunde mit sieben Siegeln von sieben Zeugen genügte. 35
Eine Möglichkeit, einen Vertrag wegen Sittenwidrigkeit für unwirksam zu erklären, weil die Vereinbarung eine Seite wirtschaftlich übermäßig belastet, oder - bei synallagmatischen Verträgen - die Leistung einer Partei im Vergleich zu der der anderen Seite nicht in einem Aquivalenzverhältnis stand, kannte das römische R e c h t nicht. D i e H ö h e des Preises war nach klassischem R e c h t der freien Vereinbarung der Vertragspartner überlassen. Teureres sollte billiger gekauft, Billigeres teurer verkauft werden dürfen - auch wenn dabei eine Seite die andere benachteiligte. 36 In nachklassischer Zeit kam der Gedanke auf, daß für gewisse Sachen ein in etwa gerechter Preis (iustum pretium) existiere: D e r Verkäufer eines (landwirtschaftlichen) Grundstücks sollte vor unzureichenden Preisen geschützt werden. I h m wurde deshalb freigestellt, in dem Fall, in dem der Kaufpreis unter dem halben Wert der Ware gelegen war, den Vertrag wegen laesio enormis 3 7 (Verkürzung über die Hälfte) anzufechten und die Kaufsache gegen Rückzahlung des Preises zurückzuverlangen. 3 8 D i e laesio enormis blieb auf diesen konkreten A n w e n 30 Zwischen 46 und 54 n.Chr.; vgl. D.16.1.2.1; C.4.29. Kaiser Augustus hatte bereits früher durch Edikt untersagt, daß Frauen zugunsten ihrer Ehemänner interzedieren. Dazu Medicus, Zur Geschichte des SC. Vellaeanum, 1957; Vogt, Studien zum SC. Vellaeanum, 1952. 31 D.45.1.61. 32 D.45.1.134 pr. 33 D.39.5.29.2. 34 Vgl. D.37.4.3. 35 Kunkel/Honsell, Römisches Recht, § 163; Käser, Römisches Privatrecht I, §27, §§ 160ff., m. zahlr. weit. Nachw. 36 D.19.2.22.3: Quemadmodum in emendo et vendendo naturaliter concessum est quod pluris sit minoris emere, quod minoris sit pluris vendere et ita invicem se circumscribere, ita in locationibus quoque et conductionibus iuris est. 37 Der Ausdruck wurde erstmals von den Glossatoren verwendet. 38 C.4.44.2 und 8; zur laesio enormis Becker, Lehre, S. 10ff.; Schulze, laesio enormis, S. 3ff., jeweils m. zahlr. weit. Nachw.
1. Kapitel: Die historische Entwicklung
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dungsbereich beschränkt, insbesondere war eine Applikation auf den umgekehrten Fall ausgeschlossen. 3 9 F ü r das römische R e c h t ist damit festzuhalten, daß es eine privatautonome G e staltung der Rechtsverhältnisse hinsichtlich ihres Inhaltes in weitem R a h m e n zuließ. D i e Möglichkeit, beliebige Rechtsgeschäfte abzuschließen, war hingegen einem begrenzten Personenkreis vorbehalten. D i e gerichtliche Anerkennung privatrechtlicher Geschäfte war in großem M a ß von der Agnition der Rechtsordnung sowie der von dieser vorgegebenen F o r m abhängig. D i e Diskussion, ob das römische Recht die Vertragsfreiheit kannte, nur ihre Voraussetzungen und G r e n zen sehr eng faßte, 4 0 oder o b privatrechtlicher Selbstgestaltung im Grundsatz A n erkennung versagt war, nur in konkreten Fällen einzelne Ermächtigungsnormen für bestimmte Geschäftstypen freien Gestaltungsspielraum einräumten, 4 1 ist o h ne Belang: Fest steht jedenfalls, daß privatautonom ausgeformte Rechtsgeschäfte bei Wahrung bestimmter Erfordernisse im Laufe der Zeit in zunehmendem M a ß Billigung fanden, wobei die legale Ermächtigung zur Selbstgestaltung im allgemeinen lediglich secundum quod leges permittunt 4 2 bestand. D i e Anerkennung pivatautonomer Regelungen verdeutlicht auch die Differenzierung in ius cogens und ius dispositivum; bereits die Zwölf-Tafel-Gesetze (tab. V, 4) zeigen beispielsweise mit dem Rechtssatz »Si intestato moritur ...«, daß das gesetzliche Erbrecht im Rang hinter der autonom angeordneten Erbfolge rangierte. 4 3 Bei alledem ist zu berücksichtigen, daß das römische Recht nicht zwischen der Wirksamkeit eines Rechtsgeschäftes und dessen Erzwingbarkeit unterschied; entscheidungserheblich war, ob aufgrund eines Sachverhaltes eine Klage möglich war oder nicht. Zwischen Rechtsgeschäft und Prozeßhandlung, materiellem A n spruch und Klagbarkeit wurde nicht streng differenziert: A c t i o bezeichnete sowohl die gerichtliche F o r m e l der Geltendmachung als auch den materiellen A n spruch, für dessen Durchsetzung dem Kläger gegen den Beklagten die F o r m e l zur Verfügung stand. U n t e r Berücksichtigung dieser Eigenheiten ist zwar festzustellen, daß sich die römische Rechtsordnung in einem allmählichen Wandlungsprozeß befand, in dem die privatrechtliche Selbstgestaltung zunehmend an Bedeutung gewann; die beschränkte Zahl klagbarer Vertragstypen beeinträchtigte im Ergebnis die Gestaltungsfreiheit im römischen Recht dennoch in erheblicher Weise.
II. Älteres deutsches Recht Infolge des Bedeutungsverlustes des klassischen römischen Rechts und des N i e derganges der Rechtswissenschaft setzte sich parallel zum zivilisatorisch-kultu3 9 Den Käufer versuchte man in nachklassischer Zeit mittels staatlicher Preisbindung zu schützen, Käser, Lehrbuch, §41 II, 3. 40 Scherrer, Entwicklung, S. 16. 41 Manigk, Festschrift für Koschaker, S.266, 275. 4 2 D.45.1.39; vgl. auch legitima conventio est quae lege aliqua confirmatur, D.2.14.6. 43 D.50.16.130.
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1. Teil: Grundlagen
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rellen Zerfall und der territorialen Zersplitterung allmählich eine auf rudimentäre römisch-rechtliche und griechische Einflüsse sowie germanischem Stammesrecht beruhende vereinfachte Rechtsordnung durch. 44 Sieht man von der von Karl dem Großen anläßlich des Aachener Reichstages 802/803 durchgeführten Sammlung und Reformierung der Stammesrechte ab, 45 war die fränkische Zeit (500 bis etwa 883, dem Auseinanderfallen des fränkischen Reiches) von einer Präponderanz allgemeiner Übung, Sitte, auf lokalem Rechtsbrauch und damit Gewohnheitsrecht beruhenden Rechtspflege geprägt. 46 Im frühen Mittelalter stand es grundsätzlich frei, den Inhalt einer Abrede beliebig zu gestalten. Ursache der weitgehenden Inhaltsfreiheit war die Abwesenheit gesetzlicher oder gewohnheitsrechtlich anerkannter Vorschriften, die die Gestaltungfreiheit in irgendeiner Weise eingegrenzt hätten. 47 Hingegen schränkte das Zunftsystem die Wahl des Vertragspartners, also die Abschlußfreiheit ein; 48 bedeutsam waren vor allem wirtschaftsrechtliche Regelungen. Ein Konkurrenzkampf im Handwerk sollte durch ein Abwerbeverbot von Kunden und durch feste Preise und Gesellenlöhne verhindert werden. Der Handel war ebenfalls weitgehend in seiner Abschlußfreiheit beschränkt; untersagt war beispielsweise der Ankauf von Waren zu Spekulationszwecken (sog. Fürkauf). Das ältere deutsche Recht kannte keine Konsensualverträge; die Rechtsgeschäfte waren in ihrer Wirksamkeit abhängig von der Einhaltung bestimmter Formalien. Zu nennen sind beispielhaft die fides facta, ein Erfüllungsversprechen in Schwurform, 4 9 oder die Wadiation: Durch die Ubergabe eines
44 Hoke, Rechtsgeschichte, S. 5 f.; Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, §2; Schlosser, Grundzüge, §111; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, § 6; Gmiir, Grundriß, Rn. 29; Coming, Ursprung, S. 18ff.; Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn. 57ff.; zur germanischen Zeit Brunner, Rechtsgeschichte I, §§6ff.; Köhler, Rechtsgeschichte, §3; Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, Erster Teil. 4 5 Diese Sammlung von Standesrechten einschließlich ihrer Ergänzungen durch königliche Erlasse und Anordnungen (Kapitularien) stellte einen frühen Akt gesetzgebungsähnlicher Tätigkeit dar, knüpfte dabei an einzelne römische Rechtsideen an und dürfte so ein nicht unmaßgeblicher Faktor für die Wiederentdeckung des römischen Rechts gegen Ende des 11. Jahrhunderts gewesen sein, Schlosser, Grundzüge, § 1 II, lc; vgl auch Liebs, Römisches Recht, S. 104ff.; Ebel, Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, 2. Aufl. 1958, S. 36ff.; allgemein Ganshof, Was waren die Kapitularien?, 1961; Brunner, Rechtsgeschichte I, §§55, 56. 46 Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, §2; Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn. 58; Laufs, Rechtsentwicklungen, S. 5; Gmiir, Grundriß, Rn.31ff.; zu Bedeutung und Inhalt der Volksrechte Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, Kap. 18 II; Hoke, Rechtsgeschichte, S. 5f.; Brunner, Rechtsgeschichte I, §§39ff. 47 Scherrer, Entwicklung, S. 24 m. weit. Nachw.; speziell zur Bedeutung der laesio enormis Schulze, laesio enormis, S. lOff. 4 8 Vgl. Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn.31; Köbler, Rechtsgeschichte, § 5 B III. Vollberechtigt ist nach den merowingisch-karolingischen Volksrechten der Freie; unter ihm stehen die Unfreien und Freigelassenen, über ihm der Adel. Kinder, Frauen und Gesinde stehen unter der Hausgewalt des Hausvaters. Die Grenzen zwischen den einzelnen Ständen werden im Laufe der Zeit immer durchlässiger, es bilden sich zunehmend Ubergangsformen; vgl. Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, Kap. 30. 49 Gierke, Schuld, S. 144ff.; Hübner, Grundzüge, S. 524ff.; Planitz/Eckhardt, Rechtsgeschichte, S.59.
1. Kapitel: Die historische Entwicklung
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kleinen Holzstäbchens (festuca) wurde eine Verpflichtung begründet. 5 0 D e r Wadiation vergleichbar ist die Hingabe einer Arrha; die Wirksamkeit eines Vertrages war von der Ubergabe einer Arrha als Verpflichtungszeichen abhängig. 5 1 Ahnlich wie bei den Innominatkontrakten des römischen Rechts kam ein Vertrag auch dadurch zustande, daß eine Partei ihn erfüllte oder mit der Erfüllung begann. 5 2 Eine Änderung des mittelalterlichen Formalismus ging mit der während des 13. J a h r hunderts das gesamte Europa überziehenden Rechtsdokumentationswelle einher; die consuetudo in scriptis redacta stand im Mittelpunkt des rechtlichen Interesses dieser Epoche. In Deutschland entstanden unter anderem der Sachsen- 5 3 und der Schwabenspiegel 5 4 als private Rechtssammlungen. Beide erkannten jede formlos getroffene Vereinbarung als verbindlich an. 5 5 D i e Agnition eines formund typenfreien (konsensualen) Vertrages im R e c h t des Spätmittelalters ist allerdings ohne praktische Bedeutung geblieben, weil den Vertragspartnern die M ö g lichkeit offen stand, die Verpflichtungsbegründung vor Gericht eidlich abzuleugnen. 5 6 D i e Durchsetzbarkeit einer Abrede war damit nur im Falle der Beweisbarkeit und damit nur bei der Wahl einer anerkannten F o r m gewährleistet. D e r geringe Abstraktionsgrad älteren deutschen Rechts und die im Vergleich zum römischen Recht unausgewogene rationale Ausformung waren der G r u n d für die weitgehende rechtswissenschaftliche Bedeutungslosigkeit. Erst die G l o s satoren und Kommentatoren widmeten sich der Interpretation sowie der F o r t entwicklung römisch-rechtlichen Gedankengutes.
III. Die Sichtweise der Glossatoren und Kommentatoren Ihren Ursprung nahm die Rezeption des römischen Rechts im 12. Jahrhundert in Oberitalien, insbesondere in B o l o g n a und Pavia. Ausdruck der Renaissance wa50 Zoepfl, Rechtsgeschichte, S.286ff.; Gierke, Schuld, S.259ff.; Heusler, Institutionen, S.232ff. 51 Scherrer, Entwicklung, S.19; Stobhe, Geschichte, S. 50ff.; Planitz/Eckhardt, Rechtsgeschichte, S. 109. 52 Planitz/Eckhardt, Rechtsgeschichte, S. 59; Scherrer, Entwicklung, S.19; Tosch, Entwicklung, S. 13. 53 Zu dem von Eike von Repgow zwischen 1210 und 1220 verfaßten Sachsenspiegel Ignor, Uber das allgemeine Rechtsdenken Eikes von Repgow, 1984; Lieherwirth, Eike von Repchow und der Sachsenspiegel, Sitzungsbericht der Akademie der Wissenschaften, 1982. Vgl. auch Schroeder, JuS 1998, 776. 54 Um 1275 von einem Augsburger Geistlichen niedergeschrieben, ist der Schwabenspiegel wie der Sachsenspiegel in Land- und Lehnrecht untergliedert; vgl. Hoke, Rechtsgeschichte, S. 104; Coming, Ursprung, S. 191 ff.; Laufs, Rechtsentwicklungen, S. lOff. 55 Sachsenspiegel (hrsg. von Karl August Eckhardt, 1933), Buch I, Art. 7: »Swer icht borget oder gelobt, der sal iz gelden, und swaz her tut, daz sal he stete halden.« Schwabenspiegel (hrsg. von Freiherr F. L.A. Lassberg, 1840), Landrecht 1,11 a: »Wer porget oder endlehnt das sol er gelten und was der man gepot das sol er staet halten.« 56 So beispielsweise der Sachsenspiegel, Buch I, Art. 7: »Wil ers aber versachen dar nach, her entvuret ez ime mit slme eide, swaz her vor gerichte nicht geleut hat. Swaz her aber vor gerichte tut, des verzüget in der sachewalde mit zwen mannen, und der richter sal der dirte sin.«
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ren vor allem die Arbeiten der Glossatoren, die in Anwendung der scholastischen Methode auf das Corpus Iuris Civilis die römischen Rechtslehren mit kurzen Erläuterungen versahen, sowie die Werke der Konsilatoren, die die von den Glossatoren exegetisch voll entwickelte Rechtswissenschaft durch die Auseinandersetzung mit praktischen Einzelproblemen dogmatisch umfassend weiterentwickelten.57 Der Legistik kam es darauf an, die vielfältigen und aufgrund des Typenzwanges disparaten Erscheinungen des römischen Vertragsrechts zu vereinheitlichen und zu systematisieren. 58 Mittel zur Erreichung dieses Ziels war die Vestiturtheorie, die ihre Grundlage im Konsens als notwendiger, aber nicht in jedem Fall ausreichender Voraussetzung eines Vertrages sah. Ausgehend von der Konsensualität gelang Bartolus de Saxoferrato (1314-1357) und seinem Schüler Baldus de Ubaldis (1327-1400) eine allgemein anerkannte, konsistente Schematisierung des Vertragsrechts. 59 Bartolus differenzierte zwischen Vestituren iure gentium und iure civili.60 Die Vestituren iure gentium umfaßten die sechs pacta vestita des Glossators Azo, der nicht nur den Begriff vestimentum prägte, sondern auch die Unterscheidung in pacta nuda und pacta vestita begründete. 61 Die pacta praetoria und legitima, die als Ausnahme von der Regel der Klaglosigkeit der pacta nuda mirabiliter eine Klage erzeugten, stellten die iure civili vestierten Verträge dar. Baldus verfeinerte und harmonisierte die Systematisierung. 62 Die klare Einteilung machte im Zusammenspiel mit der Anerkennung des Konsens als maßgeblichem Kriterium für die Wirksamkeit eines Vertrages die Paradoxität deutlich, in einem Fall gerichtliche Durchsetzbarkeit anzunehmen, im anderen nicht. Die mangelnde juristische Begründbarkeit der Klaglosigkeit der pacta nuda führte zu deren Bedeutungsverlust und zur Ausformung einzelner klagbarer pacta nuda unter Umgehung tradierten römischen Rechts. So betonte Alexander Tartagnus de Imola in der Mitte des 15. Jahrhunderts die Rechtsregel, daß ein wiederholtes pactum n u d u m die Klagbarkeit begründet. Das klagbare pactum geminatum setzte sich aus einem pactum nudum zusammen, das eine naturalis obligatio erzeugte; zusätzlich wurde ein constitutum debiti abgeschlossen, das mit der actio de pecunia constituta klagbar war. 63 57 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, §3 III, §5; Liebs, Römisches Recht, S.107ff.; Laufs, Rechtsentwicklungen, S.47ff.; Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, §4; Köhler, Rechtsgeschichte, §5 B I, 2c; Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn. 121 ff. 58 Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, § 5; Nanz, Entstehung, S. 31 ; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, § 7. 59 Nanz, Entstehung, S. 36; Tosch, Entwicklung, S. 14; Wesenburg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, §5 III, 1; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, §5 II. 60 Söllner, SZ (RA) 77 (1960), 182, 231f.; Karsten, Lehre, S. 165ff. 61 Karsten, Lehre, S. 112ff.; Söllner, SZ (RA) 77 (1960), 182, 217; vgl. auch Nanz, Entstehung, S. 33. Azo, Summa Aurea, Lugduni 1557 (Nachdruck 1968), C.2.3.n.l5 (p. 18): »... vesti tur autem pactum sex modis: re, verbis, consensu, literis, contractus cohaerentia, rei intervenni...«. 62 Im einzelnen dazu Dächer, SZ (RA) 77 (1960), 270, 294. 63 Tartagnus, Comm. in D.2.14.7.4.n.9: »... hie secundum pactum hoc casu appellatur constitutum, quia in eo constituit sive promittit quis se soluturum id quod ex primo pacto naturaliter obligatur, et debet tale secundum pactum, quia dicitur constitutum, appellari contractus nominatus, quia producit in continenti actionem et habet nomen specificum, et elegans et est conventio
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N e b e n der faktischen Beeinträchtigung der Vertragsfreiheit durch den enumerativen Katalog klagbarer Abreden wurden Vereinbarungen vermehrt einer inhaltlichen Kontrolle unterzogen; Glossatoren wie Kommentatoren griffen die Lehre von der laesio enormis wieder auf. D i e laesio enormis wurde nunmehr auf den Käufer sowie auf sämtliche Abreden bonae fidei ausgedehnt. 64 D i e Bestimmung des gerechten Preises erfolgte anhand eines Vergleiches von Leistung und Gegenleistung. D e r Schwierigkeit, bei der Bestimmung des Äquivalenzverhältnisses o b jektive Werte zugrunde zu legen, versuchte man im späten Mittelalter durch feste Taxregeln abzuhelfen. 6 5 D i e mittelalterlichen Rechtsstrukturen waren somit der Ursprung einer allgemeinen Gerechtigkeitskontrolle betreffend Leistung und Gegenleistung. Trotz aller Weiterentwicklungen des römischen Kontraktsystems war die weltliche mittelalterliche Vertragslehre dem überkommenen Dualismus pacta vestita/ pacta nuda verhaftet: Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts blieb es bei der A k z e p tanz zivilrechtlich unverbindlicher Vereinbarungen, deren Klaglosigkeit in der Regel »ex pacto nudo actio non oritur« versinnbildlicht wurde. 6 6 Formlose, nur auf Konsens beruhende Vereinbarungen verpflichteten nach weltlichem R e c h t nicht. Eine erste für die weitere Entwicklung der Vertragsfreiheit entscheidende Weichenstellung für die Vertragslehre brachte hingegen das mittelalterliche Kirchenrecht. Auch die Kanonistik beruhte wesentlich auf dem römischen Recht; in Parallelität zum Corpus Iuris Civilis bezeichnete die kirchliche Rechtswissenschaft des Spätmittelalters das kirchliche Gesetzgebungswerk als Corpus Iuris Canonici. 6 7 Dieses hatte nicht nur kirchenspezifische Angelegenheiten zum G e genstand, sondern setzte sich ebenfalls mit weltlichen Rechtsproblemen auseinander. Bis zum 18. Jahrhundert gab es insbesondere in den geistlichen Territorien Deutschlands kirchliche Gerichte, die Zivilrechtsstreitigkeiten entschieden. D i e Vertragslehre im kanonischen R e c h t entwickelte sich dabei vergleichbar mit der im weltlichen Recht - mit einer bedeutsamen Ausnahme, der Klagbarkeit aller Verträge. 68 Grundlage der Klagbarkeitslehre war ein Beschluß des Konzils von Toledo aus dem Jahre 633, in dem auf die Gültigkeit einer vertraglichen Abrede hingewiesen wurde. 6 9 In aller Deutlichkeit umgesetzt wurde diese biblischen legitima conventa a iure civili ...«. Vgl. auch Dilcher, SZ (RA) 77 (1960), 270, 299; Söllner, SZ (RA) 77(1960), 182, 262. 64 Schulze, laesio enormis, S. 13 ff. 65 Im einzelnen zur Bestimmung des objektiven Mißverhältnisses Becker, Lehre, S. 44ff. 66 Baldus, Comm. (Lugduni 1585) in D.2.14.7.5.n.7 (f. 140): »... notaregulam generalem in ista materia, quod ex pacto nudo non oritur actio...« 67 Laufs, Rechtsentwicklungen, S. 51 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, §4 1; Mitteis/Lieherich, Rechtsgeschichte, Kap. 40,1, 7; Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn. 130; Schlosser, Grundzüge, § 1 III, 2. Der Begriff Corpus Iuris Canonici wurde von Papst Gregor XIII um 1580 geprägt, vgl. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte - Die katholische Kirche, 4. Aufl. 1964, S. 292f. 68 Scherrer, Entwicklung, S.26ff.; Dilcher, SZ (RA) 77 (1960), 270, 284ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, §4 III; Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, §3; Tosch, Entwicklung, S. 14; Liebs, Römisches Recht, S.258f. 69 Mayer-Maly, Festschrift für Seidl, S. 118, 124.
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Vorstellungen von Treue entspringende Idee erst im 13. Jahrhundert von J o h a n nes Teutonicus. 7 0 Seitdem war die D o k t r i n von der Klagbarkeit aller pacta im Kirchenrecht im Ergebnis 7 1 unangefochten. Das Verdienst der mittelalterlichen Kanonistik liegt damit darin, daß sie auch nicht förmliche Parteivereinbarungen, die mit Gesetz und Sitten nicht in Widerspruch standen, als verbindlich erachtete. Einher mit der Anerkennung formloser Verträge ging im Kirchenrecht eine umfassendere Inhaltskontrolle anhand moraltheologischer Maßstäbe. B o n a fides, honestas und conscientia fanden Eingang in die Wirksamkeitsbeurteilung rechtlicher Verpflichtungen. Die Kanonisten entwickelten neben der laesio enormis, die sie auf sämtliche Verträge (bonae fidei, stricti iuris) anwendeten, eine laesio enormissima (Überschreitung des Aquivalenzverhältnisses um zwei Drittel), die nicht nur die Aufhebbarkeit, sondern die Nichtigkeit eines Vertrages zur Folge hatte. 7 2 D i e Verbindlichkeit aller Verträge stellt eine entscheidende Weichenstellung im R a h m e n der geschichtlichen Entwicklung der Vertragsfreiheit und ihrer Grenzen dar. D e r Typenzwang des römischen Rechts wurde abgelöst durch ein Prinzip der Freiheit inhaltlicher Gestaltung. 7 3 D i e mittelalterliche Rechtswissenschaft ist damit Ursprung zweier für das m o derne Vertragsrecht prägender Umstände: der schrittweisen Weiterentwicklung des Konsensualismus durch die Legistik sowie der Anerkennung der typenunabhängigen Verbindlichkeit aller Abreden durch die Kanonistik. 7 4
IV. Die Entwicklung vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts 1. P a r t i k u l a r r e c h t e und U s u s m o d e r n u s I m Laufe des Spätmittelalters und in der frühen Neuzeit entwickelte die Mehrheit der Städte und Länder eine eigene Rechtsordnung. Diese Partikularrechte, die noch in der Rezeptionszeit, insbesondere im 16. Jahrhundert geschaffen wurden, folgten der bereits im Sachsenspiegel angeklungenen Konzeption. D i e Verbindlichkeit von Vereinbarungen wurde zwar anerkannt, jedoch handelte es sich dabei u m ein bloßes Postulat ohne praktische Konsequenzen; insbesondere bei den I n nominatkontrakten führte besagter Konsens der Parteien nicht zur Entstehung einer Verpflichtung. Abreden werden im statutorischen R e c h t erst durch Leistung, d.h. Beginn der Erfüllung, oder ein förmliches Versprechen nach dem Vorbild der römischen Stipulation durchsetzbar.
Dilcher, SZ (RA) 77 (1960), 270, 284; Söllner, SZ (RA) 77 (1960), 182, 243 ff. Die Begründung blieb umstritten; die damals h.M. schloß sich dem Argumentationsmodell von Teutonicus an, der die Ansicht vertrat, das pactum nudum erzeuge eine Klage auf Erfüllung (condictio ex canone). Dazu Nanz, Entstehung, S. 52ff., m. weit. Nachw. 72 Vgl. Schuhe, laesio enormis, S. 17f.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, §4 III 2; ausführlich Becker, Lehre, S. 138ff. 73 Meyer-Cording, Rechtsnormen, S. 13. 74 Vgl. Landau, in: Schulze, Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte, 1991, S. 39,47ff. 70
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Das Kurpfälzische Landesrecht von 1582 formuliert im zweiten Teil, tit. 12: »Dann so man also und allein mit bloßen Worten uberkäme, daß einer geben oder thun, der ander entgegen ein anders geben oder thun sollt, und jhrer keiner den Contract zu exequiren angefangen, noch denselben mit Frag und Antwort, zu Latein, per Stipulationehm, handfest gemacht..., ist solches alles keine kräftige, wirkliche Verbindung.«75 Den Durchbruch zum verpflichtenden Charakter aller Verträge, unabhängig von Inhalt und F o r m , brachte im ersten Ansatz die Zeit des Usus modernus. 7 6 Die schrankenlose Anerkennung des Konsenses als Verpflichtungsgrund und damit die Grundlage der modernen Vertragslehre hat hier ihren Ursprung. Maßgeblich geprägt wurden Rechtswissenschaft und Rechtspraxis im 17. Jahrhundert dabei durch die allgemeine Klagbarkeitslehre, die Matthaeus Wesenbeck in seiner Schrift »Commentarii in pandectas iuris civilis et codicis iustinianei« 77 vertreten hat. 78 Die Klagbarkeit der pacta nuda begründete Wesenbeck im wesentlichen mit den zahlreichen Ausnahmen von der Rechtsregel »ex pacto nudo actio non oritur«, die in Wissenschaft und Praxis bereits anerkannt waren. E r stützte sich dabei unter Berufung auf das Corpus Iuris Canonici vor allem auf das Kirchenrecht, das eine Verbindlichkeit der pacta nuda bereits in weiten Teilen akzeptiert hatte. 79 Weiterhin referierte Wesenbeck in den Commentarii die Ausnahmen aus dem Bereich der Handelsgerichtsbarkeit (curiae mercatorum). 8 0 Auf die Zivilgerichtsbarkeit überträgt Wesenbeck seine neue Klagbarkeitslehre, indem er seinen Standpunkt mit Hilfe unzutreffender Belege als neue herrschende Meinung darstellt: »Communis opinio est, et ita usus observat, ut indistincte ex pactis Nudis, serio et deliberate initis, etiam in foro Civili hodie detur actio.« 8 1 Diese vorgeblich überwiegende, in Wahrheit allerdings bis zu diesem Zeitpunkt kaum vertretene Meinung fand nach anfänglicher Diskussion - nicht zuletzt aufgrund der Darstellung als »communis opinio« - zunehmend Anhänger. 8 2 Begründet wurde die A b 75 Zitiert nach Seuffert, Geschichte, S. 155; vgl. auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, §11; ähnlich das Lüneberger Stadtrecht von 1577/1583: »Wer mit dem andern einer Verbeutung einig wird und liefert darauf die Wechsel-Beute nicht, oder hat sich durch stäter und fester Haltung der Verbeutung nicht sonderlich verpflichtet, kan wol wiederum davon abstehen.«, Seuffert, Geschichte, S. 153. 76 Die Bezeichnung geht zurück auf den Titel einer Schrift des Hallenser Professors Samuel Stryk, Usus modernus Pandectarum, und bezeichnet die Rechtsentwicklungen seit Ende des 16. Jahrhunderts bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Zum Begriff des Usus modernus Söllner, in: Coing, Handbuch II/l, S.501 ff. 77 Das Hauptwerk Wesenbecks trug bei der Veröffentlichung 1565 den Titel »Paratitla in pandectas iuris civilis.« Die Ausführungen zum Vertragsrecht finden sich unter der Überschrift »De pactis« in der Neubearbeitung von 1582, die die Bezeichnung »Commentarii« erhielt. Biographie bei R. Stintzing, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft Bd. 1, 1880 (Nachdruck 1957), S. 351 ff. 78 Flume, Rechtsgeschäft, § 12 II 3; Nanz, Entstehung, S. 85ff.; Mayer-Maly, Konsens, S. 99. 79 Wesenbeck, Commentarii, D.2.14.n.9., col.137: Iure Pontificio, ex quolibet pacto oritur actio; siehe auch Wolter, Ius Canonicum in Iure Civili, 1975, S. 70 sowie unter IV. 80 Wesenbeck, Commentarii, D.2.14.n.9., col.127: ubi ex aequo et bono, et ex suprema potestate iudicatur. 81 Wesenbeck, Commentarii, D.2.14.n.9., col.137. 82 Söllner, in: Coing, Handbuch II/l, S.507; Seuffert, Geschichte, S. 118ff.; Flume, Rechtsge-
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
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kehr von der tradierten römischen Auffassung im Anschluß an Wesenbecks A r gumentation mit mores hodiernae, womit die damalige Gerichtspraxis bezeichnet wurde, sowie nova Practica. A u f den Wortformalismus der Stipulation kam es nicht mehr an. 83 D i e Auflockerung der Formstrenge ging einher mit einer F o r t entwicklung der laesio enormis, die in größerem U m f a n g an praktischer Relevanz gewann. 8 4 Die Zeit des Usus modernus legte damit durch ihre praxisbezogene und zeitgemäße Interpretation des rezipierten römischen Rechts, vorwiegend der Arbeit der Glossatoren und Kommentatoren, die Grundlage für die moderne Konsenslehre. Während das römische Recht v o m Typenzwang beherrscht und im H i n blick auf Inhalte und Abschlußformen gebunden war, mußte die Anerkennung der Verbindlichkeit aller Konsensualabreden die Typologie und damit ein grundsätzliches Hindernis auf dem Weg zur Vertragsfreiheit entbehrlich machen. Diese letzte rechtstheoretische Konsequenz jedoch, die Anerkennung der Rechtswirksamkeit sowie Klagbarkeit übereinstimmender Willenserklärungen vermochten Wissenschaft und Praxis des Usus modernus nicht mehr zu vollziehen. 8 5 Das Verdienst, die alte Vertragsordnung durch eine neue Systematik des Vertragsrechts ersetzt und die Privatautonomie als deren Bedingung klar herausgearbeitet zu haben, k o m m t der Naturrechtslehre zu.
2. D i e N a t u r r e c h t s l e h r e In zeitlich weitgehender Parallelität zum Usus modernus gewannen naturrechtliche Überlegungen im 17. Jahrhundert in steigendem M a ß an Bedeutung. Das N a turrecht gründet auf der geistigen Tradition griechischer Philosophie; 8 6 die Sophisten, später Plato und Aristoteles waren bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Grundlagen des Rechts zu dem Ergebnis gelangt, daß es Rechtssätze geben müsse, die von N a t u r aus existieren und nicht aufgrund der A n o r d nung eines Gesetzgebers. Das Naturrecht sahen sie als ein ideales, der Vernunft entsprechendes Recht, das zu einer gerechten O r d n u n g zwischenmenschlicher Beziehungen führt. Diese von dem rezipierten römischen Recht losgelöste B e trachtung war ein entscheidender Katalysator für die Gestaltung einer neuen Vertragslehre. 8 7 Begünstigt wurde die Entwicklung hin zur Freiheit vertraglicher Bindung durch die Aufklärung. Eine der Intentionen der Aufklärung war es nämlich, die Menschen aus den tradierten, Freiheit und Entfaltung hemmenden B i n schäft, §12 II 3; Nanz, Entstehung, S. 97ff., mit umfassenden Quellennachweisen auf S. 100 Fn.33. 83 Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, § 18 III. 84 Schulze, laesio enormis, S.27ff., mit zahlr. weit. Nachw. 85 Kaiser, Vertragsfreiheit und Gesellschaftsordnung, S.20; Tosch, Entwicklung, S.40ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, § 15 V 2c. 86 Zur Entwicklung des Naturrechts Welzel, Naturrecht, S. 12 ff. 87 Zippelius, in: Handwörterbuch Bd. 3, S. 933ff.; Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, §19; Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 70ff.; Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn.262ff.; Gmür, Grundriß, Rn. 307ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, §15, m. weit. Nachw.
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1. Kapitel: Die historische Entwicklung
düngen zu befreien und das Leben nach vernunftbetonten Maßstäben auszurichten. D e r Mensch wurde als ein mit autonomer Vernunft begabtes Individuum in einer von Naturgesetzen beherrschten Welt aufgefaßt. Dementsprechend strebten die Aufklärer eine R e f o r m der geistigen, religiösen, politischen und auch rechtlichen Rahmenbedingungen an. 88 D i e Veränderungen der Rechtsordnung durch das Zusammenspiel von Aufklärung und Naturrechtslehre förderte die voranschreitende wirtschaftliche Entwicklung, die einen
unreglementierten
Wettbewerb und die Befreiung der Handelswelt von zunftmäßigen Einschränkungen erforderlich werden ließ. 8 9 Vor diesem Hintergrund sind die Ausführungen des Niederländers H u g o G r o tius zu verstehen, der mit seinen Schriften » D e iure belli ac pacis libri tres« (1625) sowie »Inieidinge tot de hollandsche Rechts-Geleerdheid« (1631) die moderne Privatrechtsordnung durch eine dogmatische Neukonstruktion der Rechtsgeschäftslehre nicht unerheblich beeinflußt hat. 9 0 Ausgangspunkt seiner Ü b e r l e gungen ist die These, daß die Rechtsverbindlichkeit einer Erklärung der freien aut o n o m e n Persönlichkeit des Menschen entspringt. Aus dieser Autonomieprämisse leitete Grotius seine Lehre ab, die nicht mehr auf die sozialtypischen, durch das römische R e c h t intendierten Vertragsgestaltungen abstellt. Grotius konstruierte drei Versprechensstufen. Die erste E b e n e bringe die Veränderlichkeit
aller
menschlichen Entschlüsse zum Ausdruck; dem Menschen stehe es frei, seine A b sichten zu ändern, aus einer bloßen Äußerung könne demnach kein Forderungsrecht, sondern allenfalls eine moralische Verpflichtung entspringen. 9 1 Erst eine gesonderte Bekundung zeige dem Versprechensempfänger, daß die Aussage auch für die Zukunft Bestand haben solle. Ein klagbares Forderungsrecht erwachse aus dieser zweiten Versprechensebene aber noch nicht; 9 2 dieses sei erst auf der dritten
88 Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 447ff.; Laufs, Rechtsentwicklungen, S. 145ff.; Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn.273ff., 281 ff.; Hoke, Rechtsgeschichte, S.246f. 89 Kaiser, Vertragsfreiheit und Gesellschaftsordnung, S. 22ff., 28ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, §18 I. 90 Wo//, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 4. Aufl., 1963, S.253ff.; Welzel, Naturrecht, S. 123ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, § 16 III; Hofmann, in: Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhunden, 1977, S.51ff. 91 De iure belli ac pacis II, XI, 2: »Primus gradus est assertio explicans de futuro animum qui nunc est: et ad hanc, ut vitio careat, requiritur Veritas cognitionis pro tempore praesenti, non autem ut in ea cogitatione perseveretur. Habet enim animus humanus non tantum naturalem potentiam mutandi consilium, sed et ius. Quod si in mutatione sententiae vitium sit aliquod, aut accedit, id non est intrinsecum mutationi, sed ex materia, puta quia prior sententia erat melior.« Dazu Dießelhorst, Lehre, S.46ff.; Nanz, Entstehung, S. 143f.; Lipp, Naturrecht, S. 140. 92 De iure belli ac pacis II, XI, 3: »Secundus gradus est, cum voluntas se ipsam pro futuro tempore determinai, cum signo sufficiente ad indicandam perseverandi necessitatem. Et haec pollicitatio dici potest, quae seposita lege civili obligat quidem, aut absolute aut sub conditione, sed ius proprium alteri non dat. Multis enim casibus evenit ut obligatio sit in nobis, et nullum ius in alio; sicut in debito misericordiae et gratiae reponendae apparet, quibus simile est hoc debitum constantiae sive fidelitatis. Itaque ex tali pollicitatione res pollicitantis retineri, aut is ipse qui pollicitus est ad impellendam fidem cogi iure naturae non poterit.« Vgl. Dießelhorst, Lehre, S.48f.; Nanz, Entstehung, S. 144; Lipp, Naturrecht, S. 140.
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1. Teil: Grundlagen
privatrechtlicher
Selbstgestaltung
Ebene anzunehmen und abhängig von einer besonderen Manifestation des Verpflichtungswillens. »Tertius gradus est, ubi ad determinationem talem accedit signum volendi ius proprium alteri conferre: quae perfecta promissio est, similem habens effectum qualem alienatio dominii. Est enim aut via ad alienationem rei, aut alienatio particulae cuiusdam nostrae libertatis. Illuc pertinent promissa dandi, huc promissa faciendi.« 9 3
Eine vertragliche Verpflichtung kommt danach also zustande, wenn der erklärte Wille, zukünftig in bestimmter Weise vorzugehen, die Absicht, an dieser Erklärung festzuhalten, sowie der Wille, beim Empfänger ein Forderungsrecht entstehen zu lassen, nach außen durch gewisse signa kundbar gemacht werden. Alle Vereinbarungen, die diesen Anforderungen genügten, waren nach Grotius grundsätzlich vor Gericht durchsetzbar. Ihre Wirksamkeit beruhte allein auf dem ausdrücklich geäußerten Willen des Verpflichteten und war unabhängig von den strengen Stipulationsformen. 94 Die Abkehr von den rezipierten Erklärungsweisen veranlaßte Grotius weiterhin, die Formfreiheit von Verträgen anzuerkennen. 95 Mit der Betonung des autonomen Willens des Individuums und der Überwindung der formalen Kautelen des gemeinen römischen Rechts hat Grotius erstmals die Idee einer privatautonomen Rechtsordnung formuliert und so den Grundstein für eine Vertragsfreiheitslehre gelegt. Das naturrechtliche Selbstverständnis der Individualität und der Autonomie des Willens hat somit den Weg von der Reglementierung des römischen Rechts hin zur Vertragsfreiheit geebnet. Die Axiome der Vertragsfreiheit sind damit im Grunde keine rechtswissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern ethische Postulate, die auf die Natur des Menschen als eines selbstverantwortlichen Individuums zurückzuführen sind. 96 Zweifelhaft ist, inwieweit sich Grotius gegen die Sanktionierung der Preisungerechtigkeit, insbesondere die Reszission wegen laesio enormis gewandt hat. 9 7 Einerseits entnahm G r o tius der Wertlehre antiker und moraltheologischer Wirtschaftsethik einen objektiven Maßstab (quanti omnibus valeret) der Inhaltskontrolle und forderte ein Aquivalenzverhältnis (aequalitas) von Leistung und Gegenleistung, andererseits sah er es als nicht sanktionswürdig an, durch Geschäfte Vorteile zu erlangen. 9 8 Jedenfalls knüpfte Grotius, anders als bei
9 3 De iure belli ac pacis II, X I , 4,1; dazu Dießelhorst, Lehre, SA9(f.;Nanz, Entstehung, S. 144; Lipp, Naturrecht, S. 140. 9 4 De iure belli ac pacis II, X I , 4, 2/3: »Nam iurisconsultorum dieta de pactis nudis respiciunt id, quod Romanis legibus erat introduetum, quae deliberati animi signum certum constituerunt stipulationem. Possunt autem naturaliter deliberati animi alia esse signa praeter stipulationem, aut si quid ei simile ad actionem pariendam lex civilis postulai.« 95 Vgl. Inleiding III, 5, 2; vgl. Tosch, Entwicklung, S. 17. 9 6 Vgl. Engisch, Auf der Suche nach Gerechtigkeit, 1971, S.82ff., 91 ff.; Zippelius, Das Wesen des Rechts, 2. Aufl., 1969, S.40ff. 9 7 Vgl. Becker, Lehre, S.31 ff.; Tosch, Entwicklung, S. 19ff.; Schulze, laesio enormis, S.35ff.; Schmidt, Lehre, S.65ff., jeweils m. zahlr. weit. Nachw. 9 8 Siehe einerseits De iure belli ac pacis II, X I I , 11,1 (»In ipso actu principali haec desideratur aequalitas, ne plus exigatur quam par est.«), andererseits das Zitat einer Ulpianstelle und die Erläuterung hierzu II, X I I , 26,1 (»Idem Pomponius in pretio emptionis et venditionis naturaliter licere contrahentibus se circumvenire. Ubi licere est non quidem fas esse, sed ita permitti ut nullum
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der Regelung der Reszission wegen laesio enormis, nicht mehr ausschließlich an die U n kenntnis der Wertverhältnisse seitens des Ubervorteilten an; aequalitas sei nicht anhand des objektiven Wertes des Vertragsobjektes zu erreichen. G r o t i u s unterschied in seiner aequalitas-Lehre also deutlich das Naturrecht v o m positiven Recht der laesio e n o r m i s . " Seine Lehre v o n der Vertragsgerechtigkeit im 12. Kapitel des 2. Buches (»De contractibus«) hat so der Rechtsentwicklung seiner Zeit einen A n s t o ß z u m Uberdenken der laesio enormis gegeben.
Das Erfordernis einer Willensübereinstimmung als konstitutiver Faktor blieb in der Grotianischen Vertragslehre ungeklärt. Grotius kam es bei der Begründung einer vertraglichen Forderung nicht auf übereinstimmende Willenserklärungen im Sinne von Angebot und Annahme an, rechtsbegründend war aus seiner Sicht im Grundsatz vor allem die Erwartung des Versprechenden, der Empfänger werde das Versprechen annehmen.100 Diese Konstruktion schuldrechtlicher Verpflichtung durch einseitigen Rechtsakt führte - was Grotius selbst erkannte101 zu Widersprüchen mit seiner Akzentuierung des autonomen Willens des Individuums, da der Versprechensempfänger unter Umständen ein nicht gewolltes Recht erhielt. Grotius versuchte deshalb, deutlich zu machen, daß trotz (grundsätzlicher) Entbehrlichkeit einer Annahme der Wille, ein Recht entstehen zu lassen, und der Wille, dieses Recht zu erwerben, für die Entstehung einer vertraglichen Bindung ursächlich sind. Diese logische Diskrepanz seiner Lehre, die zum einen die Willenskonvergenz im Sinne eines pactum oder einer conventio zugunsten der promissio vernachlässigte, zum anderen eine Annahme als obligat einstufte, vermochte Grotius nicht in einen systematischen Zusammenhang zu bringen.102 Gleichwohl ist es sein Verdienst, sowohl den Konsensualismus als Grundlage vertraglicher Bindung als auch die Interdependenz des Willens als Ausdruck persönlicher, naturrechtlich begründeter Freiheit und dessen Manifestation nach außen herausgearbeitet zu haben.103 Den weiteren Schritt, den konsensualen Vertrag im Sinne von Angebot und Annahme als Grundlage der Vertragsfreiheit klar zu benennen und die Neuerungen in der zivilrechtlichen Dogmatik zu einem autonomen Gefüge rechtlicher Normen auszubauen, unternahm Samuel Pufendorf. Pufendorf, Professor für Natur- und Völkerrecht sowie Hofhistoriograph, entwickelte in seinem naturrechtlichen Hauptwerk »De Iure Naturae et Gentium contra proditum sit remedium in eum qui se pacto velit defendere. Naturaliter autem eo in loco, ut et alibi interdum, positum est, pro eo quod recepti passim moris est.«). 99 De iure belli ac pacis II, XII, 12,2: »Lex Romana hoc constituit non in quavis inaequalitate, minima enim non persequitur,.... sed in satis gravi, ut quae dimidium iusti pretii excedit.« 1 0 0 Inleiding III, 1, 24: »Verbintenisse ... is een daed van de eene, waer uit voor een ander inschuld ontstaet.« 101 De iure belli ac pacis II, XI, 14: »ut autem promissio ius transferat, acceptatio hic non minus quam in dominii translatione requiritur.« 102 Tosch, Entwicklung, S. 23; Nanz, Entstehung, S. 146f.; Lipp, Naturrecht, S. 140f.; vgl. auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, § 16 III 3c. 103 Dießelhorst, Lehre, S.34ff., 42; Wieacker, Festschrift für Welzel, S.7, 17; Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn.271; Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S.79; Tosch, Entwicklung, S.22; Mayer-Maly, Handwörterbuch Bd. 5, Sp.857.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
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Libri O c t o « (1672) die Idee des konsensualen Vertrages weiter. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die Annahme einer autonomen, von kirchlichen Glaubenssätzen unabhängigen Sozialethik. 104 Seine Sicht einer Gesellschaftsstruktur ergab sich aus dem Zusammenspiel von menschlichem Selbsterhaltungstrieb, natürlicher Bedürftigkeit sowie dem Geselligkeitsstreben. Das Verlangen, die eigene Existenz zu erhalten, 105 und die natürliche Unfähigkeit des Menschen, sich als singuläres Individuum seinen Anlagen gemäß zu entwickeln, 1 0 6 stellen die Ursache für die Geselligkeit (socialitas) des Menschen dar. 107 Aus der socialitas resultiere wiederum die natürliche Gleichheit der Menschen: »Humana porro natura, cum omnibus hominibus aeque competat, neque socialem cum isto homine vitam degerere quis possit, abs quo non saltem ut h o m o aestimatur; inde consequitur, iure naturali praeceptum esse, ut quisque alterum hominem aestimet atque tractet, tanquam naturaliter sibi aequalem, seu ut aeque hominem.« 1 0 8 Rechtliches Korrelat dieser naturrechtlichen Vorgaben war die Versprechenstreue. Eine Abrede mußte für die Parteien verbindlich sein; denn nur so war es möglich, die Sozialität gleichberechtigter Menschen zu verwirklichen. Damit geht nicht nur der Grundsatz »pacta sunt servanda« auf Pufendorf zurück, »Si quae autem inter homines ineuntur pacta, illa sancte observanda esse, sociabilis natura hominis requirit. Citra hoc enim si esset, plurima pars utilitatis periret, quae humano generi ex communicatis invicem officiis enascitur.«109 sondern auch die Abschlußfreiheit. In der Vertragslehre Pufendorfs stand es jedermann frei, einen Vertrag zu schließen oder nicht. »Quae et qualia pacta a singulis hominibus ineantur, in cuiusvis est arbitrio.« 110
104 Vgl. Welzel, Naturrecht, S. 130ff.; ders., Naturrechtslehre, S. Iff.; Lipp, Naturrecht, S. 141 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, § 17 III; Dießelhorst, Vermögensrechtssystem, S.6ff.; Denzer, Moralphilosophie, S. 7ff.; Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 81 f. 105 De Iure Naturae et Gentium Libri Octo II, III, 15: »... animal sui conservandi studiosissimum.« Dazu Lipp, Naturrecht, S. 141 ff.; Nanz, Entstehung, S. 150; Tosch, Entwicklung, S.28ff. 106 De Iure Naturae et Gentium Libri Octo II, III, 14: »praeter hunc amorem sui... deprehenditur quoque in homine summa imbecillitas, atque naturalis indigentia, ut si homo solus absque ullo auxilio, per alios homines accedente, in hoc orbe destitutus concipiatur, vita ipsa in poenam data videri possit.« Dazu Nanz, Entstehung, S. 150; Welzel, Naturrechtslehre, S.43ff.; Dießelhorst, Vermögensrechtssystem, S. 8; Denzer, Moralphilosophie, S. 92 f.; Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, § 19 IV. 107 De Iure Naturae et Gentium Libri Octo II, III, 15: »Inde fundamentalis lex naturae isthaec erit: Cuilibet homini, quantum in se, colendam et conservandam esse pacificam adversus alios socialitatem, indoli et scopo generis humani in universum congruentum... Sed per socialitatem innuimus eiusmodi dispositionem hominis erga quemvis hominem, per quam ipsi benevolentia, pace et capitale, mutuaque adeo obligatione coniunctus intelligitur... Diximus autem, cuilibet homini socialitatem colendam, et actu exercendam quantum in se...« Dazu Denzer, Moralphilosophie, S.93ff.; Nanz, Entstehung, S. 150; Lipp, Naturrecht, S. 145f. 108 De Iure Naturae et Gentium Libri Octo III, II, 1. Siehe auch Welzel, Naturrecht, S. 143. 109 De Iure Naturae et Gentium Libri Octo III, IV, 2. 110 De Iure Naturae et Gentium Libri Octo III, IV, 1.
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Lediglich der Verpflichtungswille war zum Ausdruck zu bringen. Während G r o tius als signa die Manifestation des Willens durch äußerlich erkennbare Indizien forderte, genügte Pufendorf ein pactum tacitum. Eine Verpflichtung konnte stillschweigend begründet werden, die konkludente Verpflichtungserklärung hatte somit Anerkennung gefunden. 111 Das Element, welches die Verpflichtung zum Entstehen brachte, waren der Konsens oder besser die Konsense. Pufendorf sah die Annahme als eigenständigen Konsens, setzte folglich eine vertragliche Verpflichtung nicht aus übereinstimmenden Willenserklärungen, sondern voneinander unabhängigen, selbständigen Konsensen zusammen. 112 Den Inhalt der K o n sense gab Pufendorf weitgehend frei, schuf aber durch seine Systematisierung der Leistungspflichten einen besonderen Teil der Schuldverhältnisse. Der Inhaltskontrolle gab Pufendorf durch sein Systematisierungsbestreben ebenfalls einen wichtigen Anstoß, indem er die Rechtsmaterie der pacta turpia sowie der conditio impossibilis et turpis abschließend in einzelnen Paragraphen 113 regelte und somit die kasuistische Behandlung in den einzelnen Codex- und Digestentiteln aufgab. Den Anwendungsbereich der laesio enormis schränkte Pufendorf weitgehend ein, da sich ein gerechter Preis in der Praxis kaum feststellen lasse; aus seiner Sicht wurde gegen die mores commerciorum nicht verstoßen, wenn mit Geschäften Gewinn erzielt wurde. 114 Pufendorf betonte mithin in seinem Werk »De Iure N a turae et Gentium Libri O c t o « die Vertragsfreiheit in den Ausprägungen der A b schluß- sowie Inhaltsfreiheit und strukturierte Voraussetzungen und Erscheinungsformen der Verträge weitgehend neu. 115 Ausgangspunkt blieb die Versprechenslehre von Grotius - wenn auch in modifizierter Form. Die Wende hin zum Konsens im Sinne übereinstimmender Willenserklärungen gelang Thomasius und Wolff. In seiner Schrift »Institutiones Iurisprudentiae Divinae« (7. Aufl. 1730, Neudruck 1963) schilderte Christian Thomasius den Vertrag als Ubereinstimmung zweier Personen. 1 1 6 Der Leipziger und Hallenser Hochschullehrer hob die N o t 111 De Iure Naturae et Gentium Libri O c t o III, VI, 2: »Iste consensus etsi regulariter per signa, puta voces, literas, nutusque exprimi soleat; aliquando tarnen contingit, ut ille citra eiusmodi signa ex ipso negotio, et aliis circumstantiis colligatur.« Vgl. Nanz, Entstehung, S. 154; Tosch, Entwicklung, S.29f. 1 1 2 De Iure Naturae et Gentium Libri O c t o III, VI, 15: »Ut promissio sit valida, requiri non solum consensum eius, qui promittit, sed et eius, cui promittitur.« Vgl. Nanz, Entstehung, S. 152 ff.; Tosch, Entwicklung, S.30. 1 1 3 III. Buch, VII. Kapitel, § 7: »Pacta turpia, re integra non obligant.« und § 8: »Quin nec turpia opera iam praestita« sowie § 5 des VIII. Kapitels des VIII. Buches: »Conditio impossibilis et turpis.« 114 Schulze, laesio enormis, S. 36; Schmidt, Lehre, S. 69ff.; Welzel, Naturrecht, S. 141 ff.; Tosch, Entwicklung, S.31; zurückhaltend Becker, laesio enormis, S. 34f. 115 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, § 17 III, 4; Lipp, Naturrecht, S. 142, 147; Nanz, Entstehung, S. 152, 156; Schmidt, Lehre, S. 71; Dießelhorst, Vermögensrechtssystem, S.25f., 53ff.; Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, § 1 9 IV; Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 82; Tosch, Entwicklung, S.31. 1 1 6 Institutiones Iurisprudentiae Divinae II, VII, 4: »Pactum est duorum in idem placitum de dando aliquo vel faciendo consensus.« Vgl. als Vorbild Ulp. D.2.14.1.2. Allgemein zu der Lehre
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wendigkeit einer Annahmeerklärung hervor; darin sah er nicht mehr eine einseitige Zustimmung zum Rechtsverlust, sondern definierte den Vertrag als consensus im Sinne einer Willensübereinstimmung: »Causa proxima constituendi pactum est consensus, isque mutuus, etiamsi ipsum pactum non sit mutuum.« 1 1 7 Die isolierte Betrachtung von Vertrag und Konsens war damit aufgegeben. Thomasius durchbrach die Einseitigkeit der Versprechenslehre und begründete einen allgemeinen Vertragsbegriff im Sinne des Konsenses. 118 Darüber hinaus verzichtete er auf die bei Grotius wie Pufendorf anzutreffende Aufspaltung des Vertragssystems in zwei kaum logisch miteinander in Einklang zu bringende Teile (contractus, pactum) und trat für einen einheitlichen Vertragsbegriff ein. 119 Dem naturrechtlichen Postulat von Gleichheit und Freiheit folgend waren Abschluß und inhaltliche Gestaltung dieses Vertrages den Parteien überlassen. 120 Mit dem Rechtssystem des Professors für Mathematik, Natur- und Völkerrecht in Halle und Marburg, Christian Wolff, fand die Naturrechtslehre in Deutschland ihren Höhepunkt und Abschluß. 121 Der naturgewollte Gesellschaftszustand gründete sich nach Wolff darauf, daß alle Individuen in Freiheit ihrer Pflicht zur Selbstvervollkommnung nachgingen und dazu mit gleichen Rechten auszustatten seien. 122 Aus diesem Sozialsystem der Gleichberechtigung leitete er die Grundannahmen seines Vertragsrechts ab. Alle Menschen sollten in freier Selbstbestimmung verbindliche Abreden mit einem in Verhandlungen gefundenen Inhalt abschließen können; die hierarchische Gesellschaftsordnung lehnte Wolff ab. 123 von Thomasius siehe Rüping, Die Naturrechtslehre des Christian Thomasius und ihre Fortbild u n g in der Thomasius-Schule, 1968; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, § 18 II; Stromberg, J Z 1975, 56. 117 Institutiones Iurisprudentiae Divinae II, VII, 1, n.6. 118 Vgl. Nanz, Entstehung, S. 159,164; Tosch, Entwicklung, S. 32; Mayer-Maly, in: Rechtsgeltung u n d Konsens, S. 103 f.; Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, § 2 0 I. 119 Institutiones Iurisprudentiae Divinae II, VII, 1, n.5, II, XI, n.59; vgl. Ebner, Kritik des römischen Rechts bei Christian Thomasius, 1971, S. 212ff.; Nanz, Entstehung, S. 163; Tosch, Entw i c k l u n g , S.32f. 120 Institutiones Iurisprudentiae Divinae II, VII, 12: » U t itaque promissio ad eleciendam obligationem requiritur, quia citra eam par non potest paris inviti libertatem restringere, ita nec sine acceptione pactum est, quia nemo invito vult rem suam obstrudere.« Der Reszission w e g e n laesio enormis steht Thomasius ablehnend gegenüber, im einzelnen Becker, laesio enormis, S. 36ff.; Schulze, laesio enormis, S. 37; z u m Verstoß gegen gesetzliche Verbote und z u m Begriff der Sittenwidrigkeit bei T h o m a s i u s siehe Schmidt, Lehre, S. 71 ff. 121 Hattenhauer, Grundlagen, R n . 4 9 ; Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, § 2 0 ; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, § 1 8 III; zurückhaltend Lipp, Naturrecht, S. 149f.; Conrad, Rechtsgeschichte Bd. II, S. 376. 122 Wolff, Institutiones juris naturae et gentium, 1750, § § 4 8 , 69, 74. A l s erster Naturrechtler hat Wolff seine Thesen nicht nur in lateinischer Sprache, sondern auch in wörtlicher deutscher Ubersetzung unter dem Titel » G r u n d s ä t z e des Natur- u n d Völkerrechts« (1754, N a c h d r u c k 1980) veröffentlicht. Bei diesen W e r k e n handelt es sich u m A u s z ü g e aus seinem umfassenden, nicht übersetzten naturrechtlichen Lehrbuch » J u s naturae methodo scientifica pertractatum« (8 Bände, 1740-1748). 123 Grundsätze des Natur- u n d Völkerrechts, § 48: » S o ist die Verbindlichkeit, die der Mensch
1. Kapitel: Die historische Entwicklung
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Als Grenze der inhaltlichen Gestaltungsfreiheit sah Wolff einen schändlichen Vertrag an: »Pactum turpe servandum non est, nec ullam producit obligationem, imrao in genere pactum legi cuicumque contrarium Obligatorium non est.« 124 Ein »factum turpe« war definiert als Verstoß gegen das Naturgesetz. Hier zeigt sich - wie auch bei Grotius, Pufendorf und Thomasius - die enge Verbindung von Recht und Moral: »Die Fähigkeit oder das moralische Vermögen etwas zu tun oder zu unterlassen, wird das Recht genannt.« 125 Der laesio enormis stand Wolff kritisch gegenüber, obgleich auch er die Gefahr einer unangemessenen Preisbildung sah. Inwieweit damit gegen naturrechtliche Wertungen verstoßen werde, ließ Wolff allerdings offen. 126 Als allgemeinen ( O b e r - ) B e g r i f f für zivilrechtliche Vereinbarungen verwandte Christian Wolff erstmals die Bezeichnung »Vertrag«. 1 2 7 Zustande kam dieser durch Konsens der Parteien im Sinne von A n g e b o t und Annahme. Dogmatisch blieb W o l f f weitgehend der Versprechenslehre verbunden, 1 2 8 arbeitete die N o t wendigkeit einer Annahme aber klar heraus. 1 2 9 Wolff betonte daneben die F o r m und Inhaltsfreiheit sowie den Konsens als causa des Vertrages. D i e systematische Darstellung und das in sich geschlossene, übersichtlich gegliederte und in deutscher Sprache verfaßte System zivilrechtlicher Verträge waren die Ursachen für die überragende Bedeutung seiner Schriften für das Privatrecht. 1 3 0 Als Resümee ist festzustellen, daß nach der Vorstellung der Naturrechtslehre das menschliche Zusammenleben nicht nur von überlegener Macht, bloßer faktischer Realität beeinflußt wird, sondern daß etwas existiert, das die Menschen unabhängig von einem Befehl zu bestimmtem Handeln verpflichtet. D e r Gedanke des unbedingten Verpflichtet-Seins erfordert danach als notwendiges Korrelat die verantwortliche Person. D e n n während die positivistische O r d n u n g die M e n schen als bloßes O b j e k t kausaler Machteinwirkung auffaßt, legt die Verpflichtung den Menschen eine eigene Verantwortung für die sinnhafte Lebensgestaltung auf und macht sie zum Subjekt. Die Naturrechtslehre ging folglich davon aus, daß die Menschen auch im R a h m e n staatlicher O r d n u n g ihre natürliche Freiheit sowohl im Verhältnis zum Staat als auch untereinander behielten. Das Recht zum (weitgehend unbeschränkten) Vertragsschluß wurde als natürliches Recht angesehen. Die liberalen Lehren des ausgehenden 18. Jahrhunderts wurden so zur Keimzelle der persönlichen Freiheit, der bürgerlichen Gleichheit und damit der
als solcher erfüllen muß, bei allen Menschen dieselbe. Folglich sind auch die Rechte, die dem Menschen zukommen, insofern er Mensch ist, bei jedem Menschen die gleichen.« 124 Jus naturae, methodo scientifica pertractatum IV, §711. 125 Wolff, Grundsätze des Natur- und Völkerrechts, § 46. 126 Vgl. Becker, laesio enormis, S.33f.; weitergehend Schulze, laesio enormis, S.35, 63. 127 Ebenso Nanz, Entstehung, S. 165; anders Bartsch, AcP 153 (1954), S.421, dagegen zutreffend Nanz, a.a.O., Fn.233. 128 Grundsätze des Natur-und Völkerrechts, §§379,381; vgl. auch Tosch, Entwicklung, S. 36f. 129 Jus naturae methodo scientifico pertractatum III, § 365: »Consensus nullus intelligitur sine acceptatione.« 130 Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn.275; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, §18 III; Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 88; Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S.458; Nanz, Entstehung, S. 169.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
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Privatautonomie als rechtlichem Grundprinzip. 1 3 1 N a c h naturrechtlicher Einschätzung zählt das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen zu jenen unveräußerlichen Menschenrechten, die jedem Individuum kraft seines Personseins zustehen. Das Selbstverwirklichungsrecht des einzelnen beruht aus der Sicht der N a turrechtslehre nicht auf staatlicher Verleihung. Dementsprechend ist es der Rechtsordnung verwehrt, die Rahmenbedingungen als v o m Staat abgeleitete Rechtspositionen beliebig zu konkretisieren; die Rechtsordnung kanalisiert eine vorstaatliche Rechtsposition und verleiht ihren immanenten Schranken normative Gestalt. I m Naturrecht wurde die freie, gesetzlich kaum reglementierte Vertragsgestaltung als »Hebel dieser Welt« angesehen und zum »Universalwerkzeug der Gerechtigkeit«. 1 3 2 M i t dem detaillierten Entwurf eines vernunftrechtlichen Gesamtsystems durch Christian Wolff waren die wissenschaftlichen Vorarbeiten für eine Kodifikation der Naturrechtslehre abgeschlossen.
3.
Naturrechtskodifikationen
D i e Idee eines nach Vernunftrechtsprinzipien geordneten Rechtslebens sollte nach ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitung durch Kodifikation praktisch umgesetzt werden. 1 3 3 D i e Positivierung erfolgte in einem ersten Ansatz im C o d e x M a ximilianeus Bavaricus Civilis von 1756. Das Gesetzeswerk war noch stark romanistisch geprägt und stand in der Tradition der alten römischen Vertragskategorien; das pactum nudum wurde nicht berücksichtigt, Formfreiheit allerdings war weitgehend anerkannt. 1 3 4 Erst das Allgemeine Gesetzbuch für die Preußischen Staaten, das unter der B e zeichnung Allgemeines Landrecht am 1. J u n i 1794 für das gesamte preußische Staatsgebiet in Kraft trat, löste das gemeine römische R e c h t als solches endgültig ab und gestaltete die Rechtsordnung umfassend im Sinne der Naturrechtslehre. E s ordnete in 19.194 Vorschriften das Privat- und Handelsrecht ebenso wie das materielle Strafrecht und Teile des Verwaltungsrechts. I m Aufbau orientierte sich das Allgemeine Landrecht vor allem an der Strukturierung von Wolff. 1 3 5 Das Privatrecht wurde in Teil I behandelt; dem R e c h t der Personen und Sachen folgte das Recht der Willenserklärungen und Verträge. Das Allgemeine Landrecht ließ einen Vertrag durch die »Annahme eines gültigen Versprechens« 1 3 6 Zustandekommen. Weitergehend als Wolff behandelte das Allgemeine Landrecht A n g e b o t und Annahme als selbständige Willenserklärungen und faßte deren Erfordernisse un131 Zur überragenden Bedeutung der Naturrechtslehre für das Prinzip der Vertragsfreiheit siehe Mayer-Maly, Handwörterbuch Bd.5, Sp.855ff. 132 Meyer-Cording, Rechtsnormen, S. 13f. 133 Zum Kodifikationsstreben der Naturrechtslehrer Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 89; Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, §21; Conrad, Rechtsgeschichte Bd. II, S. 382ff. 134 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, §19 I 3; Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn.288; Nanz, Entstehung, S. 170ff.; vgl. auch Kobler, Handwörterbuch Bd 1, Sp. 338f. 135 Laufs, Rechtsentwicklungen, S. 151; Hattenhauer, Rechtsgeschichte, S. 459; Gmür, Grundriß, Rn.315. 136 Allgemeines Landrecht I, 5, §79; vgl. Conrad, Rechtsgeschichte Bd. II, S.387ff.
1. Kapitel: Die historische
Entwicklung
35
ter dem Titel »Von Willenserklärungen« im vierten Kapitel des ersten Teils zusammen. 137 Willenserklärungen konnten grundsätzlich formfrei abgegeben werden, auf die Förmlichkeiten des römischen Rechts kam es nicht an. In den §§ 131— 184 zählte das Allgemeine Landrecht lediglich einzelne Ausnahmefälle vom Prinzip der Formfreiheit auf.138 §39 des 5. Kapitels beschrieb den Grundsatz der Inhaltsfreiheit von Verträgen: »Uber alles, was der Gegenstand einer rechtsgültigen Willenserklärung sein kann, 139 können auch Verträge geschlossen werden.« Das Allgemeine Landrecht war damit das erste deutsche Gesetzbuch, das die Vertragsfreiheit in ihren wesentlichen Ausprägungen positiv regelte.140 Stand das Allgemeine Landrecht auch ganz im Zeichen der naturrechtlichen Bindungsfreiheit (libertas naturalis), so enthielt es - seiner kasuistischen Grundhaltung entsprechend - doch einzelne Grenzen der Privatautonomie. So ordnete §6 des 4. Kapitels an, daß durch Willenserklärungen, die gegen die Gesetze verstoßen, keine Verpflichtung begründet wird. Diese Regelungen beschränkten aber die umfassende Gestaltungsfreiheit kaum; in erster Linie dienten sie der Verwirklichung familienrechtlicher Vorstellungen.141 Ein allgemeines Verbot sittenwidriger Rechtsgeschäfte fehlte im Allgemeinen Landrecht. Dies erklärt sich aber nicht nur aus der liberalen Grundhaltung, sondern auch aus der Abneigung gegenüber Generalklauseln; den Gerichten sollte möglichst kein Entscheidungsspielraum gelassen, das Recht konkret und für alle Bürger verständlich formuliert werden. 142 Die §§58 bis 69 im 11. Kapitel (»Von der Verletzung über die Hälfte«) enthielten eine Ausgewogenheitsregel, die der gemeinrechtlichen laesio enormis im Ergebnis nahe kam. 1 4 3 § 58 stellte zunächst fest, daß ein Mißverhältnis zwischen Kaufpreis u n d Wert der Kaufsache f ü r sich allein den Vertrag noch nicht entkräften kann. N u r w e n n der Kaufpreis den wirklichen Wert der Sache u m das D o p p e l t e überstieg, bestand nach der Ausnahmeregelung in § 59 ein Anfechtungsrecht wegen Irrtums. Vertragsstrafen durften überdies das D o p p e l t e des Interesses nicht übersteigen. 1 4 4
Als weitere vom Wölfischen Naturrechtssystem stark geprägte Gesetze traten in Europa 1804 der (französische) Code civil und 1811 das (österreichische) Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft. Beide Kodifikationen gingen wie das 137
Vgl. insbesondere Allgemeines Landrecht I, 5, §§4, 78. Allgemeines Landrecht 1,4, § 94; vgl. auch 1,5, § 109; dazu Luig, AcP 194 (1994), 521,531 f.; Nanz, Entstehung, S. 182. 139 »Alle Sachen und Handlungen, auf welche ein Recht erworben, oder andern übertragen werden kann, können Gegenstände der Willenserklärungen sein.«, Allgemeines Landrecht I, 4, §5. 140 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, § 19 2b. 141 Vgl. Allgemeines Landrecht I, 4, §§6-13, insbesondere §§10, 11, 12. Siehe auch Schmidt, Lehre, S.80f. 142 Näher Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 102; Gmür, Grundriß, Rn.315. 143 Im einzelnen Becker, laesio enormis, S.81f., 162f.; Luig, AcP 194 (1994), 521, 533f.; Schmidt, Lehre, S. 83; Schulze, laesio enormis, S. 83ff. mit Hinweis auf die maßgeblichen Überlegungen von Carl Gottlieb v. Svarez sowie die »wohlfahrtsstaatliche« Zielrichtung auf S. 85, 91. 144 Allgemeines Landrecht I, 5, §301. 138
36
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicber
Selbstgestaltung
Allgemeine Landrecht von der modernen Vertragslehre aus: Konsensualität, Inhalts- und Formfreiheit waren wesentliche Elemente des Privatrechts. 145 Die Möglichkeit, die neu gewonnene gestalterische Freiheit zum Nachteil der unerfahrenen, wirtschaftlich unterlegenen Bürger zu mißbrauchen, rückte zunehmend in das Interesse des Gesetzgebers. 146 A B G B und Code civil wollten Mißbräuchen der Vertragsfreiheit entgegenwirken, indem sie - anders als das Allgemeine Landrecht mit seiner ausgeprägten Kasuistik - allgemeine Regeln aufstellten. 147 In der Praxis gewannen diese vornehmlich familienrechtlichen Einschränkungen jedoch kaum an Bedeutung; jeder erlaubte Gegenstand konnte zum Inhalt eines Vertrages gemacht werden. Die Naturrechtskodifikationen waren dem individualistischen Freiheitsdenken des Naturrechts eng verhaftet. Im ausgehenden 18. sowie im beginnenden 19. Jahrhundert hatten die Vertragslehre und damit einhergehend die Idee umfassender Bindungsfreiheit die Ausformung erreicht, die im wesentlichen bis heute die Privatrechtsordnung als Grundaussage beherrscht.
V. Kodifikation des Bürgerlichen Gesetzbuches im 19. Jahrhundert Das 19. Jahrhundert war von dem Wandel von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft geprägt; das Ideengut der Aufklärung und der französischen Revolution sowie die fortschreitende Industrialisierung fanden ihren Niederschlag im Liberalismus. 148 In den Mittelpunkt gesellschaftlicher und rechtlicher Überlegungen traten Gleichheit wie Freiheit des einzelnen. Die ständische Ordnung mit ihrer Untergliederung in Adel, Bürger und Bauern wurde abgeschafft. Für Deutschland brachte das 19. Jahrhundert im Gefolge dieser Umwälzungen die ersten modernen Verfassungen, die in ihren Grundrechtsteilen von Freiheit und Gleichheit ihrer Staatsbürger ausgingen. Einher mit der verfassungsrechtlichen Entwicklung ging das Streben nach einer modernen, die verfassungsrechtlichen Vorgaben umsetzenden Privatrechtsordnung. Die Kodifikation bürgerlicher Rechtsordnungen in Frankreich, Osterreich sowie Preußen war eine weitere Ursache für die Forderung nach einer einheitlichen Zivilrechtskodifikation für das gesamte Deutschland. 149 Der Streit um Notwendigkeit und zeitliche Reife für ein 145 Vgl. Kaiser, Vertragsfreiheit und Gesellschaftsordnung, S. 99; Köhler, Rechtsgeschichte, § 6 B I; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, §19 III, IV; Tosch, Entwicklung, S.46f.; Nanz, Entstehung, S. 184f., 191; zur Inhaltsfreiheit siehe beispielsweise § 878 S. 1 ABGB: »Über alles, was im Verkehre steht, und was man andern übertragen darf, können Verträge geschlossen werden.« Die volle Anerkennung der Vertragsfreiheit ist deutlich ausgesprochen in Art. 1134 C.c.: »Les conventions légalement formées tiennent lieu de loi a ceux qui les ont faites.« 146 Vgl. Schmidt, Lehre, S. 83ff., 86ff.; Nanz, Entstehung, S. 186. 147 §878 S.2 ABGB, Art. 1108, 1133 C.c. 148 Vgl. allgemein Coing, Handbuch III/3, S. 2846ff.; Laufs, Rechtsentwicklungen, S. 171 ff.; Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, Kap. 46; Kaiser, Vertragsfreiheit und Gesellschaftsordnung, S.39ff.; Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S.553ff., 645ff.
149
Vgl. Coing, Handbuch III/l, S.7ff.
1. Kapitel: Die historische Entwicklung
37
allgemeines, homogenes deutsches Gesetzbuch zwischen Friedrich Karl von Savigny und A n t o n Justus Thibaut 1 5 0 verhinderte zunächst eine Neuregelung, die Auseinandersetzung brachte aber für das Verständnis der Vertragsfreiheit sachlich keine wesentlichen Neuerungen. A u c h Savigny sah den Vertrag als die »Vereinigung Mehrerer zu einer übereinstimmenden Willenserklärung, wodurch ihre Rechtsverhältnisse bestimmt werden.« 1 5 1 Seine Überlegungen zum Vertragssystem entsprachen der überwiegenden Auffassung seiner Zeit, waren folglich von der Freiheit des Individuums als zentraler These geprägt. Das R e c h t habe für die Rahmenbedingungen der freien Entfaltung des individuellen Willens zu sorgen; die inhaltliche Ausgestaltung der Verträge war nach Savigny Sache der Parteien. 1 5 2 Infolgedessen betonte er trotz seiner Wertschätzung der römischen Stipulation für das geltende R e c h t die Formfreiheit der Rechtsgeschäfte. 1 5 3 Savigny, der sich zu einer »strengen historischen M e t h o d e der Rechtswissenschaft« 1 5 4 bekannte, war der Begründer der historischen Rechtsschule und damit der Pandektistik. A u c h die Pandektenwissenschaft, deren Ziel es war, auf der Grundlage des C o r pus Iuris Civilis eine neue, die Partikularrechte übergreifende Rechtsordnung zu entwickeln, blieb dem Primat der Vertragsfreiheit verhaftet. 1 5 5 Das Scheitern der Revolution von 1 8 4 8 / 1 8 4 9 und die »Industrielle Revolution« begünstigten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Entwicklung einer einheitlichen Zivilrechtsordnung; die mit der territorialen Zersplitterung einhergehende Rechtsvielfalt wurde den Bedürfnissen des Wirtschaftsverkehrs nicht mehr gerecht. 1 5 6 N a c h d e m 1849 die Allgemeine deutsche Wechselordnung und 1861 ein Allgemeines deutsches Handelsgesetzbuch beschlossen
wurden, 1 5 7
machte nicht zuletzt die Reichsgründung 1871 ein einheitliches bürgerliches Recht notwendig und durch die Ausweitung der Gesetzgebungskompetenz des Reiches auf das gesamte bürgerliche R e c h t im Jahre 1873 auch möglich. 1 5 8 D i e drei Entwürfe sowie das im Anschluß daran verkündete Bürgerliche Gesetzbuch 150 Im einzelnen Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S.542ff.; Benöhr, JuS 1974, 681 ff. m. weit. Nachw.; vgl. auch die von Hattenhauer herausgegebene Neuausgabe, Thibaut und Savigny. Ihre programmatischen Schriften, 1973. 151 Savigny, System Bd. 3, S.309. 152 Savigny, System Bd. 3, S. 171 f.; ders., Obligationenrecht Bd. 1, S. 382f.; dazu Schmidt, Lehre, S. 103 ff. 153 Savigny, Obligationenrecht Bd. 2, S.242. 154 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814, S. 117. Vgl. auch Coing, JuS 1979, 86ff. 155 Luig, Handwörterbuch Bd. 3, Sp. 1423, m. weit. Nachw. 156 Kaiser, Vertragsfreiheit und Gesellschaftsordnung, S. 117ff.; Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn. 537ff., 574ff.; Zöllner, JuS 1988, 329, 330; Laufs, JuS 1980, 853f.; Söllner, Handwörterbuch Bd. 3, Sp. 1976f.; Coing, Handbuch III/l, S. 14ff.; Grimm, Handbuch III/l, S.72ff.; Dölemeyer, Handbuch III/2, S. 1601 f. 157 Beide Gesetze zielen auf eine Liberalisierung des Wirtschaftsverkehrs; so regelt beispielsweise Art. 317 ADHGB den Grundsatz der Formfreiheit und setzen die Art. 317-323 ADHGB Inhaltsfreiheit voraus. Zu ADWO und ADHGB Benöhr, ZfA 1977, 187ff.; Huber, JZ 1978, 785ff.; Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 144ff. 158 Laufs, JuS 1973, 740ff.; ¿m.,JuS 1980, 853, 856; Grimm, Handbuch III/l, S.106.
38
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
für das Deutsche Reich waren von der Pandektenwissenschaft geprägt und damit den Vorstellungen des Liberalismus verpflichtet. 1 5 9 Freiheit und Gleichheit aller Bürger bilden das ungeschriebene Fundament des B G B . Das Gesetz geht von dem Leitbild des selbstverantwortlichen, seine Angelegenheiten autonom regelnden Bürgers aus. Dementsprechend räumt es vor allem im Vertragsrecht dem einzelnen weitgehende persönliche Handlungsfreiheit und der Wirtschaft umfassenden Gestaltungsspielraum ein. D i e erste Kommission formulierte deshalb, daß nach dem Grundprinzip der Vertragsfreiheit, »von welchem das Recht der Schuldverhältnisse beherrscht wird«, die Parteien ihre »Rechts- und Verkehrsbeziehungen nach ihrem Ermessen mit obligatorischer Wirkung unter sich bestimmen« können, »soweit nicht allgemeine oder bestimmte einzelne absolute Gesetzesvorschriften entgegenstehen.« 1 6 0 Einschränkungen der Vertragsfreiheit waren ausnahmsweise dann zugelassen, wenn gegen das Gesetz oder die guten Sitten verstoßen wurde. Die Sittenwidrigkeitsschwelle war hoch angesetzt: »Andererseits ist gewiß, daß das G e b i e t der Sittenpflichten mit demjenigen der Rechtspflichten sich nicht deckt und daß nicht jedes v o m Standpunkt der Sittlichkeit verwerfliche Rechtsgeschäft nichtig sein kann. D i e G r e n z e ist dahin zu ziehen, daß Nichtigkeit eintritt, wenn der Inhalt eines Rechtsgeschäftes unmittelbar, in objektiver Hinsicht und unter Ausscheidung der subjektiven Seite, die guten Sitten verletzt.« 1 6 1 In das B G B wurde die laesio enormis ebenso wie in das A D H G B nicht aufgenommen. Zahlreiche Kontroversen, die sich im Zusammenhang mit der Reszission wegen laesio enormis ergeben hatten und mangelnde praktische N o t w e n d i g keit ließen diese Rechtsfigur entbehrlich erscheinen. D a die laesio enormis zudem in den Partikularrechten verschiedenartig ausgestaltet war, sah man im Falle ihrer Beibehaltung nicht nur den Gestaltungsspielraum, sondern auch die Rechts- und Verkehrssicherheit als gefährdet an. Aufgrund ihrer starren und sehr schematischen Bewertungstechnik erschien die Quotenregelung als unbrauchbar. 1 6 2 Als unvereinbar mit der liberalen Grundtendenz wurde ebenfalls die noch im Allgemeinen Landrecht normierte (I, 5, § § 3 7 7 f f . ) clausula rebus sie stantibus angesehen. Eine Änderung der Umstände sollte außer in den im Gesetz besonders geregelten Umständen auf die Wirksamkeit vertraglich begründeter Rechtsverhältnisse keinen Einfluß haben. 1 6 3 Das alte kanonische G e b o t des iustum pretium entsprach in den Augen des Gesetzgebers nicht dem Gedanken der Vertragsfreiheit.
159 Dölemeyer, Handbuch III/2, S. 1611; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, §25 IV; Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn.581f.; Kroeschell, Rechtsgeschichte, S.18ff.; Hattenhauer, Grundlagen, Rn.307f.; Laufs, Rechtsentwicklungen, S.265. 160 Motive II, S.2 = Mugdan II, S. 1. 161 Motive I, S.211 = Mugdan I, S.469. 162 Motive II, S. 321 = Mugdan II, S. 178; vgl. auch Braun, Einführung, S. 163\Henssler, Risiko, S.203f.; Schulze, laesio enormis, S. 110f.; Becker, laesio enormis, S. 170ff. 163 Motive II, S. 199, 315 = Mugdan II, S. 109, 175; Ausnahmeregeln sind die Vermögensverschlechterung (der heutige §321 BGB) und das Darlehensversprechen (§610 BGB); vgl. auch Tosch, Entwicklung, S. 120ff.
1. Kapitel: Die historische Entwicklung
39
D e m Gesetzgeber kam es darauf an, den Willen der Parteien und ihre Abreden zu respektieren: »Die Vertragsfreiheit müsse gemäß ihrer Bestimmung, den Interessen der Einzelnen zu dienen, auch einen Vertrag von ungewöhnlichem Inhalte gestatten. Ein schutzwürdiges Interesse müsse freilich erfordert werden, aber schutzwürdig sei jedes Interesse, welches sich innerhalb des v o m Gesetze der individuellen Freiheit gewährten Gebietes halte.« 1 6 4 Kritik fand der privatautonome G r u n d t e n o r in den Entwürfen des B G B vor allem aufgrund seiner Auswirkungen im Arbeitsrecht. 1 6 5 D i e freie Gestaltung des Arbeitsvertrages, wie sie in § 1 3 4 der preußischen Gewerbeordnung von 1845 und § 1 0 5 der G e w e r b e o r d nung des Norddeutschen Bundes von 1869 ihren Niederschlag gefunden hatte 1 6 6 und auch in das B G B übernommen worden ist, brachte nach A n t o n Menger lediglich die U b e r m a c h t der besitzenden Klassen innerhalb der Gesellschaft zum Ausdruck. D i e Freiheit der Vertragsparteien, die häufig nur zum Schein bestehe, müsse im B G B eingeschränkt werden. 1 6 7 Ahnlich äußerte sich Eugen Dühring zum B G B - E n t w u r f . D i e Vertragsfreiheit müsse begrenzt werden, und vor allem im Arbeitsrecht solle statt der Privatverträge öffentliches zwingendes Recht gelten. 1 6 8 Scharf kritisierte O t t o v. Gierke das freie Spiel der Kräfte. Vertragsfreiheit stelle als »furchtbare Waffe in der H a n d des Starken« und als »stumpfes W e r k zeug in der H a n d des Schwachen« ein »Mittel der Unterdrückung des Einen durch den Anderen, der schonungslosen Ausbeutung geistiger und wirtschaftlicher U b e r m a c h t « dar. Gierke forderte ein soziales Privatrecht, in dem dem freien Spiel der Einzelwillen Schranken gesetzt werden; dem Entwurf fehle »ein Tropfen sozial(istisch)en Öles«. 1 6 9 D e r Staat müsse auf dem Wege der Gesetzgebung die Vertragsfreiheit einschränken. 1 7 0 D i e Kritik fand im B G B kaum Berücksichtigung; der Gesetzgeber erkannte dem Privatrecht bewußt keine maßgebliche soziale Aufgabe zu. D e r Schutz Schwächerer wurde nur in vereinzelten N o r m e n des B G B und in wenigen S o n dergesetzen wie dem Abzahlungsgesetz von 1894 berücksichtigt. 1 7 1 I m SchuldMotive II, S.2 = Mugdan II, S. I. Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht 1, S. 3 ff.; darauf wird im 4. Teil zurückzukommen sein. 166 »Die Festsetzung der Verhältnisse zwischen Gewerbetreibenden und Arbeitern ist Gegenstand freier Ubereinkunft.« Koalitionen waren nicht zugelassen; die Privatautonomie des Arbeitsrechts war beschränkt auf das Einzelarbeitsverhältnis. Vgl. die Ausführungen im 12. Kapitel (S.487ff.). 167 Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, 1968 (Nachdruck der 4. Aufl. 1908), S. 9ff., 3Off. Zusammenfassend zur Kritik Dölemeyer, Handbuch III/2, S. 1608f., m. weit. Nachw. 168 Dühring, Cursus der Philosophie als streng wissenschaftlicher Weltanschauung und Lebensgestaltung, 1875, S. 281 f. 169 v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts. Vortrag vom 5. April 1889 (Nachdruck 1948), S. 10ff., 23ff., 28f.; vgl auch Mertens, JuS 1971, 508, 511. 170 Vgl. auch v. Gierke, a.a.O., S.23: »Mehr als je hat heute das Privatrecht den Beruf, den Schwachen gegen den Starken, das Wohl der Gesamtheit gegen die Selbstsucht des einzelnen zu schützen.« 171 Vgl. Hönn, JuS 1990, 953, 954. 164
165
40
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
und Sachenrecht dominierten die Interessen der bürgerlichen Wirtschaftsgesellschaft. Korrektive der Vertragsfreiheit hielten die Väter des Bürgerlichen Gesetzbuches angesichts ihres Leitbildes des vernünftigen, selbstverantwortlichen und urteilsfähigen Bürgers, der von einer gleichberechtigten Position aus in Verhandlungen eine interessengerechte, ausgewogene Vereinbarung trifft, für überflüssig. 172 Die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches waren der pandektistischen Tradition verhaftet, die sozialen Erwägungen nur unerhebliche Bedeutung zusprach. Deutlich zeigt sich dies unter anderem 173 im Mietrecht. Obgleich im 19. Jahrhundert aufgrund der Landflucht und Verstädterung das Wohnungsproblem offensichtlich geworden war, wurden Aspekte eines besonderen Mieterschutzrechts bei den Beratungen über die Kodifikation des B G B nicht einmal diskutiert. Es galt auch hier der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Erst die Folgen der Weltkriege führten zu einem Mietnotrecht, das zahlreiche Komponenten eines sozialen Mietrechts enthielt, nämlich beispielsweise Vorschriften zu Kündigungsschutz und zur Mietpreisbindung. Diese in zahlreichen Sondergesetzen geregelte umfassende Wohnraumbewirtschaftung wurde in den Nachkriegsjahren schrittweise wieder abgebaut. Soziale Inhalte wurden zum Teil in das Mietrecht des B G B übernommen, so daß das heutige Mietrecht zahlreiche Vorschriften vorsieht, die soziale Belange berücksichtigen. 174 Das am 1. Januar 1900 in Kraft getretene B G B ging mithin von einer Privatrechtsgesellschaft aus. Eine materiale Vertragsethik spielte keine Rolle; die Gestaltungsfreiheit sollte weder durch Gesetze noch durch Richterrecht maßgeblich begrenzt werden. Zwingende N o r m e n bildeten die Ausnahme; die schuldrechtliche Rechtsordnung war im Grundsatz dispositiv ausgeformt. 1 7 5 Generalklauselartige Vorschriften, die dem Richter unter Umständen einen Wertungsspielraum bei der Beurteilung von Verträgen ermöglichen könnten, wurden in das Bürgerliche G e setzbuch nur in geringer Zahl aufgenommen und sollten nach den Vorstellungen des Gesetzgebers in der Praxis keine bedeutende Rolle spielen. D e r Gesetzgeber ging von einer äußerst zurückhaltenden Anwendung von Generalklauseln aus. 1 7 6 D e r Betonung der Vertragsfreiheit entsprach das Richterleitbild des Liberalismus; das Gericht sollte als passiver Schiedsrichter in einem von den Parteien vorgegebenen R a h m e n fungieren und sich eine Einmischung in Belange der Parteien versagen. D i e Civilprozeßordnung, am 1 . 1 0 . 1 8 7 9 als eines der Reichsjustizgesetze in Kraft getreten, betrachtete den Zivilprozeß als Privatangelegenheit der Parteien und stellte demzufolge in A b k e h r von der gemeinrechtlichen Eventualmaxime die Parteiherrschaft in den Mittelpunkt. D e r Richter sollte nicht H e r r des Verfahrens, sondern dessen Diener sein. D i e Idee einer materiellrechtlichen Privatautonomie im 19. Jahrhundert fand ihr formelles Pendant im Dispositions- und Beibringungsgrundsatz sowie im Parteibetrieb. 1 7 7 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §2 Rn.39ff., m. weit. Nachw. Zum Arbeitsrecht im 4. Teil (S.485ff.). 174 Ausführlich, m. zahlr. weit. Nachw. Honseil, AcP 186 (1986), 115, 119ff. 175 Zöllner, Privatrechtsgesellschaft, S. 19. 176 Hühner, Kodifikation und Entscheidungsfreiheit, S. 55ff., 62ff., m. zahlr. weit. Nachw. 177 Im einzelnen Bettermann, ZZP 91 (1978), 364, 386ff.; Dahlmanns, Handbuch III/2, S. 2676f.; Henckel, Gedächtnisschrift für Bruns, S. I I I ff.; Sprung, ZZP 92 (1979), 4, 5ff. 172
173
1. Kapitel: Die historische Entwicklung
41
stand die Rechtsordnung sowohl hinsichtlich formellen Rechts als auch in bezug auf materielles Recht ganz im Zeichen der Privatautonomie.
VI. Zusammenfassung I m Laufe der geschichtlichen Entwicklung hat sich das Prinzip der Vertragsfreiheit durchgesetzt und bei der Kodifikation des Bürgerlichen Gesetzbuches seinen H ö h e p u n k t erreicht. D e r Gedanke, daß nur die Vertragsfreiheit dem Geist einer freiheitlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung entspricht und sich der einzelne als individuelle Persönlichkeit lediglich durch eine privatautonome Betätigung in der Gemeinschaft entfalten kann, ist zur Grundidee des Privatrechts geworden. Das 19. Jahrhundert war die klassische E p o c h e der freien Marktwirtschaft, die auf das freie Spiel der Kräfte und damit eine weitgehende Vertragsfreiheit setzte. Während des 19. und des 20. Jahrhunderts 1 7 8 zeigten sich die »Schattenseiten« einer weitgehend schrankenlosen Vertragsfreiheit. Soziale Konflikte und Probleme waren durch ein freies Spiel der Kräfte ohne staatliche Einmischung nicht zu bewältigen. Gesetzgebung und Rechtsprechung setzten sich deshalb im Gegensatz zur Entwicklung im 19. Jahrhundert immer weniger mit der Schaffung und Sicherung der Vertragsfreiheit auseinander. In den Mittelpunkt rückte die N o t wendigkeit einer auf soziale Erwägungen gestützten Begrenzung der Vertragsfreiheit. D e r Gesetzgeber erließ zahlreiche Vorschriften, um einen Mißbrauch der Vertragsfreiheit zu verhindern. Z u m Teil wurde das B G B um N o r m e n ergänzt, zum Teil wurden einzelne Gesetze (u.a. A G B G , H a u s t ü r W G , V e r b r K r G ) erlassen. 1 7 9 D i e Rechtsprechung hat - in A b k e h r von der ursprünglichen Konzeption die Generalklauseln des B G B zu umfangreichen Kontrollmitteln ausgebaut. H i n zu k o m m e n etliche Vorgaben durch die Europäische Gemeinschaft; zahlreiche E G - R i c h t l i n i e n haben zwingende zivilrechtliche Vorgaben zum Gegenstand. Trotz dieser mannigfaltigen Beschränkungen der Vertragsfreiheit wird an der im Grundsatz freiheitlichen Gestaltung der Schuldverhältnisse festgehalten: »Das Kernstück des Schuldrechts soll weiterhin die Vertragsfreiheit bleiben, weil nur durch sie jedem Bürger die Chance gegeben wird, seine Bedürfnisse auf vielfältige Weise in einer freiheitlichen
Gesellschaft zu befriedigen.« 1 8 0
Entscheidend
k o m m t es mithin darauf an, Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle in Balance zu halten. Eine einheitliche dogmatische Struktur, die das Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle durchschaubar macht, fehlt allerdings. Legislative wie J u dikative reagieren auf aktuell auftretende, als nicht akzeptabel erscheinende SachDamm, JZ 1978, 173 ff. Näher zur Entwicklung im 20. Jahrhundert in der Einleitung (S. lff.) sowie Hackl, Vertragsfreiheit, S. 15ff.; Medicus, Abschied, S. 11 f.; Zöllner, AcP 196 (1996), lff. 180 Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Hrsg. Bundesminister der Justiz, 1981, S. XVII. 178
179
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
verhalte. Wird eine Konstellation für regelungsbedürftig gehalten, wird eine punktuelle gesetzliche Freiheitsgrenze verabschiedet oder anhand einer Generalklausel eine Einzelfallentscheidung getroffen. Bevor auf das grundsätzliche Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle eingegangen und ein allgemeines Vertragskontrollmodell entwickelt wird, ist der Begriff der Vertragsfreiheit näher zu hinterfragen. Die Bezeichnungen Privatautonomie und Vertragsfreiheit waren zunächst unbekannt. Erst im 18. Jahrhundert wurde die Terminologie vermehrt benutzt, allerdings noch uneinheitlich und undifferenziert. 181 Im heutigen Vertragsrecht sind die Begriffe mit spezifischen Bedeutungsgehalten verknüpft.
181
Vgl. Staudinger/Dilcher,
Einl. zu §§104-185 BGB, Rn.6 a.E.
2. Kapitel
Begriff u n d Struktur der Vertragsfreiheit Mit »Vertragsfreiheit« wird ein Unterfall der Privatautonomie bezeichnet. Der Begriff Vertragsfreiheit läßt sich trotz seiner Vielschichtigkeit 1 in das System des Privatrechts einordnen, 2 wenn die unterschiedlichen Facetten und Erscheinungsformen auseinandergehalten sowie die Ebenen seiner Wirkungsweise präzise getrennt werden. Einen ersten, wenn auch nur ansatzweise klärenden Anhaltspunkt geben die Wortbestandteile »Vertrag« und »Freiheit«. Aus ihnen läßt sich entnehmen, daß mit diesen Begriffen jedenfalls relative Verhältnisse und - interpretiert man den Freiheitsbegriff rechtlich - die Abwesenheit von zwingenden Rechtsnormen 3 gemeint sind. Die Facetten des Begriffs und die Bedeutung der Vertragsfreiheit treten deutlich hervor, wenn ihre Stellung im zivilrechtlichen Normengefüge, ihre Erscheinungsformen und ihr Standort im Stufenbau der Rechtsordnung gegenübergestellt werden.
I. Stellung der Vertragsfreiheit im zivilrechtlichen Normengefüge 1. Vertragsfreiheit und Rechtsgeschäftslehre Der Terminus Vertragsfreiheit meint die rechtliche Möglichkeit, 4 die Rechtsbeziehungen zu anderen Personen nach dem Willen5 der Beteiligten durch private rechtsverbindliche Vereinbarungen regeln zu können. Konstitutive Bedeutung 1 Vgl. den Überblick über den Bedeutungsgehalt bei Fischer, Vertragsfreiheit, S. 15 ff.; Sigwart, Logik, S. 49, formuliert, daß Vertragsfreiheit »Verschiedenen Verschiedenes und demselben Verschiedenes zu verschiedenen Zeiten« zu bedeuten vermag. 2 A . A . Schweingruber, Vertragspartei, S. 56f., der aufgrund der zahlreichen Facetten und den je nach Sichtweise unterschiedlichen Bedeutungsinhalten des Begriffs Vertragsfreiheit meint, »es wäre besser gewesen, man hätte ihn in die Dogmatik des Privatrechts überhaupt nicht eingeführt«. 3 Umfassend zum Freiheitsbegriff Alexy, Theorie, S. 194ff. 4 Lorenz, Schuldrecht I, §4; Hönn, Kompensation, S.298; Lorenz, Schutz, S. 15£.; vgl. auch Oechsler, Gerechtigkeit, S. 199ff. Daneben finden sich die Begriffe » K o m p e t e n z « (Leisner, Grundrechte, S. 329; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 28ff.), »Können« (Flume, Rechtsgeschäft, §1, 8a; Enderlein, Rechtspaternalismus, S.71), »Befähigung« (Stoll, Vertragsfreiheit, S.175) oder »Befugnis« (Fischer, Begriff, S.27). In der Sache Abweichendes wird allerdings nicht zum Ausdruck gebracht. 5 Abweichend Bailas, Vertragsschließung, S.91, der die Willenserklärung als Verständigungsakt untersucht und unter Privatautonomie nicht willentliche Selbstgestaltung, sondern Freiheit von Zwang versteht.
44
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
für den Gestaltungsakt kommt jedenfalls6 übereinstimmenden Willenserklärungen zu; sie sind nicht bloße Mitteilung eines Wollens oder Ankündigung einer Handlung, sondern »Geltungserklärungen«.7 Vertragsfreiheit wird also verwirklicht durch die Rechtsgeschäftslehre. Die Ansichten, die demgegenüber den Verkehrs- oder Vertrauensschutzgedanken als (allein) entscheidenden Aspekt der Privatautonomie oder der Verbindlichkeit übereinstimmender Willenserklärungen interpretieren,8 übersehen folgendes: Die Privatautonomie hat ihren Grund in der Respektierung des Individuums und des freien Willens der erklärenden Person.9 Allein den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes in den Vordergrund zu rücken, hieße den Wert der Freiheit und deren historische Wurzeln10 zu verkennen. Der Bestand einer Willenserklärung oder eines Vertrages ist unabhängig davon, ob jemand auf den Erklärungstatbestand vertraut hat. So hat Bydlinski zutreffend angeführt, daß auch bei Darlehen, bei denen der Darlehensgeber an der RückZahlungsfähigkeit erheblich zweifelt, also kein Vertrauenstatbestand besteht, von einer unsicheren rechtsgeschäftlichen Bindung keine Rede sein kann.11 Ein Rechtsgeschäft besteht, weil es von einem Individuum willentlich in Geltung gesetzt wurde, und nicht (allein), weil ein Individuum darauf vertraut hat. Zudem versagt der Vertrauensgedanke dort, wo der Privatautonomie entspringende Gestaltungsmittel nicht auf den Vertrauensgedanken zurückgeführt werden können, wie es beispielsweise bei der Testierfreiheit der Fall ist. Einseitige letztwillige Verfügungen, die mangels Kenntnis anderer für deren Dispositionen nicht kausal werden konnten, gleichwohl aber rechtlich von Bestand sind, zeigen, daß die Möglichkeit der Rechtsgestaltung nicht allein auf Vertrauensgedanken zu stützen ist.12 Damit steht fest, daß die Inanspruchnahme von Vertrauen für die aufgrund
6 Mit dieser Formulierung soll keine Stellungnahme dazu verbunden sein, inwieweit Zurechnungsregeln, wie jene aus dem Bereich der Vertrauenshaftung, mit dem Prinzip der Privatautonomie vereinbar sind; zu den unterschiedlichen Ansätzen siehe Canaris, Vertrauenshaftung, S.424ff.; F. v. Hippel, Privatautonomie, S. 72f.; Bydlinski, Privatautonomie, S. 114f. 7 Flume, Rechtsgeschäft, § 4, 7; Larenz, Allgemeiner Teil, § 19 I. Zur Absicht, mit Hilfe der Geltungstheorie den Dualismus von Wille und Erklärung aufzuheben, Singer, Selbstbestimmung, § 7 II 1; auf diese Intention kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, vielmehr wird der Ausdruck im Sinne der Ersten Kommission zum Entwurf des B G B verwendet (vgl. Motive I, S. 126 = Mugdan I, S.421). 8 Vgl. v. Craushaar, Einfluß, S.35ff., 62ff.; Hepting, Festschrift zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, S.209, 225f.; Rothoeft, System, S. 78ff.; weit. Nachw., insbesondere zu älterer Literatur, bei Canaris, Vertrauenshaftung, S.412 Fn. 1. Vgl. auch Bydlinski, Privatautonomie, S. 131 ff. 9 Wo//, Entscheidungsfreiheit, S. 19ff., 23ff.; F. v. Hippel, Privatautonomie, S. 57ff.; Oftinger, Vertragsfreiheit, S.315ff.; Schmidt, Vertragsfreiheit, S.59; Canaris, Vertrauenshaftung, S.412; Larenz, Schuldrecht, §4; Singer, Selbstbestimmung, S.6, jeweils mit zahlr. weit. Nachw. 10 Dazu im 1. Kapitel (S. 13ff.). 11 Bydlinski, Privatautonomie, S. 112; ebenso Canaris, Vertrauenshaftung, S.417f.; Singer, Selbstbestimmung, S. 55. 12 Der Vertrauensgedanke ist zwar innerhalb der Rechtsgeschäftslehre von Bedeutung, bildet für sie aber nicht den tragenden Geltungsgrund für die Verbindlichkeit des Rechtsgeschäftes; die Prinzipien des Vertrauensschutzes und der Vertragsfreiheit stehen eigenständig nebeneinander
2. Kapitel: Begriff und Struktur der Vertragsfreiheit
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von Vertragsfreiheit eingegangenen rechtsgeschäftlichen Bindungen weder erforderlich noch genügend ist. D e n Verkehrsschutz als tragenden Geltungsgrund zu benennen, ist bereits insoweit verfehlt, als Verläßlichkeit und Verkehrssicherheit nicht ausschließlich rechtsgeschäftstypisch und auch beispielweise im Deliktsrecht von Bedeutung sind. Verkehrs- und Vertrauensschutz sind des weiteren kein Spezifikum einer freiheitlichen Rechtsordnung, sondern können ebenso B e standteil eines dirigistischen, staatlich reglementierten Systems sein. 13
2. W i l l e n s e r k l ä r u n g u n d K o n s e n s Zur vertraglichen Bindung bedarf es der Erklärung eines jeweils dahingehenden Willens der Vertragsparteien. D e r in den jeweiligen Erklärungen manifestierte Wille bewirkt als gemeinsamer Wille im Vertrag die Existenz und inhaltliche A u s gestaltung des Rechtsverhältnisses. D e r Wille der Parteien entscheidet als bestimmendes Element über die vertraglichen Beziehungen. Der Umstand, daß die Parteien die Rechtsfolgen des Konsenses häufig (zumindest teilweise) nicht kennen und ihre Erklärungen demgemäß in einer Vielzahl der Fälle nur auf einen wirtschaftlichen Erfolg gerichtet sind, gab den Anlaß, zwischen dem rechtsgeschäftlichen Wollen und dem dadurch herbeigeführten Rechtsverhältnis zu unterscheiden. Diese Ansicht wies dem Rechtsgeschäft die Funktion eines bloßen Tatbestandes zu, an den dann das Gesetz Rechtsfolgen geknüpft hat.14 Diese - neuerdings von Schapp15 wieder aufgegriffene - Sicht verkennt, daß das anvisierte wirtschaftliche Ziel seinem Grund nach ein rechtliches ist, und daß es den Parteien darauf ankommt, ein Rechtsverhältnis zu begründen. Eine Aufspaltung in Tatbestand und Rechtsfolge wird also der Intention der Parteien nicht gerecht. Ausreichend für einen verbindlichen Konsens ist damit nicht, wie diese sogenannte Grundfolgentheorie meint, daß die rechtsgeschäftlich Handelnden den wirtschaftlichen Erfolg wollen. Die Wirkungen des freien Handelns müssen inhaltlich dem Willen der Handelnden entsprechen und sie müssen von ihnen als rechtliche Wirkungen gewollt sein.16 Gegen diese Sichtweise lassen sich weder das Trennungs- noch das Abstraktionsprinzip anführen.17 Die Tatsache, daß aufgrund des Trennungs- und Abstraktionsprinzips Rechtsfolgen eintreten können, die der Laie nicht bedacht hat, spricht deshalb nicht gegen privatautonome Legitimation und für eine Differenzierung in »Lebenswelt« (Tatbestand) und »Recht« (gesetzliche Rechtsfolge), weil vertragliche Bindung nicht erfordert, die Konstruktion schuldrechtlicher und sachenrechtlicher Geschäfte zu durchschauen. Ausreichend ist der Wille, bestimmte Geschäfte abzuwickeln. Nimmt man als Beispiel ein trotz Mängeln des Verpflichtungsgeschäftes wirksames Verfügungsgeschäft, so ist zwar zuzugeben, daß das Ergebnis dem hypothetischen Parteiwillen widerspricht, nur das zu übereignen, wozu sie auch verpflichtet sind. Der Rechtsordnung steht es jedoch frei, den Rahmen und ergänzen sich. Dazu Canaris, Vertrauenshaftung, S.412ff., 431ff., 439ff.; Bydlinski, Privatautonomie S. 109ff., 131 ff. 13 Ahnlich Canaris, Vertrauenshaftung, S.415, der daneben darauf hinweist, daß es sich insoweit um die allgemeine Sicherungs- und Ordnungsfunktion des Rechts handelt. 14 Danz, Auslegung, S.7ff.; Lenel, Jher.Jb. 19 (1881), 154, 249ff.; Ehrlich, Willenserklärung, S.2. 15 Schapp, Grundfragen, S. 12ff. 16 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, §145 II AI. 17 So allerdings Schapp, Grundfragen, S. 12ff.
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1. Teil: Grundlagen
privatrechtlicher
Selbstgestaltung
des Vertragsrechts auszugestalten, und hier hat sich die Rechtsordnung im Sinne der Sicherheit des Rechtsverkehrs für das Trennungs- und Abstraktionsprinzip entschieden. 1 8
Inwieweit der Wille in einem äußeren Erklärungsverhalten fehlerfrei zum Ausdruck gekommen ist, ist für das rechtliche Können ebenso ohne Belang wie die Frage, welche subjektiven Voraussetzungen für die Existenz einer Willenserklärung verwirklicht sein müssen. 19 Für die Anerkennung vertraglicher Freiheit in der Rechtsordnung genügt es, wenn das Recht ein Instrumentarium zur Verfügung stellt, mit dem die einzelnen Privatrechtssubjekte nach eigenen Vorstellungen vertragliche Beziehungen regeln können. Entscheidend ist die Kompetenz zur parteiautonomen Gestaltung der Rechtsverhältnisse. Die Vertragsfreiheit ist eine kompetenzielle Freiheit zur rechtlichen Selbstgestaltung. Eine ausdrückliche Rechtsgrundlage hierfür ist weder im deutschen Verfassungsrecht noch einfachrechtlich kodifiziert. Gleichwohl ist der Grundsatz der Vertragsfreiheit sowohl verfassungsrechtlich (dazu im 3. Kapitel) als auch in der Zivilrechtsordnung verankert. 3. Verankerung der Vertragsfreiheit in der Privatrechtsordnung § 305 B G B , der häufig in diesem Zusammenhang genannt wird, stellt lediglich ein Indiz für die Verankerung in der Zivilrechtsordnung dar. Wenn es in §305 B G B heißt, daß zur Begründung und Änderung eines Schuldverhältnisses ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich ist, so besagt dies nicht zwangsläufig, daß es den Beteiligten freisteht, beliebige Abreden zu treffen. Erst historische und teleologische Überlegungen führen zum Prinzip der Vertragsfreiheit. 20 Das 19. Jahrhundert war die klassische Epoche der freien Marktwirtschaft, die auf das freie Spiel der Kräfte setzte. Das adäquate rechtliche Interaktionssystem eines freiheitsbetonten Wirtschaftssystems ist die Vertragsfreiheit. Für die Verfasser des B G B , die der liberalen Grundhaltung des 19. Jahrhunderts verbunden waren, erschien dieser Zusammenhang derart selbstverständlich, daß eine abweichende Grundordnung des Zivilrechts nicht einmal angesprochen wurde. Die Schöpfer des B G B sahen als einzig mögliches Grundprinzip der Privatrechtsordnung das der Vertragsfreiheit an. Eine ausdrückliche Kodifizierung wurde nicht für notwendig erachtet. Infolge dieser grundlegenden Uberzeugung wurde eine Zivilrechtsordnung geschaffen, welcher der Grundsatz der Vertragsfreiheit immanent 18 Motive III, S. 6f.; in diesem Sinne auch Medicus, Allgemeiner Teil, Rn. 230; ausführlich Singer, Selbstbestimmung, S.48ff. 19 Inwieweit im Falle einer Divergenz von Wille und Erklärung - vorbehaltlich einer Anfechtung - die Wirksamkeit des Vertrages privatautonom begründbar ist, gehen die Meinungen auseinander. Gegen eine Einbeziehung in den Gedanken der Privatautonomie Kramer, Grundfragen, S. 147ff.; Singer, J Z 1989, 1030, 1033; Voit, Jahrbuch, S. 94ff.; für eine auf die Privatautonomie zurückführbare Begründung des Festhaltens an der fehlerhaften Erklärung F. Bydlinski, Privatautonomie, S. 126ff.; Schapp, Grundfragen, S. 41. 2 0 Zur geschichtlichen Entwicklung der Vertragsfreiheit, insbesondere der liberalen Grundhaltung des B G B , im 1. Kapitel (S. 13ff.).
2. Kapitel: Begriff und Struktur der
Vertragsfreiheit
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ist. Vor allem dem Schuldrecht liegt die Vertragsfreiheit als ungeschriebenes Grundprinzip zugrunde. Es geht von einer unbegrenzten Handlungsfreiheit aus; erlaubt ist alles, was nicht verboten ist. 21 Dieser Zielsetzung der (schuldrechtlichen) Rechtsordnung folgen die kodifizierten Regelungen. Zwingende Normen stellen die Ausnahme dar. Es überwiegen dispositive Vorschriften, bei denen es sich nicht um Ge- oder Verbote handelt, sondern um Regelungsvorschläge, die nur für den Fall gelten, daß die Vertragspartner anderes nicht vereinbart haben. Sinn und Zweck der zivilrechtlichen Vorschriften lassen inzident die einfachrechtliche Verankerung der Vertragsfreiheit erkennen. 4. Dispositives R e c h t und Auslegung Die Idee der Vertragsfreiheit als grundlegendes Ordnungsprinzip liegt den schuldrechtlichen Vorschriften als ungeschriebene Prämisse zugrunde. Die ausdrückliche Normierung der Vertragsfreiheit ist auch nicht notwendig. Erforderlich ist vielmehr, daß die Rechtsordnung ein Normgefüge zur Verfügung stellt, das die Realisierung der vertraglichen Freiheit ermöglicht. Dazu gehören neben den verfahrensrechtlichen Vorschriften, die die justizielle Gewährleistung und Durchsetzung vertraglicher Rechte und Pflichten ermöglichen, 22 unter anderem die Normen über den Vertragsschluß (§§ 145ff. B G B ) . Ein konkretes Verhalten zweier Personen als Vertragsschluß zu deuten, setzt Regeln voraus, welche die natürlichen Handlungen als Rechtshandlungen qualifizieren. O h n e die einen Vertragsschluß koordinierenden Regeln ist ein Konsens lediglich als bloße Information deutbar, nicht aber als verbindliche Rechtsabsprache. Notwendig sind zum anderen dispositive Normen, die den Rahmen für die praktische Umsetzung von Verträgen abgeben und Raum für die individuelle Betätigung der Vertragsfreiheit lassen. Mit den dispositiven Vorschriften stellt der Gesetzgeber eine die Parteivereinbarung ergänzende Regelung zur Verfügung, die - nach seinen Vorstellungen - einen gerechten Interessenausgleich gewährleistet. Durch das dispositive Recht will er weitgehend lediglich das typisieren, was aus seiner Sicht redliche und vernünftige Parteien normalerweise verabreden würden. Gleichwohl ist dispositives Recht heteronome Rechtsetzung durch den Staat und nicht autonome Regelung durch die Privatrechtssubjekte. Wenn Beuthien andeutet, abdingbare Normen wirkten »kraft privatautonomer Gestaltung« und würden Vertragsinhalt, 23 verkennt er den Charakter abdingbaren Rechts. Vertragspartner können Vereinbarungen treffen, die mit (dispositiven) gesetzli21 Zu den grundsätzlichen Konstruktionsmustern einer rechtlich bestimmten Verhaltensordnung Braun, Einführung, S. 89ff. 2 2 BVerfGE 89,214,231 f.: Die Vertragsfreiheit ist »notwendigerweise auf staatliche Durchsetzung angewiesen. Ihre Gewährleistung denkt die justizielle Realisierung gleichsam mit...«. 23 Beuthien, Z H R 142 (1978), 259, 264 Fn.10: »Denn dispositive Normen enthalten keine Rechtsfolgen, die nur kraft Gesetzes eintreten. Vielmehr gelten auch sie kraft privatautonomer Gestaltung, da sie von der Rechtsordnung nur im Hinblick auf die Vereinbarung gewährt werden.«, deutlich auch auf S.274f.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
chen Vorgaben deckungsgleich sind, und diese Abreden werden selbstredend Vertragsgegenstand. In den Fällen, in denen keine Abrede getroffen ist, bleibt es bei der Charakterisierung als heteronom gesetztes Recht, weil der gesetzliche R e gelungsgehalt nicht vom Konsens der Vertragsparteien erfaßt ist. D i e Adhäsion an einen Vertrag und der Typisierungsgedanke ändern daran nichts. 2 4 Die solchermaßen bestimmten Rechtsfolgen sind damit zwar heteronomer Art und nicht der Vertragsfreiheit zuzuordnen, 2 5 vervollständigen aber die privataut o n o m getroffene Regelung und sind deshalb unverzichtbares Korrelat einer freiheitlichen Rechtsordnung. Dadurch, daß der Gesetzgeber charakteristische L ü k ken rechtsgeschäftlichen Handelns erkannt und für einzelne Rechtsgeschäftstypen hilfsweise abdingbare Vorschriften zur Verfügung gestellt hat, die lückenhafte Parteiregelungen unter Berücksichtigung der für ihn typischen Parteiinteressen und entsprechend dem aus seiner Sicht typischen Parteiwillen vervollständigen sollen, stehen die Rechtsfolgen nicht in Antithese zur Vertragsfreiheit. D i e privatautonome Legitimation heteronomer Vorschriften liegt darin, daß sie im Kern der üblichen willentlichen Gestaltung entsprechen und durch diese erst wirksam werden. Ein Vertragsschluß aktualisiert die Anwendbarkeit dispositiver Regelungsgehalte. A u f die dispositiven Vorgaben ist allerdings nur dann zurückzugreifen, wenn nicht bereits der erläuternden Auslegung 2 6 die in Ausübung der Vertragsfreiheit getroffene Regelung zu entnehmen ist. Ziel der erläuternden Auslegung ist es, die für die Beteiligten verbindliche Bedeutung von Erklärungen zu bestimmen, über deren Aussagegehalt sie unterschiedlicher Auffassung sind. Eines Rückgriffes auf abdingbare N o r m e n bedarf es in diesem Fall nicht, da die Parteien eine Regelung getroffen haben, die sich im Wege der Auslegung ermitteln läßt. Die erläuternde Auslegung verhilft dem unvollkommen ausgedrückten Parteiwillen zur Geltung. D i e objektiv-normative Auslegung, die unter Berücksichtigung des Text- und Sinnzusammenhangs, der Verkehrssitte sowie von Treu und Glauben versucht, auf das tatsächlich Gewollte zu schließen, verwirklicht den Parteiwillen und ist deshalb Katalysator der Privatautonomie. 2 7 Anders liegt es im Falle ergänzender Vertragsauslegung, die darauf abzielt, einen Vertrag folgerichtig in einem Punkt zu vervollständigen, für den die Parteien eine Regelung nicht vorgesehen haben. Darin liegt der Unterschied zur erläuternden Auslegung. 2 8 G e h t man davon aus, daß sich die einfache Auslegung am erklärten Willen orientiert, besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Ergebnis der Auslegung dem empirischen Willen entspricht. Erläuternde Auslegung meint also Ermittlung des Vertragsgegenstands, während die ergänCanaris, AcP 184 (1984), 201, 214 Fn.43. Hager, Auslegung, S. 135; Frotz, Verkehrsschutz, S.403. 26 Auch eigentliche oder klarstellende Auslegung genannt, vgl. Stumpf, Auslegung, S. 18. 27 Bydlinski, Privatautonomie, S.213f. (Fn. 358a);Frotz, Verkehrsschutz, S.403; Larenz, NJW 1963, 737, 740; Singer, Selbstbestimmung, S.45ff.; Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 172. 28 Zum Verhältnis von erläuternder und ergänzender Auslegung siehe Stumpf, Auslegung, S. 18, l l l f . ; Hager, Auslegung, S. 158ff.; weiterführend Vollmer, Auslegung, passim. 24 25
2. Kapitel: Begriff und Struktur
der
Vertragsfreiheit
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z e n d e A u s l e g u n g d e n V e r t r a g s g e g e n s t a n d in e i n e m P u n k t e r w e i t e r t , d e r v o n d e n Parteien nicht bedacht, f ü r die Realisierung des G e w o l l t e n allerdings v o n großer B e d e u t u n g ist. A u f g a b e d e s R i c h t e r s ist e s , d i e W e r t u n g e n d e r P a r t e i e n » z u E n d e z u denken«.29 Diese Ü b e r l e g u n g ermöglicht auch, die B e d e u t u n g der ergänzend e n V e r t r a g s a u s l e g u n g f ü r d i e V e r t r a g s f r e i h e i t z u l o k a l i s i e r e n . S i e ist i n s o w e i t h e t e r o n o m b e s t i m m t , als s i e p r i v a t e W i l l e n s e r k l ä r u n g e n m o d i f i z i e r t , s t e h t a l l e r d i n g s in U b e r e i n s t i m m u n g m i t d e r P r i v a t a u t o n o m i e , w e i l s i e d i e s e n i c h t u m g e staltet u n d d a m i t vereitelt, s o n d e r n verwirklicht.30 I n s o w e i t sind also Parallelen z u m dispositiven R e c h t z u ziehen. E r g ä n z e n d e A u s l e g u n g steht z w i s c h e n der erläuternden A u s l e g u n g u n d der A n w e n d u n g abdingbarer Vorschriften. A u f g r u n d der vergleichbaren Rolle als Realisierungshilfen für privatautonome Regelungen ist das Rangverhältnis zwischen standardisierter E r g ä n z u n g durch Dispositivnormen und individueller E r g ä n z u n g durch Auslegung noch ungeklärt. 3 1 Führt die erläuternde Auslegung zu keinem Ergebnis, sind richtigerweise die Typizität des Rechtsgeschäftes 3 2 sowie die von Medicus vorgeschlagene Subsidiaritätsbestimmung 3 3 zu verknüpfen. D i e K o m b i nation dieser beiden A n s a t z p u n k t e führt in der Regel zu zutreffenden Ergebnissen. N a c h diesem K o n k u r r e n z m o d e l l ist zunächst auf den Rechtscharakter des Schuldverhältnisses zu sehen. Handelt es sich u m ein typisiertes Vertragsverhältnis wie Miete oder Darlehen, sind die dispositiven Vorschriften in ihrer Allgemeinheit anzuwenden, da generelle Regelungen vorhanden sind, auf die sich der Rechtsverkehr aus Rechtssicherheitsgründen verlassen können muß. Würde anders entschieden, hieße das, wie Mayer-Maly34 treffend ausgeführt hat, die Anwendbarkeit der abdingbaren A u f f a n g n o r m e n von ihrer Vereinbarung abhängig zu machen - ein Widerspruch in sich. D a s Merkmal der Dispositivnormen, ihre Geltung im Falle mangelnder Abrede, kann nicht seinerseits der A b r e d e bedürfen; im Falle von Vereinbarungen bedarf es keines dispositiven Rechts. Fehlen passende typisierte Dispositivnormen, ist nach d e m Subsidiaritätsgrad zu unterscheiden: G e g e n ü b e r Bestimmungen, die eine allgemeine Regelung für alle Vertragsverhältnisse aufstellen wollen, wie das beispielsweise für das Leistungsstörungsrecht gilt, tritt die ergänzende Vertragsauslegung grundsätzlich zurück; gegenüber den übrigen Bestimmungen hat die ergänzende Vertragsauslegung prinzipiell Vorrang. D o r t , w o keine dispositiven N o r m e n existieren, und dort, w o ein abdingbarer Regelungsgehalt auf die spezielle Vereinbarung der Parteien nicht paßt, ergibt sich die N o t w e n d i g k e i t einer ergänzenden Vertragsauslegung. D i s p o s i t i v e s R e c h t wie A u s l e g u n g stellen also R a h m e n b e d i n g u n g e n der Vertragsfreiheit dar u n d m a c h e n diese erst praktikabel.35 E r m ö g l i c h t dieses rechtliche U m f e l d s o m i t die R e a l i s i e r u n g d e r Vertragsfreiheit, w i r d sie d u r c h z w i n g e n d e 29
Larenz, Allgemeiner Teil, §29 I; vgl. auch Musielak, G K B G B , Rn. 354ff. Für eine vermittelnde Stellung ebenfalls Frotz, Verkehrsschutz, S. 403; Oertmann, Rechtsordnung, S. 159ff.; Schapp, Grundfragen, S.58ff.; Rummel, Vertragsauslegung, S. 116; Singer, Selbstbestimmung, S. 52. Die heteronome Rolle sehen hingegen als ausschlaggebend Henckel, AcP 159 (1960/61), 106, 117ff.; Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 195; Wieacker, J Z 1967, 385,390, an, während eine privatautonome Ableitung Larenz, N J W 1963, 737, 740 und Sonnenberger, Verkehrssitten, S. 155ff. betonen. 31 Zum Meinungsstand Mayer-Maly, in: M ü n c h K o m m B G B , § 157 Rn.25ff. 3 2 So Flume, Rechtsgeschäft, § 16, 4b; Larenz, Allgemeiner Teil, §29 II. 33 Medicus, Allgemeiner Teil, Rn. 340ff. 34 Mayer-Maly, in: M ü n c h K o m m B G B , § 157 Rn.26. 35 Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, §10 I; Hönn, Kompensation, S. 190. 30
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
N o r m e n eingeschränkt. Mit ius cogens besteht für den Gesetzgeber die Möglichkeit, einer an sich zustandegekommenen Einigung der Vertragsparteien die Anerkennung zu versagen, indem er die Abrede, wie beispielsweise im Fall der §§ 138 Abs. 1, 134 B G B , für nichtig erklärt. D i e Einigung kann auch als wirksam erachtet, jedoch durch zwingende Vorschriften ergänzt oder verändert werden. So geben zwingende N o r m e n der Arbeitsschutzgesetze und zahlreiche weitere Regelungen die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses in weiten Teilen vor. Diese Vertragsergänzung unterscheidet sich von der durch dispositive N o r m e n dadurch, daß die Vertragsparteien insoweit keine abweichenden Vereinbarungen treffen können. Inwieweit die allgemeinen Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Vertrages als Schranken der Vertragsfreiheit einzustufen sind, oder ob als Grenzen lediglich ius cogens und richterliche Entscheidungen in Betracht kommen, die erst dann bedeutsam werden, wenn die allgemeinen Voraussetzungen des Zustandekommens erfüllt sind, hängt davon ab, ob man das rechtliche Können eng oder weit definiert. Stellt man allein auf die rechtsgeschäftlichen Kompetenzen ab, stecken beispielsweise die Vorschriften über den Vertragsschluß oder die Geschäftsfähigkeit ebenso einen unabänderlichen Rahmen ab wie §138 B G B und sind deshalb als Freiheitsgrenzen einzustufen.36 Gleichwohl wird für die weitere Untersuchung der enge Vertragsbegriff zugrundegelegt, der die allgemeinen Voraussetzungen des Zustandekommens eines Vertrages nicht als Freiheitsbeschränkung (im engeren Sinn) auffaßt. Nach der engen Begriffsbestimmung handelt es sich um Normen, die der Entfaltung von Freiheit lediglich ein bestimmtes Reglement vorgeben. 5. Vertragsfreiheit und B i n d u n g s w i r k u n g Vertragsfreiheit bedeutet auch die K o m p e t e n z , sich für die Zukunft zu binden. 3 7 Eine marktwirtschaftliche O r d n u n g ist für ihre Entwicklung davon abhängig, daß nicht nur Realverträge zugelassen sind, sondern auch konsensuale Abreden. Wesentliche F u n k t i o n eines Konsensualvertrages ist unter anderem die Zukunftswirkung und damit die räumliche sowie zeitliche Abkoppelung von seiner Erfüllung. Die Stabilitätskomponente auf D a u e r angelegter Schuldverhältnisse entspricht dem Grundsatz »pacta sunt servanda« 3 8 : Eine auf Willensübereinstimmung aufbauende Privatrechtsordnung ist nur funktionsfähig, wenn sich die jeweiligen Erklärungsempfänger auf die Verbindlichkeit des abgegebenen Leistungsversprechens verlassen können. Bindung bedingt Vertragstreue. Dieses Prinzip, in der Privatrechtsordnung nicht ausdrücklich kodifiziert, liegt dem Bürgerlichen Gesetzbuch als ungeschriebener Grundsatz zugrunde. 36 Für einen weiten Vertragsfreiheitsbegriff deshalb Enderlein, Rechtspaternalismus, S.78, 131 f.; Höfling, Vertragsfreiheit, S.41; Hönn, Kompensation, S. 135. 37 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §2 Rn. 32; Merz, Vertrag, Rn.47ff.; Schupp, Grundfragen, S.50ff.; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, §10 I. 38 Zur geschichtlichen Entwicklung des Grundsatzes, der sich ursprünglich auf die formlosen klagebrechenden und schuldbefreienden Vereinbarungen bezog, die nach den Regeln der bona fides einredeweise Beachtung fanden, Lorenz, Schutz, S.29ff., m. weit. Nachw. sowie das 1. Kapitel. Aus historischen Gründen gegen die Parömie »pacta sunt servanda« v. Venrooy, JR 1991, 492, 493 Fn.5.
2. Kapitel: Begriff und Struktur der
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Die grundsätzliche Achtung der bindenden Wirkung von Verträgen ist der Entstehungsgeschichte des BGB zu entnehmen. 39 Der Entwurf zum BGB sah in §§359, 360 Bestimmungen zur Vertragstreue vor. §359 E - B G B : D e r Vertrag verpflichtet den Vertragsschließenden zu demjenigen, was sich aus den Bestimmungen u n d der N a t u r des Vertrages nach Gesetz u n d Verkehrssitte sowie mit Rücksicht auf Treue u n d Glauben als Inhalt seiner Verbindlichkeit ergibt. §360 E - B G B : Erfüllt der eine Vertragsschließende seine Verbindlichkeit nicht, so ist der andere deshalb nicht berechtigt, einseitig von dem Vertrage abzugehen, wenn nicht d u r c h Gesetz oder Vereinbarung ein Anderes bestimmt ist.
In das BGB wurden die Normen nicht aufgenommen, da ihr Gehalt als selbstverständlich angesehen wurde. Aus dem Verzicht des (deutschen) Gesetzgebers 40 allein ist der Rückschluß auf eine allgemeine Gesetzesgrundregel allerdings nicht möglich. Von stillschweigendem Gesetzesrecht kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Normgehalt dem Gesetzesrecht zumindest andeutungsweise zu entnehmen ist. Im Falle der Vertragsbindung ist der verpflichtende Charakter zum einen der gesetzlichen Systematik, die inzident von der Bindung an den Konsens ausgeht, wie die zahlreichen als Ausnahmevorschriften formulierten Auflösungstatbestände (z.B. Widerruf, Kündigung) zeigen, zum anderen mittelbar §§ 145ff. BGB 41 und vor allem §§305, 241 BGB 42 zu entnehmen. Dadurch, daß das Gesetz nach §305 BGB durch Willensübereinstimmung ein Schuldverhältnis entstehen läßt und mittels §241 BGB dem Gläubiger das Recht zuerkennt, kraft dieses Schuldverhältnisses die Leistung zu fordern, stellt die Rechtsordnung das vertragliche Schuldverhältnis dem gesetzlichen gleich und faßt den Verstoß gegen eine vertragliche Pflicht als Verstoß gegen eine gesetzliche Verpflichtung auf. Die Rechtsordnung erkennt mittelbar die Bindungswirkung an. Die Vertragsbindung beruht nicht allein auf der mittelbaren Anerkennung durch das positive Recht. Sie findet ihre Rechtfertigung außerdem übergesetzlich in der ethisch-bindenden Kraft eines Versprechens. Vertragsbindung läßt sich weder allein aus dem Willen des Verpflichteten noch isoliert aus der Rechtsordnung ableiten. Der historische Disput über den Rechtsgrund der Vertragsverbindlichkeit43 ist im Sinne einer kombinatorischen Lehre zu lösen: Die Rechtsordnung 39 Überblick zur geschichtlichen Entwicklung der Bindungswirkung von Verträgen bei Lorenz, Schutz, S. 29ff., m. weit. Nachw. 40 Der österreichische und der französische Gesetzgeber haben hingegen den Grundsatz der Vertragstreue ausdrücklich normiert. §861 ABGB: »Wer sich erklärt, daß er jemandem sein Recht übertragen, das heißt, daß er ihm etwas gestatten, etwas geben, daß er für ihn etwas tun, oder seinetwegen etwas unterlassen wolle, macht ein Versprechen; nimmt aber der andere das Versprechen gültig an, so kommt durch den übereinstimmenden Willen beider Teile ein Vertrag zustande ...«. Art. 1134 C.c.: »Les conventions légalement formées tiennent lieu de loi à ceux qui les ont faites. Elles ne peuvent être révoquées que de leur consentement mutuel, ou pour les causes que la loi autorise ...«. 41 BAG N J W 1994, 1021, 1023. 42 Löwisch, AcP 165 (1965), 421, 422. 43 Vgl. Ehrenzweig, Rechtsgrund, passim; Hofmann, Entstehungsgründe, passim, jeweils m. zahlr. weit. Nachw.; zusammenfassend Bydlinski, Privatautonomie, S. 66ff.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
setzt das v o m Willen getragene Versprechen voraus und stellt den R a h m e n für die Vertragsbindung dar; es ist Sache des gesetzten Rechts, die Anforderungen zu beschreiben, damit die Abrede die Anerkennung der Rechtsordnung findet. 4 4 D e r G r u n d der rechtlichen Anordnung liegt z u m einen im Vertragswillen der Parteien, der Erklärung, sich für die Zukunft binden zu wollen. D i e Verpflichtungskraft des gegebenen Wortes ist nicht der einzige Aspekt. N i c h t jeder Bindungswille führt auch zu rechtlicher Bindung. So kann in ein Testament die Erklärung aufgen o m m e n werden, es sei unwiderruflich, ohne daß dieser Bindungswille an der Widerruflichkeit etwas ändert. 4 5 Allein der Bindungswille ist nicht der G r u n d für die bindende Ausgestaltung des Konsenses. D e n n das hätte die logische K o n s e quenz, daß neben der Begründung eines Vertrages auch dessen Fortbestand von einem fortwährenden Bindungswillen der Verpflichteten abhängen müßte. 4 6 B i n dung folgt also nicht allein aus der willentlichen Selbstbestimmung der Privatrechtssubjekte. 4 7 D i e vom Gesetz vorausgesetzte Bindungswirkung beruht daneben gleichberechtigt auf dem Gedanken der Verkehrssicherheit und des Vertrauensschutzes. Privatautonomie dient nicht nur der Persönlichkeitsentfaltung, sondern auch einer O r d n u n g des Rechtsverkehrs, auf die sich alle Privatrechtssubjekte verlassen können müssen. D i e Ordnungsaufgabe des Rechts erfordert, daß Rechtsbeziehungen in bindender Weise geregelt werden können. D i e Vertragsparteien werden deshalb grundsätzlich auch aus Gründen des Verkehrs- und Vertrauensschutzes an dem Willen festgehalten, den sie zur Zeit des Vertragsschlusses hatten. Aktuelle Willensänderungen sind prinzipiell ohne Bedeutung. Wie die Auslobung zeigt - § 657 B G B gibt einen Anspruch auf einen versprochenen Vorteil, wenn die öffentlich bekanntgemachte Handlung vorgenommen wurde ist die Bindung aber auch nicht nur auf Vertrauen zurückführbar. Dem Handelnden steht die Belohnung für die Herbeiführung eines Erfolges auch zu, wenn er von der Auslobung keine Kenntnis hatte, also kein Vertrauen bilden konnte. Im Vordergrund steht hier der Gedanke der ethischen Verbindlichkeit des Versprechens. Die Elemente (Wille der Beteiligten, Verkehrsund Vertrauensschutz) spielen also zusammen und rechtfertigen wechselweise oder in ihrem Zusammenspiel die in der Rechtsordnung anerkannte Bindung an einen Vertrag.48 DaRaiser, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 101, 123. Die Testierfreiheit als erbrechtliche Ausprägung der Privatautonomie sichert einen Teil der persönlichen Freiheit, indem sie es ermöglicht, selbstverantwortlich einen vermögensrechtlichen Nachfolger für den Erbfall zu bestimmen. Die Testierfreiheit kann durch schuldrechtliche Verträge ebensowenig beschränkt werden (Musielak, in: MünchKommBGB, §2302 Rn. 1) wie durch testamentarische Eingrenzungen des Widerrufsrechts (Burkart, in: MünchKommBGB, §2253 Rn. 1). 46 Vgl. Bydlinski, Privatautonomie, S. 69. 47 Vgl. auch Voit, Jahrbuch, S.97f., der aus der Widerrufsmöglichkeit nach 5130 Abs. 1 S.2 BGB folgert, daß der Geltungsgrund des Vertrages nicht allein im Willen des Erklärenden zu sehen sei. 48 Bassenge, Versprechen, S. 14ff., 49ff.; Bydlinski, Privatautonomie, S.66ff., 131 ff.; Merz, Vertrag, Rn.47f.; Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.23ff.; Kramer, Grundfragen, S. 152ff.;v. Craushaar, Einfluß, S. 35ff., 62ff.; Hepting, Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600Jahr-Feier der Universität zu Köln, S.209, 225f.; Lorenz, Schutz, S. 37f.; Medicus, Allgemeiner Teil, Rn.478; Voit, Jahrbuch, S.97f.; wohl auch Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 85ff.; unent44
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2. Kapitel: Begriff und Struktur
der
Vertragsfreiheit
53
mit korrespondieren die Interessen der Vertragsparteien. Ihnen k o m m t es beim Vertragsschluß auf die Aufrechterhaltung und Kalkulierbarkeit des Vereinbarten sowie die D u r c h führung der A b r e d e an. Beiderseitiges Bestandsinteresse dominiert die Vertragsstruktur. D a s nachträgliche Lösungsinteresse einer Seite ist f ü r sich allein g e n o m m e n insoweit ohne Belang. E s kann sich gegenüber d e m mit d e m v o m Verkehrs- und Vertrauensschutz flankierten Bestandsinteresse grundsätzlich nicht durchsetzen.
Der Grundsatz »pacta sunt servanda« beruht also auf drei Umständen: auf der ethisch fundierten Verbindlichkeit, ein Versprechen zu halten, dem Verkehrsschutz- und dem Vertrauensschutzgedanken. Sie bilden gemeinsam das Fundament der Vertragsbindung. Die Umstände wirken dabei nicht in jeder Konstellation gleichmäßig zusammen. Es gibt Fälle, die - wie die Auslobung zeigt - der Gedanke der Verbindlichkeit eines Versprechens beherrscht. Das Zusammenspiel der Elemente führt dazu, daß die vertragliche Vereinbarung zur verbindlichen Regelung (lex contractus) wird. Erfüllt der Schuldner die Verpflichtung nicht freiwillig, kommt es regelmäßig zur zwangsweisen Durchsetzung mit Hilfe des Staates als Träger der Gerichts- und Vollstreckungshoheit. Die Vertragstreue aller Beteiligten ermöglicht es dem einzelnen, seinen in der konsensualen Einigung zum Ausdruck gebrachten Willen zu verwirklichen. Konsensuale Bindungsfreiheit und Vertragstreue bedingen einander und bilden eine für die Privatrechtsordnung konstitutive Sinneinheit. Auf beide Komponenten kann in einer Privatrechtsordnung nicht verzichtet werden. 49
II. Erscheinungsformen der Vertragsfreiheit 1. Formelle und materielle Vertragsfreiheit 5 0 Vertragsfreiheit kann normativ in dem Sinne bestimmt werden, daß jemand dann »frei« ist, wenn ihm die Rechtsordnung einen beliebigen Interaktionsraum zur Verfügung stellt. Freiheitsgegenstand und Freiheitshindernis werden allein rechtlich bestimmt. Die derart umschriebene, sogenannte formelle Vertragsfreiheit schlössen Larenz, Allgemeiner Teil, § 2 II, der zwar betont, vertragliche Bindung folge nicht erst aus der Rechtsordnung, sondern ergebe sich aus der »bindenden Kraft des Versprechens als eines moralischen Akts der Person«, zugleich aber in nachfolgenden Ausführungen die Anerkennung durch die Rechtsordnung und Rechtssicherheitsgesichtspunkte betont. Ablehnend Singer, Selbstbestimmung, S. 54ff., sowie Hönn, Kompensation, S. 37ff. Abweichend Löwisch, AcP 165 (1965), 421,422, der meint, daß die Rechtsordnung mit der Vertragsbindung nur die Konsequenz aus der Anerkennung der Vertragsfreiheit zieht. 4 9 Allgemeine Meinung, Braun, Einführung, S. 156; Lorenz, Schutz, S.28f.; Merz, Vertrag, Rn.47ff.; Raiser, Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 101,116; Bydlinski, Privatautonomie, S. 69; v. Craushaar, Einfluß, S. 53f.; B G H Z 89, 206, 211 (»... Bindungsgrundsatz ... eine wesentliche Grundlage für ein funktionierendes ... Vertragsrechtssystem«). 5 0 Kritisch gegenüber dieser Begriffsbildung, in der Sache jedoch weitgehend übereinstimmend Zöllner, AcP 176 (1976), 221,235f.; wie hier Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 78ff.; Höfling, Vertragsfreiheit, S.44ff.; Hönn, Kompensation, S.298ff.; Kramer, Krise, S.20ff.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
meint also die rechtliche Möglichkeit, Verträge selbstbestimmt abzuschließen. In negativer Hinsicht ist dies eindeutig; ohne Zustimmung des einzelnen ändert sich für diesen die Rechtslage auf vertraglicher Basis nicht. Positiv setzt der Wille des einzelnen nur Rechtsfolgen, wenn der Partner zustimmt. D i e Freiheit rechtlicher Vertragsgestaltung erfordert zu ihrer Realisierung die komplementäre Willenserklärung eines zweiten Privatrechtssubjekts, das über die gleiche Freiheit verfügt. Aus dem Blickwinkel der formellen Vertragsfreiheit ist das ohne Bedeutung, denn die der Vertragsfreiheit inhärente Regelungskompetenz des einzelnen ist von vornherein auf Ubereinstimmung ausgelegt. Ein Vertragsschluß bedarf eines Zusammenwirkens, eines »Sich-Vertragens«. 5 1 Individuelle Freiheit kann rechtlich nur gelten, soweit nicht andere davon betroffen werden. Ist das der Fall, liegt die Freiheit des einzelnen nicht darin, daß er seine Rechtsverhältnisse vertraglich selbst bestimmt, sondern darin, daß die Rechtsverhältnisse ohne seinen Willen vertraglich nicht gestaltet werden können; das Schuldverhältnis ist also »nicht nur selbstbestimmt, sondern auch fremdbestimmt«. 5 2 D i e Zustimmung des Partners ist demnach keine Freiheitsbeschränkung des einzelnen. Formelle Vertragsfreiheit bezeichnet die von der Rechtsordnung individuell eröffnete K o m p e t e n z , in Kongruenz mit einem Partner rechtliche Beziehungen zu ordnen. Sie umfaßt eine gemeinschaftliche Kompetenz, nicht Allein-, sondern Mitbestimmung. 5 3 Eine Beschränkung der so verstandenen Vertragsfreiheit ist - zumindest in bezug auf den Einzelfall - nur aus rechtlichen Gründen anzunehmen, nicht, wenn faktische Hindernisse wie mangelnde Zustimmung, fehlende finanzielle Mittel oder gesellschaftliche Zwänge dem Schuldverhältnis entgegenstehen. Diese Faktoren beeinträchtigen dann die Vertragsfreiheit, wenn der Begriff nicht normativ gewertet, sondern die empirisch feststellbare reale Möglichkeit, eine bestimmte Abrede zu treffen, in die Betrachtung mit einbezogen wird. Die materielle Vertragsfreiheit kennzeichnet also die Absenz realer Hindernisse bei der Verwirklichung rechtlich offenstehender vertraglicher Regelungsalternativen. 5 4 Materielle Vertragsfreiheit entfällt, sofern keine rechtlich-formalen vertragsfreiheitlichen Kompetenzen existieren. Sie setzt also formelle Vertragsfreiheit voraus. Materielle Vertragsfreiheit ist darüber hinaus beeinträchtigt, wenn formelle Vertragsfreiheit aus tatsächlichen Gründen nicht ausgeübt werden kann. Allerdings setzt materielle Vertragsfreiheit nicht nur formelle voraus, sondern beeinflußt auch deren Betätigung. Das formale Freiheitsverständnis ist nicht absolut zu verstehen, sondern inkorporiert in deren Betätigung gegebenenfalls materiale Aspekte. 5 5 Werden formell R e c h t e eingeräumt, die in einer signifikanten Zahl von
Hönn, Kompensation, S. 91. Schmidt-Rimpler, Festschrift für Raiser, S.3, 20. 53 Adomeit, Gestaltungsrechte, S. 35; Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 79; Hönn, Kompensation, S.89ff.; Schmidt-Rimpler, Festschrift für Raiser, S.3, 19ff.; Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 101 ff., 138ff. 54 Schmidt, Vertragsfreiheit, S.36ff. 55 Zu dem auf anderer Ebene ausgetragenen Determinismus-Streit siehe Danner, Willen, S.7ff., 294ff.; Dreher, Willensfreiheit, S. 16ff., 337ff.; Pothast, Unzulänglichkeit, S. 361 ff. 51 52
2. Kapitel: Begriff und Struktur
der
Vertragsfreiheit
55
Fällen faktisch nicht ausgeübt werden können, verliert die formelle Vertragsfreiheit unter Umständen ihre reale Basis. O b eine relevante Beschränkung materieller Vertragsfreiheit ein anderes Verständnis der formellen Freiheit rechtfertigt und wie kollidierende Wertungselemente auszugleichen sind, ist Gegenstand der nachfolgenden Abschnitte zur inhaltsbezogenen Vertragskontrolle.
2. Abschluß-, Inhalts- und Formfreiheit Vertragsfreiheit bedeutet die Kompetenz zur selbstbestimmten Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch die Vertragsparteien selbst. 56 Ist Vertragsfreiheit als Möglichkeit, durch übereinstimmende Willensäußerungen Rechtswirkungen inter partes zu erzeugen, definiert, stellt der Wille ein funktionelles Element eines Rechtssatzes dar. Durch diesen Willen entscheidet die Person, ob sie mit einem anderen einen Vertrag abschließen will oder nicht, was für einen Inhalt sie der Abrede geben möchte und in welcher Form sie sich ausdrücken will. a)
Abschlußfreiheit
Abschlußfreiheit bezeichnet die Kompetenz, eigenverantwortlich darüber zu entscheiden, ob ein Vertrag geschlossen werden soll und mit wem. Hinzu kommt die Befugnis, Abschlußzeit und Abschlußort selbst zu bestimmen. 57 Dabei kann zwischen Freiheit im positiven und im negativen Sinn unterschieden werden. 58 Die negative Abschlußfreiheit ist grundsätzlich umfassend; sie erfaßt einen von der Einwirkung anderer freien Raum. Ohne rechtsgeschäftlich wirksames Einverständnis kommt eine vertragliche Regelung nicht zustande. 59 Die positive Abschlußfreiheit erlaubt es, einen Vertrag und überdies mit einer beliebigen Person (oder Personenmehrheit) zu schließen. Letzteres beschreibt also eine Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Varianten (sog. Partner- oder Gegnerwahlfreiheit). Die positive Abschlußfreiheit ermöglicht es nicht, einseitig zweiseitige Verpflichtungen zu begründen, sondern sie zielt nur darauf, die zum Abschluß eines Vertrages notwendigen Schritte unternehmen zu dürfen. Positive Abschlußfreiheit meint also Antrags- und Annahmefreiheit. Entscheiden sich potentielle Vertragspartner für eine Abrede, kommt es in der Regel zu einem zweiseitigen Rechtsverhältnis und damit zu einem relativen Bezug. 6 0 Im Falle eines Vertragsschlusses 56
Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 19. Abreden über Leistungs- und Erfüllungsort sowie zur Leistungszeit sind begrifflich Gegenstand der Inhaltsfreiheit. 5 8 Die beiden Freiheitsbegriffe entstammen der Moralphilosophie und der Rechtslehre von Kant. Zu diesen Aspekten der Freiheit und ihren (rechts-)philosophischen Bezügen sowie zur Herkunft der Begriffe, Schopp, AcP 192 (1992), 355, 359ff. mit zahlr. weit. Nachw. 59 Vgl. Hönn, Kompensation, S. 136ff. unter Betonung des Beschränkungsgedankens negativer Freiheiten. 6 0 Vgl. Habersack, Vertragsfreiheit, S.24; Henke, Relativität, S. 11 ff., 28ff.; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, §5 V. 57
56
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
steht es den Beteiligten frei, im gegenseitigen Einverständnis den Vertrag abzuändern oder aufzuheben.61 Das zwischen den Parteien konsensual geknüpfte Band kann durch einen gleichartig strukturierten actus contrarius (lex posterior derogat priori) zumindest in den Fällen gelöst werden, in denen durch den Vertrag nicht selbständige, unentziehbare Rechte Dritter begründet werden, die durch die einvernehmliche Aufhebung wegfallen würden. Die Möglichkeit, Dauerschuldverhältnisse durch einseitige Erklärung zu kündigen, geht zwar mit dem Konsensgedanken, dem Sich-Vertragen, auf den ersten Blick konträr. Kündigungsmöglichkeiten können jedoch dann in die Struktur schuldrechtlicher Bindungsfreiheit eingeordnet werden, wenn die Besonderheiten eines Dauerschuldverhältnisses in die Überlegungen einbezogen werden: Das Prinzip der Vertragsfreiheit ermöglicht es, sich für die Zukunft zu binden, also Schuldverhältnisse zu begründen, die zu einer dauernden Leistung verpflichten oder die eine dauernde Bindung konstituieren, aus deren Folge Leistungspflichten entstehen können. Wahlfreiheit heißt nicht nur Abschlußfreiheit für punktuelle, sondern auch für permanente, in die Zukunft reichende Bindungen. 62 Durch die Bindung wird die negative Abschlußfreiheit notwendigerweise begrenzt; infolge einer aktuellen Ausübung der Vertragswahlfreiheit ist in einem späteren Zeitpunkt die Vertragsfreiheit des einzelnen eingeschränkt. Bettermann hat zu Recht betont, daß sich die Möglichkeit der einseitigen Beendigung von Dauerschuldverhältnissen nicht allein aus freiheitlichen Werten ableiten läßt. Freiheit zur Bindung und Freiheit von der Bindung können nicht ohne weitere Kriterien zu einem einheitlichen, durch die Vertragsfreiheit vermittelten Zusammenhang verknüpft werden.63 Ließe man uneingeschränkte einseitige Freiheit zur Beendigung von Schuldverhältnissen zu, würde die Kompetenz, Bindungen auf Dauer einzugehen, obsolet. Die Diskrepanz zwischen Vertragsfreiheit und Vertragstreue dadurch zu lösen, daß man allein die beiderseits gewollte Auflösungsfreiheit unter den Begriff Vertragsfreiheit fallen läßt, und in der Bindung des einzelnen dementsprechend keine Beschränkung der Vertragsfreiheit sieht, wird dem individuumbezogenen Aspekt der Vertragsfreiheit nicht gerecht. 64 Freiheit zur Bindung und Freiheit von der Bindung lassen sich nur im Wege eines wertenden Gesamtvergleichs in Zusammenhang und mit dem Begriff der Bettermann, JZ 1954, 461, 462; Stoll, Vertragsfreiheit, S. 176. Vgl. nur A. Hueck, Sukzessivlieferungsvertrag, S.5; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 19; BGHZ 64, 288, 290. 63 Bettermann, JZ 1954, 461, 462; in diesem Sinne ebenfalls Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 258f.; aus anderem Blickwinkel Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 86ff., mit Kritik an Oetkers Sicht bei S. 87 Fn. 58, 59. Dazu ist anzumerken, daß Beendigungsfreiheit für sich betrachtet zur Verwirklichung individueller Willensfreiheit zählt, aber nach Vertragsschluß in einem Spannungsverhältnis zur Bindungsfreiheit steht. Beide Freiheiten betreffen allerdings unterschiedliche zeitliche Phasen (Entschluß zur Bindung bei Vertragsschluß, Wille zur Beendigung nach Vertragsschluß), so daß die von Enderlein angesprochene Meinungsverschiedenheit, ob die Lösungsfreiheit als Teil der Vertragsfreiheit zu begreifen ist, seine Ursache eher in mangelnder Differenzierung als in sachlichen Diskrepanzen haben dürfte. 64 Vgl. Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 85 ff. 61
62
2. Kapitel: Begriff und Struktur der Vertragsfreiheit
57
Vertragsfreiheit in Einklang bringen. Ausgangspunkt ist der funktionale K o n t e x t zwischen Vertragsfreiheit und vertraglicher Bindung, der darin liegt, daß der Grundsatz »pacta sunt servanda« der Rechtfertigungsgrund dafür ist, den privaten, auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen gerichteten Individualwillen mit rechtlicher Verbindlichkeit auszustatten. Würde auf die Bindungskomponente verzichtet, wäre die Verbindlichkeitszuordnung ohne Sinn, da die rechtliche Verbindlichkeit des Willens nicht mehr auf Kontinuität angelegt wäre. O h n e B i n dung verliert die Rechtsordnung an Effizienz und die Willenskonkordanz an B e deutung. D i e Reichweite der vertraglichen Bindung steht inhaltlich unter dem Vorbehalt eines eröffneten willentlichen Gestaltungsraums. F ü r die Bestimmung dieser Wechselwirkung ist eine materielle Wertung notwendig. Zu fragen ist, in welchen Fällen der negativen Abschlußfreiheit als Unterfall der Vertragsfreiheit ein Übergewicht im Verhältnis zu der ebenfalls aus der Privatautonomie abzuleitenden Bindungsfreiheit, einem Unterfall der Inhaltsfreiheit, einzuräumen ist. D i e Freiheit, vertragliche Bindungen einzugehen, findet jedenfalls dort ihre Grenze, w o Vertragsgestaltungen die Privatautonomie aufheben, der Willensfreiheit in der Ausprägung negativer Abschlußfreiheit jeglicher Spielraum genommen ist. 65 Anzunehmen ist das möglicherweise bei Vertragsbeziehungen, deren Ende nicht durch den Vertragsinhalt vorherbestimmt ist. Eine auf Ewigkeit oder unangemessen lange Zeit angelegte Bindung kann unter Umständen nicht mehr als Ausübung von Abschlußfreiheit, sondern als deren Preisgabe angesehen werden. Läßt man die Fälle außer Betracht, in denen auf Lebenszeit eingegangene Verpflichtungen durch einen spezifischen Vertragsinhalt, beispielsweise aus familienrechtlichen Gründen, materiell legitimiert sind, ist in diesen Fällen eine einseitige Beendigung zuzulassen. I m U m k e h r s c h l u ß steht damit fest, daß angemessen befristete Dauerschuldverhältnisse prinzipiell uneingeschränkt Gültigkeit besitzen. E b e n s o ist die Bindungsfreiheit dort nicht durch die Gewährleistung eines Kernbereichs negativer Abschlußfreiheit begrenzt, w o die vertraglich begründeten Hauptleistungspflichten durch den Eintritt eines bestimmten, konkret vorherbestimmten Leistungserfolges enden. 6 6 Aus diesen Überlegungen rechtfertigen sich die gesetzlichen Beendigungstatbestände sowie die allgemeine Zulässigkeit einer fristlosen Kündigung, sofern die Fortführung eines Dauerschuldverhältnisses für eine Seite aus einem wichtigen G r u n d unzumutbar ist. 67 65 Ähnlich bereits Savigny, Obligationenrecht Bd. I, S.4ff.; im Grundsatz übereinstimmend Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 88 (»Gesamtvergleich«); Hofmann, Subjektives Recht, S.249f.; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S.252ff.; Paschke, Dauerschuldverhältnis, S. 139f.; Ulmer, Festschrift für Möhring, S.295, 304. 66 So zutreffend Oetker, Dauerschuldverhältnis, S.253f. 67 Ob eine außerordentliche Kündigung in den nicht gesetzlich geregelten Fällen kraft Gesetzesanalogie zu §626 Abs. 1 BGB (so z.B. Hopt, ZHR 143 (1979), 139,161; BGHZ 82, 354, 359), im Sinne einer Rechtsanalogie zu §§554a, 626 Abs. 1, 723 Abs. 1 BGB (Martinek, Franchising, S.328; Michalski, JA 1979,401, 405; RGZ 150,193,199; 94, 234,235) oder aus §242 BGB (BGH NJW 1993,1133, 1135; NJW 1989,1482f.) zu begründen ist oder aufgrund allgemeiner Anerkennung sogar bereits von Gewohnheitsrecht (Soergel/Wiedemann, vor §275 Rn. 78, vor §323 Rn. 62; wohl auch Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 266) zu sprechen ist, kann in diesem Zusam-
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
Für die einzelnen Voraussetzungen einer Kündigungsmöglichkeit - sei es einer außerordentlichen, sei es einer ordentlichen - ist damit nichts gesagt. Die konkrete Austarierung der Rechtmäßigkeitsanforderungen ist nicht abstrakt f ü r alle Dauerschuldverhältnisse möglich, weil hier nicht nur das Spannungsverhältnis zwischen Bindungs- u n d Lösungsfreiheit im R a u m steht. Schutzwürdige Interessen beider Seiten sind zu berücksichtigen. Die partielle R e d u k t i o n des Grundsatzes »pacta sunt servanda« ist beispielsweise abhängig v o m Kontinuitätsinteresse einer Vertragsseite, das je nach Vertragstyp unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Ein einseitiges, ohne zeitliche Verzögerung wirkendes Beendigungsrecht ist beispielsweise nicht erforderlich, u m eine mit der negativen Abschlußfreiheit möglicherweise unvereinbare permanente Bindung zu verhindern. H i e r genügt ein von Kündigungsfristen abhängiges Beendigungsrecht. Die fristlose Kündigung ist deshalb zu Recht in der Regel mit dem Erfordernis einer umfassenden Interessenabwägung u n d der Existenz eines wichtigen G r u n d e s verbunden, der von seiner inhaltlichen Gewichtigkeit so ausgelegt ist, daß er das Kontinuitätsinteresse der Gegenseite überwiegt. 6 8 Die ordentliche Kündigung ist im Regelfall ohne besonderen G r u n d zulässig. Das Vertrauen auf den Fortbestand u n d die eingegangene Bindung rechtfertigen die Fristabhängigkeit der ordentlichen Kündigung, wobei die Frist u m so länger zu bestimmen ist, je länger das Dauerschuldverhältnis störungsfrei abgewickelt wurde. Die Gewährleistung negativer Abschlußfreiheit legt z u d e m den Schluß nahe, eine ordentliche Kündigung auch außerhalb vertraglicher und gesetzlicher Zulässigkeit dort zu erlauben, w o es ansonsten zu einer permanenten Bindung käme. Im einzelnen wird die A u s f o r m u n g eines derartigen allgemeinen ordentlichen K ü n digungsrechts abhängig von der den Vertragstyp prägenden Interessenlage sein. 69 Das Kontinuitätsinteresse, das keine rechtlich unbedeutende Erwartung, sondern die K o n sequenz des in die Z u k u n f t gerichteten Leistungsversprechens verkörpert, erfährt vor allem im Miet- und Arbeitsrecht eine Verstärkung dahin, daß soziale Überlegungen einen spezifischen gesetzlichen Bestandsschutz rechtfertigen. Das ordentliche, in seiner G r u n d konzeption ohne Berufung auf Kündigungsgründe ausübbare Beendigungsrecht w u r d e durch enumerative Kündigungsgründe eingeschränkt. Die eingeschränkte Realisierung der negativen Abschlußfreiheit durch Kündigung hat ihren G r u n d nicht allein im Z u s a m m e n spiel der Freiheitsrechte, sondern aus vertragstypischen sozialen Erwägungen, 7 0 nicht zuletzt verfassungsrechtlichen Charakters. 7 1 Diese wesensgemäßen Schutzkriterien sind auf andere Dauerschuldverhältnisse nicht übertragbar. F ü r das Arbeitsrecht bedeutet das, daß der beschränkte Anwendungsbereich (vgl. §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG) der Kündigungsschutznormen nicht durch eine (generelle) A n w e n d u n g der zivilrechtlichen Generalklauseln (§S 138, 242 BGB) unterlaufen werden darf. 7 2
menhang offen bleiben. Aus dem Blickwinkel der Vertragsfreiheit sind nicht nur keine Einwände zu erheben, sondern ist die Zulassung des Kündigungsrechts vielmehr angezeigt. 68 Vgl. Großfeld/Gerscb, JZ 1988,937,948; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 267f. (unter Betonung des Unzumutbarkeitsgedankens auf S.269ff.). 69 Ähnlich Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, §20; Martinek, Franchising, S.324ff.; Michalski, JA 1979,401,405; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 273; Ulmer, Festschrift für Möhring, S. 295, 303; a.A. Hofmann, Subjektives Recht, S. 250. Der methodische Weg ist ebenso wie im Falle außerordentlicher Kündigung umstritten; abgestellt wird auf Gesetzes- oder Rechtsanalogie sowie ergänzende Vertragsauslegung, im einzelnen Oetker, Dauerschuldverhältnis, S.275f. 70 Paschke, Dauerschuldverhältnis, S.349ff.; Preis, Prinzipien, S. 61 ff.; Horn, Vertragsdauer, S. 572; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 282. 71 Vgl. Depenheuer, NJW 1993, 2561; Germelmann, N J W 1991, 2408; ders., N Z A 1991, 629, 632; Preis, PersR 1991, 201, 203; BVerfGE 84, 133, 146f.; BVerfG N J W 1993, 2035; WM 1994, 240, 241; vgl. auch das 3. Kapitel (S.69ff.). 72 Preis, Prinzipien, S.398f.; Ulmer, Festschrift für Möhring, S.295, 315f.
2. Kapitel: Begriff und Struktur der Vertragsfreiheit
59
Die im Prinzip anzuerkennende Freiheit zur Kündigung führt tendenziell zu Instabilität von Dauerschuldverhältnissen. Damit stellt sich die Frage, inwieweit ein Dauerschuldverhältnis durch ex ante-Ausschluß des Kündigungsrechts zeitlich stabilisiert werden kann. Nicht in Betracht kommt eine privatautonome Modifizierung der Grundsätze bei zwingenden gesetzlichen Vorgaben, wie es im Wohnraummietrecht aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (§ 564b Abs. 6 BGB) oder im Arbeitsrecht aufgrund des Normzwecks anzunehmen ist. Ausgeschlossen sind allerdings nur Klauseln,73 die die Rechtsstellung des Arbeitnehmers oder (Wohnraum-)Mieters im Verhältnis zum gesetzlichen Schutzinstrumentarium verschlechtern. Im übrigen ist zwischen unbefristeten und befristeten Dauerschuldverhältnissen zu unterscheiden. Letzterenfalls ist ein Ausschluß der ordentlichen Kündigung regelmäßig stillschweigend mit der Vereinbarung der Befristung verbunden; die Vertragspartner bringen mit der Befristung zum Ausdruck, daß sie - falls Besonderheiten nicht vereinbart sind 74 - bis zum Endtermin die vertraglichen Verpflichtungen erfüllen wollen. Die außerordentliche Kündigung bleibt bei befristeten Dauerschuldverhältnissen unbenommen. Eine antizipierte generelle Exklusion ist auch im Wege ausdrücklicher Abrede jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn die außerordentliche Kündigung auch aus wichtigem Grund nicht zugelassen sein soll. Das Festhalten an einem unzumutbaren Dauerschuldverhältnis widerspricht dem Gedanken negativer Abschlußfreiheit. Ist das Unzumutbarkeitskriterium nicht betroffen und das Kündigungsrecht nicht als zwingend ausgestaltet,75 ist ein Ausschluß des außerordentlichen Kündigungsrechts als der Privatautonomie unterfallendes Element zur Stabilisierung des Vertragsverhältnisses grundsätzlich möglich. Bei unbefristeten Dauerschuldverhältnissen gelten die Ausführungen zu außerordentlichen Kündigungen entsprechend. Die Kündigung aus wichtigem Grund ist grundsätzlich nicht dispositiv.76 Solidität eines unbefristeten Dauerschuldverhältnisses läßt sich im dispositiven Bereich durch die Vereinbarung einer Mindestlaufzeit, ordentlicher Kündigungsfristen, enumerativ geregelter Kündigungsgründe oder der Abrede von Vertragsstrafen erreichen. Instabilität der Vertragsbeziehungen läßt sich im Rahmen des rechtlich Zulässigen auch vermeiden durch vertragliche Beschränkungen der Abschlußfreiheit nach Beendigung der Vertragsbeziehung, beispielsweise durch ein Wettbewerbsverbot.
b) Inhaltsfreiheit Der Grundsatz der Vertragsfreiheit erschöpft sich nicht in der Abschlußfreiheit. Wesentliche Manifestation ist die Freiheit der inhaltlichen Gestaltung, also die Möglichkeit, den Inhalt des Vertrages einvernehmlich zu bestimmen und so jeden beliebigen Inhalt vertragstypenunabhängig zum Gegenstand des Vertrages zu machen. Die Variabilität der Vertragsinhalte ist wesentliches Erfordernis einer aktuellen Entwicklungen aufgeschlossenen Rechtsordnung. Sie öffnet die Zivil-
73 Wolter, Mietrechtlicher Bestandsschutz, S. 234f.; Paschke, Dauerschuldverhältnis, S. 455ff.; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 577. 74 So im Fall der Entscheidung des BGH vom 4.11.1992, in dem eine abweichende Abrede getroffen war, ZIP 1993, 367, 369. 75 So ist z.B. §626 Abs. 1 BGB zweiseitig zwingend, Erman/Hanau, §626 Rn. 54; Schwerdtner, in: MünchKommBGB, §626 Rn. 65. 76 Möglich bleibt jedoch - in einem gewissen Rahmen - eine vertragliche Ausgestaltung des Kündigungsrechts durch Fristenregelungen und Konkretisierungsabreden hinsichtlich der Kündigungsgründe; im einzelnen Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 564ff., 588ff.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
rechtsordnung modernen Erfordernissen und integriert Bedürfnisse nach neuen Vertragsformen wie Leasing oder Factoring ohne gesetzgeberische Aktivitäten in die Rechtsordnung.77 Verhindert Inhaltsfreiheit auch einen Stillstand der Rechtsentwicklung und verkörpert auf diese Weise ein Charakteristikum eines dynamischen Rechtssystems, so erfordert sie - gerade wegen ihres weiten Gestaltungsspielraums - eine gewisse inhaltliche Kontrolle. Beispielsweise aus sozialethischen oder gesellschaftlichen Erwägungen bedarf es in bestimmten Fällen einer Beschränkung des individuellen Willens durch das Recht.78 Die verfassungsrechtlichen Vorgaben sowie Umfang und Durchführung der Inhaltskontrolle sind Gegenstand der nächsten Kapitel. c)
Formfreiheit
Die Vertragsfreiheit stellt es im Grundsatz frei, in welcher Form der Erklärende sein rechtsgeschäftliches Wollen zum Ausdruck bringt. Dem Rechtssubjekt steht die Wahl unter sämtlichen denkbaren Formen des Sich-Mitteilens offen. Stall, der die freie Formwahl nicht vom Begriff der Vertragsfreiheit umfaßt sieht, sondern im Sinne eines sehr engen Vertragsfreiheitsbegriffs als allgemeine Voraussetzung für die Gültigkeit und das Zustandekommen eines Vertrags einstuft,79 verkennt den Charakter der Vertragsfreiheit. Ohne kompetenzermöglichende Regeln gibt es zwar keine Vertragsfreiheit. Formfreiheit beschreibt aber nicht nur einen rein formalen Handlungsablauf, um den Gebrauch von Freiheit, vergleichbar den §§ 145ff. BGB, in rechtssichere und geordnete Bahnen zu lenken. Wie vor allem das römische Recht zeigt,80 hängt die Möglichkeit, selbstbestimmt rechtliche Verpflichtungen zu begründen, nicht unwesentlich von der grundsätzlichen Abwesenheit vorgegebener formaler Regelungsmuster ab. Der Umfang der Wahlfreiheit wird nicht nur von Abschluß- und Inhaltsfreiheit bestimmt, sondern auch davon, die erstrebte Abrede im Zusammenspiel mit dem Vertragspartner ohne formale Hürden umsetzen zu können. Formfreiheit meint also nicht nur die technische Vorgehensweise bei der Realisierung privatautonomer Regelungen, sondern ist zugleich selbst existentieller Teil der Vertragsfreiheit.81 Die Einordnung als Freiheitselement schließt nicht aus, daß Formerfordernisse zugleich auch Ordnungsaufgaben erfüllen können. Entscheidendes Element der Vertragsfreiheit ist die Verwirklichung des übereinstimmenden individuellen Willens der Beteiligten. Der Konsens stellt das konstitutive Element rechtsgeschäftlicher Bindung dar. Ist der Konsens der Beteiligten der Geltungsgrund eines Rechtsgeschäftes, kann es zu seiner Wirksamkeit nur
77 Canaris, Festschrift für Lerche, S. 873, 874f.; Grunsky, Vertragsfreiheit, S. 5; Leßmann, JA 1983, 341, 343; Horm, Jura 1984, 57f.; Dilcher, NJW 1960,1040; Merz, Privatautonomie, S. 5; E. v. Hippel, Kontrolle, S. 17; Waltermann, Rechtsetzung, S. 62 ff. 78 Vgl. Musielak, in: Contratos: Actualidade e Evolucao, S. 359, 360ff. 79 Stoll, Vertragsfreiheit, S. 175, 177. 80 Siehe die Ausführungen im 1. Kapitel (S. 14ff.). 81 Fischer, Begriff, S. 38; unentschieden Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 77f.
2. Kapitel: Begriff und Struktur
der
Vertragsfreiheit
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noch auf das Verständlichmachen ankommen. Da der Wille der Beteiligten erst durch seine Verlautbarung erkennbar und erheblich wird, muß die Rechtsordnung, um eine unkomplizierte und ungehinderte Abwicklung von Rechtsgeschäften zu ermöglichen, ein dahingehend möglichst hindernisfreies Rechtssystem zur Verfügung stellen. Die geschichtlichen Erfahrungen, die zeigen, daß der Zwang zu bestimmten Formalakten und Typologien die freie Entfaltung und rechtliche Umsetzung rechtsgeschäftlichen Willens hemmt und in vielen Fällen auch der Entwicklung moderner Vertragsformen entgegensteht, haben dazu geführt, daß sich das BGB grundsätzlich für die Formfreiheit entschieden hat.82 Die Formfreiheit als wesentlicher Teilaspekt der Vertragsfreiheit ist damit Grundlage der deutschen Zivilrechtsordnung. Eine rechtlich relevante Willensbetätigung kann deshalb in beliebiger Weise zum Ausdruck gebracht werden, durch geschriebene und gesprochene Worte ebenso wie durch irgendein Verhalten, das der Adressat den Umständen nach als Ausdruck eines Rechtsfolgewillens erfassen kann.83 Das Primat des Konsenses hat nicht nur zur Folge, daß - anders als bei den römischen Formalgeschäften, die man mit Dulckeit als Wirkformen84 bezeichnen kann - Konsensmängel durch die Einhaltung einer bestimmten Form nicht geheilt werden können, sondern auch, daß gesetzlicher85 Formzwang als Ausnahme von der Regel besonderer Rechtfertigung bedarf. Diese Notwendigkeit einer Rechtfertigung resultiert aus der Ambivalenz gesetzlicher Formerfordernisse, die zum einen normativ gesetzter Ordnungsfaktor und zum anderen Element der Privatautonomie sind. Die mit der Formanordnung verbundene Nichtigkeitsdrohung will den Rechtsverkehr zur Beachtung der Form anhalten, hat also vornehmlich Gebotscharakter. Das Verhaltensgebot soll aber nicht die konsensuale Vertragsgestaltung beschränken, sondern setzt die autonome Willensbetätigung voraus und verhilft ihr zur Wirksamkeit. Indem der Formzwang gegebenenfalls zur Überlegung und Entfaltung der eigenen Entschlüsse anhält, dient er auch der Verwirklichung der Abschlußfreiheit. Die Abschlußfreiheit ist aber insofern eingeschränkt, als nicht mehr frei über den Abschlußmodus entschieden werden kann. Das formgebundene Rechtsgeschäft ist mithin Ergebnis heterogener Einflüsse. Der Vertrag wird von den Parteien geschlossen, Verbindlichkeit läßt sich allerdings nur durch Wahrung 82 Vgl. das 1. Kapitel (S.36ff.). §91 des Ersten und §104 des Zweiten Entwurfs formulieren »Für ein Rechtsgeschäft ist eine besondere Form nur dann erforderlich, wenn eine solche durch Gesetz oder Rechtsgeschäft bestimmt ist.« In der Denkschrift findet sich die Aussage, daß sich das B G B bewußt für den Grundsatz der Formfreiheit entschieden hat (S. 24 = Mugdan I, S. 835). Eine ausdrückliche Normierung wurde letztlich als überflüssig angesehen, die genannten Vorschriften wurden nicht in das B G B aufgenommen. 83 Allgemeine Meinung, vgl. nur Musielak, G K B G B , Rn.42, 47. 84 Dulckeit, Festschrift für Schulz I, S. 148, 160. 85 Element der Formfreiheit ist nicht nur die Abwesenheit von formalen Vorgaben, sondern auch die Freiheit, in Übereinstimmung mit dem Vertragspartner bestimmte Formerfordernisse zu vereinbaren und den Charakter als konstitutive oder deklaratorische Form festzulegen. Rechtsgeschäftlich bestimmte Form ist als autonom gesetztes Verhaltensgebot für den Parteiwillen disponibel.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
der F o r m erreichen. Diese dualistische Wirkungsweise gesetzlicher Formvorgaben erlaubt es, F o r m als »in die Privatautonomie zwangsintegrierten objektiven Ordnungsfaktor« 8 6 zu verstehen. Dabei sind nicht nur beide Aspekte bei der Beurteilung von Formmängeln zu berücksichtigen, sondern gesetzliche F o r m v o r schriften müssen sich aus einer Abwägung objektiv-heteronomer und privat-autonomer Umstände rechtfertigen lassen. Der Zweck und die Funktion der F o r m begründen dabei die Rechtfertigung des legislatorischen Eingriffs, ohne selbst Tatbestandserfordernis für ihn zu sein. 87 An Formzwecken werden im wesentlichen Warn-, Beweis- und Beratungszwecke unterschieden.88 Funktionell ist auf objektiver Seite danach zu differenzieren, ob die Form als eine innere Schranke der Privatautonomie oder ob sie aus öffentlichem Interesse als äußere Schranke ausgeprägt ist. Öffentliches Interesse ist in diesem Zusammenhang nicht als Verkehrsinteresse zu verstehen, weil das Interesse des Rechtsverkehrs an klaren Rechtsverhältnissen privatautonom bestimmt ist. 89 Gemeint ist hier in erster Linie eine öffentliche Kontrolle des Rechtsverkehrs durch Formvorgaben; sie ist im Privatrechtsverkehr selten.90 Deutlich zeigt sich das am Beispiel der §§313, 925 B G B , die in engem Rahmen zwar öffentliche Kontrolle durch Anzeigepflichten und Genehmigungsvorbehalte ermöglichen, die aber nur eine faktische Reflexwirkung der notariellen Form und der durch sie ausgelösten Mitteilungspflichten darstellt. Funktioneller Schwerpunkt ist die schützende Flankierung der Vertragsfreiheit. Die Formerfordernisse sollen dem Vertragspartner Klarheit über die Eigentumsübertragung schaffen und dienen deshalb überwiegend privatem Interesse.91 Regelmäßig bezwecken Formvorschriften eine objektive Ordnung der Vertragsfreiheit um ihrer selbst willen, indem sie, wie beispielsweise § 766 BGB, auf Risiken aufmerksam machen und vor Ubervorteilungen schützen. 92 Der Schutz des privaten Willens steht im Vordergrund; er ist zwar in seiner Ausführung gehemmt, soll aber gerade durch die der Form innewohnenden Zwecke zur Verwirklichung gebracht werden. Die der Freiheit der Willensbildung immanenten Bindungsrisiken können so zumindest in gewisser Weise einer autonomen Reflektion zugeführt werden. Während auf öffentlichem Interesse beruhende Formen die Vertragsfreiheit heteronom begrenzen, dienen auf Individualinteressen zurückzuführende gesetzliche Formen der Vertragsfreiheit und sichern - gerade durch die freiheitsbegrenzende Wirkung - ihre Verwirklichung. Diese Differenzierung erlaubt Rückschlüsse für die Beurteilung von Formfehlern. Während bei in die Privatautonomie
Häsemeyer, Form, S.162. Bernard, Rechtsgeschäfte, S. 32f.; Förschler, in: MünchKommBGB, § 125 Rn. 5,68; Reinikke, Rechtsfolgen, S.73; BGHZ 16, 334, 335. 88 Zusammenstellungen der vielfältigen Formzwecke finden sich nicht nur in den Motiven I, S. 179 (Mugdan I, S. 451), sondern in enzyklopädischer Weise auch bei Heldrich, AcP 147 (1941), 91; Lorenz, AcP 156 (1957), 393; Reinicke, Rechtsfolgen, S.32. Zu den Wirkungen des Formzwanges Bernard, Rechtsgeschäfte, S.35ff.; F. v. Hippel, Privatautonomie, S. 159ff. 89 Verkehrsinteresse meint die Summe der Individualinteressen, so zutreffend Häsemeyer, Form, S. 170ff., 183. 90 Ein Beispiel ist §34 a.F. GWB (ab 1.1.1999 § 15 Abs. 2 GWB mit engerem, auf Vertikalbindungen beschränktem Anwendungsbereich, BGBl. 1998 I, S. 2547), der den Kartellbehörden die Überwachung wettbewerbsbeschränkender Abreden erleichtern soll; vgl. Wahl, JZ 1968, 783f.; BGHZ 53, 304, 306f. 91 Vgl. Wilhelm, Sachenrecht, Rn.502; Baur/Stürner, Sachenrecht, §21 A l l . 92 Für §766 BGB siehe Heldrich, AcP 147 (1941), 91, 94; Palandt/Thomas, §766 Rn. 1; allgemein Häsemeyer, Form, S. 169ff. 86 87
2. Kapitel: Begriff und Struktur der
Vertragsfreiheit
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integrierten Formvorgaben die Erfüllung den Schluß auf eine Zweckerreichung der Form zuläßt und eine Heilung des Formmangels deshalb funktionskonform erscheint, ist eine solche bei aus öffentlichem Interesse angeordneten Vorschriften nicht in Betracht zu ziehen. Denn anderenfalls wäre eine Abwicklung des Geschäfts ohne Offenbarung aller Abreden möglich, und die erstrebte öffentliche Kontrolle würde leerlaufen. Bestätigt wird diese Sichtweise durch die von der überwiegenden Auffassung vorgenommene Begrenzung der Nichtigkeitsandrohung des §125 S. 1 B G B mittels §242 B G B . 9 3 Bei der Verletzung von Formvorgaben, die in erster Linie der Sicherung der Willensfreiheit und damit der Privatautonomie dienen, wird die Berufung auf § 242 B G B eher zugestanden 94 als bei aus öffentlichem Interesse diktierten Formen. Hier können Formmängel nicht durch Anwendung von §242 B G B korrigiert werden. 95 Eine wirksame Kontrolle ist nämlich nur gewährleistet, wenn sich die Kontrahenten unbeeinflußt von den konkreten Verhältnissen auf Formmängel berufen können. Bei Formerfordernissen, die zur Wahrung einer freien Willensausübung geschaffen wurden, ist es möglich, den subjektiven Bezug der Formfunktionen zu verändern. Die Wahrung einer Form kann individuell begrenzt werden. Mit der Variierung einher geht eine Reduktion des die Vertragsfreiheit begrenzenden Formerfordernisses auf diejenige Willenserklärung, die aufgrund ihres die spezifische Willensfreiheit bedrohenden Risikos eines Formzwanges bedarf. So liegt es beispielsweise bei § 766 B G B . Das in Satz 1 der Vorschrift statuierte Formerfordernis ist allein auf die Erklärung des Bürgen bezogen. Die Schriftform hat Warnfunktion; sie soll dem Bürgen die Tragweite der übernommenen Verpflichtung verdeutlichen und ihn vor der Eingehung unüberlegter Bürgschaften warnen. 96 Die Reichweite der Formbedürftigkeit, also die Frage, in welchem Umfang Abreden und Nebenabreden der Form unterliegen, läßt sich in gewissem Maße ebenfalls daraus ableiten, ob die Form den Verkehrs-, Partei-, Einzel- oder Drittinteressen Genüge tun soll. Häsemeyer hat in seiner eingehenden Untersuchung die Wechselwirkung der subjektiven Zielrichtung der Formfunktionen mit der Reichweite des jeweiligen Formgebotes treffend herausgearbeitet. Formvorgaben aus Verkehrsinteressen, das heißt der Summe der Individualinteressen, die in der Privatautonomie wirksam werden, erfassen die Gesamtheit rechtsgeschäftlicher Abreden. Denn jede (Neben-)Abrede betrifft das Interesse des Rechtsverkehrs, der möglichst weitgehende Klarheit über die Rechtsverhältnisse erzielen will. 97 Formvorschriften, die dem Partei- oder Individualinteresse dienen, erlauben eine jeweils abgestufte Reichweite der Form. 9 8 Die Reichweite der Formen aus Drittinteressen, also von Forman93 Rechtsprechung (BGHZ 29,10; 48,398; NJW1984,607; NJW 1987,1070) und herrschende Meinung in der Literatur (Canaris, Vertrauenshaftung, S. 288ff.; Flame, Rechtsgeschäft, § 15 III 4 d; Förschler, in: MünchKommBGB, § 125 Rn. 55ff.) lassen unter Hinweis auf §242 BGB eine Berufung auf einen Formmangel dann nicht zu, wenn die Rechtsfolge des § 125 S. 1 BGB zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde. Die Wertung der Privatautonomie ermöglicht wie dargestellt - eine Korrektur anhand §242 BGB. 94 Zweck und Funktion der Form selbst erlauben allerdings keinen unmittelbaren Rückschluß auf Gültigkeit oder Ungültigkeit eines konkreten Rechtsgeschäfts. Bei beiden Elementen handelt es sich um ein gesetzgeberisches Motiv, nicht um ein Tatbestandsmerkmal, vgl. die Nachweise in Fn. 87; a.A. Teile des älteren Schrifttums wie Danz, DJZ 1909, 281, 284ff.; Henke, ZZP 81 (1968), 321, 352; Lorenz, AcP 156 (1957), 381, 385, 408ff. 95 So hat der BGH bei § 34 a.F. GWB (vgl. Fn. 90) §242 BGB zutreffenderweise für nicht anwendbar erklärt, NJW 1978, 822. 96 BGH NJW 1996, 1467, 1468; BGHZ 121, 224, 229. 97 Häsemeyer, Form, S. 183 f.; in diese Richtung ebenfalls Bernard, Rechtsgeschäfte, S. 53 ff. unter Betonung der Formzwecke. 98 Vgl. Häsemeyer, Form, S. 192ff.
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Ordnungen, die im Interesse von Personen getroffen sind, die zwar nicht am Vertrag beteiligt sind, aber gleichwohl von dem Geschäft unmittelbar betroffen werden, ist schließlich nach den Drittwirkungen der einzelnen Rechtsgeschäfte zu bestimmen." Umfang und Ausgestaltung des gesetzlichen Formzwanges lassen sich folglich in ihren Grundlagen anhand des subjektiven Bezugs der in die privatautonome Ordnung integrierten jeweiligen Form festlegen. 100
III. Vertragsfreiheit und Stufenbau der Rechtsordnung Der Begriff Privatautonomie legt aufgrund seiner Wortzusammensetzung nahe, daß auf der Basis der Vertragsfreiheit getroffene Regelungen autonom gesetztes Recht darstellen.101 Bezeichnet man als autonome Normierungen jene, die nicht vom Staat oder seinen Organen ausgehen, sondern auf den Willen von Privatrechtssubjekten zurückzuführen sind, die sich solche Normen selbst gesetzt haben, wäre dem Vertrag ein Platz in der Lehre von den Rechtsquellen zuzuweisen. Und in der Tat wird diese wortlautgemäße Deutung vertreten. So begriff vor allem Kelsen die übereinstimmenden Willenserklärungen als normerzeugenden Tatbestand.102 Das ist nicht zutreffend: Mit privatautonomen Gestaltungen kann Recht nicht gesetzt werden, da es den Privatrechtssubjekten insoweit an Kompetenz fehlt. Diese steht dem Gesetzgeber zu.103 Entsprechend dieser Rolle hat der Gesetzgeber eine Rechtsordnung geschaffen, die den Willen der Beteiligten zur Geltung bringt, ohne daß es (materiell) weiterer staatlicher Maßnahmen bedarf. Die Zivilrechtsordnung verleiht der privatautonomen Gestaltung erst die rechtliche Relevanz, indem sie den privatautonomen Akt anerkennt. Für das Vertragsrecht heißt das, daß die Rechtsordnung die Vereinbarung der Vertragschließenden anerkennt, sofern die Abrede bestimmten gesetzlichen Mindestanforderungen genügt. Mit der Anerkennung durch die Rechtsordnung ist ein dirigistischer Aspekt nicht verbunden. Die Deviation zwischen einer dirigistischen und einer freiheitlichen Rechtsordnung beruht nämlich nicht darauf, daß bei einer zwingend ausgestalteten Ordnung der Gesetzgeber den Tatbestand festlegt, an den er gewisse Rechtsfolgen knüpft, woBeispiele bei Häsemeyer, Form, S. 192 ff. Im einzelnen ist freilich auf teleologische Aspekte der jeweiligen Konstitutivnorm und Umstände des konkreten Falles abzustellen, vgl. z.B. Medicus, Allgemeiner Teil, Rn. 630ff.; Hübner, Allgemeiner Teil, Rn. 870ff., 877ff.; Erman/Brox, § 125 Rn. 3ff., 23 ff.; Westerhoff, AcP 184 (1984), 343 ff. 101 Zum geschichtlichen Hintergrund Mayer-Maly, Jahrbuch, S. 268, 272. 102 Kelsen, Rechtslehre, S. 261 ff.; ähnlich auch Manigk, Festschrift für Koschaker, S.266, 284f.; Raiser, Allgemeine Geschäftsbedingungen, S. 61 ff., 75f.; F. v. Hippel, Privatautonomie, S.57ff., v.a. S. 62 Fn. 7. Auch in dieser Frage bestand Streit zwischen Thibaut, der Verträge als »Autonomie-Gesetze« verstand (System des Pandekten-Rechts Bd. 1, S. 34), und Savigny, der es als Begriffsverwirrung ansah, »wenn man Verträge und Gesetze auf eine Linie als Rechtsquellen stellt« (System B d . l , S . 1 2 ) . 103 Flume, Rechtsgeschäft, § 1 , 4 (»Wie der einzelne nicht in eigener Sache Richter sein kann, kann er auch nicht Gesetzgeber sein.«). 99
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2. Kapitel: Begriff und Struktur der Vertragsfreiheit
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gegen es in der freiheitsdeterminierten Variante der Parteiwille ist, der diese Funktion erfüllt. D e n n in beiden Fällen gibt der Gesetzgeber den die Rechtsfolge auslösenden Tatbestand vor: I m Bereich der Vertragsfreiheit k o m m t diese Aufgabe dem Konsens, bei einer zwingend ausgestalteten Rechtsordnung irgendeinem anderen gesetzlichen Tatbestand zu. D e r Unterschied beider Grundsysteme besteht darin, daß im dirigistischen R a h m e n Rechtsfolgen unabhängig von einem möglicherweise abweichenden oder sogar fehlenden Gestaltungswillen der Privatrechtssubjekte vorgegeben sind, während es in einem privatautonomen System den Parteien obliegt, nach ihrem Willen über Entstehung, U m f a n g und B e stand der Rechtsgeschäfte zu bestimmen. Die rechtliche Relevanz vertraglicher Bindung hat ihren Ursprung also zum einen in der Willensübereinstimmung zweier oder mehrerer Privatrechtssubjekte und zum anderen in der Anerkennung des Konsenses durch die Rechtsordnung. 1 0 4 In Verwirklichung der Vertragsfreiheit getroffene Vereinbarungen stellen keine Rechtssetzung dar, denn dem privatautonomen A k t fehlt die materielle Qualifikation des Rechts. Vertragsfreiheit kann nur im R a h m e n der Rechtsordnung wirken. D i e Rechtsordnung erkennt den Konsens als grundsätzlich verbindliche Regelung an, wodurch er zwischen den Vertragsparteien Verbindlichkeit erlangt. Der Begriff Autonomie im Sinne einer eigenständigen Rechtsquelle ist - sieht man von der öffentlich-rechtlichen Seite ab - allein im Tarifvertragsrecht sachlich zutreffend. Art. 9 Abs. 3 G G enthält nämlich nicht nur ein Individualgrundrecht, sondern statuiert Tarifautonomie, um ein weitgehendes Leerlaufen von Koalitionsbildungs- und Koalitionsbestandsgarantie zu verhindern.105 Eine Einrichtungsgarantie zugunsten eines Tarifvertragssystems 106 umfaßt den Abschluß von Tarifverträgen. Inhalt der Tarifverträge sind neben dem schuldrechtlichen Teil auch Regelungen, die sich nicht an die Tarifvertragsparteien wenden, sondern an deren Mitglieder (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) und die den Inhalt der zwischen diesen geschlossenen Arbeitsverträge betreffen. Die Befugnis der Drittbezogenheit läßt sich dabei mit dem Prinzip der Vertragsfreiheit nicht begründen. Prägendes Merkmal eines Schuldvertrages ist im Grundsatz die im Konsens der Beteiligten getroffene Abrede. Dem Relativitätsprinzip folgend läßt sich eine Einschränkung der Handlungsfreiheit des einzelnen nur im Falle der Selbstbindung rechtfertigen. 107 Der Gedanke des §328 B G B hilft ebenfalls nicht weiter. Kennzeichen des Vertrages zugunsten Dritter ist, daß der Dritte ein Forderungsrecht gegen den Versprechenden erwirbt. 108 Durch Tarifvertrag erlangt der 104 Braun, Einführung, S. 157; Flume, Rechtsgeschäft, §1,4; Larenz, Allgemeiner Teil, § 2 II, e; Merz, Privatautonomie, S.3; Staudinger/Dilcher, Einl. zu §§104-185 Rn.7; Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 149ff., 159. 105 Sachs/Höfling, Art. 9 GG Rn.66f.; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 9 GG Rn.170; SchmidtBleihtreu/Klein, Art. 9 GG Rn. 12,14; BVerfGE 4, 96, 108; 18, 18, 28; 20, 312, 317. 106 Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art.9 GG Rn. 12; Otto, Festschrift für Zeuner, S. 121, 128ff.; Hanau, AuR 1983,257ff.; BVerfGE 4,96,106; 17,319,333f.; 28,295,304ff.; 42,133,139; 50,290, 368; 58, 233, 247. 107 Vgl. nur Larenz, Schuldrecht I, §2 II; Schlechtriem, Schuldrecht AT, Rn. 8; zu Herleitung und Bedeutung des Relativitätsprinzips Henke, Relativität, S. 72 ff.; Schmidt, AcP 190 (1990), 650ff. 108 Vgl. nur Staudinger/Jagmann, §328 Rn.7ff.; Gottwald, in: MünchKommBGB, §328 Rn. 15ff.; Gernhuher, Schuldverhältnis, §20 I; Soergel/Hadding, §328 Rn. 31 ff., jeweils m. weit. Nachw.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
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Dritte jedoch gegebenenfalls ein Forderungsrecht nicht gegen einen Vertragsbeteiligten, sondern gegen einen Vierten. Des weiteren korrespondiert mit dem Recht des einen regelmäßig eine Pflicht des anderen.109 Ein Vertrag zu Lasten Dritter, also eine Vereinbarung, durch die ein Dritter ohne seine Mitwirkung unmittelbar verpflichtet wird, ist der Rechtsordnung fremd und dementsprechend unwirksam. 110 Das Tarifvertragssystem ist deshalb auf eine normative Wirkung der Tarifverträge angewiesen; eine bloße Anerkennung der Willensbildung der Tarifvertragsparteien vergleichbar der Vertragsfreiheit hilft hier nicht weiter. Die dogmatische Begründung der Rechtssetzungsmacht ist allerdings ungeklärt.111 Während die sogenannte Integrationslehre davon ausgeht, daß die originär-staatliche Normsetzungsbefugnis unmittelbar durch Art. 9 Abs. 3 G G auf die Koalitionen übergegangen ist, 112 sieht die Delegationstheorie die Normsetzungsmacht aus § 1 T V G abgeleitet. § 1 TVG spreche ausdrücklich davon, daß der Tarifvertrag »Normen« enthalte und ermächtige damit die Tarifpartner zu ihrem Erlaß. 113 Andere wiederum sehen die Normsetzungsbefugnis als ein originäres Recht an. 114 Die Geltungsanordnung, der Satz »ita ius esto«, wird von den Vertragspartnern ausgesprochen, nicht vom Gesetzgeber. Dieser stellt den Privatrechtssubjekten lediglich eine Kompetenzordnung zur Verfügung, um ihre rechtlichen (Gestaltungs-)Vorstellungen auf der Grundlage eines rechtssicheren Systems zu verwirklichen. Ein Vertrag verkörpert keine gesetzesgleiche eigenständige Rechtsquelle, sondern wird von der Rechtsordnung als verbindliche Regelung anerkannt, sofern er sich im Rahmen der von der Rechtsordnung gezogenen Freiheitsgrenzen hält. Diese Einschätzung bedeutet nicht nur eine Absage an die vor allem im 19. Jahrhundert vertretene Imperativentheorie, die Ansprüche aus Vertrag als vertraglich bedingte »Gesetzesbehelfe« interpretiert und Rechtsgeschäfte als »Vorbedingung für den Eintritt oder die Aufhebung einzelner Imperative« qualifiziert hat. 1 1 5 Nicht zu folgen ist ebenfalls der Tatbestandslehre, nach der ein Rechtsgeschäft nicht mehr ist als ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestands, an den der Eintritt
109 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 170, 179ff.; Kempen/Zachert, Tarifvertragsgesetz, §4 Rn. 1, 9. Vgl. auch Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn.5f., 69ff. Rechtsnormen eines Tarifvertrages werden jedoch nicht zum Inhalt des Einzelarbeitsvertrages, sondern wirken auf diesen vergleichbar gesetzlichen Rechtsnormen ein, dazu Wiedemann/Stumpf, Tarifvertragsgesetz, § 4 Rn. 170,182f.; Löwisch/Kieble, Tarifvertragsgesetz, § 4 Rn. 52; zur geschichtlichen und dogmatischen Entwicklung dieser Wirkungsweise Herschel, ZfA 1976,92ff. Die Einordnung der Tarifnormen wie Gesetze hat zur Folge, daß auch jene zivilrechtlichen Regelungen Anwendung finden, die an das Tatbestandsmerkmal des Gesetzes im materiellen Sinn anknüpfen. So kann eine Tarifvorschrift gegebenenfalls gesetzliches Verbot gemäß §134 BGB sein; sieht sie Schriftform vor, ist nicht § 125 S.2 BGB, sondern vielmehr § 125 S. 1 BGB einschlägig. 110 Gernhuber, Schuldverhältnis, §23 12; Erman/H.P. Westermann, vor §328 Rn. 10; Laufke, Festschrift für Lehmann, S. 145, 170; BGHZ 68, 228, 231 ff.; 78, 369, 374f.; zum Meinungsstand im einzelnen Habersack, Vertragsfreiheit, S.26ff. 111 Zusammenfassend zum Meinungsstand Gamillscbeg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 15 III 2; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 55ff.; Kemper, Koalitionsfreiheit, S.67ff. 112 Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 104f.; Weber, Koalitionsfreiheit, S.24. 113 Säcker, Gruppenautonomie, S.261ff., 267; BAGE 4, 240, 251; 33, 140, 149. 114 Söllner, ArbuR 1966, 257, 260ff.; Galperin, Festschrift für Molitor, S. 143, 154. 115 Thon, Rechtsnorm, S. 350.
2. Kapitel: Begriff und Struktur der
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von Rechtsfolgen geknüpft ist.116 Auch dieser Ansatz verkennt das Essentiale des Rechtsgeschäfts, nämlich, daß die schöpferische Gestaltung von Rechtsfolgen durch die Privatrechtssubjekte selbst erfolgt. Privatautonomie und damit Vertragsfreiheit drücken eine im Verständnis des Gesetzgebers dessen positivem Recht vorausgehende und zugrundeliegende, quasi natürliche Fähigkeit zur konsensualen Gestaltung der Rechtsbeziehungen aus.117 Das zeigt sich am häufig zitierten Beispiel von Husserl, wonach auch »zwei staatenlose Menschen, gestrandet in der Wüste,« einen Vertrag schließen können.118 Freilich fehlt es hier an gesetzlichen Kompetenz- und Komplementärnormen, der Vergleich hinkt also,119 verdeutlicht gleichwohl aber, daß der Tatbestandsthese keine Uberzeugungskraft zukommt. Ein Vertrag stellt kein Tatbestandselement einer Gesetzesnorm dar. Das ist auch der Grund, warum die Ansichten, die Vertragsfreiheit mit Ermächtigung oder Delegation zu erklären suchen,120 wenig positive Resonanz gefunden haben. Mit der Zulassung aufgrund Vertragsfreiheit ausgeformter Abreden überträgt der Gesetzgeber nicht ihm selbst zustehende, originär staatliche Befugnisse auf ein Privatrechtssubjekt, das sie konsekutiv ausübt. Primär und genuin ist dem Verständnis der Rechtsordnung nach die Freiheit der Privatrechtssubjekte, die erst im zweiten Schritt - rechtliche Anerkennung durch die staatliche Rechtsordnung erfährt. Zutreffend ist mithin allein die Anerkennungstheorie.
IV. Resümee Vertragsfreiheit beschreibt das rechtliche Korrelat zur Anerkennung der menschlichen Freiheit und stellt so einen wesentlichen Eckpfeiler einer freiheitlichen Rechtsordnung dar. Sie verwirklicht den freien Willen der Privatrechtssubjekte, indem sie ihre Kompetenz zur selbstbestimmten Rechtsfolgenbestimmung anerkennt und ihnen eine Rechtsordnung zur Seite stellt, in deren Rahmen121 sich der individuelle Wille entfalten kann. Die Wirkungen des Konsens hängen von der Existenz gesetzlicher Vorschriften ab, welche die Realisierung des übereinstimmend gewollten Erfolges zulassen, sichern und gegebenenfalls dessen Durchsetzung gewährleisten. Vertragsfreiheit wird üblicherweise in Abschluß-, Inhaltsund Formfreiheit untergliedert, wobei der Gestaltungsfreiheit besondere BedeuWindscheid, Pandektenrecht Bd. I, §68; Zitelmann, Irrtum, S.280. Canaris, AcP 184 (1984), 201, 218. 118 Husserl, Rechtskraft, S. 39. 119 Das Beispiel von Husserl hat deshalb zu Recht mannigfaltige Kritik erfahren; ausführlich F. v. Hippel, Privatautonomie, S. 92ff.; zusammenfassend aus der Perspektive der Anerkennungstheorie Höfling, Vertragsfreiheit, S.23f. 120 Ermächtigungs- und Delegationsansatz können nicht gleichgesetzt werden; gleichwohl variieren die Termini. Vgl. Manigk, Privatautonomie, § 20; Weher, Wirtschaft, S.413f.; Oftinger, Festgabe zur Hundertjahrfeier der Bundesverfassung, S.315, 322 (»Die in der Privatautonomie liegende Machtbefugnis ist den Privaten kraft Delegation verliehen.«). 121 Vgl. BVerfG NJW 1990,1469,1470 (»Privatautonomie besteht nur im Rahmen der geltenden Gesetze.«). 116 117
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
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tung zukommt. Sie steht deshalb im Mittelpunkt der folgenden Erwägungen. Die Facetten der Vertragsfreiheit bilden die Grundelemente der Privatrechtsordnung und sind damit Bestandteile des einfachen Rechts. Eine andere Frage ist, ob und w e n n ja - in welchem U m f a n g die dargestellten Strukturen der Vertragsfreiheit verfassungsrechtlich vorgegeben sind. Von Interesse ist darüber hinaus, inwiefern verfassungsrechtliche Wertungen auf ein vertragliches Schuldverhältnis einwirken können.
3. Kapitel
Verfassungsrechtliche Implikationen Die konkreten verfassungsrechtlichen Implikationen von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle sind in weiten Teilen noch ungeklärt. 1 Daran haben auch die zu diesem T h e m e n k o m p l e x ergangenen Urteile des Bundesverfassungsgerichts wenig geändert. Anhand der bisher zur Entscheidung gestellten Sachverhalte konnte das Bundesverfassungsgericht Garantie und G r e n z e n der Vertragsfreiheit nur bruchstückhaft entwickeln. 2 A u c h umfassende verfassungsrechtliche Studien zur Vertragsfreiheit sind selten geblieben. 3 Angesichts der »beinahe Ehrfurcht einflößenden Dimensionen« 4 der Thematik sowie der deshalb häufig notwendigen B e schränkung auf spezielle Problemkreise 5 ist das durchaus verständlich. A u c h in dieser Arbeit, deren Hauptanliegen die grundsätzlichen zivilrechtlichen Interdependenzen von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle sind, können aus der Fülle interessanter grundrechtsdogmatischer Fragen nur einige für das Zivilrecht zentrale Aspekte angesprochen werden. Im einzelnen kann dabei nicht auf die unterschiedlichen Grundrechtstheorien eingegangen werden.6 Auch ohne sich auf eine spezielle Grundrechtslehre festzulegen, ist es möglich, verfassungsrechtliche Fragestellungen einer zeitgerechten Lösung zuzuführen. Je nach konkretem Anforderungsprofil können verschiedene Grundrechtslehren kombiniert werden. Diese pragmatische Sichtweise der Grundrechtstheorien, denen allesamt in ihrem Kernbereich eine gewisse einzelfallgerechte Uberzeugungskraft zukommt, hat in Schrifttum und Rechtsprechung überwiegend Anerkennung gefunden.7 Ausgangspunkt und zugleich Weichenstellung für die weitere Untersuchung des verfassungsrechtlichen Rahmens von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle ist Höfling, Vertragsfreiheit, S.2; Preis, Grundfragen, S. 37, m. weit. Nachw. Vgl. neben den bei Niebier, Festschrift 125 Jahre Bayerisches Notariat, S. 131, 142ff., aufgeführten Entscheidungen insbesondere BVerfGE 81,242; 89,214; BVerfG NJW 1994,2749; NJW 1996, 2021. 3 Laufke, Festschrift für Lehmann, S. 145ff.; Huber, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, 1966; Roscher, Vertragsfreiheit als Verfassungsproblem, 1974; Höfling, Vertragsfreiheit, 1991; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 119ff. 4 Taupitz, AcP 192 (1992), 341. 5 Bethge, Der Staat 24 (1985), 351, 352f., 381f.; Hesse, Verfassungsrecht, S.5.; Stern, Staatsrecht Bd. III/l, S. VII (Wer Lückenlosigkeit erstrebe, »hätte nur zu lesen, zum Schreiben bliebe ihm keine Zeit mehr.«); Schmidt, JZ 1993, 833. 6 Überblick bei Robbers, JuS 1985, 925, 927. 7 Vgl. Alexy, Grundrechte, S.21ff., 28ff.; Bender, Befugnis, S.338\Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S.350ff.; ders., Der Staat 26 (1987), 135ff.; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S.149; skeptisch aber beispielsweise Böckenförde, NJW 1974, 1529, 1537. 1
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Selbstgestaltung
die Frage, inwieweit der vertragsfreiheitliche Gedanke im Grundgesetz Berücksichtigung gefunden hat.
I. Die grundrechtliche Anerkennung der Vertragsfreiheit Eine ausdrückliche Gewährleistung der Vertragsfreiheit im Grundgesetz fehlt; Art. 152 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung (»Im Wirtschaftsverkehr gilt Vertragsfreiheit nach Maßgabe der Gesetze.«) 8 wurde in das Grundgesetz nicht übernommen. 9 Dadurch unterscheidet sich das Grundgesetz von der Bayerischen, Rheinland-Pfälzischen und Saarländischen Landesverfassung, die in Art. 151 Abs. 2 BayVerfassung,10 Art. 52 Abs. 2 Rheinl.-PfälzVerfassung11 sowie Art. 44 SaarlVerfassung12 den Begriff zumindest erwähnen, wenn auch nicht durchweg als Grundrecht qualifizieren.13 Die Zurückhaltung des Verfassungsgebers überrascht nicht nur im Hinblick auf die explizite Regelung in der Weimarer Reichsverfassung, sondern auch deswegen, weil andere »Eckpfeiler« 14 der Privatrechtsgesellschaft, die Testier- und Eigentumsfreiheit in Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G verfassungsrechtlich ausdrücklich erwähnt sind. Daraus - e contrario - zu folgern, daß die autonome vertragliche Gestaltung privater Rechtsbeziehungen seit dem 23. Mai 1949 (Art. 145 Abs. 2 G G ) verfassungsrechtlich nicht (mehr) verankert sei, übersieht, daß dem Verfassungsgeber neben der ausdrücklichen Erwähnung auch die Möglichkeit einer inzidenten Einbeziehung bleibt. Eine grundrechtliche Aussage des Verfassungstextes umfaßt häufig mehrere verschiedenartige Berechtigungen; in einer einzelnen Formulierung ist möglicherweise eine Mehrzahl von normativen Wertungen enthalten, denen jeweils eine subjektive Berechtigung bestimmter Struktur entsprechen kann. Neben diesen dem Innenbereich einzelner Grundrechtsbestimmungen zuzuordnenden Berechtigungskomplexen - von Alexy als »Grundrecht als Ganzes«, 15 von Sachs als »grundrechtlicher Berechtigungskomplex«16 bezeichnet - sind die Auslegung jedes einzelnen Grundrechts Dazu näher Stoll, Grundrechte Bd. III, S. 175ff. Raiser, J Z 1958, 1, 4 (»Schweigen der Verfassung«). 10 Art. 151 Abs. 2 Bay Verfassung: »Innerhalb dieser Zwecke gilt Vertragsfreiheit nach Maßgabe der Gesetze. Die Freiheit der Entwicklung persönlicher Entschlußkraft und die Freiheit der selbständigen Betätigung des einzelnen in der Wirtschaft wird grundsätzlich anerkannt. Die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen findet ihre Grenze in der Rücksicht auf den Nächsten und auf die sittlichen Forderungen des Gemeinwohls. Gemeinschädliche und unsittliche Rechtsgeschäfte, insbesonders alle wirtschaftlichen Ausbeutungsverträge sind rechtswidrig und nichtig.« 11 Art.52 Abs.2 Rheinl.-PfälzVerfassung: »Die Vertragsfreiheit, die Gewerbefreiheit, die Freiheit der Entwicklung persönlicher Entschlußkraft und die Freiheit selbständiger Betätigung des Einzelnen bleiben in der Wirtschaft erhalten.« 12 Art. 44 SaarlVerfassung: »Vertragsfreiheit und Gewerbefreiheit sind nach Maßgabe der Gesetze gewährleistet. Jeder Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellung ist unzulässig.« 13 Vgl. Höfling, Vertragsfreiheit, S. 4 Fn. 19. 14 Boehmer, Art. 154, S.250ff., 255. 15 Alexy, Theorie, S.224ff. 16 Sachs, in: Stem, Staatsrecht Bd. I I I / l , §65 V. 8 9
3. Kapitel:
Verfassungsrechtliche
Implikationen
71
sowie die Bedeutung des grundrechtlichen Zusammenspiels zu berücksichtigen. 17 Das Fehlen ausdrücklicher Erwähnung läßt häufig einen Rückschluß auf verfassungsrechtliche Dignität nicht zu.18 In der Diskussion um den Stellenwert der Vertragsfreiheit in der Rechtsordnung wird diese Argumentationslinie deshalb nicht vertreten; bei der Stellenwertzuordnung werden vielmehr folgende Überlegungen angestellt: 1. Vertragsfreiheit als Gegebenheit des einfachen Rechts Struck verneint die verfassungsrechtliche Absicherung der Vertragsfreiheit. 19 Vertragsfreiheit sei eine Erscheinungsform des einfachen Rechts, und deshalb könnten »Parlament und Exekutive« in diesem Rahmen gestaltend tätig werden. 20 Der Gesetzgeber sei daher keiner spezifisch verfassungsrechtlichen Rechtfertigungspflicht unterworfen, wenn er fallweise in den Freiheitsraum, beispielsweise aus Gründen des Verbraucherschutzes eingreife.21 Als Begründung für seine Sichtweise zieht Struck zunächst die gesetzgeberische Wertung heran, wonach die Rechtsordnung in bestimmten Fällen Abreden duldet, ihnen die justizielle Durchsetzbarkeit aber versagt. Das gelte beispielsweise für die sog. »Gefälligkeitsverhältnisse, also das Mitnehmen eines Trampers oder eine Wegauskunft auf der Straße, Heiratsvermittlung oder die Vereinbarung eines überhöhten pauschalierten Schadensersatzes in Allgemeinen Geschäftsbedingungen.« Gerade diese Bereiche, die ohne und jenseits der Justiz das Leben bestimmten, seien für die Lebensbedingungen viel entscheidender als die, die rechtlich anerkannt würden. Frage man danach, was das Glück des Menschen ausmache, worin sie ihre Persönlichkeit entfalteten, dann werden nach Struck zunächst die Bereiche und Ubereinkünfte genannt, in denen die Justiz »nichts vermag«. 22 Auch dort, wo rechtlich wirksames Vertragsrecht nicht geschaffen werden könne, handelten die Privatrechtssubjekte frei und wickelten das Geschäft in vielen Fällen ungestört ab. Darin zeige sich, daß die Qualifikation der Vertragsfreiheit als Grundrecht nicht passe. Der normtextliche Befund der grundrechtlichen Vorgaben ermögliche keine Grenzziehung zwischen verbindlichen, staatlich durchsetzbaren Verträgen und anderen Abmachungen, denen der »Ehrentitel Vertrag« nicht zuerkannt werde. Hinzu komme, daß - wäre Vertragsfreiheit ein Individualgrundrecht mit status-negativus-Funktion - es sich nicht überzeugend erklären lasse, warum für die Durchsetzung vertraglicher Rechtspositionen Bür17 Vgl. Böckenförde, NJW 1976, 2089; Dreier/Schwegmann, Probleme der Verfassungsinterpretation, 1976; Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, dargestellt am Problem der Verfassungsinterpretation, 1967; Stern, Staatsrecht Bd. I, §4 III. Zusammenfassend zur Verfassungsinterpretation Bleckmann, Grundrechte, 1. Teil §8, m. zahlr. weit. Nachw. 18 Ubereinstimmend Flume, Rechtsgeschäft, §1, 10a; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 5 Fn. 29; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 661. 19 Struck, DuR 1988, 39ff. 20 Struck, DuR 1988, 39, 42, 46. 21 Struck, DuR 1988, 39, 43. 22 Struck, DuR 1988, 39, 41, 44f.
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1. Teil: Grundlagen
privatrechtlicher
Selbstgestaltung
ger unter Eingriff in ihren Freiheitsraum in Anspruch genommen würden, indem sie beispielsweise als Zeugen vor Gericht auftreten müßten. 23 Vertragsfreiheitliche Erwägungen seien demnach nicht verfassungsrechtlich veranlaßt, sondern seien in ihrer Quintessenz Ausfluß gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Erwägungen. Bei der Schaffung der gesetzlichen Rahmenbedingungen gehe es im wesentlichen um das Problem, wie eine Kooperation zwischen Wirtschaftssubjekten durch Gewährung staatlicher Durchsetzungsmacht verläßlich und beständig zu wahren sei, ohne die nötige Flexibilität über Gebühr einzuschränken. 24 Im Ergebnis weitgehend übereinstimmend ist die Stellungnahme von Roscher.25 Auch er sieht die Vertragsfreiheit nicht als verfassungsrechtlich fundiert. Vertragsfreiheit sei die privatrechtliche und damit einfachrechtliche Ausformung des verfassungsrechtlichen Prinzips der wirtschaftlichen Selbstbestimmung. Die in Art. 2 Abs. 1 G G gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit und die Vertragsfreiheit seien nicht gleichzusetzen. Zwischen Verfassungs- und Privatrecht bestehe ein Verhältnis von Grundsatz - das sei Art. 2 Abs. 1 G G - und Ausformung des Verfassungsrechts durch das einfache Recht - das sei die privatrechtliche Vertragsfreiheit. 26 Daraus ergebe sich, daß der Gesetzgeber durch das Grundgesetz nicht daran gehindert wäre, mit der Tradition der vertragsfreiheitlich geprägten Privatrechtsordnung zu brechen, sofern die in Art. 2 Abs. 1 G G angelegte Handlungsfreiheit respektiert werde. D a ß sich eine derartig ausgeformte Rechtsordnung nur schwer ohne Vertragsfreiheit vorstellen lasse, sei kein Grund dafür, daß wirtschaftliche Selbstbestimmung nur in der Form der Vertragsfreiheit, wie sie das geltende Recht vorsieht, rechtlich möglich sei. Vertragsfreiheit bleibe als einfachgesetzlicher Grundsatz insoweit jederzeit verfassungsunabhängig abänderbar. 27
2. Vertragsfreiheit als objektiv-rechtlicher F a k t o r (nach A r t einer Institutsgarantie) Der überwiegende Teil der älteren Lehre ordnet Vertragsfreiheit weder dem einfachen Recht noch den Grundrechten zu. Vertragsfreiheit sei vielmehr - wie Hans Huber es ausdrückt - von einer Gesamtentscheidung des Grundgesetzes für eine Privatrechtsordnung getragen. 28 Huber spricht sich ausdrücklich gegen eine Qualifikation als (eine Art) Institutsgarantie aus. Denn eine Institutsgarantie komme nicht in Betracht, weil die Vertragsfreiheit ein Abstraktionsbegriff, ein allgemeiner Grundsatz sei. 29 Gleichwohl kommt seine Einschätzung in der Sache einer Qualifikation als Institutsgarantie nahe, da er ausführt, daß die VertragsfreiStruck, DuR 1988, 39, 41 ff. Struck, DuR 1988, 39, 47ff. 25 Roscher, Vertragsfreiheit, S.46ff., 107. 26 Roscher, Vertragsfreiheit, S. 55f. 27 Roscher, Vertragsfreiheit, S. 56. 28 Huber, Bedeutung, S. 30. Auf S.21 spricht Huber von »ohnehin lediglich skizzenhaften Verhaltensentwürfen«; dazu Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.21. 29 Huber, Bedeutung, S.31. 23
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3. Kapitel:
Verfassungsrechtliche
Implikationen
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heit in ihrer Grundfunktion verfassungsrechtlich gewährleistet sei. 30 In Weiterentwicklung des Ansatzes von Carl Schmitt^ werden vom Bundesverfassungsgericht und der herrschenden Lehre als Institutsgarantie der Kernbereich, die typischen hergebrachten Strukturen eines bestimmten Rechtsinstituts im Sinne eines rechtlich geregelten Komplexes von Rechtsnormen, bezeichnet. 32 Jedenfalls erkennt Huber einen gewissen objektivrechtlichen Verfassungsgehalt der Vertragsfreiheit an, aus der eine der Institutsgarantie vergleichbare Wirkungsweise abgeleitet werden kann. Seine Argumentation gegen eine Einordnung als Freiheitsgrundrecht deckt sich weitgehend mit der Sichtweise von Roscher33 und Raiser34, die sich ebenfalls ausdrücklich dagegen gewandt haben, die Vertragsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 G G oder aus anderen Grundrechten abzuleiten. Vertragsfreiheit setze das Rechtsgeschäft Vertrag voraus, das in seiner konkreten Ausgestaltung nicht verfassungsrechtlich geprägt sei. Anderenfalls müßte das Verfassungsrecht - unterstellt, Vertragsfreiheit sei in Art. 2 Abs. 1 G G direkt grundrechtlich verankert - auch die privatrechtliche Ausgestaltung des Vertrages schützen. Die Privatrechtsordnung stehe nämlich in einer langen geschichtlichen Tradition und sei als historisch gewachsenes Gefüge vom Verfassungsgeber bereits vorgefunden und von diesem dem Grundgesetz von 1949 zugrundegelegt worden. 35 Wenn allerdings die rezipierte niederrangige Privatrechtsordnung der verfassungsrechtlichen Ausprägung weitgehend entspräche, bestünde die Gefahr, daß dasjenige, was im Grunde nicht auf Verfassungsebene ausgebildet wurde, in diese transformiert würde. Die Manifestation der Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 G G sei durch die Übernahme von niederrangigen Norminhalten dann so vorbestimmt, daß die Verfassung nicht auf einfaches Recht zurückwirken und damit ihrer Leitfunktion nicht gerecht werden könnte. 36 Dadurch käme es im Endergebnis zu einem Leerlaufen 30 Huber, Bedeutung, passim, insbesondere S. 1 ff., 19f., 30f.; zu dieser Einordnung vgl. auch Höfling, Vertragsfreiheit, S. 6 Fn. 32. 31 Schmitt, Aufsätze, S. 140ff., 181 ff. 3 2 Vgl. Stern, Staatsrecht Bd. III/1, §68 (unter I 5d zur herrschenden Lehre und unter I 7 zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; zu terminologischen Fragen § 68 II); Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 30; Bleckmann, Grundrechte, 1. Teil § 11 III (unter 2, 3 zum Meinungsstand im Schrifttum, bei 5 zur verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung); Stern, Handbuch Bd. V, § 109 Rn.51ff., insbesondere Rn. 53, in der Stern ausdrücklich die Vertragsfreiheit als mögliche Einrichtungsgarantie erwähnt; dazu, daß es sich bei den diskutierten Fällen weniger um eine Institutsgewährleistung als vielmehr um einen objektivrechtlichen Gehalt handelt, aus dem gewisse gleichartige Wirkungen abgeleitet werden können, Dreier, G G , Vorb. Rn. 68f.; Stern, Staatsrecht Bd. I I I / l , §68 V, jeweils m. weit. Nachw. zur aktuellen Entwicklung. 33 Roscher, Vertragsfreiheit, S.46ff. 34 Raiser, Grundgesetz, S. 18ff., unter ausdrücklicher Abkehr von seiner in J Z 1958, 1, 5 bei Fn. 25 geäußerten Auffassung, wonach Vertragsfreiheit eine aus Art. 2 Abs. 1 G G abgeleitete Freiheitsgarantie sei. Raiser zu den Vertretern einer grundrechtlichen Verankerung zu rechnen, ist also seit 1967, der Veröffentlichung seines Festvortrages, überholt. 35 Raiser, Grundgesetz, S. 10ff., 15ff.; inbezugauf Art. 2 Abs. 1 G G übereinstimmend mit Roscher, Vertragsfreiheit, S.47, 55f., und ähnlich auch Huber, Bedeutung, S.6ff. 36 Roscher, Vertragsfreiheit, S.47f., unter Bezugnahme auf Raiser, Grundgesetz, S. lff.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
der Verfassung, weil ihr ein eigenständiger verfassungsrechtlicher Inhalt überhaupt nicht zugeordnet werde bzw. die Möglichkeit, einen solchen zu finden, von vornherein zu negieren sei. Vertragsfreiheit könne deshalb durch Art. 2 Abs. 1 G G nicht gewährleistet sein. Art. 2 Abs. 1 G G sichere die Entfaltungsfreiheit der Bürger, nicht aber die Vertragsfreiheit. Erst die Privatrechtsordnung gebe der Selbstbestimmung eine bestimmte Gestalt. D i e Gestaltung der vertraglichen B e ziehungen des einzelnen zu seinen Mitmenschen werde erst durch das Privatrecht geformt. Art. 2 Abs. 1 G G beinhalte damit nur die grundsätzliche Anerkennung der individuellen Handlungsfreiheit, er lege jedoch nicht eine bestimmte privatrechtliche F o r m der Selbstbestimmung, beispielsweise Vertragsfreiheit, als Grundrecht fest. 3 7 I m Ergebnis stimmen die Auffassungen von Raiser wie Roscher folglich mit der Sichtweise von Huber insoweit grundsätzlich überein. Raiser geht in seiner verfassungsrechtlichen Schlußfolgerung allerdings einen Schritt weiter: Vertragsfreiheit wird nicht als einfaches Recht, als bloßer Rechtsgrundsatz qualifiziert, sondern »im Sinne der institutionellen Auffassung« gedeutet. 3 8
3. A r t . 2 A b s . 1 G G als verfassungsrechtliche V e r a n k e r u n g der Vertragsfreiheit D e r Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 G G umfaßt die freie Entfaltung der Persönlichkeit. D i e überwiegende Meinung geht derzeit davon aus, daß der Schutzbereich des Freiheitsrechts weit zu fassen ist und dementsprechend neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht die allgemeine Handlungsfreiheit in einem umfassenden, nicht durch qualitativ wertende Merkmale eingegrenzten Sinn garantiert: das Recht, zu tun und zu lassen, was man will. 3 9 Z u m sachlichen Schutzbereich werden daher Betätigungen jedweder Art und Güte gerechnet, ohne daß diese einen besonders prägenden Bezug zur Entfaltung der Individualpersönlichkeit aufweisen müßten. 4 0 Diese verfassungsrechtliche Interpretation wird von der herrRaiser, Grundgesetz, S. 18f.; Roscher, Vertragsfreiheit, S. 56,107; Huber, Bedeutung, S. 16ff. Raiser, Grundgesetz, S. 19. 39 Degenhart, JuS 1990, 161, 162f.; Dreier, GG, Art.2 Abs. 1 Rn.20f.; Murswiek, in: Sachs, GG, Art.2 Rn.42ff.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art.2 Rn.4; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art.2 Rn. 13ff.; Bleckmann, Grundrechte, 2. Teil §2 II; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn.401ff.; Pieroth, AöR 115 (1990), 33ff.; Stein, Staatsrecht, §30 II; Erichsen, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. VI, § 152 Rn. 13ff.; grundlegend BVerfGE 6,32,36f. (Elfes); zuletzt BVerfGE 80, 137, 152ff. (»Reiten im Walde«, m. abw. Meinung von Grimm, S. 164ff.); BVerfGE 90, 145, 171; BVerfGE 91,335, 338. 40 A.A. Grimm (Fn. 39) mit seiner Forderung nach einer »gesteigerten, dem Schutzgut der übrigen Grundrechte vergleichbaren Relevanz«; Hesse, der für eine Beschränkung des Art.2 Abs. 1 GG auf eine engere persönliche Lebenssphäre eintritt, Grundzüge, Rn.426ff.; Peters (Festschrift für Laun, S. 669,673 f.; Entfaltung, S. 49) und Erhel (Sittengesetz, S. 167ff.), die durch Art. 2 Abs. 1 GG lediglich den Kernbereich des Persönlichen geschützt sehen, der das Wesen des Menschen als geistig-sittlicher Person ausmacht. Zusammenfassend zur Kritik an der herrschenden Ansicht Hillgruher, Schutz, S. 112ff.; Pieroth, AöR 115 (1990), 33ff.; Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art.2 Abs. 1 Rn.9ff. 17 38
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
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sehenden Ansicht zum Anlaß genommen, auch die Entscheidungsfreiheit, o b und mit w e m man einen Vertrag mit welchem Inhalt schließen will, als allein von der allgemeinen Handlungsfreiheit erfaßt anzusehen. 4 1 D i e in der Verfassung zum Ausdruck gebrachte Wertschätzung des individuellen Willens und seiner tatsächlichen Realisierungsmöglichkeit bedinge als rechtliches Mittel dieser Zweckverwirklichung die Existenz eines subjektiv öffentlichen Rechts auf Zulassung eines intersubjektiven vertraglichen Verkehrs. Individuelle Persönlichkeitsentfaltung erfordere die freie, privatrechtliche Bindungsabrede, beispielsweise über den Austausch von Waren und Dienstleistungen. Dementsprechend müsse eine Verfassungsordnung, die sich mit Art. 2 Abs. 1 G G für eine verfassungsrechtliche Absicherung des Persönlichkeitsrechts entschieden habe, die Freiheit zur Selbstregelung des intersubjektiven Rechtsverkehrs anerkennen. Das Menschenbild des Grundgesetzes sei dasjenige des frei und eigenverantwortlich handelnden, seine Lebensverhältnisse selbst gestaltenden Menschen. 4 2 D e m g e m ä ß sei die Vertragsfreiheit zwangsläufig im R e c h t auf freie Entfaltung der Persönlichkeit anzusiedeln. 4 3 D i e persönliche Verwirklichung des selbstbestimmten Menschen, das F o r m e n einer U m w e l t nach eigenen Vorstellungen lasse sich ohne die Möglichkeit, private Verträge zu schließen, nicht umfassend realisieren. Vertragsfreiheit sei daher unmittelbar mit der allgemeinen Handlungsfreiheit verknüpft und stehe als »Fundamentalwert« 4 4 unter besonderem verfassungsrechtlichem Schutz. Wegen dieses engen inhaltlichen Zusammenhangs sei es eine »reine Frage der Verfassungstechnik« 4 5 , o b die Vertragsfreiheit als G r u n d recht neben dem Persönlichkeitsrecht ausdrücklich erwähnt werde oder nicht. D i e in Art. 2 Abs. 1 G G getroffene verfassungsrechtliche Grundentscheidung für das subjektiv-öffentliche Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit enthalte zugleich inzident die Grundentscheidung für intersubjektiv frei geschlossene und ausgeformte Verträge. 4 6
41 Bleckmann, Grundrechte, 2. Teil §2 III 2f. (S.493); Nipperdey, Marktwirtschaft, S. 11; Larenz, Allgemeiner Teil, §4 III; Leisner, Grundrechte, S. 316ff., 323; Heinrichsmeier, Einbeziehung, S. 129f.; Huher, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 388, 661; ders., Grundgesetz, S. 22; Schmidt-Salzer, NJW 1970, 8, 10; Ipsen, Preiskontrolle, S.79; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 2 Rn. 99; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 54f.; wohl auch Dreier, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 24,47; Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 21 ff.; unklar, aber wohl ebenfalls in diese Richtung Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art.2 Rn. 16 a.E.; Niebier, Festschrift 125 Jahre Bayerisches Notariat, S. 137,158. Auch die Fachgerichte nennen als sedes materiae der Vertragsfreiheit häufig allein Art.2 Abs.l GG, vgl. BAGE 4, 274, 280; 13, 103, 105; BGHZ 70, 313, 324; BVerwGE 3, 237, 242; 4, 24, 36f.; 17, 306, 309. 42 43 44 45 46
Heinrichsmeier, Einbeziehung, S. 129; Enders, Menschenwürde, S. 127ff. Schmidt-Salzer, NJW 1970, 8, 9f. Picker, Warnstreik, S. 151. Schmidt-Salzer, NJW 1970, 8, 10. Vgl. die in Fn.41 Genannten.
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1. Teil: Grundlagen
privatrechtlicher
Selbstgestaltung
4. Vertragsfreiheit als Konglomerat verschiedener grundrechtlicher Gewährleistungen Die Ansicht, die Vertragsfreiheit in allen ihren Erscheinungsformen in Art. 2 Abs. 1 G G verankert zu sehen, hat gerade wegen dieses umfassenden Ansatzes Kritik erfahren. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Qualifikation des Art. 2 Abs. 1 G G als Auffangtatbestand, der keine Anwendung findet, soweit der Schutzbereich eines anderen Grundrechts betroffen ist.47 Auch bei der verfassungsrechtlichen Fundierung müsse deshalb differenziert werden, welche Erscheinungsform eines Vertrages von welchem speziellen Grundrecht erfaßt werde. Soweit konkretere Regeln zur Ausformung des Prinzips der freiheitlichen Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse existieren, trete Art. 2 Abs. 1 G G als verfassungsrechtliche Basis zurück, bleibe aber als Auffanggrundrecht bereit, nicht erfaßte Bereiche abzudecken.48 Soweit Einzelfreiheitsrechte spezifische Formen einvernehmlich rechtsgeschäftlichen Handelns unter ihren besonderen Schutz stellen, verdrängten sie die nur subsidiär wirkende Norm des Art. 2 Abs. 1 GG; 49 Art. 2 Abs. 1 G G sei thematisch verbraucht. Vertragsfreiheit als Oberbegriff für zahlreiche rechtsgeschäftliche Handlungsweisen sei damit ein »terminologisches Substrat«50 unterschiedlicher grundrechtlicher Gewährleistungen. Teilbereiche der Vertragsfreiheit würden durch Art. 5 Abs. 1 S. 2, Art. 6 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 S. 3, Art. 12 und Art. 14 G G gewährleistet. So sei aus der Rundfunkfreiheit eine gesteigerte arbeitsrechtliche Vertragsfreiheit abzuleiten, die den Rundfunkanstalten in gewisser Weise die Entscheidung darüber offenhalte, ob sie 47 Neben der allgemeinen Handlungsfreiheit hat das Grundgesetz die Freiheit menschlicher Betätigung für bestimmte Lebensbereiche, die aufgrund der geschichtlichen Erfahrungen dem Zugriff der öffentlichen Gewalt besonders ausgesetzt sind, durch besondere Grundrechtsbestimmungen geschützt; bei ihnen hat die Verfassung durch abgestufte Gesetzesvorbehalte festgelegt, in welchem Umfang in den jeweiligen Grundrechtsbereich eingegriffen werden kann. Die besonderen Grundrechtsnormen schließen deshalb für ihren Bereich die Anwendung des Art. 2 Abs. 1 GG aus; insoweit ist die Subsidiarität allgemeine Meinung, vgl. nur BVerfGE 13,290,296; 21,227,234; 23,50,55f.; 44,54,66; 54,237,251; Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, Art. 2 Rn. 16; Scholz, AöR 100 (1975), 80,113; Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 6ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn.34ff. 48 Buschendorf, Grenzen, S. 59; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 11 ff.; Ossenbühl, AöR 115 (1990), 1,25; Scholz, ZfA 1981, 265, 275f.; Lauße, Festschrift für Lehmann, S. 145, 162f.; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 132, 171; Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art.2 Rn. 14; Erichsen, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. VI, § 152 Rn. 59; Wolf, Grundlagen, §2, 3b; Sachs, in: Stern, Staatsrecht Bd. III/l, §65 V 3, VI 2; Papier, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch, § 18 Rn. 76; wohl auch Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 128. 49 Ebenso das BVerfG (BVerfGE 8, 274, 328): »Als Ausfluß der allgemeinen Handlungsfreiheit schützt Art. 2 Abs. 1 GG auch die Freiheit im wirtschaftlichen Verkehr und die Vertragsfreiheit, soweit sie nicht durch besondere Grundrechtsbestimmungen gewährleistet sind.« Ähnlich BVerfGE 89, 214, 231; 78, 232, 244; 74, 129, 152. Zur verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung siehe Krause, JZ 1984, 711, 716ff., m. zahlr. weit. Nachw. Inkonsequent allerdings die sachliche Umsetzung des Vorranges von Spezialgrundrechten; betroffen ist vor allem das Verhältnis von Art. 2 Abs. 1 GG zur Berufs- und Eigentumsfreiheit, siehe BVerfGE 65,196,209f. (dazu Söllner, RdA 1989, 147); 50, 290, 361f. 50 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 9.
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
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einen Mitarbeiter in einem Arbeitsverhältnis oder außerhalb eines solchen beschäftigten. 5 1 Aus Art. 6 A b s . l G G , der Ehe und Familie schützt, wird von den Vertretern dieser Meinung das R e c h t abgeleitet, mit einem frei gewählten Partner die Ehe, also einen sie begründenden Vertrag, zu schließen und in diesem Zusammenhang beispielsweise Regelungen über das Güterrecht, den Versorgungsausgleich oder das Unterhaltsrecht zu treffen. Art. 6 Abs. 1 G G umfasse mithin die Eheschließungsfreiheit sowie diese eskortierende Abreden. 5 2 Vereinbarungen, die den Bestand von Vereinigungen unmittelbar beträfen, die sich also beispielsweise mit der Gründung einer O H G oder eines Vereins beschäftigten, seien von Art. 9 Abs. 1 G G erfaßt. 5 3 Art. 9 Abs. 3 G G garantiere hingegen nicht nur die Freiheit der Koalitionsbildung, sondern auch die Tarifautonomie und damit ein Teilstück der Vertragsfreiheit, nämlich die Möglichkeit zum Abschluß von Tarifverträgen. 5 4 Daneben wird Vertragsfreiheit, gerade im schuldrechtlichen Bereich, aus Art. 12 Abs. 1 G G abgeleitet; mit der grundrechtlichen Gewährleistung der B e rufsausübung 5 5 sei die vertragliche Ausformung der beruflichen Tätigkeit erfaßt, weil die freie Berufswahl oder Berufsausübung regelmäßig davon abhänge, entsprechende Verträge abzuschließen und nach den Parteivorstellungen auszuformen. 5 6 D i e grundrechtliche Gewährleistung des Eigentums und des Erbrechts in Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G erfasse des weiteren die vertragliche Regelung dieser Bereiche als eine der typischen Emanationen des Grundrechts. Die Gewährleistungsdimension des Eigentums beschränke sich nicht nur auf einen statischen B e standsschutz, sondern beziehe auch die dynamische N u t z u n g mit ein. Z u m E i gentum sei nämlich als »notwendiges Konnexinstitut« 5 7 auch die Freiheit, über den Eigentumsgegenstand verfügen zu können, zu zählen. Bezogen sei dies jedenfalls auf die Übertragung von Eigentum. 5 8 O b der rechtsgeschäftliche Eigentumserwerb von Art. 14 A b s . l
S. 1 G G
grundrechtlich gewährleistet ist, darüber gehen die Meinungen ebenso auseinanBVerfGE 59, 231, 257ff.; BVerfG NZA 1993, 741. Vgl. AK-GG/Richter, Art. 6 Rn. 14ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 702; Dreier/Gröschner, GG, Art.6 Rn.34; BVerfGE 53, 224, 245; 36, 146, 161; 31, 58, 69ff. 53 Art. 9 Abs. 1 GG umfasse hingegen nicht die Freiheit, beliebige gesellschaftsrechtliche Vereinbarungen festzulegen; im einzelnen siehe Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 11; Lauße, Festschrift für Lehmann, S. 145, 162f.; Scholz, AöR 100 (1975), 80, 129; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 17; BVerfGE 70, 1, 25. 54 Zusammenfassend Kemper, Koalitionsfreiheit, S.65ff., sowie das 2. Kapitel. 55 Seit dem Apothekerurteil (BVerfGE 7, 377, 397) ist klargestellt, daß Art. 12 Abs. 1 GG als einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit aufzufassen ist, siehe nur Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Rn. 40; Stein, Staatsrecht, §42 II 2. 56 Biehack, ZfA 1979,453,480f.; Breuer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. VI, § 147 Rn. 63, 97; Papier, RdA 1989, 137f.; Scholz, ZfA 1981, 265, 275ff.; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 49,115,131 ff.; Wendt, DÖV 1984, 601, 603 f.; in diese Richtung ebenfalls Söllner, RdA 1989, 144, 147f.; ders., ArbuR 1991, 45, 47ff.; BVerfGE 47, 285, 318ff.; 81, 242, 254. 57 Wendt, Eigentum, S.272. 58 BVerfGE 24,367,390; 26,215,222; ähnlich BVerfGE 82,6,16; 72,175,193; 71,230,246; 68, 361, 367; vgl. auch Krause, JZ 1984, 717f. 51
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
der wie über die Frage, ob Art. 14 Abs. 1 G G nur die sachenrechtlichen Geschäfte umschließt oder auch die die Verfügungen begleitenden Verpflichtungsgeschäfte. Wittig59 sieht die Erwerbsfreiheit nur von Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht erfaßt, während sich Kloepfer60 \xnAAlexybl dezidiert für eine Zuordnung zu Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G aussprechen. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich umfassende Gewährleistung der Eigentumsgarantie wird es überwiegend für verfehlt gehalten, entsprechend dem zivilrechtlichen Trennungsprinzip die im Zusammenhang mit dem Übertragungsakt abgeschlossenen obligatorischen Rechtsgeschäfte Art. 2 Abs. 1 GG zuzuordnen. 62 Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G gewähre extensiv die Befugnis zum Abschluß von schuld- und sachenrechtlichen Veräußerungs-, Nutzungs- und Belastungsabreden.63 Diesem Ansatz folgend hat das Bundesverfassungsgericht die Grenzen mietrechtlicher Verträge am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 GG erörtert. 64 Das in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG daneben gewährleistete Erbrecht trage dem Gedanken Rechnung, daß das Privateigentum als Basis der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung nicht mit dem Tod untergehen, sondern über die Privaterbfolge weiterbestehen solle. Dies sei abhängig davon, daß der Schutzbereich auch die erbvertragliche Abschluß- und Inhaltsfreiheit garantiere, die es dem Erblasser ermögliche, in beliebiger (vertraglicher) Gestaltung (Testierfreiheit) seine Vermögensverhältnisse für den Todesfall zu regeln.65 5. Eigene Ansicht zum Standort der Vertragsfreiheit in der Gesamtkonzeption des Grundgesetzes a) Vertragsfreiheit als
Abwehrgrundrecht
aa) Art. 2 Abs. 1 GG als Ausgangspunkt Relevanz gewinnt die Frage nach der Verankerung der Vertragsfreiheit im Grundgesetz auch dort, wo sich verfassungsrechtliche Vorgaben aus Landesverfassungsrecht ableiten lassen.
59
Wittig, NJW 1967, 2185, 2186ff. Kloepfer, Grundrechte, S.42ff. 61 Alexy, Grundrechte, S. 443. 62 So außer YRiiig (o. Fn. 59) auch Laufke, Festschrift für Lehmann, S. 145,156,162; Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn.53; Buschendorf, Grenzen, S.60, insb. Fn. 138; BayVGH BayVBl. 1990, 277; in diesem Punkt unklar Krause, JZ 1984, 711, 717. 63 Neben Kloepfer (o. Fn. 60) sowie Alexy (o. Fn. 61) Höfling, Vertragsfreiheit, S. 15; Papier, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch, §18 Rn.76; Erichsen, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. VI, §152 Rn. 59. 64 BVerfGE 53, 352, 358. 65 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 16; Kimminich, in: BK, Art. 14 Rn. 94; Kloepfer, Grundrechte, S.45; Leisner, Grenzen, S. 50f.; ders., in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. VI, § 150 Rn. 15;Nohl, Vermögensredistribution, S.127ff., 195f.; Papier, in: Maunz-Dürig, Art. 14 Rn.241, A K - G G / Rittsteig, Art. 14/15 Rn.149; Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn.l94f.; Dreier/Wieland, GG, Art. 14 Rn. 57, 59; BVerfGE 58, 377, 398; 67, 329, 341. 60
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
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N a c h Art. 142 G G bleiben G r u n d r e c h t e der Landesverfassungen ungeachtet der Vorgabe des Art. 31 G G , w o n a c h das Bundesrecht dem Landesrecht vorgeht, auch insoweit in Kraft, als sie in inhaltlicher U b e r e i n s t i m m u n g mit den G r u n d r e c h t e n des Grundgesetzes stehen. D e m n a c h bleiben Vorschriften des Landesverfassungsrechts, die mit grundgesetzlichen N o r m e n inhaltsgleich sind, auch außerhalb des Grundrechtsteils rechtswirksam. 6 6 Die überwiegende Meinung hält darüber hinaus auch zusätzliche, über das Grundgesetz hinausgehende G r u n d r e c h t e in den Landesverfassungen f ü r gültig. 67 Begründet wird dies mit der Systematik der G r u n d r e c h t e des Grundgesetzes, die keine abschließende Regelung darstellen, der Entstehungsgeschichte des Art. 142 G G sowie der Intention der rechtsstaatlichen Verfassung, »den Freiheitsraum des Einzelnen in weitem U m f a n g zu garantieren u n d zu schützen.« 6 8 H o m o g e n i t ä t von Bundes- u n d Landesgrundrechten ist nicht erforderlich. Diese unter U m s t ä n d e n extensiven Landesverfassungsvorgaben k ö n n e n allerdings einer nach dem Grundgesetz zulässigen bundesrechtlichen Regelung nicht entgegenstehen; 6 9 die Bezeichnung Bundesrecht in Art. 31 G G erfaßt nämlich alle Rechtsnormen, die vom Bund erlassen werden, also auch einfache Bundesgesetze u n d Rechtsverordnungen.
Ländergrundrechte ermöglichen - selbst wenn sie mit Bundesgrundrechten voll übereinstimmen - nur die Verfassungsbeschwerde (beziehungsweise Popularklage)70 zu den Landesverfassungsgerichten; das Bundesverfassungsgericht kann die (Grund-) Rechtsmäßigkeit staatlichen Handelns nur am Grundgesetz messen.71 Berücksichtigt man daneben, daß ein Verstoß gegen Landesgrundrechte bundesrechtlich wegen Art. 31 G G ohne Belang ist (vorausgesetzt das Grundgesetz garantiert nicht gleiche Rechte), kommt es in Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht entscheidend darauf an, ob und wenn ja, in welcher Form, Vertragsfreiheit grundgesetzlich garantiert ist. Nach Art. 1 Abs. 1 G G sind Unantastbarkeit und Schutz der Menschenwürde tragendes Konstitutionsprinzip und höchster Rechtswert, die gemäß Art. 79 Abs. 3 G G auch durch eine Verfassungsänderung nicht berührt werden dürfen. 72 Die Menschenwürde ist der Mittelpunkt des Wertesystems der Verfassung; 73 sie erfaßt den Menschen in seinem Eigenwert und seiner Eigenständigkeit. Ist der Mensch danach eine mit der Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Lebensgestaltung begabte Persönlichkeit, ist ihm - um seiner Würde willen - eine möglichst weitgehende Entfaltung der Persönlichkeit zu sichern. Ungeachtet der vielfälti66
So BVerfGE 36, 342, 363ff., in Entscheidung des Meinungsstreits, ob Bundesverfassungsrecht auch inhaltsgleiches Landesverfassungsrecht »bricht«, m. weit. Nachw. zum Streitstand; a.A. beispielsweise Huber, in: Sachs, GG, Art. 142 Rn.2f. 67 Jutzi, Landesverfassungsrecht, S. 36f.; Hesse, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch, §5 Rn. 9; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 49; Schmidt-Bleibtreu/Klein, G G , Art. 142 Rn. 1; Stein, Staatsrecht, § 18 I. 68 Böckenförde/Gruwert, D Ö V 1971, 119, 120f. 69 BVerfGE 1, 34ff. 70 Art.93 Abs. 1 Nr.4a G G i.V.m. §§13 Nr. 8a, 90ff. BVerfGG (Verfassungsbeschwerde); Art. 98 S.4 BayVerfassung i.V.m. Art.55 BayVfGHG (bayer. Popularklage). 71 Möglich ist hingegen, Vorschriften von Landesverfassungen im Zuge systematischer Auslegung heranzuziehen, vgl. BVerfGE 2, 237, 262; 27, 71, 80f. 72 BVerfGE 30,1,24f.; 87,209,228; 82,60,87; 45,187,227. Vgl. auch Dürig, in: Maunz/DUrig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 1 ff., m. zahlr. Nachw. aus dem Schrifttum. 73 Ausführlich Enders, Menschenwürde, S. 377ff.; BVerfGE 39, 1, 43; 35, 202, 225.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
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gen Theorien einer begrifflich-inhaltlichen Bestimmung der Menschenwürde74 erfaßt Art. 1 Abs. 1 G G jedenfalls das Selbstbestimmungsrecht des Menschen. 75 Das Grundgesetz geht von dem Leitbild eines freien und gleichen Individuums aus, das in freier Entfaltung der Persönlichkeit sein Handeln selbst bestimmt. Selbstbestimmung im Rechtsleben bedeutet »Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen«. 76 Eine Rechtsordnung, die den freien Abschluß inhaltlich autonom ausgefüllter Vereinbarungen nicht zuläßt, also keinen Raum für Rechtsgeschäfte ließe, widerspräche damit der Menschenwürde.77 Ohne Vertragsfreiheit läßt sich eine möglichst hohe Intensität an persönlicher Selbstbestimmung im Rechtsleben schwerlich realisieren. Dem einzelnen ist daher von Verfassungs wegen rechtliche Selbstbestimmung durch Zulassung eines intersubjektiven Rechtsverkehrs einzuräumen. Unabhängig von der seit je im Schrifttum 78 ungeklärten und vom Bundesverfassungsgericht noch nicht ausdrücklich entschiedenen Frage, ob Art. 1 Abs. 1 G G ein Individualgrundrecht verbürgt,79 stellt der Artikel nach allgemeiner Auffassung nicht nur einen Programmsatz dar, sondern beinhaltet eine unmittelbar verbindliche Norm des objektiven Verfassungsrechts.80 Die Aspekte der Menschenwürde fließen demnach in die einzelnen Grundrechtsgarantien (zumindest) ein; Art. 1 Abs. 1 G G ist der Anlaß für die grundgesetzliche Verankerung der allgemeinen und speziellen Freiheits- und Gleichheitssätze. Die Menschenwürde ist - so Bleckmann - der »Schlüsselbegriff des gesamten Grundgesetzes«. 81 Unverzichtbarer Inhalt der Menschenwürde ist die Sicherung freier, autonomer Individualität; aus der Idee der Selbstbestimmung folgt die Befugnis des einzelnen, selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen er sein rechtliches Umfeld ausformen will. Die aktive Betätigung wird von der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 G G geschützt. Sie umfaßt alles menschliche Handeln mit Ausnahme derjenigen Tatbestände, die ein spezielles Grundrecht abschließend behandelt, und ebenso nicht jene Tätigkeiten, denen unter keinem im Rahmen der Verfassungsordnung rechtlich denkbaren Gesichtspunkt eine grundrechtlich geschützte Stellung zukommt. Art. 2 Abs. 1 G G meint die menschliche Seinsentfaltung schlecht74
sim.
Uberblick bei Dreier, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 37ff.; eingehend Enders, Menschenwürde, pas-
75 Enders, Menschenwürde, S.442ff.; in diese Richtung auch Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 1 Rn. 15; Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, Art. 1 Rn. 2f.; Dürig, in: Maunz/Diirig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 18; Wintrich, Problematik, S.6, 15. 76 Flume, Rechtsgeschäft, § 1, 1. 77 Ahnlich Medicus, Allgemeiner Teil, Rn. 172; Bleckmann, Grundrechte, 2. Teil § 1 (S.446). 78 Umfangreiche Nachweise zum Streitstand bei Dreier, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 68 Fn. 183; zur Entwicklung von Lehre und Rechtsprechung Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 17f. 79 Siehe aber BVerfGE 61, 126, 137. 80 Vgl. Stern, Staatsrecht Bd. III/l, S.26ff.; Benda, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch, §6 Rn.6; Geddert-Steinacher, Menschenwürde, S. 164ff.; Morlok, Selbstverständnis, S.69ff. 81 Bleckmann, Grundrechte, 2. Teil § 1 (S.446 und öfter auf den folgenden Seiten); eingehend zum Begriff Enders, Menschenwürde, S. 5ff. Zum Menschenbild des Grundgesetzes siehe die gleichnamige Schrift von Becker, 1996.
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
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hin, die natürliche und umfassende Betätigungsfreiheit, die die gesamte Breite menschlichen Denkens, Wertens, Wollens und Handelns umfaßt. 8 2 Rechtliche Gestaltungsfreiheit bedarf zu ihrer Realisierung nicht nur, aber vor allem der Möglichkeit, mit anderen rechtsverbindliche (schuldrechtliche) Abreden zu treffen. N u r so läßt sich der menschliche Wille als tragendes Element der Persönlichkeit tatsächlich umsetzen. D i e K o m p e t e n z , sich durch übereinstimmende Willenserklärungen binden und am wirtschaftlichen Verkehr im weitesten Sinne teilnehmen zu können, stellt einen, wenn nicht sogar den essentiellen Teil menschlicher Persönlichkeitsverwirklichung und Handlungsfreiheit dar. D e m Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 G G ist mithin Vertragsfreiheit in allen ihren Erscheinungsformen 8 3 zuzuordnen. Dies gilt um so mehr, als nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die in der Literatur überwiegend Zustimmung gefunden hat, auch alltägliche, bloß tatsächliche Verhaltensweisen von Art. 2 Abs. 1 G G geschützt werden. So hat das Bundesverfassungsgericht neben dem Reiten im Walde 8 4 auch die Taubenfütterung 8 5 dem Grundrechtsschutz unterstellt. Erst recht ist deshalb die rechtliche Verwirklichung im Grundsatz dem sachlichen Schutzbereich zuzuordnen. Allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 G G umfaßt demnach - jedenfalls unter Einbeziehung der verfassungsrechtlichen » G r u n d n o r m « 8 6 des Art. 1 Abs. 1 G G - personale A u t o n o m i e auch auf rechtlichem Gebiet. U n d dazu zählt insbesondere die Vertragsfreiheit. Art. 2 A b s . l G G überläßt es dem Willen der Personen, mit wem sie rechtsgeschäftliche Beziehungen eingehen wollen und welchen Inhalt diese Rechtsgeschäfte haben sollen. Grundrechtlich geschützt ist daneben die Freiheit, schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäfte in der Regel unabhängig von gesetzlichen Formvorgaben abschließen zu können; die menschliche A u t o n o m i e ist auch in formaler Hinsicht zu akzeptieren. D i e allgemeine Handlungsfreiheit beschreibt in der Terminologie Jellineks87 den status negativus, also den Zustand, in dem der einzelne vor staatlichen E i n griffen geschützt ist. D e r Staat ist verpflichtet, ungerechtfertigte Eingriffe in das Schutzgut »Vertragsfreiheit« zu unterlassen. Art. 2 Abs. 1 G G schirmt damit den vertragsrechtlichen Bereich von staatlichem Reglement ab, um so individuelle Selbstbestimmung und autonome Lebensgestaltung zu ermöglichen. 8 8 Diese negatorische subjektiv-rechtliche Dimension des Art. 2 Abs. 1 G G entspricht dem liberalen Grundrechtsverständnis, 8 9 meint aber deshalb nicht einen vollständig staatsfreien R a u m ohne rechtlichen Rahmen. 9 0 D a Art. 2 Abs. 1 G G die VertragsVgl. Hesse, Bindung, S.25; Wintrich, Problematik, S.22. Vgl. das 2. Kapitel, insbesondere S. 53 ff. 84 BVerfGE 80, 137, 152ff. 85 BVerfGE 54, 143, 146f. 86 Dreier, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn.32; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn.43; Stern, in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch Bd. V, § 108 Rn.6; BVerfGE 27, 344, 351; 34, 238, 245. 87 Jellinek, System, S.87, 94ff. 88 Vgl. Hofmann, JZ 1992, 165; Morlok, Selbstverständnis, S.375ff. 89 Dazu Bethge, Der Staat 24 (1985), 351, 372f.; Vesting, Grundrechtstheorie, S.9ff. 90 Vgl. Bethge, Der Staat 24 (1985), 351, 374ff.; im einzelnen dazu sogleich. 82
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freiheit nicht ausdrücklich nennt, bleibt die Möglichkeit, die Vertragsfreiheit als unbenanntes Freiheitsrecht, als sogenannte Innominatfreiheit, einzustufen. Allein deshalb, weil die Vertragsfreiheit der allgemeinen Handlungsfreiheit zuzurechnen ist, kann allerdings noch nicht von einem unbenannten Freiheitsrecht gesprochen werden; denn ansonsten gäbe es eine Vielzahl unbenannter Freiheitsrechte, so daß der Begriff dogmatisch jede Bedeutung verlöre. 91 U m eine Sinnentleerung der Bezeichnung Innominatfreiheit aufgrund extensiver Begriffszuordnung zu vermeiden, werden im Schrifttum zahlreiche Konkretisierungsmodelle diskutiert: So wird vorgeschlagen, ein unbenanntes Freiheitsrecht nur bei relativ generellen Handlungsbeschreibungen anzunehmen. 9 2 Des weiteren werden als Kriterien genannt, daß dem Schutzgut eine den anderen (benannten) Grundrechten vergleichbare Wertigkeit zukommen müsse, es in dem Maß einer Beeinträchtigung ausgesetzt ist, daß grundrechtlicher Schutz erforderlich erscheint, 93 und diese Konstellation dem Verfassungsgeber nicht bekannt gewesen ist oder sein konnte. 9 4 Weiterhin erfordere eine Anerkennung als Innominatfreiheit, daß sich die Begrenzung staatlicher Eingriffsbefugnisse dogmatisch spezifizieren lasse. 95
Nicht jede der weiten Interpretation des Art. 2 Abs. 1 G G unterfallende Handlung wie das Taubenfüttern oder das Reiten im Walde stellt ein unbenanntes Freiheitsrecht dar. Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht 96 ist aus sachlichen Gründen zwischen bloßen Anwendungsfällen des Art. 2 Abs. 1 G G und Innominatfreiheitsrechten im engeren Sinn zu differenzieren. Unbenannte Freiheitsrechte konkretisieren einen der Verfassung bereits immanenten Bedeutungsgehalt. Der Katalog der Grundrechte wurde bewußt offen gestaltet, um Raum für zukünftige Entwicklungen zu schaffen. 97 Der Dynamisierung dient vor allem Art. 2 Abs. 1 G G , der durch die speziellen Grundrechte nicht erfaßte Lebensbereiche schützt, die sich im Laufe der gesellschaftlichen und verfassungsrechtlichen Entwicklung als schutzwürdig herausstellen. Für die Anwendung neuentwickelter unbenannter Freiheitsrechte können dogmatische Gesetzlichkeiten herausgebildet werden, welche die Innominatfreiheit beispielsweise durch Standards zur Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes besser handhabbar machen. Die Entwicklung unbenannter Freiheitsrechte dient der stärkeren Materialisierung des Art. 2 Abs. 1 G G und damit der Verstärkung der vom Grundgesetz geforderten materiellen Rechtsstaatsidee. 98 Zu unterscheiden sind also bloße Anwendungsfälle der allgemeinen Handlungsfreiheit und unbenannte Freiheitsrechte, die eine verselbständigte, konsistente Rechtsposition bezeich91 Alexy, Theorie, S. 332; Dirnherger, Naturgenuß, S. 274ff.; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 188. 92 Alexy, Theorie, S.332f. 93 Dirnherger, Naturgenuß, S. 278; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 191 f. 94 Dirnherger, Naturgenuß, S.278; ähnlich Mattner, D Ö V 1989, 621, 623. 95 Dirnherger, Naturgenuß, S. 278 Fn. 90; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 192. 96 Vgl. Dreier, G G , Art. 2 Abs. 1 Rn.24. 9 7 Vgl. Roth-Stielow, EuGRZ 1980, 386, 387; Häherle, ZfP 21 (1974), 111, 129f. 98 Schmidt, AöR 91 (1966), 42,56; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 1 Rn. 11 f.; Dirnherger, Naturgenuß, S.272; Scholz, AöR 100 (1975), 80, 102.
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
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nen, die in aller Regel gleichrangig neben die anderen, benannten Grundrechte tritt. Diese Differenzierung sowie die Vertypung bestimmter Gefährdungen und Eingriffssituationen führt zu unterschiedlichen Gewährleistungsstandards innerhalb des Art. 2 Abs. 1 G G . Paradigma eines unbenannten Freiheitsrechts in diesem Sinn ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das aus Art.2 Abs. 1 G G i.V.m. Art. 1 Abs. 1 G G abgeleitet w i r d . " Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht konkrete Grundsätze herausgearbeitet, so daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht tatbestandlich materiell bestimmt und eng umrissen ist. Zu dem allgemeinen Freiheitsrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit verhält es sich daher wie ein Spezialgrundrecht; 100 es unterliegt weniger weitgehenden Einschränkungsmöglichkeiten als die allgemeine Handlungsfreiheit: So werden beispielsweise für eine Eingrenzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung - einer besonderen Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts - im Rahmen der Schranke »verfassungsmäßige O r d n u n g « förmliche Gesetze verlangt, deren Bestimmtheit vergleichsweise hohen Anforderungen unterliegt. 101
Für die Typifizierung von Innominatfreiheitsrechten ist eine Parallele zu den benannten Grundrechten zu ziehen. In der Sache lassen sich dabei ähnliche Überlegungen wie bei Analogieschlüssen anstellen, 102 wobei der geschichtlichen Komponente, der sogenannten Planwidrigkeit, geringe Bedeutung zuzumessen ist, weil hier eine Verfassungsfortentwicklung im Raum steht. 103 Maßgeblich ist die (wertende) Vergleichbarkeit: Dazu muß es sich bei der (schuldrechtlichen) Vertragsfreiheit um ein Rechtsgut handeln, das in seiner Wertigkeit den benannten Grundrechten entspricht. Heranziehen läßt sich die Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts im sogenannten Volkszählungsurteil. Ausgangspunkt der gerichtlichen Überlegungen war die überragende Bedeutung der individuellen Selbstbestimmung. Sie sei »eine elementare Funktionsbedingung eines auf H a n d lungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens«. 104 Ebenso liegt es bei der Vertragsfreiheit; ihre Bedeutung ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 G G : Merkmal der Menschenwürde ist die Selbstbestimmung. Selbstbestimmung erfordert Privatautonomie, namentlich in der Ausformung der Vertragsfreiheit. Sie konstituiert die aktive und positive Seite der Personalität, also den Bereich, in dem der Mensch als selbständiges und selbstverantwortliches Wesen wirken kann. 105 Wenn Richardi und Roscher gegen die gleichrangige Wertzuordnung einwenden, auch rechtlich abweichende Gestal-
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Siehe nur BVerfGE 54, 148, 153; 35, 202, 220; 27, 1, 6. Schmidt, AöR 91 (1966), 42, 80ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 12. 101 Vgl. BVerfGE 92, 191, 197; 89, 69, 84; 65, 1, 44. 102 Zur Ähnlichkeitsprüfung bei Analogieschlüssen Larenz, Methodenlehre, S. 381 ff.; Bydlinski, Methodenlehre, S. 475ff. 103 Ebenso Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 193. 104 BVerfGE 65, 1, 43. 105 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, S. 35; Biedenkopf, Wettbewerbsbeschränkungen, S. 149; Zöllner, JuS 1988, 329, 336; Rittner, Ausschließlichkeitsbindungen, S.61. 100
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
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tungen zur Verwirklichung der Selbstbestimmung seien denkbar, 1 0 6 übersehen sie die Ubiquität ihrer Argumentation. Derartige Bedenken ließen sich - wie Manssen näher ausführt 107 - auch gegen andere Grundrechte vorbringen. D i e zumindest theoretisch denkbare andersartige Ausgestaltung der Rechtsordnung ist kein (ausschlaggebendes) Argument gegen die derzeitige Verfassungsordnung. H i s t o risch sind Grundrechte häufig als Antworten auf Gefährdungen bestimmter Freiheitsbereiche zu deuten. 108 Bei der Erörterung des Vergleichskriteriums ist deshalb maßgeblich auf eine Gefährdungsäquivalenz abzustellen. 1 0 9 Ein Art. 2 Abs. 1 G G entspringendes unbenanntes Freiheitsrecht muß ein Schutzgut enthalten, das qualitativ und quantitativ einer Gefahrensituation ausgesetzt ist, die der einer benannten Freiheit entspricht. Bei der Ermittlung der Gefährdungssituation sind faktische und rechtliche Aspekte zu berücksichtigen. Trotz aller Bedenken, die gegen eine von subjektiven Einschätzungen mitbestimmte Verfassungsinterpretation vorgetragen wurden, 110 kann in Anlehnung an Häberleul (jedenfalls in Einzelfällen) deshalb auf tatsächliche Einschätzungen zurückgegriffen werden, weil die Verfassung (beispielsweise durch die Garantie der Menschenwürde oder das Sozialstaatsprinzip) selbst die Entwicklungsoffenheit und das Angewiesensein auf einen gewissen gesellschaftlichen Konsens in sich trägt. 112 Vorbehaltlich einer eingehenden sozialwissenschaftlichen Untersuchung manifestiert sich das faktische Gefährdungspotential der Vertragsfreiheit in zahlreichen, aktuell ergangenen Entscheidungen sowohl der Instanzgerichte als auch des Bundesverfassungsgerichts. N e b e n diesen faktischen Indizien für die Existenz einer Gefährdungssituation kann auf rechtlicher Seite eine Parallele zu Landesverfassungen und ausländischen Regelungen gezogen werden. A u f beiden E b e n e n finden sich grundrechtliche Verankerungen der Vertragsfreiheit. 1 1 3 Eine - wenn auch geringe - Bedeutung k o m m t in diesem Zusammenhang ebenfalls verfassungsrechtlichen K o m p e t e n z v o r schriften zu; für das Zivilrecht ist das Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 G G , der dem Bund für den Bereich des Bürgerlichen Rechts die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz einräumt. Ein Indizcharakter kann dem einfachen R e c h t nicht gänzlich ab-
106 Richardi, Kollektivgewalt, S. 51; Roscher, Vertragsfreiheit, S.56, wonach die Vertragsfreiheit nicht um ihrer selbst willen grundrechtlich gewährleistet sei, sondern nur aufgrund ihrer Eignung als Ordnungselement für Rechtsgestaltungen nach dem Grundsatz der Selbstbestimmung. Genüge ein anderes Gestaltungsmittel dieser Aufgabe besser als der individuelle Vertrag, könne das positive Recht ihm ohne weiteres den Vorrang gewähren. 107 Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 194. 108 Vgl.Jellinek, in: Schnur, Geschichte, S. lff. 109 Ebenso das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil, BVerfGE 65, 1, 42. 110 Vgl. Bleckmann, Grundrechte, 1. Teil §8, 5; Isensee, N J W 1977, 545, 550. 111 Häberle, J Z 1975, 297, 303f.; ders., J Z 1989, 913, 918f. 112 Das ist nicht dahin zu verstehen, daß verfassungsrechtliche Fragen von gesellschaftlichen (Mehrheits-)Auffassungen abhängen; insbesondere die Menschenwürdegarantie enthält auch ein statisches Element. Es dreht sich in erster Linie um die Interdependenz statischer und dynamischer Komponenten. Vgl. Stark, J Z 1981, 457, 459ff. 113 Siehe Fn. lOff. dieses Kapitels.
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
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gesprochen werden. Zwar kann Grundrechtsschutz nicht von einfachrechtlichen Entwicklungen beeinflußt sein, im R a h m e n einer Gesamtabwägung können sie jedoch - zumindest marginal - Berücksichtigung finden. 1 1 4 Diese für sich genommen nicht ausschlaggebenden, in ihrem Zusammenspiel aber maßgebenden Aspekte rechtfertigen die Annahme einer besonderen Gefährdungslage. Grundrechte individualisieren sich unter anderem dadurch, daß die Prüfung, vor allem des Ubermaßverbotes, durch eigene Regeln geprägt ist. Komparabilität setzt infolgedessen voraus, daß sich die Begrenzung staatlicher Eingriffsbefugnisse dogmatisch spezifizieren läßt. Wie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 1 1 5 zeigt, folgt die Verfassungsinterpretation der Vertragsfreiheit eigenen Regeln, die zwar noch nicht in einer anderen Innominatfreiheitsrechten vergleichbaren D i c h t e ausgereift sind, wie beispielsweise im Falle des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Gleichwohl läßt sie verallgemeinerungsfähige Strukturen (bereits) erkennen. D i e Vertragsfreiheit ist in ihrem Konkretisierungsgrad den benannten Freiheitsrechten angenähert. I m Ergebnis ist deshalb die Vertragsfreiheit als unbenanntes Freiheitsrecht einzustufen, das in A r t . 2 Abs. 1 G G i.V.m. Art. 1 Abs. 1 G G ebenso wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht fundiert ist, soweit keine speziellen Grundrechtsbestimmungen eingreifen. 1 1 6 bb)
Spezielle
Freiheitsgrundrechte
als sedes materiae
der
Vertragsfreiheit
Während Art. 2 Abs. 1 G G die allgemeine Handlungsfreiheit umfaßt, bezeichnen die nachfolgenden Freiheitsgrundrechte speziell thematisierte Freiheitsbereiche. Soweit die allgemeine Handlungsfreiheit in ihrem sachlichen Schutzbereich erfaßt ist, tritt Art. 2 Abs. 1 G G als subsidiäres Grundrecht hinter die übrigen Freiheitsgrundrechte zurück. 1 1 7 Soweit der Abschluß von Verträgen von den auf Art. 2 Abs. 1 G G folgenden konkreteren Grundrechten erfaßt wird, k o m m t es auf das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nicht an. F ü r die Vertragsfreiheit heißt das, daß insbesondere ehevertragliche Regelungen von Art. 6 Abs. 1 G G , der Abschluß gesellschaftsrechtlicher Abreden von Art. 9 Abs. 1 G G , Verfügungen von Todes wegen durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 G G und berufsbezogene Vertragsgestaltungen von Art. 12 Abs. 1 G G erfaßt werden.
114 Vgl. allgemein zu einem solchen »Vermutungsansatz« Bachof, DVB1.1961,128,130; ders., Gedächtnisschrift für Jellinek, S.287, 296, 301 ff.; Bleckmann, VB1BW 1985, 361 f.; Dirnherger, Naturgenuß, S. 193ff., 282; Robhers, Sicherheit, S. 153; BVerfGE 15, 275, 281f. 115 Siehe nur BVerfG NJW 1994, 2749; BVerfGE 89, 214; 81, 242. 116 Im Resultat übereinstimmend Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 194. 117 Die Verdrängung des allgemeinen Grundrechts bei thematischer Einschlägigkeit des spezielleren ist allgemeine Meinung, vgl. nur Erichsen, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. VI, § 152 Rn.25; Dreier, GG, Art. 2 Abs.l Rn.66; BVerfGE 6, 32, 36ff.; 89, 48, 61; BVerfG NJW 1995, 2279, 2280. Ungeklärt sind bis heute zahlreiche Einzelfragen, so, ob Art.2 Abs.l GG Grundrechtsschutz für Ausländer im Bereich von Deutschengrundrechten bietet (so die h. M., dazu Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 9) oder ob Art. 2 Abs. 1 GG nur bei fehlender Berührung des Schutzoder auch des Regelungsbereichs anwendbar ist (dazu Dreier, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 66 Fn. 264).
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
Art. 12 Abs. 1 G G gewährleistet die Berufsfreiheit als Inbegriff aller arbeitsrechtlich, wirtschafts- und gewerberechtlich sowie ausbildungsrechtlich relevanten Teilfreiheiten. Beruf im Sinne dieses Artikels meint die selbständige ebenso wie die unselbständige Tätigkeit. 118 Die Berufsfreiheit beinhaltet folglich nicht nur die Unternehmer- oder Gewerbefreiheit, 119 sondern auch ein allgemeines »Grundrecht der Arbeit«. 120 Werden Verträge in diesen Bereichen geschlossen, haben sie an der Garantiefunktion des Art. 12 Abs. 1 G G teil. Da Arbeitsverträge in der Regel zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geschlossen werden, sind Abschluß wie Ausgestaltung eines Arbeitsvertrages sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer grundrechtlich gewährleistet. Wenn Dürig meint, nur der Arbeitnehmer könne sich gegenüber staatlichen Eingriffen auf Art. 12 Abs. 1 G G berufen, 121 übersieht er, daß nicht nur der Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag in Ausübung des gewählten Berufs abschließt, sondern auch der Arbeitgeber, der zur Ausübung der von ihm gewählten selbständigen Tätigkeit unter Umständen auf die Mitarbeit von Arbeitnehmern angewiesen ist. Berufswahl und Berufsausübung sind kaum möglich, ohne berufsbezogene Verträge abzuschließen. Begründung und Ausgestaltung von Arbeitsverhältnissen sind stets zweiseitige Wahrnehmung des Grundrechts gemäß Art. 12 Abs. 1 G G und dienen der selbstverantwortlichen Existenzgestaltung und -Sicherung. 122 Unterschiede zwischen arbeitgeberischen und arbeitnehmerischen Vertragspositionen können sich insofern ergeben, als die Eingehung einzelner Arbeitsverträge für den Arbeitgeber in der Regel Ausdruck und Mittel freier Berufsausübung ist, während es auf Seiten des Arbeitnehmers Ausdruck freier Berufswahl darstellt. Anders ist es nur dann, wenn die Einstellung eines bestimmten, nicht substituierbaren Arbeitnehmers notwendige Voraussetzung für die eigene Berufsaufnahme des Arbeitgebers ist. Dem läßt sich auch nicht entgegenhalten, Arbeitsrecht sei das »Sonderrecht der unselbständigen Arbeitnehmer« und die Rechtsnormen, die die Tätigkeit des Arbeitgebers als Unternehmer regelten, gehörten nicht zum Arbeitsrecht, sondern zum Wirtschaftsrecht, oder die arbeitsrechtlichen Vorgaben seien für den Arbeitgeber bloßer Reflex des Arbeitnehmersonderrechts. 123 Wie Scholz zutreffend dargetan hat, ist das Arbeitsrecht ein Teilsystem des Berufsrechts im Sinne des Art. 12 Abs. 1 G G und nicht umgekehrt. 124 Das Arbeitsrecht hat sich demnach nach den grundgesetzlichen Vorgaben zu richten und läßt sich argumentativ nicht gegen den Grundrechtsschutz des Arbeitgebers anführen. Konsequenterweise hat das Bundesverfassungsgericht Art. 12 Abs. 1 G G als Maßstab genommen, um gesetzliche Belastungen des Arbeitgebers auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. 125 Dabei muß die berufliche Betätigung nicht unmittelbares Regelungsobjekt einer Norm sein; der von Art. 12 Abs. 1 G G gesicherte Freiheitsraum wird gegebenenfalls auch durch solche Vorschriften tangiert, die mit beruflicher Tätigkeit in einem inneren Zusammenhang stehen, Rückwirkung auf die Berufsausübung haben oder eine berufsregelnde Tendenz erkennen lassen. 126 Staatliche Reglementierungen für den Bereich arbeitsrechtliSöllner, ArbuR 1991, 45, 46. Dreier/Wieland, GG, Art. 12 Rn. 61; Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 12 Rn. 6; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 12 Rn. 17. 120 Junker, NZA 1997,1305,1306; Papier, RdA 1989,137,138; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 7; Söllner, RdA 1989,144,147f.; BVerfGE 7, 377, 398f.; 50,290, 365; 54, 301, 322; 59, 231, 266. 121 Durig, in: Maunz/Dürig, GG, Art.2 Abs. 1 Rn. 53. 122 In diesem Sinn auch Höfling, Vertragsfreiheit, S. 17; Papier, RdA 1989, 137, 138; Söllner, RdA 1989,144, 148; ders., ArbuR 1991, 45, 46f., 50; Scholz, ZfA 1981, 265, 276f. 123 Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht Bd. 1, S. 3ff. 124 Scholz, ZfA 1981, 265, 289, 302. 125 BVerfGE 77, 84; 77, 308; 81, 156. 126 So auch das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, BVerfGE 22,380,384; 118 119
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
87
eher Verträge sind deshalb sowohl hinsichtlich der Arbeitnehmer als auch bezüglich der Arbeitgeber an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. Da Art. 14 Abs. 1 GG weder Chancen oder Erwerbsmöglichkeiten noch die Betätigung an sich schützt, 127 spielt die Eigentumsgarantie hier keine Rolle. A u ß e r bei erbrechtlichen Abreden k o m m t Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G Bedeutung bei auf Eigentum bezogenen Verträgen zu. Geschützt ist neben dem Bestand auch die N u t z u n g des Eigentums; der Eigentümer hat die Freiheit, sein Eigentum zu verwenden, zu verbrauchen und zu übertragen. Als notwendiger Bestandteil einer Ubereignung unterliegen damit dingliche Verträge wie Einigung und Auflassung der Eigentumsgewährleistung. Als Korrelat zur Eigentumsübertragung fällt auch der Eigentumserwerb in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G , so daß die vertragsimmanente Bipolarität einer sachenrechtlichen Abrede Niederschlag in einem einheitlichen Grundrechtsschutz findet. Zwar kann Art. 2 A b s . l G G als Auffanggrundrecht durchaus neben einem speziellen Freiheitsschutz A n w e n dung finden, wenn ein aufteilbarer, komplexer Lebenssachverhalt zugrunde liegt, der lediglich teilweise von einem speziellen Freiheitsgrundrecht erfaßt wird; 1 2 8 der innere Sachzusammenhang von Eigentumsübertragung und -erwerb sowie der im Vergleich zur bürgerlich-rechtlichen Eigentumsbeschreibung weitere E i gentumsbegriff des Grundgesetzes 1 2 9 sprechen aber dafür, auch den Erwerbstatbestand einzubeziehen. Schutzgegenstand ist jedwede Freiheit im Bereich der privaten V e r m ö g e n s w e r t e n Rechte. 1 3 0 Ähnliche Erwägungen ermöglichen eine Stellungnahme im Diskurs um die Frage, o b obligatorische Rechtsgeschäfte (bezüglich der Eigentumsübertragung) Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G oder Art. 2 Abs. 1 G G zuzuordnen sind: Beide Vertragstatbestände stehen in engem Zusammenhang, wobei sich die Interdependenz deutlich bei der Rückabwicklung einer causalosen Ubereignung zeigt. Vertragliche Dispositionen über Eigentum sind in ihrem Erfolg in der Regel abhängig von der Wirksamkeit
sachenrechtlicher
sowie
schuldrechtlicher
Rechtsgeschäfte;
in
rechtlich bestandskräftiger F o r m kann der Eigentümer von den ihm zugebilligten Befugnissen häufig nur dann Gebrauch machen, wenn die Rechtsordnung entsprechende vertragsrechtliche Gestaltungsvarianten bereithält. Zudem hat das Trennungsprinzip auf verfassungsrechtlicher E b e n e keine Anerkennung gefunden. Vielmehr erfordert die rechtliche Differenzierung eines tatsächlich regelmäßig einheitlichen Tatbestandes geradezu die Konsequenz einer verfassungsrechtlichen Gleichbehandlung beider Rechtsgeschäfte. D a erst beide Vertragstypen im Zusammenspiel die Eigentumsverwirklichung ermöglichen, sind beide als K o n 37, 121, 131; 50, 290, 361ff.; 57, 139, 158ff. 127 Ständige Rechtsprechung BVerfGE 13,181,185; 22,380, 384; 45,142,173; 68,193,222; 74, 129, 148; aus dem Schrifttum beispielsweise Dreier/Wieland, GG, Art. 14 Rn. 42, m. weit. Nachw. 128 Vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 1 Rn.35, m. weit. Nachw. und Beispielen. 129 Vgl. Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn.21ff.; Dreier/Wieland, GG, Art. 14 Rn.26ff„ 3Off. 130 Vgl. Friauf, Festgabe für Hämmerlein, S.207, 217, m. weit. Nachw.
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
88
Selbstgestaltung
nexinstitute des Eigentums oder - wie Höfling es ausdrückt - als »realisierungssichernde Hilfskompetenzen« 131 von Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G als Abwehrgrundrecht erfaßt. Dies gilt zumal deshalb, weil auf diese Weise eine uneinheitliche Beurteilung der »Schranken« und insoweit divergierende Aussagen für Schuld- und Sachenrecht vermieden werden. Manssen äußert Bedenken und wendet gegen diese extensive Interpretation ein, daß Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G zu einem »Ubergrundrecht« mutiere, wenn Forderungspositionen in den Schutzbereich einbezogen werden.132 Obligatorische Verträge sind dort von Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G erfaßt, wo es sich um aktive oder passive Eigentumszuordnung dreht. Daß die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G im Grundsatz auch obligatorische Rechtspositionen schützt, ist mittlerweile beinahe allgemeine Meinung. 133 Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G zielt allerdings auf Bestandsschutz, nicht auf die Sicherung von Verdienstmöglichkeiten, Gewinnchancen oder bloßer Erwartungen. 134 Letzteres wäre aber der Fall, wenn die Möglichkeit, schuldrechtliche Verträge abzuschließen und auszugestalten, in ihrer Gesamtheit der Eigentumsgarantie unterstellt würde; es käme zum eigentumsrechtlichen Schutz bloßer Erwartungspositionen. Infolgedessen sind schuldrechtliche Dispositionsfreiheiten von Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G lediglich insoweit erfaßt, wie sie notwendige Ergänzung bestehender Eigentumspositionen sind und ihre Ubertragung zivilrechtlich kondiktionsfest sichern. Die originäre Gestaltungsfreiheit zählt hierzu nicht. 135 Bezieht man diese Gesichtspunkte ein, kann von einer Uberbewertung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G nicht gesprochen werden. In bestimmten Konstellationen erfaßt Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G auch die Freiheit, schuldrechtliche Abreden zu schließen.136 Aus verfassungsrechtlicher Perspektive steht »Vertragsfreiheit« als Oberbegriff für ein Freiheitsbündel. Spezifische Erscheinungsformen der Vertragsfreiheit sind als auxiliäre Rechte unterschiedlichen Grundrechten zuzuordnen. Die Leitidee Vertragsfreiheit ist damit zwar insgesamt grundrechtlich verankert, doch geht die Freiheit auf vielfältige Grundrechte zurück. Die multiple Verortung führt nicht zu privatrechtlich divergenten Erscheinungsformen der Vertragsfreiheit; an den im zweiten Kapitel erarbeiteten allgemeinen Beschreibungen der (schuldrechtlichen) Vertragsfreiheit ist festzuhalten. Auch für die verfassungs-
Höfling, Vertragsfreiheit, S. 15. Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 137ff. (Zitat auf S. 139). 133 Ahnlich wie Art. 153 WRV gewährleistet das Eigentumsgrundrecht nicht nur das sachenrechtliche Eigentum, sondern prinzipiell jedes private Vermögensrecht. Vgl. nur Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 190, m. weit. Nachw. 134 Jarass/Pieroth, Art. 14 Rn. 14; Kimminich, in: BK, Art. 14 Rn. 84ff.; Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn.44; BVerfGE 7g, 205, 211f.; 74,129, 148; 68, 193, 222f. 135 So im Ergebnis auch Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 139f. 136 Davon zu trennen ist die Frage, inwieweit zu den Einrichtungsgarantien des Eigentums dem Sacheigentum komplementäre schuldrechtliche Abreden wie diejenigen des Kaufs, der Miete und des Darlehens zu rechnen sind. Dazu Chlosta, Wesensgehalt, S. 82 ff.; Wendt, Eigentum, S. 271 ff. 131
132
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
89
rechtliche Herleitung der Freiheitsgrenzen kommt es auf die spezielle grundrechtliche Verankerung nur in besonderen Fällen an. b) Vertragsfreiheit und
Schrankendogmatik
aa) Relevanz der Schrankenlehre Genießt schuldrechtliche Vertragsfreiheit - soweit keine besonderen G r u n d rechtsbestimmungen eingreifen - grundrechtlichen Schutz durch Art. 2 Abs. 1 G G , so besagt die tatbestandliche Einschlägigkeit des Grundrechts im Einzelfall nichts darüber, ob eine beschränkende staatliche Maßnahme gerechtfertigt ist. Wo das Grundgesetz (rechtfertigungsbedürftige) Eingriffe 137 zulassen will, statuiert es als Freiheitsbegrenzung Schranken. Art. 2 Abs. 1 G G steht unter den drei unmittelbaren Verfassungsschranken der Rechte anderer, der verfassungsmäßigen O r d n u n g und des Sittengesetzes. Jeder »Eingriff« in den Schutzbereich hat sich an dieser Schrankentrias messen zu lassen. Beispielhaft wird im folgenden in erster Linie auf Art. 2 Abs. 1 G G abgestellt. Diese thematische Beschränkung rechtfertigt sich z u m einen daraus, daß Vertragsfreiheit, von den oben angesprochenen Fällen abgesehen, bei Art. 2 Abs. 1 G G anzusiedeln ist. Z u m anderen werden sich die Ergebnisse insbesondere z u m maßgeblichen Prüfungsmaßstab des U b e r m a ß verbots auf die besonderen G r u n d r e c h t e entsprechend übertragen lassen. 138 Das aus Art. 2 Abs. 1 G G i.V.m. Art. 1 Abs. 1 G G hergeleitete u n b e n a n n t e Freiheitsrecht »Vertragsfreiheit« ist gleichberechtigt neben die speziellen grundrechtlichen Gewährleistungen der Vertragsfreiheit zu stellen. H i n z u k o m m t die K o n g r u e n z der Vertragsfreiheit im Zivilrecht; dort stellt sie einen allgemeinen Ordnungstatbestand dar, so daß auch verfassungsrechtlich im G r u n d s a t z eine einheitliche D o g m a t i k u n d Schrankenanalyse angebracht scheint. Dies alles spricht f ü r eine grundsätzliche Harmonisierung der Maßstäbe f ü r gesetzgeberische Eingriffe, beispielsweise im R a h m e n der P r ü f u n g der Verhältnismäßigkeit. Die zur allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 G G als Auffanggrundrecht getroffenen generellen Feststellungen werden deshalb auf vergleichbare Problemlagen spezieller G r u n d rechte zu übertragen sein. Diese grundsätzliche H o m o g e n i t ä t der Vertragsfreiheit ändert aber nichts daran, daß spezifische Erscheinungsformen der Vertragsfreiheit bestimmten grundrechtlichen Spezialverbürgungen z u z u o r d n e n u n d damit inhaltlich von diesen determiniert sind. Die Besonderheiten einzelner Schutzbereiche sind gegebenenfalls zu berücksichtigen.
Auf die verfassungsrechtlichen Schranken der Vertragsfreiheit kommt es nicht an, wenn man der These von der Souveränität des Zivilrechts gegenüber dem öffentlichen Recht folgt. 139 Vor allem Flume hat sich für eine Dispension gesetzgeberi137
Vgl. Degenhart, JuS 1990, 161, 165, m. weit. Nachw. Zur Erweiterung des klassischen Eingriffsbegriffs in der modernen Grundrechtsdogmatik sowie den hieran anknüpfenden Streitfragen Dreier, G G , Vorb. Rn. 80ff.; Eckhoff, Grundrechtseingriff, S.3ff.; Ipsen, Grundrechte, Rn. 123ff.; Lübhe/Wolff, Grundrechte, S.42ff.; Pieroth/ Schlink, Grundrechte, Rn.256ff.; A. Roth, Verwaltungshandeln, S. 134ff.; W. Roth, Faktische Eingriffe, S. 7ff.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 76ff. 139 In diese Richtung argumentieren (zumindest ansatzweise) Huber, Vertragsfreiheit, S. 19f.; Badura, Festschrift für Rittner, S. 1, 3; Dürig, Festschrift für Nawiasky, S. 157, 164; Flume, Rechtsgeschäft, § 1, 10a; ders., Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Deutschen Juristenta138
90
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
scher Maßnahmen von den Eingriffs- und Schrankenregeln ausgesprochen, da Vertragsfreiheit kraft N a t u r der Sache nur nach Maßgabe der Rechtsordnung bestehen könne. Die Privatrechtsordnung, die die Vertragsfreiheit regelt, sei ein B e standteil der verfassungsmäßigen O r d n u n g und beschränke so die Vertragsfreiheit. 1 4 0 Die Vertragsfreiheit könne gar nicht anders als nach Maßgabe der Rechtsordnung gewährleistet sein; einengende Regelungen seien bloßes »Ausmessen der Vertragsfreiheit«. 1 4 1 Bei den der Vertragsfreiheit gesetzten Grenzen handele es sich nicht um die Begrenzung eines vorgegebenen Freiheitsraumes, sondern um eine Ausgestaltung eines Schutzbereichs durch einfaches Recht, die von vornherein vorgesehen sei. 142 Das traditionelle Ordnungsgefüge des Zivilrechts ermögliche und sichere erst die Grundrechtsausübung und könne deshalb nicht zugleich als Eingriff in die Freiheit verstanden werden. 1 4 3 Eine Suspendierung des Privatrechts v o m Eingriffs- und Schrankensystem des Grundgesetzes ist jedoch nicht nur systemfremd, sondern in dieser Allgemeinheit auch irreführend. F ü r eine autonome Rolle des Zivilrechts ergeben sich in der Verfassung keinerlei Anhaltspunkte. Zwar ist festzustellen, daß sich Vertragsfreiheit im Laufe einer langen geschichtlichen Entwicklung 1 4 4 herausgebildet hat, die im Bürgerlichen Gesetzbuch v o m 18. August 1896 ihren Niederschlag gefunden hat, und daß das Grundgesetz v o m 23. Mai 1949 den damaligen Erkenntnisstand übernommen hat. Ein solcher Rezeptionsvorgang begründet jedoch keine (normenhierarchische) Sonderstellung, sind doch zahlreiche Grundrechte in ihrer Genese ein Bestandteil geschichtlicher, häufig auf einfachrechtlicher Basis eingeleiteter Prozesse. D u r c h die Aufnahme in die Verfassung mittels Art. 2 Abs. 1 G G (sowie spezieller Freiheitsrechte) ist der Schutzgegenstand »Vertragsfreiheit« hierin formell inkorporiert und unterliegt der verfassungsrechtlichen Eingriffsund Schrankensystematik. Daran vermag auch Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 G G nichts zu ändern, der lediglich eine Kompetenzzuordnung enthält, für eine materielle Sonderstellung aber keinen Anhalt bietet. D e r Ausgestaltungsgedanke in der geschilderten generellen Variante ist mithin nicht tragfähig. D i e Privatrechtsordnung kann des weiteren nicht mit der verfassungsmäßigen O r d n u n g gleichgesetzt werden, weil ansonsten jeder beliebige Zivilrechtssatz als Teil der verfassungsmäßigen O r d n u n g die Vertragsfreiheit beschränken könnte. D i e Verfassung gibt auch im Bereich der Vertragsfreiheit einen zwingenden Rahmen für den einfachen G e setzgeber vor; Einschränkungen der Vertragsfreiheit sind rechtfertigungsbedürftig. 1 4 5 Einschränkende Privatrechtsnormen sind an den Grundrechten zu messen; ges, S. 135, 137f.; Richardi, Kollektivgewalt, S.50f.; Roscher, Vertragsfreiheit, S.46ff., 52ff.; Biedenkopf, Wettbewerbsbeschränkung, S. 149. 140 Flume, Rechtsgeschäft, §1, 10a; ders., Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 135, 137f. 141 Huber, Vertragsfreiheit, S. 19f. (Zitat auf S.20 sub 5). 142 Schmidt-Saher, NJW 1970, 8, 14. 143 Badura, Festschrift für Rittner, S. 1, 3. 144 Vgl. das 1. Kapitel (S. 13 ff.), m. weit. Nachw. 145 Taupitz, AcP 192 (1992), 341,343 f.; Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 129f.; Canaris, AcP 184 (1984), 201,209; ders. ,JZ 1987,993,995; Krause,JZ 1984,711,716; Höfling, Vertragsfreiheit,
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche Implikationen
91
sie müssen einem verfassungslegitimen Zweck dienen und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Die Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung steht im großen und ganzen außer Streit. Stellenweise wird vorgeschlagen zu differenzieren, ob es sich um die Kodifikation von öffentlich-rechtlichen Normen oder um solche des Privatrechts handelt. Da es bei einem privatrechtlichen Gesetz nicht ausschließlich um die Belange der Allgemeinheit gehe, sondern in erster Linie um den Ausgleich gegenläufiger Interessen Privater, sei eine Grundrechtsbindung des Gesetzgebers auf dem Privatrechtssektor zu bezweifeln. 146 Ubersehen wird dabei Art. 1 Abs. 3 G G , der den Gesetzgeber insgesamt an die Grundrechte bindet, und das zu Recht: Auch der Erlaß privatrechtlicher Gesetze bedeutet hoheitliches Handeln. Wenn der Staat in Rechte der Bürger durch privatrechtliche Gesetze eingreift, beispielsweise indem er bestimmte Materien der Vertragsgestaltung entzieht, bleibt er hoheitlich handelnde Staatsgewalt. Daß dabei unter Umständen einander widersprechende Interessen ausgeglichen werden, ist kein Charakteristikum allein des bürgerlichen Rechts und deshalb auch kein Rechtfertigungsgrund für eine verminderte Grundrechtsbindung. Die Frage nach der Behandlung kollidierender Grundrechte und ihre Lösung durch das Prinzip der praktischen Konkordanz ist auch Gegenstand öffentlich-rechtlicher Normen. 1 4 7 Gründe für eine unterschiedliche Behandlung sind nicht ersichtlich. Sie macht auch keinen Sinn, würde sie doch dem Gesetzgeber bei verwandten Regelungsmaterien die Flucht in das Privatrecht eröffnen; so könnten baurechtliche Vorschriften gegebenenfalls in das privatrechtliche Nachbarrecht überführt werden. Aus allem erhellt: Die Grundrechte sind direkter Prüfungsmaßstab für sämtliche Gesetze. Greift der Privatrechtsgesetzgeber in Rechte der Bürger ein, stehen diesen die Grundrechte in ihrer Funktion als Abwehrrechte zu Gebote. 148 Pietzcker hat demgegenüber vorgeschlagen, zwischen den einzelnen Grundrechten zu unterscheiden und Art. 7 bis 13 G G lediglich mediatisierte Wirkung gegenüber dem Privatrechtsgesetzgeber zuzuordnen. 149 Das überzeugt nicht. Wie Hager zutreffend angemerkt hat, ist - entgegen Pietzcker - das im Einzelfall ohne Rücksicht auf Art. 13 Abs. 7 G G bestehende Eintrittsrecht eines Bürgers in eine Privatwohnung kein Argument für einen eingeschränkten Gehalt dieses Artikels. Daß einer Privatperson gegebenenfalls auch unabhängig von einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen ein Zutrittsrecht zuzubilligen ist, stellt - ebenso wie bei der strafrechtlichen Rechtfertigung bei § 123 Abs. 1 StGB - nur eine Folge der Grundrechtskonkurrenz dar. 150
S. 34ff.; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 153, 156,359; Wolf, Grundlagen, §2 II, 3; Leipold, JZ 1990, 700, 702f.; Rüfner, Gedächtnisschrift für Martens, S.215, 219; BVerfG NJW 1990, 2246; BVerfGE 79, 80, 256, 283, 292; 78, 38, 128; 53, 352; 50, 290. 146 Vgl. Lerche, ZHR 149 (1985), 165,167; skeptisch ebenfalls Herzog, JR 1969,441,443; neuerdings Diederichsen, Rangverhältnisse, S.39. 147 Vgl. nur Heun, Funktionell-rechtliche Schranken, S.56ff., 63ff. 148 Abgesehen von den in Fn. 146 aufgeführten, vereinzelt gebliebenen Stimmen nahezu einhellige Meinung, siehe nur Stern, Staatsrecht Bd. III/l, § 76 IV 3; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 23; Bleckmann, Grundrechte, 1. Teil § 10; Alexy, Theorie, S. 485; Novak, EuGRZ 1984, 133,135ff.; Krause, JZ 1984,656,657; Hager, JZ 1994,373,374f. Das BVerfG hat diese Sichtweise in BVerfGE 6, 55; 7, 198, 205, herausgearbeitet und in ständiger Rechtsprechung bestätigt, zuletzt BVerfGE 75, 201, 218; 79, 283, 290; 84, 9, 17ff. 149 Pietzcker, Festschrift für Dürig, S. 345, 352. 150 Im einzelnen Hager, JZ 1994, 373, 375.
92
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
bb) Kompetentieller
Charakter der
Selbstgestaltung
Vertragsfreiheit
Ist die Annahme einer umfassenden Bindungsfreiheit des Gesetzgebers in ihrer Absolutheit abzulehnen, so beruht sie doch insoweit auf einem zutreffenden Ansatz, als sie auf die kompetentielle Fundierung der Vertragsfreiheit in der Privatrechtsordnung aufmerksam gemacht hat. Wie erörtert wurde,151 stellt die Vertragsfreiheit eine kompetentielle Freiheit dar, die - anders als natürliche Verhaltensfreiheiten - auf der Anerkennung der Legitimation der Privatrechtssubjekte zur Schaffung rechtsgeschäftlicher Regelungen beruht. Rechtsgeltung leitet sich also aus Anerkennung durch die Rechtsordnung ab: Abreden erfordern Normen, aus denen sich ergibt, daß die Beachtung vertraglicher Rechte und Pflichten positivrechtlich geboten ist; die normativen Voraussetzungen und Folgen vertraglichen Handelns bedürfen der Ausgestaltung und Präzisierung.152 Aus dieser kompetentiellen Struktur folgt nicht nur die Existenz realisierungsermöglichender, sondern auch konstitutiver Normen. Zu unterscheiden ist also zwischen Regelungen, die die geschützte Freiheit konstituieren und deshalb der Schrankendogmatik nicht unterliegen, sowie einschränkenden Vorschriften, die den grundrechtlichen Eingriffsvoraussetzungen genügen müssen. »Zentralproblem«153 und bisher weitgehend noch ungeklärt sind die Differenzierungskriterien. In der Literatur154 findet sich lediglich der apodiktische Hinweis auf die von Esser155 und Dworkin156 herausgearbeitete und von Alexy157 auf die Grundrechtsdogmatik übertragene Prinzipienlehre: Alexy trennt Regeln und Prinzipien, wobei unter ersteren Festsetzungen im Raum des tatsächlich und rechtlich Möglichen zu verstehen sind, die etwas definitiv geoder verbieten. Prinzipien hingegen sind Normen, die gebieten, daß etwas in einem möglichst hohen Maß realisiert wird.158 Dieses Optimierungsgebot intendiert, einen Normgehalt weitgehend umzusetzen, soweit keine Gegengründe in Gestalt gegenläufiger Prinzipien der Norm entgegenstehen, die eine Nicht- oder nur teilweise Realisierung der Prinzipiennorm rechtfertigen. Vorschriften, die der Realisierung grundrechtlicher Vertragsfreiheit dienen, unterliegen keiner Begründungslast - haben sie doch den Zweck, die (schuldvertragliche) Freiheitsdimension im praktischen Rechtsleben zu ermöglichen. SoVgl. das 2. Kapitel (S. 43ff.). Dazu näher im 2. Kapitel (S.43ff.). 153 Taupitz, AcP 192 (1992), 341, 344; ebenso Alexy, Theorie, S.300. 154 Siehe Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 131 f.; Höfling, Vertragsfreiheit, S.36ff.; im Ergebnis zustimmend, aber mangelnde Konkretisierung und Ausdifferenzierung kritisierend Taupitz, AcP 192 (1992), 341, 344ff. 155 Esser, Grundsatz, S.50ff. 156 Dworkin, Bürgerrechte, S.42ff., 144ff. 157 Alexy, Theorie, S. 71 ff.; ders., Der Staat 29 (1990), 49,54ff. Alexys Konzeption im allgemeinen, also ohne Bezug zur Vertragsfreiheit, zustimmend Bleckmann, NJW 1986, 1598f.; Dreier, JZ 1985, 353, 356; Gallwas, DÖV 1986, 213, 214. 158 Alexy, Theorie, S. 75f. Im folgenden liegt der Schwerpunkt der Ausführungen auf rechtlich-formalen Aspekten. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß gegebenenfalls auch tatsächliche Realisationsbedingungen erfaßt sind; dazu im 2. Kapitel und später. 151
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3. Kapitel: Verfassungsrechtliche Implikationen
93
weit Normen die Kompetenz zur beliebigen vertraglichen Regelung von Rechtsbeziehungen nach eigener Wahl konstituieren, ergeben sich für den Gesetzgeber keine Begründungslasten. Mit derartigen gesetzlichen Vorgaben schränkt der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verbürgte Rechte nicht ein, sondern schafft gerade auf einfachrechtlicher Basis die Voraussetzung dafür, daß Grundrechte im Rechtsleben ausgeübt werden können; 159 die gesetzgeberische Normierung zivilrechtlicher Kompetenznormen als solche hat keine einschränkende Wirkung. Der Komplex zivilrechtlicher Regelungen macht Vertragsfreiheit erst konkret. Was als Ausgestaltung qualifiziert ist, bedarf gegenüber dem Grundrecht keiner Rechtfertigung. Anzunehmen ist das beispielsweise bei der Regelung allgemeiner Vertragsvoraussetzungen wie der Abgabe- oder Zugangserfordernisse. Sie dienen in erster Linie dazu, den Konsens der Parteien anhand vorgegebener Kriterien im rechtlichen Bereich zur Geltung zu bringen, die Vertragsfreiheit als begründendes Prinzip in - auch für die Vertragsbeteiligten - kalkulierbare Bahnen zu lenken. Insoweit genügen die Vorgaben dem Gedanken von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit und ermöglichen im Falle gerichtlicher Auseinandersetzung die Beurteilung, ob ein Vertrag zustandegekommen ist oder nicht. Der Terminus »Ausgestaltung« wird hier also in einem engen Sinn verstanden. Anders als beispielsweise Häberle, der den Begriff auf den Gesamtzustand der N o r m i e r u n g im Bereich der Grundrechte bezieht und infolgedessen den Begriff der Ausgestaltung auch auf Einschränkungen erstreckt, 160 ist davon auszugehen, daß auch, wenn eine einschränkende N o r m vernünftig und aus grundrechtlichen Aspekten zur Bewahrung von Freiheiten gefordert ist, sie dennoch einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff darstellt. Der Begriff der Ausgestaltung erfaßt Kompetenznormen; Gebots- oder Verbotsnormen haben reglementierenden Charakter.
Eine rechtfertigungsbedürftige Einschränkung der Vertragsfreiheit ist immer dann anzunehmen, wenn die Beseitigung einer rechtlichen Kompetenz die Realisierung der Vertragsfreiheit hemmt. Unabhängig von den Dimensionen verfassungsrechtlicher Freiheit 161 haben rechtliche Freiheitshemmnisse Eingriffscharakter. Für das unbenannte Grundrecht der Vertragsfreiheit bedeutet es eine Einschränkung, wenn durch eine gesetzgeberische Ingerenz die optimale Realisierung beeinträchtigt wird; dieses Zurückbleiben hinter dem Bestmöglichen hat der Gesetzgeber zu legitimieren. Gegen das Legitimationsbedürfnis könnte eingewandt werden, der beispielsweise durch §138 Abs. 2 BGB geschützte Vertragspartner berufe sich auf die Einschränkung der Vertragsfreiheit, diese sei häufig erstrebt. Kurzum, es stellt sich folgende Frage: Verhindert die Intention eines Ver-
159 Eine andere und davon unabhängige Frage ist, ob die Beseitigung bestehender Kompetenznormen oder der fehlende Erlaß kompetenzermöglichender Vorschriften der Ausgestaltungsebene zuzuordnen ist bzw. in welchen Fällen Einschränkungen zu konstatieren sind; dazu Alexy, Theorie, S. 304ff. 160 Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 189ff. 161 Näher dazu bei Grabitz, Freiheit, S. 243ff.; zur Frage, inwieweit ein Grundrecht als Ganzes im Sinne eines Bündels grundrechtlicher Positionen zu deuten ist, Alexy, Theorie, S. 224ff.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
tragspartners, die ungünstige vertragliche Bindung entfallen zu lassen, eine Q u a lifikation als grundrechtsrelevanten Eingriff? E i n e derartige Betrachtung läßt zwei Aspekte unberücksichtigt, den bilateralen Charakter des Vertrages sowie das Zeitmoment: D e r andere Vertragspartner wird in aller Regel den Vertrag abwickeln wollen. D u r c h die aufgrund der gesetzlichen Vorgaben beeinträchtigte Bindungswirkung des Vertrages ist ihm das nicht mehr möglich. Aus dem Blickwinkel dieses Vertragspartners wird jedenfalls seine Vertragsfreiheit beschränkt. Gleiches gilt für den Geschützten, wenn das Zeitmoment in die Überlegung einbezogen wird. D i e K o m p e t e n z zur vertraglichen Bindung oder Ausübung der Wahlfreiheiten wird vor oder bei Vertragsschluß verengt. D e r Gesetzgeber mißachtet quasi »rückwirkend« die eigenverantwortliche Freiheit des Geschützten. Unabhängig von beiden Argumentationslinien ist darüber hinaus zu sehen, daß - legt man einen abstrakt-generellen Maßstab an - der Rechtsverkehr im allgemeinen durch zwingende Vorschriften an Vertragsgestaltungen gehindert wird. 1 6 2 Ist eine vertragliche Gestaltung per se verboten, wird sie in vielen Fällen von Haus aus nicht gewählt werden. D i e Nichtigkeit bestimmter Vereinbarungen aufgrund zwingender gesetzlicher Regelungen schränkt die potentielle Vertragsfreiheit beider Seiten ein. Eine Freistellung gesetzgeberischer Maßnahmen von den Schrankenregeln scheidet insofern aus. ccj Schranken
der
Vertragsfreiheit
Unterfallen gesetzliche G r e n z e n der (schuldrechtlichen) Vertragsfreiheit der Schrankendogmatik der Grundrechte, dem - wie Alexy es ausdrückt - »Spiel von G r u n d und Gegengrund« 1 6 3 , stellt sich die Frage nach den Schranken der Vertragsfreiheit. Einwirkungen auf grundrechtliche Schutzgüter sind prinzipiell nur dann zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen. D i e die Vertragsfreiheit beschränkenden Gesetze kennzeichnen die G r e n z e zwischen Individual- und Sozialsphäre, also zwischen individuellen Handlungsmöglichkeiten und Rechten anderer oder Belangen der Allgemeinheit. D i e Einengung der Privatautonomie gründet auf der Einsicht, daß jede menschliche Handlung stets im Zusammenhang mit dem Handeln anderer zu sehen ist. Kollidieren diese H a n d lungsvariationen potentiell miteinander, zieht der Gesetzgeber der durch G r u n d rechte gewährleisteten Vertragsfreiheit Grenzen. Greift man paradigmatisch das Auffanggrundrecht der Vertragsfreiheit, also Art. 2 Abs. 1 G G , heraus, wird die Vertragsfreiheit durch eine Schrankentrias begrenzt: den Rechten anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und dem Sittengesetz. Das Grundprinzip, daß der Schutz der Freiheit dort zu enden hat, w o die Rechtsgüter anderer beeinträchtigt werden (»neminem laedere«), ist Gegenstand der ersten in Art. 2 Abs. 1 G G erwähnten Schranke. 1 6 4 D e r Ausdruck »Sittenge-
162
163 164
Ähnlich Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 136f.; Hillgruber, Alexy, Theorie, S.289.
Näher Dürig, in: Maunz/Dürig,
Schutz, S. 150f.
Art. 21 Rn. 73; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck,
Art. 2
3. Kapitel:
Verfassungsrechtliche
Implikationen
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setz« meint einen der Verfassungsordnung »transzendenten« Normenbestand. 1 6 5 Beide Schranken sind in Rechtsprechung und Literatur weitgehend ohne Bedeutung, 166 weil diese Aspekte in der Regel von der verfassungsmäßigen Ordnung (mit)erfaßt sind. Für die gesetzlichen Begrenzungen der Vertragsfreiheit gilt nichts anderes. Versteht man »verfassungsmäßige Ordnung« mit der überwiegenden Ansicht 1 6 7 als die Gesamtheit der Normen, die formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehen, so umfaßt sie alle von der Rechtsordnung verbürgten Rechte und entfaltet das Sittengesetz im Vertragsbereich seine Wirksamkeit vornehmlich durch die Generalklauseln der Rechtsordnung, wie beispielsweise §§ 138, 242 B G B . Maßgebliche Schranke der Vertragsfreiheit ist mithin die verfassungsmäßige Ordnung, zu der alle gültigen Rechtsnormen, d.h. Bundesund Landesrecht sowie die darauf gestützten Einzelmaßnahmen (z.B. Verwaltungsakte), zählen. Danach begrenzt jede zivilrechtliche N o r m , die Handlungsmöglichkeiten beschneidet, die Vertragsfreiheit. W e n n Manfred
Wolf in A n l e h -
nung an Flume dagegen einwendet, 168 die Privatrechtsordnung dürfe nicht mit der verfassungsmäßigen Ordnung gleichgestellt werden, weil ansonsten jeder beliebige Zivilrechtssatz die Vertragsfreiheit beschränken könnte, wird übersehen, daß der einschränkende Rechtssatz selbst von Verfassungs wegen bestimmten Anforderungen genügen muß (sogenannte Schranken-Schranken). Zutreffend ist, daß nicht die gesamte Privatrechtsordnung eine E i n s c h r ä n k u n g der grundgesetzlich verbürgten Freiheit privatautonomer Gestaltung darstellt. D i e Vertragsfreiheit bedarf - wie o b e n erläutert 1 6 9 - der R e c h t s o r d n u n g als Korrelat. D i e Vertragsfreiheit ist nach F o r m und inhaltlicher Ausprägung durch die R e c h t s o r d n u n g b e s t i m m t . D a s R e c h t s subjekt k a n n z w a r festlegen, o b und w e l c h e Rechtsfreiheiten es gestalten will. E s kann aber lediglich mittels derjenigen A k t e rechtsgestaltend handeln, die i h m die PrivatrechtsordAbs. 1 Rn.21; Erichsen, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. VI, § 1 5 2 Rn.39, jeweils m. weit. Nachw. 1 6 5 Der Inhalt des Sittengesetzes läßt sich kaum philosophisch zeitlos oder als empirisch festgestellte herrschende Moralvorstellung abschließend bestimmen und bleibt stetem Wandel unterlegen; im einzelnen dazu Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn.26ff.; Murswiek, in: Sachs, GG, A n . 2 Rn. 94ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs.l Rn.24ff.; Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 44. 166 Hillgruher, Schutz, S. 165ff.; A K - G G / P o d l e c h , Art. 2 Abs. 1 Rn. 64ff.; Schmidt-Bleibtreu/ Klein, Art. 2 Rn. 13 (»Schattendasein«); Dreier, GG, Art. 2 I Rn.44 (»keine tragende Rolle«); Erichsen, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. VI, § 152 Rn. 31 (»weitgehend überlagert«); Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art.2 A b s . l Rn. 1 (»als Schranke weitgehend nicht herangezogen«); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 423 (»keine praktische Bedeutung«); anders Erhel, Sittengesetz, S.209, der von einer »Auffang-« und »rechtsethischen Kontrollschranke« spricht; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. V, § 111 Rn. 115. 1 6 7 Ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 6, 32, 37f. (Elfes); aus neuerer Zeit z.B. BVerfGE 80, 137, 153; 90, 145, 171 f.; aus der Literatur Erichsen, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. VI, §152 Rn.31f.; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 89; Ipsen, Grundrechte, Rn. 737; a.A. zum Beispiel Erbel, Sittengesetz, S. 177; Lerche, Ubermaß, S. 299f.; zum Meinungsstand siehe Hesse, Bindung, S . l l f f . 168 Wolf, Grundlagen, § 2 II 3; vgl. auch ders., Entscheidungsfreiheit, S.21ff.; Flume, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 135, 136ff. 1 6 9 Im 2. Kapitel (S.43ff.).
96
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
nung zur Verfügung stellt. Als Schranke der Vertragsfreiheit kommen also die Normen in Betracht, die dem durch die Rechtsordnung eröffneten Spielraum Grenzen setzen. Nur insoweit stellt sich die Frage, ob solche Zivilrechtssätze als Teil der verfassungsmäßigen Ordnung die Vertragsfreiheit beschränken dürfen. Das von Wo//befürchtete Leerlaufen des Grundrechts der Vertragsfreiheit gegenüber restriktiven gesetzlichen Regelungen wird dadurch verhindert, daß nur ein solches Gesetz die Freiheit zu beschränken vermag, das formell und materiell verfassungskonform ist. Vertragsfreiheit begrenzende gesetzliche oder untergesetzliche N o r m e n , die formell - etwa wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften oder Zuständigkeitsregeln - der Verfassung widersprechen, gehören dementsprechend nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung. Nicht hierher zählt allerdings in der Regel ein Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG, der die Nichtigkeit 170 des Gesetzes zur Folge hat. Der Anwendungsbereich des Artikels wird restriktiv ausgelegt, so daß es beispielsweise bei Offenkundigkeit des Eingriffs einer Erwähnung der tangierten Grundrechte nicht bedarf. 171 Vorkonstitutionelle Gesetze sowie nachkonstitutionelle Gesetze, die bereits geltende Grundrechtsbeschränkungen (weitgehend) unverändert wiederholen, werden ebenfalls nicht erfaßt. 172 Zudem bezieht sich Art. 19 Abs. 1 S.2 G G nur auf Gesetze, die darauf abzielen, ein Grundrecht über die in ihm selbst angelegten Grenzen hinaus einzuschränken. 173 Ausgehend von dieser Prämisse wird das Zitiergebot insbesondere nicht auf legislative Einschränkungen der Grundrechte gemäß Art. 2 Abs. 1,12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 G G angewendet.174 Art. 19 Abs. 1 S.2 G G greift nur dort ein, wo von einer Beschränkung durch oder aufgrund Gesetzes gesprochen wird. Für den Bereich der Vertragsfreiheit spielt deshalb das formelle Kriterium des Art. 19 Abs. 1 S.2 G G keine (entscheidende) Rolle. 175 Das Prinzip der Güterabwägung ist selbst nur ein formaler Grundsatz, eine bloße Hülle, die noch der Ausfüllung durch materielle Rechtssätze bedarf. 1 7 6 A u f materieller Seite k o m m t es vor allem darauf an, die Rechtfertigungsanforderungen zu wahren, die aus dem U b e r m a ß v e r b o t folgen. 1 7 7 Jeder Eingriff hat einem nicht durch das Grundgesetz verbotenen Ziel zu dienen und zur Verwirklichung dieser Intention geeignet und erforderlich zu sein. D i e Intensität der Freiheitseinschränkung darf nicht in einem unvernünftigen Verhältnis zur Förderung des G e m e i n wohlzwecks stehen, die damit erreicht werden soll. 1 7 8 170 Zur Nichtigkeitsfolge Bethge, DVB1. 1972, 365; Lerche, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. V, § 122 Rn. 42; Krüger, in: Sachs, GG, Art. 19 Rn.22; BVerfGE 5, 13, 15 f. 171 BVerfGE 35, 185, 189; vgl. auch BVerfGE 28, 36, 46; 36, 155, 188; 64, 72, 80. 172 BVerfGE 16, 194, 199f.; 61, 82, 113; vgl. Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rn. 16f., m. weit. Nachw. 173 BVerfGE 28, 36, 46; 64, 72, 79f. 174 Siehe etwa BVerfGE 10, 89, 99; 28, 282, 291ff.; 33, 52, 77f.; 44, 197, 201f.; 64, 72, 80 (zu Art. 2 Abs. 1 GG); BVerfGE 13, 97,122; 28, 36, 46; 64, 72, 80f. (zu Art. 12 Abs. 1 GG); BVerfGE 64, 72, 80; 21, 92f. (zu Art. 14 Abs.l GG); vgl. auch Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rn. 16, m. weit. Nachw. auch zu kritischen Stimmen. 175 Höfling, Vertragsfreiheit, S.43. 176 Vgl. Kimminich, JZ 1965, 739, 743. 177 BVerfGE 60, 329, 339; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 131. 178 Ausführlich zum Ubermaßverbot Stern, Staatsrecht III/2, S. 762ff.; ders., Festschrift für
3. Kapitel:
Verfassungsrechtliche
Implikationen
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Der Gesetzgeber darf die Vertragsfreiheit dementsprechend nur dann begrenzen, wenn er den Eingriff mit sachgerechten und vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls begründen kann und seine Rechtssetzungsmacht nicht zu sachfremden Zwecken mißbraucht. Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs in die Privatautonomie und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe muß die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt sein. Je mehr die Beteiligten in ihrer Vertragsfreiheit beeinträchtigt werden, desto bedeutsamer müssen die Interessen des Gemeinwohls sein, denen die gesetzliche Regelung zu dienen bestimmt ist. 179
Die materielle Spannweite der Vertragsfreiheit in ihrer Abwehrfunktion ergibt sich also aus dem Zusammenspiel von Schutzbereich und verfassungskonformen Schranken. Materiell ist Privatautonomie nur in dem Rahmen uneingeschränkt garantiert, in dem sie aufgrund der verfassungsrechtlichen Rechtfertigungskriterien gegenüber dem Gesetzgeber resistent ist. Der materielle Gewährleistungsumfang der Vertragsfreiheit hängt infolgedessen maßgeblich von der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ab. Im Ergebnis besteht damit Ubereinstimmung mit Manfred Wolf: Die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung ist für sich ohne Wert, sie ist durch inhaltliche Kriterien anderer Art näher zu bestimmen,180 wobei es maßgeblich auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie den Aspekt des Gemeinwohlschutzes ankommt. Letztlich läuft es auf eine Güterabwägung hinaus. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht die Kriterien für eine gesetzliche Einschränkung der Vertragsfreiheit nur vage formuliert: »Keine bürgerlich-rechtliche Vorschrift darf in Widerspruch zu den Prinzipien stehen, die in den Grundrechten zum Ausdruck kommen. Das gilt vor allem für diejenigen Vorschriften des Privatrechts, die zwingendes Recht enthalten und damit der Privatautonomie Schranken setzen.« 181 Das Bundesverfassungsgericht betont, daß der Vertragsfreiheit zwar durch die Privatrechtsordnung Grenzen gezogen würden, dies aber nicht bedeute, daß sie »zur beliebigen Disposition des Gesetzgebers stünde«. 182 Die Vertragsfreiheit könne nur dort eingeschränkt werden, wo es aus »gesamtwirtschaftlichen und sozialen Gründen zum Nutzen des allgemeinen Wohls geboten« 183 sei.
Lerche, S.165ff.; Bleckmann, JuS 1994, 177ff.; Erichsen, Jura 1988, 387ff.; Jakobs, DVB1. 1985, 97ff.; Ossenbühl, Festschrift für Lerche, S.151ff.; Schnapp, JuS 1983, 850ff., jeweils m. zahlr. Nachw. zur umfangreichen Rechtsprechung. 179 Die konkrete Erörterung der Schranken-Schranken vertragsfreiheitsbegrenzender Gesetze darf aber nicht zu einer allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprüfung ohne vorgegebene Maßstäbe führen, vgl. Ossenbühl, Festschrift für Lerche, S. 151, 157. 180 Wolf, Grundlagen, §2 II 3; ders., Entscheidungsfreiheit, S.21 ff. 181 BVerfGE 81, 242, 254; in diesem Sinne auch BVerfG NJW 1994, 2749, 2750; NJW 1996, 2021. 182 BVerfGE 89, 214, 231. 183 BVerfGE 8, 274, 329; ebenso BVerfGE 58, 208, 224f.
98 dd) Kriterien
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher der
Selbstgestaltung
Güterabwägung
Diese Vorgaben sind für sich allein genommen zu unbestimmt, als daß sie in ihrer Allgemeinheit für die Gesamtabwägung konkrete Kriterien vorgeben könnten. 1 8 4 Eine etwas nähere Bestimmung, inwieweit der Gesetzgeber bei der Ausübung seiner Kompetenzen an zusätzliche Rechtsgrundsätze gebunden ist, läßt sich daraus entnehmen, daß am Privatrechtsverkehr im Grundsatz gleichrangige G r u n d rechtsträger teilnehmen, die jeweils individuelle Interessen und vielfach gegenläufige Ziele verfolgen. D i e Privatrechtssubjekte können sich gleichermaßen auf die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie berufen. Z u m Schutzbereich der Vertragsfreiheit zählt, daß die Vertragspartner ihre Rechtsbeziehungen eigenverantwortlich gestalten. 1 8 5 D i e wechselseitige Grundrechtsträgerschaft umfaßt dabei auch das R e c h t , Verträge zu schließen, die aus Sicht des Gesetzgebers unter Umständen riskant, unklug oder unvernünftig erscheinen. Das Sichentfalten-können auf rechtlichem Gebiet, das unter anderem durch die Gewährleistung von Vertragsfreiheit realisiert wird, hat zur Konsequenz, daß es dem Staat verwehrt ist, den Persönlichkeitsbegriff zu standardisieren und damit die Freiheitsgewährleistung an die Erfüllung der Merkmale eines typisierten, qualifizierten Persönlichkeitsideals zu binden. D i e gesetzgeberische Intention, Bürger vor selbstschädigenden rechtsgeschäftlichen Verhaltensweisen zu schützen, stellt damit für sich selbst in der Regel keinen ausreichenden Rechtfertigungsgrund für eine gesetzliche Einengung der Privatautonomie dar. 186 D e r Gesetzgeber hat allerdings in die Gesamtabwägung nicht nur das Interesse der Beteiligten an freien Vertragsabreden einzustellen, sondern zudem andere R e c h t e der vertragsschließenden Grundrechtsträger und vor allem R e c h t e der durch die Vereinbarung p o tentiell betroffenen Dritten, also auch der Allgemeinheit. D i e Ausgestaltung der Privatrechtsordnung stellt sich für den Gesetzgeber also als ein Problem praktischer K o n k o r d a n z dar. D i e kollidierenden Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu berücksichtigen und so aufeinander abzustimmen, daß sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. 1 8 7 Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang beispielsweise Art. 3 Abs. 1 G G : D i e Legislative hat darauf zu achten, daß Vertragsfreiheit allen Privatrechtssubjekten in gleicher Weise zur Verfügung steht; der Gleichheitssatz kann also möglicherweise einen Anlaß für ein T ä tigwerden des Gesetzgebers darstellen, andererseits aber auch der Gesetzgebung 184 Kritisch deshalb Höfling, Vertragsfreiheit, S.41; Taupitz, AcP 192 (1992), 341, 345; vgl. auch ders., Standesordnungen, S. 845 ff. 185 BVerfGE 81, 242, 254. 186 In diese Richtung auch Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 137f.; Hillgruber, Schutz, S. 115; Merten, VerwArch 73 (1982), 103, 108f. Zu Ausnahmetatbeständen sogleich. 187 Grundgesetzlich gewährleistete Freiheitsbetätigungen sind sowohl zwischen den Grundrechtsträgern als auch im Verhältnis zu Gemeinwohlbelangen dergestalt zum Ausgleich zu bringen, daß der jeweils spezifische Freiheitsbereich mit den legitimen Interessen der anderen und des Gemeinwesens verträglich bleibt. Umfassend Bethge, Zur Problematik von Grundrechtskollisionen, 1977.
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
99
eine Grenze ziehen. Eine Beschränkung darf nicht dazu führen, daß vertragliche Freiheit ohne sachlichen Grund für einen bestimmten Personenkreis beeinträchtigt wird. Weiterhin ist bei der Entwicklung von Maßstäben für die Beurteilung einschränkender Gesetze die grundrechtliche Gewährleistung der Vertragsfreiheit zu beachten. Aus der Eigenständigkeit des unbenannten Grundrechts folgt, daß auch die gesetzlichen Schranken, beispielsweise des »Soweit«-Satzes in Art. 2 Abs. 1 GG, im Zusammenhang mit dem Freiheitsrecht zu sehen und gemäß ihrer Funktion zu beurteilen sind. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, das einschränkende Gesetz im Hinblick auf die Vertragsfreiheit zu formulieren. Er ist dabei im Sinne des Art. 1 Abs. 3 G G gerade an dieses von ihm einzuschränkende Freiheitsrecht gebunden. Die Schranke ist auf der Rechtfertigungsebene an dem Freiheitsrecht zu messen, so daß Vertragsfreiheit und gesetzliche Vertragskontrolle einander begrenzen. Hinzu kommt - wie vor allem das Bundesverfassungsgericht betont - die Berücksichtigung der Gemeinwohlaspekte als Rechtfertigungsgrenze gesetzlicher Einschränkungen der Vertragsfreiheit. D e m Begriff liegt der Ansatz zugrunde, daß die Feststellung gemeinsamer Ziele und Werte die Individuen einer Gesellschaft zu einer Gemeinschaft formt, die in der Festlegung eines Gemeinwohls als Handlungsmaßstab ihre Identität, innere Begründung und Rechtfertigung findet. Der Gemeinwohlgedanke ist in seiner konkreten Ausgestaltung abhängig von einem Wertesystem; damit hängen die Gemeinwohlvorstellungen von den dem Staat vorgegebenen Verfassungsgrundlagen ab. 188 Der dem Grundgesetz zugrundeliegende bürgerlich-liberale Freiheitsbegriff würde in die Konkretisierung des Gemeinwohls so wiederum die Realisierung der individuellen Freiheit einführen, so daß der Eindruck eines hysteron proteron entstehen könnte. Das ist aber nicht der Fall.
Der Verfassung inhärent ist des weiteren der Sozialstaatsgedanke (vgl. Art. 20 Abs. 1,28 Abs. 1 GG). Daraus ergibt sich, daß die Gesetzgebung auch soziale Inhalte zu verwirklichen hat. Dem Staat obliegen Schutz- und Fürsorgepflichten. 189 Entsprechend dem Gedanken der Einheit der Verfassungsordnung ist der soziale Aspekt bei der Ausgestaltung der einschränkenden Gesetze und ihrer Rechtfertigungsanforderungen zu berücksichtigen. Das Leitbild einer sich frei entfaltenden Persönlichkeit ist mit dem Sozialstaatsgedanken der Art. 20 Abs. 1,28 Abs. 1 G G zu einem sozialstaatlichen Freiheitsbegriff zu verbinden. 190 Den sozialen Gedanken in gewissem Maß auch für den vertraglichen Bereich fruchtbar zu machen, entspricht der modernen Massengesellschaft, die gerade keine Gesellschaft autarker Individuen ist, sondern eine Gesellschaft mehr oder minder sozial Abhängiger. Auch bei der Bestimmung der Verfassungskonformität der gesetzlichen Freiheitsschranken sind Freiheit und Kontrolle nicht als einander ausschließende Regel und Ausnahme zu deuten, sondern im Sinne einer in sich geschlossenen, sinn188 Instruktiv zum Gemeinwohlbegriff, insbesondere seiner normativ-apriorischen und seiner aposteriorischen Konzeption Hihst, Utilitas publica - gemeiner Nutz - Gemeinwohl, 1991; Kettern, Sozialethik und Gemeinwohl, 1992. 189 Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 20 Rn. 20; Sachs, GG, Art. 20 Rn. 46ff.; BVerfGE 5, 85, 198; 40, 121, 133; 52, 303, 348; 65, 182, 193; 75, 348, 359f. 190 Vgl. Raiser,]Z 1958, 1, 5f.
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1. Teil: Grundlagen
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Selbstgestaltung
vollen und der Evolution der Gesellschaft Rechnung tragenden Rechtsordnung zu verstehen. In teilweiser Abkehr vom bürgerlich-liberalen Freiheitsbegriff des ausgehenden 19. Jahrhunderts erhält Vertragsfreiheit durch dieses Selbstverständnis des Grundgesetzes eine in geringem Maß geänderte Zielrichtung. Der soziale Gedanke bezieht das Gemeinwesen ein und zielt auf ein soziales Freiheitsverständnis. Eine Schranke der Vertragsfreiheit kann demnach verhältnismäßig sein, wenn sie Freiheit erst herstellt; das Gesetz ist insoweit dann nicht nur Freiheitsbeschränkung, sondern zugleich auch Garant der Freiheit. Jeder gesetzgeberische Akt ist Vollzug der materiellen Verfassungsvorgaben und »Realisierung des Zueinandergeordnetseins grundgesetzlicher Wertbekenntnisse.« 191 Der Beurteilung der Verfassungskonformität ist also der Gedanke der Freiheit des Individuums als auch dessen sozialer Eingebundenheit zugrundezulegen. 192 Der grundrechtlichen Gewährleistung der Vertragsfreiheit kommt - nicht zuletzt um der die Freiheit verbürgenden Rechtssicherheit willen - eine Ordnungsfunktion im sozialen Miteinander zu. In die Abwägung ist einzubeziehen, daß Vertragsfreiheit notwendig beschränkt sein muß, weil unbeschränkte Freiheit Unfreiheit zur Folge haben kann. Das Sozialstaatsprinzip bestimmt und begrenzt im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Vertragsfreiheit. Daraus läßt sich allerdings weder der Schluß ziehen, die individuellen Freiheitsrechte hätten durch die soziale Determination ihre Abwehrfunktion verloren, noch argumentieren, die soziale Komponente ermögliche dem Gesetzgeber, Vertragsfreiheit in beliebiger Weise unter Hinweis auf soziale Schutzaspekte einzuschränken. Die Grundrechtsträger können aufgrund der ihnen durch die Grundrechte eingeräumten Rechtsposition verlangen, daß nicht gerechtfertigte Beeinträchtigungen dieser Schutzgüter unterlassen werden. Daß Vertragsfreiheit in gewisser Weise sozial bestimmt und dies bei staatlichen Eingriffen zu berücksichtigen ist, ändert nichts an ihrem negatorischen Charakter. Es kommt maßgeblich auf eine detaillierte Abwägung aller Aspekte an, die für und wider eine Einschränkung der Vertragsfreiheit sprechen. Eine Einschränkung des Grundrechts Vertragsfreiheit ist dann zulässig, wenn gegenläufigen Verfassungsprinzipien im konkreten Fall gegenüber dem grundrechtlichen Schutzgut ein höheres Gewicht zukommt. Diese hier paradigmatisch an Art. 2 Abs. 1 GG aufgezeigte Wechselwirkung ist nicht nur bei diesem Grundrecht, sondern auch bei den die Vertragsfreiheit gewährleistenden speziellen Grundrechten im Rahmen ihrer Schrankenregelungen zu berücksichtigen. Dabei ist zu beachten, daß - wie dargelegt wurde - die spezifischen Erscheinungsformen der Vertragsfreiheit auf unterschiedlichen grundrechtlichen Spezialverbürgungen beruhen und damit von diesen auch inhaltlich bestimmt sind. Rechtfertigungsprofile für freiheitseinschränkende Gesetze lassen
Hesse, Bindung, S.81; ähnlich Leisner, DÖV 1961, 641, 645. »Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum - Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit der Person entschieden.« Siehe BVerfGE 4,7,15; 7,377,403; 8,274,329. 191
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3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
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sich also nicht anhand eines statischen, allgemeingültigen Kriterienkataloges prüfen; maßgeblich für die Bestimmung der Verfassungsmäßigkeit vertragsfreiheitseinschränkender Gesetze ist eine am jeweiligen Einzelfall ausgerichtete Gesamtabwägung, in die neben den allgemeinen Grundsätzen möglicherweise die speziellen Schutzziele des jeweils einschlägigen Grundrechts sowie des entsprechenden Gesetzes einzubeziehen sind. H i n z u k o m m t : D e r U m f a n g der grundrechtlich gewährleisteten Vertragsfreiheit sowie die aufgrund der tatsächlichen U m stände möglicherweise notwendigen Einschränkungen sind nicht unveränderlich, sondern fließend und relativ. D i e Freiheit des einzelnen ist mit dem Wandel in der Gemeinschaft dann verknüpft, wenn die veränderte Einschätzung der Rechtsgüterrelationen rechtliche Relevanz erreicht. D i e Komplexität der Problematik läßt eine genaue Vorgabe von Beurteilungsmaßstäben, in welchen Fällen eine gesetzlich vorgegebene Vertragskontrolle verfassungswidrig ist, nicht zu. Möglich ist allein, die Konturen der allgemein gehaltenen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu skizzieren und einzelne zentrale Punkte durch Exemplifikation deutlicher werden zu lassen. Die Rechtfertigungskriterien gesetzlicher Vertragskontrolle können nicht - wie stellenweise gefordert - aus dem jeweiligen konkreten K o n t e x t gelöst und in Art eines abstrakten Prüfungsschemas entwickelt werden. Als Prüfungsmaßstab im hier interessierenden Sinne wenig ergiebig ist Art. 19 Abs. 2 GG. Unabhängig von der Diskussion, ob die Wesensgehaltsgarantie nur als objektive Verfassungsnorm Wirkung entfaltet oder (auch) die subjektive Rechtsstellung der einzelnen Grundrechtsträger umfaßt, 193 und losgelöst von der Frage, ob Art. 19 Abs. 2 G G eine absolut geschützte Kernzone beschreibt oder die konkrete Schutzfunktion im Sinne der sogenannten relativen Theorie im Ergebnis auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz projiziert, 194 ist festzuhalten, daß die Grenze zur Verfassungswidrigkeit einer Norm nicht generell erst bei Verletzung des »Kernbereichs« 195 der Vertragsfreiheit überschritten ist. Das Grundgesetz gewährleistet die Vertragsfreiheit schlechthin, nicht nur deren Grundsubstanz. 196 Relevanz erlangt Art. 19 Abs.2 G G hingegen jedenfalls dann, wenn der Artikel (auch) auf die institutionelle Seite des Freiheitsrechts bezogen wird. Der Wesensgehalt bildet dann eine Vorkehrung dagegen, daß die Vertragsfreiheit durch eine Vielzahl - im Einzelfall dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den übrigen Rechtfertigungserfordernissen genügender und deshalb verfassungskonformer - gesetzlicher Einschränkungen ihre Geltung insgesamt verliert. D i e Herausbildung allgemeingültiger Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit freiheitseinschränkender Gesetze wird zudem dadurch erschwert, daß der Legis193 Überblick bei Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 70ff.; Schneider, Schutz, S. 76ff.; Dreier, GG, Art. 19 II Rn.9f. 194 Vgl. neben den in Fn. 191 Genannten Alexy, Theorie, S.267ff.; Krüger, in: Sachs, GG, Art. 19 Rn.28ff. 195 Zur Begrifflichkeit Stern, Staatsrecht III/2, S. 865f. 196 Wie der Wesensgehalt eines Grundrechts im einzelnen zu bestimmen ist, ist unklar; jedenfalls kommt es auf eine grundrechtsspezifische Wesensgehaltsbestimmung an (vgl. Stern, Staatsrecht III/2, § 85 III 3). Für die Vertragsfreiheit bedeutet dies, daß die Substanz jedenfalls dann verletzt ist, wenn keine Wahl- oder Ausgestaltungsmöglichkeiten verbleiben.
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1. Teil: Grundlagen
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Selbstgestaltung
lative für die Ausgestaltung der Privatrechtsordnung seitens der Verfassung ein weiter Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist. Dies ergibt sich aus dem Demokratieprinzip und dem Grundsatz der Gewaltenteilung; dem Parlament bleibt es überlassen, aufgrund seiner politischen Vorstellungen und Ziele zu entscheiden, welche Maßnahmen es im einzelnen ergreifen will. Es besteht also in der Regel nicht nur eine einzige verfassungskonforme Lösung, die sich als quasi zwingendes Resultat der Abwägung ergibt. Für den Gesetzgeber steht ein breiter Korridor zwischen dem unerläßlichen Schutzminimum und der übermäßigen Einschränkung offen. Demgemäß hat das Bundesverfassungsgericht auch bisher keine im Wege der Gesetzgebung entstandene Zivilrechtsnorm wegen übermäßiger oder gleichheitswidriger Einschränkung der Vertragsfreiheit aufgehoben. 197 Ohne näher auf die der Legislative gezogenen Grenzen einzugehen, hat es vielmehr nur lapidar formuliert, daß das beanstandete Gesetz den Freiheitsbereich, also die individuelle Eigenständigkeit oder Selbstverantwortlichkeit, nicht in verfassungswidriger Weise tangiere. 198 Daraus ergibt sich, daß der Gesetzgeber kollidierenden Grundrechtspositionen derart Rechnung zu tragen hat, daß die grundrechtlich verbürgte Vertragsfreiheit für alle Vertragspartner möglichst weitgehend wirksam wird. Dementsprechend hat der Gesetzgeber die notwendigen rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmittel zur Freiheitsausübung zur Verfügung zu stellen, gleichzeitig aber auch den Schutz derer zu gewährleisten, die ihre Interessen typischerweise selbst nicht ausreichend wahrnehmen können. Freiheit und Freiheitskontrolle sind in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. c) Vertragsfreiheit
als
Einrichtungsgarantie
Von Grundrechten als rein subjektiven Rechten sind Grundrechte zu unterscheiden, die sowohl subjektiv-individualrechtliche Positionen als auch objektiv Einrichtungen verbürgen. Einrichtungsgarantien gewährleisten bestimmte Lebensbereiche oder rechtliche Grundfiguren als Elemente der objektiven Ordnung des staatlichen Gemeinwesens. D i e Lehre von den Einrichtungsgarantien geht auf die Weimarer Zeit zurück. Ihr kam es darauf an, den in der Reichsverfassung norm textlich ungeschützten Kerngehalt einiger verfassungsrechtlicher Gewährleistungen gegen den unbegrenzten Zugriff des Gesetzgebers abzusichern. 1 9 9 Wesentliches Ziel war die Garantie bestimmter Regelungskomplexe. N o r m g e p r ä g t e ausgestaltungsbedürftige Grundrechte sollten neben ihrem subjektiv-abwehrrechtlichen Gehalt einen objektiven Bestandsschutz ihres Kernbereiches erfahren. Geschaffen w u r d e so ein Schutz vor einem vollständigen Beseitigen der entsprechenden
197
Krause, J Z 1984, 711, 717. BVerfGE 8, 274, 329; 12, 341, 347; 31, 222, 229. 199 Zur (geschichtlichen) Entwicklung Abel, Einrichtungsgarantien, S. 17ff.; Bleckmann, Grundrechte, 1. Teil §11 III; Huber, Verfassungsgeschichte Bd. 6, S.94ff., 119ff.; Stern, Staatsrecht III/1, §68 I. 198
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
103
Einrichtung sowie eine Wesensgehaltsgarantie. 2 0 0 Die von Friedrich Klein entwickelte Bezeichnung »Einrichtungsgarantie« 2 0 1 u m f a ß t als Oberbegriff 2 0 2 die von Carl Schmitt m a ß geblich herausgearbeitete Differenzierung zwischen institutionellen Garantien und Institutsgarantien. 2 0 3 Erstere umfassen die Gewährleistungen öffentlich-rechtlicher Einrichtungen wie beispielsweise das Berufsbeamtentum oder die gemeindliche Selbstverwaltung, während letztere privatrechtlich gestaltete Lebensbereiche wie beispielsweise Eigentum u n d Ehe verbürgen. 2 0 4 Diese F u n k t i o n der G r u n d r e c h t e mag zwar in gewisser gedanklicher N ä h e des institutionellen Rechtsdenkens stehen, ist von diesem aber streng zu trennen. Anders als das institutionelle O r d n u n g s d e n k e n erhebt die Lehre der Instituts- u n d institutionellen Garantien nicht den A n s p r u c h einer methodischen Grundsatzperspektive zur Erfassung des Rechts, sondern beschränkt sich auf die Beschreibung eines bestimmten verfassungsrechtlichen Garantiespektrums. 2 0 5 Obgleich das BVerfG die tradierte Sichtweise der Einrichtungsgarantie in zahlreichen Fällen ü b e r n o m m e n hat, 2 0 6 haben die Beweggründe f ü r die dogmatische K o n s t r u k t i o n der Einrichtungsgarantien heute an Bedeutung verloren. Ihr ursprünglicher Zweck, gegenüber einem zur Zeit des Positivismus einflußreichen Gesetzgeber ein »Leerlaufen« der G r u n d r e c h t e zu verhindern, ist im Bereich des Grundgesetzes positiv-rechtlich geregelt. Art. 79 Abs. 3 G G entzieht Teilbereiche dem verfassungsändernden Gesetzgeber, Art. 19 Abs. 2 G G versperrt den Zugriff auf den Wesensgehalt der G r u n d r e c h t e u n d Art. 1 Abs. 3 G G schreibt eine weitreichende Bindung des Gesetzgebers an die G r u n d r e c h t e vor. Infolgedessen sowie in Anbetracht der Tatsache, daß sich hinter der Lehre von den Einrichtungsgarantien im Detail verschiedene Vorstellungen u n d Interpretationsmaßstäbe verbergen, 2 0 7 gehen heute die Meinungen darüber auseinander, ob die von Dürig als »gelungene K u n s t s c h ö p f u n g der Wissenschaft« 2 0 8 bezeichnete Rechtsfigur weiterhin Relevanz f ü r den Bereich der G r u n d r e c h t e besitzt. 2 0 9 200 Vgl. ausführlich Anschütz, Verfassung, S. 519f.; Klein, Institutionelle Garantien und Rechtsinstitutsgarantien, 1934; Schmitt, Aufsätze, S. 140ff. 201 Klein, Garantien, S.2. 202 Die Termini werden nicht einheitlich gebraucht; umfassende Nachweise zur Begrifflichkeit bei Stern, Staatsrecht I I I / l , §68 II. Die hier verwendeten Ausdrücke haben sich aber im großen und ganzen durchgesetzt, vgl. Abel, Einrichtungsgarantien, S. 86f.; Schmidt-]ortzig, Einrichtungsgarantien, S.9, 16f. 203 Schmitt, Aufsätze, S. 143. In dessen älteren Schriften findet sich die Differenzierung noch nicht. 204 Ohne auf Einzelheiten näher einzugehen, ist die verschiedentlich vorgetragene Auffassung, die Zweiteilung aufzugeben (vgl. Lübbe-Wolff, Grundrechte, S. 80 Fn 21, S. 127 Fn. 169), bereits deshalb abzulehnen, weil durch die Zweiteilung eine klare Zuordnung der Aussagen zu den unterschiedlichen Rechtskomplexen erreicht wird. Die Differenzierung ermöglicht jedenfalls eine präzisere Argumentation (ebenso Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 162). Die Verknüpfung verfassungsrechtlicher Sichtweisen mit zivilrechtlichen Aspekten führt auch nicht zu einer »rechtstechnischen Gleichstellung« (Leisner, Grundrechte, S. 93), in deren Folge die Unterscheidung zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Einrichtungen aufzugeben wäre. 205 Vgl. Bethge, Grundrechtskollisionen, S.333 Fn.274; Schnur, W D S t R L 22 (1965), 101, 201; Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 85ff.; Willke, Grundrechtstheorie, S. 111 ff. 206 Beispielsweise genannt seien BVerfGE 44, 1,17 (zum Erbrecht); 20, 351, 355 (zum Eigentum); 10, 59, 66 (zur Familie); 3, 58,136f. (zum Berufsbeamtentum); 1,167,173 (zur kommunalen Selbstverwaltung). 207 Vgl. nur Bettermann, DVB1. 1963, 41, 42 (»Nebel des Institutionellen«). 208 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. III Rn. 98. 209 Dafür Abel, Einrichtungsgarantien, S. 13, 38ff.; Badura, Festschrift für Maunz, S. 1, 8 ff.; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 169; Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 30; Wendt, in: Sachs, G G ,
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
Zudem besteht, insbesondere im Bereich von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle, die Gefahr, daß Grundrechtspositionen durch eine Vielzahl von für sich verfassungskonformen Regelungen ausgehöhlt werden. Die rechtliche Verwirklichung von Vereinbarungen ist vollständig rechtsordnungsabhängig. Die Vertragsfreiheit gilt letztlich, soweit das positive Recht sie gewährt. Es gibt - abweichend von anderen Grundrechten - keine (in diesem Sinne) natürliche Freiheit zum Vertragsschluß, sondern es existiert lediglich ein durch den Gesetzgeber vorgegebenes und reglementiertes Institut des freien Vertrags.210 Um so notwendiger ist es, ein weitgehendes Leerlaufen der grundrechtlichen Gewährleistung aufgrund zahlreicher, für sich verfassungskonformer Gesetze mit freiheitseinschränkendem oder -kontrollierendem Inhalt zu verhindern. Den rechtlichen Effektuierungsbereich zu beschreiben, ist Aufgabe der Einrichtungsgarantien. Art. 19 Abs. 2 G G und Art. 1 Abs. 3 G G vermögen das nicht zu leisten: Art. 19 Abs. 2 G G bezieht sich nur auf die spezifische Sicherung des Wesensgehalts und ist mit der vieldiskutierten Frage verbunden, anhand welcher Kriterien der Wesensgehalt konkret zu bestimmen ist. 211 Die Grenze der Beeinträchtigung des Wesensgehalts ist unter Umständen zu allgemein und zu wenig auf bestimmte Grundrechte abgestimmt, als daß sie eine an den Besonderheiten des einzelnen Grundrechts ausgerichtete Beurteilung erlauben würde. Erst die Lehre von den Einrichtungsgarantien kann gegebenenfalls erklären, wie die Wesensgehaltsregelung auf ein konkretes Grundrecht anzuwenden ist. 212 Art. 1 Abs. 3 G G wiederum legt zwar fest, daß »Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung« an die Grundrechte 213 gebunden sind, und betont damit - speziell in Hinblick auf die Grundrechte - das, was Art. 20 Abs. 3 G G für die Verfassungs- und Rechtsbindung der Staatsgewalten allgemein anordnet. Der Artikel legt aber selbst die Anknüpfungspunkte nicht fest, sondern knüpft tatbestandlich an ein in den Grundrechten artikuliertes »Sollen« an. 214 Die Rechtsfigur der Einrichtungsgarantie vermag deshalb der Grundrechtsdogmatik bei der Suche nach Inhalt und Umfang der Grundrechtsgarantien wichtige Impulse zu geben. Mag sie auch in einzelnen Punkten obsolet geworden sein, gerade im Bereich der Innominatfreiheiten bleibt die Lehre von den Einrichtungsgarantien deshalb von Belang. 215 D a m i t ist die Frage aufgeworfen, ob die Vertragsfreiheit eine Institutsgarantie darstellt. Z u r Zeit der Weimarer Verfassung wurde nach allgemeiner Ansicht die Vertragsfreiheit zusammen mit den Rechtsinstituten Eigentum, E h e , elterliche Art. 14 Rn. 10; Sasse, AöR 85 (1960), 423, 439f.; Scheuner, Recht-Staat-Wirtschaft, S.88, 93; Schmidt-Jortzig, Einrichtungsgarantien, S. 61•, Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S.95. Gegen eine Berechtigung der Lehre von den Einrichtungsgarantien Alexy, Theorie, S.443f.; Waechter, Die Verwaltung 29 (1996), 47ff.; Willke, Grundrechtstheorie, S. 124. Skeptisch Bethge, Grundrechtskollisionen, S.332ff.; Dreier, GG, Vorb. Rn.69; Schmitt-Glaeser, AöR 97 (1972), 60, 92. 210 Derjenige, gegen den das Grundrecht der Vertragsfreiheit schützen soll, ist identisch mit demjenigen, ohne den eine Grundrechtsausübung nicht möglich ist. Ebenso Abel, Einrichtungsgarantien, S.71; Höfling, Vertragsfreiheit, S.21; Huber, AöR 23 (1933), 1, 41; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 166; Richardi, Kollektivgewalt, S.51; Schmidt-Salzer, NJW 1970, 8, 14. 211 Im einzelnen Schneider, Schutz, passim. 212 Abel, Einrichtungsgarantien, S. 39; Lerche, Ubermaß, S.248f.; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 167; Schmidt-Jortzig, Einrichtungsgarantien, S. 61; Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 94; Wendt, Eigentum, S.279. 213 Umfaßt sind alle Grundrechte und grundrechtsähnlichen Rechte des GG; Jarass/Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 13. 214 Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S. 94. 215 Ähnlich Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 169; Sasse, AöR 85 (1960), 423,439f.; SchmidtJortzig, Einrichtungsgarantien, S.61; Steinbeiß-Winkelmann, Freiheit, S.95.
J. Kapitel: Verfassungsrechtliche
105
Implikationen
Gewalt und Erbrecht zu den »fünf großen Eckpfeilern« des Privatrechtssystems gezählt, die »als Rechtsinstitute verfassungsmäßig garantiert« seien 2 1 6 - wenngleich auch in Art. 152 Abs. 1 W R V weder Privatautonomie noch Vertragsfreiheit ausdrücklich als Institutsgarantie erwähnt sind. Das Grundgesetz hat eines dieser »unentbehrlichen Teilstücke der von der Reichsverfassung grundsätzlich anerkannten und aufrecht erhaltenen allgemeinen bürgerlichen Rechtsordnung« 2 1 7 nicht ausdrücklich übernommen. W ä h r e n d E h e , elterliche Sorge, Eigentum und Erbrecht in Art. 6 Abs. 1 und 2, Art. 14 Abs. 1 G G ihren Niederschlag gefunden haben, fehlt die verfassungsrechtliche Erwähnung der Vertragsfreiheit. 2 1 8 D e r historische Befund legt in bezug auf die Qualifikation als Einrichtungsgarantie den Schluß nahe, daß es sich hier um einen bewußten Traditionsbruch handelt. U n d in der Tat wird diese Ansicht von Manssen
vertreten. N e b e n dem Argument des
Textvergleichs beruft sich Manssen auf die geringe effektive Schutzqualität einer Einrichtungsgarantie. 2 1 9 Eine bessere Absicherung der Vertragsfreiheit ließe sich nach Manssen erreichen, wenn in Anlehnung an die in neuerer Zeit vor allem von Lübbe-Wolff120
vertretene Auffassung ein grundrechtlicher
Normbestands-
schutz angenommen würde. 2 2 1 Eine durch einfaches R e c h t konstituierte R e c h t s position sei dem negatorischen Schutzbereich des jeweils einschlägigen G r u n d rechts zuzuordnen; restriktive Normänderungen seien deshalb als Eingriffe in den Schutzbereich zu deuten. 2 2 2 D a die Vertragsfreiheit grundrechtlich gewährleistet sei, sei das einfache Recht, insbesondere die §§ 145ff. B G B , dem Schutzbereich des entsprechenden Grundrechts zuzuordnen. 2 2 3 Selbst wenn man dem Ansatz zugute hält, daß er von der Unterscheidung zwischen formellem und effektivem Garantiebereich (sogenannte Außentheorie) ausgeht, 2 2 4 das Gesetzesrecht somit im Ergebnis keinen Verfassungsrang, sondern nur verfassungsrechtlichen Schutz erfährt, 2 2 5 begegnet die Auffassung
vom
Normbestandsschutz Einwänden. Allgemein ist zu kritisieren, daß die Lehre der Aufnahme einfachgesetzlicher N o r m e n in den formellen Schutzbereich eines Grundrechts den Unterschied von Verfassung und einfachem Recht zwar nicht einebnet, aber zumindest nivelliert. D i e formelle Divergenz von Verfassung und
216 Boehmer, Art. 154, S. 250ff.; siehe auch Smend, W D S t R L 4 (1928), 44,46; Huber, AöR 23 (1933), 1,41. 217 Boehmer, Art. 154, S.254. 218 So bereits Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. III Rn. 97, S.46 Fn. 1. 219 Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 169f. 220 Lübbe-Wolff, Grundrechte, S. 125ff., m. Nachw. zu ersten Ansätzen dieser Sichtweise unter anderem bei Schmitt (Aufsätze, S. 140, 166) und Lerche (Ubermaß, S.240). 221 Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 170ff. 222 Lübbe-Wolff, Grundrechte, S. 150. 223 Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 171. 224 Alexy, Theorie, S. 249f.; anders die sog. Innentheorie, die das Grundrecht inhaltlich durch das einfache Gesetz determiniert, vgl. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 179ff.; zum Ganzen Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 172 ff. 225 Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 172.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
Gesetz wird tendenziell in Frage gestellt. 2 2 6 Diese Sichtweise verkennt zudem, daß zu differenzieren ist, o b die Idee, die hinter einer einfachgesetzlichen Regelung steht, grundrechtlich geschützt wird oder deren praktisch-rechtliche U m setzung. Vertragsfreiheit ist eine normativ konstituierte Freiheit. Dieser Teilaspekt der Privatautonomie kann allein nicht mehr gewährleisten als die Freiheit, irgendwelche Versprechen unverbindlich auszutauschen. Vertragsfreiheit ist deshalb notwendigerweise als rechtliche Freiheit zu charakterisieren, zu deren U m setzung der Gesetzgeber eine Rechtsordnung zur Verfügung zu stellen hat, die das » O b « und »Wie« der einzelnen Entwicklungsstadien eines Vertrages regelt. 2 2 7 Diese Rechtsordnung selbst nimmt am Schutzzweck der Vertragsfreiheit aber nicht teil. Verfassungsrechtlichen Schutz verdienen nicht die gesetzlichen Vorgaben im einzelnen, beispielsweise in § § 1 4 9 , 150 B G B zu verspätet zugegangenen Annahmeerklärungen, sondern die Konzeption einer auf Privatautonomie beruhenden Rechtsordnung. Geschützt ist nur die Struktur, nicht die detaillierte K o n struktion der Vertragsfreiheit. Aus der Perspektive der Institutsgarantie betrachtet, stünde es dem Gesetzgeber also frei, Vertragsfreiheit im Gewände einer im einzelnen abweichend ausgestalteten Rechtsordnung zu verwirklichen. Zu den von einer Institutsgarantie erfaßten Bereichen zählt neben der Idee der Vertragsfreiheit das Spezifikum, daß jedem ermöglicht werden soll, mit rechtsverbindlicher Wirkung private Abmachungen zu treffen. N u r so bleibt die Flexibilität der Rechtsordnung gewahrt. 2 2 8 Gegen das Argument, der N o r m b e s t a n d werde ansonsten statisch festgeschrieben, wird vorgetragen, es k o m m e nur zu einem Rechtfertigungszwang bei Änderungen, nicht aber zur Unmöglichkeit einer Bestandsmodifikation, und diese Folge sei angesichts des Vertrauensschutzprinzips auch angezeigt. 2 2 9 Zudem werde diese Sichtweise der Rechtsprechung des B V e r f G gerecht. 2 3 0 Z u m einen ist um mit letzterem Punkt zu beginnen - die in Bezug genommene Rechtsprechung nicht ohne Kritik geblieben, 2 3 1 so daß die Gefahr einer petitio principii besteht. Z u m anderen ist es zwar richtig, daß dem Bürger ein gewisser Dispositionsschutz zuzubilligen ist und der N o r m e n b e s t a n d nicht ohne G r u n d umstrukturiert oder durch anders geartete Vorschriften ersetzt werden kann. Vertrauensschutz ist ein der Verfassung inhärentes Prinzip. 2 3 2 Dies wird von der Lehre der Institutsgaran226 Robbers, DÖV 1989, 687, 688; kritisch ebenfalls Pieroth, AöR 115 (1990), 517, 519, der einen entscheidenden inhaltlichen Unterschied darin sieht, ob bereits der »gesetzliche Beitrag zur Erfüllung eines grundrechtlichen Verfassungsauftrags verfassungsrechtlichen Schutz genießt oder erst das Gesetz, das mit den Mitteln rechtsstaatlicher Methodik als Bestandteil des Schutzbereichs eines Grundrechts nachgewiesen werden kann.« 227 Ausführlich im 2. Kapitel (S.43ff.). 228 Ähnlich Robbers, DÖV 1989, 687, 688 (»Erstarrung der Rechtsordnung«). 229 Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 174ff. 230 Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 177ff. 231 Vgl. Pieroth, AöR 115 (1990), 517, 519. 232 Vgl. Grabitz, DVB1.1973,675,678. Unerheblich ist, auf welche verfassungsrechtliche Gewährleistung der Gedanke zurückzuführen ist; zum Ganzen Burmeister, Vertrauensschutz, passim, sowie die zahlr. Nachw. bei Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 175 f.
3. Kapitel:
Verfassungsrechtliche
Implikationen
107
tie auch nicht in Abrede gestellt, doch handelt es sich hierbei um ein Problem der Rückwirkung. 2 3 3 Vertrauensschutz bedingt nicht den verfassungsrechtlichen zukunftsbezogenen Schutz einfachrechtlicher Regelungen über den Vertragsschluß. Daneben ist zu berücksichtigen, daß die Theorie der Aufnahme einfachgesetzlicher Rechtspositionen in den formellen Schutzbereich nur Sinn bei Grundrechten macht, die unter einem Gesetzesvorbehalt stehen. Normen im Schutzbereich von Grundrechten ohne Gesetzesvorbehalt wären nämlich für den betroffenen Bürger ansonsten nur abänderbar, wenn dies durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt wäre - ein kaum vorstellbares Ergebnis. Manssen beschränkt sein Eintreten für einen verfassungsrechtlichen Schutz der Vertragsfreiheit als Normbestandsschutz dementsprechend auf die Vertragsfreiheit, soweit sie auf Grundrechte mit Gesetzesvorbehalt zurückzuführen ist.234 Vertragsfreiheit beruht jedoch auf einem Bündel von Grundrechten. Wie sollen Abreden im Bereich der Kunst-, Wissenschafts- oder Glaubensfreiheit eingeordnet werden? Insgesamt vermag es im Ergebnis deshalb nicht zu überzeugen, die Vertragsfreiheit im Sinne der von Lübbe-Wolff maßgeblich entwickelten Lehre von der grundrechtlichen Absicherung einfachen Rechts zu erklären. Rechtssubjekten ist seitens der Verfassung die Befugnis zur Selbstgestaltung der rechtlichen Beziehungen eingeräumt. Dabei handelt es sich um eine um der Individuen willen ergangene grundsätzliche verfassungsrechtliche Entscheidung: Privatautonomie stellt ein ordnungspolitisches, der Persönlichkeitsentfaltung der Individuen dienendes Instrument, eine wertverwirklichende Ausgestaltung der staatsorganisatorischen Grundentscheidung dar. 235 Geht Vertragsfreiheit auf einen individuellen Wertansatz zurück, verwirklichen die Privatrechtssubjekte insoweit ihren eigenen Willen, den der Staat aufgrund des ihm vorgegebenen Wertes der Individualpersönlichkeit zu respektieren hat. 236 Die Grundentscheidung für einen originären Freiheitsbereich ist vom Staat zu akzeptieren. Diese Gewährleistungsfunktion wird treffend mit dem Begriff der Institutsgarantie beschrieben. Quintessenz ist zum einen das an den Gesetzgeber gerichtete Verbot, Vertragsfreiheit zu beseitigen, zum anderen das Gebot, durch Ermächtigungsnormen die Möglichkeit von rechtlichen Interaktionen und damit die »Fähigkeit, durch Rechtsakte rechtliche Positionen zu ändern« 237 , zu schaffen. Einer Gesamtschau der Vertragsfreiheit gewährleistenden Grundrechtsartikel ist deshalb eine Institutsgarantie der Vertragsfreiheit zu entnehmen. Diese Garantie bringt die objektive, ordnungsgestaltende Bedeutung dieses Teilaspekts der Privatautonomie zum Tragen und sichert einen Kernbestand von Normen, der Vgl. Seewald, DÖV 1976, 228ff. Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 180. 235 Schmidt-Salzer, NJW 1970, 8, lOf. 236 Richardi, Kollektivgewalt, S.48. 237 Alexy, Theorie, S.216 mit Hinweis darauf (Fn. 168), daß drei Arten von Ermächtigungsnormen zu unterscheiden sind: inhaltliche Kompetenzvorschriften, die die Gegenstände der Kompetenz bestimmen, Kompetenzsubjektnormen, die festlegen, wem die Kompetenz zusteht, sowie prozedurale Kompetenzvorschriften, die das Verfahren regeln. 233 234
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
die Existenz, Funktionstüchtigkeit und Praktikabilität der Freiheit, Verträge zu schließen, ermöglicht. Die Institutsgarantie verhindert, daß Sachbereiche der Privatrechtsordnung entzogen werden, die zum elementaren Bestand grundrechtlich geschützter Betätigung der Vertragsfreiheit gehören, und daß damit der durch unterschiedliche Grundrechte geschützte Freiheitsbereich
aufgehoben
oder wesentlich geschmälert wird. 2 3 8
II. Der Einfluß verfassungsrechtlicher Vorgaben auf das Privatrechtsverhältnis 1. D e r o b j e k t i v - r e c h t l i c h e G e h a l t i m allgemeinen Legislative, Exekutive und Judikative sind nach Art. 1 Abs. 3 G G unmittelbar an die Grundrechte als geltendes R e c h t gebunden und haben dementsprechend die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Vertragsfreiheit im dargestellten R a h men zu berücksichtigen. Werden der freie Abschluß und die freie inhaltliche G e staltung von Verträgen durch Eingriffe von Hoheitsträgern beeinträchtigt, sind diese rechtfertigungsbedürftig. Staatliche Einschränkungen der Vertragsfreiheit bedürfen der Legitimation; die freiheitliche Grundordnung darf - auch durch eine Vielzahl isoliert betrachtet jeweils verfassungskonformer Maßnahmen - nicht ausgehöhlt werden. N o c h nichts ist damit darüber ausgesagt, o b und gegebenenfalls wie die verfassungsrechtliche Garantie der Vertragsfreiheit den Privatrechtsverkehr beeinflußt. Vor allem ist zu erörtern, o b das Grundrecht der Vertragsfreiheit auf das Privatrechtsverhältnis dergestalt einwirkt, daß eine Beeinträchtigung einzelner K o m p o n e n t e n der Vertragsfreiheit durch A k t e anderer Privatrechtssubjekte eine verfassungsrechtlich begründete Korrektur erfordert. Grundrechte statuieren nicht nur subjektiv-öffentliche Rechte, sondern als o b jektive N o r m e n auch eine Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht. 2 3 9 Mit dieser G r u n d rechtsfunktion werden Wirkrichtungen bezeichnet, die über den traditionellen Bereich der Grundrechte als negatorische, staatsabwehrende Ansprüche hinausgehen. U n t e r dem Topos der objektiv-rechtlichen D i m e n s i o n der Grundrechte werden zahlreiche Erscheinungsformen und Fallgruppen zusammengefaßt. 2 4 0
238 Wie hier qualifizieren die Vertragsfreiheit als Institutsgarantie auch Höfling, Vertragsfreiheit, S. 25ff.; v. Münch, in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1-19 Rn.23; Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 70; Preis, Grundfragen, S.38; Buschendorf, Grenzen, S. 56, 60. 239 Allg. M., vgl. nur Hesse, Grundzüge, Rn.290ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 79ff.; Manssen, Grundrechtsdogmatik, Rn.45ff.; Ipsen, Grundrechte, Rn. 85; Dreier, GG, Vorb. Rn. 55 ff.; Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 31 ff.; ständige Rspr. seit BVerfGE 7, 198, 205 (Lüth), siehe z.B. BVerfGE 39, 1, 41; 84, 192, 195. 240 Zur Terminologie Lübbe-Wolff, Grundrechte, S. 283ff.; zur dogmatisch unbefriedigenden Aufarbeitung der einzelnen Phänomene Dreier, Jura 1994, 505, 509, jeweils m. weit. Nachw.
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
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2. Die Schutzpflichtenlehre Ein Ausfluß ist die Annahme einer staatlichen Schutzpflicht zugunsten der in den Grundrechten geschützten Rechtsgüter. 241 Der Staat hat die Aufgabe, den einzelnen Bürger vor rechtswidrigem Verhalten Privater oder nichtdeutscher staatlicher Stellen zu bewahren, also die in den Grundrechten zum Ausdruck kommenden Werte und Rechtsgüter vor Verletzungen zu schützen. 242 Diese wesentlich von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägte G r u n d rechtsdogmatik wird von der Literatur weitgehend akzeptiert. 2 4 3 H i n t e r g r u n d ist die A u f gabe, den anarchischen Zustand der Gefährdetheit der Individuen d u r c h allgemeine Sicherheit abzulösen, den Antagonismus der Menschen in geordnete Bahnen zu lenken u n d Selbstjustiz durch ein rechtsstaatliches Verfahren zu ersetzen. Diese klassische Staatsaufgabe wird in der Schutzpflichtenlehre v e r k n ü p f t mit grundrechtlichen Inhalten. Die Schutzziele der G r u n d r e c h t e sollen auch ¡ m Verhältnis der Bürger bewahrt w e r d e n im Sinne eines Schutzes des einen Grundrechtsträgers vor einem Ubergriff des anderen. Begründet werden kann das unter anderem mit einer Wortlautinterpretation des Art. 1 Abs. 1 S. 2 G G , w o nach die staatliche Gewalt die M e n s c h e n w ü r d e nicht n u r zu »achten«, sondern auch zu »schützen« hat. Die Bedrohung, vor der geschützt w e r d e n soll, kann dabei nur von anderen Privatrechtssubjekten ausgehen, weil Verletzungen der Menschenwürde durch den Staat bereits d u r c h das G e b o t des »Achtens«, also der A b w e h r f u n k t i o n , erfaßt werden. G r u n d gedanke ist ein allgemeines Verbot von Z w a n g u n d N ö t i g u n g , das G e b o t des »alterum non laedere«; erreicht wird so ein G r u n d r e c h t s s c h u t z vor rechtswidrigen privaten Ubergriffen erga omnes. Rechtsfolge eines derartigen (gegenwärtigen oder drohenden) Eingriffs ist die objektiv-rechtliche Pflicht des Staates, den Eingriff abzuwehren. Die Staatsgewalt hat die grundrechtlichen G ü t e r wirksam zu schützen.
Vertragsfreiheit als aus Freiheitsgrundrechten entspringende Innominatfreiheit ist ebenso wie das Eigentum von der staatlichen Schutzverpflichtung erfaßt. 244 Zu 241
Vgl. Hesse, Grundzüge, Rn.350; Klein, N J W 1989, 1633 ff.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. V, § 111 C Rn. 77ff. (unter Rn. 136 zur Abgrenzung von der Institutsgarantie); Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992, passim; aus der Rspr. siehe etwa BVerfGE 39, 1; 46, 160; 49, 89; 53, 30; 56, 54; 88, 203. 242 Dreier, GG, Vorb. Rn. 62; ders., Jura 1994, 505, 521; Manssen, Grundrechtsdogmatik, Rn. 53; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. V, § 111 Rn. 97ff., m. zahlr. weit. Nachw. Zum Streit, inwieweit Berührungspunkte mit der Problematik der Drittwirkung bestehen und welche rechtlichen Konsequenzen gegebenenfalls zu ziehen sind, Canaris, AcP 184 (1984), 201, 225ff.; Isensee, Grundrecht, S.35. 243 Siehe die Angaben in Fn. 241 sowie die Nachweise zur Literatur und zur Rezeption durch die Fachgerichte bei Hermes, Grundrecht, S.58ff. Nachweise zu abweichenden Meinungen und eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen finden sich bei Dirnherger, Naturgenuß, S. 154ff. 244 Während über die Schutzfähigkeit natürlicher Rechtsgüter Einigkeit besteht, ist die Einbeziehung rechtsgeprägter Grundrechte in die staatliche Schutzverpflichtung noch ungeklärt; so hält beispielsweise Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 240, Schutzpflichten außerhalb von Menschenwürde, Leben, Gesundheit und Eigentum für »praktisch irrelevant«. Es ist jedoch kein Grund ersichtlich, eine allgemeine Geltung der Schutzpflichten zumindest für Freiheitsgrundrechte zu verweigern und damit auch die Vertragsfreiheit auszuklammern; vgl. Dietlein, Schutzpflichten, S. 74ff.; Dimberger, Naturgenuß, S. 154ff., 160f.; wohl auch Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. V, Rn. 86ff., 89,93. Eine andere Frage ist, welche Folgen aus der prinzipiellen Anerkennung der Vertragsfreiheit als schutzfähiges Gut erwachsen. Dazu sogleich.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
einer Gefährdungslage k o m m t es, wenn der Staat seine Schutzpflichten nicht in ausreichendem M a ß e erfüllt, das heißt nicht das erforderliche und zumutbare M i nimum zur Sicherung der Vertragsfreiheit garantiert. Verfassungswidrig ist die Abwesenheit von Schutznormen (zumindest) dann, wenn das verfassungsrechtlich angezeigte Schutzminimum unterschritten wird. 2 4 5 D i e Handlungsschwelle läßt sich dabei nicht allgemeingültig qualifizieren, sondern hängt wesentlich von der A r t des betroffenen Rechtsgutes und dem konkreten U m f e l d ab. 2 4 6 In A n b e tracht dessen, daß dem Staat ein weiter Einschätzungs- und Entscheidungsspielraum bleibt, häufig mehrere Handlungsvarianten zur Verfügung stehen und gegenläufige Interessen zu berücksichtigen sind, kann in der Regel von der Schutzpflicht nicht auf eine konkrete Handlungspflicht geschlossen werden. 2 4 7 Die legislatorische Gestaltungsfreiheit wird häufig verkannt. So hat das BVerfG beispielsweise im Fall Boll das Urteil, durch das der B G H die Schmerzensgeldklage abgewiesen hat, aufgehoben. 248 Eine Reduzierung des Gestaltungsspielraums auf Null, also die verfassungsrechtliche Gebotenheit einer Schmerzensgeldzahlung, läßt sich (wohl) nicht annehmen. Entgegen dem allgemeinen Postulat der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers hat das Gericht unter anderem auch in der ersten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch seine Prognose über die des Gesetzgebers gestellt.249 D e r Schutz der formellen Vertragsfreiheit ist also - aus der Perspektive der Lehre von der staatlichen Schutzpflicht - nach Maßgabe eines wertenden Ausgleichs mit anderen schutzwürdigen Interessen des Betroffenen, Dritter oder der Allgemeinheit und unter Beachtung der grundgesetzlichen Wertordnung zu gewährleisten. 2 5 0 F ü r die Vertragsfreiheit heißt das, daß die Lehre nur dort fruchtbar gemacht werden kann, w o ein Privater rechtswidrig die Vertragsfreiheit anderer einschränkt und so die Schutzpflicht aktualisiert. Seinen Niederschlag in der Zivilrechtsordnung hat das Verbot, daß ein Bürger dem anderen seinen Willen gewaltsam aufzwingt und dessen Rechtssphäre verletzt, beispielsweise in den gegen die Täuschung und D r o h u n g gerichteten Vorschriften gefunden. Realisiert wird der Schutzauftrag außerdem durch § 8 2 3 Abs. 1 B G B . U n t e r anderem mit dieser Vorschrift k o m m t der Gesetzgeber seiner Aufgabe zum Schutz von Leben, G e sundheit, Freiheit und Eigentum im Privatrechtsverhältnis nach. D a m i t ist die L e gislative ihrem Schutzauftrag gerecht geworden, der von der Judikative im Streitfall ausgeführt wird.
245 Zur umstrittenen Figur des Untermaß Verbotes Dreier, GG, Vorb. Rn.64; Hain, DVBl. 1993, 983; Starck, JZ 1993, 817. 246 Im einzelnen ist vieles ungeklärt; ein dem Übermaßverbot entsprechendes Untermaßverbot ist in der verfassungsrechtlichen Literatur ebenso wie die Lehre von der Schutzgebotsfunktion insgesamt noch wenig konturiert. 247 Dürig, Festschrift für Nawiasky, S. 157, 180f. 248 BVerfGE 54, 208. 249 BVerfGE 39,1, 46f.; dagegen das Sondervotum S. 68ff. Vgl. auch die zweite Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch BVerfGE 88, 203; kritisch Hermes/Walther, NJW 1993, 2337. Vgl. auch Hesse, Festschrift für Mahrenholz, S.541ff.; Dirnherger, DVBl. 1992, 879, 881ff. 250 Allgemein (ohne Bezug zur Vertragsfreiheit) BVerfGE 77, 170, 171.
3. Kapitel:
Verfassungsrechtliche
Implikationen
111
Stellenweise wird angeführt, die Schutzpflichtenlehre ermögliche es, Verträge einer inhaltlichen Erforderlichkeits- und Angemessenheitskontrolle dahingehend zu unterziehen, ob eine Verpflichtung die Freiheit des Verpflichteten nicht unangemessen beeinträchtigt oder die Abrede von einem Behandlungsungleichgewicht getragen ist. 251 Die Pflicht der staatlichen Organe, sich »schützend und fördernd« vor das Grundrecht der Vertragsfreiheit zu stellen, bezieht sich in erster Linie auf die Legislative und besteht lediglich bei »rechtswidrigen Eingriffen von seiten anderer«. 252 Spezifikum der Berücksichtigung der Schutzpflichten ist, daß sie auf das Gesetz verwiesen ist, also der Umsetzung durch die Legislative bedarf. 253 Wenn stellenweise versucht wird, die Judikative in den Adressatenkreis einzubeziehen, 254 geht das zu weit. 255 Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gebieten, es insoweit bei der Kompetenz des Gesetzgebers zu belassen. Andernfalls wäre die gerichtliche Entscheidung hier allein von der verfassungsrechtlichen Wertung abhängig; das einfache Recht würde bei dieser Deutung an Belang verlieren. Käme das Gericht nach eigener Abwägung zum Ergebnis der Verfassungswidrigkeit, hätte es diese Einschätzung und nicht das Ergebnis der Subsumtion unter einfachrechtliche Vorgaben der Entscheidung zugrundezulegen. 256 Eine kaum nachvollziehbare Konsequenz, die - überspitzt formuliert - zu einer gesetzesunabhängigen, reinen Wertungsjurisprudenz führen würde. Eine von Gericht zu Gericht unterschiedlich ausgeformte Berücksichtigung materialer Verfassungsaspekte im Rahmen der formalen Vertragsfreiheit läßt sich nur mit einer deutlichen Konfiguration der Inhaltskontrolle von Verträgen vermeiden. Die Schutzpflichtenlehre für sich genommen ist dazu nicht der richtige Ansatzpunkt. Auch aus demokratietheoretischen Gründen muß dem Gesetzgeber eine Prärogative zukommen. Die Schutzpflichtenlehre in ihrer monokausalen und primären Ausprägung ist deshalb bereits aus diesen Gründen abzulehnen. 257 Hinzu kommt: Bei einem rechtmäßigen Verhalten der Privatrechtssubjekte aktualisiert sich die staatliche Schutzpflicht nicht; 258 unter einem Eingriff ist eine nicht unerhebliche Einwirkung auf das Schutzgut des Berechtigten gegen dessen Willen zu verstehen. 259 Tatbestandsmerkmal der Schutzpflichtenlehre ist also ein mit der Verfassung unvereinbarer Eingriff oder die Gefahr eines solchen Eingriffs. Bei 251 In diese Richtung Canans, AcP 184 (1984), 201, 227f.; ders., JuS 1989, 161, 163; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 53ff.; Singer,]Z 1995, 1133, 1136ff. 252 BVerfGE 39, 1, 42; 46, 160, 164; 49, 24, 53; 53, 30, 57. 253 Hermes, Grundrecht, S. 209; Heun, Funktionell-rechtliche Schranken, S. 68 ff.; Isensee, Grundrecht, S. 42ff.; ders., in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. V, § 111 Rn. 151, jeweils m. weit. Nachw. 254 Bleckmann, DVB1.1988,940,942; Hager, JZ 1994,373,379f.; Singer, JZ 1995,1133,1136f. 255 Kritisch gegenüber einer richterlichen Kompetenz auch Diederichsen, Rangverhältnisse, S. 39, 63ff.; Preu, JZ 1991, 265, 267ff.; Wahl/Masing, JZ 1990, 559, 562f. 256 So in der Tat Hager, JZ 1994, 373, 376. 257 Kritik zur Lösung über die Schutzpflichtenlehre auch bei Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 11. 258 Lorenz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. VI, § 128 Rn. 44; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. V, §111 Rn.97ff.; Manssen, Grundrechtsdogmatik, Rn. 53. 259 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof Handbuch Bd. V, § 111 Rn.97, 99ff.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
rechtsgeschäftlichem imparitätischem Handeln ist das nicht der Fall; es fehlt an einem privaten Ubergriff, der die Schutzpflicht auslöst. Der sozial oder wirtschaftlich überlegene Vertragspartner schließt den Vertrag nicht gegen den Willen, sondern gerade im Konsens mit dem Vertragspartner. Bewußte Selbstschädigung liegt außerhalb des Tatbestandes, der Vertragspartner wird hier nicht gegen seinen Willen mit Gewalt zum Vertragsschluß gedrängt. Auf das Erfordernis eines rechtswidrigen Eingriffs zu verzichten, mag in Weiterentwicklung der Schutzpflichtenlehre theoretisch möglich sein, f ü h r t aber letztlich zu einem u m fassenden Schutzauftrag des Staates u n d damit zu einer allgemeinen staatlichen Aufsicht. Das System der Privatautonomie w ü r d e so zugunsten eines staatlichen Dirigismus mit u m fassenden Schutz- u n d Kontrollpflichten abgelöst. Bei rechtmäßigem privatem Verhalten eine staatliche Schutzpflicht anzuerkennen, w ü r d e die Privatautonomie unterminieren. A n der Voraussetzung eines rechtswidrigen Übergriffs ist deshalb prinzipiell festzuhalten.
Festzustellen bleibt deshalb: Die Vertragsfreiheit ist zwar grundsätzlich ein schutzfähiges Gut im Sinne der Schutzpflichtenlehre. In diesem Sinne wird sie durch einen Vertragsschluß zwischen einem Stärkeren und Schwächeren aber nicht beeinträchtigt. Hier geht es nicht um rechtliche Positionen, diese bleiben unberührt. Schutzgut ist die formelle Vertragsfreiheit; die materielle Vertragsfreiheit, bei der es darum geht, Ungleichgewichtslagen auszugleichen, kann in ihrer Allgemeinheit grundsätzlich nicht Gegenstand einer grundrechtlichen Garantie sein. Der unter Umständen angezeigte Schutz des Schwächeren ist keine Frage der Schutzpflichtenlehre. Der Gesichtspunkt der Schutzpflichtenlehre verwehrt es der Rechtsprechung, in den legitimen Antagonismus der Vertragsfreiheit einzugreifen. 260 Verdienst der Schutzpflichtenlehre ist es, die formelle Vertragsfreiheit von privatem Zwang (im Sinne eines Verstoßes gegen die Rechtsordnung, nicht im Sinne einer Ausübung grundrechtlicher Freiheiten) freizuhalten und so den Vertragspartnern die Möglichkeit zu erhalten, ihre gegenläufigen Interessen auszugleichen und von ihrer grundrechtlich verbürgten Freiheit, Verträge mit einem bestimmten Inhalt schließen zu dürfen, Gebrauch zu machen. 261 Die grundrechtsdogmatische Figur der Schutzpflicht bewirkt also eine negative Ausgrenzung der Freiheitssphären. Ein positives Pflichtenverhältnis wird nicht begründet. Inwieweit im Falle einer erklärten Willensübereinstimmung, also der Ausübung der beiden Vertragspartnern zugeordneten Freiheit, verfassungsrechtliche Aspekte Berücksichtigung finden, wird unter den Stichworten Dritt-, Horizontal- oder Ausstrahlungswirkung diskutiert. 3. Die Wirkungslehren im Rahmen der Bürger/Bürger-Relation Die Frage, ob und inwieweit Grundrechte nicht nur gegenüber dem Staat als Träger öffentlicher Gewalt, sondern auch zwischen Privaten gelten, ist im Grundgesetz - abgesehen von Art. 9 Abs. 3 S.2 GG 262 - nicht geregelt. Art. 1 Abs. 3 G G 260 261
Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Isensee, in: Isensee/Kirchhof,
Handbuch Bd. V, §111 Rn. 131. Handbuch Bd. V, § 111 Rn. 135, m. weit. Nachw.
J. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
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spricht nur die vertikale Richtung der Grundrechte an, nicht ihre horizontale Ausstrahlung. Grundrechte sind nicht nur Fundamentalprinzipien der Verfassung, das ist allgemein anerkannt. A u c h das einfache Recht wird durchgehend von den Grundrechten geprägt und erfährt von diesen »Richtlinien und Impulse«. 2 6 3 Die Frage nach der unmittelbaren Geltung des Art. 3 Abs. 2 G G im Arbeitsrecht war der Anlaß, allgemeine Bedenken gegen eine Drittwirkung jedweder Art vorzutragen. Kurz nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes wandte sich ein Teil des Schrifttums gegen eine Horizontalwirkung der Grundrechte. 264 Begründet wurde die ablehnende Haltung in erster Linie mit der historisch gewachsenen Zielrichtung von Grundrechten und einem Umkehrschluß aus Art. 9 Abs. 3 G G sowie dem Wortlaut des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG. Dazu ist zu sagen, daß Grundrechte einem Bedeutungswandel unterliegen können (und sollen). Sie sind nicht statisch, sondern in gewissem Maß offen für neue Entwicklungen. Das auf Art. 9 Abs. 3 G G abstellende Wortlautargument ist deshalb nicht schlüssig. Ist eine drittwirkende Rolle erst im Laufe der Zeit den Grundrechtsfunktionen beizuordnen, so kann eine ausdrückliche Normierung nicht verlangt werden. Das entbehrt logischer Stringenz. Wenn Art. 19 Abs. 4 G G eine mögliche Verletzung der Rechte nur durch die öffentliche Gewalt anspricht, besagt das nicht, daß Rechte nur von dieser verletzt werden können. Art. 19 Abs. 4 G G betont nur die Existenz eines Grundrechts gegen die Staatsgewalt und trifft für die Bürger/Bürger-Relation keine Aussage. Er ist als Reaktion auf die Erfahrungen des NSMachtstaats zu verstehen und Ausdruck des Mißtrauens des Verfassungsgebers gegenüber dem positiven Gesetzgeber. 265 Diese restriktive Funktionszuordnung der Grundrechte ist deshalb zu Recht aufgegeben worden; es steht heute außer Frage, daß Grundrechte und Privatrechtsordnung nicht zusammenhanglos nebeneinander stehen. 266
262 Unmittelbar zwischen Privaten wirkendes Verfassungsrecht enthält ebenfalls Art. 48 GG (BVerfGE 42, 312, 328). Nach Art.48 Abs.2 S. 1 GG darf niemand daran gehindert werden, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben. Eine Kündigung oder Entlassung ist nach Absatz 2 Satz 2 des Artikels unzulässig. Gegen diesen Grundsatz verstoßende Willenserklärungen sind nach § 134 BGB nichtig (BGHZ 43, 384, 387) und führen gegebenenfalls zu einer Schadensersatzpflicht gemäß §823 Abs.2 BGB (vgl. Magiera, in: Sachs, GG, Art.48 Rn.7). Unzulässig sind Kündigung und Entlassung aber nur, wenn sie wegen der Annahme oder Ausübung des Mandats vorgenommen werden. Eine Kündigung aus anderen Gründen bleibt unbenommen; nach §2 Abs. 3 S.2 AbgG ist sie allerdings nur aus wichtigem Grund zulässig. 263 BVerfGE 7, 198, 205. Vgl. auch BVerfGE 39, 1, 41: »Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthalten die Grundrechtsnormen nicht nur subjektive Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat, sondern sie verkörpern zugleich eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt.« 264 Apelt, JZ 1951, 358; Beitzke, RdA 1953, 281; Bötticher, RdA 1953, 166; Creifels, JR 1950, 455; A Hueck, RdA 1950,137; Knolle, BB 1949,451; Loppuch, DÖV 1951,123; Reimer, Wettbewerbsrecht, S. 557; Stree, DÖV 1958, 173; Schätzet, RdA 1950, 248. 265 Ausführliche Widerlegung dieses heute nicht mehr aufgegriffenen Ansatzes bei Leisner, Grundrechte, S. 312ff., 318ff. (speziell aus dem Blickwinkel der Privatautonomie), m. zahlr. weit. Nachw. 266 Die jede Bedeutung der Grundrechte für das Privatrecht ablehnende Lehre ist historisch überholt (vgl. Leisner, Grundrechte, S. 309) und findet heute keine Erwähnung mehr, vgl. Alexy, Theorie, S. 480; Eckhold-Schmidt, Legitimation, S. 24ff., 66ff.; Laufke, Festschrift für Lehmann, S. 145, 146; Stern, Staatsrecht Bd. III/l, §76 I 4e.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
Steht das » O b « einer Grundrechtseinwirkung auf das Privatrecht im Grundsatz fest, so wird um so heftiger darüber debattiert, wie sich Grundrechtsnormen auf das Verhältnis von Privatrechtssubjekten untereinander auswirken und in welchem U m f a n g sie das tun. Beide Fragenkomplexe - das Konstruktions- wie das Kollisionsproblem - sind bis heute noch ungeklärt. Ursache ist die Strukturverschiedenheit des Staat-Bürger-Verhältnisses, also der Relation zwischen einem Grundrechtsträger und dem eigentlichen Grundrechtsadressaten, gegenüber dem Bürger-Bürger-Verhältnis, bei dem zwei Grundrechtsträger aufeinander treffen. 2 6 7
a) Der Direktwirkungsansatz CM) Theoretische
von Schwabe
Konzeption
Schwabe plädiert für eine direkte Wirkung der Grundrechte in vollem und grundsätzlich gleichem U m f a n g gegenüber allen Rechtssubjekten, dem Staat wie dem Privaten. 2 6 8 E r begründet das damit, daß auch das Gericht, das einen Privatrechtsstreit zu entscheiden hat, wegen Art. 1 Abs. 3 G G an die Grundrechte gebunden sei und deshalb seinem Urteil die Grundrechte zugrundezulegen habe. A u c h gingen des weiteren privatrechtliche Ansprüche auf staatliche G e - oder Verbote zurück; Privatrecht sei staatlich gesetztes Recht. 2 6 9 Dadurch, daß der Staat ein Privatrechtssystem zur Verfügung stellt und durchsetzt, beteilige er sich an den in diesem System möglichen Beeinträchtigungen der grundrechtlichen G ü t e r des einen Bürgers durch einen anderen. Jede durch privatautonome Vereinbarung bewirkte Freiheitsbeschränkung sei als Grundrechtseingriff zu deuten. 2 7 0 Vertragsautonomie beispielsweise beruhe auf einer staatlich zur Verfügung gestellten allgemeinen Erlaubnisnorm. Die Formulierung »Ansprüche aus Vertrag« sei nur eine Abbreviatur für »Ansprüche aus dem Gesetz unter der Voraussetzung eines Vertrages«. 2 7 1 Ansprüche aus Vertrag seien als vertraglich bedingte G e setzesbefehle zu deuten. 2 7 2 Dies erkenne man deutlich daran, daß vertragliche Rechtsfolgen nur selten von der Willenserklärung der Betroffenen erfaßt seien. Viele Pflichten und Rechte entstehen nach Schwabe weniger kraft vertraglicher Einwilligung als vielmehr aus Anlaß des Vertrages. Deutlich zeige sich das in Fällen, in denen zwar eine Willenserklärung gegeben sei, der Erklärende bei ihrer Vgl. Langner, Problematik, S. 55ff., 191 ff.; Stemmler, Grundrechtswirkung, passim. Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971, passim, insbes. S.69ff., 75ff.; ders., Grundrechtsdogmatik, S.211f., 221 ff.; ders., NJW 1974, 670, 671; den., DÖV 1981, 796ff.; ders., AcP 185 (1985), 1 ff.; vgl. auch die Rechtsprechungsanalyse dess., AöR 100 (1975), 442 ff. 269 Schwabe, Drittwirkung, S. 70ff.; Leisner, Grundrechte, S.328ff. 270 Schwabe, Drittwirkung, S.69ff.; ders., NJW 1973, 229, 230. 271 Schwabe, Drittwirkung, S. 67. 272 Schwabe schreibt damit den Ansatz der Imperativentheorie {Thon, Rechtsnorm, S. 350ff.) sowie der Tatbestandstheorie, wonach das Rechtsgeschäft nicht mehr ist als ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes, an den der Eintritt der Rechtsfolge geknüpft ist (vgl. Zitelmann, Irrtum, S. 280; Windscheid, Pandektenrecht Bd. I, § 68), fort; zu diesen Ansätzen unter III. im 2. Kapitel. 267 268
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
115
Abgabe jedoch nicht wirklich frei gewesen sei, weil er beispielsweise als Arbeitnehmer aus drückender materieller Not ein Arbeitsverhältnis begründet hat, obgleich er aus Gewissensgründen die Tätigkeit ablehne. Hier fehle es im Ergebnis an einem »Einverständnis« des Arbeitnehmers, und es komme nur auf gesetzliche Vorgaben an.273 Wenn dieser der Privatrechtsordnung immanente Rechtssatz dadurch gegen Grundrechte verstoße, daß er Privatrechtsträgern einen zu weitgehenden Eingriff in Grundrechte anderer erlaube, so sei Privatrecht verfassungswidrig und insoweit nichtig. Bei der Begründung dieser Rechtsfolge sei zu trennen, ob sich das mit einem Grundrecht kollidierende vertragliche Recht aus dem Gesetz ergebe oder erst aus dem - gesetzlich legitimierten - Vertrag. In ersterem Fall werde einer Grundrechtsverletzung durch Nichtigkeit des Gesetzes oder durch dessen verfassungskonforme Auslegung vorgebeugt. Bei der zweiten Fallgruppe sei neben einer Korrektur durch Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) Nichtigkeit in Einzelfällen aufgrund eines Rückgriffs auf § 134 BGB möglich; regelmäßig resultiere die Nichtigkeit allerdings aus den Grundrechten selbst.274 Diese Sichtweise, daß es die staatliche Rechtsordnung sei, die in den Privatrechtsgesetzen die von der Verfassung festgesetzte Privatautonomie regele, und Zivilrecht deshalb direkt von den Grundrechten abhängig sei, hat in der Literatur nur wenig positive Resonanz gefunden; 275 ablehnende Stellungnahmen überwiegen: bb) Kritische
Würdigung
Die Auffassung von Schwabe hat zu Recht Ablehnung erfahren. 276 Die kritischen Stimmen konzedieren, daß die staatliche rechtsprechende Gewalt an die Grundrechte gebunden ist. Allein der Umstand, daß ein Gericht als Staatsorgan über ein Vertragsverhältnis zu entscheiden hat, ändert aber nicht dessen Rechtscharakter. Maßgebend ist nur das materielle Rechtsverhältnis: Das Gericht hat die Grundrechte bei der Entscheidung zu berücksichtigen, soweit sie gelten; dagegen gelten sie nicht, weil ein staatliches Gericht entscheidet.277 Ansonsten käme es zu dem paradoxen Ergebnis, daß grundrechtliche Wertungen bei der Entscheidung durch ein (staatliches) Gericht zu beachten sind, ein (privates) Schiedsgericht sein Urteil 273
Schwabe, Drittwirkung, S. 68f. Schwabe, Drittwirkung, S. 71. 275 Ähnlich Murswiek, Verantwortung, S.62ff., 91ff.; ders., WuV 1986, 179, 182; Sympathie bei Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 395ff. 276 Alexy, Theorie, S.416ff.; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 203ff.; Doehring, Staatsrecht, S. 209; Dreier, Jura 1994, 505, 510; Dung, in: Maunz/Dürig, G G , Art. 3 Abs. I Rn. 506; Hermes, Grundrecht, S.93ff.; Hesse, Grundzüge, Rn.353ff.; Ipsen, Grundrechte, Rn.59; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 50f.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. V, § 111 Rn. 118f.; Klein, N J W 1989,1633, 1640; v. Münch, in: v. MUnch/Kunig, G G , Vorb. Art. 1 - 1 9 Rn.33; Rüfner, Gedächtnisschrift für Martens, S.215, 220; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 196ff.; Pietzcker, Festschrift für Dürig, S. 345, 349; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, G G , Art. 1 Abs. 3 Rn. 197; Stern, Staatsrecht Bd. III/l, §76 I 4e, III 1. 277 Doehring, Staatsrecht, S. 209. 274
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
jedoch ohne Rücksicht auf verfassungsrechtliche Wertungen fällen könnte. Es k o m m t also darauf an, wie das materielle Rechtsverhältnis von Grundrechten beeinflußt wird, nicht darauf, o b ein staatliches Gericht entscheidet, das wegen Art. 1 Abs. 3 G G unmittelbar an die Grundrechte gebunden ist. Grundrechte lassen sich ferner auch nicht deshalb als in diesem Sinne materielles Recht qualifizieren, weil privatrechtliche Ansprüche der Zivilrechtsordnung entspringen. Vertragliche Ansprüche stellen keine Konkretisierung von Gesetzesbefehlen dar. D i e Privatrechtssubjekte handeln im Vertragsrecht kraft autonomer, kongruenter Entschließung, die von der Privatrechtsordnung anerkannt, umgesetzt und durch das Grundrecht der Vertragsfreiheit abgesichert wird. G e setzesbefehle werden im Privatrecht nicht verwirklicht; der Umstand, daß vertragliche Abreden durch K o m p e t e n z n o r m e n ermöglicht werden, begründet keine Beteiligung des Staates an der Realisierung dieser Möglichkeit. 2 7 8 D i e Individuen machen von ihrer kompetentiellen Freiheit kraft autonomer Entscheidung Gebrauch. Sie bestimmen selbst, wie ihre gegenläufigen Interessen in einer vom gemeinsamen Willen getragenen Ubereinkunft ihren Ausgleich finden. Entscheidend ist die freiwillige Selbstbindung; sie wird durch zwingende und abdingbare N o r m e n lediglich begleitet. 279 b) Die Theorie der unmittelbaren aa)
Drittwirkung
Charakteristika
D i e Lehre von der unmittelbaren Anwendung der Grundrechte im Privatrecht sieht Grundrechte auch in der Bürger/Bürger-Relation als verbindlich an, und zwar als direkt verbindlich ohne interpretative Zwischenschritte. 2 8 0 Dieser absoluten normativen Wirkung der Grundrechte folgend werden als Adressaten der Grundrechte nicht nur der Staat, sondern auch die Privatrechtssubjekte angesehen. Zivilrechtsdogmatisch wirkt sich diese Konstruktion auf Rechtsgeschäfte dahin aus, daß Grundrechte zu gesetzlichen Verboten im Sinne des § 1 3 4 B G B werden. D a b e i sei allerdings zu berücksichtigen, daß sich zwei Grundrechtsträger mit jeweils originärem Freiheitsraum gegenüberstehen. U m diese spezifischen Schutzsphären nicht gegenseitig leerlaufen zu lassen, könnten die Bürger gewisse Einschränkungen ihrer grundrechtlich verbürgten Vertragsfreiheit wirksam vereinbaren. D i e absolute Wirkung der Grundrechte mache die privatautonomen Vgl. im 2. Kapitel den III. Abschnitt (S.64ff.). Vgl. das 2. Kapitel. In diese Richtung ebenfalls BVerfGE 81, 242, 253f.: »Diese weitreichende berufliche Beschränkung findet ihre rechtliche Grundlage allerdings nicht primär in staatlichem Handeln. Vielmehr hat der Beschwerdeführer selbst einer entsprechenden Verpflichtung vertraglich zugestimmt. Eine solche rechtsgeschäftliche Selbstbindung führt zwar zu einer Beschränkung beruflicher Mobilität, ist aber zugleich Ausübung individueller Freiheit.« 280 Nipperdey, in: Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, § 15 II 4; ders., in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Grundrechte Bd.2, S.20; Laufke, Festschrift für Lehmann, S.145ff.; Leisner, Grundrechte, S.285ff.; Ramm, Freiheit, S.38ff., 56ff.; Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 419ff.; Steindorff, Persönlichkeitsschutz, S.12; Hager, JZ 1994, 373ff. (näher zur Hierarchie-Theorie von Hager bei c, bb, S. 120f.). 278 279
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
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Einschränkungen erst dann verfassungswidrig, wenn grundrechtliche Positionen in ihrem Kernbereich tangiert würden. 2 8 1 Das Ausmaß zulässiger Einschränkungen von Freiheitsrechten richte sich nach dem verfassungsrechtlichen Ü b e r m a ß verbot, also nach den Prinzipien Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit. 2 8 2 Vertragliche Einschränkungen von Grundrechten seien nur anzuerkennen, wenn sie zum Schutz der legitimen Interessen des anderen Teils erforderlich seien und für den Betroffenen keine unverhältnismäßige Einschränkung darstellten. Begründet wird diese Sichtweise nicht nur mit einem Erst-recht-Schluß aus Art. 1 Abs. 3 G G , sondern vor allem mit einer Steigerung der Effektivität der Grundrechtsnormen sowie einem Bedeutungswandel der Grundrechte in der modernen Gesellschaft. E s sei eine zentrale Intention des Grundgesetzes, dem einzelnen einen möglichst wirkungsvollen Schutz zu gewähren; die Grundrechte verkörperten H ö c h s t w e r t e für die Gemeinschaft. Dieses Anliegen lasse sich nur verwirklichen, wenn Grundrechte auch im Privatrecht gelten. 2 8 3 bb) Kritische
Stimmen
Gegen den Unmittelbarkeitsansatz ist zunächst die grammatische Interpretation anzuführen. Art. 1 Abs. 1 S. 2 G G legt die Verpflichtung zum Schutz der M e n schenwürde »aller staatlichen Gewalt« und nicht »jedermann« auf; Art. 1 Abs. 3 G G ordnet diese »Bindung« an die Grundrechte lediglich für »Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung«, nicht für Privatrechtssubjekte an. Systematische Aspekte führen zu keinem anderen Ergebnis. Das den Grundrechten zugrundegelegte System der Gesetzesvorbehalte wendet sich nur an den G e setzgeber. Eine Einschränkbarkeit der Grundrechte durch Rechtsgeschäft ist im Grundgesetz folglich nicht vorgesehen, o b w o h l dies in Parallelität zu den Gesetzesvorbehalten nahegelegen hätte, wenn die Grundrechte unmittelbar zwischen Privaten gelten würden. Privatrechtssubjekte zählen nicht zu den Normadressaten der Grundrechte. Betrachtet man die Entstehungsgeschichte, so sind die Grundrechte allein an den Staat gerichtet; das Grundgesetz wurde unter dem Eindruck der Lehren aus der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus konzipiert; eine di-
Leisner, Grundrechte, S.384ff.; Ramm, Freiheit, S.55f.; Müller, RdA 1964, 121, 126f. Leisner, Grundrechte, S.388. 283 So auch das BAG in BAGE 1,185, 193f. (unter Vorsitz von Hans CarlNipperdey): Grundrechte stellen danach »Ordnungsgrundsätze für das soziale Leben« dar, die »unmittelbare Bedeutung auch für den Rechtsverkehr der Bürger untereinander haben«; zu diesen »Grundwertungen« dürften sich »auch die Ordnung im Betrieb oder Verträge und Maßnahmen der Rechtsgenossen nicht in offenen, den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat mißachtenden Widerspruch setzen.« In nachfolgenden Entscheidungen hat das BAG an dieser Sichtweise festgehalten (vgl. BAGE 24,438,441; 16,95,100f.; 13,168,174f.; 7,256,260; 4,22,25; 2,221,224f.; Überblick zur Rechtsprechung bei Heither, JöR 33 (1984), 315ff.). In neueren Entscheidungen hat das BAG die Lehre von der direkten Wirkung aufgegeben und sich der Theorie einer mittelbaren Wirkung angeschlossen, BAGE 52, 88, 97ff.; 48, 122, 138f. 281 282
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1. Teil: Grundlagen
privatrechtlicher
Selbstgestaltung
rekte Einflußnahme auf die Privatrechtsordnung lag dem Grundgesetz fern. Wenn sich die Befürworter einer unmittelbaren Drittwirkung demgegenüber um den Nachweis bemühen, daß die Grund- und Menschenrechte ihrer historischen Entstehung nach auch auf das Privatrechtsverhältnis zielten, übersehen sie, daß die privatrechtliche Wirkung an sich nicht angezweifelt wird, vielmehr nur über die Art der Einwirkung Streit besteht. Auch aus teleologischer Sicht macht eine Grundrechtswirkung in der Bürger/Bürger-Relation wenig Sinn und würde - in letzter Konsequenz - die Zielrichtung der Grundrechte ins Gegenteil verkehren: Vertragliche Einschränkungen von Grundrechten wären nur im Rahmen ihrer Verhältnismäßigkeit zulässig; Rechte gegenüber der öffentlichen Gewalt würden zu Pflichten gegenüber allen Mitbürgern. Im Ergebnis käme man so zu einer umfangreichen Kontrolle privater Gestaltungen. Eine inadäquate Reduzierung der vom Grundgesetz angestrebten Freiheit wäre das Ergebnis.284 Zu Ende gedacht, hieße eine unmittelbare D r i t t w i r k u n g , das Zivilrecht überflüssig zu machen; der Zivilrichter könnte Fälle unmittelbar anhand des Grundgesetzes lösen. G r u n d rechtlich möglich ist häufig aber mehr als eine Lösung. Rechtssicherheit und Rechtsklarheit erfordern klar strukturierte und deutlich konturierte Entscheidungssätze. 2 8 5 Im Interesse einer konsistenten Entscheidungspraxis ist deshalb ein differenziertes einfachrechtliches Zivilrechtssystem notwendig.
c) Die Lehre der mittelbaren
Grimdrechtswirkung
aa) Inhalt Als Normverpflichteten sieht die Theorie von der mittelbaren Drittwirkung 286 im Gegensatz zur Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung nicht die Subjekte des Privatrechts, sondern den Staat an. Der Rechtsgehalt der Grundrechte wirke nur über das Medium der das entsprechende Rechtsgebiet unmittelbar beherrschenden Vorschriften, insbesondere über die Generalklauseln und weitere auslegungsfähige und auslegungsbedürftige Begriffe, auf das jeweilige Rechtsgebiet ein. Grundrechte seien nicht selbst als direkter Maßstab bei der Beurteilung (materiel284 Die dargestellten Argumente gegen eine unmittelbare Grundrechtswirkung finden sich so oder ähnlich bei v. Münch, in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1-19 Rn. 28ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 188; Manssen, Grundrechtsdogmatik, Rn.226; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 203ff.; Hesse, Grundzüge, Rn.351ff.; Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art.l Abs. III Rn.l28ff.; ders., Festschrift für Nawiasky, S. \ 57 ii.;Starck, GG, Art. 1 Abs.3 Rn. 197; Stern, Staatsrecht Bd. III/l, §76 III 2b; Stein, Staatsrecht, §26 V. 285 Vgl. Alexy, Argumentation, S.307ff., 334ff.; näher hierzu sowie den Modifikationen der unmittelbaren Lehre, die diese Folgen vermeiden wollen, bei Alexy, Theorie, S. 491 ff. 286 Heute h.M., vgl. nur Dürig, Festschrift für Nawiasky, S. 157ff.; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. III Rn.l29ff., Art.2 Abs. I Rn.57, Art.3 Abs. I Rn.500ff.; Hesse, Grundzüge, Rn. 355f.; Heun, Funktionell-rechtliche Schranken, S. 56; Larenz, Allgemeiner Teil, § 4 III; Rüfner, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. V, § 117 Rn. 54ff.; Medicus, AcP 192 (1992), 35,43; Stein, Staatsrecht, §26 V; BVerfGE 84,192,194f.; 81,242,256; 73,261,269; BGHZ 50,133,138; 92,213, 219; 97,330,340; BAG NZA 1993,547, 549; BAGE 48,122,138; 47, 363, 374f.; weit. Nachw. bei Stern, Staatsrecht Bd. III/l, §76 I 4 und II 2.
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
119
ler) Rechtsverhältnisse heranzuziehen, sondern benötigten »immer eine N o r m des Zivilrechts als Schlüssel, um in ein privatrechtliches Rechtsverhältnis Einlaß zu finden.« 287 Für die Rechtsgeschäftslehre komme es damit maßgeblich auf die §§138, 242, 315 und 826 BGB an. Die allgemeinen Formulierungen dieser Vorschriften ermöglichten eine Berücksichtigung der Grundrechte, indem die grundrechtlichen Wertungen die ausfüllungsbedürftigen Begriffe und Generalklauseln inhaltlich determinierten. Zivilrechtsdogmatisch hat diese Sichtweise beispielsweise zur Folge, daß die Grundrechte nur dann als Nichtigkeitsursache im Sinne des §134 BGB wirken, wenn ihre unmittelbare Wirkung im Privatrecht ausdrücklich verfassungsgesetzlich angeordnet ist. Dies ergibt sich nach Auffassung von Dürig, der die von Krüger und Jellinek angedeutete Sicht288 der Generalklauseln als »Einfallstor« zur Theorie der mittelbaren Drittwirkung ausgebaut hat, vor allem aus der Eigenständigkeit des Privatrechts gegenüber dem Grundgesetz. Aus der Entscheidung des Staates für ein gegen den Staat gerichtetes Freiheitsrecht sei auf die Freiheit dem Staat gegenüber zu schließen, von ihm ungehindert und unbeobachtet Verträge zu schließen, die von Grundsätzen der Verfassung abweichen. Im Verhältnis der Bürger untereinander sei die Wirkung der Grundrechte aufgrund der Privatautonomie relativiert; Vertragsfreiheit impliziere die Freiheit, sich in privaten Abreden auch über staatlicherseits geschützte Grundrechte hinwegsetzen zu können. Dem Vorwurf eines Dualismus in der Rechtsmoral und damit der Absage an die Einheit der Rechtsordnung, entziehe die Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertungen durch die Generalklauseln die Grundlage. 289 Konrad Hesse weist ergänzend darauf hin, daß nur der indirekte Einfluß des Grundgesetzes dem Gebot der Gewaltenteilung und Rechtssicherheit genüge.290
bb)
Kritik
Auch die Ansicht einer indirekten Wirkung der Grundrechte hat Kritik erfahren. Alexy meint, der Ansatz erlaube zwar, einzelne Problemkreise treffend zu lösen, werde aber dadurch »inadäquat«, daß er versuche, alle Fragen von einem Ansatz aus zu bewältigen, was angesichts der Komplexität des Themas nicht möglich sei.291 Alexy schlägt deshalb ein »Dreiebenenmodell« vor. Auf der ersten Ebene sei der Staat bei Gesetzgebung und Rechtsprechung an die Grundrechte als objektive Prinzipien gebunden, während auf der zweiten, nur rechtsprechungsbezogenen Ebene die Grundrechte als A b wehr- und Schutzrechte zur Geltung kämen. 2 9 2 Auf der dritten Ebene gehe es um die grundrechtlichen Wirkungen auf die rechtlichen Relationen zwischen Privatrechtssubjekten. Hier k o m m e es zu einer unmittelbaren Drittwirkung, die sich darin ausdrücke, daß aus grundrechtlichen G r ü n d e n bestimmte Rechte und Nicht-Rechte, Freiheiten und Nicht287 288 289 290 291 292
v. Münch, Grundbegriffe, Rn.187. Krüger, NJW 1949, 163, Jellinek, BB 1950, 425f. Dürig, Festschrift für Nawiasky, S. 157, 158ff., 167ff. Hesse, in: BendalMaihofer/Vogel, Handbuch, §5 Rn.60f.; den., EuGRZ 1978, 427, 438. Alexy, Theorie, S. 485. Alexy, Theorie, S.485ff.
120
1. Teil: Grundlagen
privatrechtlicher
Selbstgestaltung
Freiheiten, Kompetenzen und Nicht-Kompetenzen in der Bürger/Bürger-Relation bestünden, die ohne diese Gründe nicht bestehen würden. Die grundrechtlichen Prinzipien führten über die ausfüllungsbedürftigen Normen zu Rechten und Pflichten im Gleichordnungsverhältnis, die nach Alexy wegen der Geltung dieser Prinzipien relativ auf die Verfassung notwendig sind, dies ohne deren Geltung aber nicht wären. 2 9 3 Die Theorie der mittelbaren Drittwirkung habe damit »zwingend eine unmittelbare Drittwirkung zur Folge.« 2 9 4 Im Ergebnis bleibe das Gericht an die Privatrechtsordnung gebunden. In der Sache vertritt also wohl auch Alexy eine mittelbare Drittwirkungslehre. 2 9 5 Canaris sieht eine Schwäche des Mittelbarkeitsansatzes in der Beschränkung auf Generalklauseln und ausfüllungsfähige Begriffe. Darin k o m m e eine »fehlerhafte Vereinseitigung« 2 9 6 z u m A u s d r u c k . Es sei nicht einzusehen, w a r u m G r u n d rechte nur über unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln auf das Privatrecht einwirken sollten. K a u m nachvollziehbar sei zum Beispiel, daß der im Rahmen v o n § 138 A b s . 1 B G B anzulegende großzügige Maßstab stets ausreichenden Schutz v o r der Beeinträchtigung grundrechtlich verbürgter Werte gebe. 297 A u c h Hager sieht die Funktion des einfachen Rechts als Einfallstor f ü r die Wertungen der Verfassung als »weit überschätzt« an. Zudem mangele es der Theorie der mittelbaren D r i t t w i r k u n g an dogmatischer Präzision; es bleibe unklar, in welcher Weise die objektive W e r t o r d n u n g die W i r k u n g der Grundrechte modifiziere, insbesondere, w o r a u s eine eventuell geringere W i r k k r a f t als diejenige des G r u n d rechts in seiner Eigenschaft als A b w e h r r e c h t gegen Eingriffe der hoheitlichen G e w a l t z u r ü c k z u f ü h r e n sei. 298 Ausgehend von der Hierarchie der Normen kommt Hager zu einer unmittelbaren, über die Generalklauseln hinaus auch exakt gefaßte Vorschriften erfassende Horizontalwirkung der Grundrechte. 2 9 9 Grundrechtliche Wertungen gelten danach auch gegenüber rechtsgeschäftlichen Abreden unmittelbar. Soweit nämlich das Grundgesetz selbst mehrere Regelungsvarianten zulasse, ändern die Normen des Privatrechts als unterrangige Vorschriftengruppen an den Vorgaben des Verfassungsrechts nichts, so Hager. N u r dann, wenn die verfassungsrechtliche Ebene einen Gestaltungsspielraum belasse, sei auf die nachfolgende Stufe der Privatrechtsordnung zurückzugreifen und eine dem Spielraum entsprechende Entscheidung zu treffen. Für den Richter kommt es nach Hager maßgeblich auf die verfassungsrechtliche Vorgabe an. Er habe den Bürger gegen tatsächliche Eingriffe Privater ebenso wie gegen zu weit gehende rechtsgeschäftliche Bindungen zu schützen. 300 Dies erkläre sich daraus, daß der Richter - ebenso wie der Gesetzgeber bei Erlaß zivilrechtlicher Gesetze - bei der Anwendung der Gesetze an die Grundrechte gebunden sei. In Anlehnung an
Alexy, Theorie, S.489f. Alexy, Theorie, S.490. 295 So auch Stern, Staatsrecht Bd. III/l, § 76 III 4a. Darauf deuten vor allem die Ausführungen von Alexy, Theorie, S.492f., hin. 296 Canaris, AcP 184 (1984), 201, 223. 297 Canaris, AcP 184 (1984), 201, 223 ff. Ausgehend von Schutzgebotsüberlegungen vertritt Canaris die Auffassung, daß der Gesetzgeber bzw. der Richter dazu verpflichtet sei, die Grundrechte auch im Verhältnis der Bürger untereinander zu schützen. 298 Hager, JZ 1994, 373, 374. 299 Hager, JZ 1994, 373ff., insbes. 376, 383. 300 Hager, JZ 1994,373,381. 293
294
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche Implikationen
121
die sogenannte Schumannsche Formel 301 geht Hager davon aus, daß eine Entscheidung jedenfalls dann Verfassungsrecht verletze, wenn die vom Gericht gefundene Konkretisierung des einfachen Gesetzes gegen die Grundrechte verstößt. Aus der hierarchisch höherrangigen Stellung der Verfassung ergebe sich deren direkte Einwirkung auf das Vertragsverhältnis, so daß der Richter im Ergebnis seine Entscheidung auf grundgesetzliche Wertungen zu stützen habe. 302
4. T h e s e e i n e r m o d i f i z i e r t e n m e d i a t e n H o r i z o n t a l w i r k u n g (Zwei-Ebenen-Modell) a) Indirekte
Drittwirkung
als Grundlage
(erste
Ebene)
D i e Idee, G r u n d r e c h t e n i c h t n u r als subjektive ö f f e n t l i c h e R e c h t e des einzelnen g e g e n ü b e r d e m Staat z u verstehen, s o n d e r n i h n e n ü b e r d i e s die u n m i t t e l b a r e Funktion von Ordnungssätzen oder G r u n d s a t z n o r m e n f ü r den Privatrechtsverk e h r z u z u o r d n e n , geht in ihrer A b s o l u t h e i t z u weit. N e b e n d e n a n g e f ü h r t e n G r ü n d e n ist auf einen g r u n d l e g e n d e n A s p e k t h i n z u w e i s e n : W ä h r e n d die staatliche G e w a l t m i t h o h e i t l i c h e m Z w a n g ausgestattet ist u n d in d e r Regel einseitig G e u n d V e r b o t e d u r c h H o h e i t s a k t ausspricht, k a n n d e r einzelne i m P r i v a t r e c h t s v e r k e h r n i c h t o h n e seine Z u s t i m m u n g vertraglich v e r p f l i c h t e t w e r d e n . D a s Wesen d e r P r i v a t a u t o n o m i e liegt darin, d a ß jeder im eigenen Interesse p r ü f t , o b die Vere i n b a r u n g i h m zusagt, u n d eine A b r e d e o h n e K o n s e n s n i c h t in K r a f t t r e t e n kann. 3 0 3 D i e Einseitigkeit d e r R e c h t s a n o r d n u n g e r f o r d e r t ein u n m i t t e l b a r e s S c h u t z i n s t r u m e n t a r i u m in F o r m d e r G r u n d r e c h t e , die Zweiseitigkeit d e r Verträge m a c h t ein derartiges direktes Z u r ü c k g r e i f e n auf G r u n d r e c h t e nicht nötig. Die Vertreter der unmittelbaren Drittwirkungslehre sind dem Kritikpunkt, der direkte Rückgriff gefährde die Realisierung der Privatautonomie, indem er beispielsweise auch die Vertragspartnerwahl Art. 3 G G unterstellt, entgegengetreten. Vertragsfreiheit solle selbstredend bewahrt bleiben; es handele sich hier vielmehr um einen Konflikt zweier Grundrechtsträger, der nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz zum Ausgleich zu bringen sei.304 Das mag grundsätzlich zutreffend sein, doch werden der Vertragsfreiheit dadurch zu enge Spielräume auferlegt. Im Zuge einer derartigen, allein verfassungsrechtlich ausgerichteten Güterabwägung werden die Einschränkungen von Freiheitsgrundrechten am Maßstab der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn gemessen. Im Ergebnis führt das zu einer an Grundrechtspositionen ausgerichteten Angemessenheitskontrolle des Vertrages, die dem Vertrag ein zu enges verfassungsrechtliches Korsett anlegt und letztlich die Existenz von Verträgen unmittelbar der Grundrechtsprüfung nach den Maßstäben der Bürger/Staat-Relation überläßt. Rechtssicherheit und Rechtsklarheit wären beeinträchtigt, »case-law« würde tendenziell an Bedeutung gewinnen. Das einfache Recht hätte an Bedeutung verloren, der Vertragsinhalt würde nicht durch die Parteien, son-
301
Schumann, Menschenrechtsbeschwerde, S. 207. Hager, JZ 1994, 373, 3 78 ff. 303 Vgl. Canaris, Festschrift für Lerche, S. 873, 883f.; Singer, Selbstbestimmung, S. 39ff.; Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 156. 304 Siehe nur Hager, JZ 1994, 375, 380, 383, m. weit. Nachw. 302
122
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher Selbstgestaltung
dem von Staats wegen bestimmt. Vor derartigen direkten Kontrollmaßnahmen ist die Privatautonomie zu bewahren. 305 Eine unmittelbare Grundrechtswirkung ist hinsichtlich der Staatsgewalt anzunehmen, nicht jedoch im Verhältnis der Bürger zueinander. A u c h die Judikative hat Grundrechte der Entscheidung nur insoweit zugrundezulegen, wie die Grundrechte das materielle Rechtsverhältnis beeinflussen. Beachtung finden sie als objektive Wertordnungen bei der Auslegung bürgerlich-rechtlicher Normen, v o r allem der Generalklauseln. Im Rahmen der Auslegung sind verfassungsrechtliche Wertungen dabei allerdings nur ein Aspekt, wenn auch ein gewichtiger. Hinzu kommen die Tragweite der einzelnen Tatbestandsmerkmale, die Stellung der Merkmale in der Vorschrift, die Stellung der Vorschrift im Gesetz und die des Gesetzes in der gesamten Rechtsordnung. Heranzuziehen ist ferner die Entstehungsgeschichte der Norm. Neben grammatischer, systematischer und historischer Interpretation ist die teleologische Auslegung v o n Bedeutung. Dabei geht es um Ziel und Zweck, die mit der Vorschrift, subjektiv nach den damaligen Vorstellungen des Gesetzgebers oder objektiv nach denjenigen im Zeitpunkt der Entscheidung, verbunden werden. 3 0 6 Die Ausrichtung an übergeordneten rechtsethischen Intentionen ist (auch) verfassungsgeprägt. A n dieser Stelle gewinnt die verfassungskonforme Auslegung an Bedeutung. Eine Auslegung, die den Verfassungsprinzipien nicht widerspricht und von den Auslegungskriterien getragen wird, ist jeder anderen, mit der Verfassung nicht in Einklang stehenden Interpretation vorzuziehen. 307 Die verfassungskonforme Auslegung hat sich dabei im Rahmen der »üblichen Auslegungsmethoden« 308 zu halten und eröffnet für sich genommen nicht die Möglichkeit, einer Norm einen abweichenden Inhalt zuzuordnen. 309 Auch die verfassungskonforme Auslegung muß sich in den Rahmen einfügen, der sich aus dem möglichen Wortsinn und dem Bedeutungszusammenhang des Gesetzes ergibt. Sie darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz keine entgegengesetzte Zielrichtung verleihen, den normativen Gehalt nicht grundlegend neu bestimmen, die gesetzgeberische Intention nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlen. 310 Von den Gerichten ist der Gewaltenteilungsgrundsatz zu beachten; es gilt das Konkretisierungsprimat des Gesetzgebers. Dort, wo sich der Gesetzgeber für einen bestimmten Voraussetzungskatalog und einen konkreten Zweck einer Norm entschieden hat, sind die Gerichte daran gebunden. Steht die von der Legislative getroffene Inhaltsbestimmung nicht im Einklang mit der Verfassung, ist dem Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit die Anerkennung zu versagen. Für eine Konkretisierung der verfassungstheoretischen Vorgaben durch die Gerichte im Wege der Auslegung ist deshalb vor allem dort Raum, wo eine Gesetzeslücke zu schließen ist oder der Ge305 Canaris, AcP 184 (1984), 201,209,219; ders., JuS 1989,161, \62; Fastrieb, Inhaltskontrolle, S.6f., 12f.; Singer, JZ 1995, 1133, 1136. 306 Zusammenfassender Uberblick zur Auslegung von Gesetzen bei Looschelders/Roth, Methodik, S. 119ff., m. zahlr. weit. Nachw. zum derzeitigen Erkenntnisstand. 307 Vgl. Müller, Methodik, S.85ff., m. weit. Nachw. 308 BVerfGE 59, 336, 350, 355. 309 Larenz, Methodenlehre, S. 339ff., m. weit. Nachw. 310 BVerfGE 54,277,299; ausdrücklich BVerfGE 8,28,34: »Keinesfalls darf jedoch eine solche verfassungskonforme Auslegung das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkte verfehlen oder verfälschen.«
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
123
setzgeber selbst durch die Verwendung von ausfüllungsbedürftigen Tatbestandsmerkmalen der Judikative einen Konkretisierungsauftrag erteilt hat. 311 Verfassungskonforme Interpretation meint die durch die Bindung der Rechtsprechung an die Verfassung geforderte Anwendung derselben, wenn über von indefiniten Normen des einfachen Rechts nicht vollständig gelöste Fragen zu entscheiden ist. Im Rahmen der Auslegung - insbesondere, aber nicht nur der Konkretisierung der ausfüllungsbedürftigen unbestimmten Tatbestandsmerkmale der für die Vertragskontrolle richtungweisenden Generalklauseln - kommen mithin allgemeine Prinzipien und Wertungen zur Anwendung, bei deren Gewinnung auch die grundrechtlichen Vorgaben eine Rolle spielen. Das Verhältnis von Vertragsfreiheit zu Vertragskontrolle wird somit auch durch die Grundrechte geprägt. Mittelbare Drittwirkung ist dahingehend zu verstehen, daß der Wertgehalt der Grundrechte bei der Auslegung zivilrechtlicher N o r m e n und bei der Ausfüllung von Generalklauseln zu berücksichtigen ist. 312 Im Verhältnis der Privatrechtssubjekte zueinander wirken Grundrechte folglich nur indirekt. Die Berücksichtigung ihrer Wertungen erfolgt abhängig vom Einzelfall im Wege der Auslegung. Grundrechte sind im Zuge einer mediaten Horizontalwirkung im Bürger/Bürger-Verhältnis zu beachten. Dieser Ansatz ermöglicht für eine Vielzahl von Fällen adäquate Lösungen. A n Grenzen stößt er, wenn für die Kontrolle einer speziellen vertraglichen Gestaltung keine Generalklausel zur Verfügung steht. Akzeptiert man die Rechtsprechung des B G H zur Reichweite und zu den Voraussetzungen der Generalklauseln313 und zugleich die Rechtsprechung des BVerfG zu Bürgschaften von einkommens- und vermögenslosen Angehörigen, zeigt sich paradigmatisch die mangelnde Universalität des Mittelbarkeitsansatzes. In den Bürgschaftsentscheidungen314 hat das BVerfG den Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle von Verträgen erweitert. Dem BVerfG kam es darauf an, daß im Falle einer strukturellen Unterlegenheit eine aus Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 G G abgeleitete verfassungsrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie und des Sozialstaatsprinzips eine Korrektur des Vertrages ermöglicht. Ist der Inhalt eines Vertrages für eine Seite »ungewöhnlich belastend« und als Interessenausgleich »offensichtlich unangemessen«, ist es nach der Auffassung des BVerfG Aufgabe der Instanzgerichte, »korrigierend einzugreifen«, wenn der Vertrag eine Folge »strukturell ungleicher Verhandlungsstärke« ist. 315 Eine einfachrechtliche Umsetzung gab das BVerfG nicht vor; die dogmatische Realisierung der verfassungsrechtlichen Postulate ist deshalb ungeklärt. 316 Die zur Inhaltskontrolle zur Verfügung stehenden Rechtsinstitute ermögli311 Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S.455ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 339ff.; umfassend Eckhardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 1964; Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm in der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung, 1969. 312 Anders Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 9: »Die Verwendung der Grundrechte als Wertungsprinzipien hat jedenfalls mit mittelbarer Geltung nichts zu tun.« In der Sache negiert allerdings auch Zöllner nicht, daß im Rahmen der Auslegung verfassungsrechtliche Vorgaben zu beachten sind. 313 Zur (bisherigen) Sichtweise sogleich. Zur Weiterentwicklung der Generalklauseln im Sinne des in dieser Arbeit entwickelten Vertragskontrollkonzeptes in den folgenden Kapiteln. 314 BVerfG NJW 1996, 2021; NJW 1994, 2749; BVerfGE 89, 214. 315 BVerfG NJW 1996, 2021; NJW 1994, 2749. 316 Drexl, JZ 1998, 1046, 1047; Fastrich, RdA 1997, 65, 69; Hergenröder, DZWiR 1994, 485, 488. BVerfG NJW 1996,2021: »Wie sie [die Gerichte] dabei zu verfahren haben und zu welchem
124
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
chen in ihrer bisherigen Ausgestaltung keine generell befriedigende Lösung, sondern allenfalls im Einzelfall eine den Vorgaben des Verfassungsgerichts genügende Entscheidung: - Versteht man den Begriff »entgeltliche Leistung« in § 1 Abs. 1 HaustürWG so, daß ein Vertrag dann als entgeltlich anzusehen ist, wenn jemand sein Leistungsversprechen in der dem Gegner erkennbaren Erwartung abgibt, ihm selbst oder einem bestimmten Dritten werde daraus ein Vorteil erwachsen, unterfällt auch die Bürgschaft eines Verbrauchers gegebenenfalls dem HaustürWG. 3 1 7 Nach Maßgabe des Gesetzes kann die Bürgschaftserklärung widerrufen werden. Sieht man davon ab, daß bereits die Vertragsabschlußsituation (§ 1 Abs. 1 Nr. 1-3 HaustürWG) in der Regel bei den in Frage stehenden Konstellationen in der Praxis nicht gegeben sein wird, ist davon auszugehen, daß die Banken den Kunden ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht einschließlich des genauen Beginns der Widerrufsfrist 318 belehren werden. Es verbleibt daher eine Widerrufsfrist von einer Woche. Ungleiche Verhandlungsstärke vermag die Regelung deshalb regelmäßig nicht oder - sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1-3 HaustürWG erfüllt - allenfalls zeitlich beschränkt zu kompensieren. Das HaustürWG verfolgt nicht den Zweck eines Disparitätsschutzes; durch die Einräumung einer nachträglichen Bedenkfrist soll dem Verbraucher bei Geschäften, bei denen aufgrund der örtlichen Gegebenheiten die Gefahr einer Überrumpelung besteht, ein Ausgleich dafür geschaffen werden, daß er bei einem auf Initiative des Anbieters beruhenden Vertragsschluß häufig keine hinreichende Möglichkeit hat, vorab andere Angebote zu prüfen oder sich den Vertragsschluß sorgfältig zu überlegen. 319 Die Haustürwiderrufsrichtlinie wie das HaustürWG wollen den Verbraucher gegen Überrumpelung und damit vor unüberlegten Vertragsschlüssen schützen. Den Vorgaben des BVerfG in den Bürgschaftsentscheidungen werden die Regelungen des HaustürWG grundsätzlich nicht gerecht. - Ebenfalls keinen allgemeinen Schutz vor ungleicher Verhandlungsstärke bietet das VerbrKrG. Das VerbrKrG ist nach herrschender Meinung auf Bürgschaften weder direkt noch analog anwendbar. 320 Eine Bürgschaft stellt in der Regel keine entgeltliche Leistung im Sinne des § 1 Abs. 2 VerbrKrG dar. Sie ist eine von der Hauptverbindlichkeit verschiedene eigene Verbindlichkeit. Deren Entstehen ist nicht mit dem Kreditgeschäft des Gläubigers mit dem Hauptschuldner verknüpft, dessen Sicherung der Grund der Bürgschaftsübernahme ist, auch wenn später durch die Akzessorietät die Durchsetzung des Anspruchs gegen den Bürgen vom Bestand der Hauptschuld abhängt, §767 BGB. 3 2 1 Mit den Schutz-
Ergebnis sie gelangen müssen, ist in erster Linie eine Frage des einfachen Rechts, dem die Verfassung einen weiten Spielraum läßt.« 317 Die Anwendungsvoraussetzungen sind im einzelnen noch ungeklärt, siehe Drexl, JZ 1998, 1046, 1057. In Abkehr von seiner älteren Rechtsprechung (BGHZ 113, 287) tendiert der BGH nach heftiger Kritik an dieser anfänglichen Einschätzung (vgl. Klingsporn, NJW 1991, 2229; Schanbacher, NJW 1991, 3263; Probst, JR 1992, 133; Wassermann, JuS 1992, 908) nunmehr zu dieser Sichtweise, NJW 1993,1595; JZ 1998,1072f.; ebenso der EuGH (Bayerische Hypothekenund Wechselbank AG/Dietzinger) JZ 1998,1071,1072, in bezug auf die Richtlinie 85/577/EWG. 318 BGH NJW 1993, 1013. 319 BT-Drucks. 10/2876, S. 1, 8f.; Drygala, NJW 1994, 3260; Probst, JR 1992, 133. 320 Vgl. BGH NJW 1997,1442; JZ 1998,1074; Edelmann, BB 1998,1017; Kabisch, WM 1998, 535; Schmidt-Burgk, DB 1997, 513f.; Zahn, DB 1992,1029,1032; ders., DB 1998, 353,355ff.; jeweils m. Nachw. zum Meinungsstand. Drexl setzt sich de lege ferenda für eine Anwendung des VerbrKrG auf Bürgschaften ein, JZ 1998, 1046, 1053. 321 Die Gegenauffassung tritt dafür ein, das VerbrKrG auch auf die Bürgschaft anzuwenden, Bülow, NJW 1996, 2889, 2891 ff.; Sölter, NJW 1998, 2192f.; v. Westphalen, MDR 1997, 307ff.; ders., DB 1998,295,296ff. Wenn der BGH das VerbrKrG auf den Schuldbeitritt analog anwende
J. Kapitel: Verfassungsrechtliche Implikationen
125
mechanismen des VerbrKrG kann deshalb die vom BVerfG erstrebte Korrektur von U n gleichgewichtslagen bei Vertragsabschlüssen regelmäßig nicht erreicht werden. - Bürgschaftsabsprachen sind regelmäßig Formularverträge, so daß das AGBG Platz greift, §§1, 2, 23 AGBG. Bedeutung können §3 A G B G und §9 A G B G sowie §24a Nr. 3 AGBG erhalten, letztere Vorschriften insbesondere dann, wenn dem Kreditnehmer unkalkulierbare Haftungsrisiken aufgebürdet werden. 322 Abgesehen von einer Kontrolle in Einzelfällen wird das AGBG dem Problem der Verhandlungsunterlegenheit im allgemeinen nicht gerecht. Das AGBG zielt auf eine Angemessenheitskontrolle spezieller Klauseln, nicht auf die gleiche Verhandlungsstärke der Parteien. Daran ändert auch §24a Nr. 3 AGBG nichts, der neben der generellen Betrachtung auch die Berücksichtigung konkretindividueller Umstände zuläßt. Das AGBG bleibt klauselbezogen; dies zeigt sich auch daran, daß im Falle der Teilnichtigkeit der übrige Vertragsinhalt nach §6 Abs. 1 AGBG wirksam bleibt. Das bisherige Verständnis einer AGB-Kontrolle erlaubt mithin keine grundsätzliche Paritätsprüfung im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. 323 - §310 BGB entsprechend anzuwenden, wenn ein vermögensloser Bürge sich für Dauer bis an die Grenze des Existenzminimums verschuldet, 324 löst weder die Imparitätsfrage, da auf die Vermögenslage abgestellt wird, noch ist die Vorgehensweise methodisch überzeugend. §310 BGB zielt nur auf Übertragungsgeschäfte. Eine analoge Anwendung auf Verpflichtungsgeschäfte scheidet aus. 325 - Ungleiche Verhandlungsstärke läßt sich in einigen Fällen über § 138 BGB kompensieren. §138 BGB räumt mit dem Wucherverbot und dem Maßstab der Sittenwidrigkeit der Vertragsfreiheit einen weiten Spielraum ein, der der rechtsgeschäftlichen Betätigung nur äußerste Grenzen setzt. Die Anwendung des § 138 BGB ist von engen Voraussetzungen abhängig. § 138 BGB ermöglicht eine Imparitätskontrolle nur in evidenten Fällen. Eine bloße Störung der Vertragsparität genügt - zumindest nach überkommenem Verständnis 326 nicht. Das spiegelt sich in der Rechtsprechung des B G H wider, der nach den Bürgschaftsentscheidungen des BVerfG weitere vergleichbare Fälle zu beurteilen hatte. Auch in diesen Fällen hing die Entscheidung davon ab, ob die strengen Voraussetzungen des § 138 BGB verwirklicht sind. Die Vorstellungen des BVerfG zum Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle blieben als eigenständiger Wertungsfaktor der Sittenwidrigkeitskontrolle bisher von untergeordneter Bedeutung, weil sie sich in die tradierte Prüfung der einzelnen Voraussetzungen nur schwerlich einordnen ließen. 327 Der Rechtsprechung des B G H zu § 138 Abs. 1 BGB fehlen ein dogmatisches Gesamtkonzept und eine nachvollziehbare Methodik. Die Schrift versucht, im folgenden (siehe v.a. das 8. Kapitel) beides aufzuzeigen.
De lege lata steht eine Vielzahl von Rechtsinstituten zur Verfügung, die punktuell eine Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Postulate im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung ihrer ausfüllungsbedürftigen Tatbestandsmerkmale ermöglichen. Es fehlt allerdings eine allgemeine, Rechtssicherheit bietende dogmatische Lösung. Der verfassungsgerichtliche Aufruf zur richterlichen Inter(BGH NJW 1997,3169,3170, m. weit. Nachw.), müsse dies auch für andere Sicherungsgeschäfte gelten. 322 BGH NJW 1991, 924; NJW 1989, 2383. 323 Einzelheiten im 10. Kapitel (S.426ff.). 324 So OLG Stuttgart NJW 1988, 833. 325 BGH NJW 1991, 2016; NJW 1989, 1277. 326 Vgl. Erman/Brox, §138 BGB Rn.30ff.; Palandt/Heinricks,% 138 BGB Rn.37ff., m. weit. Nachw. 327 Vgl. BGH NJW 1998, 597; WM 1997, 465, 511; NJW 1997, 3372, 1773, 52; NJW 1996, 1274, 513.
126
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
vention ist der rechtstheoretischen Ebene zuzuordnen und bedarf der Umsetzung in die Dogmatik des Zivilrechts. 328 Nach der Theorie einer mittelbaren Drittwirkung ist die Umsetzung rechtstheoretischer verfassungsrechtlicher Vorgaben auf das Medium des einfachen Rechts angewiesen. Grundrechtliche Wertungen können nur im Rahmen einfachrechtlicher Grenzen berücksichtigt werden. Die Voraussetzungen und Zielrichtungen der Gesetze beschränken den Rückgriff auf verfassungsrechtliche Wertungen. Funktionsstörungen des Vertrages lassen sich mit den vorgegebenen Vorschriften zwar punktuell auffangen, jedoch nicht allgemein einer Lösung zuführen. Die Umsetzung verfassungsrechtlicher Wertungen bleibt abhängig von den durch das einfache Recht gesetzten Rahmenbedingungen und den einzelnen Voraussetzungen. b) Modifikation durch Richterrecht (zweite Ebene) In Fällen, in denen die Voraussetzungen einer N o r m - auch bei verfassungskonformer Auslegung - nicht erfüllt werden, kann die verfassungstheoretisch gewünschte Lösung nicht realisiert werden. Die Grenze mittelbarer Drittwirkung ist dort erreicht, wo gegen den eindeutigen Wortlaut und Sinnzusammenhang verstoßen wird. 329 Nunmehr die vorgegebene einfachrechtliche Struktur zu verlassen und außerhalb der Methodenlehre eine tatsächliche Erscheinung aus verfassungstheoretischen Gründen extra oder contra legem unter ein Tatbestandsmerkmal zu subsumieren, ist mit der Lehre der mittelbaren Drittwirkung nicht vereinbar. Eine derartige Vorgehensweise würde die gesetzlichen Vorgaben und die Methodenlehre vernachlässigen. Das einfache Recht würde zur bloßen Hülle für grundrechtliche Wertungen degradiert. In der Sache hieße das, Grundrechte ohne Rücksicht auf einfachrechtliche Vorgaben direkt anzuwenden. 330 Dies ist aber - wie dargetan - nicht möglich. Daraus folgt: Es stellt keinen gangbaren Weg dar, den Anwendungsbereich gesetzten Rechts (insbesondere der Generalklauseln) zu überschreiten und den durch die Methodenlehre gesteckten Rahmen der Norminterpretation zu verlassen, um (neue) verfassungstheoretische Erkenntnisse zivilrechtlich umzusetzen. Das widerspräche auch dem Rechtsstaatsprinzip, das Rechtsklarheit und Rechtsbestimmtheit verlangt. Gefordert bleibt entsprechend dem Gewaltenteilungsgrundsatz der Gesetzgeber. Die Judikative kann die grundrechtlichen Wertungen auf den konkreten Fall nicht ohne gesetzliche Ermächtigung umsetzen. Scheitert eine Realisierung verfassungstheoretischer Erkenntnisse durch Ausfüllung einfachgesetzlicher Vorschriften an deren Anwendungsbereich oder deren Voraussetzungen, ist das Verfassungsrecht dadurch für das Privatrecht fruchtbar zu machen, daß die Legislative in ein Privatrechtsgesetz grundrechtliche Wertungen einfließen läßt. Der Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung der Rechtsordnung der Wertordung der Grundrechte im Sinne der prakDieterich, RdA 1995, 129, 131; Fastrich, RdA 1997, 65, 67; Rittner, NJW 1994, 3330. Ausführlich Müller, Normstruktur, S. 157ff.; Ipsen, Richterrecht, S. 235f.; siehe auch Schmalz, Methodenlehre, Rn. 50; Larenz, Methodenlehre, S.343. 330 Ähnlich Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 9. 328
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3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
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tischen Konkordanz kollidierender Grundrechtspositionen Rechnung zu tragen. Die kollidierenden Grundrechte sind vom Gesetzgeber in ihrer Wechselwirkung zu begreifen und so einfachrechtlich auszuformen, daß sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. Wo die mediate Horizontalwirkung nicht weiterhilft, ist nicht der einzelne Teilnehmer am Privatrechtsverkehr unmittelbar an die Grundrechte gebunden, sondern der Gesetzgeber ist aufgerufen zu handeln. Bereits aus demokratietheoretischen Gründen kommt dem Gesetzgeber eine Prärogative zu. 331 Eine Ausnahme ist nur dann - und das stellt die Modifikation der mediaten Horizontalwirkung, die zweite Ebene, dar - zu machen, wenn die gesetzlichen Normen mit ihrem Voraussetzungskatalog im Lichte der Verfassung für die einschlägige Fallgruppe nicht mehr angemessen erscheinen, es sich um eine allgemeine, typisierbare Fallgruppe handelt und - das ist entscheidend - die Voraussetzungen einer Rechtsfortbildung bestehen. Ausgangspunkt ist eine nicht auf den Einzelfall begrenzte regelungsbedürftige tatsächliche Situation. 332 Bei einer derartigen Konstellation verlangt die im Grundgesetz verankerte Wertordnung eine Reaktion der staatlichen Gewalt - regelmäßig der Legislative, bei Untätigkeit des Gesetzgebers eine solche der Justiz. Bleibt der Gesetzgeber hier, aus welchen Gründen auch immer, untätig, ist also nicht »richterliche Ohnmacht« 3 3 3 festzustellen, sondern eine rechtliche Reaktion im Wege einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung 334 möglich. Dem als regelungsbedürftig erkannten Interessenkonflikt ist eine typisierbare, generell-abstrakte Situation zu entnehmen, für die eine richterliche Regel zu entwickeln ist. Dabei zwingen nicht nur Lücken im Gesetz, sondern auch vollständig ungeregelte Rechtsfragen die Judikatur, gegebenenfalls rechtsschöpferisch tätig zu werden. 335 Die rechtsprechende Gewalt ist gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an das Gesetz, also die Vorgaben der Legislative gebunden. Die Judikative hat gesetzliche Regeln ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, die vom Gesetzgeber gewählte Lösung auf ihre Zweckmäßigkeit zu prüfen oder zu untersuchen, ob es sich um eine gerechte Lösung eines Interessenkonfliktes handelt. 336 Auch bei einer Sachverhaltskonstellation, für deren Behandlung gesetzliche Regeln nicht bereitgestellt sind, ergibt sich wegen des Wesentlichkeitsgrundsatzes keine Regelungskompetenz des Gerichts. Sämtliche für das Zusammenleben der
331 Vgl. Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 70; Hesse, Verfassungsrecht, S.27ff.; Singer, JZ 1995, 1133, 1138. 332 Dazu Canaris, Festschrift für Kitagawa, S. 59,75; Gusy, JZ 1 9 9 1 , 2 1 3 f f . ; Schmidt, Rechtsfiguren, S.11 ff. 333 Singer, JZ 1995, 1133, 1138. 334 Nicht hierher zählen die Methoden, die sich - wie Analogie, teleologische Reduktion oder Extension - noch im Rahmen der Teleologie des Gesetzes selbst halten. Dabei handelt es sich um gesetzesimmanente Rechtsfortbildung, während hier eine praeter legem (im engeren Sinn) im Raum steht. Kritisch gegenüber dieser Terminologie Redeker, N J W 1972, 409, 410. 335 Vgl. nur Schneider, Richterrecht, S. lOff. 336 Vgl. Meier-Hayoz, J Z 1981, 417, 419; Söllner, ZG 1995, 1, 3.
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Staatsbürger maßgeblichen Regularien sind v o m Gesetzgeber zu treffen. 3 3 7 Die Rechtsprechung ist allerdings nicht nur an das »Gesetz«, sondern nach A r t . 20 Abs. 3 G G auch an das »Recht« gebunden. Daraus wird - zumindest nach der Lesart des B V e r f G und eines Teils der Literatur 3 3 8 - geschlossen, daß neben dem gesetzten Recht ein Recht besteht, das seine »Quelle in der verfassungsmäßigen Rechtsordnung als einem Sinnganzen besitzt und dem geschriebenen Gesetz gegenüber als Korrektiv zu wirken vermag.« 3 3 9 Die Bindung an »Gesetz und Recht« stellt eine Absage an einen eng verstandenen Gesetzespositivismus dar und impliziert die Befugnis, Gesetze in Einklang mit dem Recht zu bringen. Erforderlichenfalls hat deshalb das in der Verfassungsordnung als Sinnganzem enthaltene »Recht« das positiv gesetzte Recht mittels gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung zu modifizieren; 3 4 0 die Möglichkeit einer Gesetzeskorrektur ist eröffnet. Seine Legitimation findet Richterrecht zudem im Justizgewährungsanspruch. 3 4 1 Ein Rechtsstreit ist auch dann zu entscheiden, wenn keine unmittelbar einschlägige N o r m herangezogen werden kann; Konsequenz ist unter Umständen eine Fortbildung des Rechts. Hinzu kommt, daß der Gesetzgeber den Großen Senaten die Aufgabe einer Fortbildung des Rechts in § 132 Abs. 4 G V G ausdrücklich zugewiesen hat. 342 Die Zulässigkeit gesetzesübersteigenden Richterrechts ist deshalb im Grundsatz allgemein anerkannt und notwendiger Bestandteil einer Rechtsordnung. 3 4 3 337 Manssen, Grundrechtsdogmatik, Rn. 526; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn.287ff.; BVerfGE 88, 103, 116; 61, 260, 275; 49, 89; 47, 46; 41, 251. 338 BVerfGE 34, 269, 287; Latenz, Methodenlehre, S.368f.; Looschelders/Roth, Methodik, S.255ff., m. zahlr. weit. Nachw. zum Streitstand. 339 BVerfGE 34,269, 287; in diesem Sinne auch BVerfGE 3,225,242; 13, 153,164; BGHZ 11, 30, 35; 17, 269, 275. 340 Söllner, RdA 1985, 328, 329. Allgemein zur Befugnis einer Gesetzeskorrektur Looschelders/Roth, Methodik, S. 244ff. 341 Verweigert das Gericht eine Entscheidung, kann der Bürger im Wege einer Verfassungsbeschwerde dagegen vorgehen (vgl. BVerfGE 52,203,206; 51,352,353; 51,146,148). Die konkrete verfassungsrechtliche Verortung ist umstritten: Eine Ansicht führt den Rechtsschutzanspruch unmittelbar auf materielle Grundrechte zurück (BVerfGE 24,367,401 f.; 35,348,360ff.), eine andere leitet ihn aus dem Rechtsstaatsprinzip i.V.m. Art. 19 Abs.4 GG ab ( B ö t t i c h e r , ZZP 75 (1962), 28,43f.). Teilweise wird die Grundlage in Art. 1 Abs. 1 S. 1, Art. 3 Abs. 1 GG ( H a b s c h e i d , ZZP 67 (1954), 188,196f.), in Art. 101 Abs. 1 S.2 GG (Schwab, ZZP 81 (1968), 412,417; BVerfGE 3,359,364), Art. 103 Abs. 1 GG (Baur, AcP 153 (1954), 393,396; Habscheid, ZZP 67 (1954), 188, 197; ders., ZZP 96 (1983), 306f.) oder Art.6 MRK (Schwab, ZZP 81 (1968), 412, 417) gesehen. 342 Nachdem bei der Neufassung des § 137 Abs. 1 GVG durch das Gesetz vom 28. Juni 1935 (RGBl. I, S. 844) die »Fortbildung des Rechts« ausdrücklich in die höchstrichterlichen Funktionen einbezogen wurde, sprach das Reichsgericht (RGZ 162, 244, 247) von der »Aufgabe des Richters als rechtsschöpfendes Organ des Staates neben den geschriebenen Rechtssatz einen entsprechenden ungeschriebenen zu setzen.« 343 Legitimation, Voraussetzungen und Grenzen von Richterrecht praeter legem sind zwar Gegenstand zahlreicher Untersuchungen, aber bis heute im einzelnen noch nicht geklärt. Im Rahmen dieser Arbeit kann auf Einzelheiten nicht eingegangen werden; von Interesse ist lediglich die Möglichkeit, verfassungstheoretischen Erkenntnissen im Wege des Richterrechts privatrechtlich Geltung zu verleihen. Zu den Streitfragen über richterrechtliche Rechtsfortbildung liegen sehr unterschiedliche Stellungnahmen vor, siehe z.B. die Beiträge in: Richterliche Rechts-
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I m Detail ungeklärt ist die Bestimmung der zulässigen Argumenttypen. In A n lehnung an die anglo-amerikanische Terminologie wird dabei unter anderem darüber diskutiert, ob sich der Richter bei seiner methodisch geleiteten Begründung des Richterrechts neben principies auch auf policies stützen darf. 3 4 4 Zur Frage, inwieweit neben rechtlichen auch rechtspolitische Argumente bei der richterlichen Rechtsfortbildung herangezogen werden können, 3 4 5 ist zu bemerken, daß W e sentlichkeitstheorie, Demokratieprinzip und Gewaltenteilungsgrundsatz es der Judikative verwehren, rechtspolitische Zweckmäßigkeitserwägungen der richterlichen Entscheidungsfindung zugrundezulegen. Bei der Rechtsfortbildung sind die Gerichte auf eine Entscheidungsfindung innerhalb des Rechtssystems beschränkt; von der Legislative stammende Vorgaben haben die Enscheidungsgrundlage zu bilden und als »Aufhänger« der Rechtsfortbildung zu dienen. Das hat zur Folge, daß selbst in Bereichen, in denen die Gesetzgebung keine Regelungen vorgegeben hat, die Rechtsprechung nicht als »Ersatzgesetzgeber« fungieren könne. 3 4 6 Das Gericht hat nicht zu fragen, welche Entscheidung unter B e r ü c k sichtigung aller möglichen (rechtlichen, politischen, moralischen und ö k o n o m i schen) Argumente die angemessenste wäre, sondern nur darauf abzustellen, welche Fallbearbeitung sich in die geltende Rechtsordnung homogen einfügt. J u d i kative K o m p e t e n z heißt, die beste rechtlich begründbare Lösung zu finden, da der Richter seiner F u n k t i o n nach enger gebunden ist als der Gesetzgeber. 3 4 7 R i c h terliche Rechtsfortbildung meint nicht Ersatzgesetzgebung, sondern A n w e n dung und Fortentwicklung des Rechts.
fortbildung, Erscheinungsformen, Auftrag und Grenzen, Festschrift der juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 1986; Bydlinski, JZ 1985, 151; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, Eine methodologische Studie über Voraussetzungen und Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung praeter legem, 2. Aufl. 1983; Coing, JuS 1975, 277; Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 4. Aufl. 1990; Fischer, Die Weiterbildung des Rechts durch die Rechtsprechung, 1971; Gusy, DOV 1992, 461; Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, 1996; Larenz, NJW 1965,1; ders., Festschrift für Nikisch, S.275; Meier-Hayoz, JZ 1981,417; Müller, Richterrecht, Elemente einer Verfassungstheorie, 1986; Orru, ZRP 1989, 441; Picker, JZ 1988, 1, 62; Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 1997; Rüthers, Festschrift für Molitor, S.293; Sendler, DVB1. 1988, 828; ders., NJW 1987, 3240; Söllner, ZG 1995, 1; Wagner, BB 1986, 465; Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978; ders., ZGR 1988, 314. Allgemeine Kritik bei Hattenhauer, ZRP 1978, 83; dagegen Haverkate, ZRP 1978, 88. 344 Uberblick zur anglo-amerikanischen Methodik bei Langenbucher, Entwicklung, S. 4ff. Neben rechtlichen und rechtspolitischen Argumenten können für richterliche Rechtsfortbildung unter Umständen moralische Aspekte (vgl. Alexy, Begriff, S. 115ff.; Hoerster, NJW 1986, 2482ff.; ders., JuS 1987,187ff.) oder praktische Argumente (vgl. Alexy, Argumentation, S. 255ff., 346ff.; Larenz, Methodenlehre, S.414ff.) Bedeutung gewinnen. 345 Dagegen Langenbucher, Entwicklung, S.22ff.; Neuner, Rechtsfindung, S. 54ff.; Stern, Staatsrecht Bd. I, §20 IV a 4; prinzipiell dafür Grimm, JuS 1969, 501, 507; Ipsen, Richterrecht, S. 130ff.; ders., DVB1. 1984, 1103ff.; Redeker, NJW 1972, 409, 411; Wank, Grenzen, S.113ff.; ders., ZGR 1988, 314ff. 346 Vgl. Henke, DRiZ 1974,173; v. Hoyningen-Huene, Festschrift Ruprecht-Karls-Universität, S.353ff.; Langenbucher, Entwicklung, S.22ff.; Sendler, DVB1. 1988, 828, 836. 347 BVerfGE 13,318,331.
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D a m i t ist ein maßgeblicher E c k p u n k t der Horizontalwirkung grundrechtlicher Vorgaben durch Richterrecht gefunden: U m eine möglichst klare R ü c k b i n dung von Richterrecht zu erreichen, ist die Rechtsfortbildung anhand der existierenden geschriebenen Regelungsmodelle zu entwickeln. D i e Anbindung an eine gesetzliche Vorschrift zeigt die Verankerung im gesetzten Recht auf und läßt deutlich werden, inwieweit von Tatbestandsmerkmalen oder Rechtsfolgen der N o r m abgewichen wird. 3 4 8 Ubertragen auf den Bereich der Vertragskontrolle bedeutet das, daß beispielsweise bei einer Sachverhaltskonstellation, die im Grunde zwar § 138 Abs. 1 B G B zuzuordnen, aber nicht unter die Tatbestandsmerkmale zu subsumieren ist, eine Abweichung von den gesetzlichen Erfordernissen auf richterrechtlichem Weg notwendig sein kann. Richterliche Rechtsfortbildung ist also auch dann gesetzlich zu strukturieren und an die geschriebenen Vorgaben anzubinden, wenn es sich um gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung handelt. E i ne derartige von gesetzlichen Vorgaben abweichende Rechtsfortbildung hat des weiteren eine Legitimation anhand von Rechtsprinzipien zu erfahren, die aufzeigen, warum für die typisierbare, abstrakt-generelle Fallgruppe eine andere L ö sung als die bisher gefundene vorzugswürdig ist. 3 4 9 F ü r diese neben die dogmatische Strukturierung von Richterrecht tretende wertungsmäßige Begründung sind unterschiedliche Gesichtspunkte denkbar. 3 5 0 Legitimationsgrundlagen können sich insbesondere aus der Verfassung ergeben. E i n e aus verfassungsrechtlicher Sicht angezeigte Rechtsfortbildung gewinnt häufig dann an Bedeutung, wenn ein Verfassungsprinzip neu erkannt wird. Diese E r kenntnis von Verfassungswerten ermöglicht gesetzesübersteigendes Richterrecht, also eine Rechtsanwendung, die sich nur mangelhaft an bestehendes Gesetzesrecht anbinden läßt, aber verfassungs- und wertungsmäßig für dringend erforderlich gehalten wird. Ein Beispiel stellt die Einordnung des »Persönlichkeitsrechts« als »sonstiges R e c h t « im Sinne des § 8 2 3 Abs. 1 B G B dar. 351 M i t der K o n zeption eines »allgemeinen Persönlichkeitsrechts« hat sich der B G H über die konkreten Tatbestandsvorgaben des § 823 Abs. 1 B G B hinweggesetzt und - k o n trär zur gesetzlichen Konzeption - einen generalklauselartigen Unrechtstatbestand geschaffen, dessen G r e n z e n erst von Fall zu Fall bestimmt werden k ö n nen. 3 5 2 Gerechtfertigt hat der B G H seine Rechtsfortbildung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 G G . Exemplarisch für richterliche Rechtsfortbildung aus verfassungsrechtlichem Anlaß ist auch der Eheschutz durch Beseitigungs- und U n t e r lassungsklage. 3 5 3 H i e r zeigt sich, wie der B G H kollidierende Persönlichkeits- und Vgl. Mayer-Maly, 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S.393, 395. Ahnlich Larenz, Kennzeichen, S. 13f. 350 Überblick bei Larenz, Methodenlehre, S.413ff.; Langenbucher, Entwicklung, S.45ff.; Looschelders/Roth, Methodik, S.230ff. 351' Seit BGHZ 13, 334 ständige Rechtsprechung; siehe auch Kaiser, ZRP 1985, 111. 352 Das ist auch der Grund, warum es sich hier nicht um eine gesetzesimmanente, sondern um eine gesetzesübersteigende richterliche Rechtsfortbildung aus verfassungsrechtlichem Anlaß handelt; näher Larenz, Methodenlehre, S.425f. 353 Ausdrücklich Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, §17 II 2 (m. Nachw. zur Gegenmeinung in Fn.2); ähnlich Erman/Heckelmann, § 1353 Rn.23; Soergel/Lange, § 1353 Rn. 38; 348
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Freiheitsrechte gegeneinander abwägt, den gesetzlichen Regelungen in §§823 Abs. 1, 1004 B G B , §888 Abs.2 ZPO gegenüberstellt und letztlich der Wertung des Art. 6 GG, wonach die Ehe unter besonderem vorbehaltlosem staatlichem Schutz steht, 354 den Schutz des »räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe« entnimmt. Die einfachgesetzlichen Vorgaben355 waren deshalb aufgrund eines der Verfassung immanenten Wertes zu korrigieren. Ein Fall, bei dem der Verfassungsrechtswert nicht dasjenige Gewicht erreicht, das eine Abweichung von der gesetzlichen Tatbestandsbeschreibung rechtfertigt, stellt dagegen der Schadensersatzanspruch des betrogenen Ehepartners gegen den ehebrecherischen Ehepartner dar. Trotz der Wertung in Art. 6 G G lehnt der B G H einen Schadensersatzanspruch ab. Der Gesetzgeber hat bewußt Sonderregelungen für die Verletzung ehelicher Pflichten (§§ 1353,1361,1933,2077,2335 B G B ) geschaffen. Die richterrechtliche Modifikation des §823 Abs. 1 B G B hieße mittels §249 B G B den Ehegatten so zu stellen, als bestünde die Ehe noch - die familienrechtliche Rechtsfolgensystematik mit ihrem Abstellen auf einen angemessenen Unterhalt (§§ 1569ff. B G B ) geriete aus dem Lot. Das läßt sich aus Art. 6 G G nicht ableiten.356 Auch für das Arbeitsrecht gilt nichts anderes. Auszugehen ist von einer mediaten Drittwirkung; Grundrechte gewinnen im Verhältnis der Bürger zueinander Bedeutung mittels wertungsbedürftiger einfachrechtlicher Vorgaben. Arbeitsrechtliche Fragen lassen sich häufig weder im Wege (einfacher) Auslegung noch einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung lösen. Stellenweise fehlt es bereits an einfachgesetzlichen Regelungen. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung ist deshalb ein Charakteristikum des Arbeitsrechts. 357 Die lückenhaften gesetzlichen Vorgaben als Rechtfertigung für eine besondere arbeitsrechtliche Methodik zu nehmen oder eine Sonderrolle des Arbeitsrechts zu postulieren, 358 ist weder angezeigt noch notwendig. Die Rollen des Arbeitnehmers als Vertragspartner des Arbeitgebers, Mitglied der Belegschaft und möglicherweise Gewerkschafter auf der einen und die Rollen des Arbeitgebers als Vertragspartner der Arbeitnehmer, Betriebsorgan und Unternehmer auf der anderen Seite lassen sich zwar mit je eigeWacke, in: MünchKommBGB, § 1353 Rn. 42; seit BGHZ 6,360,365ff. ständige Rechtsprechung, vgl. nur O L G Stuttgart FamRZ 1980, 49; O L G Karlsruhe FamRZ 1980, 139; O L G München FamRZ 1973, 93. 354 Die vorbehaltlose (BVerfGE 31, 58, 68f.) Grundrechtsverbürgung erlaubt Beschränkungen nur im Interesse kollidierenden Verfassungsrechts; unbenommen bleiben die subjektivrechtlichen Auswirkungen der rechtsinstitutsgestaltenden gesetzgeberischen Tätigkeit (BVerfGE 53, 224, 245). 355 Zu den unterschiedlichen einfachrechtlichen Lösungsansätzen siehe O L G Düsseldorf FamRZ 1981, 577. 356 BGH NJW 1990,706; BGHZ 80,235,237f.; 57,239; Dieckmann, JuS 1969,105f.; Langenhucher, Entwicklung, S. 59f.; Löwisch, Deliktsschutz, S. 188ff.; möglich bleibt u.U. ein Anspruch aus § 826 BGB (LG Baden-Baden NJW 1992,1415). A.A. etwa Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 17 III, m. weit. Nachw. zur Gegenmeinung und ausführlicher Würdigung der für und gegen eine Schadensersatzpflicht sprechenden Gründe. 357 Statt aller Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 388: »Der Richter ist der eigentliche Herr des Arbeitsrechts«; S.445: »Das Richterrecht bleibt unser Schicksal.« 358 Vgl. Müller, JuS 1980, 627, 633 ff.
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nen Rechten und Pflichten ausstatten, sind aber ebensowenig ein G r u n d für eine methodische Sonderrolle wie das Interesse des Arbeitnehmers am Schutz seiner Existenzgrundlage. 3 5 9 Zu R e c h t hat deshalb das B V e r f G in seiner Entscheidung v o m 19.10. 1983 der richterrechtlichen Schaffung einer Rangstelle »Null« unter den Konkursforderungen nach § 6 1 Abs. 1 K O eine Absage erteilt. 3 6 0 A u c h das Arbeitsgericht kann die Wertungen des N o r m g e b e r s nicht nachprüfen und im Falle eines Widerspruchs zu den sozialen Regelungserwartungen durch eigene ersetzen. 3 6 1 Das Sozialstaatsprinzip als verfassungsrechtlicher Wert läßt angesichts seiner Weite und Unbestimmtheit eine K o r r e k t u r mangels justitiabler Kriterien nicht zu. H i e r hat sich also - ebenso wie im Falle eines Schadensersatzanspruches bei Ehestörung - die richterrechtliche Fortbildung des § 6 1 Abs. 1 K O nicht konsistent in die Rechtsordnung eingefügt. Das Arbeitsrecht ist aber auch reich an gegenteiligen Beispielen. G e n a n n t sei nur das Arbeitskampfrecht. Gelangen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften über den Inhalt eines Tarifvertrages nicht zur Einigung, bleibt als Ausweg der Arbeitskampf. Gegenstand des Arbeitskampfes sind Regelungsstreitigkeiten, 3 6 2 die »im freien Spiel der Kräfte« 3 6 3 ausgetragen werden sollen. D i e Rechtsordnung hat lediglich die Rahmenbedingungen und Rechtmäßigkeitserfordernisse zu regeln. Gefordert ist in erster Linie der G e setzgeber; dem Richter fehlt die demokratische Legitimation, anstelle des Gesetzgebers Regelungen mit normgleicher Wirkung zu erlassen. N a c h d e m der Gesetzgeber nicht tätig geworden ist, wird es Aufgabe des Richterrechts, zu den Voraussetzungen des Arbeitskampfes Stellung zu nehmen. Beschrieben ist damit eine weitere Voraussetzung der richterlichen Rechtsfortbildung: D i e Judikative darf mittels Rechtsfortbildung dem Gesetzgeber nicht vorgreifen, Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 G G . F ü r Richterrecht ist kein R a u m , wenn ein Gesetzgebungsverfahren beabsichtigt ist. 3 6 4 Mangels gesetzlicher Vorhaben 3 6 5 und damit der Möglichkeit gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung 3 6 6 entwickelte das B A G , vor allem in drei Vgl. Reuter, RdA 1985, 321, 324ff.; Söllner, RdA 1985, 328, 331. BVerfGE 65, 182 (gegen den Großen Senat des BAG NJW 1979, 774, 780). 361 Reuter, RdA 1985, 321, 322. 362 Dütz, RdA 1978,291 ff.; Kissel/Schick, RdA 1991,321f.;ft>7/raer,ZfA 1982,1 ff.; ders., Festschrift für Molitor, S. 333, 335. 363 BAGE 73, 320, 329. 364 Heußner, Festschrift für Hilger und Stumpf, S. 317, 322; Hilger, Festschrift für Larenz, S. 109 ff. 365 Zur umstrittenen Frage, ob ein Arbeitskampfgesetz nützlich oder sogar aus rechtsstaatlichen Gründen notwendig ist, vgl. u.a. Richardi, Festschrift für Molitor, S.267ff.; Seiter, RdA 1986, 165, 172; Wank, RdA 1989, 263ff.; Scholz, ZfA 1990, 377ff. Vorschläge einer gesetzlichen Regelung bei Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, Entwurf und Begründung, 1988; hierzu Hromadka, NZA 1989, 379f.; Müller, DB 1989, 42ff.; weitere Gesetzesvorschläge bei Heinze, Festschrift für Molitor, S. 159ff.; Löwisch, 7AK 1985, 52ff. 366 Unmittelbare Drittwirkung entfaltet Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG, der die Koalitionsfreiheit auch gegen private Ubergriffe schützt. Uber diesen beschränkten Anwendungsbereich hinaus sagt die Klausel nichts über verfassungsrechtlich inspiriertes Richterrecht bei Arbeitskampfmaßnahmen. 359 360
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Leitentscheidungen, 367 mittels Richterrecht die wesentlichen Eckpunkte des Arbeitskampfrechts. Die J u d i k a t u r des BVerfG und des B A G hat in den vergangenen vier Jahrzehnten ein weitgehend ausdifferenziertes System gesetzesvertretenden Richterrechts geschaffen. Kritischen Stimmen, die darin einen Verstoß gegen die Wesentlichkeitstheorie sahen, 3 6 8 hat das BVerfG entgegengehalten: Soweit die O r d n u n g des Verhältnisses gleichgeordneter G r u n d rechtsträger betroffen ist, habe die normative A u s f o r m u n g nicht zwingend durch gesetzliche Regelungen zu erfolgen. Bei unzureichenden gesetzlichen Vorgaben könnten und müßten die Arbeitsgerichte vielmehr im Rahmen ihrer Möglichkeiten und innerhalb der gesetzten Grenzen das materielle Recht entwickeln. 3 6 9
Die wertungsmäßige verfassungsrechtliche Begründung geht maßgeblich auf Art. 9 Abs. 3 GG oder - genauer - auf die daraus abgeleiteten ungeschriebenen Kriterien der Tarifautonomie zurück. 370 Unabhängig von der Diskussion 371 um die konkrete Bedeutung der in einzelnen Gesetzen verstreuten Vorschriften zum Arbeitskampf (§25 KSchG, §11 Abs. 5 AÜG, §21 Abs. 6 SchwbG, §2 ArbGG, §74 Abs. 2 BetrVG) hat sich das Richterrecht in die Rechtsordnung einzufügen; Richterrecht hat dem rechtsstaatlichen Gebot einer in sich konsistenten Rechtsordnung zu genügen. 372 Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich die Struktur des Einflusses verfassungsrechtlicher Vorgaben auf das Privatrechtsverhältnis. Grundrechte wirken mittelbar in der Bürger/Bürger-Relation. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Voraussetzungen für eine richterrechtliche Rechtsfortbildung erfüllt sind. Zusammenfassend ist folgendes festzuhalten: - Notwendig ist zunächst eine regelungsbedürftige typisierbare Situation, die keine gesetzliche Berücksichtigung erfahren hat. Dabei darf es sich nicht um einen Einzelfall handeln; das Gericht hat also insoweit über den konkreten Fall hinaus den regelungsbedürftigen Konflikt insgesamt zu würdigen. Der zur Entscheidung gestellte Einzelfall darf nur Anlaß für die richterliche Rechtsfortbildung sein, nicht seine alleinige Intention. Richterrecht im hier verstandenen Sinn ist nicht möglich, w e n n ein Vertragspartner im Einzelfall den Anforderungen, welche die Privatautonomie an ein selbstverantwortliches Abschluß verhalten stellt, nicht nachkommt und die Die Koalitionsfreiheit bedarf der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung, soweit das Verhältnis der Tarifvertragsparteien zueinander berührt ist, die beide den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG genießen, vgl. BVerfGE 84, 212, 228. 367 BAGE 1, 291; 23, 292; 33, 140, 185. 368 EtwaFriauf, RdA 1986,188, 192; Kloepfer, N J W 1985,2497,2498; Müller, DB 1989,42,43. 369 BVerfGE 88, 103, 115f.; 84, 212, 226f. 370 Näher Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 7, m. zahlr. weit. Nachw.; zu weiteren bedeutsamen Grundrechten ders., a.a.O., §20 III 2 h. 371 Teilweise wird angenommen, die Vorschriften befaßten sich nur mit den Folgen des Arbeitskampfes, ohne zu dessen Voraussetzungen Stellung zu nehmen (Wollenschläger/Frölich, AuR 1990,102ff;, Scholz/Konzen, DB 1980,1593, 1595; Isensee, DZWiR 1994,309,310), teilweise die gegenteilige Sichtweise vertreten (Kissel/Schick, RdA 1991, 321, 322; Seiter, RdA 1981, 65, 70; Söllner, RdA 1980, 14, 19). 372 Wank, Rechtsfortbildung, S. 188 ff.
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1. Teil: Grundlagen
privatrechtlicher
Selbstgestaltung
andere Seite das zu ihren G u n s t e n unverhältnismäßig ausnutzt. N o t w e n d i g ist ein typisches, generelles Versagen der Rechtsordnung; nur in einem solchen allgemeinen Fall ist der Gesetzgeber und - wenn dieser nicht handelt - subsidiär die Rechtsprechung aufgerufen, ihrer O r d n u n g s f u n k t i o n n a c h z u k o m m e n und entsprechendes (Richter-)Recht zu entwikkeln.
- Nächstes Erfordernis ist, daß die Frage nicht im Rahmen der mediaten Horizontalwirkung, also weder im Wege der Gesetzesauslegung noch einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung, gelöst werden kann. - In einem weiteren Schritt ist aus dem existierenden Rechtssystem eine verallgemeinerungsfähige Regel abzuleiten. Diese hat sich den vorgegebenen gesetzlichen Normen anzunähern und an diesen zu orientieren. D i e richterliche Kontrolle der Vertragsfreiheit anhand verfassungsrechtlicher Wertungen hat sich dabei am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auszurichten. Richterliche Intervention darf nicht übermäßig in die Selbstgestaltung eingreifen. 3 7 3 D a s Gericht hat beispielsweise zu prüfen, ob eine Inhaltskontrolle angezeigt ist oder ob sich die Funktionsstörung des Vertrages möglicherweise mit milderen Mitteln wie F o r m v o r g a b e n , Widerrufsfristen oder Aufklärungspflichten beheben läßt. 3 7 4
- Dieses gesetzesübersteigende Richterrecht ist wertungsmäßig zu begründen. Es muß sein Ziel auf ein vorhandenes, d.h. entweder in der Privatrechtsordnung verankertes oder verfassungsrechtlich positiviertes, Rechtsprinzip zurückführen lassen, den Zusammenhang zwischen dem Ziel und dem geplanten Rechtssatz darlegen und schließlich den neuen Rechtssatz (in der Regel die Modifikation der Tatbestands- oder Rechtsfolgenebene eines geschriebenen Rechtssatzes) als mit dem System des vorhandenen Rechts nach Wertung und Wirkung vereinbar ausweisen können. Auf dieser Ebene ermöglicht mithin ein Rückgriff auf verfassungsrechtliche Wertungen in gewisser Weise eine Korrektur gesetzlicher Regeln. Innerhalb dieses engen Rahmens ist die Theorie der mittelbaren Drittwirkung also zu modifizieren und grundrechtlichen Wertungen Geltung zu verschaffen. Rechtsfortbildung außerhalb des Gesetzes, aber im Rahmen der einheitlichen Rechtsordnung (praeter legem - intra ius) ist dann ausgeschlossen, wenn die Entscheidung nicht mehr allein mit rechtlichen Erwägungen begründet werden kann, sondern eine an Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten orientierte politische Entscheidung erfordert. Eine solche ist Sache des Gesetzgebers. 3 7 5 Richterrecht entsteht nicht ad hoc, sondern schrittweise, indem beispielsweise eine grundrechtliche Wertung hinsichtlich Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle 373 Vgl. Canaris, J Z 1987, 993, 995; ders., Festschrift für Lerche, S.873, 887; Fastrich, RdA 1997, 65, 69. 3 7 4 Vgl. Hommelhoff., Verbraucherschutz, S.26ff. 375 Picker, JZ, 1988, 62, 71; zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung siehe auch Peter, R d A 1985,337,340ff., m. weit. Nachw. Ausgeschlossen ist beispielsweise in aller Regel die allgemeine Festlegung detaillierter Vorgaben von Zahl und Zeit, das ist Sache des Gesetzgebers; Rechtsfortbildung kann am konkreten Fall nur eine gewisse Rahmengröße herausarbeiten; vgl. Larenz, Kennzeichen, S. 12; Wieacker, J Z 1963, 175f. Beispiele aus der Rechtsprechung bei Söllner, R d A 1985, 328, 333f.; a.A. Gamillscheg, R d A 1968, 407, 408.
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
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Eingang in eine Entscheidung findet und anhand weiterer Entscheidungen fortentwickelt wird. Es bildet sich jedenfalls dann, wenn die Judikative anhand der konkreten Fälle die aufgeworfenen Probleme so überzeugend gelöst hat, daß ihre Entscheidung als vernünftige und gerechte Regelung in das allgemeine Rechtsdenken aufgenommen wird. D e r Geltungsanspruch von Gerichtsentscheidungen resultiert aus der Uberzeugungskraft der Argumente. 3 7 6 D i e punktuelle, sich von Fall zu Fall vorantastende Rechtsfortbildung hat den Vorteil einer korrigierbaren dynamischen Rechtsentwicklung, die - im Gegensatz zum weitgehend statischen Gesetzesrecht - der vertraglichen Gestaltungsfreiheit Rechnung tragen kann. Das Zivilrecht gewinnt so ein hohes M a ß an Flexibilität. 3 7 7 In Ergänzung und in F o r t bildung des gesetzten Rechts bildet sich aus den Präjudizien in wachsendem M a ße Richterrecht. D e m ist allerdings kein normativer Gehalt zuzuordnen. Das ergibt sich aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz, Art. 97 Abs. 1 G G , dem zu entnehmen ist, daß der Richter dem Gesetz unterworfen ist und es nicht selbst erläßt. D e r fehlende Normativgehalt ist zudem auf den Rechtsstaatsgedanken zurückzuführen, weil sich wegen der D y n a m i k des Richterrechts in seiner Entstehungsphase nicht hinreichend sicher feststellen ließe, welches Richterrecht mit welchem konkreten Inhalt existiert. 3 7 8 Bei Richterrecht handelt es sich um eine Rechtserkenntnisquelle, nicht aber um eine Rechtsgeltungsquelle. 3 7 9 F ü r das Verhältnis von Vertragsfreiheit zu Vertragskontrolle ergibt sich aus alledem: Verfassungsrechtliche Vorgaben zur Vertragsfreiheit und ihrer Kontrolle sind bei der Auslegung ausfüllungsbedürftiger Tatbestandsmerkmale, insbesondere der Konkretisierung der Generalklauseln, neben anderen Gesichtspunkten zu berücksichtigen. Diese mediate Horizontalwirkung ermöglicht allerdings keine Akzentverschiebung oder Abänderung der gesetzlich vorgegebenen Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen. Sind die Voraussetzungen einer K o n t r o l l norm nicht erfüllt, läßt sich auch ein grundrechtlich intendiertes Ergebnis rechtsordnungskonform nicht verwirklichen; die Parteien bleiben an die Abrede gebunden. Eine Ausnahme hiervon ist nur in seltenen Fällen zuzulassen, nämlich dann, wenn die Erfordernisse gesetzesübersteigenden Richterrechts gegeben sind. Ist ein verfassungsrechtlicher Wert von überragender Bedeutung, kann eine richterliche Rechtsfortbildung legitimiert werden, die sich strukturell nur unzureichend an existierende gesetzliche Vorgaben anbinden läßt, aber wertungsmäBVerfGE 84, 212, 227; ebenso BVerfGE 38, 386, 396. Larenz, Methodenlehre, S.429ff.; Kaiser, ZRP 1985, 111, 115. 378 Ipsen, DVB1.1984,1102,1103; Rehbinder,]uS 1991,542f.; Gusy, DÖV1992,461ff.; Canaris, Gedächtnisschrift für Dietz, S.199, 202; Picker, JZ 1984, 153, 163; Söllner, RdA 1985, 328, 331 ff.; Schmalz, Methodenlehre, Rn.55; Bydlinski, JZ 1985, 149, 152 (mit einer Ausnahme für den Bereich des sog. non Iiquet). A.A. Raiser, ZRP 1985,111,116; Rüthers, Festschrift für Molitor, S.293; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. III, §61 Rn.35. 379 So zutreffend Söllner, RdA 1985,328,332. Anders ist es allerdings, wenn sich aus Richterrecht Gewohnheitsrecht bildet. Denn Gewohnheitsrecht besteht aus ungeschriebenen Normen, denen die gleiche Verbindlichkeit wie geschriebenen Vorschriften zukommt; zum Verhältnis von Rechtsfortbildung und Gewohnheitsrecht zusammenfassend Looschelders/Roth, Methodik, S. 321 ff. 376 377
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
ßig dringend gefordert ist. Insoweit - und nur insoweit - wirken verfassungsrechtliche Wertungen auf das Bürger/Bürger-Verhältnis ein. Dies mag aber nicht im Sinne der unmittelbaren Drittwirkungslehre (miß-)verstanden werden; es verbleibt bei der Annahme einer lediglich mittelbaren Drittwirkung. Abzustellen ist allein auf die einfachgesetzlichen Vorschriften, deren Anwendungsbereich unter Umständen aufgrund der Berücksichtigung von Werten der Verfassung in geringem U m f a n g modifizierbar ist. Je nachdem w i e groß die Entfernung von gesetzlichen Vorgaben ist, w i r d die Angewiesenheit auf verfassungsrechtliche Werte unterschiedlich stark: Handelt es sich u m eine marginale Veränderung der Vorschrift, die sich weitgehend bruchlos in die gesetzliche Struktur einfügt, ist auch an die verfassungsrechtliche W i r k k r a f t ein geringerer Anspruch zu stellen. Zutreffend ist folglich von einer modifizierten mittelbaren Horizontallehre auszugehen. Rechtsdogmatisch ist die vom BVerfG 380 postulierte Kontrolle einer typisierbaren Fallgestaltung, die eine »strukturelle Unterlegenheit« des einen Vertragsteils erkennen läßt, nicht nur anhand der zivilrechtlichen Vorgaben durchzuführen. Die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie und das Sozialstaatsprinzip eröffnen die Möglichkeit, die Vorschriften durch richterliche Rechtsfortbildung anzupassen und eine generell-abstrakte Fallgruppe der Disparität zu erarbeiten. Insoweit zeichnen sich in der zivilrechtlichen Rechtsprechung erste Tendenzen ab. 381 Mit der erarbeiteten zweiten Ebene der mittelbaren Drittwirkungslehre erhält die Rechtsprechung ein dogmatisches Fundament. Diese Entwicklung wirft zahlreiche wissenschaftliche Fragen auf. So stellt sich unter anderem die Frage, welches Vertrags(kontroll)modell der Privatrechtsordnung im allgemeinen zugrunde liegt und welche Wertungen neben den verfassungsrechtlichen eine Vertragskontrolle rechtfertigen können. Relevanz gewinnen diese Aspekte jedoch nur, w e n n dem Bürger nicht eine umfassende Disponibilität hinsichtlich des Grundrechtsschutzes zugestanden wird.
III. Der Schutz des Menschen vor sich selbst Grundrechte w i r k e n in vielerlei Hinsicht auf die Privatrechtsordnung ein. Im Verhältnis der Bürger zueinander sind sie im Rahmen der sogenannten modifizierten mediaten Horizontalwirkung, das heißt über die ausfüllungsfähigen N o r men der Zivilrechtsordnung sowie über Richterrecht, zu berücksichtigen. Infolge der indirekten Drittwirkung vermögen Grundrechte unter Umständen der Vertragsfreiheit Schranken zu setzen. Begrenzt w i r d so die Befugnis, die Rechtsbeziehungen zu anderen durch private rechtsverbindliche Vertragsvereinbarungen allein nach dem Willen der Beteiligten auszuformen. Grundrechte schützen auf diese Weise die Teilnehmer am Rechtsverkehr unter bestimmten VoraussetzunBVerfGE 81, 242, 253 ff.; 89, 214, 231 ff.; BVerfG NJW 1994, 2749f.; NJW 1996, 2021. BGH NJW 1997, 1773; WM 1997, 465; NJW 1997, 1003; WM 1997, 511; NJW 1997, 52; NJW 1996, 2088; MDR 1996, 810; NJW 1996, 1274; NJW 1996, 513. 380
381
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
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gen auch vor selbstgefährdendem und selbstschädigendem Verhalten. Die Frage ist, ob dieser dogmatisch mögliche Schutz im Vertragsrecht nicht dadurch an R e levanz verliert, daß die Vertragspartner sich seiner freiwillig begeben, indem sie kraft Willenserklärungen Verletzungen ihrer Rechtsgüter in Kauf nehmen, darin einwilligen oder entsprechende Risiken geradezu anstreben. 3 8 2 Gesetzliche G r e n zen der rechtsgeschäftlichen Disponibilität sind häufig. D e r Vertragsfreiheit sind seit jeher Schranken gesetzt, die dem Schutz des einzelnen vor sich selbst dienen. 3 8 3 Zu nennen ist beispielsweise § 2 3 0 2 B G B . Abgesehen von den mittels § 2 2 8 9 Abs. 1 S . 2 B G B und § 2 2 7 1 Abs. 2 B G B erfaßten Tatbeständen soll die Testierfreiheit unbeschränkt erhalten bleiben. Schuldrechtliche Verträge über die Errichtung und Aufhebung einer Verfügung von Todes wegen sind deshalb nach § 2 3 0 2 B G B nichtig. 3 8 4 § 3 1 0 B G B wiederum soll verhindern, daß »jemand sich gewissermaßen seiner Erwerbsfähigkeit begibt« 3 8 5 und dadurch für die Zukunft seine Vertragsfreiheit verliert. D i e Vertragsfreiheit selbst soll nicht ihrerseits G e genstand eines Vertrages werden. 3 8 6 Ein Vertrag, auf den § 3 1 0 B G B Anwendung findet, ist deshalb nichtig.
1. A u f g a b e g r u n d r e c h t l i c h g e s c h ü t z t e r F r e i h e i t e n d u r c h vertragliche Einwilligung Virulent wird damit, ob die grundrechtlichen Freiheitsschranken rechtsgeschäftlich disponibel sind, in einem Vertrag auf verfassungsrechtlichen Schutz also verzichtet werden kann, oder ob die individuelle Verfügung über Vertragsfreiheit aufgrund von Grundrechtspositionen ausgeschlossen ist. Das Problem läßt sich nicht auf die Weise lösen, daß man aufgedrängten staatlichen Schutz durch Änderung des Beurteilungszeitpunkts in akzeptierten Schutz vor sich selbst umwandelt. Verfassungsrechtliche Auswirkungen auf das Privatrechtsverhältnis können nicht legitimiert werden, weil den Vertragspartner die rechtsgeschäftliche Bindung möglicherweise nachträglich reut, er nunmehr ex post von den vertraglichen Pflichten befreit werden will und sich deshalb selbst auf verfassungsrechtliche Schutzpositionen beruft. Wer die Freiheit zu zukunftswirksamer Festlegung durch Vertragsschluß ausübt, hat sich - entsprechend dem Grundsatz »venire contra factum proprium nemini licet« - daran festhalten zu lassen. 3 8 7 Die nachträgliche Berufung auf Unwirksamkeit des Vertrages wegen Verstoßes gegen verfassungsrechtliche Werte kann den Grundsatz »pacta sunt servanda« nicht aushe-
3 8 2 Aus öffentlich-rechtlicher Sicht eingehend zur Disponibilität grundrechtlicher Schutzvorgaben Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, 1992; Littwin, Grundrechtsschutz gegen sich selbst, 1993; Spieß, Der Grundrechtsverzicht, 1997, jeweils mit ausführlicher Darstellung und zahlr. Nachw. zur verfassungsrechtlichen Problematik. 3 8 3 Vgl. nur den zweiten Paragraphen »Der Schutz der Freiheit gegen sich selbst« bei Hedemann, Fortschritte, S. 27ff. 384 Musielak, in: MünchKommBGB, §2302 R n . l ; Palandt/Edenhofer, §2302 R n . l ; B G H Z 29, 129, 133; abweichend Baues, AcP 178 (1978), 337, 345ff.; v. Venrooy, JZ 1985, 609, 611. 3 8 5 Motivell, S. 186. 3 8 6 Zur historischen Intention Becker, Festschrift für Pleyer, S. 485ff. 3 8 7 Zur Begründung im 2. Kapitel (S.43ff.).
138
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
beln. 3 8 8 Das verfassungsrechtlich verankerte Prinzip der Vertragsfreiheit begründet Eigenverantwortung f ü r die Selbstbeschränkung der Freiheit, welche die vertragliche Bindung bewirkt. In diesem Z u s a m m e n h a n g ist deshalb allein darauf abzustellen, ob bzw. inwieweit ein Vertragspartner z u m Zeitpunkt des Vertragsschlusses über verfassungsrechtliche Schutzpositionen verfügt hat.
Diese im zivilrechtlichen Schrifttum nur selten angesprochene Frage389 wird in der verfassungsrechtlichen Literatur unter dem (nicht unumstrittenen) Begriff Grundrechtsverzicht 390 erörtert. Im Grundgesetz ist eine Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Verfassungsgutes nicht geregelt. Vertreten werden kontroverse Standpunkte: 391 a) Grundrechtsschutz
als ius cogens
Mit Rücksicht auf die staatskonstituierende Funktion der Grundrechte sei davon auszugehen, daß grundrechtliche Wertungen nicht zur freien Verfügung stehen.392 Diese auf der demokratischen Grundrechtstheorie gründende Unverzichtbarkeitslehre sieht in den Grundrechten nicht nur dem Individualinteresse dienende Verbürgungen, sondern (zumindest zugleich) Gemeinwohlkonkretisierungen. Abgestellt wird darauf, daß die Grundrechte eine objektive Wertordnung verkörperten und eine soziale Funktion hätten, die bis zur Pflicht zur Ausübung reiche.393 Ein Verzicht auf die Freiheit der Person und die diese Freiheit flankierenden Grundrechtsinhalte sei deshalb und wegen Art. 1 Abs. 2 GG, wonach Menschenrechte unveräußerlich seien, nicht (oder nur ausnahmsweise 394 ) zulässig.395 Die privatrechtliche Zustimmung zu einem konkreten Geschäft kann nach dieser Sichtweise also nicht als (konkludenter) Verzicht auf eine Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Aspekte im Rahmen vertragsfreiheitsbegrenzender mittelbarer Drittwirkung gewertet werden.
388 In diesem Sinne auch das BVerwG in seiner Entscheidung vom 27. Juni 1968: »In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, daß die Berufung auf das Grundgesetz nicht dazu herhalten kann, einen Kernsatz der geltenden Rechtsordnung auszuhöhlen, nämlich den Grundsatz, daß Verträge zu erfüllen sind«; BVerwGE 30, 65, 75f. 389 Ansätze bei Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 154ff.; Singer, JZ 1995, 1133 ff.; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 13. 390 Zur Kritik vgl. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 93ff.; Stern, Staatsrecht Bd. III/2, § 86 I 1, II 3. Da es nicht um den definitiven Untergang einer Rechtsposition, sondern um die Grenzen der Verfügungsbefugnis des einzelnen über seine subjektiven Rechte geht, ist die Bezeichnung Verzicht zumindest unpräzise, wird gleichwohl aber allgemein verwendet; Pietzcker, Der Staat 17(1978), 527, 531. 391 Zusammenfassender Überblick zum (öffentlich-rechtlichen) Meinungsstand bei Bleckmann, Die Grundrechte, 1. Teil § 15. 392 Sturm, Festschrift für Geiger, S. 173, 197f.; Malorny, JA 1974, 475; Bussfeld, D Ö V 1976, 765, 771. 393 Vgl. Frieß, Verzicht, S. 68ff. 394 Vgl. Wilde, Verzicht, S. 11 Off., paradigmatisch bei bestimmten Sonderstatusverhältnissen; dazu auch Robbers, JuS 1985, 925, 926. 395 Ernst, Verzicht, S.66ff.
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche b) Verzicht
auf Grundrechte
als Akt grundrechtlich
Implikationen
139
garantierter
Freiheitsausübung Freiheit und A u t o n o m i e des einzelnen sprechen andererseits dagegen, dem I n dividuum grundrechtliche Schutzinstrumente gegen seinen Willen aufzuzwingen. A n diesen Gedanken knüpft die Gegenauffassung an. Art. 1 Abs. 2 G G beziehe sich lediglich auf einen generellen Grundrechtsverzicht, bei prinzipiellem Fortbestand der Grundrechtsberechtigung könnten konkrete Einzelelemente des Grundrechtsschutzes aufgegeben werden. D i e Bezugnahme auf den Wortlaut des Art. 1 Abs. 2 G G könne daher Bedenken gegen die Disponibilität von G r u n d rechtsgütern nicht begründen. 3 9 6 Ausgehend von einer freiheitlich-liberalen Grundrechtstheorie wird die grundsätzliche Zulässigkeit einer Grundrechtsdisposition aus Art. 2 Abs. 1 G G i.V.m. Art. 1 Abs. 1 G G hergeleitet. Aus diesen A r tikeln ergebe sich als notwendiger Bestandteil der freien Persönlichkeitsentfaltung die Befugnis zur individuellen Verfügung über Grundrechtspositionen. D e m Bürger stehe nach dem Grundsatz »volenti non fit iniuria« die Freiheit zu, sein Leben vorbehaltlich der gleichen Freiheit der anderen ohne staatliche B e v o r mundung nach Gutdünken zu gestalten. 3 9 7 Innerhalb dieser grundsätzlichen Einschätzung gehen die Standpunkte im einzelnen auseinander: Pointiert argumentiert Hillgruber. E r gelangt durch konsequente Akzentuierung der Grundrechte als subjektive Abwehrrechte zu dem E r gebnis, daß - mit Ausnahme des Geisteskranken- und Jugendschutzes 3 9 8 - jeder unerwünschte staatliche Schutz des Menschen vor sich selbst einen unzulässigen Grundrechtseingriff darstellt. 3 9 9 Selbstbestimmtes menschliches Verhalten ist nach Hillgruber auch dann Ausübung grundrechtlich garantierter Freiheit, wenn es sich selbstgefährdend oder gar selbstschädigend auswirkt. Art. 2 Abs. 1 G G gewährleiste die freie Verfügung über eigene, auch grundrechtsgeschützte Rechtsgüter. A u c h die Unantastbarkeit der Menschenwürde stehe dem nicht entgegen. Sie beziehe sich nur auf staatliche Zwangsmaßnahmen. 4 0 0 Ähnliches gelte für Art. 1 Abs. 2 G G ; der Menschenrechtsgehalt der Einzelgrundrechte sei bei einem freiwilligen Verhalten des Grundrechtsträgers nicht betroffen. 4 0 1 Dementsprechend seien freiwillig zwischen Privaten abgeschlossene Verträge »inhaltlich stets mit den Grundrechten vereinbar«. 4 0 2 D i e vertragliche Bindung vertrage keine nachträgliche Korrektur aufgrund verfassungsrechtlicher Wertungen, da die Vertragspartner über ihre Rechtssphäre nach eigener Entscheidung im vertraglichen Konsens selbst bestimmten und somit (stillschweigend) einen Grundrechtsverzicht erklärt hätten. D e r mit der vertraglichen Verpflichtung verbundene N a c h Bleckmann, JZ 1988, 57, 58. Dürig, AöR 81 (1956), 117, 152; Göldner, JZ 1976, 355; Bleckmann, Grundrechte, 1. Teil §15 III; Hillgruber, Schutz, S. 134ff.; Lutwin, S.230ff.; Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn.57. 398 Hillgruber, Schutz, S. 121 ff. 399 Hillgruber, Schutz, S. 111 ff., 134ff. 400 Hillgruber, Schutz, S. 138f. 401 Hillgruber, Schutz, S. 139. 402 Hillgruber, Schutz, S. 153. 396 397
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
teil gelte, weil die beschwerte Vertragspartei es (freiwillig) so wolle. Einen G r u n d rechtsschutz gegen sich selbst gebe es nicht. 4 0 3 Andere Autoren grenzen die grundsätzlich anzuerkennende Dispositionsbefugnis enger ein. Bleckmann geht davon aus, daß die Privatautonomie prinzipiell die grundrechtlichen Schutzpositionen verdrängt. N u r im Fall einer Wesensgehaltsverletzung (Art. 19 Abs. 2 G G ) könne auf verfassungsrechtliche Wertungen zurückgegriffen werden. Ein Verzicht könne nur soweit gehen, wie auch ein G e setz die Grundrechtspositionen einschränken könne. 4 0 4 Eine Absage an ein generalisierendes Bekenntnis zur Dispositionsbefugnis findet sich unter anderem auch bei Pietzcker405, Robbers406, Sachs407 oder SternAW. Sie betonen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, daß zwischen den einzelnen Grundrechten und ihren Bedeutungsgehalten zu unterscheiden und eine einzelfallbezogene A b w ä gung zwischen der verfassungsrechtlich geschützten Individualentscheidung und der Qualität des von der Verfassung gewährleisteten Rechtsgutes vorzunehmen sei. 4 0 9 Zu berücksichtigen sei, inwieweit die Grundrechtspositionen zum Bezugspunkt nicht den einzelnen, sondern ein allgemeines Gut, wie etwa einen funktionierenden demokratischen P r o z e ß oder die Integration des Gemeinwesens, haben. I m Gegensatz zu Hillgruber, der die subjektive Rolle als in der Regel maßgebliches Kriterium benannte, wird der vermittelnde Ansatz der subjektiven wie der objektiven Seite der Grundrechte gerecht. Ihn gilt es deshalb für das Privatrechtsverhältnis fruchtbar zu machen.
c) These einer eingeschränkten
Grundrechtsverfügungsfähigkeit
In der subjektiven K o m p o n e n t e der Grundrechte liegt ihr eigentliches Anliegen. Das zeigen historische Entwicklung und teleologische Auslegung. D a der o b j e k tiv-rechtliche Aspekt in erster Linie ihrer Unterstützung, nicht aber ihrer Begrenzung dient, kann aus der objektiven Seite der Grundrechte eine mangelnde Verfügungsbefugnis nicht abgeleitet werden. D i e subjektive Determination der Grundrechte spricht vielmehr für eine individuelle Dispositionsbefugnis. Verfassungsrechtlicher Ansatzpunkt ist die freie Selbstbestimmung des Individuums, wie sie Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 G G verbürgt. 4 1 0 Art. 2 Abs. 1 G G gewährleistet das Recht, den ihm inhärenten Freiheitsbereich zwar ausschöpfen zu k ö n -
Hillgruber, Schutz, S. 149ff. Bleckmann, Grundrechte, 1. Teil § 15 III 2; ders., JZ 1988, 57ff.; Düng, AöR 81 (1956), 117, 152f.; Leisner, Grundrechte, S.384ff. (mit ausdrücklichem Bezug auf den zivilrechtlichen Vertrag). 405 Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527, 542ff. 406 Robbers, JuS 1985, 925, 927ff. 407 Sachs, VerwArch 76 (1985), 398, 418ff. 408 Stern, Staatsrecht Bd. III/2, §86 II. 409 Weitgehend zustimmend Litt-win, Grundrechtsschutz, S.235ff. 410 Frieß, Verzicht, S. 146ff.; Göldner, JZ 1976,352,355; Hering, Gedächtnisschrift für Peters, S. 513,525ff.; Lerche, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. V, § 122 Rn.45; Robbers, JuS 1985,925, 927; Stern, Staatsrecht Bd. III/2, §86 II 5; BVerwGE 14, 21 ff. 403 404
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche
Implikationen
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nen, aber nicht zu müssen. D e m hohen Stellenwert des Freiheitsgedankens ist Rechnung zu tragen. Amelung
spricht in diesem Zusammenhang v o m » G r u n d -
rechtsschutz der Einwilligung«. 4 1 1 D i e allgemeine Handlungsfreiheit enthält die Berechtigung, den von der Verfassung eingeräumten Grundrechtsschutz nicht in vollem M a ß in Anspruch zu nehmen. Dies gilt nur subsidiär, d.h. ein Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 G G ist dann nicht erforderlich, wenn das entsprechende G r u n d recht die Verfügungsfähigkeit erfaßt. So enthalten beispielsweise Art. 6 Abs. 3 G G und Art. 16 A b s . l S . 2 G G ein Willensmoment; Art. 14 A b s . l G G enthält das Recht, auf Eigentum und Erbrecht zu verzichten. Das BVerfG hat sich zum Grundrechtsverzicht noch nicht grundlegend geäußert. Seinen Niederschlag hat die Anerkennung der Dispositionsbefugnis beispielsweise im Volkszählungsurteil gefunden. Das BVerfG führt aus, daß dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung das Recht des einzelnen immanent sei, »grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen« 412 , und bestätigt so indirekt die Dispositionsfähigkeit dieses Grundrechts. 413 D e r Grundrechtsverzicht ist nicht schrankenlos zulässig, sondern hat sich im Rahmen der Rechtsordnung zu halten, die eben nicht nur subjektiv bestimmt ist. Die grundrechtliche Absicherung der Vertrags- und Dispositionsfreiheit ändert nichts an ihrer Stellung innerhalb der verfassungsmäßigen O r d n u n g ; demgemäß können sie nicht gewähren, was mit anderen Verfassungsnormen und (verfassungskonformen) Rechtsvorschriften in Widerspruch steht. N o t w e n d i g ist in jedem Einzelfall eine Abwägung zwischen der verfassungsrechtlich geschützten Individualentscheidung und der Qualität des von der Verfassung oder durch ein Gesetz geschützten Rechtsgutes. Eine allgemeingültige Aussage ist nicht möglich; es können nur Leitlinien für die Einzelfallabwägung aufgezeigt werden, aus denen sich - abhängig von der Gewichtung in der konkreten Sachverhaltskonstellation - die G r e n z e n der Dispositionsfähigkeit bestimmen lassen. D i e individuelle Verfügung über Grundrechtspositionen im Zuge eines Vertragsschlusses ist nur eingeschränkt gewährleistet.
2. L e i t l i n i e n für die B e s t i m m u n g der G r u n d r e c h t s d i s p o s i t i o n durch Vertragsschluß
a) Grundsätzliche Divergenz zum Verzicht im öffentlichen
Recht
Anders als im Verhältnis zum Staat ist zwischen Privaten hinsichtlich der D i s p o sitionsbefugnis ein bedeutsamer Unterschied festzustellen. D e r Verzicht auf grundrechtliche Positionen im Verhältnis zum Staat steht in Verbindung mit dem Gesetzmäßigkeitsprinzip (Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes), da er eo ipso den staatlichen Handlungsspielraum erweitert. 4 1 4 Spezielle Gesetzesvorbehalte sind Amelung, Einwilligung, S.26ff. BVerfGE 65, 1, 43 f. 413 Benda, DuD 1984, 86, 89; Heinzelmann, Datenübermittlung, S.34; Timmefeld-Tuhies, Datenschutzrecht, S.9; kritisch gegenüber dieser Deutung Brossette, Wert, S. 219ff. 411
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142
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
ebenso wie der allgemeine für die Bestimmung der Beschränkung eines Verzichts von Bedeutung. 4 1 5 Anders liegt es im zivilrechtlichen Vertragsrecht. Das Privatrechtsverhältnis ist grundsätzlich nicht von einer U b e r - / U n t e r o r d n u n g geprägt; die Privatrechtssubjekte stehen einander - in aller Regel - beim Vertragsschluß gleichberechtigt gegenüber. D i e den Grundrechten immanente Abwehrfunktion ist deshalb hier tendenziell von geringerer Bedeutung. 4 1 6 Zwischen Privaten, deren Verhalten nicht vom Gesetzmäßigkeitsgrundsatz beeinflußt wird, sind daher an die individuelle Verfügung über Grundrechtspositionen weniger strenge M a ß stäbe anzulegen. Dies ergibt sich auch daraus, daß die Grundrechte im Zivilrecht nur indirekt wirken, ihre Bindungskraft mithin per se in geringerem M a ß ausgeprägt ist als in der Bürger/Staat-Relation. Privatrechtlichen Verträgen ist ein Unsicherheits- und Risikoelement für die Vertragsparteien immanent, stellt sich doch der Vertrag für die jeweilige G e g e n seite als Absicherung gegen Umstände dar, deren Veränderung die Verfolgung der vertraglichen Einzelzwecke beeinträchtigen könnte. 4 1 7 Ein Vertrag bedeutet, mit der Unsicherheit einer möglichen Fehlentwicklung zu handeln und bei ihrem Eintritt unter Umständen die nachteiligen Folgen tragen zu müssen. J e d e Partei übernimmt als Folge des Vertragsschlusses diejenigen Risiken, die ihr nach dem gesetzlichen Modell zugewiesen sind. Erst die Wechselwirkung der verschiedenen N o r m e n und Rechtsinstitute läßt den tatsächlichen Haftungsumfang erkennen. D i e Zivilrechtsordnung k o m m t so ihrer Aufgabe nach, Vertragsrisiken zwischen den Beteiligten angemessen zu verteilen. Diesem Z w e c k dienen Irrtums-, Unmöglichkeits- und Verzugsregeln ebenso wie Sachmängelgewährleistungsund Kündigungsvorschriften. Wichtige Ansatzpunkte ergeben sich wegen des dispositiven Charakters zahlreicher N o r m e n aus den vertraglichen Bestimmungen. Die vertragliche Disposition über verfassungsrechtliche Schutzaspekte hat auf die je nach Vertragstyp variierenden Risikoelemente Rücksicht zu nehmen. 4 1 8 Gesetzlich anerkannte Vertragsarten wie die Bürgschaft, deren spezifischer Inhalt ein Unsicherheitsfaktor ist, können nicht dadurch konterkariert werden, daß grundrechtliche Schutzaspekte das Risiko des Eintretens für fremde Schuld entwerten. Vertragsgegenstand ist ein riskantes Geschäft mit einem insoweit einhergehenden Verzicht auf etwaigen grundrechtlichen Schutz. D i e Privatrechtsordnung räumt den Vertragsparteien weiten Spielraum auch für riskante und selbstgefährdende Rechtsgeschäfte ein. Von Ausnahmefällen abgesehen und im R a h men der gesetzlichen O r d n u n g kann ein Privatrechtssubjekt nicht einen riskanten Vertrag schließen und sich sodann - vorausgesetzt, der Schutzbereich eines 414 Vgl. Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527, 534; Göldner, JZ 1976, 352, 354f.; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S.93ff.; Bleckmann, VerwArch 63 (1972), 404, 432ff.; a.A. Schenke, JuS 1977, 281, 285f. 415 Zusammenfassend Robbers, JuS 1985, 925, 929, m. weit. Nachw. 416 Siehe Sachs, VerwArch 76 (1985), 398; Robbers, JuS 1985, 925, 930. 417 Fikentscher, Geschäftsgrundlage, S.31. 418 Henssler, Risiko, S. 12ff.
3. Kapitel: Verfassungsrechtliche Implikationen
143
Grundrechts ist betroffen - unter Hinweis auf grundrechtlichen Schutz bei Gericht über dessen Konditionen beschweren. 419 Ein Verzicht ist daher im Privatrechtsverhältnis grundsätzlich in weiterem Umfang möglich als in dem regelmäßig von Uber- und Unterordnung gekennzeichneten öffentlichen Recht. Im Grundsatz sind die Anforderungen an einen privatrechtlichen Grundrechtsverzicht deshalb nicht zu hoch anzusetzen. Es existiert ein weiter Gestaltungsspielraum, der auch selbstgefährdende Vertragsschlüsse umfaßt. Im einzelnen ist das Anforderungsprofil - nicht nur, aber auch abhängig von der Vertragsausgestaltung und den damit typischerweise einhergehenden Risiken. b) Voraussetzungen
und Grenzen einer vertraglichen
Schutzdisposition
Unter einer rechtsgeschäftlichen Schutzdisposition ist die Aufgabe einer abdingbaren Rechtsposition durch eine darauf gerichtete Erklärung des über die Grundrechtsposition Verfügungsberechtigten zu verstehen. Erforderlich ist dazu zunächst eine ausdrückliche oder stillschweigende Verzichtserklärung. Diese wird regelmäßig mit der Vertragsabschlußerklärung einhergehen. Mit der Erklärung, einen bestimmten Vertrag schließen zu wollen, geht es im allgemeinen einher, alles zu unterlassen, was den Vertragsschluß gefährden könnte, also auch, sich auf dispositive verfassungsrechtliche Schutzpositionen berufen zu wollen. Zu fragen ist, inwieweit der Vertragsschluß Ausdruck der wissentlichen und willentlichen Preisgabe einer verfassungsrechtlichen Schutzposition ist. Die Auslegung ist dabei unter anderem abhängig von der Vertragskategorie, insbesondere dem jeweils immanenten Risikosegment. So ist beispielsweise bei einem Bürgschaftsvertrag die Schutzdisposition stillschweigend in größerem Rahmen anzunehmen als bei einem Arbeitsvertrag. Grundrechtsdisposition ist nur in einem dem Vertragstyp entsprechenden Rahmen möglich. Die vertragliche Übernahme eines Einzelrisikos kann nur insoweit einen Grundrechtsverzicht herbeiführen. Die Dispositionserklärung muß sich auf einen spezifischen, sachlich und zeitlich begrenzten Bestandteil einer Grundrechtsposition beziehen. Ein Totalverzicht grundrechtlicher Positionen gegenüber einem anderen Privatrechtssubjekt ist nicht zulässig; möglich ist lediglich eine partielle individuelle Verfügung, die - wenn nicht ausdrücklich erklärt mit einem konkreten Rechtsgeschäft einhergeht und im Wege der Auslegung diesem Geschäftstyp zuzuordnen ist. Die Erklärung ist vom Grundrechtsberechtigten abzugeben und muß dem Vertragspartner im Sinne des § 130 Abs. 1 S. 1 B G B zugehen. Der Widerruf einer derartigen Erklärung ist im Rahmen des § 130 Abs. 1 S. 2 B G B wirksam; nach Zugang der Erklärung ist der Vertragspartner an die Willenserklärung und den korrelierenden Grundrechtsverzicht gebunden. Weitere Voraussetzung ist die Freiwilligkeit der Dispositionserklärung. Beide Vertragsparteien müssen sich frei für den Abschluß des Vertrages und seinen In419 Zöllner spricht in diesem Zusammenhang von einem »April-April-Syndrom«, AcP 196 (1996), 1, 31; vgl. auch ders., Festschrift 100 Jahre GmbH-Gesetz, S. 85, 116.
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1. Teil: Grundlagen
privatrechtlicher
Selbstgestaltung
halt entschieden haben. Zwang, Täuschung, Drohung oder Erschleichung lassen die Wirksamkeit entfallen. Die Zivilrechtsordnung hat dieser Wertung Rechnung getragen, indem sie die Parteien an Willenserklärungen festhält, die irrtumsfrei zustande gekommen und weder durch Drohung erzwungen noch durch Täuschung beeinflußt sind, vgl. §§ 142 Abs. 1, 119, 123 B G B ; die inhaltliche Komponente hat ihren Niederschlag beispielsweise in §§ 9 - 1 1 A G B G gefunden. Daran zeigt sich auch die Gesetzesdetermination der Disponibilität. O b eine Grundrechtsdisposition vertragsrelevant ist, hängt maßgeblich von ihrer gesetzlichen Realisierung ab. U b e r zwingende gesetzliche Schutzinstrumentarien kann nicht verfügt werden. Hier hat sich der Gesetzgeber gegen Abdingbarkeit ausgesprochen. So sind Verträge, die gegen das gesetzliche Verbot (§ 134 B G B ) der werktäglichen Höchstarbeitszeit des § 3 S. 1 A r b Z G (Ausnahmen in § § 7 , 25 A r b Z G ) verstoßen, insoweit nichtig. Der Gesetzgeber hat innerhalb des Anwendungsbereichs (§2 A r b Z G ) und des Gesetzeszwecks (§1 A r b Z G ) zugleich den Verfügungsspielraum des Grundrechtsträgers hinsichtlich Art. 2 Abs. 2 S. 1 G G 4 2 0 eingegrenzt. Verfassungsgemäße gesetzliche Vorgaben gehen konform mit dem Dispositionsrahmen und setzen so einen ersten Eckpunkt der Dispositionsbefugnis. Freiwilligkeit ist nicht schon ausgeschlossen, wenn sich der Vertragspartner in einer subjektiv empfundenen unfreien Situation befindet. Die Motive des Vertragspartners sind ohne Bedeutung; gleiches gilt für wirtschaftliche und soziale Zwänge. D i e Frage, inwiefern in Ausnahmelagen Ungleichgewichtstatbestände Berücksichtigung finden können, ist G e genstand der nachfolgenden Abschnitte.
Die Dispositionsbefugnis ist das entscheidende Kriterium. Abzusprechen ist sie Minderjährigen, weil es bei ihren Erklärungen an einem freiverantwortlichen Willensentschluß fehlt. Unabhängig von der Diskussion in der verfassungsrechtlichen Literatur über die sogenannte Grundrechtsmündigkeit 4 2 1 ist es zumindest im Regelfall sinnvoll, im Zivilrecht für den vertraglichen Bereich eine Parallele zu den Altersgrenzen des B G B zu ziehen. Der Gesetzgeber hat mit den §§104ff. B G B die Grenze der Einsichts- und Entscheidungsfreiheit sowie -fähigkeit gezogen. Ist der Grundrechtsberechtigte danach verfügungsbefugt, hängt die individuelle Abdingbarkeit im konkreten Fall nach hier vertretener Ansicht von einer Abwägung aller Umstände des entsprechenden Vertrages ab. Die individuelle Verfügungsfähigkeit über Grundrechtspositionen hat anderen Rechtsgütern nur zu weichen, wenn durch die rechtsgeschäftliche Bindung höher zu bewertende Rechtsgüter verletzt werden. Im Rahmen der Argumentation sind insbesondere folgende Punkte zu beachten: - Vertragliche Grundrechtsdispositionen, die gegen die Menschenwürde
4 2 0 Zur Schutzgutrelevanz von Gesundheitsrisiken Murswiek, Verantwortung, S. 127ff.; ders., in: Sachs, G G , Art. 2 Rn. 160f. 421 Überblick bei Dreier, G G , Vorb. Rn. 73; v. Mutius, Jura 1987,272ff. (m. zahlr. Nachw. zum Meinungsstand); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 134ff.; ausführlich Fehnemann, Die Innehabung und Wahrnehmung von Grundrechten im Kindesalter, 1983; Meyer, Die Stellung des Minderjährigen im öffentlichen Recht, 1988.
3. Kapitel:
Verfassungsrechtliche
Implikationen
145
(Art. 1 Abs. 1 G G ) verstoßen, sind unwirksam. Geht man davon aus, daß der überwiegenden Zahl der Grundrechte ein Menschenwürdekern zuzuordnen ist, 422 so stellt dieser die Grenze der vertraglichen Dispositionsbefugnis dar. D a die Menschenwürde ihren Ausdruck maßgeblich in der Autonomie des Individuums findet, Kerntatbestand der Zivilrechtsordnung die Privatautonomie ist und die Eigenverantwortlichkeit der Bürger ein entscheidendes Merkmal des demokratischen Rechtsstaats bildet, ist der mit einem Vertragsschluß ausgedrückte Wille, ein bestimmtes Geschäft zu tätigen, in der Wertigkeit hoch zu veranschlagen. Hinzu kommt, daß das Privatrechtsverhältnis von Grundrechten in der Regel nur mittelbar beeinflußt wird. Aus diesen Gründen ist der die Vertragsfreiheit begrenzende Menschenwürdekern restriktiv zu bestimmen. Eine Verletzung der Menschenwürde durch einen privatrechtlichen Vertrag mit der Folge der Vertragsnichtigkeit wird nur in Ausnahmefällen anzunehmen sein. In seiner Entscheidung vom 17.4. 1986 geht der B G H beispielsweise davon aus, daß es zur »personalen Würde« und zum »engsten Kern« des Persönlichkeitsrechts zählt, sich frei für oder gegen eine Schwangerschaft entscheiden zu können. Dieses Selbstbestimmungsrecht sei vertraglichen Regelungen nicht zugänglich. 4 2 3
- Ein derartiger Ausnahmefall wird um so weniger festzustellen sein, je stärker personale Rechtsgüter betroffen sind. Grundrechte, die sich wie Art. 9 Abs. 1 G G , Art. 1 0 , 1 1 , 1 2 , 1 3 G G oder Art. 14 G G auf die Persönlichkeitssphäre und -entfaltung beziehen, sind in größerem Maß disponibel als solche mit gemeinschaftsbezogenem Inhalt. 424 Zu nennen sind unter anderem Art. 3, 9 Abs. 3 oder Art. 38 G G . Sind in erster Linie Gemeinschaftsinteressen betroffen, wird eine individuelle Verfügbarkeit regelmäßig ausscheiden. Uber Institutsgarantien und Justizgrundrechte kann nur in Ausnahmefällen disponiert werden. - Deutlich zeigt sich die eingeschränkte Verfügbarkeit an den mit den Begriffen Sozialstaat und Rechtsstaat verbundenen Prinzipien. U b e r Bestandteile des Rechtsstaats, die nicht vornehmlich dem persönlichen Schutz dienen, kann in geringem Maß verfügt werden. Ausgeschlossen ist deshalb ein Vertrag, der die Absicherung des Existenzminimums zum Gegenstand hat oder der staatlichen Rechtsschutz für die Zukunft generell ausschließt. Im Falle einer Schiedsvereinbarung wird eine Klage als unzulässig abgewiesen, wenn sich der Beklagte auf die Schiedsabrede beruft, § 1032 Abs. 1 Z P O . Da der Staat mit dieser Regelung den Justizgewährungsanspruch ausnahmsweise, jedoch beschränkt auf einzeln abgegrenzte Fälle verweigert, scheidet ein Totalverzicht aus. D e m verfassungsrechtlichen Postulat einer partiellen und bestimmten Rechtsstreitigkeit trägt § 1 0 2 9 Abs. 1 Z P O Rechnung. 4 2 5
4 2 2 Insoweit herrscht im verfassungsrechtlichen Schrifttum Übereinstimmung; ungeklärt ist teilweise die konkrete Grenzziehung, zusammenfassend Stern, Staatsrecht Bd. III/2, § 89 VI, m. zahlr. weit. Nachw. 4 2 3 B G H Z 97, 372ff. (Zitate auf S. 379); Kritik u.a. bei Ramm, ]7. 1986, 101 lff. 4 2 4 Vgl. Amelung, Einwilligung, S.36ff. 4 2 5 Näher Herzog, in: Maunz/Diirig, G G , Art. 92 Rn. 145ff.; private Schiedsgerichtsbarkeit in
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
§§1025ff. ZPO (a.F.) fügten sich - so die Grundaussage - in die Verfassungsordnung (Rechtsstaatsprinzip, Art. 92,101 Abs. 1 S.2 G G ) ein, weil die Schiedsabrede Ausdruck der Vertragsfreiheit ist. Sie unterliegt deshalb den Spielregeln für privatautonome Gestaltungen. 426 Die neue Fassung des Schiedsverfahrensrechts, die das Erfordernis der Vergleichsfähigkeit (§1025 Abs. 1 ZPO a.F.) nach § 1030 Abs. 1 ZPO für vermögensrechtliche Ansprüche nicht mehr kennt, 427 erscheint daher bedenklich. Schiedsgerichte könnten nunmehr über Fragen entscheiden, die einer einvernehmlichen Lösung durch die Parteien nicht zugänglich sind. Privatautonomie und Dispositionsbefugnis der Privatrechtssubjekte scheiden aus diesem Grund - wie Voz't428 zutreffend festgestellt hat - als Legitimation der Normierung aus. Die Grenzen der Privatautonomie werden gegebenenfalls überschritten und so unter Umständen das Rechtsstaatsprinzip, Art. 92 oder Art. lOlGGverletzt. Auch //erzog 429 betont, daß private Schiedsgerichtsbarkeit ohne staatliche Mißbrauchskontrolle verfassungswidrig sein kann. Der Gedanke eines sozialen Rechtsstaates sowie die Wertungen in Art. 92, 101 G G lassen es nicht zu, die Bürger einer rechtsfreien, staatlich nicht kontrollierten Gerichtsbarkeit zu überlassen. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben erfordern eine Mißbrauchskontrolle, die - etwa im Rahmen einer mittelbaren Drittwirkung - eine entsprechende Entscheidung der ordentlichen Gerichte bei »offensichtlich ungerechten Sprüchen« erlaubt. 430 Die Verfassungskonformität der neuen Regelung in §1030 Abs. 1 ZPO begegnet deshalb Bedenken. - Rechtsfolge einer Grundrechtsdisposition ist im Unterschied zum Verzicht auf subjektive R e c h t e des Privatrechts 4 3 1 eine zeitlich und sachlich beschränkte Suspension der in Bezug genommenen grundrechtlichen Schutzpositionen. Ein Vertragsschluß führt also nicht zu einer Verfügung über das Grundrecht in seiner Gesamtheit, sondern bewirkt unter Umständen, daß einzelne Elemente im R a h men der mediaten Horizontalwirkung keine Berücksichtigung finden. Inhalt und U m f a n g der Verfügung über Grundrechtspositionen durch Vertragsschluß sind durch Auslegung zu bestimmen; nur auf diesem Weg läßt sich klären, auf welche konkreten Schutzaspekte bei einem bestimmten Vertrag in welchem U m f a n g verzichtet werden soll. 4 3 2 Es läßt sich resümieren: I m allgemeinen gilt das Primat der Vertragsfreiheit. D i e in Ausübung der Vertragsfreiheit gefundene Regelung ist auch dann anzuerkennen, wenn grundrechtlich geschützte Rechtspositionen eines Vertragspartners beeinträchtigt werden. D i e Tatsache, daß ein Bürger einen bestimmten Vertrag abgeschlossen hat, impliziert eine dahingehende Einwilligung. Ein Schutz vor sich selbst ist aber zumindest dann erforderlich, wenn eine Abwägung aller Umstände der Form der §§1025ff. ZPO (a.F.) verstößt nicht gegen Grundsätze der Verfassung, Herzog, a.a.O., Rn. 165; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 101 Rn.22; Wieczorek/Schütze, § 1025 ZPO a.F. Rn. 1; Musielak/Voit, § 1025 ZPO a.F. Rn. 1. 426 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 101 Rn.22; Stein/Jonas/Schlosser, §1025 ZPO a.F. Rn. 19ff., 23. 427 Ausnahme in Absatz 3 der Vorschrift. 428 Voit, JZ 1997, 120, 125; Musielak/Voit, § 1030 ZPO Rn. 1, § 1025 a.F. ZPO Rn.20. 429 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92 Rn. 166ff. 430 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92 Rn. 169. 431 Regelmäßig erlöschen subjektive Rechte des Privatrechts im Verzichtsfall. 432 Aus öffentlich-rechtlicher Sicht ebenso Stern, Staatsrecht Bd. III/2, § 86 IV 2.
3. Kapitel:
Verfassungsrechtliche
Implikationen
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des Einzelfalles ergibt, daß das Grundrecht aus höherwertigen Interessen nicht verfügbar ist, der Grundrechtsberechtigte nicht freiwillig gehandelt hat oder andere Verfassungsgüter entgegenstehen. Die bisher herausgearbeiteten Leitlinien sind noch zu ungenau, um dem Rechtsstaatsprinzip zu genügen. Sie lassen nur die allgemeine Aussage zu, daß ein Schutz des Menschen vor sich selbst nur in Ausnahmesituationen gerechtfertigt ist. Für die Konkretisierung der ausfüllungsbedürftigen Tatbestandsmerkmale von Vertragskontrollnormen sowie die Bestimmung der Maßstäbe einer etwaigen richterlichen Rechtsfortbildung sind präzisere Kriterien notwendig. Diese können aus dem der Zivilrechtsordnung zugrundeliegenden Vertragsmodell gewonnen werden. Bevor im einzelnen auf das zivilrechtliche Vertrags(kontroll)modell eingegangen wird, ist es jedoch erforderlich, in einem kurzen Uberblick die europarechtlichen Gesichtspunkte des Verhältnisses von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle darzustellen. Europarechtliche Aspekte beeinflussen in stetig zunehmendem Maß die nationale Rechtsordnung und damit auch die für die Reichweite der Vertragskontrolle entscheidende Konkretisierung von Generalklauseln.
4. Kapitel
Europarechtliche Gesichtspunkte I. Die Ausgangslage A r t . 2 i.V.m. Art. 3 lit. h E G V gibt als Aufgabe der Europäischen Gemeinschaft die Angleichung der innerstaatlichen Rechtsordnungen vor, soweit dies für den gemeinsamen M a r k t erforderlich ist. D i e Rechtsvorschriften sollen harmonisiert werden. D e r Maastricht-Vertrag zielt darauf, auch Kernbereiche der nationalen staatlichen Souveränität einzubeziehen, so daß nur noch wenige Rechtsbereiche einer Europäisierung entzogen sind. Das durch die Institutionen der Europäischen U n i o n beeinflußte Privatrecht (sogenanntes Gemeinschaftsprivatrecht) 1 erlangt infolge dieser Entwicklung zunehmend an Bedeutung. 2 U n t e r G e m e i n schaftsprivatrecht sind die kraft Gemeinschaftsrechts gemeinschaftsweit inhaltsidentischen verbindlichen Privatrechtssätze zu verstehen. 3 Die Stimmen, die sich für ein einheitliches Privatrecht für Europa aussprechen, sind zwar zahlreich,4 aber nicht ohne kritische Resonanz geblieben. Die 1989 und 1994 vom Europäischen Parlament angenommenen Entschließungen,5 die zu einer Ausarbeitung eines einheitlichen europäischen Gesetzbuches für das Privatrecht auffordern, hatten überwiegend ablehnende Äußerungen zur Folge: 6 Die unterschiedliche Rechtskultur und die divergenten Regelungsgewohnheiten der einzelnen Mitgliedstaaten ließen ein einheitliches Privatrecht derzeit noch unrealistisch erscheinen. Sie führten möglicherweise nicht nur zu einem Systembruch innerhalb des nationalen Privatrechts; es bestehe auch die Gefahr, daß durch Der Begriff wurde geprägt von Müller-Graff, Privatrecht, S. 195, 212, 215. Vgl. nur Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 72ff.; de Groot/Schneider, in: Bleckmann, Europarecht, Rn. 1324; Joerges/Brüggemeier, in: Müller-Graff, Privatrecht, S. 233, 244. 3 Zur geschichtlichen Entwicklung des sog. Europäischen Privatrechts Schulze, in: MüllerGraff, Privatrecht, S. 71 ff., m. zahlr. Nachw. 4 Vgl. Going, NJW 1990, 937ff.; Kötz, Festschrift für Zweigert, S.481ff.; ders., RabelsZ 1986, 1 ff.; Tonner, JZ 1996, 533ff.; Steindorff, EG-Vertrag, S.471; Sonnenberger,}Z 1998, 982ff.; Müller-Graff, NJW 1993,13,23; Hauschka,JL 1990,521 ff. Zu den unterschiedlichen Aspekten einer Europäisierung des Vertragsrechts Kirchner, in: Europäisches Vertragsrecht, S. 103 ff., m. Nachw. zum Diskussionsstand. 5 ABl. EG Nr. C 158/400 vom 26.5.1989 (abgedruckt in ZEuP 1993,613), dazu Kötz, RabelsZ 1992,317ff.; EG-DOK A 3-329/94 (abgedruckt in ZEuP 1995,669), dazu Tilmann, ZEuP 1995, 534ff. 6 Schulze, ZEuP 1993, 442, 472 f.; Taupitz, Privatrechtsvereinheitlichung, S. 71; skeptisch gegenüber einer europäischen Kodifikation des Privatrechts Taschner, in: Müller-Graff, Privatrecht, S. 155ff. Uberblick zu den Argumenten, die für und gegen ein Europäisches Vertragsgesetzbuch sprechen, bei Lando, in: Müller-Graff, Privatrecht, S. 473ff.; eine Skizze zum Inhalt eines künftigen Privatrechts der Gemeinschaft findet sich bei Tilmann, in: Müller-Graff, Privatrecht, S.485, 487ff. 1
2
4. Kapitel: Europarechtliche
Gesichtspunkte
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die Einbettung in die nationale Rechtsordnung und die von dieser ausgehenden Einflußfaktoren die Rechtsanwendung auseinanderdrifte.7 Trotz dieser Bedenken hat die sogenannte Lando-Kommission, ein Zusammenschluß von Zivilrechtslehrern aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten, nach mehr als 14jähriger Arbeit einen ersten Bericht über »Principles of European Contract Law« (Part I, 1995) vorgelegt, der sich insbesondere mit einem europäischen Leistungsstörungsrecht befaßt. 8 Überdies wurde in den letzten Jahren das rechtliche Instrumentarium für eine punktuelle Harmonisierung der Privatrechtsordnungen zur Verfügung gestellt und ist vermehrt auch genutzt worden. 9 Folge ist zwar kein europäisches Vertragsrecht, wohl aber ein europäisiertes Vertragsrecht. Ein mögliches Mittel zur Vereinheitlichung ist das Ubereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten nach Art. 293 (ex-Art. 220) EGV. 1 0 Darauf zurückzuführen ist beispielsweise das »Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen« (Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen, EuGVÜ) vom 27.9. 1968." Von besonderer Bedeutung für das Privatrecht sind die in Art. 249 (ex-Art. 189) E G V aufgezählten förmlichen Rechtsakte, die von den Organen der Gemeinschaft erlassen werden können. Die Verordnung gilt unmittelbar in den Mitgliedstaaten, d.h. Behörden und Gerichte haben eine Verordnung anzuwenden, ohne daß es dazu eines innerstaatlichen Umsetzungsaktes, etwa eines Ausführungsgesetzes, bedürfte. Die Verordnung hat Rechtssatzqualität. Entgegenstehendes innerstaatliches Recht tritt aufgrund des Vorranges des Gemeinschaftsrechtes insoweit zurück und bleibt im konkreten Fall außer Anwendung. 12 Ein Beispiel einer unmittelbar wirkenden EG-Verordnung ist die auf die allgemeine Kompetenznorm des Art. 308 (ex-Art. 235) E G V gestützte Verordnung über die Schaffung einer Europäischen Interessenvereinigung (EWIV). Sie schafft für einen Teilbereich in allen Gemeinschaftsstaaten gleiches materielles Gesellschaftsrecht. 13 Der weiter reichende Verordnungsvorschlag eines vereinheitlichten europäischen Gesellschafts- und Unternehmensrechts, gestützt auf Art. 95 (ex-Art. 100a) EGV, ist vom Rat (noch) nicht angenommen worden. Mit der europäischen Aktiengesellschaft soll großen, grenzüberschreitend tätigen Gesellschaften eine einheitliche Organisationsform europäi-
7 Habersack, JZ 1997, 857, 858f.; zum aktuellen Diskussionsstand auch Schulze, NJW 1997, 2742f. 8 Dazu Zimmermann, JZ 1995, 477ff.; Tonner, JZ 1996, 533, 541. 9 Remien, RabelsZ 1996, 1, 8: »In das gewachsene Gebäude der nationalen Privatrechte wird hier und dort ein Stein aus Brüssel eingefügt.« 10 Näher Streinz, Europarecht, Rn.425; Röttinger, in: Lenz, EG-Vertrag, Art.220 Rn.2ff. 11 BGBl. 1972 II, S. 774. Das EuGVÜ hat die regelmäßige Anerkennung der in einem Vertragsstaat ergangenen gerichtlichen Entscheidungen in den Mitgliedstaaten zum Gegenstand. Die Vollstreckung eines Titels bedarf allerdings einer Klausel des entsprechenden Mitgliedstaates, die auf Antrag zu gewähren ist. Überblick bei Geimer, NJW 1986, 2991. 12 Grundsätzliches Primat des Gemeinschaftsrechts, vgl. EuGH (Rs. 6/64, Flaminio Costa/ E.N.E.L.) Slg. 1964,1251,1269ff.; EuGH (Rs. 106/77, Staatliche Finanzverwaltung/S.p.A. Simmenthal) Slg. 1978, 629. Der in der Solange I-Entscheidung des BVerfGs (BVerfGE 37, 271) postulierte Vorbehalt der Grundrechte ist mit der Solange Ii-Entscheidung aufgegeben worden, soweit die Rechtsprechung des EuGH einen vergleichbar wirksamen Schutz der Grundrechte gewährleistet (BVerfGE 73,339,377). Im Maastricht-Urteil spricht das BVerfG davon, den Grundrechtsschutz gegenüber Gemeinschaftsakten in einem Kooperationsverhältnis mit dem EuGH zu gewährleisten (BVerfGE 89,155, 175). Näher hierzu sowie zu der Frage, ob es sich um einen Geltungs- oder einen Anwendungsvorrang handelt, bei Herdegen, Europarecht, Rn. 228f., 230; Koenig/Haratsch, Einführung, Rn. 197ff., 201; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 845 ff. 13 VO vom 25.7.1985, ABl. EG Nr. L 199 vom 25.7.1985, mit deutschem Ausführungsgesetz vom 14.4. 1988, BGBl. I, S.514; vgl. Sonnenberger, JZ 1998, 982, 985.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
sehen Rechts zur Verfügung gestellt werden. 1 4 Daneben existieren Vorschläge der K o m mission f ü r Verordnungen des Rates über das Statut eines europäischen Vereins (EUV), über das Statut einer europäischen Genossenschaft ( E U G E N ) und das Statut einer europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft ( E U G G E S ) . 1 5 Empfehlungen u n d Stellungnahmen entfalten unmittelbar keine Rechtsbindungswirkung; mittelbare Bedeutung erlangen sie allerdings wegen Art. 10 (ex-Art. 5) EGV, der den G r u n d s a t z der Gemeinschaftstreue enthält. Aus der allgemeinen Treue- u n d Loyalitätspflicht ergibt sich, daß Empfehlungen und Stellungnahmen 1 6 bei der Auslegung innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu berücksichtigen sind. Empfehlungen u n d Stellungnahmen mit privatrechtlichem Bezug k ö n n e n also im R a h m e n der systematischen und teleologischen Interpretation die nationale Privatrechtsordnung beeinflussen. 1 7 Europäische Richtlinien w e n d e n sich an einen, an mehrere oder an alle Mitgliedstaaten und sind nur f ü r den Adressatenkreis u n d grundsätzlich lediglich in bezug auf das vorgegebene Ziel verbindlich. 1 8 Das bedeutet, daß den Mitgliedstaaten unter U m s t ä n d e n bei der U m s e t z u n g Spielräume bleiben. Im Ergebnis kann sich deshalb möglicherweise das »Paradoxon einer Zerstörung« von angestrebter Rechtseinheit durch eine im Detail unterschiedliche Richtlinienumsetzung ergeben. 1 9 Soweit der Regelungsinhalt einer Richtlinie reicht, entfaltet sie eine negative Sperrwirkung, das heißt, den betroffenen Staaten ist es untersagt, auf den von der Richtlinie erfaßten Gebieten mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften abweichenden Inhalts zu erlassen. Die U m s e t z u n g hat nach Art. 10 Abs. 1 (ex-Art. 5 Abs. 1) E G V d u r c h die Mitgliedstaaten in der Weise in innerstaatliches Recht zu erfolgen, welche die praktische Wirksamkeit (»effet utile«) der Richtlinie am besten gewährleistet. 2 0 So w u r d e die E G - P r o d u k t h a f t u n g s r i c h t l i nie 8 5 / 3 7 4 / E W G durch das deutsche Gesetz über die H a f t u n g f ü r fehlerhafte P r o d u k t e v o m 15.12. 1989 in nationales Recht umgesetzt. 2 1 Europarechtliche Vorgaben wirken auf das nationale Privatrecht vor allem durch die Richtlinien ein. Trotz der grundsätzlichen N o t w e n d i g k e i t einer innerstaatlichen U m s e t z u n g ist ihnen im Verhältnis Individuum/Staat unmittelbare W i r k u n g dann zuzuerkennen, w e n n der Richtlinieninhalt detailliert u n d deshalb unmittelbar anwendbar (»seif executing«), die Umsetzungsfrist abgelaufen u n d die Bestimmung individuumbegünstigend ist. 22 Diese
14
Siehe Ulmer, JZ 1992, 1, 4. ABl. EG Nr. C 99 vom 21.4. 1992. 16 Beispielsweise die Empfehlungen der Kommission an die Kreditwirtschaft für die Bereiche elektronischer Zahlungsverkehr, Zahlungssysteme und Bankkonditionen, ABl. EG 1990 Nr. L 67/39; 1988 Nr. L 317/55; 1987 Nr. L 365/72. 17 Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn.382. 18 Zur Festlegung von Ergebnissen Bach, JZ 1990, 1108, 1109; Grundmann, JZ 1996, 274f. 19 Sonnenberger, JZ 1998, 982, 983; siehe auch Tonner, JZ 1996, 533, 539; zur Kontroverse, welche Spielräume dem nationalen Gesetzgeber aufgrund welcher Kriterien offenstehen, instruktiv Grundmann, JZ 1996, 274, 282ff. 20 E u G H (Rs. 291/84, Kommission/Königreich der Niederlande) Slg. 1987, 3483, 3498; E u G H (Rs. C-361/88, Kommisssion/Bundesrepublik Deutschland) Slg. 1991,1-2567ff., 2607ff. Zur Staatshaftung wegen der Nichtumsetzung von Richtlinien E u G H (verb. Rs. C-6/90 und C9/90, Andrea Francovich u.a./Italienische Republik) Slg. 1991, 1-5357; E u G H (Rs. C-261/95, Rosalba Palmisani/Istituto nazionale della previdenza sociale [INPSI]), N Z A 1997, 1041 und Fn. 25; Herdegen, Europarecht, Rn. 232ff. 21 ABl. EG Nr. L 210 vom 7.8. 1985, S.29; BGBl. I, S.2198. 22 Seit E u G H (Rs. 9/70, Franz Grad/Finanzamt Traunstein) Slg. 1970, 825, ständige Rechtsprechung des E u G H , vgl. E u G H (Rs. 103/88, Fratelli Costanzo SpA/Stadt Mailand) Slg. 1989, 1839; E u G H (Rs. C-221/88, EGKS/Acciaierie e ferriere Busseni SpA in Konkurs) Slg. 1990,1495; E u G H (Rs. C-54/96, Dorsch Consult Ingenieurgesellschaft mbH/Bundesbaugesellschaft 15
4. Kapitel: Europarechtliche
Gesichtspunkte
151
D r i t t w i r k u n g gilt in vertikaler Beziehung. Für das Verhältnis der E G - B ü r g e r untereinander ist damit nichts ausgesagt. Vor allem Bleckmann ist d a f ü r eingetreten, Richtlinien auch im horizontalen Verhältnis jedenfalls dann Wirksamkeit zuzuerkennen, wenn sie Individualverpflichtungen begründen. 2 3 Seine Ansicht hat sich bisher zu Recht nicht durchsetzen können. 2 4 Eine unmittelbare D r i t t w i r k u n g von Richtlinien im Verhältnis Privater zueinander mit korrespondierenden Rechten u n d Pflichten ist abzulehnen. Art. 249 (ex-Art. 189) E G V versieht die Richtlinie mit verbindlicher Wirkung nur gegenüber dem Mitgliedstaat, an den sie gerichtet ist; mit unmittelbarer Wirkung zu Lasten der Bürger Verpflichtungen anzuordnen, ist Verordnungen vorbehalten. Z u d e m sprechen G r ü n d e der Rechtssicherheit dagegen, dem Individuum die Konkretisierung von eigenen Pflichten aus einer an die Mitgliedstaaten gerichteten Richtlinie zu überlassen. D e m Bürger verbleibt die mitgliedstaatliche H a f t u n g f ü r legislative N i c h t b e f o l g u n g des Gemeinschaftsrechts, 2 5 wie es beispielsweise bei der von der Bundesrepublik Deutschland nicht rechtzeitig umgesetzten Pauschalreiserichtlinie der Fall war. 26 A n z u e r k e n n e n ist hingegen die Erforderlichkeit einer richtlin i e n k o n f o r m e n Auslegung der bestehenden nationalen Bestimmungen. Auch sie f ü h r t zu einem europäisierten Zivilrecht. Das nationale Recht ist - soweit die herkömmlichen Auslegungsmethoden dies zulassen - im Sinne der effektiven Erreichung der Ziele der Richtlinie auszulegen. Die deutschen Gerichte haben deshalb bei der A n w e n d u n g zivilrechtlicher N o r m e n , insbesondere auch der Vorschriften eines speziell zur Realisierung einer Richtlinie erlassenen Gesetzes, die Richtlinienvorgaben u n d deren Regelungsziele zu berücksichtigen. 27 Deutlich zeigt sich die europarechtskonforme Auslegung bei der Verwirklichung der Gleichbehandlungsrichtlinie, 2 8 die nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 unter anderem z u m Ziel hat, den G r u n d s a t z der Gleichbehandlung von Frauen u n d M ä n n e r n hinsichtlich des Zuganges zur Beschäftigung zu verwirklichen. D e r bis z u m 1.9.1994 geltende § 611a Abs. 2 S. 1 B G B verpflichtete z u m Ersatz des Vertrauensschadens u n d sollte so der EG-Richtlinie genüge tun. Art. 6 der Richtlinie gibt jedoch vor, daß solche M a ß n a h m e n zu ergreifen sind, die hinreichend wirksam die Intention der Gleichbehandlungsrichtlinie umsetzen. Die Sanktionsregelung m u ß geeignet sein, einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten u n d den Arbeitgeber zur Gleichbehandlung anzuhalten. 2 9 Schadensersatzansprüche, Berlin mbH) N J W 1997, 3365; siehe auch Oppermann, Europarecht, Rn.466; Streinz, Europarecht, Rn.398ff. 23 Bleckmann, RIW/AWD 1984, 774; ders., Europarecht, Rn.434ff.; in diese Richtung auch das O L G Celle, EuZW 1990,550, das die Haustürgeschäfte-Richtlinie unmittelbar im Verhältnis zwischen den EG-Bürgern angewandt hat. 24 E u G H (Rs. C-91/92, Paola Faccini Dori/Recreb Sri) Slg. 1994, I-3325ff., 3355ff.; E u G H (Rs. C-208/90, Theresa Emmott/ Minister for Social Weifare and Attorney General) Slg. 1991,14269, 4298; E u G H (Rs. C-221/88, EGKS/Acciaierie e ferriere Busseni SpA in Konkurs) Slg. 1990,1-495, 525; Grundmann, JZ 1996, 274, 275; Lenz/Erhard, EG-Handbuch, S.66; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 368; Streinz, Europarecht, Rn. 405, 405a. 25 Vgl. E u G H (Fn.20); Bleckmann, Europarecht, Rn. 1038ff.; Herdegen, Europarecht, Rn.232ff.; Streinz, Europarecht, Rn.410ff. 26 E u G H (verb. Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94 und C-190/94, Erich Dillenkofer, Christian Erdmann, Hans-Jürgen Schulte, Anke Heuer und Werner, Ursula und Torsten Knor/Bundesrepublik Deutschland) EuGRZ 1996, 450ff. 27 DiFabio, N J W 1990, 947, 948ff.; Everling, RabelsZ 1986,193, 225; Lutter, JZ 1992, 593ff.; Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71,95; Ehricke, RabelsZ 1995,598; umfassend Brechmann, Auslegung, passim. Zusammenfassend Grundmann, JZ 1996, 274, 282, m. weit. Nachw. 28 ABl. EG Nr. L 39 vom 14.2. 1976, S.40. 29 E u G H (Rs. 14/83, Sabine von Colson und Elisabeth Kamann/Land Nordrhein-Westfalen) Slg. 1984, 1891; kritisch Herrmann, ZfA 1996, 19, 36ff., 39f.
152
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
die den Betroffenen einer Diskriminierung beim Zugang z u r Beschäftigung auf eine symbolische Entschädigung beschränken, werden der Richtlinie nicht gerecht. So liegt es beim bloßen Ersatz des Vertrauensschadens. Das B A G hat daher rechtsfortbildend entschieden, daß die Entschädigung grundsätzlich der Arbeitsvergütung f ü r einen M o n a t entsprechen müsse. 3 0 D e r Gesetzgeber hat zwischenzeitlich reagiert u n d in §61 l a Abs.2 B G B eine angemessene Entschädigung in Geld in H ö h e von höchstens drei Monatsverdiensten festgesetzt. D e r E u G H spricht sich d a f ü r aus, die Entschädigungssumme nicht durch eine nationale gesetzliche Regelung vorab zu begrenzen. 3 1 A u c h w e n n §61 l a Abs.2 B G B keine ziffermäßig konkrete O b e r g r e n z e nennt, ist eine weitere Anpassung des deutschen Zivilrechts aufgrund europarechtlicher Vorgaben nicht auszuschließen. Besondere Bedeutung erlangt die europarechtskonforme Auslegung bei der A n w e n d u n g von Generalklauseln. Sie geben regelmäßig nur einen allgemeinen Gedanken wieder u n d überlassen die Bewertung im Einzelfall den Gerichten. Bei der Ausfüllung des Wertungsrahmens sind europarechtliche Gesichtspunkte (mit) zu berücksichtigen. Die Wertentscheidungen des (höherrangigen) Europarechts wirken im nationalen Zivilrecht über die Generalklauseln, also insbesondere mittels §§138, 242 BGB, § 9 A G B G . D a das Verhältnis von Vertragsfreiheit u n d Vertragskontrolle maßgeblich durch die A n w e n d u n g und Reichweite der Generalklauseln geprägt ist, ist es von Relevanz, ob europarechtliche Aspekte eher f ü r oder gegen eine umfassende Vertragskontrolle sprechen.
Das nationale Privatrecht wird überwiegend durch sekundäres Gemeinschaftsrecht beeinflußt. 32 Während Verordnungen privatrechtlichen Inhalts unmittelbar auf die nationale Zivilrechtsordnung einwirken, sind Stellungnahmen, Empfehlungen sowie (noch) nicht umgesetzte Richtlinien im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen. Das in der Praxis bedeutsame Harmonisierungsinstrument ist die Richtlinie: Deutsche Transformationsgesetze sind zahlreich und betreffen viele Bereiche des Zivilrechts. 33 So ist aufgrund der Pauschalreiserichtlinie durch das Gesetz vom 24.6. 1994 §651k BGB eingeführt und dessen Absatz 4 durch Art.3 RPflAnpG geändert worden. 34 Eine Verbesserung des Schutzes bei Abzahlungskäufen erfolgte durch eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit. 35 Die am 5.4. 1993 verabschiedete Richtlinie 93/13/EWG 36 eröffnet die Möglichkeit zu einer weitgehenden richterlichen Vertragskontrolle. Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie ist eine Vertragsklausel, die nicht im einzelnen ausgehandelt wurde, dann als 30
BAG NJW 1990, 65. E u G H (Rs. C-271/91, M.H. Marshall/Southampon and South West Hampshire Area Health Authority) EuZW 1993, 706. 32 Kritisiert wird, daß die punktuelle Einwirkung des Gemeinschaftsrechts die Kohärenz nationalen Rechts zerreißt, ohne Gleichwertiges an dessen Stelle zu setzen, vgl. Ulmer, JZ 1992, 1, 5. 33 Vgl. Heinrichs, N J W 1993,1817; ders., NJW 1995,153; Schmidt-Salzer, NJW 1995,1641; v. Westphalen, N J W 1990, 83; Kemper, N J W 1993, 3293; Heitmann, N J W 1997, 236; Rabe, NJW 1997, 2631,2633. 34 BGBl. I 1994, S. 1322; BGBl. I 1996, S.2090. 35 ABl. EG Nr. L 42 vom 12.2.1987, S.48 mit Änderungs-Richtlinie ABl. EG L 61 vom 10.3. 1990, S. 14. 36 ABl. EG Nr. L 95 vom 21.4. 1993, S. 29. Zum Inhalt der Richtlinie und der Bedeutung des §24a AGBG im 10. Kapitel (S.426ff.). 31
4. Kapitel: Europarechtliche
Gesichtspunkte
153
m i ß b r ä u c h l i c h a n z u s e h e n , w e n n sie e n t g e g e n d e m G e b o t v o n T r e u u n d G l a u b e n z u m N a c h t e i l des V e r b r a u c h e r s e i n e r h e b l i c h e s u n d u n g e r e c h t f e r t i g t e s M i ß v e r hältnis der vertraglichen R e c h t e und Pflichten der Vertragspartner verursacht. B e i d e r B e u r t e i l u n g e i n z e l n e r V e r t r ä g e ist n a c h d e r R i c h t l i n i e » b e s o n d e r s z u b e r ü c k sichtigen, welches Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen
der
P a r t e i e n b e s t a n d , o b a u f d e n V e r b r a u c h e r in i r g e n d e i n e r W e i s e e i n g e w i r k t w u r d e , s e i n e Z u s t i m m u n g z u d e r K l a u s e l z u g e b e n . « 3 7 U m g e s e t z t w u r d e die R i c h t l i n i e durch § 24a A G B G . A m 1 . 1 . 1 9 9 7 ist das T e i l z e i t - W o h n r e c h t e g e s e t z in K r a f t g e t r e t e n . D a s G e s e t z dient der U m s e t z u n g der Richtlinie 9 4 / 4 7 / E G und bringt zahlreiche Einschränkungen der Vertragsfreiheit. Arbeitsrechtliche Transformationsgesetze beeinfluss e n z u n e h m e n d die b e r e i t s d u r c h n a t i o n a l e V o r s c h r i f t e n e i n g e e n g t e A r b e i t s v e r tragsfreiheit.38 N e b e n d e m bereits angesprochenen
Gleichbehandlungsgrund-
satz39 k o m m t große praktische Bedeutung der Richtlinie 7 7 / 1 8 7 / E W G zur A n g l e i c h u n g d e r R e c h t s v o r s c h r i f t e n d e r M i t g l i e d s t a a t e n ü b e r die W a h r u n g v o n A n sprüchen der Arbeitnehmer beim Ubergang von Unternehmen, Betrieben oder B e t r i e b s t e i l e n v o m 1 4 . 2 . 1 9 7 7 z u . D e r d e u t s c h e G e s e t z g e b e r ist d e m R e g e l u n g s a u f t r a g d u r c h das a r b e i t s r e c h t l i c h e E G - A n p a s s u n g s g e s e t z v o m 1 3 . 8 . 1 9 8 0 n a c h g e k o m m e n . 4 0 E i n e n i c h t u n e r h e b l i c h e Z a h l v o n R i c h t l i n i e n s c h r ä n k t also A b s c h l u ß - , G e s t a l t u n g s - o d e r F o r m f r e i h e i t v o n V e r t r ä g e n ein. 4 1 Weitere Grenzen der Vertragsfreiheit enthält der Vorschlag der Kommission 4 2 für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Ubergang von Unternehmen, Betrie3 7 So in den den einzelnen Artikeln vorangestellten Erwägungsgründen. In der ursprünglichen Fassung (Vorentwurf einer Richtlinie, D O K Nr. X I 124/87; Vorschlag für eine Richtlinie, ABl. E G Nr. C 243 vom 28.9.1990, S. 2) war vorgesehen, die Mißbrauchskontrolle auch auf Individualabreden in Verbraucherverträgen zu erstrecken und das Preis-/Leistungsverhältnis einzubeziehen. Dieser massive Eingriff in die Privatautonomie wurde heftig kritisiert (z.B. Brandner/ Ulmer, B B 1991, 701; Bunte, Festschrift für Locher, S. 325; Locher, Festschrift für Gernhuber, S.281, 292ff.; Hommelhoff, Verbraucherschutz, S.7) und die Inhaltskontrolle deshalb in die Richtlinie nur in abgeschwächter Form aufgenommen; siehe Heinrichs, N J W 1993, 1817. Zum Übermaß verbot im 3. (S.69ff.) und im 11. Kapitel (S.470ff.). 38 Uberblick bei Schmid/Fehringer, EU-Arbeitsrecht, S. 197ff. (betreffend den Inhalt des Arbeitsverhältnisses), S.249ff. (allgemeiner Arbeitnehmerschutz), S. 551 ff. (kollektives Arbeitsrecht), S. 589ff. (Aus- und Weiterbildung); Gaul, N Z A 1997, 1022ff. Zum Einfluß des E G Rechts auf das deutsche Arbeitsschutzrecht Opfermann, Festschrift für Wlotzke, S. 729ff.; zum Gleichbehandlungsgrundsatz Dungs, Europäisierung, S. 129ff. Allgemein zur Europäisierung des Arbeitsrechts Simitis, Festschrift für Kissel, S. 1097ff., m. Nachw. zum Diskussionsstand. 3 9 Vgl. bei Fn.28. Siehe auch Krimphove, Arbeitsrecht, S. 139ff.; Schmid/Fehringer, EU-Arbeitsrecht, S. 129ff. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Verordnung Nr. 1612/68. Nach Art. 7 Abs. 4 der Verordnung sind Bestimmungen in Arbeits- und Tarifverträgen nichtig, soweit sie Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminieren. Die Bestimmung gilt also auch für Privatrechtssubjekte und entfaltet demnach im Gegensatz zu Art. 39 (ex-Art.48) E G V horizontale Wirkung. 40 41 42
ABl. E G Nr. L 61 vom 5.3. 1977, S.26; umgesetzt 1980, BGBl. I, S. 1308. Medicus, Abschied, S. 14f., 29ff. K O M (94) 300 endg. - 94/0203 (CNS), ABl. E G Nr. C 274 vom 1.10. 1994, S. 10.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
ben oder Betriebsteilen. 43 Der Vorschlag der Kommission vom 29.6. 1990 für eine Richtlinie des Rates über bestimmte Arbeitsverhältnisse hinsichtlich der Arbeitsbedingungen hat die Angleichung der vertraglich bestimmten Arbeitsbedingungen von Teilzeit-, Saisonarbeits- und Leiharbeitskräften an den Standard von Normalarbeitskräften zum Gegenstand. Die am 7.6. 1997 getroffene Vereinbarung der europäischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter soll die Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten verhindern und ein für beide Seiten akzeptierbares Teilzeitarbeitsrecht schaffen.44 Die Empfehlung 92/443/EWG des Rates zur Förderung der Beteiligung der Arbeitnehmer an den Betriebserträgen (einschließlich Kapitalbeteiligung) vom 27.7. 1992 zielt darauf ab, vertragliche Vereinbarungen über Kapitalbeteiligungen der Arbeitnehmer zu treffen, 45 während die Stellungnahme der Kommission vom 11.9.1993 die Mitgliedstaaten aufruft, »geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, daß das Recht auf ein angemessenes Arbeitsentgelt geschützt wird,« und in diesem Zusammenhang insoweit neben »Mechanismen zur Festlegung von tariflich vereinbarten Mindestlöhnen« entsprechende gesetzliche Regelungen anzustreben. 46 Der Kommissionsvorschlag vom 29.11. 1996, der die Richtlinie 75/129/EWG vom 17.2. 1975 und ihre späteren Änderungen, vor allem durch die Richtlinie 92/56/EWG vom 24.6. 1992, zusammenführt und eine einheitliche Regelung für Massenentlassungen vorgibt, ist im deutschen Recht mit den §§17 KSchG, §§106, l l l f f . BetrVG bereits berücksichtigt. 47 D i e Gemeinschaftsrechtssetzung dringt - dynamisch fortschreitend - in Bereiche des bürgerlichen Rechts ein. Die zunehmende Europäisierung des deutschen Privatrechts erfordert eine Analyse, welchen Stellenwert Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle im europäischen Rechtssystem einnehmen und welche E n t w i c k lungen dementsprechend zukünftig zu erwarten sein werden. Zu untersuchen ist, inwieweit die europarechtlichen Grundaussagen mit dem Grundsatz der Privatautonomie k o n f o r m gehen. Eine ausdrückliche Normierung des allgemeinen Prinzips der Vertragsfreiheit fehlt im Europarecht ebenso wie eine ausdrückliche vertragsbezogene Stellungnahme zur Wechselwirkung von Freiheit und Freiheitskontrolle.
II. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit im Europarecht 1. O b j e k t i v - r e c h t l i c h e L a g e D e r P r o z e ß der europäischen Integration zielte zunächst auf wirtschaftliche Integration, militärische und politische Zusammenarbeit. M i t dem Inkrafttreten des
43 Zur Handhabung des §613a BGB im Lichte des EU-Arbeitsrechts, EuGH (Rs. C-13/95, Ayse Süzen/Zehnacker Gebäudereinigung GmbH Krankenhausservice) NZA 1997, 433f. 44 Vgl. KOM (90) 228 endg. - SYN 280; KOM (90) 533 endg. - SYN 280; die zuletzt genannte Rahmenvereinbarung ist abgedruckt in AuR 1997, 318; hierzu Kreimer-de Fries, AuR 1997, 314ff. 45 ABl. EG Nr. L 245 vom 26.8. 1992, S.53. 46 KOM (93) 388 endg., ABl. EG Nr. C 248 vom 11.9. 1993, S. 7. 47 KOM (96) 620 endg., ABl. EG Nr. L 48 vom 22.2.1975, S. 29, ABl. EG Nr. L 245 vom 26.8. 1992, S. 3; dazu Gaul, NZA 1997, 1022, 1027.
4. Kapitel: Europarechtliche
Gesichtspunkte
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Vertrages über die Gründung einer politischen Union, dem Maastricht-Vertrag, 48 wirkt die Europäische Union nunmehr in zunehmendem Maß auch auf eine rechtlich verbindliche Kooperation im Bereich der allgemeinen Wirschafts-, Außen- und Sicherheitspolitik sowie auf den Feldern der inneren Sicherheit und der Justiz hin. 49 Der Vertrag von Amsterdam schließt an diesen Prozeß an und bringt weitere Fortschritte für die europäische Integration. 50 Die zunächst für wirtschaftliche Ziele entwickelten Grundaussagen gewinnen deshalb an allgemeiner Bedeutung. Leitziele wirtschaftlicher Integration sind die Verwirklichung eines gemeinsamen Marktes und die Herstellung eines Binnenmarktes, Art. 14 Abs. 1 (ex-Art. 7a Abs. 1) EGV.51 Angestrebt ist eine freiheitliche Wirtschaftsordnung im Sinne eines im Kern freien, offenen europäischen Wirtschaftsraumes, Art. 2 EGV. Die liberale Grundhaltung findet ihren Ausdruck vor allem durch die angestrebte Beseitigung zwischenstaatlicher Hindernisse im Bereich des Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs. 52 Diese sogenannten vier Grundfreiheiten, neben die die Sicherung des freien Zahlungsverkehrs tritt (Art. 56 Abs. 2 [exArt. 73b Abs. 2], Art. 57ff. [ex-Art. 73c ff.] EGV), haben die Ausrichtung an einer von staatlichen Reglementierungen weitgehend freien Rechtsordnung gemein, in der einem freien Wählen-Können zwischen vertraglichen Regelungsvarianten der Vorrang eingeräumt ist. 53 Als Mittel zur Erreichung des freien Warenverkehrs sieht der EGV die Errichtung einer Zollunion (Art. 23ff. [ex-Art. 9ff.] EGV) und die Abschaffung aller mengenmäßigen Beschränkungen (Art. 36f. [ex-Art. 30ff.] EGV) im innergemeinschaftlichen Handelsverkehr vor, Art. 3 Abs. 1 Nr. 1, Art. 4 (ex-Art. 3a) EGV. Ausdruck der freiheitlichen Grundhaltung ist Art. 81 Abs. 2 (ex-Art. 85 Abs. 2) EGV. Als primäres Gemeinschaftsrecht wirkt die Regelung unmittelbar auf das Privatrecht ein. Art. 81 Abs. 2 (ex-Art. 85 Abs. 2) EGV sieht die Nichtigkeit wettbewerbswidriger Vereinbarungen und Beschlüsse vor. Wettbewerbswidrig sind rechtliche und tatsächliche Bindungen, denen sich die Kartellmitglieder im Hinblick auf ihr zukünftiges Marktverhalten unterwerfen, sowie Absprachen, die zwar die Wettbewerbsfreiheit der Beteiligten nicht beeinträchtigen, aber die von Dritten einschränken.54 Wettbewerbsfreiheit setzt Handlungsund Entscheidungsfreiheit aller Marktteilnehmer voraus und verkörpert damit einen zentralen Teilaspekt der Vertragsfreiheit.
ABl. EG Nr. C 224 vom 31.8. 1992, S. lff. Allgemein Bleckmann, DVB1. 1992, 335; Seidel, EuR 1992, 125. 50 Streinz, EuZW 1998, 137; Hilf/Pache, NJW 1998, 705. 51 Zu den Begriffsinhalten Herdegen, Europarecht, Rn. 272; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 1066ff. 52 Die Europäisierung des Vertragsrechts wurde v.a. durch das Wettbewerbsrecht initiiert; für den innergemeinschaftlichen Handel sind marktöffnende und wettbewerbsgemäße Distributionssysteme angestrebt worden. Vgl. Joerges/Brüggemeier, in: Müller-Graff, Privatrecht, S. 233, 245 ff. 53 Zur Frage, inwieweit die Grundfreiheiten dem nationalen Privatrecht Grenzen setzen, Mülbert, ZHR 159 (1995), 2, 5ff. 54 Vgl. Schröter, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 85 Rn. 13ff., 157ff.; Grill, in: Lenz, EG-Vertrag, Art. 85 Rn. 9ff., 33ff., jeweils m. zahlr. Nachw. zur umfangreichen Literatur. 48
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
D i e Freiheit des Personenverkehrs besteht aus den zwei Elementen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 3 9 - 4 2 [ex-Art. 4 8 - 5 1 ] E G V ) und der Niederlassungsfreiheit (Art. 4 3 - 4 8 [ex-Art. 5 2 - 5 8 ] E G V ) . D i e Freizügigkeit der Arbeitnehmer beinhaltet im wesentlichen das Aufenthaltsrecht der Arbeitnehmer im B e schäftigungsstaat sowie einen Anspruch auf Inländergleichbehandlung in H i n blick auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Art. 39 (ex-Art. 48) E G V und das dazu ergangene Sekundärrecht sollen den abhängig B e schäftigten - von Ausnahmen abgesehen - die freie Wahl des Arbeitsplatzes im gesamten Gemeinschaftsgebiet und so eine von staatlichen Einschränkungen losgelöste Ausübung der Arbeitsvertragsfreiheit ermöglichen. F ü r selbständige E r werbstätigkeit ist Privatautonomie hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit in Art. 4 3 - 4 8 (ex-Art. 5 2 - 5 8 ) E G V geregelt. Gemäß Art. 43 Abs. 2 (ex-Art. 52 Abs. 2) EGV umfaßt die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeit nach den Bestimmungen des Aufenthaltsstaates für seine Angehörigen, sog. Grundsatz der Inländergleichbehandlung. Diese Bestimmung erfaßt sämtliche mit selbständiger Tätigkeit notwendigerweise einhergehenden Rechtsgeschäfte, also insbesondere die Freiheit, Verträge über den Kauf der für die Erwerbstätigkeit notwendigen Grundstücke und Investitionsgüter abzuschließen, sowie die Freiheit, Arbeitskräfte einzustellen.55 D i e Dienstleistungsfreiheit schließlich ergänzt die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit. Anders als Art. 39 (ex-Art. 48) E G V betrifft sie die selbständige Erwerbstätigkeit und erfaßt abweichend von Art. 43 (ex-Art. 52) E G V Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat, die ohne eine dortige Niederlassung im Sinne des Art. 43 (ex-Art. 52) E G V erbracht werden. D e r E u G H geht davon aus, daß Art. 49, 50 (ex-Art. 59, 60) E G V nicht nur ein Diskriminierungsverbot enthalten, sondern darüber hinaus alle Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs untersagen. 5 6 Gewährleistet ist mithin ebenfalls die damit im Zusammenhang stehende Privatautonomie. D e r Gedanke der Liberalisierung hat seinen N i e derschlag zudem in der Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs gefunden. Diese überblicksmäßig dargestellte freiheitliche Grundhaltung des E u r o p a rechts läßt den Schluß zu, daß zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des G e meinschaftsrechts auch die Privatautonomie und damit die Vertragsfreiheit zählen. Eine freie M a r k t - und Wettbewerbswirtschaft ist ohne Vertragsfreiheit nicht funktionsfähig; in einer durch Marktwirtschaft und Subsidiarität gekennzeichneten O r d n u n g steht die autonome Entscheidung und Gestaltung im Mittelpunkt. 5 7 Das Primat der Vertragsfreiheit ist aber nicht nur auf den Bereich des Wirschaftsrechts beschränkt. A u c h der einzelne Bürger soll aus europarechtlicher Sicht Verträge weitgehend ohne staatliche Beschränkungen schließen und ausgestalten können. Das zeigt die Haltung der E G zum Verbraucherrecht. Bleckmann, Europarecht, Rn. 1649. EuGH (Rs. 33/74, Johannes Henricus Maria van Binsbergen/Bestuur von de Bedrijfsvereniging voor de Metaalnijverheid) Slg. 1974, 1299ff. 57 Ebenso Canaris, Festschrift für Lerche, S. 873, 890; Herdegen, Europarecht, Rn. 280; Steindorff, EG-Vertrag, S.42. 55
56
4. Kapitel: Europarecbtliche
Gesichtspunkte
157
In den EG-Vertrag sind durch den Maastricht-Vertrag K o m p e t e n z e n im Bereich des Verbraucherschutzes aufgenommen worden, Art. 153 (ex-Art. 129a) EGV. Die Europäische Gemeinschaft ist seitdem ausdrücklich verpflichtet, »einen Beitrag zur Verbesserung des Verbraucherschutzes« zu leisten, Art. 3 lit. t (ex-lit. s) EGV. 5 8 Zahlreiche Bereiche des Privatrechts sind von verbraucherschützenden Regelungen des europäischen Rechts betroffen. Eine einheitliche Definition des Verbraucherrechts fehlt auf europäischer wie auf deutscher Ebene. 5 9 Art. 153 (ex-Art. 129a) E G V ändert, wie der E u G H klargestellt hat, nichts daran, daß Richtlinien auch im Bereich des Verbraucherschutzes keine unmittelbare Wirkung zwischen Privaten entfalten. 6 0
Mit den vier Grundfreiheiten sowie dem Gedanken einer »offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb« (Art. 4 Abs. 1, 98, 105 Abs. 1 [ex-Art. 3a Abs. 1, 102a, 105 Abs. 1] EGV) einher geht die Vorstellung von einem verständigen Verbraucher, dessen Entscheidungsfreiheit einen maßgeblichen Eckpfeiler der Marktwirtschaft bildet. Dementsprechend zielt das Gemeinschaftsrecht ebenso auf eine umfangreiche Information des Verbrauchers ab. So sind in den Richtlinien zum Verbraucherkredit (Art. 4 Abs. 2, 6 Abs. 1) und zur Pauschalreise (Art. 3 Abs. 2,4 Abs. 2b) umfangreiche Vorgaben zur Verbraucherinformation enthalten. Dadurch soll dem Verbraucher ermöglicht werden, uneingeschränkt seine Freiheit beim Vertragsabschluß und bei der Vertragsgestaltung auszuüben. 61 Gleiches gilt für die politischen Programme. In den Festlegungen haben die Organe der Europäischen Gemeinschaft die Priorität der Verbraucherinformation betont und ihr den Vorrang vor anderen verbraucherpolitischen Zielen eingeräumt. 62 N u r bei einem umfassend informierten Verbraucher könne der freien, von staatlichen Grenzen weitgehend unbeeinflußten Vertragsgestaltung Bestandskraft zuerkannt werden. 63 Das Leitbild des informierten, verständigen und frei entscheidenden Verbrauchers, der in eigener Verantwortung und »ohne entmündigende Staatsfürsorge« 64 seine Verträge schließt, hat der E u G H aufgegriffen und zur Grundlage seiner Rechtsprechung gemacht. 65 Die europäische Rechtsordnung
58 Vgl. Engelhard, in: Lenz, EG-Vertrag, Art. 129a Rn. 1, 6ff.; Geiger, EG-Vertrag, Art. 129a Rn.l. 59 Dreher, JZ 1997,167ff., 170; Hommelhoff, Verbraucherschutz, S. 5 (»in keiner Weise durchdacht«); zur Begrifflichkeit Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, S.25ff. 60 E u G H (Rs. C-192/94, El Corte Inglés SA/Cristina Bläzquez Rivero) EuZW 1996, 236. 61 Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 93f. 62 Vgl. ABl. EG Nr. C 92 vom 25.4. 1975, S. 1; Nr. C 133vom3.6. 1981, S. 1; Nr. C 167 vom 5.7. 1986, S. 1; D O K K O M (95) 519 vom 31.10. 1995, zustimmend der Wirtschafts- und Sozialausschuß in seiner Stellungnahme zu der Mitteilung, 19.7.1996, S. 1,4 sowie seiner Stellungnahme zum Thema »Binnenmarkt und Verbraucherschutz: Chancen und Hemmnisse des einheitlichen Marktes« vom 22./23.11. 1995, S. 19. 63 Vgl. auch Pieper, in: Bleckmann, Europarecht, Rn.2718. 64 Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 94. 65 E u G H (Rs. 120/78, Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein) Slg. 1979, 649; E u G H (Rs. 261/81, Walter Rau Lebensmittelwerke/De Smedt P.v.b.A.) Slg. 1982, 3961; E u G H (Rs. C-362/88, GB-INNO-BM/Confédération du commerce luxembourgeois) Slg. 1990, 1-667; E u G H (Rs. C-369/89, Piageme u.a./BVBA Peeters) Slg. 1991, 1-2971; E u G H (Rs. C-85/94, Groupement des producteurs, importateurs et agents généraux d'eaux minérales
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1. Teil: Grundlagen
privatrechtlicher
Selbstgestaltung
erkennt also Privatautonomie und damit Vertragsfreiheit als wesentliche Grundlagen an. Die objektiv-rechtliche Anerkennung der Vertragsfreiheit im Europarecht besagt aber nicht, ob die Vertragsfreiheit als europäisches Individualgrundrecht einzuschätzen ist. 2. Vertragsfreiheit als europäisches Individualgrundrecht Die Europäische Gemeinschaft setzt im Rahmen der ihr zugewiesenen Kompetenzen Recht, das nicht nur mittelbar, sondern gegebenenfalls auch unmittelbar für die Bürger der Vertragsstaaten gilt. Innerstaatliche Regelungen dürfen seiner Anwendung nicht entgegengehalten werden. 66 Notwendig ist mithin für die Bürger ein effizienter Rechtsschutz. Auf verfahrensrechtlicher Seite steht ein System (Art. 220ff. [ex-Art. 164ff.] E G V ) zur Verfügung, das Rechtsschutz auf der Grundlage eines Kataloges von Einzelzuständigkeiten gewährt. 67 Uber einen eigenen geschriebenen Grundrechtskatalog, auf den sich der Bürger bei Streitigkeiten berufen könnte, verfügt die Gemeinschaft hingegen nicht. Die Berufung auf nationale Grundrechtsartikel ist ausgeschlossen. Der E u G H bestätigt in ständiger Rechtsprechung, 6 8 daß die Gültigkeit von Rechtsakten der Gemeinschaft nur nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilen und jeder Verweis auf nationale Verfassungsprinzipien oder nationale Grundrechte ausgeschlossen ist. Von besonderem Interesse ist deshalb, ob die Vertragsfreiheit als ein (ungeschriebenes) europäisches Grundrecht anzusehen ist und dementsprechend als negatives Abwehrrecht zu ihrem Schutz dienen kann. Daneben geht es darum, ob ein europäisches Grundrecht »Vertragsfreiheit« eine leitende Wertorientierung für Aufbau und Entwicklung der europäischen Rechtsordnung darstellt. Der E u G H hat - gestützt auf Art. 220 (ex-Art. 164) E G V - einen ungeschriebenen Grundrechtskatalog entwickelt und in ständiger Rechtsprechung angewandt. 6 9 Begründet wird die Existenz ungeschriebener Individualgrundrechte 70 mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, 7 1 den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten, 72 den Hinweisen, welche die inétrangères, VZW [Piageme] u.a./Peeters NV) Slg. 1995,1-2955; dazu Dreher, JZ 1997, 167, 172; Leisner, EuZW 1991, 498, 501, 504, jeweils m. weit. Nachw. 6 6 Vgl. in diesem Kapitel unter I (S. 148ff.). 6 7 Zusammenfassend Erichsen/Weiß,]\ira 1990, 528f. 6 8 E u G H (Rs. 106/77, Staatliche Finanzverwaltung/S.p.A. Simmenthai) Slg. 1978, 629, 644; E u G H (verb. Rs. 41, 121 und 796/79, Vittorio Testa, Salvino Maggio und Carminé Vitale/Bundesanstalt für Arbeit) Slg. 1980, 1996f.; E u G H (Rs. 234/85, Strafsache gegen Franz Keller) Slg. 1986,2897, 2912. 6 9 E u G H (Rs. 29/69, Erich Stauder/Stadt Ulm, Sozialamt) Slg. 1969,419,425; E u G H (Rs. 11/ 70, Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel) Slg. 1970, 1125, 1135; ausführlich Bleckmann/Pieper, R I W 1993, 969, m. weit. Nachw. 7 0 Näher Pernice, N J W 1990, 2409, 2413 ff. 71 E u G H (Rs. 240/83, Procureur de la République/Association de défense des brûleurs d'huiles usagées [ A D B H U ] ) Slg. 1985, 538, 550. 72 E u G H (Rs. 11/70, Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel) Slg. 1970, 1125, 1134.
4. Kapitel: Europarechtliche
Gesichtspunkte
159
ternationalen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an denen die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind,73 sowie dem »soft law« zum Grundrechtsschutz, also beispielsweise Erklärungen der Gemeinschaftsorgane zu Grundrechten und zur Demokratie. 74 Diese Rechtsprechung zur ungeschriebenen Grundrechtsordnung ist von den Gemeinschaftsorganen in ihrer Gemeinsamen Erklärung zum Grundrechtsschutz vom 5.4.1977 75 und dem Beschluß eines unverbindlichen Grundrechtskataloges 76 mittelbar anerkannt worden. Ausdrückliche Erwähnung findet der Grundrechtsschutz in Art. F Abs. 2 des Maastricht-Vertrages über die Europäische Union (nunmehr Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union). Der Vertrag von Amsterdam greift diese Entwicklung auf und verbessert die Position der Bürger durch ein Bündel von Maßnahmen, wie Fortschritte bei der Nichtdiskriminierung (Art. 13 [ex-Art. 6a] EGV) und die Verankerung der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes für den grundrechtsrelevanten Bereich des Titels IV Art. 68 (ex-Art. 73p) EGV und des Titels VI Art. 35 (ex-Art. K.7) EUV. Aufgrund der genannten Argumentationslinien hat der E u G H neben wirtschaftsbezogenen Grundrechten 77 ein solches der Berufsfreiheit, das sowohl das Recht der freien Berufswahl als auch das Recht auf freie Berufsausübung erfaßt, 78 bestätigt. Weiterhin hat er ausdrücklich unter anderem den Schutz der Privat- und Individualsphäre 79 und das Recht auf Ehe und Familie anerkannt. 80 Eine ausdrückliche Anerkennung des allgemeinen Grundsatzes der individuellen Ver73 E u G H (Rs. 4/73, J. Nold, Kohlen- und Baustoffgroßhandlung/Kommisssion) Slg. 1974, 491, 507. 74 E u G H (Rs. 44/79, Liselotte Hauer/Land Rheinland-Pfalz) Slg. 1979, 3727, 3745. 75 ABl. EG Nr. C 103 vom 27.4. 1977, S. 1; vgl. auch BVerfGE 73, 339, 383 f. 76 EuGRZ 1989,205ff. Mit einer Entschließung vom 20.11.1990 hat das Parlament die Regierungskonferenz zur Europäischen Union aufgefordert, diesen Grundrechtskatalog in das Vertragswerk aufzunehmen; in der Entschließung vom 26.4. 1993 hat es den Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention gefordert und dies mit der Entschließung vom 18.1. 1994 bekräftigt (EuGRZ 1994,191 ff.). Der vom Institutionellen Ausschuß des Europäischen Parlaments entwickelte Verfassungsentwurf (ABl. EG Nr. C 61/156 und C 61/166 vom 28.2. 1994) enthält Unionsbürger- und Menschenrechte. 77 E u G H (Rs. 11/70, Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel) Slg. 1970, 1125,1135ff.; E u G H (Rs. 25/70, Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide- und Futtermittel/Köster, Berodt & Co.) Slg. 1970,1161,1175 ff.; E u G H (Rs. 4/73, J. Nold, Kohlen- und Baustoffgroßhandlung/Kommission) Slg. 1974,491,507; E u G H (verb. Rs. 63 und 147/84, Finsider/Kommission) Slg. 1985, 2857, 2882. 78 E u G H (Rs. 116/82, Kommission/Bundesrepublik Deutschland) Slg. 1986, 2519, 2549; E u G H (Rs. 222/86, Union nationale des entraîneurs et cadres techniques professionnels du football [Unectef]/Georges Heylens und andere) Slg. 1987,4097,4117; E u G H (Rs. 265/87, Hermann Schräder HS Kraftfutter G m b H & Co. KG/Hauptzollamt Gronau) Slg. 1989, 2237, 2267ff. 79 E u G H (Rs. 136/79, National Panasonic [UK] Limited/Kommission) Slg. 1980,2033,2057; E u G H (verb. Rs. 46/87 und 227/88, Hoechst AG/Kommission) Slg. 1989, 2859, 2924; E u G H (verb. Rs. 97 bis 99/87, D o w Chemical Ibéria SA und andere/Kommission) Slg. 1989,3165,3185. 80 E u G H (Rs. 261/83, Carmela Castelli/Office national des pensions pour travailleurs salariés [ONPTS]) Slg. 1984, 3199; E u G H (Rs. 267/83, Aissatov Dialta/Land Berlin) Slg. 1985, 567; E u G H (Rs. 131/85, Emir Gül/Regierungspräsident von Düsseldorf) Slg. 1986, 1573, 1588f.; E u G H (Rs. 249/86, Kommission/Bundesrepublik Deutschland) Slg. 1989, 1263, 1290.
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1. Teil: Grundlagen
privatrechtlicher
Selbstgestaltung
tragsfreiheit durch den EuGH fehlt (bisher). Die bereits entwickelten Grundrechtspositionen machen jedoch deutlich, welchen hohen Rang die freie Entfaltung der Bürger einnimmt. Mit der freien Entfaltung der Persönlichkeit einher geht die Verwirklichung des eigenen Willens im Rechtsleben, wie es das Prinzip der Privatautonomie gewährleistet. Die Anerkennung des Freiheitsgedankens spricht damit für ein europäisches Grundrecht der Vertragsfreiheit. Hinzu kommt, daß die genannten Grundrechte jeweils einen Teilaspekt der Vertragsfreiheit repräsentieren und gewährleisten. Die Einzelfreiheitsrechte stellen spezifische Formen einvernehmlichen rechtsgeschäftlichen Handelns unter ihren Schutz. So ist dem Grundrecht auf Ehe die Eheschließungsfreiheit zuzuordnen. Mit der grundrechtlichen Gewährleistung der Berufsausübung geht notwendigerweise die vertragliche Gestaltung der beruflichen Tätigkeit konform, während mit der Handels-, Wirtschafts- und Wettbewerbsfreiheit ihre typischen rechtsgeschäftlichen Emanationen erfaßt sind. Freie wirtschaftliche Betätigung ist nur möglich, wenn die mit den Geschäftspartnern getroffenen Abreden grundsätzlich von der Rechtsordnung akzeptiert werden. Gesellschaftsrechtliche Gestaltungen, Kauf- und Ubereignungsabreden sind deshalb ebenso als grundrechtlich verankert im Europarecht anzusehen wie sonstige im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben stehende Verträge. Für die Fälle, in denen der vertragsfreiheitsrelevante Bereich nicht von Einzelfreiheitsrechten abgedeckt ist, ist das Grundrecht der Vertragsfreiheit auf die allgemeine Handlungsfreiheit zurückzuführen. 8 1 Der Privatautonomie kommt im Rahmen des Europarechts grundsätzlich ein hoher Stellenwert zu - wie auch die regelmäßig hohen Anforderungen an eine Vertragskontrolle zeigen. 82 Vertragsfreiheit ist also ein ungeschriebenes Gemeinschaftsgrundrecht. 83 Jedem Bürger steht ein Freiheitsraum für rechtliche Transaktionen zu, in dem er seine Entscheidungen ohne staatliche Reglementierungen beliebig treffen kann. Dementsprechend gehen auch die »European Principles« vom Grundsatz der Vertragsfreiheit aus und erlauben den Vertragsparteien, eine Abrede prinzipiell nach ihren Vorstellungen zu schließen. Dem Gemeinschaftsgrundrecht der Vertragsfreiheit sind nicht nur die Gemeinschaftsorgane, also das Parlament, der Rat, die Kommission und der Gerichtshof bei der Erfüllung ihrer jeweiligen Aufgaben verpflichtet, 84 sondern auch die mitgliedstaatlichen Organe, die das Gemeinschaftsrecht in innerstaatliches Recht umsetzen, innerstaatlich vollziehen oder Amtshilfe leisten. 85 Die Rechtssetzungsakte der EG, insbesondere Richtlinien 81 EuGH (verb. Rs. 133 bis 136/85, Walter Rau Lebensmittelwerke und andere/Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung) Slg. 1987, 2289, 2338. 82 Dazu sogleich. 83 Für einen hohen Stellenwert der Vertragsfreiheit im Europarecht und damit auch in einer voranschreitenden Europäisierung des Privatrechts Kirchner, in: Europäisches Vertragsrecht, S. 103,123ff.; Lorenz, Schutz, S. 21 f.; Kotz, Europäisches Vertragsrecht, S. 6ff., 189ff.; Rittner, JZ 1990, 838, 841, 846; vgl. auch Thode, in: MünchKommBGB, §305 Rn.3g. 84 Vgl. nur Friauf, in: Friauf/Scholz, Europarecht, S. 12, m. weit. Nachw. 85 Permce, NJW 1990, 2409, 2417; Streinz, Die Verwaltung 1990, 175f.; EuGH (verb. Rs. 41,
4. Kapitel: Europarechtliche
Gesichtspunkte
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und Verordnungen, sind vor ihrer Umsetzung oder Anwendung durch mitgliedstaatliche Stellen dem europäischen Grundrecht der Vertragsfreiheit konform zu handhaben und auszulegen. Gleiches gilt für das innerstaatliche Recht, das zur Umsetzung einer Richtlinie erlassen wurde; es ist richtliniengemäß und damit zugleich EG-grundrechtskonform anzuwenden. Gegen Gemeinschaftsrecht, das die Befugnis, in eigener Verantwortung und unbeeinflußt von staatlichen Vorgaben in Übereinstimmung mit einem Vertragspartner eine Vereinbarung zu treffen, in rechtswidriger Weise eingrenzt, können sich die Bürger im Rahmen des zur Verfügung gestellten Rechtsschutzsystems auf das Gemeinschaftsgrundrecht der Vertragsfreiheit berufen. D e r unmittelbare Anwendungsbereich der europarechtlichen Grundrechte ist mithin begrenzt: Die Grundrechte wirken gegenüber den Gemeinschaften selbst und gegenüber den Mitgliedstaaten, sofern sie Gemeinschaftsrecht vollziehen oder von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen ordre public-Klauseln gemeinschaftsgrundrechtswidrig Gebrauch machen. Ordre public-Klauseln dürfen nur gemeinschaftsrechts- und damit auch nur gemeinschaftsgrundrechtskonform ausgeübt werden. Mittelbar wirken die europarechtlichen Grundrechte über die Generalklauseln auf das nationale Recht ein.
III. Vertragskontrolle im Europarecht Das Gemeinschaftsprivatrecht hat nicht nur Deregulierung und die Ausweitung von Freiheitsräumen zum Gegenstand. Rechtsgeschäfte werden auch auf europäischer Ebene in rechtlich kontrollierte Bahnen gezwungen. 86 Im Vertragsrecht geht es um die Annäherung oder Vereinheitlichung zwingender Regeln im G e meinschaftsgebiet. Die Judikatur hat in die Grundfreiheiten Sozialschutz integriert. Der überragenden Bedeutung der - insbesondere wirtschaftlichen - Entfaltungsfreiheit im Europarecht tragen die engen Grenzen, die einer Kontrolle der Vertragsfreiheit auf europäischer Ebene gezogen sind, Rechnung. Der E u G H hat Beschränkungen der Vertragsfreiheit für zulässig erachtet, wenn sie durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt sind, unterschiedslos auf Inländer und Ausländer Anwendung finden und dem zu schützenden Allgemeininteresse nicht bereits durch Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten Rechnung getragen wird. 87 Maß-
121 und 796/79, Vittorio Testa, Salvino Maggio und Carminé Vitale/Bundesanstalt für Arbeit) Slg. 1980, 1979, 1997. 86 Allgemein zur Kontrolle der Vertragsfreiheit im europäischen Vertragsrecht Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 193ff., 235ff. 87 E u G H (verb. Rs. llOund 111/78, Ministère public und Chambre Syndicale des Agents artistiques et Impresarii de Belgique, ASBL/Willy van Wesemael u.a.) Slg. 1979,35; E u G H (Rs. 120/ 78, Rewe-Zentral-AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein) Slg. 1979, 649, 662; E u G H (Rs. 279/80, Strafverfahren gegen Alfred John Webb) Slg. 1981, 3305; E u G H (Rs. 205/84, Kommission/Bundesrepublik Deutschland) Slg. 1986, 3755; E u G H (Rs. C-198/89, Kommission/ Griechische Republik) Slg. 1991,1-727; Einzelheiten und weit. Nachw. bei Steindorff, EG-Vertrag, S. 83 ff.
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1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
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stab ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 8 8 Zwingende staatliche Vorgaben sind danach dann rechtmäßig, wenn sie zur Erreichung der zulässigerweise mit der vertraglichen Regelung verfolgten Ziele geeignet und erforderlich sind. Stehen mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl, ist die am wenigsten belastende zu wählen. D i e zwingenden, die Vertragsfreiheit einengenden Kontrollvorgaben müssen in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen. 8 9 D e r dem Gesetzgeber eingeräumte Gestaltungsspielraum findet seine Grenze am Wesensgehalt der europäischen Grundrechte. D i e Vertragsfreiheit ist aus Sicht des E u G H im H i n b l i c k auf die soziale F u n k t i o n zu interpretieren und durch solche Begrenzungen einschränkbar, die »durch die dem allgemeinen Wohl dienenden Ziele der Gemeinschaft gerechtfertigt sind«, solange die Vertragsfreiheit »nicht in ihrem Wesen« angetastet wird. 9 0 D e r E u G H stellt damit (für spezielle Teilaspekte der Vertragsfreiheit) klar, daß die auf die Grundfreiheiten zurückführbare Vertragsfreiheit (auch) aus Gründen des Verbraucherschutzes in verhältnismäßiger Weise eingeschränkt werden kann. Dies entspricht den in Art. 2, 3 E G V festgelegten Aufgaben der Europäischen Gemeinschaft. D i e Europäische Gemeinschaft strebt ein hohes Niveau sozialen Schutzes und sozialer Ausgewogenheit an. Schrankenlose A u t o n o m i e ist nicht das Ziel. Gerechtigkeit und soziale O r d n u n g sind in die Freiheit integriert. D e m n a c h sind - ausgehend von der liberalen Grundhaltung - der Freiheitsbereich der Bürger zu gewährleisten und soziale Gerechtigkeit, insbesondere eine »Verbesserung des Verbraucherschutzes« (Art. 3 Abs. 1 lit. t [ex-lit. s] E G V ) , anzustreben. 9 1 Der Europäischen Gemeinschaft sind trotz ihrer primär wirtschaftlichen Ausrichtung soziale Ziele nicht fremd. 92 Wie dem vierten Erwägungsgrund der Präambel zum EU-Vertrag zu entnehmen ist, soll neben dem wirtschaftlichen auch der soziale Fortschritt gesichert werden; ergänzt wird dieser Ansatz durch die Intention einer stetigen Verbesserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen. 93 Betont wird diese Zielrichtung durch den dritten Erwägungsgrund der E E A , der die soziale Verpflichtung der Gemeinschaft durch den Hinweis auf die in der Europäischen Sozialcharta anerkannten Grundrechte hervorhebt und
88 EuGH (Rs. 11/70, Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel) Slg. 1970, 1125, 1135. 89 EuGH (Rs. 47/86, Roquette Frères SA/Office national interprofessionnel des céréales [ONIC]) Slg. 1987,2889,2914; EuGH (Rs. 265/87, Hermann Schräder HS Kraftfutter GmbH & Co. KG/Hauptzollamt Gronau) Slg. 1989, 2237, 2269; EuGH (verb. Rs. C-13/92, C-14/92, C15/92 und C-16/92, Driessen en Zonen of u.a./Minister van Verkeer en Waterstaat) Slg. 1993, 14751, 4790ff. 90 EuGH (Rs. 4/73, J. Nold, Kohlen- und Baustoffgroßhandlung/Kommission) Slg. 1974, 491,507 zu den Teilaspekten der Vertragsfreiheit, die in der Freiheit der Arbeit, des Handels und anderer Berufstätigkeiten enthalten sind. 91 In diesem Sinne auch Steindorff, EG-Vertrag, S.45. Zur Legitimation von Verbraucherschutzmaßnahmen Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, S.30ff. 92 Vgl. Coen, in: Bleckmann, Europarecht, Rn.2475ff. m. ausführl. Literaturnachweisen bei §31; Streinz, Europarecht, Rn. 872ff.; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 151 Off. 93 Vgl. Zuleeg, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Präambel Rn. 13; Häberle, W D S t R L 30 (1972), 43, 63f.; EuGH (Rs. 43/75, Gabrielle Defrenne/Société anonyme belge de navigation aérienne Sabena) Slg. 1976, 455, 473.
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Gesichtspunkte
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vor allem soziale Gerechtigkeit nennt. Dieses noch allgemein gehaltene Bekenntnis zum Sozialprinzip ist unter anderem mit dem in Art. 3 Abs. 1 lit. t (ex-lit. s) E G V aufgeführten Tätigkeitsfeld der Verbesserung des Verbraucherschutzes konkretisiert worden. Nach Art. 153 Abs. 3 lit. a (ex-Art. 129a Abs. 1 lit. a) E G V leistet die Gemeinschaft einen Beitrag zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus bei Maßnahmen nach Art. 95 (exArt. 100a) E G V . Lit. b des Art. 153 Abs. 3 (ex-Art. 129a Abs. 1) E G V enthält die Kompetenz für »spezifische Aktionen« im Bereich des Verbraucherschutzes, die nicht unmittelbar mit der Verwirklichung des Binnenmarktes in Zusammenhang stehen. Nach Art. 33 Abs. 1 lit. e (ex-Art. 39 Abs. 1 lit. e) E G V ist es ein Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik, für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen zu sorgen. Art. 82 lit. b (ex-Art. 86 lit. b) E G V stellt klar, daß der Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung von Unternehmen in der Einschränkung der Erzeugung oder des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher liegen kann. Schließlich legt Art. 95 Abs. 3 (ex-Art. 100a Abs. 3) E G V fest, daß die Kommission bei der Angleichung nationaler Rechtsvorschriften in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz von einem hohen Niveau auszugehen hat. D i e im Vertrag zur G r ü n d u n g der Europäischen Gemeinschaft sowie den anges p r o c h e n e n E r w ä g u n g s g r ü n d e n genannten Zielrichtungen sind bei der A u s l e g u n g u n d A n w e n d u n g a n d e r e r V o r s c h r i f t e n des G e m e i n s c h a f t s r e c h t s z u b e r ü c k s i c h t i g e n . 9 4 D e r Z w e c k des V e r b r a u c h e r s c h u t z e s v e r m a g d e s h a l b f r e i h e i t s e i n s c h r ä n k e n d e z w i n g e n d e V o r g a b e n des E u r o p a r e c h t s z u r e c h t f e r t i g e n . D e m V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t s g r u n d s a t z f o l g e n d ist das j e w e i l s m i l d e s t e M i t t e l z u w ä h l e n ; E i n g r i f f e in die V e r t r a g s f r e i h e i t h a b e n u l t i m a r a t i o z u b l e i b e n . H e m m n i s s e d e r v e r t r a g l i c h e n S e l b s t b e s t i m m u n g m ü s s e n b e i s p i e l s w e i s e E r f o r d e r n i s s e n des V e r braucherschutzes entsprechen. Ist eine weniger einschneidende M a ß n a h m e m ö g lich, ist diese z u e r g r e i f e n . D e r E u G H h a t i m M a r g a r i n e - F a l l e i n e b e l g i s c h e V o r schrift für rechtswidrig erklärt und ausdrücklich darauf hingewiesen, daß andere M a ß n a h m e n m ö g l i c h gewesen w ä r e n , »die den freien W a r e n v e r k e h r w e n i g e r b e hindern.«95 D e r E u G H führt weiter aus, daß z w i n g e n d e V o r g a b e n dann nicht n o t w e n d i g sind, w e n n I n f o r m a t i o n e n d e m V e r b r a u c h e r s c h u t z in v e r g l e i c h b a r e r Weise dienen. Führt eine umfassende wahrheitsgemäße Information über die für einen Vertragsschluß wesentlichen Umstände durch den Anbieter zwar zu einer weitgehend optimalen E n t scheidungsgrundlage, bedeutet das aber nicht, daß eine vollständige Informationspreisgabe zur Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung gleichberechtigter Verhandlungspositionen für die Wahrung von Vertragsfreiheit zu verlangen ist. Eine Pflicht der Verkäuferseite, dem Verbraucher sämtliches verfügbares Produktwissen mitzuteilen, würde ihm jeden Verhandlungsvorteil und Geschäftsanreiz nehmen. In letzter Konsequenz hieße uneingeschränkte Markttransparenz eine Absage an das Prinzip der individuellen Verantwortung für die privatautonome Lebensgestaltung; den Parteien würden (beinahe) jede Selbstverantwortung und jeder Risikospielraum genommen. Vertragsfreiheit bedeutet eigenverant9 4 E u G H (verb. Rs. 6 und 7/73, Istituto Chemoterapico Italiano S.p.A. und Commercial solvents Corporation/Kommission) Slg. 1974,223,254; E u G H (Gutachten 1/94, abgegeben gemäß Art. 228 Absatz 6 EG-Vertrag) Slg. 1994, 1-5267, 5402; Zuleeg, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 3 Rn.2. 95 E u G H (Rs. 261/81, Walter Rau Lebensmittelwerke/De Smedt P.v.b.A.) Slg. 1982, 3961.
164
1. Teil: Grundlagen
privatrechtlicher
Selbstgestaltung
wortliche Entscheidung in bezug auf einen Vertrag, nicht die Abschaffung einer solchen durch die mittelbare Aufgabe der Eigenverantwortung. Informationsgebote sollen die Privatautonomie lediglich flankieren: Es ist deshalb durch europarechtliche Mitteilungsvorgaben zu gewährleisten, daß der Verbraucher über die wesentlichen Punkte informiert wird und daß die durch den Anbieter gebotene Information zutreffend ist. Sicherzustellen ist eine ausgewogene Entscheidungsgrundlage, durch die ein eklatantes Informationsgefälle zwischen den Vertragpartnern verhindert wird - mehr aber auch nicht. Dem mündigen Bürger ist aus europarechtlicher Sicht f ü r seine eigenverantwortliche Entscheidung ausreichendes Hintergrundwissen zur Verfügung zu stellen, auf dessen Basis er seine »Wahl in Kenntnis aller Umstände treffen kann.« 9 6 Wesentliches Element des europäischen Verbraucherschutzrechts sind Rechtsinstrumente, welche die Entscheidungsfindung des Verbrauchers durch die Verfügbarkeit einer zutreffenden und ausreichenden Entscheidungsgrundlage sicherstellen. 97 Nationale oder europäische Vertragskontrollnormen sind folglich möglicherweise dann mit dem europäischen Grundsatz der Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit nicht vereinbar, wenn der verständige Verbraucher bereits durch Information ausreichend geschützt wird. 9 8 Mit diesem Leitbild ist allerdings nur eine grundlegende Tendenz beschrieben. Einzelne Vorhaben lassen sich in diese Sichtweise der Vertragskontrolle nicht konsistent einfügen. 99 Das trifft auf den Vorschlag einer Richtlinie zur Dienstleistungshaftung zu. 100 Art. 1 Abs. 2 des Vorschlages sieht bei sämtlichen Dienstleistungen für Haftungsansprüche eine Verschuldensvermutung vor. Der Geschädigte hat nach Art. 5 lediglich Schaden und Kausalität nachzuweisen. Es ist dann Sache des Dienstleistenden, den Nachweis zu erbringen, daß ihm kein Sorgfaltsverstoß zur Last fällt. Die Haftung kann gemäß Art. 7 des Richtlinienentwurfs durch Vertrag weder eingeschränkt noch ausgeschlossen werden. Mit dieser Risikoverlagerung rückt der Richtlinienvorschlag ab von dem bisher beschriebenen Leitbild eines eigenverantwortlichen Verbrauchers, der gleichberechtigt dem Vertragpartner gegenübersteht, selbständig Risiken abwägt und bewußt eingehen kann. 101 Die berechtigte Kritik 102 führte dazu, daß die Kommission den Vorschlag zurückgezogen hat. 103 Ein weiteres Beispiel für das uneinheitliche europäische Verbraucherleitbild deutet sich beim Richtlinien96 EuGH (Rs. C-362/88, GB-INNO-BM/Confédération du commerce luxembourgeois) Slg. 1990,1-667; in diese Richtung auch EuGH (Rs. C-238/89, Pall Corp./P.J. Dahlhausen & Co.) Slg. 1990,1-4844; EuGH (Rs. C-369/89, Piageme u.a./BVBA Peeters) Slg. 1991,1-2971; EuGH (Rs. C-456/93, Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V./Privatkellerei Franz Wilhelm Langguth Erben GmbH & Co. KG) Slg. 1995, 1-1737; EuGH (Rs. C-470/93, Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe Köln e.V./Mars GmbH) Slg. 1995,1-1923; EuGH (Rs. C-85/94, Groupement des producteurs, importateurs et agents généraux d'eaux minérales étrangères, VZW [Piageme] u.a./Peeters NV) Slg. 1995,1-2955; EuGH (Rs. C-51/94, Kommission/Bundesrepublik Deutschland) Slg. 1995,1-3617. 97 Zum Informationsgebot als Instrument des Verbraucherschutzes siehe Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, S. 176 ff., 187ff. 98 In diesem Sinne wohl auch Dreher, JZ 1997, 167, 172; Steindorff, EG-Vertrag, S. 195f. 99 Vgl. Müller-Graff NJW 1993, 13, 19f. 100 ABl. EG Nr. C 12 vom 18.1. 1991. Dazu Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, S.289f. 101 Hommelhoff Verbraucherschutz, S. 10; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, S.290. 102 Vgl. neben den in Fn.101 Genannten Deutsch, ZRP 1990, 454; Heinemann, ZIP 1991, 1193. 103 KOM (94) 260 endg. vom 23.6. 1994.
4. Kapitel: Europarechtliche
Gesichtspunkte
165
Vorschlag über Vertragsabschlüsse auf dem Gebiet des Fernabsatzes an. 104 Die regulativen Vorgaben sind umfassend; die Vertragsanbahnung wird in Art. 4-7, 9-11 detailliert geregelt, dem Verbraucher ein Widerrufsrecht eingeräumt. Ein verantwortlicher Gebrauch der Vertragsfreiheit wird durch die Vorgaben und die einseitigen Lösungsmöglichkeiten nicht gefördert. 105 Die abweichenden, Selbstverantwortung negierenden Erwägungen bleiben (zumindest bisher) aber die Ausnahme; in ihrer Grundhaltung ist die Europäische Gemeinschaft der Vertragsfreiheit als entscheidendem Maßstab verpflichtet. Demgegenüber ist das deutsche Verbraucherschutzrecht, das eine Vielzahl von zwingenden verbraucherschützenden Regelungen enthält, 1 0 6 teilweise von einem abweichenden Leitbild geprägt. D e r deutsche Gesetzgeber scheint tendenziell von einer Überforderung des Verbrauchers auszugehen 1 0 7 und gibt deshalb zwingende Rahmenbedingungen in größerem U m f a n g vor, als es dem europäischen Leitbild entspricht. N a c h deutscher Sichtweise sichert umfassende Information die Vertragsfreiheit häufig nicht ausreichend; der deutsche Verbraucher wird in zahlreichen Fällen als schutzbedürftiger angesehen als der europäische. D e m e n t sprechend hat es der deutsche Gesetzgeber nicht bei der Umsetzung verbraucherschützender Richtlinien belassen, sondern zusätzliche Schutzmechanismen eingefügt: So bezieht sich Art. 1 der Richtlinie 8 5 / 5 7 7 / E W G auf Verträge über die Lieferung von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen; Art. 3 nimmt Verträge über den Bau, den Verkauf und die Miete von Immobilien aus. Das diese Richtlinie in nationales Recht transformierende H a u s T W G k o m m t demgegenüber nach § 1 Abs. 1 H a u s T W G grundsätzlich (vgl. § 1 Abs. 2 H a u s T W G ) bei allen Verträgen über entgeltliche Leistungen zur Anwendung. D i e Vertragsfreiheit ist im deutschen R e c h t also stärker eingeschränkt. N o c h deutlicher zeigt sich die Tendenz zu freiheitseinschränkenden extensiven Umsetzungen bei der Verbraucherkredit-Richtlinie. Diese sieht eine umfassende Informationspflicht gegenüber den Kreditnehmern vor. Dieser Schutz war dem deutschen Gesetzgeber nicht ausreichend. E r hat in § 7 Abs. 1 V e r b r K r G ein Widerrufsrecht konstituiert, das ohne Begründung innerhalb einer W o c h e nach Abgabe der Willenserklärung auszuüben ist. N a c h § 7 Abs. 2 S. 3 V e r b r K r G erlischt das Widerrufsrecht - auch wenn die Leistungen nicht erbracht sind - spätestens mit Ablauf einer Jahresfrist. Die verminderte Planungssicherheit führt zu einer weitgehenden Aufweichung der dem Prinzip der Vertragsfreiheit immanenten Verläßlichkeit einer Abrede. Die Beispiele verdeutlichen das gesetzgeberische Leitbild eines Bürgers, der als Verbraucher umfassender staatlicher Bevormundung bedarf. 1 0 8 Den Gedanken des als Verbraucher beinahe hilflosen, in weitem Umfang staatlichen Rechtsbeistandes bedürfenden Bürgers hat die deutsche Rechtsprechung zum Teil aufgeABl. EG Nr. C 156 vom 23.6. 1992, S. 14. Hommelhoff, Verbraucherschutz, S. 11 f. 106 Uberblick bei Medicus, Abschied, S. 11 ff.; v. Hippel, Verbraucherschutz, S. 10. 107 Vgl. auch Dick, Verbraucherleitbild, S. 12ff., 24ff.; v. Wild, Verbraucher, S. 19ff.; Simitis, Verbraucherschutz, S. 135f. 108 Übereinstimmend Dreher, JZ 1997, 167, 173 mit Beispielen zum FernUSG und zum UWG. Ahnlich Hommelhoff, Verbraucherschutz, S. 12ff. 104 105
166
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
griffen. Dies zeigen nicht nur wettbewerbsrechtliche Entscheidungen, 109 sondern vor allem auch die Urteile, die mittels einer extensiven Annahme von Aufklärungspflichten zugunsten eines als unterlegen angesehenen Verbrauchers eine Vertragskorrektur herbeiführen 110 oder sich für eine analoge Anwendung des Verbraucherkreditgesetzes aussprechen.111 Diese uneinheitliche Sichtweise der Europäischen Gemeinschaft und der deutschen Gesetzgebung sowie Rechtsprechung zur Schutzbedürftigkeit der Bürger in ihrer Eigenschaft als Verbraucher führt im Ergebnis zu einer (stellenweise) unterschiedlichen Verwirklichung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit: Das europäische Verbraucherrecht hält - ausgehend von der Vorstellung einer weitgehenden Vertragsfreiheit und trotz zahlreicher Unklarheiten, die mit dem Verbraucherbegriff verbunden sind, 112 - zwar den sozialen Schutz des Verbrauchers für notwendig. Dieser Schutz wird aber vielfach nicht auf Kosten der Vertragsfreiheit erreicht, sondern dadurch, daß Vertragsfreiheit durch umfassende Information des Verbrauchers hergestellt wird. Grundsätzliches Ziel der bisherigen Richtlinien - aktuelle Vorschläge deuten eine Annäherung an die restriktivere deutsche Sicht an - ist es, einem verständigen, kritischen Verbraucher derart hinreichende Informationen zu verschaffen, daß er frei und ohne staatliche Reglementierungen entscheiden kann, ob er einen bestimmten Vertrag mit einem k o n kreten Vertragspartner abschließt oder nicht. Das europäische Verbraucherschutzrecht intendiert die Sicherung und Aufrechterhaltung der Vertragsfreiheit. Zwingende Rechtsvorgaben zur Verbesserung des Verbraucherschutzniveaus und der Vertragsfreiheit sollen grundsätzlich im Wege umfassender Information in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden. Anders stellt sich das Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle im deutschen Verbraucherschutzrecht dar. Es geht von einem in weiten Teilbereichen beinahe unmündigen Bürger aus, der vielschichtiger staatlicher Vorgaben bedarf. Abschluß-, F o r m - und Inhaltsfreiheit als Teilaspekte der Vertragsfreiheit werden unter Hinweis auf den Verbraucherschutz in großem M a ß e eingegrenzt. D i e überschießenden Regelungen erscheinen hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht »Vertragsfreiheit« bedenklich. 1 1 3 Die über die Vorgaben der Europäischen Gemeinschaft hinausgehenden Freiheitsgrenzen sind demnach in H i n b l i c k auf ihre Europarechtskonformität, insbesondere bezüglich ihrer Ver109 BGH GRUR 1991, 850 (Spielzeug-Autorennbahn); OLG München WM 1993, 370 (Jetzt kommt der Joker); OLG Hamburg GRUR 1992, 126 (Wer bietet mehr). Seiner aktuellen Rechtsprechung zum Wettbewerbsrecht legt der BGH ein weitgehend der europarechtlichen Sichtweise entsprechendes Verbraucherbild zugrunde; für den Bereich der vergleichenden Werbung siehe BGH NJW 1998,2208,2211 f. Näher Dick, Verbraucherleitbild, S. 148ff.; v. Wild, Verbraucher, S. 181 ff. 110 Vgl. BGH NJW 1962, 1197 (Anspruch aus c.i.c. auf Aufhebung des nachteiligen Vertrages); BGHZ 69, 53, 58 (zustimmungsunabhängige Korrektur der Gegenleistung über c.i.c.). 111 Vgl. BGH WM 1996,1258 (für den Beitritt einer GmbH-Geschäftsführerin zur Schuld der GmbH); BGH DB 1996, 1466 (Übergang des Widerrufsrechts). 112 Vgl. oben bei Fn. 59. 113 Allgemein zum Verhältnis von nationalem Privatrecht zu Gemeinschaftsrecht Steindorff, EG-Vertrag, S.57f.
4. Kapitel: Europarechtliche Gesichtspunkte
167
hältnismäßigkeit, zweifelhaft. Möglich erscheint eine Verletzung des Gemeinschaftsgrundrechtes der Vertragsfreiheit. Der Inhalt eines europarechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist noch nicht genau konturiert. Üblicherweise sind an eine verhältnismäßige Beschränkung der Privatautonomie folgende Kriterien anzulegen: Die Beschränkung muß sich für den verfolgten Zweck eignen, also zwecktauglich sein. Sie hat ferner für den verfolgten Zweck erforderlich zu sein, muß also mit dem Eingriffsminimum vorlieb nehmen. Schließlich muß die Beschränkung proportional sein. Der Gemeinschaft wie den Mitgliedstaaten steht bei der Abwägung einander entgegengesetzter Grundrechtspositionen ein weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zu. Es gibt in der Regel eine Mehrzahl europarechtskonformer Entscheidungsmöglichkeiten, zwischen denen der nationale Gesetzgeber wählen kann. Die über die Richtlinie hinausgehende Ausweitung des Verbraucherschutzes, beispielsweise durch die Einführung des § 7 VerbrKrG, ist deshalb zwar im Hinblick auf die Erforderlichkeit bedenklich und geht im Gegensatz zu der Vorstellung der EU von einem Leitbild eines unmündigen Verbrauchers aus, dies allein führt jedoch (noch) nicht zur UnVerhältnismäßigkeit. Die Konstituierung eines Widerrufsrechts liegt (wohl) noch innerhalb des Gestaltungsspielraums des nationalen Gesetzgebers. Die Verhältnismäßigkeitsgrenze überschritten haben hingegen die Richtlinienvorschläge der Europäischen Kommission aus den Jahren 1990 und 1992.114 Die Vorschläge bezogen sich nicht nur auf vorformulierte Klauseln in Standard- und Formularverträgen, sondern stellten Kontrollvorgaben auch für Individualvereinbarungen auf. Nach dem Kommissionsvorschlag von 1990 wurde eine Vertragsklausel dann als mißbräuchlich eingestuft, »wenn sie zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Mißverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht« (Art. 3). Eingeführt werden sollte damit eine richterliche Preis-/Leistungskontrolle. Abgesehen davon, daß die Diskussion über einen gerechten Preis (»iustum pretium«) sich bereits seit langem als unergiebig erwiesen hat, 115 würde eine derartige Kontrolle der Äquivalenz der Hauptleistungspflichten die Vertragsfreiheit für die Marktwirtschaft in wesentlichen Zügen aushebeln. Dem Verbraucher würde die eigenverantwortliche Entscheidung hinsichtlich eines vertraglichen Hauptpunktes abgenommen. Der Preis der Kaufgegenstände würde faktisch durch die Gerichte festgelegt. Zu Recht wurde der Vorschlag deshalb vom Bundesrat als »nicht annehmbar« angesehen, weil er das »Grundprinzip der Vertragsfreiheit in seinem Kerngehalt« tangiert. 116 Der Kommissionsvorschlag wäre bereits hinsichtlich der gemeinschaftsrechtlichen Gewährleistung der Vertragsfreiheit unverhältnismäßig gewesen. Der Vorschlag wurde deshalb auch nur in abgemilderter Form umgesetzt. 117
Bei der Beurteilung der Europarechtskonformität von nationalen gesetzlichen Freiheitsgrenzen ist überdies einzubeziehen, daß Richtlinien nicht in ihrer kon114
ABl. EG Nr. C 73 vom 24.3. 1992, S.7; Nr. C 243 vom 28.9. 1990, S.2; vgl. oben Fn.37. Dazu im 1. Kapitel (S. 13 ff.). 116 BR-Drucks. 611/90 vom 1.3. 1991; kritisch ebenfalls Canaris, Festschrift für Lerche, S. 873,887f.; Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71,90ff.-Joerges/Brüggemeier, in: Müller-Graff, Privatrecht, S.233, 256ff. sowie die in Fn.37 Genannten. 1,7 Siehe Fn.37. 115
168
1. Teil: Grundlagen privatrechtlicher
Selbstgestaltung
kreten Ausformung verbindlich sind, sondern nur im H i n b l i c k auf die festgelegten Ziele (bzw. Ergebnisse). In welcher F o r m und mit welchen Mitteln die Adressaten dieses Ziel erreichen, ist ihnen überlassen. Die Mitgliedstaaten haben die Mittel zu wählen, die für die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit am besten geeignet sind. 1 1 8 Ihnen steht grundsätzlich ein Realisierungsspielraum zu. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, den Gehalt der Richtlinie derart umzusetzen, daß er sich sachlich in das nationale R e c h t einpaßt. 1 1 9 In die Überlegungen einzubeziehen sind hierbei die nationalen verfassungsrechtlichen Vorgaben. Maßgeblich k o m m t es darauf an, welcher Stellenwert der Vertragsfreiheit und der Vertragskontrolle in der nationalen Rechtsordnung eingeräumt ist. Entscheidendes A u genmerk ist deshalb darauf zu richten, welche Vertrags(kontroll)vorstellungen dem deutschen R e c h t zugrunde liegen (dazu im 5. Kapitel). Eine solche Analyse erlaubt sodann im 6. Kapitel wichtige Rückschlüsse für die Kontrollvarianten im deutschen R e c h t und deren praktische Anwendung im Einzelfall. Festzuhalten ist jedenfalls, daß bei der Konkretisierung des Wertungsspielraums der Generalklauseln (vgl. das 7. und die folgenden Kapitel) gegebenenfalls europarechtliche G e sichtspunkte zu berücksichtigen sind.
EuGH (Rs. 48/75, Jean Noel Royer) Slg. 1976, 497, 517. Vgl. soeben sowie Hauschka, JZ 1990, 521, 531; Einzelheiten zu den Anforderungen einer Richtlinientransformation bei Grundmann, JZ 1996, 274, 282ff., m. zahlr. weit. Nachw. 118
119
ZWEITER TEIL
Leitlinien einer Freiheitsbegrenzung
5. Kapitel
Das Vertrags(kontroll)modell I. Interdependenz von Vertragsmodell und Vertragskontrolle Die Rechtsordnung erkennt auf ihren unterschiedlichen Stufen, auf der Ebene des Europa- und des Verfassungsrechts wie auf der des einfachen Rechts, Privatautonomie an. Verwirklicht wird diese durch Willenserklärungen, im Falle der Vertragsfreiheit durch das gleichsinnige Zusammenwirken der Vertragspartner. Auf diese Weise werden Rechtsverhältnisse unmittelbar begründet, aufgehoben oder geändert. Privatautonom gesetzte Rechtsfolgen treten aufgrund willkürlicher Gestaltung der Privatrechtssubjekte ein; im Rechtsgeschäft entfaltet sich die Freiheit des einzelnen. Die Anerkennung durch die staatliche Rechtsordnung bedeutet nicht heteronome Rechtssetzung, sondern die Rechtsordnung gibt die rechtlichen Rahmenbedingungen vor, die eine private Konsensbildung möglich, verbindlich und den Grundsatz »pacta sunt servanda« durchsetzbar und damit realisierbar machen. 1 Wenn das Recht aus dem Konsens der Beteiligten Rechtsfolgen ableitet, müssen diesen Rechtsfolgen staatliche Zwangsmechanismen für den Fall entsprechen, daß einer der Vertragsschließenden die Parteivereinbarung mißachtet. Anerkennung der Privatautonomie besagt darüber hinaus, daß der Selbstbestimmungsakt als solcher verbindlich ist und insoweit seine Rechtfertigung in sich trägt. Selbstbestimmung durch rechtliche Selbstgestaltung hat zur Folge, daß die Vertragsparteien und nicht das Recht, Leistung und Gegenleistung wertend gegenüberstellen. Das konkrete Vertragsergebnis ist von der Rechtsordnung grundsätzlich zu akzeptieren. Leitbild ist der frei ausgehandelte Vertrag, gegenüber dessen vereinbartem Inhalt staatliche Rechtsvorgaben in der Regel zurücktreten. Das Gesetz respektiert die von den Parteien getroffene Regelung ihres reziproken Verhältnisses, in dem sie ihre Freiheit verwirklicht sehen. Das Äquivalenzprinzip ist nur in Ausnahmefällen relevant, bei denen ein evidentes Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung besteht, das heißt insbesondere bei den von §138 BGB erfaßten Fallgruppen. 2 Und auch in diesen seltenen Konstellationen beschränkt sich der staatliche Eingriff im allgemeinen auf eine Negativkorrektur; den Parteien wird positiv kein angemessenes Verhältnis von Leistung und Gegenleistung vorgegeben.
1 2
Vgl. das 2. Kapitel (S.43ff.) u n d Motive I, S. 126. D a z u im 8. Kapitel (S.368ff.).
172
2. Teil: Leitlinien einer Freiheitsbegrenzung
D i e s e staatlicher I n t e r v e n t i o n w e i t g e h e n d a b h o l d e S t r u k t u r lag d e m Bürgerlic h e n G e s e t z b u c h bei seinem I n k r a f t t r e t e n z u g r u n d e . 3 D i e gemäßigte liberale Sicht ist z u n e h m e n d u m die E r k e n n t n i s d e r N o t w e n d i g k e i t einer sachgerechten B e g r e n z u n g d e r Vertragsfreiheit e r g ä n z t w o r d e n . D i e tatsächlichen Verhältnisse, die stellenweise v o n unterschiedlicher sozialer u n d w i r t s c h a f t l i c h e r M a c h t sowie d i v e r g i e r e n d e r intellektueller K o m p e t e n z d e r Vertragsteile geprägt sind, sind d e r G r u n d , sozialen Belangen v e r s t ä r k t A u f m e r k s a m k e i t z u w i d m e n . 4 Vertragsfreiheit u n d V e r t r a g s k o n t r o l l e sollen dergestalt z u einem a u s g e w o g e n e n , r e c h t s t h e o retisch h o m o g e n e n G e s a m t b i l d z u s a m m e n g e f ü h r t w e r d e n , d a ß die F r e i h e i t s r e c h te d o r t , » w o ihr G e b r a u c h mit d e n sozialstaatlichen Zielen kollidieren k a n n « 5 , beg r e n z t o d e r k o n t r o l l i e r t w e r d e n . U n g e k l ä r t sind allerdings die Kriterien, die d e n G e g e n s a t z v o n Vertragsfreiheit u n d V e r t r a g s k o n t r o l l e w i d e r s p r u c h s f r e i u n d n a c h v o l l z i e h b a r auflösen. Die grundsätzlichen Wechselwirkungen zwischen Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle sind bis heute weitgehend ungeklärt. Das zeigt sich beispielhaft bei der Formfreiheit: Bereits A. von Tuhr sah die Handhabung der Formvorschriften als den »willkürlichsten Teil« der Rechtsordnung an. 6 Im großen und ganzen ist seiner Feststellung zuzustimmen. Die Handhabung der Formvorschriften läßt eine homogene Strukturierung vermissen. Für zahlreiche Problemfelder mangelt es an einem konsequenten Lösungsansatz. Den Formvorschriften läßt sich ein allgemeines Prinzip nicht entnehmen. 7 Die mögliche Umdeutung einer mangels Schriftform nichtigen Bürgschaft in einen formlos gültigen Garantievertrag einerseits und die Formgebundenheit einer (vorvertraglichen) Verpflichtung, in Zukunft einen Bürgschaftsvertrag abzuschließen, andererseits, lassen sich ebensowenig auf einen einheitlichen Denkansatz der Vertragskontrolle zurückführen wie die zahlreichen im Zusammenhang mit der sogenannten Andeutungslehre aufgeworfenen Rechtsfragen. Nach der Rechtsprechung muß bei Heranziehung außerhalb der Urkunde liegender Umstände der sich hieraus ergebende Parteiwille in der Urkunde zum Ausdruck gekommen sein.8 Die Andeutungstheorie hat umfassende Kritik erfahren: Sie füge sich in die Formzwecklehre nicht ein und führe innerhalb des auslegungsrelevanten Gesamtverhaltens eine Abstufung zugunsten der ausdrücklichen Erklärung ein.9 Die mangelnde rechtstheoretische Ausgewogenheit zeige sich beispielsweise an den inkonsistenten Entscheidungen des B G H vom 12.3. 198010 und vom 21.2. 1968.11 Die Rechtsprechung bewege sich tendenziell weg von den gesetzlichen Vorgaben hin zu einer Wertungsjurisprudenz; es bestehe die Gefahr, daß sie geringere Anforderungen an die formgerechte Erklärung stelle, wenn sie eine Verpflich3 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, §25 IV; Hönn, JuS 1990,953,954; Limbach, JuS 1985,10f., sowie die Nachweise im 1. Kapitel (S. 13ff.). 4 Siehe das 1. Kapitel (S. 13ff.). 5 Schwab, Einführung, Rn. 82. 6 v. Tuhr, Allgemeiner Teil, 2. Band 1. Hälfte, §63 (S.496). 7 Häsemeyer, Form, S. 15 ff. und passim. 8 BGHZ 63, 359, 362f.; 80, 245, 250; 87, 154; BGH NJW 1993, 1261; NJW 1995, 959; NJW 1996, 2793. 9 Brox, Einschränkung, S. 109; Flume, Rechtsgeschäft, § 16,2a; Kramer, Grundfragen, S. 140f.; Gerhards, JuS 1994, 642; Häsemeyer, Form, S. 127ff., 155ff.; Förschler, in: MünchKommBGB, §125 Rn. 24; M. Reinicke,]A 1980, 455; Wieling, AcP 172 (1972), 297, 310ff.; MünchKomm BGü/Mayer-Maly, §133 Rn.49; Soergel/Hefermebl,$tt3 Rn.28. 10 BGHZ 76, 187, 189. 11 BGH NJW 1968, 987.
5. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
173
tung für sachgemäß, hingegen strengere, wenn sie eine Verpflichtung nicht für angezeigt halte.12 Eine weitere Unsicherheit trägt der aus § 242 B G B abgeleitete Arglisteinwand in die Formenlehre hinein. Die Vorgehensweise der Rechtsprechung, die in engen Grenzen eine Korrektur des Grundsatzes der Formnichtigkeit (§125 BGB) mittels Treu und Glauben zuläßt,13 hat insbesondere wegen ihrer unklaren Kriterien im Schrifttum nicht nur Zustimmung gefunden.14 Daraus ergibt sich: Die rechtstheoretischen Hintergründe der Formbedürftigkeit einzelner Rechtsgeschäfte sind noch nicht konsistent geklärt. Ahnlich liegt es bei der Inhaltskontrolle: Deren Anwendungsbereich sowie deren Reichweite sind insbesondere aufgrund aktueller verfassungsrechtlicher Entscheidungen kaum strukturiert. Hier fehlt es nicht nur an einem Kriterienkatalog, der einen rechtssicheren Umgang mit den Gestaltungsgrenzen ermöglicht. Auch die Praxis hat noch keine verläßliche Linie gefunden. Vor allem für den Bereich der inhaltsbezogenen Vertragskontrolle kommt es deshalb darauf an, ein rechtsstaatlichen Grundsätzen genügendes allgemeingültiges Kontrollmodell zu entwickeln. Die Maßstäbe, die eine Abweichung v o m Grundsatz der Vertragsfreiheit erlauben, sind deshalb näher zu untersuchen. Ein Kontrollmodell kann nicht unabhängig von den mit »Vertragsfreiheit« ausgedrückten Wertungen erarbeitet werden. Kontrollkriterien lassen sich erst dann bestimmen, wenn Klarheit über den Kontrollgegenstand besteht. Existiert Klarheit, warum eine vom Konsens der Vertragsparteien getragene Regelung von der Rechtsordnung anerkannt wird, ergeben sich die für die Vertragskontrolle ausschlaggebenden
Gesichtspunkte
gleichsam von selbst. Vertragskontrolle ist zumindest dann angezeigt, wenn das der Vertragsfreiheit zugrundeliegende Konzept gestört ist. Kontrolle und K o n t r o l l o b j e k t sind aufeinander abzustimmen. Freiheit und Freiheitsgrenzen sind derart auszutarieren, daß sie sich homogen zu einer sinnvollen Gesamtordnung fügen. Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle
stehen
nicht unabhängig nebeneinander, sondern bilden eine Einheit - gleichsam zwei Seiten einer Medaille. Aufgrund dieser Wechselwirkung kann nicht isoliert von einem Vertrags- und einem Vertragskontrollmodell gesprochen werden. Angezeigt ist die Bezeichnung Vertrags(kontroll)modell. Es ist ein Vertrags(kontroll)modell zu entwickeln, das es ermöglicht, das Spannungsfeld zwischen formaler Vertragsfreiheit und materialer Vertragsgerechtigkeit derart aufzulösen, 12 BGH NJW1968,987: »Letztlich wird es darauf ankommen, was unter Berücksichtigung aller Umstände Treu und Glauben mehr entspricht: Daß den Beklagten die von keinem Beteiligten ins Auge gefaßten formalen Mängel der Wechsel zugute kommen, oder daß die Beklagten vielmehr im Hinblick auf das zwischen der Klägerin und dem Hauptschuldner bestehende Schuldverhältnis trotz der engen Fassung der Bürgschaftserklärung der Klägerin aus der Bürgschaft verhaftet bleiben.« Der BGH weicht in dieser Entscheidung die von ihm vertretene Andeutungstheorie partiell auf; kritisch auch Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rn. 52 ff., 56. 13 Siehe nur BGHZ 26,151; 29,10; 48,398; BGH NJW 1984,607; NJW 1987,1070; NJW 1996, 2503, 2504; BAG DB 1982, 1417. 14 Im Ergebnis zustimmend Flume, Rechtsgeschäft, § 15 III 4 d; Larenz, Allgemeiner Teil, §21 I b; Canaris, Vertrauenshaftung, S.288ff.; D. Reinicke, Rechtsfolgen, S.29ff.; ablehnend Häsemeyer, Form, S.287ff.; Gernhuber, Festschrift für Schmidt-Rimpler, S. 151,159. Allgemein wird die Schwierigkeit betont, anhand der Formel vom »schlechthin untragbaren Ergebnis«, das eine Berufung auf den Formmangel verbietet, einen der Rechtssicherheit genügenden Kriterienkatalog zu bestimmen, vgl. Reinicke, a.a.O., S. 41 ff.; Gernhuber, a.a.O., S. 172; Canaris, a.a.O., S.289.
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
daß kein Aspekt überbetont wird. Gesucht wird ein Balance-Modell, das soviel Vertragsfreiheit wie möglich und soviel Kontrolle wie notwendig sicherstellt und die Kontrollkriterien rechtsstaatlichen Erfordernissen gemäß beschreibt.
II. Bisher entwickelte Vertrags(kontroll)ansätze 1. D i e L e h r e v o n der R i c h t i g k e i t s g e w ä h r F ü r die Schöpfer des B G B war die Vertragsgerechtigkeit im Sinne eines der Vertragsfreiheit weitgehend gleichwertigen Ordnungsprinzips ohne Belang. Erst Scbmidt-Rimpler versuchte mit seinem 1941 veröffentlichten Aufsatz » G r u n d fragen einer Erneuerung des Vertragsrechts« 1 5 eine funktionale Beziehung zwischen Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit herzustellen. Schmidt-Rimpler, der seine Lehre als Gegenentwurf zu Forderungen des nationalsozialistischen Staates nach einer »Erneuerung des Vertragsrechts« im Sinne eines Abbaus der Willensherrschaft zugunsten der Einordnung des Vertrages in die völkische G e meinschaftsordnung entwickelt hat, 16 geht von der Grundfrage aus, inwiefern die »Richtigkeit« einer Rechtsfolge dadurch gewährleistet werden kann, daß sie von den an einem Rechtsverhältnis Beteiligten gewollt ist. 17 »Richtigkeit«, der zentrale Begriff seiner Vertragslehre, wird von ihm als »ethisch bestimmte Gerechtigkeit« und als gemeinschaftskonforme Zweckmäßigkeit definiert. U n t e r letzterer sei das zu verstehen, was erforderlich ist, um die Gemeinschaft zu verwirklichen. Maßgebliches Kriterium sei die Gerechtigkeit, insbesondere Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Verkehrssicherheit. 1 8 D e r von einem einzelnen erklärte Wille werde dieser Richtigkeitsprämisse nicht gerecht, da es dem einzelnen bei der Verfolgung seiner Ziele nicht gelinge, das rechte M a ß zu wahren. Selbstbestimmung im Sinne eines als Willkür verstandenen Willens des Individuums eigne sich deshalb nicht als Grundmodell des Vertrages. D e r Gedanke der Selbstverantwortung kompensiere die Ungerechtigkeit der Selbstbestimmung nicht. 1 9 Vermöge der Einzelwille die Richtigkeit der Rechtsfolge nicht zu gewährleisten, sei das zutreffende rechtstheoretische Vertragsmodell anhand des Charakteristikums der Willenskorrespondenz zu bestimmen. I m Vertrag findet nach 15 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130. Ähnlich ders., Festschrift für Nipperdey, S. 1 ff.; ders., Festschrift für Raiser, S. 3 ff. Zum vertragstheoretischen Modell von Schmidt-Rimpler siehe auch Pflug, Kontrakt, S. 132 ff. 16 Zur rechtspolitischen Zielsetzung des Beitrages Schmidt-Rimpler, Festschrift für Raiser, S.3, 8f.; vgl. auch Rüthers, Auslegung, S. 366ff. 17 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130,149, der seinen Ausführungen im III. Teil die Fragen »Inwiefern kann die Richtigkeit der Rechtsfolge dadurch gewährleistet werden, daß sie von einem oder beiden an einem Rechtsverhältnis Beteiligten gewollt ist?« und »Wie muß der Wille verwirklicht werden, um die Richtigkeit des Eintritts der Rechtsfolge zu gewährleisten?« voranstellt. 18 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 132f.; ders., Festschrift für Raiser, S.3, 10. 19 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 151f.; ders., Festschrift für Nipperdey, S. 1, 5; ders., Festschrift für Raiser, S.3, 18ff.
Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
175
Schmidt-Rimpler der Wille jedes Vertragspartners im Willen des jeweils anderen seine Grenze und Beschränkung zum Richtigen hin. Jeder kontrolliere Abschluß, Inhalt und Form eines Vertrages daraufhin, ob sie ihm selbst zusagen, also für ihn akzeptabel und damit aus subjektiver Sicht gerecht sind. Da sich bei Vertragsschluß die beiden konträr gegenüberstehenden Partner einigen müssen, seien aller Wahrscheinlichkeit nach die übereinstimmend festgelegten Rechtsfolgen für keinen der beiden nach seiner Wertung ungerecht, so daß ein richtiges Ergebnis erzielt werde. Abgelehnt würden Abreden, die ungerecht erscheinen, insbesondere solche, die das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung betreffen. Jedes egoistisch bedingte ungerechte Wollen werde »paralysiert«.20 Der vertragliche Mechanismus biete so eine Richtigkeitsgewähr, und zwar ohne hoheitlichen Eingriff und unter Wahrung der Initiative und der persönlichen berechtigten Interessen der Vertragspartner. Voraussetzung für ein ausgewogenes Vertragsverhältnis sei eine (zumindest ansatzweise) Parität der Vertragspartner. Verträge ohne Richtigkeitsgewähr seien einer Kontrolle zu unterziehen. Richtigkeitsgewähr fehle, wenn das Verhandlungsgleichgewicht zwischen den Vertragspartnern gestört ist. Vertragskontrolle sei deshalb am Kriterium des Verhandlungsgleichgewichts auszurichten. Sei keine Disparität festzustellen, habe sich die Rechtsordnung eine Kontrolle zu versagen.21 Persönliche Initiative und Verantwortungsfreude würden unterdrückt, wenn nachträglich eine Kontrolle des Vertrages erfolge.22 Schmidt-Rimpler sieht den Vertrag als Kompensationsinstrument ursprünglich egoistischer, auf die Realisierung eigener Belange ausgerichteter Einzelwillen. Die qualitative Umformung erfolgt durch das Verfahren des Vertragsschlusses. Das für einen Vertrag konstitutive Erfordernis eines Konsenses führe bei gleichberechtigten Partnern zu einem von der Rechtsordnung hinzunehmenden Resultat. Das Ergebnis des Verhandlungsprozesses sei ein grundsätzlich richtiger Konsens, der gesetzlicher Korrektur durch zwingende Rechtsvorgaben nicht zugänglich sei. Vertragskontrolle ist nach der Lehre von der Richtigkeitsgewähr abhängig von der Imparität der Beteiligten. Der Grad der Imparität stellt den Maßstab der Vertragskontrolle dar und gibt ihren Umfang vor. 2. Die Selbstbestimmüngsthese Die Wertung, daß Privatautonomie dem Gedanken der individuellen Selbstbestimmung entspricht, hat Flume aufgegriffen, in den Zusammenhang mit VerSchmidt-Rimpler, Festschrift für Raiser, S. 3,5; ebenso ders., Festschrift für Nipperdey, S. 1,6. Vgl. Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 149ff.; ders., Festschrift für Nipperdey, S.l, 7ff.; ders., Festschrift für Raiser, S. 3, 6ff. Der Theorie der Richtigkeitsgewähr im Grundsatz zustimmend Bartholomeyczik, AcP 166 (1966), 30, 55f.; Brox, JZ 1966, 761, 762; Habersack, AcP 189 (1989), 403, 406ff.; ders., Vertragsfreiheit, S.47ff.; Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn.439; Larenz, Allgemeiner Teil, §2 V; Rebe, Privatrecht, S.222; Rittner, AcP 188 (1988), 101, 128, 133; ders., Festschrift für Müller-Freienfels, S.509, 514f.; Säcker, Gruppenautonomie, S.207f.; Schapp, Grundfragen, S.54ff. 22 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 166f., 170. 20
21
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2. Teil: Leitlinien
einer
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tragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit gestellt und daraus ein Vertragskontrollmodell entwickelt. Für Flume ist Geltungsgrund der Willenserklärung »nur die Selbstbestimmung.« 23 Anders als bei Schmidt-Rimpler sei der Vertrag nicht als Prozeß zur Herbeiführung einer richtigen Regelung der Willensherrschaft gegenüberzustellen. Eine vertragliche Abrede sei nicht als Gegensatz zur Willensherrschaft zu verstehen, sondern als Mittel der Willensherrschaft. Bei einer Rechtsordnung, die die freie Entfaltung der Persönlichkeit anerkennt, ist nach Flume zu betonen, daß die Rechtsverhältnisse von den einzelnen in Selbstbestimmung gestaltet werden. Der konkrete Vertrag legitimiere sich materiell als Aktualisierung beidseitig betätigter Autonomie. 24 Der Vertrag bedürfe - von Ausnahmen abgesehen - keiner gesetzlichen Kontrolle, weil (und soweit) er von der beiderseitigen Selbstbestimmung der Vertragsschließenden getragen sei. Nur hinsichtlich des Vertragsschlusses selbst sei die Bezeichnung »Richtigkeitsgewähr« treffend. Uber den Inhalt der Abrede sei ein rechtliches Urteil ausgeschlossen. Die Gestaltung aus Selbstbestimmung in einem Rahmen, der nach der Rechtsordnung der Privatautonomie offen stehe, sei einem rechtlichen Urteil über ihre Richtigkeit unzugänglich. 25 Werde Vertragsfreiheit nur durch Selbstbestimmung gerechtfertigt, besage das zugleich, daß Vertragsfreiheit als Rechtsprinzip nur verwirklicht werden kann, wenn auch tatsächlich die Macht zur Selbstbestimmung besteht. Stünden sich die Vertragspartner nicht mit der Fähigkeit zur Selbstbestimmung gegenüber, komme es durch die Macht des einen statt zu der beiderseitigen Selbstbestimmung zu einer einseitigen Fremdbestimmung. Diese ungleiche Machtverteilung sei der Legitimationsgrund, einen bestimmten Regelungsbereich den Privatrechtssubjekten zu entziehen und das Rechtsverhältnis ganz oder teilweise durch unabdingbare Rechtsnormen zu gestalten. 26 Die Schranken der Autonomie seien weit zu ziehen. Innerhalb dieser Schranken herrsche völlige Freiheit. Weder die Ausübung privatautonomer Gestaltungsfreiheiten im allgemeinen noch inhaltliche Abweichungen vom dispositiven Recht seien rechtfertigungsbedürftig. 27 Dabei werde die Macht zur Selbstbestimmung nicht allein dadurch beeinträchtigt, daß sich wie beispielsweise in aller Regel beim Verkehr mit Gütern und Leistungen - wirtschaftlich ungleich starke Partner gegenüberstehen. Wirtschaftliche Macht sei in 23 Flume, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 135, 142ff. (Zitat auf S. 142); ders., Rechtsgeschäft, § 1, 6a. 24 Flume, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 1 3 5 , 1 4 2 f., mit ausdrücklicher Wendung gegen Schmidt-Rimpler, in dessen Lehre dieses werthaltige Moment von Vertragsfreiheit eliminiert ist. 25 Flume, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 135,143; ders., Rechtsgeschäft, §1, 5, 6a. Ahnlich in bezug auf die Ergebnisse der Marktwirtschaft v. Hayek, Recht, S.lOlf., 105. 26 Flume, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 135, 143. 27 Flume, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 135, 169 (zu AGB); in diesem Sinne ders., Rechtsgeschäft, § 1 , 5: »Die privatautonome Gestaltung von Rechtsverhältnissen bedarf, soweit sie vom Recht anerkannt wird, keiner anderen Rechtfertigung, als daß der einzelne sie will.«
ß. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
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den Zusammenhang mit der Wirtschaftsordnung zu stellen. Marktwirtschaft und Wettbewerb absorbierten die Macht des an sich Stärkeren, so daß die Vertragsparteien dann unabhängig von individueller Mächtigkeit in jedem Einzelfall mit dem Markt, der sich aus einer Vielzahl privatautonomer Entscheidungen ergebe, in Wettbewerb treten müßten. Jeder Vertrag als Summe selbstbestimmter Abreden trage dazu bei, daß ein Markt erhalten bleibe und daß auch andere selbstbestimmt den Austausch von Gütern und Leistungen vereinbaren könnten. Betont wird die Selbstbestimmung der einzelnen Privatrechtssubjekte. Dieser Gedanke stehe hinter der Vertragsfreiheit und rechtfertige die Abwesenheit staatlicher Kontrolle. Selbstbestimmung werde durch ungleiche Verhandlungspositionen in der Regel nicht aufgehoben, sondern Disparität werde durch den freien Markt absorbiert. Auch unterlegene Privatrechtssubjekte könnten in einer Marktwirtschaft selbstbestimmt zwischen unterschiedlichen Vertragskonditionen wählen. Für die Vertragskontrolle bleibe nur der Bereich »echter Fremdbestimmung«.28 Flume konzipiert damit eine weitreichende, nur durch die Sitten- und Rechtsordnung eingeschränkte Freiheit zur Selbstbestimmung als Grundlage des zivilrechtlichen Vertragsmodelles. 3. Die Theorie der sozialen Vertragsfunktion Raiser ordnet dem Vertrag eine soziale Funktion zu und leitet daraus das Gebot materialer Vertragsgerechtigkeit ab. Vertragsfreiheit wird nach Raiser von ihrem sozialen Zweck immanent begrenzt.29 Ausgangsüberlegung ist die Begrenzung subjektiver Rechte durch ihre soziale Funktion, die sie innerhalb der Gemeinschaftsordnung erfüllen und die ihren Ausdruck findet in gemeinschaftsbezogenen Institutionen des objektiven Rechts. 30 Daraus lasse sich Vertragsfreiheit als »wichtiges Strukturelement unseres Zivilrechts« ableiten.31 Es könne aber nicht geschlossen werden, eine Einschränkung der Vertragsfreiheit sei nur dort konzedierbar, wo die marktwirtschaftliche Ordnung mit dirigistischen oder interventionistischen Elementen durchsetzt sei. Zwingende Freiheitsgrenzen seien nicht nur als vorübergehende Ausnahmen von einer im übrigen ganzheitlichen Vertragsfreiheit zu verstehen. Der Wandel der Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur störe die Funktion der Vertragsfreiheit: Sobald sich ein Vertragspartner dem Wettbewerb zu entziehen vermöge, werde der Vertrag »zum Instrument der 28 Flume, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 135, 144f., 168 ff. 29 Raiser, JZ 1958,1; ders., Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 101; ders., Rechtsschutz, S. 145; ders., Zukunft, S. 13ff. Aufgegriffen und fortgeführt wurde Raisers sozialer Denkansatz vor allem von Zweigert (Festschrift für Rheinstein, S. 493, 501) und Merz (Privatautonomie, S. 8ff.); beide sehen das soziale Funktionsprinzip als maßgeblich an. Weitgehend zustimmend auch Kilian, AcP 180 (1980), 47,76; Mestmäcker, JZ 1964,441,443; Rebe, Privatrecht, S. 56ff., 162ff.; Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 14f. 30 Raiser, JZ 1958,1, 2f.; ders., Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 101, 104 ff. 31 Raiser, JZ 1958, 1.
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2. Teil: Leitlinien
einer
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Herrschaft über den anderen Vertragsteil«32 degradiert. Die industrielle Massengesellschaft beschränke die Privatrechtssubjekte in ihrem autonomen Handeln und ordne sie in ein gesellschaftliches Gesamtgefüge ein, in dem der einzelne von den »das Massendasein organisierenden Apparaten und ihren anonymen Machthabern« abhängig sei. Der derart von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einflüssen eingeengte Bürger erwarte vom Staat soziale Hilfestellung. 33 Diesem Strukturwandel werde die Rechtsordnung gerecht, indem sie der vertraglichen Freiheit »zum Schutze der notorisch schwächeren Vertragspartei enge Grenzen« setze, wie beispielsweise im Arbeitsrecht.34 Zweigert hat diesen Ansatz aufgegriffen und hervorgehoben, daß Vertragsfreiheit angesichts des realen ökonomischen und sozialen Machtgefälles zwischen den Vertragsparteien kaum mehr anzutreffen ist. Vertragsfreiheit setze ökonomische und soziale Balance der verhandelnden Vertragspartner voraus und sei deshalb nur noch bei Verträgen zwischen Großunternehmen zu finden. Materiales Funktionsprinzip des Vertragsrechts sei heute die Vertragsgerechtigkeit, nicht die Vertragsfreiheit; die Verwirklichung von Vertragsgerechtigkeit stelle die zentrale Aufgabe des Vertragsrechts dar.35 Betont wird weniger der Freiheitsaspekt, in den Mittelpunkt rückt vielmehr die soziale Ordnungskomponente der Rechtsordnung. Die Theorie der sozialen Vertragsfunktion tritt für ein duales Vertragsmodell ein, bei dem sich Vertragsfreiheit und soziale Funktion des Vertrages in einem dialektischen Prozeß ausgleichen (sollen). Auf der einen Seite bleibe so der Vertrag als Gestaltungsmittel zum Ausgleich privater Interessen erhalten urtd mit ihm die rechtlich verbürgte Freiheit des einzelnen. Andererseits könne der soziale Ausgleich nicht allein den Vertragspartnern überlassen werden, sondern sei einer rechtlichen Kontrolle derart zu unterstellen, daß Gerechtigkeit gegebenenfalls durch gesetzliche Reglementierung oder gerichtliche Intervention erreicht werde. Die faktische individuelle Freiheitseingrenzung finde ihr Gegenstück in rechtlicher Kontrolle aus sozialen Gründen. Diese soziale Funktion zwinge dazu, Verträgen die rechtliche Anerkennung zu versagen, die nach Art ihres Zustandekommens oder nach ihrem Inhalt den von der Rechtsordnung geschützten Werten zuwiderlaufen. Vertragskontrolle sei immer dann legitimiert, wenn soziale Aspekte betroffen seien; Selbstbestimmung habe sich dem Gerechtigkeitsideal unterzuordnen. 36
Raiser, JZ 1958, 1, 3; ähnlich ders., Rechtsschutz, S. 145ff.; ders., Zukunft, S. 13ff. Raiser, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S.101, 105ff.; ders., JZ 1958, 1, 3f. (Zitat auf S.3). 34 Raiser, JZ 1958, 1,3. 35 Zweigert, Festschrift für Rheinstein, S. 493, 503 f. 36 Raiser, Rechtsschutz, S. 145,147ff.; ders., Zukunft, S.29ff.; ders., Festschrift zum lOOjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 101, 131ff.; ders., JZ 1958, 1, 3ff. (Zitat auf S.6). 32
33
Í. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
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4. Theorie der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit Die Erkenntnis, daß die Vertragsfreiheit auf den Prinzipien der Selbstbestimmung und der Selbstverantwortung gründet, Selbstbestimmung aber nur dann möglich ist, wenn der einzelne die auf seiner freien Beurteilung beruhende Entscheidung auch verwirklichen kann, hat Manfred Wolf zur Entwicklung der Theorie von der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit veranlaßt. 37 Die Rechtsordnung hat nach seiner Ansicht die Selbstbestimmung durch den Schutz der Entscheidungsfreiheit zu gewährleisten. Wolf tritt deshalb dafür ein, die Vertragskontrolle als Folge des Fehlens einer ungeschriebenen Wirksamkeitsvoraussetzung namens »Entscheidungsfreiheit« in das Privatrechtssystem zu integrieren. 38 Unter Berufung auf Motive I, S. 204,206 wird die Entscheidungsfreiheit zur »Gültigkeitsvoraussetzung und zum Tatbestandsmerkmal der Willenserklärung« 3 9 erhoben. Die Ausrichtung der freien Willensbestimmung an der vernunftgemäß bestimmten Entscheidung entspreche dem Wesen der rechtsgeschäftlichen Entscheidung, weil auch die Rechtsordnung, die sich um eine vernünftige Ordnung der Lebensverhältnisse bemühe, rechtsgeschäftliche Entscheidungen den Grundsätzen der Vernunft unterstellen müsse. 40 Entscheidungsfreiheit wird weder im Sinne von Wahlfreiheit aufgefaßt noch mit der Abwesenheit von Fremdbestimmung gleichgesetzt. 41 Entscheidungsfreiheit bedeute Freiheit der individuellen Entfaltung. Diese sei nur dann gewährleistet, wenn die Möglichkeit bestehe, die verschiedenen Interessen vernünftig gegeneinander abzuwägen und zum Ausgleich zu bringen. Entscheidungsfreiheit wird also als Chance zum gerechten Interessenausgleich begriffen. 42 Interessenausgleich bedeutet dabei nicht die Untersagung von einseitiger Entscheidungsbetätigung. Es stehe den Parteien frei, auf gegenseitigen Ausgleich zu verzichten und dem anderen einseitig Vorteile einzuräumen. Diese Vorteilsgewährung habe allerdings freiwillig zu erfolgen. Die Freiwilligkeit könne von der Rechtsordnung aber nur dann als gewahrt angesehen werden, wenn die Chance zum gerechten Interessenausgleich bestand. N u r in einem solchen Fall liege es allein bei dem Vertragspartner, ob er einen Nachteil in Kauf nehmen und einen »ungerechten Vertrag« akzeptieren will. 43 37 Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 111 ff.; grundsätzlich übereinstimmend Kramer, Krise, S. 58f.; ders., in: MünchKommBGB, § 123 Rn.45; Kreutz, ZfA 1975, 65, 67f.; Lüderitz, J Z 1972, 222,223; Mayer-Maly, Z H R 149 (1985), 349, 351; Zöllner, AcP 196 (1996), 1,28. Trotz einzelner Kritikpunkte im Ergebnis zustimmend Fikentscher, Festschrift für Hefermehl, S. 41, 49f.; vgl. auch Rebe, Privatrecht, S. 173 ff., der für eine an Ordnungsprinzipien ausgerichtete wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit eintritt und den Ansatz von Wolf in Zusammenhang mit den Aussagen von Schmidt-Rimpler fortentwickelt. 38 Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 123 ff. 39 Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 123. 40 Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 116. 41 Wolf Entscheidungsfreiheit, S. 113ff. 42 Wolf Entscheidungsfreiheit, S. 119. 43 Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 120.
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2. Teil: Leitlinien
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Manfred Wolf plädiert dafür, eine Willenserklärung nur anzunehmen, soweit die Entscheidungsfreiheit nicht beeinträchtigt ist. Eine Vertragsschlußerklärung im Falle partiell dezimierter Entscheidungsfreiheit zerfalle also in wirksame, weil frei erklärte Teile, und in nicht existente, weil ohne potentiellen Interessenausgleich erklärte Teile.44 Von einer Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit sei regelmäßig dann auszugehen, wenn die Entscheidung über die sachgerechte Vertragsausgestaltung dadurch gestört sei, daß die Verfolgung anderweitiger Interessen von einem bestimmten Inhalt dieser Entscheidung abhängig gemacht wird, die Verfolgung dieser anderweitigen Interessen nicht zu den sachgerechten Erwägungen bei der Entscheidung über den Vertragsschluß gehört und der Wert dieser anderweitigen Interessen sich gegenüber den mit dem Vertrag verbundenen Interessen als stärker erweist, so daß ein Verzicht auf die außerhalb des Vertrages liegenden Interessen zwecks Abwehr einer ungerechten Vertragsgestaltung unzumutbar erscheint.45 Die justizielle Kontrolle der Vertragsgerechtigkeit ist der Konzeption von Wolf immanent, und sie ist theoretisch in jedem konkreten Fall erforderlich, weil sich nur so bestimmen läßt, ob auf beiden Seiten rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit bestanden hat. Für den Schutz des Schwächeren im Zivilrecht gelte damit folgendes: Mache der Starke seine Zustimmung zum Vertrag davon abhängig, daß der Unterlegene bestimmte Vertragsbedingungen akzeptiere, strahle der Wert des dem Vertragsgegenstand zugeordneten Interesses auf die Entscheidung über die Klausel aus. Der Unterlegene müsse überlegen, ob er auf den Vertragsschluß verzichten oder die nachteiligen Klauseln in Kauf nehmen wolle. Dadurch sei ihm verwehrt, die den Klauseln sachlich zugeordneten Interessen unbeeinflußt zu werten; »Vertrags-« und »Klauselinteresse« träten in einen sachfremden Bedingungszusammenhang. Bei für den Unterlegenen höherwertigem Vertragsinteresse könne dieser nicht mehr frei und vernünftig über die Klauseln entscheiden. Der Vertrag werde trotz nachteiliger Inhalte wegen seiner existentiellen Bedeutung geschlossen. Dem Schwachen werde die Zustimmung auf diese Weise praktisch aufgezwungen. Mangels Entscheidungsfreiheit sei die Willenserklärung in bezug auf die nachteiligen Vertragsinhalte unwirksam; nur ausgeglichene Klauseln würden Vertragsgegenstand.46 5. Das liberale Informationsmodell Den Versuch, das tradierte liberale Vertragsmodell weitgehend zu bewahren und der sozialen sowie rechtlichen Wirklichkeit gerecht zu werden, hat Dauner-Lieb in ihrer Dissertation unternommen. Sie geht davon aus, daß in zahlreichen Bereichen die Vertragsparität tatsächlich gestört ist.47 Diesem Gerechtigkeitsdefizit sei Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 195ff. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.295. 46 Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.218ff. (dargestellt am Beispiel der Rückzahlungsvereinbarung bei Gratifikationszahlungen). 47 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S.28ff., 62. In diese Richtung auch Grigoleit, Informa44 45
5. Kapitel:
Das
Vertrags(kontroll)modell
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weniger mit zwingenden gesetzlichen Regelungen, insbesondere der Eröffnung einer weitreichenden Inhaltskontrolle,48 als vielmehr dadurch entgegenzusteuern, daß Parität wiederhergestellt werde.49 Die Existenz eines funktionierenden, auf Parität gründenden Marktes mache Vertragskontrollinstrumente im herkömmlichen Sinne (weitgehend) überflüssig. Dauner-Lieb tritt für ein Gerechtigkeitsideal formal-abstrakter Gleichheit aller vor dem Gesetz ein. Privatrechtlicher Verbraucherschutz, der nicht subjektsneutral an die Rechtsform oder den Vertragsinhalt anknüpft, sondern bestimmt ist von ökonomischen Rollen (wie der des Verbrauchers), durchbreche partiell das Gleichheitsprinzip: »Privatrechtlicher Verbraucherschutz bedeutet damit Ungleichbehandlung.« 50 Zivilrechtlicher Verbraucherschutz lasse sich deshalb mit der Systematik des geltenden Privatrechts nicht ohne weiteres vereinbaren. Da das formale Gerechtigkeitsideal des BGB Niederschlag eines liberalen Sozialmodells sei, das sich wiederum am Leitbild des »homo oeconomicus« orientiere, sei ein Vertrags(kontroll)modell zu entwickeln, das sich homogen in die Rechtsordnung einfüge und den Wertungswiderspruch des Verbraucherrechts vermeide.51 Das Vertragsrecht habe für den »homo oeconomicus« die Chance sicherzustellen, »sich ökonomisch vernünftig zu verhalten, d.h. selbstverantwortlich zu entscheiden, ob der in Aussicht genommene Vertragsschluß seinen Interessen entspricht, oder ob er die Erwerbsentscheidung zunächst aufschieben will.« 52 Im liberalen System von Dauner-Lieb ist »für ein typisierendes Anknüpfen an wirtschaftliche Unterschiede kein Raum.« 53 Kompensierungserfordernisse, wie im Verbraucherschutzbereich, könnten so Dauner-Lieb weiter - in weiten Bereichen durch ausreichende Information bereitgestellt werden. Am Beispiel des Verbraucherschutzes zeige sich, daß eine genaue Vorstellung über Eigenschaften eines Produktes und die Höhe der Gegenleistung einerseits, Kenntnis der Marktverhältnisse sowie der möglichen Substitutionsmöglichkeiten andererseits, es ermöglichten, zwischen den am Markt präsenten Gütern eine hinsichtlich der eigenen Bedürfnisse und der verfügbaren Mittel richtige Vereinbarung zu treffen.54 Soziale oder wirtschaftliche Unterlegenheit habe ihre Ursache vornehmlich in einem Informationsgefälle, das sich durch Wissensvermittlung kompensieren lasse. Die typische Unterlegenheit, beispielsweise des Verbrauchers, die den gesetzlich oder gerichtlich kontrollierten Vertrag vom Leitbild des klassischen paritätischen, nicht kontrollbedürftigen Vertragsmodells unterscheide, sei im Bezugst i o n s h a f t u n g , S. 72ff., w o n a c h j e d e Partei mit einem I n f o r m a t i o n s v o r s p r u n g eine O f f e n b a r u n g s pflicht treffe, deren V e r l e t z u n g gegebenenfalls S a n k t i o n e n hervorrufe.
Dauner-Lieb, V e r b r a u c h e r s c h u t z , S. 69. Dauner-Lieb, V e r b r a u c h e r s c h u t z , S. 63 ff. 50 Dauner-Lieb, V e r b r a u c h e r s c h u t z , S. 2 0 f f . 51 Dauner-Lieb, V e r b r a u c h e r s c h u t z , S. 5 2 f f . 52 Dauner-Lieb, V e r b r a u c h e r s c h u t z , S. 117. 53 Dauner-Lieb, V e r b r a u c h e r s c h u t z , S. 105. F r a g e n sozialer o d e r wirtschaftlicher S c h w ä c h e seien d u r c h d a s Sozialrecht öffentlich-rechtlich z u lösen. 54 Dauner-Lieb, V e r b r a u c h e r s c h u t z , S. 63 ff., 6 9 f f . 48 49
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2. Teil: Leitlinien einer
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rahmen des Informationsmodells subjektiv-intellektueller Art. Der Bürger sei der Informationsflut und Komplexität der Umwelt häufig nicht gewachsen und durchschaue deshalb vielfach weder die für den Abschluß von Rechtsgeschäften maßgeblichen Marktverhältnisse noch die wirtschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen eines Vertragsschlusses. Ursache der de lege lata umfangreichen Vertragskontrolle sei in erster Linie die fachliche Uberforderung des Urteilsvermögens des Bürgers. Zahlreiche dirigistische Vorgaben der (derzeitigen) gesetzlichen Regelung stellten einen systemwidrigen Eingriff in das liberale Vertragsmodell dar. Systemkonform sei allein das Informationsmodell: Vertragskontrolle werde entbehrlich, wenn ausreichend deutlich aufgeklärt werde; Markt- und Rechtstransparenz beseitigten das Erfordernis der Vertragskontrolle. Ein über Informationspflichten hinausgehender Schutz, vor allem die Anordnung zwingenden Rechts, sei mit den Prämissen des liberalen, auf Information setzenden Vertragsmodells nicht vereinbar.55 Privatautonom vereinbarte Vertragskonditionen seien nur in Fällen eines typischen, die Gerechtigkeit in Frage stellenden Informationsdefizits einer rechtlichen Kontrolle zugänglich.56 Nach dem liberalen Informationsmodell verfolgt Vertragskontrolle den Zweck sicherzustellen, daß die Vertragspartner über ausreichende Information verfügen. Verträge, die auf der Grundlage umfassender Markt-, Wirtschafts- und Rechtskenntnisse eingegangen werden, liegen nach diesem Ansatz außerhalb der Kontrollsphäre. Vertragskontrolle findet somit nur mittelbar statt; sie hat Transparenz zu gewährleisten.
6. Vertragskontrolle als Bestandsschutzgewährleistung Eine Analyse der die Vertragsfreiheit einengenden zwingenden gesetzlichen Normen im Arbeits- und Mietrecht führt Dietrich von Stebut zu dem Ergebnis, daß die Kontrollinstrumente nicht der Wiederherstellung von Vertragsparität durch die Bekämpfung von Machtmißbrauch und Willkür dienen und auch keine subjektive Vertragsgerechtigkeit garantieren. Zwingende Vorschriften knüpften nicht an eine Unterlegenheit beispielsweise von Arbeitnehmer und Mieter an und schüfen keine subjektiv zutreffende Äquivalenz. Verwirklicht werde ein objektives Gerechtigkeitsminimum. Die Schutznormen bewirkten »kein Machtgleichgewicht zwischen den Geschützten und ihren Kontrahenten, sondern im Gegenteil Disparität und Privilegierung.« Ziel der Regelungen sei ein »sozial motivierter Mindeststandard« an Rechtsgütern, hingegen kein Schutz vor bestimmten Vertragspartnern.57 Von Stebut hat die Lehre vom Bestandsschutz einzelner Rechtsgüter insbesondere aus der Struktur der Kündigungsschutzvorschriften entwickelt.58 Gemäß § 564b Abs. 1 B G B ist grundsätzlich die Angabe eines Kündigungsgrundes Wirk55 56 57 58
Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 104ff., 141 ff. Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 127f. v. Stebut, Schutz, passim (Zitate auf S.304); zustimmend Honseil, AcP 186 (1986), 115,160. v. Stebut, Schutz, S.29ff.
J. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
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samkeitsvoraussetzung für die Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses durch den Vermieter. D a b e i werden als Beleg des berechtigten Interesses nach Absatz 3 nur die Gründe berücksichtigt, die in dem Kündigungsschreiben angegeben oder nachträglich entstanden sind. Wenn aber Kündigungen unwirksam sein könnten, die durch nicht oder nicht rechtzeitig genannte G r ü n d e an sich zu rechtfertigen wären, so zeige dies, daß die Begründungspflicht nicht auf einen Schutz vor Willkür oder Machtungleichgewicht abziele. Das Verschweigen o b jektiv unter Umständen bestehender Kündigungsgründe könne allein keinen Machtmißbrauch darstellen. Von Willkür und Machtmißbrauch könne nur die Rede sein, wenn eine Kündigung nicht durch Fakten belegbar sei. D i e Begründungspflicht erstrebe die Bewahrung der Wohnung. Hintergrund und Legitimation der Vertragskontrolle sei allein der Bestandsschutz des Rechtsgutes » W o h n raum«. 5 9 Vergleichbar sei die Lage im Arbeitsrecht: N a c h § 1 Abs. 2 S . 4 K S c h G ist eine Arbeitgeberkündigung unwirksam, wenn die rechtfertigenden Tatsachen im Rechtsstreit nicht vorgetragen und bewiesen werden. N i c h t Machtmißbrauch oder (wirtschaftliche) Überlegenheit des Arbeitgebers sei G r u n d für die Rechtfertigungspflicht, sondern allein der Umstand, daß Kündigungen im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes von bestimmten, realen Gründen abhängig seien. Die Pflicht zu sozialer Legitimation sei Ausprägung eines besonderen Bestandsschutzes des Arbeitsverhältnisses. Arbeitsrechtliche Vertragskontrolle meine nichts anderes als den Bestandsschutz des Rechtsgutes »Arbeit«. 6 0 Bestätigt werde diese Einschätzung durch §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 S . 2 K S c h G , wonach der Anwendungsbereich des K S c h G eröffnet ist, wenn das Arbeitsverhältnis des betroffenen Arbeitnehmers in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne U n t e r brechung länger als sechs M o n a t e bestanden hat und der Betrieb in der Regel sechs oder mehr Arbeitnehmer beschäftigt. D a die Gefahr für Machtmißbrauch oder Willkür nicht geringer sei, wenn ein Arbeitgeber nur fünf oder weniger Arbeitnehmer beschäftige oder der Arbeitnehmer n o c h nicht länger als sechs Monate beschäftigt sei, lasse sich die Einschränkung der Privatautonomie nicht mit einem Machtgefälle begründen. Angestrebt werde der Schutz des Arbeitsplatzes. 6 1 D i e Analyse des Miet- und des Arbeitsverhältnisses zeigt nach Meinung von v. Stebut, daß der durch die Kündigungsvorschriften zugunsten von Wohnungsmietern und Arbeitnehmern eingeräumte Bestandsschutz nicht eine K o r r e k t u r wirtschaftlichen oder intellektuellen Ubergewichts des Vertragspartners oder den Ausgleich von Machtmißbrauch erstrebt. Das Streben nach Vertragsgerechtigkeit und Vertragsparität könne Vertragskontrollen durch Gesetz und Rechtsprechung nicht erklären. 62 D i e existentielle Bedeutung von Arbeitsplatz und Wohnung, die v. Stebut, Schutz, S. 31 f. v. Stebut, Schutz, S.34ff. 61 v. Stebut, Schutz, S. 70 f. 62 v. Stebut, Schutz, S. 36: »Es ist eine verfehlte Sicht und führt zu einer völlig sinnlosen Verdächtigung oder gar Verteufelung von Vermietern und Arbeitgebern, wenn die Pflicht zur Begründung von Kündigungen als Schutz vor Willkür und Machtmißbrauch verstanden wird.« 59
60
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
überragenden wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Verlustes dieser Rechtsgüter prägten und rechtfertigten die konkreten gesetzlichen Schutznormen sowie die eine Vertragskontrolle eröffnenden Generalklauseln. 6 3 Vertragskontrolle ist nach von Stebut deshalb immer dann angezeigt, wenn Rechtsgüter von erhöhter Wertigkeit in Frage gestellt sind, ihr Bestandsschutz gefährdet scheint. 6 4 A u f die wirtschaftliche oder soziale Lage der Betroffenen k o m m e es nicht an. Privatautonomie und Vertragskontrolle ergänzten einander auf diese Weise. Individueller Interessenausgleich und eine subjektiv befriedigende Regelung könnten nur durch Vertragsfreiheit erreicht werden, während zwingende Schutznormen ein nach generellen Gesichtspunkten bestimmbares, dem B e standsschutz dienendes objektives Gerechtigkeitsminimum gewährleisteten. 6 5 7. D i e p o s i t i v - r e c h t l i c h e P a r i t ä t s t h e o r i e Ein weiteres Vertragskontrollkonzept zur Kompensation gestörter Vertragsparität hat Hönn in seiner Habilitationsschrift erarbeitet. Parität sei die »vom positiven Recht den Vertragspartnern eingeräumte Rechtsstellung, die ihnen einen Interessenausgleich in Selbstbestimmung mit der C h a n c e der Äquivalenz« eröffnet. 6 6 Maßstab für das legitime Kräftegleichgewicht und einen gerechten Interessenausgleich sei die Rechtsordnung. Sie gebe zunächst vor, welche Verhaltensweisen beim Vertragsschluß nicht eingesetzt werden dürften. So zeige § 123 B G B , daß die rechtswidrige D r o h u n g , weil sie zur Anfechtung der insoweit erzwungenen Willenserklärung berechtigt, der Parität widerspreche. 6 7 D a Parität positivrechtlich die der Rechtsordnung entsprechende Stellung der potentiellen Vertragspartner sei, müsse Imparität insoweit grundsätzlich fiktiv sein. Sie bestehe nur, wenn die Schutzvorschriften hinweggedacht werden. Deutlich bekunde dies ein Wandel der Rechtsordnung. Führe ein Wertungswandel zu einer Gesetzesänderung, so erhalte der Wertungswandel positiv-rechtliche Bedeutung. Gleichzeitig pendele sich die rechtsordnungsdeterminierte Parität auf dieser neuen E b e n e ein. Aus Sicht der Rechtsordnung erweise sich dann der ursprüngliche (vormals rechtsordnungskonforme) Zustand als Imparität, weil keine der neuen Gesetzeslage entsprechende Selbstbestimmung und C h a n c e zur Äquivalenz im Bereich der freien Einigung gegeben sei. 68 Folge die fiktive Imparität aus der Interpretation der Rechtsordnung, dann könnten die Imparitätsmaßstäbe aus den N o r m i n halten der derzeitigen Gesetzeslage abgeleitet werden. 6 9 D i e Rechtsordnung enthalte überall dort Kontrollregelungen, w o sie nach dem normativen Z w e c k der
v. Stebut, Schutz, passim, insbes. S.55f., 153ff., 166f., 204f. v. Stebut, Schutz, S.209ff. 65 v. Stebut, Schutz, S. 268 f. 66 Hönn, Kompensation, S. 99; vgl. zum positiv-rechtlichen Ansatz von Hönn auch ders., JZ 1983, 677, 679ff.; ders., Jura 1984, 57, 63 ff.; ders., J A 1987, 337, 341 ff. 67 Hönn, Kompensation, S. 100. 68 Hönn, Kompensation, S.lOlf.; ders., JZ 1983, 677, 684. 69 Hönn, Kompensation, S. 102. 63
64
y Kapitel: Das
185
Vertrags(kontroll)modell
Vorschriften einen Vertragspartner schützen wolle. Aus dem positivistischen B e griff der Unterlegenheit des allgemeinen Privatrechts sei zu entnehmen, was darunter im allgemeinen zu verstehen ist. 7 0 Zentrales Anliegen von Hönn
ist es, aus
den vorhandenen vertragsrechtlichen N o r m e n (insbesondere des B G B ) Kriterien für die Existenz von Imparität und damit die Notwendigkeit einer Vertragskontrolle zu begründen. D i e entscheidende Rolle im Vertragsmodell von Hönn
spielt der Individual-
schutz durch Wettbewerb als Institution der Wirtschaftsverfassung. 7 1 Das deutsche Rechtssystem gründe auf dem Wettbewerbsprinzip; Wettbewerb stelle deshalb ein maßgebliches Kompensationsmittel dar. Bei Wettbewerb
herrsche
grundsätzlich Parität, Vertragskontrolle werde obsolet. N a c h der Rechtsordnung gelte der Grundsatz, daß der Vertragsschluß in einer Wettbewerbsordnung zu akzeptieren sei. Die durch den Wettbewerb eröffneten Wahlfreiheiten geben nach Hönn
die Chance zu einem Vertragsschluß in Äquivalenz. Wer nicht bereit sei, zu
den Marktbedingungen zu kontrahieren, dem werde von der Rechtsordnung der Verzicht auf den Vertragsschluß regelmäßig ohne Rücksicht auf die Interessenlage zugemutet. D i e adäquate Selbst- und Mitbestimmung über den Vertrag(sinhalt) werde durch die mittelbare Beeinflussung der Marktverhältnisse im Wettbewerb gesichert. 7 2 Imparität und damit die Notwendigkeit einer Vertragskontrolle ergebe sich folglich dort, w o der Wettbewerb gestört sei. 73 N e b e n dem Kompensationsmodell des Wettbewerbs enthalte die Rechtsordnung innerhalb der einzelnen Rechtsgebiete darüber hinaus punktuell individualschützende B G B . 7 5 Hönn
vertragsbezogene
Regelungen, 7 4
wie beispielsweise
§§134,
138
stellt infolgedessen eine eingehende Bestandsaufnahme und Analy-
se der von der Rechtsordnung verwendeten Kompensationsmittel gegen gestörte Vertragsparität an das Ende seiner Studie und k o m m t zu dem Ergebnis, daß Vertragskontrolle praeter legem sich zumindest insofern an der Struktur des geltenden Rechts zu orientieren habe, als sie Schutzbedürftigkeit stets anhand bestimmter rechtsgeschäftlicher Beziehungen und stets anhand rechtlich vorgegebener Maßstäbe für Schutzbedürftigkeit konkretisiere; bei etwaigen Zielkonflikten sei regelmäßig von einer Bindung an die gesetzlichen Vorgaben auszugehen. 7 6 8. D e r s o n d e r p r i v a t r e c h t l i c h e A n s a t z Einen weiteren Ansatz, um das Verhältnis formaler Selbstbestimmung und materialer Vertragsgerechtigkeit zu klären, stellt die Forderung nach einer F o r t e n t 70 71
Hönn, JZ 1983, 677, 684; ders., Kompensation, S. 105ff. Hönn, Kompensation, S. 109ff.; zu weiteren Kompensationsmitteln auf S. 134ff.; siehe auch
ders., Jura 1984, 57, 63f. 72 73 74
75 76
Hönn, Hönn, Hönn, Hönn, Hönn,
Kompensation, Kompensation, Kompensation, Kompensation, Kompensation,
S. 116f. S. 119ff. S. 134ff. S. 142ff.; vgl. auch ders., JuS 1990, 953, 954. S.253ff., 273ff.; ders., Jura 1984, 57, 64.
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
wicklung der bereits existierenden gesetzlichen Vertragskontrollvarianten zu einem allgemeinen sonderprivatrechtlichen Sozialmodell77 dar. Seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches sind zahlreiche Spezialgesetze zum Schutz sozial oder wirtschaftlich Unterlegener erlassen worden. Die Neuregelungen zeigen nach Ansicht der Vertreter 78 des sonderprivatrechtlichen Ansatzes, daß gegenwärtige soziale Konflikte und Problemlagen durch das liberale Vertragsmodell des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht (mehr) zu bewältigen sind. Sondergesetzgebung verdeutliche die Abkehr der Legislative von der dem Bürgerlichen Gesetzbuch in seiner Ursprungsform zugrundeliegenden Prämisse der Gleichheit der Rechtssubjekte; die aktuelle zivilrechtliche Gesetzgebung sei in ihrer allgemeinen Tendenz gekennzeichnet durch eine weitgehende Einschränkung der Vertragsfreiheit79 und sei somit Teil des Prozesses von der »originären« zur »derivativen« Privatautonomie.80 Dieser Genese komme »Signalwirkung für die Entwicklung eines sozialstaatlichen Privatrechts« zu. Es sei ein neues, der Industriegesellschaft entsprechendes, sozial gestaltetes bürgerliches Recht abzuleiten;81 vor allem das Arbeits- und Wirtschaftsrecht diene als Muster für eine Neustrukturierung. Dabei könne der »Geist der Sonderprivatrechte« nicht direkt die Dogmatik des bürgerlichen Rechts verändern.82 Möglich sei es hingegen, die Erkenntnis der Gerechtigkeit sonderprivatrechtlicher Wertungen im Wege der Analogie dort in das B G B einfließen zu lassen, wo die individualistische und auf formal-abstrakter Gleichheit beruhende Konzeption des klassischen Privatrechts nicht (mehr) genüge.83 Aus dem Telos der Gesetze wird von den Befürwortern dieser These ein allgemeiner Gedanke abgeleitet, der den Analogieschluß zu den »Sonderprivatrechten« - entgegen der Regel, wonach Sonderrecht im Grundsatz nicht analogiefähig ist rechtfertigt. Dem Sonderrecht sei ein verallgemeinerungsfähiger Unterlegenenschutz inhärent, der als engeres Prinzip das höhere der Vertragsfreiheit durchbreche.84 Deshalb erscheine es zugunsten einer Vertragskontrolle geboten, allgemeinprivatrechtliche Rechtsinstitute oder Normen zu modifizieren bzw. sich rechtsfortbildend von ihnen zu lösen, wenn und soweit das Schutzbedürfnis überwiege. Die in zahlreichen Sondergesetzen versinnbildlichten sozialen Schutzbelange verkörpern nach dem sonderprivatrechtlichen Ansatz einen verallgemeinerungsfähigen Gedanken weg von der Vertragsfreiheit hin zur Vertragsgerechtigkeit. Anhand zahlreicher Beispiele verdeutlicht Harm Peter Westermann diese Lehre. 85 Er setzt 77 Zum Begriff »Sozialmodell« H.P. Westermann, AcP 178 (1978), 150, 158, mit Beispielen aus dem Arbeits- (S. 159ff.) und dem Wirtschaftsrecht (S. 164ff.). 78 Damm, JZ 1978, 173; H.P. Westermann, AcP 178 (1978), 150; ders., Gutachten, S . l , 12f.; Stein, Inhaltskontrolle, S.25f.; Gilles, JA 1980, 1, 6; Rebe, JA 1978, 391, 392. 79 H.P. Westermann, AcP 178 (1978), 150, 176. 80 Damm, JZ 1978, 173, 177 (unter Berufung auf Habermas, Strukturwandel, S. 166, 249). 81 Ramm, Vertragsfreiheit, S. 39, 43. 82 H.P. Westermann, AcP 178 (1978), 150, 168. 83 H.P. Westermann, Gutachten, S. 1, 12. 84 Vgl. Damm, JZ 1978, 173, 177, m. weit. Nachw. 85 H.P. Westermann, AcP 178 (1978), 150, 179ff.
5. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
187
sich unter anderem damit auseinander, inwieweit die Rechtsprechung zum befristeten Arbeitsverhältnis 8 6 oder zu den allgemeinen arbeitsrechtlichen Haftungsregeln 87 zumindest dort auf die klassischen zivilrechtlichen Regelungsbereiche übertragen werden kann, w o die Rechtsordnung dem gewandelten Sozialmodell seiner Meinung nach nicht mehr entspricht. D e r sonderprivatrechtliche Ansatz ermögliche auf diese Weise eine umfassende Vertragskontrolle. 9. D a s E i n t r e t e n f ü r die Prärogative des G e s e t z g e b e r s D i e gesetzgeberischen Vorgaben durch die in den letzten Jahrzehnten erlassenen Gesetze und die seit langem ungeklärten Fragen, die mit dem Spannungsverhältnis zwischen formaler Vertragsfreiheit und materialer Vertragsgerechtigkeit verbunden sind, münden in den Vorschlag, die Entscheidungskompetenz primär dem Gesetzgeber zuzuweisen. 8 8 Ein generelles Vertrags(kontroll)modell lasse sich aufgrund der komplexen und vielschichtigen Gemengelage nicht finden. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers festzulegen, ob und wie Störungen des Vertragsmechanismus kompensiert werden sollen. 8 9 Das parlamentarische Verfahren stelle sicher, daß es nach Abwägung aller Umstände, insbesondere verfassungs- und europarechtlicher Aspekte, nur bei »gravierenden Paritätsstörungen« 9 0 zu einer Einschränkung oder Kontrolle der formalen Vertragsfreiheit k o m m t . Zudem sei eine demokratisch legitimierte Grenzziehung von hoher rechtsethischer U b e r zeugungskraft. Eine detaillierte gesetzliche Regelung vermeide eine Diskussion über die G r e n z e n der Vertragsfreiheit und werde so dem rechtsstaatlichen G e b o t der Rechtssicherheit gerecht. 9 1 B e t o n t wird, daß das legislative Primat nicht im Widerspruch zur Rechtsfortbildung stehe. Rechtsfortbildung bleibe möglich, aber nur dort, w o sie sich als Fortsetzung gesetzgeberischer Wertungen aufdränge und die Notwendigkeit einer Vertragskontrolle evident sei. 92
10. D e r n o r m t h e o r e t i s c h e L ö s u n g s a n s a t z Das Problem, ein zivilrechtliches Vertrags(kontroll)modell zu bestimmen, ließe sich - zumindest partiell - lösen, wenn der Kontrollaspekt aus dem Kontext der Privatautonomie herausgenommen und als »aliud« gegenüber dem Vertrag gewertet werden könnte. 9 3 Insbesondere Meyer-Cording, Pflug und Helm sehen (in erster Linie) allgemeine Geschäftsbedingungen nicht als Gegenstand einer VerH.P. Westermann, AcP 178 (1978), 150, 180f. H.P. Westermann, AcP 178 (1978), 150, 194f. 88 Höfling, Vertragsfreiheit, S.53ff.; Singer, Selbstbestimmung, S.33ff.; im Ansatz auch Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 75f. 89 Vgl. Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 76, m. weit. Nachw. 90 Singer, Selbstbestimmung, S. 34. 91 Vgl. Höfling, Vertragsfreiheit, S. 54; Singer, Selbstbestimmung, S.34, 39, 42; siehe auch Klein, NJW 1989, 1633, 1640. 92 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 76; Singer, Selbstbestimmung, S.34ff., 41 ff. 93 Vgl. zu dieser Überlegung Fastrich, Inhaltskontrolle, S.29. 86
87
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2. Teil: Leitlinien
einer
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einbarung im engeren Sinn an. Ähnliches vertritt Reuter für arbeitsrechtliche Einheitsregelungen. Die Vertreter des normtheoretischen Lösungsansatzes versuchen Notwendigkeit und Legitimation einer vor allem inhaltlichen Kontrolle einseitig vorgegebener Geschäfts- und Arbeitsbedingungen anhand deren Qualifikation als Rechtsnormen abzuleiten. Diese Normsetzung von privater Seite bedarf nach ihrer Meinung einer eingehenden staatlichen Kontrolle.94 Meyer-Cording geht davon aus, daß in gewissen sozialen Bereichen sogenannte »institutionelle Regler«95 Rechtsnormen setzen. Normschöpfung sei nicht nur im Wege staatlicher Gesetzgebung, administrativer Verordnungen oder jurisdiktioneller Akte möglich, sondern werde für weite Lebensbereiche tatsächlich von Unternehmen, Verbänden und öffentlich-rechtlichen Anstalten vorgenommen.96 Diese Institutionen schaffen Regeln, denen gegenständlich und personell beschränkt auf den Wirkungsbereich der Institutionen rechtliche Geltung dann zukommt, wenn sich die zukünftigen Normunterworfenen damit einverstanden erklären.97 Ein Kaufvertrag zerfällt nach dem normtheoretischen Ansatz von Meyer-Cording beispielsweise in einen »schuldrechtlichen« und einen »normativen« Teil. Hinsichtlich der essentialia negotii würden »wirkliche Vereinbarungen« schuldrechtlichen Gehalts getroffen, während es bezüglich der allgemeinen Geschäftsbedingungen, dem normativen Teil, zu einer »Unterwerfung« komme, zu einem »schlichten Ja zur fertig bereitliegenden Statusordnung«.98 Diese »präexistente Lebensordnung der Institution« werde dem Bürger entsprechend dem Grundsatz »volenti non fit iniuria« nicht oktroyiert. Mißbräuche der Rechtssetzungsmacht seien durch eine Normkontrolle der Gerichte zu korrigieren.99 Die richterliche Kontrolle sei weder aus konkreten individuellen Gründen noch aus Paritätserwägungen, sondern allein unter dem Gesichtspunkt der Normqualität gerechtfertigt. Der normative Charakter bestimmter vertraglicher Regelungen legitimiere die Vertragskontrolle.100 Den Ansatz von Meyer-Cording entwickelt Pflug fort. Auch er sieht in allgemeinen Geschäftsbedingungen echte Rechtsnormen,101 lehnt aber die Differenzierung zwischen schuldrechtlichen und normativen Merkmalen ab, weil sie die
94 Meyer-Cording, Rechtsnormen, passim; Pflug, Kontrakt, passim; Helm, Festschrift für v. Carolsfeld, S. 125ff.; Reuter, AP Nr. 78 zu § 611 B G B Gratifikation; ders., SAE 1983, 197ff.; vgl. auch Kramer, AcP 188 (1988), 423, 426f.; Schmidt, JuS 1987, 929, 931; ders., ZIP 1987, 1505ff. 95 Meyer-Cording, Rechtsnormen, S.99. 96 Klargestellt sei damit, daß »nicht jeder, der soziales Verhalten regeln will, als Normgeber« zugelassen werden könne, notwendig sei vielmehr die »Kompetenz einer Institution« zur Normsetzung, Meyer-Cording, Rechtsnormen, S. 57f. Abzuleiten sei die Normsetzungsbefugnis aus dem »allgemeinen Rechtsbewußtsein« (S. 57). 97 Meyer-Cording, Rechtsnormen, S. 47; extensiver auf S. 101, wo von den mit der Institution »in Beziehung tretenden Mitgliedern, Arbeitnehmern oder Kunden« die Rede ist. 98 Meyer-Cording, Rechtsnormen, S. 102ff. 99 Meyer-Cording, Rechtsnormen, S. 101. 100 Meyer-Cording, Rechtsnormen, S. 113. 101 Pflug, Kontrakt, S. 187ff„ 247ff.
5. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
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Qualifikations- mit der Legitimationsfrage vermische.102 Ausschlaggebend für seine Einschätzung ist das empirische Faktum: »Kontraktuelles Handeln« sei »realiter längst peripher« geworden, bürgerliche Autonomie sei die Ausnahme. Das Festhalten am Konsenstatbestand als Regelform der Begründung von Schuldverhältnissen für Lebensbereiche, in denen tatsächlich Fremdbestimmung dominiere, bedeute eine Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses.103 Die faktische Normsetzung Privater sei zwar in der Realität anerkannt, ihr fehle jedoch eine rechtliche Ermächtigungsgrundlage, sie sei »paralegales objektives Recht«. 104 Verträge als Normen im funktionellen Sinn sind nach Pflug deshalb den für Rechtsnormen geltenden Schranken zu unterwerfen.105 Vertragskontrolle sei in Wahrheit Normkontrolle. Reuter qualifiziert arbeitsvertragliche Einheitsregelungen als Normen. Wer betriebseinheitliche Regelungen schaffe, errichte eine Ordnung, die die verschiedenen Arbeitsverhältnisse im Betrieb mit dem Anspruch einer sachgerechten Verteilung von Rechten und Pflichten koordiniere. Dem Arbeitgeber seien seine Vorgaben nicht freigestellt. Die Normsetzung müsse sich in den Ordnungsrahmen des staatlichen Rechts einfügen, d.h. eine Kontrolle des vom Arbeitgeber gesetzten Rechts habe sicherzustellen, daß die arbeitsvertraglichen Einheitsregelungen gemeinverträgliche Ziele zum Inhalt hätten und die Rechte des einzelnen in der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Intensität achteten.106 Helm sieht aufgrund des staatlichen Gesetzgebungsmonopols in einseitig formulierten Geschäfts- oder Arbeitsbedingungen keine Rechtsnormen im engeren, unmittelbaren Sinn.107 Indirekt wirkten die standardisierten Vertragsbedingungen allerdings wie Gesetzesbefehle. Die Regelungen seien in ihrer Wirkung Rechtsnormen vergleichbar, weil es sich um verhaltensregulierende Vorgaben handele, die sich der Zwangsgewalt des Rechts in mittelbarer Weise bedienten. Die einseitig vorgegebenen und nur vordergründig vom Konsens getragenen Klauseln seien zu ihrer Umsetzung auf die staatliche Rechtsordnung angewiesen. Diese Normen mit bedingter Rechtsgeltung sind nach Helm mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit nicht vereinbar.108 Werde die Vertragsfreiheit der Bürger durch die Benutzung gegebenenfalls zwangsdurchsetzbarer Normen institutionalisiert, dann habe der Staat in gesteigertem Maß zu prüfen, ob er seine Gewalt zur Durchsetzung der Normen mit bedingter Rechtsgeltung zur Verfügung stellen dürfe.109 Folge der mittelbaren normativen Wirkung sei daher die Erforderlichkeit ihrer richterlichen Kontrolle. 110 102 103 104 105 106 107 108 109 110
Pflug, Kontrakt, S.247. Pflug, Kontrakt, S.33. Pflug, Kontrakt, S.289. Vgl. Pflug, Kontrakt, S.248ff. Reuter, SAE 1983, 197, 202. Helm, Festschrift für v. Carolsfeld, Helm, Festschrift für v. Carolsfeld, Helm, Festschrift für v. Carolsfeld, Helm, Festschrift für v. Carolsfeld,
S. 125, S. 125, S. 125, S. 125,
128. 133ff. 135. 143ff.
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Die Vertreter eines normtheoretischen Ansatzes unterstellen vertragliche Abreden aufgrund ihres (unmittelbaren oder mittelbaren) Normcharakters den für Rechtsnormen geltenden Schranken. Vertragskontrolle wird gerechtfertigt aufgrund der Normqualität.
III. Das Dilemma der monokausalen Erklärungsversuche 1. Zur Lehre von der Richtigkeitsgewähr Die Ausgangsüberlegung von Schmidt-Rimplers Meinung verdient Zustimmung. Der Vertrag bietet im Vergleich zu denkbaren anderen rechtlichen Interaktionsmöglichkeiten am ehesten die Gewähr dafür, daß die Beteiligten durch ihr Aushandeln zu einem Konsens gelangen, der üblicherweise einen Interessenausgleich gewährleistet.111 Insofern entspricht der Vertrag marktwirtschaftlichen Vorstellungen. Darüber hinaus kann der Gedanke der Richtigkeitsgewähr nicht der allgemeingültigen Klärung des Verhältnisses von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle dienen. Als generelles Vertrags(kontroll)modell hat die Lehre vielfach Kritik erfahren. Schmidt-Rimplers ursprünglicher Ansatz, wonach Grundlage der rechtlichen Anerkennung nicht der Wille der Parteien als solcher ist, sondern ausschließlich die dem Vertragsmechanismus inhärente Richtigkeitsgewähr,112 wurde von ihm selbst dahingehend erweitert, daß er mit dem Begriff der Richtigkeit auch die subjektive Wertung der Parteien erfaßt hat.113 Hat Schmidt-Rimpler auf diese Weise einem Teil der Kritik an seiner Konzeption Genüge getan,114 so ist der These, daß ein Vertrag eine materiale Richtigkeitsgewähr in sich trage, entgegenzuhalten, daß der Vertragsmechanismus tatsächlich lediglich äußerst eingeschränkt funktioniert.115 Die Vorstellung einer natürlichen, prästabilierten Harmonie durch vertraglichen Interessenausgleich könnte nur bei (zumindest annähernder) Gleichgewichtigkeit der Vertragspartner erreicht werden.116 Die Theorie der Richtigkeitsgewähr geht regelmäßig von der Legitimität der Machtverteilung aus und beachtet Imparität nur in seltenen, besonders auffälligen Konstellationen. 117 Inwieweit Machtausübung ansonsten gerechtfertigt sein kann, bleibt ebenso offen wie die Frage, in welchen Fällen und, wenn ja, wie Ungleichgewichtslagen im VerLangenfeld, Vertragsgestaltung, Rn.439; Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.73f. Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130,157, 163; dazu v.a. Pflug, Kontrakt, S. 132ff. 113 Schmidt-Rimpler, Festschrift für Nipperdey, S. 1, 5ff.; ders., Festschrift für Raiser, S. 3,15; insofern zustimmend Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 53. 114 Vor allem Raiser, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 101, 117ff., hatte die zunächst fehlende subjektive Ausrichtung kritisiert. 115 Das gesteht Schmidt-Rimpler selbst zu, Festschrift für Raiser, S. 3, 12f. 116 Ablehnend deshalb Canaris, Festschrift für Lerche, S. 873, 883; Flume, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S.135, 142; Kramer, Krise, S.21; Limbach, KritV 1986,165, 176; Richardi, Kollektivgewalt, S.42f.; Roscher, Vertragsfreiheit, S.35f. 117 Vgl. Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 151, 157f. 111 112
i. Kapitel: Das
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tragsrecht auszugleichen sind. D i e Richtigkeitslehre ist deshalb als singuläres Vertrags(kontroll)modell abzulehnen. Sie vermag nicht zu klären, inwieweit die Rechtsordnung von selbstbestimmten Privatrechtsbeziehungen ausgeht und inwieweit sie Fremdbestimmung zuläßt. D i e Vertragsfreiheit gewährleistet für sich allein genommen keine Richtigkeit; staatliche Kontrollmechanismen werden grundsätzlich nicht obsolet. D i e Richtigkeit des vertraglichen Ausgleichs hängt vielmehr v o m M a ß der Verwirklichung rechtlich vorgesehener Vertragsfreiheit und Selbstbestimmung, letztlich also von der Legitimation der Beschränkung der Freiheit durch Machtausübung ab.
2. Z u r S e l b s t b e s t i m m u n g s t h e s e Flumes Lehre, die auf der Maxime »stat pro ratione voluntas« fußt, gerät in Erklärungsnot bezüglich der Frage, warum die Rechtsordnung Vertragsfreiheit gewährt, obgleich deren Ergebnisse nicht stets gerecht und folglich korrekturbedürftig sind. Die inhaltliche Bestimmung bleibt vage. 1 1 8 Flume erklärt die zwingenden N o r m e n des geltenden Rechts mit der tatsächlich fehlenden Macht zur Selbstbestimmung. 1 1 9 Gleichwohl stellt Flume
die Rechtsverbindlichkeit eines
Vertrages nicht in Frage, wenn im Einzelfall für einen Vertragspartner ein faktischer Zwang zum Vertragsschluß besteht, er deshalb »zähneknirschend« auf ein Vertragsangebot eingeht. Dies entspricht zwar der geltenden Rechtsordnung. D e r Drohungstatbestand des § 1 2 3 Abs. 1 B G B zeigt, daß der von einseitiger Fremdbestimmung ausgehende Zwang nicht für sich maßgebend ist. Es gibt auch nicht rechtswidrige Drohungen, also solche, welche die rechtsgeschäftliche Willensfreiheit nicht beeinträchtigen, obgleich der Bedrohte sich der Bestimmung des D r o h e n d e n beugt. 1 2 0 Hier ist nicht das tatsächliche Machtverhältnis, die durch Ausübung von Zwang bewirkte Fremdbestimmung maßgebend, vielmehr wird der formalen Selbstbestimmung größeres Gewicht eingeräumt. 1 2 1
Die
Rechtfertigung einer Vertragskontrolle ist deshalb nicht (allein) aus der mangelnden materiellen Selbstbestimmung abzuleiten. D e r Vorwurf der Apologetik, hier werde aus einem Prinzip auf angebliche Realitäten, nämlich reale Selbstbestimmung, geschlossen, ist deshalb berechtigt. 1 2 2 Flumes
Selbstbestimmungstheorie,
Canaris, Festschrift für Lerche, S.873, 881. Flume, Festschrift zum 100jährigen Bestehendes Deutschen Juristentages, S. 135,143: »Soweit nach unserer Rechtsordnung den einzelnen die Regelung der Rechtsverhältnisse in beiderseitiger Selbstbestimmung, d.h. durch Vertrag, überlassen ist, liegt dem die Voraussetzung zugrunde, daß die einzelnen sich mit der Macht zur Selbstbestimmung gegenüberstehen und nicht durch die Macht des einen statt der beiderseitigen Selbstbestimmung eine einseitige Fremdbestimmung eintritt.« 120 Vgl. BAG BB 1996, 434f. (zur Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung); BGH NJW 1988, 2599, 2601 (zur Drohung durch Ausnutzen einer Zwangslage). 121 Kritisch deshalb auch Bartholomeyczik, AcP 166 (1966), 30, 57; Hönn, Kompensation, S. 24; Mayer-Maly, Festschrift für Merkl, S. 247,251; Singer, Selbstbestimmung, S. 8 f.; Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 114. 122 Mückenberger, KJ 1971, 248, 249. 118 119
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
wonach für die rechtliche Anerkennung eines Vertrages kein R a u m ist, wenn ein Teil aufgrund seiner Machtstellung einseitig den Vertragsinhalt bestimmen kann, vermag Vertragskontrolle nicht allgemeingültig zu erklären. Das Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle ist so nicht deutbar. 1 2 3 D e r Selbstbestimmungsgedanke findet seinen Niederschlag in der Rechtsordnung bei einseitigen Rechtsgeschäften wie dem Testament (§§ 1937, 2064ff., 2 2 2 9 f f . B G B ) . Derartige Rechtsgeschäfte führen nicht zu ungerechten und damit kontrollrelevanten E r gebnissen. Das Pflichtteilsrecht läßt dementsprechend die Verfügung von Todes wegen unangetastet und gesteht den ausgeschlossenen nächsten Angehörigen eine - nur unter besonderen Umständen (§§ 2 3 3 3 f f . B G B ) entziehbare - Forderung gegen die eingesetzten E r b e n in H ö h e der Hälfte des Wertes des entzogenen gesetzlichen Erbteiles oder - im Falle des Pflichtteilsrestanspruchs ( § 2 3 0 5 B G B ) in H ö h e des an dieser Hälfte fehlenden Betrages zu. 1 2 4 3. Z u r T h e o r i e der sozialen V e r t r a g s f u n k t i o n D e m Vertragsrecht die F u n k t i o n sozialer Gerechtigkeitsverwirklichung zuzuordnen, ist weder dogmatisch noch praktisch überzeugend. Raisers Forderung führt zu einer U m k e h r u n g des Regel-Ausnahme-Verhältnisses. Auf einer imaginären Gewichtungslinie zwischen Vertragsfreiheit und zwingenden, der Gerechtigkeit dienenden Vorgaben kann der Entscheidungspunkt ohne zusätzliche Kriterien nur wahllos verschoben werden, wobei nach Raiser die soziale Gerechtigkeit überwiegen soll. Eine derart sozial bestimmte Kontrolle würde zu einem Vorrang materieller Vertragsgerechtigkeit führen und damit im Ergebnis das Raisers These zugrundeliegende duale Systemverständnis zugunsten eines Elementes preisgeben. 1 2 5 Diese A b k e h r v o m »dialektischen Prozeß« 1 2 6 zeigt sich deutlich bei Zweigert, der in Fortführung von Raisers Überlegungen ohne jede Einschränkung für die »Vergerechtigung des als soziale Institution erkannten Vertrages« eintritt. 1 2 7 Die monistische Verabsolutierung der sozialen Vertragsfunktion zeigt paradigmatisch das D i l e m m a monokausaler Erklärungsversuche. Das Streben nach Ausgleich zweier antagonistischer Vorstellungen, der Freiheit und der Sozialgerech123 Ebenso die in Fn. 121 Genannten sowie Brox, JZ 1966, 761, 762; Canaris, Festschrift für Lerche, S. 873, 881; Rittner, Festschrift für Müller-Freienfels, S. 509,516; Schmidt-Rimpler, Festschrift für Raiser, S. 3, 17. 124 Insoweit also zutreffend Flume, Rechtsgeschäft, §1, 5; dazu Singer, Selbstbestimmung, S. 9. Der Gesetzgeber hat sich damit bei der Wahl zwischen (formellem und materiellem) Noterbenrecht oder einem Wertanspruch für letztere Lösung entschieden, vgl. Lange/Kuchinke, Erbrecht, §37 I 1 m. weit. Nachw. Die Regelung wird so dem Spannungsfeld von Testierfreiheit (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) und der familiären Gebundenheit (Art. 6 GG) gerecht. Zum Verhältnis von Testierfreiheit und Pflichtteilsrecht Otte, ZEV 1994,193; Leipold, JZ 1990, 700; BGHZ 109, 306, 310ff. 125 Singer, Selbstbestimmung, S.22. 126 Raiser, JZ 1958, 1, 6. 127 Zweigert, Festschrift für Rheinstein, S.493, 504.
5. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
193
tigkeit, ist ohne Angabe präziser Kriterien und ihrer Relation zueinander nicht zu bewerkstelligen. Hinzu kommt, daß die Annahme, ökonomische und soziale Ungleichheit beeinflußten den Vertragsinhalt per se zum Vorteil des einen und zum Nachteil des anderen Teils und führten so zu ungerechten Ergebnissen, in Einzelfällen zwar zutreffend, als grundsätzliche Annahme aber wirklichkeitsfremd ist. Nicht berücksichtigt ist im Rahmen dieser Deduktion der Wettbewerb; er führt regelmäßig zu einer »Neutralisierung des Machtungleichgewichts.« 128 Markt und Wettbewerb sichern mittelbar ausgeglichene Vertragsbedingungen. Von einem typischen Ungleichgewicht kann unter Umständen bei Monopolsituationen ausgegangen werden. Auf eine pluralistische Angebotsstruktur trifft das jedenfalls nicht stets zu. Die Verbraucher in ihrer Gesamtheit führen durch ihr Konsumverhalten zu einer Kontrolle der Vertragskonditionen. Jeden, der mehrere gleichartige Leistungen am Markt anbietet, als übergewichtig gegenüber einem Einzelnachfrager einzuschätzen, würde eine Absage an die Vertragsfreiheit bedeuten. Ein staatlich kontrolliertes Vertragsrecht würde zur Routine. Ein Vertrags(kontroll)konzept, das in erster Linie auf Vertragsgerechtigkeit abstellt und die soziale Funktion zum alleinigen Tatbestands- sowie Rechtfertigungsmerkmal zwingender Kontrollinstrumente erhebt, ist nicht tragfähig. 129
4. Zur These der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit Manfred Wolfs Kerngedanken, rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit sei Wirksamkeitsvoraussetzung für das Zustandekommen eines Vertrages, ist vorgeworfen worden, sie überantworte den Gerichten »ein großes Maß von Arbeit bei der Beurteilung des wirtschaftlichen Hintergrunds« des Vertragsschlusses. 130 In Anbetracht der amerikanischen Dogmatik und Entscheidungspraxis zur »bargaining power« und »economic duress« verliert das Argument zwar etwas an Überzeugungskraft. 131 Gleichwohl ändert das nichts an einer sehr eingeschränkten Rechtssicherheit. Nach Wolf ist bei der Beurteilung der Existenz von Entscheidungsfreiheit zu fragen, ob die Abreden in Hinblick auf die Verkehrssitte und die Vertragsgerechtigkeit gerechtfertigt sind 132 und inwieweit ein Vertragsverzicht bzw. ein Ausweichen auf andere Partner zumutbar erscheint. 133 Unzumutbare oder sachfremde Beschränkungen der Entscheidungsfreiheit als Anlaß für eine Vertragskontrolle zu nehmen, würde in jedem Einzelfall eine richterliche Prüfung der Geschäftsumstände erfordern. Die Folge wäre eine unübersehbare Kasuistik. 134 U m den Bestand eines jeden Vertrages sicherzustellen, müßte für den Canaris, Festschrift für Lerche, S. 873, 882. Bydlinski, Basler Juristische Mitteilungen 1982, S.22f.; Canaris, Festschrift für Lerche, S. 873, 882; Zöllner, JuS 1988, 329, 334f. 1 3 0 So vor allem Fikentscher, Festschrift für Hefermehl, S.41, 49. 131 Kramer, Krise, S. 59. 132 Wo//, Entscheidungsfreiheit, S. 181f. 133 Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 188f. 134 Vgl. Fastrich, Inhaltskontrolle, S.216; Hönn, Kompensation, S.29, 259; Lieb, AcP 178 128 129
194
2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
konkreten Vertragsschluß eine Interessenäquivalenz begründet werden. Weder Gericht noch Offerent ist es möglich, bei jedem Vertragsschluß festzustellen, ob der Vertragspartner durch die Bedingungen und Inhalte des angetragenen Vertrages nicht in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt wird, oder zu prüfen, inwieweit bei einem Konkurrenten zu anderen Bedingungen kontrahiert werden könnte und dies unter Zeit- und Kostengesichtspunkten zumutbar wäre. 135 Die Inhaltskontrolle mit Wolf als Konsequenz einer aus der Abwesenheit der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit resultierenden Beeinträchtigung der Selbstbestimmung zu erfassen, ist nicht praktikabel. D i e Indifferenz der Kriterien, die Entscheidungsfreiheit inhaltlich bestimmen sollen, und die im Einzelfall notwendige Interessenabwägung sind nicht die alleinigen Schwachstellen. H i n z u k o m m t die Unvereinbarkeit mit den dogmatischen Vorgaben des Gesetzes. Manfred Wolf begründet seine Ansicht mit einer Stelle in den Motiven, an der ausgeführt ist, daß »die Freiheit der Willensentscheidung Voraussetzung der Gültigkeit der Willenserklärung« ist. 136 Die Entscheidung des Gesetzgebers beispielsweise für die bloße Anfechtbarkeit im Falle des § 123 B G B zeigt eine Schwachstelle der Konzeption: D e m K o n t e x t der Motive ist zu entnehmen, daß der Gesetzgeber keine allgemeine Wirksamkeitsvoraussetzung der Willenserklärung beschreiben wollte, sondern - die Äußerung fällt im Zusammenhang mit § 1 0 3 des 1. Entwurfs (dem späteren § 1 2 3 B G B ) - die Entscheidungsfreiheit lediglich Voraussetzung für die Unanfechtbarkeit einer Willenserklärung sein sollte. Wie § 123 Abs. 1 B G B zeigt, ist eine durch D r o h u n g beeinflußte Willenserklärung grundsätzlich nur anfechtbar. N a c h § 123 Abs. 2 B G B ist eine Willenserklärung, die durch D r o h u n g eines Dritten zustandegekommen ist, wirksam, falls der Vertragspartner die D r o h u n g nicht kennen mußte. N a c h Manfred Wolf müßte die Willenserklärung unwirksam sein. 137 D i e Rechtsfolge der U n wirksamkeit steht in Widerspruch zu der gesetzessystematischen Abstufung der Rechtsfolgen fehlerhafter Willenserklärungen. D e lege lata findet die Theorie keine Stütze. Das zeigt auch § 1 3 8 B G B . D u r c h das Kriterium der Entscheidungsfreiheit würde § 138 B G B beinahe obsolet; sittenwidrige Rechtsgeschäfte k o m m e n häufig (1978), 196, 221 sowie Singer, Selbstbestimmung, S. 19f., der unter Hinweis auf eine Entscheidung des LG Köln (BB 1987,87 m. krit. Anm. von Timm; ablehnend ebenfalls Bunte, NJW1987, 921,923f.; Rabe, N J W 1987, 1978) verdeutlicht, wohin eine von den Umständen des Einzelfalles abhängige Bestimmung der Entscheidungsfreiheit führen würde. Das LG Köln hatte trotz Erfüllung der Anwendungsvoraussetzungen das A G B G nicht für anwendbar erklärt, weil es im konkreten Fall nicht an einem wirtschaftlichen und intellektuellen Gleichgewicht fehlte. 135 So aber Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 188ff. 136 Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.27 (Motive I, S.206). 137 Wolf rechtfertigt die Abweichung vom gesetzten Recht mit dem Argument, es handele sich gleichsam um ein Redaktionsversehen (vgl. Entscheidungsfreiheit, S. 147). Der Gesetzgeber habe die Entscheidungsfreiheit zum allgemeinen Gültigkeitserfordernis erheben wollen; durch §123 B G B habe der Gesetzgeber entgegen seiner grundsätzlichen Absicht nicht den Zustand der Entscheidungsfreiheit generell, sondern nur gegenüber bestimmten, als rechtswidrig eingestuften Verhaltensweisen geschützt (vgl. Entscheidungsfreiheit, S. 121 f.).
5. Kapitel: Das
195
Vertrags(kontroll)modell
dadurch zustande, daß die Entscheidungsfreiheit des Benachteiligten eingeschränkt ist. § 1 3 8 B G B unterfielen dann nur noch Fälle der Kollusion (zum Nachteil eines Dritten) und schwere Verstöße gegen Offentlichkeitsinteressen. 1 3 8 Fastrich hat überdies zu Recht darauf hingewiesen, daß die Theorie der Entscheidungsfreiheit
die
Ordnungsfunktion
der Vertragskontrolle
nicht
erfassen
kann. 1 3 9 Das Merkmal der Entscheidungsfreiheit ist subjektsbezogen. Konstellationen, die nicht oder nicht in erster Linie auf einer Beeinträchtigung der persönlichen Entscheidungsfreiheit beruhen, sind mit dieser Lehre nicht zu bewältigen. Als Beispiel sei die Inhaltskontrolle von Gesellschaftsverträgen bei Publikumsgesellschaften genannt. H i e r geht es weniger um die Schutzwürdigkeit oder Schutznotwendigkeit der Anlagegesellschafter als um den Schutz des Rechtsverkehrs und die Mißbrauchsaufsicht seitens der Unternehmergesellschafter. D e r Ansatz ist deshalb einerseits zu eng, andererseits zu weit und wird deshalb insgesamt den Anforderungen nicht gerecht. 1 4 0
5. Z u m liberalen I n f o r m a t i o n s m o d e l l Die Idee, Vertragsfreiheit in großem R a h m e n durch eine Kompensation informationeller Unterlegenheit zu bewahren, beantwortet die Frage der Inhaltskontrolle bei sozialer oder wirtschaftlicher Imparität nicht. 141 Aufklärung stellt einen vielversprechenden Korrekturansatz bei einzelnen (bisher zum Teil im Wege der Vertragskontrolle bewältigten) Problemen dar, ein allgemeiner Lösungsansatz läßt sich daraus nicht ableiten. Die G r e n z e des Ausgleichs durch Information ist zumindest dann erreicht, wenn die überlegene Seite - wie häufig im Bereich allgemeiner Geschäftsbedingungen - nicht bereit ist, die Interessen der Kunden angemessen zu berücksichtigen. Information allein vermag eine Änderung der einseitig zugunsten des Verwenders gesetzten Vertragsbedingungen nicht zu leisten. D e r im Sinne von Dauner-Lieb
umfassend aufgeklärte h o m o oeconomicus kann
sich ohne gesetzliche Hilfestellung gegen einseitig gestellte Bedingungen häufig nicht zur Wehr setzen. Das Problem wirtschaftlicher Unterlegenheit wird nicht gelöst. Dauner-Lieb
überschätzt die Ausgleichsmöglichkeiten des Informationsmo-
dells. 142 Ihr Hinweis, die deutliche Information über etwaige nachteilige Vertragsbedingungen eröffne den Bürgern die Möglichkeit der negativen Ausübung der Vertragsfreiheit, 143 geht an der Realität vorbei. Lediglich eine von einer Vielzahl Westhoff.; Inhaltskontrolle, S.59. Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 130f., 215. 140 Blomeyer, AP Nr. 170 zu §242 BGB Ruhegehalt; Fastrich, Inhaltskontrolle, S.40f., 215f.; ders., RdA 1997, 65, 67; Lieb, AcP 178 (1978), 196, 221; Pflug, Kontrakt, S. 164ff.; Roscher, ZRP 1972, 111, 113; ders., Vertragsfreiheit, S.32ff.; Singer, Selbstbestimmung, S. 18ff.; Sack, Wettbewerb, S.20; Westhoff, Inhaltskontrolle, S.55ff. 141 Singer, Selbstbestimmung, S.28; kritisch ebenfalls Simitis, Verbraucherschutz, S. 97ff. 142 Limbach, KritV 1986, 165, 181. 143 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 111: »Damit kommt der Freiheit, Verträge nicht abzuschließen, in der Systematik des liberalen Sozialmodells tragende Bedeutung zu: Sie gewährlei138 139
196
2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
von Konsumenten einheitlich und geschlossen ausgeübte negative Vertragsfreiheit kann unter Umständen zu einer Bedingungsmodifikation führen. Dies ist aber auch nur dann möglich, wenn den Konsumenten eine Ausweichmöglichkeit zur Verfügung steht und die Anbieter nicht insgesamt - wie beispielsweise im Bankenbereich - vergleichbare Vertragsgestaltungen vorgeben. Die fragwürdige Organisierbarkeit von Verbraucherinteressen und die Realisierungsmöglichkeit eines Konsumverzichtes schließen es aus, Vertragsfreiheit als Freiheit zu definieren, von dem geplanten Vertragsschluß Abstand zu nehmen. Vertragskontrolle kann nicht allein als Reaktion auf Informationsdefizite aufgefaßt werden. Zudem werden durch das Aufklärungsmodell die europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Vertragsfreiheit und Sozialbezogenheit nicht berücksichtigt. 1 4 4 Aufklärung stellt einen Aspekt dar, der zur verantwortungsbewußten und eigenverantwortlichen Ausübung der Vertragsfreiheit beiträgt. D i e Notwendigkeit von Vertragskontrolle läßt sich aber nicht ausschließlich mit Informationsdefiziten erklären. F ü r das Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle spielen mannigfaltige andere Gesichtspunkte eine Rolle. Soziale Belange nicht in das Vertrags(kontroll)modell einzubeziehen, verkennt zum Teil die (einfach-)gesetzliche Realität. 1 4 5 D i e gesetzlichen Vorgaben mag man für treffend halten oder nicht. Es besteht hier jedenfalls nicht die Aufgabe, ein Kontrollmodell de lege ferenda zu entwickeln, sondern eines, das sich in das bestehende Gesetzesgefüge einpaßt. So dient beispielsweise das Mietrecht mit seinen zahlreichen Grenzen der Vertragsfreiheit (in erster Linie) nicht Aufklärungszwecken, sondern auch sozialen Zielen. 1 4 6 Ein deutliches Beispiel für das Anliegen des geltenden Rechts bieten Entwicklung 147 und status quo des Mietrechts. Die Verfasser des B G B waren der pandektistischen Tradition verhaftet, die sozialen Erwägungen kaum Raum ließ. Obgleich im 19. Jahrhundert aufgrund der Landflucht und der Verstädterung das Wohnungsproblem offensichtlich wurde, sind Fragen eines besonderen Mieterschutzrechts nicht diskutiert, geschweige denn soziale Regelungen in das B G B aufgenommen worden. 148 Erst die Bedingungen der Kriegswirtschaft der beiden Weltkriege führten zu einem Mietnotrecht, das zahlreiche Elemente eines Mieterschutzes enthielt, nämlich Kündigungsschutz, Mietpreisbindung und Wohnungsstet einerseits Parität zwischen Vertragspartnern unterschiedlicher wirtschaftlicher Stärke und damit auch zwischen Verbraucher- und Marktgegenseite, andererseits das Funktionieren des Markt- und Preismechanismus.« Ablehnend Limbach, KritV 1986, 165, 180; Schuhmacher, ZHR 150 (1986), 284f. 144 Näher im 3. (S.69ff.) und 4. Kapitel (S. 148ff.). 145 Vgl. Roth, BB 1987, 977, 981. 146 A.A. v. Stebut, Schutz, passim, wonach nicht die Gefahr von Machtmißbrauch und Willkür des wirtschaftlich oder sozial überlegenen Vertragspartners die Schutznormen prägt, sondern allein auf den Schutz von bestimmten Rechtsgütern abzustellen sei. Vertragskontrolle sei ein Schutz von Rechtsgütern, kein Schutz vor dem Vertragspartner. Zustimmend Honsell, AcP 186 (1986), 115, 160. 147 Zur geschichtlichen Entwicklung im einzelnen Wolter, Bestandsschutz, S. 21 ff.; Staudinger/Emmerich, Vorbem. zu §§535, 536 Rn. 1-35; Voelskow, in: MünchKommBGB, Vor §535 Rn. 1 ff.; Erman/Jendrek, Vor §535 Rn.70ff., jeweils m. zahlr. weit. Nachw. 148 Vgl. Honsell, AcP 186 (1986), 115, 119f. m. weit. Nachw.
}. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
19 7
Zwangswirtschaft. 149 Die umfassende Wohnraumbewirtschaftung, geregelt in zahlreichen Sondergesetzen, wurde in den Nachkriegsjahren unter der Ägide der sozialen Marktwirtschaft schrittweise abgebaut. In das Mietrecht des B G B sind soziale Inhalte erst seit Anfang der sechziger Jahre integriert worden. Kerntatbestand waren die sog. Sozialklausel des § 556a B G B und die Ersetzung dispositiven Rechts über Nebenpflichten durch zwingende Vorgaben. 150 Vor allem die beiden W R K S c h G brachten nach dem Regierungswechsel von 1969 einen verstärkten Mieterschutz. 151 Während nach dem Regierungswechsel von 1982 das Gesetz zur Erhöhung des Angebots von Mietwohnungen zu einer gewissen Lockerung des Mieterschutzes führte, indem es insbesondere Staffelmieten zuließ, 152 brachten die letzten Jahre wieder überwiegend interventionistische Regelungen (z.B. §§549a, 570b B G B ) . Verstärkt wurde vor allem der Kündigungsschutz; so ist beispielsweise durch Gesetz vom 29.10. 1993 in §565 B G B ein neuer Absatz la eingefügt worden, um erstmals auch bei gewerblicher Miete für einen besseren Kündigungsschutz zu sorgen. 153 Das Dauerschuldverhältnis Miete ist vor einseitigen Beendigungserklärungen seitens des Vermieters vielfältig bewahrt. 154 Bei Wohnraummietverhältnissen machen die §§564b, c B G B die Vermieterkündigung von einem berechtigten Interesse abhängig und gestehen dem Mieter bei befristeten Mietverhältnissen das Recht zu, die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit zu verlangen, wenn der Vermieter kein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Die Sozialklauseln der §§ 556a-c B G B eröffnen dem Mieter die Möglichkeit, über die genannten Kündigungsschutzregelungen hinaus in besonderen Härtefällen der Kündigung seitens des Vermieters zu widersprechen und eine vorübergehende Fortsetzung des Mietverhältnisses zu verlangen. Dabei handelt es sich nicht um Vorschriften, die - entsprechend der These eines liberalen, auf Information beruhenden Vertragsmodells - die (Wieder-)Herstellung der Privatautonomie zum Gegenstand haben. Das als zwingendes Recht ausgestaltete Repertoire des Mietrechts enthält unter anderem Schutzregelungen. Ziel ist der Schutz vor dem existenzbedrohenden Verlust der Wohnung, der aufgrund der Unterlegenheit der Mieter angezeigt erscheint, weil diese typischerweise nicht in der Lage sind, gegenüber Kündigungen flexibel zu reagieren. 155 Daneben findet sich eine große Anzahl weiterer unabdingbarer zivilrechtlicher Vorschriften zugunsten des Wohnraummieters, zum Beispiel die Unabdingbarkeit der Sachmängelhaftung (§537 Abs. 3 BGB), der Umfang der Duldungspflicht und der Anspruch auf Aufwendungsersatz bei Maßnahmen zur Verbesserung und Modernisierung (§ 541b BGB), die Unabdingbarkeit des Rechts zur fristlosen Kündigung bei Nichtgewährung des Gebrauchs (§§542, 543 BGB), die Unwirksamkeit einer Vereinbarung, durch die ohne angemessenen Ausgleich das Wegnahmerecht des Mieters ausgeschlossen wird (§547a Abs. 3 BGB), die Gestattung der Untervermietung bei berechtigtem Interesse (§549 Abs.2 BGB), die UnWolter, Bestandsschutz, S. 109ff. Staudinger/Emmerich, Vorbem. zu §§535, 536 Rn.22; Honseil, AcP 186 (1986), 115, 123. 151 Das 1. WRKSchG vom 25.11.1971 (BGBl. I, S. 1839) schränkte vor allem das freie Kündigungsrecht des Vermieters ein. Das 2. WRKSchG vom 18.12. 1974 verankerte den Kündigungsschutz im BGB (§564b BGB) und führte das MHRG ein. 152 Vom 20.12. 1992, BGBl. I, S. 1912. 153 BGBl. I, S. 1838. 154 Überblick bei Staudinger/Emmerich, Vorbem. zu §§535, 536 Rn.28f. Die zunehmenden Reglementierungen begegnen heftiger Kritik, etwa bei Honseil, AcP 186 (1986), 115, 133ff., 159ff., 164ff. Zur Verfassungsmäßigkeit BVerfGE 37, 132, 140; 49, 244, 248ff.; 68, 361, 367ff.; Sonnenschein, NJW 1993, 161. 155 Vgl. Regierungsbegründung zum zweiten Mietrechtsänderungsgesetz, BT-Drucks. IV/ 806, S. 7{.;Hönn, Kompensation, S. 176f.;Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 114ff.; Weitnauer, Schutz, S.24. 149 150
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2. Teil: Leitlinien einer Freiheitsbegrenzung
Wirksamkeit von Vertragsstrafeversprechen des Mieters (§550a BGB), die Verzinsungspflicht für Mietkautionen (§ 550b BGB), das Verbot einer Ausdehnung der fristlosen Kündigung zu Lasten des Mieters (§ 554b BGB), der Ausschluß bzw. die Begrenzung von Schadensersatzansprüchen im Fall des §557 Abs. 2 und 3 BGB (§557 Abs. 4 BGB), die unabdingbare Rückerstattungspflicht vorausbezahlten Mietzinses (§ 557a Abs. 2 BGB) oder das unabdingbare Eintrittsrecht von Familienangehörigen (§ 569a Abs. 7 BGB). Auch mit diesen Vorschriften soll nicht durch die Behebung eines Informationsdefizits Vertragsfreiheit wiederhergestellt werden. Behoben werden soll die (gesetzlich unterstellte) Unterlegenheit der Mieter. Der Gesetzgeber reagiert damit auf die zumindest aus seiner Sicht - typischerweise stärkere - Position des Vermieters: Der (Wohnungs-)Mieter sei nicht in der Lage, im Wege der Vertragsverhandlungen oder über die Mechanismen von Markt und Wettbewerb, gleichberechtigten Einfluß auf den Vertragsinhalt zu gewinnen. Der Abschluß eines Mietvertrages hat für den Vermieter wirtschaftliche Bedeutung. Für den Mieter, der wegen sozialer Beziehungen und seines Arbeitsverhältnisses häufig örtlich gebunden ist, ist die Wohnungsfrage von existentieller Relevanz. 156 Der gestörte Vertragsmechanismus hat dazu geführt, daß Vertragsfreiheit im Mietverhältnis aus vorwiegend sozialen Gründen derzeit nur noch eingeschränkt besteht. 157 Auch die gesetzlichen Vorgaben sprechen demnach gegen das liberale Informationsmodell.
6. Z u r Einschätzung als Bestandsschutzgewährleistung Sinn und Zweck der Vertragskontrolle in einem objektiven Rechtsgüterschutz zu erblicken, verkennt den Hintergrund der gesetzlichen Regelungen. Zuzugeben ist, daß die hohe Kontrolldichte im Arbeits- und Mietrecht im Ergebnis zu einem erhöhten Schutz von Arbeitsplatz und Wohnung führt. Daraus den Schluß zu ziehen, diese Rechtsgüter seien mit einer gesteigerten Wertigkeit versehen und allein deshalb vom Gesetzgeber geschützt worden, greift argumentativ zu kurz: Die Rechtsgüter sind von existentieller Bedeutung. Das allein rechtfertigt hingegen regelmäßig kein gesetzliches Eingreifen in die Vertragsfreiheit; andernfalls müßten für weitere existentielle Rechtsgüter, zum Beispiel für den Kauf von Lebensmitteln, besondere Vorschriften bestehen. Das Anknüpfen an objektive Gegebenheiten auf Seiten der Arbeitnehmer und Mieter besagt wenig über die Hintergründe der gesetzlichen Regelungen. Die Frage ist mithin, warum aus gesetzgeberischer Sicht in einzelnen Bereichen die Ausgleichsfunktion der Vertragsfreiheit versagt hat und demzufolge gesetzliche Kontrollinstrumente geschaffen wurden. Die durch v. Stebut vorgenommene Analyse der Tatbestandsmerkmale der zwingenden, Vertragsfreiheit einschränkenden Normen, die aus seiner Sicht die Abwesenheit eines Tatbestandsmerkmales Imparität ergibt, greift zu kurz. Sie bezieht die legislativen Intentionen in zu geringem Maß ein. Rechtspolitische Ziel156 Zur Bedeutung der aktuellen Wohnungsmarktlage für die Rechtfertigung der weitgehenden Einschränkung der Vertragsfreiheit Honseil, AcP 186 (1986), 115, 124ff. 157 Das ändert nichts daran, daß das (Wohnungs-)Mietrecht seit Aufhebung der Wohnungszwangswirtschaft dem Grundsatz der Vertragsfreiheit unterfällt; siehe Palandt/Putzo, Einf. v. §535 Rn.71; Voelskow, in: MünchKommBGB, Vor §535 Rn.58; RGRK/Gelhaar, Vor §535 Rn. 44.
J. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
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Setzungen lassen sich nicht wortlautgetreu in N o r m e n wiederfinden. N i c h t alle Beweggründe des Gesetzgebers finden folglich im Gesetzestext ihren Niederschlag. 158 So kam es dem Gesetzgeber beim Erlaß des 2. Wohnraumkündigungsschutzgesetzes darauf an, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den schutzwürdigen Interessen der Vermieter und der Mieter zu erreichen. 1 5 9 Gleichwohl wurde dieser Z w e c k nicht als Tatbestandsmerkmal einer N o r m formuliert. D i e Sichtweise von v. Stebut berücksichtigt zu wenig die gesellschaftlichen Hintergründe und legislativen Absichten. D e r Umstand, daß eine etwaige wirtschaftliche oder soziale Unterlegenheit einer Gruppe von Normadressaten im N o r m t e x t keine Andeutung erfahren hat, beraubt einen entsprechenden sozialen Sachverhalt nicht seiner Realität. R e c h t ist nur ein begrenzt taugliches Mittel, um Sozialbeziehungen konstruktiv zu lenken. 1 6 0 Als Kriterium der Vertragskontrolle auf den Schutz bestimmter, objektiver Rechtsgüter abzustellen und die Wertigkeit der Rechtsgüter als Maßstab zu nehmen, versagt als grundlegendes Vertrags(kontroll)modell. D i e Bewahrung einzelner Rechtsgüter stellt einen Aspekt der Vertragskontrolle dar, beschreibt jedoch kein verallgemeinerungsfähiges Konzept.
7. Z u r p o s i t i v - r e c h t l i c h e n Paritätslehre Ein Vertragsmodell, das die Hintergründe und Zielrichtungen der geltenden Rechtsordnung nicht umfassend einbezieht, ist wenig aufschlußreich. Gleichwohl können die rechtlichen Vorgaben nicht absolutiert werden. Materielle Vertragsgerechtigkeit dem gesetzten R e c h t zu überlassen, verkennt die Komplexität der Vertragskontrolle. Sie kann nicht allein positiv-rechtlich bestimmt werden. Wenn Hönn davon ausgeht, daß das Fehlen gesetzlicher Freiheitsschranken Parität widerspiegelt und die Existenz gesetzlicher Kontrollinstrumente für (zwischenzeitlich eingetretene) Imparität steht, 161 mag das einzelne legislative M a ß nahmen erklären; diesbezüglich liefert die positiv-rechtlich dominierte Paritätslehre aufschlußreiche Hinweise. So hat der Gesetzgeber mit dem am 1.4. 1977 in Kraft getretenen A G B G darauf reagiert, daß in zahlreichen Wirtschaftsbereichen Verträge nicht (mehr) individuell ausgehandelt wurden. Die Vertragsfreiheit wurde durch die Wirtschaft dazu benutzt, den Konsumenten aus Rationalisierungsgründen und zur Verbesserung der eigenen Rechtsposition vorformulierte Bedingungen zu setzen. 162 Diesem »Diktat der marktstärkeren Partei« 1 6 3 hat das A G B Gesetz Grenzen gezogen. Die Entwicklung des A G B - G e s e t z e s zeigt, daß der Rückschluß auf Imparität erst ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens einer gesetzlichen Regelung die Realität nicht erfaßt. Imparitätslagen treten unabhängig von Limbach, KritV 1986, 65, 174, 182. Vgl. BT-Drucks. 6/1549; 7/2638. 160 Vgl. näher Limbach, KritV 1986, 65, 174, m. weit. Nachw. 161 Hönn, Kompensation, S. 101 f. 162 Niebling, Schranken, S.2ff.; Klebau, Inhaltskontrolle, S.40ff.; Specht-Jonen, Ausuferung, S.4ff.; Regierungsbegründung, BT-Drucks. 7/3919, S. lOff. 163 Erman/Hefermehl, Vor § 1 AGBG Rn.2. 158
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
gesetzlicher Kompensation ein. Bereits vor Verabschiedung des AGB-Gesetzes hat das Reichsgericht Auswüchse bei der Verwendung vorformulierter Vertragsbedingungen unter Berufung auf § 138 B G B korrigiert. 164 Der Bundesgerichtshof reagierte auf unangemessene Klauseln, indem er bei seiner Rechtsprechung die prinzipielle Machtbalance als inhärenten Gerechtigkeitsmaßstab für den Gestaltungsfreiraum berücksichtigte und zum Schutz des weniger durchsetzungsstarken Vertragspartners eine vor allem auf §242 B G B gestützte Vertragskontrolle entwickelte. 165 Darauf hat der Gesetzgeber reagiert. Das positiv-rechtlich determinierte Vertragsmodell wird deshalb den tatsächlichen Entwicklungen nicht gerecht, ist bloße Fiktion und entzieht sich soziologischer und ökonomischer Uberprüfung. 166 Richterrechtliche Rechtsfortbildung ist anhand dieser Überlegungen kaum erklärbar. Aus diesen Gründen gerät Hönn in Erklärungsnotstand bei der Einordnung richterlicher Kontrolle und räumt ein, daß in Fällen ohne gesetzliche Regelung »nach dem Maßstab des positiven Rechts gerade keine Unterlegenheit anzunehmen wäre.« 167 Hönns Lehre bietet keine Anhaltspunkte, in welchen Fällen Eingriffe in die formelle Vertragsfreiheit notwendig sind, und bringt für die Konkretisierung von Generalklauseln kaum Anhaltspunkte. Die allein positiv-rechtlich definierte Vertragsparität setzt sich überdies der Gefahr eines Zirkelschlusses aus.168 Wenn Hönn Parität als die den Vertragspartnern vom positiven Recht eingeräumte Rechtsstellung begreift, die den Vertragsparteien »einen Interessenausgleich in Selbstbestimmung mit der Chance der Äquivalenz eröffnet« 169 , und aus gesetzlichen Vorgaben auf Imparität schließt, kann daraus nicht die Vermutung der Unrichtigkeit abgeleitet werden. Um festzustellen, ob eine Kontrollnorm auf Imparitätsausgleich abzielt, bedarf es eines Vergleichs mit der tatsächlichen Lage. Verzichtet man - wie Hönn - darauf, bleibt stets die Möglichkeit, daß das Gesetz andere Ziele verfolgt. Die Theorie gibt deshalb keine Gesichtspunkte vor, die der Dogmatik oder der Rechtspolitik bei der Bewältigung zukünftiger Probleme zur Seite stehen könnten. 170 8. Zum sonderprivatrechtlichen Ansatz Einen Schritt weiter als Hönn zu gehen und sonderprivatrechtliche Wertungen in die Zivilrechtsordnung zu integrieren und im Wege »analogiebezogener Rechtsfortbildung« für die Gesamtrechtsordnung fruchtbar zu machen,171 stößt an die 164 RGZ 143,24ff.; RGZ 99,107ff.; vgl. aber auch RGZ 168,321ff., wo die Berufung auf AGB als unzulässige Rechtsausübung angesehen wurde. 165 Etwa BGHZ 64, 238, 241; BGHZ 51, 55, 59; BGHZ 41, 151ff. 166 Deshalb ebenfalls kritisch Mayer-Maly, ZHR 149 (1985), 349, 350; Singer, Selbstbestimmung, S. 30. 167 Hönn, Kompensation, S.309f.; ähnlich ders., JA 1987, 337, 341ff.; ders., JZ 1983, 677, 680. 168 Limbach, KritV 1986, 165, 183; siehe auch Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 237. 169 Hönn, Kompensation, S. 99. 170 Limbach, KritV 1986, 165, 184f.; ebenfalls ablehnend Roth, BB 1987, 977, 981. 171 Vgl. Damm, JZ 1978, 173, 177, m. weit. Nachw.
i. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
201
Grenze der Analogiefähigkeit. Gesetzes- wie Rechtsanalogie erfordern die Ähnlichkeit von Tatbeständen. Die hohe und zunehmend steigende Zahl auf Vertragsgerechtigkeit zielender Vertragskontrollnormen mag darauf schließen lassen, daß - aus heutiger Sicht - formale Vertragsfreiheit unter Umständen zugunsten der Verwirklichung materieller Aspekte eingeschränkt werden kann und gegebenenfalls auch eingeschränkt werden muß. Eigentümlichkeit und punktuell begrenzte Wirkungsweisen der gesetzlichen Kontrollnormen verhindern das Exzerpt eines allgemeingültigen Kontrollmodells. Die für einzelne Sonderfragen unterschiedlich strukturierter Rechtsgebiete entwickelten Kontrollmodelle lassen einen Rückschluß auf das grundsätzliche, das gesamte Privatrecht durchdringende Problem gestörter Vertragsparität nicht zu.172 Im Arbeitsrecht wurde zur Paritätsgewährleistung beispielsweise das Tarifvertragsrecht begründet. Die Marktmacht der Unternehmen zur Zeit der industriellen Revolution führte in einigen Bereichen unter anderem zum Lohndiktat der Unternehmer. 173 In der Gewerbeordnung von 1869 wurden die Koalitionsverbote aufgehoben, und es wurde die Möglichkeit eröffnet, zwischen Arbeitervereinigungen und Arbeitgebern Arbeitsbedingungen kollektiv auszuhandeln. Die Tarifvertragsverordnung von 1918 machte die bis dahin notwendige einzelvertragliche Umsetzung obsolet und führte die normative Wirkung von Tarifverträgen ein.174 Ein Tarifvertrag kann unter anderem Rechtsnormen über Abschluß, Inhalt und Beendigung von Arbeitsverhältnissen enthalten. Diese Normen gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen. Staatliche Reglementierung und gerichtliche Kontrolle dieser Normen sind auf ein Mindestmaß beschränkt, weil die Tarifvertragsparteien als gleichberechtigte Partner anzusehen sind.175 Insbesondere bündelt die Gewerkschaft die Interessen ihrer 172
An der Umsetzbarkeit zweifelnd bereits H.P. Westermann, AcP 178 (1978), 150,179; kritisch ebenfalls Singer, Selbstbestimmung, S.32f. 173 Näher im 12. Kapitel (S.487ff.). 174 Zur historischen Entwicklung bei Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, §2 insbes. unter 3 c, m. weit. Nachw. 175 Eingehend im 12. Kapitel. Eine gerichtliche Kontrolle von Tarifverträgen ist nach überwiegender Auffassung dahingehend zulässig, ob sie gegen die Verfassung, zwingendes Gesetzesrecht, die guten Sitten (§138 BGB) oder tragende Grundsätze des Arbeitsrechts verstoßen. Darüber hinaus kommt eine allgemeine Uberprüfung des Tarifvertrages auf Angemessenheit, Billigkeit oder Treu und Glauben nicht in Betracht; BAG AP Nr. 142 zu §242 BGB Ruhegehalt; AP Nr. 47 zu §242 BGB Gleichbehandlung; Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Süßwarenindustrie; DB 1996, 534; Biedenkopf, Grenzen, S. 147; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 244; ders., Gedächtnisschrift für Dietz, S. 199, 219; Fastrich, Inhaltskontrolle, S.203f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 16 III; Hildebrandt, Disparität, S. 120; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 168ff.; Säcker, Gruppenautonomie, S. 232. Das von der Rechtsordnung mit der Tariffähigkeit intendierte Machtgleichgewicht der Tarifvertragsparteien bedingt nach allgemeiner Auffassung, daß die schutzwerten Interessen beider Seiten einen gebührenden Ausgleich finden. Ein Kontrollbedürfnis vergleichbar den Fällen individualarbeitsrechtlicher Vertragsgestaltung entfällt. Die Tarifpartner müssen sich darauf verlassen können, daß ihre Vereinbarung nicht durch ein Gericht umgestoßen wird, das den ausgehandelten Kompromiß beispielsweise für unangemessen oder unzweckmäßig hält; Tarifzensur ist ausgeschlossen, siehe Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 151; Richardi, Gedächtnisschrift für Dietz, S.269, 278; Wiedemann, RdA 1987, 262, 268; Thiele, Fest-
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
Mitglieder und bildet auf diese Weise eine »kollektive Selbsthilfeorganisation« für die Schaffung und Wahrung angemessener Arbeitsbedingungen. 1 7 6 Dieses geschichtlich bewährte Instrument des Interessenausgleichs läßt sich nicht verallgemeinern. So ist das Konsumentenrecht - wenn überhaupt - nur eingeschränkt (zum Beispiel) auf Verbandsebene zu bewältigen. Die vielfältigen nicht nur auf einen Sektor wie die Arbeitsbedingungen begrenzten Interessen, W ü n s c h e und Wertvorstellungen lassen sich angesichts der Gefahr der Oligarchisierung der Verbände kaum einheitlich vertreten. Zudem bewirkt Kollektivierung zugleich eine Beschneidung individueller Entfaltung. A u c h das Günstigkeitsprinzip (vgl. § 4 Abs. 3 T V G ) verspricht kaum Abhilfe. D i e Freiheit zu günstigeren A b m a chungen ist Ausdruck der Wiederherstellung der Gestaltungsfreiheit. 1 7 7 Sie ermöglicht aber keine freie Disposition. D i e mit dem Günstigkeitsprinzip arbeitsrechtlich verbundenen Streitfragen 1 7 8 lassen eine Übertragung des Kollektivmodells auf das allgemeine Privatrecht mit seinen vielfältigen Interessenauffächerungen nicht zu. 1 7 9 Ein Ausweichen auf sonderprivatrechtliche Wertungen erscheint daher kaum praktikabel und allenfalls punktuell hilfreich. D e r sonderprivatrechtliche Ansatz vermag das Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle nicht auf eine allgemeingültige Grundlage zu stellen, die insbesondere für die Konkretisierung der Generalklauseln eine tragfähige Basis bildet.
9. Z u r Prärogative des G e s e t z g e b e r s N o t w e n d i g ist ein allgemeines, das gesamte Privatrecht erfassendes Vertragskontrollmodell, das insbesondere das Problem gestörter Vertragsparität einer grundsätzlichen Lösung zuführt. Gefordert ist in erster Linie der Gesetzgeber. I m sensiblen Spannungsfeld zwischen formaler Vertragsfreiheit und materieller Verschrift für Larenz, S. 1043ff.; Säcker/Oetker, Grundlagen, S.287ff.; Zachert, Festschrift für den Deutschen Arbeitsgerichtsverband, S.573, 581. 176 Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht 1, §2 Rn. 53. 177 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 18 I, 1; Heinze, NZA 1991, 329, 332; Däubler, Festschrift für Berenstein, S.235, 239 (»arbeitsrechtliche Verkörperung des Individualismus«). Siehe zu spezifisch arbeitsrechtlichen Aspekten den 4. Teil (S. 487ff.). 178 Unklar ist zum einen der Gegenstand des Vergleichs. Weitgehende Einigkeit herrscht darüber, daß ein Gesamtvergleich ebenso ausscheidet wie ein Abstellen auf einzelne Punkte, sog. »Rosinentheorie«; zu vergleichen sind jeweils zusammenhängende Komplexe, sog. Gruppenvergleich. Ungeklärt ist, wie die Gruppe im Detail zu bestimmen ist. Zum anderen besteht Streit über den Vergleichsmaßstab. Die wohl überwiegende Ansicht bewertet die Günstigkeit danach, wie ein verständiger Dritter die Regelungen beurteilen würde. Im einzelnen zu diesen und weiteren offenen Fragen Belling, Günstigkeitsprinzip, S.169ff.; Hanau, Individualautonomie, S.113ff.; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, §4 TVG Rn.l61ff.; Löwisch/Riehle, §4 TVG Rn. 187ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, §18 V, 5; Dörner, in: Kass. Hdb. Bd.2, 6.1 Rn. 204ff.; Wildschütz/Pfeiffer, in: Dörner/Luczak/Wildschütz, Arbeitsrecht, H Rn.238ff. Auf die angesprochenen Problemkreise wird später zurückzukommen sein. 179 Ahnlich Kramer, in: MünchKommBGB, Vor § 145 Rn. 7, bei seiner Argumentation gegen die vor allem von Galbraith propagierte Gegengewichtslehre, die Vertragsfreiheit im Wege einer staatlich institutionalisierten Kräftebalance verbandsmäßig organisierter Interessenvertretungen material umsetzen möchte.
J. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
203
tragsgerechtigkeit ist die demokratisch legitimierte Grenzziehung von hoher Uberzeugungskraft - insoweit verdient die Lehre v o m Primat des Gesetzgebers Zustimmung. Nur, das allein ist nicht ausreichend. D e r Gesetzgeber kann zwingende Kontrollen nicht beliebig vorgeben. Zu berücksichtigen sind die europaund verfassungsrechtlichen Werte. A u c h die Legislative benötigt Hintergrundinformationen, um das Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle austarieren zu können. Zudem darf eine Entscheidungsprärogative des Gesetzgebers nicht zur Stagnation der Rechtsordnung gegenüber neuen Konstellationen führen. Es muß ihr offenstehen, schnell und flexibel auf aktuelle Herausforderungen reagieren zu k ö n nen. Ein Zuwarten auf den Gesetzgeber ist gegebenenfalls nicht vertretbar und angesichts der stellenweise anzutreffenden Tendenz der Legislative, die E n t w i c k lung in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft abzuwarten und erst nach deren Bewährung die Initiative zu ergreifen, unter Umständen auch nicht möglich. Trotz Anerkennung der prinzipiellen legislativen K o m p e t e n z hat die Rechtsordnung einer Fortbildung des Rechts offenzustehen. Diese F u n k t i o n ordnet das geschriebene R e c h t den Generalklauseln zu. Sie sollen die Reaktion auf neue H e r ausforderungen des Rechts ermöglichen und Flexibilität herstellen. Ihre A n w e n dung ist abhängig von Wertungselementen, die den offenen Tatbestand ausfüllen. Aktuelle, v o m Gesetzgeber nicht geregelte Fragen lassen sich aber nur dann einer Lösung zuführen, wenn dem Gericht ein verläßlicher Wertungsrahmen zur Verfügung gestellt wird. D i e entscheidende Frage ist, unter welchen Voraussetzungen die Vertragsfreiheit zugunsten zwingender Vorgaben zurückzudrängen ist. 1 8 0 Gerade darauf bleibt die Lehre v o m Primat des Gesetzgebers eine A n t w o r t schuldig. D i e Frage nach dem zutreffenden Vertrags(kontroll)modell bleibt offen. 10. Z u m n o r m t h e o r e t i s c h e n L ö s u n g s a n s a t z Das Verhältnis der Vertragskontrolle zur Vertragsfreiheit läßt sich für einen Teilbereich auch nicht dadurch konkret bestimmen, daß man die Legitimation staatli-
180 Grundsätzlich übereinstimmend Singer, Selbstbestimmung, S. 33 ff. Die von Singer für eine Rechtsfortbildung aufgestellten Kriterien, hoher Intensitätsgrad einer Paritätsstörung und Schutzbedürftigkeit des Vertragspartners (a.a.O., S.34f.), überzeugen indes nicht. Vertragsfreiheit ist nicht nur zwischen gleichberechtigten Parteien realisierbar, vielmehr behandelt das Bürgerliche Gesetzbuch in seinen Regelungen die Privatrechtssubjekte trotz ihrer Verschiedenheit formal gleich. Ungleichheiten zwischen Vertragsparteien bestehen beinahe ubiquitär; sie führen nicht typischerweise zu unangemessenen Ergebnissen. Imparität ist deshalb für sich allein genommen ein ungenaues Entscheidungsmerkmal. Mit Singer zwischen leichten und schweren Paritätsstörungen zu differenzieren und bei letzteren keine Kompetenz zur Rechtsfortbildung anzunehmen, verkennt die Identifizierungsschwierigkeiten. Parität oder Imparität sind von zu zahlreichen Faktoren abhängig, sind zu komplex, als daß eine handhabbare Bestimmung von sowie eine klare Unterscheidung zwischen leichter und schwerer Paritätsstörung durchführbar erscheint. In diesem Sinne ebenfalls Adomeit, NJW 1994, 2467, 2468; Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 22f.; Fastrich, RdA 1997, 65, 67; Wiedemann, JZ 1994, 411, 413; Zöllner, AcP 176 (1976), 221,237.
204
2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
eher Eingriffe maßgeblich am empirischen F a k t u m orientiert und private Regelungen bei Imparität der Vertragspartner als paralegales objektives R e c h t qualifiziert. Dagegen spricht neben der kaum mensurablen Parität vor allem die U n z u lässigkeit der Gleichsetzung von tatsächlicher Erscheinung und rechtlicher Q u a lifikation. Von einer soziologischen Erkenntnis kann nicht auf eine rechtliche Einordnung geschlossen werden. 1 8 1 Zivilrechtliche Verträge stellen keine (unmittelbaren) »faktischen N o r m e n « dar, die als N o r m e n in funktionellem Sinn den für Rechtsnormen geltenden Schranken unterliegen. 1 8 2 Eine derartige Zwitterstellung ist dem geltenden Recht fremd. E s behandelt auch einseitig gesetzte Vertragsbedingungen als Vertragsbestandteile, wenn ihre Geltung auf dem Willen der Parteien und nicht auf einer verliehenen N o r m s e t z u n g s k o m p e t e n z beruht. 1 8 3 Willenserklärungen von Privatrechtssubjekten verlieren nicht dadurch ihren privaten Charakter, daß inhaltsgleiche Abreden auch mit anderen Vertragspartnern abgeschlossen werden. Allgemeine Geschäftsbedingungen wie auch arbeitsvertragliche Einheitsregelungen erhalten Rechtsverbindlichkeit erst durch die Willensübereinstimmung der Privatrechtssubjekte. Vertragsinhalt werden für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Klauseln im Anwendungsbereich des A G B - G e s e t z e s nur unter den Voraussetzungen des § 2 A G B G . E b e n s o wie § 6 A G B G spricht § 2 A b s . l A G B G von vertraglicher Geltung. D e n Vertretern der Normentheorie, die nicht auf die rechtsgeschäftliche Einbeziehung abstellen, vielmehr den Geltungsgrund in normengleicher, einseitiger Rechtssetzung durch den Verwender mit verbindlicher Wirkung gegen den Kunden sehen, mißlingt eine widerspruchsfreie, systemgerechte Interpretation des § 2 A G B G . Pflug deutet die dort statuierte Obliegenheit, den Vertragspartner auf allgemeine Geschäftsbedingungen hinzuweisen, als Anordnung zur Publikation privaten Partikularrechts. 1 8 4 Individuelle partnerbezogene Information ist aber kein Kennzeichen objektiven Rechts, sondern ein genuin rechtsgeschäftliches Attribut. 1 8 5 Das A G B - G e s e t z geht von der Vertragsnatur allgemeiner G e schäftsbedingungen aus, sie stehen »fest auf dem B o d e n des nach dem B G B maßgeblichen rechtsgeschäftlichen Vertragswillens.« 1 8 6 Zur einseitigen verbindlichen Rechtssetzung fehlt zudem eine Ermächtigungsnorm. Angesichts der in Art. 80 G G für eine einseitige Rechtssetzung außerhalb der Legislative aufgestellten Erfordernisse ist die N o r m e n t h e o r i e verfassungs181 Vgl. Adomeit, Rechtstheorie, S. 23; Kaufmann/Hassemer, Einführung, S. 82ff.; Raiser, Einführung, S. 3; Rehbinder, Einführung, S.2. 182 Für allgemeine Geschäftsbedingungen Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, Einl. Rn. 22ff.; Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, Einl. Rn. 13; Larenz/Wolf Allgemeiner Teil, §43 Rn. 12; Palandt/Heinrichs, §1 AGBG Rn.l; Fastrich, Inhaltskontrolle, S.33ff.; Kirchhof, Recht, S. 331 f.; für arbeitsvertragliche Einheitsregelungen Richardi, Kollektivgewalt, S. 302ff.; Schwerdtner, Anm. AP Nr. 40 zu §242 BGB Gleichbehandlung; Zöllner, Anm. AP Nr. 90 zu §242 BGB Ruhegehalt. 183 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 35. 184 Pflug, Kontrakt, S.319f. 185 Vgl. Kramer, AcP 188 (1988), 423, 425f. 186 BT-Drucks. 7/3919, S. 13.
5. Kapitel:
Das
Vertrags(kontroll)modell
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rechtlich nicht haltbar.187 Vertragskontrolle mit Helm aufgrund einer faktischen, mittelbar normativen Wirkung ungleichgewichtiger Abreden zu rechtfertigen,188 führt in die Nähe einer petitio principii: Das, was zu begründen wäre, die Vertragskontrolle, wird vorausgesetzt.189 Einseitig vorgegebene Vertragsbedingungen können nicht als echte Rechtsnormen eingestuft werden. Als Grundlage und Maßstab der Vertragskontrolle kann die Normentheorie, sei es in ihrer unmittelbaren, sei es in ihrer mittelbaren Ausprägung, nicht dienen. 11. Resümee Die Suche nach einem einzigen, einheitlichen Prinzip der Vertragskontrolle hat sich als unergiebig erwiesen. Die rechtsgeschäftliche Begründung von Vertragsverhältnissen kann ebensowenig wie die Kontrolle von Verträgen auf einen einzelnen Gesichtspunkt zurückgeführt werden. Für die Eingrenzung der Vertragsfreiheit sind verschiedene, von Fall zu Fall unterschiedliche, unter Umständen auch nebeneinander stehende Aspekte ausschlaggebend. Das Verdienst der monokausalen Vertragslehren liegt darin, einzelne relevante Aspekte herausgearbeitet und näher akzentuiert zu haben. Als allgemeingültiges Vertrags(kontroll)konzept hat sich keiner der Ansätze bewährt. Vertragskontrolle ist in der Regel von mehreren Variablen abhängig. Zu entwickeln ist deshalb ein Gesamtsystem, das die einzelnen Wertungen zusammenführt und das Wertungskonglomerat durch klare Regeln praktisch handhabbar macht. Eine angemessene Lösung kann dadurch erzielt werden, daß alle als bedeutsam erkannten Punkte entsprechend ihrer Wertigkeit in das Vertrags(kontroll)modell eingestellt werden. Dazu ist zunächst ein allgemeiner Denkansatz zu entwickeln, der diesen vielfältigen Überlegungen Raum gibt. In einem zweiten Schritt sind anhand einer Analyse der existierenden Vertragskontrollmodelle sodann die entscheidenden Aspekte herauszuarbeiten und hinsichtlich ihrer Relevanz zu werten.
IV. Das flexible Wertungssystem eines Zusammenspiels von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle 1. Ausgangsbasis und Grundstruktur Das rechtliche Können und Dürfen der einzelnen, ihre Rechtsverhältnisse nach ihrem Willen rechtsverbindlich zu gestalten, bedarf in gewissem Rahmen rechtlicher Kontrolle. Darüber besteht Einigkeit. Bereits zur Zeit der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches zeigte sich, daß das freie Spiel der Kräfte soziale Gesichtspunkte unzureichend berücksichtigt. Eine rein formal ausgerichtete, volun187 188 189
Dies erkennt auch P f l u g , Kontrakt, S.263ff., 278ff. Helm, Festschrift für v. Carolsfeld, S. 125, 136ff. Fastrich, Inhaltskontrolle, S.36.
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
taristische Legitimation des Vertrages wird den Anforderungen der Praxis nicht gerecht. 1 9 0 Das Vertragsrecht enthält deshalb seit jeher Einschränkungen der Vertragsfreiheit. Insbesondere die Entwicklung weg von der individuell ausgehandelten Abrede hin zum typisierten, standardisierten Massenvertrag führt zu einem erhöhten Kontrollbedarf, der in Gesetzgebung und Rechtsprechung großteils bereits seinen Niederschlag gefunden hat. 1 9 1 Gesetzgeberische Einzelaktivitäten sowie durch die Rechtsprechung entschiedene Fälle lassen allerdings eine einheitliche Linie vermissen. D i e Diskrepanz zwischen formaler und materialer Vertragsfreiheit ist rechtsdogmatisch nicht zufriedenstellend bewältigt. D i e Rechtsgedanken, die hinter der Vertragskontrolle stehen, werden durch die bisher entwickelten Modelle jeweils für sich nicht erschöpfend erklärt. Es fehlt ein allgemeingültiges Vertrags(kontroll)modell, das die bisher erkannten, die Vertragskontrolle leitenden Wertungen und gegebenenfalls neue Aspekte ordnet, abstimmt, graduell bewertet und zu einem unter den gegebenen Verhältnissen praktikablen, nicht notwendigerweise abschließenden Gesamtkonzept fügt. D e r U m stand, daß bisher kein umfassendes zivilrechtliches Vertrags(kontroll)modell entwickelt wurde, hat zu Zweifeln an der Funktionstüchtigkeit der Vertragsfreiheit und der zur Verfügung stehenden wie der vorgeschlagenen Kompensationsinstrumente insgesamt geführt. 1 9 2 D i e Rechtswissenschaft steht deshalb unter anderem vor der Aufgabe, Kriterien und Verfahren zu entwickeln, die im R a h m e n der formellen Vertragsfreiheit die Chance sichern, Vertragsfreiheit im Einzelfall bestmöglich zu realisieren. 1 9 3 Anknüpfungs- und Ausgangspunkt eines homogenen Vertragskontrollmodells hat die Rechtsordnung zu sein. Es gilt das Primat des gesetzten Rechts. D a bei ist es den Gesetzen verwehrt, eine allgemeine Kontrolle der rechtlichen G e staltungsakte vorzusehen. Sie fußt auf Privatautonomie. Eigenverantwortung und Selbstorganisation der Individuen sind verfassungsrechtlich verankerte Grundlagen der rechtlichen O r d n u n g und Ausdruck eines ethischen Personalismus. 1 9 4 D e r Gesetzgeber kann die Privatautonomie nicht beliebig beschränken, er ist insbesondere an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. 1 9 5 D e r G e staltungsspielraum zur selbstverantwortlichen O r d n u n g der Rechtsverhältnisse ist begrenzt durch die gesetzliche Wertordnung. D i e Konformität der durch Rechtsgeschäft gesetzten Rechtsfolgen mit der gesetzlichen Wertordnung läßt sich nur sicherstellen, wenn die privatautonomen Regelungen den Vorgaben des Gesetzes entsprechen und sich in die Gesamtrechtsordnung einfügen. Als Ele-
190 Deutlich zeigte sich das im Bereich der Arbeitsverhältnisse. Der vom Liberalismus postulierte freie Arbeitsvertrag führte in der Zeit eines Uberangebotes an Arbeitskräften zu einer »menschenunwürdigen« (Schwab, Einführung, Rn. 77) Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse. Näher im 12. Kapitel (S.487ff.). 191 Junker, NZA 1997, 1305, 1306. 192 Vgl. Mückenberger, KJ 1971, 248ff. 193 Kramer, in: MünchKommBGB, Vor § 145 Rn. 5; Zweigert/Kötz, Einführung, S. 10. 194 Vgl. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, Vorwort, sowie hier vor allem das 2. Kapitel (S. 43 ff.). 195 Vgl. das 3. (S. 69ff.) und 4. Kapitel (S.148ff.). Siehe auch das 11. Kapitel (S.470ff.).
5. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
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ment der Rechtsstaatlichkeit w i r d das Gebot der materiellen Richtigkeit oder Gerechtigkeit qualifiziert. 1 9 6 Es ist deshalb primär die Aufgabe der Legislative, Aspekte materieller Gerechtigkeit in die Vertragsfreiheit zu integrieren. Der Gesetzgeber hat das friedliche und gerechte Miteinander der Bürger zu gewährleisten u n d dafür geeignete Regeln aufzustellen und durchzusetzen. Der Gesetzgeber muß die wesentlichen Fragen der Gesellschaftsordnung verläßlich gesetzlich regeln. Das gesetzte Recht bietet zudem die Gewähr, den verfassungsrechtlich vorgegebenen Anforderungen gerecht zu werden. Die Grenzziehung zwischen formaler Vertragsfreiheit und materieller Vertragsgerechtigkeit ist in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers. Das ergibt sich nicht nur aus dem Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 Abs. 2 S.2, Art. 97 Abs. 1 GG), sondern auch daraus, daß die Rechtsprechung nach dem Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 G G ) an Gesetz und Recht gebunden ist. Zu den wesentlichen Elementen des Rechtsstaatsgrundsatzes zählen die Berechenbarkeit des Verfahrens (Justizförmigkeit) und die Gewährleistung von Rechtssicherheit und Bestimmtheit. 1 9 7 Staatliches Handeln, das die Privatautonomie eingrenzt, hat für die Betroffenen voraussehbar und berechenbar zu sein. Eine wesentliche Bedingung der Freiheit, das eigene Leben nach eigenen Entwürfen zu gestalten, ist, daß die Umstände und Faktoren, welche die Gestaltungsmöglichkeiten beeinflussen, möglichst zuverlässig eingeschätzt werden können. 1 9 8 Diesen Vorgaben entspricht am besten die Kontrolle der Vertragsfreiheit anhand des geschriebenen Rechts. Das parlamentarische Verfahren ist demokratisch legitimiert. Es erweist sich individuellen richterlichen Wertungspräferenzen, die bei einem Konflikt zwischen freiheitlichen und sozialen Gerechtigkeitsvorstellungen häufig zutage treten, im allgemeinen als überlegen. 1 9 9 Durchbrechungen des Grundsatzes der Vertragsfreiheit hat demzufolge vorrangig der Gesetzgeber unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände zu regeln. 2. F l e x i b i l i s i e r u n g s s y s t e m a t i k a) Formale Vertragsfreiheit als Grundlage Die Einschätzungsprärogative der Legislative darf allerdings nicht zu einem Stillstand des Ausgleichs von formeller und materieller Vertragsfreiheit führen. Die (ausschließlich) buchstabengetreue Rechtsanwendung erscheint im Lichte differenzierter Gerechtigkeitserwägungen unter Umständen als zu starr. Die facettenreichen und komplexen Erscheinungen des sozialen Lebens erfordern in gewissem Rahmen eine ständig anpassungsfähige Rechtsordnung. Rechtliche Regelsysteme sind Bestandteile des gesellschaftlichen Interaktionssystems und erfüllen soziale Funktionen. Sie stehen in einem Spannungsfeld unterschiedlicher A n 196 197 198 199
BVerfGE 45, 187,246. BVerfGE 2, 380, 403; 7, 89, 92. BVerfGE 60, 253, 267ff. Singer, Selbstbestimmung, S. 34.
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
Sprüche, die von ihrer multifunktionalen Rolle in der Gesellschaft herrühren. D e m Gesetzgeber steht selbstredend die Möglichkeit offen, auf aktuelle Tendenzen mit einem zusätzlichen gesetzlichen Regelapparat zu reagieren, wie er das zum Beispiel beim Time-sharing von Ferienimmobilien durch das T z W r G v o m 20. D e z e m b e r 1996 2 0 0 getan hat. Einer weiteren Diversifizierung des Rechts sind aber G r e n z e n gesetzt. Es käme zu einem sisyphosartigen, steten Nachlaufen des Gesetzgebers hinter der sich rasch und zunehmend rascher entwickelnden sozialen Realität. D i e oftmals langwierigen Gesetzgebungsverfahren und die gelegentlich bewußt oder unbewußt seitens der Legislative ungeklärten Probleme sind die Ursachen dafür, daß sich dem Gesetz nicht für jeden Einzelfall eine konkret passende Lösung entnehmen läßt. N o t w e n d i g sind nicht weitere auf Einzelfragen zugeschnittene Regelungen, die mangels hinreichender Abstraktheit wieder weitere gesetzliche Vorgaben erforderlich machen. Angezeigt ist eine konsequente Umsetzung der verfügbaren Vertragskontrollnormen, insbesondere der Generalklauseln. Anwendung und Auslegung des Rechts haben deshalb eine Flexibilisierungsrolle und ermöglichen eine Eindämmung der punktuellen Problemen nachlaufenden Gesetzesflut, eine (Rück-)Besinnung auf generell-abstrakte Regelungen. 2 0 1 Bei der Anwendung und Auslegung der Gesetze ist angesichts des Gebotes materialer Vertragsgerechtigkeit zudem richterliche Rechtsfortbildung in gewissem R a h m e n angezeigt und unvermeidlich. Es handelt sich um eine häufige Begleiterscheinung der gerichtlichen Tätigkeit, daß bei der Entscheidung von Einzelfällen das Prinzipielle hervorgehoben und versucht wird, allgemeine Rechtsgrundsätze zu entwickeln, die bei der Behandlung vergleichbarer Fälle Anhaltspunkte zur Entscheidung bieten. 2 0 2 Zu den legitimen richterlichen Aufgaben ist außerdem die Bewältigung gesetzlicher Lücken zu rechnen, selbst dann, wenn es sich um weite Lücken oder aktuell auftretende Fragen handelt. 2 0 3 Das Bundesarbeitsgericht hat deshalb zu Recht die maßgeblichen rechtlichen Grundsätze zur Aussperrung selbst entwikkelt. 2 0 4 Ihre Grenze findet die richterliche Rechtsfortbildung grundsätzlich in einer eindeutigen gesetzlichen Regelung. 2 0 5 Zu berücksichtigen ist dabei, daß die Freiheit des Richters zur schöpferischen Fortbildung des Rechts mit zunehmendem zeitlichen Abstand zwischen der Kodifikation und der anstehenden Entscheidung wächst. Dem Konflikt einer N o r m mit den materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen einer gewandelten Gesellschaft 2 0 0 BGBl. I, S.2154. Das Gesetz setzt die EG-Richtlinie vom 26.10.1994 (94/47/EG) in nationales Recht um. Die Rechtsordnung reagiert damit auf die zunehmende Nachfrage an Ferienimmobilien. Die in diesem Geschäftsbereich teilweise verbreiteten unseriösen Vertriebsmethoden sollen durch die Vorgaben europaweit eingedämmt werden; das TzWrG enthält deshalb zahlreiche Einschränkungen der Vertragsfreiheit. So sieht § 5 TzWrG ein umfassendes Widerrufsrecht des Erwerbers (§ 1 Abs. 1 TzWrG) vor, statuiert § 3 Abs. 1 TzWrG Schriftform, schreibt § 3 Abs. 2 TzWrG für manche Fälle notarielle Beurkundung vor und geben §§3, 4 TzWrG die inhaltliche Ausgestaltung an. Zur europarechtlichen Legitimation im 4. Kapitel (S. 148ff.). 201 Wielinger, Wertung, S. 31, 33 f. 2 0 2 Vgl. BVerfGE 52, 131, 154; 26, 327, 337; 25, 28, 40; 18, 224, 237. 2 0 3 BVerfGE 82, 286, 304; 62, 256, 275; 13, 153, 164. 2 0 4 BVerfGE 84, 212, 226. 2 0 5 BVerfGE 69, 315, 369.
5. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
209
kann sich die Rechtsprechung gegebenenfalls nicht mit einem Hinweis auf den (unveränderten) Gesetzeswortlaut entziehen. Die Judikative ist in diesen Fällen unter Umständen zu einer freieren Handhabung der Vorschriften berechtigt, wenn nicht angehalten.206 Die Rechtsanwendung bedarf konkreter Hilfestellungen, die angeben, in welchem R a h m e n sich Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle bewegen und anhand welcher Kriterien Anwendung, Auslegung und Fortbildung des Rechts vorzunehmen sind. 2 0 7 Zu fragen ist also nach den Maßstäben einer Vertragskontrolle im R a h m e n der vorgegebenen Rechtsordnung. Das Spannungsfeld von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle läßt sich dabei nicht mittels einer allgemeinen G ü t e r abwägung ohne konkrete Kriterien bewältigen. 2 0 8 Eine uneingeschränkte G ü t e r abwägung eröffnet der Vertragskontrolle einen zu weit gehenden Spielraum, auch für persönliche Wertungen und Vorlieben des Gerichts. Es besteht die Gefahr einer unüberschaubaren Kasuistik 2 0 9 mit der Folge unvorhersehbarer Entscheidungen, die - zumindest teilweise - höchstpersönlichen Vorstellungen über die Wertigkeit der Marktordnung, der Machtverhältnisse, der Wirtschaftsstruktur, der Solidarität, der wissenschaftlichen oder intellektuellen Leistungsfähigkeit oder des angemessenen Bedarfs entspringen. J e nachdem, inwieweit das Gericht den Schwerpunkt mehr auf die Eigenverantwortung oder auf gerechten Ausgleich legt, werden im Konfliktfall unterschiedliche Ergebnisse erzielt. D i e Möglichkeit der Desintegration der Rechtsgemeinschaft wird unverkennbar. D e r Grundsatz der Vertragsfreiheit würde zum Spielball allgemeiner Überlegungen zur Einzelfallgerechtigkeit. Ließe man eine derart konturenlose Abwägung zu, käme es zu einer weitgehenden Relativierung der privatautonomen Selbstbestimmung. I m Vordergrund hat die formale Vertragsfreiheit zu stehen. In das Vertragsrecht dürfen materielle Wertungen ohne klare Leitlinien und ohne gesetzlich vorgegebene »Aufhänger« nicht integriert werden. Berechenbare Ergebnisse sind dadurch zu erreichen, daß der relative Wert konfligierender Einschätzungen nicht in seiner gesamten Breite offenbleibt, sondern in gewissem M a ß e fixiert wird. 2 1 0 Das heißt nicht, daß im Sinne der monokausalen Erklärungsansätze ein Kriterium in den Vordergrund zu stellen ist. 211 Zu versuchen ist eine Synthese von freiheitlichen und sozialen Aspekten, 2 1 2 wobei die Grundentscheidung der Rechtsordnung für ein freiheitsbetontes Vertragsmodell zu berücksichtigen ist.
Rennert, NJW 1991, 12, 17; BVerfGE 49, 304, 318; 38, 386, 396f.; 34, 269, 287f. Wielinger, Wertung, S. 31,38, insbesondere zur dem Gleichheitsgebot genügenden Rechtsanwendung durch die Judikative. 208 Tendenziell in diese Richtung aber Joch, Mitbestimmungsgesetz, S. 187ff.; BVerfGE 89, 214, 232. 209 Siehe nur die unübersehbare und zunehmend ausufernde Kasuistik beispielsweise zu § 138 BGB oder zu §242 BGB. 210 Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 286; Rittner, AcP 186 (1986), 603,606; Singer, Selbstbestimmung, S. 27. 211 So wohl Koller, System, S. 75, 78. 212 Wilburg, Entwicklung, S. 8, 20. 206 207
210 b) Begrenzung
2. Teil: Leitlinien einer
flexibler
Freiheitsbegrenzung
Elemente
Die traditionelle Sichtweise des in festen Bahnen gefügten Rechtslebens, in dem gleichberechtigte Partner Leistungen austauschen, verliert durch die Konzentrations- und Globalisierungstendenzen in zunehmendem Maß an Realitätsbezug. Die veränderte Lage läßt ein verändertes Verständnis von Recht erwarten und erfordert es unter Umständen sogar. Dementsprechend sind eindimensional linear gedachte Rechtsfolgenbestimmungen (wenn a, dann b) offener für die vielfältigen Variationen der Praxis zu gestalten.213 Das ist nicht als ein Eintreten für ein unbestimmtes Wertungssystem zu verstehen. Ohne eine Limitierung der Kriterien käme man letztlich zu einem allgemeinen Abwägungssystem. Ein solches ist aus den genannten Gründen abzulehnen. Erforderlich ist ein flexibles und gleichzeitig eingegrenztes System, das anhand einer begrenzten Zahl von Wertungselementen Vertragskontrolle elastisch und gleichzeitig berechenbar macht. Ein derartiges flexibles System muß es möglich machen, aktuellen Entwicklungen gerecht zu werden, und in seinen Ergebnissen gleichwohl rational überprüfbar sein, weil die Gründe für die Abwägung des Zusammenspiels der einzelnen Elemente überschaubar und (deshalb) rational nachvollziehbar sind. Ein solches System ist nicht nur für die Rechtsprechung bei der Anwendung, Auslegung und Fortbildung des Rechts verwertbar, sondern kann auch vom Gesetzgeber der Formulierung von Normen zugrunde gelegt werden. Ein derartiges bewegliches System hat insbesondere für die Bereiche des Schadensersatz- und Bereicherungsrechts 1941 Wilburg entwickelt.214 Anstelle festgefügter Tatbestandsmerkmale plädiert Wilburg mit seiner Konzeption des beweglichen Systems für eine Bestimmung der Rechtsfolgen durch eine Mehrheit eindeutig festgelegter Kriterien im Rahmen eines offenen Tatbestandes. Die Konzeption der normativen Determination ermöglicht nicht nur die gleichzeitige Berücksichtigung einer Mehrzahl von Gesichtspunkten bei der rechtlichen Bewertung, sondern auch, daß das Recht »ohne Verlust seines inneren Haltes die Eignung erlangt, die vielfältigen Kräfte des Lebens in sich aufzunehmen.« 215 Charakteristisch für das bewegliche System von Wilburg ist, daß zwar bestimmte maßgebliche Umstände generell feststehen, daß sich die Rechtsfolgen jedoch nur im Hinblick auf den Einzelfall entsprechend dem »Zusammenwirken dieser Elemente je nach Zahl und Stärke« ergeben. 216 Die Idee eines beweglichen Systems hat zu Recht weitgehende Beachtung gefunden. 217 Sie dient hier als Basis für ein Vertrags(kontroll)modell und soll mittels Modifizierungen und Konkretisierungen für ein praktikables Konzept, das den gegenwärtigen komplexen Anforderungen gerecht wird, fruchtbar gemacht werden.
Steininger, System, S. 1, 14. Wilburg, Elemente, passim, v.a. S.26ff.; ders., Entwicklung, passim; ders., Verhandlungen, S.3ff.; ders., AcP 163 (1964), 346ff. 215 Wilburg, Entwicklung, S. 22. 216 Wilburg, AcP 163 (1964), 346, 347. 217 Einen kurzen Uberblick über die Aufnahme der Lehre Wilburgs im Schrifttum gibt Weinberger, Festschrift für Wilburg, S.439f. 213 214
5. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
211
Von Wilburg selbst war das bewegliche System vorrangig als Vorschlag für die Normgestaltung an den Gesetzgeber gerichtet. Ihm kam es darauf an, dem Gesetzgeber Vorschläge für ein neues Schadensersatz- und Bereicherungsrecht zu unterbreiten; Ziel war eine Neustrukturierung de lege ferenda.218 Die Erkenntnisse können aber auch dort fruchtbar gemacht werden, wo im Bereich der Rechtskonkretisierung durch Auslegung und Rechtsfortbildung herkömmliche Methoden an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit stoßen.219 3. Voraussetzungen und Grenzen eines flexiblen Wertungssystems a)
Anwendungsbereich
Das flexible System bezieht sich - im hier verstandenen Sinn - auf die geltende Rechtsordnung. Zu unterscheiden sind grundsätzlich zwei Anwendungsbereiche: zum einen die Vorschriften, die die Wertungselemente eines beweglichen Systems den rechtlichen Regelungen und nicht den (Hinter-)Gründen der Normen zuordnen.220 Das ist beispielsweise bei §254 BGB der Fall. Hier hängen die Rechtsfolgen im Einzelfall von der Gewichtung bestimmter abstufbarer Elemente ab.221 §254 BGB läßt bei zurechenbarer, das heißt im Fall der Verschuldenshaftung schuldhafter, im Falle der Gefährdungshaftung gleichstehender Mitwirkung durch den Geschädigten eine Reduktion oder einen Ausschluß des Schadensersatzes zu. Dabei sind sämtliche Umstände gegeneinander abzuwägen. Je nach Zahl und Gewicht der einzelnen Aspekte wird das Maß des Mitverschuldens bestimmt. Zum zweiten ermöglicht das flexible System, Unklarheiten und Unsicherheiten auf der Begriffsebene der Norm zu bewältigen, indem es die Wertungen, die hinter der Vorschrift stehen, aufzeigt und für die Problemlösung fruchtbar macht.222 Die Erfassung aller für und wider eine bestimmte Rechtsfolge sprechenden rechtlichen Gesichtspunkte erlaubt die sichere Handhabung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen,223 also gerade der Normtypen, denen im Bereich der Vertragskontrolle besondere Bedeutung zukommt. Das durch die Wertungsanalyse gefundene Konkretisierungsmaterial bietet eine zusätzliche Orientierungshilfe. Sittenwidrigkeits- sowie Treu- und Glaubensklauseln werden in einen festen Bezugsrahmen eingebunden. Die grundsätzlichen Richtlinien erleichtern darüber hinaus die konsequente Rechtsfortbildung. 218 Das Schrifttum hat sich deshalb (bisher) in erster Linie mit den gesetzgeberischen Fragen des empfehlenswerten systematischen Aufbaus der Rechtsordnung im Sinne des beweglichen Systems von Wilburg befaßt, vgl. Schilcher, Theorie, S. 184ff., 214ff.; Otte, Sätze, S. 301 ff.; Canaris, Systemdenken, S. 74ff.; Viehweg, Topik, S. 72ff. 2 1 9 Siehe Michael, Gleichheitssatz, passim. 220 Vgl. Wilburg, Entwicklung, S. 5. 221 Canaris, Systemdenken, S. 78ff. 222 Uberall dort, wo es darum geht, vielfältige Erscheinungen des Lebens einzuordnen, können mit der Erfassung der (Teil-)Wertungen präzise Ergebnisse erzielt werden, Korinek, Festschrift für Wilburg, S. 163, 167. 223 Bydlinski, Methodenlehre, S. 531 f.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 301 ff.
212
2. Teil: Leitlinien
einer
Freiheitsbegrenzung
Das heißt aber nicht, daß im Falle eines festen Kontrolltatbestandes, bei dem der Gesetzgeber keine ausfüllungsbedürftigen Gesetze konstituiert hat, oder in dem Fall, in dem eine Rechtsfortbildung mangels Notwendigkeit nicht in Betracht kommt, das flexible System ausnahmslos nicht anwendbar ist. Subsumtion und klassische Auslegung gehen hier lediglich vor. 224 Lassen sie eine Lösung des Problems nicht zu, kann subsidiär auf die Teilwertungen zurückgegriffen werden, die dem Gesetz oder der Gesamtrechtsordnung zugrunde liegen. 225 Auf diese Weise leistet das flexible System gute Dienste bei der teleologischen und systematischen Interpretation 2 2 6 von freiheitsbeschränkenden Normen. Es ermöglicht, über die ratio legis hinauszugehen und den normativen Hintergrund selbst als Resultat vorausgehender Teilwertungen zu erfassen. Bei Grenzfällen, die weder vom Gesetzestext noch von der gesetzlichen Globalwertung erfaßt werden, vermag das bewegliche System die vorausliegenden Teilwertungen nutzbar zu machen. 227 Führt die herkömmliche methodische Behandlung einer Rechtsfrage zu keinem (klaren) Ergebnis, sprechen die Postulate der Wertungskonsequenz sowie der Voraussehbarkeit der Ergebnisse für die Orientierung an den hinter der Vorschrift stehenden Wertungen. Diese können für die Auslegung der N o r m ebenso nutzbar gemacht werden wie für die Rechtsfortbildung. Uberall dort, wo die Auslegung gesetzlicher Begriffe gefordert ist oder richterliche Rechtsfortbildung in Betracht kommt, kann grundsätzlich eine Ordnung des Rechtsstoffes durch komparative Sätze und graduelle Kriterien versucht werden. b) Vorgehensweise
und
Voraussetzungen
Auslegung, unbestimmte Rechtsbegriffe, Generalklauseln und richterliche Rechtsfortbildung bedingen in der Regel eine »Bilanz der Argumente.« 2 2 8 Methodische Begründungen weisen häufig unterschiedliches Gewicht auf, wie sich am Beispiel der Auslegungsmethoden zeigt. So können historische Bekundungen von unterschiedlicher Deutlichkeit und Intensität sein, kann der Wortlaut Indizien für das eine oder andere Interpretationsergebnis liefern. Ergebnisse sind deshalb davon abhängig, daß die Gesichtspunkte in ihrer jeweiligen Stärke und ihrem jeweiligen Zusammen- und Widerspiel erfaßt werden. 2 2 9 Welche Rechtsfolge in einem bestimmten rechtlichen Problemfeld begründet ist, richtet sich nach einer Mehrzahl von Wertungselementen und danach, in welcher Zahl, Verbindung und Intensität diese Elemente betroffen sind. Beruht die gesetzliche N o r m auf einer Interessenbewertung und enthält sie als Tatbestandsmerkmale, das heißt als notwendige, für sich allein nicht, in Verbindung mit den anderen Merkmalen hingegen zureichende Gründe einer Rechtsfolge, graduell abstufbare Kriterien, so muß
224 225 226 227 228 229
Bydlinski, Bydlinski, Bydlinski, Bydlinski, Dworkin,
Methodenlehre, S.537. System, S.21, 35f. Methodenlehre, S.538. System, S. 21, 41. Bürgerrechte, S. 130.
Bydlinski,
Methodenlehre, S. 555f.
5. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
213
die betreffende Wertung um so mehr für die Rechtsfolge sprechen, je stärker ausgeprägt die Merkmale im konkreten Fall sind. Das flexible System läßt sich auch für das Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle fruchtbar machen. Vertragskontrolle beruht auf einem Zusammenspiel verschiedener Elemente.230 Es lassen sich Umstände finden, die in einer bestimmten Konstellation ohne weiteres die Einschränkung der Vertragsfreiheit rechtfertigen können, wenn sie in entsprechender Stärke bestehen, in geringerer Stärke hingegen nur in Verbindung mit anderen Elementen. Wieder andere Elemente sind nur gemeinsam mit anderen in der Lage, eine Vertragskontrolle zu begründen. So muß in der bloßen Unausgewogenheit eines Vertragsinhaltes allein noch kein ausreichender Grund für eine Ungültigkeit des Vertrages liegen. Nimmt jemand aus freien Stücken erhebliche Nachteile in Kauf, gibt er entschieden mehr, als er bekommt, oder verpflichtet er sich, sein Vermögen zu verschenken, so handelt er im Rahmen der Vertragsfreiheit.231 Imparität von Leistung und Gegenleistung stellt keinen Wertungsaspekt dar, der für sich genommen die Intensität erreicht, die eine Vertragskontrolle rechtfertigt. Eklatante Mißverhältnisse zwischen Leistung und Gegenleistung erfahren erst dann Mißbilligung, wenn weitere Umstände, beispielsweise Mängel in der Willensbildung, hinzutreten. Damit ist die entscheidende Frage gefunden: Welche Elemente sind in welcher Intensität in das komparative System einzustellen? Ein flexibles Vertrags(kontroll)system, entwickelt in Fortführung der Gedanken von Wilburg, hat sich an den gesetzgeberischen Vorgaben zu orientieren. Aus der Rechtsordnung sind die diesbezüglich einschlägigen Wertungen zu extrahieren.232 Diese müssen sodann nach ihrer abstrakten Gewichtigkeit sortiert und in ihrem generellen Zusammen- und Widerspiel geordnet werden. Anschließend ist zu fragen, welche Abweichungen von diesem typischen Modell im Einzelfall vorzunehmen sind. Vereinfacht und schematisch ausgedrückt lassen sich die Interdependenzen der einzelnen Wertungen in den Zusammenhang bringen, daß die die Vertragskontrolle bestimmenden Kriterien komparative Sätze in der Art »je mehr (vom graduell abstufbaren Kriterium), um so eher Eintritt der Rechtsfolge« darstellen. Mit dem Begriff »komparativer Satz« wird zum einen ausgedrückt, daß ein Begriff in Rede steht, von dessen Merkmalen mindestens eines eine Abstufung zuläßt. 233 Darin liegt der Unterschied zu den klassifikatorischen Begriffen; sie sind nur schlechthin oder gar nicht erfüllbar. Metrische Begriffe wiederum stellen auf quantifizierbare Sachverhalte ab; sie setzen die Meßbarkeit der Abstufung oder der Wahrscheinlichkeit eines Merkmales voraus. Derartige mathematisierbare Zusammenhänge finden sich dort, wo auf der Tatbestands- und Siehe in diesem Kapitel unter III (S. 190ff.). Krejci, System, S. 127, 134. 2 3 2 Die für die Vertragskontrolle durch Generalklauseln maßgeblichen Elemente werden in den folgenden Abschnitten spezifiziert. 2 3 3 Unklar deshalb die Kritik von Fikentscher, Methoden III, S.660f.; dazu Otte, System, S.271; ausführlich den., Sätze, S. 301 ff. 230 231
214
2. Teil: Leitlinien
einer
Freiheitsbegrenzung
auf der Rechtsfolgenseite Merkmale gleicher A r t stehen, wie es beispielsweise im A b g a b e n und Sozialversicherungsrecht stellenweise der Fall ist. N o t w e n d i g für einen komparativen Satz ist folglich, daß das A u s m a ß der Erfüllung eines Merkmales von der Existenz oder Intensität eines weiteren Merkmales abhängt. D a s ist nicht nur anzunehmen, wenn der Wortlaut der Vorschrift komparativ gefaßt ist. Die sprachliche Wiedergabe ist nicht an die Worte »je - desto« oder ähnliche A u s d r ü c k e gebunden. D i e Relevanzen abstufbarer Merkmale können ebenfalls durch Vokabeln wie »nach Maßgabe«, »unter Berücksichtigung von«, »entsprechend«, »verhältnismäßig« oder »angemessen« versinnbildlicht werden. D a Rechtsfolgen z u d e m häufig nicht nur von einem Tatbestandsmerkmal abhängen, sondern von mehreren Tatbestandsmerkmalen beeinflußt werden, k o m m t es in diesen Konstellationen regelmäßig auf das Z u s a m m e n - und Widerspiel der einzelnen K o m p o n e n t e n an. 2 3 4 K o m b i n a t i o n und Intensität von Merkmalen sind in der Rechtsordnung häufig relevant für Rechtsfolgenbestimmungen. D a s klassische Subsumtionsmodell 2 3 5 ist deshalb u m k o m p a rative Zusammenhänge zu vervollständigen.
Im Grundfall ist jeder in Tatbestand und Rechtsfolge gegliederte Rechtssatz derart strukturiert, daß der Rechtssatz N für den Fall der Verwirklichung des Tatbestandes T, der unter Umständen aus mehreren Tatbestandselementen (a bis x) besteht, die Rechtsfolge R anordnet. Wird der Tatbestand T durch einen beliebigen Lebenssachverhalt S mit den Elementen a bis x verwirklicht, dann gilt somit für dieses Geschehen die Rechtsfolge R. Kurz: Wenn S, dann T; wenn T, dann R. 236 Enthält der Tatbestand neben dem bestimmten Merkmal Ta ein variables (auslegungs-, ausfüllungsbedürftiges) Element T b und existiert ein Sachverhalt Sa, der Ta entspricht, sowie eine Sachverhaltsmenge Sc bis Sx, die sich auf das Merkmal T b bezieht, so ist gegebenenfalls zu fragen, welche Wertungen in welcher Relation hinter T b stehen und in welchem Maß diesen die Sachverhalte Sc bis Sx entsprechen. Unterstellt, Sb erfüllt nach den Prämissen Tb, und ausgehend davon, daß innerhalb Sc-x kein Sachverhaltskonstrukt identisch mit Sb ist, kommt es für den Syllogismus darauf an, aus Sc bis Sx Konstellationen zu entnehmen, die Sb in ihrer Wertung entsprechen. 237 Dazu sind Sc bis Sx anhand der enumerativen Wertungen Wa-x zu messen, die die Rechtsordnung oder der spezifische Kontrollsatz zur Verfügung stellt. Denn nicht alles, das (latent) Willens- und Werthaltung des Systems ist, wird in der Normsatzmenge selbst zum Ausdruck gebracht. Ahnlich liegt es, wenn es sich um eine mehrdimensionale Komparativnorm handelt, nach der auf Sachverhalte mit dem bestimmten Merkmal Ta je nach der Intensität der Ausprägung der variablen Merkmale Tb, Tc und Td Rechtsfolgen zu setzen sind. Eine spezielle Vorgabe für die Reduktion der Merkmalsdimensionen Tb, Tc und Td ist nicht vorgesehen. Sa bis Sx sind Sachverhalte, die Ta erfüllen Vgl. Otte, System, S.271, 274. Das klassische Subsumtionsmodell hat zwar Kritik erfahren, die Vorschläge zur Verfeinerung des Syllogismus können hier jedoch unberücksichtigt bleiben, weil die Darstellung weitgehend unabhängig vom gewählten Rechtsanwendungsmodell ist. Zu allgemeinen methodischen Fragen vgl. Fikentscher, Methoden III, S. 749f.; Kelsen, Theorie, S. 185ff.; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 124ff. 2 3 6 In Anlehnung an Musielak, Grundlagen, S.2f.; Musielak/Stadler, Grundfragen, Rn. 195; Nierhaus, Beweismaß, S. 123ff.; Kur, Beweislast, S.2; kritisch Rödig, Theorie, S. 163ff. 2 3 7 Vgl. Koller, Wertung, S. 1, 15ff.; Otte, Sätze, S. 301 ff. 234 235
5. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
215
und in einem bestimmten Grad durch Tb, Tc und Td gekennzeichnet sind. Ist für Sa, das keiner der eindeutigen Konstellationen in den relevanten Merkmalen gleicht, eine angemessene Rechtsfolge zu bestimmen, sind aus b bis x die Fälle herauszusuchen, die a aufgrund der Wertungen bezüglich Tb und Tc oder hinsichtlich Tb und Td oder in Tc und Td gleichen. Entspricht a den Fällen c, d und f bezüglich Tb und Tc, können a, c, d und f entsprechend der Intensität von Td geordnet werden. Ist so der Rahmen der Rechtsfolge von a bestimmt, kann in analoger Weise a mit jenen Fällen in Relation gesetzt werden, die ihm in Tb und Td sowie in Tc und Td gleichen. Existiert in bezug auf jedes relevante Merkmal eine Anzahl eindeutiger Fälle, mit denen dieser im Hinblick auf den Ausprägungsgrad des betreffenden Merkmals vergleichbar ist, kann die angemessene Rechtsfolge zunehmend präzisiert werden. 238 Ein Rechtssystem ist daher nicht nur als Summe der Tatbestände, sondern im Interesse der Bewältigung der vielfältigen Lebenssachverhalte auch als Ergebnis verschiedener Wertungen zu sehen. Es kann unter Umständen zweckmäßig sein, und gerade im Bereich der Vertragskontrolle durch Generalklauseln ist das der Fall, den Eintritt von Rechtsfolgen nicht nur an die Subsumierbarkeit eines tatsächlichen Geschehens unter einen mit definitorischen Merkmalen abgegrenzten Begriff zu knüpfen. Für eine nachvollziehbare Argumentation bei der Konkretisierung von Generalklauseln ist deshalb zunächst ein fester Ausgangs- und Vergleichspunkt notwendig. N u r im Verhältnis dazu haben »mehr« und »weniger« eine verständliche Bedeutung. Der Ausgangs- und Vergleichspunkt ist der geltenden Rechtsordnung zu entnehmen. Die Basiswertung stellt hier die Privatautonomie dar. Daneben sind auch die Wertungen, die für oder gegen eine bestimmte Rechtsfolge sprechen, von Wilburg als »Kräfte« oder »Elemente« bezeichnet, aus der Rechtsordnung zu gewinnen, also auch aus den existierenden Vertragskontrollnormen abzuleiten. Bei der Konkretisierung gewinnen die von den unterschiedlichen Vertrags(kontroll)theorien herausgearbeiteten Gesichtspunkte an Relevanz. Als monokausale Erklärungen sind die einzelnen Aspekte nicht tauglich. Als einzelne von mehreren relevanten Wertungen kann unter Umständen auf die verschiedenen Ansätze zurückgegriffen werden. So sind Selbstbestimmung, Entscheidungsfreiheit und soziale Gegebenheiten für die Vertragskontrolle von Bedeutung, beschreiben aber jeweils nur eines von mehreren wertungsrelevanten Merkmalen. 2 3 9 Die Wertungskriterien, deren Zusammen- und/oder Widerspiel über den U m fang der Vertragskontrolle im einzelnen entscheiden, sind vollständig zu erfassen und in Form von komparativen Sätzen zu verbinden. Beruht eine Generalklausel auf einer Interessenbewertung, so spricht die betreffende Wertung um so mehr für die Rechtsfolge, je stärker ausgeprägt die Merkmale im konkreten Fall sind. Zu berücksichtigen sind nicht alle Umstände des Falles, wie es bisher häufig bei
238 239
Ähnlich Koller, Wertung, S. 1, 271. Vgl. Bydlinski, Privatautonomie, S. 122ff.
216
2. Teil: Leitlinien
einer
Freiheitsbegrenzung
der Konkretisierung von Generalklauseln vorgeschlagen wird. 240 Herauszuarbeiten ist eine Anzahl von Wertungsgesichtspunkten, die nicht nach Belieben zu erweitern ist. Die geschlossene Zahl aller auf dem Gebiet der Vertragskontrolle wirksamen Wertungskriterien ist entsprechend dem Primat der Gesetzgebung aus der Rechtsordnung zu gewinnen. Die positiv-rechtlichen Abwägungsergebnisse, die das geltende Recht in Gestalt fester Tatbestände enthält, sind zu respektieren. Die im Gesetz zum Ausdruck gekommenen oder hinter den gesetzlichen Regelungen stehenden Intentionen und deren Gewichtung im konkreten Sachzusammenhang sind bei der Auslegung und Rechtsfortbildung richtungsweisend. Es ist nicht Sache des Gerichts, nach seinem Ermessen Zahl und Wertigkeit der Elemente zu bestimmen, vielmehr hat sich das Gericht an den Wertungen zu orientieren, die im Gesetz unmittelbar oder mittelbar Anerkennung gefunden haben. Einführung und Qualifizierangsfreigabe zusätzlicher Gesichtspunkte bergen die Gefahr, daß letztlich in unberechenbarem Umfang das subjektive Rechtsempfinden des zur Entscheidung berufenen Gerichts zum Tragen kommt. Eine konturenlose Gesamtabwägung ohne Kriterien ist zu vermeiden. Aus den gesetzlichen Wertungen ergibt sich zudem unter Umständen eine bestimmte Hierarchie der leitenden Wertmerkmale für einzelne Konfliktfälle. Die Rechtsordnung gibt eine typische Gewichtung vor, die allerdings unter bestimmten Voraussetzungen variieren kann. Die Frage nach einer hierarchischen Ordnung im beweglichen System ist von großer Bedeutung. Stehen beispielsweise die Kriterien sozialer Schutz, Verkehrsinteresse, Entscheidungsfreiheit oder Wille der Parteien in einer festen Rangfolge, hat das Auswirkungen auf die konkrete Problemlösung. Das bewegliche System ist nicht dergestalt gefaßt, daß eine für alle Zeit festgefügte Ordnung besteht. 241 Würde ein Element allen anderen in sämtlichen Fällen vorgehen, wäre das System seiner Flexibilität weitgehend beraubt. Die Wertungselemente sind in unterschiedlichen Fällen in divergierender Gewichtung betroffen. Daraus folgt, daß die Bedeutung je nach Betroffenheit variieren kann. Es folgt zugleich, daß die Elemente eines flexiblen Systems nicht stets gleichrangig oder gleichgewichtig nebeneinander stehen. 242 Eine generell-abstrakte Hierarchie der Wertungselemente, die ohne nähere Prüfung auf alle Sachverhalte zu übertragen ist, existiert nicht. Das heißt aber nicht, daß die Gewichtung der Elemente im freien Belieben des Rechtsanwenders steht. Im Gegenteil: Die Wertungen stehen im allgemeinen in typischen Gewichtungsverhältnissen zueinander, diese sind aber derart flexibel, daß ein Wertungselement in Sonderfällen je nach der Intensität seiner Verwirkli240 Schilcher (System, S.287, 291) weist darauf hin, daß es zum Beispiel keine Rolle spielt, ob der Vertragspartner »groß oder klein, blond oder blauäugig« ist. 2 4 1 Vgl. Wilburg, Entwicklung, S. 14: »Dieses System kann alle denkbaren Fälle in ihrer Eigenart erfassen. Es ist gegenüber den bisherigen Grundsätzen elastisch und zerbricht nicht wie ein Werk aus Glas, wenn sich das Werturteil über die Kraft der einzelnen Elemente im Laufe der Zeit ändert.« 242 Enderlein, Rechtspaternalismus, S.289; wohl auch Schilcher, System, S.287, 289; kritisch Canaris, Systemdenken, S. 75, 78.
J. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
217
chung und je nach Zahl, Gewichtung und K o m b i n a t i o n der anderen Elemente verdrängt oder in seiner Wirkung modifiziert werden kann. F ü r die Wertigkeit der Elemente lassen sich folglich »Durchschnittsregeln« 2 4 3 bestimmen, die für den typischen Standardfall gelten. Von dieser Basis aus ist zu prüfen, ob die H i e r archie der Elemente in der konkreten Konstellation anzupassen ist. D i e Beschränkung auf einen Katalog von Kriterien ist dahin zu verstehen, daß die im speziellen Fall entscheidungsrelevanten Wertungen nicht beliebig ad hoc vermehrt werden können, sondern grundsätzlich als feststehend zu verstehen sind. Getragen wird ein solches flexibles System zur Auslegung gesetzlicher B e griffe und zur richterlichen Rechtsfortbildung also von einer klaren Basiswertung, verbunden mit komparativen Wertreihen und begrenzten graduellen Kriterien. D i e Begrenzung der Entscheidungskriterien führt nicht zu mangelnder D y namik. D i e Elastizität des beschriebenen flexiblen Systems beruht darauf, daß ein ursprünglich als vollständig eingeschätzter Wertungskatalog durch ein neues Kriterium ergänzt werden kann, 2 4 4 wenn eine eingehende Prüfung die Aufnahme aus allgemeinen, generell-abstrakten Gründen für notwendig hält. Modifikationen, die auf allgemeingültige Überlegungen zurückgehen, sind möglich. Ausgeschlossen ist nur, von Fall zu Fall wechselnde Maßstäbe zu wählen. D e r enumerative Wertungskatalog steht spontanen, nur auf einen Einzelfall bezogenen Veränderungen nicht offen. Auch bei der Integration eines neuen, unter Umständen aus aktuellen Gründen notwendigen Vertrags(kontroll)aspektes m u ß sich dieser aus der Rechtsordnung ergeben und darf nicht vagen Billigkeitserwägungen entspringen.
c) Grenzen des flexiblen Systems D u r c h diese Vorgehensweise eröffnet das flexible System die Möglichkeit, zwischen klassifikatorischem Tatbestand, konturenlosen Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen zu vermitteln, und ist zugleich in der Lage, auf den ersten Blick unvereinbare Werttendenzen, etwa liberaler oder sozialer Provenienz, dadurch zu relativieren, daß sie als legitimerweise nebeneinander existierende, kompromißbedürftige Wertungen erkannt werden. Ihre G r e n z e findet die Vorgehensweise in der geltenden Rechtsordnung. Im Rahmen des flexiblen Systems sind die beschränkten Möglichkeiten der Auslegung, Ausfüllung von Generalklauseln, der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe und der Rechtsfortbildung zu beachten. Eindeutige Anweisungen und Intentionen der positiven R e c h t s n o r m sind zu berücksichtigen. Das gilt in positiver wie in negativer H i n sicht. H a t die Legislative minutiös formulierte Tatbestände vorgegeben und ist der zu entscheidende Sachverhalt eindeutig unter ein Tatbestandsmerkmal zu subsumieren, kann im Wege des flexiblen Systems ebensowenig ein abweichendes Ergebnis erreicht werden, wie wenn wegen eindeutigen und nicht substituierbaWilburg, Elemente, S. 102. Ebenso Wilburg, Entwicklung, S. 14: »Auch das Hinzutreten neuer Gesichtspunkte und Kräfte ist möglich.« 243
244
218
2. Teil: Leitlinien
einer
Freiheitsbegrenzung
ren Fehlens eines Tatbestandsmerkmales die Subsumtion ausgeschlossen ist. Das bewegliche System dient nicht der Flexiblisierung der Gesamtrechtsordnung, sondern gibt eine zusätzliche Orientierungshilfe bei der Präzisierung von U m fang und Reichweite der Vertragskontrolle dort, wo sich die Rechtsordnung für einen offenen Tatbestand entschieden hat. Gibt die Rechtsordnung einen eindeutigen Tatbestand vor, ist dessen Ausgestaltung zu akzeptieren. Denkbar ist, daß ohne den gesetzten Tatbestand eine komparative Wertung zu einem abweichend ausgeformten Ergebnis käme. Dieses Ergebnis ist nur de lege ferenda verwendbar. Das konträre Resultat des flexiblen Systems kann hier nur einen Hinweis auf die Gestaltung künftigen Rechts geben. Das flexible System ermöglicht mithin keinen methodischen Weg, die von der Legislative aufgestellten Grenzen der Rechtsordnung (contra legem) zu überschreiten. Es stellt lediglich ein Instrumentarium dar, um die hinter dem geschriebenen Recht stehenden Wertungen und Intentionen in die Rechtsbildung nahtlos an den dafür vorgesehenen Stellen einfügen zu können. Das flexible System dient der Erfassung und Ordnung der bisher vor allem im Bereich der Vertragskontrolle kasuistisch wirkenden Judikatur. Es ermöglicht, Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe zu konkretisieren und Rechtsfortbildung in vorhersehbare Schienen zu lenken. Zweifelhafte Fälle können so einer überzeugenden Lösung zugeführt und die Dichotomie von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle zu einer organischen Einheit verschmolzen werden. 4. Flexibles S y s t e m und Rechtsstaatsprinzip Rechtsregeln sollen unter anderem Angaben über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von rechtlichen Interaktionen und deren Konsequenzen geben. Diese Funktion erfordert ebenso eine gewisse Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen und ihrer Applikation sowie eine gewisse Präzision der Vorschriften. 245 Dies macht eine Systembildung und eine Strukturierung des Rechtsstoffes erforderlich. Systembildung bedeutet, Rechtsregeln nach klaren, ihrer Relevanz inhärenten Merkmalen, etwa nach der Art ihrer axiologischen oder teleologischen Beziehung, zu ordnen und sie möglichst abstrakt zu formulieren. Kann eine Reihe normativer Vorgaben adäquat durch eine einzige Regel von höherem Allgemeinheitsgrad ausgedrückt werden, so ist die universelle Regel vorzuziehen. Die Rechtsregeln beruhen wiederum auf einer Fülle von Wertvorstellungen und Zwecksetzungen. U m diese komplexen Wertzusammen- und -widerspiele für die Anwendung, Auslegung und Fortbildung des Rechts nutzbar zu machen, bedarf es ihrer Strukturierung und Eingrenzung, wie es das beschriebene flexible System leistet. Es gibt mit seinem abgeschlossenen Kriterienkatalog eine zusätzliche Orientierungshilfe. Es führt nicht zu schrankenlosen Billigkeitserwägungen, sondern zu gelenkten Ermessensentscheidungen. 246 245 246
Vgl. Luhmann, Zweckbegriff, S. 66ff. Wilburg, Entwicklung, S. 22.
5. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
219
Rechtliche Entscheidungen im R a h m e n von unbestimmten Begriffen und G e neralklauseln werden aufgrund des klar formulierten typischen Normalfalles und der sich daran anschließenden komparativen Anleitungen zur Lösung der P r o blemkonstellationen berechenbar. Das ist deshalb auch nicht als ein Plädoyer für eine konturenlose Billigkeitsjudikatur (miß-)zu verstehen. 2 4 7 D e m stellenweise erhobenen Vorwurf der Rechtsunsicherheit eines flexiblen Wertungssystems liegt eine irreführende Vergleichsebene zugrunde. D e r Rechtssicherheitsgrad kann nicht an minutiös formulierten Tatbeständen gemessen werden, sondern an dem bisherigen U m g a n g mit Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen. D i e weitgehende Unbestimmtheit einzelner Vertragskontrollvorgaben führt bislang zu Rechtsunsicherheit aufgrund mangelnder Prognostizierbarkeit gerichtlicher Entscheidungen. Das in Anlehnung an Wilburg
entwickelte flexible System
bringt eine Verfestigung mit sich und bedeutet im Vergleich z u m hergebrachten U m g a n g mit Generalklauseln mehr Rechtssicherheit. 2 4 8 Das Entscheidungsmaterial wird nicht nur in einer unüberschaubaren Kasuistik aneinander gereiht, sondern geordnet und verdichtet. Ziel ist es, die richterliche Entscheidung »durch grundsätzliche Richtlinien umfassend zu lenken.« 2 4 9 Das flexible System, gründend auf dem Prinzip der Vertragsfreiheit und ausgehend von den gesetzlichen Vertragskontrollvorgaben, ist so auch aus rechtsstaatlicher Sicht geeignet, die Auslegung und Fortbildung des Rechts operationabel zu gestalten und den B e reich richterlicher Eigenwertung einzuengen.
5. A b g r e n z u n g v o n v e r g l e i c h b a r e n M e t h o d e n 2 5 0 Ebenfalls auf eine Mehrzahl abstufbarer Kriterien stellt die Typuslehre ab. Sie knüpft an einzelnen Begriffen von unbestimmter Beschaffenheit an und befaßt sich mit der Zuordnung von Gegenständen zu diesen Begriffen. 2 5 1 Dieser Ansatz ist nur mittelbar normativ. Sofern das Typusdenken auf normative Begriffe übertragen wird, ist es für Anwendung und Auslegung der Vorschriften relevant. 2 5 2 Anders liegt es beim flexiblen Ansatz: E r bezieht sich von Anfang an ausschließlich auf normative G r ö ß e n . Das bewegliche System gibt dem Rechtsanwender ein 247 »Es ist gerade der Sinn meines Vorschlages, zu vermeiden, daß das Gericht nur auf Billigkeit, auf jeweiliges Rechtsempfinden, auf gute Sitten oder ähnliche inhaltslose Begriffe verwiesen wird. Ein Gesetz, das elastisch die maßgebenden Gesichtspunkte bestimmt, kann sogar eine festere Stütze sein, ebenso wie ein elastisches Band oft besser hält als ein starres Gefüge, das nicht die Fähigkeit besitzt, den Bewegungen zu folgen«, so Wilburg, Entwicklung, S.22f. 248 Imgleichen Sinn Wielinger, Wertung, S.31,34f.; Bydlinski, System, S.21,35; Schilcber, System, S.287, 303, 306; Fenyves, System, S.141, 142; Korinek, Festschrift für Wilburg, S.163, 165ff.; Larenz, Festschrift für Wilburg, S.217, 226ff. 249 Wilburg, Entwicklung, S. 14. 250 Zum Verhältnis zur Auslegung, die im Grundsatz der Anwendung des flexiblen Systems vorgeht, Otte, System, S.271, 275ff. 251 Näher zum »schillernden Begriff« des Typus Michael, Gleichheitssatz, S. 106ff., m. weit. Nachw. 252 Vgl. Larenz, Festschrift für Wilburg, S.217ff., m. zahlr. weit. Nachw.
220
2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
Instrument zur Rechtsgewinnung aus bestehenden rechtlichen Wertungen an die Hand.253 Vor allem Viehweg254 hat in Wilburgs System eine Bestätigung seiner Topiklehre gesehen. Das ist, wie bereits Bydlinski und Canaris ausgeführt haben,255 nicht der Fall. Die Topiklehre reiht eine Vielzahl von beliebigen antinomischen Aspekten ohne verbindliche Eingrenzung und ohne System aneinander. Dem beweglichen System kommt es auf eine klare und abschließende satzmäßige Benennung der Wertung an, aus deren Zusammen- und Widerspiel die Rechtsfolge abzuleiten ist.256 Die Sammlung bloßer Topoi-Kataloge ist gerade nicht das Ziel. Das flexible System wendet sich gegen bloße Billigkeits- oder Ermessensjudikatur ebenso wie gegen Begriffsjurisprudenz und Gesetzespositivismus.257 Dabei erleichtert die Anwendung des flexiblen Systems durch Konkretisierung den praktischen Umgang mit Rechtssätzen. Und gerade darin liegt der Unterschied zur Prinzipienlehre (im engeren Sinn). Der Begriff Rechtsprinzip bezeichnet einen Leitgedanken der Rechtsordnung, der der Gesetzgebung oder einer sich entwickelnden Rechtsprechung in der Weise zugrunde liegt, daß diese aufgrund der Rechtsprinzipien ihren spezifischen Sinn erhält. Faßt man die Bezeichnung eng, tragen sie aufgrund ihrer Unbestimmtheit zur Rechtsgewinnung wenig bei; es fehlt an einer festgelegten Aussage.258 Rechtsprinzipien bedürfen, um in konkrete Entscheidungen umgesetzt zu werden, der Konkretisierung. Ihre theoretische Konzeption verleiht ihnen zudem die Fähigkeit zu Kollisionen untereinander, ohne daß eines der betroffenen Prinzipien in Wirksamkeit oder Gewicht zurücktreten muß. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit und das Sozialstaatsprinzip stellen grundlegende Strukturmerkmale der Rechtsordnung dar, die für sich genommen eine konkrete Entscheidung nicht erlauben. Unzutreffend, weil zu weitgehend, wären sowohl die Formulierung, nur das Ergebnis der Willensübereinstimmung zähle, als auch die, unter möglichen Entscheidungsalternativen sei stets die zu wählen, die dem Schutz des sozial Schwachen dient.259 Beide Prinzipien bestehen regelmäßig nebeneinander und können ohne Rücksicht aufeinander nicht gleichmäßig verwirklicht werden. Sie bedürfen der Ausformung durch Gesetz und Rechtsprechung. Und eben bei der Anwendung des Gesetzes helfen die Wertungen des flexiblen Systems.
Zur Kritik an der Typuslehre siehe auch Michael, Gleichheitssatz, S. 114. Viehweg, Topik, S. 72ff. 255 Bydlinski, Methodenlehre, S. 533; ders., System, S. 21,24f.; Canaris, Systemdenken, S. 76f.; ders., System, S. 103, jeweils m. zahlr. weit. Nachw. 256 Zusammenfassend zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Topik und flexiblem System Michael, Gleichheitssatz, S. 92ff., m. weit. Nachw.; siehe auch das 7. Kapitel (S.320f.). 257 Mayer-Maly, System, S. 117, 124. 258 Im einzelnen Alexy, Begriff, S. 59ff.; mit Bezug zum beweglichen System Wilburgs Larenz, Festschrift für Wilburg, S.217,222ff.; Otte, System, S . 2 7 1 , 2 7 7 f f . , jeweils m. zahlr. weit. Nachw. 259 Näher Otte, System, S.271, 279. 253 254
5. Kapitel: Das
Vertrags(kontroll)modell
221
V. Vom Allgemeinen zum Besonderen - Zusammenfassung und Ausblick über die weitere Darstellung Die Vertrags(kontroll)lehren, die im wesentlichen einen einzelnen Aspekt als Wertungskriterium benennen, haben sich als zu eng erwiesen. D i e monokausalen Erklärungen können die vielfältigen Schattierungen nicht erfassen. Struktur und Wechselwirkung von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle lassen sich nicht mit einem isolierten K o n z e p t erklären. D a z u ist das von mannigfaltigen Faktoren beeinflußte Verhältnis zu komplex. Deshalb ist ein neuer Ansatz zu entwickeln, der die Vertragskontrolle auf eine allgemeine dogmatische Konstruktion zurückführt, die der Komplexität des Spannungsverhältnisses gerecht wird. Als Basis bietet sich die von Wilburg
in anderem Zusammenhang entwickelte Lehre des be-
weglichen Systems an. Sie erlaubt es, unterschiedliche Gesichtspunkte in unterschiedlichen Kombinationen zusammenzufügen. D i e Rechtsordnung an sich ist grundsätzlich nicht beweglich, sondern als festes System geformt. D i e flexible Wertungsstruktur erlaubt es daher nicht, Vorschriften beliebig anzupassen. Das bewegliche System erweist Dienste insbesondere dort, w o die Rechtsordnung ausnahmsweise einen wertungsoffenen Tatbestand konstituiert hat. Hilfreich ist diese Methodik also bei den Generalklauseln - und gerade auf diese k o m m t es bei der Grenzziehung zwischen Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle wesentlich an. D e r offene Tatbestand, beispielsweise von §§ 138 Abs. 1, 242 B G B oder § 9 Abs. 1 A G B G , ist auf Konkretisierungselemente angewiesen, die es dem Rechtsanwender erleichtern, die Balance zwischen formaler Freiheit und materialer Gerechtigkeit zu wahren. A u f aktuelle, nicht gesetzlich erfaßte Entwicklungen hat in erster Linie der G e setzgeber zu reagieren. D i e Einschätzungsprärogative entspricht dem Gewaltenteilungsprinzip. Ein Tätigwerden der Legislative ist dann nicht notwendig, wenn sich eine Lösung bereits aus der Rechtsordnung entnehmen läßt. D i e wertungsoffenen Generalklauseln stellen einen Rahmen zur Verfügung, innerhalb dessen mit Hilfe des flexiblen Systems auch neue Herausforderungen des Rechts in rechtsstaatlicher Weise gemeistert werden können. D a m i t gewährleistet das flexible System, daß unter Umständen auch aktuell auftretende Konfliktlagen zwischen Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle mit dem »Vorrat an N o r m e n « und mittels »dogmatischer Kunst« bewältigt werden. 2 6 0 Das flexible System kondensiert die vielfältigen Überlegungen, die für das Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle von Bedeutung sind. D u r c h eine zweckmäßige O r d n u n g des Rechtsstoffes mittels komparativer Sätze und gradueller Kriterien wird ein fester Bezugsrahmen für die Problemlösung geschaffen. M i t dem flexiblen System ist die methodische Ausgangsbasis gefunden, um Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle bei der Anwendung von Generalklauseln 260 Esser, AcP 172 (1972), 97,113. Für eine »Rückbesinnung« auf die geltende Zivilrechtsordnung auch Lorenz, Schutz, S. 13 f. (insbesondere gegen eine »vorschnelle« Argumentation mit allgemeinen verfassungsrechtlichen Wertungen).
222
2. Teil: Leitlinien
einer
Freiheitsbegrenzung
auszutarieren. Für die praktische Anwendung bedarf dieser Ansatz der Konkretisierung. Entscheidend für die praktische Anwendung des flexiblen Systems im Bereich der Generalklauseln ist, welche Wertungen in welchem Zusammenhang in die komparative Reihung einzustellen sind. Zunächst sind die einzelnen Kontrollvarianten darzustellen und deren Wirkungsweisen zu analysieren. Dies erhellt den Zusammenhang, in dem das flexible System wirkt. Aus der Fülle der Kontrollvarianten werden sodann die inhaltsbezogenen herausgegriffen. An ihnen werden die einschlägigen Parameter der Tatbestandskonkretisierung durch das flexible System entwickelt. Im Wege der Abstraktion sind dazu aus den Einzelregelungen die allgemeinen Wertungen zu erarbeiten, die im jeweiligen Kontrollbereich wirksam sind. Die induktiv aus dem Recht entwickelten Wertungen bilden die Elemente des Teilsystems der Vertragskontrolle. Zur Konkretisierung der inhaltsbezogenen Generalklauseln kommt es neben den in den einzelnen Vorschriften ausgedrückten speziellen Wertungen auf die der Rechtsordnung immanenten Grundprinzipien an. Diese Vorgehensweise soll in den nächsten Kapiteln die praktische Handhabung des flexiblen Systems eines Zusammenspiels von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle deutlich machen und Lösungsvorschläge für zahlreiche Einzelprobleme aufzeigen.
6. Kapitel
D i e Vertragskontrollvarianten I. Vertragskontrolle als Inbegriff der Vertragsgerechtigkeit Der Vertrag ist aufgrund seiner Kooperationsbedürftigkeit das Mittel zum Ausgleich sozialer Interessen, der Motor einer effektiven, freiheitlichen Wirtschaftsordnung und Garant für eine funktionierende, prosperierende Privatrechtsgesellschaft. 1 Gleichwohl sieht die Rechtsordnung vielfältige Kontrollinstrumente vor, um den traditionellen Ansatz der formalen Willensübereinstimmung der Vertragsschließenden mit Gedanken der inhaltlichen Vertretbarkeit zu verbinden und so insgesamt zu einer gerechten Ordnung zu gelangen. Allgemeiner Hintergrund ist die Einsicht, daß der Grundlage des liberalen Vertragsbegriffs, der freien und selbstbestimmten Einigung gleicher und gleichberechtigter Partner, infolge wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen stellenweise der Boden entzogen ist. Wirtschaftliche und intellektuelle Überlegenheit bedingen die Gefahr des Diktats der Vertragsbedingungen und damit des Mißbrauchs der privatautonomen Ordnung. Vertragsfreiheit führt nicht ausnahmslos zu sozial anerkennenswerten Ergebnissen. Dieser Umstand stellt das Funktionieren der Privatrechtsgesellschaft in Frage. Zurückhaltend angewendete angemessene Korrekturen durch Legislative und Judikative sind deshalb unausweichlich notwendig, um die Akzeptanz und positive Wirkung der Vertragsfreiheit auch zukünftig zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund haben Gesetzgebung und Rechtsprechung - gerade in den letzten Jahren - mannigfaltige Institute zur punktuellen Vertragskontrolle entwickelt. Dies geschah häufig aufgrund eines konkreten Falles, dessen Lösung als ungerecht empfunden wurde, oder anläßlich einer allgemeinen, als unbefriedigend eingeschätzten Entwicklung, die den Gesetzgeber oder die Gerichte zu (eindämmenden) Aktivitäten veranlaßte. Ein theoretisch fundiertes, einheitliches Konzept zu den Funktionsgrenzen der (Schuld-)Vertragsfreiheit fehlt. Die punktuell entwickelten Institute stellen vielmehr ein ein Gesamtkonzept negierendes Sammelsurium von Kontrollvarianten dar, das nicht nur daraufhin zu untersuchen ist, ob die einzelnen Instrumente zur Vertragskontrolle tatsächlich der Vertragsgerechtigkeit dienen, Rechtssicherheit gewährleisten und in ihrer methodischen Handhabung überzeugen. Es ist auch zu prüfen, welche (Teil-)Wertungen den Kontrollmöglichkeiten zu entnehmen sind, um zukünftig eine homogene und Vertragsfreiheit möglichst weitgehend sichernde Anwendung der Kontroll' Vgl. Helm,
Privatautonomie, S. 61, 68ff.; Zöllner, Privatrechtsgesellschaft, S. 11 ff., 20ff.
224
2. Teil: Leitlinien
einer
Freiheitsbegrenzung
Varianten im Sinne eines übergreifenden Konzeptes zu erreichen. Die einzelnen Vertragskontrollvarianten sind zunächst gegeneinander abzugrenzen und daraufhin zu untersuchen, welche spezifischen Wertungen mit ihnen verbunden sind, die im Rahmen des Anwendungsbereichs des flexiblen Systems fruchtbar gemacht werden können. Variationsreiche Terminologien und unterschiedliche Strukturen der verschiedenen Kontrollinstrumentarien geben Anlaß zu zahlreichen Mißverständnissen. Der Umstand, daß Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle nicht auf ein einzelnes Wertungselement zurückzuführen sind, sondern bestimmte Komponenten, wie Entscheidungsfreiheit, Selbstbestimmung, Vertrauen oder Selbstverantwortung, in ihrem Zusammen- und Widerspiel die jeweiligen Bereiche kennzeichnen, hat ebenfalls zur Begriffs- und Maßstabsverwirrung beigetragen. 2 Je nach Zielsetzung und Abgrenzungskriterium können die Einschränkungen der Vertragsfreiheit in unterschiedliche Gruppen untergliedert werden, die nicht separat stehen, sondern sich in vielfältiger Weise überschneiden. Im folgenden wird versucht, die zahlreichen Facetten der Vertragskontrolle in Gruppen zu sortieren und auf diese Weise Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Kontrollmöglichkeiten aufzuzeigen. Zunächst werden die Varianten der Abschlußkontrolle und der Einbeziehungskontrolle beschrieben und anhand einzelner Beispiele erörtert. Die unterschiedlichen Fälle der Inhaltskontrolle werden am Ende des Kapitels kurz vorgestellt. Dem Thema der Arbeit folgend, die Generalklauseln zur Inhaltskontrolle näher zu untersuchen, werden die §§138, 242 BGB und § 9 AGBG in den nachfolgenden Kapiteln ausführlicher erörtert und in Beziehung zum flexiblen System gesetzt.
II. Abschlußkontrolle Vertragsfreiheit als Erscheinungsform der Privatautonomie umfaßt das Recht, frei zu bestimmen, ob und mit wem ein Vertrag geschlossen werden soll. 3 Aus dem Aspekt der Abschlußfreiheit lassen sich zwei Fallgruppen der Vertragskontrolle ableiten, nämlich eine positive und eine negative Abschlußkontrolle. 4 Der negativen Abschlußfreiheit, die jedem Rechtssubjekt im Grundsatz die freie Entscheidung darüber überläßt, einen Vertrag nicht abzuschließen, entspricht die positive Abschlußkontrolle. Mit dem Terminus positive Abschlußkontrolle sind die gesetzlichen und richterrechtlichen Vorgaben gemeint, die für gewisse Fälle einen Zwang zur Kontrahierung regeln. Positive Abschlußkontrolle ist in unmittelbarer und mittelbarer Weise möglich. 5 2 Je nach Begrifflichkeit und Zielrichtung können einzelne Kontrollinstrumente mehreren Oberbegriffen zugleich zugeordnet werden, vgl. Hildebrandt, Disparität, S. 3ff.; Preis, Grundfragen, S. 147f. Eine einheitliche Terminologie hat sich deshalb (noch) nicht herausgebildet. 3 Vgl. die Begriffsbestimmung im 2. Kapitel (S.43ff.). 4 Musielak, GK BGB, Rn.97; Tbode, in: MünchKommBGB, §305 Rn.3b ff. 5 Die Terminologie ist nicht homogen; teilweise wird von direktem und indirektem Kontra-
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
225
1. U n m i t t e l b a r e positive A b s c h l u ß k o n t r o l l e Ein unmittelbarer Zwang zur Kontrahierung läßt sich nur in wenigen Vorschriften finden. Es handelt sich dabei vor allem um den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, also u m einen Kontrahierungszwang bezüglich der Versorgung der Bevölkerung mit grundlegenden Leistungen für die Lebensführung. 6 Zu nennen sind unter anderem §33 PostG, §§48, 49 B R A O und §22 PersBefG. 7 Aus dem arbeitsrechtlichen Bereich regeln § 78a BetrVG und §9 BPersVG den unmittelbaren Kontrahierungszwang. Darüber hinaus nehmen Rechtsprechung und weite Teile der Literatur einen Kontrahierungszwang bei der Wiedereinstellung Schwerbehinderter und Schwangerer nach suspendierender Abwehraussperrung, bei Wiedereinstellung nach unbegründeter Verdachtskündigung, bei Erfüllung einer Auswahlrichtlinie durch nur eine Person im Sinne des §99 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG und bei entprechenden Regelungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen an. Nicht hierher gehört das arbeitsrechtliche Diskriminierungsverbot in § 61 la BGB. Es eröffnet dem betroffenen Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber keinen Einstellungsanspruch. Die spezialgesetzlichen Anordnungen sind regelmäßig so gefaßt, daß ein Beteiligter unter N e n n u n g enger Voraussetzungen und unter Angabe eines umgrenzten Ausnahmekataloges dazu verpflichtet wird, einen Vertrag abzuschließen. N e ben diesen unmittelbar aus dem Gesetz ableitbaren positiven Abschlußkontrollvorgaben ergeben sich solche auch mittelbar. 2. Mittelbare positive A b s c h l u ß k o n t r o l l e a) Durch gesetzliche
Anordnungen
Fehlt eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung zum Vertragsabschluß, besteht aber gleichwohl die gesetzliche Intention, einen Vertragsabschluß herbeizuführen, spricht man von einem mittelbaren Abschlußzwang. Einen solchen üben die Vorschriften aus, die wie §§5, 11, 68 SchwbG die Nichteinsteilung bestimmter Personenkreise mit Sanktionen belegen. 8 Private u n d öffentliche Arbeitgeber, die über mindestens 16 Arbeitsplätze im Sinne von § 7 Abs. 1 S c h w b G verfügen, haben (zumindest) auf sechs P r o z e n t der Arbeitsplätze Schwerbehinderte zu beschäftigen. Die Beschäftigungspflicht korrespondiert nicht mit einem
hierungszwang gesprochen. Hönn, Kompensation, S. 185, spricht von einem indirekten Abschlußzwang, wenn die Notwendigkeit des Vertragsschlusses aus einer gesetzlichen Strafandrohung herrührt. 6 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §34 Rn.31. 7 Siehe weiterhin §5 Abs.2 PflVG, §§ 1 Abs.2 S.2, 23 Abs.l, 110 Abs. 1 SGB XI, §15 Abs.l S.l B N o t O , §61 UrhG, §2 StromeinspeisungsG. Vgl. ferner Kilian, AcP 180 (1980), 47, 53 f.; Staudinger/Bork, Vorbem zu §§ 145ff. Rn. 17; Bydlinski, AcP 180 (1980), 1, 9 Fn. 14. 8 EriK/Steinmeyer, §§5-12 SchwbG Rn.4; vgl. auch BVerfG NJW 1981, 2107. A.A. Erman/ Hefermehl, Vor § 145 Rn. 17, der im SchwbG einen gesetzlich festgelegten unmittelbaren Abschlußzwang sieht.
226
2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
Recht des Schwerbehinderten auf Einstellung. Das Schwerbehindertengesetz sieht die nach dem alten Schwerbeschädigtengesetz mögliche Zwangseinstellung durch Verfügung des Landesarbeitsamtes nicht mehr vor. Solange der Arbeitgeber die vorgeschriebene Zahl Schwerbehinderter nicht beschäftigt, hat er - verschuldensunabhängig - für jeden unbesetzten Pflichtplatz derzeit monatlich 200 DM zu entrichten, § 11 Abs. 2 S. 1 SchwbG. Die Zahlung der Ausgleichsabgabe hebt die Pflicht zur Beschäftigung Schwerbehinderter gemäß § 11 Abs. 1 S. 2 SchwbG nicht auf. Wer als privater Arbeitgeber jedoch vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 5 Abs. 1 SchwbG Schwerbehinderte nicht in gehöriger Zahl beschäftigt, begeht eine Ordnungswidrigkeit, die nach §68 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 3 SchwbG durch das Landesarbeitsamt mit einer Geldbuße bis zu 5000 DM geahndet werden kann. Sofern einem beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber vom Arbeitsamt Schwerbehinderte als Arbeitskräfte vorgeschlagen werden, kann der Arbeitgeber nicht mit dem Hinweis, er ziehe die Entrichtung der Ausgleichsabgabe vor, die Einstellung der Schwerbehinderten verweigern. Der Arbeitgeber kann jedoch die Arbeitsplätze anderweitig mit Schwerbehinderten besetzen, weil die Beschäftigungspflicht sich nicht auf bestimmte Schwerbehinderte bezieht. Die drohenden finanziellen Belastungen sollen den Arbeitgeber also mittelbar dazu bewegen, Schwerbehinderte einzustellen.9 Ein weiterer mittelbarer Kontrahierungszwang ergibt sich beispielsweise aus dem Zusammenspiel von § 3 5 Abs. 1 G W B mit § 2 6 A b s . 2 G W B . 1 0 Letztgenannte N o r m verbietet die unbillige Behinderung oder die gegenüber gleichartigen U n ternehmen sachlich nicht gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung, insbesondere durch Bezugs- oder Liefersperren. Unmittelbar zielt die Vorschrift auf die Vermeidung von Wettbewerbsbeschränkungen. Kann eine etwaige Diskriminierung nur durch den Abschluß eines Vertrages behoben werden, ist aus § 3 5 Abs. 1 i.V.m. § 2 6 A b s . 2 G W B ( § 3 3 i.V.m. § 2 0 Abs. 1 - 4 , 6 G W B n.F.) ein mittelbarer Kontrahierungszwang über die begehrte Leistung abzuleiten. 11 Die Beschränkung des Wettbewerbs zählt zu den typischen Gefahren, die der Vertragsfreiheit eigen sind. Ziel des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist es, die Vertragsfreiheit so zu begrenzen, daß sie sich nicht (partiell) selbst aufhebt. §26 Abs. 2 GWB (§20 Abs. 1—4, 6 GWB n.F.) dämmt die negative Abschlußfreiheit marktstarker Unternehmen und Unternehmensvereinigungen ein und will so den Schutz einzelner Wettbewerber wie den Schutz des Wettbewerbs als Institution erreichen.12 Die Einschränkung wird auferlegt, 9 Sogenannte Antriebsfunktion. Daneben dient die Ausgleichsabgabe auch dazu, die Kostenvorteile abzuschöpfen, die einem Arbeitgeber entstehen, der Schwerbehinderte nicht oder nicht ausreichend beschäftigt, und so einen Ausgleich für diejenigen finanziellen Belastungen (z.B. Entgeltfortzahlung während des Zusatzurlaubes, §47 SchwbG) zu schaffen, die anderen Arbeitgebern durch die Beschäftigung entstehen, sogenannte Ausgleichsfunktion. ErfK/Steinmeyer, §§5-12 SchwbG Rn. 1 ff.; Cramer, in: Münch. Hdb. z. ArbR 2, §229 Rn. 16; K.M. Dörner, in: Dörner/Luczak/Wildschütz, ArbR, B Rn. 101. 10 Neufassung des GWB zum 1.1. 1999, BGBl. 1998 I, S.2547, mit teilweise modifiziertem Anwendungsbereich und veränderter Numerierung: §33 GWB i.V.m. §20 Abs. 1-4,6 GWB. Bei der angegebenen Literatur und Rechtsprechung ist zu berücksichtigen, daß diese sich auf die Fassung des GWB vor dem 1.1. 1999 beziehen. 11 Einzelheiten bei Greiner, Kontrahierungszwang, passim; Markert, in: Immenga/'Mestmäkker, §26 GWB a.F. Rn.300ff. 12 Die Frage, ob allein der Wettbewerb als Institution Zielrichtung ist oder (auch/nur) die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit, bildet den Gegenstand zahlreicher Abhandlungen, vgl. nur Würdinger, WuW 1953, 721 ff.; Merz, Festschrift für Böhm, S.227ff.; zusammenfassend Rittner,
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
227
um die von besonderen Machtstellungen ausgehenden Beeinträchtigungen wettbewerblicher Betätigungsmöglichkeiten anderer Unternehmen in einer für die Funktionsfähigkeit dieser Ordnung erforderlichen Weise zu begrenzen. 13 Absicht ist also die Eingrenzung der negativen Abschlußfreiheit zu ihrer Bewahrung. Die Ausnutzung der vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierten Handlungsspielräume marktmächtiger Unternehmen zu Lasten Dritter soll vermieden werden. Das G W B soll die Freiheit des Wettbewerbs sicherstellen und wirtschaftliche Macht da beseitigen, wo sie die Wirksamkeit des Wettbewerbs und die ihm innewohnenden Tendenzen zur Leistungssteigerung beeinträchtigt und die bestmögliche Versorgung der Verbraucher in Frage stellt. Der Freiheit des Marktzugangs kommt besondere Bedeutung zu. 14 Es kommt nicht auf eine Herstellung wettbewerblicher Chancengleichheit auf den vor- und nachgelagerten Märkten im Sinne einer rigorosen »par conditio concurrentium« ohne Rücksicht auf die Wirkungen auf die »primary line competition« an. 15 Diese Intention und die europa- wie verfassungsrechtliche Verortung der Wettbewerbsfreiheit lassen nur verhältnismäßige Vorgaben zur Kontrahierungspflicht zu. Wettbewerbskonforme Verhaltensweisen sind zum Nachteil von Mitbewerbern rechtmäßig. 16 Unter Beachtung der Entscheidung für eine freiheitsbetonte Grundordnung ist daher stets sorgfältig abzuwägen, ob aus §26 Abs. 2 G W B (§20 Abs. 1-4, 6 G W B n.F.), der Schutzgesetz i.S.d. §35 Abs. 1 G W B (§33 G W B n.F.) zugunsten der unbillig behinderten und ungerechtfertigt unterschiedlich behandelten Unternehmen ist, 17 im Einzelfall mittelbar ein Anspruch auf Vertragsschluß abgeleitet werden kann. Sind die Voraussetzungen des §26 Abs.2 G W B (§20 Abs. 6 G W B n.F.) erfüllt, resultiert daraus regelmäßig ein Unterlassungsanspruch. Entsprechend der freiheitlichen Grundwertung ist nämlich dem Anspruchsgegner zu überlassen, wie er die Diskriminierung beseitigen will. Nur im Ausnahmefall konkretisiert sich die Pflicht auf einen Vertragsabschluß mit dem Diskriminierten. 18 Es handelt sich mithin im Grundsatz um eine mittelbare positive Abschlußkontrolle. Normadressaten sind nach Satz 1 des §26 Abs. 2 G W B (geänderte Zählung in §20 G W B n.F.) marktbeherrschende Unternehmen und erlaubte Kartelle i.S.d. §§ 2 - 8 , 9 9 Abs. 1 Nr. 1, 2, Abs. 2, § 100 Abs. 1, 7, §§102,102a, 103 G W B , preisbindende Unternehmen i.S.d. §§16, 100 Abs. 3 und § 103 Abs. 1 Nr. 3 G W B sowie nach Satz 2 Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen, soweit von ihnen kleine oder mittlere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder gewerblichen Leistungen in der Weise abhängig sind, daß für sie ausreichende und zumutbare Ausweichmöglichkeiten nicht bestehen. §26 Abs. 2 S.2
Wettbewerbsrecht, § 5 Rn. 48, m. weit. Nachw. in Fn. 69; zum Schutzobjekt des § 26 Abs. 2 GWB a.F. auch Markert, in: Immenga/Mestmäcker, §26 GWB a.F. Rn.69. 13 Müller/Gießler/Scholz, Wirtschaftskommentar, §26 GWB a.F. Rn.29; Markert, in: Immenga/ Mestmäcker, §26 GWB a.F. Rn. 52. 14 BGH NJW 1979, 2152, 2153 »Nordmende«; NJW 1972, 486, 487 »Vermittlungsprovision für Flugpassagen I«. 15 Markert, in: Immenga/Mestmäcker, §26 GWB a.F. Rn.71. §26 GWB a.F. enthält, insbesondere aufgrund des Kriteriums des sachlichen Grundes eine flexible Regelung, die den im Einzelfall divergierenden wettbewerbsrechtlichen Auswirkungen Rechnung trägt. 16 Vgl. Markert, Wettbewerberbehinderung, S.23f. 17 Ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGHZ 36,91,100 »Gummistrümpfe«; BGHZ 49,90,98 »Jägermeister«; Emmerieb, in: Immenga/Mestmäcker, §35 GWB a.F. Rn. 60. 18 Streitig ist, ob der Kontrahierungszwang als Schadensersatz durch Naturalrestitution i.S.d. §249 S. 1 BGB zu deuten ist, so v.a. der BGH NJW 1976, 801, 803 »Rossignol«; WuW/E BGH 1629,1634 »Modellbauartikel II«; der Ansatz des BGH hat vielfältige Kritik erfahren, vgl. Belke, Geschäftsverweigerung, S.423ff.; Kilian, ZHR 142 (1978), 453,481. Stellungnahme sogleich unter c) aa (S.230ff.).
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
G W B (§20 Abs.2 G W B n.F.) erfaßt »relative Marktmacht«. 19 Sie kann sich aus nachfragebedingter Abhängigkeit ergeben, 20 also daraus, daß ein kleines oder mittleres Unternehmen auf die Abnahme seiner Waren durch einen Nachfrager angewiesen ist, wofür durch die vierte GWB-Novelle in Satz 3 (§20 Abs. 2 S. 2 G W B n.F.) eine Abhängigkeitsregelung aufgenommen wurde. Dafür, ob das abhängige Unternehmen in den Kreis der kleinen und mittleren Unternehmen fällt, ist darauf abzustellen, wie das Größenverhältnis des abhängigen Unternehmens zu dem relativ marktstarken Unternehmen ist. 21 Eine Abhängigkeit ist nicht bereits deshalb anzunehmen, weil es nicht gelingt, mögliche vertragliche Beziehungen zu anderen aufzunehmen. 22 Eine knappheitsbedingte Marktmacht ergibt sich, wenn in einer Situation nicht vorhersehbarer Verknappung durch plötzlichen Ausfall von Liefermöglichkeiten nicht zu konkurrenzfähigen Bedingungen auf andere Lieferanten ausgewichen werden kann. 23 Eine sogenannte unternehmensbedingte Abhängigkeit ist unter Umständen anzunehmen, wenn die Geschäftstätigkeit dermaßen auf einen Vertragspartner ausgerichtet ist, daß ein Wechsel mit erheblichen Wettbewerbsnachteilen verbunden wäre. 24 Eine Abhängigkeit aus sortimentsbedingten Gründen ist anzunehmen, wenn der Abnehmer auf die Ware angewiesen ist, um ein angemessenes, zur Herstellung und Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit erforderliches Sortiment anbieten zu können und keine ausreichenden und zumutbaren Ausweichmöglichkeiten existieren. 25 Sie ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil auf dem betreffenden Markt wesentlicher Wettbewerb besteht und eine größere Zahl von Unternehmen gleichartige Waren vertreibt. 26 Ist die betreffende Ware so bedeutend, daß ihr Fehlen im Angebot eines Handelsunternehmens zu einem Ansehensverlust und einer gewichtigen Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens führt, 27 kann sich nach Abwägung aller Umstände ein Anspruch auf Vertragsschluß ergeben, 28 wenn es sich um einen gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglichen Geschäftsverkehr handelt 29 und einer der zwei Diskriminierungstatbestände (Behinderung, unterschiedliche Behandlung) gegeben ist. §26 Abs. 3 G W B (§20 Abs. 3 G W B n.F.) nennt als Diskriminierungstatbestand die Veranlassung zur Gewährung von Vorzugsbedingungen ohne sachlich gerechtfertigten Grund. Eine Diskriminierung läßt sich jeweils nur im Einzelfall unter Abwägung der Interessen der Beteiligten und »unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes« 30 ermitteln. 31 Unmittelbar Beteiligte im Sinne der Interessenabwägung sind dabei einerseits das Hefermebl, GRUR 1975, 275, 277; Ulmer, BB 1975, 661, 666. Z.B. BGH WuW/E BGH 2683, 2685 »Zuckerrübenanlieferungsrecht«. 21 BGH WuW/E BGH 2875, 2877ff. »Herstellerleasing«. 22 KG WuW/E O L G 4566, 4567 »Messevertragsspediteure«. 23 Z.B. KG WuW/E O L G 1499, 1502 »AGIP II«. 24 Z.B. BGH WuW/E BGH 2875, 2877 »Herstellerleasing«. 25 BGH WuW/E BGH 1620, 1622 »Revell Plastics«; KG WuW/E O L G 3288 »Rohrnetzarmaturen«. 2 6 BGH WuW/E BGH 1567, 1568 »Nordmende«. 27 Vgl. BGH WuW/E BGH 1885, 1886 »adidas«; WuW/E BGH 1429, 1431 »Asbach-Fachgroßhändlervertrag«. 28 BGH WuW/E BGH 2805, 2811 »Stromeinspeisung«; WuW/E BGH 886, 892 »Jägermeister«. 2 9 Es kommt darauf an, ob die verglichenen Unternehmen im Privatrechtsverkehr gleichartige Funktionen ausüben. Die Zugänglichkeit zum angestrebten Geschäftsverkehr ist nicht an der Übung des Unternehmens zu messen, sondern daran, »was sich innerhalb der in Betracht kommenden Kreise in natürlicher Entwicklung als allgemein geübt und als angemessen empfunden herausgebildet hat.« BGH WuW/E BGH 2805, 2807 »Stromeinspeisung«. 30 BGH WuW/E BGH 1629, 1632 »Modellbauartikel II«. 31 H.M., vgl. Belke, Geschäftsverweigerung, S.335ff.; Langen/Niederleithinger/Schmidt, §26 19
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6. Kapitel: Die Vertragskontrollvarianten
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behindernde oder unterschiedlich behandelnde Unternehmen und andererseits das von ihm unmittelbar oder mittelbar behinderte oder sachgrundlos unterschiedlich behandelte Unternehmen. Die mannigfaltigen Umstände des Einzelfalles sowie die gegenseitigen Abhängigkeiten der Kriterien und Maßstäbe lassen sich durch das flexible System des Zusammenspiels von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle sortieren, kanalisieren und so für die Praxis handhabbar machen. 32 Im Grundsatz gilt: Je marktmächtiger der Behindernde ist, um so schutzwürdiger ist der andere, wobei dem Normadressaten des Verbots grundsätzlich die Freiheit bleibt, seine Vertriebs- und Bezugswege nach eigenem Ermessen zu gestalten und Verträge nach eigenem Gutdünken abzuschließen. 33 In die Abwägung mittels komparativer Sätze können nur Interessen eingestellt werden, die nicht auf einen gesetzeswidrigen Zweck zielen oder gegen gesetzliche Wertungen, insbesondere des GWB und des UWG, verstoßen. Erheblich ist, ob bzw. inwieweit es sich bei der Maßnahme des marktstarken Unternehmens um eine grundsätzlich hinzunehmende, von der negativen Abschlußfreiheit gedeckte Entscheidung handelt, oder ob die von der Maßnahme ausgehenden wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen so schwerwiegend sind, daß die Wettbewerbsfreiheit ein Eingreifen der Rechtsordnung notwendig erscheinen läßt. 34 b) Mittels Analogie
zu gesetzlichen
Vorgaben
N u r selten in Betracht kommt die Begründung eines Kontrahierungszwanges aufgrund Analogie, die die Übertragung der Rechtsregel eines normierten Tatbestandes auf einen ähnlichen, aber v o m Gesetzgeber nicht bedachten Tatbestand ermöglicht. 35 In der Form der Rechtsanalogie scheidet sie vollständig aus. A l s G e setzesanalogie ist sie nur in Einzelfällen denkbar. Rechtsanalogie bezieht sich auf mehrere Rechtssätze, die an verschiedene Tatbestände die gleiche Rechtsfolge knüpfen, und entnimmt ihnen einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der den nicht statuierten Tatbestand erfaßt, weil der Rechtsgedanke auf ihn in demselben Maße zutrifft wie auf die geregelten Konstellationen. Die spezialgesetzlichen Regelungen zur Abschlußkontrolle beruhen auf divergierenden Wertungen und Zweckerwägungen; das zeigen die einzelnen ausdrücklichen Vorschriften. Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, der den Maßstab f ü r die K o r r e k t u r von Fehlfunktionen der Austauschordnung rechtlich konkret beschreibt, läßt sich nicht bestimmen. Eine umfassende Analogie als Grundlage positiver Abschlußkontrolle kann außerdem methodisch nicht gerechtfertigt werden, weil die N o r m e n inhaltlich keine verallgemeinerungsfähige Aussage formulieren. Das resultiert zwar nicht allein aus der GWB a.F. Rn. 162, 185; Marken, in: Immenga!Mestmäcker, §26 GWB a.F. Rn.196; ständige Rechtsprechung, BGHZ 38, 90, 102 »Treuhandbüro«; BGHZ 81, 322, 331 »Original-VW-Ersatzteile II«; WuW/E BGH 2584, 2588 »Lotterievertrieb«; kritisch (»amorphe Billigkeitsklausel«) Luke5, BB 1986, 2074ff. 32 Allgemein zum flexiblen System im 5. Kapitel (S.205ff.). 33 Vgl. BGH WuW/E BGH 1211,1215 »Kraftwagen-Leasing«; BGHZ 36, 91,102 »Gummistrümpfe«. 34 Ausführlich zum Zusammen- und Widerspiel der einzelnen Aspekte Markert, in: Immenga/Mestmäcker, §26 GWB a.F. Rn. 196ff., m. zahlr. weit. Nachw. 35 Allgemein Larenz, Methodenlehre, S.381 ff.; Sauer, Methodenlehre, S.310ff.; Zippelius, Methodenlehre, §11 II.
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
partikularen gesetzlichen Ausdrucksweise. Denn nicht selten normiert ein vordergründig als Ausnahme formulierter Rechtssatz (wie §285 BGB) eine erst im Zusammenhang erkennbare, für bestimmte Bereiche allgemeingültige Aussage. N u r dort, wo der Sache nach eine Ausnahmekonstellation festgestellt wird, darf durch Analogie die ursprüngliche Regelungsabsicht des Gesetzgebers nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden. Abzustellen ist dabei nicht auf die formale Einordnung als Ausnahmenormierung, maßgebend ist, daß die N o r m für einen eng begrenzten Bereich mehrerer gleichliegender Fälle eine Verschiedenbehandlung anordnet. 36 So liegt es bei den in zahlreichen Einzelmaterien verstreuten Kontrahierungsanordnungen. Sie regeln eine sachliche Sonderkonstellation mit variierenden Anknüpfungspunkten und Zweckerwägungen. Eine Gesamtanalogie scheidet aus.37 Ist den Normen kein allgemeines Prinzip zu entnehmen, so schließt das nicht aus, daß einer Anordnung ein ähnlicher Fall entspricht und deshalb eine Gesetzesanalogie im Einzelfall in Betracht kommt. Dem Tatbestand einzelner gesetzlicher Normen können unter Umständen einzelne Sachverhalte gleichen. Insoweit kann eine analoge Anwendung also möglich sein.38 c) Nach allgemeinen Vorschriften, insbesondere § 826 BGB aa) Dogmatische
Konstruktion
Darüber hinaus kann eine mittelbare positive Abschlußkontrolle aus den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften methodisch begründet werden. 39 Über das Ergebnis besteht weitgehend Einigkeit. Ungeklärt sind die Anknüpfungspunkte und Voraussetzungen sowie die inhaltliche Ausgestaltung des Kontrahierungszwanges. Die Rechtsprechung tritt für eine unmittelbare Anwendung des § 826 BGB ein, wobei die Meinungen darüber auseinander gehen, ob der Schaden in Form der Naturalherstellung (§249 BGB) 40 zu ersetzen ist oder ob durch Schadensersatzzahlung nur indirekt Druck zum Abschluß eines Vertrages ausgeübt
36 Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S.440; Larenz, Methodenlehre, S. 356; Müller, Methodik, S. 21 Off.; Pawlowski, Methodenlehre, Rn.489; B G H N J W 1989,227, 460,461; B G H Z 26, 78, 83. 37 Soergel/Wolf, Vor §145 Rn. 106; Nipperdey, Kontrahierungszwang, S. 8; Bezzenberger, AcP 196 (1996), 395, 405 Fn.70; Bydlinski, AcP 180 (1980), 1, 43f.; Kilian, AcP 180 (1980), 47, 53ff.; a.A. Larenz, Schuldrecht I, §4 Ia; Kramer, in: MünchKommBGB, Vor § 145 Rn. 14; Palandt/Heinrichs, Einf. v. § 145 Rn. 10. 38 Zu Recht hat der B G H deshalb in seiner Entscheidung vom 18.4. 1974 den Kontrahierungszwang einer Flughafenbetreiberin in Gesetzesanalogie aus den insoweit entsprechenden verkehrsrechtlichen Kontrahierungsnormen abgeleitet, B G H NJW 1974, 1903, 1904; zustimmend Bydlinski, AcP 180 (1980), 1, 43. 39 Kilian, AcP 180 (1980), 47, 56ff. 40 Die Konstruktion über §249 S. 1 BGB beruht auf der Überlegung, daß derjenige, der sich wegen einer Vertragsverweigerung schadensersatzpflichtig gemacht hat, den Zustand herzustellen hat, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Da die Vertragsverweigerung das Zustandekommen eines Vertrages verhindert hat, ist folglich nach dieser Sichtweise der Zustand ohne schädigendes Ereignis herzustellen, kurzum der Vertrag zu schließen.
6. Kapitel: Die
231
Vertragskontrollvarianten
wird. 4 1 D i e Lösung über einen wie auch immer ausgestalteten Schadensersatzanspruch vermag einen in die Zukunft wirkenden Abschlußzwang nicht zu rechtfertigen. Soll einer künftig zu erwartenden Vertragsverweigerung entgegengetreten werden, scheidet mangels Schadenseintritts ein Schadensersatzanspruch per se aus. 42 E s geht um Schadensverhütung, nicht u m Schadensbeseitigung. N o t w e n d i g ist eine Lösung, die eine gegenwärtige Teilhabe und die A b w e h r künftiger Vertragsverweigerungen sicherstellt. Sie muß einen Anspruch auf Schutz vor künftigen Beeinträchtigungen bieten, der den quasinegatorischen U n terlassungs- und Beseitigungsansprüchen verwandt ist. 43 Es handelt sich um eine dem Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch vergleichbare Anspruchsform. D i e Bezeichnung als Unterlassung paßt nicht, da aktives Tun in Frage steht. Diese terminologische Ungenauigkeit zeigt sich deutlich bei dem Ausdruck »Anspruch auf Unterlassung der Vertragsverweigerung«. Beseitigung wiederum besagt, daß ein störender Zustand durch eine Handlung behoben wird. Störung und H a n d lung sind zwei unterschiedliche Komponenten, 4 4 während bei der Frage des K o n trahierungszwanges der zu beseitigende Zustand und die Handlung einander entsprechen. D e r zu beseitigende Zustand besteht in dem Fehlen der Handlung. 4 5 E s geht folglich nicht um die Beseitigung eines Zustandes, sondern um die Vornahme einer Handlung. D i e Tatsache, daß die Handlung, nämlich der Vertragsschluß, bisher ausgeblieben ist, beschreibt den Anlaß des Anspruches. E i n e derartige vorbeugende Klage mit regelmäßig positivem Endziel 4 6 hat zudem den Vorteil, kein Verschulden vorauszusetzen. Das Verschuldenskriterium paßt nämlich für diese Fälle nicht, weil die Beseitigung der Diskriminierung regelmäßig nicht v o m Verschuldensfaktor abhängen kann. Die Existenz eines derartigen Anspruches ergibt sich mittelbar aus §§ 12 S . 2 , 862 Abs. 1 S . 2 , 1 0 0 4 Abs. 1 S. 2 B G B , § 3 7 Abs. 2 S. 1 H G B , § 13 Abs. 1 A G B G , §§ 1, 3, 6a, b U W G oder auch aus § 9 7 Abs. 1 U r h G und § 128 M a r k e n G , denen der allgemeine Rechtsgedanke eines defensiven Rechtsschutzes gegenüber jedem rechtswidrigen Eingriff in eine fremde Rechtssphäre zu entnehmen ist, sowie dem Umstand, daß nur so einer drohenden Verletzung eines Rechtsgutes entgegengetreten und ein Schaden verhindert werden
kann. D i e präventive verschuldensunabhängige
Form
des
41 Zu diesen Ansätzen BGH NJW 1980,186; BGHZ 63,282,284f.; RGZ 155,257,284ff.; 148, 326, 334; 133, 388, 392; 132, 273, 276; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §34 Rn.35; Hackl, Vertragsfreiheit, S.28. Die vielfältige Kritik an diesen Ableitungen hat zu Zurückhaltung in der neueren Rechtsprechung geführt, vgl. BGH NJW 1990, 761, 762, wo die Anspruchsgrundlage nunmehr offengelassen wird. 42 Belke, Geschäftsverweigerung, S.423; zustimmend Bydlinski, AcP 180 (1980), 1, 10 (Fn. 17), 11; Bezzenberger, AcP 196 (1996), 395, 428. 43 Im einzelnen Nipperdey, Kontrahierungszwang, S. 96ff.; Bydlinski, AcP 180 (1980), 1, 11 ff.; Kilian, AcP 180 (1980), 47, 82. 44 Treffend Bydlinski, AcP 180 (1980), 1, 12. 45 Bydlinski insoweit zustimmend Kramer, in: MünchKommBGB, vor § 145 Rn. 13 (»unterstützenswerte Auffassung«); in diese Richtung auch Picker, Beseitigungsanspruch, S. 43 f. 46 Siehe Bydlinski, AcP 180 (1980), 1, 13.
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2. Teil: Leitlinien
einer
Freiheitsbegrenzung
Rechtsgüterschutzes praeter legem ist allgemein anerkannt. 47 Einer deliktsrechtlichen N o r m über die Verpflichtung zum Schadensersatz ist argumentum a maiore ad minus zugleich ein Anspruch auf Schutz vor Eingriffen in die deliktisch geschützte Rechtsposition zu entnehmen. Aus § 826 B G B kann deshalb ein vorbeugender Unterlassungsanspruch hergeleitet werden; 48 er rechtfertigt unter U m ständen einen Anspruch auf Vertragsschluß. Damit ergibt sich die Anspruchssystematik, daß ein aufgrund Abschlußverweigerung eingetretener Schaden bei Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen verschuldensabhängig nach § 8 2 6 B G B zu erstatten ist, während sich der in die Zukunft gerichtete Abschlußzwang mittelbar als verschuldensunabhängiger quasinegatorischer positiver Handlungsanspruch aus §826 B G B ableiten läßt. 49 bb)
Voraussetzungen
Der Anspruch auf Kontrahierung ist von den üblichen Voraussetzungen des mittelbar herangezogenen § 826 B G B mit Ausnahme des Verschuldenserfordernisses abhängig. Das Sittenwidrigkeitskriterium wird zunächst im Sinne des willkürlichen und mißbräuchlichen Ausnutzens einer Monopolstellung verstanden, 50 wobei unklar ist, ob und, wenn ja, mit welchem Gewicht die Interessen des potentiellen Vertragspartners hinzutreten müssen, um eine Abschlußpflicht zu bejahen. 51 Hinzu kommen, von Fall zu Fall variierend, Erwägungen der Versorgung mit lebensnotwendigen Leistungen, der Marktstärke, der zumutbaren Ausweichmöglichkeiten und der objektiv erforderlichen Bedarfsdeckung im Rahmen einer normalen Lebensführung eines Durchschnittsmenschen. 5 2 Der Stellenwert des M o nopolgedankens hat zunehmend an Bedeutung verloren. Die Abkehr vom M o nopolkriterium mündet in den Vorschlag, einen Kontrahierungszwang bereits dann anzunehmen, wenn jemand einen Rechtsverkehr eröffnet hat und die Vertragsablehnung sachlich nicht begründen kann. 53 Diese Sichtweise verkennt die Reichweite der Abschlußfreiheit, die es in ihrer negativen Ausprägung den Privatrechtssubjekten freistellt, ohne Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen 4 7 Ein rechtswidriger Eingriff in ein deliktisch geschütztes Rechtsgut begründet einen verschuldensunabhängigen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch, Baur/Stürner, Sachenrecht, §12 I; Staudinger/Schäfer, Vorbem. zu §§823ff. Rn.46; Mertens, in: MünchKommBGB, §823 Rn. 63; umfassend Hohloch, Ansprüche, passim. 48 Mertens, in: MünchKommBGB, § 826 Rn. 85f.; Soergel/Hönn, § 826 Rn. 92; Bezzenberger, AcP 196 (1996), 395,429. 4 9 Näher zu den Voraussetzungen eines derartigen Anspruches und zu der prozeßrechtlichen Umsetzung sogleich. 50 Flume, Rechtsgeschäft, §33, 6; Nipperdey, Kontrahierungszwang, S.63ff.; B G H ZIP 1994, 1274, 1276. 51 Betonung der Monopolstellung in R G Z 155,257; 132,273; 81,316; unter (Mit-)Berücksichtigung der Interessen- und Abhängigkeitslage der potentiellen Kunden R G Z 143, 24; 106, 386; 103, 82. 52 Überblick zu den einzelnen Erwägungen m. Nachw. bei Staudinger/Bork, Vorbem. zu §§ 145ff. Rn.21. 53 Tilmann, Z H R 141 (1977), 32, 74ff.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
233
Wertungen in Art. 3 Abs. 1 GG über das »Ob« eines Vertragsschlusses zu entscheiden. Ungleichbehandlungen spielen im Privatrechtsverkehr in der Regel keine Rolle, denn Private sind grundsätzlich nicht wie der Staat zur Gerechtigkeit im Sinne unparteiisch gleichmäßigen Handelns verpflichtet. Privatautonomie ist gerade dadurch gekennzeichnet, daß die Personen selbst und willkürlich darüber entscheiden können, ob sie Rechtsbeziehungen miteinander eingehen wollen oder nicht. 54 Anderenfalls wären Rechtsgeschäfte, die gleiche Sachverhalte ohne sachlichen Grund ungleich behandeln, rechtswidrig, die Privatautonomie würde in weiten Teilen beseitigt. 55 Erst recht ist Willkür nicht mit Sittenwidrigkeit im Sinne des §826 BGB gleichzusetzen. Ungleichbehandlung überschreitet die Grenze der Sittenwidrigkeit nur in besonders gelagerten Fällen, nämlich wenn zu der willkürlichen Entscheidung über den Vertragspartner noch weitere Umstände hinzutreten. Das kann a n z u n e h m e n sein, w e n n die Ungleichbehandlung auf rassistische Motive zurückz u f ü h r e n ist. Die allgemeine Weigerung, Ausländer in eine Gaststätte einzulassen, kann beispielsweise nicht mehr als zwar unsachlich und intolerant, aber noch von der negativen Abschlußfreiheit gedeckt angesehen werden. Die Sittenwidrigkeitsgrenze wird überschritten. Einzustellen in die Bestimmung der Sittenwidrigkeit sind jedenfalls wertende G r u n d entscheidungen der Rechtsordnung. 5 6 Im Zuge der A b w ä g u n g sind die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen in Art. 1 und Art. 3 Abs. 3 G G zu berücksichtigen. Rassistische Diskriminierungen drücken ein die M e n s c h e n w ü r d e in erheblichem M a ß negierendes U n werturteil aus u n d sind deshalb sittenwidrig. 5 7 Eine andere Frage ist, ob auf eine sittenwidrige Diskriminierung mit Schadensersatzansprüchen zu reagieren 5 8 oder lediglich ein K o n trahierungszwang anzunehmen 5 9 ist. Zutreffend ist w o h l die Differenzierung zwischen einem repressiven u n d einem präventiven Ansatz. F ü r eine bereits getätigte, zeitlich z u r ü c k liegende sittenwidrige Diskriminierung ist als Sanktion Schadensersatz aufgrund einer u n mittelbaren A n w e n d u n g des § 826 B G B zu leisten, w ä h r e n d als Prävention ein quasinegatorischer, mittelbar aus § 826 BGB abzuleitender A n s p r u c h in Betracht k o m m t .
Sind die Grenzpunkte damit fixiert - Unzulässigkeit einer auf eine Monopolstellung hinsichtlich lebensnotwendiger Güter zurückgehenden Vertragsverweigerung einerseits und Zulässigkeit einer von sachlicher Rechtfertigung unabhängigen und nur von eigenen Vorstellungen determinierten Vertragspartnerwahl andererseits kann sich für dazwischenliegende Sachverhalte die Lösung nicht auf den lapidaren Hinweis auf die notwendige Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalles beschränken. 60 Eine konturen- und (weitgehend) kriterienlose Abwägung führt zu Rechtsunsicherheit und ist rechtsstaatlich bedenklich. Die Vor54
Vgl. F. v. Hippel, Problem, S.61f., und die Nachw. im 2. (S.43ff.) und 3. Kapitel (S.69ff.). Mikat, Festschrift für Nipperdey, S.581, 593f. 56 Allgemeine Meinung, vgl. nur Palandt/Heinrichs, § 138 Rn. 3, sowie die Nachw. im 3. Kapitel (S.69ff.). 57 Vgl. Otto, Freiheit, S. 139ff.; Bezzenberger, AcP 196 (1996), 395ff., jeweils m. weit. Nachw. 58 Canaris, AcP 184 (1984), 201,243 (»Schmerzensgeldanspruch analog § 847 BGB«); Kühner, NJW 1986, 1397, 1401. 59 Staudinger/Bork, Vorbem. zu §§ 145ff. Rn. 24. 60 So aber z.B. B G H N J W 1990, 761, insbes. 762f. 55
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
aussetzungen eines Kontrahierungszwanges sind zu konkretisieren und entsprechend dem flexiblen System in ihrem Zusammen- und Widerspiel zu präzisieren. Ausgangspunkt hat die Monopolstellung in bezug auf lebensnotwendige G ü ter zu sein. Dieses Element kann schon für sich alleine eine Abweichung vom Grundsatz negativer Vertragsabschlußfreiheit rechtfertigen, wenn es in entsprechender Ausprägung verwirklicht ist. G r u n d ist das Zusammentreffen von überragender Marktmacht mit dem Versorgungsaspekt. Sind diese anerkannten Voraussetzungen nicht oder nicht in ausreichendem M a ß erfüllt, ist zur Annahme eines Abschlußgebots die Verbindung mit einem oder mehreren anderen Elementen notwendig. J e schwächer die Marktstärke und je geringer die Bedeutung der Leistung für den Nachfragenden sind, desto ausgeprägter haben zusätzliche Kriterien für einen Kontrahierungszwang zu streiten. Das besondere Unwerturteil hat in seinem Grad der Grundstruktur zu gleichen. Relevant ist eine derartig verfestigte Marktposition, daß der Anbieter (zumindest) gegenüber einzelnen Interessenten von geschäftlichen Erklärungen absehen kann, während der Vertragspartner ohne zumutbare Ausweichmöglichkeiten bei einer wesentlichen Bedarfsbefriedigung auf die Leistungen des Vertragsnegierenden angewiesen ist, weil dieser der einzige erreichbare Anbieter ist oder weil sich alle potentiellen Anbieter gleichermaßen abweisend verhalten. Zu den im R a h m e n der Parallelwertung berücksichtigungsfähigen Wertungen zählen neben der wirtschaftlichen Macht, der Versorgungsaufgabe und den zumutbaren Ausweichmöglichkeiten insbesondere auch die Funktionsfähigkeit der Wettbewerbsordnung, der Grad der existentiellen Bedeutung des in Frage stehenden Rechtsgutes, die Reichweite einer etwaigen sachlichen Begründung für das Unterlassen des Vertragsschlusses und verfassungsrechtliche Aspekte. D i e Bedeutung der Grundrechte 6 1 und die tragenden verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen wie der Sozialstaatsgrundsatz sind in die Abwägung ebenfalls einzustellen. D i e seit langem geführte Diskussion, ob ein Unterlassen der Annahmeverweigerung nur bei N o t b e d a r f oder auch bei Normalbedarf oder sogar bei Luxusgütern durchsetzbar ist, 62 verliert nach der hier vertretenen Auffassung an Schärfe; denn eine allgemeingültige Aussage scheidet aus. Es k o m m t im konkreten Fall darauf an, o b die Bedeutungslosigkeit für die Lebensführung durch andere Umstände k o m pensiert wird. So erscheint es unter Umständen denkbar, einen Kontrahierungszwang anzunehmen, wenn ein besonders mächtiges U n t e r n e h m e n ein konkurrenzfreies Luxusprodukt anbietet, ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, 61 Vgl. dazu die Theaterkritiker-Entscheidung des Reichsgerichts in RGZ 133, 388, in der das RG nach Abwägung der Umstände einen Abschlußzwang für einen mißliebigen Theaterkritiker verneinte. Nach heutiger Rechtslage zu Unrecht - hier sind im Rahmen der Gesamtabwägung Meinungs-, Presse- (Art. 5 GG) und Berufsfreiheit (Art. 12 GG) in die Überlegungen einzubeziehen; danach wird, trotz verfassungsrechtlich verbürgter negativer Abschlußfreiheit, ein Kontrahierungszwang anzunehmen sein. Wie hier Larenz, Schuldrecht I, §4 Ia; Palandt/Heinrichs, Einf v § 145 Rn. 10; a.A. Eidenmüller, NJW1991,1439,1441. Zur Wirkung von Grundrechten im Privatrechtsverhältnis im 3. Kapitel (S. 69ff.). 62 Überblick zum Meinungsstand bei Staudinger/Bork, Vorbem. zu §§ 145ff. Rn.21; Bydlinski, AcP 180 (1980), 1, 37f. (Nachw. in Fn.58); Hackl, Vertragsfreiheit, S.29f.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
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auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen und auch ansonsten kein sachlicher Grund existiert, dem Nachfrager das Produkt nicht zur Verfügung zu stellen. Dies kann zum Beispiel deshalb der Fall sein, weil ein Unternehmer einen bestimmten Geschäftswillen ad incertas personas geäußert hat und dieser Grundlage von generellen Erwartungen anderer Verkehrsteilnehmer wird, indem er seine Güter oder seine Dienstleistungen allgemein und öffentlich anbietet.63 Hier besteht - von Sonderfällen abgesehen - kein Anlaß, dem Nachfrager den Vertragsabschluß zu verweigern. Entscheidend ist allein, ob die Ausübung der negativen Abschlußfreiheit im Einzelfall mit der Rechts- und Sittenordnung vereinbar ist oder nicht. cc) Inhaltliche
Ausgestaltung
Den Kontrahierungszwang hat Mestmäcker zu Recht als »schärfsten Eingriff« 64 in die Vertragsfreiheit bezeichnet. Die rechtliche Anordnung, ein Vertragsangebot anzunehmen, greift nicht nur in die Abschlußfreiheit ein, sondern berührt zugleich die Inhaltsfreiheit. Bloßer Abschlußzwang ohne inhaltliche Konkretisierung hilft nämlich nicht weiter; der nachfragenden Seite kommt es gerade auf eine konkrete Vertragsgestaltung an. Bliebe die Inhaltsfreiheit unangetastet, könnte der Verpflichtete den Vertragsinhalt durch exorbitante Forderungen dergestalt zu seinen Gunsten beeinflussen, daß die Durchführung des Vertrags illusorisch erscheinen würde. Der Begriff Kontrahierungszwang meint also zweierlei: zum einen die einem Rechtssubjekt »ohne seine Willensbildung im Interesse eines Begünstigten auferlegte Verpflichtung, mit diesem einen Vertrag abzuschließen« 65 , zum anderen die Pflicht, den Vertrag zu angemessenen Bedingungen zu schließen.66 Angemessen sind die Leistungsbestimmungen, die der Anbieter in allen übrigen Fällen gegenüber vergleichbaren Nachfragern verwendet, da es anderenfalls zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung käme.67 Der Verpflichtete hat sich so zu verhalten, wie ein unter Wettbewerbsbedingungen stehender Marktteilnehmer in dieser Situation im wohlverstandenen Eigeninteresse handeln würde.68 Auf die Leitbildfunktion des dispositiven Rechts ist bei der Bestimmung des Vertragsinhalts deshalb grundsätzlich nicht abzustellen. Von den abdingbaren Vorschriften des Gesetzes wird im Wirtschaftsverkehr regelmäßig abgewichen. Nur dort, wo eine praktizierte Übung des Anbieters oder eine solche bei vergleichbaren Unternehmen nicht feststellbar ist, kann auf das dispositive Recht rekurriert werden. 69 In die Parallelwertung einzubeziehen sind nur Am Rechtscharakter einer invitatio ad offerendum ändert diese Einschätzung nichts. Mestmäcker, J Z 1964, 441, 443. 65 Nipperdey, Kontrahierungszwang, S. 7. 66 Bydlinski, AcP 180 (1980), 1, 5; Hueck, Grundsatz, S.79; Kilian, AcP 180 (1980), 47, 77; Nipperdey, Kontrahierungszwang, S.31; Kaiser, Z H R 111 (1948), 75, 88. 6 7 B G H N J W - R R 1991, 408, 409. 6 8 Vgl. Mestmäcker, J Z 1964, 441, 444f. 6 9 A.A. Manfred Wolf, der dem »unterlegenen Vertragsteil« ein Abschlußrecht unter den Bedingungen des abdingbaren Rechts zugestehen möchte, J Z 1976, 41 ff.; kritisch Tilmann, Z H R 141 (1977), 32, 78f. 63 64
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
die ähnlichen Unternehmen, weil die v o m Anbieter selbst vorgenommenen D i f ferenzierungen beispielsweise zwischen G r o ß k u n d e n und Einzelabnehmern auf die Einschränkung der negativen Abschlußfreiheit zu übertragen sind. D i e inhaltliche Gestaltungsfreiheit darf nur im unumgänglich notwendigen M a ß eingeengt werden; dem in anderen Fällen zum Ausdruck gebrachten Willen ist R e c h nung zu tragen. Preise, Lieferbedingungen oder Lieferfristen richten sich nach den Gepflogenheiten des betroffenen Anbieters. Allgemeine Geschäftsbedingungen werden also auch bei einem Vertragsschluß im Wege des Abschlußzwanges Vertragsgegenstand. D i e Orientierung an der Geschäfts- und Verkehrsüblichkeit entspricht darüber hinaus dem Erfordernis inhaltlicher Äquivalenz hinsichtlich des Inhalts des Rechtsverhältnisses. Marktgemäße Üblichkeit bedeutet in der R e gel Äquivalenz. 7 0 Bei einem Vertragsschluß infolge eines Kontrahierungszwanges k o m m t es in der Praxis häufig lediglich zu einer teilweisen vertraglichen Einigung. Diesem Umstand ist gegebenenfalls bei der Anwendung von § 154 B G B Rechnung zu tragen. D i e teleologische Reduktion spricht dafür, hier einen Vertrag entgegen der Auslegungsregel im Zweifel als gültig zu beurteilen. 7 1 A u c h eine rudimentäre E i nigung der Parteien, die sich lediglich auf Qualität und Quantität der Leistung bezieht, leistet die notwendige Konkretisierung des Vertragsinhaltes. Bei der B e stimmung der Vertragslücken ist zu differenzieren: Begehrt der Offerent Leistung, ist es grundsätzlich an ihm, die Leistung zu spezifizieren. Erst seine Erklärung ermöglicht es dem Verpflichteten und gegebenenfalls dem Gericht zu beurteilen, ob sich das Begehren im R a h m e n der Kontrahierungspflicht hält. 7 2 Relevant wird das Problem der Teileinigung vor allem hinsichtlich der Gegenleistung. D e r B G H hat in einer Entscheidung das Preisbestimmungsrecht nach billigem Ermessen dem Anbieter analog § 3 1 5 B G B zugeordnet. D e n Schutzerfordernissen der berechtigten Belange des Offerenten werde damit Genüge getan, daß bei entsprechender Anwendung des § 315 Abs. 3 B G B die einseitige Preisfestsetzung des Anbieters nur verbindlich sei, wenn sie der Billigkeit entspreche. 7 3 D a z u ist folgendes zu bemerken: Zu bezahlen ist der kundenübliche, bei vergleichbaren Verträgen regelmäßig geforderte Preis. A u f ein Bestimmungsrecht wird es deshalb häufig nicht ankommen. Anders liegt es, wenn zum Beispiel streitig ist, ob der Offerent zur Kategorie der G r o ß a b n e h m e r gehört oder welche Mengenrabatte im Einzelfall eingeräumt werden. D i e Z u g - u m - Z u g - R e g e l des § 3 2 0 Abs. 1 S. 1 B G B macht die Festsetzung einer zumindest vorläufigen Gegenleistung notwendig - mag die endgültige Klärung der Summe auch einem späteren R ü c k - oder Nachzahlungsprozeß vorbehalten bleiben. Es dreht sich mithin um die Befugnis
Vgl. Bydlinski, AcP 180 (1980), 1, 27. Vgl. B G H Z 41, 271, 274ff.; der B G H hat trotz Unklarheiten in bezug auf Teile des Kaufpreises einen Vertrag angenommen. Die Alternative, bei unzureichender Einigung ein Schuldverhältnis zwischen den Parteien insgesamt zu verneinen, steht wegen des Kontrahierungszwanges nicht zur Verfügung. 70 71
72 73
Bydlinski, JZ 1980, 378, 384.
B G H Z 41, 271, 276; kritisch Bydlinski, J Z 1980, 378, 380f.
6. Kapitel: Die
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zur einseitigen (unter Umständen vorläufigen) Bestimmung. D e r B G H ordnet das Bestimmungsrecht der Anbieterseite zu. Das erscheint - wie Bydlinski bemerkt hat - zweifelhaft, ist doch der Anbieter aufgrund seiner herausragenden Stellung in der besseren Position. I h m noch zusätzlich den Vorteil des Bestimmungsrechts einzuräumen, erscheint mit der Ausgleichsfunktion des Kontrahierungszwanges kaum vereinbar. 7 4 D e n Offerenten für zuständig zu erklären, ist ebenfalls nicht angezeigt. I h m fehlen im Regelfall die Kenntnisse, um eine der A n bietersphäre zuzuordnende Preisfestsetzung vorzunehmen. Geeignet ist es deshalb, auf ein Bestimmungsrecht zu verzichten und auf den gemeinsamen N e n n e r abzustellen. D e r Kontrahierungspflichtige hat danach die Möglichkeit, unter dem Vorbehalt zu leisten, daß der v o m Offerenten angebotene Betrag gemessen am üblichen Preis zu gering sei und er Nachzahlung verlangen werde. So vermeidet der Anbieter zum einen Schadensersatzforderungen, und zum anderen ist der Leistungsaustausch Zug um Zug abwickelbar. Ahnlich liegt es bei einer Preiskonkretisierung durch die Anbieterseite. D e r Offerent kann hier im Sinne einer zügigen Abwicklung den seiner Einschätzung der Üblichkeit nach zu hohen Preis bezahlen und sich die Rückforderung der Differenz vorbehalten. Besteht Einigkeit über den Kontrahierungszwang, kann auf diese Weise der Leistungsaustausch Zug um Zug abgewickelt werden. D e n Beteiligten bleibt ein P r o z e ß gegebenenfalls zwar nicht erspart, jedoch ist die Leistung eines unter Umständen existentiell notwendigen Gutes sichergestellt und allein die Differenz der Gegenleistung streitbefangen, was zudem zu einer Prozeßkostenersparnis führt. Verweigert der Anbieter die konkret geforderte Leistung, stellt sich die Frage, ob der Nachfrager zunächst auf Vertragsschluß zu klagen hat und erst in einem zweiten Schritt die Realisierung des Vertrages verfahrensrechtlich durchsetzen kann, 7 5 oder ob ihm (nur) erlaubt ist, unmittelbar auf Leistung aus dem noch abzuschließenden Vertrag zu klagen. 7 6 D i e Meinungen hierüber gehen - ähnlich wie bei dem vergleichbaren Problem im R a h m e n des § 4 6 5 B G B 7 7 - auseinander. 78 Richtig ist, daß auf den Vertrag als Grundlage nicht verzichtet werden kann. N u r aus ihm lassen sich die notwendigen Regelungen des Rechtsverhältnisses (Fälligkeit, Nebenpflichten und ähnliches) gewinnen. Bei einem Aufnahmebegehren in einen Verein kann dem Abgewiesenen schwerlich zugemutet werden, Klagen auf die einzelnen Leistungen zu erheben; hier ist allein die Aufnahmeklage sinnvoll. Andererseits ist zu sehen, daß gerade bei einmaligem Leistungsaustausch, wie der Lieferung eines konkreten Gegenstandes, die alleinige Zielrichtung die reale Lei-
Bydlinski, JZ 1980, 378, 381. So v.a. Nipperdey, Kontrahierungszwang, S. 116ff. (möglich sei allerdings eine Klageverbindung, da häufig allein die Leistung dem Begehren des Klägers entspreche); ihm folgend BGHZ 69, 1, 8; 36, 91, 93 ff.; OLG Karlsruhe BB 1977, 1112; LG Braunschweig NJW 1975, 782. 76 Molitor, Jher.Jb. 73 (1923), 23ff., 30f.; Haupt, Vertragsverhältnisse, S.22ff.; BGHZ 49, 7, 9; 44, 279, 283ff.; 41, 271, 274ff.; 38, 90, 94ff. 77 Hierzu Musielak, GK BGB, Rn.588ff. 78 Vgl. Bydlinski, AcP 180 (1980), 1,15 ff., 24, der unter Bezugnahme auf BGH BB 1969,1239, für ein Wahlrecht je nach Zweckmäßigkeit eintritt. 74
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stung darstellt; prozeßökonomische Erwägungen sprechen hier für die Leistungsklage. Beide Gesichtspunkte, das Erfordernis eines Vertrages sowie die rasche Durchsetzung des Leistungsbegehrens, lassen sich vereinen, wenn in Parallelität zur sogenannten modifizierten Vertragstheorie oder der sogenannten Theorie des richterlichen Gestaltungsaktes 79 verfahren wird. Ausgangspunkt bleibt, daß zunächst der Vertrag geschlossen werden muß, bevor Leistungsansprüche entstehen können. Kommt es hingegen trotz des Abschlußzwanges zu keiner Vereinbarung, ist es nicht erforderlich, daß die abschlußwillige Seite zunächst auf Vertragsschluß klagt. Es kann sofort auf Leistung geklagt werden. Wird der Leistungsklage stattgegeben, so wird damit zugleich der Vertrag mit den leistungsadäquaten Bedingungen als geschlossen angenommen. Der Kontrakt wird durch richterliche Gestaltung im Sinne des § 894 Z P O geschlossen. Eines besonderen Klageantrages auf Vertragsschluß oder einer besonderen richterlichen Entscheidungsbegründung bedarf es insoweit nicht. Der Vertragsschluß wird durch das Leistungsurteil inzident ausgedrückt. Diese Lösung vereint die Vorteile beider Alternativansätze: Sie ist zweckmäßig, weil sie zum einen ein sofortiges Leistungsurteil ermöglicht und zum anderen einen Vertragsschluß enthält, aus dem im Streitfall Regelungen zu Nebenpunkten abgeleitet werden können. Dieser Lösungsvorschlag verbaut überdies nicht den Weg einer bloßen Klage auf Annahme der Offerte; der Kläger hat ein ius variandi. Vermag der Nachfrager es nicht, ein hinreichend bestimmtes Angebot abzugeben, bleiben ihm die Möglichkeiten der Stufenklage 80 sowie unter Umständen der Feststellungsklage. 81
3. U n m i t t e l b a r e negative A b s c h l u ß k o n t r o l l e Die negative Abschlußkontrolle grenzt die positive Abschlußfreiheit ein, indem sie für bestimmte Geschäftstypen den Abschluß eines Vertrages ausschließt. Auch hier ist zwischen unmittelbarer und mittelbarer Kontrolle zu differenzieren. Bei der unmittelbaren Variante gewinnt vor allem § 134 BGB an Bedeutung. Deutlich zeigt sich die Wirkungsweise der unmittelbaren negativen Abschlußkontrolle am Beispiel des Schwarzarbeitsgesetzes. Beide Aspekte, § 134 BGB und das SchwarbG, werden deshalb beispielhaft erörtert. a) Die Bedeutung des §134 BGB Die Vertragstreue, die in dem Grundsatz »pacta sunt servanda« ihren Ausdruck findet, ist eine maßgebliche, die Vertragsfreiheit flankierende Säule. Freiheit zur Selbstbestimmung bedeutet zugleich Bindung an den Konsens, da nur so die Frei-
79 Näher Bötticher, Wandlung, passim; Herberger, Rechtsnatur, S. 116ff.; Schlosser, Gestaltungsklagen, § 16 IV. 80 Siehe Musielak/Foerste, §254 Z P O Rn.2; Lüke, in: MünchKommZPO, §254 Rn.6ff. 81 Vgl. B G H N J W 1985, 2135, 2136 »Technics«; O L G Hamburg WRP 1988, 465, 467 »Märklin«.
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heit realisiert werden kann. 8 2 D e n Schutz vor unerwünschten Verpflichtungen trägt das freiheitliche System in sich selbst, indem es der liberalen Idee folgend einen selbstbestimmten Parteiwillen zum Inhalt hat. Freiheits- und damit Willenskorrektive sind deshalb nur in Ausnahmefällen in der Rechtsordnung zu finden. U n t e r anderem enthält die Rechtsordnung Regelungen, die einen Vertragsschluß unmittelbar verhindern. Diese Konsenstreue direkt negierende gesetzliche K o n zeption bleibt getreu dem Prinzip der positiven Abschlußfreiheit punktueller Art. Dabei überwiegen aufgrund öffentlicher Interessen gesetzte Vertragsverbote, 83 die - auch gegen den übereinstimmenden Willen der Beteiligten 8 4 - regelmäßig im Wege der Nichtigkeit nach § 134 B G B realisiert werden, 8 5 sofern dem Verbotsgesetz ein abweichender Gehalt nicht zu entnehmen ist. D i e Auslegungsregel 86 des § 134 B G B bezieht sich auf die Rechtsfolgenseite. Eine Vorgabe für die vorgelagerte Bestimmung der Existenz einer Verbotsnorm enthält die Vorschrift nicht. D e r Grundsatz der Privatautonomie spricht für eine restriktive Verbotsklassifikation. § 1 3 4 B G B eröffnet keine grundlegende Möglichkeit, staatliche (Wirtschafts-)Lenkung der Privatautonomie vorzuziehen. 8 7 D i e Vertragsfreiheit kann zum Schutz der Allgemeinheit nur in Ausnahmefällen ( z . B . aus wichtigen Gründen des Gesundheits-, Wettbewerbs-, Arbeitnehmer- oder Gläubigerschutzes) eingeschränkt werden. 8 8 Jede einzelne als Verbotsnorm in Frage kommende Vorschrift ist deshalb gesondert daraufhin zu untersuchen, o b sie ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 B G B darstellt. § 134 B G B k o m m t also eine bloße »Hilfsfunktion« 8 9 bei der Durchsetzung der Verbotsnorm zu. Von einem Verbotsgesetz ist auszugehen, wenn der Abschluß eines Vertrages Dazu allgemein im 2. Kapitel (S.43ff.). Ubersicht zu den einzelnen Verbotsnormen bei Erman/Brox, § 134 Rn. 19ff.; Staudinger/ Sack, § 134 Rn. 194ff.; Soergel/Hefermehl, § 134 Rn. 50ff.; Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, §134 Rn.47ff. 84 BGHZ 58, 231, 235. 85 Vgl. Musielak, GK BGB, Rn.97, 175. 86 Die Qualifikation als Auslegungsregel ist seit langem umstritten. Teilweise (Flume, Rechtsgeschäft, § 17,1; Soergel/Hefermehl, § 134 Rn. 1; Richardi, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, § 44 Rn. 3) wird die Auffassung vertreten, wegen des Normzweckvorbehalts sei §134 BGB (weitgehend) ohne Aussagewert. Dies ist insoweit zutreffend, als für die Bestimmung der Nichtigkeitsfolge insbesondere eine teleologische Interpretation des betreffenden Verbotsgesetzes erforderlich ist, vgl. nur BGHZ 131, 385, 389; 93,264,267; 85, 39,43; 71, 358, 361 -Jauernig, § 134 Rn. 8. In erster Linie ist also auf den Normzweck des Verbotsgesetzes abzustellen. Ist der Normzweck eindeutig, kommt es auf § 134 BGB nicht an; in diesen Fällen ist die Regel-Ausnahme-Formulierung bedeutungslos. Ist weder ein für noch gegen die Nichtigkeitssanktion sprechender Zweck des Verbotsgesetzes feststellbar, so folgt die Nichtigkeit des verbotswidrigen Vertragsschlusses unmittelbar aus § 134 BGB. Zu Recht wird § 134 BGB deshalb als dem Normzweck der Verbotsvorschrift subsidiäre Auslegungsregel bezeichnet (Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, § 190 II, 1; Staudinger/Sack, §134 Rn. 58f.; kritisch zur Begrifflichkeit Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, §134 Rn. 4); ohne diese im Zweifelsfall anwendbare Regel bliebe die Frage der Nichtigkeitsfolge bei unklarem Verbotsnormzweck unbeantwortet. 87 A.A. Canaris, Verbot, S.14ff., 19. 88 Vgl. Soergel/Hefermehl, § 134 Rn. 1; BGHZ 13, 179, 182. 89 Soergel/Hefermehl, §134 Rn. 1. 82
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mit Rücksicht auf seinen Inhalt, auf einen von der Rechtsordnung mißbilligten Erfolg oder auch wegen der besonderen Umstände, unter denen der Vertrag getätigt wird, untersagt wird. Maßgebend ist, o b sich das Verbot gerade gegen die Vornahme des Rechtsgeschäfts wendet. Eine Verbotsnorm im Sinne einer negativen Abschlußkontrolle ist dann anzunehmen, wenn die Vorschrift für bestimmte Fälle den Gebrauch der durch die Rechtsordnung prinzipiell anerkannten rechtsgeschäftlichen Vornahmemacht untersagt. Bei der Bestimmung des Verbotscharakters ist es unklar, o b auf die Existenz eines Verbotes (allein) aus der D i k t i o n zu schließen ist oder (ausschließlich) der Sinn und Z w e c k des Gesetzes heranzuziehen sind. 9 0 Zutreffend ist, sämtliche Auslegungskriterien zu berücksichtigen. Auszugehen ist v o m Wortlaut. Das Gesetz verkörpert den in Worte gefaßten Willen des Gesetzgebers. Ausdrücke wie »ist unzulässig« können als Anzeichen für den Verbotscharakter gedeutet werden, während »soll nicht« für eine bloße O r d nungsvorschrift steht. Allein der D i k t i o n ist die Unterscheidung aber häufig nicht zu entnehmen. So wird der Ausdruck »kann nicht« teilweise nicht als Hinweis auf ein Verbotsgesetz gewertet, 9 1 während stellenweise die gegenteilige Haltung eingenommen wird. 9 2 Eine Entscheidung im Einzelfall ist deshalb von der A n w e n dung der weiteren Auslegungsmethoden abhängig, wobei dem Sinn und Z w e c k besondere Bedeutung z u k o m m t . D e r Verbotscharakter resultiert gegebenenfalls aus dem Zusammenspiel mehrerer Auslegungskriterien. Vorzuziehen ist dasjenige Interpretationsergebnis, das im R a h m e n der geltenden Rechtsordnung und unter Berücksichtigung der in ihr zum Ausdruck gebrachten Wertungen eine der Sachlage angemessene und ausgewogene Entscheidung ermöglicht. Richtet sich eine Anordnung lediglich gegen die Art und Weise des Rechtsgeschäftsabschlusses, so führt ein Verstoß in der Regel nicht zur Nichtigkeit. H i e r finden nicht der Vertragsabschluß selbst, sondern die Art und Weise des Abschlusses die Mißbilligung der Rechtsordnung. 9 3 D e m liberalen Grundtenor des B G B folgend finden sich im Bürgerlichen G e setzbuch nur wenige Verbotsgesetze. D i e zwingenden N o r m e n zählen hierzu nicht, sie schränken die Abschlußfreiheit von sich aus ein. 9 4 Vorschriften wie § § 1 3 8 , 248 Abs. 1, 310, 312 A b s . l , 443, 723 A b s . 3 , 925 A b s . 2 , 1136, 1229, 2 2 8 9 Abs. 1 S . 2 B G B , die ein Rechtsgeschäft ausdrücklich als nichtig oder unwirksam
Zum Diskussionsstand Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, § 134 Rn.38ff., m. Nachw. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 40 Rn. 7. 92 Staudinger/Coing (11. Aufl.), §134 Rn.9; a.A. jedoch Staudinger/Sack (13. Bearb.), §134 Rn. 31. 93 Beispiele bei Erman/Brox, § 134 Rn. 11. 94 Streitig ist, ob Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge als Verbotsgesetze i.S.d. §134 BGB zu qualifizieren sind (dafür Erman/Brox, § 134 Rn. 8; Palandt/Heinrichs, § 134 Rn. 2; LAG Saarbrücken NJW 1966, 2136; dagegen Schweizer, NJW 1967, 460; Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, §134 Rn.28a). Da die Rechtsordnung zu ihrer Absicherung gegen abweichende Rechtsgeschäfte besondere Regelungen vorsieht, sind Tarifnormen (wegen §4 Abs.3 TVG) und Betriebsvereinbarungen (wegen §77 Abs. 4 BetrVG) nicht zu den gesetzlichen Verboten nach §134 BGB zu zählen. 90
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bezeichnen, 9 5 fallen nicht unter § 134 B G B . Allgemeine G r e n z e n der Abschlußfreiheit führen zwar ebenfalls zu einer negativen Abschlußkontrolle, bedürfen jedoch aufgrund ihrer Allgemeinheit keiner Rechtsfolgenangabe durch § 134 B G B . Die generellen Einschränkungen wie der sachenrechtliche Typenzwang liegen a priori außerhalb des rechtlichen Vermögens der Privatpersonen. D i e Nichtigkeit ist nicht davon abhängig, ob Sinn und Z w e c k der immanenten G r e n z e n die N i c h tigkeit bedingen. Das Geschäft ist unwirksam, weil es bereits an rechtlicher G e staltungsmacht fehlt. 96 Entzieht das Gesetz für bestimmte Sachverhalte einer Person die Disposition über ihr (Sonder-)Vermögen, wie dem Erben mittels §§ 1984, 2211 B G B oder dem Gemeinschuldner im Falle der Insolvenz, handelt es sich um die einer Person abgesprochene vermögensrechtliche Dispositionsfreiheit, nicht um die Verhinderung des Abschlusses konkreter Rechtsgeschäfte. H i e r ist die Zielrichtung also eine andere: N i c h t der Abschluß von bestimmten Verträgen ist einer negativ wirkenden Kontrolle unterworfen, sondern einer Person die freie Disposition über ihr Vermögen untersagt. Das ist auch der Grund, warum relative Veräußerungsverbote nicht § 134 B G B zuzurechnen sind. 97 Es geht bei ihnen um auf einen bestimmten Adressatenkreis bezogene Veräußerungsverbote, nicht um eine Abschlußkontrolle um des Rechtsgeschäfts willen, sondern um der Person willen. Verbotsgesetze, die in Verbindung mit § 1 3 4 B G B die Abschlußfreiheit beschränken, sind häufig im Arbeitsrecht zu finden, das zum Schutz der Arbeitnehmer und/oder öffentlicher Interessen bestimmte Tätigkeiten von der Abschlußfreiheit ausnimmt. Zu unterscheiden sind zwei Gruppen von arbeitsrechtlichen Verbotsnormen, Abschluß- und Beschäftigungsverbote. Erstere beziehen sich auf das schuldrechtliche Geschäft und wenden sich gegen den Vertragsschluß als solchen. Zu finden sind sie in den Bereichen, in denen bereits der Vertragsschluß selbst die Arbeitnehmer oder öffentliche Interessen gefährden würde und eine Legalisierung der Beschäftigung, beispielsweise durch Genehmigung der Tätigkeit, nicht in Betracht k o m m t . Einen derartigen Fall stellt das Verbot der Kinderarbeit dar. Das Jugendarbeitsschutzgesetz gilt für die Beschäftigung von Personen unter 18 Jahren anstelle des A r b Z G , § 18 Abs. 2 A r b Z G . 9 8 Es sieht neben dem Verbot der Kinderarbeit bis zum 15. Lebensjahr ( § 5 Abs. 1, § 2 Abs. 1 J A r b S c h G ) mit Ausnahmemöglichkeiten (§ 6 J A r b S c h G ) und dem eingeschränkten Verbot der 95 Die Folge ist, daß von diesen Normen erfaßte Rechtsgeschäfte stets nichtig sind, ohne daß es - wie bei §134 BGB — darauf ankommt, ob sich aus dem Zweck des Gesetzes eine andere Rechtsfolge ergibt. 96 Larenz/Wolj, Allgemeiner Teil, §40 Rn. 10; Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, §134 Rn.5. 97 Für absolute Veräußerungsverbote ist die Einordnung streitig. Wolf (in: Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 40 Rn. 9) tritt dafür ein, auch die absoluten Veräußerungsverbote dem Anwendungsbereich des § 134 BGB zu entziehen, verkennt dabei aber den regelmäßigen Allgemeinbezug dieser Normen. Absolute Veräußerungsverbote zielen grundsätzlich auf den Schutz der Allgemeinheit vor bestimmten Rechtsgeschäften, vgl. Erman/Brox, § 134 Rn.2; Palandt/Heinrichs, §134 Rn.5, §§135, 136 Rn.l. 98 Vgl. Linnenkohl, § 18 ArbZG Rn. 12 ff.
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Beschäftigung von Kindern, die der Vollzeitschulpflicht nicht mehr unterliegen ( § 7 J A r b S c h G ) , für Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren ( § 2 Abs. 2 J A r b S c h G ) Arbeitszeitregelungen vor, die im Verhältnis zum A r b Z G enger gefaßt sind, §§8ff. J A r b S c h G . Daneben kennt das Gesetz - und das ist bei der überwiegenden Zahl der arbeitsrechtlichen Verbote der Fall - sogenannte Beschäftigungsverbote. Sie beschränken sich darauf, den tatsächlichen Einsatz des Arbeitnehmers auf dem vorgesehenen Tätigkeitsfeld zu untersagen, lassen den Bestand des Arbeitsvertrages an sich aber unberührt. Die Vertragsfreiheit wird durch diese Normen ebenfalls tangiert." Zwar ist hier nicht der Vertragsabschluß als solcher Gegenstand der Verbotsnorm, die Untersagung der Abwicklung führt jedoch letztlich dazu, daß Arbeitsverhältnisse nicht nach den Vorstellungen der Beteiligten ausgestaltet werden können. Der unmittelbaren negativen Abschlußkontrolle schuldrechtlicher Verträge zuzuordnen sind sie, wenn die Nichtigkeitsfolge des § 134 B G B neben dem Beschäftigungs-, also dem Erfüllungsverbot, auch die Verpflichtung erfaßt. Das ergibt sich in der Regel aus dem auf §306 B G B zurückzuführenden Rechtsgedanken, daß Verträge, die eine von Anfang an objektiv unmögliche Handlung zum Gegenstand haben, unwirksam sind. Anzunehmen ist das insbesondere dann, wenn Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes dahin gehen, den in Grund- (Verpflichtungs-) und Ausführungs- (Erfüllungs-)geschäft unterteilbaren Vorgang im Ergebnis insgesamt zu vereiteln. 100 So liegt es unter anderem bei den Fällen, in denen die Erfüllungshandlung strafbar macht. Die Nichtigkeit erfaßt auch das Geschäft, das zu ihr verpflichtet. Einen Anhaltspunkt im Rahmen der teleologischen Interpretation gibt die Zielrichtung der Norm. Wendet sich das Verbot an beide Vertragsteile, indem es beispielsweise für jede Seite eine Strafandrohung vorsieht, spricht das als erstes Indiz für eine umfassende Nichtigkeitsfolge. 101 Zwingend ist das aber nicht, entscheidend ist die Auslegung. Anders geht die Rechtsprechung vor, die teilweise in schematischer Weise eine Differenzierung nach dem Adressatenkreis vornimmt: 1 0 2 Richte sich ein Verbotsgesetz gegen beide Vertragsparteien, sei der Vertrag in der Regel nichtig, 1 0 3 während einseitige Verbotsgesetze
Buchner, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, §37 Rn.9. Staudinger/Sack, § 134 Rn. 119; Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, § 134 Rn. 8; Palandt/ Heinrichs, §134 Rn.13; B G H Z 116, 268, 276f.; O L G Schleswig, N J W - R R 1995, 554; kritisch Deubner, JuS 1995, 107. 101 Die Differenzierung nach dem Adressatenkreis beruht auf der Überlegung, daß bei einem einseitigen Verbot nicht das Rechtsgeschäft selbst verhindert, vielmehr nur eine Partei vom Vertragsschluß abgehalten werden soll. Der Abschluß des Vertrages an sich werde nicht mißbilligt. Im Umkehrschluß ergebe sich sodann, daß ein gegen beide Parteien gerichtetes Verbot das Rechtsgeschäft an sich mißbillige. Dieser formalen Unterscheidung kommt allenfalls indizielle Wirkung zu, da beispielsweise auch ein zweiseitiges Verbot eine bloße Ordnungsvorschrift darstellen kann, während ein nur gegen eine Partei gerichtetes Verbot auch zur Nichtigkeit des Vertrages führen kann. Siehe Mayer-Maly, Festschrift für Hefermehl, S. 103, 104. 102 Umfangreiche Nachw. bei Canaris, Verbot, S. 9ff., sowie bei Staudinger/Sack, §134 Rn. 71ff. 103 B A G N J W 1993, 2701, 2703; B G H N J W 1992, 2557, 2559; N J W 1986,1104. 99
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eine Nichtigkeit nicht zur Folge hätten. 1 0 4 Diese Rechtsprechung geht zurück auf die Gesetzesmaterialien (Mot. I S.210) u n d eine weichenstellende Entscheidung der Vereinigten Zivilsenate des Reichsgerichts aus dem Jahre 1905 ( R G Z 60, 273, 276f.). Als feste Auslegungsregel ist die Unterscheidung aber nicht tauglich; ihr ist allenfalls eine gewisse indizielle W i r k u n g zuzusprechen. Die mangelnde Praktikabilität als allgemeine Regel zeigt sich bereits an den zahlreichen Ausnahmen, die die Rechtsprechung zugelassen hat, 1 0 5 sowie der fehlenden H a r m o n i s i e r u n g mit dem Verletzungsargument. In seiner Entscheidung v o m 19. Januar 1984 hat der B G H ausgeführt, daß, auch wenn sich das Gesetz an beide Vertragspartner wendet, Verträge, d u r c h deren »Abschluß nur eine der Vertragsparteien ein gesetzliches Verbot verletzt,« gültig seien. 106 D e r B G H hat hier also im Widerspruch zu der von ihm selbst propagierten Adressatenregel das Kriterium der Verletzung z u m ausschlaggebenden Faktor erklärt. Derartige Widersprüchlichkeiten lassen sich vermeiden, w e n n davon abgesehen wird, starre Regeln zu kreieren. Verbotsgehalt u n d konkrete Verletzung lassen sich widerspruchsfrei in eine Gesamtabwägung einfügen. A u c h dies spricht f ü r eine Wirkungsanalyse, in die sämtliche Auslegungsmethoden und alle auslegungsrelevanten U m s t ä n d e einbezogen werden. D e r Schematismus der Rechtsprechung ist abzulehnen. Charakter u n d Wirkungsweise einer N o r m sind f ü r jede Vorschrift gesondert im Wege grammatischer, systematischer, historischer u n d teleologischer Interpretation zu bestimmen.
b) Ein Beispiel: das SchwarbG Reichweite und Bedeutung der unmittelbaren negativen Abschlußkontrolle lassen sich nur dann bestimmen, wenn die Analyse nicht durch starre Auslegungsregeln eingeengt wird. Eine schematische Sicht versperrt den Blick auf die Hintergründe einer Regelung und führt zu einem unausgewogenen Umgang mit rechtlichen Vorgaben. Erforderlichkeit sowie Überlegenheit einer sämtliche auslegungsrelevante Umstände ins Kalkül ziehenden Determination zeigt sich bei der Wirksamkeitseinschätzung von Schwarzarbeitsverträgen. 107 N u r die nicht durch feste Regeln eingegrenzte Auslegung ermöglicht es, allen gesetzlichen Varianten gerecht zu werden, und führt zu einer interessengerechten Lösung. Im Wege der Auslegung können die Ziele des Schwarzarbeitsgesetzes mit den Zwecken der einzelnen Vorschriften in Einklang gebracht werden. Allgemeiner Schutzzweck ist - wie sich den Gesetzesmaterialien entnehmen läßt108 - , die Arbeitslosigkeit zu 104
B G H N J W 1994, 728, 729; B G H Z 115, 123, 125. B G H Z 118, 142, 145; 110, 235, 240; 93, 264, 267; 88, 240, 243. 106 B G H Z 89, 369, 373. 107 Zum Begriff der Schwarzarbeit Sannwald, Einführung Rn. 6ff. 108 Vgl. BT-Drucks. 8/1937; 11/2637; 12/7563. Zusammenfassend die Begründung des Entwurfs eines Änderungsgesetzes, BT-Drucks. 9/192, S.5: »Schwarzarbeit stellt eine staats-, wirtschafts- und sozialpolitische Gefahr dar. Schwarzarbeit führt zu einer erhöhten Arbeitslosigkeit in vielen Berufszweigen und beeinträchtigt die ohnehin angespannte Arbeitsmarktlage. Durch die Schwarzarbeit wird die Steuerkraft der selbständigen Betriebe gemindert, und dadurch werden Steuerausfälle des Staates verursacht. Zudem tritt eine erhebliche Schädigung der Sozialversicherungsträger ein. Derjenige, der Schwarzarbeit ausführt, tritt in einen unlauteren Wettbewerb zu den selbständigen Betriebsinhabern und gefährdet durch Lohn- und Preisunterbietung gewerbliche, insbesondere handwerkliche Betriebe. Gewährleistungsansprüche des Auftraggebers gegen den Auftragnehmer wegen fehlerhafter Werkleistungen bestehen nicht, wodurch die Rechte des Auftraggebers erheblich beeinträchtigt sind.« 105
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bekämpfen, eine Gefährdung gewerblicher Betriebe durch Lohn- und Preisunterbietung zu vermeiden und einer möglichen Schädigung der Auftraggeber durch unsachgemäße Arbeiten vorzubeugen. Daneben soll das Gesetz eine Minderung des Steueraufkommens und eine Beeinträchtigung der Beitragsaufkommen der Sozial- und Arbeitslosenversicherung verhindern. 109 Neben den generellen Zwecken verfolgt das Gesetz mit einzelnen Tatbeständen jeweils unterschiedliche besondere Ziele. Das Schwarzarbeitsgesetz kennt entsprechend den in § 1 Abs. 1 SchwarbG aufgeführten Nummern drei Fallgruppen, denen gemeinsam ist, daß »Dienst- oder Werkleistungen in erheblichem Umfange« erbracht werden müssen (§ 1 Abs. 1 SchwarbG), ohne daß diese Leistungen auf Gefälligkeit oder Nachbarschaftshilfe beruhen oder eine Selbsthilfe im Sinne des § 3 6 Abs. 2 und 4 des 2. WoBauG darstellen, Absatz 3. Die erste Fallgruppe des § 1 Abs. 1 SchwarbG erfaßt den sogenannten Leistungsmißbrauch. Ein Arbeitsloser kommt beispielsweise seiner Mitteilungspflicht nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I nicht nach. Die Verwirklichung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 SchwarbG setzt als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal nach herrschender Meinung 110 zusätzlich zum Wortlaut voraus, daß der Arbeitslose Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezieht. Nummer 2 des § 1 Abs. 1 SchwarbG regelt das Unterlassen der Anzeige entgegen § 14 GewO und den fehlenden Erwerb der Reisegewerbekarte gemäß §55 GewO. Nummer 3 betrifft denjenigen, der ein Handwerk als stehendes Gewerbe selbständig betreibt, ohne in der Handwerksrolle eingetragen zu sein (§ 1 HandwO). Nummer 1 erfaßt also eine Tätigkeit, die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erbracht werden soll, während sich Nummern 2 und 3 auf ein selbständig betriebenes Gewerbe beziehen. Im Hinblick auf die Frage nach der Einschätzung als Verbotsgesetz sind zwei Tatbestandsgruppen, § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Alt. 1 SchwarbG einerseits sowie Nr. 2 Alt. 2 und Nr. 3 SchwarbG andererseits, zu trennen. Neuere Literatur und Rechtsprechung sprechen § 1 Abs. 1 Nr. 1 SchwarbG einen Verbotscharakter mit dem Hinweis darauf ab, § 1 Abs. 1 Nr. 1 SchwarbG diene nicht sämtlichen Schutzzwecken des Schwarzarbeitsgesetzes, sondern vorwiegend dem Schutz der Arbeitslosenversicherung vor unberechtigter Inanspruchnahme; Individualschutz sei durch Nummer 1 nicht beabsichtigt. 111 Das ist richtig. Nummer 1, die die Tätigkeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erfaßt, zielt - wie der Verweis auf das SGB I deutlich macht - lediglich auf die Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile für den Staat und die Solidargemeinschaft. § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I statuiert 109 Vgl. näher Benöhr, BB 1975, 232, 235, 237; Sonnenschein, JZ 1976, 497; Buchner, WuV 1979,212; ders., GewArch. 1990, 1, 3; Klinge, WuV 1986,154, 156, \7\-,Jatscb, GewArch. 1986, 189, 190. 110 Sannwald, §1 SchwarbG Rn.19; Marschall, Bekämpfung, S.134; Tiedtke, EWiR §134 BGB 1/91, S.223f. 111 Buchner, WuV 1979, 212, 215; ders., GewArch. 1990, 41; ders., Münch. Hdb. z. ArbR 1, § 37 Rn. 65; Erdmann, § 1 SchwarbG Rn. 219; Helf, Folgen, S. 109ff.; Thilenius, Nichtigkeit, S. 41, 121; Voß, Ansprüche, S.51; LAG Berlin DB 1991, 605.
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die Pflicht, Tatsachen oder Änderungen in den Verhältnissen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind. Meldepflichtig ist dementsprechend der Arbeitslosengeld beziehende Arbeitnehmer hinsichtlich seines Einkommens aus selbständiger oder unselbständiger Tätigkeit, da ihm dieses nach §141 SGB III teilweise anzurechnen ist, soweit nicht überhaupt die Arbeitslosigkeit durch Aufnahme der Tätigkeit entfällt. §60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I und der an einen Verstoß gegen die gesetzlichen Pflichten anknüpfende Ordnungswidrigkeitstatbestand (§404 Abs. 2 Nr. 26 SGB III) richten sich dagegen, daß ein Arbeitsloser eine entgeltliche Tätigkeit aufnimmt, ohne dies zu offenbaren. Eine negative Kontrolle der Abschlußfreiheit ist nicht Gegenstand der Regelungen - im Gegenteil: Ziel des Arbeitslosenrechts ist es, den Arbeitssuchenden eine Tätigkeit zu verschaffen. Gegen die Tätigkeit an sich wendet sich das Gesetz nicht. Vergleichbar ist die Lage bei § 1 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 SchwarbG. Bei der Anzeigepflicht gemäß § 14 GewO handelt es sich um eine Ordnungsvorschrift, deren Zweck durch das Ordnungsgeld des §146 Abs. 2 Nr. 2 GewO erreicht wird. Die Nichtigkeit der Rechtsgeschäfte entspricht weder Sinn noch Zweck des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 SchwarbG. 112 Auch hier geht es also nicht um eine negative Abschlußkontrolle. Nun zur zweiten Gruppe, den in § 1 Nr. 2 Alt. 2 und Nr. 3 geregelten Tatbeständen: Zunächst ist zu fragen, ob § 1 A b s . l Nr. 2 Alt. 2, Nr. 3 SchwarbG (§2 SchwarbG) ein verbotswidriges Handeln von Auftraggeber und Schwarzarbeiter betreffen, ob sich also Nr. 2 Alt. 2 oder Nr. 3 gegen die Vornahme des Rechtsgeschäfts wenden. Dies könnte zweifelhaft erscheinen, weil die Vornahme von Rechtsgeschäften in § 1 Abs. 1 Nr. 2, 3 SchwarbG nicht erwähnt ist. Lediglich §2 SchwarbG sanktioniert ausdrücklich das »Beauftragen«. Andererseits geht allen diesen Fällen ein Werkvertragsschluß voraus, so daß dies im Gesetz nicht besonders zu erwähnen war. § § 1 , 2 SchwarbG richten sich auch gegen die Vornahme von Rechtsgeschäften, die der Tätigkeit vorausgehen. Grammatische wie systematische Auslegung werden von teleologischen und historischen Erwägungen bestätigt. Sinn und Zweck des SchwarbG lassen sich nur verwirklichen, wenn die zugrundeliegenden Verträge »nicht als rechtswirksam angesehen werden«, 1 1 3 Nummer 2 Alt. 2 und Nummer 3 als Verbotsgesetz qualifiziert werden. Der Sinn und Zweck dieser Tatbestände geht dahin, »nicht nur als Ordnungsvorschrift den tatsächlichen Vorgang, sondern darüber hinaus im Interesse der wirtschaftlichen Ordnung dem zugrundeliegenden Rechtsgeschäft die rechtliche Wirkung zu versagen«. 114 Bezweckt ist auch nicht lediglich, den tatsächlichen Vorgang der Schwarzarbeit einzuschränken, sondern darüber hinaus den dazu verpflichtenden Verträgen im Interesse der wirtschaftlichen Ordnung die rechtliche Wirkung zu versagen. § 1 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 und Nr. 3 SchwarbG verkörpern also Verbots-
112 113 114
Buchner, WuV 1979, 212, 225; Helf, Folgen, S. lOlff.; Voß, Ansprüche, S. 51 Fn.86. B G H Z 111, 308, 311. B G H Z 85, 39, 44.
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2. Teil: Leitlinien
einer
Freiheitsbegrenzung
gesetze, 115 die Verpflichtungs- wie Ausführungsgeschäft erfassen. Die Tatbestände beziehen sich auf die unerlaubte Ausführung einer erlaubnispflichtigen Tätigkeit. Der Unterschied zu bloßen Ordnungsnormen wie dem LadenschlußG ist darin zu sehen, daß bei § 1 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 und Nr. 3 SchwarbG die Leistung von Schwarzarbeit allgemein, d.h. in Verpflichtungs- wie in Verfügungshinsicht, abgelehnt wird. Das LadenschlußG wendet sich weder gegen den Abschluß des Kaufvertrages noch gegen seine Erfüllung, sondern nur gegen den Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses. Hinzu kommt die in §1 A b s . l und § 2 Abs. 1 SchwarbG vorgesehene Bußgeldandrohung an beide Vertragspartner, während das LadenschlußG sich nur gegen den Verkäufer richtet. Gegen die Qualifikation als Verbotsgesetz spricht auch nicht die Einschätzung des § 1 H a n d w O . § 1 HandwO, der Grundtatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 3 SchwarbG, zielt lediglich auf die »Erhaltung und Förderung eines gesunden, leistungsfähigen Handwerksstandes als Ganzen« 1 1 6 . Die Ziele des SchwarbG gehen darüber hinaus, wie sich an den qualifizierenden Tatbestandsmerkmalen des SchwarbG zeigt. Durch die qualifizierenden Elemente wird dokumentiert, daß nicht die unzulässige Ausübung eines Handwerks allein sanktioniert wird, sondern auch die aus der qualifizierten Betreibung des Handwerks folgenden Auswirkungen für die Volkswirtschaft. Es greift also beim SchwarbG gegenüber der H a n d w O der zusätzliche Zweck des Schutzes der Allgemeinheit ein. J e mehr die mit einem Gesetz verfolgten Zwecke die Einordnung als Verbotsgesetz bedingen, desto eher ist von einer Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft erfassenden Vorschrift im Sinne des § 1 3 4 B G B auszugehen.
1 , 5 H.M., vgl. die Nachw. in den vorangegangenen Fn. sowie Palandt/Heinrichs, § 134 Rn. 22; Erman/Brox, §134 Rn.49; Soergel/Hefermehl, §134 Rn.16; Staudinger/Sack, §134 Rn.275; Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, §134 Rn.64; Köhler, JZ 1990, 466ff.; Tiedtke, D B 1990, 2307ff. Differenzierend Helf, Folgen, S. 186ff., der die genannten Normierungen zwar für Verbotsgesetze gemäß § 134 B G B hält, der aber den zugrundeliegenden Vertrag dann nicht mehr als nichtig einschätzt, wenn »eine der Parteien ihre Leistung zumindest teilweise erbracht« hat; der Verbotscharakter beziehe sich also nur auf Schwarzarbeitsverträge ohne Erfüllungshandlung. Allgemein gegen eine Einordnung als Verbotsgesetz E. Wolf (Allgemeiner Teil, S. 3 5 5 f.; in diese Richtung auch Benöhr, B B 1975,232,235), der meint, eine Verbotsnorm dürfe sich nicht nur gegen die Vornahme der Tätigkeit »unter bestimmten Umständen« wenden, sondern das Rechtsgeschäft müsse seinem Inhalt nach mißbilligt werden. Beim SchwarbG handele es sich wie beim LadenschlußG um reine Ordnungsvorschriften, nicht um Verbotsgesetze. Ähnlich auch Honig, GewArch. 1976, 24f., wonach der Vertragsschluß selbst »wertneutral« sei, nur die Arbeitsausführung § 134 B G B unterfalle. Am weitesten geht Westphal (Vertragsnichtigkeit, S. 143; den., B B 1984,1002f.): Die »ständig vermehrt auftretende Schwarzarbeit« bekunde, daß ihr mit zivilrechtlichen Mitteln nicht entgegengewirkt werden könne; es gebe daher keinen Anlaß, »derartigen Verträgen die rechtliche Anerkennung und damit Verbindlichkeit zu versagen.« Das SchwarbG sei kein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 B G B . 116 B G H Z 88, 240, 244; zustimmend Erman/Brox, §134 Rn.32; Helf, Folgen, S. 108; siehe auch Schmidt, M D R 1966, 463, 464; unentschieden Voß, Ansprüche, S. 52 f.; zweifelnd am mangelnden Verbotscharakter des § 1 HandwO Büchner, WuV 1979,212,225; den., GewArch. 1990, 41, 42; zur Verfassungsmäßigkeit Musielak/Detterbeck, § 1 HandwO Rn.6ff.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
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N a c h § 134 B G B ist ein Rechtsgeschäft, welches gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nur nichtig, wenn sich nichts anderes aus dem Gesetz ergibt. D i e N i c h tigkeitsfolge tritt dann ein, wenn sich das S c h w a r b G nach seinem Sinn und Z w e c k gegen die zivilrechtliche Wirksamkeit des Rechtsgeschäftes wendet, um dessen wirtschaftlichen Erfolg zu verhindern. D i e Rechtsprechung verläßt sich bei der Rechtsfolgenbestimmung
vorwiegend
auf
das
Adressatenargument: 1 1 7
Das
S c h w a r b G wende sich zwar an beide Beteiligte (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 3 einerseits, § 2 S c h w a r b G andererseits), so daß in der Regel Nichtigkeit anzunehmen sei. D a v o n sei allerdings eine Ausnahme dann anzunehmen, wenn nur eine Seite wissentlich gegen das Verbot verstoße. Im Ergebnis k o m m t es nach Ansicht des B G H letztlich darauf an, ob ein beiderseitiger oder ein einseitiger Verstoß auf der subjektiven Seite festzustellen ist. 118 D a m i t widerspricht der B G H seiner ansonsten vorgenommenen Differenzierung nach der objektiven Zielrichtung des Verbotes. A u f sie k o m m t es bei dieser Sicht nicht mehr an; maßgebend ist allein, ob beide oder o b nur ein Beteiligter gegen das Verbotsgesetz verstoßen haben. D e r B G H rechtfertigt seine Auffassung mit der Schutzbedürftigkeit eines Auftraggebers, der nicht weiß, daß er einen Schwarzarbeiter beschäftigt. D e m »nicht rechtswidrig handelnden« Auftraggeber sollen seine Erfüllungs- und Gewährleistungsansprüche belassen, er soll nicht auf »unzureichende Ersatzansprüche« verwiesen werden. 1 1 9 D i e starre Verknüpfung von zweiseitigem Verbotsverstoß und Nichtigkeit, einseitigem Verstoß und Gültigkeit führt nicht zu überzeugenden Ergebnissen; sie wird insbesondere der Teleologik der Nr. 2 Alt. 2 und Nr. 3 S c h w a r b G nicht gerecht. D e r Schematismus verstellt den Blick auf die Wertungen, die im Wege des flexiblen Systems bei der Problembewältigung zu berücksichtigen sind. D i e Frage nach der Nichtigkeitsfolge ist deshalb mittels Auslegung zu beantworten. 1 2 0 Das S c h w a r b G will den Auftraggeber zwar auch vor mangelhafter Werkausführung schützen. Diese Schutzwürdigkeit des Auftraggebers ist aber nicht vorrangiger Z w e c k des SchwarbG. 1 2 1 E r liegt vielmehr im Schutz des Handwerks und der öffentlichen Kassen. Die Schutzwürdigkeit des einzelnen Vertragspartners hat mit diesen Zielen des S c h w a r b G nichts zu tun und ist mit ihnen auch nicht zu
117 Ausnahmen von diesem Grundsatz werden nur selten unter Berufung auf § 242 B G B zugelassen, siehe die Nachw. bei Staudinger/Sack, §134 Rn.275ff. 118 B G H Z 89,369,372; 111,308,311; B G H NJW 1985,2403f.; zustimmend O L G Köln NJWR R 1990, 251; Erdmann, § 1 SchwarbG Rn.227. 119 B G H Z 89, 369, 374. 120 Dies bestätigt die historische Interpretation. Die 1. BGB-Kommission hat den Vorschlag, § 134 B G B um einen Absatz 2 zu ergänzen, nach dem ein Rechtsgeschäft dann wirksam sein sollte, wenn dessen Eingehung »nur auf Seite des einen Vertragsschließenden eine pflichtwidrige Handlung« darstelle, bewußt abgelehnt. Es sollte bei der Nichtigkeitsfolge auf die »Beurteilung des einzelnen Falles nach der Tendenz des Gesetzes« abgestellt werden. Im einzelnen Schubert, J R 1985, 148 m. zahlr. weit. Nachw. 121 Das räumt auch der B G H ein, B G H Z 111, 308, 313; vgl. Kern, Festschrift für Gernhuber, S. 191, 195.
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vereinbaren. Entgegen der Meinung von Benöhrm ist es auch nicht zutreffend, daß diese anderen Ziele hinter die Schutzwürdigkeit des Auftraggebers zurücktreten müßten. Benöhr wäre dann zuzustimmen, wenn der Zweck des SchwarbG in erster Linie darin zu sehen wäre, den (gesetzestreuen, gutgläubigen) Auftraggeber zu schützen, und dieser Schutz nicht anders zu erzielen wäre. In diesem Fall wären die Intentionen des Gesetzes insgesamt durch das Rechtsgeschäft weniger bedroht als beim zweiseitigen Verstoß. Der Schutz durch das SchwarbG vor unter Umständen mangelhaften Leistungen ist jedoch nur einer der Regelungszwekke. Zur Erreichung dieses Zieles sollte dem Auftraggeber aber kein Erfüllungsanspruch gewährt werden; unabhängig von der Frage ist, ob dieser durch Beauftragung eines legal arbeitenden Handwerkers zu erfüllen wäre.123 Beim SchwarbG sind es auch gerade die anderen Zwecke, die vorrangig verwirklicht werden sollen. Der Auftragnehmer betreibt ein stehendes Gewerbe, ohne in die Handwerksrolle eingetragen zu sein, und schädigt damit das Handwerk und die öffentlichen Kassen, weil er keine Steuern und Sozialbeiträge abführt. Die in der Rechtsprechung angedeuteten Möglichkeiten, aus wichtigem Grund zu kündigen oder wegen arglistigen Verhaltens anzufechten, werden den Interessen der Allgemeinheit nicht gerecht. Ob die Voraussetzungen dieser Gestaltungsrechte im Einzelfall gegeben und nachweisbar sind, ist bereits zweifelhaft. Steht bei einem Verbotsgesetz der Schutz der Allgemeinheit im Vordergrund, so kann für die Rechtsfolge nicht die Entscheidung eines einzelnen, ob er kündigen oder anfechten will, maßgeblich sein. Das SchwarbG will Schwarzarbeit verhindern. Es wendet sich nicht primär gegen eine Partei, sondern gegen Auftragnehmer und Auftraggeber zugleich. Unabhängig davon ist, ob der Auftraggeber durch die Beauftragung wirtschaftliche Vorteile in erheblichem Umfang erzielt. Dies ist für eine Ordnungswidrigkeit nach §2 SchwarbG Voraussetzung, nicht aber für die Frage von Bedeutung, ob der gesetzestreue Auftraggeber vom Abschluß des Vertrages abgehalten, also in seiner Handlungsweise beeinflußt werden soll. Durch den Vertragsschluß allein wird verbotene Schwarzarbeit auch dann gefördert, wenn der Auftraggeber nicht selbst alle Tatbestandsmerkmale des §2 SchwarbG erfüllt.124 Das SchwarbG setzt gerade keinen beiderseitigen bewußten Verstoß voraus, wie sich aus der Änderung des SchwarbG durch die Abschaffung des subjektiven Tatbestandsmerkmales der Gewinnsucht ergibt. Der Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes hängt nicht davon ab, ob nur einer oder beide gegen das Verbotsgesetz verstoßen.125 Entgegen 122
Benöhr, BB 1975, 232, 235; dazu Sonnenschein, JZ 1976, 497, 502. Näher Kern, Festschrift für Gernhuber, S. 191, 196f.; Voß, Ansprüche, S. 71. 124 Voß, Ansprüche, S. 63 f. 125 Canaris, N J W 1975, 2404f. Canaris tritt dafür ein (Verbot, S. 31 ff.), bei einem einseitigen Gesetzesverstoß eine »Aufspaltung der Nichtigkeitsfolge« vorzunehmen. Danach behalte der gesetzestreue, gutgläubige Auftraggeber die vertraglichen Ansprüche, während der Schwarzarbeiter auf bereicherungsrechtliche Ansprüche zu verweisen sei. Dieser von Mayer-Maly (MünchKommBGB, § 134 Rn.64) und Sack (Staudinger, § 134 Rn.281) befürwortete Lösungsansatz, der im Ergebnis auf eine »halbseitige Teilnichtigkeit« hinausläuft, erscheint methodisch zweifelhaft und vermag Einzelprobleme, wie die Frage nach der Behandlung mangelhafter Vor123
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
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der überwiegenden Auffassung ist nicht nur bei einem zweiseitigen Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 und Nr. 3 SchwarbG Nichtigkeit gemäß § 134 BGB anzunehmen, sondern auch bei einem einseitigen Gesetzesverstoß. Die Ausführungen zeigen, daß sich die Reichweite einer unmittelbaren negativen Abschlußkontrolle nur mittels einer Auslegung ohne feste Bestimmungsregeln festlegen läßt. 4. Mittelbare negative Abschlußkontrolle Mit dem Begriff mittelbare negative Abschlußkontrolle werden die Konstellationen bezeichnet, in denen rechtliche Institute die nachträgliche Auflösung eines Vertrages ermöglichen. 126 Die Negation des Vertragsschlusses wird dabei nicht direkt durch die rechtlichen Vorgaben bewirkt. Die Rechtsordnung stellt unterschiedliche Regelungsmechanismen zur Verfügung, die nicht eo ipso die Unwirksamkeit des Vertrages bewirken, sondern abhängig sind von einer Willensbetätigung der Beteiligten, also mittelbar wirken. a) Nachträglich entstandene abschlußnegierende aa) Die
Faktoren
Grundaussage
Ursache der Vertragskontrolle kann sein, daß wegen eines dem Vertragsschluß nachfolgenden Interessen- oder Bedürfniswechsels von der Realisierung des Vertrages abgesehen können werden soll. Diese Motivänderungen lassen sich rechtlich nur selten realisieren. Hier bildet der Grundsatz »pacta sunt servanda« eine regelmäßig nicht überwindbare Hürde. 127 Ein Vertrag regelt das zukünftige Verhalten der Beteiligten bindend. Ein Schuldvertrag ist zugleich Mittel der aktuellen Selbstbestimmung und Beschränkung der zukünftigen Entfaltungsfreiheit. Für die Zukunft beschränkt die Selbstbestimmung die Möglichkeit zur Selbstbestimmung. N u r in Ausnahmefällen erlaubt die Rechtsordnung eine freie Vertragsaufsage aufgrund einer dem Vertragsschluß zeitlich nachfolgenden Interessen- oder Bedürfnisänderung. Verkennt ein Teilnehmer am Rechtsverkehr seine Bedürfnisse, so ermöglicht die nachträgliche Erkenntnis der falschen Beurteilung von Fakten keine Beendigung des Vertrages. Der nachträglich erkannte Irrtum im Beweggrund berechtigt nicht zur Anfechtung. Eine Möglichkeit, die ursprünglich rechtsverbindliche leistungen, nicht zufriedenstellend zu lösen, vgl. Kern, Festschrift für Gernhuber, S. 191, 195; Köhler, JZ 1990, 466, 467; Voß, Ansprüche, S. 75ff. Der gutgläubige, gesetzestreue Auftraggeber ist dadurch hinreichend geschützt, daß der Schwarzarbeiter Schadensersatzanprüchen ausgesetzt und es ihm gegebenenfalls nach §242 BGB verwehrt ist, sich auf die Nichtigkeit des Vertrages zu berufen, wenn er vom Auftraggeber aus dem Vertrag in Anspruch genommen wird. 126 Nicht zu diesem Themenbereich zählen Lösungswünsche, die nicht auf den Vertragsabschluß als solchen zielen, sondern sich bei der Vertragsabwicklung ergeben, also u.a. auf Leistungsstörungen zurückzuführen sind, Lorenz, Schutz, S. 3. Zur Vertragslösung wegen Leistungsstörungen Stathopoulos, AcP 194 (1994), 543, 562ff. 127 Zum Zusammenhang mit der Vertragsfreiheit im 2. Kapitel (S. 50ff.).
250
2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
Entscheidung über eine Kreditaufnahme nochmals zu überdenken und gegebenenfalls zu revidieren, scheint § 7 Abs. 1 V e r b r K r G zu eröffnen. Ahnliches gilt für das Widerrufsrecht nach § 1 HaustürWG. 128 Nach allgemeiner Auffassung tritt gemäß §5 Abs. 2 HaustürWG das Widerrufsrecht des HaustürWG hinter dem des VerbrKrG zurück. 129 Die Subsidiarität gründet darauf, daß das VerbrKrG den spezielleren Anwendungsbereich hat: Das VerbrKrG knüpft am Inhalt des Vertrages, der Kreditierung, an, das HaustürWG an der Art der Vertragsanbahnung. Dem Gesetzgeber kam es auf die Anwendung des jeweils sachnäheren Gesetzes an, solange dies einen gleich wirksamen Schutz wie das HaustürWG gewährt. 130 Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der teleologischen Reduktion, wenn die Präferenzklausel des §5 Abs. 2 HaustürWG ihrem Sinn und Zweck nicht gerecht wird. Das ist unter anderem anzunehmen, wenn die Vorschriften über das Widerrufsrecht für Realkredite (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG), Kredite zur Finanzierung des Erwerbs von Wertpapieren, Devisen oder Edelmetallen (§3 Abs. 2 Nr. 4 VerbrKrG) sowie für Uberziehungskredite, die der Kunde jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist und weitere Kosten zurückzahlen kann (§7 Abs. 5 VerbrKrG), als nicht anwendbar angesehen werden. Ist in diesen Fällen zugleich ein Haustürgeschäft gegeben, bleibt trotz § 5 Abs. 2 HaustürWG das Widerrufsrecht nach § 1 Abs. 1 HaustürWG bestehen. Das HaustürWG ist von der Subsidiaritätsklausel nicht betroffen, wenn sie zur Schutzlosigkeit führen würde. § 5 Abs. 2 HaustürWG bezieht sich auf die Konstellationen, in denen das verdrängende VerbrKrG einen vergleichbaren, wenn auch unter Umständen differenzierter an den besonderen Erfordernissen des speziellen Rechtsgeschäfts ausgerichteten Schutz bietet. 131 Das Widerrufsrecht bezieht sich allerdings nicht auf einen bereits zustandegek o m m e n e n wirksamen Kreditvertrag, sondern auf den v o m Verbraucher gestellten Kreditantrag oder die v o m Verbraucher erklärte Annahme des schriftlichen Vertragsangebots des Kreditgebers. 1 3 2 § 7 Abs. 1 V e r b r K r G enthält also eine negative Wirksamkeitsvoraussetzung des Kreditvertrages. 1 3 3 Eine rechtliche MöglichFischer/Machunsky, § 1 HaustürWG Rn. 13, m. weit. Nachw. Palandt/Putzo, §5 HaustürWG Rn.5; Fischer/Machunsky, §5 HaustürWG Rn.31. 130 BT-Drucks. 10/2876, S. 14. 131 A.A. Palandt/Putzo, §5 HautürWG Rn.5. Für die Anwendung von §1 Abs. 1 HaustürWG, jedoch beschränkt auf den Fall, daß das Widerrufsrecht des §7 Abs. 1 VerbrKrG ausgeschlossen ist, weil eine der Ausnahmevorschriften des §3 Abs. 1 VerbrKrG eingreift, Ulmer, §3 VerbrKrG Rn. 4. Das ist im Ergebnis zutreffend; die Begründung, teleologische Reduktion, hingegen überzeugt nicht. § 3 VerbrKrG schränkt den Anwendungsbereich des VerbrKrG ein. Ist der Anwendungsbereich nicht eröffnet, ist §5 Abs. 2 HaustürWG nicht anwendbar. Einer teleologischen Reduktion bedarf es insoweit nicht 132 Es ist ohne Bedeutung, ob die widerrufene Willenserklärung vom Kreditgeber angenommen wurde oder ob der Verbraucher gemäß § 147 Abs. 2 BGB an seinen Antrag gebunden ist. 133 Streitig ist die dogmatische Struktur: Der BGH sieht das Widerrufsrecht als Einwendung. Die Rechtslage während der Widerrufsfrist werde durch die Ausübung nicht verändert. Mache der Kreditnehmer sein Recht aus §7 Abs. 1 VerbrKrG geltend, entfalte seine ursprüngliche Willenserklärung keine Wirkung, so der BGH NJW 1996, 57, 58; zustimmend v. Westphalen, in: v. Westphalen/Emmerich/v. Rottenburg, §7 VerbrKrG Rn. 11. Die Literatur sieht demgegenüber in dem Widerrufsrecht in Ubereinstimmung mit der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 11/5462, S.22) ein Gestaltungsrecht zur Vermeidung des Vertragsabschlusses, Palandt/Putzo, §7 VerbrKrG Rn. 4; Bülow, §7 VerbrKrG Rn. 15; Münstermann/Hannes, §7 VerbrKrG Rn. 334. Ei§7 VerbrKrG Rn.6) betont die während der ne weitere Ansicht (Erman/Klingsporn/Rebmann, 128 129
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
251
keit, eine nachträgliche Bedürfnisänderung herbeizuführen, gibt weder § 7 VerbrKrG noch der vergleichbare § 1 H a u s t ü r W G . Der formgerecht abgeschlossene, jedoch noch widerrufbare Kreditvertrag ( § 4 Abs. 1 VerbrKrG) ist schwebend unwirksam. Bis zum Ablauf der Wochenfrist des § 7 Abs. 1 VerbrKrG bestehen keine Erfüllungs- oder Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung. 1 3 4 Der Widerruf nach § 7 VerbrKrG stellt daher keinen Fall einer aus einseitigen Motiven heraus lösbaren vertraglichen Verpflichtung dar. 135 § 7 VerbrKrG regelt somit keinen nachträglich entstandenen abschlußnegierenden Faktor. Eine Möglichkeit, nachträgliche Ereignisse in eine Lösung des Vertragsverhältnisses münden zu lassen, stellt das bei Dauerschuldverhältnissen anerkannte Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund dar. Aus der Analogie zu den einzelnen gesetzlichen Regelungen und dem Rechtsgedanken des § 2 4 2 B G B ergibt sich die Zulässigkeit, insbesondere Dauerrechtsverhältnisse, die auf persönlicher Zusammenarbeit oder dem Bestand eines ungestörten gegenseitigen Vertrauens beruhen, aus wichtigem Grund zu kündigen. 1 3 6 Maßgebliches Kriterium für die A b standnahme von einem auf Dauer angelegten Vertragsverhältnis ist die Existenz eines wichtigen Grundes. Darunter ist ein Anlaß zu verstehen, der dem Kündigenden aus Gründen, die dem Risikobereich des Vertragspartners zuzuordnen sind, eine Fortsetzung des Vertrages unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beteiligten Interessen nicht mehr zumutbar erscheinen läßt. 137 Ein Umstand aus der eigenen Einflußsphäre begründet also Widerrufsfrist fehlende Wirksamkeit des Kreditgeschäfts; die Nichtausübung des Widerrufs verkörpere eine aufschiebende Bedingung für das Wirksamwerden der auf den Vertragsschluß gerichteten Willenserklärung des Verbrauchers. Eine vermittelnde Haltung nimmt Ulmer (§7 VerbrKrG Rn. 11) ein. Gestaltungsrecht und aufschiebende Bedingung schließen sich nach seiner Auffassung nicht aus: Es sei zu trennen zwischen der Nichtausübung des Widerrufsrechts, die nach Fristablauf ex nunc zur vollen Wirksamkeit führe und daher eine aufschiebende Rechtsbedingung darstelle, und dem die Unwirksamkeit der Verbrauchererklärung herbeiführenden Widerruf als Gestaltungsrecht. Unklar Bruchner, in: Bruchner/Ott/Wagner-Wieduwilt, §7 VerbrKrG Rn. 6 (»aufschiebende Bedingung«), Rn. 9 (»Gestaltungsrecht«). 134 Allg. Meinung, vgl. Bülow, NJW 1991, 129, 131; Ulmer, §7 VerbrKrG Rn.12; Erman/ Klingsporn/Rebmann, §7 VerbrKrG Rn.4; v. Westphalen, in: v. Westphalen/Emmerich/v. Rottenburg, §7 VerbrKrG Rn.12; Bruchner, in: Bruchner/Ott/Wagner-Wieduwilt, §7 VerbrKrG Rn. 6; BGHZ 119,283,298. § 7 Abs. 3 VerbrKrG ist zwar zu entnehmen, daß ein Kredit vor Ablauf der einwöchigen Widerrufsfrist valutiert werden kann, dabei handelt es sich aber um eine freiwillige Vorleistung des Kreditgebers ohne vertragliche Grundlage. 135 Mißverständlich Peters (JZ 1996, 73), der in §1 Abs. 1 HaustürWG und in §7 Abs.l VerbrKrG Rechte zur freien Vertragsaufsage sieht. In diesen Fällen wird aber keine vertragliche Bindung aus dem Vertragsschluß nachfolgenden freien Erwägungen wieder aufgehoben. 136 Vgl. die Ausführungen im 2. Kapitel (S.43ff.). Allg. Meinung, BGH NJW-RR 1991,1266, 1267; NJW 1990, 1989; OLG Düsseldorf NJW-RR 1991, 312; Palandt/Heinrichs, Einl. v. §241 Rn. 18. Dementsprechend hat die Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts das geltende Recht (siehe dazu Medicus, NJW 1992,2384,2387; Rolland, NJW 1992,2377,2381) in ihren Abschlußbericht übernommen, vgl. §307 Abs. 1 S. 1 BGB-KE (Abschlußbericht, S. 152): »Dauerschuldverhältnisse kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen.« 137 BGH WM 1992, 156, 157; NJW-RR 1991, 1266, 1267; NJW 1989, 1482, 1483; BGHZ 41, 104, 108.
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2. Teil: Leitlinien einer
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grundsätzlich kein Kündigungsrecht; den Vertragspartnern ist der Weg verwehrt, durch eigene Beweggründe oder Interessenänderungen eine Ursache für eine Vertragsauflösung zu schaffen. 1 3 8 Auch die Kündigung aus wichtigem G r u n d gibt also dem Kündigenden kein Gestaltungsrecht, um beliebige nachträgliche Willensänderungen einseitig rechtlich umzusetzen. Als von eigenem Willen getragene willkürliche negative Abschlußkontrollvarianten 1 3 9 bleiben Tatbestände, die in dem Vertrag selbst ihren Ursprung haben, wie beispielsweise der Widerrufsvorbehalt oder der Rücktritt, sowie der nachträgliche einverständliche Aufhebungsvertrag als actus contrarius. Ein auf Willkür einer Partei beruhender allgemeiner Dispens vom Grundsatz »pacta sunt servanda« fehlt in der Rechtsordnung. D i e Pflicht zur Vertragstreue steht aufgrund nachträglicher beliebiger Willensänderungen eines Vertragspartners grundsätzlich nicht zur Disposition. Eine Ausnahme von dieser Grundaussage, also eine Fallgruppe, bei der die nachträglich vertragsunwillige Seite die Vereinbarung ohne jeglichen G r u n d einseitig auflösen kann, beschreibt § 6 4 9 B G B für einen speziellen Anwendungsbereich. bb) Der
Ausnahmefall
Eine Möglichkeit, sich aufgrund bloßer Interessenänderung von der Bindung an den Konsens loszusagen, regelt § 6 4 9 B G B . D i e Ausführung eines Werkvertrages erstreckt sich unter Umständen über einen längeren Zeitraum. Dadurch können sich vielfältige Anlässe ergeben, die Fertigstellung des Werkes abzusagen. 1 4 0 D i e sem Strukturmerkmal des Werkvertragsrechts hat der Gesetzgeber Rechnung getragen, indem er in den § § 6 4 3 , 649 B G B Kündigungsmöglichkeiten vorsieht. 1 4 1 § 643 B G B gesteht dem U n t e r n e h m e r in Ergänzung des Schadensersatzanspruches gemäß § 642 B G B ein Kündigungsrecht zu. Verzögert sich die Herstellung des Werkes, weil der Besteller bei der Herstellung nicht rechtzeitig vertragsgemäß mitwirkt, so steht dem Unternehmer, der mit Blick auf Anschlußaufträge zeitlich und personell disponieren muß, nach § 6 4 3 B G B ein Kündigungsrecht zu. N e b e n den Voraussetzungen des § 6 4 2 B G B , mithin einem Annahmeverzug des Bestellers, muß der U n t e r n e h m e r dem Besteller nach Satz 1 des § 6 4 3 B G B eine angemessene Vornahmefrist verbunden mit einer Kündigungserklärung 1 4 2 setzen. Das 138 Das ist der Grundsatz, B G H N J W 1996, 714; N J W 1991, 1829; siehe auch B G H NJW 1951, 836 m. weit. Nachw. zur RG-Rechtsprechung. Unter Umständen kann ein Kündigungsrecht auch dem zustehen, der sich selbst vertragswidrig verhalten hat, B G H NJW 1958, 1531. Dies ist aber (als Ausnahmefall) nur dann anzunehmen, wenn durch das Verhalten die gemeinsame Vertrauensgrundlage zerstört wurde, der Anknüpfungspunkt also zumindest mittelbar auch der Sphäre des Vertragspartners zuzurechnen ist. 139 Der Widerruf einer Schenkung (vgl. §530 B G B ) steht nicht im Belieben des Schenkers, ein bloßer Sinneswandel genügt für eine Auflösung des Vertrages nicht; Einzelheiten bei v. Morgen, Recht, passim. 140 Nicklisch, J Z 1984, 757f. 141 Soergel/Teickmann, § 649 Rn. 1 f.; Nicklisch, J Z 1984, 757ff., m. weit. Nachw. 142 Anders als bei § 326 Abs. 1 S. 1 B G B genügt eine Drohung mit der Erklärung nicht. Die Erklärung, daß die Beendigung des Vertrages nur noch vom Fristablauf abhängig sein soll, wenn der
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Vertragskontrollvarianten
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Kündigungsrecht des Unternehmers entspricht in seinen Erfordernissen den G e pflogenheiten der Zivilrechtsordnung, wie § 3 2 6 B G B zeigt. 1 4 3 D i e Kündigung ist nur unter engen Voraussetzungen möglich. Demgegenüber fügt sich das Kündigungsrecht des Bestellers nach § 6 4 9 S. 1 B G B in das Zivilrechtsgefüge nicht ein. D e r Besteller kann das Primärschuldverhältnis ohne Angabe oder Existenz von Gründen auflösen. Voraussetzung ist neben einem Werkvertrag i.S.d. § 6 3 1 B G B allein der Zugang (§ 130 Abs. 1 S. 1 B G B ) einer vom Besteller abgegebenen Kündigungserklärung beim Unternehmer. 1 4 4 A b dem Zugangszeitpunkt ist das Schuldverhältnis ex nunc aufgelöst, das heißt die bereits erfolgten Leistungen sind mit Rechtsgrund erbracht, für die Zukunft bestehen keine Leistungspflichten. D e r Besteller ist nicht verpflichtet, bei der Herstellung des Werkes (weiterhin) mitzuwirken oder das trotz Kündigung vollendete Werk abzunehmen. 1 4 5 D a sich die Kündigung auf den Herstellungsanspruch bezieht, der vertragliche Vergütungsanspruch nach § 6 3 1 Abs. 1 B G B also nicht betroffen ist, behält der Unternehmer seinen Anspruch auf die Gegenleistung. N a c h § 6 4 9 S . 2 B G B wird der Anspruch zum einen um ersparte Aufwendungen gekürzt, zum anderen hat sich der U n t e r nehmer anrechnen zu lassen, was er durch andere Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterläßt. 1 4 6 N u n stellt sich die Frage, ob und, wenn ja, welche methodischen Schlüsse aus der gesetzlichen Vorgabe in § 6 4 9 S. 1 B G B zu ziehen sind. Ist ein »e contrario«Schluß oder ein »argumentum a simile« angezeigt? Beide Konklusionen erscheinen auf den ersten Blick möglich und lediglich abhängig von der logischen A u f b e reitung der Fragestellung sowie der Fassung der Prämisse. 1 4 7 U n d in der Tat werden beide Vorgehensweisen vertreten. 1 4 8 Peters entnimmt § 6 4 9 S. 1 B G B den seiner Meinung nach verallgemeinerungsfähigen Gedanken, daß der Destinatär einer Sachleistung, der Käufer oder der Kreditnehmer, auf die Entgegennahme der Leistung analog § 649 S. 1 B G B verzichten kann, sofern er entsprechend Satz 2 der Vorschrift dem Vertragspartner die volle Vergütung für die vertragsgerechte LeiBesteller untätig bleibt, ist mit der Nachfristsetzung auszusprechen. Dies ist darin begründet, daß §326 Abs. 1 BGB Wahlmöglichkeiten unter mehreren Rechtsfolgen eröffnet, während §643 S. 1 BGB allein die Kündigung nennt. 143 Siehe Staudinger/Peters, §643 Rn. 1. 144 Zur Zeitspanne, in der eine Kündigungserklärung zulässig ist, Soergel/Teichmann, §649 Rn. 8ff., m. weit. Nachw. 145 Erman/Seiler, § 649 Rn. 5; Soergel/Teichmann, § 649 Rn. 14; Jauernig/Schlechtriem, § 649 Rn. 3; Soergel, in: MünchKommBGB, § 649 Rn. 7ff., jeweils m. weit. Nachw.; a. A. Kniffka, Festschrift für v. Craushaar, S. 359ff. 146 Einzelheiten zur Vergütungspflicht des Bestellers, insbesondere zur Berechnung und zum Entfall, bei Groß, BauR 1992, 36ff.; Mugler, BB 1993, 1469ff.; Wolf/Ungeheuer, NJW 1994, 1497; Quack, Festschrift für v. Craushaar, S.309ff.; Werner/Siegburg, BauR 1997, 181ff. 147 Allgemein Schneider, Logik, §§34, 35. 148 Für ein allgemeines Stornierungsrecht von (noch) nicht vollständig abgewickelten (Kauf-) Verträgen entsprechend § 649 S. 1 BGB Peters, JZ 1996,73 ff., 78; ders., in: Staudinger, § 649 Rn. 3, 42; für eine auf das Werkvertragsrecht beschränkte Sonderregel Soergel/Teichmann, §649 Rn. 1 (in Rn. 2 spricht sich Teichmann sogar zugunsten einer Eingrenzung des Anwendungsbereichs des §649 BGB aus); wohl auch Soergel, in: MünchKommBGB, §649 Rn. 1, 25f.
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
stung unter Abzug der ersparten Aufwendungen und des anderweitigen tatsächlich oder böswillig unterlassenen Erwerbs erstattet. 149 Peters begründet seinen Analogieschluß mit teleologischen Gesichtspunkten: Der Modellcharakter eines einseitigen Lösungsrechts des Sachleistungsberechtigten werde den Interessenlagen bei nicht sofort vollzogenen Verträgen gerecht. Dem Besteller, Käufer oder Darlehensnehmer verbleibe durch ein Kündigungsrecht analog § 649 S. 1 BGB auch für die Zukunft Entscheidungsfreiheit, und diese würden vor den Risiken, die eine etwaige ungerechtfertigte Erfüllungsverweigerung mit sich bringe, bewahrt. 150 Dem Unternehmer, dem ein gleichartiges willkürliches »Freikaufsrecht nicht zusteht«, werde ebenso Genüge getan, indem sein vorrangig finanzielles Interesse durch eine analoge Anwendung des § 649 S. 2 BGB gewahrt werde. 151 Immer dann, wenn ein zeitlicher Zwischenraum zwischen Abschluß und Erfüllung eines Vertrages liege, mache es Sinn, auf eine Sinnesänderung des Leistungsnehmers sofort reagieren zu können und einen »bereuten Vertrag« nicht mehr durchführen zu müssen. Schwierige und häufig unergiebige Schadensersatzprozesse könnten so vermieden werden. Die Vorteilhaftigkeit eines allgemeinen einseitigen Stornierungsrechts des Leistungsnehmers zeige sich beispielsweise im Kreditrecht. Ein Darlehensnehmer, der trotz vertraglicher Abrede 152 einen Kredit nicht abruft, ist nach überwiegender Ansicht zum Schadensersatz verpflichtet. Im Detail unklar sind allerdings die rechtliche Herleitung und die genaue Berechnungsweise des Anspruchs. 153 Eine konsequente und befriedigende Lösung bringt nach Peters die entsprechende Anwendung des §649 BGB: Billige man dem Darlehensnehmer ein Kündigungsrecht zu, hätte das klare Rechtsverhältnisse zur Folge. Das Vertragsverhältnis wäre beendet, der Darlehensgeber erhielte einen sachgerecht berechneten Zinsanspruch nach §649 S.2 BGB analog, der eindeutige Vorgaben dafür liefert, was sich der Darlehensgeber anrechnen lassen muß. Der Rückgriff auf §649 BGB trage somit auch zur Rechtssicherheit bei.154 Diese Überlegungen überzeugen nicht. U m mit letzterem Argument zu beginnen: Der Rechtssicherheit dient ein einseitiges voraussetzungsloses Vertragsbeendigungsrecht nicht. Im Gegenteil, dadurch wird ein Unsicherheitsfaktor in 149 Von Relevanz sei das freie Kündigungsrecht vor allem für das Kauf- und Kreditrecht; bei Dienstverträgen schränkt Peters die Analogie für die Fälle ein, in denen ein legitimes Beschäftigungsinteresse des Dienstverpflichteten besteht; vgl. Staudinger/Peters, §649 Rn.42. 150 Peters, JZ 1996, 73, 74. 151 Peters, JZ 1996, 73, 75. 152 Die Krediteröffnung räumt dem Kunden ein Abrufrecht ein, d.h. das Kreditinstitut ist verpflichtet, das Kapital in der vereinbarten Form zur Verfügung zu stellen, während dem Darlehensnehmer die Pflichten zukommen, die synallagmatische Gegenleistung (i.d.R. die Zinsen) zu zahlen und (als Nebenpflicht) den vereinbarten Betrag zurückzuerstatten, Esser/Weyers Schuldrecht II, § 26 IV. Eine Pflicht zur Inanspruchnahme des Darlehens besteht im Grundsatz nicht, kann aber vereinbart werden, H. P. Westermann, in: MünchKommBGB, Vor § 607 Rn. 23; Derleder, JZ 1989, 165, 169; K. Schmidt, JZ 1976, 756, 758f.; Schwintowski/Schäfer, Bankrecht, §7 Rn. 11 ff. 155 Dazu Derleder, JZ 1989, 165, 169ff.; vgl. auch Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 1338. 154 Peters, JZ 1996, 73, 77 f.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
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die Rechtsordnung hineingetragen, der ihre Grundlagen gefährdet. Der Rechtsordnung aufgetragen ist nämlich die Sorge für ein rechtliches Instrumentarium, das menschliches rechtsbezogenes Verhalten derart vorausberechenbar macht, daß eine sinnvolle Planung im wirtschaftlichen wie privaten Bereich ermöglicht wird. Dies gilt nicht nur im übergeordneten Sinn für die Verfügbarkeit einer Rechtsordnung überhaupt, sondern auch und erst recht für die selbstgestalteten Beziehungen zwischen den Rechtssubjekten im Rahmen dieser Ordnung. Zwingend notwendig dazu ist, daß Verbindlichkeiten im Sinne sicherer Erwartungen in bezug auf das Verhalten des Vertragspartners begründet werden können. 155 Bindung stellt das Korrelat zur Vertragsfreiheit dar. Persönlichkeitsentfaltung bedeutet nicht nur die Freiheit, weitgehend uneingeschränkt Abreden schließen zu können. Vertragsfreiheit und Vertragsbindung sind Komplementärinstitute. 156 Die Abrede darf nicht dadurch entwertet werden, daß sie durch ein willkürliches Absagerecht des Vertragspartners aufgehoben wird. 1 5 7 Die Anerkennung der Selbstbindungsmöglichkeit durch die Rechtsordnung ist Ausdruck der Menschenwürde. Das Recht, »für sich selbst über den gegebenen Augenblick hinaus zu bürgen« 158 , bildet einen Bestandteil des Persönlichkeitsrechts. 159 Signifikantes Persönlichkeitsmerkmal ist die staatliche Befugnis zu und Akzeptanz gegenüber inter partes wirksamen, den Augenblick überdauernden Verpflichtungen. 160 Selbstbindung ist nicht nur Teil der Selbstverwirklichung des Erklärenden. Auch der Erklärungsempfänger verdient den Schutz seines Vertrauens auf den Bestand der Erklärung. 161 Rechtssicherheit beschränkt sich nicht auf das Vertrauen des Erklärenden auf die Anerkennung seines Bindungswillens durch die Rechtsordnung, Rechtssicherheit enthält darüber hinaus einen vertrauensschützenden Aspekt. Privatautonomie ist für ihr Funktionieren auf Vertragstreue angewiesen. 162 Ohne Bindung an die in selbstbestimmter Entscheidung abgegebenen rechtsgeschäftlichen Erklärungen verliert die Rechtsordnung einen Eckpfeiler und maßgeblichen Vertrauensgesichtspunkt. 163 Die vertragliche Vereinbarung wird notwendigerweise zur verbindlichen Regelung, zur lex contractus, auf die sich der Rechtsverkehr verlassen kann und verlassen können muß. Darauf, daß Verträge regelmäßig gehalten werden und nicht 155
Bydlinski, Privatautonomie, S. 131 ff. Stathopoulos, A c P 194 (1994), 543, 552: » D e r zweite Faktor ist, daß die Vertragsfreiheit und mit ihr das D o g m a der Selbstverpflichtung allein durch den Vertrag z w a r i m m e r noch ihr Fundament u n d ihre Rechtfertigung in der Privatautonomie finden ...«. 157 Hübner sieht in der G e w ä h r u n g »willkürlicher« negativer Abschlußkontrollrechte eine » E n t m ü n d i g u n g « des hierdurch Begünstigten durch Herabsetzung seines Persönlichkeitswertes, Festschrift für Börner, S.717, 722 f. 158 Hartmann, Ethik, S. 465f. 159 Lorenz, Schutz, S. 28. 160 Larenz, Recht, S. 57 (»Selbstbestimmung durch Selbstbindung«). 161 v. Craushaar, Einfluß, S.36; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, § 145 II A 3b; Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 266ff. 162 N ä h e r im 2. Kapitel (S.43ff., 50ff.). 163 Canaris, Vertrauenshaftung, passim, insbes. S. 411 ff.; Frotz, Verkehrsschutz, S. 10ff., 258ff. 156
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2. Teil: Leitlinien einer
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der Willkür einer Vertragsseite offen stehen, ist der Wirtschaftsverkehr angewiesen, um verläßliche Dispositionen treffen zu können. Gerade bei Lieferungsketten oder bei den über lange Zeiträume nicht endgültig abgewickelten Dauerschuldverhältnissen wäre der Geschäftsverkehr bei einem grund- und fristlosen Stornierungsrecht kaum mehr berechenbar, mit der Folge negativer Auswirkungen auf K o n j u n k t u r und Arbeitsmarkt. 1 6 4 H i n z u k o m m t , daß Selbstverantwortung nicht nur die Verwirklichung eigener Vorstellungen meint, sondern - bereits der Begriff bringt das zum Ausdruck - auch Verantwortung für die Willenserklärung. E r k e n n t die Rechtsordnung das Prinzip der Selbstverantwortung an, so hat sie konsequenterweise das Mittel hierzu zur Verfügung zu stellen, das verpflichtende, nicht willkürlich einseitig aufsagbare Rechtsgeschäft. F ü r das eigene Verhalten und dessen Folgen hat eine Person einzustehen, wenn die Willensbildung infolge voller Kenntnis der entscheidungserheblichen Tatsachen und frei von sachfremden Einflüssen mittels verständigen Abwägens der Vor- und Nachteile erfolgt ist und wenn der so gebildete Willen unverfälscht in den Konsens eingegangen ist, sowie dieser in der Rechtsordnung Anerkennung findet. D e r Selbstbestimmung immanent ist die rechtliche Möglichkeit, sich selbst Einschränkungen für die Zukunft aufzuerlegen. Verantwortung stellt die Konsequenz der dem einzelnen eingeräumten freien Selbstbestimmung dar 1 6 5 und bedingt Zurechenbarkeit. Das Entstehen und die Beständigkeit von Verpflichtungen gehen auf die Z u rechenbarkeit des Verhaltens zurück. 1 6 6 D i e U m s e t z u n g des Konsenses kann nicht der Willkür einer Seite überlassen bleiben. N u r der verantwortungsvolle U m g a n g mit der gemeinsam getroffenen Gestaltung wird dem in der Regelung zum Ausdruck gebrachten gemeinsamen Willensakt gerecht. D i e Bindung an einen Vertrag ist gerechtfertigt, weil und sofern die Willenserklärung auf einer eigenen selbstbestimmten Entscheidung beruht und Vertrauens- sowie Verkehrsschutz genießt. Bindung verkörpert ein notwendiges Prinzip der Gesamtrechtsordnung. Eine grundsätzlich liberal geprägte Rechtsordnung kann sich nicht damit begnügen, Vertragsfreiheit anzuerkennen und die Rechtsregeln zur Verfügung zu stellen, die eine berechenbare Lösung rechtlicher Fragen sicherstellen. N e b e n dem individuenübergreifenden rechtssicheren Makrogefüge spiegelt sich Rechtssicherheit vielmehr auch im einzelnen Rechtsverhältnis wider. D i e Mikroordnung bedarf ebenfalls der Sicherheit und Berechenbarkeit der Gestaltung. Vertragsverhältnissen durch bloße Erklärung ei164 Zu Rechtssicherheit führt ein freies Lösungsrecht nicht. Zuzugeben ist Peters QZ 1996, 73 ff.), daß - ein freies Lösungsrecht unterstellt - die Kriterien des §649 S.2 B G B mehr Rechtsklarheit für die Vergütungsberechnung bringen. Insoweit kann erwogen werden, die Berechnungsmaßstäbe in vergleichbaren Konstellationen entsprechend heranzuziehen. §649 S.2 B G B dient ähnlich wie §§324 Abs. 1 S.2, 615 S.2, 642 Abs.2 B G B dem Zweck des Vorteilsausgleichs; in Betracht zu ziehen ist dementsprechend eine Rechtsanalogie. 165 Vgl. Bydlinski, Privatautonomie, S. 54f.; Merz, Privatautonomie, S. 11; Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 75 ff. 166 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S.467f. Zu trennen sind Zurechnung und Veranlassung. Das Veranlassungsprinzip als solches vermag zur Erklärung der Bindungswirkung keinen Beitrag zu leisten, im einzelnen Canaris, Vertrauenshaftung, S. 473 ff.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
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ner Seite die Verbindlichkeit zu entziehen, widerspricht den Grundlagen der Rechtsordnung. Kein anderes Ergebnis ergibt sich, wenn § 6 4 9 B G B anhand der klassischen Auslegungsmethoden im H i n b l i c k auf die Voraussetzungen einer Gesetzesanalogie untersucht wird. Das freie Kündigungsrecht des Bestellers, das dieser ohne jede Veranlassung durch den Unternehmer auszuüben vermag, wird historisch mit der außergewöhnlichen Interessenlage im Werkvertragsrecht begründet. In den Motiven wird klargestellt, daß der »einseitige willkürliche Rücktritt« allein auf den »Eigentümlichkeiten des Werkvertrages« gründet. D i e werkvertragliche B e sonderheit »trägt den Interessen des Bestellers, der, wenn nicht allein, so doch vorzugsweise ein Interesse an der Ausführung des Werkes hat, insbesondere den Veränderungen in den persönlichen Verhältnissen des Bestellers, Rechnung, ohne andererseits gegenüber dem U n t e r n e h m e r unbillig und ungerecht zu sein, da Letzterer dadurch vollständig schadlos gehalten wird, daß ihm der Anspruch auf die Gegenleistung nach Maßgabe des § 3 6 8 Abs. 2 verbleibt.« 1 6 7 Ihre Bestätigung findet diese Einschätzung mittelbar in den Protokollen, die im Zusammenhang mit der Diskussion über das für § 5 7 8 , den heutigen § 6 4 9 B G B , vorgesehene Rücktrittsrecht bei wesentlicher Überschreitung eines Kostenvoranschlages die besondere Interessenlage im Werkvertragsrecht betonen. 1 6 8 Von der allgemeinen Vertragsbindung macht § 649 B G B aufgrund der R ü c k sichtnahme auf eine besondere Interessenlage beim Werkvertrag eine Ausnahme. Während das Gesetz dem U n t e r n e h m e r abgesehen von § 6 4 3 B G B und § 3 2 6 Abs. 1 S. 3 B G B kein R e c h t zum A b b r u c h des Werkvertrages zugesteht, rechtfertigt sich ein solches des Bestellers (allenfalls) aus ökonomischen Interessen, denen § 649 B G B Rechnung trägt. Die Werkleistung ist zukunftsbezogen; im Laufe der Fertigstellung können sich aus vielfältigen Gründen Ursachen für einen A b b r u c h des Vertragsverhältnisses, also einen Verzicht auf die Fertigstellung des Werkes ergeben. D a das Werk in der Regel allein für den Besteller hergestellt wird, kann es in sein Belieben gestellt werden, gegen volle Entgeltzahlung gemäß § 6 4 9 S. 2 B G B von der Fertigstellung des Werkes Abstand zu nehmen. Dies bringt zum A u s druck, daß dem Unternehmer nach § 6 3 1 Abs. 1 B G B im allgemeinen kein A n spruch auf Herstellung des Werkes zusteht, sondern ein solcher auf die Vergütung. 1 6 9 Sinn und Z w e c k der N o r m liegen darin, gerade diese besondere Interessenkonstellation umzusetzen. 1 7 0 § 6 4 9 B G B enthält in der Sache keine verallgemeinerungsfähige Aussage, vielmehr stellt die N o r m für einen begrenzten Sachverhalt eine Sonderregel auf. E i n e analoge Anwendung auf Verträge, bei denen Vertragsschluß und endgültige A b Motive II, S.502f. Protokolle II, S.2255f. 169 Im Synallagma steht die Pflicht zur Abnahme (§640 BGB), sofern sie nicht nach der Beschaffenheit des Werkes ausgeschlossen (vgl. §646 BGB) oder Abweichendes vereinbart ist. Auf die Abnahmepflicht kommt es im Kündigungsfall nicht an. 170 Soergel/Teichmann, §649Rn. 1 ;Soergel, in: MünchKommBGB, §649 Rn. 1; Erman/Seiler, §649 Rn. 1; Palandt/Thomas, §649 Rn. 1; RGRK/Glanzmann, §649 Rn. 1. 167 168
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
wicklung des Vertrages zeitlich wesentlich auseinanderfallen, kommt nicht in Betracht. Bestätigt wird diese Annahme durch den Wortsinn und den Bedeutungszusammenhang, in dem § 649 BGB steht. Weder Wortlaut noch Stellung der Vorschrift deuten auf einen generellen Regelungswillen hin. § 649 BGB steht im zweiten Buch im siebenten Abschnitt und nicht im ersten Buch oder im allgemeinen Teil des Schuldrechts. Die inhaltliche Sonderstellung des §649 S. 1 BGB spricht für eine restriktive Anwendung. Gestützt wird das Ergebnis durch eine Untersuchung der Teleologik des §649 BGB.171 Die N o r m ist, wie ihr geschichtlicher Hintergrund zeigt, vor allem auf den Einzelkaufmann bzw. einen Kleinbetrieb zugeschnitten, 172 dem aufgrund der Vergütungspflicht keine weiteren strukturellen Nachteile durch die Vertragsaufsage entstehen. Er mag auf Veränderungen der Auftragslage durch organisatorische Umstellungen vielleicht noch angemessen reagieren können. Bei vielschichtigeren Unternehmen größerer Dimension, gerade im Hochtechnologiebereich, verliert der Hinweis auf §649 S.2 BGB an Gewicht. Pilot- und Entwicklungsprojekte, mit denen der Unternehmer bei gelegentlich kaum kostendeckender Vergütung bezweckt, neue Produkte und Herstellungsmethoden zu entwickeln (das Werk als »Referenz- oder Demonstrationsobjekt« 173 ), werden von der Zielrichtung der Vorschrift nicht erfaßt. Produktions- und Mitarbeiterplanung sowie der Know-how-Erwerb und das nur durch erfolgreich abgeschlossene Projekte erwerbbare Marktrenomme lassen sich durch die Vergütungspflicht unter Umständen nicht (vollständig) kompensieren. 174 Privatrechtssubjekte werden am sogenannten bereuten Vertrag regelmäßig festgehalten. §649 BGB ist nicht verallgemeinerungsfähig. Das zeigen historische, systematische, grammatische und teleologische Interpretation. Die Vorschrift stellt eine Ausnahmeerscheinung im deutschen Recht dar, die im Hinblick auf den Grundsatz der Vertragstreue systemfremd erscheint. Wankelmut gegen-
171 Ebenfalls in diese Richtung Staudinger/Teichmann, §649 Rn. 2; Weyers, Werkvertragsrecht, S. 1115, 1136; Nicklisch, BB 1979, 533ff.; ders., JZ 1984, 757, 768. 172 Motive II, S. 470, 506f. Der Gesetzgeber hat sein Vertragsmodell auf Werkverträge handwerklicher Fasson ausgerichtet und dabei an Arbeiten wie das Malen eines Portraits, den Transport von Gegenständen, die Herstellung eines Kleidungsstücks oder an Schreinerarbeiten gedacht. Siehe in diesem Sinne auch Cosack/Mitteis, Bürgerliches Recht, §209 1,1; Kohler, Bürgerliches Recht, §13811,4. Der Werkvertrag ist nach seinem historischen Zweck auf Erfüllungsvollzug ausgerichtet; die in der postindustriellen Industriegesellschaft zunehmende Komplexität der Aufträge mit ihrer Tendenz zu Kooperation, Rahmen- und Entwicklungscharakter (vgl. Nicklisch, JZ 1984, 757, 762ff.) ist im Werkvertragsrecht nicht ausreichend berücksichtigt. 173 Esser/Weyers, Schuldrecht II, §34a. 174 Allein der Hinweis auf die Abdingbarkeit des §649 S. 1 BGB ist keine Lösung. Das freie Kündigungsrecht bleibt gleichwohl ein Fremdkörper in der grundsätzlich der Vertragstreue verpflichteten Rechtsordnung. Zu Recht hat deshalb Weyers (Werkvertragsrecht, S. 1115, 1136f.) vorgeschlagen, §649 BGB um einen Satz folgenden Inhalts zu ergänzen: »Diese Kündigung ist ausgeschlossen, wenn der Unternehmer ein besonderes Interesse an der Durchführung des Vertrages hat und der Besteller dies bei Abschluß des Vertrages erkennen konnte.«
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
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über einem abgeschlossenen Vertrag findet in der Rechtsordnung keine allgemeingültige Entsprechung in einem Recht zur freien Vertragsaufsage. 175 Auch § 65Ii Abs. 1 B G B beinhaltet keinen generellen Dispens vom Grundsatz der Rechtstreue. Die Vorschrift, eingeführt durch das Reisevertragsgesetz vom 4.5.1979 1 7 6 , gibt dem Reisenden das Recht, vor Reiseantritt jederzeit formlos vom Vertrag zurückzutreten, ohne daß es bei der Geltendmachung eines besonderen Grundes bedarf. Das freie Stornorecht beruht auf der Überlegung des Gesetzgebers, daß niemand gegen seinen Willen eine Pauschalreise, die in der Regel eine Erholungsreise darstellt, antreten muß, weil dann der Sinn und Zweck der Reise nicht mehr gewährleistet wären. 177 Bei der häufig langfristigen Planung von Reisen können sich zwischenzeitlich zahlreiche Umstände ergeben, die es dem Reisenden verwehren, die Reise anzutreten. Der Rücktritt gemäß §65Ii Abs. 1 B G B beseitigt rückwirkend den Reisevertrag mit der Folge, daß der Anspruch des Reiseveranstalters auf den vereinbarten Reisepreis nach §651i Abs. 2 S. 1 B G B und der des Reisenden auf die Reiseleistungen entfallen. Gemäß § 651 i Abs. 2 S. 2 B G B kann der Reiseveranstalter eine angemessene Entschädigung verlangen, deren Höhe sich nach dem Reisepreis unter Abzug des Wertes der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie dessen, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistung erwerben kann (§651i Abs.2 S.3 BGB), ergibt. 178 §65Ii B G B drückt keinen allgemeinen Grundsatz des Zivilrechts aus, da er auf spezifische Besonderheiten des Reisevertragsrechts zugeschnitten ist. 179 Die Lage ist der bei §649 B G B vergleichbar. Der Reisevertrag ist als siebter Titel unter der Uberschrift »Werkvertrag und ähnliche Verträge« geregelt. Trotz aller Unterschiede im Detail 180 hat der Gesetzgeber § 651 i B G B in Anlehnung an §649 B G B geschaffen. §65Ii B G B führt in der Sache die Idee eines auf Werkverträge beschränkten freien Vertragsbeendigungsrechts des Leistungsempfängers fort. 181 Die Vorschrift bringt keinen grundsätzlichen legislatorischen 175 A.A.v. Venrooy, JR 1991, 492, 496f., der §649 S. 1 BGB als Ausdruck »schuldrechtlicher Normalität« versteht, derzufolge ein Gläubiger nur berechtigt sei, die ihm geschuldete Leistung anzunehmen, ihn aber keine entsprechende Pflicht treffe. Von Ausnahmen wie § 433 Abs. 2 BGB abgesehen ist das zutreffend. Wie §§293ff. BGB zeigen, treffen den Gläubiger regelmäßig (nur) Nachteile bei einer fehlenden Mitwirkungshandlung, v. Venrooy übersieht aber den entscheidenden Unterschied: § 649 S. 1 BGB führt zur Aufhebung des Vertrages ohne sachlichen Grund. Gerade darin liegt der dem BGB wesensfremde Gehalt des §649 S. 1 BGB. 176 Zur historischen Entwicklung des Reiserechts, insbesondere zu den europarechtlichen Vorgaben, Tonner, AcP 189 (1989), 122ff.; Wolter, AcP 183 (1983), 35,39f.; Frührich, Reiserecht, Rn. 11 ff., m. zahlr. weit. Nachw. 177 BT-Drucks. 8/786, S. 19. 178 Einzelheiten bei Eichinger, Rücktritt, S. 53 ff. 179 Vgl. BT-Drucks. 8/786 und 8/2343; Tonner, in: MünchKommBGB, §651i Rn.l; Erman/ Seiler, Vor §651a Rn. 1; Seyderhelm, Reiserecht, Einführung, §65Ii Rn. 1. 180 j } e r Gesetzgeber hat für das Reiserecht nicht das in § 649 S. 1 BGB enthaltene Kündigungsrecht übernommen, sondern ein besonderes Rückgewährverhältnis geschaffen, das sich in die Systematik des BGB nicht einfügt (siehe Tonner, in: MünchKommBGB, §651i Rn.2, m. weit. Nachw.). Im Gegensatz zu §649 S.2 BGB steht dem Reiseveranstalter kein Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis zu, der Ausgleich ist als Entschädigungsanspruch ausgebildet, entspricht in Sinn und Zweck allerdings § 649 S. 2 BGB (BT-Drucks. 8/2343, S. 12). Ein weiterer rechtstechnischer Unterschied besteht darin, daß der Besteller eines Werks sein Kündigungsrecht bis zur Vollendung des Werkes ausüben kann, wogegen das Rücktrittsrecht des Reisenden nur bis zum Reiseantritt zur Verfügung steht (streitig, teilweise wird nach Reiseantritt eine analoge Anwendung des §651i BGB für möglich gehalten, vgl. Teichmann, JZ 1979, 737, 739f.; Pick, §651i Rn. 68; a.A. Staudinger/Schwerdtner, §651i Rn.6; Erman/Seiler, §651i Rn. 3). 181 Erman/Seiler, §651i Rn. 1; Frührich, Reiserecht, Rn.420; Soergel!Mühl, §651 i Rn. 1; Pick,
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2. Teil: Leitlinien
einer
Freiheitsbegrenzung
Gesinnungswandel in bezug auf das Vertragstreueprinzip zum Ausdruck; bei beiden Vorschriften handelt es sich um sachliche Ausnahmeregelungen. Eine analoge Anwendung des § 6 5 I i B G B wird deshalb - soweit ersichtlich - zu Recht nicht erwogen.
Ein allgemeines Stornorecht existiert nicht und ist de lege ferenda auch nicht anzustreben. Eine nachträgliche Bedürfnis- oder Interessenänderung sowie eine Umstellung der finanziellen Verhältnisse erlauben grundsätzlich keine willkürliche einseitige Vertragsaufsage. Eine vertragliche Abrede kann nicht dem Belieben eines Vertragspartners überlassen werden. Es gilt der Grundsatz »pacta sunt servanda«. E r bringt die Voraussetzung des rechtlichen Verkehrs schlechthin zum Ausdruck. 1 8 2 Die von den einem Vertragsschluß nachfolgenden Stimmungsschwankungen unbeeinflußte, rechtlich bindende Kraft von (Schuld-)Verträgen ist unabdingbarer Bestandteil der Rechtsordnung: »Die Anerkennung der bindenden Kraft der Verträge, vom Standpunkt des Zweckgedankens aus betrachtet, heißt nichts als Sicherung des ursprünglichen Zweckes gegen den nachteiligen Einfluß einer späteren Interessen-Verschiebung oder veränderter Interessen-Beurteilung in der Person des anderen Teils oder: rechtliche Einflußlosigkeit der Interessenänderung ... Das Versprechen ist die Entbindung des Vertrages von den Fesseln der Gegenwart... Damit aber das Wort die Leistung vertrete, muß die Sicherheit bestehen, daß es seinerzeit gegen die Leistung ausgetauscht werde«. 1 8 3 So stellt sich die Rechtslage zumindest dann dar, wenn die Sinnesänderung nachträglich erfolgt.
b) Ursprünglich existierende dem Vertragsabschluß widerstreitende
Umstände
Für originär refüsierte Verträge hält die Rechtsordnung Mechanismen bereit, um den Abschluß eines nicht vom wirklichen Willen getragenen Vertrages rückgängig zu machen. Dies entspricht dem Anliegen der Vertragsfreiheit, dem tatsächlichen Willen der Privatrechtssubjekte Geltung zu verschaffen. Das Ziel ist, grundsätzlich nur einen von korrespondierenden Willenserklärungen getragenen Konsens durch die Rechtsordnung anzuerkennen. 1 8 4
§651i Rn.3,134; Tonner, in: MünchKommBGB, §651i R n . 2 , 1 6 ; Bartl, Reiserecht, Rn. 140; Seyderhelm, Reiserecht, § 6 5 I i Rn.30; Staudinger/Schwerdtner, §651 i Rn. 1. 182 Vgl. im 2. Kapitel sowie Hübner, Festschrift für Börner, S. 717, 720. 183 Jhering, Zweck, S. 78. Treffend Ripert, La règle, S. 155: »Contracter c'est prévoir. Le contrat est une emprise sur l'avenir. Tout contrat contient une idée d'assurance.« Ubereinstimmend Raiser, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 101, 115 (die Erwartung der Parteien, im Notfall Rechtsschutz zu erlangen, sei wesentliche Ursache für die Bereitschaft, Verträge zu schließen, die nicht sofort abgewickelt werden); F. v. Hippel, Problem, S.69, 71 (Zukunftsbindung als Wesen des Rechtsgeschäfts); Mestmäcker, Festschrift für Hoppmann, S. 311, 320f. (wichtigstes Merkmal von Verträgen sei, daß sie die Vertragspartner instandsetzten, eigene Pläne unter Bedingungen der Ungewißheit über die Zukunft zu verwirklichen, ohne von außerhalb des Vertragsgegenstandes liegenden Motiven, Erwartungen oder Interessen des Vertragspartners abhängig zu sein). 184 Allgemein hierzu im 2. Kapitel (S.43ff.).
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
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Dem Zweck, die Rechtsbeziehungen zu anderen Personen durch private rechtsverbindliche Vereinbarungen zu gestalten - und das nach dem Willen der Beteiligten - , dienen die Vorschriften über das Zustandekommen eines Vertrages (§§ 145ff. BGB). Um die Willensrealisierung sicherzustellen, gleichsam um die Voraussetzungen zu schaffen, unter denen der Wille des einzelnen zur Entfaltung gelangen kann, gibt die Rechtsordnung besondere Anforderungen an das Wirksamwerden von Willenserklärungen vor. Dazu zählen neben den Vorgaben über Abgabe und Zugang von Willenserklärungen die Widerruflichkeit einer Vertragsofferte aufgrund des Ausschlusses der Gebundenheit nach § 145 Halbs. 2 B G B und die Annahmefrist gemäß § 147 B G B (mit der Folge des § 146 B G B ) ebenso wie §§ 149,150 oder §151 BGB. Gleiches gilt für die Auslegungsvorschriften (§§ 133,157 BGB), die die Ermittlung des Sinns mehrdeutiger Äußerungen zur Aufgabe haben und auf diese Weise Selbstbestimmung sicherstellen. Diese - in erster Linie »technischen« - Regelungen stellen nur die Willensfreiheit flankierende Maßnahmen dar. Sie führen nicht zu einer negativen Abschlußkontrolle. 185 Einer mittelbaren negativen Abschlußkontrolle dienen die N o r m e n , die eine bedingte, vom Willen des Betroffenen abhängige Negation des Vertragsabschlusses zum Gegenstand haben. D i e Rechtsordnung läßt eine einseitige Verpflichtungsaufsage hier deshalb in vielfältigen Konstellationen zu, weil der wirkliche Wille von Anfang an nicht fehlerfrei zum Ausdruck gekommen ist. Es handelt sich um Fälle, in denen originär ein D e f e k t in der Konsensbildung festzustellen ist, und dem Betroffenen das R e c h t zur Nichtigkeits- oder Unwirksamkeitserklärung 1 8 6 eingeräumt wird. Ein solcher Vertrag entfaltet im Falle der Rechtsausübung keine Rechtsfolgen, das Rechtsgeschäft wird »in Ansehung der gewollten rechtlichen Wirkungen« so behandelt, »als o b es nicht vorgenommen worden wäre.« 1 8 7 D e r tatsächliche Umstand eines - wenn auch unwirksamen - Rechtsgeschäfts bleibt bestehen. An diesen U m s t a n d können Rechtsfolgen anknüpfen, wobei es sich sodann nicht um rechtsgeschäftliche, sondern um gesetzliche Folgen eines unwirksamen Vertrages handelt. F ü r den Fall eines (ein- oder beidseitig) vollzogenen vermeintlichen Rechtsgeschäfts hat das die Rückabwicklung erbrachter Leistungen zur Folge. Welche Auflösungsrechte können nun eine derartige mittelbare negative A b schlußkontrolle verursachen? Während sich unmittelbar einen Vertragsabschluß negierende rechtliche Instrumentarien vor allem dort finden, w o die Sphären Dritter, die Allgemeinheit oder öffentliche Interessen berührt sind, beschränkt sich das einseitige Auflösungsrecht einer Partei auf Sachverhalte, bei denen die Fehlerquelle und die etwaigen Folgen denjenigen betreffen, der vom Vertrag A b stand nehmen kann. D i e Entscheidungsbefugnis über die Geltung oder Nichtgeltung des Vertrages verbleibt aufgrund dieser Erklärungsbezogenheit bei dem B e rechtigten. Diese Kompetenzzuordnung hat ihren G r u n d in der Privatautonomie. In die Freiheit, sich für oder gegen einen Vertragsabschluß zu entscheiden, Abweichend Lorenz, Schutz, S.45f. Zur Begrifflichkeit Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §44 Rn. lff. 187 So § 108 des Ersten Entwurfs zum BGB. Die Vorschrift wurde gestrichen, »weil der Begriff des nichtigen Rechtsgeschäfts in der Wissenschaft feststehe und deshalb einer eingehenden Definition nicht bedürfe«; Protokolle I, S.260f. 185
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
soll lediglich in einem u n u m g ä n g l i c h n o t w e n d i g e n M a ß eingegriffen w e r d e n . Ist allein die Sphäre einer Vertragspartei betroffen, kann es ihr überlassen bleiben, o b sie sich auf ein A u f l ö s u n g s r e c h t berufen m ö c h t e . D e m p r i v a t a u t o n o m e n Postulat, den wirklichen, mangelfreien Willen als B i n dungswillen festzuschreiben, w ü r d e ein weitgehendes L ö s u n g s r e c h t
entspre-
chen. Vertragsfreiheit, verstanden als R e c h t des einzelnen, Rechtsverhältnisse n a c h seinem Willen zu gestalten, 1 8 8 läßt sich im G r u n d e n u r dann verwirklichen, w e n n die in G e l t u n g gesetzten R e c h t s f o l g e n auch d e m tatsächlichen Willen entsprechen, das heißt, w e n n der E r k l ä r e n d e eine zutreffende Vorstellung v o n der B e d e u t u n g seiner E r k l ä r u n g hat. P r i v a t a u t o n o m i e bedeutet nicht, daß die E r k l ä r u n g als solche willentlich in G e l t u n g gesetzt w u r d e . 1 8 9 Fehlerhafte Selbstbestimm u n g bedeutet im G r u n d e keine Selbstbestimmung, 1 9 0 weil es maßgeblich auf die Gestaltung k o n k r e t e r Rechtsverhältnisse u n d nicht den E r k l ä r u n g s a k t als solc h e n a n k o m m t . 1 9 1 Dieser Prämisse gegenüber steht allerdings das Vertrauen des E r k l ä r u n g s e m p f ä n g e r s auf die abgegebene E r k l ä r u n g . Relevanz gewinnt hier die seit langem und bis heute ungeklärte Frage nach dem Verhältnis von Wille und Erklärung. Das Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung wird gekennzeichnet durch die Willens-, die Erklärungs- und die Geltungstheorie. Die Willenstheorie stellt die subjektive Gestaltungsfreiheit in den Mittelpunkt und deduziert aus einer Divergenz von Wille und Erklärung die Unwirksamkeit eines auf die Erklärung rekurrierenden Vertragsabschlusses. 192 Die Erklärungstheorie betont den institutionellen Aspekt des Privatrechts und stellt auf den objektiven Erklärungsgehalt ab. Der Wille des Individuums habe hinter dem nach außen getragenen Verhalten zurückzutreten. 1 9 3 Die Geltungstheorie 1 9 4 wiederum meint, den Dualismus von Wille und Erklärung durch das Wesen der Willenserklärung als Geltungsanordnung in ein kongruentes Erklärungsmodell vereinen zu können. Sie versteht nicht den inneren Willen als Geltungsgrund des Rechtsgeschäftes, sondern den als Einheit aufzufassenden Akt des In-Geltung-Setzens. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat bekanntlich einen pragmatischen Mittelweg eingeschla-
Vgl. das 2. Kapitel (S.43ff.) und Kramer, Grundfragen, S. 118ff. Frotz, Verkehrsschutz, S.463ff.; Hönn, Kompensation, S.95, 163. 190 Anders Bailas, Problem, S. 97; Canaris, Vertrauenshaftung, S.422; Sonnenberger, Verkehrssitten, S. 147. 191 Davon zu sondern ist der Disput, ob der rechtsgeschäftliche Wille auf bestimmte Rechtsfolgen gerichtet sein muß (sog. Rechtsfolgentheorie) oder ob es genügt, daß ein tatsächlicher Erfolg angestrebt ist (sog. Grundfolgentheorie). Der tatsächliche Erfolg ist inzident im rechtlichen Erfolg enthalten. Eine Willenserklärung verfolgt einen tatsächlichen Zweck; das ist aber nicht ihre primäre Intention. In erster Linie kommt es dem Erklärenden darauf an, daß das Gewollte rechtlich verbindlich ist. Die rechtlich abgesicherte Zweckerreichung steht im Vordergrund. Zutreffend ist deshalb der Rechtsfolgenansatz, der den tatsächlichen Erfolg miteinbezieht. Das Zusammenspiel beider Überlegungen ermöglicht, vielfältige Fragen zu beantworten. So bietet der erfolgsbezogene Gedanke der Grundfolgentheorie die Rechtfertigung dafür, daß der Geschäftswille nicht alle Rechtsfolgen im einzelnen umfassen muß; vgl. Kramer, in: MünchKommBGB, Vor § 116 Rn. 13. 192 Grundlegend Savigny, System III, S.258; Windscheid/Kipp, Lehrbuch, S.384ff. 193 Grundlegend Jhering, Jher.Jb. 4, 1 ff.; Bahr, Jher.Jb. 14, 393, 401. 194 Vgl. Larenz, Methode, S.69; Bailas, Problem, S. 91 f.; Dulckeit, Festschrift für Schulz, S. 148, 151f., 158f. 188 189
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
263
gen, 195 indem es die Wertvorstellungen als einander ergänzend aufgefaßt hat, wie sich insbesondere aus den Regelungsgehalten der §§133,157 B G B und der §§116 bis 124 B G B ergibt. Die finale Willenserklärung, bei der sich rechtsgeschäftlicher Wille und Erklärung decken, ist als »volltypische« Willenserklärung wirksam und bewirkt - sonstige Unwirksamkeitsgründe außer Betracht gelassen - im Konsens mit dem Vertragspartner rechtsgeschäftliche Bindung. Fallen innerer Wille und Erklärung auseinander, wird die Erklärung normativ vom Empfängerhorizont aus bewertet. Ein Verhalten, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nach der Verkehrsauffassung auf einen Rechtserfolg gerichtet ist, wird (zunächst) von der Rechtsordnung als Willenserklärung im normativen Sinn aufgefaßt. Die normative Zurechnung nimmt die Rechtsordnung entsprechend dem Prinzip formaler Selbstbestimmung unabhängig davon vor, ob in der Realität tatsächlich ein entsprechender Vertragsabschlußwille existiert. Im Vordergrund steht das objektive Bild der Erklärung. 196 Diese Bedeutungszuordnung kann unter bestimmten Voraussetzungen durch eine Anfechtung rückgängig gemacht werden. Die objektive Erklärungsverantwortung des Irrenden führt in einem solchen Fall zum Schutz des Vertrauensinteresses des Vertragspartners in Form des Ersatzes des Vertrauensschadens gemäß §122 Abs. 1 B G B . Das Gesetz verwirklicht so einen Mittelweg zwischen den Interessen des Erklärenden und des Erklärungsempfängers: Individuelle Autonomie und soziale Verantwortung werden legislatorisch zu einem Ausgleich gebracht. Dabei ist zu berücksichtigen, daß de lege lata die Anfechtbarkeit auf enumerative Fälle beschränkt ist. Es überwiegen also die mit der Privatautonomie korrelierenden Gedanken der Selbstverantwortung und des Vertrauensschutzes. 197 Das Gesetz räumt bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen im Grundsatz dem Vertrauen des Erklärungsempfängers auf die Rechtswirksamkeit einer Willenserklärung den Vorrang ein. Aus Gründen des Vertrauens- und Verkehrsschutzes geht die Rechtsordnung von einem normativen Begriff der Willenserklärung aus, kompensiert diese Sicht allerdings mit einzelnen Lösungsmöglichkeiten. Das Recht der Willenserklärung ist also dualistisch, indem es neben der Selbstbestimmung Elemente des Vertrauens- und Verkehrsschutzes in die Rechtsgeschäftslehre integriert. 198 195 Protokolle I, S.94: »... daß sich weder das Willensdogma noch die demselben gegenüberstehende Vertrauensmaxime (Erklärungstheorie) ohne erhebliche Modifikationen durchführen lasse und daß es daher nötig sein werde, die einzelnen in Betracht kommenden Fälle getrennt ins Auge zu fassen, ohne zu der einen oder anderen Theorie positiv Stellung zu nehmen.« 196 Vgl. Kramer, Grundfragen, S. 152ff. 197 Dazu Staudinger/Hefermehl, Vor § 116 Rn.45; Kramer, Grundfragen, S. 159ff.; Zweigert/ Kötz, Rechtsvergleichung, S. 419ff. Als Beispiel wird im folgenden § 123 BGB erörtert. 198 Von Nuancen in der Formulierung und divergierender Schwerpunktsetzung abgesehen herrschende Meinung, vgl. Brox, Einschränkung, S. 111 ff.; Bydlinski, Privatautonomie, S. 122 ff., 173ff.; ders., JZ 1975, 1, 4; Meier-Hayoz, Vertrauensprinzip, S. 101 ff.; Lüderitz, Auslegung, S . 2 7 8 f f K r a m e r , Grundfragen, S. 159ff., 164; Lorenz, Schutz, S.213ff.; zustimmend die Rechtsprechung BGHZ 109,171,177; 56,204,210; 53, 304,307; 47, 75, 78; BAGE 49,290,296; 47,130, 133; zusammenfassend der IX. Zivilsenat des BGH in seinem Urteil vom 7. Juni 1984 (BGHZ 91, 324,330): »Das Recht der Willenserklärung baut nicht nur auf der Selbstbestimmung des Rechtsträgers auf; es schützt in §§133, 157 BGB das Vertrauen des Erklärungsempfängers und die Verkehrssicherheit, indem es den Erklärenden auch an nicht vorgestellte und, was dem gleichzuachten ist, an nicht bewußt in Geltung gesetzte Rechtsfolgen bindet.« Kritisch gegenüber der Vertrauensschutzkonzeption Canaris, Vertrauenshaftung, S. 422f., der ausgehend von der Lehre der Geltungstheorie die Verbindlichkeit eines entsprechenden Rechtsgeschäfts aus dem Grundsatz der Privatautonomie ableitet: »Auch wer eine Erklärung unter dem Einfluß eines Irrtums, einer arglistigen Täuschung oder einer Drohung abgibt, setzt nämlich noch in Selbstbestimmung eine Regelung in Geltung; seine Selbstbestimmung ist dann zwar fehlerhaft, doch hört sie darum noch nicht auf, Selbstbestimmung zu sein.« Abweichend auch Frotz und Singer. Ersterer (Verkehrs-
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
U m den Interessen der Gegenseite an einer Klarstellung des Rechtsverhältnisses Genüge zu tun, sind die Gestaltungsrechte häufig fristgebunden. Wird das Recht nicht innerhalb einer bestimmten Frist ausgeübt, ist der Unsicherheitsfaktor ausgeräumt. Der Vertragspartner ist an die vertragliche Abrede trotz seines Willensmangels gebunden. Im übrigen hat der Gesetzgeber den Antagonismus zwischen Selbstbestimmung und Vertrauensschutz im Bereich der mittelbar negativen Abschlußkontrolle je nach Art des Willensmangels unterschiedlich aufgelöst. Schutz vor einem von Anfang an nicht gewollten Vertrag bietet vor allem das Anfechtungsrecht. Mit den Anfechtungstatbeständen stellt die Rechtsordnung ein Kompensationsmittel für die Bindung an das Nichtgewollte zur Verfügung. Zeitlich limitiert kann sich der Anfechtungsberechtigte vom Abschluß des Vertrages ex tunc lossagen. Paradigmatisch für die negative mittelbare Abschlußkontrolle ist § 123 Abs. 1 BGB. Die Vorschrift schützt in ihren beiden Varianten, der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und der wegen Drohung, die »freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiete«. 199 Der Funktion des Rechtsgeschäfts als Mittel privatautonomer Rechtsgestaltung folgend soll ein Vertragsabschluß, den der einzelne nicht unbeeinflußt von außen selbst beschlossen hat, unter bestimmten Voraussetzungen durch Anfechtung der Abschlußerklärung 200 rückgängig gemacht werden können. Der Grund für die Anfechtbarkeit liegt nicht in einem sittlich-verwerflichen Verhalten des anderen Teils, sondern in der Beeinträchtigung der Willensfreiheit. Anders als beim Erklärangsund Inhaltsirrtum, wo die Divergenz zwischen Geschäftswillen und Erklärungsschutz, S. 476f.) begründet mit einem e contrario-Schluß aus § 122 BGB seine Kritik an der Vertrauensschutzdoktrin; wenn bereits § 122 Abs. 1 BGB berechtigtes Vertrauen voraussetze, könne ein solches nicht zugleich tragender Grund für die Vertragsbindung sein. Singer (Selbstbestimmung, S. 61 ff., 127f., passim) tritt für eine (beschränkt) willenstheoretische Rechtsgeschäftslehre ein, die aufgrund einer konsequenten Trennung von autonomen und heteronomen Rechtsfolgen zweispurig ausgestaltet ist (vgl. auch Voit, Jahrbuch, S. 98f.): Für Rechtsgeschäfte bestehe nur dann eine privatautonome Legitimation, wenn die Rechtsgeschäfte auf einem formal fehlerfreien Akt der Selbstbestimmung beruhten, irrtümliche Willenserklärungen hingegen würden aufgrund einer gesetzlichen, den Schutz des rechtsgeschäftlichen Verkehrs bezweckenden Interessenbewertung gelten. Hält man an der Rechtsfolgentheorie (vgl. Fn. 191) fest, dann liegt bei fehlerhaftem Geltungswillen keine ausreichende Selbstbestimmung vor. Ebenfalls nicht stichhaltig ist die These von Frotz. § 122 BGB setzt eine Anfechtung voraus, und die vollzogene Ausübung des Selbstbestimmungsrechts kann eine Abschwächung der Vertrauenshaftung zu einem Ersatzanspruch auf das negative Interesse rechtfertigen. Singers Sicht wird dem Stand der Rechtsordnung nicht gerecht. Die §§116 bis 124 sowie § 157 BGB zeigen, daß das Recht der Willenserklärungen nicht allein voluntaristisch interpretiert werden kann. Die Willenserklärung ist ein Kommunikationsmedium, das auf Interaktion mit anderen angelegt ist und deshalb zwangsläufig das Vertrauen anderer erweckt. Willenserklärungen sind gleichermaßen von individueller wie sozialer Relevanz, siehe Stathopoulos, AcP 194 (1994), 543, 558; Schmidlin, ZSR 89 (1970), 225, 229. Selbstverantwortung, Selbstbestimmung und rechtsgeschäftlicher Vertrauensschutz stellen - wie Kramer (MünchKommBGB, Vor §116 Rn.37) treffend bemerkt hat - »Vorder- und Kehrseite ein und derselben Medaille« dar. Es ist deshalb von einer homogenen Figur der Willenserklärung auszugehen. 199
Motive I,S. 204. 200 V o r a u s s e t z u n g ; s t also eine Willenserklärung.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
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gehalt als Anfechtungsgrund anerkannt wird, stehen bei § 123 BGB Mängel in der Willensbildung im Raum. Dies ist deshalb so, weil die Freiheit der Willensentschließung durch äußere Einwirkungen Dritter beeinträchtigt wird, die dem Erklärenden nicht verantwortlich zugerechnet werden können. Im Vordergrund stehen die Interessen des Getäuschten, nicht die der Allgemeinheit. Ihm obliegt es - getreu dem Freiheitspostulat selbst darüber zu entscheiden, ob er das Rechtsgeschäft trotz Drohung oder Täuschung gelten lassen möchte. 201 Vertrauensschutz ist dem Erklärungsempfänger nur dann zu gewähren, wenn er die Willensstörung nicht kannte oder nicht kennen mußte - so die Vorgabe des Gesetzes in § 123 Abs. 2 BGB für den Fall der Täuschung. Die Drohung hingegen wird vom Gesetz derart mißbilligt, 202 daß der Schutz des Geschäftsgegners wissensunabhängig zurücktritt. Trotz der mißverständlichen Formulierung in den Motiven 203 ist der These einer Verallgemeinerungsfähigkeit der negativen Abschlußkontrolle gemäß den Wertungen in § 123 BGB nicht zu folgen. Manfred Wolf und Sack entnehmen (unter anderem) dieser Vorschrift einen allgemeinen Rechtsgedanken dahingehend, daß eine bindende Willenserklärung grundsätzlich einen freien unbeeinflußten Willen voraussetzt. 204 Sie übersehen dabei den Ausnahmecharakter der Anfechtungsnormen. Der Gesetzgeber hat sich im Grundsatz gegen die Beachtlichkeit des Motivirrtums entschieden. 205 Ein Irrtum im Beweggrund ist - von §119 Abs. 2 BGB abgesehen - für die Vertragsbindung irrelevant. Das Risiko der Willensbildung, also dafür, daß Vorstellungen nicht der Wirklichkeit entsprechen, hat der einzelne im Grundsatz selbst zu tragen. Titzes Vorschlag, in den rechtsbedeutsamen Inhalt der Willenserklärung auch dessen soziales und wirtschaftliches Umfeld zu integrieren, 206 knüpft nicht nur unzutreffenderweise an der Grundfolgentheorie an, er verkennt darüber hinaus den Unterschied von materieller und formaler Selbstbestimmung. Dem BGB liegt ein formaler Vertragsbegriff zugrunde. Dies ist zu Recht so, denn die allge201
So bereits Jacobsohn, Jher.Jb. 56, 329, 360. Motive I, S.206; Savigny, System III, S. 117 (»schlimmere, gefährlichere Störung des Rechtszustandes«); Singer, Selbstbestimmung, S. 208ff., betont die Zurechnungsmöglichkeit durch das Risikoprinzip. Bei der Drohung entfalle die Zurechenbarkeit mangels konkreter oder abstrakter Gefahrenbeherrschbarkeit, während der Getäuschte auf eigenes Risiko handele, wenn er sich dem Urteil eines Dritten anvertraue. 203 Motive I, S. 204: »Die freie, d.h. nicht rechtswidrig beeinflußte Willensentscheidung bildet nach ihnen ein Tatbestandsmoment des Rechtsgeschäftes und ein in dieser Hinsicht mangelhaftes Rechtsgeschäft wird dergestalt als unverbindlich behandelt, daß es im Willen des Verletzten steht, ob er die Nichtigkeit geltend machen will oder nicht.«; Motive I, S. 206: »Ist die Freiheit der Willensentscheidung Voraussetzung der Gültigkeit der Willenserklärung, so kann es an sich keinen Unterschied machen, ob die rechtswidrige Beeinflussung von einem bei dem Rechtsgeschäfte Beteiligten oder Unbeteiligten ausgeübt worden ist.« 204 Sack, Wettbewerb, S. 16ff., der den Ansatz von Wolf zwar kritisiert, ihm aber im Ergebnis weitgehend folgt; Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 123f. Siehe dazu bereits im 5. Kapitel. 205 Musielak, GK BGB, Rn.320. 206 Titze, Festschrift für Heymann, S. 72ff., 94 (»nicht angängig, die letzteren aus dem Begriff des Geschäftswillens auszuschließen.«). 202
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2. Teil: Leitlinien einer
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meine Berücksichtigung individueller Fehlvorstellungen über die Zweckdienlichkeit eines Vertragsabschlusses würde zu einer weitgehenden Funktionsentwertung rechtsgeschäftlicher Bindungen führen. 207 Tatsächliche Vorstellungen oder Zwecke sind rechtlich dann von Bedeutung, wenn sie in Form einer Bedingung oder Garantie zum Inhalt des Vertrages erhoben werden. Die Verbindlichkeit eines Vertrages kann nicht aufgrund bloßer innerer Erwartungen in Frage gestellt werden.208 An einem bewußt gegebenen Wort hat sich der Erklärende prinzipiell festhalten zu lassen; persönliche Vorüberlegungen fallen - vorbehaltlich einer gesetzlichen Relevanznorm - dem eigenen Verantwortungsbereich zu. Vertragsfreiheit bedeutet (auch) Selbstverantwortung. An dieser Grundhaltung der Rechtsordnung ist auch de lege ferenda keine Änderung im Sinne der Überlegungen von Manfred Wolf, Sack oder von Titze vorzunehmen. 5. Ergebnis Es ist dem Willen der Personen überlassen, ob und mit wem sie rechtsgeschäftliche Beziehungen eingehen wollen. Die Abschlußfreiheit wird durch Kontrollmechanismen in positiver und in negativer Hinsicht begrenzt. Die positive Abschlußkontrolle enthält einen unmittelbar oder mittelbar wirkenden Zwang, einen bestimmten Vertrag mit einem konkreten Vertragspartner abzuschließen. Die negative Abschlußkontrolle schließt in ihrer unmittelbaren Alternative eine vertragliche Bindung aus, während die mittelbare negative Abschlußkontrolle eine Auflösung des Vertrages erlaubt. Ist ein Vertrag zustandegekommen, stellt sich die Frage, zu welchen Bedingungen. Die Prüfung, ob eine Klausel Vertragsinhalt geworden ist, wird im Wege der sogenannten Einbeziehungskontrolle vorgenommen. Die Einbeziehungskontrolle ist Gegenstand des folgenden Abschnittes. Erst dann, wenn diese Prüfung zu dem Ergebnis führt, daß eine bestimmte Regelung vereinbart wurde, kommt es darauf an, ob die entsprechende Klausel inhaltlich Bestand hat. Der kurze Uberblick über die einzelnen Vertragskontrollvarianten endet deshalb mit einer Beschreibung der Inhaltskontrolle.
III. Einbeziehungs- oder Vertragsgegenstandskontrolle 1. Die Einbeziehungskontrolle im engeren Sinn Die gerichtliche Prüfung der Wirksamkeit einer Vertragsklausel setzt zunächst den Abschluß eines Vertrages voraus. Steht das - unter Umständen nach einer 207 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 191 f.; pointiert Zitelmann, Irrtum, S.415: »Dann gilt überhaupt niemals irgendein Rechtsgeschäft, alles ist nichtig, nichts zurechenbar.« 208 j ) e r Unterschied zum Inhaltsirrtum besteht darin, daß dort der Erklärende etwas anderes erklären wollte, während hier ein bewußtes und gewolltes Handeln zu beurteilen ist; Bydlinski, Privatautonomie, S. 56ff., m. weit. Nachw. zur Rechtfertigung der Anfechtungsgründe in §119 BGB.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
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Abschlußkontrolle - fest, ist vor der Prüfung der inhaltlichen Rechtskonformität zu erörtern, ob die betreffende Klausel Bestandteil des Vertrages geworden ist. Von Einbeziehungs- oder Vertragsgegenstandskontrolle ist dabei als Vertragskontrolle im Sinne des im Rahmen dieser Arbeit verwendeten Bedeutungsgehalts des Kontrollbegriffs im engeren Sinn zu sprechen, 2 0 9 soweit Erfordernisse im Raum stehen, die über die §§ 145ff. B G B hinausgehende Anforderungen für die Einbeziehung von Vertragsklauseln aufstellen. Eine solche der inhaltsbezogenen Kontrolle vorgeschaltete 2 1 0 Prüfung ist vor allem im Bereich der konkreten Verwendung von allgemeinen Geschäftsbedingungen (vgl. § 1 A G B G ) gegenüber einzelnen Privatrechtssubjekten im Anwendungsbereich des A G B G (vgl. § § 2 3 , 24 A G B G ) bedeutsam. Von geringer Bedeutung ist die Einbeziehungskontrolle im Bereich der Verbandsklage. Verbraucher- und Wirtschaftsverbände können ebenso wie die Kammern von Industrie, Handel und Handwerk Empfehler und Verwender rechtswidriger AGB-Bestimmungen auf Widerruf und Unterlassung verklagen, § 13 Abs. 1, 2 A G B G . Wie sich §§ 14ff. A G B G entnehmen läßt, ist die Kontrollbefugnis abstrakt; auf die konkrete Einbeziehung der Klausel in einen bestimmten Vertrag kommt es nicht an. 211 Schutzobjekt ist nicht das Individuum, sondern der Rechtsverkehr, der vor der Verwendung inhaltlich unzulässiger Klauseln bewahrt werden soll. 212 Auf die einen Vertragsschluß im Einzelfall begleitenden Umstände kommt es bei der Verbandsklage nicht an.
Vgl. das 2. Kapitel (S.43ff.). Für den Bereich der AGB-Einbeziehungskontrolle anders Lindacher, in: Wolf/Horn/Lindacher, §3 AGBG Rn. 7, der als Maxime richterlicher Rechtsanwendung einen »gewissen Vorrang der Inhaltskontrolle« postuliert; übereinstimmend Köndgen, NJW 1987, 160, 163. Nur so könnne verhindert werden, daß eine inhaltlich zu mißbilligende Klausel weiterverwendet werde. Richtig ist, daß es der Rechtsprechung möglich ist, die Frage der Einbeziehungskontrolle dahingestellt sein zu lassen, wenn der angegriffenen Klausel aus inhaltlichen Gründen die Anerkennung zu versagen ist. Am systematisch-logischen Vorrang der Einbeziehungskontrolle ändert das aber nichts, ebenso v. Hoyningen-Huene, Inhaltskontrolle, Rn. 73; Becker, Auslegung, S.109f. Löwe, in: Löwe/v. Westphalen/Trinkner, vor §§8-11 AGBG Rn. 25 (ähnlich Kötz, in: MünchKommBGB, Vor § 8 AGBG Rn. 4), der für den Fall einer Einbeziehungskontrolle mit negativem Ergebnis die Inhaltskontrolle für »unzulässig« hält, übersieht, daß es den Gerichten offen steht, eine Klageabweisung auf zwei unterschiedliche Gesichtspunkte zu stützen und es aus prozeßökonomischen Gründen geboten sein kann, auf eine umfangreiche Beweisaufnahme zum streitigen Punkt der Einbeziehung zu verzichten, wenn die inhaltliche Rechtswidrigkeit der Klausel feststeht. Die Aussage von Löwe ist also dahin zu präzisieren, daß es im Falle einer feststehenden mangelnden vertraglichen Geltung einer Klausel auf inhaltliche Fragen nicht mehr ankommt, der systematisch-logische Vorrang der Einbeziehungskontrolle es aber gegebenenfalls nicht verwehrt, in der Praxis die Vertragsgegenstandsfrage offen zu lassen, wenn die Unwirksamkeit der streitbefangenen Bestimmung zur Überzeugung des Gerichts feststeht. Zu Einzelheiten im 10. Kapitel (S.426ff.). 211 Die Verbandsklage gemäß § 13 AGBG ist abstrakte Rechtmäßigkeitskontrolle; siehe Soergel/U. Stein, § 13 AGBG Rn. 1,3; Gerlach, in: MünchKommBGB, § 13 AGBG Rn. 14; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, §2 AGBG Rn.5; Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rn.25. 212 Vgl. BGHZ 127,35,38; 109,29,33; 106,259,266f. Schutzzweck ist, den Rechtsverkehr generell von der Verwendung unzulässiger Klauseln freizuhalten und Rechtsstreitigkeiten zwischen den potentiellen Vertragsparteien bereits im Vorfeld zu vermeiden. 209 210
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
Daraus ergibt sich folgendes: Die Einbeziehungskontrolle ist für dieses Verfahren ohne Bedeutung. 213 Die Frage nach der vertraglichen Gegenständlichkeit der Klausel kann im Rahmen der Prüfung nach §13 Abs.l A G B G nur dann eine Rolle spielen, wenn Einbeziehungsfragen zu einer Störung des allgemeinen Rechtsverkehrs i.S.d. §§9 bis 11 A G B G führen. Fragen der Klauselgeltung können also aufgrund ihrer Emanation und Interferenz mit der Inhaltskontrolle indirekt bei der Verbandsklage Berücksichtigung finden. Es handelt sich dann allerdings um eine der inhaltsbezogenen Vertragskontrolle zuzuordnende Einschränkung der Vertragsfreiheit. Voraussetzung ist eine allgemein formulierte, die Einbeziehung einer Klausel in den Vertrag betreffende Regelung, die sachlich generell-abstrakt den typischen Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Dies kann anzunehmen sein, wenn die Gefahr besteht, daß der Vertragspartner (vgl. §13 Abs. 3 A G B G ) ansonsten fälschlicherweise von der Wirksamkeit der betreffenden Klausel ausgeht und Rechtsnachteile erleidet, die er bei Kenntnis von der unwirksamen Einbeziehung der Abrede vermeiden könnte. Es besteht die Möglichkeit, daß der Verbraucher sich nicht gegen die Geschäftsbedingungen wendet, weil er glaubt, sie inhaltlich gebilligt und zum Vertragsgegenstand gemacht zu haben. 214 Bei einer derartigen Konstellation ist die abstrakt-generelle Inhaltskontrolle in bezug auf die Einbeziehung zulässig, weil es dem Zweck der Verbandsklage genügt, den Rechtsverkehr auch von Scheinbindungen freizuhalten, die irreführende Klauseln erzeugen können. 215 Der abstrakte Charakter des in §§ 13 ff. A G B G geregelten Verfahrens stellt die Ursache dafür dar, daß die in § 24a Nr. 3 A G B G genannten »den Vertragsschluß begleitenden Umstände« bei der Verbandskontrolle ohne Belang sind. Nur Klauseln, die Verbraucher der beteiligten Verkehrskreise typischerweise treuwidrig unangemessen benachteiligen, können Gegenstand der Verbandsklage sein. 216 Einbeziehungskontrolle findet im Rahmen des AGB-Gesetzes folglich unmittelbar im Individualrechtsschutz und - soweit sich eine Klausel § 9 A G B G zuordnen läßt - ausnahmsweise als Ausprägung der Inhaltskontrolle im Zuge der abstrakten Rechtmäßigkeitskontrolle statt. 213 A.A. v. Hoyningen-Huene, Inhaltskontrolle, Rn.257; Becker, Auslegung, S. 111, wonach die Verbandsklage auch generell gefaßte Verstöße gegen §§ 2 bis 4 AGBG erfasse, ohne daß es einer Inhaltskontrolle nach §§9 bis 11 AGBG bedürfe. In Anbetracht des klaren Wortlautes, Klagegrund gemäß §13 Abs.l AGBG ist die Unwirksamkeit einer Klausel nach §§9-11 AGBG, kann an § 2 AGBG unmittelbar nicht angeknüpft werden. Die Unwirksamkeit kann sich nur gemäß §9 AGBG unter Anknüpfung an die Wertung des §2 AGBG herausstellen, Soergel/U. Stein, §13 AGBG Rn.4; BGH NJW 1990, 2313; 1991, 1750; BGHZ 100, 157, 178, m. weit. Nachw. 214 Siehe auch Bohle, BB 1983, 16; Hensen, ZIP 1984,147; ders., in: Ulmerl Brandneri Hensen, § 11 Nr. 15 AGBG Rn. 17ff.; Gerlach, in: MünchKommBGB, § 13 AGBG Rn. 18f.; Staudingerl Schlosser, § 13 AGBG Rn.24; LG Frankfurt/M. NJW-RR 1992, 441. 215 BGHZ 100, 157, 178; 92, 24, 26; NJW 1981, 1511, 1512; 1983, 1853. 216 Hensen, in: UlmerlBrandneriHensen, §13 AGBG Rn. 7ff. Intransparente Klauseln können im Zuge der abstrakten Rechtmäßigkeitskontrolle nicht allein im Anwendungsbereich des §2 AGBG überprüft werden. Auch allgemein überraschende Klauseln i.S.d. §3 AGBG können den Klageanspruch aus § 13 Abs. 1 AGBG stützen, falls sie typischerweise entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen, also nicht nur individuell, sondern generell ungewöhnlich sind. Die abweichende Sicht des BGH (BGH 101, 307, 315; 116, 1, 3, jeweils m. weit. Nachw.) wird deshalb zu Recht von Teilen des Schrifttums abgelehnt, Palandt!Heinrichs, §13 AGBG Rn.4; Gerlach, in: MünchKommBGB, §13 AGBG Rn.19; Hensen, in: Ulmer/ Brandner/Hensen, §13 AGBG Rn.8; zu weitgehend jedoch Hansen, WM 1990, 1521, 1526f.; Koller, Festschrift für Steindorff, S.667, 685f., die § 13 Abs. 1 AGBG auf ungewöhnliche Klauseln entgegen dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 AGBG direkt anwenden wollen.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
269
In diesem Zusammenhang bedeutet Einbeziehungskontrolle die Prüfung der für allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der § § 1 , 24a A G B G aufgestellten Erfordernisse gemäß § 2 Abs. 1 A G B G . Die N o r m konstituiert zwei A b w e i chungen vom allgemeinen Vertragsrecht. Vom Sonderfall der Rahmenvereinbarung ( § 2 Abs. 2 A G B G ) abgesehen, ist neben einem (grundsätzlich ausdrücklichen) Hinweis des Verwenders gegenüber dem Vertragspartner auf eine bestimmte Regelung ( § 2 Abs. 1 Nr. 1 A G B G ) die Möglichkeit zumutbarer K e n n t nisnahme des Vertragspartners ( § 2 A b s . l Nr. 2 A G B G ) Voraussetzung einer wirksamen Einbeziehung, wobei beide Abweichungen bei Vertragsschluß existent sein müssen. 217 Ein ausdrücklicher Hinweis ist anzunehmen, wenn er beim Vertragsschluß vom Verwender unmißverständlich und für den Kunden klar erkennbar geäußert worden ist. 218 Eine Ausnahme gilt gemäß § 2 A b s . l Nr. 1 A G B G bei Massengeschäften des täglichen Lebens mit geringer wirtschaftlicher Bedeutung, wenn die Art des Vertragsschlusses und die darauf beruhende unverhältnismäßige Schwierigkeit eines ausdrücklichen Hinweises einen
deutlich
sichtbaren Aushang als ausreichend erscheinen lassen. Entscheidend ist die Gelegenheit zumutbarer Kenntnisnahme, die § 2 Abs. 1 N r . 2 A G B G in gesetzlicher Konkretisierung und teilweiser Abweichung von den allgemeinen Vertragsabschlußvoraussetzungen der § § 1 4 5 f f . B G B fordert. D e m Kunden muß der vollständige A G B - T e x t in verständlicher und lesbarer F o r m zugänglich gemacht werden. 2 1 9 Sind die besonderen Einbeziehungsvorgaben in bezug auf die Klausel erfüllt, hat der Vertragspartner außerdem sein Einverständnis mit der vertraglichen Geltung der allgemeinen Geschäftsbedingungen zu erklären. Erst die Willensübereinstimmung im Sinne der § § 1 4 5 f f . B G B macht die allgemeinen G e schäftsbedingungen zum Vertragsinhalt. 2 2 0 Dieser, der Vertragskontrolle im engeren Sinn nicht zuzuordnende Aspekt 2 2 1 richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre. So genügt beispielsweise gemäß § 1 5 1 B G B eine konkludente Einbeziehungserklärung, wenn der Verwender seine O b liegenheit erfüllt hat und eine ausdrückliche Annahmeerklärung nach der Ver2 1 ; Ein nach dem (schuldrechtlichen) Vertragsschluß gegebener Hinweis ist regelmäßig ohne Bedeutung für den (schuldrechtlichen) Vertrag. Zur Frage eines nach dem schuldrechtlichen Vertrag im Zuge des Erfüllungsgeschäftes einseitig geltend gemachten Eigentumsvorbehaltes Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, §2 AGBG Rn. 107, m. weit. Nachw. 218 Erman/Hefermehl, §2 AGBG Rn.4;Xö'iz, in: MünchKommBGB, §2 AGBG Rn.6; Wolf, in: Wolf/Horn!Lindacher, §2 AGBG Rn. 7ff., jeweils m. weit. Nachw. 219 Einzelheiten bei Wolf, in: Wolf!Horn!Lindacher, §2 AGBG Rn.23ff.; Erman/Hefermehl, § 2 AGBG Rn. 11 ff.; Soergel/U. Stein, § 2 AGBG Rn. 17ff.; Ulmer, in: Ulmer/Brandneri Hensen, §2 AGBG Rn.45ff. 220 So die herrschende Meinung, vgl. nur Staudinger/Schlosser, §2 AGBG Rn. 36; Soergel/U. Stein, §2 AGBG Rn.27; BGH NJW 1982, 1388, 1389; a.A. Pflug (Kontrakt, S.319f., vgl. dazu auch im 5. Kapitel, S. 187ff., 203ff.), der ausgehend von seinem normtheoretischen Ansatz die privatautonome Einbeziehung als Geltungsgrund verneint und eine inzwischen zu Gewohnheitsrecht erstarkte Rechtssetzungsbefugnis der Verwender propagiert. Gerade an der Einbeziehungsregelung des § 2 Abs. 1 AGBG wird jedoch die Absicht des Gesetzgebers offenbar, die Geltung allgemeiner Geschäftsbedingungen auf einen rechtsgeschäftlichen Konsens zu stützen. 221 Dazu näher im 2. Kapitel (S.43ff.).
270
2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
kehrssitte nicht zu erwarten ist, also in der Regel bei widerspruchsloser Entgegennahme der Leistung durch den Kunden. Allgemeine Geschäftsbedingungen werden dann nicht Vertragsgegenstand, wenn der Vertragspartner nach den Gesamtumständen mit einer Bestimmung dieser Art in den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Verwenders nicht zu rechnen braucht, §3 AGBG. §2 AGBG regelt die Einbeziehungserfordernisse nämlich nicht abschließend. Einer Ergänzung dient § 3 AGBG, der unabhängig von den in §2 AGBG genannten Voraussetzungen überraschende Klauseln von der vertraglichen Geltung ausschließt. In bezug auf die Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen im Sinne des § 1 Abs. 1 AGBG ist die Einbeziehungskontrolle also anhand der §§2, 3 AGBG vorzunehmen, wobei für beide Vorschriften die Eingrenzung des sachlichen Anwendungsbereiches nach §23 AGBG und in Hinblick auf §2 AGBG §24 AGBG mit seiner Eingrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs zu beachten sind. Kommt die Einbeziehungskontrolle zu einem positiven Ergebnis, also dazu, daß der Verwender gegen §§2, 3 AGBG verstoßen hat, stellt sich die Frage nach der Rechtsfolge. Für den Fall einer teilweisen Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts trifft die Privatrechtsordnung eine allgemeine Regelung in § 139 BGB: Das gesamte Rechtsgeschäft ist nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, daß es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre. Die regelmäßige Gesamtunwirksamkeit beruht auf der Überlegung, daß Vertragsparteien ein Rechtsgeschäft in der Regel nur als Ganzes wollen. Für die Anwendung des § 139 BGB ist folglich kein Raum, wenn der tatsächliche oder hypothetische Wille der Beteiligten auf den Fortbestand des (Rest-)Vertrages ausgerichtet ist.222 Bezieht sich die Nichtigkeit auf allgemeine Geschäftsbedingungen, findet sich in §6 Abs. 1 A G B G eine spezielle Vorschrift, die § 139 BGB vorgeht. 223 Abweichend von § 139 BGB macht § 6 Abs. 1 A G B G die Fortgeltung des Vertrages nicht von einem realen oder hypothetischen Parteiwillen abhängig, sondern läßt sie kraft Gesetzes eintreten. Während § 139 BGB die Erwägung umsetzt, daß den Vertragsparteien, die einen einheitlichen umfassenden Rechtserfolg zu verwirklichen anstreben, eine nur teilweise Realisierung dieses Zieles nicht gegen ihren Willen aufgedrängt werden darf, wendet sich §6 Abs. 1 AGBG von der Privatautonomie insoweit ab und erklärt den Vertrag für gültig, selbst wenn der Verwender allgemeiner Geschäftsbedingungen die Abrede ohne die betreffende Klausel nicht abgeschlossen hätte. §6 Abs. 1 AGBG greift bei Nichteinbeziehung (Alt. 1) ebenso ein wie bei Unwirksamkeit (Alt. 2). Bei Einbeziehungsmängeln nach §§2, 3 A G B G ist zu berücksichtigen, daß die Normen allgemeine Rechtsgrundsätze modifizieren, indem sie über die allgemeinen Vertragsabschlußbedingungen hinausgehende Voraussetzungen benennen. 222
Motive I, S. 222; damit hat sich das BGB bewußt von der gemeinrechtlichen Regel »utile per inutile non vitiatur« abgewandt. Zum Fortbestand des Vertrages und zum Verhältnis von realem und hypothetischem Willen Staudinger/Roth, §139 Rn. 22ff., 74ff.; Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, § 139 Rn.24ff., m. weit. Nachw. 223 Zur Subsidiarität des § 139 BGB Erman/Brox, § 139 Rn. 3f.; Staudinger/Roth, § 139 Rn. 5ff.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
271
Diesem Umstand entsprechend sind auf der Rechtsfolgenseite mehrere Fallgruppen zu unterscheiden. H a t der Verwender eine Einbeziehungserklärung nicht oder nur in einer den Anforderungen des § 2 A b s . l A G B G nicht genügenden Weise abgegeben, so bezieht sich sein A n g e b o t auf einen Vertragsschluß ohne allgemeine Geschäftsbedingungen, so daß - unabhängig von § 6 Abs. 1 A G B G - mit der Annahme ein Vertrag ohne allgemeine Geschäftsbedingungen zustandekommt. 2 2 4 Fehlt es an einer auf die Einbeziehung gerichteten Willenserklärung des Kunden, handelt es sich im Grunde um einen Dissens. D i e Äußerung des Kunden korrespondiert nicht mit der des Verwenders, welche die Geltung der allgemeinen Geschäftsbedingungen umfaßt. N a c h allgemeinen Grundsätzen käme kein Vertrag zustande, soweit sich nicht unter Anwendung der §§ 154, 155 B G B anderes ergäbe. § 6 Abs. 1 A G B G verdrängt jedoch in dieser speziellen Konstellation die allgemeinen Regeln. D e r Vertrag ist im Grundsatz 2 2 5 selbst dann wirksam, wenn zwischen den Parteien ein offener Dissens besteht. Handelt es sich um bloße Einbeziehungsmängel ( § § 2 , 3 A G B G ) , verdrängt § 6 A b s . l A G B G die §§ 154, 155 B G B . Dies folgt über den Wortlaut des § 6 Abs. 1 A G B G hinaus, der von einem »Wirksambleiben« spricht, aus einer teleologischen Interpretation: Sinn und Z w e c k der Vorschrift gehen dahin, den Kunden davor zu bewahren, daß er allein aus Gründen aus der Verantwortungssphäre des Verwenders des G e samtvertrages verlustig geht. 226 § 6 A b s . l A G B G vermag mithin - über seinen Wortlaut hinaus - unter Umständen ein Zustandekommen eines Vertrages zu bewirken, wenn es aufgrund der Einbeziehungskontrolle an korrespondierenden Willenserklärungen fehlt. § 6 Abs. 1 A G B G umfaßt in diesem Sinne ein »Wirksamwerden«. U m keinen Einbeziehungsmangel handelt es sich, wenn der Verwender den Anforderungen nach § § 2 , 3 A G B G gerecht geworden ist, der Kunde aber gleichwohl der Einbeziehung widersprochen oder diesbezüglich eine Einverständniserklärung nicht abgegeben hat. H i e r sind die §§ 145ff. B G B anzuwenden, nicht § 6 Abs. 1 A G B G . 2 2 7 D i e Auffassung, die § 6 Abs. 1 A G B G auch in dieser Fall-
224 Gegebenenfalls steht dem Verwender ein Anfechtungsrecht zu, so wenn er irrtümlich keine auf die Einbeziehung von AGB gerichtete Erklärung abgegeben hat; dazu Locher, BB 1981, 818,820; Loewenheim, AcP 180 (1980), 433,446f., 543f. A.A. Wolf., in: Wolf.'/Horn/Lindach er, §2 AGBG Rn.36, der davon ausgeht, daß §6 AGBG die Anfechtung des Verwenders wegen eines Irrtums bezüglich seiner Einbeziehungserklärung ausschließt. 225 Eine Ausnahme ist dann anzunehmen, wenn die Nichteinbeziehung der AGB zu einer Lücke führt, die mittels § 6 Abs. 2 AGBG nicht sinnvoll geschlossen werden kann, der Vertragstorso (z.B. wegen fehlender essentialia negotii) nicht aussagekräftig und einer Ergänzung oder Ausfüllung nicht zugänglich ist; vgl. Erman/Hefermehl, §6 AGBG Rn. 5; Kötz, in: MünchKommBGB, §6 AGBG Rn.4. 226 Lindacher, in: Wolf/Horn/Lindacher, § 6 AGBG Rn. 1; Staudinger/Roth, § 139 Rn. 8. 227 Anders liegt es, wenn die Parteien mit der Leistungserbringung begonnen haben, da hier die Unwirksamkeitsvermutung des § 154 Abs. 1 BGB durch die Leistungserbringung ex post als widerlegt angesehen werden kann; vgl. Erman/Hefermehl, §6 AGBG Rn. 3; Palandt! Heinrichs, § 6 AGBG Rn. 4; Lindacher, in: Wolf/Horn/Lindacher, § 6 AGBG Rn. 8; H. Schmidt, in: Ulmer/ Brandner/Hensen, §6 AGBG Rn.5ff.
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
gruppe anwenden möchte, 2 2 8 übersieht den Grundsatz der Privatautonomie, der in dieser Konstellation nicht aufgrund besonderer Schutzüberlegungen der E r gänzung bedarf. D e m A G B - V e r w e n d e r steht es frei, sich ohne gesetzliche B e v o r mundung selbstverantwortlich gegen einen Vertragsabschluß ohne Einbeziehung allgemeiner Geschäftsbedingungen zu entscheiden. Ließe man hier einen R ü c k griff auf § 6 Abs. 1 A G B G zu, könnte ein Kunde, der der Einbeziehung einzelner oder aller A G B widerspricht, einen Vertragsschluß ohne A G B selbst dann herbeiführen, wenn der Verwender die Bedingungen der §§ 2, 3 A G B G gewahrt hat und die Klauseln auch ansonsten, insbesondere gemäß §§ 9ff. A G B G nicht zu beanstanden sind. A u f den Willen des Verwenders käme es nicht an - ein in A n b e tracht des bürgerlich-rechtlichen Konsensprinzips frappierendes Ergebnis, das durch keine besondere Schutzsituation gerechtfertigt ist. D e r Z w e c k des § 6 Abs. 1 A G B G , den Kunden zu schützen, indem ein vertraglich begründeter Leistungsaustausch auch bei ungültigen allgemeinen Geschäftsbedingungen ermöglicht wird, verliert seine Bedeutung, wenn er sich selbst gegen die Einbeziehung ausspricht. Eines besonderen Einbeziehungskontrollmaßstabes bedarf es hier nicht; § 6 Abs. 1 A G B G ist insoweit einschränkend auszulegen. Es ist also zu differenzieren, ob die Vertragsaufnahme wegen Verletzung von Verwenderobliegenheiten ( § § 2 , 3 A G B G ) oder aufgrund eines Kundenwiderspruches scheitert. In letztgenannten Fall k o m m e n die allgemeinen Abschlußregeln zur A n w e n dung; das heißt, ist den Beteiligten der mangelnde Konsens in diesem Punkt bewußt, gilt § 154 Abs. 1 S. 1 B G B . Legt § 6 Abs. 1 A G B G die Vertragswirksamkeit trotz Lückenhaftigkeit der intendierten Regelung infolge Nichtgeltung vorformulierter Teile fest, stellt sich die Frage, wie die L ü c k e n im Vertrag zu füllen sind. D i e Einbeziehungskontrolle führt dazu, daß allgemeine Geschäftsbedingungen nicht Gegenstand des Vertrages geworden sind. A u f die Frage einer (im Grundsatz unzulässigen) geltungserhaltenden Reduktion der betroffenen Klauseln k o m m t es mangels Aufnahme in den Vertrag nicht an. 2 2 9 Beziehen sich die durch die Vertragsgegenstandskontrolle verursachten Lücken auf die wesentlichen Vertragspunkte, kann entgegen § 6 Abs. 1 A G B G der Vertrag keinen Bestand haben. Dies wird regelmäßig nicht der Fall sein, werden doch die vertraglichen Hauptpunkte gewöhnlich in Individualabreden festgelegt (vgl. §4 AGBG); die typische Funktion von allgemeinen Geschäftsbedingungen besteht in der Regelung von Nebenpunkten. Zudem ist 228 Kötz, in: MünchKommBGB, §6 AGBG Rn. 3; Löwe, in: Löwe/v. Westphalen/Trinkner, §6 AGBG Rn. 3. 229 Für ein Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, also für das Verbot, eine einzelne unangemessene Bestimmung auf einen zulässigen und damit wirksamen Inhalt zurückzuführen, v. Hoyningen-Huene, Inhaltskontrolle, Rn.69; Lindacher, in: Wolf/Horn/Lindacher, §6 AGBG Rn.29; H. Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen, §6 AGBG Rn. 14ff., sowie die Rspr., BGH WM 1996, 1049, 1050; grundlegend BGHZ 84, 109, 114ff.; ausführlich Neumann, Reduktion, S.58ff. Für die Zulässigkeit einer geltungserhaltenden Reduktion bei einer kundengünstigen Klausel Canaris, NJW 1988, 1243 ff.; nicht generell gegen ein Verbot Hager, Auslegung, S. 72 f., 200f.; v. Mettenheim, Festschrift für Piper, S.937, 950; Roth, JZ 1989, 411, 418f.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
273
zu berücksichtigen, daß essentialia negotii - von Sonderfällen abgesehen - gemäß § 8 A G B G nicht der Inhaltskontrolle unterliegen. 2 3 0
§ 6 Abs. 1 AGBG setzt voraus, daß die Abrede in der Weise aufteilbar ist, daß der verbleibende Teil eine sinnvolle, praktisch realisierbare Einheit bleibt. Die essentialia negotii müssen dem Vertrag in aller Regel zumindest mittelbar zu entnehmen sein.231 Ein der Lückenfüllung fähiger Rumpfvertrag, der Leistung und Gegenleistung enthält, wird gemäß § 6 Abs. 2 AGBG nach den gesetzlichen Normen des dispositiven Rechts ergänzt, soweit dies erforderlich ist.232 Ist diesen Vorschriften ein konkreter materiell-rechtlicher Hinweis zur Bewältigung eines bestimmten Problems nicht zu entnehmen, kann auf die ergänzende richterliche Vertragsauslegung zurückgegriffen werden. 233 Dies ergibt sich aber nicht aus § 6 Abs. 1 AGBG, der sich allein auf Normen sachlich-rechtlichen Gehaltes 234 und nicht auf methodische Vorschriften bezieht. 235 Entscheidend ist vielmehr, daß § 6 Abs. 2 AGBG die richterliche Vertragsergänzung nicht ausschließt. Die richterliche Vertragsauslegung als anerkanntes Instrument der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre ist deshalb auch zur Lückenfüllung bei aufgrund einer Vertragsgegenstandskontrolle nicht einbezogenen Regelungen anzuwenden; §6 Abs. 2 AGBG entfaltet keine Sperrwirkung. 236 Der Vertrag ist mit der in richterlicher Vertragsergänzung gefundenen Regel wirksam. Die Ausnahmevorschrift des § 6 Abs. 3 AGBG führt dann zur Unwirksamkeit des Vertrages, wenn sich die Geltung nach einer Interessenabwägung für eine der Parteien als unzumutbar erweist.237
230 Siehe Schlosser/Coester-Waltjen/Graba, §8 AGBG Rn. 16ff.; BGHZ 93, 358, 360; zu den Ausnahmekonstellationen BGH WM 1991, 2157, 2158. 231 ErmantHefermehl, § 6 AGBG Rn. 5; H. Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen, § 6 AGBG Rn. 10; BGHZ 130, 150, 155f.; wohl a.A. Palandt/Heinrichs, §6 AGBG Rn. 10. 232 Dies ergibt sich bereits aus dem Begriff der Lücke. Tritt durch die Nichteinbeziehung einer Klausel keine Lücke auf, etwa weil die Abrede zu den typisierten Vertragsarten zu rechnen ist und die Klausel im dispositiven Recht inhaltlich kein Gegenstück findet, kann eine Klausel ersatzlos entfallen; so bereits BT-Drucks. 7/3919, S.21; siehe auch Kötz, in: MünchKommBGB, §6 AGBG Rn.6f., m. weit. Nachw. 233 Hager, Auslegung, S. 159ff., 203f.; Neumann, Reduktion, S. 154ff.; v. Hoyningen-Huene, Inhaltskontrolle, Rn. 68; Lindacher, in: Wolf/Horn!Lindacher, § 6 AGBG Rn. 15; Erman!Hefermehl, § 6 AGBG Rn. 16; Palandt/Heinrichs, § 6 AGBG Rn. 6, jeweils m. weit. Nachw., sowie die Rechtsprechung, B G H Z 107, 273, 276; 90, 69, 75ff. 234 A.A. der BGH, B G H Z 92, 363, 370; Bunte, NJW 1984,1145,1147; K. Schmidt, ZIP 1983, 639, 641. 235 H. Schmidt, in: Ulmer/BrandneriHensen, §6 AGBG Rn. 34; ausführlich und mit auf die Entstehungsgeschichte des §6 Abs.2 AGBG rekurrierender Argumentation ders., Vertragsfolgen, S. 159f. 236 Canaris, ZIP 1996,1109,1116; Lindacher, in: Wolf/Horn/Lindacher, § 6 AGBG Rn. 15; H. Schmidt, in: UlmertBrandner/Hensen, §6 AGBG Rn.34ff., m. zahlr. Nachw. zum Meinungsstand. 237 Einzelheiten bei Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 345 ff.
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2. Teil: Leitlinien
einer
Freiheitsbegrenzung
2. Die sogenannte Einbeziehungskontrolle im weiteren Sinn Von erheblicher praktischer Bedeutung ist die Einbeziehungskontrolle vorformulierter Bedingungen außerhalb des Anwendungsbereichs des AGBG. Angesprochen sind die durch §§23, 24 A G B G vom Anwendungsbereich des §2 A G B G und - nur im Falle des §23 AGBG - des §3 AGBG ausgenommenen Rechtsgebiete. Besondere generelle Vorschriften zur Kontrolle, ob eine Regelung Vertragsgegenstand geworden ist oder nicht, bestehen nicht. Zurückzugreifen ist deshalb auf die allgemeinen Vorschriften zum Vertragsschluß. Zu fragen ist, ob über einen bestimmten Punkt korrespondierende Willenserklärungen abgegeben wurden und wechselseitig ordnungsgemäß zugegangen sind. Diese allgemeinen Voraussetzungen beschreiben allerdings keine Grenzen der Vertragsfreiheit, sondern stellen Vertragsfreiheit erst ermöglichende, flankierende Umstände dar, sie bilden das Mittel zur Realisierung von Privatautonomie. Ohne kompetenzbeschreibende und kompetenzermöglichende Regelungen gäbe es keine Vertragsfreiheit. Legt man - wie im Rahmen dieser Arbeit - eine enge Auffassung von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle zugrunde, sind die allgemeinen Voraussetzungen für das Zustandekommen von gültigen Verträgen nicht als Kontrollaspekte, sondern als konstitutive Elemente zu begreifen. Als rechtliche Grenzen der Vertragsfreiheit kommen lediglich die Begrenzung und Nichteinräumung solcher Gestaltungsmöglichkeiten in Betracht, die ohne das Hindernis bestünden, wenn die allgemeinen Voraussetzungen des Zustandekommens erfüllt sind. Freilich versagt es diese Einordnung nicht, begrifflich eine weite Grenzlinie zu ziehen und die Wahlfreiheit auch durch die allgemeinen Regularien über das Zustandekommen von Verträgen beeinträchtigt zu sehen.238 Die Einbeziehungsregeln vorformulierter Bedingungen außerhalb des Anwendungsbereichs des AGBG unter der Rubrik Vertragskontrolle zu behandeln, rechtfertigt sich aber nicht nur aus dem Blickwinkel der weiten Freiheitsdefinition, sondern auch aus der Perspektive einer engen Begriffsbildung, wenn Rechtsprechung und Literatur die Inbezugnahme vorformulierter Klauseln auch außerhalb des AGB-Gesetzes an unterschiedliche Voraussetzungen und Erwägungen geknüpft haben, die das Konsensprinzip modifizieren oder über die Regeln in §§145ff. BGB hinausgehen. Die Vertragsfreiheit stößt dann an Grenzen, die außerhalb der Voraussetzungen zum Vertragsabschluß liegen.239 Auch aus der Sicht des engen Vertragsfreiheitsbegriffs handelt es sich bei einer entsprechenden Ausgestaltung der Anforderungen an die Einbeziehung von vorformulierten Klauseln außerhalb des Anwendungsbereiches des AGB-Gesetzes um Vertragskontrolle. Die Inbezugnahme vorformulierter Klauseln kann als Einbeziehungskontrolle im weiteren Sinn bezeichnet werden. In zwei Fällen wird diese Art und Weise einer (unter Umständen) weiten Vertragskontrolle mit besonderem Interesse diskutiert, im Geschäftsverkehr und im Arbeitsrecht. Ursache des Interesses ist die Divergenz der Schutzüberlegungen dieser beiden Bereiche, die in ersterem Fall 238 239
Ausführlich z u m G a n z e n im 2. Kapitel (S.43ff., insbesondere S. 50). Preis, G r u n d f r a g e n , S. 150f.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
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aus Sicht der Rechtsprechung zu einer Absenkung der Kontrollmaßstäbe führt, im zweitgenannten zu einer großzügigeren Einbeziehungskontrolle. a) Unternehmerischer
Geschäftsverkehr
Die A n t w o r t auf die Frage, weshalb § 2 4 S. 1 Nr. 1 A G B G § 2 A G B G die Geltung versagt, wenn allgemeine Geschäftsbedingungen gegenüber einem Unternehmer verwendet werden, erschließt der B l i c k auf die Entstehungsgeschichte. I m Laufe der Überlegungen zum A G B G trat die Idee des Verbraucherschutzes zunehmend in den Hintergrund. D i e Schutzbedürftigkeit eines intellektuell oder wirtschaftlich unterlegenen Kunden wurde als Anknüpfungspunkt weitgehend aufgegeben. Als entscheidend wurde der Umstand angesehen, daß der Verwender durch das einseitige Vorformulieren der Vertragsbedingungen dem Kunden die Vertragsgestaltungsfreiheit nimmt. 2 4 0 Dementsprechend besteht für eine unterschiedliche Behandlung von Unternehmern und Privatleuten kein Anlaß. A u c h der G e schäftsverkehr bedarf des Schutzes vor der mißbräuchlichen einseitigen Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsfreiheit. 2 4 1 D e m trägt § 2 4 S. 1 Nr. 1 A G B G Rechnung. D e r G r u n d für die Ausklammerung des § 2 A G B G liegt im gesteigerten Verkehrsinteresse des Unternehmensrechts, dem es auf eine leichte, schnelle und
praktisch
unkomplizierte
formunabhängige
Vertragsanbahnung
an-
kommt. 2 4 2 Zügige Geschäftsabschlüsse würden durch die Obliegenheit, dem Vertragspartner im Sinne des § 2 A G B G die Kenntnisnahme von allgemeinen Vertragsbedingungen bei Vertragsabschluß zu ermöglichen, in der Praxis häufig erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. D e n Geschäftsverkehr von der E i n b e ziehungskontrolle nach § 2 A G B G freizustellen, stellt demgemäß eine sinnvolle, praktischen Gegebenheiten folgende Regelung dar. D e r Ausschluß des § 2 A G B G in § 2 4 S. 1 Nr. 1 A G B G bezieht sich nur auf die Hinweis- und Kenntnisverschaffungsobliegenheit, nicht aber auf das Kriterium des materiellen Konsenses i.S.d. §§ 145ff. B G B bezüglich der Vertragsbedingun240 Der Entwurf der Arbeitsgruppe beim Bundesminister der Justiz (erster Teilbericht, S. 30f.) und der erste Referentenentwurf (DB 1974, Beil. 18) standen noch im Zeichen der individuellen Schutzbedürftigkeit, die im zweiten Referentenentwurf vom März 1975 (unveröffentlicht) sowie im Regierungsentwurf (BT-Drucks. 7/3919, S. 7) zugunsten der Kontrolle der einseitigen Inanspruchnahme des Vertragsgestaltungsrechts auf Seiten des Verwenders aufgegeben wurde. Eine Schutzzweckmodifikation des AGBG brachte der mit der AGBG-Novelle 1996 eingefügte §24a AGBG; insoweit ist entsprechend den Vorgaben der EG-Richtlinie 93/13/EWG der Zweck des Verbraucherschutzes zu berücksichtigen; dazu näher im 4. (S. 148ff.) und 10. Kapitel (S. 426ff.). 241 Bastian/Böhm, BB 1974,110, l l l f . ; Brandner, JZ 1973, 613, Mb-, Pinger, MDR 1974, 705, 708; Schroeder, Einbeziehung, S.74ff.; abweichend Löwe, BB 1974, 97, 98. 242 Müller-Graf, Festschrift für Pleyer, S.401, 402; Schroeder, Einbeziehung, S.76ff.; Eith, NJW 1974, 16, 19f.; Vorderobermeier, Einbeziehung, S.38; der Gedanke einer einfachen und schnellen Geschäftsabwicklung findet sich im Handelsrecht häufig, z.B. bei §§ 350, 362,376,377 HGB.A.A., eine allgemeine geringere Schutzbedürftigkeit betonend, Lindacher, BB 1972, 296, 298 f.; Nicklisch, BB 1974,941,945 ff.; Wo//JZ 1974,465,4(,9; Soergel/U. Stein, §2 AGBG Rn.32, sowie die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 7/3919, S.43.
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2. Teil: Leitlinien
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gen, wie es in § 2 Abs. 1 AGBG am Ende angesprochen ist.243 § 24 S. 1 Nr. 1 AGBG ist in dieser Hinsicht teleologisch zu reduzieren. Besonderheiten ergeben sich daraus, daß gemäß §346 H G B und dem in §24 S. 1 Nr. 1, S. 2 AGBG ausgedrückten Rechtsgedanken auf die im Geschäftsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen ist. Daraus resultiert eine eigenständige, von der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre losgelöste Einbeziehungskontrolle, 244 bei der §2 AGBG keine Bedeutung, auch nicht im Wege einer »Referenzwertung« zukommt. 245 Die ausdrückliche Einverständniserklärung mit allgemeinen Geschäftsbedingungen bereitet danach keine Schwierigkeiten: Die allgemeinen Geschäftsbedingungen werden kraft ausdrücklicher Einverständniserklärung Vertragsbestandteil, ohne daß es darauf ankommt, ob der kaufmännische Akzeptant tatsächlich Kenntnis vom Inhalt bestimmter Bedingungen genommen hat.246 Die Besonderheiten des Unternehmensverkehrs kommen vor allem bei zweiseitigen Unternehmensgeschäften zum Tragen. Handelsbräuche, Branchenüblichkeit der AGB-Verwendung und die typische Einbeziehung bei laufenden Geschäftsverhältnissen waren für die Rechtsprechung der Anlaß, die Schwelle für die Einbeziehungskontrolle im kaufmännischen Verkehr abzusenken und in diesem Zusammenhang von einer typisierten Einbeziehungskontrolle im kaufmännischen Handelsverkehr zu sprechen. Diese Rechtsprechung zum kaufmännischen Geschäftsverkehr wird nach der Änderung des §24 AGBG durch das Handelsrechtsreformgesetz 247 auf Unternehmensgeschäfte weitgehend zu übertragen sein. §24 S. 1 Nr. 1 AGBG a.E bezog sich auf Kaufleute; der neue §24 S. 1 Nr. 1 A G B G knüpft an die Unternehmer-Eigenschaft an. Das ist bei der nachfolgenden Schilderung der bisherigen Vorgehensweise der Rechtsprechung zu beachten. Die Rechtsprechung orientiert(e) sich an der sogenannten »Wissen-müssen «Formel: Allgemeine Geschäftsbedingungen werden auch dann Vertragsbestandteil, wenn der Hinweis des Verwenders nicht ausdrücklich oder erst nach Vertragsabschluß erfolgt oder vollständig unterblieben ist, sofern der Kunde wußte oder wissen mußte, daß der Verwender seinen Geschäften allgemeine Geschäftsbedingungen zugrundezulegen pflegt, und er gleichwohl ihre Anwendung nicht 243 Müller-Graf, Festschrift für Pleyer, S. 401, 403; Schroeder, Einbeziehung, S. 76ff.; Vorderobermeier, Einbeziehung, S. 45; Erman/Hefermehl, §2 A G B G Rn. 30; Palandt/Heinrichs, §2 A G B G Rn.22; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Bensen, §2 A G B G Rn.80; Kotz, in: MünchK o m m B G B , §2 A G B G Rn.22; Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, §2 A G B G Rn.71; Soergel/U. Stein, §2 A G B G Rn.33; B G H N J W 1992, 1232; B G H Z 102, 293, 304. 244 Ohlendorf-v. Hertel, Kontrolle, S. 108; Rabe, N J W 1987, 1978, 1983ff.; Vorderobermeier, Einbeziehung, S. 45 f. 245 Ausführlich Vorderobermeier, Einbeziehung, S.46ff.; ebenso Ulmer, in: Ulmer/Brandner/ Hensen, § 2 A G B G Rn. 79, gegen die im Schrifttum stellenweise anzutreffende Bezugnahme auf §2 A G B G . So tritt beispielsweise Kötz ( M ü n c h K o m m B G B , §2 A G B G Rn.22) dafür ein, die Wertungen des §2 A G B G auch im kaufmännischen Geschäftsverkehr mittelbar zu berücksichtigen. 246 O L G Düsseldorf, JR 1988, 511; vgl. auch B G H N J W - R R 1990,958, 959; O L G Nürnberg, BB 1990,1998; O L G Frankfurt/M. W M 1989,760 zu dem Umstand, daß die Kenntnisnahme zumindest ermöglicht sein muß. Der Einbeziehungsantrag m u ß sich auf bestimmte A G B beziehen. 247 BGBl. 1998 I, S. 1474ff.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
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ausgeschlossen hat. 2 4 8 Diese F o r m e l , die aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des A G B G 2 4 9 stammt, kann aber nicht dazu dienen, das Konsensprinzip auszuhöhlen. Privatautonomie findet ihren Ausdruck in der Willenserklärung. Das E r f o r dernis einer Willenserklärung darf nicht zur bloßen Fiktion geraten. 2 5 0 Die »Wissen-müssen«-Formel ist zumindest mißverständlich. Die Wendung ist in ihrem Bedeutungsgehalt deshalb - abweichend von ihrem ursprünglichen Gehalt - im Sinne der Rechtsgeschäftslehre zu präzisieren. 2 5 1 E s bedarf (in Fällen des geschäftlichen Erstkontaktes) eines (zumindest) konkludent ausgedrückten E i n b e ziehungswillens. D e r ist anzunehmen, wenn der Verwender in seiner Offerte auf die allgemeinen Geschäftsbedingungen hinweist und die Annahmeerklärung nicht auf einen Vertragsabschluß ohne allgemeine Geschäftsbedingungen lautet. Das Bedürfnis nach Schnelligkeit und Einfachheit der Geschäftsabwicklung führt zu Modifikationen dort, w o Handelsbrauch, Branchenüblichkeit oder eine laufende Geschäftsverbindung einen großzügigeren Maßstab in bezug auf das Z u standekommen einer Einbeziehungsvereinbarung aus praktischer Sicht nahelegen. D i e Frage ist, o b es sich hierbei - wie vor allem von der Rechtsprechung angemerkt - um eine besondere Einbeziehungskontrolle handelt oder nicht. D i e von der Rechtsprechung genannten Kriterien (Handelsbrauch, Branchenüblichkeit, laufende Geschäftsverbindung) sind daraufhin zu untersuchen, ob sie tatsächlich eine besondere Einbeziehungskontrolle rechtfertigen: - Eine Einbeziehung im Wege des Handelsbrauchs ( § 3 4 6 H G B ) ändert im Grundsatz nichts am Rechtsgeschäftscharakter der Vertragsbedingung. Bestimmungen, die einer nicht nur vorübergehenden, auf der Zustimmung der beteiligten Verkehrskreise beruhenden tatsächlichen Ü b u n g entsprechen, werden nicht zu einer R e c h t s n o r m und auch nicht zu Gewohnheitsrecht. 2 5 2 D a b e i ist zunächst der Fall auszusondern, daß inhaltlich auf eine konkrete handelsübliche Bedingung abgestellt wird. Das ist kein Fall der Inbezugnahme; Handelsgebräuche sind wegen § 346 H G B im konkreten Einzelfall bei der Entscheidung zu berücksichtiGrundlegend BGHZ 1, 83, 85f.; 3, 200, 203; 12, 136, 142; 18, 98, 99. Zur historischen Entwicklung Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, Einl. Rn.5ff.; Soergel/U. Stein, Einl. AGB-Gesetz, Rn.4ff.; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, Einl. Rn. 7f., §2 AGBG Rn.8. 250 Kritisch gegenüber einer monokausalen Betonung der »Wissen-müssen«-Formel der (älteren) Rechtsprechung und für eine Orientierung am Rechtsgeschäftsprinzip Brandner, JZ 1973, 613, 614; Schroeder, Einbeziehung, S. 66ff.; Staudinger/Schlosser, §2 AGBG Rn. 1; Vorderobermeier, Einbeziehung, S. 55ff.; Werber, Festschrift für Möller, S. 511, 518, je m. weit. Nachw. 251 In diesem Sinne auch Wolf, in: Wolf/Horn!Lindacher, §2 AGBG Rn.61ff.; Staudingerl Schlosser, §2 AGBG Rn. 1, 51 ff.; Schroeder, Einbeziehung, S.66ff.; Vorderobermeier, Einbeziehung, S. 54ff.; wohl abweichend teilweise die Rechtsprechung, die unter Anwendung der »Wissen-müssen«-Formel nicht klar zwischen der Existenz und der Fiktion einer Willenserklärung trennt; vgl. OLG Düsseldorf, JR 1988, 511; BGH DB 1976, 382; BB 1973, 1044. 252 GK-HGK/Achilles/Schmidt, § 346 HGB Rn. 5; Canaris, Handelsrecht, § 22 I 3b; SchlegelbergerlHefermehl, §346 HGB Rn. 1 f.; K. Schmidt, Handelsrecht, § 1 lila. Handelsbräuche dienen der Typisierung von Auslegungsregeln und von Verhaltenserwartungen, nur insoweit wirken sie normativ. Dies übersieht die abweichende Meinung (z.B. Limbach, Festgabe für Hirsch, S. 77, 80ff.), die die Qualifikation als Rechtsnorm vertritt. 248
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2. Teil: Leitlinien
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gen. Ein Handelsbrauch gilt unabhängig davon, ob er als allgemeine Geschäftsbedingung in den Vertrag Eingang gefunden hat oder nicht. 253 Damit bleibt für die Einbeziehungskontrolle die Frage, wann sich die Verwendung von allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Handelsbrauch verfestigt hat. Einbeziehungshandelsbrauch beruht auf der Tatsache einer konsensfähigen allgemeinen Anerkennung der AGB-Einbeziehung als gerechte Regelung in der konkreten Branche. Einbeziehungskontrolle heißt hier Prüfung, ob ein derartiger Handelsbrauch besteht. Zu fragen ist, ob ein genereller Konsens in den beteiligten Kreisen, also auf der Verwender- wie auch auf der Kundenseite besteht. Individuelle Ubereinstimmung wird hier gewissermaßen durch einen allgemeinen Konsens ersetzt; derjenige, der einen solchen Handelsbrauch im Einzelfall nicht gegen sich gelten lassen will, muß dies bei Vertragsabschluß deutlich zum Ausdruck bringen. Die Einbeziehung aufgrund Handelsbrauchs stellt damit eine Art generalisierte Willensübereinstimmung dar.254 Der Handelsbrauch ist im Wege der Auslegung einer Annahmeerklärung zuzuordnen. Die objektiv-normative Auslegung führt zu dem Ergebnis, daß der Einbeziehungswillen vom objektiven Erklärungswert der Willenserklärung des AGB-Verwenders mit umfaßt ist. Dogmatisch stellt sich die Einbeziehung kraft Handelsbrauchs als Auslegungsfrage dar. Eine besonders geartete Vertragskontrolle außerhalb des rechtsgeschäftlichen Bereichs ist nicht feststellbar. 255 Der Umstand, daß sich über den Handelsbrauch einer Bedingungseinbeziehung eine freiwillige Uberzeugung der beteiligten Verwender- und Empfängerseite bilden muß und allgemeiner Konsens der Kundenseite über die A G B Unterwerfung selten zu konstatieren sein wird, bildet die Ursache für eine restriktive Annahme entsprechenden Handelsbrauchs. 256 - Werden innerhalb einer Branche üblicherweise allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet, diese bei Vertragsabschluß aber weder ausdrücklich noch stillschweigend in Bezug genommen, ist eine Einbeziehungsprüfung anhand folgender Kriterien durchzuführen: Vorab ist zu fragen, ob die Verwendung von allgemeinen Geschäftsbedingungen tatsächlich branchenüblich ist. Dabei handelt es sich um eine Tatsachenfrage, womit zugleich ausgedrückt ist, daß ein Normcha-
Basedow, Z H R 150 (1986), 469, 486; Vorderobermeier, Einbeziehung, S.79. Derjenige, der einen solchen Handelsbrauch im Einzelfall nicht gegen sich gelten lassen möchte, muß dies beim Vertragsabschluß zum Ausdruck bringen; vgl. Schlegelbergerl Hefermehl, §346 H G B Rn.31, 37; K. Schmidt, Handelsrecht, § 1 Ille, cc. 255 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 214f.; Götz, Schweigen, S. 171 ff.; Schroeder, Einbeziehung, S.68ff.; Staudinger/Schlosser, §2 A G B G Rn.61ff.; Vorderobermeier, Einbeziehung, S.82; a.A. insbesondere Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, § 2 A G B G Rn. 90, der bei seiner Argumentation gegen die hier dargestellte Auffassung die zu Beginn von Rn. 90 (bei Fn. 270) betonte Differenzierung zwischen inhaltlicher Geltung und Einbeziehung außer Betracht läßt. 253
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256 Vgl. Mattern, W M 1974, 762, 763; Schroeder, Einbeziehung, S. 71. Auch hier ist zwischen inhaltlichem und Vertragsgegenstands-Handelsbrauch zu differenzieren. So ist die Einbeziehung der Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) in einen Einzelvertrag kraft §346 H G B abgelehnt worden, O L G Hamm VersR 1994, 1374. Auch in bezug auf die weit verbreiteten V O B ist eine generelle Einbeziehungsüberzeugung nicht anzunehmen.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
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rakter abzulehnen ist. 257 Ebenso scheidet eine Anwendung des § 346 H G B aus. Es fehlt an einer allgemeinen Zustimmung der beteiligten Kreise, also beider Seiten. Von einem generalisierten Konsens kann nicht gesprochen werden. 258 Erst recht vermag Branchenüblichkeit das Erfordernis konkreter übereinstimmender Willenserklärungen nicht zu ersetzen. Ein Einbeziehungswille bleibt erforderlich. 259 Die Geltung von allgemeinen Geschäftsbedingungen ist durch Auslegung der Willenserklärungen zu bestimmen. 260 Eine hinweislose Einbeziehung ist nur möglich, wenn dem Verhalten des Verwenders aus der Sicht des Vertragspartners der objektive Erklärungswert zu entnehmen ist, daß dieser die üblichen allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Vertragsgegenstand machen möchte. Stimmt die Gegenseite vorbehaltlos zu, werden die A G B Vertragsbestandteil. Abzustellen ist mithin auf die im Rahmen der §§ 133, 157 B G B entwickelten Auslegungsgrundsätze. Das bedeutet, aus der Verkehrssitte allein kann keine Einbeziehung gefolgert werden. Eine »normierende Verkehrssitte« ist abzulehnen. Die Auslegung hat neben dem Umstand der Branchenüblichkeit im Wege der Interessenabwägung nach Treu und Glauben zu erfolgen. Branchenüblichkeit verkörpert ein Indiz für einen stillschweigenden Einbeziehungswillen, ersetzt diesen aber nicht. Nur wenn die Verwendung bestimmter allgemeiner Geschäftsbedingungen tatsächlich in solchem Maß branchenüblich ist, daß der Vertragspartner berechtigterweise nicht erwarten darf, der Verwender werde ohne sie den Vertrag schließen, und dies nach den Umständen des Einzelfalles beim Abschluß des konkreten Geschäfts erkennbar war, vermag unter Umständen eine Willenserklärung im Sinne einer Inbezugnahme der branchenüblichen Klauseln interpretiert zu werden. Auch hier ist jedoch darauf zu achten, daß Branchenüblichkeit nicht erlaubt, Schweigen als zustimmende Willenserklärung zu deuten oder ein Einverständnis zu fingieren. Die Frage der Einbeziehung allgemeiner Geschäftsbedingungen im Falle der Branchenüblichkeit läßt sich mit der »Wissen-müssen«-Formel der Rechtsprechung nicht klären. Das »Wissen-müssen« bei Branchenüblichkeit stellt keine zustimmende Willenserklärung des Kunden dar. Allgemeine Geschäftsbedingungen werden nicht allein aufgrund branchenüblicher Verwendung von Klauselwerken oder einzelnen Bedingungen zum Vertragsbestandteil. Auch bei dieser Fallgruppe ist eine (zumindest stillschweigende) rechtsgeschäftliche Vereinbarung notwendig.
257 Zum Streit über die Voraussetzungen der Branchenüblichkeit Müller-Graf, Festschrift für Pleyer, S.401, 410f. ra. weit. Nachw. 258 Schmidt-Salzer, Geschäftsbedingungen, Rn. D 37. 259 Vgl. B G H N J W - R R 1992, 626. 260 Canaris, Vertrauenshaftung, S.215; Soergel/U. Stein, §2 A G B G Rn. 36; Scbroeder, Einbeziehung, S.68; Vorderobermeier, Einbeziehung, S.72; Wolf, in: WolfIHornlLindacher, §2 A G B G Rn.64. Zu pauschal Ulmer, in: UlmerlBrandner!Hensen, §2 A G B G Rn.83, der unter Berufung auf die alte »Wissen-müssen«-Rechtsprechung (ebenda Fn. 239) von der Branchenüblichkeit automatisch auf die Einbeziehung schließt; unter bloßer Berücksichtigung der »Wissenmüssen«-Formel a.A. auch Kötz, in: MünchKommBGB, §2 A G B G Rn.24.
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- Gleiches gilt für die Tatsache, daß zwischen bestimmten Vertragspartnern häufig wiederkehrend gleichartige Geschäfte getätigt werden (laufende G e schäftsverbindung): Eine automatische vertragliche Geltung von standardisierten Bestimmungen in Fällen, in denen ein Einbeziehungswille nicht, auch nicht durch eine Wendung »Bedingungen wie immer«, erklärt wird, ist nicht anzunehmen. 2 6 1 D e n Parteien steht der Weg einer antizipierten Einbeziehung offen. Vergleichbar der in § 2 Abs. 2 A G B G beschriebenen Rahmenvereinbarung können zur Erleichterung des Geschäftsverkehrs zwischen Beteiligten mit ständigen Geschäftsbeziehungen die allgemeinen Bedingungen für zukünftige Verträge verbindlich festgelegt werden, ohne daß im konkreten Fall entsprechende korrespondierende Willenserklärungen erforderlich sind oder in den Einzelverträgen ad hoc auf die Rahmenvereinbarungen verwiesen werden müßte. 2 6 2 Allein aus dem U m s t a n d einer laufenden Geschäftsverbindung kann eine Einbeziehungsabrede nicht abgeleitet werden. Notwendig ist auch hier - und das wird selten festzustellen sein eine Erklärung, die sich anhand konkreter Umstände des Einzelfalls aus dem o b jektiven Erklärungswert von Handlungen beider Vertragspartner schließen läßt. Sind besondere Umstände nicht erkennbar, geht es in der Regel zu weit, in der Fortsetzung einer Geschäftsbeziehung einen beiderseitigen rechtsgeschäftlichen Bindungswillen hinsichtlich einer A G B - E i n b e z i e h u n g ausgedrückt zu sehen. D e n n eine solche Fiktion »überspielt den typischerweise voraussetzbaren, empirisch belegten und v o m B G H zu Recht herausgestellten Willen, in der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit so weit als möglich ungebunden zu bleiben.« 2 6 3 Maßgebend ist allein die Auslegung der Willenserklärungen. E s ist in jedem Einzelfall zu prüfen, wie im H i n b l i c k auf Art, U m f a n g und Dauer der Geschäftsverbindung das Verhalten der Beteiligten bei Vertragsschluß zu würdigen ist. Im Unterschied zu den Fallgruppen Branchenüblichkeit und Handelsbrauch ist hier bei der Auslegung nach §§ 1 3 3 , 1 5 7 B G B nicht die Verkehrssitte ausschlaggebend. Eingang in die Interpretation finden vornehmlich die individuelle Ü b u n g und das konkrete Verhalten zwischen den Parteien. Eine laufende Geschäftsbeziehung gibt keinen Anlaß, vom Grundsatz der Vertragsfreiheit abzurücken und allgemeine Geschäftsbedingungen unabhängig von kongruenten Willenserklärungen in ein Schuldvertragsverhältnis aufzunehmen. Eine laufende Geschäftsverbindung stellt allein ein Indiz dar, das im R a h m e n der §§ 1 3 3 , 1 5 7 B G B von Bedeutung sein kann. Auch im R a h m e n einer laufenden G e schäftsverbindung bedarf die Einbeziehung allgemeiner Geschäftsbedingungen 261 Erman/Hefermehl, §2 AGBG Rn.37; Wolf, in: Wolf/Horn!Lindacker, §2 AGBG Rn.63; Soergel/U. Stein, §2 AGBG Rn. 35; wohl auch Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, §2 AGBG Rn. 86. 262 BGH NJW-RR 1987,112. Die ständige Verwendung von AGB läßt eine Rahmenvereinbarung nicht Zustandekommen; zur Rahmenvereinbarung im Geschäftsverkehr Kötz, in: MünchKommBGB, §2 AGBG Rn.27. 263 Müller-Graf, Festschrift für Pleyer, S.401, 414. In diesem Sinne auch BGHZ 87, 27ff., 32: »Der Umstand für sich allein, daß mehrere Verträge zur gleichen Zeit, unter gleichen Bedingungen oder im Laufe einer fortdauernden Geschäftsverbindung abgeschlossen worden seien, könne nicht stets dazu führen, die einzelnen Verträge ihrer rechtlichen Selbständigkeit zu entkleiden.«
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
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einer rechtsgeschäftlichen Abrede, sei es konkludent bei jedem Einzelvertrag oder mittels Abschlusses einer Rahmenvereinbarung. D i e vermeintlichen Besonderheiten bei der Beurteilung der Frage, o b standardisierte Vertragsbedingungen des Geschäftsverkehrs Vertragsgegenstand geworden sind, haben sich als Aspekte der Auslegung herauskristallisiert. Auslegung und Vertragskontrolle sind zu trennen. Sie stellen unterschiedliche Rechtsinstitute dar, die nach Anwendungsbereich, Maßstab und Rechtsfolgen divergieren. D i e Auslegung verkörpert nicht etwa eine Spielart der Vertragskontrolle. Die Terminologie »Einbeziehungskontrolle im weiteren Sinn« ist insoweit also nicht treffend. D i e Wesensverschiedenheit von Auslegung und Vertragskontrolle gründet in ihrer verschiedenen Legitimation: Die Vertragskontrolle rechtfertigt sich aus gesetzlich vorgegebenen Freiheitsgrenzen, die Auslegung aus der Privatautonomie. Vertragsauslegung meint Sinnermittlung des übereinstimmend Gewollten, während Vertragskontrolle die Grenzen der Vertragsfreiheit beschreibt, also vorgibt, inwieweit übereinstimmend Gewolltes in der Rechtsordnung Anerkennung findet. 2 6 4 D i e Vertragskontrolle hat keine hermeneutische Funktion, sie setzt konstruktiv erst dann ein, wenn - gegebenenfalls durch Auslegung - der Bedeutungsgehalt der Willenserklärungen oder eines Vertrages bestimmt ist. 2 6 5 Auslegung meint die Ermittlung des Sinns mehrdeutiger Gedankenäußerungen. Für die Auslegung von Willensäußerungen bestimmt § 133 BGB, daß der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen ist. Für die Auslegung eines Vertrages gibt § 157 B G B vor, daß dieser so zu interpretieren ist, wie Treu und Glauben es mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern. Da subjektiv wie objektiv geprägte Auslegung untrennbar ineinander übergehen, sind beide Normen in ihrem Zusammenspiel als Grundlage jeglicher Interpretation von Rechtsgeschäften heranzuziehen. 266 Bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung können zur Auslegung nur die dem Empfänger erkennbaren Umstände dienen. Dabei sind alle erkennbaren Umstände zu berücksichtigen. Entscheidend ist, wie die Erklärung von der gegenüberstehenden Partei nach Treu und Glauben und nach der allgemeinen Auffassung des Verkehrs verstanden werden konnte. Die Auslegung hat sich grundsätzlich im Rahmen des Erklärten zu halten und darf als Willensinhalt nicht etwas feststellen, das in der Erklärung selbst nicht erkennbar geworden ist. Die Auslegung richtet sich nach dem Empfängerhorizont und gewährt auf diese Weise den gebotenen Vertrauensschutz. Zu berücksichtigen sind die Verständnismöglichkeiten des Empfängers ebenso wie das Interesse des Erklärenden daran, daß die Erklärung in dem von ihm gemeinten Sinn aufgefaßt wird und sein wirklicher Wille zur Geltung gelangt.267 Im allgemeinen ist nicht das subjektive Verständ-
264 Brandner, in: UlmerlBrandner/Hensen, §9 AGBG Rn.28; Fastrieb, Inhaltskontrolle, S.21; Lindacher, in: Wolf/Horn!Lindacher, §5 AGBG Rn.2 (Auslegung als »das logische prius« gegenüber der Vertragskontrolle); Preis, Grundfragen, S. 151 ff., 154 (keine »kaschierte Vertragskontrolle«); Kotz, NJW 1979, 785,786; vgl. auch Singer, Selbstbestimmung, S. 45ff.; BGH NJW 1993, 2369. 265 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §43 Rn.40. 266 So der Grundsatz, Flume, Rechtsgeschäft, §16, 3a; Soergel/Hefermehl, §133 Rn.2; Palandt/Heinrichs, §133 Rn.l, 3, §157 Rn.l; Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, §133 Rn.19; BGHZ 47, 75,78; unklar sind zahlreiche Einzelfragen, wie insbesondere das Rangverhältnis beider Normen, vgl. Larenz, Methode, S. 76. 267 Lüderitz, Auslegung, S.283ff.; Kramer, Grundfragen, S. 144; Bickel, Methoden, S. 153;
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nis des konkreten Empfängers maßgebend, sondern ein normativ objektives unter Berücksichtigung der Erkenntnismöglichkeiten aus individueller Empfängersicht. 268 Gegenstand der Auslegung ist eine zweifelhafte Erklärungshandlung, nicht der innere Wille. Ihr Anwendungsbereich bezieht sich also auf ein in seinem Sinngehalt unklares Rechtsgeschäft (sogenannte einfache Auslegung) oder dient dazu, eine Lücke im Rechtsgeschäft zu füllen (sogenannte ergänzende Auslegung). Der Anwendungsbereich der Auslegung ist auf die Sinnermittlung des übereinstimmend Gewollten beschränkt; eine Korrektivfunktion ist der Auslegung fremd. 269 Mittel und Maßstab der Auslegung sind alle Umstände, die den Erklärungstatbestand begleiten und in Beziehung zu ihm stehen. Bedeutung erlangt hier insbesondere die Verkehrssitte, zu der Handelsbrauch und Branchenüblichkeit zu zählen sind; der Empfänger kann davon ausgehen, daß der Erklärende seine Worte in diesem Sinne gebraucht hat. Hier ist mithin auf den Willen der Beteiligten abzustellen. Die Vertragskontrolle knüpft dagegen an objektiven Maßstäben an. Auslegung und Vertragskontrolle sind wesensverschieden. Die Überlegungen zu Handelsbrauch, Branchenüblichkeit und laufenden Geschäftsbeziehungen repräsentieren nicht das gesamte Spektrum der Erwägungen, die bei der Beurteilung, ob allgemeine Geschäftsbedingungen im Unternehmensverkehr zum Vertragsgegenstand zählen, anzustellen sind. Dem Einbeziehungsaspekt zuzuordnen ist zudem die gesetzliche Regel, daß ungewöhnliche Klauseln nicht Vertragsbestandteil werden. §24 S. 1 A G B G nimmt §3 A G B G für die Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen i.S.d. §1 A G B G im Geschäftsverkehr nicht aus. Der Geltungsausschluß überraschender Bestimmungen ist nicht allein »konkrete Positivierung allgemeiner Grundsätze der Rechtsgeschäftslehre«. 270 Schlosser ist zwar zuzugeben, daß §3 A G B G teilweise deckungsgleich mit prinzipiellen Erwägungen ist. So ist nach allgemeinen Konsensüberlegungen Abreden die Wirksamkeit zu versagen, wenn der Gegenseite in bestimmten Konstellationen eine Kenntnisnahmemöglichkeit verwehrt wurde. 271 § 3 A G B G geht darüber hinaus, indem er vom Parteiwillen unabhängig eine negative gesetzliche Einbeziehungskontrollmöglichkeit regelt.272 Eine Klausel wird nicht Vertragsbe-
Hübner, Allgemeiner Teil, Rn.745, 1025ff.; Musielak, G K BGB, Rn. 103; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §28 Rn. 16ff.; B G H Z 103, 275, 280; 47, 75, 78. 268 Zu den Besonderheiten der Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen, insbesondere zu der (sehr streitigen) Frage, ob AGB unter Verzicht auf die Berücksichtigung individuell-konkreter Momente zu interpretieren sind, Lindacher, in: Wolf/Horn/Lindacher, § 5 A G B G Rn. 5ff.; Ulmer, in: Ulmer! Brandneri Hensen, §5 A G B G Rn. 13 ff. 269 Daran ändert der Grundsatz einer gesetzes- und sittenkonformen Auslegung nichts. Hager (Auslegung, S. 132ff., 169ff.) betont zwar die gesetzes- und sittengemäße Interpretation der Rechtsgeschäfte, die theoretische Grenzziehung wird dadurch allerdings nicht in Frage gestellt. Die beiden Rechtsinstitute sind wesensverschieden, Interdependenzen in der praktischen Handhabung führen zu keiner abweichenden Einschätzung, vgl. Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 22 f. 270 So aber Staudinger/Schlosser (12. Aufl.), §3 A G B G Rn.4. 271 Vgl. Lindacher, in: Wolf!Horn!Lindacher, §3 A G B G Rn.3. 272 Palandt/Heinrichs, §3 A G B G R n . l ; Lindacher, in: Wolf/Horn/Lindach er, §3 A G B G Rn.4; Soergel/U. Stein, §3 A G B G Rn.2; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen,%i A G B G Rn.4.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
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standteil, wenn zwischen dem Vertragsgehalt bei hypostasierter Geltung der in Frage stehenden Klausel und den begründeten Einschätzungen des Vertragsgegenstandes eine wesentliche Diskrepanz besteht, wobei im Geschäftsverkehr der überraschende Charakter einer N o r m weniger leicht anzunehmen ist. 273 D e r Empfänger soll darauf vertrauen können, »daß sich die einzelnen Regelungen im großen und ganzen im R a h m e n dessen halten, was nach den Umständen bei A b schluß des Vertrages erwartet werden kann.« 2 7 4 § 3 A G B G regelt mithin einen Tatbestand der Einbeziehungskontrolle im Sinne einer echten Vertragskontrolle im Geschäftsverkehr. 2 7 5 D i e Frage, ob bestimmte standardisierte Klauseln im Unternehmensverkehr Vertragsbestandteil werden oder nicht, ist zum einen abhängig von der Auslegung der abgegebenen Willenserklärungen. Insoweit finden sich keine A b w e i chungen gegenüber den Regeln über das Zustandekommen von Vereinbarungen im allgemeinen. Legt man die enge Sichtweise von Vertragsfreiheit zugrunde, handelt es sich hierbei nicht um eine Variante der Vertragskontrolle. Folgt man der weiten Auffassung ist diese Frage als Fallgruppe der Vertragskontrolle einzustufen. 2 7 6 Z u m anderen hängt die Beurteilung von der Typizität oder Atypizität der Regelung ab. Dieses auf § 3 A G B G zurückzuführende Kriterium repräsentiert - auch aus der Sicht der engen Vertragsfreiheitsdetermination - einen Vertragskontrollaspekt. D i e Geltung allgemeiner Geschäftsbedingungen im kaufmännischen Verkehr ist mithin geprägt von zwei unterschiedlichen Faktoren. J e nach der Haltung im Disput um die enge und die weite Vertragsfreiheitsdetermination sind beide Aspekte von dem Begriff »Einbeziehungskontrolle im weiteren Sinn« umfaßt oder lediglich der Gesichtspunkt der Überraschungskontrolle. b)
Arbeitsrecht
aa) Einbeziehungskontrolle
und
Bereichsausnahme
Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Einbeziehungskontrolle im A r beitsrecht. 2 7 7 In Arbeitsverträgen finden sich regelmäßig Bezugnahmen oder Verweisungsklauseln, die in die individuellen oder vorformulierten Verträge Regelungen aus Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder innerbetrieblichen R e gelwerken einbeziehen. Vorrangiger Z w e c k dieser informatorischen, deklaratorischen oder konstitutiven Hinweise ist eine für bestimmte Teile der Belegschaft 273 BGH NJW 1988, 558; OLG Oldenburg NJW-RR 1987, 1003, 1005; OLG Karlsruhe NJW-RR 1986, 1112, 1114; OLG Hamm ZIP 1986, 1547, 1549. 274 BT-Drucks. 7/3919, S. 19. 275 Lindacher, in: Wolf/Horn!Lindacher, §3 AGBG Rn.5. 276 Zu den unterschiedlichen Sichtweisen im 2. Kapitel (S. 43ff., insbesondere S. 50) und S. 274. 277 Ebenso Preis, Grundfragen, S. 151,391 ;Schaefer, Bezugnahme, S. 7; vgl. auch das von Preis, Grundfragen, S. 61 f., mitgeteilte Zahlenmaterial, wonach sich in über 80 Prozent der ausgewerteten Arbeitsverträge (siehe Fn. 45) Verweisungen auf Tarifverträge und in etwa 75 Prozent der Arbeitsverträge (Fn. 44) Bezugnahmen auf bestehende Arbeits-, Betriebsordnungen oder allgemeine Arbeitsbedingungen fanden. Vgl. auch das in der Größenordnung übereinstimmende Zahlenmaterial bei Nömeier, Bezugnahme, S. 4ff.
284
2. Teil: Leitlinien
einer
Freiheitsbegrenzung
gleiche vertragliche Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses. 278 Bedeutung hat die Bezugnahme vor allem bei einer konstitutiven Verweisung auf Tarifverträge. 279 D e r normative Teil eines Tarifvertrages befaßt sich mit Regelungen zu Abschluß, Inhalt und Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie mit betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen sowie mit gemeinsamen Einrichtungen, § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 2 T V G . Diese Rechtsnormen wirken unmittelbar und zwingend auf Arbeitsverhältnisse ein, sofern die Betroffenen tarifgebunden sind, § 3 Abs. 1 T V G . Eine Tarifbindung kraft Organisationszugehörigkeit besteht, wenn sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber Mitglied der Tarifvertragsparteien ( § 2 T V G ) sind. Rechtsnormen von Tarifverträgen mit betrieblichem und betriebsverfassungsrechtlichem Inhalt gelten gemäß § 3 Abs. 2 T V G auch in allen B e trieben, in denen allein der Arbeitgeber tarifgebunden ist. Weiterhin sind Arbeitnehmer und Arbeitgeber tarifgebunden, die infolge einer Allgemeinverbindlicherklärung ( § 5 T V G ) an den Tarifvertrag gebunden sind. In diesen Fällen gelten die normativen Tarifregelungen, ohne Inhalt des Arbeitsverhältnisses zu werden und ohne Rücksicht darauf, ob die Arbeitsvertragsparteien von den Bestimmungen Kenntnis nehmen. Eine Bezugnahme im Arbeitsvertrag wäre insoweit regelmäßig deklaratorischer Art. Nach § 3 Abs. 3 T V G besteht die Tarifgebundenheit fort, bis der Tarifvertrag endet. Das Arbeitsverhältnis ist in erster Linie von Abschluß-, Inhalts- und Beendigungsnormen des Tarifvertrages betroffen: Abschlußnormen haben das » O b « und »Wie« eines Arbeitsvertragsabschlusses zum Gegenstand, enthalten also Abschlußge- und -verböte sowie Regelungen über Stellvertretung oder etwaige Widerrufsrechte. 2 8 0 Inhaltsnormen stellen normative Bestimmungen dar, die den materiellen Gehalt der Arbeitsverhältnisse regeln. So finden sich in Tarifverträgen häufig Aussagen, die sich auf das Aquivalenzverhältnis beziehen, also die H ö h e und Ermittlung von Lohn und Gehalt, Zuschläge und sonstige Entgeltbestandteile betreffen oder - auf der Leistungsseite - die Art der geschuldeten Tätigkeit, die Dauer und die Lage der regelmäßigen Arbeitszeit sowie Fragen der Kurz- und Mehrarbeit regeln. U n t e r anderem sind auch Aspekte des Leistungsstörungsrechts regelmäßig B e standteil von Tarifverträgen; so wird häufig der Haftungsmaßstab für von Arbeitnehmern verursachte Schäden in Tarifverträgen bestimmt. 2 8 1 Beendigungsnormen wiederum geben vor, ob und auf welche Weise ein Arbeitsverhältnis beendet werden kann. Zu denken ist hier zum Beispiel an Regelungen über den Ausschluß oder die Einschränkung einer or-
278 Schaefer, Bezugnahme, S.6, 8; v. Hoyningen-Huene, RdA 1974, 138, 139; Seibert, N Z A 1985, 730, 731. Nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ist der Arbeitgeber gehalten, bei gleichliegenden Sachverhalten in seinem Betrieb einzelne Arbeitnehmer oder einzelne Gruppen von Arbeitnehmern nicht ohne sachlichen Grund von allgemeinbegünstigenden Regelungen auszunehmen, vgl. B A G N Z A 1997,1177; N Z A 1996,84,133. Gewährt der Arbeitgeber lediglich den tarifgebundenen Arbeitnehmern, die sich aus den Tarifnormen ergebenden Leistungen, so liegt allerdings hierin gegenüber den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, B A G AP Nr. 7 zu § 4 T V G . 2 7 9 Zur historischen Entwicklung der sog. Berufung Schaefer, Bezugnahme, S. 9ff. Die Verweisung auf tarifvertragliche Regelungen wurde in § 1 Abs. 2 T V V O (Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23.12. 1918, RGBl. I, S.2456ff.) ausdrücklich anerkannt; zu den in diesem Zusammenhang geführten Diskussionen, insbesondere über Rechtsnatur und Wirkung der Berufung i.S.v. § 1 Abs. 2 T W O , v. Rhein, Bezugnahme, S. 3ff. 2 8 0 Vgl. B A G AP Nr. 106 zu § 1 T V G Auslegung; EzA § 1 BeschFG 1985 Nr. 10. 281 B A G EzA § 15 A Z O Nr. 14; EzA § 4 T V G Druckindustrie Nr. 21; AP Nr. 7 zu § 1 T V G Tarifverträge Bundesbahn; N Z A 1993, 81.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
285
dentlichen Arbeitgeberkündigung oder an Formvorschriften über Ausspruch und Zugang einer Kündigung oder über den Abschluß eines Aufhebungsvertrages. 2 8 2 Diese vielfältigen und für das individuelle Arbeitsverhältnis bedeutsamen Regeln gelten unmittelbar zwingend allein für die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und die Arbeitgeber, die selbst Partei des Tarifvertrages sind. Die sogenannten Außenseiterklauseln stellen lediglich schuldrechtliche Verpflichtungen der Tarifvertragsparteien dar, die Tarifnormen vertragsrechtlich im Arbeitsverhältnis mit Außenseitern anzuwenden. 2 8 3 U m auch nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer an die Regelungen in Tarifverträgen zu binden, bleibt - sieht man von einer inhaltlichen Einbeziehung beispielsweise durch betriebliche Ü b u n g ab 2 8 4 - die Möglichkeit, die Arbeitsverhältnisse der nicht tarifgebundenen A r beitnehmer durch Einzelarbeitsvertrag dem Tarifrecht zu unterstellen. In der Praxis soll auf diese Weise eine Zweiteilung der Belegschaft vermieden werden. Dies entspricht der Interessenlage des Arbeitgebers, der dadurch nicht nur eine einheitliche Verwaltung erreichen will, sondern auch, daß sich nicht auf dem U m w e g über die unterschiedliche G e w ä h r u n g von Zuwendungen die Gewerkschaftszugehörigkeit dokumentiert und unter Umständen für U n r u h e im Betrieb sorgt. Will man nicht den gesamten Wortlaut der Tarifverträge ausdrücklich in den Arbeitsvertrag aufnehmen, 2 8 5 bietet sich als rechtstechnische Vorgehensweise die Verweisung auf den Tarifvertrag an. Dabei bleibt es den nicht tarifgebundenen Vertragspartnern im Grundsatz unbenommen, den gesamten Tarifvertrag, einen Teilbereich oder nur eine einzelne Bestimmung in Bezug zu nehmen. F ü r die A d a p t i o n tarifvertraglicher Regelungen f e h l e n gesetzliche Vorgaben. 2 8 6 Im G e g e n s a t z z u r T W O enthält das T V G keine A u s s a g e ü b e r die M ö g l i c h k e i t der V e r w e i s u n g auf einen Tarifvertrag. 2 8 7 D i e zu § 1 A b s . 2 T W O vertretene A u f fassung einer N o r m w i r k u n g k r a f t Tarifvertrages u n d nicht k r a f t einzelvertraglicher A b r e d e u n d d a m i t die These der Entbehrlichkeit einer entsprechenden V e r t r a g s k o n t r o l l e sind deshalb seit d e m T V G v o m 9. A p r i l 1 9 4 9 bedeutungslos. 2 8 8 D i e Gegenansicht z u r L e h r e v o m Rechtsinstitut, die These d e r rechtsgeschäftli282 Vgl. BAG EzA § 4 TVG Bühnen Nr. 3; EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 82; EzA § 620 BGB Bedingung Nr. 4. 283 Siehe nur Wildschütz/Pfeiffer, in: Dörner/Luczak/Wildschütz, H Rn. 161. Unzulässig sind Klauseln mit entgegengesetzter Intention, die Arbeitgeber tarifvertraglich hindern sollen, bestimmte Tarifinhalte individualrechtlich auch auf Außenseiter anzuwenden, oder sie anhalten sollen, Organisierten bessere Arbeitsbedingungen zu gewähren. Derartige Klauseln widersprechen dem Grundsatz der negativen Koalitionsfreiheit; BAG AP Nr. 13, 46 zu Art. 9 GG. 284 Vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, §208 III 1. 285 Die arbeitsvertraglich wiederholten Tarifnormen werden Vertragsgegenstand. Die Bezugnahme ist hier deshalb per se statisch; die Änderung der Tarifnormen hat auf die Regelung im Arbeitsvertrag durch die tarifungebundenen Partner keine Auswirkungen (vgl. S. 292). Als Modifikationsweg bleiben der vertragliche Weg oder gegebenenfalls eine Anderungskündigung. 286 Eine gesetzliche Anerkennung der Verweisungstechnik läßt sich nur mittelbar z.B. §622 Abs.4 S.2 BGB, §4 Abs.4 S.2 EntgeltfortzahlungsG oder § 13 Abs. 1 S.2 BUrlG entnehmen. Einen Vorschlag für eine gesetzliche Regelung der vertraglichen Übernahme von tarifrechtlichen Vorgaben enthält § 126 des Entwurfs eines Arbeitsgesetzbuches der Arbeitsgesetzbuchkommission 1977. 287 Der Gesetzgeber hat bewußt auf eine § 1 Abs. 2 T W O vergleichbare Norm verzichtet, vgl. Herschel, ZfA 1973, 183, 191. Bereits dies spricht für eine Qualifizierung als Vertragsschluß i.S. zweier sich deckender Willenserklärungen. 288 Dazu und zu der damals streitigen juristischen Konstruktion der Tarifbindung Schaefer, Bezugnahme, S. 9ff.; Nömeier, Bezugnahme, S. 48ff.
286
2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
c h e n I n b e z u g n a h m e , hat sich m i t der A u f h e b u n g der T W O
durchgesetzt. D i e
I n b e z u g n a h m e ist getreu d e m G r u n d s a t z der V e r t r a g s f r e i h e i t zulässig. 2 8 9 D i e V e r w e i s u n g ist als B e s t a n d t e i l einer W i l l e n s ü b e r e i n s t i m m u n g i m S i n n e der § § 1 4 5 ff. B G B zu q u a l i f i z i e r e n . 2 9 0 D i e V e r t r a g s p a r t e i e n w e r d e n a u c h bei B e z u g n a h m e n f ü r sich selbst e i g e n v e r a n t w o r t l i c h tätig; l e g i t i m i e r e n d e r R e c h t s g r u n d ist d e r V e r tragswille. D a m i t ist die F r a g e v e r b u n d e n , v o n w e l c h e n E r f o r d e r n i s s e n die E i n b e z i e h u n g v o n a u ß e r h a l b des e i g e n t l i c h e n V e r t r a g e s s t e h e n d e n B e d i n g u n g e n a b h ä n g t u n d m i t w e l c h e n K o n t r o l l m e c h a n i s m e n die I n b e z u g n a h m e v o n K l a u s e l w e r k e n r e g l e m e n t i e r t w i r d . A r b e i t s v e r t r ä g e e n t h a l t e n aus G r ü n d e n der R a t i o n a lisierung u n d S t a n d a r d i s i e r u n g in der R e g e l einseitig v o m A r b e i t g e b e r aufgestellte f o r m a l i s i e r t e A r b e i t s b e d i n g u n g e n . 2 9 1 H ä u f i g f i n d e n sich in diesen v o r f o r m u l i e r t e n A r b e i t s v e r t r ä g e n V e r w e i s u n g e n auf Tarifverträge. 2 9 2 E i n e E i n b e z i e h u n g s k o n t r o l l e mittels § § 2 , 3 A G B G k o m m t n i c h t in B e t r a c h t . § 2 3 A b s . 1 A G B G hat das A r b e i t s r e c h t aus d e m s a c h l i c h e n A n w e n d u n g s b e r e i c h des A G B G
ausgenom-
m e n . 2 9 3 D e r G e s e t z g e b e r b e g r ü n d e t e die B e r e i c h s a u s n a h m e m i t m a n g e l n d e m 289 ¡-¡romadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 73; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 17, m. zahlr. Nachw.; Gaul, ZTR1991,188ff.; Müller, RdA 1990,321,323; Nömeier, Bezugnahme, S. 65; Preis, Grundfragen, S. 391; Seibert, NZA 1985, 730f.; Dörner, in: Kass. Hdb. z. ArbR 2,6.1. Rn. 145; B A G AP Nr. 1 zu § 1 T V G Bezugnahme; AP Nr. 87 zu §4 T V G Ausschlußfristen. 2 9 0 A.A. Herschel, D B 1969, 659ff., der bei einer Gesamtverweisung für eine normative Einordnung kraft Unterwerfung in Art einer Rechtswahl eintritt (bei einer partiellen Bezugnahme allerdings in Ubereinstimmung mit der h.M. von einer vertraglichen Ausgestaltung durch korrespondierende Willenserklärungen spricht, S. 660f.). Das Rechtsgeschäft der Rechtswahl komme nicht durch Angebot und Annahme, sondern durch die Vereinigung identischer Erklärungen zu einem gemeinsamen Willen zustande. Uberzeugend gegen diese Sichtweise Nömeier, Bezugnahme, S. 57f.; Schaefer, Bezugnahme, S. 60ff.; vgl. auch B A G AP Nr. 8 zu § 4 T V G Nachwirkung. 291 Vgl. Schmid/Trenk-Hinterberger, Arbeitsrecht, §4 I 5; Gumpert, BB 1974, 139; Söllner, Arbeitsrecht, §22 II. Siehe auch die Ausführungen von Preis, Grundfragen, S.54f. zur arbeitsrechtlichen Praxis. 2 9 2 Von dieser Konstellation einer einfachen Verweisung ist die gestufte Bezugnahme zu unterscheiden. Der (Formular-)Arbeitsvertrag verweist auf arbeitsrechtliche Einheitsregelungen, die wiederum auf weitere Regelwerke Bezug nehmen. 2 9 3 Ausgenommen sind vorformulierte Vertragsbedingungen auf dem gesamten Gebiet des Arbeitsrechts. Ein besonderer Aspekt ergibt sich bei Verträgen mit arbeitnehmerähnlichen Personen. Dabei handelt es sich (vgl. § 12a TVG) um Dienst- oder Werkleistende, die mangels persönlicher Abhängigkeit keine Arbeitnehmer sind {Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, §4 VI, 2; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht 1, §3 Rn.33; abweichend Wank, Arbeitnehmer, S.242f., der das entscheidende Abgrenzungsmerkmal in der »freiwilligen Übernahme des Unternehmerrisikos« sieht), aber wirtschaftlich abhängig und daher in mancher Hinsicht einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzbedürftig sind. Den Arbeitnehmern gleichgestellt sind sie dort, wo das gesetzlich bestimmt ist, wie es partiell bei §7 ArbPlSchG, §6 Abs. 1 S.2 BetrVG, §2 S.2 BUrlG oder §§ 7 Abs. 4, 8 Abs. 5 MuSchG der Fall ist. Da in § 23 Abs. 1 A G B G eine Gleichstellung nicht vorgenommen wird und ein Analogieschluß aufgrund der rechtspolitischen Zielsetzung eines umfassenden Kundenschutzes insoweit ausscheidet, unterstehen vorformulierte Bedingungen in Verträgen zwischen arbeitnehmerähnlichen Personen und ihren Auftragnehmern dem AGBGesetz, Erman/Werner, §23 A G B G Rn.3; Palandt/Heinrichs, § 23 A G B G Rn.2; Ulmer, in: Ulmer/ Brandner/Hensen, §23 A G B G Rn. 7; Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, §23 A G B G Rn.37; Preis/Stoffels, Z H R 160 (1996), 442, 454f.; unentschieden Soergel/U. Stein, §23 A G B G Rn.4;
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
287
Kontrollbedürfnis im Arbeitsrecht. Hier sei ein Kontrollsystem nicht erforderlich, weil bereits existierende zwingende Normen und das System kollektivrechtlicher Vereinbarungen für den Schutz des Arbeitnehmers sorgten; aktuell auftretende Mißstände hoffte der Gesetzgeber im Wege der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung beheben zu können. 294 Diese Vorstellungen haben sich in der Praxis nicht realisiert. Auch (und gerade) im Arbeitsrecht besteht erheblicher Kontrollbedarf, dem der Gesetzgeber nicht nachgekommen ist und der deshalb den Gerichten obliegt. Damit stellt sich die Frage nach den Kontrollmaßstäben. Auf den ersten Blick scheint sich ein Rückgriff auf §§2, 3 AGBG oder eine Analogie zu diesen Vorschriften anzubieten, um die ordnungsgemäße Inbezugnahme insbesondere tarifvertraglicher Regelungen einer Rechtmäßigkeitskontrolle im Hinblick auf den Einbeziehungsakt zu unterziehen. Und in der Tat wird dieser Lösungsweg stellenweise (mit Modifikationen im Detail) beschritten. 295 Er wird allerdings §23 Abs. 1 AGBG nicht gerecht. Die Bereichsausnahme bezieht sich nach ihrem Wortlaut auf den gesamten Kontrollgehalt des AGBG und nicht nur auf die Inhaltskontrolle. Aus systematischer Sicht hätte es ansonsten näher gelegen, die Materie des Arbeitsrechts aus der Aufzählung des ersten Absatzes herauszunehmen und in den Katalog der Einzelausnahmen des zweiten Absatzes des § 23 AGBG zu integrieren. So wäre es möglich gewesen, allein die Inhaltskontrolle arbeitsrechtlicher Abreden aus dem sachlichen Anwendungsbereich des AGBG herauszunehmen. Diesen Weg hat der Gesetzgeber bewußt nicht beschritten; ihm kam es darauf an, das Arbeitsrecht insgesamt von den Kontrollmechanismen des AGBG freizustellen. 296 N u r so könnten Sinn und Zweck der Bereichausnahme verwirklicht werden. 297 Neben grammatikalischer und systematischer Auslegung sprechen also auch historische und teleologische Gesichtspunkte gegen einen Analogieschluß. Die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung gegen eine Einbeziehungskontrolle gemäß §§2, 3 AGBG ist zu akzeptieren. Eine teleologische Reduktion des §23 Abs. 1 AGBG ist nicht gerechtfertigt; dem Gesetzgeber ging es gerade darum, B G H N J W 1984, 1112; a.A. Basedow, in: MünchKommBGB, §23 A G B G Rn.6, der bei seiner Begründung mit gesetzlichen Gleichstellungsnormen übersieht, daß diese nur partiellen und keinen generellen Charakter haben. 294 BT-Drucks. 7/3919, S.41. 295 Vgl. Basedow, in: MünchKommBGB, §23 AGBG Rn.3; Fenski, ArbuR 1989, 168f.; Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, §23 AGBG Rn.40; Mook, DB 1987, 2252, 2253 f.; B. Preis, ArbuR 1979,97,1 Ol ff.; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen,%2i A G B G Rn.4a; Walchsböfer, Grenzen, S. 159; offenlassend BAG N J W 1996, 2117; ablehnend Wolf, RdA 1988, 270, 275f.; wohl auch Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn.92ff. (gegen eine Uberraschungskontrolle i.S.d. § 3 AGBG); BAG AP Nr. 9 zu § 339 BGB; wohl auch BAG AP Nr. 78 zu § 242 BGB Ruhegehalt. Näher im arbeitsrechtlichen Abschnitt, S.485ff. 296 BT-Drucks. 7/3919, S.41. 297 Für eine einschränkende Interpretation des §23 Abs. 1 A G B G enthalten die Gesetzesmaterialien keine Anhaltspunkte - im Gegenteil, dem Gesetzgeber kam es gerade auf die Konstituierung einer umfassenden Bereichsausnahme an. Die Bedeutung der arbeitsrechtlichen Bereichsausnahme geht dahin, das gesamte Arbeitsrecht aus dem vollständigen Anwendungsbereich des AGBG auszunehmen.
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2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
das Arbeitsrecht nicht der A G B - K o n t r o l l e zu unterstellen. Sinn und Z w e c k der N o r m sprechen gegen eine Einengung des Anwendungsbereiches. Auch praktische Bedürfnisse erfordern nicht zwangsweise eine Analogie; sachgerechte E r gebnisse lassen sich auch durch Anwendung allgemeiner rechtsgeschäftlicher Grundsätze erzielen. Entgegen einer verbreiteten Auffassung können damit F o r mulararbeitsverträge nicht nach § § 2 , 3 A G B G einer Einbeziehungskontrolle unterworfen werden. Das bedeutet nicht, daß standardisierte Formulierungen, damit also auch entsprechende Verweisungsklauseln, im Arbeitsrecht ohne rechtliche Kontrolle Wirksamkeit entfalten. D i e Kriterien, anhand derer Wirksamkeit und Reichweite einer Bezugnahme bestimmt werden, sind aus dem allgemeinen rechtsgeschäftlichen Regelwerk zu entwickeln. Ein besonderer Kontrollmaßstab für die vertragliche Aufnahme und Wirksamkeit einer Verweisungsklausel entsprechend § § 2 , 3 A G B G existiert nicht.
bb) Einbeziehungskontrolle nach allgemeinen Grundsätzen Arbeitsrechtliche Vereinbarungen sind - auch wenn sie sich auf Verweisungen auf einen Tarifvertrag beziehen - am Maßstab des Vertragsprinzips unter der A n w e n dung der §§ 145ff. B G B zu messen. Daraus resultiert zunächst die grundsätzliche Formfreiheit einer Verweisungsabrede. 2 9 8 Daran ändert auch § 1 Abs. 2 T V G nichts. Die Vorschrift wendet sich an die Tarifvertragsparteien. Die Vertragspartner des Arbeitsverhältnisses zählen nicht zu den Adressaten des tarifgesetzlichen Schriftformgebotes. Das gleiche gilt für § 8 T V G . D i e N o r m verpflichtet die A r beitgeber, die für ihren Betrieb maßgeblichen Tarifverträge im Betrieb an geeigneter Stelle auszulegen. Z w e c k ist die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch die vom Tarifvertrag direkt betroffenen Arbeitnehmer. 2 9 9 F ü r Tarifaußenseiter gilt die Vorschrift nicht. Die Frage ist, ob für den Arbeitgeber bei einer Inbezugnahme die Obliegenheit besteht, dem Arbeitnehmer die Möglichkeit der Kenntnisnahme zu verschaffen. Deutlich zeigt sich die Problematik bei den Stufenverweisungen, also in den Fällen, in denen beispielsweise im Arbeitsvertrag pauschal auf einen Tarifvertrag verwiesen wird, der wiederum weitere Tarifverträge in Bezug nimmt. H a t der A r beitgeber sämtliche einschlägige Regelungen dem betroffenen, nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen? 300 Das P r o b l e m tritt nur auf, wenn der Arbeitgeber nicht bereits in Vollzug des § 8 T V G eine allgemeine Kenntnisnahme ermöglicht. Ist der Arbeitgeber seiner Bekanntgabepflicht gemäß § 8 T V G nachgekommen und sind sämtliche in Bezug genommenen Tarifverträge an geeigneter Stelle im Betrieb allgemein zugänglich, ist von einer wirksamen Einbeziehung des Tarifwerkes in den Arbeitsvertrag auszugehen. Auch
Gamilhcheg, Kollektives Arbeitsrecht I, §17 II 2, m. weit. Nachw. Ein Verstoß gegen die Publikationspflicht hat keine Sanktion zu Lasten des Arbeitgebers zur Folge; § 8 T V G ist bloße Ordnungsvorschrift. 300 Dafür Fenski, BB 1987, 2293, 2296f.; Seibert, NZA 1985, 730, 732; dagegen Nömeier, Bezugnahme, S. 115f. 298
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6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
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Tarifaußenseiter können sich hier vor Vertragsabschluß über die in den Arbeitsvertrag einbezogenen Regelungen informieren. Besteht für die Arbeitnehmer keine einfache Kenntnisnahmemöglichkeit, stellt sich die Frage, ob dem allgemeinen Vertragsrecht diesbezüglich Vorgaben zu entnehmen sind. Das allgemeine Vertragsrecht kennt keine Pflicht zur Kenntnisverschaffung. Vielmehr ist es Sache der Vertragsparteien, sich über den Inhalt der Abrede zu informieren. Es ist der Sphäre des Erklärenden zuzuordnen, sich über den Inhalt seiner Erklärung klar zu werden. Bestätigt wird diese Sichtweise durch die Ratio des § 2 Abs. 1 Nr. 2 A G B G . Die N o r m , die scheinbar entgegen der hier zur arbeitsvertraglichen Bezugnahme vertretenen Auffassung dem A G B - V e r w e n d e r die Obliegenheit zuordnet, eine Möglichkeit zur Kenntnisnahme zu eröffnen, zielt allein darauf ab, dem Kunden eine zumutbare Gelegenheit zur Einsichtnahme zu schaffen; ob er von ihr tatsächlich Gebrauch macht, ist ohne Belang. § 2 Abs. 1 Nr. 2 A G B G geht es allein um die Informationszugänglichkeit, nicht um die konkrete positive Kenntnis. Sie zielt lediglich darauf, »die Einbeziehung von A G B in den Einzelvertrag wieder fest auf dem B o d e n des nach dem B G B maßgeblichen rechtsgeschäftlichen Vertrags willens« zu verankern. 3 0 1 F u n k t i o n der Vorschrift ist, den Vertragspartner in die Lage zu versetzen, im Bedarfsfall die allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Kenntnis nehmen zu können. 3 0 2 F ü r das A G B - R e c h t ist diese Anordnung auch verständlich; die Geschäftsbedingungen werden vom Verwender speziell für seine Anforderungen gefaßt und sind allgemein nicht zugänglich. Anders liegt es im Tarifrecht: Hier ist es unnötig, dem A r beitgeber diese potentielle Kenntnisnahmeobliegenheit aufzuerlegen. N a c h § 6 T V G werden Tarifverträge in besonderen Tarifregistern geführt, die gemäß § 11 Nr. 1 T V G i.V.m. § 16 T V G D V O jedermann zur Einsichtnahme offen stehen. 303 Mithin gewährleistet das Tarifregister die jederzeitige Uberprüfung des Gegenstandes der Einbeziehungsvereinbarung (auch bei Stufenverweisungen) und stellt die Vertragsgrundlage für die Bezugnehmenden sicher. 304 Überdies führt dieser Lösungsansatz zu einer homogenen Behandlung von Tarifgebundenen und A u ßenseitern: In beiden Fällen führt eine mangelnde Publikation von Tarifverträgen nicht zur Nichtgeltung der entsprechenden Klauseln. Zudem kann sich aus dem (vor-)vertraglichen Schuldverhältnis die Pflicht ergeben, dem Arbeitnehmer notwendige Unterlagen zur Verfügung zu stellen und auf Nachfrage Auskunft zu er-
301 BT-Drucks. 7/3919, S. 13. §2 AGBG spricht vornehmlich gegen die sog. »Wissen-müssen«-Rechtsprechung, vgl. Soergel/U. Stein, §2 AGBG Rn.2. 302 Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, §2 AGBG Rn.46; Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, §2 AGBG Rn.23; Staudinger/Schlosser, §2 AGBG Rn.26 (»Einzige realistische Funktion der Vorschrift ist es, den Vertragspartner des Verwenders in die Lage zu versetzen, im Konfliktsfalle und zu seiner Orientierung während der Vertragsabwicklung mühelos einen Text der Bedingungen zur Verfügung zu haben.«). 303 Bei den Länderverwaltungen (in Bayern bei den Bezirksregierungen) werden Tarifregister geführt; auf Anfrage erteilen die Länderverwaltungen Auskunft, vgl. Lindena, DB 1988, 1114, 1117f. 304 Dagegen Gröbing, ArbuR 1982, 116, 118f.; Preis, Grundfragen, S.395.
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2. Teil: Leitlinien
einer
Freiheitsbegrenzung
teilen. D i e s e r A r g u m e n t a t i o n s a n s a t z ist v o r a l l e m f ü r die V e r w e i s u n g auf a r b e i t s vertragliche Einheitsregelungen bedeutungsvoll. Im Hinblick auf die Inbezugnahme arbeitsvertraglicher Einheitsregelungen hat im Vergleich zur Verweisung auf Tarifvertragsklauseln ein strengerer Maßstab zu gelten. Hier entspringen die in Bezug genommenen Abreden allein der Unternehmenssphäre. Dementsprechend hat der Arbeitgeber, einer (vor-)vertraglichen Aufklärungspflicht folgend, dem potentiellen Arbeitnehmer bei der erwünschten Kenntnisnahme hilfreich zur Seite zu stehen. Das ändert aber nichts daran, daß der Arbeitnehmer aus eigenem Antrieb und mit zumutbarer Sorgfalt selbst für die Klarstellung seines Arbeitsvertrages zu sorgen hat. Es kann deshalb vom Arbeitnehmer erwartet werden, daß er ihm unbekannte Klauseln und Inbezugnahmen hinterfragt und die entsprechenden Informationen beim Arbeitgeber anfordert. Die innerbetrieblichen Regelwerke sind sodann vom Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen. Geschieht das nicht, verweigert der Arbeitgeber also die Einsichtnahme, werden die Bedingungen trotz Bezugnahmeklausel nicht Vertragsgegenstand. Der Arbeitgeber hat nämlich zumindest die Möglichkeit der zumutbaren Kenntnisnahme der allein seiner Sphäre entspringenden Klauselwerke zu schaffen. N u r unter dieser Voraussetzung läßt sich die selbstverantwortliche Zurechnung der Einbeziehungserklärung rechtfertigen. 3 0 5 Die Deduktion aus allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundsätzen besagt zugleich, daß der Arbeitnehmer getreu dem Vertragsfreiheitsprimat auch auf die Kenntnisnahme verzichten kann. A u f die P r o b l e m a t i k der K e n n t n i s v e r s c h a f f u n g k o m m t es allerdings n u r an, w e n n sich i m A r b e i t s v e r t r a g ein e i n d e u t i g e r H i n w e i s auf die I n b e z u g n a h m e f i n d e t . § 2 A b s . 1 N r . 1 A G B G f ü r die R e c h t f e r t i g u n g dieser A u s s a g e zu b e m ü h e n , ist n i c h t n o t w e n d i g . 3 0 6 D i e I n b e z u g n a h m e stellt einen B e s t a n d t e i l des a l l g e m e i n e n V e r tragsschlusses n a c h § § 1 4 5 f f . B G B dar u n d s e t z t d e s h a l b eine darauf g e r i c h t e t e W i l l e n s ü b e r e i n s t i m m u n g v o r a u s . D e r W i l l e des A r b e i t g e b e r s z u r I n t e g r a t i o n tar i f v e r t r a g l i c h e r R e g e l u n g e n m u ß e r k e n n b a r u n d b e s t i m m t sein. D a s r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e E r k l ä r u n g s b e w u ß t s e i n e r f o r d e r t eine H i n w e i s o b l i e g e n h e i t ; n u r so k a n n b e i m A r b e i t n e h m e r ein e n t s p r e c h e n d e r W i l l e n s b i l d u n g s p r o z e ß
initiiert
w e r d e n . F e h l t er, m a n g e l t es an einer r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e n W i l l e n s e r k l ä r u n g . 3 0 7 D e r R e k u r s auf die R e c h t s g e s c h ä f t s l e h r e besagt z u g l e i c h , d a ß - e n t g e g e n
§2
A b s . 1 N r . 1 A G B G - a u c h eine s t i l l s c h w e i g e n d e B e z u g n a h m e auf Tarifverträge m ö g l i c h ist. A n s t e l l e eines a u s d r ü c k l i c h e n H i n w e i s e s k a n n sich die V e r w e i s u n g a u c h aus a n d e r e n U m s t ä n d e n als k o n k l u d e n t e E i n b e z i e h u n g e r g e b e n . E r f o r d e r lich ist die A u s l e g u n g des V e r t r a g e s n a c h M a ß g a b e der § § 1 3 3 , 1 5 7 B G B . A u c h bei 305 In diese Richtung auch BAG AP Nr. 1 zu § 1 T V G Bezugnahme; kritisch Preis, Grundfragen, S. 395, der die Kenntnisinitiative dem Arbeitgeber zuordnen will. Dies wird dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit für eine Willenserklärung nicht gerecht. Es ist Aufgabe des Arbeitnehmers, sich über den im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen Tarifvertrag zu informieren. Davon unabhängig ist die Frage, inwieweit dem Arbeitgeber eine Unterstützungsfunktion zuzuordnen ist. 3 0 6 A.A. die wohl überwiegende Meinung, die-contra legem (§23 Abs. 1 A G B G ) - d i e Einbeziehungskontrolle mittels Analogie zu den Vorgaben des A G B G durchführt, vgl. die Nachw. bei Fn.295 sowie die Ausführungen im arbeitsrechtlichen Abschnitt (S. 485ff.). 307 Schaefer, Bezugnahme, S. 109ff.; BAG AP Nr. 3 zu § 9 LohnfortzG; a.A. Nömeier, Bezugnahme, S. 113.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
291
einer stillschweigenden Verweisung muß der Wille, tarifvertragliche Bestimmungen einzubeziehen, für den Arbeitnehmer in irgendeiner Weise erkennbar zum Ausdruck kommen. Es genügt ein zweifelsfreier Hinweis in den vertragsanbahnenden Unterlagen oder dem Vertragsschluß vorangehenden Besprechungen, woraus der Arbeitnehmer im Wege der Auslegung den Einbeziehungswillen seines potentiellen Arbeitgebers eindeutig entnehmen kann. Dabei muß klar erkennbar sein, welches Tarifwerk gemeint ist. Zu berücksichtigen sind die Gesamtumstände des Vertragsabschlusses. Auch nach Abschluß des Arbeitsvertrages ist eine Inbezugnahme durch konkludente Willenserklärungen möglich. So kann eine stillschweigende Inbezugnahme von Tarifbestimmungen darin liegen, daß der Arbeitgeber Tarifbestimmungen anwendet und der Arbeitnehmer dies widerspruchslos hinnimmt. 308 Die konkludente Inbezugnahme tarifvertraglicher Inhalte ist auch durch Gesamtzusage 309 oder betriebliche Übung 310 möglich. Gesamtzusage meint eine die Arbeitnehmer begünstigende Zusage des Arbeitgebers, die dieser der gesamten Belegschaft oder einem Teil der Arbeitnehmer durch allgemeine f ö r m liche Bekanntgabe macht. Die Bekanntgabe ist als A n g e b o t i.S.d. § 145 B G B zu qualifizieren, das die Arbeitnehmer stillschweigend annehmen; auf den Zugang der Annahmeerklärung hat der Arbeitgeber gemäß § 151 S. 1 B G B verzichtet. 3 1 1 Mit betrieblicher Ü b u n g wird die regelmäßige vorbehaltlose Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers bezeichnet, aus denen der Arbeitnehmer schließen kann, ihm solle eine Leistung gewährt werden. Die dogmatische Herleitung ist umstritten. Die Rechtsprechung wertet das Verhalten des Arbeitgebers als Willenserklärung, die v o m Arbeitnehmer nach §151 S. 1 B G B stillschweigend angenommen wird (Vertragstheorie). N a c h anderer Ansicht beruht die Bindungswirkung darauf, daß der Arbeitgeber d u r c h die mehrfach vorbehaltlose Leistungsgewährung einen Tatbestand gesetzt hat, auf dessen Fortbestand der Arbeitnehmer vertrauen darf (Theorie der Vertrauenshaftung). N a c h beiden Ansichten k o m m t es darauf an, ob der Arbeitnehmer die Erklärung oder das Verhalten nach Treu u n d Glauben sowie unter Berücksichtigung der Verkehrssitte dahin verstehen durfte, der Arbeitgeber wolle sich rechtlich binden, in Z u k u n f t ebenso zu verfahren. 3 1 2
cc) Inhalt und Umfang der
Einbeziehung
Im Falle einer ausdrücklichen Verweisungsklausel läßt sich der Umfang der vertraglich integrierten Regelung weitgehend zweifelsfrei bestimmen. Den Vertragspartnern steht es frei, einen gesamten Tarifvertrag (sogenannte Globalbezugnah308
Gaul, ZTR 1991, 188, 190f. Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn.79, 81; Gaul, ZTR 1991, 188, 190. 310 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn.79, 82; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn.345; H z A / B ö r n e r , Gruppe 18 Rn.213; Preis, Grundfragen, S.393; Wildschütz/Pfeiffer, in: Dörner/ Luczak/Wildschütz, H Rn.201; Schaefer, Bezugnahme, S. 117ff. 311 Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht 1, §2 Rn.77; BAG DB 1975, 1563, 1564; nach a.A. beruht die Bindungswirkung auf Gewohnheitsrecht, BAG DB 1963,1191. Vgl. Schauh, Arbeitsrechtshandbuch, §81 II 3. 312 B A G N Z A 1997,1007,1008f.; N Z A 1996, 758;NZA 1994,88f,;Hueck/Fastrich, AR-Blattei D, Betriebsübung I (aus Sicht der Vertragstheorie); Hanau, AcP 165 (1965), 220, 260f.; Hromadka, N Z A 1984, 241, 244; Seiter, Betriebsübung, S.93ff.; Singer, ZiK 1993, 487, 494ff. (aus dem Blickwinkel der Theorie der Vertrauenshaftung). 309
292
2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
me), einen konkret herausgegriffenen Komplex, wie die Entgeltregelung (sogenannte Teilverweisung), oder auch nur eine spezielle tarifliche Vorschrift im Zuge einer sogenannten Singularverweisung zum Vertragsgegenstand zu machen. 3 1 3 D e r Grundsatz der Vertragsfreiheit erlaubt es, nicht nur auf den für einen Betrieb einschlägigen Tarifvertrag zu verweisen, sondern auch einen fremden Tarifvertrag als Bezugsobjekt zu wählen. E b e n s o wie die dort genannten Regelungen, ihre Kongruenz mit der Rechtsordnung vorausgesetzt, als Individualvereinbarungen in einen Vertrag in ihrem vollen Wortlaut aufgenommen werden könnten, steht auch einer Bezugnahme, ihre Wirksamkeit unterstellt, nichts entgegen. 314 D i e stellenweise erhobenen Bedenken, wie die einer möglichen Aufweichung einer normierten Tarifbindung, 3 1 5 vermögen sich gegen den Grundsatz der Vertragsfreiheit nicht durchzusetzen. D e n Parteien steht es frei, auch auf Tarifverträge aus anderen Branchen Bezug zu nehmen. Gegen die Verweisung auf branchenfremde Tarifverträge werden außerdem die gleichen Bedenken geltend gemacht wie gegenüber den sogenannten dynamischen Bezugnahmeklauseln (»Widerspiegelungsklauseln«). I m Gegensatz zur sogenannten statischen Verweisung, die auf einen bereits bestehenden Tarifvertrag verweist, nimmt diese die jeweils gültige Fassung eines bestimmten Tarifvertrages in Bezug, so daß sich Änderungen des Tarifvertrages automatisch auch auf das betroffene Arbeitsverhältnis erstrecken. 3 1 6 Sie bietet den Vorteil einer gleichmäßigen Teilhabe aller Arbeitnehmer an Tarifentwicklungen und wird im Grundsatz allgemein für zulässig gehalten. 317 Die Vertragsfreiheit erlaubt auch eine Jeweiligkeitsklausel. D e r Konsens über die Zulässigkeit einer dynamischen Bezugnahmeklausel im allgemeinen ändert nichts daran, daß die G r e n z e n einer solchen Verweisung im einzelnen äußerst unklar sind. I m Zusammenhang mit der hier interessierenden Reichweite einer Einbeziehungskontrolle im Arbeitsrecht wird darüber diskutiert, inwieweit eine Vertragspartei auch solche tarifliche Regelungen zu akzeptieren hat, mit denen sie - sei es aufgrund einer branchenfremden, sei es aufgrund einer dynamischen Verweisung - nicht rechnen konnte. Zu beurteilen ist mithin die Frage der Uberraschungskontrolle. Diejenigen, die für eine Analogie zu § 3 A G B G eintreten, versuchen ei-
313 Vgl. nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 17 II 4f; Preis, Grundfragen, S. 397; BAGE 50, 241, 246; 59, 224, 230. 314 Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 114; Dörner, in: Kass. Hdb. z. ArbR 2, 6.1. Rn. 148; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 17 II 4e; Müller, RdA 1990,321 ;Nömeier, Bezugnahme, S. 129; Wiedemann/Stumpf, §3 TVG Rn. 94, 96; Wildschütz/Pfeiffer, in: Dörner/ Luczak/Wildschütz, H Rn. 194; BAG EzA §3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 5; LAG Niedersachsen DB 1985, 708. 315 Bedenken vor allem bei Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, §3 TVG Rn.59; Preis, Grundfragen, S. 396. 316 Im einzelnen zu den Erscheinungsformen der dynamischen Verweisung Hromadka/ Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 111 ff. 317 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 17 II 4c; Schaefer, Bezugnahme, S. 125f.; Wildschütz/Pfeiffer, in: Dörner/Luczak/Wildschütz, H Rn. 196; Preis, Grundfragen, S. 400, jeweils m. weit. Nachw.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
293
ne Lösung unter Anwendung der für § 3 A G B G entwickelten Grundsätze. 3 1 8 I m übrigen herrscht Unsicherheit, o b und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen ein Überrumpelungsschutz zuzubilligen ist. Vertreten werden unterschiedlichste Lösungsansätze mit variierenden Begründungsspielarten. 3 1 9 Richtigerweise ist einem als arbeitsrechtlichen Überraschungsschutz sui generis ausgeformten Rechtsinstitut die Anerkennung unabhängig davon zu versagen, ob er auf § 3 A G B G gestützt wird oder ob er aus Zumutbarkeits-, Billigkeits- oder Vorhersehbarkeitserwägungen abgeleitet wird. 3 2 0 Eine Überraschungsprüfung findet nur mittelbar statt, soweit die allgemeine Rechtsgeschäftslehre die Einbeziehung unerwarteter Klauseln verhindert. D i e arbeitsrechtliche Einbeziehungsprüfung kennt keinen spezifischen, von der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre abweichenden Überraschungsschutz. N i c h t tragfähig ist die stellenweise vorgetragene Begründung, dies ergebe sich aus der Richtigkeitsgewähr eines Tarifvertrages. Zutreffend ist, daß das annähernde Gleichgewicht der Tarifparteien und ihre Sachnähe bei einer Gesamtbetrachtung des Tarifvertrages in der Regel für einen angemessenen Interessenausgleich sprechen; Nachteile in einem Bereich werden durch Vorteile an anderer Stelle k o m pensiert. 3 2 1 Diese Richtigkeitsgewähr von Tarifverträgen, die ursächlich ist für den - abgesehen von § 134 B G B und § 138 B G B - weitgehenden Ausschluß einer inhaltsbezogenen Kontrolle von Tarifverträgen, 3 2 2 läßt sich auf eine einzelvertragliche Bezugnahme nicht allgemein übertragen. Vor allem dann, wenn nicht der gesamte Tarifvertrag ohne Modifikationen in Bezug genommen wird, besteht die Gefahr, daß der Interessenausgleich gestört ist. 323 A u f die Ausgleichsfunktion ist deshalb nicht abzustellen. D i e Unmaßgeblichkeit eines spezifischen Überraschungsmomentes ergibt sich vielmehr aus dem schuldrechtlichen Charakter der Bezugnahme. Sind die Vertragsparteien nicht tarifgebunden, erfolgt die Berufung auf Tarifbedingungen im 318 Allgemein zu den Kriterien für die Feststellung von Bestimmungen, die derart ungewöhnlich sind, daß der Vertragspartner mit ihnen nicht zu rechnen hat, Lindacher, in: Wolf/Horn!Lindacher, §3 AGBG Rn. 18ff.; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, §3 AGBG Rn. 14ff. 319 Vgl. Etzel, NZA Beil. 1987,19,27; Löwisch, NZA 1985, 317; Seibert, NZA 1985, 730, 732; Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 92ff.; Nömeier, Bezugnahme, S. 116; Preis, Grundfragen, S. 401 ff.; Schaefer, Bezugnahme, S. 126ff.; v. Rhein, Bezugnahme, S.46f.; Wiedemann/Stumpf, §3 TVG Rn. 103. 320 Das BAG, AP Nr. 1 zu § 3 AGBG (m. Anm. von Fastrich), spricht sich in der Entscheidung vom 29.11. 1995 für eine Uberraschungskontrolle aus, läßt es aber offen, ob sich eine solche aus einer Analogie zu §3 AGBG oder aus einem allgemeinen Rechtsgedanken (§242 BGB) ergibt. 321 Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, §7 II la, §16 III; Dörner, in: Kass. Hdb. z. ArbR 2,6.1. Rn.20; BAG AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Süßwarenindustrie; AP Nr. 143 zu §242 BGB Ruhegehalt; AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Besitzstand. Näher im arbeitsrechtlichen Teil. 322 Eine inhaltliche Überprüfung des Tarifvertrages, insbesondere auf Angemessenheit, Billigkeit oder Treu und Glauben, kommt nicht in Betracht; Säcker/Oetker, Grundlagen, S.230, 287ff.; V. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 168ff.; BAG AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Brotindustrie; DB 1996, 534. 323 Vgl. Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, §3 TVG Rn.67; Preis, ZIP 1989, 885, 887; Wiedemann/Stumpf, §3 TVG Rn. 109.
294
2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
Wege eines schuldrechtlichen Vertrages, der konstitutiv im Rahmen des Arbeitsverhältnisses die entsprechenden tarifvertraglichen Inhalte zur Wirkung bringt. Maßgebend ist die allgemeine Vertragslehre - und diese kennt keinen spezifischen Überraschungsschutz vergleichbar dem § 3 A G B G . § 3 A G B G verkörpert nämlich keine bloße Positivierung allgemeiner Prinzipien der Rechtsgeschäftslehre. In ihrer Allgemeinheit geht die N o r m weiter und begrenzt die Vertragsfreiheit in größerem U m f a n g , als es nach allgemeinen Grundsätzen der Fall wäre: Ü b e r r a schende Klauseln, die normalerweise wegen bewußter Nichtkenntnisnahme v o m Vertragsinhalt verbindlich würden oder nur unter den Voraussetzungen der A n fechtung zu beseitigen wären, werden bei einer Einbeziehung als allgemeine G e schäftsbedingungen im Sinne des A G B G nicht Vertragsbestandteil. 3 2 4 D i e spezifische Überraschungskontrolle ist mithin als gesetzlich geregelte B e sonderheit des A G B - G e s e t z e s in ihrer Allgemeinheit nicht auf das Vertragsrecht übertragbar. Zu Recht hat deshalb das B A G einer eigenständigen Überraschungskontrolle aus sich selbst heraus im Zusammenhang mit einer dynamischen Verweisung eine Absage erteilt. 3 2 5 Möglich bleibt freilich eine Einbeziehungsprüfung im weiteren Sinn anhand der allgemeinen Wirksamkeitsvoraussetzungen von Schuldverträgen. So ist denkbar, daß einzelne Bezugnahmeklauseln im konkreten Fall mangels Willensübereinstimmung nicht Vertragsbestandteil werden; §§ 154, 155 B G B sind anwendbar. Gegebenenfalls ist eine Bezugnahme i.S.d. § 142 Abs. 1 B G B anfechtbar. Von einem anfechtungsberechtigenden Irrtum kann unter U m ständen ausgegangen werden, wenn die Partei im Augenblick der Bezugnahme eine, wenn auch möglicherweise ungenaue Vorstellung von dem üblichen Inhalt eines Tarifvertrages hat und eine oder mehrere in Bezug genommene Tarifbedingungen von der Vorstellung in nicht unerheblicher Weise abweichen. In H i n b l i c k auf die Existenz eines Anfechtungsgrundes irrelevant ist es, wenn eine Vertragsseite den Tarifvertrag nicht zur Kenntnis genommen hat. D a ß derjenige nicht anfechten kann, der einen Vertrag unterschreibt, über dessen Inhalt er sich keine Vorstellungen macht, ergibt sich daraus, daß hier Vorstellung des Erklärenden und Wirklichkeit nicht auseinanderfallen. 3 2 6 Untypische Entwicklungen, vor allem im Bereich der dynamischen Verweisungen, lassen sich gegebenenfalls im R a h m e n der Voraussetzungen und Grenzen der Rechtsfiguren durch Auslegung oder durch das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vermeiden. D i e verfassungsrechtliche Vertrauensschutzvorgabe, Verweisungen dann die A n erkennung zu versagen, wenn diese »für die Parteien des Rechtsgeschäfts zum
324 Lindacher, in: Wolf/Horn/Lindacher, §3 AGBG Rn.3; Löwe/v. Westphalen/Trinkner, §3 AGBG Rn.2; Soergel/U. Stein, §3 AGBG Rn. 1; unklar Staudinger/Schlosser, §3 AGBG Rn.4 (»sicherlich eine Teilpositivierung allgemeiner Grundsätze«; »häufig auch außerhalb des Anwendungsbereiches von §3«; »Sondervorschrift«), 325 BAG AP Nr. 78 zu §242 BGB Ruhegehalt; zustimmend Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 94; wohl auch Schaefer, Bezugnahme, S. 127 für die Vertragsgegenstandskontrolle, aber mit Einschränkungen auf der Inhaltsebene, S. 128. 326 Vgl. Schaefer, Bezugnahme, S. 143; LAG Düsseldorf DB 1962, 1647.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
295
Zeitpunkt seines Abschlusses keineswegs mehr vorhersehbar« waren, 327 findet so ihr einfachrechtliches Pendant. Eine besondere Uberraschungskontrolle sui generis, vergleichbar der des §3 A G B G , ist dem Arbeitsrecht nicht nur fremd, sondern auch weder aus verfassungsrechtlichen noch aus praktischen Erwägungen erforderlich. Die hergebrachten Grundsätze der Rechtsgeschäftslehre gewährleisten regelmäßig eine angemessene Sachbehandlung. dd) Resümee Damit ist festzuhalten: Das Arbeitsrecht kennt wegen §23 Abs. 1 A G B G keine dem A G B G entsprechende spezifische Einbeziehungskontrolle. Die Zweifelsfragen lassen sich weitgehend mittels der allgemeinen Prinzipien der Rechtsgeschäftslehre beantworten. Aus Sicht der weiten Vertragsfreiheitslehre ist auch das zutreffend mit dem Begriff Vertragskontrolle erfaßt, während die enge Vertragsfreiheitslehre die Wirksamkeitsvoraussetzungen aus der Kontrolldefinition herausnimmt und lediglich außerhalb liegende Umstände als Freiheitsgrenzen einschätzt. Danach zählt zu den Kontrollaspekten beispielsweise die Vertragsgegenstandsprüfung von aufgrund dynamischer Verweisungsklauseln in den Vertrag einbezogenen Abreden. Sollen terminologisch sämtliche Erscheinungsformen erfaßt werden, kann von einer Einbeziehungskontrolle im weiteren Sinn gesprochen werden. Die Einbeziehungskontrolle setzt sich mit der Frage auseinander, ob eine Klausel Gegenstand des Vertrages geworden ist. Kommt die Vertragsgegenstandskontrolle zu einem negativen Ergebnis, d.h. ist die Abrede in den Vertrag einbezogen, steht damit noch nicht fest, daß die Klausel auch positiv anzuwenden ist. O f f e n bleibt nämlich, ob die Vereinbarung aus inhaltlichen Gründen die Anerkennung der Rechtsordnung findet. Den Maßstab für die inhaltliche Bestandskraft geben die Instrumentarien der Inhaltskontrolle vor. Dazu zählen die Sittenwidrigkeits-, die Angemessenheitskontrolle, die Ausübungs- oder Verhaltenskontrolle und die Billigkeits- oder Bestimmungskontrolle. Hinzu treten für bestimmte Rechtsmaterien Einzel- oder Sonderkontrollmaßstäbe. Die Wendung Inhaltskontrolle umfaßt als Oberbegriff sämtliche inhaltsbezogenen Vertragskontrollmechanismen. Stellenweise wird die Bezeichnung mit dem Teilaspekt der Angemessenheitskontrolle gleichgesetzt. Diese Verwendungsweise ist zu vermeiden, weil sie zu Mißverständnissen Anlaß geben kann. Inhaltskontrolle meint alle inhaltsbezogenen Prüfungsmöglichkeiten. Im folgenden werden die einzelnen Kontrollvarianten kurz vorgestellt. Daran schließt sich eine nähere Analyse im Hinblick auf die Anwendung und die Grenzen des im 5. Kapitel (S.205ff.) entwickelten flexiblen Konkretisierungssystems an.
327
BVerfG BB 1987, 126, 128.
2. Teil: Leitlinien einer
296
Freiheitsbegrenzung
IV. Inhaltskontrolle 1. S i t t e n w i d r i g k e i t s k o n t r o l l e
a)
Anwendungsbereich
'Die Wirksamkeitskontrolle von Verträgen gemäß § 138 B G B setzt am Inhalt der Vereinbarung an. D e r Anwendungsbereich der N o r m ist damit im Grundsatz auf eine inhaltliche Prüfung beschränkt. 3 2 8 D a r ü b e r hinaus existiert für die Sittenwidrigkeitskontrolle keine Einschränkung ihrer Wirkungssphäre; sie umfaßt die gesamte Privatrechtsordnung. D i e Vorschrift begrenzt die Privatautonomie durch eine nicht positivierte O r d n u n g und versinnbildlicht so auch die Außengrenze der Gestaltungsfreiheit. D a m i t realisiert § 138 B G B seinen Hauptzweck, solchen Rechtsgeschäften die Wirksamkeit zu versagen, die für eine Rechtsgemeinschaft nicht tolerabel sind, weil sie von ihren ethischen Grundlagen abweichen. 3 2 9 D i e Generalklausel stellt ein allgemeines Korrektiv für die autonome Rechtsgestaltung der Privatrechtssubjekte dar und begegnet so Mißbräuchen der Vertragsfreiheit. 330 D a b e i verfolgt § 1 3 8 B G B keine positive Standardisierungsabsicht der Vertragsgestaltungen, vor allem zielt die Vorschrift nicht darauf, Verträge als bloßes Abbild einer objektiven Wertordnung zu gestalten und in ein Korsett allgemeiner Gerechtigkeitsvorstellungen zu zwängen.
b)
Maßstab331
D i e Zielsetzung, Freiheit nicht positiv zu reglementieren, ihr vielmehr nur eine Außengrenze zuzuordnen, findet ihren Niederschlag in einem blankettartig gefaßten Maßstab, der einen bloßen Minimalschutz gewährleistet. 332 D i e F u n k t i o n als äußerste Toleranzgrenze der Vertragsfreiheit hat zur Folge, daß das zentrale 328 Neben der Inhaltssittenwidrigkeit existiert als weiterer Unterfall der Sittenwidrigkeitskontrolle die Umstandssittenwidrigkeit. Mit dieser Begrifflichkeit wird ausgedrückt, daß Sittenwidrigkeit nicht allein aus dem objektiven Inhalt, sondern unter Umständen auch aus den Begleitumständen (Zweck, Beweggründe) resultieren kann. An der inhaltlichen Bezogenheit des §138 BGB ändert das nichts, vgl. Soergel/Hefermehl, §138 Rn.27, 29; Staudinger/Sack, §138 Rn.3f.; BGH WM 1995, 1331, 1332. So ist das Verhalten der Vertragspartner für sich bei §138 BGB ohne Belang, erhält Relevanz nur bei der Bewertung eines darauf beruhenden Rechtsgeschäfts; vgl. KGKK/Krüger-Nieland/Zöller, §138 Rn.29; Lindacher, AcP 173 (1973), 124, 135; BGH NJW 1984, 2150, 2151; BGHZ 53, 369, 375. 329 Motive I, S. 211 f.; im einzelnen zu Sinn und Zweck des § 138 BGB (aus historischer Sicht) Schmidt, Lehre, S. 141 ff. sowie Staudinger/Dilcher (12. Aufl.), § 138 Rn. 1 ff. 330 Vgl. BGHZ 80, 153, 158; 68, 1, 4. 331 Einzelheiten zur Anwendung des flexiblen Systems bei der Sittenwidrigkeitsprüfung im 8. Kapitel (S.368ff.). 332 Canaris, AcP 184 (1984), 201, 236 (»auf Extremfälle beschränkten Minimalschutz«); Lieb, AcP 178 (1978), 196, 207 (»die letzte Schranke der Vertragsfreiheit«); Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, § 138 Rn. 11 (»Minimum an gemeinsamer Wertung«); Staudinger/Dilcher (12. Aufl.), § 138 Rn. 5 (»ethisches Minimum«); BGH ZIP 1994,121 (»schwerwiegende Verstöße«); BAG JZ 1975,737,738 (»besonders krasse Fälle«); a. A. Staudinger/Sack (13. Bearb.), § 138 Rn. 25ff. (»umfassende Regelung aller rechtlich zu mißbilligenden Handlungen und Rechtsgeschäfte«).
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
297
Kriterium der Sittenwidrigkeit einen weiten Gestaltungsspielraum beläßt. § 1 3 8 B G B will die auch in einer pluralistischen Gesellschaft existierenden gemeinsamen Wertvorstellungen rechtlich umsetzbar ausgestalten. Die Vorschrift bezieht sich auf Rechtsgeschäfte, die evident gegen das »Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden« - so die übliche Formel 3 3 3 - verstoßen. Nicht jede aus Sicht eines unbeteiligten rechtsverbundenen Dritten bedenklich erscheinende Ausgestaltung eines Vertrages, sei es in F o r m eines einseitig riskanten Geschäfts oder eines ungleichen Wertverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung, sei es aufgrund einer Ausnutzung von wirtschaftlicher oder intellektueller Ubermacht, läßt auf Sittenwidrigkeit schließen. Das zeigt unter anderem § 138 Abs. 2 BGB. Nicht jede inäquivalente Vertragsgestaltung ist nichtig. Der Wuchertatbestand verlangt neben einem auffälligen Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung zusätzliche qualifizierende subjektive Tatbestandselemente, nämlich die Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche des Vertragspartners. § 138 Abs. 2 B G B als Unterfall der allgemeinen Sittenwidrigkeitskontrolle des ersten Absatzes entfaltet keine Sperrwirkung.334 § 138 Abs. 2 B G B enthält keine abschließende Regelung, läßt aber gleichwohl Rückschlüsse auf den allgemein bei § 138 Abs. 1 B G B in den betroffenen Fallgruppen anzulegenden Maßstab zu. Auch § 138 Abs. 1 B G B ermöglicht es zwar, den Schwächeren gegen wirtschaftliche und intellektuelle Ubermacht zu schützen, allerdings sind neben dem Mißverhältnis - wie § 138 Abs.2 B G B und für die Fallgruppe der Inäquivalenz von Leistung und Gegenleistung die rechtliche Anerkennung von Schenkung und »Freundschaftskauf« zeigen - weitere Umstände erforderlich. 335 Ein bloßes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ohne zusätzliche besondere Umstände vermag Sittenwidrigkeit ebensowenig zu begründen wie die alleinige Existenz eines wirtschaftlichen oder intellektuellen Gefälles zwischen den Vertragspartnern. Das gemeinrechtliche Verbot der laesio enormis ist in das B G B bewußt nicht übernommen worden und kann deshalb durch § 138 Abs. 1 B G B nicht mittelbar eingeführt werden. 336 Der Vorschlag von Hörtn,337 § 138 B G B im Wege einer Gesamtbetrachtung als Grundlage für eine Kontrolle des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung heranzuziehen, hat deshalb zu Recht keine Zustimmung gefunden. 338 § 138 B G B beschreibt die äußerste Toleranzgrenze der Vertragsfreiheit und kann deshalb nicht zur Äquivalenzprüfung im engeren Sinn benutzt werden.
333 Die Wendung geht zurück auf eine Formulierung in den Motiven zu § 826 BGB (Motive II, S. 727: »...ein Mißbrauch ist es aber, wenn seine Handlungsweiseden in den guten Sitten sich ausprägenden Auffassungen und dem Anstandsgefühle aller billig und gerecht Denkenden widerspricht.«) und wird seit RGZ 48,114,124; 80,219,221, der Rechtsprechung zugrundegelegt. Die Formel ist häufiger Kritik begegnet, vgl. nur Haberstumpf, Formel, S. 74f. 334 Erman/Brox, §138 Rn.9; Palandt/Heinrichs, §138 Rn.24, 65; Staudinger/Sack, §138 Rn.227; RGRJt/Krüger-Nieland/Zöller, § 138 Rn.45; BGH NJW 1995,1019,1152; BGHZ 125, 135, 137; 110, 336, 337f.; 99, 333, 335. 335 Vgl. die bei Staudinger/Sack, § 138 Rn. 231 ff., dargestellte umfangreiche Kasuistik. 336 Motive II, S.321f.; vgl. auch 2. Kapitel (S.43ff.). Eine Gesetzesinitiative des Bundesrates vom 18.8.1983 (BT-Drucks. 10/307, S.3), § 138 BGB dergestalt zu fassen, daß bei Kreditgeschäften die Nichtigkeitssanktion unmittelbar an ein auffälliges Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung gekoppelt wird, ist nicht Gesetz geworden. 337 Hönn, JZ 1983, 677, 682. 338 Fastrieb, Inhaltskontrolle, S. 19; Preis, Grundfragen, S. 176.
298
2. Teil: Leitlinien
einer
Freiheitsbegrenzung
Die Sittenwidrigkeitskontrolle erfaßt wegen ihrer Evidenzrolle nur grobe Verstöße gegen die »Gesamtheit der Wertvorstellungen, die das Volk in einem bestimmten Zeitpunkt seiner geistig-kulturellen Entwicklung erreicht und in seiner Verfassung fixiert hat.« 339 Der hohe Stellenwert von Selbstverantwortung und Freiheit korrespondiert mit einer weiten Gestaltungsanerkennung der Rechtsordnung. Die Sittenwidrigkeitskontrolle bleibt auf Evidenzfälle beschränkt. 340 c)
Rechtsfolge
Sittenwidrigkeit führt nicht zu einer Vertragskorrektur. Der Inhalt der Abrede wird in der Regel nicht in einem sittenkonformen Ausmaß aufrechterhalten, eine Konversion nach § 1 4 0 B G B wird ebenfalls nicht zugelassen. Der sittenwidrige Vertrag ist prinzipiell mit Wirkung ex tunc 341 vollständig nichtig. 342 Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 138 B G B , insbesondere der Formulierung des zweiten Absatzes. 343 Dem Zweck des § 138 B G B läuft es zuwider, »dem gegen die guten Sitten Handelnden einen Teilerfolg zu belassen« 344 . Bejahte man die Möglichkeit einer teilweisen Aufrechterhaltung des sittenwidrigen Geschäfts, so verlöre dieses für den verwerflich Handelnden das Risiko, mit dem es durch die vom Gesetz angedrohte Nichtigkeitsfolge verbunden ist. 345 Zudem ist es - zumindest im Grundsatz, von gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen abgesehen - mit der Idee der Vertragsfreiheit unvereinbar, die von den Parteien erstrebte Abrede durch ein richterlich gestaltetes Rechtsgeschäft zu ersetzen und so von staatlicher Seite die Gestaltungsfreiheit der Parteien zu unterlaufen. 346 Den Vertragspartnern, die die Realisierung eines einheitlichen umfassenden Rechtserfolges anstreben, kann eiB V e r f G E 7, 198, 206. Die Eingriffsschwelle des § 138 Abs. 1 B G B hoch anzusetzen, bedeutet hingegen nicht, eine Parallele zum Strafbarkeitsvorwurf zu ziehen. Es handelt sich hier gerade nicht um einen persönlichen Vorwurf, sondern um die Frage der Begrenzung der Vertragsfreiheit. Zu den Folgen dieser Differenzierung im 8. Kapitel (S.368ff.). 3 4 1 Bei vollzogenem Arbeits- oder Gesellschaftsvertrag kann die ex tunc-Wirkung unter U m ständen zu Unzuträglichkeiten bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung führen, weil die §§812ff. B G B in erster Linie für den einmaligen Austausch vermögensrechtlicher Leistungen konzipiert sind und den Besonderheiten dieser Dauerschuldverhältnisse nicht hinreichend Rechnung tragen. Die bei vollzogenen Dauerschuldverhältnissen bestehenden besonderen U m stände führen bei Arbeits- und Gesellschaftsverhältnissen zu einer ex nunc-Wirkung; dazu Hönn, ZfA 1987, 61 ff. 342 Zimmermann, Moderationsrecht, S. 80ff.; Erman/Brox, § 1 3 8 R n . 4 5 ; Flume, Rechtsgeschäft, § 18,9, § 3 2 , 2 d ; Staudinger/Sack, § 138 Rn. 34; Mayer-Maly, in: M ü n c h K o m m B G B , § 138 Rn. 133; Soergel/Hefermehl, §138 R n . 4 6 ; R G R K / K r ü g e r - N i e l a n d / Z ö l l e r , §138 R n . 3 4 ; B G H N J W 1989, 26; B G H Z 63, 365, 367; abweichend insbesondere Hager, Auslegung, S. 147ff., der den Grundsatz der Gesamtnichtigkeit in Frage stellt und dafür eintritt, daß ein partieller Verstoß regelmäßig lediglich Teilnichtigkeit nach sich zieht. 3 4 3 Vgl. B G H Z 4 4 , 1 5 8 , 1 6 2 . D e r Unterschied auf der Rechtsfolgenseite im Vergleich zu § 134 B G B liegt darin, daß bei § 138 B G B ein dem Halbsatz 2 des § 134 B G B entsprechender Zusatz fehlt. 3 4 4 O L G Celle N J W 1959, 1971, 1972. 3 4 5 B A G E 10, 316, 323; B G H Z 68, 204, 207f.; N J W 1979, 1605, 1606. 346 Flume, Rechtsgeschäft, § 18, 9; Mayer-Maly, in: M ü n c h K o m m B G B , § 138 Rn. 133. 339 340
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
299
ne nur teilweise Verwirklichung dieses Erfolges nicht gegen ihren Willen aufgedrängt werden. Letztgenannte auf den Gedanken der Wahrung der Privatautonomie fußende Überlegungen decken sich mit dem Rechtsgedanken des § 139 BGB: Ist ein Teil eines einheitlichen Rechtsgeschäftes nichtig, so folgt daraus auch die Nichtigkeit des vom Nichtigkeitsanlaß im Grunde nicht betroffenen Rechtsgeschäftsteiles. 347 Von dem Grundsatz der Totalnichtigkeit ist dann abzurücken, wenn abweichende gesetzliche Regelungen 348 oder entsprechende Parteiwillen 349 existieren. Die Teilagnition erfordert zunächst die Entscheidung, ob es sich um ein einheitliches Rechtsgeschäft handelt. 350 Ist das nicht der Fall, stehen also mehrere Rechtsgeschäfte selbständig nebeneinander, erfaßt die Sittenwidrigkeit des einen nicht (ohne weiteres) das andere Rechtsgeschäft; einer Entscheidung zwischen Gesamtund Teilnichtigkeit bedarf es bei dieser Konstellation nicht. Ergibt die Analyse ein einheitliches Rechtsgeschäft, ist zu fragen, ob vom Grundsatz der Gesamtnichtigkeit ausnahmsweise zugunsten einer Restgültigkeit abzuweichen ist. Die Kompetenz zur Aufrechterhaltung leitet sich aus dem der Privatrechtsordnung immanenten Grundsatz der Privatautonomie ab. Entspricht die Restwirksamkeit dem erklärten oder hypothetischen Willen, kann dieser entsprechend der Willenskongruenz aufrechterhalten werden, 351 sofern sich der Sittenverstoß nicht auf diesen Teil erstreckt und die Rumpfvereinbarung eine sinnvolle, selbständiger Geltung fähige Regelung enthält. 352 Das häufig als eigenständiges Erfordernis qualifizierte
347 Zur Diskussion über die Berechtigung des mit § 139 BGB ausgedrückten Regel-Ausnahme-Grundsatzes und der Tendenz der Rechtsprechung, »die Vorschrift des § 139 BGB geradezu auf den Kopf« zu stellen (so Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, § 139 Rn. 2), siehe vor allem Zimmermann, Moderationsrecht, S. 199ff.; Krampe, AcP 194 (1994), 1,41; Bürge, Rechtsdogmatik, S. 124 (für die Beibehaltung der mit § 139 BGB zum Ausdruck gebrachten Ablehnung des gemeinrechtlichen Prinzips »utile per inutile non vitiatur«); Hager, Auslegung, S. 145ff.; Roth, JZ 1989, 411 ff. (für eine regelmäßige geltungserhaltende Reduktion, also bloße Teilnichtigkeit). 348 Uberblick zu derartigen gesetzlichen Bestimmungen bei Staudinger/Roth, §139 Rn. 5ff.; Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, § 139 Rn. 7ff. 349 Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, § 138 Rn. 135; Soergel/Hefermehl, § 138 Rn.46; Palandt/Heinrichs, §138 Rn. 19; B G H N J W 1979, 1605, 1606; NJW 1972, 1459; B G H Z 52, 24. 350 Für diese Entscheidung sind dem Primat der individuellen Willensfreiheit folgend die Parteiwillen ausschlaggebend (BGH NJW 1990,1474; 1987,2004,2007; 1976,1931,1932), wobei im Zuge der Auslegung der objektive Sinnzusammenhang der Abreden zu berücksichtigen ist (so vor allem Flume, Rechtsgeschäft, §32, 2a; Larenz, Allgemeiner Teil, §23 IIa; Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, § 139 Rn. 12). Als Indiz für die Einheitlichkeit können wirtschaftliche oder rechtliche Verknüpfungen ebenso dienen wie die tatsächliche Zusammenfassung mehrerer Abreden in einer Urkunde. 351 Vgl. Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, §138 Rn.l33ff.; Palandt/Heinrichs, §138 Rn. 19; Soergel/Hefermehl, § 138 Rn. 46; zu den in diesem Zusammenhang geführten Diskussionen über den hypothetischen Willen Soergel/Hefermehl, § 139 Rn. 34ff.; zur älteren Rechtsprechung, die allein den tatsächlichen Parteiwillen für maßgeblich hielt, Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, § 139 Rn. 24, m. Nachw. 352 Zur Zerlegbarkeit von Rechtsgeschäften hat die Rechtsprechung eine umfangreiche Kasuistik erarbeitet, siehe nur den Überblick bei Palandt/Heinrichs, § 138 Rn. 19 sowie die Ausführungen von Pierer v. Esch, Rechtsgeschäfte, S. 53 ff.
300
2. Teil: Leitlinien
einer
Freiheitsbegrenzung
Kriterium der Zerlegbarkeit beruht auf dem Parteiwillen. Dieser wird in der Regel nur dann auf die Aufrechterhaltung des Restvertrages gerichtet sein, wenn nach der Sittenwidrigkeitskontrolle eine vernünftige, abwicklungsfähige Regelung verbleibt. Das Abstellen auf den hypothetischen Parteiwillen bedeutet nicht eine rein objektivierte Sicht; das würde dem Grundsatz privatautonomer Gestaltung konträr laufen. Angezeigt ist eine Abwägung und Würdigung der im Einzelfall betroffenen Interessen der Vertragspartner, um so eine parteiwillensadäquate Lösung zu finden. Zu fragen ist, welche Entscheidung die Parteien nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung des Vertragszweckes, des Vereinbarungsinhaltes und der Verkehrssitte vernünftigerweise getroffen hätten. 353 Diese objektivierte Bestimmung des Parteiwillens ist vor dem Hintergrund der Vertragsfreiheit insofern tolerabel, als davon ausgegangen werden kann, daß auch die Parteien ihre Interessen vernünftig abgewogen hätten. 354 Findet sich keine derartige Sonderkonstellation, bleibt es beim Grundsatz der Gesamtnichtigkeit des einheitlichen Rechtsgeschäftes aufgrund einer Sittenwidrigkeitskontrolle mit positivem Ergebnis.
d) Verhältnis zur
Angemessenheitskontrolle
Dadurch unterscheidet sich die Sittenwidrigkeitskontrolle von der Angemessenheitsprüfung. Hier gilt der umgekehrte Regel-Ausnahme-Grundsatz: Regelmäßig wird ein unangemessener Vertrag aufrechterhalten, nur eine unzumutbare Härte für eine Vertragspartei kann zur Unwirksamkeit des Gesamtvertrages führen. Beide Kontrollmechanismen stehen nebeneinander. Es handelt sich um unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe. 355 Kommen beide Kontrollvarianten bezüglich einer standardisierten Klausel zu einem positiven Ergebnis, ist der Vertrag im Grundsatz aufrechtzuerhalten; hier verdrängt die speziellere Regelung der Angemessenheitskontrolle den Grundsatz der Gesamtnichtigkeit nach der allgemeinen Vorschrift des § 138 B G B . Einzelne sittenwidrige allgemeine Geschäftsbedingungen führen nicht zur Gesamtnichtigkeit. Es bleibt bei den Rechtsfolgen nach § 6 A G B G . Beziehen sich Sittenwidrigkeit und Unangemessenheit allerdings nicht auf deckungsgleiche Gesichtspunkte, ergibt sich die Sittenwidrigkeit also (auch) aus Umständen außerhalb des Bereichs der Angemessenheitskontrolle, führt dies zur Anwendung des § 138 B G B mit der Rechtsfolge der Gesamtnichtigkeit. 356 Ansonsten bleibt festzuhalten, daß die Angemessenheitskontrolle ei353 Im einzelnen gehen die Ansichten über den Grad einer zulässigen Objektivierung auseinander; überwiegend subjektiv-individuell verhaftet z.B. Sandrock, Vertragsauslegung, S. 93ff., die objektive Sinnhaftigkeit betonend Larenz, Allgemeiner Teil, §23 IIa, vermittelnd Soergel! Hefermebl, § 139 Rn. 34. Die Rechtsprechung hat aus Gründen der Rechtsklarheit für zahlreiche Konstellationen eine Typisierung des hypothetischen Parteiwillens vorgenommen. Deren Leitlinien sind jedoch, dem Gebot der Privatautonomie folgend, gegebenenfalls aufgrund konkreter Besonderheiten des Einzelfalles abzuwandeln. 354 v. Tubr, Allgemeiner Teil II, §56 Ib. 355 Siehe die instruktive Gegenüberstellung bei Wolf, in: Wolf/Horn!Lindacher, §9 A G B G Rn. 12 ff. 356 Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, § 9 A G B G Rn.32; v. Hoyningen-Huene, Inhalts-
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
301
nen wesentlich feineren Maßstab zur Vertragskontrolle bereithält, während die Sittenwidrigkeit auf grobe Interessenbeeinträchtigungen von erheblicher Stärke beschränkt ist. 3 5 7 Während § 138 B G B vor allem den Schutz der Rechtsordnung im Blick hat, zielt die Angemessenheitskontrolle in erster Linie auf die Wahrung der individuellen Vertragsgerechtigkeit. 2. A n g e m e s s e n h e i t s k o n t r o l l e o d e r I n h a l t s k o n t r o l l e im engeren Sinn
a) Terminologie D e r Begriff Inhaltskontrolle wird in mehreren Varianten verwendet, so daß Ulmer v o m »unscharfen Schlagwort« 3 5 8 gesprochen hat. Inhaltskontrolle kann zum einen im umfassenden Sinn verstanden werden. D i e Wendung wird hier für inhaltsbezogene Vertragskontrolle im allgemeinen gebraucht. Bei diesem Verständnis umfaßt der Terminus als Oberbegriff jegliche sachliche G r e n z e der Vertragsfreiheit. 3 5 9 Zum anderen wird der Bezeichnung eine engere Bedeutung zugeordnet. Dies geschieht in Anlehnung an das A G B - G e s e t z , in dem der Begriff der I n haltskontrolle als amtliche Überschrift von § 8 A G B G Eingang in das Gesetz gefunden hat.
b) Angemessenheitskontrolle aa)
nach dem
AGB-Gesetz
Anwendungsbereich
§ 8 A G B G setzt der Inhaltskontrolle im engeren Sinn Schranken, indem er anordnet, daß die § § 9 - 1 1 A G B G nur für Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen gelten, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. D e r Inhaltskontrolle im engeren Sinn unterliegen allgemeine Geschäftsbedingungen nur, soweit ihr Regelungsgehalt auch Gegenstand von Rechtsvorschriften ist. D a m i t bringt das A G B G zum Ausdruck, daß Bestimmungen der Inhaltskontrolle nicht zugänglich sind, die wie Leistungsbeschreibungen oder Preisvereinbarungen auf rein tatsächliche oder wirtschaftliche Grundlagen zurückgehen. 3 6 0 kontrolle, Rn. 105; Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, §9 AGBG Rn.22f.; Erman/Hefermehl, Vor §§ 8,9 AGBG Rn. 5; Palandt/Heinrichs, Vorbem. v. § 8 AGBG Rn. 17. So kann beispielsweise bei Teilzahlungskreditverträgen, bei denen sich die Unwirksamkeit nach §§ 9ff. AGBG auf einzelne unangemessene Klauseln beschränkt, das Zusammentreffen mit weiteren Umständen, wie einer übermäßigen finanziellen Gesamtbelastung oder einer die tatsächliche Belastung verschleiernden Vertragsgestaltung, zur Sittenwidrigkeit des gesamten Vertrages und damit zur Totalnichtigkeit führen, vgl. BGH NJW 1990,1597; BGHZ 104, 102ff.; 98, 174, 177; 80, 153, 160ff. 357 BGH ZIP 1996, 961. 358 Ulmer, Entwicklungen, S. 26; die »Unschärfe« des Begriffs beklagen ebenfalls Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 5; Hildebrandt, Disparität, S. 4; Preis, Grundfragen, S. 147; Westhoff, Inhaltskontrolle, S. 9ff. 359 Vgl. v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 128f.; Klebau, Inhaltskontrolle, S.31. 360 BT-Drucks. 7/3919, S. 22; näher zu den Ursachen der Kontrollfreiheit preis- und leistungsbestimmender Klauseln Dylla-Krebs, Schranken, S. 118ff.
302 bb)
2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
Maßstab36'
Die Kontrollmaßstäbe, anhand derer eine Inhaltskontrolle vorzunehmen ist, lassen sich ebenfalls aus dem AGB-Gesetz ermitteln: §9 A G B G als Grundnorm der Inhaltskontrolle im engeren Sinn und allgemeine Auffangvorschrift im Anwendungsbereich des AGBG verlangt in Absatz 1 eine mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarende unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners durch den Verwender von allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die N o r m trägt damit dem Umstand Rechnung, daß einseitig vorformulierte Vertragsbedingungen häufig auf die Interessen des Verwenders zugeschnitten sind und inhaltlich der nach Treu und Glauben gebotenen Rücksichtnahme auf die Interessen des Vertragspartners entbehren. Der Vertragspartner schließt den Vertrag zwar aus freien Stücken ab, kann aber auf den Inhalt kaum Einfluß nehmen, da selbst die (potentielle) Inanspruchnahme negativer Abschlußfreiheit den Verwender (regelmäßig) nicht zu einer Modifikation der Konditionen zu bewegen vermag. Demnach findet ein Interessenausgleich im Wege des zweiseitigen Aushandelns häufig nicht statt. Um eine etwaige unangemessene Benachteiligung zu verhindern, werden deshalb die berechtigten Interessen des Vertragspartners gegebenenfalls mittels einer Vertragskontrolle zur Geltung gebracht. 362 Inhaltskontrolle im engeren Sinn soll dem »positiven Gebot eines angemessenen Ausgleichs der beiderseitigen Interessen« 363 Rechnung tragen. Daraus lassen sich die Kennzeichen dieser Kontrollvariante schließen: Treu und Glauben sowie Angemessenheit. Die Berücksichtigung der Angemessenheit ist der Grund dafür, daß man die im AGB-Gesetz mit Inhaltskontrolle benannte Vertragsprüfung als Angemessenheitskontrolle bezeichnet. Diese Terminologie bringt treffend die Zielrichtung dieses Kontrollmechanismusses zum Ausdruck und vermeidet Mißverständnisse, die dadurch auftreten können, daß die Wendung Inhaltskontrolle ebenfalls als Oberbegriff für die inhaltsbezogene Vertragskontrolle verwendet wird. Im folgenden wird deshalb für diese spezifische Form der Vertragskontrolle die Terminologie Angemessenheitskontrolle verwendet. Wird von Inhaltskontrolle gesprochen, sind sämtliche inhaltsbezogenen Kontrollvarianten gemeint. Die Angemessenheitskontrolle geschieht durch Anwendung materiellen Rechts, also dadurch, daß Vertragsklauseln unter die vorgegebenen Normmaßstäbe subsumiert werden. cc) Rechtsfolgen Eine gegen die Kontrollkriterien verstoßende Abrede führt entgegen § 139 BGB nicht zur Nichtigkeit des gesamten Vertrages; kraft Gesetzes unwirksam ist die 361
Zur Konkretisierung der »Treu und Glauben«-Wendung im 9. Kapitel (S. 392ff.), näher zur Formulierung »unangemessen benachteiligen« im 10. Kapitel (S. 430 ff.). 362 Zum Schutzzweck des AGBG, insbesondere nach Einfügung des §24a A G B G durch die AGB-Novelle vom 19.7. 1996 (BGBl. I, S. 1036; Umsetzung der EG-Richtlinie 93/13/EWG über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 5.4. 1993, ABl. Nr. L 95 v. 21.4. 1993, S.29ff.), siehe Ulmer, in: Ulmerl Brandneri Hensen, AGB-Gesetz, Einl. Rn.28ff. 363 BT-Drucks. 7/3919, S.22; BT-Drucks. 7/5422, S.6.
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
303
betroffene Klausel (§9 Abs. 1 A G B G ) . Angemessenheitskontrolle bedeutet deshalb Wirksamkeitskontrolle, keine Zweckmäßigkeitskontrolle oder Vertragshilfe. 364 Wie sich aus § 6 A G B G ergibt, ist trotz Unwirksamkeit einzelner Vertragsbestimmungen der Vertrag aufrechtzuerhalten (§6 Abs. 1 A G B G ) und eine etwaige Vertragslücke anhand der gesetzlichen Vorschriften zu schließen (§6 Abs. 2 A G B G ) . Einer richterlichen Entscheidung mit Gestaltungswirkung bedarf es nicht: Der Inhalt des Vertrages richtet sich insofern kraft Gesetzes nach den gesetzlichen Vorschriften. Inhaltskontrolle ist mithin nicht mit einer besonderen richterlichen Kompetenz verknüpft. Es handelt sich um eine materiell begründete Einschränkung der formalen Vertragsfreiheit. 365 c) Angemessenheitskontrolle
nach §242
BGB
Die Herleitung aus dem AGB-Gesetz bedeutet nicht, daß Angemessenheitskontrolle auf den Anwendungsbereich des A G B G beschränkt ist. Schon vor dem Erlaß des A G B G berücksichtigte der B G H bei seiner Rechtsprechung die prinzipielle Machtbalance als inhärenten Gerechtigkeitsmaßstab des Gestaltungsfreiraums und entwickelte zum Schutz des Vertragspartners eine vor allem auf § 242 B G B gestützte Angemessenheitskontrolle. Damit trug der B G H dem Umstand Rechnung, daß der Verwender von vorformulierten Vertragsbedingungen die Inhaltsfreiheit weitgehend für sich alleine in Anspruch nahm. 366 Die Rechtsprechung versagte allgemeinen Geschäftsbedingungen die Anerkennung, wenn durch sie die Rechtspositionen der Parteien grob einseitig geregelt oder den Kunden ein unzumutbares Risiko auferlegt oder sie unbillig belastet wurden. 367 Durch das AGB-Gesetz wurden diese von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zwar kodifiziert, 368 allerdings nicht abschließend. Die teilweise skeptische Auffassung in der Literatur 369 ist abzulehnen. 370 Eine am Maßstab des §242 B G B orientierte inhaltliche Uberprüfung von Vertragsbedingungen ist möglich.
364 Fastrich, Inhaltskontrolle, SAl;Hönn,JA 1987, 337, 340; ders., J Z 1983, 677, 681; Kleba», Inhaltskontrolle, S.33; Preis, Grundfragen, S. 148; B G H Z 83, 56, 58; 62, 251, 255; 60, 353, 356. 365 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 13 f.; Niebling, Schranken, S.4ff.; Preis, Grundfragen, S. 148. 3 6 6 B G H Z 65, 364, 365; 64, 238,241; 60, 243, 245; 51, 55, 59; 41,151ff.; 22, 90, 97ff.; pointiert Erman/Hefermehl, vor § 1 A G B G Rn. 2 (»Diktat der marktstärkeren Partei«). 3 6 7 Die in zahlreichen Entscheidungen entwickelten Grundsätze der Angemessenheitskontrolle von Verträgen sind zusammengefaßt in der BGH-Entscheidung vom 27.11. 1974, N J W 1975,163,164: Danach »...muß derjenige, der durch die Aufstellung und Verwendung von A G B mit umfangreichen Formularverträgen die Vertragsfreiheit allein für sich in Anspruch nimmt, von vorneherein die Interessen seiner künftigen Geschäftspartner angemessen berücksichtigen. Maßstab für die Angemessenheit der einzelnen Klauseln sind dabei - soweit vorhanden - die Vorschriften des dispositiven Rechts. Entsprechen sie nicht nur Zweckmäßigkeitserwägungen, sondern einem sich aus der Natur der Sache ergebenden Gerechtigkeitsgebot, so müssen gewichtige Gründe vorliegen, die eine abweichende Regelung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen als noch mit Recht und Billigkeit vereinbar erscheinen lassen.« 368 369 370
Vgl. Braun, B B 1979, 689ff. Vgl. Roth, B B 1987, 977ff. Näher im 9. (S.392ff.) und im 10. Kapitel (S.426ff.).
304
2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
In der Begründung des Regierungsentwurfes und im Bericht des Rechtsausschusses wird deutlich darauf hingewiesen, daß §23 Abs. 1 A G B G einer solchen Angemessenheitskontrolle gemäß §242 BGB nicht entgegensteht. 371 Zu Recht nimmt deshalb die Rechtsprechung beispielsweise eine Kontrolle gesellschaftsrechtlicher Gestaltungen von Publikumsgesellschaften anhand des Angemessenheitsmaßstabes vor.372 Das AGB-Gesetz verkörpert nur eine »Teilkodifikation des Rechtsinstituts der Inhaltskontrolle privatrechtlicher Verträge« und umfaßt lediglich einen Teilaspekt der »Angemessenheitskontrolle«, die in zahlreichen privatrechtlichen Bereichen eine Rolle spielen kann. 373 Nach dem Maßstab von Treu und Glauben (§ 242 BGB, § 9 A G B G ) unangemessen benachteiligende Vertragsbestimmungen sind allgemein unwirksam. Mit dem Begriff der Angemessenheitskontrolle wird ein allgemeines zivilrechtliches Rechtsinstitut bezeichnet, dessen Reichweite über das A G B G hinausgeht. 3. A u s ü b u n g s - oder Verhaltenskontrolle a)
Anwendungsbereich
Die Ausübungs- oder Verhaltenskontrolle ist der Inhaltskontrolle im weiteren Sinn zuzuordnen. Sie ist auf §242 BGB zurückzuführen und kommt in sämtlichen zivilrechtlichen Bereichen zur Anwendung. Im Gegensatz zur Angemessenheitskontrolle ist diese Fallgruppe des Treu und Glauben-Grundsatzes nicht dadurch gekennzeichnet, die wirksame inhaltliche Vertragsgestaltung zu prüfen. Zweck der Ausübungskontrolle ist die Eingrenzung der durch ein wirksames Recht begründeten sachlichen Ausübungskompetenz im konkreten Fall. 374 Angemessenheits- und Ausübungskontrolle stehen also in einem zweistufigen Verhältnis zueinander: Zunächst ist zu fragen, ob die vertragliche Klausel abstrakt, aus generalisierend-typisierender Sicht nach Treu und Glauben rechtsordnungskonform ist. Führt diese Konformitätsprüfung zu keinem eine bestimmte Abrede mißbilligenden Ergebnis, ist auf der zweiten Ebene der Gebrauch, der von der 371
BT-Drucks. 7/5422, S. 13. Vgl. B G H NJW 1988, 23, 25; B G H Z 84, 11, 13. 373 Lieb, AcP 178 (1978), 196,197 (erstes Zitat), 210 (zweites Zitat); zustimmend Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 6, 14; Preis, Grundfragen, S. 148; Hildebrandt, Disparität, S. 3 ff.; Klebau, Inhaltskontrolle, S. 31 ff.; Specht-Jonen, Ausuferung, S. 204ff.; zusammenfassend und m. zahlr. weit. Nachw. zur Zulässigkeit einer generellen Angemessenheitskontrolle am Maßstab von Treu und Glauben (§242 BGB) Ulmer, in: Ulmerl Brandneri Hensen, §23 A G B G Rn.4, 11 ff. (Arbeitsrecht), Rn. 13,15 (Erbrecht), Rn. 16 (Familienrecht), Rn. 19ff. (Gesellschafts- und Vereinsrecht). 374 Fastrich, Inhaltskontrolle, S.24ff.; Preis, Grundfragen, S. 197f.; v. Hoyningen-Huene, Inhaltskontrolle, Rn. 34ff.; Loritz, JZ 1986, 1073, 1078; H.P. Westermann, AcP 175 (1975), 375, 407ff.; Zöllner, RdA 1989,152,161f.; Brandner, in: Ulmerl Brandneri Hensen, §9 A G B G Rn.34; Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher,% 9 A G B G Rn. 26; Bunte, NJW 1987,921,926; Roth, in: MünchKommBGB, §242 Rn.280; Erman/Wemer, §242 Rn.73; Erman/Hefermehl, Vor §§8, 9 A G B G Rn. 6; Soergel/Teichmann, §242 Rn.28; B G H Z 105, 71, 88; 93, 391, 399; anders Basedow mit seiner These von einer ex post- und ex ante-Sichtweise der Inhaltskontrolle, AcP 182 (1982), 335, 356ff. 372
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
305
vertraglichen K o m p e t e n z im Einzelfall gemacht wird, anhand § 2 4 2 B G B zu prüfen. A u f der zweiten Kontrollstufe wird also nicht das R e c h t als solches in Zweifel gezogen, sondern allein die praktische Umsetzung. Ausübungskontrolle k o m m t demnach immer dann zum Tragen, wenn die Anwendung einer rechtswirksamen vertraglichen Klausel im Einzelfall zu Bedenken Anlaß gibt. D i e Ausübungskontrolle unterscheidet sich nicht nur in ihrem Anwendungsprofil von der Sittenwidrigkeits- und der Angemessenheitsprüfung; es sind auch andere Maßstäbe anzulegen. b)
Maßstab375
Kriterium der Ausübungskontrolle ist, ob ein konkretes, spezifisches Verhalten im Einzelfall von der Rechtsordnung nach Treu und Glauben zu mißbilligen ist. Auszugehen ist von einem individuellen, konkreten, einzelfallbezogenen M a ß stab. Zu fragen ist, ob die abstrakt rechtskonforme Klausel rechtsmißbräuchlich in Anspruch genommen wurde. Eine mißbilligte Anwendung ist dabei dann nicht anzunehmen, wenn das Recht in der Weise und in der Situation eingesetzt wird, wie es gedacht und vereinbart worden ist. 3 7 6 J e d e Vertragsklausel gründet auf einer bestimmten Gestaltungsidee und Interessenlage und dient im K o n t e x t des Vertrages einem konkreten Zweck. Uberschreitet eine Seite in treuwidriger Weise diese Geltungsschranke, so ist die Rechtsausübung im Sinne dieser Regel unzulässig. N i c h t jede v o m ursprünglichen N o r m z w e c k abweichende Konstellation hat eine Ausübungs- oder Verhaltenskontrolle zur Folge. E s existiert keine allgemeine sittlich-rechtliche Pflicht, eine Rechtsposition allein deshalb preiszugeben, weil sich die andere Vertragsseite beschwert. E i n e unzulässige Rechtsausübung erfordert eine vom Sinn und Z w e c k des auszuübenden Rechts aus gesehene atypische, besonders gelagerte und unter Abwägung aller Umstände mißbilligenswerte Situation. D i e G r e n z e der Zulässigkeit ist dann überschritten, wenn die Rechtsausübung im Zusammenhang mit den Begleitumständen angesichts ihres Sinnes und Zweckes mißbilligenswert oder widersprüchlich erscheint, ihr kein schutzwürdiges Interesse gegenübersteht, sie höherwertige Pflichten verletzt oder es sich bei der Rechtsausübung um grob unbilligen rücksichtslosen Eigennutz handelt. 3 7 7 c)
Rechtsfolge
D i e Verhaltenskontrolle setzt an einer bestimmten Rechtsausübung an. D i e vertraglich eingeräumte Rechtsposition wird nicht in Frage gestellt. Als Folge dieses 375 § 242 BGB stellt auf Treu und Glauben ab. Die Bedeutung dieser Wortkombination für die Anwendung der Generalklausel zur Vertragskontrolle wird im 9. Kapitel (S. 392ff.) erläutert. 376 Soergel/Siebert/Knopp (10. Aufl. 1967), §242 Rn. 166: »Qui suo iure utitur, neminem laedit.« Voraussetzung ist, die Abrede ist für sich wirksam und verstößt nicht gegen die Rechtsordnung. 377 Zur Fallgruppenbildung vgl. nur Palandt/Heinrichs, §242 Rn.38ff.; Erman/Werner, §242 Rn. 78.
306
2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
Anknüpfungspunktes kann das Recht als solches nicht für unwirksam erklärt werden. Anders als bei der Sittenwidrigkeits- oder der Angemessenheitskontrolle ist Rechtsfolge also nicht die Unwirksamkeit des Vertrages oder der Klausel. Das Recht kann bei geänderter Lage gegebenenfalls erneut und sodann unter U m s t ä n den erfolgreich geltend gemacht werden. 3 7 8 D i e Ausübungskontrolle schließt nur punktuell die Berufung auf eine vertragliche Rechtsposition aus, ist also ein lediglich dilatorisches Kontrollinstrument der Vertragsfreiheit. Sie bezieht sich nur auf die Kontrolle eines bestimmten Verhaltens in einer konkreten Situation zu einer punktuellen Zeit. 4. Billigkeits- o d e r B e s t i m m u n g s k o n t r o l l e a)
Anwendungsbereich
H a b e n sich die (potentiellen) Vertragspartner über einen Punkt, der zu den o b jektiven Wesensmerkmalen des Vertrages gehört, nicht geeinigt, so ist im G r u n d satz kein Vertrag zustande gekommen (logischer Dissens). 3 7 9 Ein Vertrag ist daneben im Zweifel auch dann nicht wirksam geschlossen, wenn die nicht geregelte Frage nur subjektiv wesentlich ist, § 154 Abs. 1 (offener Dissens). Meinen die B e teiligten irrtümlich, sich über alle Aspekte, über die eine Vereinbarung getroffen werden sollte, geeinigt zu haben, während in Wahrheit eine Einigung unterblieben ist, so ist v o m Bestand des Vertrages auszugehen, sofern anzunehmen ist, daß der Vertrag auch ohne eine Bestimmung über diesen Punkt geschlossen worden wäre, § 155 B G B (versteckter Dissens). Als weitere Variante k o m m t in Betracht, daß der Leistungsinhalt von beiden Seiten mit Bedacht nicht von Anfang an festgelegt wird, vielmehr (ausdrücklich oder schlüssig) der Leistungsinhalt durch ein Bestimmungsrecht einer Partei ( § 3 1 5 B G B ) oder einem Dritten ( § 3 1 7 B G B ) überlassen wird. Diese Leistungsbestimmung hat ihren Ursprung zwar im Vertrag, ist aber in ihrer Ausübung nicht konsensgetragen. D e r Gesetzgeber sah sich deshalb veranlaßt, die einseitig zugeordnete Rechtsmacht der Willkür zu entziehen und im Zweifel eine Bestimmung nach billigem Ermessen zu fordern, § 3 1 5 Abs. 1 B G B . 3 8 0 Vergleichbar der Ausübungskontrolle setzt die Billigkeitskontrolle somit auf einer der Sittenwidrigkeits- und Angemessenheitskontrolle nachfolgenden E b e n e ein. Ein in den Vertrag einbezogenes und wirksames Bestim-
3 7 8 Prägnant der B G H (BGHZ 52,365,368): »Der Einwand des Rechtsmißbrauchs kann allerdings - wie allgemein - so auch gegenüber dem Abwehrzeichen nachträglich entfallen, wenn die für die rechtliche Beurteilung maßgebenden Verhältnisse sich geändert haben.« 379 Diederichsen, Festschrift für Hübner, S. 81 ff. 3 8 0 Motive II, S. 192: »Die Bestimmung der Leistung kann nicht der Willkür des Schuldners überlassen werden. Wohl aber kann durch den Vertrag die Bestimmung einer Vertragsleistung auf das Ermessen eines der Kontrahenten gestellt werden. Im Interesse der Aufrechterhaltung derartiger Verträge und der vermutlichen Parteiintention entsprechend stellt der § 353 Abs. 1 die Interpretationsregel auf, daß, falls nach dem Inhalte des Vertrages eine Leistung von einem der Vertragschließenden bestimmt werden soll, er die Bestimmung nach billigem Ermessen (arbitrium boni viri) zu treffen habe.«; vgl. auch Planck/Siber, §315 Anm. 1.
6. Kapitel: Die
307
Vertragskontrollvarianten
mungsrecht unterliegt bei der konkreten Ausübung der Billigkeitskontrolle. D e r Anwendungsbereich der Billigkeitskontrolle ist demnach eröffnet, wenn im R a h men eines Vertrages eine Leistungsbestimmung vorgenommen wird; formal übereinstimmend festgelegte Punkte liegen außerhalb einer Bestimmungskontrolle. 381 Im Wege der Billigkeitskontrolle kann allein die konkrete Gestaltungserklärung überprüft werden, die Wirksamkeitsüberprüfung der Kompetenzklausel selbst zählt nicht zum Anwendungsbereich der Bestimmungskontrolle.
b) Maßstab Maßgebendes Kriterium der Billigkeits- oder Bestimmungskontrolle ist nach Absatz 1 des § 3 1 5 B G B im Zweifel, o b die Leistungskonkretisierung im Einzelfall billigem Ermessen genügt. Dieses Ermessen ist nicht anhand eines allgemeinen abstrakt-generalisierenden Maßstabes zu bestimmen. D i e Billigkeit der k o n kreten Inhaltsdetermination ist abhängig vom individuellen vertraglichen Verhältnis der Parteien. D i e Leistungsbestimmung entspricht »billigem Ermessen« dann, wenn sie sich sachgerecht in den vertraglich abgegrenzten und definierten Bereich der gegenseitigen Interessen einpaßt und deshalb als Vertragstreue Rechtsausübung anzusehen ist. Billiges Interesse ist weder in Beziehung zum dispositiven Gesetzesrecht noch zu vergleichbaren anderen Verträgen zu setzen. Es ist nicht zu fragen, o b die Inhaltszuordnung im Verhältnis zu typischen Vertragsinhalten als »zumutbar«, »angemessen« oder »fair« zu beurteilen ist. 382 Bestimmungskontrolle bezieht sich auf »Billigkeit als der Gerechtigkeit des Einzelfalles.« 383 In einer umfassenden Interessenabwägung sind die gesamten Verhältnisse der Beteiligten, jeder in Betracht kommende Umstand der individuellen Beziehung zu berücksichtigen. § 3 1 5 Abs. 1 B G B eröffnet für den Bestimmungsberechtigten einen Spielraum zwischen mehreren Verhaltensmöglichkeiten, wobei die Billigkeit die G r e n z e des Ermessensspielraums
beschreibt. 3 8 4
Dieser
Ermessensspielraum
steht
dem
Rechtsinhaber in voller Bandbreite zur Verfügung. E r ist nicht verpflichtet, sein Ermessen in einer den Vertragspartner möglichst wenig belastenden Weise auszuüben. 3 8 5 Auch eine nachteilige Leistungsbestimmung kann vertragsgemäß sein. 381 £) e r Vorschlag von Lukes (Festschrift für Hueck, S.459, 478; JuS 1961, 302ff.), bereits die Aufstellung allgemeiner Geschäftsbedingungen als bestimmendes Rechtsgeschäft aufzufassen und so den Anwendungsbereich der §§ 315ff. BGB auszudehnen, widerspricht der lex lata und ist abzulehnen, siehe Diederichsen, ZHR 132 (1969), 232, 237ff.; Fastnch, Inhaltskontrolle, S. 16. 382 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 16; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 156; Hildebrandt, Disparität, S.4ff.; Pütz, Rechtsgrundlage, S. 147ff.; Westhoff, Inhaltskontrolle, S.69; Preis, Grundfragen, S.187ff.; Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 245; Richardi, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, §14 Rn.42; G. Hueck, Gedächtnisschrift für Dietz, S.241, 254f.; Staudingerl Mader, §315 Rn.68; Gottwald, in: MünchKommBGB, §315 Rn. 19; RGRK/Ballhaus, §315 Rn. 10, 19; BGH MDR 1994, 782; BGHZ 41, 271, 279. 383 v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S.29. 384 BGH NJW-RR 1991, 1248, 1249. 385 A.A. Baur, Anpassungsregelungen, S.66, der dafür eintritt, der Berechtigte müsse eine »mittlere Linie« einhalten.
308
2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
Dies ist zumal dann anzunehmen, wenn die Auslegung eine den Vertragspartner benachteiligende (gleichwohl aber rechtmäßige) vertragliche Konzeption ergibt. 3 8 6 c)
Rechtsfolge
Überschreitet die Leistungsbestimmung den individuellen Ermessensrahmen, bestimmt § 3 1 5 Abs. 3 B G B die Konsequenzen: D i e inhaltliche Konkretisierung ist nach Satz 1 der Vorschrift unverbindlich, nicht jedoch - wie sich aus der W o r t lautinterpretation vermeintlich schließen läßt 3 8 7 - unwirksam. Unverbindlich heißt, daß der Betroffene nach § 3 1 5 A b s . 3 S . 2 B G B eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen kann. D i e Berufung auf die Unbilligkeit ist nicht fristgebunden. Rechtssicherheit und Rechtsklarheit erfordern, daß die klageweise Geltendmachung in angemessener Zeit erfolgt, 3 8 8 wobei zur Fristbestimmung eine Parallele zur Verwirkung gezogen werden kann. 3 8 9 U n t e r n i m m t der Betroffene nichts gegen die unbillige Leistungsbenennung, so entfaltet auch die unbillige Erklärung Gestaltungswirkung. 3 9 0 Ist die Klage fristgemäß erhoben, wird die Leistung durch Urteil konkretisiert. D e m Berechtigten steht kein Nachbesserungsrecht zu, das heißt, es ist ihm verwehrt, durch weitere Bestimmungsversuche die G r e n ze des Ermessensspielraums auszuloten, um auf diese Weise eine für den Betroffenen möglichst nachteilige, aber gerade noch zulässige Lösung zu erreichen oder die richterliche Gestaltung zu vermeiden. D e r Rechtssicherheitsaspekt spricht dafür, daß das Bestimmungsrecht nach § 3 1 5 Abs. 1 B G B durch eine zugegangene unbillige Bestimmungserklärung konsumiert ist. 391 Das Gericht hat bei seiner Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses nach § 3 1 5 Abs. 3 S. 1 B G B auf Billigkeit zu achten, der Gesetzgeber hat ihm ein billiges E r messen nicht eingeräumt. Das Gericht hat also eine durchschnittliche Entscheidung zu treffen. H i e r ist ein Vergleich mit dem im Verhältnis zu ähnlichen Vereinbarungen typischen Reglement vorzunehmen. 3 9 2 Ein in bezug auf den Preis eingeräumtes Benennungsrecht ist v o m Gericht als Mittelwert des Marktüblichen zu bestimmen, während der Betroffene selbst den Ermessensspielraum zu seinen Gunsten hätte ausnutzen können. 3 9 3 Konsequenz der Ersetzungsbefugnis ist damit nicht die richterliche K o m p e t e n z , vertragsändernd oder -korrigierend tätig zu werden, sondern - im Gegenteil - die Aufgabe, das vertragliche Gefüge zu be-
Westhoff, Inhaltskontrolle, S.69. Vgl. Motive II, S. 192f.; Planck/Siber, §315 Anm.3. 388 BAGE 18,54,59. 389 BGHZ 97, 212, 220. 390 Die Rechtslage ist also der bei einer Anfechtung vergleichbar, nur daß die Unverbindlichkeitserklärung anders als die Anfechtungserklärung nicht zur Nichtigkeit, sondern zur gerichtlichen Leistungsbestimmung gemäß §315 Abs.3 S.2 Halbs. 1 BGB führt. 391 Lukes, NJW 1963, 1897, 1899; OLG Düsseldorf MDR 1994, 476; BAGE 18, 54, 59. 392 Gottwald, in: MünchKommBGB, §315 Rn. 18. 393 BGH NJW-RR 1992, 183, 184. 386
387
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
309
wahren und die den vertraglichen Bestimmungsrahmen übersteigende Bestimmung auf den Boden des Vertrages zurückzuführen.
V. Einzel- oder Sonderkontrolle Im Gegensatz zu den G r e n z e n der Vertragsfreiheit mit grundsätzlich allgemeinem Anspruch kennt die Rechtsordnung auch zahlreiche punktuelle Einschränkungen der Vertragsfreiheit. Diese Einzel- oder Sonderkontrollnormen
be-
schränken sich auf ein spezielles Anwendungsfeld und untersagen eine konkrete Ausgestaltung. Mit diesen Schranken drückt die Rechtsordnung keine allgemeine Mißbilligung gegenüber einer Vereinbarung aus, sondern will eine konkrete inhaltliche Ausformung lediglich in einem bestimmten Zusammenhang nicht der Vertragsfreiheit überlassen. Besondere, auf einen spezifischen Rechtsbereich beschränkte Überlegungen haben den Gesetzgeber veranlaßt, eine punktuelle E i n schränkung der Privatautonomie festzulegen. Diese Einzeltatbestände haben unterschiedliche Zielrichtungen. Sie können der A b s c h l u ß - oder Einbeziehungskontrolle dienen, sind jedoch meistens auf inhaltliche Aspekte bezogen. So stellt es die Rechtsordnung anheim, eine Vertragsstrafe zur Absicherung der Einhaltung vertraglicher Abreden in die Vereinbarung aufzunehmen, § § 3 3 9 f f . B G B . D i e Vereinbarung einer Vertragsstrafe bei zur B e rufsausbildung beschäftigten Personen (vgl. § 1 B B i G ) , die sich auf die Berufsausbildung selbst bezieht, ist nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 B B i G inhaltlich ohne Bestandskraft. 3 9 4 Besondere Schutzüberlegungen waren die Ursache, Vertragsstrafen partiell der Gestaltungsfreiheit zu entziehen. Weitere Beispiele 3 9 5 für Sonderkontrolltatbestände, die nicht eine vom Inhalt der einzelnen Teilbereiche unabhängige, allgemeine Einschränkung der Vertragsfreiheit rechtfertigen, finden sich in § 7 2 3 Abs. 3 B G B 3 9 6 und in § 51a Abs. 3 G m b H G . 3 9 7
VI. Ergebnis Die Rechtsordnung stellt vielfältige Möglichkeiten der Vertragskontrolle zur Verfügung. Drei Bereiche sind zu trennen: D i e Abschlußkontrolle erlaubt die Prüfung, o b eine Pflicht zu einer Vertragsbegründung oder ein Verbot eines Vertragsabschlusses existiert. Anhand der Einbeziehungskontrolle läßt sich der VerVgl. Engel, Konventionalstrafen, S. 60ff. Siehe Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 27. 396 Dazu Ulmer, in: MünchKommBGB, §723 Rn.42ff.; in §723 Abs. 3 BGB kommt der Rechtsgedanke zum Ausdruck, daß der einzelne Gesellschafter im Hinblick auf seine persönliche Freiheit nicht auf unbestimmte Zeit an die Gesellschaft gebunden werden kann. Dieser Telos der Regelung ist der Grund dafür, daß der Verbotsgehalt entsprechend in ähnlich gelagerten gesellschaftsrechtlichen Fällen zu berücksichtigen ist; vgl. Giefers/Ott, Gesellschaft, Rn.488ff. 397 Vgl. Roth!Altmeppen, §51a GmbHG Rn.38f. 394 395
310
2. Teil: Leitlinien einer
Freiheitsbegrenzung
tragsgegenstand bestimmen. D i e Inhaltskontrolle ist in zwei Ebenen zu trennen. A u f der ersten Stufe ist zu erörtern, ob eine Regelung sachlich Bestand hat. D a z u dienen Sittenwidrigkeits- und Angemessenheitskontrolle. Ergibt diese Prüfung die Wirksamkeit der fraglichen Regelung, ist gegebenenfalls auf der nachfolgenden zweiten Stufe zu kontrollieren, ob eingeräumte Rechtspositionen und B e stimmungsrechte in Ubereinstimmung mit der Rechtsordnung ausgeübt wurden. Dies ist die Intention der Ausübungs- und der Billigkeitskontrolle. Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Kontrolle der Gestaltungsfreiheit. Sie steht deshalb im Mittelpunkt dieser Arbeit. Inhaltskontrolle wird maßgeblich von Generalklauseln geprägt. Diese Qualifikation besagt nicht, daß es sich hier um eine willkürliche Sachverhaltsbewertung durch die Gerichte handelt, die wissenschaftlicher Analyse kaum zugänglich ist und lediglich eine k o m m e n tarhafte Auflistung der Kasuistik erlaubt. D e r Umstand, daß es sich bei den Kontrollnormen um Generalklauseln handelt, widerspricht nicht der methodischen Einordnung als Rechtsanwendung. Die Subsumtion als logisches Schlußverfahren setzt ihrerseits Urteile dahingehend voraus, o b ein Sachverhalt den Tatbestandsmerkmalen des Rechtssatzes unterfällt. 398 Ist das Tatbestandsmerkmal T in einem konkreten Sachverhalt S verwirklicht, gilt für S die im Rechtssatz R angeordnete Rechtsfolge. Bei der Beurteilung des Sachverhalts daraufhin, ob er das in Frage stehende Tatbestandsmerkmal des gesetzlichen Tatbestandes erfüllt, bedarf es einer Erläuterung des mit dem Tatbestandsmerkmal abstrakt ausgedrückten Umstandes in einer der Sachverhaltsschilderung angenäherten Art und Weise. Abschließend erfordert es jedenfalls ein Urteil des Rechtsanwenders, das auf (eigenen oder fremden) Wahrnehmungen oder auf (sozialen) Erfahrungen beruht. 3 9 9 Besonders deutlich wird das bei ausfüllungsbedürftigen Wertungsmaßstäben, insbesondere den Generalklauseln. Hier ist die deduktive Rechtsanwendung erst nach inhaltlicher Präzisierung des vagen Tatbestandes durch Berücksichtigung sachlich aufschlußreicher Kriterien möglich. Das Werturteil ist Ausdruck einer Stellungnahme, nicht jedoch vordergründig des zur Entscheidung berufenen Gerichts, sondern im allgemeinen einer Stellungnahme der Rechtsordnung in einem überindividuellen generalisierenden Sinn. D i e unter Umständen (auch) auf die jeweils (zeitlich) aktuell anerkannte Sozialmoral rekurrierende Wertung erhebt jedenfalls den Anspruch, o b jektiv gerechtfertigt zu sein. Konkretisierung von Generalklauseln folgt rationalen, an der Rechtsordnung ausgerichteten Erwägungen, unterliegt nicht emotionaler individuumdeterminierter Beliebigkeit. Auch eine Entscheidung, die im Wege des Fallvergleichs, der Zuordnung zu Fallgruppen und unter Heranziehung allgemeiner Rechtsprinzipien getroffen wird, ist eine Entscheidung, die aus dem geltenden Recht begründet ist. 400 Bei der Inhaltskontrolle erfolgt ein SubLarenz, Methodenlehre, S.271; Bydlinski, Methodenlehre, S. 396. Näher Larenz, Methodenlehre, S.274, 283ff.; Bydlinski, Methodenlehre, S.582ff. (insbesondere zum Funktionswandel von Generalklauseln). 400 Die Konkretisierung einer Generalklausel stößt deshalb dort an eine Grenze, wo sie die Gesamtheit der in einem sachlichen, logischen oder teleologischen Zusammenhang mit der 398
399
6. Kapitel: Die
Vertragskontrollvarianten
311
sumtionsschluß unter eine zuvor anhand der Rechtsordnung konkretisierte Norm. Von besonderem Interesse ist es deshalb, die Generalklauseln näher zu untersuchen und die Kriterien zu analysieren, anhand derer eine rationale Wertungsentscheidung zu treffen ist. An die Ausführungen zur Wirkungsweise von Generalklauseln im nächsten Kapitel schließt sich die Erörterung der Konkretisierungselemente an. Der Umgang mit Generalklauseln wird paradigmatisch an der Sittenwidrigkeits-, der Angemessenheits- und der Ausübungskontrolle dargestellt.
Rechtsordnung oder der mit ihr ausgedrückten sozialethischen Regeln verläßt. Die Rechtsetzungsprärogative des Gesetzgebers steht einer Konkretisierung im Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung entgegen; siehe bereits im 3. (S.69ff.) und 5. Kapitel (S. 171 ff., 205ff.).
D R I T T E R TEIL
Inhaltskontrolle durch Generalklauseln
7. Kapitel
Generalklauseln und flexibles System I. Der generell-abstrakte Charakter der Freiheitsgrenzen 1. Punktuelle und generelle Freiheitsgrenzen Die Rechtsordnung kennt ein breites Spektrum von punktuellen Freiheitsgrenzen, die für eine abgegrenzte Sachkonstellation aus besonderen Gründen des inkriminierten Regelungsbereichs die Vertragsfreiheit eingrenzen. Diese auf einen bestimmten Sachverhalt zugeschnittenen Sondernormen sind auf dieses konkrete Gebiet beschränkt und untersagen unter präzise benannten Voraussetzungen eine spezifische Vertragsgestaltung. So intendiert § 51 a Abs. 3 G m b H G eine vertragliche Beschränkung des Informationsrechts der Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Die zwingende Vorschrift sichert für das GmbH-Recht ein individualrechtliches Informationsrecht der Gesellschafter, das in seinen Voraussetzungen, seinem Gegenstand und den Ausschlußtatbeständen in den ersten beiden Absätzen des §51a G m b H G beschrieben ist. Der Gesetzgeber hat mit der unabdingbaren Normierung des Auskunfts- und Einsichtsrechts das individuelle Informationsrecht unverrückbar festgeschrieben. 1 Sinn und Zweck der N o r m zielen - wie regelmäßig bei punktuellen Vertragsfreiheitsgrenzen - auf eine bestimmte einzelfalladäquate Freiheitsgrenze. Der Ausfüllung eines gesetzlich statuierten Wertungselements bedarf es in der Regel nicht. Allgemeingültige oder verallgemeinerungsfähige Aussagen finden sich in Sonderkontrollnormen in der Regel nicht. 2 Durch die tatbestandsmäßige Präzision des Verbotsgehalts unterscheiden sich die punktuellen Freiheitsschranken von den generellen, das gesamte Zivilrecht umspannenden inhaltsbezogenen Kontrollinstrumenten. Ist auch dieser Sektor der Vertragskontrolle von einer Segmentierung der Regularien geprägt, 3 zeigen 1
Vgl. Lutter/Hommelhoff, §51a G m b H G Rn.24; Scholz/K. Schmidt, §51a G m b H G Rn. 50ff.; K. Schmidt, Festschrift 100 Jahre GmbH-Gesetz, S. 559ff., 582 (»in seiner Rigidität verwunderlich«). 2 Nicht ausgeschlossen (wenn auch selten) ist gleichwohl im Einzelfall die (analoge) Anwendung punktueller Freiheitsgrenzen auf ähnlich gelagerte Fallkonstellationen. Für ein spezielles, verwandtes Problemfeld kann Sonderkontrollvorschriften eine insoweit treffende Aussage entnommen werden. Das gilt beispielsweise für § 723 Abs. 3 BGB, der zum Ausdruck bringt, daß der einzelne Gesellschafter im Hinblick auf seine persönliche Freiheit nicht auf unbestimmte Zeit an die Gesellschaft gebunden werden darf und daß - wie regelmäßig bei Dauerschuldverhältnissen - die vertragliche Bindung aus wichtigem Grund lösbar ist. 3 Vgl. den Uberblick zu den inhaltsbezogenen Kontrollvarianten der Vertragsfreiheit im 6. Kapitel (S. 223 ff.).
316
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
gleichwohl sämtliche generellen Prüfungsmechanismen ein typisches Erscheinungsbild. Sie sind charakterisiert durch eine unbestimmte Terminologie. Die allgemeinen inhaltsbezogenen Kontrollnormen verfügen über keinen festen Tatbestand, unter den der Einzelfall ohne weiteres subsumiert werden könnte. Sie dienen vielmehr der Anwendung auf eine Vielzahl von Fällen, die sich wegen ihrer mannigfaltigen Nuancen und Erscheinungsformen einer Konkretisierung und Normierung entziehen. Es handelt sich um Generalklauseln. Die Sittenwidrigkeits-, Billigkeits-, Angemessenheits- und Ausübungskontrolle sind in ihrer Rechtsfolgenanordnung vergleichsweise weitgehend bestimmt; die zur Induktion der jeweiligen Konsequenzen notwendigen Voraussetzungen sind dagegen ausfüllungsbedürftig gefaßt. Die Sittenwidrigkeitskontrolle mit ihrem Maßstab des »Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden« und die Prüfung mit dem generalisierenden Angemessenheitskriterium geben ebenso ein ausfüllungsbedürftiges Tatbestandselement vor wie die Billigkeitsgrenze, die als individueller Maßstab auf das im Einzelfall billige Ermessen abstellt. Gleiches gilt für die Frage, ob ein vertraglich eingeräumtes Recht konkret rechtsmißbräuchlich eingesetzt wird, wie es die Kontrollintention der Ausübungskontrolle besagt. Bei diesen inhaltsbezogenen Vertragsgrenzen handelt es sich um Generalklauseln, die lediglich einen allgemeinen Grundsaz aufstellen.
2. Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe Die Wendungen »unbestimmter Rechtsbegriff« und »Generalklausel« bezeichnen unterschiedliche Vagheitsgrade. Die Ubergänge sind fließend, so daß sich die »benachbarten Kategorien« 4 nicht immer trennscharf abgrenzen lassen und gelegentlich synonym verwendet werden. Unbestimmten Rechtsbegriffen kann je nach Bestimmtheit des Terminus ein Begriffskern oder Begriffshof zugeordnet werden, von dem aus der offene Bedeutungsbereich erschlossen werden kann. Von dieser Basis aus können die Zweifelsfälle insbesondere durch Auslegung einer Lösung zugeführt werden. 5 Generalklauseln fehlt ein derartiger Begriffskern oder -hof; sie sind allgemeiner formuliert. Das hohe Abstraktionsniveau bewirkt, daß zur Umsetzung der Vorschrift auf konkrete Fälle in größerem Umfang als bei unbestimmten Rechtsbegriffen generelle Wertungsgesichtspunkte herangezogen werden müssen. Generalklauseln sind keine aus sich selbst heraus verständlichen, umsetzbaren Vorschriften, sondern ihrem Wesen nach »methodische Hilfsfiguren des Gesetzgebers.« 6 Das heißt aber nicht, daß Generalklauseln keine Wertung beinhalten, ihre Wertungsvorgabe ist nur geringer ausgeprägt als die unbestimmter Rechtsbegriffe. Während unbestimmte Rechtsbegriffe eine engere WertentRüthers, Auslegung, S. 212. Begriffskern und Begriffshof unterscheiden sich im Präzisionsgrad; während in ersterem Fall weitgehend Klarheit über den Inhalt besteht, ist im zweiten der Vagheitsbereich größer. Anhand der Inhaltszuordnung ist die Auslegung vorzunehmen; vgl. Engisch, Einführung, S. 108 f.; Jesch, A ö R 1957, 163, 181 ff. 6 Weher, AcP 192 (1992), 516, 525. 4
5
7. Kapitel: Generalklauseln und flexibles System
317
Scheidung ausdrücken, ist die der Generalklauseln globaler. 7 D i e Abgrenzung erfolgt mithin anhand des Wertungskontextes, in dem die N o r m steht. J e nach Spezifikation ist von Generalklauseln oder unbestimmten Rechtsbegriffen zu sprechen. Legt man diesen Maßstab an, handelt es sich bei den N o r m e n zur Inhaltskontrolle um Generalklauseln. Unabhängig von der Einordnung ist die K o n k r e tisierung innerhalb eines teleologischen Systems unter Heranziehung der Wertungsmaßstäbe der Rechtsordnung zu vollziehen.
3. D i e B e d e u t u n g der G e n e r a l k l a u s e l n D i e generellen Gestaltungskontrollmechanismen zeichnen sich durch einen derart hohen Abstraktions- und Unbestimmtheitsgrad aus, daß dem Tatbestand ein eindeutig belegbarer und damit aus sich selbst heraus subsumtionsfähiger Begriff nicht zugeordnet werden kann. 8 Das besagt aber nicht, daß die als Generalklauseln formulierten Kontrollnormen als inhaltslose »pseudonormative Leerformeln« anzusehen wären, die »mit allen oder fast allen konkreten Verhaltensformeln und Verhaltensregeln« ausformbar sind. 9 D i e Rechtsordnung verbindet mit jeder einzelnen der generellen Vertragsfreiheitsgrenzen nicht nur einen spezifischen Wirkungsbereich, sondern auch einen besonderen inhaltlichen Gedanken. D i e Generalklauseln sind trotz ihrer Offenheit Ausdruck von globalen Wertungen. Gegenüber der fixierenden Tatbestandsbildung von klassifikatorischen B e griffen schaffen Generalklauseln Freiräume. D e r (historische) Gesetzgeber hat sich mit dieser Ausgestaltung - soweit der Gesichtspunkt der Vertragskontrolle überhaupt berücksichtigt wurde und nicht maßgeblich von der Rechtsprechung initiiert ist - bewußt für eine offene K o n trolle entschieden. Dies geschah in A b k e h r von der allgemeinen Skepsis, die der Gesetzgeber grundsätzlich wertungsbedürftigen Elementen gegenüber hegte. 1 0 D i e Entstehung des B G B fiel in die H o c h z e i t des wissenschaftlichen Positivismus, in der man davon ausging, daß Rechtsprobleme durch begrifflich-logische Ableitung anhand des geschriebenen Rechts lösbar seien. 1 1 Mit den Generalklauseln, deren Eigenart darin besteht, den Rechtsanwender auf wertausfüllungsbedürftige Begriffe zu verweisen, hat der Gesetzgeber (bereits damals) den Bereich Engisch, Einführung, S. 120ff. Larenz, J Z 1962, 105, 106; Weber, AcP 192 (1992), 516, 524. 9 Topitsch, Logik, S. 28. 10 Zum Ausdruck kommt diese Skepsis gegenüber Generalklauseln bei den Beratungen über die Aufnahme einer »exceptio doli generalis« in das BGB, Protokolle I, S.239f.: »Gegen die Zulassung der exceptio doli generalis wurde namentlich geltend gemacht, durch dieselbe werde in höchst bedenklicher Weise an Stelle der festen Rechtsnorm das subjektive Gefühl des Richters gesetzt und die Grenze zwischen Recht und Moral verwischt.« " Wieacker, Privatrechtsgeschichte, §§24, 25: Bezeichnend sind die Äußerungen von Hachenburg, der die abstrakte Fassung von Rechtssätzen als »vorweggenommene Analogie« bezeichnete und vor einer unsicheren Rechtsgrundlage warnte, oder von Zitelmann, der die Regel propagierte »Je weniger mögliche Willkür, desto besser das Recht.« Gierke forderte, daß an der scharfen logischen Formulierung der Begriffe und ihrer Konsequenzen festzuhalten sei. 7 8
318
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
der Begriffsjurisprudenz verlassen. Deutlich drückt sich das Unbehagen des dem Positivismus verhafteten Gesetzgebers in den Motiven zu § 1 3 8 B G B aus: »Die Vorschrift stellt sich als ein bedeutsamer gesetzgeberischer Schritt dar, der vielleicht nicht ohne Bedenken ist. D e m richterlichen Ermessen wird ein Spielraum gewährt, wie ein solcher großen Rechtsgebieten bisher unbekannt ist. Fehlgriffe sind nicht ausgeschlossen.« 12 D e r Gesetzgeber reagierte damit unter anderem auf die Erfahrungen mit dem Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten, bei dem versucht wurde, anhand von fast 20.000 Paragraphen die gesellschaftliche und wirtschaftliche Realität kasuistisch zu erfassen. Gerechtfertigt wurde diese Flut von Einzelregeln im Zeitalter der Aufklärung mit dem Mißtrauen gegenüber einer freien Rechtsprechung und der Absicht, die neu gewonnenen bürgerlichen Freiheiten nicht richterlicher Willkür auszuliefern. Die fortschreitende Entwicklung in sämtlichen Lebensbereichen und die zunehmende Komplexität des Wirtschaftslebens machten in der Folgezeit die Begrenztheit kasuistischer Regeln deutlich: »Das Leben spottet der gesetzgeberischen Voraussicht.« 13 Hinzu kamen Befürchtungen, das konkret gefaßte Recht könne eine gerechte Entscheidung von Streitfällen nicht immer gewährleisten. 14 Die Vielfalt der Entwicklungen bedarf in gewissem Rahmen elastischer Regeln. Die durch Generalklauseln eröffnete Entwicklungsfähigkeit sowie Elastizität konnten vom Gesetzgeber des B G B nicht ignoriert werden. Die Generalklauseln ermöglichen eine ständige Anpassung an den Wandel der Bedürfnisse und Anschauungen und sind damit mittelbar ein Ausdruck der auf der Interessenjurisprudenz aufbauenden Wertungsjurisprudenz. Wertungsjurisprudenz versucht, in Fortentwicklung der Interessenjurisprudenz neuen rechtlichen Wertentscheidungen der Rechtsgemeinschaft Rechnung zu tragen, indem sie im Bereich der juristischen Argumentation und der richterlichen Rechtsgewinnung eine teleologische, an den Zielen und Zwecken der Rechtsvorschriften ausgerichtete Interpretation ermöglicht. 1 5 Komplexität und Evolution der Lebensvorgänge erlauben keine »Verbegrifflichung« und kein lediglich formallogisches System; die Rechtsordnung verkörpert die bewußte und zweckgerichtete Lösung potentieller Interessenkonflikte durch die Legislative. Dieser Umstand ist dadurch zu berücksichtigen, daß bei der Gesetzeshandhabung nicht allein die Subsumtion eines Lebensvorgangs unter eine juristische Terminologie anhand der in diesem Vorgang wiedererkannten allgemeinen MerkmaMotive I, S. 211. Engisch, Idee, S. 82. 14 Die Gegenbewegung zur kasuistischen Rechtsgestaltung fand ihren Höhepunkt in der Freirechtsschule, die es ablehnte, eine gerechte Entscheidung logisch aus einer Rechtsnorm abzuleiten; vgl. Fuchs, Freirechtsschule, S. 16: »Alles Abstrakte ist einfach, alles Leben ist verwikkelt. Gegenüber der unerschöpflichen Mannigfaltigkeit des Lebens erscheinen die gesetzten Rechtssätze als ärmliche, graue abgezogene Schablonen.« Siehe auch Riebschläger, Freirechtsbewegung, passim; Ehrlich, Rechtsfindung, passim. 15 Hierzu Engisch, Einführung, S. 184; Bydlinski, Methodenlehre, S. 109ff.; Canaris, Systemdenken, S.20ff.; Hubmann, Wertung, S.3ff., 55ff.; Krawietz, Recht, S.5ff., 74ff., 175ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 119ff.; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 4; Westermann, Wesen, S. 16ff. 12 13
7. Kapitel:
Generalklauseln
und flexibles System
319
le, durch die der jeweils in Frage stehende Begriff vollständig definiert wird, vorgenommen wird. D e m B G B liegt kein lückenloses System privatrechtlicher Rechtssätze zugrunde, dem sich für alle Eventualitäten allein unter Anwendung der begriffsjuristischen Methode, losgelöst von den Sozialverhältnissen und den gesellschaftlichen Wertvorstellungen, ein Ergebnis entnehmen läßt. Die Vielfältigkeit der Lebensvorgänge erfordert zu ihrer rechtlichen Erfassung und Bewältigung ein abstrakt formuliertes Rechtssystem, das aber wiederum zu seiner K o n kretisierung und Transduktion auf den Einzelfall unter Umständen auf eine Berücksichtigung der dem Gesetz zugrunde liegenden Zwecke und Wertungen sowie der dahinter stehenden allgemeinen Wertmaßstäbe angewiesen ist. 16 Insbesondere in Grenzfällen läßt sich die Lösung nicht allein kausal den gesetzlichen Normen entnehmen; notwendig ist ein Wertungsakt. Rechtsanwendung ist entsprechend ihrer Ableitung aus Wertungen nicht dominierend logischer, sondern axiologischer und teleologischer Art. 1 7 Die zur Ausfüllung von Generalklauseln notwendigen Wertungen stehen deshalb im Mittelpunkt nicht nur der Vertragskontrolle. Unabhängig von Fragen der Vertragskontrolle wird in der Wertungsdependenz der Generalklauseln teilweise eine »Gefahr für Recht und Staat« 18 gesehen. Bueckling spricht sogar vom »Fluch der Generalklauseln.« 19 Die »generalklausulierende Rechtszerrüttung« führe zu einem Nachlassen der Denkkraft, einer Verweichlichung der Jurisprudenz, zu Unsicherheit und Willkür. 20 Diese Vorwürfe sind jedenfalls dann haltlos, wenn für die Konkretisierung von Generalklauseln 16 Zusammenfassend zur Kritik des Rechts- und Gesetzespositivismus Henkel, Einführung, S. 486ff.; Meyer, Grundzüge, S. 14ff.; zur Abgrenzung von der Interessenjurisprudenz und der Kritik daran aus Sicht des Wertungsansatzes Bydlinski, Methodenlehre, S. 113 ff.; Canaris, Systemdenken, S. 35ff. 17 Canaris, Systemdenken, S.22, 41. Aus der Repudiation einer lediglich formal-logischen Ableitung ergibt sich die eines axiomatisch-deduktiven Systems. Innerhalb eines bestimmten Sachgebiets geltende Sätze lassen sich nicht aus Axiomen im Wege einer rein formal-logischen Deduktion ableiten; dazu näher Bochenski, Denkmethoden, S. 81 f.; Canaris, Systemdenken, S.25ff.; Popper, Logik, S.41. 18 So Hedemann im Untertitel seiner Schrift »Die Flucht in die Generalklauseln.« Die von Hedemann 1933 geäußerten Bedenken realisierten sich in der Anwendung der Normen in der Zeit des Nationalsozialismus. So formulierte das Reichsarbeitsgericht (damals ein besonderer Senat des Reichsgerichts) 1936 zu der Frage, ob eine Kündigung gemäß § 138 Abs. 1 B G B nichtig ist: »Von ausschlaggebender Bedeutung sind dabei die Ziele, die sich der Nationalsozialismus gestellt hat« (ARS 26,125,135). Der Große Senat für Zivilsachen führte in seinem Beschluß vom 13. März 1936 aus ( R G Z 150,1, 4): »Der Begriff eines »Verstoßes gegen die guten Sitten« erhält seinem Wesen nach den Inhalt durch das seit dem Umbruch herrschende Volksempfinden, die nationalsozialistische Weltanschauung.« Zur Funktion der Generalklauseln als Einfallstor für nationalsozialistische Inhalte, Rüthers, Auslegung, S. 216ff.; v. Hippel, Perversion, passim; allgemein das dreibändige Werk von Weinkauff/Echterhölter/Wagner, sowie Wanner, Sittenwidrigkeit, passim, jeweils m. zahlr. weit. Nachw. zu diesem speziellen Problemkreis. 19 Bueckling, ZRP 1983, 190, 192 (»Softrecht«), 2 0 Ausführlich zu »Gefährlichkeit« von Generalklauseln Hedemann, Flucht, S.66ff., 68 (»Gefahr des Absinkens ins Unsichere«). Zusammenfassend zu den kritischen Äußerungen Lehmann, J Z 1952, 11 (»Man kann das Leid der Welt nicht mit §242 B G B beseitigen.«).
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
eine M e t h o d e gefunden wird, die klare Leitlinien vorgibt und auf diese Weise die Gefahr willkürlicher Entscheidungen bannt. D i e aufgrund der Präzisierungsbedürftigkeit nicht zu leugnende, latent vorhandene Unsicherheit im U m g a n g mit ausfüllungsbedürftigen Tatbeständen läßt sich (weitgehend) vermeiden, wenn für die Rechtsanwendung ein methodisch nachvollziehbarer Weg der Handhabung und Anwendung von Generalklauseln aufgezeigt wird. Insbesondere der Judikative ist dementsprechend ein Konkretisierungsmaterial zur Verfügung zu stellen, durch das eine tatbestandliche Fixierung in der Weise erreicht wird, daß eine E n t scheidung aus dem Spannungsfeld Vertragsfreiheit/Vertragskontrolle nicht dem ungeleiteten Rechtsgefühl und der praktischen Vernunft des jeweiligen Richters überantwortet bleibt. 2 1 Aufzuzeigen sind vor allem zweierlei, eine Vorgehensweise, die einen rechtssicheren U m g a n g mit Generalklauseln gewährleistet, und die Wertungsgesichtspunkte, die im R a h m e n einer derartigen Vorgehensweise zu berücksichtigen sind.
II. Methodische Überlegungen 1. G r u n d l a g e n der W e r t u n g s a n a l y s e D i e für die Kontrolle der Gestaltungsfreiheit maßgeblichen Generalklauseln geben nur einen allgemeinen, groben R a h m e n vor. Aus dem Gesetz allein, insbesondere den §§ 138, 242 B G B und § 9 A G B G , lassen sich die Entscheidungskriterien in der Regel nicht (vollständig) entnehmen. Hinzuzuziehen sind allgemeine B e wertungsmaßstäbe, die über den zu beurteilenden Rechtsfall hinaus Bedeutung für die Bestimmung offener Wertungsfragen haben. 2 2 Die Abhängigkeit von allgemeinen Wertungen der Rechtsordnung ist kein Anlaß, die Konkretisierung von Generalklauseln als irrationale Dezision anzusehen. Ungeeignet für die Rechtsgewinnung ist deshalb beispielsweise23 das insbesondere von Viehweg propagierte »besondere Verfahren der Problemerörterung«, der Topikansatz. 24 Er hält eine gerechte Rechtsgewinnung durch Ableitung aus den Normen der geltenden Rechtsordnung für unzureichend. Vielmehr sei - losgelöst vom Rechtssystem - auf Topoi im Sinne von »vielseitig verwendbaren, überall annehmbaren Gesichtspunkten, die im Für und Wider des Meinungsmäßigen gebraucht werden«, 25 zurückzugreifen. Die Topoi seien nicht aus der Rechtsordnung zu gewinnen, sondern in einem zweistufigen Verfahren. Auf der ersten Stufe seien »mehr oder weniger zufällige Gesichtspunkte in beliebiger Auswahl versuchsweise« aufzugreifen, während auf der zweiten ein »Repertoire von Gesichtspunkten« herangezogen werden könne, das in sogenannten Topoikatalogen unter einer bestimmten äu21 Weber, AcP 192 (1992), 516,526: »Hiergegen setzt die moderne Lehre in diesem Slalomkurs zwischen der Scylla absoluter Generalklauselverdammung und der Charybdis überschwenglicher Generalklausellobpreisung als Programm die Konkretisierung der Generalklauseln.« 22 Vgl. Henkel, Einführung, S.314; Reinhardt!König, Richter, S. 17ff. 23 Zu ähnlichen Betrachtungsweisen Larenz, Methodenlehre, S. 148ff. 24 Viehweg, Topik, passim, insbes. S. 31 ff.; ähnlich Struck, Jurisprudenz, passim, der auf S.20ff. einen Topoikatalog mit 64 Gesichtspunkten aufstellt; vgl. das 5. Kapitel (S.219ff.). 25 Viehweg, Topik, S. 10.
7. Kapitel: Generalklauseln
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flexibles
System
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ßeren Ordnung, insbesondere alphabetisch, gesammelt sei, aber keinen inneren Zusammenhang, kein System aufzuweisen habe. 26 Würden die zufällig gefundenen Gesichtspunkte allgemein gebilligt, könnten mit ihnen juristische Fragen »gerecht« bewältigt werden. Als Legitimation dient der Topik der »consensus omnium« oder die »communis opinio«; »die Diskussion bleibt die einzige Kontrollinstanz.« 27 Unabhängig davon, daß Topik nicht erklären kann, warum dieser und nicht jener Gesichtspunkt zu einem gerechten Ergebnis führen soll, und unabhängig von der Frage der Relationsbestimmung der Topoi 28 übersieht und verkennt dieser methodische Ansatz Rolle und Tragweite der Rechtsordnung. Die Rechtsordnung (allenfalls) als beliebigen Topos unter Topoi zu sehen, 29 verkennt den gesetzlichen Verbindlichkeitscharakter. Recht resultiert nicht aus einer Diskussion beliebig zusammengewürfelter Argumente. Die Verbindlichkeit eines Gesichtspunktes ergibt sich aus objektivem Recht; Rechtsprechung ist an Recht und Gesetz gebunden. Die positiv-rechtliche Entscheidung der Legislative ist von der Judikatur zu akzeptieren. Die Topoi-Lehre, die ihre Leitlinien aus anderen Quellen als aus Verfassung oder Gesetz gewinnt, ist deshalb auf Ablehnung gestoßen. 30 Das heißt nicht, daß Rechtsanwendung als abwägungsfreier Raum anzusehen wäre. Angezeigt ist eine Art »Mittelweg« zwischen Begriffsjurisprudenz und Topik. Das Verdienst der Begriffsjurisprudenz war die Ausarbeitung eines abstrakt-begrifflichen Systems, das es ermöglicht hat, konkrete Sachverhalte unter die gesetzlichen Tatbestände zu subsumieren und so die Rechtslage zu bestimmen, während die Topiklehre auf das Erfordernis der Zusammenstellung aller fallrelevanten Aspekte aufmerksam gemacht hat. Vorrangig ist der Ansatz der Wertungsjurisprudenz. Auf die topische Methode kann gegebenenfalls dann zurückgegriffen werden, wenn die Systembildung der Wertungsjurisprudenz versagt. 31 Rechtsanwendung meint - gerade im Bereich der Generalklauseln - »dem Wesen nach A n w e n d u n g der gesetzlichen Wertungen.« 3 2 Dabei sind die Wertmaßstäbe nicht von Fall zu Fall neu zu entwickeln oder zu variieren; einem solchen Ansatz steht bereits der Rechtssicherheitsaspekt entgegen. 33 Wertung meint keinen Willkürakt, sondern bezeichnet - richtig verstanden - einen rational nachvollziehbaren und damit (bis zu einem gewissen Grad) nachprüfbaren Vorgang. Wertungsjurisprudenz ermöglicht nicht eine beliebige Zusammenstellung und Auswahl der Maßstäbe. Leitlinie hat die gesetzlich ausgedrückte, angedeutete oder angestrebte Wertungsstruktur zu sein. Es ist der in und mit der Rechtssatzkonstitution vollzogene legislative Wertungsakt zu berücksichtigen. Dabei ist zu beachten, daß die gesetzgeberischen A k t e das Resultat eines steten Ringens unterschiedlicher (politischer) Kräfte darstellen. Die f ü r die gesetzlichen Entscheidungen maßgeblichen Wertungen sind häufig von antagonistischen Interessen beeinflußt. Diese situative, politisch-historisch bedingte Konkretisierung der GerechtigViehweg, Topik, S. 18ff., 35ff. Viehweg, Topik, S.24. 28 Schlüchter, Mittlerfunktion, S. 11; Wank, Grenzen, S.53. 29 Vgl. Müller, Normstruktur, S.59. 30 So bei Alexy, Argumentation, S.39ff.; Bydlinski, Methodenlehre, S. 141 ff.; Diederichsen, NJW 1966,697ff.; Dreier, Recht, S. 116f.; Larenz, Methodenlehre, S. 147; Weinherger, Rechtslogik, S.400; Zippelius, NJW 1967, 2229ff. 31 Gegen einen »methodischen Monismus« Simitis, AcP 1972 (1972), 131, 148. 32 Westermann, Wesen, S. 21. 33 Larenz, Methodenlehre, S. 121. 26 27
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3. Teil: Inhaltskontrolle
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Generalklauseln
keitsidee ist für die Rechtsanwendung zu akzeptieren. 3 4 Das zeigt sich anschaulich im Arbeitsrecht, bei dem sich die Interessen von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite gegenüberstehen und die gesetzlichen Eckwerte von politischen M e h r heitsverhältnissen abhängen, so daß unter Umständen bei anderen politischen Strukturen die entscheidenden Nuancen anders gesetzt worden wären. 3 5 Gesetzgeberische Wertentscheidungen sind hinzunehmen. D e r Inbegriff aller eine Rechtsordnung tragenden Grundwertungen drückt die materiale Gerechtigkeit aus, wie diese in der jeweiligen positiven Rechtsordnung verstanden wird. Materiale Gerechtigkeitserwägungen, zumal wenn sie auf einen Einzelfall Bezug nehmen, können per se ein dem Rechtssystem inhärentes und aus diesem abzuleitendes Ergebnis nicht ins Gegenteil verkehren. 3 6 Diese Determination der Rechtsordnung durch gesetztes Recht und damit ausgedrückte Tendenzwertungen besagt aber nicht, daß sich die Wertungsjurisprudenz in einem entwicklungsbezogenen geschlossenen System bewegt. Offenheit und Modifizierbarkeit resultieren aus der ständigen Veränderung der Privatrechtsordnung. Das Rechtssystem gibt ad hoc den derzeitigen Stand des Wissens wieder und ist offen für neue Erkenntnisse. Dies gilt zum einen für wissenschaftliche Fortschritte. Gerade das Zivilrecht ist seit seinem Entstehen durch mannigfaltige neue Entwicklungen geprägt worden. 3 7 So hat sich beispielsweise vor allem bei der Rechtsscheinhaftung und der culpa in contrahendo der Vertrauensgrundsatz etabliert 3 8 oder hat durch Nebengesetze wie das V e r b r K r G , H a u s T W G die Idee des Verbraucherschutzes Eingang in die Rechtsordnung gefunden. 3 9 D i e Wandelbarkeit der Rechtsordnung zeigt sich nicht nur am wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn und dessen gesetzlicher Umsetzung oder Anerkennung en détail, hinzu k o m m t die Möglichkeit, daß sich die das geltende Recht tragenden, nicht notwendigerweise ausdrücklich (einfachgesetzlich) manifestierten Grundwertungen wandeln, wobei sich beide Entwicklungsformen überschneiden und wechselseitig beeinflussen können. D i e Wertungspalette ist folglich nicht statisch, sondern potentiell dynamisch. 4 0 Willkürliche, den Bewertungspräferenzen des jeweiligen Gerichts überlassene Konfliktlösungen lassen sich vermeiden, wenn die (derzeit) geltenden Bewertungsmaßstäbe mit hinreichender Deutlichkeit herausgearbeitet werden. Eine Analyse und Systematisierung der Maßstäbe zur Ausfüllung offener Tatbestände ist nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, sondern für die Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der Rechtsprechung notwendig. Aufgeworfen ist damit die
Vgl. Preis, Prinzipien, S. 32f., m. weit. Nachw. Krawietz, Recht, S.179; Preis, Prinzipien, S. 32. 36 Außergesetzliche Kriterien finden unter Umständen ausnahmsweise Eingang in die Rechtsordnung im Wege der Rechtsfortbildung unter den hierfür erforderlichen engen Voraussetzungen; vgl. das 3. Kapitel (S.69ff., 126ff.). 37 Allgemein Canaris, Systemdenken, S. 61 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, §27. 38 Siehe nur Canaris, Vertrauenshaftung, S. 411 ff., 491 ff. 39 Vgl. das 4. Kapitel (S.148ff., 161 ff.). 40 Canaris, Systemdenken, S. 63; vgl. auch Krawietz, Recht, S. 33f.; Wank, Grenzen, S. 74f. 34 35
7. Kapitel: Generalklauseln
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flexibles
System
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Frage nach den Konkretisierungskriterien von Generalklauseln aus heutiger Perspektive. Aus dem Blickwinkel der Wertungsjurisprudenz sind - trotz grundsätzlicher Kritik an methodischen Festlegungen und daraus abgeleiteten Ergebnissen41 - verschiedene Ansätze zu trennen. Die Grenzen des dogmatischen Denkens und der methodischen Überlegungen ändern nichts an der Aufgabe der Rechtswissenschaft, nachvollziehbare und überzeugende Wege für eine in gewissem Rahmen voraussehbare und damit rechtssichere Ausfüllung von Generalklauseln aufzuzeigen. Die einzelnen Ansätze einer methodischen Vorgehensweise sind deshalb auf ihre Tauglichkeit zur Konkretisierung von Generalklauseln zu untersuchen. 2. Methodische Vorgehensweise a)
Fallgruppenbildung
U m vergleichbare Maßstäbe für die Anwendung der Generalklauseln zur Vertragskontrolle zu erlangen, wird vor allem in der Rechtsprechung und der Kommentarliteratur die Methode der Fallgruppenbildung verwendet. 42 Dabei wird die zu den einzelnen Generalklauseln ergangene Rechtsprechung systematisch geordnet und zu Fallgruppen zusammengefaßt. Diese Methode geht induktiv von den entschiedenen Sachverhalten aus: Die Generalklausel gewinnt inhaltliche Präzisierung nach und nach mit stetiger Anwendung durch die Gerichte, wobei eine Mehrzahl vergleichbarer Entscheidungen einem ausfüllungsbedürftigen Tatbestand Konturen verleiht und diese wiederum die maßgeblichen Anhaltspunkte für weitere Entscheidungen bilden, indem eine neue Sachverhaltskonstellation mit den bestehenden Fallgruppen verglichen wird. 43 So verdienstvoll die Gruppenbildung für die praktische Handhabung sein mag, eine derartige Systematisierung ist nur bedingt in der Lage, unbekannte Problemfelder zu erfassen und neuen Entwicklungen (auf tatsächlicher wie auf rechtlicher Ebene) gerecht zu werden. Die Vergleichsmethode stößt nicht nur bei atypischen Fällen an ihre Grenze, sondern auch dann, wenn aufgrund eines Wertewandels die Aussagekraft der Vergleichsfälle nachläßt und neue Maßstäbe anzulegen sind. Fallgruppen stellen kein umfassendes Profil der Generalklausel dar; Generalklauseln können auf Grund ihrer Vielschichtigkeit und inhaltlichen Wandelbarkeit durch Präjudizien nicht abschließend beschrieben werden. Die Fallgruppenbildung verkörpert ein Hilfsmittel zur Konkretisierung der offenen Vertragskontrollgruppen, indem sie Vergleichsfälle zur Verfügung stellt mehr aber auch nicht. Eine Analyse der maßgeblichen mit der jeweiligen General41 Esser, AcP 172 (1972), 97ff.; ders., Vorverständnis, S. 7ff. Zur antidogmatischen Sichtweise der Freirechtsschule Bydlinski, Methodenlehre, S. 152ff. 42 Vgl. nur Palandt! Heinrichs, § 138 Rn.25ff., 77ff., §242 Rn.42ff., 135ff., §315 Rn.8f.; Erman/Brox, §138 Rn.56ff.; Erman/Wemer, §242 Rn.59ff., 99ff., 181 ff.; Erman!Battes, §315 Rn. 17. 43 Franzen, Jahrbuch, S. 285, 299; Larenz, J Z 1962, 105, 106; Leenen, Typus, S. 67.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
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Generalklauseln
klausel ausgedrückten Wertungen vermag sie nicht zu ersetzen. Entscheidend sind die klauselspezifischen Wertungen. Sie und nicht die entschiedenen Fälle geben den Maßstab für die Beurteilung des Falles vor. Gleichwohl wird durch die Konkretisierung des offenen Tatbestandes im Einzelfall der abstrakte Maßstab seinerseits ausgebildet. Vergleichsfälle und Richtpunkte beeinflussen einander wechselseitig. 4 4 b)
Typenlehre
Ahnlich liegt es bei der Typenbildung. D e r häufig erörterte und in vielfältigen Schattierungen verwendete »Typus« 4 5 vermag zur Rechtspräzisierung im hier interessierenden Zusammenhang beizutragen, wenn der Vergleich zwischen den Fällen, die zweifelsfrei von der entsprechenden Generalklausel erfaßt sind, und den zur Entscheidung gestellten mit der Terminologie »Typenvergleich« belegt wird. 4 6 Eine Analyse der typischen Fälle, verknüpft mit einer Segmentierung der relevanten einzelnen Merkmale, bietet eine Entscheidungshilfe für den Einzelfall. Das ist unbestritten. Zwar gleicht kein Sachverhalt dem anderen in jeder Hinsicht, es ähneln sich aber doch einzelne Fälle in bestimmten Zügen. J e mehr und je ausgeprägter die Elemente korrespondieren, desto eher sind die Konstellationen gleich zu behandeln. Tendiert die Fallgruppenbildung zu einer Gesamtbeurteilung, eröffnet der Typenvergleich als methodologisches Instrument ein feineres Raster, um neu auftretende Problemsituationen einzuordnen und mit zweifelsfrei von der jeweiligen Generalklausel erfaßten Fällen abzugleichen. Von den mit der generell-abstrakten Kontrollvorschrift ausgedrückten Maßstäben wird auf einzelne Fälle geschlossen, von diesen werden einzelne typische Merkmale spezifiziert, die im Vergleich mit anderen Sachverhalten den R ü c k s c h l u ß auf das allgemeine Prinzip erleichtern sollen. Eine derart verstandene Typisierung vereinfacht eine Eingrenzung eines offenen Begriffs und bringt Fortschritte in bezug auf eine voraussehbare Demarkation von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle. Ist eine eindeutige Subsumtion nicht gewährleistet, kann gegebenenfalls ein typologisches Vorgehen den U m g a n g mit einer Generalklausel zur inhaltsbezogenen Vertragskontrolle erleichtern. Larenz, Methodenlehre, S.288ff. Uberblick bei Bydlinski, Methodenlehre, S. 543ff.; im einzelnen, jeweils aus unterschiedlichen Blickwinkeln, Koller, Grundfragen einer Typenlehre; Kuhlen, Typuskonzeptionen; Leenen, Typus und Rechtsfindung; Ott, Problematik einer Typologie; Zippelius, Festschrift für Engisch, S.224ff. Wenig hilfreich ist insbesondere die Differenzierung zwischen klassifikatorischem und Typus-Begriff. Will man ersterer Bezeichnung ein derart festgelegtes Element zuordnen, daß die Subsumtion die Existenz sämtlicher Merkmale erfordert, während letztere eine derart allgemeine, abstufbare Beschreibung darstellt, daß es nicht auf die Realisierung sämtlicher Tatbestände, sondern einer Existenz von typischen Merkmalen in solcher Zahl und Stärke ankommt, daß der Sachverhalt insgesamt dem Typus entspricht, führt das nicht nur zu Abgrenzungsschwierigkeiten beider Begrifflichkeiten, sondern auch (zumindest) zu Überschneidungen mit der teleologischen Auslegung. 4 6 In diese Richtung Bydlinski, Methodenlehre, S. 548ff.; Larenz, Methodenlehre, S.292f.; Zippelius, Jahrbuch, S.482, 485ff. 44
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7. Kapitel: Generalklauseln
und flexibles System
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Typologisches Vorgehen besagt aber nur, daß Konstellationen, die den bisher herausgearbeiteten typischen Merkmalen entsprechen, in der Regel der Begrifflichkeit der Kontrollnorm zuzuordnen sind. Möglich bleibt, daß die Existenz zusätzlicher Elemente, die die typischen unter Umständen konterkarieren, gleichwohl dazu führen kann, daß die Subsumtion negativ ausfallen muß. Ungeklärt sind außerdem die Sachverhalte, die den typischen Begriffsmerkmalen nicht genügen. In diesen Varianten ist die Vagheit des Tatbestandes durch ein typologisches Vorgehen nicht zu bewältigen. Der Rekurs auf typische Einzelelemente versagt bei atypischen Sachverhalten.47 Ein Typenvergleich wird zudem der Evolution der Rechtsordnung nicht gerecht; auf einen Wandel des Wertbewußtseins kann er nicht oder jedenfalls nicht rasch genug reagieren. Dementsprechend ist festzustellen: Methodologisches typologisches Denken vermag zwar gegebenenfalls wertvolle Aufschlüsse für die Konkretisierung zu geben, die Wertungsanalyse aber nicht zu ersetzen. c)
Wertungsanalyse
aa)
Grundstruktur
Im Grundsatz ist an der sogenannten Wertungsjurisprudenz als Konkretisierungsmittel festzuhalten. Wertung läßt sich dabei weder auf eine logische Kategorie des Urteilens reduzieren48 noch extensiv als in erster Linie sozial determinierte Methode begreifen,49 die zur Bewältigung offener Wertungsfragen auf Vorstellungen verweist, die in der Gesellschaft von allgemeinem Konsens getragen sind. Letztere, gelegentlich in der Rechtsprechung des BAG 50 anklingende Interpretation des Wertungsansatzes stellt jedenfalls keinen primären Anknüpfungspunkt dar. Das ergibt sich aus der Unsicherheit der Fixierung und Standardisierung einer gesellschaftlichen Anerkennung. Richtige Ansätze rekrutieren sich nicht stets aus Mehrheitsvoten; Recht dient gegebenenfalls dem Minderheitenschutz. Außerdem läßt sich bei vielen umstrittenen (gesellschaftspolitischen) Fragen, bei denen sowohl für die eine wie die andere rechtliche Vorgehensweise gute Argumente streiten, ein gesellschaftlicher Konsens schwerlich eruieren.51 Offene Wertungsfragen sind vorrangig anhand der Rechtsordnung zu konkretisieren. Dies erlaubt einen vorhersehbaren rechtssicheren und kontrollierbaren Umgang mit Generalklauseln. Bereits Jhering hat auf die Entscheidungsprärogative des Gesetzgebers hingewiesen.52 Die parlamentarische Rechtssetzung ist demokratisch legitimiert und drückt abstrakt den Willen der Wähler aus. Die Rechtsordnung stellt sich insoweit als Ergebnis des Ausgleichs divergierender Interessen dar, das ad hoc als zutreffend aufgefaßt wird. So läßt sich aus dem jeweils aktuel47 48 49 50 51 52
Larenz, Methodenlehre, S. 293. Ablehnend Krawietz, Recht, S. 78. Dagegen ebenfalls Alexy, Argumentation, S.27ff. Vgl. z.B. BAG DB 1984, 1627f.; BAGE 40, 361, 370. Kriele, Theorie, S. 151 f. Jhering, Geist, S.358ff.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
len Normgefüge der Stellenwert der (formalen) Vertragsfreiheit im Verhältnis zur (materialen) Vertragskontrolle erschließen. Das besagt aber nicht, daß nicht in Ausnahmefällen, wo dieses System versagt, subsidiär auf außergesetzliche, moralische, ethische und ähnliche Faktoren zurückgegriffen werden kann. Dies bleibt allerdings auf Sonderfälle beschränkt, bei denen der Rechtsordnung eine anwendbare Wertung nicht entnommen werden kann. Der Grundsatz ist trotz allen methodentheoretischen Streits und trotz vielfältiger Meinungsnuancen im Detail die objektiv-normative Wertungsjurisprudenz. Sie gewährleistet eine auf rationaler Argumentation beruhende Vorgehensweise.53 Zunächst ist zu fragen, ob die fragliche Norm eine Tatbestandsbeschreibung enthält, unter die sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt subsumieren läßt. Ist der Normtext per se für die zur Beurteilung gestellte Konstellation nicht aussagekräftig, ist über den Normtext hinaus auf weitere Zusammenhänge zurückzugreifen und so eine vertiefte Problemdiskussion sicherzustellen. So ist - insoweit dem Subsumtionsmodell der Interessenjurisprudenz folgend - herauszuarbeiten, welche Interessenkonflikte der Gesetzgeber mit der einschlägigen Vorschrift regeln wollte. In einem nächsten Schritt folgt die Wertungsanalyse: Das positive Recht ist als Ausprägung einer Wertordnung zu erfassen, die ihrerseits ein Spiegelbild des gesetzten Rechts darstellt. Objektivität der Wertungsjurisprudenz meint zweierlei: zum einen einen (möglichst weitgehend) rationalen, nachvollziehbaren, rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Wertungsvorgang, zum anderen das Offenlegen der Wertungen. Dies genügt den Grundsätzen der Methodenklarheit sowie -ehrlichkeit und wird - im Bereich des Möglichen - den Anforderungen an die Jurisprudenz als praktischer Wissenschaft gerecht, deren Ergebnisse von der Judikatur gegebenenfalls umzusetzen sind. bb)
Vorgehensweise
Rechtsstaatlichkeit erfordert nicht nur die klare Benennung der zur Normkonkretisierung herangezogenen Kriterien. Auch die juristische Qualität der Einzelmomente ist aufzudecken und so präzise wie möglich aufzufächern. Pauschale Wertungen verbieten sich. Die einzelnen Schritte des Entscheidungsvorganges sind anhand möglichst objektiver Grundsätze ebenso deutlich zu machen wie die verwendeten Maßstäbe. Eine objektiv-normative Wertungsjurisprudenz vermag es weitgehend sicherzustellen, daß die Generalklauseln nicht »mit den weltanschaulich geprägten Vorverständnissen der Anwender gefüllt« 54 werden. Notwendigerweise sind deshalb die Entscheidungsfaktoren zu strukturieren. Die Anknüpfungspunkte geben die als Generalklauseln formulierten Vertragskontrollnormen bzw. die als Generalklauseln ausgeformten richterrechtlichen Vertragskontrollinstitute vor. Insoweit verdient der vor allem von Friedrich Müller vertre-
53 In der allgemeinen Grundaussage h. M., vgl. Pawlowski, Einführung, Rn. 104ff., 164ff., 192ff.; Canaris, Systemdenken, S.43ff.; Müller, Methodik, Rn.269ff. 54 Rüthers, NJW 1998, 1433.
7. Kapitel: Generalklauseln
und flexibles System
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tene Ansatz in begrenztem Maß Anerkennung:55 Der Wortlaut der einzelnen Generalklauseln gibt den »Rahmen« des Rechtsgewinnungsvorganges an.56 Zu weit geht es, darüber hinaus die Konkretisierung als originäre Rechtserzeugung zu begreifen. Müller spricht dem Normtext selbst Normativität ab und stellt die Fallentscheidung in den Vordergrund. Das Gericht erarbeite, von Normtext und Sachverhalt ausgehend, eine allgemeine, den Fall typologisch betreffende Rechtsnorm, die es gezielt auf den Sachverhalt hin präzisiere und dadurch zur »Entscheidungsnorm« individualisiere. Konkretisierung einer Generalklausel sei das Erschaffen einer vorher nicht existenten allgemeinen Rechtsnorm.57 So liegt es nicht; der normative Ausgangs- und Endpunkt58 bleibt die Generalklausel. Die Konkretisierung ist hermeneutisch ausgerichtet, das heißt auf den Nachvollzug legislatorischer Wertungen, regelmäßig objektiv determinierter, in der Rechtsordnung ausgedrückter Faktoren angelegt. Die im Rechtssystem ausgedrückten Einstellungen dienen der Auslegung der allgemeinen inhaltsbezogenen Vertragskontrollnormen im Rahmen ihrer Zielsetzung. Nicht nur dort, wo das Verfahren der Konkretisierung einem weitgehend wertungsfreien Umsetzungsakt, reduziert auf ein rechtslogisches Schlußverfahren, entspricht, wie es beispielsweise bei quantifizierbaren, numerisch bestimmten Normtexten häufig der Fall ist, kann von Rechtsanwendung gesprochen werden. Auch bei unbestimmten Rechtsbegriffen muß die Rechtsnorm nicht erst geschaffen werden; Fallentscheidung wird vom geltenden Recht legitimiert. Gesetzliche wie außergesetzliche Generalklauseln werden durch Berücksichtigung sachlich aufschlußreicher Normen, rationes legis, Prinzipien, geschriebene und ungeschriebene Grundsätze der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechtsordnung ausgefüllt.59 Sämtliche sachlich aufschlußreichen rechtlichen Gesichtspunkte und Wertungen sind heranzuziehen. Subsidiär zu den rechtlichen Anknüpfungspunkten ist auf die sozialethischen Uberzeugungen und Verhaltensregeln abzustellen. Auch wenn diese keine zureichend bestimmte Entscheidungsgrundlage ergeben, hat das Gericht eine Entscheidung zu treffen. 55 Müller, Methodik, Rn. 274ff. Siehe auch Fikentschers Lehre von den Fallnormen, nach der das objektive Recht nicht in Paragraphen, Rechtsinstituten und Lehrsätzen besteht, sondern in der »Summe aer Fallnormen« (Methoden IV, S.218), die jedem »zu entscheidenden Fall als ihn entscheidende Norm eine Norm gegenüberstellt, die auf jeden unter Gerechtigkeitsanforderungen entscheidungserheblichen Sachumstand ein Tatbestandsmerkmal zupaßt,« Methoden IV, S. 186; zum Ganzen Fikentscher, Methoden IV, S. 129ff. 56 Müller, Methodik, Rn. 276. 57 Müller, Methodik, Rn. 274ff., 274: »Rechtswissenschaft in diesem Sinn ist Rechtserzeugarcgsreflexion, nicht Rechtfertigungskunde im Sinn des Legitimierens von Text»aus«legung« (Hervorhebung im Original); Rn.276: »..., hat unumgänglich den Charakter normtextorientierter Rechtsnormschöpfung.« Vgl. auch Luhmann, Rechtssoziologie, S.404f.: »Die Norm wird durch ihre Anwendung überhaupt erst erzeugt...«. 58 Anders Müller, Methodik, Rn. 279, der die Rechtsnorm als »Zwischenergebnis«, die am Einzelfall destillierte Rechtsnormschöpfung als normatives und ausschlaggebendes »Endresultat« auffaßt. 59 Vgl. Canaris, Systemdenken, S.147f.; Larenz, Recht, S. 179ff.; ders., Methodenlehre, S. 288ff.; Bydlinski, Methodenlehre, S. 582ff.; unentschieden Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 79.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
Die materielle Entscheidungspflicht beruht auf dem Zusammenspiel von Justizgewährungsanspruch und Rechtsverweigerungsverbot. Der verfassungsrechtlich verankerte 60 Justizgewährleistungsanspruch verkörpert als Korrelat des staatlichen Justizmonopols das Recht des Bürgers auf Rechtsschutz durch den Staat, auf den der Bürger - von Ausnahmen (§§227ff., 859ff. BGB) abgesehen - zur Rechtsrealisation angewiesen ist. Nur durch eine gerichtliche Entscheidung sind innerer Friede und die Verwirklichung einer objektiven Rechtsordnung gewährleistet. Die gerichtliche Entscheidung hat einen materiell streitbeilegenden Gehalt aufzuweisen. Ein bloß aufschiebendes, streitverzögerndes Urteil, beispielsweise im Sinne des »sibi non liquere« des klassischen römischen Prozeßrechts, 61 genügt zwar dem Justizgewährungsanspruch, in der Sache aber nicht dem Rechtsverweigerungsverbot.62 Deskriptive Entscheidungen werden dem Gebot streitbehebender Rechtsprechung nicht gerecht. Das Rechtsverweigerungsverbot ist im Kontext mit dem der Justizgewährungspflicht inhärenten Recht auf effektiven Rechtsschutz zu sehen.63 Die Existenz einer gerichtlichen Entscheidung ist für sich nicht ausreichend; erforderlich ist ein rechtskraftfähiges und damit streitbeilegendes Urteil. Auch dann, wenn dem Gericht kein aussagekräftiges Konkretisierungsmaterial zur Inhaltsbestimmung einer Generalklausel zu Verfügung steht, hat es in der Sache zu entscheiden. Insoweit ist den Gerichten in beschränktem R a h m e n eine »richterliche Eigenwertung« 6 4 zuzugestehen, aus der sie eine Präzisierung der Generalklauseln ableiten. 6 5 Diese Präjudizien bilden nun ihrerseits Anhaltspunkte für die Konkretisierung, so daß sich nach und nach eine Wertungsebene herauskristallisiert, die gegebenenfalls ihrerseits - losgelöst v o m Präjudizienrecht - z u m vorhersehbaren und berechenbaren Maßstab der Konkretisierung einer Generalklausel zu werden vermag. Konkretisierung, insbesondere eine unter Umständen auf aktuelle E n t wicklungen reagierende Neuorientierung, wird begrenzt durch die Rechtssetzungsprärogative der Legislative. Ein etwaiger Funktionswandel der unbestimmt gefaßten K o n t r o l l n o r m m u ß sich in den R a h m e n der Generalklausel und in das Gefüge der Gesamtrechtsordnung einfügen. 6 6 D i e (Neu-)Konkretisierung darf sich nicht in Widerspruch zur Rechtsordnung setzen, sondern hat sich vielmehr als deren konsequente Folge darzustellen. Generalklauseln ist insofern eine » E n t wicklungsfunktion« 6 7 zuzusprechen. Daneben drücken U m g a n g mit und Aus-
60 Über das Ergebnis besteht Einigkeit, streitig ist die konkrete Verortung; vertreten wird u.a. eine Ableitung aus Grundrechten (BVerfGE 35, 348, 360ff.; 24, 367, 401 f.), dem Rechtsstaatsprinzip (Bötticher, ZZP 75 (1962), 28,43 f.), Art. 101 Abs.l S.2GG (Schwab, ZZP81 (1968),412, 417; BVerfGE 3, 359, 364), Art. 103 Abs. 1 GG (Baur, AcP 153 (1954), 393,396; Habscheid, ZZP 96 (1983), 306f.) oder auch aus Art. 6 MRK (Schwab, ZZP 81 (1968), 412, 417). 61 Musielak, Grundlagen, S. 199; Käser, Zivilprozeßrecht, S. 88,284; Simon, Untersuchungen, S. 141. 62 Während beispielsweise in Frankreich (Art. 4 C.c.) das Rechtsverweigerungsverbot gesetzlich fixiert ist, wird im deutschen Recht mangels ausdrücklicher Regelung diskutiert, ob es auf Gewohnheitsrecht beruht (Schumann, ZZP 81 (1968), 79, 91, 101) oder auf den Justizgewährungsanspruch zurückzuführen ist (Gottwald, Jura 1980, 225). 63 Vgl. Bethge, NJW 1982, lff.; Habscheid, ZZP 96 (1983), 306f.; Kloepfer, JZ 1979, 209, 211. 64 Bydlinski, Methodenlehre, S. 583. 65 Vgl. zur richterlichen Gestaltungsmacht Hager, Auslegung, S. 197ff. 66 Vgl. Mayer-Maly, JZ 1981, 801, 803. 67 Deutsch, JZ 1963, 385, 389.
7. Kapitel: Generalklauseln
und flexibles System
329
formung von unbestimmten Termini den Wertungswandel der Rechtsordnung aus. Ihre Handhabung zeigt vergleichbar einem Seismographen die Tendenz der Entwicklung der Privatrechtsgesellschaft auf. Das äußert sich deutlich im maßgeblich von Generalklauseln geprägten Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle. Der Stellenwert von Freiheit und Eigenverantwortung einerseits sowie von staatlicher Aufsicht und Beeinflussung andererseits kommt in wertungsoffenen, flexiblen und aktuellen Strömungen unterworfenen Tatbeständen zum Tragen. cc)
Maßstab
Rechtssicherheit, wertungsmäßige Folgerichtigkeit und die Wahrung der Einheit der Rechtsordnung68 bedingen eine Offenlegung der maßgeblichen Konkretisierungsgrundsätze. In Betracht kommen mannigfaltige Überlegungen, die diesen von Canaris69 als axiologisch-teleologisches, von Larenz70 als inneres System bezeichneten Vorgang beeinflussen. Zwei sich wechselseitig ergänzende grundsätzliche Systematisierungsansätze71 lassen sich unterscheiden: zum einen die der jeweils einschlägigen Vorschrift sowie ihrem Sinn und Zweck zu entnehmenden, sogenannten normbezogenen oder normimmanenten Grundaussagen, zum anderen allgemeine klauselunabhängige Maßstäbe. Die einzelnen Konkretisierungsfaktoren sind für die Anwendung von Generalklauseln zur Vertragskontrolle von ausschlaggebender Bedeutung. Sie geben den Maßstab vor. Zu unterscheiden sind also zwei Gruppen von Wertungselementen: zum einen die allgemeinen Wertungen, die bei sämtlichen offenen Tatbeständen zur Anwendung kommen, zum anderen die speziellen Wertungselemente, die einen besonderen Kontrolltatbestand strukturieren.
III. Wertungsfaktoren und Konkretisierungselemente 1. Formale und materiale Rechtsprinzipien Die Rechtsordnung drückt in und mit der Fülle der normativen Einzelwertungen inzident allgemeine Grundgedanken aus. Diese regelmäßig rechtsethischen Werte finden ihre Komplementärerscheinungen in den Rechtsprinzipien.72 So steht dem ethischen Wert der persönlichen Freiheit in der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung sein Pendant gegenüber. Rechtsprinzipien stehen zwischen Begriffen Ausführlich Felix, Einheit, S. 1 ff., 142 ff. Canaris, Feststellung, S.93ff.; ders., Systemdenken, S.40ff. 70 Larenz, Methodenlehre, S. 474ff. 71 Vgl. Esser, Grundsatz, S. 6ff. 72 Canaris, Systemdenken, S. 52: »Alles in allem handelt es sich ... um eine Frage ... des Blickwinkels; ein System teleologischer Begriffe, rechtlicher Institute oder oberster Werte müßte einem System von Prinzipien jedenfalls sehr stark ähneln, eines müßte sich weitgehend, wenn auch nicht vollständig, in das andere umformulieren lassen.« 68 69
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
und Rechtsinstituten einerseits und bloßen ethischen Wertungen andererseits, indem sie die Werte in ihren juristischen Zusammenhang stellen, ohne sie durch N o r m - oder Institutsbildung axiomatisch-deduktiv detailliert auszuformen. Diese allgemeinen Grundgedanken der Rechtsordnung werden als materiale Rechtsprinzipien 7 3 bezeichnet. Materiale Rechtsprinzipien sind dadurch zu gewinnen, daß aus der Rechtsordnung deren Grundlagen und der die N o r m e n verbindende allgemeine Zusammenhang extrahiert werden. 7 4 Die zur Konkretisierung tauglichen materialen Prinzipien sind von den formalen Rechtsprinzipien abzugrenzen. Formale Prinzipien können nicht als Richtschnur für Auslegung oder K o n k r e tisierung fungieren. Ihnen liegt kein eigenständiger Wertmaßstab zugrunde; sie sind bloß technischer N a t u r und in ihrem Aussagegehalt neutral. Wie beispielsweise das Abstraktions- oder das Akzessorietätsprinzip beschreiben sie deklaratorisch den Zustand eines Teilrechtsgebietes, der sich aufgrund konstituierender Wertungen herausgebildet hat. D e r formale Charakter läßt eine Rechtsgewinnung allein aus diesen Grundsätzen nicht zu. 7 5 Materiale Prinzipien ermöglichen hingegen Determination wie Legitimation einer richterlichen Entscheidung, indem und weil sie die Wertordnung in rechtlich handhabbare F o r m e n transformieren.
2. E n t w i c k l u n g materialer R e c h t s p r i n z i p i e n Zu materialen Grundsätzen zählen die überpositiven, rechtsethischen Prinzipien, die häufig verfassungsrechtlich fundiert sind. Daneben ergeben sich Rechtsprinzipien aus dem einfachen Recht, indem aus der Gesamtrechtsordnung tragende Grundsätze oder aus speziellen Regelungskomplexen inhärente Subprinzipien für dieses Teilrechtsgebiet abgeleitet werden. A u f diese Weise wird sichergestellt, daß die materialen Rechtsprinzipien selbst präziser ausgeformt und näher beschrieben werden. A u c h die materialen Rechtsprinzipien können im Einzelfall näher bestimmt werden. So läßt sich das Rechtsstaatsprinzip in zahlreiche speziellere Grundsätze zerlegen. 7 6 A m Ende der Konkretisierungskette kann unter Umständen die konkrete N o r m stehen. Vorschrift und Prinzip können auf teilweise identischen Wertungen beruhen. Dieser Zusammenhang darf allerdings nicht dazu führen, daß mittels allgemeiner Rechtsprinzipien konkrete positivrechtliche Aussagen konterkariert werden. D e r Gesetzgeber kann seiner Rechtssetzungsprärogative folgend bestimmte Bereiche aus dem Geltungsbereich von Rechtsprinzipien ausnehmen oder für bestimmte Probleme das Ubergewicht einzelner Wertungselemente normieren. Maßstab ist dann die N o r m ; das allgemeine Prinzip kann gegebenenfalls im Zuge einer teleologischen Auslegung Relevanz
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Zur Prinzipiendiversifikation Esser, Grundsatz, S.73ff. Näher Canaris, Systemdenken, S. 46ff., m. weit. Nachw.
Canaris, Feststellung, S. 94 ff.
Larenz, Methodenlehre, S. 474ff.
7. Kapitel: Generalklauseln und flexibles System
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gewinnen. 7 7 Eine derartige Präklusion k o m m t nicht in Betracht, wenn die betreffende Vorschrift keine eindeutigen Anweisungen enthält, sondern - wie regelmäßig die generellen inhaltsbezogenen Vertragskontrollnormen - wertungsoffen formuliert ist. H i e r sind die Rechtsgedanken der Prinzipien in der Lage, Orientierungsleitlinien zu setzen.
3. Prinzipienvielfalt u n d flexibles S y s t e m Inhaltsdetermination durch Rechtsprinzipien meint also eine solche durch in der Rechtsordnung ausgedrückte materiale Grundhaltungen. Aus der engen Verknüpfung von ethischem Wert und rechtlichem Prinzip folgt, daß ebenso, wie sich Werte nicht puristisch durchsetzen lassen, sich auch Prinzipien überschneiden und möglicherweise zueinander in Widerspruch treten können. Man denke nur an die antagonistischen Zielsetzungen von Selbstverantwortung und sozialem Schutz, beispielsweise im Arbeits- oder Mietrecht. Vermögen Rechtsprinzipien sich gegenseitig zu begrenzen, so besteht ebenfalls die Möglichkeit, daß erst ihre gegenseitige Ergänzung, die Gesamtschau ihren Konkretisierungsgehalt ausdrückt. J e nach K o m b i n a t i o n und Gewicht bringen die Prinzipien variierende Gehalte zur Geltung. Es k o m m t im Einzelfall darauf an, ob ein Prinzip allein steht oder in welcher Rangfolge es im Zusammenspiel mit anderen die entscheidende Aussage prägt. Bei der Beurteilung einer Sachverhaltskonstellation spielen häufig mehrere Elemente eine tragende Rolle. Ist die Wirksamkeit einer Abrede zu beurteilen, so mag es sein, daß zugunsten der Wirksamkeit der Gedanke des Vertrauensschutzes spricht, dagegen gegebenenfalls besondere Schutzbelange. Erst die Kombination und der wechselseitige Ausgleich führen zu einem Ergebnis. Das Miteinander und Gegeneinander bewirkt einen Konkretisierungserfolg. 7 8 H i e r kann also das System des flexiblen Zusammenspiels von Wertungselementen fruchtbar gemacht werden. 7 9 M i t dem Rückgriff auf das flexible System steht zugleich fest, daß Prinzipien keine Ausschließlichkeitsfunktion z u k o m m t . Identische Schlüsse können sich aus dem einen oder anderen Prinzip gleichermaßen ergeben. Aus der Interdependenz und Allgemeinheit der Rechtsgrundsätze folgt zugleich ihre Offenheit für Durchbrechungen, Ausnahmen, sachgerechte Sonderregeln und aktuelle E n t wicklungen. Die allgemeinen Wertungsfaktoren, ermittelt aus der GesamtrechtsVgl. v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S.31f.; Preis, Prinzipien, S. 42f., m. weit. Nachw. In der Sache wohl insoweit einhellige Auffassung, wenn auch die Terminologie schwankt: Canaris spricht von Gegensätzen (Systemdenken, S. 115), Engisch (Einführung, S. 165f.) von Widersprüchen, Larenz (Methodenlehre, S. 474ff.) von einem Widerstreit. Ein Ausgleich zwischen verschiedenen Prinzipien ist der Rechtsordnung immanent und eine Gegenläufigkeit unbedenklich. Zu vermeiden sind echte Widersprüche; darunter ist ein Wertungsgegensatz zu verstehen, der per se die innere Folgerichtigkeit und Einheit der Rechtsordnung stört, vgl. Canaris, Systemdenken, S. 116ff. m. Beispielen. Um keinen derartigen Widerspruch handelt es sich z.B. bei der Vertragsfreiheit und der Vertragskontrolle. Vertragsfreiheit ist nicht absolut zu verstehen; ihr immanent ist eine rechtsethische Schranke. 79 Dazu näher im 5. Kapitel (S. 205ff.). 77 78
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J. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
Ordnung, formieren sich aufgrund der fortschreitenden wissenschaftlichen E r kenntnis, der Wandelbarkeit des Systems und gesetzgeberischer Tätigkeiten gegebenenfalls neu bzw. richten sich nuanciert anders aus. Die Komplexität der Konkretisierungselemente führt dazu, daß ein Prinzip für sich allein eine generelle inhaltsbezogene K o n t r o l l n o r m regelmäßig nicht ausfüllen wird. Variierende Kombinationen mit auf den einzelnen E b e n e n des Konkretisierungsvorganges unter Umständen unterschiedlichem Wertungsgewicht und möglicherweise mit von Kontrollinstitut zu Kontrollinstitut wechselnder Relevanz und Wertigkeit vermögen die Vagheit der inhaltsbezogenen Grenzen der Vertragsfreiheit nur beschränkt aufzuheben und die Konturen lediglich in einem gewissen R a h m e n schärfer zu zeichnen. Die Schwierigkeit, im Wege der Prinzipienanalyse unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln berechenbarer und anwendungsadäquater auszugestalten, beruht nicht allein auf der Existenz vielfältiger Prinzipien und Unterprinzipien sowie auf der großen Bandbreite möglicher Kombinationsvarianten. H i n z u tritt eine von Fall zu Fall schwankende Prinzipienrelation. Rechtsgrundsätze weisen nach dem Grad der Einschlägigkeit und je nach A r t des Widerparts eine variierende Wertigkeit auf. Eine Hierarchie der Prinzipien in der Weise, daß sich eine allgemeingültige Konkurrenzregelung aufstellen ließe, ist im flexiblen System nicht feststellbar. 8 0 Das rechtfertigt keine Beliebigkeit der Rechtsanwendung. Vielmehr besteht für eine konkrete Fragestellung ein bestimmtes Prinzipienverhältnis, in dessen R a h m e n abzuwägen ist. Konfliktsituationen sind dem Anforderungsprofil der Rechtsstaatlichkeit folgend dann zu bewältigen, wenn eine rationale Methode der Wertabwägung sichergestellt wird, die einerseits so flexibel ist, daß sie dem Variantenreichtum der Prinzipienkollisionen gerecht wird, andererseits aber derart rational ausgestaltet ist, daß die Entscheidungsfindung rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Gefordert ist ein K o m promiß zwischen starrer Rangfolge und einem orientierungslosen Nebeneinander der Prinzipien. Das bietet das flexible System. D i e geltende Rechtsordnung ist im wesentlichen durch eine abschließende Tatbestandsbildung gekennzeichnet. Gleichwohl bietet überall dort, w o de lege lata Generalklauseln anzutreffen sind, das offene und beweglich ausgeformte System eine maßgebliche Richtschnur zur Konkretisierung. 8 1 Bei der Entscheidung, ob eine Abrede sitten- oder die Geltendmachung eines Rechts treuwidrig ist, k o m m t es zur Abwägung jeweils variabler Bewertungsfaktoren, die für den Einzelfall in ein bestimmtes Verhältnis zu setzen sind. Eine rechtssatzähnliche Ausformung Einzelheiten, auch zur abstrakten Intensitätsreihung, im 5. Kapitel (S. 205ff., 216f.). Bei der Bezugnahme auf das von Wilburg ausgearbeitete Konzept ist zu berücksichtigen, daß dieses in erster Linie de lege ferenda ausgerichtet ist. Insofern sind seine Ausführungen de lege lata nicht in letzter Konsequenz treffend; gleiches gilt für die entsprechenden Literaturäußerungen. So z.B. de lege ferenda zum Verhältnis von Generalklauseln und beweglichem System i.S.v. Wilburg Canaris, Systemdenken, S. 81 ff. Hier geht es nicht darum, de lege ferenda bewegliche Komponenten in die Rechtsordnung zu installieren, sondern darum anhand eines auf die existierende Rechtsordnung zugeschnittenen Systems die Konkretisierung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln zu erleichtern. Um diese Unterschiede auch terminologisch auszudrücken, wird nicht die Bezeichnung bewegliches, sondern flexibles System gewählt. 80 81
7. Kapitel:
Generalklauseln
und flexibles System
333
hängt von einem falladäquaten und deshalb elastischen Zusammenwirken verschiedener rechtlicher Grundhaltungen ab. Das in Anlehnung an das von Wilburg (de lege ferenda) vor allem für das Schadensersatzrecht entwickelte und bereits näher beschriebene flexible System 82 leitet die Rechtsfolge »aus dem Zusammenwirken dieser Elemente je nach Zahl und Stärke« 83 ab. Die in die Abwägung einzustellenden Elemente stellen mithin keine absoluten, starren Komponenten dar, sondern »es entscheidet die Gesamtwirkung ihres variablen Spiels«. 84 Vergleichbare Bewertungsprinzipien sind in ihrem Ausgangspunkt abstrakt zu gewichten. Von diesem Punkt aus sind sie je nach betroffener Klausel und je nach Konstellation auf der Wertigkeitsskala verschiebbar, so daß jedem zu beurteilendem Fall ein punktuell abgeschlossenes und in seiner Proportionalität geklärtes Wertungskonglomerat zuordbar ist. Die Hierarchie der Einzelelemente orientiert sich an der jeweiligen Problemkonstellation. 85 Verschiedene Faktoren sind gegeneinander abzuwägen, wobei gegebenenfalls der eine den anderen ersetzen kann. Das flexible System bietet die Gewähr für einen rechtsstaatlichen Umgang mit offenen Tatbeständen. Getragen wird ein solches gleichermaßen flexibles wie offenes System von den Grundgedanken der Rechtsordnung und den speziellen Vorgaben der jeweiligen Vertragskontrollnorm, aus deren Wider-, Wechsel- und Zusammenspiel sich die Fülle der Einzelentscheidungen ergibt. 4. Allgemeine Grundwertungen und besondere Wertungsvorgaben Die allgemeinen Rechtsprinzipien können bei den einzelnen Vertragskontrollnormen nicht unterschiedslos in ihrem jeweiligen Zusammen- und Widerspiel angewendet werden. Es sind die Besonderheiten und Leitlinien der einzelnen, in ihrer Struktur divergierenden 86 Freiheitsgrenzen zu berücksichtigen und in die Abwägung einzustellen. Die Prinzipien, wie auch immer sie im konkreten Fall zu kombinieren sind, haben sich in das Gefüge der gesetzlich kodifizierten oder von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung geprägten Rechtssätze zur inhaltlichen Kontrolle von (schuldrechtlichen) Verträgen einzuordnen. Das gesetzte Recht hat Vorrang und Leitfunktion. Die Konkretisierung von Generalklauseln anhand der grundlegenden Prinzipien der Rechtsordnung sowie unter Zugrundelegung eines flexiblen Systems ihrer Kombination und Kollision meint Anwendung und Auslegung der Rechtssätze. Zunächst ist der Sinn des Kontrollrechtssatzes zu erschließen. Er beschreibt den Rahmen der Konkretisierung, indem er Ausgangsund Endpunkt der Interpretation und Ausfüllung vorgibt. Das Verständnis des Rechtssatzes und die Grundaussagen des Rechtssystems gehen Hand in Hand und führen gemeinsam zu einer zutreffenden Einschätzung der entsprechenden Vertragskontrollregelung - dies zumal auch deshalb, weil das Verstehen des 82 83 84 85 86
Vgl. das 5. Kapitel (S.205ff.). Wilburg, AcP 163 (1964), 346, 347. Wilburg, Entwicklung, S. 13. Näher im 5. Kapitel (S.205ff., 216f.). Vgl. den Strukturüberblick im 6. Kapitel (S. 223 ff.).
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
Rechtssatzes von den tragenden Grundgedanken beeinflußt wird und auf das allgemeine Rechtsverständnis zurückgeht. Grundhaltung sowie Perspektive des Interpreten setzen bereits im Vorfeld maßgebliche Akzente. 8 7 Generalklauseln sind folglich anhand der Rechtsprinzipien näher zu konkretisieren, wobei sich diese in den durch die jeweilige Generalklausel vorgegebenen Wertungsrahmen einzufügen haben. Die Prinzipien dienen der Spezifikation der jeweiligen K o n t r o l l n o r m . D a m i t ist zugleich festgestellt: T r o t z der außerordentlichen Weite der Kontrolltatbestände drücken auch § § 1 3 8 , 2 4 2 B G B , § 9 A G B G einen sachlichen Wertungsrahmen aus. Legt man die Terminologie von Henkel und seine Differenzierung zwischen normativen und regulativen Generalklauseln zugrunde, handelt es sich um normative Vorschriften. Als regulativ bezeichnet Henkel Formeln, die keinerlei Wertgehalt oder Wertmaßstab ausdrücken und deshalb die Beurteilung des Einzelfalls nicht antizipieren, sondern als rein formale Aussage lediglich eine »Anweisung zum Regreß«, d.h. zur Rückbesinnung auf eine »Lebenserscheinung« enthalten, aus der ein Beurteilungsmaßstab selbst erst zu entwickeln ist. Regulativ meint mithin wertfrei. Normativ sei hingegen eine Tatbestandsanwendung, die einen Wertinhalt und damit einen Beurteilungsmaßstab in sich trage, als Richtlinie einen Entscheidungsobersatz biete und somit die richterliche Entscheidung in gewissem Maß antizipiere.88 Bei den Tatbeständen »Sittenwidrigkeit«, »Treu und Glauben« und »Angemessenheit« handelt es sich nicht um wertfreie »Leerformeln«. 8 9 A u c h diese F o r m u lierungen bringen - wenn auch nur im Ansatz - eine Wertung zum Ausdruck, welche die Judikatur bei der Konkretisierung zu leiten vermag. Aus den Wendungen lassen sich jeweils spezifische inhaltliche Entscheidungsrichtlinien gewinnen, die zwar nicht in dem Sinne präzise definierbar sind, daß sie sich begrifflich genau fassen lassen. M i t den Wendungen »Sittenwidrigkeit«, »Treu und Glauben« sowie »Angemessenheit« ist ein bestimmter normativer Richtliniengehalt verbunden, der abstrakt durch allgemein akzeptierte Fallgruppen beschrieben werden kann und konkret der Lösung des Einzelfalls als Richtschnur dient. Die generellen inhaltsbezogenen Vertragskontrollnormen sind zwar etikettiert mit einem weiten, ausfüllungsbedürftigen Tatbestand, aber nicht derart inhaltsleer oder wertfrei, daß ihnen keinerlei Anhaltspunkte für die Rechtsanwendung zu entnehmen wären. 9 0 Die Generalklauseln geben den Wertungsrahmen vor, innerhalb dessen die allgemeinen materialen Rechtsprinzipien nach den Regeln des flexiblen Systems
87 Schapp, Methodenlehre, S.68ff.; zum juristischen Vorverständnis der Zusammenhänge, ders., a.a.O., S.73ff. 88 Henkel, Festschrift für Mezger, S.249, 261ff., 302f.; ders., Einführung, S.417, 426. 89 Rüthers, NJW 1998, 1433. 90 In der Sache übereinstimmend Henkel, Einführung, S. 423f.; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S.31f.; Schapp, Methodenlehre, S.108ff.; Larenz, Methodenlehre, S.288ff.; Bydlinski, Methodenlehre, S.582ff. Der individuelle Wertungsgehalt der einzelnen Kontrollvarianten zeigt sich an der unterschiedlichen Ausformung, die die Rechtssätze in Praxis und Wissenschaft gefunden haben.
7. Kapitel: Generalklauseln
und flexibles System
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wirken und auf diese Weise maßgeblich die Inhaltskontrolle von Verträgen prägen. 5. Ergebnis Die Generalklauseln sind anhand der durch sie ausgedrückten spezifischen Wertungen sowie mittels der tragenden Grundhaltungen der Rechtsordnung zu konkretisieren. Die Wertungen sind nach den Regeln des flexiblen Systems abzuwägen, auszugleichen und anzuwenden. Topik, Typenlehre sowie Präjudizien bilden ein Reservoir an möglichen Hilfsüberlegungen, mit deren Unterstützung gegebenenfalls weitere Erkenntnisse sachgerecht in die Abwägung einbezogen werden können. Als allein tragende methodische Vorgehensweisen sind diese Ansätze jedoch nicht geeignet. Methodische Basis ist das flexible System. Trotz der begrenzten Wertungsfaktoren und der Anwendung des flexiblen Systems ist Subjektivität aus dem Wertungsvorgang nicht in jedem Fall vollständig zu eliminieren. Eine von rational faßbaren Konkretisierungsfaktoren bestimmte Vorgehensweise drängt den Bereich persönlicher Abwägung allerdings auf ein Minimum zurück. Eine endgültige Klärung des Widerstreits zwischen Rechtssicherheit auf der einen und Einzelfallgerechtigkeit auf der anderen Seite läßt auch eine differenzierte Analyse der Entscheidungskomponenten und eine verfeinerte Norminterpretation nicht erwarten. Die Offenlegung der Konkretisierungsmaßstäbe und die Anwendung des flexiblen Systems machen aus einem offenen Tatbestand keine feste Regel. Möglich ist allein eine Optimierung des Entscheidungsprozesses. Generalklauseln bleiben trotz aller Methodik Generalklauseln; nur ihre Anwendung wird berechenbar und genügt damit dem Rechtsstaatsprinzip. Dogmatik vermag den Richter in seiner Arbeit zu entlasten, denn sie ordnet die Vielzahl von Rechtsprinzipien in ein widerspruchsfreies System ein. 91 Im Ensemble der Bestimmungskriterien nehmen die Grundprinzipien der Rechtsordnung und die Leitgedanken des jeweils in Frage stehenden Rechtssatzes eine herausragende Stellung ein. Beiden Konkretisierungsmaßstäben ist deshalb besondere Aufmerksamkeit zu widmen, wobei zunächst die allgemeinen Rechtsprinzipien darzustellen sind. Sie beziehen sich als generelle Leitlinien grundsätzlich auf sämtliche Generalklauseln zur Inhaltskontrolle. Sodann ist in einem zweiten Schritt zu erörtern, inwieweit die grundlegenden Wertungen in den einzelnen Rechtssätzen aufgegriffen, modifiziert oder eingeschränkt werden.
91 Vgl. Esser, AcP 172 (1972), 97,103,127; Meyer-Cording, Jurist, S. 37. Wank, Grenzen, S.40: »Der Richter braucht weder noch darf er ganz aus eigener Machtvollkommenheit Recht schöpfen. Seine Argumente und Lösungen müssen mit denen der Dogmatik verglichen werden. Dogmatisches Arbeiten kann sich dabei als ein »Verfahren zur rationalen Verifizierung der Entscheidung« darstellen. Der Richter selbst kann sein aus einem undogmatischen Vorverständnis gewonnenes Ergebnis auf seine Dogmatikverträglichkeit überprüfen.«
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
IV. Grundelemente des flexiblen Systems 1. Struktur und Bedeutung D e r Rechtsordnung liegen zahlreiche tragende Grundsätze zugrunde, die miteinander in Wettstreit stehen, einander widersprechen, ergänzen, verdrängen, sich überschneiden und auch verändern können. U m einer uferlosen Berücksichtigung beliebiger Aspekte bei der Anwendung von Generalklauseln zu begegnen und den Anforderungen an Justitiabilität und Normenklarheit so weit wie möglich zu entsprechen, sind in einem ersten Schritt wesentliche Richtlinien der Privatrechtsordnung aufzuzeigen. Rechtlich geschützte und rechtlich irrelevante Aspekte sind zu trennen. D e r Entscheidungsvorgang ist auf diese Weise aus dem D u n k e l der pauschalen Berücksichtigung beliebiger U m s t ä n d e herauszuführen. 9 2 F ü r das Prozeßrecht bedeutet die Offenlegung der Rechtsprinzipien zudem die Beschreibung der revisiblen Punkte eines auf Generalklauseln gestützten Urteils. Eine Revision bedarf zu ihrer Begründetheit 9 3 einer kausalen Gesetzesverletzung. Das Revisionsgericht kann ein Urteil nur in rechtlicher, nicht aber in tatsächlicher Hinsicht nachprüfen, § 5 5 0 Z P O i.V.m. § 5 6 1 Z P O . Bei der Uberprüfung einer auf der Anwendung einer generellen Vertragskontrollnorm beruhenden E n t scheidung sind Rechts- und Tatfragen deshalb genau zu sondern. Bei der Abgrenzung kann auf zwei Ansätze zurückgegriffen werden: Während eine Auffassung auf die Begrifflichkeit abstellt und logisch zwischen rechtlichem und natürlichem Begriffssystem differenzieren möchte, 9 4 argumentiert die andere Sichtweise mit dem Z w e c k der § § 5 5 0 , 561 Z P O und grenzt zweifelhafte Fälle danach ab, o b allgemeine Fragen zu beurteilen sind, die für die Rechtseinheit und Rechtssicherheit von Bedeutung sind. 9 5 Beide Kriterien rechtfertigen die Revisibilität der der Rechtsordnung inhärenten Grundprinzipien. Das ergibt sich sowohl aus der Zuordnung zum rechtlichen Begriffssystem als auch daraus, daß den Rechtsprinzipien eine Leitbildfunktion z u k o m m t , die nicht nur im Einzelfall, sondern auch darüber hinaus von Relevanz ist. D e n Rechtsgrundsätzen k o m m t für Rechtssicherheit, Rechtseinheit und Rechtsfortbildung bei der Anwendung von Generalklauseln und der Auslegung von N o r m e n große Bedeutung zu. Revisibel ist deshalb, o b der betreffenden Generalklausel die maßgeblichen Konkretisierungsgrundsätze in zutreffendem M a ß zugrundegelegt, die Wertungsgrenzen erkannt und die tatsächlichen Wertungsgrundlagen ausgeschöpft wurden. Unbeschränkt nachprüfbar sind die rechtlichen Kriterien für die Ausfüllung von Generalklau-
Allgemein (aus etwas anderem Blickwinkel) Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 31 ff. Unzulässig ist die Revision dann, wenn keine verletzte Rechtsnorm bezeichnet ist; vgl. Walchshöfer, in: MünchKommZPO, §549 Rn. 1; Stein/Jonas/Grunsky, §§549, 550 ZPO Rn. 1; a.A. Bettermann, ZZP 77 (1964), 3, 30, der bei mangelnder kausalen Gesetzesverletzung Unzulässigkeit annimmt. 94 Gottwald, Revisionsinstanz, S. 138ff.; Henke, ZZP 81 (1968), 196ff., 321 ff. 95 Musielak/Ball, §550 ZPO Rn.3; Stein/Jonas/Grunsky, §§549, 550 ZPO Rn.22f.; Zöllerl Gummer, §550 ZPO Rn.l. 92
93
7. Kapitel: Generalklauseln
und flexibles System
33 7
sein. 9 6 A l s G r u n d e l e m e n t e des f l e x i b l e n W e r t u n g s s y s t e m s k o m m e n n u r s o l c h e P r i n z i p i e n in B e t r a c h t , d e n e n ein materieller r e c h t l i c h e r G e h a l t z u k o m m t . D i e s p e z i f i s c h e n i m R e c h t s s y s t e m a n g e l e g t e n W e r t e e r m ö g l i c h e n eine r a t i o n a l e O r i e n t i e r u n g i n n e r h a l b d e r W e i t e der G e n e r a l k l a u s e l n u n d e r l a u b e n g r u n d s ä t z lich eine r e v i s i o n s r e c h t l i c h e P r ü f u n g , so d a ß die R e c h t s e i n h e i t a u c h in d i e s e m B e r e i c h g e w a h r t b l e i b t . 9 7 Vielfältigkeit u n d K o m p l e x i t ä t der a l l g e m e i n e n P r i n z i p i e n - Bydlinski
listet 141 P r i n z i p i e n auf 9 8 - lassen eine B e s c h r ä n k u n g auf w e s e n t l i c h e
A u s s a g e n angezeigt sein. E s k a n n n u r v e r s u c h t w e r d e n , in a l l g e m e i n e r F o r m u n d o h n e A n s p r u c h auf V o l l s t ä n d i g k e i t einen U b e r b l i c k ü b e r w i c h t i g e P r i n z i p i e n der S c h u l d r e c h t s o r d n u n g z u g e b e n , die f ü r die F e s t l e g u n g v o n V e r t r a g s k o n t r o l l b e f u g n i s s e n i m R a h m e n v o n G e n e r a l k l a u s e l n v o n B e d e u t u n g sind. 9 9 Die Prinzipien sind - ebenso wie einzelne verfestigte Ausformungen der Generalklauseln selbst - zum Teil auf verfassungsrechtliche Wertungen zurückzuführen. Das ändert nichts daran, daß es sich gleichwohl um originäre privatrechtliche Grundsätze handelt. Die Grundwerte sind deshalb nicht in ihrem speziellen verfassungsrechtlichen Gehalt, sondern in der dem Privatrechtssystem entsprechenden Fassung darzustellen. 100 Neben die zivilrechtlichen Prinzipien können - wie dargelegt 101 - von Fall zu Fall spezifisch verfassungsrechtliche Wertungen treten. Die ausfüllungsbedürftigen Tatbestände versinnbildlichen das »Einfallstor« für verfassungsrechtliche Aussagen; das Wertesystem des Grundgesetzes findet durch das Medium der Generalklauseln indirekt Eingang in das Privatrecht. Nicht jede Kollision verfassungsrechtlicher Wertungen mit rechtsgeschäftlichem Handeln von Privatpersonen führt allerdings zu einer Berücksichtigung als Konkretisierungselement. Die für das Verhältnis zwischen Staat und Bürger konzipierten verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen sind auf ihre Ubertragbarkeit auf das Privatrechtsverhältnis zu untersuchen;
96 Musielak! Ball, §550 ZPO Rn. 12; Stein!Jonas!Grunsky, §§549, 550 ZPO Rn.28ff.; Zöllerl Gummer, §550 ZPO Rn. 12; B G H N J W 1997, 192; NJW 1991, 353, 354. 9 7 Dagegen insbesondere Hedemann, Flucht, S. 70ff., der von »blanker, nackter richterlicher Willkür«, einer »Katastrophe der Rechtsordnung« spricht. 98 Bydlinski, System, S.773ff.; vgl. auch ders., Rechtsgrundsätze, S.291 ff. 9 9 Eingehend hierzu die Schriften von Bydlinski, die in Art eines allgemeinen Teils in einem eigenständigen Werk »Fundamentale Rechtsgrundsätze« abhandeln und sich in einem zweiten, besonderen Teil detailliert »System und Prinzipien des Privatrechts« zuwenden. Bydlinski (System, S. 90) sieht das Vertragsrecht vor allem von zwei Prinzipien beherrscht, der Privatautonomie und dem Vertrauensschutz. Schaff (Grundfragen, S. 59ff.) wiederum betont neben dem willensgetragenen Selbstbestimmungsgrundsatz das Äquivalenzprinzip. Strikt differenzierend Canaris (Vertrauenshaftung, S. 548ff.), der im Rechtsgeschäftsrecht anhand des Kriteriums des Erklärungsbewußtseins einem von der Selbstbestimmung dominierten Bereich einen vom Vertrauensprinzip beherrschten gegenüberstellt. Richtig ist die Betonung einer Prinzipienpluralität, was nicht ausschließt, daß in unterschiedlichen Bereichen unterschiedliche Prinzipien in ihrer Wertigkeit überwiegen können. 100 Mestmäcker, AcP 168 (1968), 235, 240: »Die Annahme, das Privatrecht habe kein eigenes Wertsystem oder es beziehe dieses Wertsystem im ganzen aus der Verfassung, ist unhaltbar. Wir sollten uns den ungeschichtlichen Neuanfang ersparen. Vielmehr ist die Privatrechtsordnung ein der Verfassung vorgegebenes Normensystem, das in seiner Eigenart an der Verwirklichung der verfassungsmäßigen Ordnung teilhat und sie gewährleistet.« 101 Vgl. das 3. Kapitel (S. 69ff.); zu den europarechtlichen Gesichtspunkten im 4. Kapitel (S. 148ff.).
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
nicht jeder Grundrechtsaspekt kann für eine Konkretisierung fruchtbar gemacht werden. 102 Regelmäßig erlauben die Grundrechtsnormen zudem keine abschließende Feststellung über die Wirksamkeit einer Vertragsgestaltung. Sie stecken nur einen rechtlichen Rahmen ab, über dessen Einhaltung das Gericht innerhalb des Wertungsspielraumes und unter Beachtung der Wertgegensätze sowie Wertkonkurrenzen zu entscheiden hat. Nach diesen Grundsätzen können Vereinbarungen, die gegen das Wesen von Ehe und Familie (Art. 6 GG) verstoßen, 103 gegebenenfalls ebenso unwirksam sein wie sonstige gegen verfassungsrechtliche Grundlagen verstoßende Verträge.104 Bei einem Rückgriff auf Grundwertungen, seien sie verfassungsrechtlich fundiert, seien sie als spezifisch zivilrechtliche Prinzipien anerkannt, ist der interaktiven Struktur des Vertragsrechts Rechnung zu tragen: Die Grundsätze beziehen sich auf das Verhältnis zwischen gleichwertigen und deshalb in ihrer Interessenwertigkeit gleich zu behandelnden Privatrechtssubjekten. Vertragskontrolle ordnet in ihrer Folge der einen Seite rechtliche und wirtschaftliche Vorteile zu, der anderen damit einhergehend aber häufig Pflichten und Lasten. Die Grundwerte sind nicht einseitig angelegt, sondern im Wechselspiel der Vertragspartner und deren unterschiedlichen Positionen in angemessenem Umfang anzuwenden. Mit der Anwendung einer Wertung zugunsten einer Vertragspartei kann ein Nachteil für die andere verbunden sein. Diese Wechselwirkung ist zu berücksichtigen und bei der komparativen Reihung gebührend einzubeziehen. Bei der Inhaltskontrolle gewinnen vor allem die folgenden Gesichtspunkte an Bedeutung. 2. F u n d a m e n t a l e R e c h t s p r i n z i p i e n der I n h a l t s k o n t r o l l e a) Der Grundwert
des Personen-
und
Persönlichkeitsschutzes
A u f verfassungsrechtlichen Wertungen beruhend und gleichzeitig ein die gesamte Rechtsordnung durchziehendes Rechtsprinzip ist das des Personen- und Persönlichkeitsschutzes. 1 0 5 Ungeachtet aller Streitfragen über die ideengeschichtlichen Grundlagen 1 0 6 und die Ausformung der von Kant als »sittliche Autonomie« 1 0 7 bezeichneten Personenwürde meint Personen- und Persönlichkeitsschutz eine Vgl. das 3. Kapitel (S.69ff.); zum Europarecht im 4. Kapitel (S. 148ff.). Nichtig ist das Eheversprechen eines Verheirateten (OLG Karlsruhe NJW 1988, 3023) oder die Vereinbarung eines Entgelts bzw. Darlehens für den Abschluß einer Scheinehe (OLG Düsseldorf FamRZ 1983, 1023); gleiches gilt, wenn der Verzicht auf das Umgangsrecht und die Freistellung von der Unterhaltspflicht in ein Gegenseitigkeitsverhältnis gebracht werden (BGH NJW 1984,1952; OLG Hamburg FamRZ 1984,1223; a.A., wenn der Verzicht dem Kindeswohl dient, OLG Frankfurt FamRZ 1986, 596). 104 Aus Art. 11 Abs. 1 GG ist beispielsweise die Unwirksamkeit eines die Aufenthaltsfreiheit beschränkenden Vertrages abzuleiten (BGH NJW 1972, 1414); ein unbefristetes Wettbewerbsverbot kann der Grundwertung des Art. 12 GG widersprechen (BGH NJW 1986, 2944). 105 BVerfG NJW 1989,891; BVerfGE 65,1,41; BGHZ 27,284,285; 24,72,76. Stellungnahmen finden sich vor allem in der verfassungsrechtlichen Literatur, vgl. Benda, in: Benda!Maihoferl Vogel, Handbuch, §6; Enders, Menschenwürde; Geddert-Steinacher, Menschenwürde; Giese, Würde-Konzept; Häherle, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. I, §20; Hermes, Grundrecht; Höfling, JuS 1995, 857ff.; Hoerster, JuS 1983, 93ff.; Hofmann, AöR 118 (1993), 153ff.; Jarass, NJW 1989, 857ff.; Lorenz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Bd. VI, § 128; Pico della Mirandola, Würde; Starck, JZ 1981, 457ff.; Vitzthum, JZ 1985, 201 ff.; Leisner, Festschrift für Hubmann, S.295, 302 (»das wichtigste Grundrecht der neuen Zeit«). 106 Dazu Enders, Menschenwürde, S.25ff.; Lorz, Menschenrechtsverständnis, passim; Überblick bei Dreier, Art. 1 Abs. 1 GG Rn.4ff. 107 Kant, Grundlegung, S.434. 102
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7. Kapitel: Generalklauseln und flexibles System
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Bewahrung der Identität des Menschen als solchen, in seiner Wesenheit und in seinem Dasein. 1 0 8 Jeder Mensch hat im Verhältnis zum anderen Anspruch auf A n erkennung seines Selbstwertes. Das Postulat wechselseitiger Achtung der Individualität, die jeder jedem schuldet und jeder von jedem verlangen kann, ist möglicherweise betroffen, wenn der Wert des Menschen, seine W ü r d e oder Körperlichkeit zum bloßen O b j e k t des Rechtsverkehrs gemacht wird. 1 0 9 D e r Rechtsordnung ist es verwehrt, Verträge anzuerkennen, welche die Grundwertung der Person oder Persönlichkeit eklatant mißachten. D i e Vorwerfbarkeit des Tuns kann sich hier aus dem Umstand ergeben, daß eine Personen- oder Persönlichkeitsverletzung zum Gegenstand eines Rechtsgeschäfts gemacht wird. Abzustellen ist mithin nicht darauf, o b dem Privatrechtssubjekt zuzubilligen ist, über seine Person selbst zu verfügen, sondern darauf, o b die Rechtsordnung eine verbindliche Abrede über das Wesen des M e n schen anerkennen kann, durch die sich das Privatrechtssubjekt selbst im H i n b l i c k auf seine Individualität bindet. Wird die Pflicht, den persönlichen Lebensbereich anderer Personen zu achten, durch einen Vertrag tangiert, ist diese Gegebenheit intensitätsadäquat in das flexible Wertungssystem 1 1 0 einzustellen. aa)
Personenschutz
Die Mißachtung der Personenqualität kann trotz Willensübereinstimmung bereits für sich ein derartiges M a ß erreichen, daß allein aus diesem Aspekt einer A b rede die Anerkennung zu versagen ist. Das ist dann anzunehmen, wenn sich der Vertrag gezielt gegen die persönliche Integrität richtet und die Verletzung einen derartigen Grad erreicht, daß sie durch das Selbstbestimmungsrecht oder durch eine besondere Interessenlage nicht zu rechtfertigen ist. Die Menschenwürde ist in ihrem Kernbereich absolut ausgestaltet; auch Konsens der Parteien erlaubt es nicht, Rechte einzuräumen, die die Personenwürde im Grundsätzlichen nicht respektieren. H i e r versagt die Rechtsordnung dem Konsens der Parteien die Anerkennung und damit auch die rechtliche Durchsetzbarkeit. Derartige Rechtsgeschäfte können von der Rechtsgemeinschaft nicht akzeptiert werden. U n w i r k s a m sind demnach Verträge, die Tötungstatbestände zum Gegenstand 108 Vgl. Enders, Menschenwürde, S. 10ff.; Geddert-Steinacher, Menschenwürde, S. 59f.; Gröschner, Menschenwürde, S. 45. Person und Persönlichkeit sind keine bedeutungsgleichen Begriffe, bedingen jedoch einander und überschneiden sich; vgl. Damm, Festschrift für Heinrichs, S. 115, 118ff.; Hattenhauer, JuS 1982, 405. 109 Siehe aus verfassungsrechtlicher Perspektive die sogenannte -Dring'sehe Objektformel, wonach die Menschenwürde betroffen ist, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird; Dürig, AöR 81 (1956), 117, 127. Das BVerfG hat die negativ vom Verletzungsvorgang her definierende Objektthese dahingehend modifiziert und erweitert, daß ein Verhalten ausgeschlossen sei, das die Subjektqualität des Menschen prinzipiell in Frage stellt; BVerfGE 30, 1, 26; 47, 239, 247f.: »Die Behandlung des Menschen durch die öffentliche Hand, die das Gesetz vollzieht, muß also, wenn sie die Menschenwürde berühren soll, Ausdruck der Verachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt, also in diesem Sinne eine »verächtliche Behandlung« sein.« 110 Dazu näher im 5. Kapitel (S.205ff.); vgl. auch S.320ff.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
haben. Unabhängig von der Streitfrage, ob das Recht auf den eigenen Tod als gegen die Menschenwürde verstoßend einzuschätzen ist oder gerade in der Menschenwürde seine Grundlage findet, 111 sind bindende Verträge über die Herbeiführung des Todes wegen eines Verstoßes gegen das fundamentale Rechtsprinzip des Personenschutzes unwirksam. Zweiseitige Rechtsgeschäfte mit bindendem Charakter beschränken nicht nur die eigene zukünftige Disposition über die Menschenwürde, sondern sind, was die Gegenseite betrifft, nicht anzuerkennen: Der Vertragspartner kann über die Personenwürde eines anderen nicht mit Bindungskraft entscheiden. Die Personenwürde kann in ihrem essentiellen Bereich nicht zum »Spielball« der Vertragspartner gemacht werden. Weniger eindeutig ist die Situation bei Verträgen, die sich auf Körperverletzungen beziehen. Hier ist im Sinne der komparativen Regel des flexiblen Systems 112 abzuwägen. Bei Abreden über Körperverletzungen, die im Zusammenhang mit ärztliche Heileingriffen geschlossen werden, stellt der Verletzungstatbestand für sich genommen kein Unwirksamkeitsindiz dar. Der Behandlungsvertrag 113 ist grundsätzlich wirksam, setzt aber voraus, daß der Patient weiß, in welche Verletzungstatbestände er einwilligt. D e r Vertrag muß über das medizinische Anliegen hinaus dem personalen Anspruch des Patienten gerecht werden, nicht Objekt, sondern Subjekt der Behandlung zu sein. 114 Liegt es anders, wird der Vertragspartner als bloßes O b j e k t ohne sittlich-sozialen Bezug herabgewürdigt, ist die damit ausgedrückte Respektlosigkeit gegenüber dem Grundwert der körperlichen Integrität je nach Tragweite in den Konkretisierungsvorgang bei der Anwendung einer generellen Vertragskontrollklausel einzustellen. Zweifelsfragen werfen insbesondere Humanexperimente auf. Der Zustimmung des Probanden kommt in der Regel große Bedeutung zu. Denn zur Personenwürde zählt es auch, nicht zur Wahrung von Würde gezwungen zu werden, sondern selbst die maßgeblichen Vorstellungen über die persönliche Integrität zu verwirklichen. Gleichwohl existiert auch hier - vergleichbar den Tötungstatbeständen - ein für die Vertragspartner nicht mehr disponibler Bereich. In die Bestimmung der Freiheitsgrenzen sind nicht allein Schutzüberlegungen gegen sich selbst einzustellen, sondern auch, daß ein Vertrag ein zweiseitiges Rechtsgeschäft darstellt, aus dem grundsätzlich wechselseitig durchsetzbare Rechte und Pflich111 Die Frage, ob die Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 G G ) das Recht auf den eigenen Tod umfaßt, ist streitig; dagegen Schittek, BayVBl. 1990,137ff.; V G Karlsruhe N J W 1988,1536; dafür Eser, J Z 1986, 786ff.; Hoerster, N J W 1986, 1786ff.; Hillgruber, Schutz, S.78ff. Zivilrechtlich stellt sich die Problematik aus einem anderen Blickwinkel dar: Hier geht es nicht darum, ob die Beendigung des eigenen Lebens aufgrund eines selbstverantwortlichen freien Willensentschlusses zulässig ist, sondern darum, ob das Leben zum Gegenstand eines Vertrages gemacht werden kann - und das ist jedenfalls ausgeschlossen. 112 Ausführlich zur Methodik im 5. Kapitel (S. 205ff.) sowie im 7. Kapitel auf S.320ff. 1 1 3 Das Behandlungsverhältnis zum Patienten ist zivilrechtlich, auch wenn der Behandlungsträger sich öffentlich-rechtlich konstituiert. Nur im öffentlichen Interesse gesetzlich angeordnete Behandlungen sowie die durch einen Amtsarzt sind hoheitsrechtlich qualifiziert; B G H N J W 1995, 2412; N J W 1994, 2415, 3012; VersR 1988, 1278. 114 Vgl. B G H VersR 1984, 538, 539; VersR 1980, 428, 1145.
7. Kapitel: Generalklauseln und flexibles System
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ten erwachsen. Es ist nicht zu fragen, inwieweit ein einzelner ad hoc über seine Person befinden kann. Maßgeblich ist, inwieweit es die Rechtsordnung dem Individuum zugestehen kann, über seine eigene Person mit Bindungswirkung für die Zukunft zu entscheiden. Es k o m m t also darauf an, ob dem Vertragspartner ein der Vertragskonzeption immanentes - R e c h t auf Durchsetzung einer solchen A b rede mit Unterstützung der Rechtsordnung eingeräumt werden kann. I m R a u m steht also die Frage, o b die N o r m e n des Zivilrechts die konkrete Abrede als gültig, bindend und damit erzwingbar behandeln dürfen. Bei der Beurteilung gewinnt der im allgemeinen im Zusammenhang mit H a f tungsfragen diskutierte U m s t a n d einer mangelhaften Aufklärung an Bedeutung. Aufklärung dient dazu, eine Selbstbestimmung sicherzustellen, die auf ausreichenden Informationen basiert und so gegebenenfalls unerwünschte Personenverletzungen vermeidet. D i e durch nicht hinreichende Aufklärung zu konstatierende Reduzierung der Entscheidungsgrundlagen hinsichtlich der Vertragsgestaltung führt stets zu einem Eingriff in die körperliche Integrität. 1 1 5 D e m Patienten ist nämlich durch den ärztlichen Vertragspartner eine für den Vertragsschluß in jeder Hinsicht ausreichende Wissensgrundlage zu verschaffen. 1 1 6 E r muß über Art, B e deutung, Ablauf und Folgen des Eingriffs informiert werden; der Vertragspartner ist außerdem aufzuklären über die Existenz und die konkrete Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Risiken im Verhältnis zu den bestehenden Heilungschancen. Zu beschreiben sind Notwendigkeit und Dringlichkeit des Eingriffs sowie gegebenenfalls existierende Behandlungsvarianten. 1 1 7 A u f einen etwaigen experimentellen Charakter ist ausdrücklich und gesondert hinzuweisen. D a b e i ist die A u f klärung um so detaillierter vorzunehmen, je problematischer der Verletzungseingriff ausfällt. D i e Aufklärung muß den Patienten ernsthaft vor die Frage gestellt haben, o b er den Eingriff vornehmen lassen möchte oder nicht, mithin ob er einen entsprechenden Vertrag abschließen will oder nicht. 1 1 8 D i e Bewahrung von Leben und Gesundheit zählt zu den elementaren Grundwerten der Rechtsordnung. bb)
Persönlichkeitsschutz
N e b e n diese in der Regel physisch greifbaren Aspekte tritt als genuines Prinzip der Rechtsordnung der Persönlichkeitsschutz. 1 1 9 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht meint das R e c h t des einzelnen auf Achtung seiner Menschenwürde und auf 115 Vgl. Giesen, Arzthaftungsrecht, Rn.53; Mertens, in: MünchKommBGB, §823 Rn.457; OLG Thüringen MDR 1998, 536, 537; OLG Frankfurt/M. VersR 1996, 101. 116 Hier gewinnt also der u.a. von Dauner-Lieb vertretene Informationsansatz an Bedeutung (vgl. S. 180ff., 195ff.). Bestätigt wird, daß Vertragskontrolle nicht auf ein Kriterium zurückzuführen ist, sondern gemäß dem in dieser Arbeit entwickelten Modell puzzlegleich aus einer Vielzahl von Wertungselementen zusammenzusetzen ist, die sich von Fall zu Fall variabel formieren und im Wege der Komparation einen Kontrollvorgang legitimieren. Im einzelnen im 5. Kapitel (S.205ff.). 117 Nicht existierende Behandlungsalternativen lassen lediglich die Aufklärung darüber obsolet werden; die Risikoaufklärung bleibt erforderlich; BGH NJW 1992,2353; BGHZ 102,17,22ff. 118 Vgl. BGH NJW 1980, 1333; BGHZ 29, 39, 46. 119 Vgl. Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 182; Larenz, Richtiges Recht, S.45.
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J. Teil: Inhaltskontrolle durch
Generalklauseln
Entfaltung seiner Persönlichkeit. U m eine für die inhaltsbezogene Vertragskontrolle als Abwägungsfaktor relevante Persönlichkeitsverletzung zu lokalisieren, ist insbesondere der Grundsatz des Verbots der Behandlung eines Menschen als bloßes Mittel für fremde Zwecke heranzuziehen. Unabhängig vom übereinstimmenden Willen, ein bestimmtes Verhalten zum Leistungsgegenstand zu machen, ist die Inhaltskontrolle eröffnet, wenn mit dem geschuldeten Verhalten dem Schuldner eine seine Person im Lebenskern mißachtende objekthafte Rolle zugewiesen wird. 1 2 0 Insoweit gilt: E t volenti fit iniuria. A u f die Zustimmung des Schuldners und die Problematik ihrer Reichweite k o m m t es dann nicht an, wenn der Vorwurf bereits im Verhalten des Gläubigers manifestiert ist. D e r Wert des Menschen an sich ist nicht disponibel. Unmittelbare zielgerichtete Eingriffe in den Grundwert Persönlichkeitsschutz als »oberstes Konstitutionsprinzip des Privatrechts« 1 2 1 führen regelmäßig zur Unwirksamkeit des Vertrages. Abgrenzungsschwierigkeiten bereitet die Konkretisierung des tatbestandsmäßigen Schutzbereichs des nicht disponiblen Persönlichkeitsrechts und damit die Feststellung einer Verletzung im Einzelfall. D a der Inhalt des Persönlichkeitsrechts, namentlich im H i n b l i c k auf moderne Entwicklungen und die mit ihnen potentiell verbundenen neuen Persönlichkeitsgefährdungen, nicht allgemein und abschließend bestimmbar ist, sind die Ausprägungen anhand einer Güter- und Interessenabwägung zu beurteilen, bei der die Interessen des Beeinträchtigten am Schutz seines Persönlichkeitsrechtes gegen die Rechte der Gegenseite und die Interessen der Allgemeinheit unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind. 1 2 2 Auch hier ist zu beachten, daß der Verletzte in den Verletzungstatbestand eingewilligt hat. Das Persönlichkeitsrecht umfaßt einzelne Grundbedingungen für die Persönlichkeitsentfaltung. Vertragsfreiheit kann dort an ihre G r e n z e n stoßen, w o durch eine Abrede das lebensnotwendige Existenzminimum in Frage gestellt wird. Eine Pflicht zur Sicherung materieller Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein wird öffentlich-rechtlich aus Art. 1 Abs. 1 G G i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip abgeleitet 1 2 3 und insbesondere durch das Sozialrecht umgesetzt. 1 2 4
Vgl. BVerwG NVwZ 1990, 668. Schwerdtner, in: MünchKommBGB, §12 Rn.189, unter Bezugnahme auf BVerfG NJW 1989, 891. 122 Yg] Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §8 Rn. 41 ff., wobei zu sehen ist, daß das Persönlichkeitsrecht zivilrechtlich vor allem im Zusammenhang mit Schadensersatz-, Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen erörtert wird. Hier fehlt der Konsens als Rechtfertigungsgrund, so daß im Vertragsrecht an die einzelnen Schutzinhalte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts andere Anforderungen zu stellen sind. Eine Einwilligung rechtfertigt nicht jeden Eingriff in die Personen- und Persönlichkeitswürde; es sind bedeutend strengere Maßstäbe anzulegen. 123 Geddert-Steinacher, Menschenwürde, S.103f.; Hofmann, AöR 118 (1993), 353, 363; Kirchhof, EuGRZ 1994, 16, 21; Neumann, NVwZ 1995, 426ff.; Starck, JZ 1981, 457, 459; vgl. BVerfGE 82, 60, 80ff.; BVerwGE 82, 364, 368; 71, 139, 141; 35, 178, 180f. 124 Siehe § 1 Abs. 1 S.2 SGB I: »Es soll dazu beitragen, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen, zu schaffen,...«. 120 121
7. Kapitel: Generalklauseln und flexibles System
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D e r Grundsatz ist privatrechtlich gleichfalls verankert. Die Sicherung materieller und ideeller Mindestbedingungen für ein menschenwürdiges Dasein ist eine A u f gabe der gesamten Rechtsordnung. Das zeigt § 3 1 0 B G B , der Verträge für nichtig erklärt, durch die sich ein Vertragspartner verpflichtet, sein künftiges Vermögen oder einen Bruchteil davon zu übertragen oder mit einem N i e ß b r a u c h zu belasten. D i e Vorschrift will jedermann die wirtschaftliche und damit persönliche Unabhängigkeit erhalten. Eine Beeinträchtigung dieser Freiheit käme einem Verzicht auf die Vermögensfähigkeit und damit einem Verlust eines maßgeblichen Merkmals der Rechtsfähigkeit gleich. E s soll sichergestellt werden, daß sich niemand »seiner Erwerbsfähigkeit begibt« und den »Antrieb zum Erwerbe« 1 2 5 wirtschaftlicher Lebensgrundlagen verliert. 1 2 6 In engem Zusammenhang mit § 3 1 0 B G B steht § 3 1 1 B G B , der in bezug auf das gegenwärtige Vermögen den Verpflichtungsvertrag nur bei notarieller Beurkundung für wirksam erklärt. Das Aufrechnungsverbot des § 3 9 4 S. 1 B G B soll verhindern, daß dem Gläubiger der unpfändbaren Forderung das Existenzminimum entzogen wird. D e r G e danke der Sicherung der Lebensgrundlagen und des wirtschaftlichen F o r t k o m mens findet sich zudem bei § § 1 3 6 5 Abs. 1, 1369 Abs. 1 B G B , wonach sich ein Ehegatte nur mit Einwilligung des anderen verpflichten kann, über sein V e r m ö gen im ganzen oder über ihm gehörende Gegenstände des ehelichen Haushalts zu verfügen. N u r rechtsgeschäftliche Verpflichtungen unterliegen dem Zustimmungserfordernis; die Begründung einer Obligation kraft Gesetzes oder infolge behördlicher oder gerichtlicher Verfügungen zählen nicht dazu. Als Sondervorschriften zu § 1364 B G B und abweichend vom Prinzip der Gütertrennung (§ 1363 Abs. 2 S. 1 B G B ) schränken die N o r m e n die Verwaltungsfreiheit im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft (§ 1363 Abs. 1 B G B ) über das eigene Vermögen ein. Z w e c k ist neben der Sicherung einer potentiellen Ausgleichsforderung ( § 1 3 7 8 B G B ) , die wirtschaftliche Grundlage der Ehe und der Familiengemeinschaft zu wahren und eine verläßliche, konstante Lebensgrundlage zu erhalten. 1 2 7 Vor allem auch gegenüber Geschäftsunfähigen und beschränkt Geschäftsfähigen k o m m t es der Rechtsordnung auf Vermögenssorge an. D e m Zweck, die genannten Personenkreise unter anderem vor wirtschaftlichen Belastungen zu schützen, dient ein umfangreicher zivilrechtlicher Normenkatalog, insbesondere die § § 1 0 4 f f . , 1638ff., 1802ff., 1896ff. B G B . 1 2 8 D a z u zählt nicht nur die Begrenzung der finanziellen Verschuldung durch die Eltern kraft elterlicher Vertretungsmacht, 1 2 9 sondern auch die - einfachrechtlich auf § 1618a B G B 1 3 0 zurückMotive II, S. 186. Vgl. auch Staudinger/Wußa, §310 Rn. 1. Zur historischen Entwicklung von §310 BGB Becker, Festschrift für Pleyer, S.485ff. 127 Staudinger/Thiele, §1365 Rn.2, §1369 Rn.l; Gernhuber, in: MünchKommBGB, §1365 Rn. 1, § 1369 Rn. 1; BGHZ 40, 218, 219; 35, 135, 137. 128 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §25, m. weit. Nachw. 129 BVerfGE 72, 155, 170ff.; vgl. Degenhart, JuS 1992, 361, 367f. 130 Die durch das SorgeRG vom 18.7. 1979 in Anlehnung an Art. 272 Schweiz. ZGB eingeführte Regelung hat Leitbildfunktion für ein partnerschaftliches Zusammenleben in der Familie 125
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führbare und unabhängig von der Haftungsbeschränkung des § 1629a B G B 1 3 1 existierende - Pflicht, Kinder nicht zu Verpflichtungen zu veranlassen, die (zu) große finanzielle Risiken bergen und möglicherweise die zukünftige Lebensgestaltung beeinträchtigen. D e r Rechtsgedanke kann in engerem M a ß auch für Volljährige in gewisser Weise fruchtbar gemacht werden. A u c h erwachsenen Kindern sollen die Startchancen im Leben erhalten bleiben. 1 3 2 D e r Grundsatz der Wahrung von Lebenschancen gilt nicht nur im ElternKind-Verhältnis, sondern ist als allgemeines Prinzip zu berücksichtigen. D i e allgemeine Leitlinie der Existenzsicherung wird verfahrensrechtlich fortgeführt. D e r Vertragsfreiheit entspringt als Konsequenz ein Forderungsrecht, wonach ein Privatrechtsubjekt von einem anderen etwas fordern und diese Forderung im B e darfsfall mit rechtlichem Zwang durchsetzen kann. D e r Schuldner ist der Zwangsvollstreckung regelmäßig mit seinem gesamten Vermögen ausgesetzt. D e r Schutz der personalen W ü r d e erfordert jedoch eine gesicherte Existenzgrundlage. Z u deren Schutz enthält das Vollstreckungsrecht soziale K o m p o n e n ten zugunsten materiell schwächer ausgestatteter Privatrechtssubjekte. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen sieht die Rechtsordnung in §§811 ff. ZPO, bei der Vollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte sieht sie in §850ff. ZPO Regelungen zum Schuldnerschutz vor. 133 Die §§811 ff. ZPO schließen bestimmte Gegenstände von der Pfändung aus und stellen, beispielsweise auch im Wege der Austauschpfändung, sicher, daß lebensnotwendige oder zur Erzielung des Lebensunterhalts erforderliche Gegenstände dem Schuldner nicht entzogen werden. Die §§ 850-850k Z P O regeln den Pfändungsschutz bei Arbeitseinkommen. Beide Regelungskomplexe dienen dem Schutz des Schuldners aus sozialen Gründen und konkretisieren auf einfachrechtlicher Ebene das Sozialstaatsprinzip.134 Die Vorschriften dienen unmittelbar dem Schutz des Existenzminimums. »Das Gebot des sozialen Rechtsstaats ist und soll für die Gegenseitigkeit von Leistung und Anspruch im Verhältnis zwischen den Generationen prägend sein; BT-Drucks. 8/2788, S.43; Lüderitz, Festschrift für Gaul, S.411, 419ff.; OLG Zweibrücken NJW 1990, 719f. 131 Die durch das MHbeG vom 25.8.1998 (BGBl. I, S.2487) zum 1.1. 1999 eingeführte Regelung sieht für bestimmte Verbindlichkeiten eine Haftungsbeschränkung vor; Uberblick bei Muscheler, WM 1998, 2271, 2279ff. 132 Zum Fall der Bürgschaftsübernahme durch erwachsene Kinder führt der BGH (NJW 1994,1341,1342) aus: »Veranlassen Eltern ihre Kinder, eine Bürgschaft zu leisten, die zur Folge hat, daß jene bei Eintritt des Risikos auf unabsehbare Zeit oder gar lebenslang hohe Zahlungen an den Gläubiger leisten müssen, so gefährden sie nachhaltig deren gesamte eigenständige Lebensgestaltung, die sich häufig erst im Aufbau befindet. Eine solche Einwirkung auf volljährig gewordene Kinder widerspricht einem Verhalten, wie es § 1618a BGB für die gegenseitige Beziehung von Eltern und Kindern vorschreibt.« 133 Aus den vollstreckungsrechtlichen Schutznormen kann nicht auf die Unwirksamkeit einer die Pfändungsfreigrenzen überschreitenden Verpflichtung geschlossen werden (a.A. wohl das LG Lübeck, WM 1987, 955). Der Gesetzgeber hat klargestellt, daß nicht die Vertragsfreiheit begrenzt werden soll, sondern erst der Zugriff des Gläubigers auf das Vermögen des Schuldners in der Zwangsvollstreckung (vgl. Eckert, WM 1987, 945; Gaßner, NJW 1988, 1131). Die Normen drücken aber den der Rechtsordnung immanenten Gedanken des Schutzes finanzieller Entwicklungschancen aus, der in seiner Allgemeinheit in der Einzelfallabwägung zu berücksichtigen ist. 134 BT-Drucks. 8/693, S.45.
7. Kapitel: Generalklauseln und flexibles System
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in besonderem Maß auf einen Ausgleich sozialer Ungleichheiten zwischen den Menschen ausgerichtet und dient zuvörderst der Erhaltung und Sicherheit der menschlichen Würde.« 135 Die staatliche Pflicht zur Vollstreckung reicht nur so weit, wie ein menschenwürdiges Dasein des Schuldners nicht gefährdet wird. Hinter den Vollstreckungsschutznormen stehen dabei nicht in erster Linie öffentlich-rechtliche Erwägungen, etwa zur Schonung der Sozialkassen, sondern das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Schuldners im Verhältnis zum Gläubiger. 136 Das Recht des Gläubigers zur Realisierung seiner Forderungen steht nicht unter dem Vorbehalt öffentlicher (Finanz-)Interessen. Kriterium ist das Persönlichkeitsrecht des Schuldners, dessen Kern vom Gläubiger nicht angetastet werden darf und zu dessen Schutz die Rechtsordnung Pfändungsschutzvorschriften vorsieht. Die private Rechtsmacht findet ihre Grenze in der Persönlichkeitssphäre des Schuldners. Diese entzieht sich auch in ihrer vermögensrechtlichen Ausprägung dem Zugriff des Gläubigers. Die §§811 ff., 850ff. ZPO 1 3 7 stellen sicher, daß dem Schuldner das zum Leben und Arbeiten notwendige Minimum verbleibt. 138 Integraler Bestandteil des Persönlichkeitsrechts ist die Möglichkeit, seinen L e bensunterhalt selbst zu vedienen. D e r Gedanke der Vermögens- und Lebenssorge zieht sich durch das gesamte Privatrecht und ist deshalb als G r u n d w e r t zu verstehen, der aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entspringt. Grundbedingung der Persönlichkeitsentfaltung ist die Sicherung der Existenzgrundlage. U b e r p r o portional hohen Verpflichtungen ist dennoch nicht per se die Anerkennung zu versagen. D i e potentielle E i n b u ß e dieses Teilaspekts des Persönlichkeitsrechts führt lediglich dazu, daß Überlegungen zur Gefährdung von Lebenschancen als einer von mehreren Abwägungsfaktoren in die Konkretisierung von Generalklauseln einbezogen werden können. Vertragskontrolle zielt nämlich nicht nur auf den Schutz des Persönlichkeitsrechts, sondern auch auf eine Achtung der Selbstverantwortung. D e r Schuldner hat grundsätzlich selbst zu entscheiden, w o die G r e n z e n seiner Leistungsfähigkeit liegen. Wie sich im U m k e h r s c h l u ß aus § 3 0 6 B G B ergibt, ist auch der auf eine anfängliche, subjektiv unmögliche Verpflichtung gerichtete Vertrag grundsätzlich wirksam. Sind die v o m Schuldner zu leistenden Zahlungen höher als dessen pfändbares E i n k o m m e n , so führt dieser Umstand nicht zur Vertragskontrolle. Es k o m m t auf die Gesamtheit der Wertungen an. Wie stets bei Wertungsfragen ermöglicht nach dem flexiblen System eine k o m parative Reihung die adäquate Berücksichtigung der jeweiligen Persönlichkeitsläsion: Verstoßen vertragliche Regelungen ausgeprägt gegen elementare Persönlichkeitsaspekte, genügt diese Kollision für die Unwirksamkeit des Vertrages. BVerfGE 35, 348, 355f. Zur Verzichtbarkeit der Pfändungsbeschränkungen Schilken, in: MünchKommZPO, § 811 Rn.7ff.; Smid, in: MünchKommZPO, §850 Rn.3. 137 Daneben kennt die Zivilprozeßordnung weitere sozial motivierte Klauseln, die u.a. auf das Persönlichkeitsrecht des Schuldners Rücksicht nehmen, z.B. §710, § 765a, §813a oder auch §888 Abs. 2 ZPO. 138 Musielak, GK ZPO, Rn. 608,623; Musielak/Becker, § 811 Rn. 1, § 850 Rn. 1; Zöller/Stöber, § 811 Rn. 1, Einf. v. §§ 850-852 Rn. 1; § 811 Rn. 1, § 850 Rn. 1; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, Schilken, in: MünchKommZPO, §811 Rn. lff.; Smid, in: MünchKommZPO, § 850 Rn. 1; Stein/ Jonas/Münzberg, §811 Rn.3, §850 Rn.l. 135
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B l e i b t der V e r s t o ß in seiner D i c h t e z u r ü c k o d e r b e t r i f f t er n u r R a n d a s p e k t e , so ist bei der A b w ä g u n g d a r a u f a b z u s t e l l e n , o b w e i t e r e G r ü n d e f ü r die A n w e n d u n g der a l l g e m e i n e n K o n t r o l l k l a u s e l s p r e c h e n , also o b das Z u s a m m e n s p i e l der P r i n z i p i e n eine s o l c h e I n t e n s i t ä t e r r e i c h t , d a ß der V e r t r a g i m E r g e b n i s k e i n e n B e s t a n d h a b e n kann. Dieses Wechselspiel der Grundwertungen unter maßgeblicher Inbezugnahme der Vermögenssorge liegt der Rechtsprechung des B G H zur Ehegatten- und Kinderbürgschaft zugrunde. Der B G H folgt - ohne das ausdrücklich zu erwähnen - in der Sache dem hier vertretenen flexiblen Konkretisierungsmodell. Im Zentrum der Entscheidungsgründe steht die finanzielle Leistungsfähigkeit. D e r B G H stellt als Basisüberlegung darauf ab, ob durch den Bürgschaftsvertrag eine in krassem Mißverhältnis zur finanziellen Leistungsfähigkeit des bürgenden Ehegatten stehende Verpflichtung begründet wird. 1 3 9 Ein wirtschaftlich sinnloses Geschäft, das den Bürgen der Möglichkeit beraubt, zukünftig selbstbestimmt seine vermögensrechtlichen Belange zu gestalten, spricht für eine Inhaltskontrolle, die im Ergebnis dem Vertrag die Wirksamkeit versagt. 140 Entsprechend dem Grundschema des flexiblen Konkretisierungssystems werden diesem Wertungselement flankierende Überlegungen zur Seite gestellt. J e mehr oder je intensiver diese Wertungen für die Wirksamkeit sprechen, desto eher ist - trotz Mißachtung des finanziellen Gesichtspunktes - von der Rechtmäßigkeit des Bürgschaftsvertrages auszugehen. So ist gegebenenfalls zu berücksichtigen, in welchem Maß ein Bürge ein eigenes wirtschaftliches Interesse besitzt oder ob der Vertrag eine dem Schutzbedürfnis Rechnung tragende Begrenzung des Haftungsrisikos vorsieht. 141 In das komparative System einzustellen ist bei der Verwandtenbürgschaft weiterhin, ob sich der Gläubiger durch den Bürgschaftsvertrag vor wirksamen Vermögensverlagerungen vom Hauptschuldner auf einen Familienangehörigen schützen kann, 1 4 2 oder inwieweit der Vertragsinhalt darauf Rücksicht nimmt, daß zukünftig mit dem Erwerb nicht unerheblicher Vermögensmassen, beispielsweise durch Erbschaft, zu rechnen ist. 1 4 3 N e b e n d e n dargestellten F a c e t t e n stellt das P e r s ö n l i c h k e i t s r e c h t d e n U r s p r u n g a u c h f ü r die S e l b s t b e s t i m m u n g des M e n s c h e n dar. D i e P e r s o n e n w ü r d e m a n i f e stiert sich darin, d a ß der M e n s c h als geistig-sittliches W e s e n d a r a u f angelegt ist, sich in F r e i h e i t u n d S e l b s t b e s t i m m u n g selbst z u v e r w i r k l i c h e n . b) Das Grundprinzip aa) Formale
der
Selbstbestimmung
Selbstbestimmung
D i e Z i v i l r e c h t s o r d n u n g g r ü n d e t auf d e m G e d a n k e n des e t h i s c h e n P e r s o n a l i s m u s . E i g e n w e r t u n d E i g e n s t ä n d i g k e i t des M e n s c h e n w e r d e n d a d u r c h r e p r ä s e n t i e r t , d a ß er Z w e c k e u n d Z i e l e seines H a n d e l n s o h n e f r e m d e B e s t i m m u n g u n d u n b e e i n f l u ß t v o n staatlichen V o r g a b e n u n d K o n t r o l l e n festlegt. D i e B e t e i l i g t e n k ö n n e n eine r e c h t l i c h e R e g e l u n g f ü r sich n a c h i h r e m r e c h t l i c h freien W i l l e n s e t z e n . J e d e r M e n s c h hat das R e c h t auf eine s o w e i t g e h e n d e F r e i h e i t s r e a l i s a t i o n in p e r -
139 140 141 142 143
B G H Z 134, 325, 332. Vgl. B G H WM 1997, 2117, 2118; B G H Z 132, 328, 330f.; B G H Z 125, 206, 211, 216f. B G H WM 1997, 2117, 2118ff. B G H Z 134, 325, 327ff.; B G H Z 128, 230, 234. B G H Z 134,42,49, 325, 331 f.
347
7. Kapitel: Generalklauseln und flexibles System
sönlicher w i e wirtschaftlicher H i n s i c h t , s o w e i t der Freiheitsbereich unter den jeweiligen U m s t ä n d e n neben der gleichen Freiheit aller anderen in U b e r e i n s t i m m u n g mit der R e c h t s o r d n u n g r e i b u n g s l o s bestehen kann. D i e rechtliche H a n d lungsfreiheit, konkretisiert in der vertraglichen Gestaltungsfreiheit, findet ihre G r e n z e in den a u f g r u n d der Interessen u n d Freiheit der G e m e i n s c h a f t g e b o t e n e n Schranken. S e l b s t b e s t i m m u n g meint Freiheit g r u n d s ä t z l i c h in f o r m a l e m Sinn, d.h. die A b w e s e n h e i t rechtlicher S c h r a n k e n g e g e n ü b e r d e m eigenen Willen. D a s b e s a g t zugleich, daß F o r d e r u n g s v e r h ä l t n i s s e auf die Vertragsbeteiligten
be-
schränkt sind. Persönliche L e i s t u n g s p f l i c h t e n k ö n n e n nur z w i s c h e n denen bestehen, die willentlich a m rechtsgeschäftlichen E n t s t e h u n g s t a t b e s t a n d
beteiligt
sind. 1 4 4 Auf den Freiheitsgedanken zurückzuführen ist nicht nur die selbstbestimmte, freie Gestaltung der Rechtsbeziehung zu anderen. Dazu zählt auch die Rechtsausübungsfreiheit. Es ist Sache des jeweiligen Individuums, ob, wann und wie es ein vertraglich eingeräumtes Recht realisiert. Neben Begründung und Ausübung des Rechts stehen auch die Feststellung und die Durchsetzung im freien Belieben der Privatrechtssubjekte. Der Zivilprozeß sichert die Privatautonomie. 145 Individuell begründete Rechte sind dabei notwendigerweise auch in einem subjektiv bestimmten Prozeß durchzusetzen. N u r so findet die materiell-rechtliche Handlungsfreiheit ihre prozeßrechtliche Fortsetzung. Das Prozeßrecht vermag dem Gedanken der personalen Freiheit grundsätzlich dadurch gerecht zu werden, daß der Zivilprozeß ebenfalls regelmäßig ohne reglementierenden staatlichen Eingriff ausgestaltet ist, d.h. die Parteien selbst die Verantwortung für »ihren« Prozeß tragen. Der Umstand, daß das Zivilprozeßrecht der Form nach öffentliches Recht darstellt, ändert nichts daran, daß hier Privatrechtssubjekte um private Rechte streiten, deren materiell-rechtliche Seite der Einflußnahme des Staates entzogen ist. Die öffentlich-rechtliche Einordnung trägt hingegen dem Rechnung, daß Gerichte staatliche Behörden und an Gesetz und Recht gebunden sind. Prozeßrechtliches Gegenstück der Privatautonomie ist der Dispositionsgrundsatz. Inhalt dieser prozeßrechtlichen Maxime ist das Recht der Parteien, über den Rechtsstreit als ganzen zu verfügen, ihn in Gang zu setzen, vorzeitig zu beenden, durch Anträge zu lenken und den Streitgegenstand zu bestimmen. 146 Aus Privatheit und Subjektivität des Rechtsstreits resultiert ein weiteres, der Verhandlungsgrundsatz. Grundsätzlich hat nicht das Gericht für die Beschaffung und den Beweis der entscheidungserheblichen Tatsachen zu sorgen. Den Parteien fällt die Aufgabe zu, die Tatsachen, über die das Gericht entscheiden soll, vorzutragen und, soweit erforderlich, zu beweisen. 147 Dispositions- und Verhandlungsprinzip repräsentieren im Zivilprozeß Freiheit und Eigenverantwortung und führen grundlegende Wertungen im Erkenntnis- und Vollstreckungsrecht fort. Getreu dem Grundsatz »iura novit curia« obliegt hingegen dem Gericht die Kenntnis der Normen des objektiven Rechts und damit auch der zur Konkretisierung von Generalklauseln heranzuziehenden Rechts144 Uber die Respektierungspflicht Dritter ist damit nichts ausgesagt; zur Bedeutung der Relativität im Außenverhältnis Dörner, Relativität, passim. 145 Braun, Einführung, S. 168ff.; Luke, in: MünchKommZPO, Einl. Rn. 167 (»das prozessuale Spiegelbild der im materiellen Recht geltenden Privatautonomie«); Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 1 III. 146 Musielak, G K ZPO, Rn.95; Arens/Lüke, Zivilprozeßrecht, Rn.6; Baur/Grunsky, Zivilprozeßrecht, R n . 3 6 f J a u e r n i g , Zivilprozeßrecht, §24. 147 Musielak, ZPO-Kommentar, Einl. Rn. 37; Paulus, Zivilprozeßrecht, Rn. 212; Zeiss, Zivilprozeßrecht, Rn. 174 f.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
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Generalklauseln
prinzipien (»da mihi factum, dabo tibi ius«). Der Obersatz des Urteilssyllogismus (die Grundwertungen der Rechtsordnung) steht danach fest; er ist dem Beweis nicht zugänglich. Um den Untersatz zu bilden, hat sich der Richter nach § 286 Abs. 1 ZPO von den Subsumtionsfakten eine (positive oder negative) Uberzeugung zu bilden. 148 Nur insoweit ist eine Beweisführung möglich. I m Grundsatz erfaßt das Selbstbestimmungsprinzip die formale Freiheit, nicht jedoch materielle Aspekte im Sinne eines rechtlich überprüfbaren Gleichmaßes realisierbarer tatsächlicher Entscheidungs- und Handlungsalternativen. Das Freiheitsprinzip meint die Abwesenheit von verbindlichen N o r m e n . Reale Entscheidungsfreiheit zur allgemeinen Gültigkeitsvoraussetzung für Rechtsgeschäfte zu erheben, überfordert die Rechtsordnung. Die Maximierung egalitärer positiver Freiheit vermag die Rechtsordnung angesichts der Begrenztheit wirtschaftlicher Güter, der individuellen finanziellen Leistungsfähigkeit und nicht zuletzt unterschiedlicher Fähigkeiten und Lebensverhältnisse der Menschen grundsätzlich nicht zu leisten. 1 4 9 Eine Rechtsordnung, die dieses Ziel anstreben würde, würde letztlich zu vollständiger Reglementierung führen, so daß im Ergebnis angesichts umfangreicher Zuteilungskodifikationen von Freiheit keine Rede sein könnte. 1 5 0 Tatsächliche Hindernisse, zum Beispiel wenn eine Person den gewünschten Vertrag nicht nach ihren Vorstellungen gestalten kann, weil der Verhandlungspartner sich wegen unzureichender Verhandlungsmacht nicht auf den angestrebten G ü teraustausch eingelassen hat, bleiben aus dem Blickwinkel der Selbstbestimmung grundsätzlich ohne entscheidendes Wertungsgewicht. Selbstbestimmung meint also die Freiheit einer Person von rechtlichen Hindernissen, wählen zu können, ob und in welcher Weise sie ihre rechtlichen Beziehungen zu anderen durch vertragliche Vereinbarungen regelt. Die B e t o n u n g des rechtlichen Bezugs des Selbstbestimmungsrechts schließt es nicht aus, unter besonderen Voraussetzungen materielle Eigenheiten in der Abwägung - wenn auch regelmäßig in geringer Intensität - zu berücksichtigen. bb) Materielle
Aspekte
Es kann nicht ignoriert werden, daß rechtliche Selbstbestimmung v o m faktischen U m f e l d in gewisser Weise bestimmt ist. Steht einem Privatrechtssubjekt wegen fehlender Verhandlungsmacht oder aufgrund einer wirtschaftlichen Zwangslage keine andere Alternative offen als die, die benachteiligenden Vertragsbedingungen zu akzeptieren, mindert das den Wert der rechtlichen Wahlfreiheit, über die es verfügt. Das heißt nicht - und das ist zu betonen - , daß reale individuelle Zwänge zur Vertragskontrolle führen. Es ist aber zu sehen, daß rechtliche Selbstbestimmung durch faktische Hürden relativiert wird. Freiheiten werden nicht normiert, 148 Musielak, GK ZPO, Rn. 62; Zeiss, Zivilprozeßrecht, Rn. 177; Paulus, Zivilprozeßrecht, Rn.212; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, §78 II. 149 Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 191 ff.; vgl. auch Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 78ff.; Hönn, Kompensation, S. 298ff.; Kramer, Krise, S. 20ff. 150 Koller, Theorien, S.30; zustimmend Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 193.
7. Kapitel: Generalklauseln und flexibles System
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um praktisch bedeutungslos zu sein. In besonders gelagerten Fällen ist es deshalb möglich, eine Beeinträchtigung tatsächlicher Alternativmöglichkeiten neben der Verletzung anderer Rechtsprinzipien bei der Konkretisierung von Generalklauseln ergänzend heranzuziehen. So verfährt auch der B G H bei seiner Bürgschaftsrechtsprechung. Er zieht die materielle Selbstbestimmungskomponente als flankierende Überlegung bei seiner Abwägung heran und berücksichtigt, ob die Selbstbestimmung aufgrund wesentlicher persönlicher Bindung oder emotionaler Einflußnahme beeinträchtigt ist. 151 Materielle Zwangslagen sind im Rahmen der Kontrolldetermination nicht ohne Belang.
Das deckt sich mit der Sichtweise des Gesetzgebers, der bei § 138 Abs. 2 B G B ausnahmsweise materiellen Beeinträchtigungen Relevanz für die Rechtsfindung beigemessen hat. Das Gesetz will nicht nur mit Generalklauseln reale Defizite erfassen, sondern reagiert in einzelnen Rechtsgebieten allgemein auf Imparität. 1 5 2 Letzteres ist in den Bereichen der Fall, bei denen die Gefahr besteht, daß infolge typischerweise unterschiedlicher realer Wahlmöglichkeiten die Freiheitsinteressen eines Beteiligten einseitig Schaden nehmen, die umfassender sind als diejenigen, die durch die in Anspruch genommene Selbstbestimmung geschützt sind, und so praktisch auf der E b e n e der weniger umfassenden Freiheit gegebenenfalls von der einflußreicheren Seite durchgesetzt werden. Diese Konstellation ist beispielsweise dann gegeben, wenn auf der nachfragenden Seite nicht nur finanzielle Interessen betroffen sind, sondern grundsätzliche Aspekte der persönlichen L e bensführung. Gemeint sind insbesondere Lebensbereiche, die im Zusammenhang mit dem lebensnotwendigen Existenzminimum stehen, wie es beim Arbeitseinkommen oder der Wohnungsmöglichkeit der Fall ist. 153 In diesen sensiblen Gebieten hat der Gesetzgeber typische faktische Gestaltungsmöglichkeiten n o r mativ aufgegriffen und so auf materiale Disparität positiv-rechtlich reagiert. D i e hier vorgenommene Reduktion positiver Ausformungsdefizite durch rechtliche Maßnahmen zeigt, daß der Rechtsordnung die Rücksichtnahme auf reale U m stände in Sonderfällen nicht fremd ist. A u c h dort, w o materiell verstandene Freiheitspositionen nicht ausdrücklich Aufnahme in das Gesetz gefunden haben, können deutlich ungleiche tatsächliche Freiheitspositionen und Selbstbestimmungspotentiale im R a h m e n der A b w ä gung der Rechtsprinzipien bei der Konkretisierung der Generalklauseln zur I n haltskontrolle flankierend berücksichtigt werden. I m Vordergrund steht die formale Selbstbestimmung. Eine evidente, rechtlich erkennbare ungleichmäßige Verteilung realer Entscheidungsalternativen ist bei der Gesamtabwägung der Prinzipien aber gegebenenfalls aufzugreifen und bei der Austarierung einzustellen.
B G H N J W 1998, 597, 598; WM 1996, 519, 522. Vgl. Lorenz, Schutz, 4. und 5. Kapitel, S. 88ff., 213ff.; Hönn, Kompensation, S. 88ff., 134ff. 153 Vgl. Meincke, Wohnraummietrecht, S. 15ff.; Dieterich, RdA 1995,129,131f., 133ff.;Der/eder, KJ 1995, 320ff.; Medicus, Abschied, S.7ff.; Reuter, AcP 189 (1989), 199, 208 ff. 151
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
Damit ist freilich noch nicht gesagt, in welchen Fällen die Voraussetzung der Evidenz anzunehmen ist. Führt die tatsächlich beeinträchtigte Machtbalance zum Entfall formaler Freiheit über das gewöhnliche Bindungsmaß 154 hinaus, ist die Abwägungsschwelle überschritten, das heißt das Machtungleichgewicht ist in die Abwägung einzustellen. Eine Rechtsfolge läßt sich allein daraus nicht ableiten. So kann auch ein auf Imparität beruhender Vertrag wirksam sein; gerechtfertigt, ja angezeigt, ist hier lediglich, den Umstand in den Entscheidungsvorgang in gebührendem Maß einzustellen. Zu einer über das Übliche hinausgehenden Absorption formaler Selbstbestimmung führt es, wenn ein Vertrag, würde man ihn einer Vertragskontrolle nicht unterziehen, zukünftig die Vertragsfreiheit allgemein eingrenzt, wie es bei Knebelungsverträgen oder isolierten Konkurrenzverträgen nicht auszuschließen ist. Das berücksichtigungsfähige Disparitätsmaß ist darüber hinaus erreicht, wenn reale Alternativmängel signifikant elementare Persönlichkeitsrechte betreffen. Des weiteren hilft in Problemfällen die komparative Inbezugnahme: Das Gewicht des Selbstbestimmungsgrundsatzes wird in der Abwägung um so geringer, je evidenter die tatsächlichen Wahlmöglichkeiten strukturell divergieren. Zusammenfassend läßt sich sagen, Vertragsfreiheit ist formal zu verstehen; materielle Erwägungen bleiben in der Regel außer Betracht. Das formale Freiheitsverständnis schließt es jedoch nicht aus, bei formell frei geschlossenen Verträgen ausnahmsweise dann eine inhaltsbezogene Vertragskontrolle im Wege von Generalklauseln in Erwägung zu ziehen, wenn Ungleichheiten klar erkennbar sind und auf andere Grundwerte ausstrahlen, insbesondere zu einer über das konsenstypische Maß hinausgehenden Aufhebung der zukünftigen formalen Vertragsfreiheit führen. Der materielle Selbstbestimmungsgrundsatz kann mithin neben anderen Wertungselementen bei der Konkretisierung von Generalklauseln berücksichtigt werden. Gewicht erlangt eine materielle Freiheitsbegrenzung vor allem dann, wenn sie - zumindest mittelbar - zu einer Einschränkung der formalen Selbstbestimmung führt. Neben den derart definierten Grundwert der Selbstbestimmung tritt als fundamentales Prinzip die Selbstverantwortung. c) Das Prinzip der
Eigenverantwortung
Freiheit in der rechtlichen Gestaltung bedeutet zugleich Eigenverantwortung. Gewährt die Rechtsordnung Freiheit zu grundsätzlich beliebigen schuldrechtlichen Interaktionen, ist damit notwendigerweise Verantwortlichkeit verbunden. Für die selbstbestimmten zurechenbaren Vertragsgestaltungen fällt die rechtliche Verantwortung dem handelnden Privatrechtssubjekt anheim. Jedes Privatrechtssubjekt hat für die Folgen seiner Handlungen einzustehen. Mit Vertragsfreiheit korrespondiert demgemäß Verantwortlichkeit. Notwendiges Gegenstück der
1 5 4 Notwendige Folge des Konsens ist, daß im Rahmen der Verpflichtung die Disposition über die vertragsbetroffenen Güter oder Arbeitskapazitäten mit Verpflichtungswirkung beschränkt ist.
7. Kapitel: Generalklauseln und flexibles System
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Anerkennung des Menschen als sich selbst bestimmendes Wesen ist der Gedanke der Selbstverantwortung als Folgenzurechnung. 1 5 5 aa)
Zurechenbarkeit
Verantwortung setzt in gewissem R a h m e n Zurechnungsfähigkeit voraus. Dieser im Einzelfall stellenweise schwierig zu beurteilende U m s t a n d hat - dem Rechtssicherheitsstreben folgend - in der Rechtsordnung eine typisierende Regelung erfahren. Ausgangsüberlegung ist, daß Verträge wegen ihrer Bindungswirkung und wegen ihrer Rechtsfolgen in ihrer Wirksamkeit von Grundvoraussetzungen für die verantwortliche Zurechnung des selbstbestimmten Rechtsgeschäfts abhängig sind. D i e Willenserklärung als der prägende Faktor des Rechtsgeschäfts bedarf zu ihrer rechtlichen Anerkennung der Fähigkeit des Erklärenden zu vernünftiger Willensbildung. I m Bereich der Geschäftsfähigkeit hat sich die Rechtsordnung aus Gründen der Rechtssicherheit unter anderem für eine nach Altersstufen gegliederte Zurechnungsskala entschieden, um unsachgemäße und dem einzelnen nachteilige Rechtsgeschäfte durch Personengruppen zu vermeiden, bei denen das Urteilsvermögen typischerweise eingeschränkt ist. So ist die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ( § 1 0 4 B G B ) oder eine im Zustand der Bewußtlosigkeit oder vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit abgegebene Willenserklärung nach § 1 0 5 B G B nichtig. D i e Regelung schützt die Willensfreiheit der B e troffenen aufgrund der Annahme, daß die zu einer eigenverantwortlichen Willensbildung nicht in der Lage sind. 1 5 6 Die Grundwertung des Schutzes von Geschäftsunfähigen ist im Grundsatz vorrangiges Rechtsprinzip. Überlegungen zum Verkehrs- und Vertrauensschutz setzen sich demgegenüber regelmäßig nicht durch. Dem Geschäftsunfähigen ist es auch unter besonderen Umständen gemäß §242 B G B nicht verwehrt, sich auf die Nichtigkeitsfolge zu berufen. 157 Billigkeitskorrekturen zu Lasten des Geschäftsunfähigen kommen grundsätzlich nicht in Betracht. Die stark ausgeprägte Verantwortungswertung setzt sich im Bereicherungsrecht fort; der Geschäftsunfähige soll nicht nur vor der vertraglichen Bindung, sondern auch vor den nachteiligen Folgen aus Dispositionen über das Geleistete geschützt werden. 158 Verkehrs- und Vertrauensschutz finden nur dort statt, wo ein Rechtsscheinstatbestand in keinem Zusammenhang mit der Geschäftsunfähigkeit steht, wie bei §§ 892,2266 B G B oder bei §15 Abs. 1 HGB. 1 5 9 Die Begrenzung der Eigenverantwortungsfunktion führt zu einer Ein155 Bydlinski, System, S. 164ff.; ders., Privatautonomie, S. 53ff.; Mayer-Maly, Jahrbuch 1989, S.268ff.; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §2 Rn.25, 32; Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 75f. 156 RGZ 74, 110, 112: »... an der freien Willensbestimmung fehlt es, wenn infolge einer Störung der Geistestätigkeit bestimmte Vorstellungen oder Empfindungen oder Einflüsse dritter Personen derart übermäßig den Willen beherrschen, daß eine Bestimmbarkeit des Willens durch vernünftige Erwägungen ausgeschlossen ist.« 157 BGH NJW 1994, 1470. 158 BGH NJW 1994, 2021 f. 159 Der gute Glaube an die Geschäftsfähigkeit spielt hier — wie regelmäßig - keine Rolle; Musielak, GK BGB, Rn. 287; Gitter, in: MünchKommBGB, Vor § 104 Rn. 4. Den guten Glauben an die Geschäftsfähigkeit des Veräußerers schützt nach h. M. Art. 16 Abs. 2 WG; K. Schmidt, JuS 1990, 517, 518. Keinen Ausnahmefall regelt Art. 12 S. 1 EGBGB: Geschützt wird hier das Vertrauen auf die Anwendbarkeit deutschen Rechts.
352
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
schränkung der Selbstbestimmung und damit zur Einengung der Vertragsfreiheit. Das hat Canaris zum Anlaß genommen, verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 105 BGB zu äußern. Er sieht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als verletzt an; die Nichtigkeitsfolge gemäß § 105 BGB sei im Vergleich zu §§ 107ff. BGB nicht erforderlich. Sie diene dem Schutz des Geschäftsunfähigen nicht besser als die schwebende Unwirksamkeit mit der Konvaleszenzmöglichkeit. 160 Dagegen wird zu Recht angeführt, daß schwebende Unwirksamkeit im Vergleich zu einer Totalnichtigkeit für den Geschäftsunfähigen zwar ein Mehr an Privatautonomie bedeute, gleichzeitig aber zu einem Eingriff in die Vertragsfreiheit des Vertragspartners führe, der durch die zeitlich begrenzte Widerrufsmöglichkeit nicht ausgeglichen wird. Betrachtet man den Vertrag als zweiseitiges Rechtsgeschäft, ist die Summe des Freiheitsraumes bei schwebender Unwirksamkeit nicht erweitert. Hinzu treten Überlegungen der Rechtssicherheit; die Nichtigkeitsfolge bedingt für den Geschäftspartner eine eindeutige Rechtslage. Die Einschätzungsprärogative erlaubt es zudem dem Gesetzgeber, den Zustand der schwebenden Unwirksamkeit auf bestimmte Altersstufen zu begrenzen und auf diese Weise einen fließenden Ubergang von der Geschäftsunfähigkeit zur Geschäftsfähigkeit zu schaffen. 161 Beschränkt Geschäftsfähigen billigt die Rechtsordnung einen erhöhten Grad von Eigenverantwortung zu. 162 Hier ist der Minderjährige in gewisser Weise nicht nur gegenüber dem Rechtsverkehr, sondern auch gegenüber seinem gesetzlichen Vertreter emanzipiert. Die Eigenverantwortung findet ihr Korrektiv in § 1 0 7 B G B . N u r rechtlich vorteilhafte 1 6 3 Rechtsgeschäfte werden dem Minderjährigen kraft eigener Verantwortungsfähigkeit zugerechnet; andere Rechtsgeschäfte sind von der Zustimmung der Eltern abhängig. 164 Fehlt die Einwilligung, können schwebend unwirksame Verträge durch Genehmigung (§§ 108 Abs. 1, 184 Abs. 1 BGB) rückwirkend Rechtswirksamkeit erlangen. Diese Konstellation bringt f ü r den beschränkt Geschäftsfähigen eine Privilegierung: Rechtlich vorteilhafte Geschäfte sind wirksam, rechtlich nachteilige stehen zur Disposition der Eltern. Rechtsgeschäfte volljähriger Privatrechtssubjekte dagegen sind kraft uneingeschränkter Selbstverantwortung grundsätzlich zuzurechnen und damit wirksam. Die Rechtsordnung kennt also ein abgestuftes Verantwortungsprinzip. In der Über-
Canaris, JZ 1987, 993; ders., JZ 1988, 494. Kritisch gegenüber Canaris v.a. Ramm,JZ 1988, 489; Wieser, JZ 1988, 493; der Kritik im Ergebnis zustimmend Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §25 Rn. 11; Lorenz, Schutz, S. 96. Zum Erziehungszweck siehe Soergel/Hefermehl, § 106 Rn. 1. 162 Motive I, S. 131: »Minderjährige, welche das 7. Lebensjahr zurückgelegt haben, sind zwar willenskräftig, besitzen aber nicht denjenigen Grad geistiger Reife und geschäftlicher Erfahrung, welcher erforderlich ist, um ungefährdet im Rechtsverkehre selbständig auftreten zu können. Der seitens der Rechtsordnung ihnen zu gewährende Schutz besteht darin, daß sie in der freien Gebahrung beschränkt und Umfang und Folgen dieser Beschränkung so bestimmt werden, daß die von ihnen vorgenommenen nachteiligen Rechtsgeschäfte möglichst unschädlich gemacht werden.« 163 Dazu zählen auch sog. neutrale Rechtsgeschäfte; vgl. Gitter, in: MünchKommBGB, § 107 Rn. 16; v. Olshausen, AcP 189 (1989), 223,231•,Erman/Brox, § 107 Rn. 8; anders für den Fall eines Erwerbs kraft Redlichkeit bei nicht berechtigter Verfügung eines beschränkt Geschäftsfähigen Braun, Jura 1993, 459; Medicus, Allgemeiner Teil, Rn. 568. 164 A.A. Stürner, AcP 173 (1973), 402ff., der für eine wirtschaftliche Betrachtungsweise eintritt. 160
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7. Kapitel: Generalklauseln
und flexibles System
353
gangsphase zwischen Geschäftsunfähigkeit und Geschäftsfähigkeit existiert eine Divergenz zwischen Wille und Verantwortung. Denn materiell bedeutet die schwebende Unwirksamkeit ein Widerrufsrecht des gesetzlichen Vertreters. bb) Grenzen der
Selbstverantwortung
Der Volljährige kann, sofern er nicht geisteskrank ist, grundsätzlich Rechtsgeschäfte selbständig wirksam vornehmen. Die Rechtsordnung kennt keine relative Geschäftsunfähigkeit. Aus der vollständigen Eigenverantwortung resultiert in der Regel die Einstandspflicht für das gegebene Wort. Der Gesichtspunkt der Eigenverantwortung spricht für die Regel »pacta sunt servanda«. Doch lassen sich auch aus dem Eigenverantwortungsansatz Erwägungen gegen einen Bestand der Abrede ableiten. Eine Willenserklärung, die in Kenntnis der entscheidungserheblichen Tatsachen zustande gekommen ist und deren Willensbestandteil zutreffend in der Erklärung Ausdruck findet, wird von der Rechtsordnung verantwortlich zugerechnet. Fallen Wille und Erklärung im Sinne des §119 BGB auseinander, trägt der Erklärende zwar gleichwohl die Verantwortung für die Erklärung, 165 kann sich von ihr aber im Wege der Anfechtung lösen. Unter anderem das Veranwortungsprinzip 166 realisiert sich sodann in der Ersatzpflicht des Vertrauensschadens des Erklärungsempfängers. Die Verantwortung setzt sich in §122 Abs. 1 BGB fort, der sich als Kompromiß zwischen den Interessen des Erklärenden und des Erklärungsempfängers darstellt. Wie die enumerativen Anfechtungstatbestände zeigen, ist die Verlagerung der Verantwortungsfolge eine Ausnahme vom Prinzip der Bindung an eine eigenverantwortliche Erklärung. Zu keiner Verlagerung, sondern zu einer »Durchbrechung« des Verantwortungsprinzips kommt es bei § 123 Abs. 1 BGB. Hinter den Anfechtungsvarianten Täuschung wie Drohung steht die Ratio, »die freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiete«167 zu gewährleisten. Anhand dieser Tatbestände wird deutlich, daß der Gesetzgeber in diesen Fällen die Zurechnung zunächst zwar der abgegebenen Erklärung entsprechend vornimmt, diese im Ergebnis aber unterläßt, wenn die Willensfreiheit beeinträchtigt war und dem Erklärenden aufgrund arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Willensbildung fehlte.168 Die Rechtsordnung sieht hier ohne Haftung für den Vertrauensschaden von einer Zurechnung der Willenserklärung ab; die rechtsgeschäftliche Folgenzurechnung ist mangels Möglichkeit zur selbst165
Bailas, Problem, S. 59; Meier-Hayoz, Vertrauensprinzip, S. 104,111; Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 78. 166 Aus aktueller Sicht zusammenfassend zur Bedeutung der einzelnen Grundsätze im Recht der Willensmängel Singer, Selbstbestimmung, S. 58ff., 105ff.; Lorenz, Schutz, S. 260ff. 167 Motive I, S. 204. 168 Vgl. Lorenz, Schutz, S.314ff., 348ff.; Singer, Selbstbestimmung, S.208ff. Siehe auch Motive I, S. 204: »Ausgeschlossen, nicht blos beeinträchtigt ist die Selbstbestimmung im Falle körperlicher Ueberwältigung (vis absoluta). Der in solcher Weise Gezwungene handelt nicht, sondern ist nur ein vermittelndes Werkzeug. Die ihm abgenötigte Erklärung ist, da sie ihm nicht zugerechnet werden kann, selbstverständlich nichtig.«
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3. Teil: Inbaltskontrolle
durch
Generalklauseln
bestimmten Vertragsgestaltung zu verneinen. 169 Eine nicht selbst zu verantwortende erhebliche Beeinträchtigung der Selbstbestimmung erlaubt folglich eine Lösung der Vertragsbindung. Wird diese Verantwortungsschwelle nicht überschritten, bleibt die Zurechnung - trotz verminderter Eigenverantwortung - in vollem Umfang erhalten.
cc) Der Gedanke der Mitverantwortung Die Lage ist in der Rechtsgeschäftslehre anders als im Schadensersatzrecht. § 2 5 4 B G B begrenzt die Verpflichtung zum Schadensersatz, wenn der Geschädigte bei der Entstehung des Schadens zurechenbar mitgewirkt hat, Absatz 1, oder wenn der Geschädigte es unterlassen hat, auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens hinzuweisen, den Schaden abzuwenden oder zu mindern, Absatz 2. Dem Geschädigten ist es verwehrt, seinen Schaden auch zu dem Teil beim Schädiger zu liquidieren, zu dem er ihn seinem eigenen Verhalten zuzurechnen hat. 170 § 2 5 4 B G B ermöglicht eine auf den Einzelfall abgestimmte Schadensteilung, die sich nach einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalles zwischen der vollen Haftung des Schädigers und dessen voller Entlastung bewegen kann. 171 Kriterium ist nicht ein Verschulden im herkömmlichen Sinn der Verletzung einer Rechtspflicht, da es keine Rechtspflicht gibt, sich nicht selbst zu schädigen. Mitverschulden meint, daß der Geschädigte die Sorgfalt außer acht läßt, die »nach der Auffassung des Verkehrs ein ordentlicher und verständiger Mensch anwendet, um sich tunlichst vor Schaden zu bewahren.« 172 Maßgeblich ist die vernünftige Verkehrsanschauung; auf sie kann auch dann zurückgegriffen werden, wenn ein von sozia-
169 Zugunsten des Vertragspartners sprechen hier keine bindungswahrenden Prinzipien. Verkehrs- und Vertrauenselemente stehen nicht im Raum, solange die Beeinträchtigung der Willensentschließung dem Vertragspartner derart zurechenbar ist, daß ein Bestandsinteresse nicht gerechtfertigt ist. Wird die Täuschung von einem Dritten ausgeübt, trägt § 123 Abs. 2 B G B dem Vertrauensgedanken Rechnung und macht die Anfechtbarkeit von der Zurechenbarkeit der Täuschung abhängig, während für den Drohungsfall eine vergleichbare Regelung fehlt. Savigny (System Bd. III, S. 117; zustimmend Flume, Rechtsgeschäft, § 27, 2) begründet diese Privilegierung des Bedrohten damit, daß »in dem Zwang die schlimmere, gefährlichere Störung des Rechtszustandes enthalten ist«; nach Singer (Selbstbestimmung, S.211, Hervorhebung im Original) liegt die Rechtfertigung in der unterschiedlichen Zurechnungsmöglichkeit durch das Risikoprinzip: »Denn im Unterschied zu demjenigen, der erst durch eine Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung veranlaßt worden ist, nimmt der Getäuschte freiwillig und bewußt am Rechtsgeschäftsverkehr teil, so daß es durchaus gerechtfertigt ist, den Teilnehmer auch für die Risiken aus seinem potentiell gefährlichen Verhalten einstehen zu lassen.« 170 §254 B G B enthält eine Absage an das gemeinrechtliche System, bei dem ein Mitverschulden den Schadensersatzanspruch vollständig entfallen ließ, vgl. Rother, Haftungsbeschränkung, S. 30ff. 171 Vgl. Soergel/Mertens, §254 Rn.l09f.; R G R K / A l f f , §254 Rn.32; Erman/Kuckuk, §254 Rn. 83f. 172 R G Z 100, 42, 44; ähnlich B G H VersR 1972, 1016, 1017; N J W 1970, 944, 946; B G H Z 57, 137, 145; Dunz, N J W 1986, 2234; Palandt/Heinrichs, §254 R n . l ; Grunsky, in: MünchK o m m B G B , §254 Rn.2, 19; Soergel/Mertens, §254 Rn.2, 23; Wieling, AcP 176 (1976), 334, 347ff.; a.A. Greger, N J W 1985, 1130, 1133•, Schünemann, VersR 1978, 116ff.
7. Kapitel: Generalklauseln und flexibles System
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len N o r m e n abweichendes Verhalten zu beurteilen ist. I m Grundsatz gilt zwar das Prinzip des Individualitätsschutzes und der freien Persönlichkeitsentfaltung, es unterliegt jedoch unter dem Gesichtspunkt der sozialen Verantwortlichkeit gewissen Korrekturen. Das Schadensersatzrecht ermöglicht kein schrankenloses Ausleben individueller Vorstellungen auf Kosten des Schädigers; soziale A d äquanz ist gegebenenfalls in die Abwägung einzubeziehen. 1 7 3 Mitverantwortung kann im Schadensersatzrecht gemäß § 2 5 4 B G B in gebührendem M a ß berücksichtigt werden. Das Vertragsrecht wird v o m Alles-oder-Nichts-Prinzip beherrscht - vom E r gebnis her betrachtet zu Recht: Ein Vertrag ist entweder wirksam oder nicht. Eine Zwischenlösung scheidet aus und würde auch dem Grundsatz der Privatautonomie widersprechen. D e n n wie sollte auch ein Austauschvertrag hinsichtlich seiner Wirksamkeit sinnvoll in Teile zerlegt werden? Unmittelbar läßt sich Mitverantwortung demnach nicht verwerten. Kompensation von ausnahmsweise verlagerten Verantwortlichkeiten läßt sich relationsgerecht allerdings durch eine B e r ü c k sichtigung im Konkretisierungsvorgang von Generalklauseln erreichen. H i e r kann eine zurechenbare und kausale atypische Veranlassungssituation als A b w ä gungsfaktor eine Rolle spielen. Geteilte Verantwortung stellt ein Element im Konkretisierungsvorgang dar. Die Bedeutung der Mitverantwortung haben auch das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof erkannt, die im Rahmen der Bürgschaftsrechtsprechung den Gedanken der Zurechnung der Verantwortung ausdrücklich erwähnen, freilich ohne den Umstand der Verantwortungsdiversifikation und seiner methodischen Verortung bei der Anwendung und Auslegung von Generalklauseln aufzuzeigen.174 In der Sache ändern die fehlende methodische Einordnung und Stringenz nichts daran, daß das Bundesverfassungsgericht und ihm folgend die zivilgerichtliche Rechtsprechung zu Recht die Aspekte der Mitverantwortung und Verantwortungszurechnung als zwei von zahlreichen Abwägungsfaktoren für die Beurteilung der Wirksamkeit eines Vertrages herangezogen haben. Berücksichtigungsfähig ist Mitverantwortung, die für die Willenserklärung adäquat kausal geworden ist. N e b e n Kausalität ist für die Berücksichtigung bei der Konkretisierung weiterhin ein v o m (natürlichen) Willen des Mitverantwortlichen getragenes Verhalten Voraussetzung. Zurechnungsfähig ist nur das Verhalten von Personen, bei denen eine entsprechende Einsichtsfähigkeit feststellbar ist. Geschäftsfähigkeit ist für die Aufnahme in den Konkretisierungsvorgang nicht erforderlich. Es kann eine Parallele zu §§ 827, 828 B G B gezogen werden. Mitverantwortungsfähig ist jeder, dessen Verantwortlichkeit nicht gemäß § § 8 2 7 , 828 B G B ausgeschlossen ist. D i e Zurechnungsfähigkeit eines Jugendlichen über sieben Jahre ist zu bejahen, wenn der Minderjährige die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht, d.h. die geistige Entwicklung besitzt, die ihn 173 Lange, Schadensersatz, § 10 VI, ld; Mayer-Maly, Festschrift für Käser, S.229,230ff.; Soergel/ Mertens, vor §249 Rn.23, §254 Rn.3; ders., Begriff, S. 170ff.; kritisch gegenüber einer Soziabilitätsschranke Staudingerl Medicus, §254 Rn. 107. 174 BVerfG NJW 1994, 36, 1341; BGH WM 1997, 2117, 2118; BGHZ 132, 328, 330f.; BGHZ 125, 206, 211,216f.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
in den Stand setzt, zu erkennen, daß er in atypischer Weise ungerechtfertigt den Vertragspartner zu einem Vertragsschluß veranlaßt hat, der tatsächlich nicht seinen Vorstellungen entsprochen hat. D i e Mitverantwortung eines Minderjährigen wird in der Regel mit geringerer Wertigkeit in die Abwägung einzustellen sein als die eines Volljährigen, wobei der Bewertungsgrad mit zunehmendem Alter und wachsender Einsichtsfähigkeit größer wird. A n der variablen Bewertung der einzelnen Elemente zeigt sich wiederum der Vorteil des flexiblen Systems. N e b e n den Grundsatz der Selbstbestimmung tritt der der Selbstverantwortung. Letzterer erklärt auch die bindende Wirkung eines Rechtsgeschäftes. Zurechenbare Folge des Verhaltens des Erklärenden ist eine Vertrauensposition des Erklärungsempfängers auf die im Konsens ausgedrückte Rechtsfolge. Vertrauens- und Verkehrsschutz stellen somit mitentscheidende Maximen dar. Bei diesen Grundsätzen handelt es sich um eine spezifische Konkretisierung des Selbstverantwortungsprinzips, also um einen besonders ausgeprägten Zurechnungsmaßstab bei Konsens der Beteiligten.
d) Das Rechtsprinzip des Vertrauens- und des aa)
Verkehrsscbutzes
Konkurrenzen
Zu den essentiellen Grundlagen der Rechtsordnung zählt der Vertrauens- und Verkehrsschutz. Ein Ausschließlichkeitsverhältnis zu den übrigen Grundwerten, insbesondere dem Prinzip der Selbstbestimmung, besteht nicht. D i e Prinzipien stehen in keinem festen Rangverhältnis dergestalt, daß der Grundsatz der Privatautonomie den des Vertrauensschutzes (stets) verdrängt oder umgekehrt. Vertrauensschutz und Selbstbestimmung stehen selbständig nebeneinander. 1 7 5 Privatautonom begründeten Rechtsverhältnissen w o h n t eine erhöhte Verläßlichkeit inne, so daß von einer wechselseitigen Ergänzung gesprochen werden kann. K u r z u m : Vertrauensschutz stellt unter Umständen ein Korrelat der Privatautonomie dar. 176 D i e Befugnis, Rechtsverhältnisse nach eigenem Willen selbstverantwortlich im Konsens mit dem Partner gestalten zu können, erfordert als Gegenstück, daß man sich auf das Verhalten des jeweiligen Partners verlassen können muß. 1 7 7 Vertrauensschutz setzt sich aus drei K o m p o n e n t e n zusammen:
bb) Der objektive
Vertrauenstatbestand
A u f objektiver Seite ist ein Tatbestand notwendig, der nach allgemeiner Ansicht eine hinreichende Anscheinswirkung für die durch diesen regelmäßig repräsentierten Rechtsbeziehungen entfaltet. 178 N e b e n gesetzlich fixierten Vertrauenstat175 Bydlinski, Privatautonomie, S. 131 ff., 137ff.; ders., System, S. 156ff.; Canaris, Vertrauenshaftung, S.412ff.; Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.266ff. 176 Canaris, Vertrauenshaftung, S.440. 177 Singer, Selbstbestimmung, S.92ff.; Medicus, Allgemeiner Teil, Rn.478f.; v. Craushaar, Einfluß, S.36; Bydlinski, Privatautonomie, S. 137ff. 178 Hühner, Allgemeiner Teil, Rn. 587; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 491 ff.; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §2 Rn.34.
7. Kapitel: Generalklauseln und flexibles System
357
beständen, wie einem Registereintrag, existieren sogenannte natürliche. Zu letzteren zählen jedenfalls 1 7 9 Willenserklärungen, denen aus dem Blickwinkel eines normativ-objektiven Empfängerhorizonts 1 8 0 eine bestimmte Bedeutung zuzurechnen ist. D e r Vertrauenstatbestand 1 8 1 kann in zweierlei Hinsicht Indizien für die Konkretisierung von Generalklauseln zur Inhaltskontrolle setzen, zugunsten und zu Lasten des Bestandsinteresses. F ü r die Wirksamkeit der Abrede spricht, daß der Versprechende beim Versprechensempfänger typischerweise das regelmäßig gerechtfertigte Vertrauen auf die zugesagte Leistung zu den vertraglich fixierten Bedingungen erweckt. D e r Erklärungsempfänger wird grundsätzlich in seinem Vertrauen auf die Erklärung geschützt; das Vertrauen, das der Vertragspartner in die Beständigkeit des bei Vertragsschluß erklärten Willens setzt, hat der Vertragsschließende zu bewahren. D i e Sicherheit des Rechts- und Geschäftsverkehrs, der auf das Vertrauen in den Bestand des gegebenen Wortes angewiesen ist, wäre in existentieller Weise beeinträchtigt, wenn das Vertrauen von der Rechtsordnung nicht geschützt würde. Aus der Sicht des Verkehrs- und Vertrauensschutzes k o m m t es deshalb maßgeblich auf die objektiv erkennbaren Umstände an. D e r Vertrauenstatbestand kann in seiner Intensität unterschiedlich ausgeprägt sein. D e n k b a r sind einerseits vertragliche Beziehungen, die von intensiveren Vertrauensbindungen geprägt sind, so unter Umständen bei zeitlich bereits länger reibungslos abgewickelten Dauerschuldverhältnissen, beispielsweise Arbeitsverträgen mit leitenden Angestellten. Andererseits existieren Vertragsgestaltungen, die - abgesehen von dem Realisierungsvertrauen, das typischerweise mit dem Vertragsschluß einhergeht - keine gesteigerte Vertrauensgrundlage beinhalten. Das typischerweise mit einer Willenserklärung einhergehende Vertrauen ist in bezug auf die Wirksamkeit des Vertrages selbst nicht absolut ausgeprägt. Der schuldrechtliche Grundsatz der Vertragstreue etabliert zwar eine erzwingbare Pflicht zur Erbringung der zugesagten Leistung, die vertragliche Vereinbarung wird zur verbindlichen Regelung, zur lex contractus. 182 Der Gesetzgeber hat dadurch, daß er beispielsweise die Möglichkeit zur Anfechtung eröffnet hat, den Vertrauensschutz in seiner Allgemeinheit nicht ausnahmslos ausgeformt. Das für den Fall eines Irrtums nach §119 B G B vorgesehene vertrauensunabhängige Lösungsrecht, kombiniert mit einem Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens (§ 122 Abs. 1 BGB), geht auf eine besondere gesetzliche Entscheidung zurück, die von dem Prinzip des Bestandsvertrauens ausnahmsweise abweicht.183 N e b e n dem Abwicklungsvertrauen sind also verschiedene andere Vertrauenstatbestände denkbar. Besondere Bedeutung kann ein Vertrauenstatbestand bei-
179 Auch der Anschein der Abgabe einer Erklärung mag unter Umständen genügen, wenn der vermeintlich Erklärende diesen Anschein in zurechenbarer Weise durch sein Verhalten hervorgerufen hat. 180 Vgl. Lüderitz, Auslegung, S.286ff. 181 Zur moralischen Dimension des Vertrauens als eines besonderen Verhältnisses gegenseitiger Achtung der Vertragspartner Schapp, Freiheit, S.203, 210f. 182 Vgl. näher im 2. Kapitel (S.43ff., 50ff.). 183 Dazu Lorenz, Schutz, S.259ff., 360; Singer, Selbstbestimmung, S. 58ff.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
spielsweise dann erreichen, wenn er einen über das typische Maß hinausgehenden Grad erreicht. Je nach Intensität vermag vor allem der atypische Vertrauenstatbestand die Vertragskontrolle anhand von Generalklauseln in die eine oder andere Richtung zu lenken. Die abstrakte Rechtsnatur eines Vertrages besagt eo ipso nichts über den Vertrauensgrad; abzustellen ist vielmehr auf die konkrete tatbestandliche und rechtliche Ausgestaltung der Vertragsbeziehung. Die vertragliche Ubereinkunft, zukünftig in einer bestimmten Weise zu verfahren, beispielsweise Leistungen zu bestimmten Bedingungen auszutauschen, bildet bereits für sich einen - wenn auch in seiner Abwägungsintensität hinsichtlich der Konkretisierung einer Vertragskontrollbestimmung gering ausgeprägten Vertrauenstatbestand. Das gilt allerdings auch nur dann, wenn dem Sachverhalt ein vertrauensnegierender Umstand nicht selbst zu entnehmen ist. An einem objektiv nachvollziehbaren, in die Konkretisierung einer Generalklausel einstellbaren Vertrauenstatbestand zugunsten einer bestimmten Rechtssituation fehlt es nämlich, wenn der Tatbestand selbst ein Merkmal enthält, welches das Vertrauen in eine bestimmte Abmachung erschüttert. Der Vertrauenstatbestand wirkt zudem im Vertragsrecht nicht absolut, sondern nur relativ, also im Verhältnis der Vertragspartner. Dritte können auf die Existenz oder ordnungsgemäße Abwicklung eines Vertrages grundsätzlich nicht (originär) vertrauen. 184 Dies ergibt sich bereits aus der jederzeit möglichen einvernehmlichen Abänderbarkeit von Verträgen. Damit ist zugleich der Zeitfaktor des Vertrauenstatbestandes beschrieben. Eine Erklärung erzeugt einen Vertrauenstatbestand dahin, daß zum Zeitpunkt der Abgabe auf die Aussage Verlaß ist. Kommt es zur Willensübereinstimmung, besteht ein Vertrauenstatbestand im Rahmen der zeitlichen Wirkung des Vertrages. cc) Der subjektive Tatbestand der
Verantwortlichkeit
Neben diesem objektiven Tatbestand stehen flankierend zwei subjektive Elemente, die Verantwortlichkeit des Betroffenen und die Schutzwürdigkeit des Begünstigten. Ersteres meint die Zurechnung des Vertrauenstatbestands. Vertrauen und Privatrechtssubjekt müssen in einem ausreichenden Zusammenhang stehen. Als Zurechnungsaspekte kommen Veranlassungs-, Verschuldens- und Risikoüberlegungen in Betracht. 185 Versteht man unter dem Verschuldensansatz das Abstellen auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit, wird diese Überlegung dem Vertrauensgedanken im Zusammenhang mit dem Vertragsrecht regelmäßig gerecht. Eine schuldhafte Beeinträchtigung des Vertrauenstatbestandes ist bei der Konkretisierung einer Generalklausel im jeweils gebührenden Maß zu berücksichtigen. Eine Reihe von
184 Möglich ist eine mittelbare Berücksichtigung des Vertrauenselementes. Dritte können in einen Vertrag in der Weise einbezogen sein, daß sie sich unter bestimmten Voraussetzungen haftungsrechtlich auf den Versprechenden treffende Nebenpflichten, insbesondere Schutzpflichten, berufen können, sogenannter Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. 185 Im einzelnen Canaris, Vertrauenshaftung, S.473ff. (Veranlassungsprinzip), S.476ff. (Verschuldensprinzip), S.479 (Risikoprinzip).
7. Kapitel: Generalklauseln und flexibles System
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Fällen ist von dieser Basis aus jedoch nicht zu bewältigen. I m Spannungsfeld von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle können mannigfaltige Vertrauenstatbestände relevant werden, die mit dem Verschuldenskriterium nicht zureichend zu erfassen sind. Zurückzugreifen ist deshalb auf den objektivierten Verantwortlichkeitsmaßstab der Risikoverteilung. D a b e i ist zu sehen, daß im Vertragsrecht die Beteiligten typischerweise auf die gegenseitigen Erklärungen vertrauen, spezifische Erklärungsrisiken und zurechenbare Vertrauenstatbestände mithin insoweit nicht existieren. D i e bloße Abgabe einer Erklärung ist als Ausgangspunkt für eine auf Vertrauen begründete Risikoverteilung wenig hilfreich. Bedeutung k o m m t vielmehr dem Umstand zu, ob eine Seite mit ihrer Erklärung ein erhöhtes Vertrauenspotential geschaffen hat. Das kann der Fall sein, wenn jemand die U n r i c h tigkeit oder Fehlerhaftigkeit seiner Erklärung kennt. D i e besonderen Umstände eines Falles führen hier gegebenenfalls zu einer Verlagerung der einen Vertragsschluß begleitenden Vertrauensäquivalenz. So liegt es, wenn eine Vertragsseite bewußt wahrheitswidrig, also zurechenbar - dadurch einen besonderen Vertrauenstatbestand schafft, daß sie erklärt, mit der Unterzeichnung einer Bürgschaftsurkunde sei »keine große Verpflichtung« verbunden, es handele sich um eine bloße Formsache ohne rechtliche Haftungsrelevanz. 1 8 6 Im konkreten Fall ist durch diese Erklärung ein atypischer zurechenbarer Vertrauenstatbestand geschaffen worden, der im R a h m e n der Konkretisierung einer Generalklausel für eine Vertragskontrolle spricht. D i e Vertrauensinvestition des Vertragspartners in die Richtigkeit der Erklärung führt bei der Abwägung im R a h m e n einer Generalklausel zu einem gegen die Wirksamkeit des Vertrages sprechenden Umstand. Bei dem Grundwert des Vertrauensschutzes handelt es sich nur um einen von vielen in die Abwägung einzustellenden Punkten. J e nachdem, welchen G r a d das Vertrauen im Einzelfall erreicht hat und welche Umstände darüber hinaus für und gegen eine Nichtigkeit des Vertrages sprechen, ist im Ergebnis über die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts zu entscheiden. Ein Vertrauenstatbestand kann nicht nur ein Indiz zugunsten der Nichtigkeit setzen. D e r Vertrauende ist unter U m s t ä n den mittels einer Generalklausel durch einen Erfüllungsanspruch zu schützen, obgleich der Vertrag beispielsweise wegen eines Formverstoßes nach § 1 2 5 S. 1 B G B nichtig ist. D e r Umstand, daß die Vertragsseite, die zunächst in zurechenbarer Weise das Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrages erweckt hat, sich sodann vertrauenswidrig auf den Formverstoß beruft, ist im R a h m e n der A b w ä gung zu berücksichtigen und kann je nach den Gegebenheiten des Einzelfalls eine Erfüllungspflicht begründen. 1 8 7
B G H NJW 1994, 1341. Zu den strengen Anforderungen und den in die Abwägung im einzelnen einzustellenden Erwägungen B G H Z 48,396,398; 45,179,184; 29,6,10; 23,249,254. Ein zurechenbarer Vertrauenstatbestand wird für sich genommen §242 B G B in der Regel nicht ausfüllen. Je nach der Wertigkeit des Treueverstoßes müssen im Rahmen der Abwägung zusätzliche Elemente flankierend zur Seite treten. Ausführlich im 9. Kapitel (S. 392ff.). 186 187
360
3. Teil: Inhaltskontrolle
dd) Die subjektive Komponente der
durch
Generalklauseln
Schutzwürdigkeit
Die objektive Existenz eines Vertrauenstatbestandes ist im Rahmen einer Generalklauselkonkretisierung dann von Bedeutung, wenn der durch das Vertrauen potentiell Begünstigte schutzwürdig ist. 188 Das ist anzunehmen, wenn sich der Vertragspartner auf den Vertrauenstatbestand eingestellt und sein Verhalten darauf eingerichtet hat. Canaris hat insbesondere für den Fall der Rechtsscheinhaftung die Schutzwürdigkeit mit fünf Merkmalen umschrieben, 189 die in modifizierter Weise für die Frage der inhaltsbezogenen Vertragskontrolle mittels Generalklauseln fruchtbar gemacht werden können: Der Vertragspartner muß gutgläubig sein; nur dann verdient sein Vertrauen Schutz. Danach schließt jedenfalls positive Kenntnis der wahren Umstände die Berücksichtigung von Vertrauen in der Abwägung aus. Läßt sich jemand bewußt auf einen kontrollrelevanten Tatbestand ein, mangelt es an der Schutzwürdigkeit. Das heißt nicht, daß ein Vertrag deshalb nicht einer Vertragskontrolle unterzogen werden kann, sondern nur, daß bei der Konkretisierung individualisiertes Vertrauen mangels Schutzwürdigkeit keinen Abwägungsfaktor bildet. Inwieweit Evidenz vertrauenssenkend oder sogar -ausschließend zu veranschlagen ist oder bei welchen Rechtsgeschäften Nachforschungen geboten sind, richtet sich nach den Umständen des Falles. Eine allgemeingültige Regel läßt sich nicht aufstellen und ist auch nicht notwendig, da ein »Alles-oder-Nichts-Prinzip« auf der Konkretisierungsebene nicht besteht. Aus dem komparativem Ansatz folgt: Je nach dem Grad einer etwaigen Kenntnisobliegenheit ist das Vertrauen in die Abwägung einzustellen. Gutgläubigkeit allein genügt nicht, setzt sie doch keine Beziehung zum Vertrauenstatbestand voraus. Auch derjenige kann gutgläubig sein, der von dem Vertrauenstatbestand keine Kenntnis hat. Kenntnis des Vertrauenstatbestandes zählt deshalb zu den Voraussetzungen der Schutzwürdigkeit. Vertrauen gewinnt im Zusammen- und Widerspiel der Konkretisierungskomponenten vor allem dann an Relevanz, wenn es zur Grundlage für das Verhalten des Vertrauenden wird, er auf den Vertrauenstatbestand reagiert und Dispositionen vorgenommen hat. Im einzelnen kommt es darauf an, welcher Art die Reaktion war und welches Ausmaß sie erreicht hat. In die komparative Reihung einzustellen sind Verhaltensweisen, die kausal mit dem Vertrauen verknüpft sind. Der Umstand des Vertragsschlusses ist als vertrauensgestützte Betätigung von geringem Grad; das ist der typische Tatbestand. Das subjektive Vertrauen auf das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts führt wesensgemäß zur entsprechenden Vertrauensinvestition. Eine maßgebliche Kontrollbeeinflussung leistet ein weitergehender Vertrauensumstand. Demzufolge haben das Reichsgericht, beispielsweise in der Anzahlungsentscheidung, 190 und der Bundesgerichtshof, unter Hühner, Allgemeiner Teil, Rn. 593. Canaris, Vertrauenshaftung, vor allem aus dem Blickwinkel der Rechtsscheinhaftung, S.504ff. (Gutgläubigkeit), S.507ff. (Kenntnis des Vertrauenstatbestandes), S.510ff. (Disposition), S.514ff. (Kausalität), S. 516f. (Schutzwürdigkeit des Erwerbsvorganges). 190 RGZ 107, 357ff. 188
189
7. Kapitel: Generalklauseln
und flexibles System
361
anderem in der Kleinsiedlerentscheidung, 191 betont, daß sich eine Vertragsseite über das übliche Maß hinaus auf den Bestand eines Rechtsgeschäftes eingerichtet hatte, und daraus Rückschlüsse auf die Wertigkeit des Vertrauensgrundsatzes hinsichtlich der Schutzwürdigkeit gezogen. Gesteigertes Vertrauen bedingt erhöhte Schutzwürdigkeit. Es bestätigt sich wiederum: Je zahlreicher und stärker die Merkmale ausgeprägt sind, die für eine bestimmte Lösung sprechen, desto eher ist diese Rechtsfolge der Entscheidung zugrunde zu legen. Vor allem bei synallagmatischen Verträgen ist in die Abwägung gegebenenfalls insbesondere das soziale Gerechtigkeitsprinzip, namentlich der Grundsatz der ausgleichenden Gerechtigkeit einzustellen. e) Das soziale aa)
Gerechtigkeitsprinzip
Ausgangslage
Die selbstbestimmte eigenverantwortliche Gestaltung repräsentiert die freiheitlich-liberale Grundhaltung des Zivilrechts. Diese Grundwertung ist geprägt von den Ideen des klassischen Liberalismus, der davon ausgeht, daß in einer Gesellschaft formal gleichgestellter Individuen jeder seine Rechtsverhältnisse selbständig ordnen kann und durch freies Aushandeln zu einem gerechten Ausgleich seiner Interessen findet. 192 Vor allem das Schuldrecht wird vom »Leitbild des vernünftigen, selbstverantwortlichen und urteilsfähigen Rechtsgenossen« 193 bestimmt. Auf eine materiale Vertragsethik hat das B G B ursprünglich in weiten Teilen verzichtet. 194 Zu den tragenden Säulen der aktuellen Privatrechtsordnung zählen hingegen nicht nur die dem Individuum Freiraum sichernden Prinzipien. Es besteht allgemeiner Konsens, daß in der Rechtsordnung ein gewisses Maß sozialer Gerechtigkeit zu wahren ist. In zunehmendem Maße wurden in die Zivilrechtsordnung deshalb soziale Komponenten eingefügt. Das bürgerliche Recht trägt auf diese Weise dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes 195 und der Einsicht Rechnung, daß ein ethischer Grundkonsens der Gesellschaft auch in subjektiv-relativen Verhältnissen zu wahren ist. Die Freiheit des einzelnen Individuums steht nicht isoliert, sondern ist in die soziale Gemeinschaft eingebettet. Ein ethisch verantwortungsvoller Freiheitsgebrauch und ein geordnetes Zusammenleben gebieten eine Beschränkung der individuellen Freiheit. Zur Sicherung eines liberalen und sozialverträglichen Privatrechts und damit zur Erhaltung einer sozialen Marktwirtschaft bedient sich die Rechtsordnung vielfältiger Instrumente, wie die zahlreichen sozial begründeten Normen beispielsweise des Mietrechts zeigen. Die Existenz eines sozialen Gerechtigkeitsprinzips als Grundwert der Zivilrechtsordnung steht außer Frage. 196 191 192 193 194 195 196
B G H Z 16, 334ff. Zum liberalen Grundkonzept der Privatrechtsordnung siehe das 1. Kapitel (S.36ff.). Wieacker, Privatrechtsgeschichte, §25 IV 2c. Näher im 1. Kapitel (S.36ff.). Vgl. das 3. Kapitel (S.69ff.); zur europarechtlichen Dimension im 4. Kapitel (S. 148ff.). Vgl. nur Habersack, AcP 189 (1989), 403, 409ff.; Hager, Auslegung, S. 143; Brox, J Z 1966,
362 bb) Formale
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
Gerechtigkeit
Weitgehend offen ist, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang Gerechtigkeitserwägungen bei der Konkretisierung von Generalklauseln heranzuziehen sind. Für das Vertragsrecht ist die Frage zu präzisieren: Wann sind Rechte und Pflichten zwischen den Parteien eines Leistungsaustauschverhältnisses derart sozial ungerecht verteilt, daß die Vereinbarung unter Umständen in der Rechtsordnung keine Anerkennung mehr finden kann? Oechsler betont, daß sich Vertragsgerechtigkeit nicht durch soziologisch, ökonomisch oder politisch motivierte bestimmte Gerechtigkeitsinhalte begründen lasse. In den Mittelpunkt seiner Erörterungen zur Vertragsgerechtigkeit stellt er das Gebot formaler Gerechtigkeit. 197 Formale Gerechtigkeit in der Rechtsanwendung meint die Differenzierungsfähigkeit des Rechts. Die Rechtsordnung hat sicherzustellen, daß tatsächlich gleiche Fälle gleich und tatsächlich ungleiche Fälle verschieden behandelt werden. Ein Rechtssatz muß mithin tauglich sein, eine derartige Diskriminierungsleistung zu erbringen. U m dies zu erreichen, enthält die N o r m einen speziellen materiellen Tatbestand, der sich insbesondere im Zuge teleologischer Interpretation offenbart, und knüpft an Sachverhalte unterschiedlicher Provenienz an. So gelingt es, einschlägige Sachverhalte von anderen zu sondern. 198 Dem formalen Postulat ist der Gesetzgeber durch den abstrahierend-generalisierenden Stil nachgekommen. Rechtlich definierte Begriffe ermöglichen eine Tatbestandsbildung, unter die Lebenssachverhalte zu subsumieren sind. Der Nachteil dieser Gesetzessprache, die Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse aufgrund der Abstraktheit des Gesetzes nicht stets zu erfassen, wird durch die Generalklauseln ausgeglichen. Durch sie wird es ermöglicht, der Komplexität sich fortlaufend ändernder Lebensumstände Rechnung zu tragen und auch außergewöhnliche Gestaltungen im Einzelfall einer gerechten Lösung zuzuführen. Generalklauseln können so einen Beitrag zur formalen Gerechtigkeit leisten. Voraussetzung ist ein Konkretisierungsmaterial, das die Unterscheidung von einschlägigen und nicht einschlägigen Sachverhalten zuläßt. Erforderlich dazu sind entsprechende Konkretisierungsfaktoren. Die Frage ist, ob zu diesen Faktoren materiale Gerechtigkeit zählt. cc) Materiale
Gerechtigkeit
Materiale Gerechtigkeit ist in ihrem Inhalt rational kaum faßbar. 199 Sie meint einen nicht abschließend definierbaren »Grundbegriff der Ethik, der Rechts- und 761 f.; Biedenkopf, Wettbewerbsbeschränkung, S. 106ff.; H.P. Westermann, AcP 178 (1978), 150, 153ff.; Bydlinski, Privatautonomie, S.62ff.; Säcker, Gruppenautonomie, S.261 ff.; ders., in: MünchKommBGB, Einl. Rn.27ff.; Weitnauer, Schutz, S. 18, 34; Merz, Vertrag, Rn. 101 ff., 106; Gaul, Festschrift für Baumgärtel, S.75, 94; Zweigert, Festschrift für Rheinstein, S. 493, 501 ff.; Raiser, J Z 1958, 1, 3f.; ders., Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, S. 101, 129; Hönn, Kompensation, S. 20f.; Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 118, 251 ff., 265ff. 197 Oechsler, Gerechtigkeit, S.86ff., 166f. 198 Oechsler, Gerechtigkeit, S. 8ff. 199 Ausführlich Oechsler, Gerechtigkeit, S. 86ff.; Schreiber, Freihandel, S.62ff.
7. Kapitel: Generalklauseln
und flexibles System
363
Sozialphilosophie sowie des politischen, sozialen, religiösen und juristischen Lebens«200 und ist von subjektiven Gerechtigkeitsvorstellungen geprägt.201 Als Konkretisierungsmaterial ist die soziale Gerechtigkeit in ihrer materialen Variante im allgemeinen zu vage. Die Vorgabe und Verwirklichung sozialer Zielsetzungen ist in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, der dieser auch in vielfältiger Weise nachgekommen ist.202 Materiale Gerechtigkeit unterfällt der Einschätzungsprärogative der Legislative. Der schillernde materiale Gerechtigkeitsbegriff kann auch nicht auf ein Prinzip der Äquivalenz im Sinne einer Forderung nach Gleichwertigkeit der Leistungen reduziert oder mit diesem gleichgesetzt werden. Als Ausgangspunkt derartiger materialer Gerechtigkeitserwägungen wird regelmäßig der Ansatz von Aristoteles zur ausgleichenden Gerechtigkeit und zur Wiedervergeltung gewählt. Aristoteles differenziert unter anderem zwischen der distributiven Gerechtigkeit, die sich auf die Verteilung von Gütern durch den Staat an die Bürger bezieht, und der ausgleichenden Gerechtigkeit, die das Verhältnis der Bürger zueinander regelt. Im Gegensatz zur distributiven Gerechtigkeit, die Güter proportional nach Würdigkeit der Personen zuordnet, ist bei der ausgleichenden Gerechtigkeit von der Gleichheit der Personen auszugehen. Der Gerechtigkeitsaspekt bezieht sich hier auf die Güterseite. Ziel der ausgleichenden Gerechtigkeit ist es zu gewährleisten, daß »nicht mehr und nicht weniger vereinnahmt wird«, als man vorher hatte. Jeder Vertragspartner erhalte dann das Seinige, wenn er »nach wie vor das Gleiche hat.«203 Vertragsfreiheit werde durch Vertragsgerechtigkeit eingeschränkt, und diese orientiere sich an objektiv ausgeglichenen Wertverhältnissen.204 Die Überlegungen von Aristoteles wurden in der Folgezeit vielfach aufgegriffen und mündeten in der Lehre vom iustum pretium.205 In der geltenden Rechtsordnung kommt es auf ein objektives Äquivalenzverhältnis im Sinne einer (annähernden) Gleichwertigkeit entsprechend den Überlegungen von Aristoteles nicht an. Die laesio enormis wurde in das B G B nicht übernommen; die inhaltliche Gleichwertigkeit der Leistungen wird grundsätzlich nicht überprüft.206 Dies ist zu Recht so - praktische wie systemtheoretische Ge-
Kaufmann, Gerechtigkeit, S. 27. Oechsler, Gerechtigkeit, S. 143: Materiale Gerechtigkeitstheorien gründeten auf subjektiven Uberzeugungen ihrer Vertreter und entbehrten rationaler Maßstäbe. »Ein aus materialen Gerechtigkeitsinhalten abgeleiteter Rechtssatz wird also nicht auf der Grundlage einer präzisen Schutzteleologie angewendet, die eine rationale Überprüfung des sachlichen Geltungsanspruchs im Einzelfall ermöglichte, sondern auf einer höchst irrationalen Komponente, nämlich der sachlich nicht weiter hinterfragbaren Gewißheit von der Maßgeblichkeit des einmal vorausgesetzten Gerechtigkeitsinhaltes.« 200 201
Ubereinstimmend Preis, Grundfragen, S.284f. Aristoteles, Ethik, Buch V, Kapitel 7, S. 111. 204 Aristoteles, Ethik, Buch V, Kapitel 8, insbes. S. 113 : »Wenn j eder das Seine bekommt, stehen sie sich gleich und es kann ein geregelter Verkehr stattfinden. Denn dadurch, daß nach Verhältnis vergolten wird, bleibt der Bürgerschaft ihr Zusammenhalt gewahrt.« 205 Vgl. das 1. Kapitel (S.13ff.). 206 Motive II, S.321; Kramer, Grundfragen, S. 118ff.; Merz, Vertrag, Rn. 104. 202 203
364
3. Teil: Inhaltskontrolle durch
Generalklauseln
sichtspunkte sprechen gegen einen staatlich kontrollierten Vertragsinhalt, insbesondere eine Prüfung der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung. Zum einen läßt sich in vielen Bereichen ein gerechter Preis kaum bestimmen. 2 0 7 Zum anderen bestimmt nicht nur der Preis allein das Gleichgewicht der Abrede, hinzu kommen Nebenabreden, Risiko- und Lastenverteilungen. Möglicherweise ist ein Vertragspartner bewußt ein besonderes Risiko eingegangen. Weiterhin stellt es ein Charakteristikum eines marktwirtschaftlichen Systems dar, Wirtschaftssubjekte und -objekte dem Wettbewerb auszusetzen und einen Gestaltungsraum zur Verfügung zu stellen. Objektive, absolut gültige Maßstäbe für den Wert von Wirtschaftsgütern sind prägend für ein zwangswirtschaftliches System. D e m Grundsatz der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung folgend kommt es darauf an, daß - bedingt durch die Marktlage - jeder Vertragspartner aufgrund eigener Einschätzungen die Leistung des anderen als Äquivalent für seine eigene Leistung ansieht. Im geschäftlichen Verkehr darf jeder eine Maximierung des eigenen Nutzen anstreben. Ein objektives Mißverhältnis, sei es in bezug auf die zu erbringenden Leistungen, sei es hinsichtlich der mit dem Vertrag verbundenen Lasten- und Risikoverteilung oder sei es hinsichtlich der Kombination der Umstände, stellt grundsätzlich keinen Anlaß für eine Vertragskontrolle dar. Den Privatrechtssubjekten steht es frei, Leistungen ohne Gegenleistung zu erbringen, wie §§516ff., 598ff. B G B und §§662ff. B G B zeigen. Auch bei § 1 3 8 Abs.2 B G B genügt zur Nichtigkeit einer Abrede ein auffälliges Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht; Vertragsfreiheit wird eingegrenzt, wenn daneben die Ausbeutung einer Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche des Vertragspartners zu konstatieren ist. Inäquivalenz stellt für sich genommen keinen Kontrollaspekt dar. Ein Vertrag setzt für seine Gültigkeit kein bestimmtes, objektiv meßbares Gleichgewichtsverhältnis der Leistungen oder Vertragsbedingungen voraus. Kontrollrelevanz gewinnt Inäquivalenz dann, wenn ein unausgewogenes Austauschverhältnis nur deshalb zustande gekommen ist, weil lediglich formale Vertragsfreiheit bestand, dem Vertragspartner ansonsten keine Wahl- oder Einflußmöglichkeiten offenstanden. Operationable Konkretisierungselemente können sich aus dem Zusammenspiel mehrerer Prinzipien ergeben. Grundwertungen, die für sich genommen für die Vertragskontrolle grundsätzlich ohne Belang sind, können in ihrer Relation das Prinzip der materialen Vertragsgerechtigkeit ausfüllen und so Relevanz für die Inhaltskontrolle gewinnen. 208 So liegt es beispielsweise bei der unter dem Schlagwort »Kompensation gestörter Vertragsparität« diskutierten Konstellation: Disparität läßt die formale Vertragsfreiheit nicht entfallen. Auch die materiale Vertragsfreiheit ist durch ein Machtungleichgewicht im Grundsatz nicht getroffen; wirtschaftliche, intellektuelle oder soziale Unterlegenheit wirken auf die faktische Gestaltungswahl nicht zwangsläufig nachteilig ein. Auch zwischen un-
207 208
Vgl. Engisch, Suche, S. 162ff.; Larenz, Richtiges Recht, S. 70ff. Dazu Canaris, Systemdenken, S. 86ff.
7. Kapitel: Generalklauseln und flexibles System
365
gleichen Partnern kann ein gerechter Vertrag zustande k o m m e n . Imparität für sich allein genommen ist folglich nicht aussagekräftig. E b e n s o liegt es bei der Äquivalenzstörung. Ein objektiv unangemessenes Leistungsverhältnis allein bildet keinen relevanten Abwägungsfaktor. Daran ändert sich auch nichts, wenn Vertragspartner unterschiedlichen finanziellen oder intellektuellen Gewichts einen unausgewogenen Vertrag schließen. A u c h unterlegene Vertragspartner können zu Gunsten eines Überlegenen rechtswirksam beispielsweise einen Schenkungsvertrag abschließen. Erst die kausale Verknüpfung beider Elemente zu einer nachteiligen Vertragsgestaltung kann aus Gerechtigkeitserwägungen unter gewissen Umständen nicht mehr hingenommen werden. Voraussetzung ist eine kausale, inadäquate Verknüpfung der Prinzipien; die Überlegenheit einer Vertragsseite m u ß zu einer inäquivalenten, dem Partner nachteiligen Vertragsgestaltung geführt haben. Als sozial ungerecht erscheinen Abreden, die in ihrer Gesamtbetrachtung ein objektives Mißverhältnis aufweisen, wenn dieses Mißverhältnis zwar formal auf Vertragsfreiheit zurückzuführen ist, die materiale Freiheit des Vertragsschließenden aber aufgrund wirtschaftlicher, intellektueller oder sozialer Umstände eingeschränkt ist und dies die objektive Inäquivalenz verursacht hat. D i e Analyse zeigt: N u r das Zusammen- und Widerspiel einzelner Elemente ist für das Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit aussagekräftig. Soziale Gerechtigkeit in ihrer materialen Ausformung ist das Ergebnis einer Prinzipienkombination und stellt in ihrer Allgemeinheit keine isoliert aussagekräftige K o m p o n e n t e dar. Materiale Gerechtigkeit und die aus ihr abgeleiteten Teilaspekte (z.B. Äquivalenz- oder Imparitätserwägungen) sind für sich allein genommen für den Konkretisierungsvorgang ohne Bedeutung. D i e Teilaspekte materialer G e rechtigkeit gewinnen an Relevanz erst durch das Zusammenspiel mit Rechtsprinzipien. Insbesondere der Grundsatz inhaltlicher Äquivalenz als »Unterprinzip der sozialen Gerechtigkeit« 2 0 9 kann im Zusammenhang mit Grundwertungen für die Vertragskontrolle gegebenenfalls fruchtbar gemacht werden. Zu den G r u n d wertungen der Rechtsordnung zählt dementsprechend die formale Gerechtigkeit.
V. Zusammenfassung Die Ausführungen zeigen, daß auch die praktisch bedeutungsvolle Inhaltskontrolle mittels Generalklauseln durch die Anwendung des flexiblen Systems 2 1 0 eine rechtssichere und vorhersehbare Entscheidung ermöglicht. D e r Umgang mit G e neralklauseln wird durch die Grundwertungen der Rechtsordnung bestimmt. D i e Analyse der fundamentalen Prinzipien des Schuldrechts macht die W i r kungsweise der Generalklauseln transparent. T r o t z aller methodischen Anstrengungen läßt sich allerdings keine den bestimmten Tatbeständen vergleichbare F i 209 210
Bydlinski, System, S. 756. Siehe das 5. Kapitel (S.205ff.) sowie im 7. Kapitel vor allem S.320ff.
366
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
xierung der Rechtsanwendung erzielen. Generalklauseln sind Wertungstatbestände. Das Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle bleibt damit in weiten Bereichen von Wertungen abhängig. D i e konkreten Ausformungen der Grundwertungen unterliegen einem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, der durch Änderungen der Rechtsordnung einzelne Grundwertungen neu positionieren kann, und einem Bewertungsspielraum der Gerichte. D e r Rechtsprechung obliegt es, das Zusammen- und Wechselspiel der Grundprinzipien und damit das Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle zum Ausgleich zu bringen. Aufgabe und Ziel der folgenden Kapitel stehen damit fest: Z u m einen ist der derzeitige Stand von Rechtsprechung und Gesetzgebung zu ausgewählten Fragen der Inhaltskontrolle darzustellen. Zum anderen sind die Wertungen, die hinter den Grenzen der Vertragsfreiheit stehen, bei den spezifischen Kontrolltatbeständen aufzudecken, kritisch auf ihre Rechtfertigung zu hinterfragen und so etwaige Schutzlücken oder ein etwaiges Schutzübermaß zu bestimmen. A u f diese Weise soll versucht werden, sowohl Leitlinien herauszuarbeiten, die zutreffenderweise weiter verfolgt werden sollen, als auch Fehlentwicklungen von Gesetzgebung und Rechtsprechung aufzuzeigen, die sich in die Rechtsordnung nicht konsistent einfügen und deshalb gegebenenfalls rückgängig zu machen oder abzuschwächen sind. Bei der Analyse des gegenwärtigen Umganges mit Kontrollmaßstäben ist vor allem zu berücksichtigen, daß die in diesem Kapitel kurz angesprochenen G r u n d wertungen der Schuldrechtsordnung nicht ohne Rahmenbedingungen bei der Konkretisierung von Generalklauseln zur Anwendung k o m m e n . D e n n in einem solchen Falle wäre es überflüssig, zwischen verschiedenen Kontrolltatbeständen zu unterscheiden. D a n n hätte es nahegelegen, für die Inhaltskontrolle einen generellen Tatbestand zu schaffen. D i e Grundwertungen haben sich vielmehr in die v o m jeweiligen Kontrolltatbestand vorgegebenen, besonderen Strukturen einzupassen. Entgegen einer verbreiteten Meinung 2 1 1 handelt es sich bei den einzelnen Generalklauseln nämlich nicht um nichtssagende Floskeln ohne jeglichen rechtlichen Gehalt, sondern um die Benennung aussagekräftiger Wertungen, die für die Anwendung der Generalklauseln von richtungsweisender Bedeutung sind. Die einzelnen Kontrollnormen, seien es § § 1 3 8 , 242 B G B , sei es § 9 A G B G , spielen für die Bestimmung und Begrenzung des Konkretisierungsspielraumes eine wesentliche Rolle. J e genauer, je spezialisierter eine Vorschrift gefaßt ist, je vollständiger sich ihr N o r m b e r e i c h dazu eignet, begrifflich individualisiert zu werden, umso ergiebiger ist ihr Wortlaut. T r o t z der tatbestandlichen Weite der Generalklauseln zur Inhaltskontrolle von Verträgen setzen die legislatorischen Vorgaben den R a h m e n und die entscheidenden Akzente der Konkretisierung. Zudem k o m m t dem N o r m t e x t Grenzwirkung zu; er umschreibt den Spielraum einer zulässigen normtextorientierten Konkretisierung der Vertragskontrolle. E i 2 1 1 Vgl. Hedemann, Flucht, S. 70ff. (»Katastrophe der Rechtsordnung«, »blanke, nackte richterliche Willkür«); weitere Nachweise sogleich bei den jeweiligen Einzeldarstellungen.
7. Kapitel: Generalklauseln und flexibles System
367
ne wertungsoffene Vorschrift kann nicht - wie von Anhängern der Topik teilweise propagiert 2 1 2 - lediglich als Ansatzpunkt der Problemlösung behandelt werden, der ignoriert werden kann, wenn er dem Problemzusammenhang nicht zu genügen scheint. Treffend hat dies Friedrich
Müller
zusammengefaßt: »Rechts-
staatsgetreue Methodik fragt nicht hinter das Gesetz zurück und über es hinaus, wohl aber hinter den N o r m t e x t zurück und über ihn hinaus.« 2 1 3 D i e generellen Vertragskontrollklauseln bezeichnen maßgebliche Eckwerte rechtlicher Verbindlichkeit und geben mit ihrem Wortlaut die G r e n z e der Interpretation wieder. 214 D e n Generalklauseln ist in positiver wie auch in negativer Hinsicht eine Grenzwirkung zuzusprechen. Im Vergleich zu anderen N o r m t e x t e n ist graduell die D i c h t e der Vorgabe bei Formulierungen wie »Sittenwidrigkeit« oder »Treu und Glauben« gering ausgeformt, gleichwohl sind auch diesen Begriffen K o n k r e tisierungsdaten zu entnehmen. 2 1 5 So könnte sich eine Entscheidung nicht mehr auf § 138 Abs. 1 B G B berufen, wenn die »guten Sitten« mit dem Standard der sogenannten Ganovenehre gleichgestellt würden. Mit § 2 4 2 B G B läßt sich eine E n t scheidung nicht begründen, die zum Beispiel die Elemente der Voraussehbarkeit, Gegenseitigkeit und Kontinuität der rechtlichen Handlung außer Betracht läßt und so den Maßtstab des Vertrauens subjektiv wie objektiv ignoriert. Von Interesse sind demnach die normativen Wertungen der einzelnen Kontrolltatbestände. Entscheidend für das Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle ist also, welche Rahmenbedingungen durch die die einzelnen Generalklauseln prägenden Begriffe »Sittenwidrigkeit«, »Treu und Glauben« sowie »Angemessenheit« vorgegeben werden. D e r Schwerpunkt der Darstellung liegt auf der Angemessenheitsprüfung.
212 Zur Kritik an der Wortlautausrichtung und an der Gesetzesbindung durch die Topiklehre, vgl .Rodingen, Pragmatik, S. 148f.; Gast, Festschrift für Viehweg, S. 297,305; siehe auch in diesem Kapitel unter II (S.320ff.). 213 Müller, Methodik, Rn. 311 (unter Bezugnahme auf Ehmke, W D S t R L 1963, S. 53, 54). 214 Der Normtext erfüllt zwei Aufgaben, zum einen kommt ihm eine Grenz-, zum anderen eine Konkretisierungsfunktion zu. 215 Sack, NJW 1985, 761, 765.
8. Kapitel
Die »guten Sitten« als Wertungsrahmen I. Die guten Sitten 1. Die Funktion des §138 Abs. 1 B G B Die Sittenwidrigkeitsklausel des § 138 Abs. 1 B G B ermöglicht zwar keine unmittelbare Subsumtion, enthält aber gleichwohl Wertungsvorgaben. Es handelt sich weder um eine inhaltslose Blankettnorm noch - wie häufig behauptet wird1 - um eine Leerformel. Der generelle Charakter ändert nichts daran, daß die Vorschrift rechtliche Kriterien vorgibt, die den Rahmen abstecken, innerhalb dessen auf die allgemeinen Prinzipien der Rechtsordnung zurückgegriffen werden kann. Dies zeigen die Funktionsweisen der Norm und vor allem die (folgende) Begriffsanalyse. Hinzu kommt, daß die Gerichte durch die jeweiligen Einzelfallentscheidungen eine Konkretisierung vornehmen, die ihrerseits über den Einzelfall hinauswirkt und als »Akt richterlicher Rechtsbildung«2 unter Umständen zu einer anerkannten Tatbestandstypisierung führt, die ihrerseits wiederum möglicherweise Eckpunkte für die zukünftige Anwendbarkeit des §138 Abs. 1 BGB setzt. Die Multipolarität kodifizierter und nicht kodifizierter Prinzipien, verfassungsrechtlicher Wertungen sowie richterlicher Präjudizien und Erkenntnisse bildet den Rechtsstoff, aus dem das Gericht seine Entscheidung trifft, ob ein konkretes Rechtsgeschäft wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig ist oder nicht.3 Aus dieser Funktionsweise der Norm ergeben sich fünf Zielrichtungen, zwei individualrechtliche und drei gesamtrechtsbezogene Zwecke. Zum ersten ist der Eliminationszweck zu nennen: Rechtsgeschäften, die gegen die guten Sitten verstoßen, wird die Anerkennung versagt. § 138 Abs. 1 BGB stellt ein Korrektiv der Privatautonomie dar. Allerdings soll nicht nur das jeweils betroffene Rechtsgeschäft unwirksam sein; jedermann soll durch § 138 Abs. 1 B G B angehalten werden, keine sittenwidrigen Rechtsgeschäfte abzuschließen.4 Der Abschreckungszweck zielt nicht auf eine positive Inhaltsbestimmung von Verträgen, sondern er beschränkt sich auf eine negative Wirkung. Neben diesen beiden individuumsbezogenen Zwecken stehen die von Teubner herausgearbeiteten Wirkungsweisen im Hinblick auf die Gesamtrechtsordnung. § 138 B G B verweist zunächst auf auVgl. nur Haberstumpf, Formel, S. 73 ff.; Teubner, Standards, S. 18ff., jeweils m. weit. Nachw. Soergel/Hefermehl, § 138 Rn. 8. 3 Vgl. Simitis, Sitten, S. 173f.; Enderlein, Rechtspaternalismus, S.383. 4 Lindacher, AcP 173 (1973), 125, 128f.; Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105,110; BGH NJW 1987, 2014, 2015; NJW 1986, 2944, 2945; BGHZ 68, 204, 207. 1
2
8. Kapitel: Die »guten Sitten« als Wertungsrahmen
369
ßerrechtliche Maßstäbe, die der Richter rechtsverbindlich feststellt (Transformationswirkung); die Vorschrift bringt zudem innerrechtliche Maßstäbe zur G e l tung (Rezeptionszweck). Schließlich sichert die Generalklausel die richterliche Normenbildung ab (Legitimationsfunktion). 5 2. D e r B e g r i f f der guten Sitten i m allgemeinen a) Rechts- und
Sozialmoral
D e r Begriff der guten Sitten stammt aus dem römischen R e c h t und ist die wörtliche Ubersetzung von »boni mores«. 6 I m gemeinen R e c h t wurde die Wendung als Verweis auf die »Rechtsmoral« gedeutet, bei der es sich um eine »dem Wesen des Rechts adaptierte Moral« handele. 7 Das erscheint angesichts der Wortwahl zu eng. F u n k t i o n der Sittenwidrigkeitskontrolle ist es, Moralvorstellungen von B e reichen außerhalb des Rechts einzubeziehen. D i e Generalklausel inkorporiert neben grundlegenden Wertungen der Rechtsordnung auch außerrechtliche G r u n d sätze in das Privatrecht, erfaßt also die »herrschende Rechts- und Sozialmoral«. 8 Bei der Bestimmung des Wertungsrahmens der Sittenwidrigkeit sind mithin gesetzliche und außergesetzliche Wertmaßstäbe zu kombinieren. Zu ersteren zählen neben den verfassungs- und europarechtlichen Wertungen vor allem die grundlegenden Wertentscheidungen der Rechtsordnung. D a z u ist das Erforderliche bereits geschildert worden. 9 D e r zweite Anknüpfungspunkt, die Sozialmoral, bedarf näherer Umschreibung. b) Der außergesetzlicbe
Bezugsrahmen
Als außergesetzliche Maßstäbe sind nicht die aktuell tatsächlich existierenden Sitten und Gebräuche zu verstehen. D e n n auf diese Weise wäre der sittliche Bezug aufgegeben; auch als negativ einzuschätzende Entwicklungen könnten rechtliche Anerkennung erfahren. Das Merkmal der guten Sitten meint keine Sittlichkeit im gesinnungsethischen Sinn. Aufgabe der Rechtsordnung ist es nämlich, Mißbräuchen der Vertragsfreiheit zu begegnen, und nicht, gesinnungsethisches Verhalten zu erzwingen. Dies bestätigt die Entstehungsgeschichte des § 138 Abs. 1 B G B . Bei der Kodifikation wurde bewußt die Wendung »gegen die guten Sitten« benutzt anstatt »gegen die Sittlichkeit«, weil diese Formulierung »den richtigen o b jektiven Maßstab für die Handhabung des Gesetzes« enthalte. 1 0 Abzustellen ist auf eine objektivierbare herrschende Sozialmoral. D a m i t ist nicht die individuelle 5 Teubner, Standards, S.29ff., 39ff.; zustimmend Veelken, AcP 185 (1985), 46, 49ff.; MayerMaly, in: MünchKommBGB, § 138 Rn.3. 6 Kaden, Sittenwidrigkeit, S.33; Einzelheiten bei Schmidt, Lehre, S. Iff. 7 Fischer, Rechtswidrigkeit, S. 79ff. 8 BGHZ 80, 153, 158; 106, 336, 338. 9 Zum Verfassungsrecht im 3. Kapitel (S. 69ff.), zum Europarecht im 4. Kapitel (S. 148ff.), zu den Grundwertungen der Schuldrechtsordnung im 7. Kapitel (S. 338ff.). 10 Protokolle I, S. 258.
370
J. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
moralische Einschätzung des einzelnen gemeint - die Gewissensentscheidung eines einzelnen kann nicht ausschlaggebend dafür sein, was ein Individuum rechtlich darf 11 - , sondern die heteronome Moralordnung. Abzustellen ist auf die überindividuell gesetzten Moralnormen. D a z u zählen alle N o r m e n , die bei Interessenkonflikten auf einen gerechten Ausgleich zielen. Dies sind die allgemeinen Rechtsüberzeugungen ohne gewohnheitsrechtliche Verfestigung. 1 2 Zu nennen sind beispielsweise Standesauffassungen, die von einer Mehrheitsmeinung getragen sind und nicht in Widerspruch zu vorrangigen Interessen der Allgemeinheit stehen. Sie können unter Umständen als außergesetzliches Abwägungsmaterial im R a h m e n des flexiblen Systems zu beachten sein. Entscheidend ist das Zusammen- und Widerspiel sämtlicher einschlägiger Faktoren. J e nach K o m b i n a t i o n mit anderen Konkretisierungselementen kann ein Verstoß gegen Standesrichtlinien zur Nichtigkeit eines Vertrages gemäß § 138 Abs. 1 B G B führen. Diese Qualifikation der guten Sitten bedeutet zugleich eine Absage an einen Rekurs auf die öffentliche Ordnung. Mit der öffentlichen Ordnung sind die guten Sitten nicht gleichzusetzen. Das zeigt die historische Auslegung des § 138 Abs. 1 B G B . Die im ersten E n t w u r f ( § 1 0 6 ) enthaltene Formulierung »gegen die öffentliche Ordnung« 1 3 wurde von der zweiten K o m m i s s i o n gestrichen, »da dem Begriffe eine sichere Umgrenzung fehle und die gegen die öffentliche O r d n u n g verstoßenden Rechtsgeschäfte zumeist auch als gegen die Rechts- oder Sittlichkeitsordnung gerichtete Rechtsgeschäfte anzusehen sein würden.« 1 4 Daraus ist nicht zu schließen, daß sich § 1 3 8 A b s . l B G B auf den außergesetzlichen Bereich der Sozialmoral beschränkt. Mit der Ablehnung der Wendung »öffentliche Ordnung« ging keine Absage an die Berücksichtigung allgemeiner gesetzesimmanenter Rechtsprinzipien einher, im Gegenteil: D i e K o m m i s s i o n ging davon aus, daß »die Rechtsentwicklung zur Anerkennung einer Anzahl hochwichtiger allgemeiner Rechtsprinzipien geführt« hat und ein Verstoß gegen diese »Grundprinzipien« das Rechtsgeschäft »mit Nichtigkeit bedroht.« 1 5 D e m n a c h vermag die Sittenwidrigkeitskontrolle neben den G e b o t e n der Sozialmoral, die eine Rechtsgemeinschaft in bezug auf rechtliches Handeln an den einzelnen stellt, der Wahrung der Rechtsprinzipien zu dienen und - gerade durch eine K o m b i n a t i o n dieser A n knüpfungspunkte - das G e b o t sozialer Gerechtigkeit zu verwirklichen. Es bestätigt sich wiederum, daß soziale Gerechtigkeit in ihrer materialen Variante das E r gebnis der Vertragskontrolle bildet. 16 Es besteht deshalb kein Anlaß, die Begrifflichkeit durch den im internationalen Privatrecht gebräuchlichen Begriff des »ordre public« zu ersetzen. 1 7 D i e B e r ü c k 11 Kraft, Interessenabwägung, S. 107ff.; Rebe, Privatrecht, S. 105; Sack, GRUR 1970,493,496; ders., NJW 1985, 761, 767. 12 Gewohnheitsrecht zählt zu den Rechtsnormen i.S.d. § 134 BGB. 13 Motive I, S. 211. 14 Protokolle I, S.258. 15 Bericht der XII. Kommission vom 12. Juni 1896, S.45. 16 Grundlegend im 7. Kapitel (S.315ff.). 17 So allerdings der Vorschlag von Simitis, Sitten, S. 168 ff.
8. Kapitel: Die »guten Sitten« als
Wertungsrahmen
371
sichtigung der Rechts- und Sozialmoral leistet einen wertvollen Beitrag für eine gesellschaftliche Ordnung, die die Freiheit des einzelnen und die Belange der Allgemeinheit schützt. In Konfliktfällen gehen die rechtlichen Maßstäbe, die der Rechtsordnung immanenten Rechtsprinzipien den außergesetzlichen sozialen Wertungen vor,18 da diese positivrechtlich (zumindest mittelbar) verankert sind. Das gesetzte Recht ist unmittelbarer Ausdruck des Rechts selbst. Die kodifizierte Sittenordnung hat aufgrund der Einschätzungsprärogative der Gesetzgebung Vorrang vor der von der Rechtsprechung zu bestimmenden nicht legislativ determinierten Entscheidungsfindung unter Rückgriff auf außergesetzliche soziale Werte.19 c) Die
Konkretisierungsgrundlage
Der Anknüpfungspunkt für die Sittenwidrigkeit ist vielfältig. Zum Teil wird allein auf den Inhalt des Rechtsgeschäftes (sogenannte Inhaltssittenwidrigkeit), zum Teil ergänzend daneben auf den mit dem Rechtsgeschäft verfolgten Zweck oder die Beweggründe der Beteiligten abgestellt (sogenannte Umstandssittenwidrigkeit). 20 Schwab befürwortet eine Dreiteilung. 21 Danach kann sich die Sittenwidrigkeit außer aus dem Inhalt und dem Zweck auch aus dem Zustandekommen des Vertrages, das mit den Vorstellungen der Vertragsfreiheit unvereinbar ist, ergeben. Diese Systematisierungsversuche erscheinen wenig hilfreich. Abzustellen ist auf den Gesamtcharakter des Rechtsgeschäftes. Inhalt, Zweck, Beweggrund, Art und Weise des Vertragsschlusses sowie sämtliche anderen denkbaren Umstände kommen als Anknüpfungspunkte für die Sittenwidrigkeitskontrolle in Betracht, wobei dem Inhalt der Abrede großes Gewicht beizumessen ist. Auf eine Differenzierung kommt es nicht an; auch eine Kombination unterschiedlicher Aspekte vermag ein Sittenwidrigkeitsurteil zu begründen. 22 Ebenso wie sich aus allen Umständen des Einzelfalles Anhaltspunkte für und gegen Sittenwidrigkeit ergeben können, sind bei der Prüfung potentiell sämtliche Prinzipien einbeziehungsfähig. Die Gegenansicht, die individualschützende Prinzipien außer acht lassen möchte, weil der Vertragspartner den Vertragsschluß selbst gewollt habe,23 verkennt, daß die Schutzwürdigkeit einer Partei nicht aufgrund der Willensübereinstimmung entfällt. Der Konsens der Vertragspartner reduziert die Schutzfunktion des § 138 Abs. 1 BGB nicht auf gemeinwohlbezogene Konkretisierungselemente. Gewisse individualschützende Rechtsprinzipien sind durch vertragliche Abreden nicht abdingbar. So ist es dem Vertragspartner beispielsweise verwehrt, über sein Leben durch Vertrag mit Bindungswirkung zu 18
Enderlein, Rechtspaternalismus, S.383. BVerfGE 21, 73, 82; 13, 153, 164; 7, 198, 206; B G H Z 106, 336, 338; 80, 153, 157f. 20 Vgl. KGKK/Krüger-Nieland/Zöller, § 138 Rn.25; Erman/Brox, § 138 Rn. 33; Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, § 138 Rn. 9. 21 Schwab, Einführung, Rn. 584. 22 Ebenso Alhers-Frenzel, Mithaftung, S. 152 Fn.266. 23 Bauer-Mengelherg, Knebelungsverträge, S. 30. 19
372
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
bestimmen. 24 Die Rechtsordnung kennt einen Schutz des Menschen vor sich selbst.25 Zustimmung zu einem Vertrag läßt die Schutzfunktion der Rechtsordnung nicht entfallen. d) Die Dynamik
des
Sittenwidrigkeitsmerkmals
Ebenso wie die Rechtsordnung stetig Änderungen unterworfen ist, können sich auch die grundlegenden Wertungen und Rechtsprinzipien ändern. Gleiches gilt für die herrschende Sozialmoral als Inbegriff der sittlichen Verhaltensanforderungen, die von der Gesellschaft an ihre Mitglieder im Sozialleben gestellt werden; auch sie kann Modifikationen erfahren. 26 Daraus läßt sich allerdings nicht schließen, daß ein zur Zeit des Vertragsschlusses sittenwidriges Rechtsgeschäft im Laufe der Zeit rechtmäßig werden kann. Abzustellen ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Rechtsgeschäftes: 27 Durch eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse oder Beurteilungsmaßstäbe wird weder ein zunächst sittengemäßes Rechtsgeschäft nichtig noch ein sittenwidriges gültig. Ersteres ergibt sich aus dem Gebot der Rechtssicherheit. Die Vertragspartner müssen darauf vertrauen können, daß einem von ihnen rechtsordnungskonform geschlossenen Vertrag nicht nachträglich die Anerkennung der Rechtsordnung versagt wird. Nicht vom Vertrauensschutz umfaßt ist die nachträgliche richterliche Feststellung eines zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits vollzogenen Wertungswandels. 28 Entscheidungserheblich sind die zum Zeitpunkt der Begründung der (schuldrechtlichen) Abrede relevanten Konkretisierungselemente. Eine nachfolgende Modifikation der Konkretisierungselemente ist ohne Belang. Ein rechtmäßig geschlossener Vertrag bleibt in bezug auf § 138 Abs. 1 BGB wirksam. Eine Vertragskontrolle aufgrund anderer Tatbestände wird davon nicht beeinflußt. Von der Sittenwidrigkeitsbeurteilung unabhängig ist, ob im Falle eines Sittenwidrigkeit begründenden Wertewandels bei einem noch nicht erfüllten Rechtsgeschäft zugunsten des Schuldners der Grundsatz der unzulässigen Rechtsausübung (§242
24
Vgl. näher im 7. Kapitel (S.339ff.). Einzelheiten im 3. Kapitel (S. 136ff.). 26 Mayer-Maly, JZ 1981, 801 ff.; Schricker, Gesetzesverletzung, S. 196f.; Westhoff, Inhaltskontrolle, S. 95f.; Erman/Brox, § 138 Rn. 31; Palandt/Heinrichs, § 138 Rn. 10; Müller-Freienfels, JZ 1968, 441, 442f.; Rother, AcP 172 (1972), 498, 501f.; Simitis, Sitten, S. 12. Am deutlichsten zeigt sich die Wandelbarkeit der guten Sitten am Beispiel der nationalsozialistischen Rechtsprechung, vgl. die umfassende Dokumentation bei Rüthers, Auslegung, S.216ff. 27 B G H ZIP 1995, 1021, 1026; N J W 1991, 913f.; B G H Z 120, 272, 276; B G H Z 107, 92, 96f.; BAG N J W 1991, 860f. Als Grundsatz entspricht diese Annahme der h. M. in der Literatur, vgl. Soergel/ Hefermehl, § 138 Rn.40; Palandt/ Heinrichs, §138 Rn.9; Staudingerl Sack, §138 Rn.79; Medicus, Allgemeiner Teil, Rn. 691. Auf den Zeitpunkt der Vertragserfüllung kommt es folglich nicht an, B G H W M 1966, 585, 589. 28 Es ist deshalb darauf zu achten, daß zwischen dem tatsächlichen Wertungswandel und dessen gerichtlicher Feststellung klar differenziert wird und die zeitliche Divergenz nicht zu einer Umgehung des Rückwirkungsverbotes führt. Vgl. die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Konsumentenkrediten, dazu Canaris, W M 1981, 978ff.; BVerfG N J W 1984, 2345. 25
8. Kapitel: Die »guten Sitten« als
Wertungsrahmen
373
BGB) 29 herangezogen oder bei Dauerschuldverhältnissen ein außerordentliches Kündigungsrecht eingeräumt werden kann. Nichtigkeit trotz nachträglichen Wegfalls des Sittenwidrigkeitsumstandes ergibt sich aus der Rechtsfolge des § 138 Abs. 1 BGB. Das Rechtsgeschäft ist eo ipso ex tune unwirksam, einer Gestaltungserklärung bedarf es nicht. Die Gültigkeit läßt sich gegebenenfalls durch eine Bestätigung im Sinne des § 141 BGB erreichen.30 Schwierigkeiten bereitet diese Lösung dann, wenn eine Bestätigung, wie in der Regel bei Testamenten, ausscheidet. Da sich bei dieser speziellen Konstellation das Nichtigkeitsergebnis auch nicht mit dem Gebot der Rechtssicherheit rechtfertigen läßt, erscheint es entgegen der überwiegenden Auffassung der Rechtsprechung 31 vertretbar, aufgrund einer Gesamtbetrachtung der für und wider eine Nichtigkeit streitenden Grundsätze zur Gültigkeit einer letztwilligen Verfügung auch ohne Neuvornahme zu kommen. Es fehlt an einem Vertragspartner, der sich auf die Unwirksamkeit verläßt und sie seinen Dispositionen zugrunde legt. Der Aspekt des Vertrauensschutzes spricht für die Wirksamkeit eines Testaments. Der Erblasser hat sich auf die Wirksamkeit der Erbeinsetzung verlassen und deshalb von einer Änderung der Erbeinsetzung abgesehen. Der Erblasser hält gleichsam seine testamentarische Verfügung aufrecht. Es entspricht folglich dem Willen des Erblassers, die zum Zeitpunkt des Erbfalles sittengemäße Erbeinsetzung zu realisieren.32 Eine Erbeinsetzung, die ursprünglich sittenwidrig war, kann daher bei einer Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Bewertungsgrundlagen wirksam werden. 33 3. Die P r ü f u n g der Sittenwidrigkeit im einzelnen Anhand welcher Einzelkriterien ist nun die Sittenwidrigkeit eines Vertrages zu bestimmen? Die Rechtsprechung und ihr folgend der überwiegende Teil der Literatur behelfen sich mit einer umfangreichen und mittlerweile beinahe unüber29
Dazu Medicus, N J W 1995, 2579; Staudinger/Sack, § 138 Rn. 83. Vgl. Palandt/Heinrichs, § 138 Rn. 10. 31 B G H N J W 1969, 1343; B G H Z 20, 71, 73 ff.; O L G Frankfurt/M. NJW-RR 1995, 265, 266; O L G Köln O L G Z 1968, 489f.; KG FamRZ 1967, 226f. 32 Der flexible Ansatz (dazu im 5. Kapitel, S.205ff.) unter Betonung des Vertrauenselements ermöglicht, das Problem zwischenzeitlich abweichender Verfügungen zu lösen. Haben die Parteien einen Erbvertrag geschlossen, der zum Zeitpunkt des Abschlusses sittenwidrig war, und tätigen sie im Vertrauen auf die Nichtigkeit erneut letztwillige Verfügungen, gewinnt das Vertrauenselement diesbezüglich an Gewicht. Es verbleibt bei der Grundregel, daß auf den Zeitpunkt der Rechtsgeschäftsvornahme abzustellen ist. Der Erbvertrag ist nichtig. Bezieht sich das Vertrauen hingegen auf den Bestand des Erbvertrages, erlaubt dieser Umstand ausnahmsweise ein Abweichen von der Grundregel. 30
33 Im Ergebnis übereinstimmend, aber mit teilweise abweichender Begründung, Bartholomeyczik, Festschrift für das O L G Zweibrücken, S. 26ff., 63 (das Tatbestandsmerkmal »Rechtsgeschäft« sei erst mit dem Erbfall erfüllt); Staudinger/Sack, § 138 Rn. 87 (letztwillige Verfügung unter der aufschiebenden Bedingung ihrer Gültigkeit im Zeitpunkt des Erbfalles); Gernhuher, FamRZ 1960, 326, 334; Simshäuser, Sittenwidrigkeit, S.22f.; Thielmann, Verfügungen, S. 154ff.; dezidiert gegen diese Sichtweise Smid, N J W 1990, 409, 410.
374
J. Teil: Inbaltskontrolle
durch
Generalklauseln
schaubaren Fallgruppenbildung. Darin liegt - entgegen einzelnen Stimmen 3 4 keine Absage an das flexible Wertungssystem. Die Fallgruppenmethode leistet, insbesondere in bezug auf die Rechtssicherheit, wertvolle Dienste, wenn es darum geht, die zurückliegende Rechtsprechung zu verdeutlichen und der zukünftigen Rechtsprechung Leitlinien für ihre Entscheidungen an die H a n d zu geben. 3 5 Das umfangreiche Entscheidungsmaterial und die zahlreichen aus den Generalklauseln entwickelten Rechtsinstitute wären ohne die Ausbildung von Fallgruppen in der Praxis kaum zu bewältigen. Freilich darf die Fallgruppenmethode nicht dazu verleiten, lediglich unter Merkmale von Fallgruppen zu subsumieren und so unreflektiert die die Fallgruppenbildung legitimierenden Wertungen außer B e tracht zu lassen. 36 D i e Fallgruppenbildung geht auf die Wertungsanalyse zurück, auf die in Problemfällen auch zurückzugreifen ist. Sie beruht auf der Anwendung einzelner grundlegender Elemente. D i e Fallgruppenbildung kann daher als E r gebnis und Anwendungsfall der kombinatorischen Methode bezeichnet werden; zwischen beiden Vorgehensweisen besteht kein Gegensatz. 3 7 D i e Fallgruppenbildung faßt das Ergebnis des komplexen Konkretisierungsvorganges anhand von gesetzlichen und außergesetzlichen Wertungen in für die Praxis schnell überschaubare Gruppen zusammen. D i e Sittenwidrigkeit eines Vertrages resultiert also regelmäßig aus einem Zusammenwirken mehrerer für die Unwirksamkeit sprechender Faktoren, die sich im R a h m e n der Gesamtwürdigung ergeben und unter Umständen zu einer Fallgruppe verdichtet haben. Dabei existiert kein Katalog von objektiven und subjektiven Merkmalen, die bei sämtlichen Einzelfällen zu berücksichtigen sind. D e r Sittenwidrigkeitsschluß basiert auf dem Zusammenspiel divergierender Elemente, die im konkreten Fall nicht als feste G r ö ß e n kumulativ durch das Gericht festzustellen sind, um ein Sittenwidrigkeitsergebnis zu rechtfertigen, sondern sich je nach Zahl und Gewicht beeinflussen, ergänzen, ersetzen, überschneiden oder auch allein genügen können. Im Laufe der Rechtsentwicklung und aus der Fülle der zu § 138 Abs. 1 B G B ergangenen Entscheidungen läßt sich eine Reihe von Elementen der Sittenwidrigkeitskontrolle herausarbeiten. Zu unterscheiden ist zwischen objektiven und subjektiven Abwägungskomponenten.
a) Objektive
Sittenwidrigkeitselemente
Die objektiven Konkretisierungsfaktoren lassen sich wiederum in zwei Gruppen unterteilen, in Maßstäbe, die das Innenverhältnis betreffen, und solche, die sich auf externe Wirkungen des Vertrages beziehen.
Vgl. Weber, AcP 192 (1992), 516ff.; kritisch Beater, AcP 194 (1994), 82ff. Im einzelnen zum Verhältnis von Fallgruppenbildung und flexiblem Konkretisierungssystem im 7. Kapitel (S. 323 f.). 36 Insoweit besteht wohl Ubereinstimmung, siehe Beater, AcP 194 (1994), 82ff.; Weber, AcP 194 (1994), 90 ff. 37 Dazu bereits im 7. Kapitel (S. 323f.). 34 35
8. Kapitel: Die »guten Sitten« als Wertungsrahmen aa) Interne
375
Konkretisierungsfaktoren
Ein R i c h t m a ß für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Abrede stellt beispielsweise der Grad der Einschränkung der persönlichen und wirtschaftlichen Freiheit dar. Gemeint sind Freiheitsbeschränkungen durch den Inhalt der Abrede. Die Art und Weise der Vertragsanbahnung ist dabei nicht bedeutungslos. Die Entschließungsunfreiheit ist in die Gesamtbetrachtung nach dem flexiblen System einzubeziehen und kann in Ausnahmefällen für sich den entscheidenden Faktor für die Sittenwidrigkeit setzen. Die extensive Anwendung des § 138 Abs. 1 B G B auf den Vertragsschluß selbst, insbesondere auf Mängel in der Willensbildung, wird allgemein nicht für zutreffend erachtet. Die ipso iure-Nichtigkeit ist - wie der Vergleich zu den Anfechtungsregeln zeigt - für die Fälle eingeschränkter Entschließungsfreiheit grundsätzlich nicht angemessen und muß deshalb auf Extremfälle beschränkt bleiben. 38 Regelmäßig kommen inhaltliche Kriterien zum Tragen, die unter Umständen in Kombination mit Entschließungselementen die Anwendung des §138 Abs. 1 B G B legitimieren können. Dieses Zusammenspiel berücksichtigt der B G H bei seiner Rechtsprechung zum Bürgschaftsrecht. Dem Umstand eingeschränkter Entschließungsfreiheit wird lediglich flankierende Bedeutung beigemessen. Ist davon auszugehen, daß sich der Bürge auf die Verpflichtung nur aufgrund emotionaler Bindung eingelassen hat, wird eine derart eingeschränkte Entscheidungsfreiheit in die Prüfung des § 138 Abs. 1 B G B als ein die Abwägung begleitendes Element einbezogen. 39 Ein Vertragsschluß führt aufgrund seiner Bindungswirkung zu einer Beeinträchtigung des zukünftigen Selbstbestimmungsspielraums in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht. D e r Selbstbestimmungsgedanke gewinnt deshalb erst dann an Relevanz, wenn die Freiheitsbeeinträchtigung einen derartigen Grad erreicht, daß ein Vertragspartner seine Selbständigkeit im Ganzen oder in wesentlichen Teilen verliert und in zu mißbilligender Weise v o m Vertragspartner abhängig wird. 4 0 D i e N o r m ist mithin nicht nur als eine die Privatautonomie einschränkende, sondern zugleich eine die Privatautonomie wahrende Vorschrift zu verstehen. 4 1 § 138 Abs. 1 B G B stellt sicher, daß dem Vertragspartner auch zukünftig die Möglichkeit zu rechtlichen Interaktionen offensteht. Klassisches Beispiel sind knebelnde Zeitvereinbarungen. Allein die Dauer einer Vertragsbeziehung genügt für ein Unwerturteil nicht. 4 2 Die Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem G r u n d sorgt in der Regel für eine hinreichende Begrenzung der Bindungswirkung. Weder aus der Zeitdauer noch aus einer potentiellen Kündigungsmöglichkeit läßt 38 Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 165; Lorenz, Schutz, S. 251 ff.; Singer, Selbstbestimmung, S.210. 39 Vgl. BGH WM 1997, 2117, 2118; BGHZ 125, 206, 211, 216f.; BGHZ 132, 328, 330f. 40 BGH NJW 1993, 1587, 1588; BGHZ 83, 313, 316; 44, 158, 161. 41 Grün, WM 1994, 713, 722. 42 Zur Vertragskontrolle ermächtigt auch eine ungewöhnlich lange Bindung als singulares Kriterium nicht, BGH WM 1984,1546. Miet- und Pachtverträge können mit einer Laufzeit von mehr als 30 Jahren geschlossen werden. Ein ordentliches Kündigungsrecht besteht erst nach Ablauf dieser Zeit, §§567 S. 1, 581 Abs. 2 BGB. Entscheidend ist die Beurteilung der Einzelfallumstände sowie der Interessenlage der Vertragsparteien; in der Regel werden die Beteiligten durch das außerordentliche Kündigungsrecht aus wichtigem Grund angemessen geschützt. Vgl. näher im 2. Kapitel (S. 56ff.).
376
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
sich ein isoliert aussagekräftiges Konkretisierungsmerkmal gewinnen. Erforderlich bleibt stets eine W ü r d i g u n g des Gesamtcharakters des Vertrages unter Einbeziehung weiterer Wertungselemente. O b eine langfristige Bezugsbindung, z u m Beispiel in Bierlieferungsverträgen gerechtfertigt ist, kann davon abhängen, durch welche Leistungen der Brauerei die Bindung kompensiert w i r d und welchen Intensitätsgrad die Abhängigkeit erreicht. Kompensationsgesichtspunkte spielen hier also eine große Rolle; die Bindung des Gastwirts darf nicht weiter reichen als die Leistungen der Brauerei. 4 3 Die regelmäßig genannten Grenzen von 15 oder 20 Jahren 4 4 können deshalb lediglich als Richtwert herangezogen werden. Eine Gesamtwürdigung w i r d allein durch ein Uberschreiten der Jahresgrenzen nicht entbehrlich. Einen die zeitliche Komponente ergänzenden negativen Aspekt stellen sachlich ungerechtfertigte umfassende Eingriffs- und Kontrollbefugnisse dar. Sie begrenzen die Entscheidungsfreiheit. Sachlich nicht legitimiert ist die Einräumung von Mitwirkungsrechten, die eigenständige rechtliche H a n d lungen des Darlehensnehmers in bezug auf sein Wirtschaftsunternehmen im allgemeinen von der M i t w i r k u n g des Darlehensgebers abhängig machen. 4 5 Hier ist das Selbstbestimmungsrecht ebenso betroffen w i e bei einem Mietvertrag, in dem sich der Vermieter durch Vereinbarung einer Bezugspflicht und eines Rechts auf regelmäßige Büchereinsicht eine umfassende Geschäftsaufsicht eingeräumt hat. 46 A u c h hier kann der vollständige Verlust wirtschaftlicher Entscheidungsfreiheit als maßgebliches Element der A b w ä g u n g unter Umständen zur Nichtigkeit des Vertrages führen. Auf den Selbstbestimmungsgedanken geht auch die Fallgruppe der Übersicherung von Kreditgebern zurück. Führen Sicherungsübereignungen, Globalzessionen, verlängerte oder erweiterte Eigentumsvorbehalte beispielsweise dazu, daß der Gläubiger aufgrund der Ubersicherung nicht mehr in der Lage ist, für weitere geschäftsnotwendige Kredite Sicherungen zu bieten, so kann dies - sofern nicht § 9 A G B G einschlägig ist - zur Sittenwidrigkeit der Abrede führen. 4 7 Bei der Komparation der Wertungen im Wege des flexiblen Systems ist darauf zu achten, inwieweit die wirtschaftliche Gestaltungsfreiheit durch die Sicherungsklausel tatsächlich beeinträchtigt wird. Dabei ist zwischen anfänglicher und nachträglicher Übersicherung zu unterscheiden. Von einer ursprünglichen Übersicherung ist auszugehen, w e n n bereits bei Vertragsschluß feststeht, daß im (noch ungewissen) Verwertungsfall zwischen dem realisierbaren Wert der Sicherheit und der gesicherten Forderung ein auffälliges Mißverhältnis besteht. Ein derartiges Mißverhältnis allein füllt den Wertungsrahmen der Sittenwidrigkeit noch nicht aus. Ab43 BGH NJW 1985, 2393, 2395; NJW 1979, 865, 2149f.; W M 1975, 850f.; NJW 1974, 2089, 2090; NJW 1972, 1459; W M 1970, 99, 101. 44 Zu diesen Grenzen und ihrer Indizfunktion BGH NJW 1992, 2145, 2146; NJW-RR 1992, 816; NJW 1979, 865; W M 1975, 307. 45 BGH NJW 1993, 1587f. 46 OLG Hamm BB 1970, 374. 47 Ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGHZ 125, 83, 85; 124,380,387; 120,300,302; 117,374, 377f.; 108, 98,104f., m. weit. Nachw. zur insoweit weitgehend übereinstimmenden Literatur.
8. Kapitel: Die »guten Sitten« als Wertungsrahmen
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zustellen ist auf die Gesamtheit der im Einzelfall aktiven Wertungselemente. Die konkrete Vertragsgestaltung ist daraufhin zu prüfen, in welchem Maß die wirtschaftliche Selbstbestimmung betroffen ist und welche Gründe darüber hinaus für oder gegen die Sittenwidrigkeit sprechen. 48 Nachträgliche Ubersicherung meint die Konstellation revolvierender Globalsicherungen. Entscheidend für die Frage der Anwendbarkeit des § 138 Abs. 1 BGB ist hier, ob ein Freigabeanspruch existiert und von welchen Voraussetzungen seine Wirksamkeit abhängt. Das Fehlen einer ausdrücklichen Vereinbarung führt grundsätzlich nicht zur Sittenwidrigkeit. Das resultiert aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit, der es in das Belieben der Vertragspartner stellt, ob und mit welcher Genauigkeit sie die Voraussetzungen eines Freigabeanspruches regeln.49 Aus dem fiduziarischen Charakter der Sicherungsabrede sowie der Interessenlage der Vertragspartner ergibt sich (abgesehen vom Fall auflösend bedingter Sicherungsübertragungen) gemäß §§ 133,157 BGB die Pflicht des Sicherungsnehmers, die Sicherheit bereits vor Beendigung des Vertrages zurückzugewähren, wenn und soweit sie endgültig nicht mehr benötigt wird. Legt man diese vom Großen Senat50 aufgestellten Prämissen zugrunde, verliert § 138 Abs. 1 BGB an Relevanz. Er wird aber für den Bereich der Ubersicherung nicht bedeutungslos. Sicherungsabreden können insbesondere aufgrund der Kumulation verschiedener Sicherheiten oder wegen anfänglicher Übersicherung sittenwidrig sein. Anerkannt sind außerdem Anwendungsfälle des § 138 Abs. 1 BGB, welche die Abwehr der Ausnutzung von Machtpositionen zum Gegenstand haben. Die Ausnutzung von Monopolstellungen im Hinblick auf Abschlußtatbestände ist bereits angesprochen worden." Wird die Abwesenheit von Konkurrenz dazu mißbraucht, »dem allgemeinen Verkehr unbillige, unverhältnismäßige Opfer aufzuerlegen, unbillige und unverhältnismäßige Bedingungen vorzuschreiben« 52 , können entsprechende inhaltliche Bedingungen nach §138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sein. 53 Das ist vor allem anzunehmen, wenn die Monopolstellung dazu genutzt wird, einen überhöhten Preis zu verlangen. 54 Die Sittenwidrigkeit resultiert mithin hier aus einem Zusammenspiel der Kriterien »Begrenzung von Marktmacht« und »Äquivalenzstörung«.
Auf eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts zurückzuführen ist die Fallgruppe, die sich auf eine Kommerzialisierung höchstpersönlicher Güter bezieht. Häufig ist hier die dem Persönlichkeitsbereich unterfallende Sexualsphäre betroffen. Als nichtig werden deshalb gegebenenfalls Verträge angesehen, die sexuelle Dienste gegen Bezahlung zum Gegenstand haben. Dazu können Abreden über Telefonsex zählen. Die geschlechtliche Hingabe, auch in verbaler Form, beeinträchtigt 48
BGH NJW 1998, 2047, m. weit. Nachw. Vgl. BGH (GS) NJW 1998, 671, 673 f.; BGH WM 1997, 750, 754; BGHZ 133, 25, 31f. 50 BGH (GS) NJW 1998, 671, mit zahlr. weit. Nachw. 51 Vgl. das 6. Kapitel (S.232ff.). 52 RGZ 62, 264, 266. 53 Praktische Relevanz gewinnt der Umstand u.a. bei Freizeichnungsklauseln, BGH NJW 1956, 1065f. 54 Vgl. Köhler, ZHR 137 (1973), 237, 247; BGH NJW 1976, 710f.; BB 1971, 1177. 49
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
unter Umständen nicht nur die allgemeine Sexualmoral, sondern auch das Persönlichkeitsrecht der Anbieterseite. Deshalb kann - je nach dem Grad der Betroffenheit - neben dem Vertrag mit dem Kunden auch dem Anzeigenvertrag als vorbereitendem Akt die rechtliche Anerkennung zu versagen sein. Die Kommerzialisierung des persönlichen Intimverhaltens gibt Anlaß, ein Unwerturteil in Betracht zu ziehen. 55 Entscheidend ist die konkrete Vertragsgestaltung. Auch bei einem Vertrag, in dem sich eine Frau gegen Entgelt verpflichtet, im Wege künstlicher oder natürlicher Befruchtung ein Kind zur Welt zu bringen und dem Vertragspartner herauszugeben, kommt Sittenwidrigkeit in Betracht. Bei der Konkretisierung der Generalklausel sind unter anderem folgende Gesichtspunkte abzuwägen: Für die Sittenwidrigkeit spricht, daß eine derartige Vertragsgestaltung die Persönlichkeitsrechte der Leihmutter und des Kindes mißachtet. Würde und Wohl des Kindes werden durch den Umstand der Fremdgeburt gefährdet; Sorgerechtsstreitigkeiten sind zu erwarten. 56 Die Leihmutter wird zum O b j e k t zur Verwirklichung des Kinderwunsches herabgewürdigt. Als Kompensation der Persönlichkeitsverletzung ist an die Wertungselemente Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zu denken. Bei der komparativen Reihung der Wertungen im Sinne des flexiblen Systems ist zu berücksichtigen, daß die Kompensationselemente nur mit dem Wertungsfaktor der Persönlichkeitsverletzung der Mutter in Widerstreit treten. In bezug auf die personale Würde des Kindes fehlt ein in die komparative Reihung einzustellendes Gegenelement. Nicht sittenwidrig sind im Regelfall Kaufverträge über empfängnisverhütende Mittel oder ein Behandlungsvertrag mit einem Arzt, der einen Sterilisationseingriff zum Gegenstand hat. 57 Hier wird nicht die Persönlichkeit des Vertragspartners zum O b j e k t eines entgeltlichen Rechtsgeschäfts herabgewürdigt. Das Persönlichkeitsrecht fordert es vielmehr, den Zugang zu empfängnisverhütenden Mitteln freizustellen und die Entscheidung über empfängnisverhütende Maßnahmen dem Individuum zu überlassen. Grundsätzlich überwiegen der Selbstbestimmungs- und der Selbstverantwortungsaspekt. Einwände gegen die Wirksamkeit des Vertrages lassen sich auch aus dem Blickwinkel der durch Art. 6 G G geschützten sittlichen Werte von Ehe und Familie nicht herleiten. 58 Hingegen sind das Persönlichkeits- und das Selbstbestimmungsrecht verletzt, wenn die Empfängnisverhütung eo ipso zum Gegenstand eines Vertrages gemacht wird. Denn durch die Bindungswirkung eines Vertrages, der zur Empfängnisverhütung verpflichtet, wird - von Sonderfällen mit modifizierter Wertungsintensität abgesehen - die freie Entfaltung der Persönlichkeit in ihrem Kern, der freien Entschei-
55 Erman/Brox, §138 Rn.34; Soergel/Hefermehl, §138 Rn.206ff.; Staudinger/Sack, §138 Rn. 452ff.; Rother, AcP 172 (1972), 498ff., der sich zu Recht gegen eine pauschalisierte Sicht wendet. Auch hier ist - wie stets - entscheidend, ob Faktoren existieren, die dem Rechtsgeschäft nach seinem sich aus Inhalt, Beweggrund und Zweck zusammengesetzten Gesamtcharakter ein sittenwidriges Gepräge geben. 5 6 Vgl. L G Freiburg N J W 1987, 1486. 5 7 B G H Z 67, 48, 51. 5 8 B G H Z 67, 48, 51.
8. Kapitel: Die »guten Sitten« als Wertungsrahmen
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dung über die zukünftige N u t z u n g empfängnisverhütender Mittel, beeinträchtigt. 59 Dieser höchstpersönliche Bereich ist seinem Wesen entsprechend rechtlicher Gestaltung prinzipiell verschlossen. Das Persönlichkeitsrecht läßt sich insoweit für die Zukunft grundsätzlich nicht »rechtlich fesseln«. 60 Ein weiteres G u t des Persönlichkeitsrechts stellt die individuelle Ehre dar. 61 D i e E h r e kann deshalb in der Regel nicht zum Gegenstand eines Rechtsgeschäfts gemacht oder als G e staltungsmittel in vermögensrechtlichen Beziehungen eingesetzt werden. Wie § 74a Abs. 2 S. 2 H G B zeigt, können Verträge, die diesen Teilaspekt des Persönlichkeitsrechts mißachten, nichtig sein. 62 bb)
Externe
Umstände
N e b e n Sittenwidrigkeitsursachen, die auf das interne Verhältnis der Vertragsparteien Bezug nehmen, existieren solche, die auf Auswirkungen des Vertrages auf Dritte oder die Allgemeinheit beruhen. Rechtsgeschäfte, die die Rechtssphäre Dritter nicht respektieren, indem sie auf die nachteilige Beeinträchtigung künftiger oder bereits existierender Rechtspositionen Dritter zielen, sind unter U m ständen - also je nach Einwirkungsintensität und Zusammentreffen mit anderen Elementen - sittenwidrig. 63 Schuldrechtliche Rechte Dritter sind zu beachten, 6 4 auch wenn Forderungsrechte nicht als absolute, gegenüber jedermann geschützte Rechtspositionen anzusehen sind. 65 Auch hier resultiert die Sittenwidrigkeit in der Regel nicht allein aus Drittschutzerwägungen; häufig treten weitere Aspekte hinzu, insbesondere Vertrauensschutz- und Loyalitätserwägungen. Ausschlaggebendes Element dieser Fallgruppe bleibt allerdings die Prämisse, daß durch ein Rechtsgeschäft »Dritte nicht getäuscht werden und dadurch Schaden erleiden.« 66 Paradebeispiel ist die Vereitelung fremder Forderungsrechte. Eine Abrede ist gemäß § 138 Abs. 1 B G B nichtig, wenn die Vertragspartner mit ihr den Zweck verfolgen, in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken schuldrechtliche Positionen Dritter zu vereiteln. 67 59 BGH NJW 1986, 2043, 2045; LAG Hamm DB 1969, 2353, 2354 (unter Rekurs auf §134 BGB i.V.m. Art. 1, 2, 6 GG). 60 RGZ 57, 250, 256. 61 So ausdrücklich das RG in RGZ 68,229,231; siehe auch RGZ 78,258,260ff.; 74, 332,333f. 62 Vgl. Sandrock, AcP 159 (1960), A%\,b\bi:,Palandt!Heinrichs, § 138 Rn. 83; Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, §138 Rn.63; Staudinger/Sack, §138 Rn.406; Soergel/Hefermehl, §138 Rn.28. 63 Habersack, Vertragsfreiheit, S.160ff.; Koziol, Beeinträchtigung, S. 34ff.; Krasser, Schutz, S.215ff., 261 ff. 64 BGH NJW 1988, 902f. 65 BGH NJW 1981, 2184, 2185: Sittenwidrigkeit ist anzunehmen, wenn »in dem Eindringen des Dritten in die Beziehungen der Vertragspartner ein besonderes Maß an Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Betroffenen, ein Mangel an Loyalität im Rechtsverkehr hervortritt und deshalb eine Berufung auf die relativen Bindungswirkungen von Verträgen als mißbräuchliches Einspannen der Rechtsordnung für die eigenen Interessen erscheint.« 66 BGHZ 10,228,233. 67 BGH NJW-RR 1992, 949; NJW 1988, 1716,1717; NJW 1981,2184f.; BGHZ 60,102,104f.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
Einen weiteren Fall bildet der Mißbrauch der Vertretungsmacht. Ein Vollmachtsmißbrauch unterfällt zwar dem Risikobereich des Vertretenen, so daß ein entsprechender Vertrag von § 138 Abs. 1 B G B nicht erfaßt wird und der Vertretene auf etwaige Schadensersatzansprüche im Innenverhältnis beschränkt bleibt. Das ändert sich aber, wenn der Vertreter und der Vertragspartner kollusiv zum Nachteil des Vertretenen zusammenwirken. 6 8 Ahnlich liegt es, wenn der Vertragspartner zu einem Vertragsbruch gegenüber einem Dritten verleitet werden soll. So sind Schmiergeldverträge, durch die Angestellte oder Gehilfen hinter dem R ü c k e n ihres Geschäftsherren veranlaßt werden sollen, dem Versprechenden besondere Vorteile einzuräumen, nichtig. 6 9 D e r Vorwurf der Sittenwidrigkeit ergibt sich aus dem Gesichtspunkt der Drittgefährdung und der mißbräuchlichen Ausnutzung einer Vertrauensstellung. Allein das Element des Vertrauensmißbrauchs kann möglicherweise genügen, so daß Sittenwidrigkeit unter Umständen auch dann anzunehmen ist, wenn sich die Schmiergeldvereinbarung nicht nachteilig auf den Geschäftsherren auswirken kann. A u c h hier k o m m t es allein darauf an, in welchem Grad die einzelnen Abwägungsfaktoren verwirklicht sind. Zur Fallgruppe der Drittgefährdung zählen überdies Verträge, die geeignet sind, gegenwärtige oder zukünftige Gläubiger eines Schuldners über dessen Kreditwürdigkeit zu täuschen. So liegt es beispielsweise, wenn Vermögenswerte auf einen bestimmten Gläubiger übertragen und dadurch andere über die Kreditwürdigkeit getäuscht werden. 7 0 Gleiches gilt unter Umständen für die Wechsel- und Scheckreiterei; der Austausch von Finanzwechseln zum Z w e c k der Kreditbeschaffung gefährdet die Rechtsposition künftiger Kreditgeber. 7 1 D i e Beispiele zeigen, daß eine Gläubigergefährdung und eine Gläubigerbenachteiligung möglicherweise zur Sittenwidrigkeit eines Vertrages führen können. Auch hier ist jedoch Nichtigkeit an besondere Umstände zu knüpfen. Allein dadurch, daß ein Gläubiger versucht, seine Forderung bestmöglich abzusichern, wird das objektive Element nicht erfüllt. 7 2 Hinzutreten müssen weitere Faktoren. D i e v o m
BGH NJW-RR 1989, 642; BGHZ 50, 112, 114. BGH NJW 1991, 1819f.; NJW 1989, 26f.; OLG Köln NJW-RR 1992, 623, 624; NJW-RR 1988, 144; siehe Soergel/Hefermehl, § 138 Rn. 180 m. weit. Nachw. Kontrovers diskutiert wird, inwieweit sich eine Schmiergeldabrede auf den Hauptvertrag auswirkt. Eine akzessorietätsähnliche Verknüpfung besteht nicht; die Vereinbarungen bilden kein einheitliches Vertragswerk i.S.d. § 139 BGB. Ein Vertrag ist nicht zwangsläufig sittenwidrig, wenn er aufgrund sittenwidriger Mittel zustande gebracht wurde. In jedem Einzelfall ist zu prüfen, ob dem Hauptvertrag selbst ein Sittenwidrigkeitsvorwurf zu machen ist, vgl. BGH NJW-RR 1990, 443; allgemein zum Meinungsstand Staudinger/Sack, § 138 Rn.473. 70 BGH NJW 1995, 1668; BGHZ 20, 43, 50ff. 71 BGH NJW 1993, 1068f.; NJW 1973, 66. Die Zulässigkeit des eigenen Wechsels (Art. 75 WG) zeigt, daß ein nur zu Kreditzwecken geschaffener Wechsel, der nicht mit einem Leistungsaustauschgeschäft im Zusammenhang steht, im Grundsatz nicht sittenwidrig ist, BGH NJW 1980,931,932; gleiches gilt für den Akzeptantenwechsel, BGH NJW 1984, 728; OLG Frankfurt WM 1973, 1710, 1712. 72 BGH NJW 1995, 1668; NJW 1993, 2041f.; NJW 1962, 102, 103. 68
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8. Kapitel: Die »guten Sitten« als
Wertungsrahmen
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Reichsgericht propagierte Bildung von festen Tatbestandsgruppen 73 hat der B G H deshalb zu Recht aufgegeben. Die rechtliche Toleranzschwelle derartiger Geschäfte ist nicht nach starrer Typologie zu beurteilen. Die Frage nach der Sittenwidrigkeit läßt sich allein aus den Gesamtumständen, das heißt dem Zusammenund Widerspiel sämtlicher Wertungen, die bei dem zu beurteilenden Sachverhalt erkennbar sind, beantworten. 7 4 Demzufolge widerspricht es dem Charakter des § 138 Abs. 1 BGB, für die Anwendung der Vorschrift als zentrales Kriterium auf die subjektive Einstellung abzustellen. Dies übersieht die Rechtsprechung. Der Kreditgeber handelt aus Sicht der Rechtsprechung sittenwidrig, wenn die Insolvenz des Kreditnehmers erkennbar ziemlich sicher ist und der Kreditgeber vorsätzlich einen Schaden Dritter als Folge des Vertrages in Kauf nimmt oder sich leichtfertig der Erkenntnis verschließt, daß der Vertrag zur Schädigung Dritter führt. 75 Eine nachträgliche K r e d i t s i c h e r u n g ist nach der Rechtsprechung zulässig, wenn der Kreditgeber nach einer den Umständen entsprechenden intensiven Prüfung ohne grobe Fahrlässigkeit zu der Uberzeugung gelangt ist, daß durch die nachträgliche Kreditsicherung weder Neugläubiger getäuscht werden noch Altgläubiger Schaden erleiden. 76 Die vielfältigen Erwägungen der Rechtsprechung, deren »innere Strukturen nicht so recht einleuchten« 77 , betonen - von Einzelfall zu Einzelfall variierend - die subjektive Einstellung als tragendes, die Gefährdung manifestierendes Abwägungselement. 78 Das mag in Einzelfällen zu zutreffenden Ergebnissen führen, bewirkt allerdings in seiner Hervorhebung der subjektiven Vorwerfbarkeit Rechtsunsicherheit und widerspricht als pauschalierte Vorgehensweise der Einordnung als Generalklausel. Der Rekurs auf ein Element wird dem Umstand nicht gerecht, daß hier Dritte betroffen sind, 79 also weniger die subjektive Einstellung als vielmehr der objektive Tatbestand der Drittgefährdung zu berücksichtigen ist. Die Rechtsprechung vernachlässigt das objektive externe Konkretisierungselement. Die Existenz einer verwerflichen Gesinnung kann weder bei dieser Fallgruppe noch allgemein als unverzichtbare Voraussetzung des § 138 Abs. 1 BGB benannt werden. Verwerfliche Gesinnung ist eines von zahlreichen Sittenwidrigkeitselementen, das im Zusammen- und Widerspiel mit anderen Abwägungsfaktoren den Sittenwidrigkeitsrahmen ausfüllen kann. Bei der Fallgruppe der Gläubigergefährdung erscheint es geeigneter, gerade die objektiven Elemente in den Vordergrund zu rücken. So hat Mertens versucht, 80 die Sittenwidrigkeit an objektiven Elementen festzumachen. Sie bieten eine rechtssichere Ausgangsbasis für den Konkretisierungsvorgang; subjektive Umstände sind flankierend einzubeziehen. Daneben gefährden derartige Rechtsgeschäfte das Funktionieren der Wirtschaftsordnung und fügen so möglicherweise der Allgemeinheit dadurch Schaden zu, daß sie den ordnungsgemäßen Ablauf des Wirtschaftslebens stören. 73 RGZ 136, 247, 253f. (Konkursverschleppung, Aussaugung, Kreditbetrug, Gläubigergefährdung, stille Geschäftsinhaberschaft). 74 BGH DB 1958, 220, 1007; NJW 1955, 1272; JZ 1953, 664, 665. 75 BGH WM 1983, 1406. 76 BGHZ 10, 228, 234. 77 Koller, JZ 1985, 1013, 1015. 78 Vgl. BGHZ 32, 361,366. 79 Kritisch ebenfalls Koller, JZ 1985, 1013, 1015f. 80 Mertens, ZHR 143 (1979), 174,188ff., der sein System u.a. aus den Elementen »Ausmaß der Uberlebenswahrscheinlichkeit des Kreditnehmers nach der Sanierungsinvestition«, »Ausmaß des Kredits in Relation zum Kreditbedarf«, »Sachwalterfunktion der Bank«, »Leitungsmacht der Bank« und »Beachtung des Gesichtspunktes der Risikogemeinschaft der beteiligten Gläubiger« zusammensetzt.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
Zu den externen Konkretisierungsfaktoren zählt neben der Drittgefährdung die Störung allgemeiner Interessen. Gegen die Allgemeinheit gerichtet sind Rechtsgeschäfte, die sich gegen anerkannte Ordnungen wenden oder versuchen, allgemeine Grundsätze des Zusammenlebens zu unterlaufen. 8 1 Rechtsgeschäfte, die der Strafrechtsordnung zuwider laufen, sind demnach sittenwidrig. 8 2 Neutrale Verträge sind sittenwidrig, wenn die Beteiligten damit in F o r m der strafrechtlichen Mittäterschaft oder Teilnahme ein Verhalten fördern wollen, dessen Strafbarkeit sie kennen. 8 3 U n w i r k s a m sind Rechtsgeschäfte, die darauf zielen, Vermögensverhältnisse auf Kosten der Allgemeinheit zu regeln. 8 4 Verträge, deren Z w e c k in erster Linie darauf gerichtet ist, Sozialbedürftigkeit und damit eine B e lastung der Sozialhilfe herbeizuführen, sind gegebenenfalls sittenwidrig. Relevant wird dieses Abwägungselement bei der Beurteilung eines vereinbarten nachehelichen 8 5 Unterhaltsverzichts. Dieser ist an sich nach § 1585c B G B zulässig. Ist hingegen die Folge des Verzichts die finanzielle Belastung der Allgemeinheit, k o m m t Sittenwidrigkeit und damit Nichtigkeit einer solchen Vereinbarung in Betracht. 8 6 b) Subjektive
Anforderungen
Sittenwidrigkeit wird regelmäßig als »Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden« definiert. 8 7 Dieser Formulierung könnte ein subjektives Element entnommen werden, impliziert doch der Begriff »Verstoß« ein persönlich vorwerfbares Tun. U n d in der Tat, die überwiegende Ansicht fordert zur Verwirklichung des § 138 Abs. 1 B G B neben einem objektiven Sittenverstoß stets auch die Realisierung eines subjektiven Tatbestandes. Sittenwidrigkeit wird vielfach als Kumulation objektiver und subjektiver Elemente verstanden. Dieser A n satz, daß mit der Sittenwidrigkeitsentscheidung ein persönlicher Vorwurf verknüpft sei, der - vergleichbar dem Strafbarkeitsvorwurf - von subjektiven E r f o r dernissen abhängig ist, hat seinen Ursprung in der Einschätzung des Reichsgerichts, das Sittenwidrigkeit als »persönlichen Makel« des Betroffenen ansah, 8 8 der ihn »zeitlebens mit einem Schandmal brandmarkt.« 8 9 Einen derart schweren Vorwurf, einen solchen »moralischen Bannfluch« 9 0 vergleichbar dem Strafrecht von
Vgl. Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, § 138 Rn. 34. BGH WM 1990, 1324, 1325; zur Anwendbarkeit des § 134 BGB und zum Verbotscharakter einzelner Strafrechtsnormen Staudinger/Sack, § 134 Rn. 290ff. 83 BGH NJW 1992, 310; NJW-RR 1990, 750f. 84 BGH NJW 1992, 3164f.; NJW 1991, 913f; BGHZ 111, 36, 40ff.; 86, 82, 86ff. 85 Eine Verzichtsabrede für die Zeit bis zur rechtskräftigen Scheidung ist nach §§ 1360a Abs. 3, 1614 BGB unzulässig. 86 Bosch, Festschrift für Habscheid, S.25ff.; Frey, Verzicht, S.31 ff. 87 Vgl. dazu den Überblick zur Inhaltskontrolle im 6. Kapitel (S. 296ff.). 88 RG JW 1921,1363f.; RGZ 144,242,245; RGZ 136,293,297; Zimmermann, JR 1985,48, 51 (»der schwerste Makel, der einem Rechtsgeschäft anhaften kann und damit per se Superlativ«). 89 Fuchs, JW 1910,209,210. 90 Vogi, NJW 1976, 729, 731. 81
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8. Kapitel: Die »guten Sitten« als Wertungsrahmen
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der Existenz einer subjektiven K o m p o n e n t e abhängig zu machen, 9 1 erscheint aus damaliger Perspektive nachvollziehbar. E b e n s o wie die objektive Tatbestandsseite sich im Laufe der Zeit in zunehmendem M a ß von einer derart engen Auslegung hin zu einer weiten Sicht im Sinne eines Verstoßes gegen die allgemeine Rechts- und Sittenordnung entwickelt hat, haben Rechtsprechung und Lehre die Anforderungen an die subjektive Seite abgesenkt, ohne allerdings auf ein subjektives Element vollständig und für den R e gelfall zu verzichten. Verlangt wird nun die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der Tatumstände, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt. 9 2 Das Bewußtsein der Sittenwidrigkeit oder eine Schädigungsabsicht sind nach dieser Meinung nicht (mehr) notwendig; ein Handeln sei bereits zurechenbar, wenn sich die B e teiligten zumindest der Kenntnis aller sittenwidrigen Tatumstände bewußt entzogen hätten, wobei aus einer eindeutigen objektiven Situation auf die Verwirklichung der subjektiven Voraussetzung geschlossen werden könne. A m subjektiven M o m e n t wird gleichwohl festgehalten. 9 3 Ein subjektives Element zum obligatorischen Erfordernis des § 1 3 8 Abs. 1 B G B zu machen, ist verfehlt. 9 4 D e n n die Bewertung als sittenwidrig ist nicht als ein dem Strafbarkeitstatbestand vergleichbarer persönlicher sittlicher Vorwurf einzuschätzen. Zu beurteilen ist nicht das Verhalten einer Person, sondern die Wirksamkeit eines Vertrages. Anknüpfungspunkt ist nicht das individuelle G e wissen. Zu fragen ist nicht, wie ein gerecht und billig Denkender bei einer ähnlichen Konstellation gehandelt hätte, sondern wie ein solchermaßen Denkender das betreffende Rechtsgeschäft als solches bewertet. 9 5 Sinn und Z w e c k des § 138 Abs. 1 B G B liegen nicht in einer Verhaltenskontrolle. Die Vorschrift dient der Vertragskontrolle. N i c h t das Subjekt, sondern das O b j e k t sind Gegenstand einer Prüfung. D i e teleologische Argumentation wird gestützt von der historischen Auslegung: Aus Sicht des Gesetzgebers sind Verträge dann nichtig, »wenn der Inhalt eines Rechtsgeschäftes unmittelbar, in objektiver Hinsicht und unter Ausscheidung der subjektiven Seite die guten Sitten verletzt.« 9 6 D a m i t ist nicht gesagt, daß die Vorstellungen der Parteien für § 138 Abs. 1 B G B ohne Belang sind; fest steht nur, daß ein subjektiver Tatbestand keine zwingende Voraussetzung bildet. A u f dessen Feststellung oder Fiktion k o m m t es nicht an. Die subjektive Seite eines Handelns ist eines von mehreren Elementen, aus denen sich gegebenenfalls Sittenwidrigkeit ergeben kann. Rechtsgewinnung bei wertungsabhängigen Tatbeständen wird von unterschiedlichen Determinanten gesteuert und ergibt sich aus deren Zusammen- und RGZ 150, 1, 5f.; so auch noch der BGH NJW 1951, 397; NJW 1957, 1274. BGH NJW 1994, 187, 188; NJW 1988, 1373, 1374; NJW 1982, 1455. 93 Vgl. BGH WM 1987, 353; WM 1985, 948f.; WM 1981, 404. 94 Esser, ZHR 135 (1971), 320, 330; Lindacher, AcP 173 (1973), 124,126ff.; Mayer-Maly, Bewußtsein, S.25ff.; den., Festschrift für Wilburg, 1986, S. 117,123ff.; Sack, NJW 1985, 761, 765ff.; ders., GRUR 1970, 493, 502. 95 Sack, NJW 1985, 761, 765; Staudmger/Sack, § 138 Rn. 17. 96 Motive I, S. 211; ähnlich Protokolle I, S. 124. 91
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3. Teil: Inhaltskontrolle
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Generalklauseln
Widerspiel. D i e Beweglichkeit der Sittenwidrigkeitsindizien erlaubt Rückschlüsse auf die Erfassung der Relation zwischen objektiven und subjektiven Tatbeständen. Sittenwidrigkeit kann sich aus der K o m b i n a t i o n beider Umstände ergeben, jedoch auch aus einem allein. Entscheidend ist die komparative Reihung der bei einer bestimmten Vertragsgestaltung relevanten Wertungen. Kriterien, die für sich allein den Sittenwidrigkeitsschluß nicht rechtfertigen, können im Falle des Zusammentreffens mit anderen Umständen, die ebenfalls isoliert keinen Sittenverstoß begründen, § 138 Abs. 1 B G B ausfüllen. D i e Kumulation negativer Tatumstände - seien sie objektiver, seien sie subjektiver A r t - vermag Sittenwidrigkeit zu begründen. D i e Summenwirkung der Elemente ist maßgebend, und die subjektive Vorwerfbarkeit ist nur eines von vielen Merkmalen, das keinen Sonderstatus in der Weise innehat, daß es unabdingbare Voraussetzung der Sittenwidrigkeit ist. 97 Sittenwidrigkeit kann auch allein aus dem Zusammen- und W i derspiel objektiver Konkretisierungselemente resultieren. § 138 Abs. 1 B G B stellt sich als Anwendungsfall des flexiblen Systems dar.
II. Der Wuchertatbestand 1. A n w e n d u n g s b e r e i c h Wie sich der Terminologie (»insbesondere«) entnehmen läßt, regelt § 1 3 8 Abs. 2 B G B einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit. D i e zur Sittenwidrigkeitsklausel gefundenen Ergebnisse zum Zusammen- und Widerspiel der einzelnen Elemente können demnach auch für den Wuchertatbestand fruchtbar gemacht werden. Ziel des Wuchertatbestandes ist es, eine in einer Unterlegenheitssituation befindliche Person vor wirtschaftlicher Ausbeutung zu schützen. 9 8 Das Charakteristikum besteht darin, daß der Wucherer unter Ausbeutung einer Zwangslage des Vertragspartners sich oder einem Dritten Vermögensvorteile versprechen läßt, die in einem auffälligen Mißverhältnis zur eigenen Leistung stehen. A u f objektiver Seite erfordert der Tatbestand ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und G e genleistung. N i c h t von § 138 Abs. 2 B G B erfaßt sind folglich Verträge, die keinen Leistungsaustausch zum Gegenstand haben. 9 9 97 Treffend Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, §138 Rn. 112 a.E.: »Subjektive Faktoren können also Unbedenkliches bedenklich werden lassen; ihr Fehlen bewirkt aber nicht, daß Bedenkliches unbedenklich wird.« 98 Zur geschichtlichen Entwicklung des Wucherverbots Rühle, Wucherverbot, S.25ff., m. zahlr. weit. Nachw. Das 1. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 29. Juli 1976 (BGBl. I, S.2043; BT-Drucks. 7/3441, S.40ff.) hat §138 Abs.2 BGB in Angleichung an §302a StGB neu gefaßt; Ziel war eine Erweiterung des Anwendungsbereichs. Übernommen wurde der Begriff der Unerfahrenheit, an die Stelle der früheren Bezeichnungen »Notlage« und »Leichtsinn« sind die Formulierungen »Zwangslage« sowie »Mangel an Urteilsvermögen oder erhebliche Willensschwäche« getreten. 99 Erman/Brox, §138 R n . l l ; Soergel/Hefermehl, §138 Rn.74; Staudinger/Sack, §138 Rn. 175f.; Palandt/Heinrichs, §138 Rn.24; RGRK/Krüger-Nieland/Zöller, §138 Rn.44; BGH NJW 1982, 2767; NJW 1988, 2599, 2602; BGHZ 106, 269, 271 f.
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Die Gegenauffassung erstreckt den Anwendungsbereich des §138 Abs.2 BGB auch auf einseitige Rechtsgeschäfte. 100 Sie begründet das damit, daß die Anwendung des Wuchertatbestandes nicht davon abhängen dürfe, ob der Wucherer an den Bewucherten selbst oder einen Dritten leiste. Beide Fälle seien in bezug auf die im Wuchertatbestand ausgedrückte moralische Abwertung gleich zu behandeln, sofern eine Verknüpfung zwischen der Leistung an den Dritten und der Entgegennahme der Vermögensvorteile bestehe. Von einer solchen Verbindung sei dann auszugehen, wenn die Gewährung der Vermögensvorteile durch den Bewucherten Voraussetzung für die Leistung des Wucherers sei.101 Gegen diese Einordnung spricht bereits die grammatische Auslegung. Aus dem Gebrauch der Präposition »für« läßt sich auf die Notwendigkeit eines Synallagmas schließen, weil die eine Leistung die Gegenleistung für die andere verkörpern soll. Daß das Gesetz nicht von Gegenleistung, sondern von »Vermögensvorteil« spricht, soll ausdrücken, daß die Gegenleistung einen Vermögenswert besitzen muß, und nicht, daß auch einseitige Rechtsgeschäfte erfaßt werden. Zum Wuchertatbestand sind unentgeltliche Rechtsgeschäfte, wie zum Beispiel Bürgschaften, nicht zu rechnen. Zwischen Bürge und Hauptschuldner kommt es zu keinem Leistungsaustausch. Selbst wenn man Bürgschafts- und Hauptschuld nicht isoliert betrachtet 102 und die Gegenleistung des Gläubigers in einer modifizierten Kreditgewährung sehen würde, 103 überzeugen diese Ansätze nicht. Das Schuldverhältnis ist relativ, verbindet lediglich Gläubiger und Schuldner; eine etwaige familienrechtliche Bindung ändert daran nichts. Überdies stellt sich die Argumentation als widersprüchlich dar: Geht man mit Wochner davon aus, daß der Gläubiger für die Bürgschaft keine Leistungsverbesserung gewährt, weil die Bürgschaft wertlos ist, kommt es gerade nicht zu einem Mißverhältnis. Einer nicht modifizierten Kreditgewährung steht ein wertloses Sicherungsmittel gegenüber. Bürgschaftsverpflichtungen, die wegen einer Zwangslage des Hauptschuldners übernommen werden, sind folglich nicht an § 138 Abs.2 BGB zu messen. 104
2. Auffälliges Mißverhältnis Neben einem Gegenseitigkeitsverhältnis setzt der Wuchertatbestand auf objektiver Seite voraus, daß die vom Bewucherten dem Wucherer oder einem Dritten versprochenen Vorteile in einem auffälligen Mißverhältnis zur Leistung des Wucherers stehen. Der Vergleich hat die Gesamtheit der Leistungen, ihre Begleitumstände, den wirtschaftlichen Zweck sowie die Chancen und Risiken des Ge-
100 Großfeld/Lühn, WM 1991, 2013, 2017; Herrmann, Schutz, S.40ff.; Wochner, BB 1989, 1354 ff. 101 Wochner, BB 1989, 1354, 1356f. 102 Großfeld/Lühn, WM 1991,2013,2017: Beide Verträge könnten ausnahmsweise dann einer Gesamtschau unterzogen werden, wenn die Parteien über Familienbande verbunden sind. 103 Wochner, BB 1989, 1354, 1356f.; zustimmend Herrmann, Schutz, S.40ff.: Verlange die Bank bei jemandem, der an sich bereits kreditwürdig ist, eine Bürgschaft, sei Leistung der Bank in bezug auf die Bürgschaft das, was sie dem Hauptschuldner als Drittem wegen der Bürgschaft mehr ausbezahle oder zu besseren Konditionen gewähre. Habe die Bürgschaft keinen Einfluß auf die Kreditkonditionen, sei ein auffälliges Mißverhältnis festzustellen. 104 Alhers-Frenzel, Mithaftung, S.89; Dörr, Kreditsicherung, S.36ff.; Eckert, WM 1990, 85, 90; Friedrichs, Grenzen, S. 124; Heinrichsmeier, Einbeziehung, S. \ 55; Honsell, JZ 1989,495,496; Medicus, ZIP 1989, 817, 820; Mückenheim, Rechtsgeschäfte, S.39; Rehbein, JR 1989, 468, 470; Stumpf, Jura 1992, 417, 419; BGH NJW 1991, 2015, 2017.
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schäfts objektiv zu erfassen. 1 0 5 Bei Spekulationsgeschäften ist deshalb regelmäßig ein gestörtes Äquivalenzverhältnis weniger leicht anzunehmen; bei hohen Risiken kann eine größere Differenz gerechtfertigt sein. 1 0 6 Ein Mißverhältnis ist in der Regel dann anzunehmen, wenn der Wert einer vertraglich vereinbarten Leistung und deren marktüblicher Wert im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses 1 0 7 im Verhältnis von eins zu zwei oder mehr stehen. 1 0 8 D a die Gesamtumstände des Vertrages in den Vergleich einzubeziehen sind, handelt es sich allein um Richtwerte. Ein nachträglich während der Durchführung des Vertrages entstandenes Mißverhältnis berührt ein zur Zeit des Abschlusses nicht zu beanstandendes Rechtsgeschäft ebenso wenig wie ein nachträglicher Wegfall der ursprünglichen Aquivalenzstörung. 1 0 9 E i n typischer Fall des objektiven Wuchertatbestandes ist die überhöhte Verzinsung. A u c h hier ist nicht von festen Zinsgrenzen auszugehen. Entgegen einer teilweise geübten Praxis, bestimmte Zinssätze per se für wucherisch zu halten, 1 1 0 bedarf es einer Analyse jedes konkreten Falles, wobei den unterschiedlichen Finanzierungszielen, individuellen Risiken und jeweiligen Kapitalmarktsituationen Beachtung zu widmen ist. U n t e r dieser Prämisse erscheint es bedenklich, wenn der B G H im R a h m e n des Marktvergleichs grundsätzlich den in den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank ausgewiesenen Schwerpunktzins heranzieht. 1 1 1 D e r Schwerpunktzins mag einen zutreffenden ersten Anhaltspunkt bieten, entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles. So kann es für die Zinshöhe durchaus Bedeutung erlangen, welches Sicherungsmittel gestellt wird. 1 1 2 D e r pauschale Rekurs auf den Schwerpunktzins genügt den Anforderungen an einen umfassenden Marktvergleich nicht.
3. A u s n u t z u n g einer A u s b e u t u n g s l a g e Allein die Imparität von Leistung und Gegenleistung begründet keine Vertragskontrolle. Das ist bereits dargelegt worden. Inäquivalenz ist als singuläres Wertungselement nicht aussagekräftig. § 1 3 8 A b s . 2 B G B zielt deshalb nicht darauf,
105 Vgl. Braun, Rechtskraft, S. 15; BGH NJW 1980,445f., 2074. Ein Affektionsinteresse bleibt außer Betracht, BGH NJW-RR 1993, 198, 199. 106 BGH WM 1982, 1050, 1051; WM 1966, 1221. 107 Erman/Brox, §138 Rn.15; Soergel/Hefermehl, §138 Rn.74; BGHZ 107, 92, 96f.; a.A. OLG Stuttgart BB 1972,1202, wonach es auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ankommen soll. 108 Bender, NJW 1980,1129, 1133;Hackl, BB 1977,1412,1413; BGH NJW 1994, 1344,1347; NJW 1992, 899, 900. 109 RGRK/Krüger-Nieland/Zöller, § 138 Rn. 47; Palandt/Heinrichs, § 138 Rn. 66; in ersterem Fall ist allerdings möglicherweise der Einwand unzulässiger Rechtsausübung gemäß §242 BGB erhebbar, Staudingerl Sack, § 138 Rn. 180; BGH NJW 1983, 2692, 2693. 110 Zu dieser Tendenz Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, § 138 Rn. 120, m. Nachw. 111 BGH ZIP 1995,383,385ff.; NJW 1991,832f., 834f.; BGHZ 98,174,176; 80, 153,162; dazu Braun, Rechtskraft, S. 15 ff. 112 RGWarnR 1936 Nr. 5.
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8. Kapitel: Die »guten Sitten« als Wertungsrahmen
ein marktgerechtes Gegenleistungsniveau zu erreichen, sondern ein objektives Leistungsmißverhältnis dann auszuschließen, wenn dieses auf einem besonderen »Schwächezustand« des Vertragspartners beruht. D e r Wuchertatbestand erklärt das Zusammenspiel von Inäquivalenz, der Ausnutzung einer Schwächesituation und subjektiven Umständen zu einem Kontrolltatbestand. D i e Schutzwürdigkeit kann sich aus einer Zwangslage, aus Unerfahrenheit, aus einem Mangel an Urteilsvermögen oder aus einer erheblichen Willensschwäche ergeben. Eine Zwangslage ist anzunehmen, wenn sich der Vertragspartner in einer starken Bedrängnis befindet, die schwere Nachteile mit sich bringt. Gemeint ist eine Situation, in der die besonderen Verhältnisse dem Bewucherten nur die Wahl lassen, auf den Vertrag einzugehen oder einen noch größeren existenzgefährdenden Nachteil zu erleiden. 1 1 3 Abzugrenzen ist eine allgemein ungünstige Marktlage, die nicht individuell, sondern für einen unbestimmten Personenkreis besteht; sie führt nicht zu einer Zwangslage im Sinne des Gesetzes. D e r Begriff der Zwangslage stellt auf individuelle Unterlegenheitsmerkmale ab. 1 1 4 M i t Unerfahrenheit wird ein Mangel an Lebenserfahrung und Geschäftskenntnis bezeichnet. D i e überwiegende Auffassung stellt auf ein allgemeines Kenntnisdefizit ab, eine einzelfallbezogene Unerfahrenheit genügt nach ihr nicht. 1 1 5 Diese Merkmalseingrenzung wird zu R e c h t vorgenommen. Mit dem Merkmal soll lediglich eine typische Unkenntnis erfaßt werden. F ü r eine etwaige Unterlegenheitslage in bezug auf das konkrete Geschäft sieht das Gesetz das Kriterium des mangelnden Urteilsvermögens vor. Dieser Begriff umfaßt neben dem Fehlen der Fähigkeit, sich durch vernünftige Beweggründe leiten zu lassen, auch die U n f ä higkeit, die beiderseitigen Leistungen und die wirtschaftlichen Folgen des k o n kreten Geschäftsabschlusses richtig zu bewerten. 1 1 6 Hier k o m m t es mithin darauf an, ob der Betroffene im Einzelfall den in Rede stehenden Vertrag nicht zutreffend einschätzen kann. Das Gesetz nennt schließlich die erhebliche Willensschwäche. D a v o n ist auszugehen, wenn der Vertragspartner zwar Inhalt und Nachteile der Vereinbarung durchschaut, jedoch aufgrund verminderter psychischer Widerstandsfähigkeit, die in der Persönlichkeit und dem Wesen des Vertragspartners
ihre Ursache hat, dem Geschäftsabschluß
nicht
widerstehen
kann. 1 1 7 113 Erman/Brox, §138 Rn.19; Soergel/Hefermehl, §138 Rn.78; Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, § 138 Rn. 124; BGH NJW 1994, 1275, 1276. 114 Vgl. BT-Drucks. 7/3441, S.40; Staudinger/Dikher, % 138 Rn. 101; BGH NJW 1994, 1275, 1276. 115 Vgl. Soergel/Hefermehl, § 138 Rn. 79; Erman/Brox, § 138 Rn.20; RGRK/Krüger-Nieland/ Zöller, § 138 Rn. 62; BGH NJW 1994,1475,1476 (für Bürger der neuen Bundesländer, solange ihnen das westliche Rechts- und Wirtschaftssystem noch nicht ausreichend bekannt ist); WM 1982, 849; NJW 1979, 758; BB 1966,226; für die Einbeziehung partieller, einzelfallbezogener Unerfahrenheit Staudinger/Sack, § 138 Rn.208; LG Trier NJW 1974, 151f. 116 Vgl. BT-Drucks. 7/3441, S.41; RGKK/Krüger-Nieland/Zöller, §138 Rn.64; OLG Köln OLGZ 93, 193, 195; OLG Stuttgart FamRZ 1983, 498, 499. 117 Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, § 138 Rn. 127; Palandt/Heinrichs, § 138 Rn. 73; BGH NJW-RR 1988, 764.
388
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
Eines dieser Tatbestandsmerkmale muß der Wucherer vorsätzlich ausgenutzt haben. Eine Absicht zur Ausbeutung ist ebensowenig erforderlich wie ein arglistiges Verhalten. 118 Für die Realisierung der subjektiven Voraussetzung genügen die Kenntnis von dem auffälligen Leistungsmißverhältnis und von der Ausbeutungslage sowie der Vorsatz, sich diese Konstellation zunutze zu machen, wobei es ausreicht, wenn sich der Wucherer im Zeitpunkt des Vertragsschlusses leichtfertig der Einsicht verschließt, daß sich der Vertragspartner nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den ungünstigen Vertrag eingelassen hat. 119 4. Der Wuchertatbestand u n d das flexible System Der Wortlaut der Vorschrift erfordert zu ihrer Anwendung kumulativ die Feststellung einer Schwächesituation, deren Ausbeutung und ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. An diesen gesetzlichen Erfordernissen ändert im Grundsatz auch die Anwendung eines flexiblen Systems nichts. An den einzelnen Voraussetzungen ist festzuhalten; sie können nicht durch einen allgemeinen Abwägungstatbestand ersetzt werden. Zu berücksichtigen ist allerdings, daß die Tatbestandsmerkmale »Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche« eine einheitliche Voraussetzungsgruppe »Ausbeutungssituation« bilden. Hier kann nach dem »Je mehr, desto eher«-Schema des flexiblen Systems ein gruppeninterner Intensitätsausgleich vorgenommen werden: Sind beispielsweise die Elemente Unerfahrenheit und erhebliche Willensschwäche mangels ausreichender Intensität für sich nicht erfüllt, ergibt aber die Gesamtschau beider Umstände einen im Gewicht einem Element vergleichbaren Gehalt, so kann insoweit von einer Tatbestandsverwirklichung ausgegangen werden. Beide Umstände zählen zur einheitlichen Gruppe der Merkmale, die eine Unterlegenheitssituation ausdrükken. Zwischen den Teilaspekten der Voraussetzung »Ausbeutungslage« kann eine Summierung vorgenommen werden. Anders liegt es bei den gruppenübergreifenden Tatbestandsmerkmalen. Ist ein Merkmal, beispielsweise die Aquivalenzstörung, besonders intensiv ausgeprägt, kann das nicht dazu dienen, ein anderes Merkmal zu ersetzen oder eine nur ansatzweise existierende Unterlegenheitslage auszugleichen. Unabhängige Voraussetzungen erlauben keine Summierung. Es handelt sich weder um eine allgemeine Generalklausel noch um ein ausfüllungsbedürftiges Merkmal. Der Gesetzgeber hat den Wuchertatbestand bewußt von einem Zusammentreffen der einzelnen Voraussetzungen abhängig gemacht. Ist ein nicht gruppenzugehöriges Tatbestandsmerkmal übererfüllt, kann dies nicht Defizite bei anderen Tatbestandsmerkmalen ausgleichen. 120
BGH BB 1990, 1510; NJW 1985, 3006. BGH NJW 1994, 1275, 1276; WM 1990, 1322, 1323; BGHZ 80, 153, 160f. 120 Canaris, ZIP 1980, 709, 717; Medicus, Allgemeiner Teil, Rn.711; Müssighrodt, Jura 1980, 697, 700; Erman/Brox, §138 Rn.16; Soergel/Hefermehl, §138 Rn.72; BGH NJW 1979, 758; BGHZ 80, 153, 159f. 118 119
8. Kapitel: Die »guten Sitten« als
Wertungsrahmen
389
Die gegenteilige Meinung ist abzulehnen. Die Argumentation, bei den Tatbestandsmerkmalen des § 138 Abs. 2 BGB handele es sich um »quantitativ abstufbare Tatbestandsmerkmale« und solche könnten auch wechselseitig ausgeglichen werden, 121 überzeugt nicht. Richtig ist, daß das Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ebenso unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann wie die einzelnen Unterlegenheitstatbestände (Zwangslage, Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen, erhebliche Willensschwäche) in verschiedenen Graden denkbar sind. Das ist aber kein Grund, merkmalsübergreifend einen Ausgleich herbeizuführen. Das flexible System leistet gute Dienste bei der Auslegung einer Norm, der Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs oder einer Generalklausel. Gesetzlich vorgegebene einzelne Tatbestandsmerkmale durch eine Gesamtschau zu ersetzen, vermag es nicht. Die gegenteilige Sicht würde zudem zur Anwendbarkeit des § 138 Abs. 2 BGB führen, wenn ein besonders grobes Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung mit einer rudimentär vorhandenen, unausgeprägten Willensschwäche zusammentrifft. Ein Ergebnis, das Wortlaut sowie Sinn und Zweck der N o r m nicht entspricht. Das sogenannte SandhaufenTheorem ist bei § 138 Abs. 2 BGB nicht anwendbar. Es vermengt die vom Gesetz kumulativ aufgestellten Tatbestandserfordernisse. Eine andere Frage betrifft das Verhältnis zur Generalklausel. 5. Das Verhältnis von § 138 Abs.2 B G B zu § 138 Abs. 1 BGB Ist ein Tatbestandsmerkmal des Wuchers nicht voll verwirklicht, läßt die überwiegende Auffassung einen Rückgriff auf die Generalklausel lediglich dann zu, wenn neben das verwirklichte Wuchermerkmal ein weiterer, vom Wuchertatbestand nicht erfaßter Umstand tritt. 122 Das erscheint methodisch zweifelhaft. Wie die Wendung »insbesondere« ausdrückt, stellt der zweite Absatz eine Konkretisierung der Sittenwidrigkeitsklausel dar. Eine Einschränkung der Generalklausel durch den zweiten Absatz läßt sich nicht begründen. 123 Der Wuchertatbestand beschreibt lediglich beispielhaft einen Anwendungsfall der Sittenwidrigkeit. Gegen die Interpretation als lex specialis spricht nicht nur der Wortlaut, es existieren auch weder historische noch teleologische Anhaltspunkte. Entgegen der ganz herrschenden Meinung ist eine Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB folglich nicht 121 Bender, Gedächtnisschrift für Rödig, S.34,38ff.; Koziol, AcP 188 (1988), 183, 187ff.; Staudinger/Sack, § 138 Rn.217; O L G Stuttgart N J W 1979, 2409, 2412. 122 Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, § 138 Rn. 116; Soergel/Hefermehl, § 138 Rn. 73; Staudinger/Sack, §138 Rn. 172, 217; Palandt/Heinrichs, §138 Rn.69; B G H W M 1969, 1255; W M 1966,399; NJW 1957,1274; N J W 1951,397; vgl. auch B G H N J W 1984,2292,2294; O L G H a m m W M 1979, 1294, 1295; RGZ 103, 35, 37; 72, 61, 69. 123 Insoweit übereinstimmend die überwiegende Auffassung, die gleichwohl aber für die Anwendbarkeit des ersten Absatzes ein weitergehendes Erfordernis aufstellt und die Existenz eines vom zweiten Absatz nicht erfaßten weiteren Merkmals, z.B. eine verwerfliche Gesinnung (BGH WM 1980, 597), fordert. Zur Prämisse, Wucher als Beispielsfall der Sittenwidrigkeit, der keine Sperrwirkung gegenüber § 138 Abs. 1 BGB entfaltet, vgl. Henssler, Risiko, S.206; R G R K / i f r « ger-Nieland/Zöller, § 138 Rn.45; Soergel/Hefermehl, § 138 Rn.73; Erman/Brox, § 138 Rn.9.
390
J. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
davon abhängig, daß besondere über den Wuchertatbestand hinausgehende Tatumstände hinzukommen. Der erste und der zweite Absatz des § 138 BGB sind grundsätzlich nebeneinander anwendbar; Absatz 2 entfaltet keine Sperrwirkung gegenüber Absatz 1. Die fehlerhafte dogmatische Einordnung des Konkurrenzverhältnisses ändert nichts daran, daß das praktische Ergebnis der herrschenden Meinung in vielen Fällen zutreffend ist. Ein Sachverhalt, der § 138 Abs. 2 BGB nicht ausfüllt, wird ohne das Hinzutreten weiterer Elemente regelmäßig auch nicht die Voraussetzung eines Sittenverstoßes erfüllen. So kann insbesondere ein bloßes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung für sich allein kein Sittenwidrigkeitsurteil begründen. 124 Doch erlaubt §138 Abs. 1 BGB im Gegensatz zu §138 Abs.2 BGB eine Gesamtbetrachtung im Wege des flexiblen Konkretisierungssystems: Es handelt sich um eine Generalklausel ohne gesetzlich vorgegebene unterschiedliche Voraussetzungsgruppen. Und daran zeigt sich die Überlegenheit des hier vertretenen dogmatischen Modells. Für den Vorwurf der Sittenwidrigkeit kommt es darauf an, ob die Summierung von Umständen, die für sich allein gesehen § 138 Abs. 2 BGB nicht ausfüllen, ein Gesamturteil der Sittenwidrigkeit rechtfertigen. Bei § 138 Abs. 1 BGB ist entscheidend, wieviele relevante Umstände in welcher Intensität verwirklicht sind. Bei der Prüfung des § 138 Abs. 1 BGB ist es deshalb denkbar, daß ein besonders stark ausgeprägtes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung und ein für § 138 Abs. 2 BGB (noch) nicht ausreichender Unterlegenheitstatbestand in ihrer Summe den Vorwurf der Sittenwidrigkeit begründen. Das Gesamtgewicht der für Sittenwidrigkeit sprechenden Umstände kann sich - anders als bei §138 Abs.2 BGB, der einzelne Tatbestandsmerkmale vorgibt und in seiner Anwendung von deren Verwirklichung abhängig ist - aus einer Addition einzelner Elemente ergeben. Dieses Gesamtgewicht ist nicht davon abhängig, daß relevante Merkmale in durchschnittlicher Stärke realisiert sind; es genügt, wenn ein Umstand schwächer, ein anderer stärker ausgeprägt ist, sofern insgesamt ein für die Feststellung der Sittenwidrigkeit ausreichender Grad erreicht wird. 125 Die Sonderkonstellation, die von einem Teil der Literatur systemwidrig über das sogenannte Sandhaufen-Theorem § 138 Abs. 2 BGB zugeordnet wird, stellt in Wahrheit einen Fall des §138 Abs. 1 BGB dar. Die konsequente Umsetzung der unterschiedlichen Strukturierung der beiden Absätze führt zu einer den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Lösung der seit langem ergebnislos geführten Kontroverse. N u r diese Lösung erlaubt es, einerseits den Wuchertatbestand und andererseits die Sittenwidrigkeitsklausel als ein widerspruchsfreies Gesamtgefüge zu erfassen.
124 Ansonsten käme es auf die Ausbeutung einer Unterlegenheitssituation auf Seiten des Vertragspartners nicht an und § 138 Abs.2 BGB würde seine Funktion verlieren. 125 B G H N J W 1982, 1981: »Manche Einzelumstände, die sonst häufig bei einem sittenwidrigen Geschäft nach § 138 Abs. 1 BGB vorliegen, können im Einzelfall fehlen, wenn nur die übrigen erheblichen Umstände so schwer wiegen, daß sie allein die Gesamtwürdigung des Geschäfts als sittenwidrig rechtfertigen.«
8. Kapitel: Die »guten Sitten« als
Wertungsrahmen
391
III. Resümee Der kurze Überblick zur Sittenwidrigkeitskontrolle bestätigt die These, daß die Anwendung des flexiblen Systems 126 eine Generalklausel handhabbar macht und zu überzeugenden, nachvollziehbaren Ergebnissen führt. Mit einem Einheitskriterium ist die Sittenwidrigkeitsprüfung nicht zu bewältigen. Die Sittenwidrigkeitskontrolle hängt von einer Vielzahl von Bestimmungselementen ab, die je nach Lage des Einzelfalles belastend oder entlastend wirken und je nach Zahl, Intensität und Variationsmöglichkeit ergänzend, ersetzend oder summierend den Schluß auf die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit eines Vertrages mit den guten Sitten legitimieren. Außerdem hat sich die These bestätigt, daß § 138 Abs. 1 B G B einen spezifischen Rahmen in bezug auf die Inhaltskontrolle vorgibt, innerhalb dessen insbesondere die Grundwertungen der Rechtsordnung Bedeutung erlangen. Mit der Formulierung »Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.« sind eine bestimmte Zielrichtung und ein konkreter Maßstab der Inhaltskontrolle verbunden. § 138 Abs. 1 B G B stellt einen autarken » N o r m rahmen« 127 auf. Die Auslegung des Begriffs der guten Sitten ergibt für die Sittenwidrigkeitskontrolle einen Konkretisierungsrahmen, der sich von dem einer Inhaltskontrolle gemäß § 2 4 2 B G B maßgeblich unterscheidet. Eine Vertragskontrolle anhand des Treu und Glauben-Grundsatzes folgt anderen Grundsätzen, wie sich im folgenden zeigen wird.
126 127
Grundlegend zum flexiblen System im 5. Kapitel (S.205ff.) und im 7. Kapitel (S. 320ff.). Soergel/Hefermehl, §138 Rn.2.
9. Kapitel
Der Treu und Glauben - Grundsatz I. Der Normgehalt des §242 BGB 1. D i e B e d e u t u n g des § 2 4 2 B G B § 242 B G B hat seinen Ursprung im allgemeinen Vertrauensprinzip, gibt dieses allerdings nicht lediglich wieder, sondern geht darüber hinaus. Das Vertrauensprinzip hat eine rechtsethische und eine an der Wahrung der Rechtssicherheit orientierte Komponente. 1 Erstgenannter Aspekt wird in § 2 4 2 B G B betont, der in dieser in erster Linie rechtsethischen Verankerung 2 auf einer langen geschichtlichen Tradition beruht. 3 U b e r den Inhalt des allgemeinen Vertrauensgrundsatzes hinaus verlangt § 2 4 2 B G B , daß sich die Vertragspartner vor, während und nach der Abwicklung an die G e b o t e der Verläßlichkeit, Rücksichtnahme und Loyalität halten. D e r Treu und Glauben - Grundsatz ist deshalb keine Leerformel, die für die Praxis keine Leitlinien vorgibt. 4 § 242 B G B nennt Treu und Glauben sowie die Verkehrssitte und gibt so neben dem rechtsethischen Vertrauensaspekt einen erkennbaren entscheidungserheblichen Orientierungspunkt vor. Aus diesen Prämissen, den allgemeinen Maximen und Rechtsprinzipien hat sich Fallmaterial entwickelt, das wiederum für zukünftige Probleme die Richtung weist. Jedes U r teil kann unter Umständen Vorbild- und Leitcharakter für den nächsten zu entscheidenden Fall bilden, so daß im Ergebnis eine »Entscheidung nach § 2 4 2 B G B selbst am werdenden und kommenden R e c h t mitschafft wie der einzelne Nadelstich am Gewebe.« 5 Einzelne Entscheidungen können sich allmählich zu Rechtsinstituten verdichten, die zum Teil allgemeine Anerkennung gefunden 6 oder so1 Vgl. das 7. Kapitel (S.356ff.). Letztgenannter Gesichtspunkt überwiegt in den Fällen, in denen ein Tatbestand gesetzt wird, der für andere den Anschein einer bestimmten Rechtslage weckt, wie es beispielsweise bei den Publizitätstatbeständen liegt. 2 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S.266ff.; Fikentscher, Schuldrecht, Rn. 161; Larenz, Richtiges Recht, S.85; ders., Methodenlehre, S.421 ff. 3 Der in §242 B G B zum Ausdruck gebrachte Grundsatz hat seine Wurzeln insbesondere in den »bonae fidei iudicia« im römischen Recht. Zu historischen Grundlagen des Treu und Glauben-Grundsatzes und zur Entstehungsgeschichte der Norm Betti, Festgabe für Müller-Erzbach, S. 7ff.; Frotz, Verkehrsschutz, S.454ff.; Beck, Festgabe für Simonius, S.9ff.; Mader, Rechtsmißbrauch, S.25ff.; Roth, in: MünchKommBGB, §242 Rn. 10ff.; Strätz, Treu und Glauben, passim; Staudingerl Schmidt, § 242 Rn. 1 ff., 51 ff.; Wieacker, Festschrift für Fischer, S. 867ff. 4 Zur häufigen Interpretation als inhaltslose Floskel Hedemann, Flucht, S. 66ff., m. weit. Nachw. 5 Wieacker, Präzisierung, S. 15. 6 So werden die Grundsätze und Folgen des Wegfalls oder des Fehlens der Geschäftsgrundla-
9. Kapitel: Der Treu und Glauben - Grundsatz
393
gar eine gesetzliche Fixierung erfahren 7 haben. Eine kritische Durchsicht und Systematisierung der bisher zu §242 BGB gefundenen Ergebnisse werden Anhaltspunkte für den Umgang mit der Generalklausel in bezug auf die Inhaltskontrolle von Verträgen geben. Durch das Zusammen- und Widerspiel der einzelnen Elemente hat §242 BGB ein derart filigranes Gefüge erhalten, daß dem Rechtsanwender nicht nur Richtung und Rahmen der Problembearbeitung aufgezeigt, sondern auch klare Strukturen und Lösungsansätze an die Hand gegeben werden. An dieser Struktur haben sich Anwendung und Weiterentwicklung des §242 BGB zu orientieren. Einen festgefügten, der Subsumtion zugänglichen enumerativen Tatbestand enthält die Norm gleichwohl nicht. Es handelt sich um eine Generalklausel, die es erlaubt, Neuentwicklungen und gesellschaftliche Wandlungen zu berücksichtigen. 8 §242 BGB enthält also einerseits ein Gerüst aus Anhaltspunkten, die dem Grundsatz der Rechtssicherheit genügen, andererseits eröffnet §242 BGB im Rahmen und unter Beachtung seiner Wertungsvorgaben die Möglichkeit, flexibel auf neue Entwicklungen zu reagieren. 9 2. Überblick zu den Funktionsweisen Uber den normativen Gehalt des §242 BGB ist viel diskutiert worden. Die Vorschrift wird als (offene) Verhaltensnorm, institutionelle Vorschrift, Konkretisierungsnorm oder auch als Prinzip verstanden, 10 wobei zwischen den Ansätzen häufig nicht klar unterschieden wird 11 und auch nicht unterschieden werden muß, da sie sich nicht unmittelbar gegenseitig ausschließen.12 Gemeinsam ist den Überlegungen die Suche nach Kriterien und Argumenten zur Bewältigung von Problemen im Zusammenhang mit §242 BGB. Um das vorhandene Entscheidungsmage oder die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund beim Fehlen einer gesetzlichen Regelung (unter anderem) auf §242 BGB zurückgeführt. 7 Beispielsweise wurde der Kündigungsschutz für Arbeitnehmer bis zum Erlaß des KSchG aus §242 BGB abgeleitet, vgl. Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht Bd. 1, §56 IX 2, m. weit. Nachw. 8 Esser, Grundsatz, S.220ff.; Wieacker, Präzisierung, S. lOff. 9 Die weitergehende Auffassung, die in § 242 BGB eine allgemeine Legitimationsgrundlage für richterliche Rechtsfortbildung sieht, der Vorschrift eine generelle Ermächtigungsfunktion zuspricht (Jauemig/Vollkommer, §242 Rn.9; Wieacker, Präzisierung, S.43), geht zu weit. §242 BGB stellt auf eine situationsbezogene Wertung ab. Aus diesen kann sich ein allgemeines Rechtsinstitut herausentwickeln, doch kann nicht ohne inhaltlichen Bezug zur Vorschrift die Norm als generelle Ermächtlgungsnorm zur Entwicklung von Rechtssätzen des Billigkeitsrechts gedeutet werden. Anders als Art. 1 des schweizerischen ZGB (»Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll der Richter nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde.«) enthält §242 BGB keine allgemeine Erlaubnisnorm zur richterlichen Rechtsfortbildung. Normativ ist §242 BGB enger. Dazu Fastrich, Inhaltskontrolle, S.65ff., 70ff.; Häuser, »Maßstäbe«, S.60f., 139f.; Soergel/Teichmann, §242 Rn.9; Roth, in: MünchKommBGB, §242 Rn. 13ff., 87f. 10 Instruktiv Schmidt, Präzisierung, S.231 ff.; ders., in: Staudinger, §242 Rn. 126ff. 11 Vgl. ErmanIWemer, §242 Rn. lff.; Palandt/Heinrichs, §242 Rn. l f f . 12 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 66f.; Fikentscher, Schuldrecht, Rn. 165; Schmidt, Präzisierung, S.231, 248ff.
394
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
terial aufzuarbeiten und zu sortieren und so für eine empirische Bestimmung des Normrahmens fruchtbar zu machen, wird auf den sogenannten Funktionskreisansatz zurückgegriffen, der eine empirische Analyse der faktischen Verwendung des § 2 4 2 B G B erlaubt. D i e deskriptiven Konzeptionen enthalten zwar unterschiedliche Systematisierungen, 1 3 die sich allerdings auf eine Dreiteilung zurückführen lassen: die Pflichtenebene als erste Fallgruppe, die Inhaltskorrektur und Aufhebung von Rechtsgeschäften als zweite Funktionsrichtung sowie die Ausübungsbegrenzung als dritte Wirkungsweise. Mit Pflichtenebene wird die Wirkungsweise bezeichnet, die inhaltliche Ergänzungen von auf Rechtsnormen oder Verträge zurückgehenden Rechten und Pflichten vornimmt. D i e Hauptleistungen sind so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Zur Erfüllung dieser Pflicht zählt nicht nur die Erfüllungshandlung. Es ist darüber hinaus alles zu tun, um den Leistungsaustausch zu ermöglichen, und alles zu unterlassen, was den Vertragszweck gefährden oder vereiteln könnte. Aus § 2 4 2 B G B kann sich somit eine nähere Bestimmung der Art und Weise der Hauptleistung ergeben. Diese im Zusammenhang mit der Hauptleistung stehenden Pflichten dienen der Verwirklichung und Sicherung des Leistungsinteresses. 1 4 N e b e n einer solchen Konkretisierung der Hauptpflicht, auf welche die N o r m ihrem Wortlaut nach in erster Linie zielt, können sich im Einzelfall nach Art, Inhalt und Umfang unterschiedliche Pflichten ergeben, welche die Hauptpflichten ergänzen. Diese dem Erhaltungsoder Integritätsinteresse dienenden Schutzpflichten bezwecken, die Güter des Partners vor den erhöhten Einwirkungsgefahren des geschäftlichen Kontaktes zu bewahren. D i e Pflichten sind nicht nur auf ein wirksames Vertragsschuldverhältnis beschränkt, sondern können immer dann an Relevanz gewinnen, wenn eine Sonderbeziehung zwischen den Beteiligten, beispielsweise in F o r m eines geschäftlichen Kontaktes, besteht. 1 5 D i e Analyse der auf § 2 4 2 B G B gestützten Entscheidungen ergibt des weiteren die Möglichkeit, mittels des Treu und Glauben - Grundsatzes in die Rechte und Pflichten eines rechtsgeschäftlich begründeten Rechtsverhältnisses modifizierend einzugreifen oder - erscheint eine Korrektur nicht möglich - das Rechtsverhältnis zu beenden, falls die Durchsetzung der wechselseitigen Rechte und Pflichten unangemessen oder unzumutbar erscheint. Diese als Fehlen und als Wegfall 13 Vgl. die unterschiedlichen Strukturierungen bei Wieacker, Präzisierung, S. 20ff.; Soergel! Teichmann, §242 Rn. 58ff.; Erman/Werner, §242 Rn. 50ff.; Medicus, Allgemeiner Teil, Rn. 136ff., 628ff., 857ff.; Larenz/Wolf, § 16 Rn.25ff., §27 Rn.44ff.; Hübner, Allgemeiner Teil, Rn. 413ff.; Fikentscher, Schuldrecht, Rn. 159ff. -Roth, in: MünchKommBGB, §242 Rn.93ff.;ftilandt! Heinrichs, §242 Rn.23ff.; RGRK/Alff, §242 Rn.22ff.; Jauernig/Vollkommer, §242 Rn. 16 ff. 14 Dabei handelt es sich um die Funktion, an die der Gesetzgeber bei der Kodifikation der Norm dachte, weshalb er den Treu und Glauben-Grundsatz im Ersten Abschnitt des Zweiten §242 Rn.24ff., m. Buches, dem Allgemeinen Schuldrecht, verortete; vgl. Staudinger/Schmidt, weit. Nachw. 15 Vgl. Soergel/Teichmann, §242 Rn. 181 ff.; Roth, in: MünchKommBGB, §242 Rn.200ff., jeweils m. zahlr. weit. Nachw.
9. Kapitel: Der Treu und Glauben
-
Grundsatz
395
der Geschäftsgrundlage bezeichnete Erscheinungsform des §242 B G B setzt die Korrekturbedürftigkeit eines Vertrages voraus. Von beschränktem Aussagewert sind - wie bereits mehrfach erwähnt - objektive Umstände. Allein die Inäquivalenz von Leistung und Gegenleistung gibt keinen Anlaß, in die privatautonome Regelung einzugreifen. 16 Eine objektive Äquivalenzstörung stellt zwar einen (mit-)berücksichtigungsfähigen Faktor dar, bleibt aber abhängig davon, daß sie einhergeht mit einer subjektiven Fehlvorstellung der Vertragspartner. Haben die Parteien das Wertungleichgewicht gekannt, vorausgesehen oder ein riskantes Geschäft getätigt, kommt aus Gründen, die diesen Bereichen zuzuordnen sind, eine Modifikation oder Aufhebung des Vertrages grundsätzlich nicht in Betracht. Die Hervorhebung des individuumbezogenen Aspekts entspricht der Intention des §242 B G B , wie sie den Merkmalen der Norm zu entnehmen sind. Die Merkmale der Vorschrift sind auch für die dritte Funktionsweise des §242 B G B , die eine Inhaltskontrolle von Verträgen ermöglicht, von entscheidender Relevanz. 3. Analyse des Wertungsrahmens a) Die Wortkombination
Treu und
Glauben
Mit der Wortkombination Treu und Glauben wird auf das Verhältnis zwischen den Vertragspartnern abgestellt. In Bezug genommen ist die relative Beziehung zwischen den konkreten Personen des Schuldverhältnisses. »Treue« meint dabei die Zuverlässigkeit, Gewissenhaftigkeit und Aufrichtigkeit bei der eigenen Leistungserbringung und der Geltendmachung von Vertragsrechten. 17 Das Gegenstück, der Glaube an die ehrliche und ordnungsgemäße Erfüllung des vom Vertragspartner abgegebenen Versprechens, das zuverlässige Festhalten am einmal Gelobten, wird mit dem Ausdruck »Glaube« belegt. 18 Der Wertungsrahmen der Treu und Glauben - Formel erschließt sich in seiner gesamten Tragweite erst durch die Interdependenz der beiden Ausdrücke. Die Wechselwirkung, »Glauben wird um Treue und Treue um Glauben gegeben«, 19 zeigt auf, daß im Rahmen eines Vertrages jeder Beteiligte auf die ordnungsgemäße und umstandsangepaßte Erfüllung durch den anderen vertraut, weil er selbst durch seine Verpflichtung bei dem anderen den Glauben an diese erweckt. Seitens der Rechtsordnung ist deshalb darauf zu achten, daß der eine Beteiligte nicht von dem anderen in einer offenbar unbilligen, dem Sinn des Rechtsverhältnisses widersprechenden Weise benachteiligt wird, wobei sich das Maß der ange16 Dementsprechend hat Oertmann in seiner wegweisenden Untersuchung (Geschäftsgrundlage, 1921) maßgeblich auf die subjektive Seite abgestellt. 17 In der Sache übereinstimmend Staudinger/Weber (11. Aufl.), §242 A 124 (mit Ausführungen zur Etymologie); Soergel/Teichmann, §242 Rn.36, 38; Soergel!SiebertlKnopp (10. Aufl.), §242 Rn.6; Roth, in: MünchKommBGB, §242 Rn. 5; siehe auch Strätz, Treu und Glauben, S. 71 ff. 18 Vgl. Staudinger/Weber (11. Aufl.), §242 A 125 sowie die weit. Nachw. in Fn. 17. 19 Staudinger/Weber (11. Aufl.), §242 A 126.
396
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
zeigten Rücksichtnahme nach Art und Inhalt des konkreten Rechtsverhältnisses bestimmt. Die Vertragspartner haben das Gebot der Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils zu wahren. Der gegenseitigen Verbundenheit soll Rechnung getragen werden, indem die jeweils berechtigten Erwartungen nicht übergangen werden. Redlichkeit und Loyalität stellen den Maßstab von Treu und Glauben dar. Jeder Vertragspartner hat bei der Erfüllung seiner Pflichten und der Ausübung seiner Rechte die verständigen Interessen der Gegenseite zu berücksichtigen. Erfassung und Ausgleich der wechselseitigen Positionen machen eine Interessenabwägung unumgänglich. In diese sind neben den Parteiinteressen und neben den rechtlichen Wertungsmaßstäben20 auch rechtsethische Gesichtspunkte einzustellen; die Abwägungsmaßstäbe müssen sich in die der Wirtschafts- und Sozialethik immanente Grundordnung einfügen.21 Individuelle Erwartungen sind nur bedeutsam, wenn sie der Sozialethik nicht widersprechen. Das Wortpaar »Treu und Glauben« dient dazu, im Rahmen eines konkreten Rechtsverhältnisses eine am Einzelfall und seinen speziellen Interessen ausgerichtete Entscheidung zu ermöglichen. b) Die Verkehrssitte Der Rekurs auf die individuellen Verhältnisse birgt die Gefahr, daß die Rechtssicherheit durch Wegfall der Voraussehbarkeit ausgehöhlt wird. 22 Diesem Umstand hat der Gesetzgeber durch die Aufnahme eines objektiven Merkmals, der Verkehrssitte, in den Tatbestand des §242 B G B Rechnung getragen. Nur das »berechtigte Vertrauen« verdient Schutz. 23 Objektiv gerechtfertigte gegenseitige Loyalität macht den Kerngehalt des Grundgedankens von Treu und Glauben aus. Aus der Formulierung »mit Rücksicht auf« läßt sich zudem die Wertigkeit der Merkmale entnehmen. Die Verkehrssitte ist gegenüber Treu und Glauben von niederrangiger Bedeutung, nimmt aber ihrerseits Einfluß auf die einzelfallabhängige Inhaltsbestimmung von Treu und Glauben. Bei einer Kollision von Treu und Glauben mit der Verkehrssitte geht im Grundsatz das von Treu und Glauben Geforderte vor.24
Dazu im 7. Kapitel (S.338ff.). Vgl. oben bei Fn. 2 sowie Wieacker, Präzisierung, S. 10, 20; Staudinger/Weher (11. Aufl.), §242 A 113: »Der Grundsatz von Treu und Glauben soll es der Sittenlehre, insbesondere der Sozialethik, ermöglichen, ihre Werturteile und Wertmaßstäbe auf »legalem Wege« an die Tatbestände des Lebens heranzutragen.« Zu weitgehend bei A 115, wenn angenommen wird, §242 BGB ermögliche es, »im Sinne des sozialen Ideals das für das Parteienverhältnis Richtige zu bestimmen.« Auch die Anwendung des §242 BGB hat die privatautonom gesetzten Vorgaben zu berücksichtigen und erlaubt es nicht, das allgemein Richtige zu bestimmen. Zu Recht, Moral und Rechtsethik vgl. Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 128ff. 22 Lehmann, JZ 1952, 11: »Man kann das Leid der Welt nicht mit § 242 BGB beseitigen und darf sich mit seiner Hilfe nicht über die gesetzlichen Grenzen hinwegsetzen«; die Rechtssicherheit müsse gewährleistet bleiben. 23 Meier-Hayoz, Vertrauensprinzip, S.89; Teller, Treu und Glauben, S.261. 24 Erman/Hefermehl, §157 Rn.9; Erman/Werner, §242 Rn. 10; Mayer-Maly, in: Münch20 21
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Die Berücksichtigung der Verkehrssitte liefert einen nicht subjektbezogenen, generalisierenden Maßstab für die Einschätzung des Sachverhalts und der Parteiinteressen.25 Der Begriff bringt neben einem sekundären objektiven Merkmal überdies zum Ausdruck, daß sich die Beurteilung eines konkreten Falles in die üblichen Vorgehensweisen einfügen muß. Verkehrssitte bezieht die »den Verkehr tatsächlich beherrschende Übung« 26 in die Abwägung ein. Sie kann branchenspezifisch ausgeprägt sein und örtlichen Einflüssen unterliegen.27 Zu ihrer Bildung bedarf es über einen gewissen Zeitraum einer einheitlichen Auffassung der Beteiligten und allgemeiner tatsächlicher Übung. 28 Auf die Kenntnis der Parteien von der tatsächlichen Übung kommt es nicht an, weil ihre Geltung gerade nicht auf einer Willensübereinstimmung beruht. 29 Die Verkehrssitten geben objektive Gesichtspunkte vor, anhand derer sich berechtigte Erwartungen der Vertragspartner und der übliche Verständnishorizont als Indizien bestimmen lassen. §242 B G B enthält das Gebot, Rechte im Rahmen objektiv berechtigter Verläßlichkeit auszuüben. Die Vorschrift gibt Richtlinien und Wertungsmaßstäbe vor, anhand derer Abwägung und Ausgleich der widerstreitenden Interessen von Gläubiger und Schuldner vorzunehmen sind. Wenn §242 B G B auch keine tatbestandlichen subsumtionsfähigen Voraussetzungen zu entnehmen sind, so gibt doch der allgemeine normative Gehalt einen brauchbaren Ausgangspunkt für die Anwendung des Treu und Glauben - Grundsatzes. 30 Das Wechselspiel der Wertungselemente erklärt nicht nur die Funktionskreise »Erweiterung und Begründung von Pflichten« sowie »Modifikation und Beendigung von Rechtsverhältnissen zwecks Anpassung an veränderte Umstände«. Auch für die Funktionsweise, die hier von besonderem Interesse ist, nämlich die sogenannte Ausübungskontrolle, vermag die komparative Reihung der Abwägungsfaktoren wertvolle Rückschlüsse zu geben und so im Ergebnis eine präzisere Handhabung der Ausübungskontrolle zu gewährleisten.
II. Grundlagen der Ausübungskontrolle Die Kombination der Elemente Treu und Glauben einerseits sowie Verkehrssitte andererseits führt dazu, daß an sich bestehende Rechte unter Umständen nicht KommBGB, §157 Rn.15; Staudinger/Weber (11. Aufl.), §242 A 157; Staudingerl Going (11. Aufl.), § 133 Rn. 17; OLG Köln BB 1957, 910; OLG München BB 1956, 94. 25 Fikentscher, Schuldrecht, Rn. 161; Teubner, Standards, S. 65 ff.; zur historischen Intention Protokolle I, S.624f. 26 RGZ 55, 375, 377. 2 7 Vgl. Sonnenberger, Verkehrssitten, S.92ff. 2 8 Vom Gewohnheitsrecht unterscheidet sie sich durch die hierfür erforderliche Uberzeugung des Verkehrs, daß die Übung geltendes Recht ist. Das Kriterium der Uberzeugung der beteiligten Gruppen von der tatsächlichen Übung wird hingegen stellenweise für überflüssig gehalten (Sonnenberge,r, Verkehrssitten, S. 62ff.; OLG Köln OLGZ 1972, 10, 12) oder durch das Erfordernis der Freiwilligkeit ersetzt (Pflug, ZHR 135 (1971), 1, 48; Wagner, NJW 1969, 1282f.). 29 Soergel/Wolf, § 157 Rn. 72; BGH NJW 1970, 1737. 3 0 Dagegen Staudinger/Schmidt, §242 Rn. 174, 179ff.
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geltend gemacht werden dürfen, wenn die Ausübung gegen die Rücksichten verstößt, die innerhalb eines Vertrages einander geschuldet und voneinander erwartet werden (Treu und Glauben) und wenn die Geltendmachung Konventionen mißachtet, die in vergleichbaren Kreisen üblicherweise eingehalten werden (Verkehrssitte). Eine formal rechtsgeschäftlich ordnungsgemäß begründete Vertragsrechtsposition kann aus besonderen materiellen Gründen den unter Vertragspartnern üblichen Interaktionsweisen widersprechen. Erreicht die Diskrepanz zwischen formaler Rechtsposition und materiellem Prinzip einen von der Rechtsordnung nicht mehr hinnehmbaren Grad, ist die Diskrepanz ausnahmsweise zu Ungunsten der formalen Rechtsposition aufzulösen. Dem subjektiven Recht wird durch §242 BGB eine Grenze gezogen. Uber den Wortlaut der N o r m hinaus steht nicht nur einer unzulässigen Rechtsausübung des Schuldners, sondern auch des Gläubigers der Treu und Glauben Grundsatz entgegen. In einem Schuldverhältnis ist jeder zugleich Schuldner und Gläubiger; Pflichten des einen stellen sich als Rechte des anderen dar. Immer dann, wenn zwischen den Beteiligten eine rechtliche Sonderverbindung 31 besteht, sind Gläubiger wie Schuldner gehalten, sich so zu verhalten, wie es von einem redlich Denkenden zu erwarten ist. Das gilt in bezug auf die Ausübung aller den Parteien des Vertrages zustehenden Rechte. Die Ausübungskontrolle erfaßt demnach nicht nur Ansprüche und Gestaltungsrechte, auch Einwendungen und Einreden sind am Rücksichtnahmegebot zu messen. Das Rechtsmißbrauchsverbot auf §242 B G B z u r ü c k z u f ü h r e n , ist nicht selbstverständlich. Die historischen U r s p r ü n g e von Treu und Glauben sowie des Mißbrauchsverbotes liegen in zwei unterschiedlichen Instituten. Treu u n d Glauben wurzelt im römischen Vertragsrecht (»bonae fidei negotia«), das G e b o t schonender Rechtsausübung, des »civiliter uti«, im Sachenrecht. 3 2 Das schweizerische Z G B trennt deshalb in Art. 2 Treu u n d Glauben (Abs. 1) v o m Mißbrauchsverbot (Abs. 2). 33 A u c h die Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuches folgte der Differenzierung. 3 4 Das Mißbrauchsverbot als eine das gesamte Privatrecht durchziehende Regelung w u r d e im Ersten Buch, dem Allgemeinen Teil, in §226 BGB, der Treu u n d Glauben - G r u n d s a t z als ursprünglich auf das Schuldverhältnis konzipiertes Prinzip im Zweiten Buch, dem Recht der Schuldverhältnisse, kodifiziert. Das generelle Schikaneverbot erwies sich bald als zu eng gefaßt. §226 B G B setzt nämlich voraus, daß 31 Das Erfordernis einer rechtlichen Sonderverbindung wird zunehmend in Zweifel gezogen, siehe v.a. Staudinger/Schmidt, §242 Rn. 159ff.; Staudinger/Schmidt (12. Aufl.), §242 Rn. 113ff.; zweifelnd ebenfalls Medicus, Schuldrecht I, Rn. 130. Treu und Glauben in der gesamten Rechtsordnung ohne Rücksicht auf ein rechtliches Näheverhältnis zu berücksichtigen, verwischt die Grenzen zwischen dem Gebot des §242 BGB und den allgemeinen, das gesamte Rechtsleben durchziehenden Grundwertungen, insbesondere dem Vertrauensgrundsatz. Allgemeines Prinzip und normative Regelung in §242 BGB sind zu trennen. Für §242 BGB ist deshalb am Erfordernis einer sog. Sonderrechtsbeziehung festzuhalten. Anwendungsvoraussetzung ist ein sozialer Kontakt qualifizierter Art, eine spezielle Interessenverknüpfung, vgl. Canaris, Festschrift für Larenz, 1983, S.27, 34; Fikentscher, Schuldrecht, Rn. 162; Hueck, Treuegedanke, S. 10f.; Siebert, Verwirkung, S. 118, 129; B G H Z 95, 274, 279, 285, 288; offen gelassen in B G H Z 102, 95, 102. 32 Eingehend zur historischen Entwicklung mit zahlr. weit. Nachw. Zeller, Treu und Glauben, S. 147ff. 33 Aus dem Blickwinkel des Schweizer Rechts Zeller, Treu und Glauben, S.209ff., 313ff. 34 Vgl. Motive I, S.274; StaudingerlDilcher (12. Aufl.), §226 Rn.5, 7.
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nach Lage der gesamten Umstände des Einzelfalles ein anderer Zweck der Rechtsausübung als der der Schadenszufügung objektiv ausgeschlossen ist. Es genügt nicht, daß jemand subjektiv aus vorwerflichen Gründen von seinem Recht Gebrauch macht. Es muß zur Uberzeugung des Gerichts feststehen, daß die Rechtsausübung dem Berechtigten objektiv keinen Vorteil bringen kann und lediglich der Schädigung eines anderen dient. Kann ein berechtigtes Interesse auch nur mitbestimmend sein, scheidet §226 BGB aus. 35 Um auch Tatbestände zu erfassen, die dem engen Tatbestand nicht genügen, gleichwohl aber korrekturbedürftig erscheinen, standen methodisch die Alternativen offen, §226 BGB weit auszulegen oder die Nutzung von Rechtspositionen anhand der Generalklauseln §242 BGB und § 826 BGB zu beurteilen. Zu Recht wurde der zweite Weg eingeschlagen: Der eindeutig formulierte Wortlaut des §226 BGB und die Erwägungen des Gesetzgebers 36 hierzu lassen eine Ausweitung des Anwendungsbereichs methodisch nicht angezeigt sein. Für eine Sperrwirkung des §226 BGB gegenüber einer Mißbrauchskontrolle außerhalb der engen Voraussetzungen des §226 BGB ergeben sich keine Anhaltspunkte. Bereits der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, daß ein Rückgriff auf §§242, 826 BGB möglich ist.37 Der Charakter als Generalklausel spricht weiterhin dafür, daß eine Ausübungskontrolle außer auf §226 BGB auch auf §242 BGB gestützt werden kann. Das allgemeine Rechtsmißbrauchsverbot wird deshalb zu Recht bei §242 BGB verortet.
Eine Rechtsausübung ist wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben unzulässig, wenn Umstände existieren, die die Ausübung des Rechts zu diesem Zweck oder zu diesem Zeitpunkt als ein rechtsethisch objektiv zu mißbilligendes Verhalten erscheinen lassen. Dem Mißbrauchsverbot kommt Berichtigungsfunktion zu. Diese bezieht sich grundsätzlich nicht auf den Inhalt des Rechts; dessen Überprüfung auf Rechtskonformität ist unter anderem Aufgabe der Sittenwidrigkeitskontrolle. 38 Nicht das Recht selbst wird in Zweifel gezogen, sondern seine Ausübung unter besonderen Umständen in einer bestimmten Konstellation. Die Unzulässigkeit der Rechtsausübung schließt nicht aus, daß von dem Recht bei einer anderen Sachlage erneut und wirksam Gebrauch gemacht werden kann. Ausübungskontrolle ist zurückhaltend anzuwenden. Voraussetzung ist jedenfalls eine vom Sinn und Zweck des auszuübenden Rechts aus gesehen atypische Situation. Das Mißbrauchsverbot bezieht sich zwar auf sämtliche Rechtsstellungen, seien sie durch Gesetz oder Vertrag begründet, eröffnet aber keine allgemeine Billigkeitskontrolle. Nicht jede als unbillig empfundene Rechtsausübung ist mißbräuchlich: Jeder hat das Recht, seine Rechtsposition auch dann auszuüben, wenn der andere dadurch Beeinträchtigungen erleidet. N u r in Ausnahmefällen, die das in §242 BGB ausgedrückte hohe Kontrollniveau erreichen, scheitert eine Rechtsausübung an der Mißbrauchsschranke. Ein derartiger qualifizierter Mißbrauch einer Rechtsposition ist in zwei Erscheinungsformen denkbar, dem institutionellen (dazu unter III.) und dem individuellen (dazu unter IV.) Mißbrauch. 39 35 Allg. Meinung, vgl. nur Erman/Hefermehl, §226 Rn. 5; Soergel!Fahse, §226 Rn.4ff.; BGH WM 1994, 623; LG Köln Rpfleger 1991, 328. 36 Motive I, S. 274. 37 Motive I, S. 274. 38 Zur Abgrenzung im 6. Kapitel (S. 223 ff., 296ff.). 39 Im einzelnen ist die Terminologie unscharf, werden den beiden Begriffen (in ihren Grenz-
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III. Der institutionelle Rechtsmißbrauch Institutioneller Rechtsmißbrauch meint einen Fehlgebrauch von Rechtsstellungen, Normen oder Rechtsinstituten, der im allgemeinen, das heißt in allen vergleichbaren Fällen zu beanstanden ist. Entgegen dem äußeren Anschein, dem Wortlaut der Vorschrift, läßt sich die Ausübung der Rechtsposition auf die entsprechende Rechtsgrundlage nicht stützen. Durch Auslegung sind die Durchschnittsanforderungen zu ermitteln, die an die Ausübung einer institutionellen Rechtsposition gestellt werden. Jede Rechtsausübung hat sich im Rahmen des mit dem jeweiligen Rechtsinstitut verfolgten Zwecks zu halten. Hier geht es um eine allgemeine Interessenabwägung in bezug auf bestimmte Rechtsnormen und Rechtsinstitute; gefragt wird danach, ob jedes derartige Verhalten in einer ähnlichen Situation zu beanstanden wäre. Die formal rechtsordnungskonforme Regelung bedarf aus materiellen Erwägungen der Korrektur, wenn die Wertungsanalyse den konkreten Rechtsgebrauch in dieser Weise und mit diesem Ziel als zur Regelung bestimmter Rechtsverhältnisse generell als inkongruent ausweist. Die sich aus einem Rechtsinstitut oder einer Rechtsnorm ergebenden Rechtsfolgen müssen zurücktreten, wenn sie unter Berücksichtigung ihres Sinns und Zwecks mit Treu und Glauben unvereinbar sind, zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen. Anzunehmen ist das unter anderem, wenn ein Mißbrauch der Gestaltungsfreiheit festzustellen ist.40 1. Institutioneller Mißbrauch der Vertragsfreiheit Die Berufung auf eine im Zuge der Vertragsfreiheit eingeräumte Rechtsposition kann mißbräuchlich sein, wenn der Begünstigte keine schutzwürdigen Interessen verfolgt oder überwiegende berechtigte Interessen eines anderen Beteiligten entgegenstehen. Notwendig ist eine generalisierende Interessenabwägung. Ein derartiger Fehlgebrauch ist beispielsweise anzunehmen, wenn eine im Grunde unbedenkliche Vertragsgestaltung ohne sachlich gerechtfertigten Grund in wesentliche Schutzpositionen eingreift, also die Inhaltsfreiheit mißbräuchlich in Anspruch genommen wird. 41
bereichern) unterschiedliche Erscheinungsformen zugeordnet, vgl. Dette, Venire, S. 30; Roth, in: MünchKommBGB, §242 Rn.260; Esser!Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 10 III; Soergel/Teichmann, §242 Rn. 13. Die Schwierigkeiten, eine einheitliche Terminologie zu finden, beruhen darauf, daß häufig institutionelle und individuelle Aspekte eine Rolle spielen. Die Zuordnung drückt lediglich eine schwerpunktmäßige Einteilung aus. Teubner, AK-BGB, §242 Rn. 105ff., unterscheidet daneben »gesellschaftlichen Rechtsmißbrauch«, worunter er die an sich institutionsgerechte Ausübung eines subjektiven Rechts versteht, das aber in Konflikt mit fundamentalen Rechtsprinzipien eines anderen gesellschaftlichen Teilsystems gerät. 40 A K - B G B / T e u b n e r , §242 Rn.90; Soergel/Teichmann, §242 Rn.l5ff.; Palandt/Heinrichs, §242 Rn.40. 41 Vgl. bereits das 6. Kapitel unter IV 2c (S. 303f.); ausführlich zu diesem Anwendungsfall des §242 BGB im 13. Kapitel (S.541ff.).
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Die Wirkungsweise einer institutionellen Mißbrauchsprüfung zeigt sich beispielsweise bei der Vereinbarung befristeter Arbeitsverhältnisse. Der Grundsatz der Privatautonomie erlaubt an sich die Vereinbarung befristeter Arbeitsverhältnisse. § 620 B G B bestätigt diese bereits aus dem allgemeinen Grundgedanken ableitbare Möglichkeit. 42 Im Verhältnis zu den besonderen Kündigungsschutzvorschriften besteht ein Wertungswiderspruch, weil danach die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur bei Existenz besonderer Gründe möglich ist. Der Wertungswiderspruch ist zugunsten der nach dem Inkrafttreten des B G B vollzogenen Entwicklung als nachträglicher gesetzlicher Wertung aufzulösen. Die generelle Interessenabwägung, die die Interessen des Arbeitgebers denen des Arbeitnehmers gegenüberstellt, läßt Einschränkungen der Befristungsmöglichkeiten im Arbeitsverhältnis angezeigt sein. Soweit das Beschäftigungsförderungsgesetz nicht anwendbar ist, besteht ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Vereinbarung einer Befristung nur dann, wenn für die Befristung ein sachlicher Grund existiert. Die befristeten Verträge müssen ihre sachliche Rechtfertigung so in sich tragen, daß die generelle Interessenbewertung, die in den Kündigungsschutzvorschriften ihren Niederschlag gefunden hat, ihrem Sinn und Zweck entsprechend zum Tragen kommt. 43 Zu fragen ist folglich, ob - erstens - die Befristung den durch zwingende Kündigungsschutzvorschriften konstituierten Bestandsschutz eines Arbeitsverhältnisses unterläuft, und ob - zweitens - für diese Befristung ein sachlicher Grund besteht. Auf der Rechtsfolgenseite ist - im Gegensatz zu einer teilweise vertretenen Ansicht 44 - nicht anzunehmen, daß die Befristungsabrede aus inhaltlichen Gründen nichtig ist. Eine § 18 S. 2 VerbrKrG, § 5 Abs. 1 HaustürWG oder § 7 A G B G vergleichbare Regelung fehlt. Den Kündigungsschutznormen läßt sich im Sinne des § 134 B G B kein gesetzliches Verbot von Befristungsabreden entnehmen; Befristungsabreden selbst halten sich im Rahmen der Privatautonomie. Ein Rechtsgeschäft ist nur dann gemäß § 134 B G B nichtig, wenn es als solches aus grundsätzlichen öffentlichen Interessen vor der Rechtsordnung keinen Bestand haben soll. 45 Eine derartige allgemeine Untersagungsintention läßt sich aus den Kündigungsschutzvorschriften nicht ableiten. Die Kündigungsschutznormen wenden sich nicht allgemein gegen die Vereinbarung befristeter Arbeitsverträge. Das Kündigungsschutzrecht bezieht sich auf Arbeitgeberkündigungen. Uberträgt man den persönlich beschränkten Anwendungsbereich konsequent auf Befristungsabreden, muß eine dogmatische Konstruktion gefunden werden, bei der dem Arbeitnehmer die Möglichkeit bleibt, sich auf den Fristablauf zu berufen und den Vertrag ohne eigene Kündigung oder sonstige Beendigungsform zum verabrede42 Demnach ist es unerheblich, § 620 BGB nicht für Arbeitsverhältnisse anzuwenden, wie es von Kempff, DB 1976, 1576f., oder Lindner, DB 1975, 2082, vorgeschlagen wird. 43 Über das Ergebnis herrscht Ubereinstimmung, die Begründungen gehen auseinander; vgl. Wank, in: Münch. Hdb. z. ArbR 2, § 113 Rn. 11; Staudinger/Preis, § 620 Rn. 9; Schwerdtner, in: MünchKommBGB, §620 Rn. 12; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, §21 13; Dörner, in: Dörner/Luczak/Wildschütz, Arbeitsrecht, D Rn. 1586; seit dem Beschluß des Großen Senats des BAG vom 12. Oktober 1960 (NJW 1961, 798) ständige Rspr., BAG NZA 1997, 196, 200, 313; NZA 1996, 878; LAG Köln NZA-RR1996,125; zur Rechtsprechung Koch, NZA 1985,345. Das BAG argumentiert mit der objektiven Umgehung zwingender Vorschriften des Kündigungsrechts, wobei entscheidend auf die objektive Funktionswidrigkeit des Rechtsgeschäfts abgestellt wird. 44 Vgl. die Hinweise bei Staudinger/Preis, § 620 Rn. 32ff., 35ff. Teilweise wird das Fehlen eines sachlichen Grundes für die Befristung als Verletzung der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht gedeutet und ein Anspruch aus positiver Forderungsverletzung oder culpa in contrahendo abgeleitet. Diese Ansätze überzeugen nicht; zum Ganzen m. weit. Nachw. Kramer, Verbindlichkeiten, S. 97f. 45 Siehe auch Palandt/Heinrichs, § 134 Rn. 1, 9; Soergel/Hefermehl, § 134 Rn. 15; BGHZ 89, 369, 373; 78, 269,271.
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ten Zeitpunkt auslaufen zu lassen. 46 Eine Lösung über § 134 B G B wird weder dem Sinn und Zweck der Kündigungsschutzvorschriften gerecht, noch vermag sie zu erklären, warum dem Arbeitnehmer die Berufung auf den Fristablauf zuzugestehen ist. Hinzu kommt, daß eine Anwendung des § 134 B G B es ausschließen würde, Befristungen in gerichtlichen Vergleichen zu akzeptieren. Denn ein Prozeßvergleich muß aufgrund seiner Doppelnatur sowohl den Anforderungen des Prozeßrechts als auch denen des materiellen Rechts genügen; sein Inhalt darf deshalb nicht gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen. 47 Kurzum: Der Rückgriff auf § 134 B G B geht zu weit und widerspricht dem Ubermaß verbot. Befriedigend läßt sich die Befristungskontrolle vielmehr mit §242 B G B bewältigen. Zu beurteilen sind die Grenzen der Vertragsgestaltungsfreiheit. §242 B G B setzt der Rechtsausübung und damit auch der mißbräuchlichen Ausübung des Rechtsinstituts der Vertragsfreiheit Schranken. Im Rahmen einer generellen Interessenabwägung ist zu prüfen, ob eine Regelung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte keinen Bestand haben kann. In die insoweit anzustellenden Erwägungen ist der Wertungswiderspruch zu kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften als ein (wesentliches) Abwägungselement einzustellen. Jede Rechtsausübung hat sich im Rahmen des mit dem jeweiligen Rechtsinstitut verfolgten generellen Zwecks zu bewegen. Bei der Inanspruchnahme der Gestaltungsfreiheit, die in §620 B G B positiv-rechtlich fixiert ist, sind Sinn und Zweck der auf diese Freiheit bezogenen einschlägigen Normen zu berücksichtigen. Führt eine Befristung dazu, daß einem Arbeitnehmer der durch zwingende Kündigungsschutznormen vermittelte Bestandsschutz entzogen würde, ist dieser Umstand bei der Beurteilung der Treuwidrigkeit entscheidend einzustellen. Fehlt der maßgebliche Abwägungsfaktor des Wertungswiderspruches zu Kündigungsschutzvorschriften, bedeutet das, daß die Befristung in der Regel wirksam ist. Ergibt die Gesamtbeurteilung aller Umstände, daß die Vertragsgestaltung ohne sachlichen Grund in (unter anderem durch Kündigungsschutznormen versinnbildlichte) Schutzpositionen des Arbeitnehmers eingreift, so bleibt dem Arbeitgeber die Berufung auf den Fristablauf verwehrt. Arbeitsvertrag und Befristungsabrede sind wirksam. 48 Diese dogmatische Ausformung erübrigt einen Rekurs auf § 139 B G B und stellt es dem Arbeitnehmer frei, sich auf die Befristung zu berufen. Treuwidrig und rechtsmißbräuchlich ist regelmäßig allein die Berufung des Arbeitgebers auf den Fristablauf. Der auf ein flexibles System von Abwägungsfaktoren abstellende Ansatz ermöglicht es zudem, die Verhandlungsposition der Vertragspartner in die Interessenbeurteilung adäquat einzustellen, 49 während der Rekurs auf § 134 B G B keine methodisch überzeugende Lösung für Sonderfälle bietet. So sind durchaus Fälle denkbar, in denen die Befristung auf ausdrücklichen Zutreffend Schwerdtner, in: MünchKommBGB, §620 Rn.43 a.E. Musielak, GK ZPO, Rn.274; Musielak/Lackmann, §794 ZPO Rn.3. 48 Ähnlich Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 10 III; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 170f.; Wolf, RdA 1988,270ff. Differenzierend Staudingerl Preis, § 620 Rn. 41 ff.; den., Grundfragen, S. 156ff., wonach bei »Erstbefristungen« im Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen sei, ob die Vertragsgestaltung einen unangemessen benachteiligenden Gehalt aufweise, während bei »Kettenarbeitsverträgen« von einer »echten Gesetzesumgehung« auszugehen sei. Dem ist nicht zu folgen, die gegen die Argumentation mit § 134 BGB vorgebrachten Gründe gelten auch für »Kettenarbeitsverträge«. Auch mehrere aufeinander folgende Befristungen sind an §242 BGB zu messen. 4 9 Widersprüchlich das BAG, das sich in seiner Entscheidung vom 11. 12.1991 (EzA §620 BGB Nr. 112) dezidiert gegen eine Berücksichtigung einer besonderen Interessenlage des Arbeitnehmers wendet, in den Entscheidungen vom 22.3.1973 (AP Nr. 38 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag) und vom 12.8. 1976 (EzA §620 BGB Nr. 18) andererseits anerkannt hat, daß eine Befristung auf ausdrücklichen, vom Arbeitgeber nicht beeinflußten Wunsch des Arbeitnehmers wirksam sein kann und eine Berufung des Arbeitgebers hierauf nicht treuwidrig erscheint. 46 47
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Wunsch des Arbeitnehmers in den Vertrag aufgenommen wurde. Dies kann aus Sicht des Arbeitnehmers durchaus Sinn machen, weil während der Dauer der Befristung eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist, sofern eine Kündigungsmöglichkeit nicht ausdrücklich vereinbart wurde. Hat der Arbeitnehmer seine Interessen bei der Vertragsgestaltung durchgesetzt und ist auf seinen Wunsch hin eine Befristung vereinbart worden, spricht dies gegen eine Ausübungskontrolle nach §242 BGB. Je nach dem, welche Intensität dieses Wertungselement in Relation zur Umgehungswertung erreicht, kann es bei dieser Sonderkonstellation dem Arbeitgeber gestattet sein, sich auf die Befristung zu berufen. Ein institutioneller Mißbrauch der Vertragsfreiheit wird unter Umständen durch einen in seiner Intensität überdurchschnittlich ausgeprägten Selbstbestimmungsfaktor kompensiert. Z u m institutionellen M i ß b r a u c h als F e h l g e b r a u c h v o n R e c h t s s t e l l u n g e n u n d R e c h t s i n s t i t u t e n zählt - wie das Beispiel der B e f r i s t u n g v o n A r b e i t s v e r t r ä g e n zeigt - d e r M i ß b r a u c h d e r Vertragsfreiheit. D i e G e n e r a l k l a u s e l des § 2 4 2 B G B ü b e r n i m m t allgemeine K o o r d i n i e r u n g s a u f g a b e n . E i n e typische A u s ü b u n g d e r G e s t a l t u n g s f r e i h e i t w i r d f ü r einen allgemein b e s t i m m t e n Bereich a u f g r u n d v o r w i e g e n d genereller E r w ä g u n g e n als m i ß b r ä u c h l i c h erachtet. B e s t i m m t e n Vertragsinhalten w i r d die A n e r k e n n u n g deshalb versagt, weil eine Vertragsseite t y p i scherweise die Inhaltsfreiheit u n t e r einseitiger D u r c h s e t z u n g ihrer Interessen m i ß b r ä u c h l i c h in A n s p r u c h n i m m t . W i e allgemein bei d e r A u s ü b u n g s k o n t r o l l e 5 0 w i r d a u c h hier die Inhaltsfreiheit nicht p e r se f ü r r e c h t s o r d n u n g s w i d r i g erklärt. D a s R e c h t s i n s t i t u t d e r Vertragsfreiheit k a n n n u r in einem eng b e g r e n z t e n , k o n kret b e s t i m m t e n Bereich t y p i s c h e r w e i s e nicht realisiert w e r d e n . D i e m e t h o d i s c h e Vorgehensweise des flexiblen K o n k r e t i s i e r u n g s s y s t e m s erlaubt es j e d o c h a u c h bei der F a l l g r u p p e des institutionellen R e c h t s m i ß b r a u c h s d e r Vertragsfreiheit, a t y p i sche K o n s t e l l a t i o n e n a d ä q u a t z u b e r ü c k s i c h t i g e n . § 2 4 2 B G B als n o r m a t i v e r » A u f h ä n g e r « f ü h r t d a m i t im E r g e b n i s zu einer I n h a l t s k o n t r o l l e v o n R e c h t s g e schäften. 5 1 Diese Wirkungsweise des Treu und Glauben - Grundsatzes kommt neben dem Arbeitsrecht insbesondere im Gesellschaftsrecht zur Anwendung. Bei den Personengesellschaften ( O H G , KG) sowie der G m b H steht die individuelle Bestimmung des Vertragsinhaltes im Vordergrund, bei Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und der Genossenschaft existieren umfassende zwingende Vorgaben sowie eine Gründungsprüfung durch das Registergericht. Für eine institutionelle Mißbrauchskontrolle besteht deshalb in der Regel kein Anlaß. §23 Abs. 1 AGBG hat infolgedessen das Gesellschaftsrecht dem sachlichen Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle entzogen. 52 Stehen Gesellschaften nach ihrer Gründung dem Publikum zum Beitritt offen und besteht die Gefahr, daß das Gesellschaftsverhältnis von den Gründern derart ausgestaltet wird, daß die Rechte der später Beitretenden unangemessen verkürzt werden, bleibt die Kontrolle anhand §242 BGB. 53 Solche Gefahren bestehen vor allem bei der sogenannten Publikums-KG. Sie wird von ei50
Vgl. im 6. Kapitel (S. 304ff.) und in diesem Kapitel unter II (S.397ff.). AK-BGB/Teuhner, §242 Rn.90; Soergel/Teichmann, §242 Rn. 19; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 10 III; Palandt/Heinrichs, Einf. v. § 145 Rn. 15, §242 Rn.40. 52 BT-Drucks. 7/3919, S.41; Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, §23 AGBG Rn.70; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, §23 AGBG Rn. 19. 53 §23 Abs. 1 AGBG entfaltet keine Sperrwirkung; BT-Drucks. 7/3919, S.41; 7/5422, S.13; BGH NJW 1988,1729,1730,1903,1904; BGHZ 103, 219, 226. Näher im 13. Kapitel (S.541ff.). 51
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durch
Generalklauseln
ner I n i t i a t o r e n - G r u p p e z u m Zweck der Vermögensanlage durch eine unbestimmte Anzahl von Anlegern gegründet, die (zumeist durch Dritte) aus dem P u b l i k u m geworben werden u n d keinen Einfluß auf die rechtliche Gestaltung des Gesellschaftsvertrages n e h m e n k ö n nen. D e r Gesellschaftsvertrag ist fertig vorformuliert. Derartige Gesellschafterverträge (und gegebenenfalls die Gesellschafterbeschlüsse) sind z u m Schutz der Anleger nach Treu u n d Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte einer Vertragskontrolle zu unterziehen. 5 4 Es handelt sich u m einen Anwendungsfall des §242 B G B in der Variante des institutionellen Rechtsmißbrauchs. Im R a h m e n einer Interessenabwägung ist zu prüfen, ob die vorformulierten Vertragsbedingungen ohne ausreichenden sachlichen G r u n d einseitig die Belange der Gründungsgesellschafter verfolgen u n d unangemessen und unbillig die berechtigten Interessen der Anlagegesellschafter beeinträchtigen. 5 5 In die A b w ä g u n g einzustellen sind neben der Wertung der einschlägigen Vorschriften die G r u n d p r i n z i p i e n der Rechtsordnung. Die Basiswertung ist den gesellschaftsrechtlichen gesetzlichen Vorgaben zu entnehmen. 5 6 Sie bezeichnen den typischen Normalfall, auf dem sich gegebenenfalls komparative Wertreihen nach dem »je mehr - u m so eher« - Schema aufbauen lassen. Relevant ist insbesondere das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht. Je mehr Mitwirkungsu n d Mitgestaltungsrechte der Anleger kompensationslos zurückgedrängt werden, desto eher kann den Initiatoren die B e r u f u n g auf sie allein begünstigende Klauseln versagt werden. Für unwirksam w u r d e demzufolge die im Gesellschaftsvertrag einer Publikumsgesellschaft bürgerlichen Rechts enthaltene Bestimmung erklärt, die den Handlungsspielraum der Initiatoren d u r c h Reservierung von Sperrminoritäten bei A b b e r u f u n g eines Geschäftsführers aus wichtigem G r u n d unangemessen erweitert. 5 7 Gegen §242 B G B verstößt die vertragliche Klausel, die der K o m p l e m e n t ä r - G m b H das Recht einräumt, die K o m m a n d i t beteiligungen unter Ausschluß der betroffenen Kommanditisten nach freien Ermessen zu übernehmen, 5 8 desgleichen die Bestimmung, die die H a f t u n g der Mitglieder des Aufsichtsrats einer P u b l i k u m s - K G im Gesellschaftsvertrag einer Verjährungsfrist von lediglich drei M o n a t e n unterwirft. 5 9 §40 B G B überläßt Vereinen die freie inhaltliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zu den Mitgliedern. Dementsprechend besteht auch hier unter U m ständen das Bedürfnis, Satzungen sowie interne O r d n u n g e n im Hinblick auf einen etwaigen institutionellen Mißbrauch der Vertragsfreiheit zu prüfen. Dies gilt insbesondere bei Vereinen, die im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich eine überragende Machtstellung haben und bei denen das Mitglied auf die Mitgliedschaft angewiesen ist. 60
54
Im Grundsatz nahezu einhellige Auffassung, Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 124ff.; Fischer, Festschrift für Barz, S. 33, 38f.; Grunewald, Ausschluß, S. 132ff.; Heid, Mehrheitsbeschluß, S. 223ff.; ders., DB 1985 Beil. 4, S. 1 ff.; Nassall, BB 1988, 286ff.; Stimpel, Festschrift für Fischer, S. 771 ff.; Westermann, AcP 175 (1975), 375,408ff.; v. Westphalen, DB 1983,2745ff.; Wiedemann, Festschrift für Westermann, S. 585, 590ff.; seit der grundlegenden Entscheidung des B G H in B G H Z 64,23 8 ff., ständige Rspr., B G H NJW1991,2906; B G H Z 104,50,53; 102,172,177; 84,11, 13f.; LG Münster NJW-RR 1996, 676; skeptisch Hille, Inhaltskontrolle, S.40ff., 65ff., 103ff.; Lieb, D N o t Z 1989, 274, 281; Zöllner, Festschrift 100 Jahre GmbH-Gesetz, S.85, 97ff., 102ff. 55 B G H Z 64, 238, 241 f. 56 Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, §23 A G B G Rn. 82; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, §23 A G B G Rn.28f.; B G H Z 84, 11, 15. 57 Vgl. B G H N J W 1988, 969; W M 1983, 1407; NJW 1982, 2495. 58 B G H Z 104, 50, 56f.; 84, 11, 14ff. 59 B G H Z 64, 238, 241 f. 60 Im einzelnen Grunewald, Z H R 1 5 2 (1988), 242ff.; Kohler, Regelungen, S. 23ff., 204ff.; Reuter, Z H R 148 (1984), 523ff.; Stöber, Vereinsrecht, Rn. 35, 712ff.; B G H Z 105, 306, 316ff.; ebenso das O L G Frankfurt, das eine Klausel, die eine Satzungsänderung in bestimmten Punkten von
9. Kapitel: Der Treu und Glauben -
Grundsatz
405
2. Institutioneller Mißbrauch einer Vertragsposition Ein weiteres Verhalten, das aufgrund einer allgemeinen Interessenabwägung in jeder vergleichbaren Situation, also institutionell, gemäß §242 B G B zu beanstanden ist, bezeichnet der Grundsatz »dolo agit qui petit quod statim redditurus esset.« 61 Rechtspositionen, aus denen sich ein Anspruch auf Änderung ergibt, zielen in der Regel auf eine dauerhafte, sinnvolle Rechtslage. Dem Erwartungshorizont des Schuldverhältnisses entspricht es - von Ausnahmefällen abgesehen 62 - nicht, eine Leistung zu erbringen, die sofort wieder zurückzugewähren ist. Hat der Berechtigte den geforderten Gegenstand alsbald zurückzugeben, fehlt ihm in der Regel ein eigenes berechtigtes Interesse, während die Interessen der Gegenseite dafür sprechen, keinen nur formalen kurzfristigen Leistungsaustausch herbeizuführen. Müßte der Verpflichtete leisten und wäre er deshalb darauf angewiesen, seinerseits seinen Anspruch auf Rückleistung geltend zu machen, so bestünde die Gefahr, daß Gläubiger die Zwangsvollstreckung bezüglich der Leistung betreiben oder der Leistungsempfänger in Insolvenz fällt. In einem Rechtsverhältnis, das von wechselseitiger Rücksichtnahme geprägt ist, werden üblicherweise lediglich formal existierende Rechtspositionen nicht geltend gemacht. Die Vertragsabwicklung soll dem berechtigten Vertrauen eines redlichen Vertragspartners entsprechen. Gegen Treu und Glauben verstößt deshalb, wer Vorteile anstrebt, die ihm letztlich nicht zustehen, und dadurch dem Vertragspartner unnötig Nachteile zufügen würden. Die Rechtsausübung ist unzulässig, weil sie einer sachgerechten Wahrnehmung der eigenen Interessen nicht mehr entspricht und sich in Widerspruch zu Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte setzt. Gestützt wird das Ergebnis durch prozeßökonomische Erwägungen. D e r Erstprozeß u m die Leistung und der Zweitprozeß u m die Rückleistung führen letztlich z u m status q u o ante, wenn dem Beklagten des Erstprozesses ein fälliger Gegenanspruch auf Herstellung desselben Zustandes zusteht, dessen Beseitigung der Kläger des Erstprozesses erstrebt. D i e G ü t e r z u o r d n u n g bleibt im Ergebnis unverändert, die D u r c h s e t z u n g von A n s p r u c h und Gegenanspruch einschließlich ihrer Vollstreckung wären vergeblicher A u f w a n d , der im Ergebnis lediglich die Justizorgane belastet, ohne an der G ü t e r z u o r d n u n g etwas zu ändern. A u f g a b e des Zivilprozesses ist es, Rechtspositionen der Parteien zu verwirklichen und die objektive Rechtsordnung zu bewahren. D i e Rechtspositionen der Beteiligten sowie die Rechtsordnung weisen die Leistung im Ergebnis dem Beklagten des Erstprozesses zu. Dementsprechend ist es aus prozeßrechtlicher Sicht richtig, den Beklagten des Erstprozesses nicht auf den zweiten Prozeß zu verweisen, sondern bereits im ersten den d o l o petitEinwand zuzulassen.
faktisch unerreichbaren Voraussetzungen abhängig macht, gemäß § 242 B G B für unwirksam erklärt hat, O L G Z 1981, 391, 393. 61 Wacke, J A 1982, 477. Die etwa 200 n. Chr. von dem spätklassischen Juristen Julius Paulus formulierte Regel (Dig. 50.17.173.3) verhalf dem Beklagten zu einer »exceptio doli« gegen das Klagebegehren. 6 2 K G N J W 1967, 1915 (gegenüber dem possessorischen Anspruch aus §861 B G B kann ein petitorischer Einwand nicht geltend gemacht werden).
406
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
Dies gilt jedenfalls im Zwei-Personen-Verhältnis. D e r Kläger handelt nicht treuwidrig, wenn er einem Dritten rückleistungsverpflichtet ist. H i e r ist von der Rechtsordnung auf das Verhältnis zwischen dem Kläger und dem Dritten R ü c k sicht zu nehmen. Von dem Kläger kann nicht verlangt werden, sich gegenüber dem Dritten treuwidrig zu verhalten. A n der Treuwidrigkeit fehlt es allerdings, wenn der Dritte seinerseits an den Beklagten des Erstprozesses leisten müßte. H i e r fehlt dem Dritten jegliches Eigeninteresse. D i e v o m Kläger begehrte Veränderung des aktuellen Zustandes genießt keinen Bestandsschutz; dem Beharrungsinteresse des Beklagten k o m m t bei dieser Konstellation auch im Drei-PersonenVerhältnis der Vorrang zu. Methodisch lassen sich diese Besonderheiten durch das flexible System bewältigen. Während im Zwei-Personen-System das Beharrungsinteresse regelmäßig überwiegt, ist bei der Prüfung eines Drei-PersonenVerhältnisses das Interesse des Dritten in die Abwägung einzubeziehen.
IV. Der individuelle Rechtsmißbrauch 1. G r u n d l a g e n u n d A b g r e n z u n g
a) Grundlagen Mit individuellem Rechtsmißbrauch wird ein Verhalten bezeichnet, das in einer bestimmten Lage unter diesen speziellen Gesichtspunkten als treuwidrig im Sinne des § 242 B G B einzustufen ist. F ü r die Analyse wird dementsprechend weniger auf eine allgemeine Interessenabwägung abgestellt als vielmehr auf ein konkretes mißbilligenswertes Verhalten. D a z u zählt vor allem der mit der Regel »venire contra factum proprium nulli conceditur« 6 3 beschriebene Wirkungskreis des § 242 B G B . D i e Grundlagen des individuellen Rechtsmißbrauchs werden am Beispiel dieser Rechtsfigur erläutert: Setzt sich jemand durch eine Rechtsausübung zu seinem eigenen früheren Verhalten in Widerspruch, wird das regelmäßig als eine besondere Ausprägung treuwidrigen Verhaltens angesehen und als Fallgruppe des § 2 4 2 B G B dargestellt. 6 4 Diese dogmatische Einschätzung findet nicht ungeteilte Zustimmung. Sieht man die Unzulässigkeit der Rechtsausübung in dem späteren Verhalten begründet, liegt es nahe, eine Parallele zum »dolus praesens« 6 5 zu ziehen. 6 6 Ubersehen wird dabei, daß entgegen dem sprachlichen Ausdruck nicht die Ausübung des Rechts
63 Zur Geschichte der Rechtsfigur Liebs, JZ 1981, 160ff.; Riezler, Venire, S. lff.; Wieling, AcP 187 (1987), 95, 96f. 64 Canaris, Vertrauenshaftung, S.287ff.; Erman/Werner, §242 Rn. 79; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, §10 III 2a; Jauernig/Vollkommer, §242 Rn.48; Mader, Rechtsmißbrauch, S. 104ff., 121 ff., 292ff.; Musielak, GK BGB, Rn. 238; Roth, in: MünchKommBGB, §242 Rn.322; Schlechtriem, Schuldrecht AT, Rn. 101; Soergel/Teichmann, §242 Rn. 312ff.; ders., JA 1985, 497; AKBGB/Teubner, §242 Rn.31; Wieacker, Präzisierung, S.27f. 65 Dazu Dette, Venire, S.34ff.; Staudmger/Weber (11. Aufl.), §242 D 9. 66 Griesbeck, Venire, S.68; Soergel/Siebert/Knopp (10. Aufl.), §242 Rn.229, 254.
9. Kapitel: Der Treu und Glauben - Grundsatz
407
selbst, das den Widerspruch zum Vorverhalten ausdrückt, als solches unzulässig ist. Wer seine Rechtsposition verwirklicht, tut grundsätzlich kein Unrecht, selbst dann nicht, wenn hierdurch einem anderen ein Nachteil entsteht: qui suo iure utitur, neminem laedit. 67 Anknüpfungspunkt der Vorwerfbarkeit stellt nicht das spätere Verhalten dar; dabei handelt es sich - isoliert betrachtet - um eine gewöhnliche Rechtsverfolgung. Allein auf die Widersprüchlichkeit zwischen Vorverhalten und Rechtsausübung abzustellen, führt ebenfalls kaum weiter. Anders als die Sittenwidrigkeit weist ein Selbstwiderspruch keinen eigenständigen Unrechtsgehalt auf. Zwar handelt jeder, der sich trotz einer entsprechenden Verpflichtung der E r füllung entzieht, widersprüchlich zur ursprünglichen, die Verpflichtung bewirkenden Willenserklärung. Dies gibt aber keinen Anlaß, auf § 2 4 2 B G B zurückzugreifen, sondern wird anhand der allgemeinen Regeln und mittels der zivilprozessualen Regularien bewältigt. Eine mit dem Grundsatz »venire contra factum proprium« begründete Entscheidung kann sich somit weder auf das spätere Verhalten noch auf die Widersprüchlichkeit allein beziehen. b) Abgrenzung
zur
Willenserklärung
Entscheidend ist auf das Vorverhalten abzustellen. Diese Erkenntnis hat dazu geführt, daß das Vorverhalten als Willenserklärung qualifiziert wird. D e r Rechtsverlust trete ein, weil der Rechtsinhaber sich so verhalten habe, daß der andere auf den Verzicht auf diese Rechtsposition schließen dürfe. I m R a u m stehe mithin ein konkludentes
rechtsgeschäftliches
Handeln.
Der
Rechtsverlust
trete
kraft
Rechtsgeschäfts infolge einer willentlichen Aufgabe des in Frage stehenden Rechts ein. A u f § 2 4 2 B G B k o m m e es nicht an; es handele sich um einen Rechtsverlust kraft Willenserklärung. 6 8 Zutreffend ist, daß ein Rückgriff auf § 2 4 2 B G B dann verwehrt ist, wenn tatsächlich eine rechtsgeschäftliche Erklärung existiert, auf ein bestimmtes R e c h t zu verzichten. Das auf den Treu und Glauben - G r u n d satz zurückführbare Prinzip muß als allgemeines und dementsprechend subsidiäres Institut dann zurücktreten, wenn eine Willenserklärung den Rückgriff auf die Generalklausel entbehrlich macht. Es ist also zunächst zu prüfen, ob eine Willenserklärung existiert und - ist das nicht der Fall - erst in einem nachfolgenden Schritt, ob eine der Generalklausel unterfallende Konstellation festzustellen ist. Es ist deshalb richtig, § 2 4 2 B G B dann nicht anzuwenden, wenn ein Vertragspartner im Wege einer Willenserklärung kundtut, er werde eine bestimmte vertraglich eingeräumte Rechtsposition nicht geltend machen. Dieses Hierarchie-Verhältnis verwehrt es den Gerichten allerdings nicht, auf Feststellungen zur Existenz einer rechtsgeschäftlichen Erklärung und auf eine möglicherweise aufwendige Beweisaufnahme zu diesem K o m p l e x zu verzichten, wenn jedenfalls der § 2 4 2 B G B ausfüllende Sachverhalt zur Überzeugung des G e Vgl. Staudinger/Weber (11.Aufl.), §242 D 20; BGH NJW 1981, 274; BGHZ 60, 275, 290. So insbesondere Wieling, AcP 176 (1976), 334, 335ff.; ders., AcP 187 (1987), 95, 99f.; vgl. auch ders., AcP 194 (1994), 513ff. Ähnlich Staudinger/Schmidt, §242 Rn.629 (»rechtliche Bindung an das frühere Verhalten«). 67
68
408
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
richts feststeht. Beide Ansatzpunkte sind Gegenstand der Begründetheitsprüfung. Bei der Erheblichkeit einer Beweisaufnahme ist zwischen Zulässigkeits- und Begründetheitsprüfung zu trennen: Ein klageabweisendes Urteil darf im Grundsatz 69 nur ergehen, wenn die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind. Auch dann, wenn die Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen sich aufwendig gestalten würde, mit Sicherheit aber die Unbegründetheit der Klage feststeht, können die Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit nicht ungeklärt bleiben. Der Vorrang der Zulässigkeitsprüfung kommt nicht nur im Gesetz zum Ausdruck (vgl. §§280, 519b, 554a, 574 ZPO), sondern ergibt sich auch aus dem unterschiedlichen Umfang der Rechtskraft. Da die Reichweite der materiellen Rechtskraft je nachdem verschieden ist, ob die Klage wegen Fehlens einer Prozeßvoraussetzung oder aus materiell-rechtlichen Gründen abgewiesen wird, ist die Zulässigkeitsprüfung grundsätzlich durchzuführen. 70 Auf der Ebene der Begründetheitsprüfung ist es nicht erforderlich, auf Umstände dann einzugehen, wenn die Klageabweisung feststeht. Hier genügen Ausführungen zu einem Abweisungsgrund. Es kann grundsätzlich 71 dahingestellt bleiben, ob weitere Klageabweisungsgründe existieren. 72 Die Kritik 73 an der Rechtsprechung, die auf eine Stellungnahme zur Existenz einer Willenserklärung verzichtet hat, wenn jedenfalls §242 BGB eine Klageabweisung bedingt, 74 geht deshalb fehl. Sind die Voraussetzungen einer Willenserklärung zweifelhaft, die eines Rechtsmißbrauchs hingegen eindeutig, kann die Klageabweisung auf §242 BGB gestützt werden. Das materiell-rechtliche Stufenverhältnis hat nicht zur Konsequenz, daß die Nichtexistenz einer Willenserklärung im Prozeß vorab zwingend zu klären ist. Aus der prozessualen Perspektive steht es den Gerichten offen, sich auf Ausführungen zu §242 BGB zu beschränken. A u f die Rechtsfigur »venire contra factum proprium« als Unterfall der individuellen Mißbrauchskontrolle nach § 2 4 2 B G B käme es allerdings dann nicht an, w e n n es sich in Wahrheit ausschließlich nur um einen Rechtsverlust kraft Rechtsgeschäft handeln würde. Sind alle denkbaren Varianten als rechtsgeschäftlicher Verzicht zu qualifizieren, ist § 2 4 2 B G B nicht anzuwenden. Dazu müßten die Sachverhalte, in denen eine Lösung mittels § 2 4 2 B G B gefunden wird, durch die Annahme eines Rechtsgeschäfts ebenfalls befriedigend zu lösen sein, ohne daß 69 Eine Ausnahme ist hinsichtlich der Voraussetzungen zuzulassen, die - wie das Rechtsschutzbedürfnis - darauf zielen, die Gerichte vor unnötigen Belastungen durch Rechtsstreitigkeiten zu bewahren; steht die Unbegründetheit der Klage fest, so kann Sachabweisung ergehen, ohne daß das Vorhandensein eines Rechtsschutzinteresses feststeht, BGH NJW 1987, 2808, 2809; Musielak, GK ZPO, Rn. 130. 70 Vgl. Musielak, GK ZPO, Rn. 129f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 96 V 6; Lüke, in: MünchKommZPO, Vor §253 Rn. 18; BGHZ 91,37,41; NJW 1978,2031,2032; a.A. Grunsky, ZZP 80 (1967), 55. 71 Eine Ausnahme ist in Ubereinstimmung mit der sog. Beweiserhebungstheorie bei der Aufrechnung anzunehmen; hier ist zunächst festzustellen, daß die Klageforderung (jedenfalls in Höhe der Aufrechnungsforderung) besteht. Das ist die Folge davon, daß die Rechtskraft gemäß §322 Abs. 2 ZPO auch die Einwendung ergreift. Dazu Musielak, ZPO-Kommentar, §322 Rn. 76 ff. 72 Musielak, in: MünchKommZPO, §300 Rn.4; Zöller/Vollkommer, §300 Rn.4; Baumbach/ Lauterbach/Hartmann, §300 Rn. 10. 73 Dette, Venire, S.42; zurückhaltender Soergel/Teichmann, §242 Rn.312. 74 Vgl. BGH WM 1989, 868, 869; BGHZ 91, 62, 71; WM 1971,1498, 1499; OLG Köln MDR 1973, 314.
9. Kapitel: Der Treu und Glauben - Grundsatz
409
der Begriff der Willenserklärung überspannt wird. Eine Verzichtsvereinbarung erfordert neben dem Verständnis auf Seiten des Empfängerhorizonts ein Erklärungsbewußtsein oder - entsprechend der überwiegend vertretenen Auffassung zum Diskurs über die Bedeutung des Erklärungsbewußtseins für die Wirksamkeit einer Willenserklärung - die Möglichkeit der Kenntnis davon, daß ein Verhalten von einem anderen als Willenserklärung aufgefaßt wird. 75 Daran fehlt es zum Beispiel bei den typischen Verwirkungsfällen. Verwirkung als anerkannter Teilbereich des »venire contra factum proprium« bezeichnet den Verlust eines Rechts aus dem Grund, daß sich ein Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hinaus darauf eingerichtet hat und auch darauf einrichten durfte, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Ein Erklärungsbewußtsein des Gläubigers wird sich hier regelmäßig nicht feststellen lassen. Denn die Willenserklärung müßte zu einem konkreten Zeitpunkt abgegeben worden sein, während der mit Verwirkung bezeichnete Sachverhalt durch einen kontinuierlich fortschreitenden Prozeß charakterisiert ist.76 Die Interpretation des gesamten Komplexes des »venire contra factum proprium« als rechtsgeschäftliches Verhalten scheitert zudem bei unverzichtbaren Rechten. Sie stehen einer rechtsgeschäftlichen Disposition nicht offen; die freiwillige Nichtausübung der Rechtsposition ist hingegen möglich, gleichfalls die Begründung schutzwürdiger Erwartungen der Gegenseite. Hier bleibt mithin allein der Rückgriff auf den Treu und Glauben - Grundsatz. 77 Ahnlich liegt es dort, wo eine stillschweigende Willenserklärung nicht möglich ist, vielmehr das Gesetz eine ausdrückliche Erklärung fordert. 78 Fehlt eine ausdrückliche Erklärung, führt lediglich der Rückgriff auf §242 BGB zu befriedigenden Resultaten. Kaum zu rechtfertigen ist der rechtsgeschäftliche Charakter auch, wenn das Rechtsgeschäft, an das angeknüpft werden soll, wegen fehlender Formerfordernisse unwirksam ist. Die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts mit einer teleologischen Reduktion der zur Nichtigkeit führenden Vorschrift zu begründen, 79 erlaubt zwar eine am Sinn und Zweck der Norm ausgerichtete, allgemeinen Umständen Rechnung tragende Einschränkung der Wirkungsweise. Eine solche generelle Korrektur mag sich stellenweise aus der Teleologie einer Formvorschrift ergeben. In den hier relevanten Fällen geht es aber gerade nicht um eine allgemeingültige teleologische Interpretation, sondern um ein individuelles Verhalten, dem im Einzelfall die Anerkennung durch die Rechtsordnung versagt werden 75 Zu dem den Gegensatz von Wille und Erklärung ausgleichenden Standpunkt Musielak, GK BGB, Rn. 59ff.; BGH WM 1989, 650, 652; BGHZ 97, 372, 377; BGHZ 91, 324, 330, m. weit. Nachw. 76 Riezler, Venire, S. 159; Soergel/Teichmann, § 242 Rn. 33; siehe auch Larenz, Schuldrecht I, §10 11 b. 77 Roth, in: MünchKommBGB, §242 Rn.328. 78 Dette, Venire, S. 43f.; Wieling, AcP 176 (1976), 334,339, begnügt sich mit dem Ergebnis, daß in solchen Fällen das Fehlen einer ausdrücklichen Erklärung eben hinzunehmen sei. 79 Wieling, AcP 176 (1976), 334, 338ff.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
soll. 80 Notwendig ist mithin kein generelles Mittel, um den Anwendungsbereich von Formvorschriften zu konkretisieren. Gefordert ist die Erklärung, warum ein besonderes individuelles Verhalten Rechtsfolgen auslöst. Aus der ratio legis läßt sich dazu nichts entnehmen. Dementsprechend vermag die Konstruktion des institutionellen Rechtsmißbrauchs hier ebenfalls nichts zu leisten. Bei den Fällen des arglistigen Täuschens über die Formbedürftigkeit oder über einen F o r m m a n gel wird nicht eine rechtliche Institution wie etwa die Vertragsfreiheit mißbraucht. Bei der Regel »venire contra factum proprium« handelt es sich um einen Fall der Ausübungskontrolle nach § 2 4 2 B G B . D i e Prüfungsmethodik ergibt sich aus dem Generalklauselcharakter.
2. K o n k r e t i s i e r u n g s e l e m e n t e für das Beispiel der V e r w i r k u n g
a)
Grundstruktur
Das Prinzip des »venire contra factum proprium« beschreibt einen Anwendungsfall des § 2 4 2 B G B . Wie regelmäßig bei Generalklauseln k o m m t das flexible K o n kretisierungssystem zur Anwendung. Heranzuziehen sind daher mannigfaltige Faktoren. J e mehr durch sie die mit § 2 4 2 B G B ausgedrückte Eingriffsschwelle der Rechtsordnung erreicht wird, desto eher wird die entsprechende Rechtsfolge anzunehmen sein. D i e Schwäche eines Merkmals kann durch die Stärke oder das Hinzutreten eines anderen ausgeglichen werden. Das elastische Zusammen- und Widerspiel von Wertungsgesichtspunkten erlaubt es, den mit der Generalklausel ausgedrückten allgemeinen Maßstab zu jedem konkreten Fall in Bezug zu setzen. D e n Anforderungen der Rechtsstaatlichkeit genügt das Prinzip des »venire contra factum proprium« durch die Strukturierung seiner Kriterien, die die Voraussehbarkeit und Bestimmbarkeit des Konkretisierungsprozesses gewährleisten. Zu unterscheiden sind Wertungselemente, die den Verpflichteten betreffen (Vertrauen, Schutzwürdigkeit, Vertrauensdisposition, kein anderweitiger Ausgleichsanspruch), und solche, die sich auf den Rechtsinhaber beziehen (Vorverhalten, Zurechenbarkeit).
b) Wesentliche
Abwägungsfaktoren
aa) Vertrauen des Verpflichteten Bei der im R a h m e n des § 2 4 2 B G B vorzunehmenden Gesamtabwägung spielt der Vertrauensgrundsatz eine wesentliche Rolle. 8 1 Geprägt ist dieser Abwägungsfaktor von einem Erwartungshorizont dahingehend, der Handelnde werde seine geäußerte Einstellung nicht ändern, werde sich in Zukunft in gleicher Weise gerie-
80 Ähnlich Canaris, Vertrauenshaftung, S.275f.; Soergel/Teichmann, §242 Rn.312 Fn. 10; im Ergebnis übereinstimmend Roth, in: MünchKommBGB, §242 Rn. 328. 81 Zur Begründung in diesem Kapitel unter I 3a (S. 395f.).
9. Kapitel: Der Treu und Glauben
-
Grundsatz
411
r e n u n d an e i n e r v o r g e s e h e n e n V e r f a h r e n s w e i s e f e s t h a l t e n . 8 2 W e r es d u r c h sein V e r h a l t e n v e r a n l a ß t , d a ß b e i e i n e m a n d e r e n in b e z u g a u f e i n k o n k r e t e s G e l t e n d m a c h e n v o n R e c h t e n e i n b e r e c h t i g t e s V e r t r a u e n e n t s t e h t , m u ß s i c h an d i e s e m festhalten lassen.83 Wesentliche Legitimationsgrundlage u n d entscheidender A b w ä g u n g s f a k t o r ist d e r V e r t r a u e n s s c h u t z . D i e s e r g e b i e t e t die I n t e r e s s e n d e s j e n i g e n , d e r b e r e c h t i g t v e r t r a u t h a t , i m G r u n d s a t z h ö h e r z u b e w e r t e n als d i e I n t e r e s s e n d e s s e n , d e r z u r e c h e n b a r dieses V e r t r a u e n v e r u r s a c h t hat. D a s V e r t r a u e n ist aber nur einer von mehreren Gesichtspunkten.84 A u c h w e n n kein besonderer V e r t r a u e n s t a t b e s t a n d b e g r ü n d e t w o r d e n ist, k a n n e i n V e r h a l t e n an § 2 4 2
BGB
s c h e i t e r n . 8 5 F e h l t das m a ß g e b l i c h e S t r u k t u r e l e m e n t g ä n z l i c h , ist r e g e l m ä ß i g e i n e A n w e n d u n g des § 2 4 2 B G B u n t e r d e m L e i t b i l d des » v e n i r e c o n t r a f a c t u m p r o p r i u m « ausgeschlossen. bb)
Schutzwürdigkeit
des
Vertrauens
V o n der R e c h t s o r d n u n g geschütztes, anerkanntes Vertrauen erfordert ein »vertrauen D ü r f e n « . 8 6 D a s Vertrauen m u ß gerechtfertigt sein. D i e S c h u t z w ü r d i g k e i t h ä n g t v o n u n t e r s c h i e d l i c h e n U m s t ä n d e n ab, w i e d e r G e s c h ä f t s e r f a h r e n h e i t o d e r dem intellektuellen Gefälle der Vertragspartner und der Beherrschbarkeit oder Verantwortungszuordnung einzelner Bereiche.87 So kann Vertrauen möglicherweise erst d a d u r c h zu e i n e m berechtigten w e r d e n , daß der S c h u l d n e r seiner E r 82 Vgl. B G H VersR 1982,444; N J W 1981,1045f.; W M 1980,341; M D R 1970,210; O L G Köln M D R 1973, 314. 83 Ahnlich der B G H W M 1980,341: »Es könne eine unzulässige Rechtsausübung infolge widerspruchsvollen Verhaltens dann gegeben sein, wenn der andere Teil auf die von seinem Vertragspartner einmal eingenommene Haltung vertrauen durfte und sich darauf in einer Weise eingerichtet hat, daß ihm die Anpassung an eine veränderte Rechtslage nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden kann.« 8 4 Ebenso Dette, Venire, der auf S. 95ff. Fallgruppen untersucht, bei denen Vertrauenserwägungen nur eine geringe Rolle spielen; insoweit zustimmend Soergel/Teichmann, §242 Rn. 315; Singer, Verbot, S. 14ff. 85 Eine untergeordnete Rolle spielten Vertrauenserwägungen zum Beispiel in folgenden, von der Rechtsprechung mittels der Rechtsfigur »venire contra factum proprium« gelösten Fällen: Wer ein rechtskräftiges Urteil erstritten hat, daß er Arbeitnehmer ist, und im Anschluß daran auf eigenen Wunsch unter Aufhebung des Arbeitsvertrages freier Mitarbeiter wird, kann nicht geltend machen, er sei gleichwohl Arbeitnehmer, B A G N J W 1997, 2617; gleiches gilt für den Dienstnehmer, der sich darauf beruft, er sei Arbeitnehmer, obwohl er jahrelang den Abschluß eines Arbeitsvertrages abgelehnt hat, B A G N J W 1997,2618; der Arbeitgeber, der dem Arbeitnehmer im Zeugnis vorbehaltlos Ehrlichkeit bescheinigt, kann eine Kündigung oder Schadensersatzansprüche nicht mehr auf einen ihm vor Zeugniserteilung bekannten und mit dem Zeugnisinhalt unvereinbaren Sachverhalt stützen, B A G N J W 1972, 1214; L A G Bremen, B B 1984, 473. 8 6 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 294ff.; Dette, Venire, S. 68ff.; Mader, Rechtsmißbrauch, S.292ff.; Wieacker, Präzisierung, S.27f.; BVerfG D B 1989, 570, 571; B G H W M 1987,904, 905f.; D B 1984,2454; VersR 1982,444; W M 1980, 341; O L G Schleswig N J W 1988,2247; O L G Hamm N J W - R R 1988, 467. 87 B G H N J W 1980,2408 (Zuständigkeit des Rechtsanwalts für die Einhaltung des Gebührenund Standesrechts); VersR 1975,245 f. (Verantwortung des zuständigen Versicherungsunternehmens für die Beantwortung einer Regreßfrage).
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
kundigungspflicht als leistungssichernder Nebenpflicht genügt, ob der Gläubiger noch Ansprüche geltend machen möchte. Abzulehnen ist ein Vertrauensschutz, wenn der Schuldner die Untätigkeit des Gläubigers (mit-)veranlaßt hat, indem er beispielsweise pflichtwidrig die erforderlichen Informationen über das Bestehen und den Umfang des Rechts nicht mitgeteilt hat.88 Ein abstraktes berechtigtes Vertrauen genügt nicht. Hinzutreten muß auf Seiten des Vertrauenden eine nachhaltige »Vertrauensinvestition.«89 cc) Vertrauensdisposition Ein Schutz des Vertrauenden ist grundsätzlich nur angezeigt, wenn sich dieser auf die vermeintliche Rechtslage konkret verlassen und Dispositionen vorgenommen hat. Reversible Maßnahmen erfüllen dieses Merkmal grundsätzlich nicht. Regelmäßig kommen nur solche Dispositionen in Betracht, die nicht ohne weiteres wieder rückgängig zu machen sind. Das umfaßt die Vornahme von Leistungen 90 ebenso wie die von ungünstigen Prozeßhandlungen91 oder auch tatsächliches Tätigwerden, das sich auf die Vermögenslage auswirkt.92 Hierzu zählt gegebenenfalls das Verstreichenlassen einer Verjährungsfrist in dem Glauben, der Schuldner werde sich auf den Fristablauf nicht berufen.93 Die Disposition muß nicht notwendigerweise vermögensrechtlich ausfallen. Es kann genügen, wenn sich der Verpflichtende in seiner privaten Lebensführung wesentlich auf die vermeintliche Rechtslage eingestellt hat. 94 Typischerweise kommt es im Rahmen des »venire contra factum proprium« überdies entscheidend darauf an, welcher Art die Vertrauensinvestition war und welches Ausmaß sie im Einzelfall erreicht hat. Eine Rolle spielt dabei, ob ein Ausgleich der Maßnahmen des Vertrauenden im Wege des Aufwendungs- und Schadensersatzrechts als zureichend erscheint. Im Regelfall obliegt es nämlich den vorgesehenen Rechtsinstituten, den Ausgleich von Beeinträchtigungen herbeizuführen. cid) Subsidiarität der Mißbrauchskontrolle Der mittels §242 B G B ausgedrückte Rechtsgedanke »venire contra factum proprium nemini licet« kommt als allgemeine subsidiäre Regelung dann zum Zuge, O L G Celle FamRZ 1982, 63; O L G München NJW 1974, 703ff. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 510. 9 0 BGH NJW 1979, 1656; NJW 1978, 947. 91 BGH WM 1987, 1084; MDR 1971, 206; LG Hannover NJW 1973, 1757. 92 BayObLG DNotZ 1979, 37. 9 3 BGH NJW 1985, 1151, 2411; NJW 1983, 2076; WM 1982, 403; siehe auch O L G Braunschweig NJW-RR 1989, 799 (Berufung auf die Verjährungseinrede erst im Verlauf des Rechtsstreits ist nicht treuwidrig i.S.d. §242 BGB). 9 4 BGHZ 16,334,337; BGHZ 12,286,289, wo das Beschwerdegericht die »menschliche Investition« darin gesehen hat, daß der Verpflichtete »von frühester Jugend an seine gesamte Arbeitskraft dem Hof zur Verfügung gestellt, mit Zustimmung des Eigentümers auf dem Hof gearbeitet und ihn ganz oder zum Teil selbständig bewirtschaftet, auch auf dem Hof eine Familie gegründet hat...«. 88
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9. Kapitel: Der Treu und Glauben - Grundsatz
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wenn diesem Gedanken nicht durch die gesetzlichen Ausgleichsansprüche (z.B. §§994ff., 677ff., 823ff., 812ff. B G B ) ausreichend Rechnung getragen wird. Anderenfalls käme es zur Aushöhlung des gesetzlichen Anspruchssystems durch die Generalklausel. Das negative Konkretisierungselement ist nicht bereits erfüllt, wenn ein gesetzlicher Ausgleichsanspruch aufgrund einer fehlenden Voraussetzung nicht anwendbar ist. Darauf kommt es nicht an - im Gegenteil, auch dann, wenn alle Voraussetzungen einer gesetzlichen Regelung erfüllt sind, kann, wenn diese in concreto nicht zureichend erscheint, auf die allgemeine Regelung in § 242 B G B zurückgegriffen werden. Notwendig ist, daß die gesetzliche Schadens- und Ausgleichsordnung typischerweise in der betreffenden Konstellation versagt. Ansonsten enthält das Gesetz keine Schutzlücke. Nur mit einer solchen §242 B G B einschränkenden Prämisse lassen sich Wertungswidersprüche in der Art vermeiden, daß der Grundsatz »venire contra factum proprium« mit der möglichen Folge einer Erfüllungshaftung anwendbar ist, wenn den Vertragspartner kein Verschulden trifft, während es im Falle schuldhaften Handelns unter Umständen nur zum Ersatz des negativen Interesses kommt. Eine typische Konstellation, bei der wegen solcher vom Gesetzgeber nicht berücksichtigter Besonderheiten ausnahmsweise auf § 242 B G B rekurriert werden kann, mag gegebenenfalls anzunehmen sein, wenn sich der Vertrauende in seiner gesamten Existenz auf die vermeintliche Rechtslage eingerichtet hat. Entscheidend für den Rückgriff auf §242 B G B ist, daß die Rechtsordnung kein anderes geeignetes Kompensationsmittel zur Verfügung stellt.95 ee) Vorverhalten des Rechtsinhabers Neben diese Merkmale, die auf Seiten des Vertrauenden dafür sprechen, eine an sich zulässige Veränderung des rechtlichen Standpunktes oder Verhaltens als mißbräuchlich und damit im Einzelfall als unzulässig zu qualifizieren, sind in den elastischen Kriterienkatalog Elemente einzustellen, die den widersprüchlich Handelnden betreffen. Während das Vertrauen das wesentliche Merkmal auf Seiten des Vertragspartners bildet, kommt es auf Seiten des Handelnden maßgeblich auf dessen Vorverhalten an. Denn durch dieses Verhalten wird das Vertrauen initiiert. Der Rechtsinhaber muß durch sein Verhalten das Vertrauen darauf erweckt haben, daß er seine Rechte nicht ausüben werde, wobei aktive wie passive Verhaltensweisen in Betracht kommen. Dabei ist zunächst an verbale Äußerungen zu denken, die - ohne eine Willenserklärung darzustellen96 - das Vertrauen des Gegners begründet haben, daß das betreffende Recht nicht weiter von Bedeutung sei. Es kann sich beispielsweise um das Erteilen einer Auskunft, um ein stillschweigendes (nicht als Willenserklärung zu interpretierendes) Verhalten, um das 95 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S.510ff.; Dette, Venire, S.73f.; BGH WM 1957, 1440f.; BGHZ 12, 286, 304. 96 Vgl. oben unter IV 1 (S. 407ff.). Stellt sich das den Rechtsverlust begründende Verhalten als rechtsgeschäftlicher Verzicht dar, hat dieser gegenüber den Grundsätzen der unzulässigen Rechtsausübung Vorrang.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
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Generalklauseln
nachhaltige Vertreten einer bestimmten Rechtsauffassung oder um unwirksame Abreden handeln. So kann das freie Kündigungsrecht verlieren, wer zu erkennen gegeben hat, er werde das vertragliche Kündigungsrecht nur aus wichtigem Grund ausüben. 97 Auch ein Unterlassen kann zur Anwendbarkeit des §242 BGB führen, nämlich dann, wenn eine entgegengesetzte, die Kontinuität zerstörende Handlung geboten gewesen wäre. So ist es vor allem bei der Verwirkung, bei der es sich - wie der Anknüpfungspunkt zeigt - um einen Unterfall des »venire contra factum proprium« handelt. 98 Bei der Verwirkung sind zwei A r t e n zu unterscheiden. Die eine k n ü p f t daran an, daß der Rechtsinhaber sein Recht längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat. N u r diese Variante der Verwirkung ist der Rechtsfigur des »venire contra factum p r o p r i u m « z u z u o r d nen. D a v o n zu trennen ist die Verwirkung aufgrund pflichtwidrigen Verhaltens. Diese zweite Art ist teilweise gesetzlich umgesetzt w o r d e n . Das Gesetz sieht in einer Reihe von Fällen vor, daß der Berechtigte sein Recht durch ein pflichtwidriges Verhalten verliert, so etwa bei §§ 654, 971 Abs. 2,1579 Nr. 2, 5,1611 Abs. 1,2339 BGB. N e b e n diesen kodifizierten Konstellationen kann die Rechtsausübung auch gemäß §242 B G B unzulässig sein, w e n n dem Rechtsinhaber eine Verletzung eigener Pflichten z u r Last fällt. H i e r steht ein mißbräuchliches früheres Verhalten aufgrund einer Pflichtverletzung (also nicht ein Fall des »venire contra factum p r o p r i u m « ) in Rede. Ein etwaiger Rechtsverlust gründet hier auf einem gesetzes- oder vertragswidrigen Verhalten, das mit der Rechtsposition in engem sachlichen Z u s a m m e n h a n g steht. In Betracht zu ziehen ist ein derartiger Rechtsverlust, w e n n ein Gläubiger trotz einer eigenen Vertragsverletzung einen A n s p r u c h geltend macht, der sich auf eine Vertragsverletzung des Gegners stützt, oder w e n n ein Gläubiger t r o t z einer eigenen einseitigen Vertragsverletzung einen Anspruch auf die vollständige Erfüllung einer Verbindlichkeit geltend macht. Dementsprechend kann dem Berechtigten ein A n spruch auf Ruhegehalt verloren gehen, w e n n er vor oder nach dem Eintritt in den Ruhestand das Verhalten nicht übt, das von einem Ruhegehaltsempfänger üblicherweise zu erwarten ist. Eine derart schwere Nebenpflichtverletzung, die z u m Verlust von A n w a r t schaften oder Ansprüchen durch diese zweite Fallgruppe der Verwirkung f ü h r t , hat das B A G beispielsweise bei fortgesetztem Betrug z u m Nachteil des Arbeitgebers angenommen. 9 9 Das Recht zur Inanspruchnahme eines Bürgen kann gemäß §242 B G B nicht ausgeü b t werden, w e n n der Bürgschaftsgläubiger den H a u p t s c h u l d n e r zur Nichtleistung veranlaßt, dessen Zahlungsunfähigkeit selbst verursacht oder in treuwidriger Weise den Bürgschaftsfall selbst herbeigeführt hat. 1 0 0 Zentraler P u n k t dieser §242 B G B z u z u o r d n e n d e n Fälle ist eine schwerwiegende Pflichtverletzung. Gleichwohl stellt dies nicht den einzigen Bewertungsmaßstab dar, auch andere Gesichtspunkte k ö n n e n in die Beurteilung einfließen. D e n k b a r ist unter U m s t ä n d e n auch eine Uberschneidung beider Fallgruppen der Ver97
O L G München NJW-RR 1992, 1038. Wieacker, Präzisierung, S. 28; Mader, Rechtsmißbrauch, S. 292ff.; Dette, Venire, S. 58; Neu, Verwirkung, S.40f.; Siebert, Verwirkung, S. 183ff.; B G H Z 105, 290, 298; a.A. Bydlinski, Privatautonomie, S. 184ff.; Wieling, AcP 176 (1976), 334, 342. 99 BAG N J W 1981, 188. Siehe auch W M 1982,1263; BAGE 41, 333, 335f.; zusammenfassend BAG ZIP 1990,1612: »Mißbraucht der Arbeitnehmer seine Stellung über lange Zeit hinweg dazu, den Arbeitgeber zu schädigen, und erweist sich die von ihm erbrachte Betriebstreue im Rückblick als wertlos, kann dies den Einwand rechtsmißbräuchlichen Verhaltens nach §242 BGB begründen.« 100 B G H W M 1988, 764; W M 1984, 586. 98
9. Kapitel: Der Treu und Glauben - Grundsatz
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wirkung, also eine Überschneidung mit der Rechtsfigur »venire contra factum proprium«, als deren Unterfall die ebenfalls als Verwirkung bezeichnete Fallgruppe zählt, bei der das Vorverhalten in einem Unterlassen liegt. Das Unterlassen als Vorverhalten, das für die Prüfung eines individuellen Rechtsmißbrauchs relevant ist, bildet den Gegenstand folgender Ausführungen. Die Erörterung beschränkt sich also auf die Verwirkung als Unterfall des »venire contra factum proprium«. Es geht darum, inwieweit ein Vertragspartner ein vertraglich eingeräumtes Recht durch Unterlassen kraft Ausübungskontrolle verlieren kann. Das besondere Merkmal der Verwirkung als Unterfall des »venire contra factum proprium« ist, daß das Vorverhalten in Untätigkeit besteht. D e r Rechtsinhaber macht von seiner Rechtsposition keinen Gebrauch und erweckt oder verstärkt dadurch den Eindruck, daß ein ihm im Grunde zustehendes R e c h t nicht bestehe. N i c h t jedes Unterlassen setzt dabei ein für die Inhaltskontrolle nach § 2 4 2 B G B bedeutsames Vorverhalten. Es besteht kein allgemeines G e b o t , seine Rechtspositionen in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren. Voraussetzung ist ein dem positiven Tun komparatives Verhalten. Dies erfordert im Einzelfall die Existenz einer Hinweis-, Aufklärungs- oder Kundgabepflicht. 1 0 1 Ein Vorverhalten in F o r m des Unterlassens und damit gegebenenfalls die Existenz einer Klarstellungspflicht ist v o m Ablauf einer bestimmten Zeit abhängig. D e r Ausübung des Rechts wird deshalb von der Rechtsordnung die Anerkennung versagt, weil der Rechtsinhaber von der Rechtsposition über einen längeren Zeitraum hinweg keinen Gebrauch gemacht und dadurch bei der Gegenseite den Eindruck erweckt hat, mit der Beanspruchung des Rechts werde in Zukunft nicht mehr zu rechnen sein. 1 0 2 Zeitablauf allein vermag einen Mißbrauchstatbestand also nicht zu begründen. Anders als bei der Verjährung müssen Umstände hinzutreten, die die Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar erscheinen lassen. Dabei k o m m e n unterschiedliche Aspekte in Betracht; häufig wird das Unterlassen von Umständen begleitet, die beim Verpflichteten ein Vertrauen auf die Nichtausübung entstehen lassen. 1 0 3 Zeit- und U m s t a n d s m o m e n t stehen in engem Zusammenhang und beeinflussen einander: J e mehr Zeit nach dem Vertrauen begründenden Vorverhalten verstrichen ist, desto eher wird es rechtsethisch untragbar und damit treuwidrig sein, sich jetzt auf die Rechtsposition zu berufen und dadurch das Vertrauen des anderen Teils zu enttäuschen. 1 0 4 Mit fortschreitender Zeit wächst die Verantwortung des Rechtsinhabers für den Vertrauenstatbestand, da es sein Unterlassen ist, das den Vertrauenstatbestand unterhält. M i t andauernder Untätigkeit geht in gleichem M a ß eine Verringerung der Schutzwürdigkeit der Rechtspositionen einher und steigt in entsprechendem M a ß die Obliegenheit, die fortschreitende Ver-
101 Dementsprechend kann sich in besonders gelagerten Fällen sogar die Pflicht ergeben, darauf hinzuweisen, daß man auf der Erfüllung eines Anspruchs bestehe; BGH NJW 1970, 2210. 102 Sogenannte »illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten« (BGHZ 25, 47, 52); Erman/Wemer, §242 Rn.84; KGKK/Alff, §242 Rn. 136. 103 Singer, Verbot, S. 223ff.; Dette, Venire, S. 59f.; Roth, in: MünchKommBGB, § 242 Rn. 369; Soergel/Teichmann, §242 Rn.337f. 104 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 373; Singer, Verbot, S. 225.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
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Generalklauseln
trauensbasis in bezug auf die Nichtausübung des Rechts zu zerstreuen. Den Rechtsinhaber treffen damit aus Rücksicht auf das Interesse des Vertragspartners an einer Klarstellung der Rechtslage Verhaltensanforderungen, um dem Schluß des Vertragspartners, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr ausüben, die Grundlage zu entziehen. ff)
Zurechenbarkeit
Risiko- und Verantwortungszuordnung für eine sich allmählich entwickelnde Rechtslage sind allerdings grundsätzlich nur dann gerechtfertigt, wenn die Entwicklung dem Rechtsinhaber zurechenbar ist. Zurechenbarkeit bezieht sich nicht auf das widersprüchliche Verhalten. Anknüpfungspunkt bleibt das Vorverhalten, das kausal zu einem berechtigten Vertrauen des Verpflichteten führt, welches wiederum ursächlich für eine Disposition des Vertragspartners ist. Verschulden im Sinne von Vorsatz oder Fahrlässigkeit ist nicht zu fordern. 105 Es geht hier nicht darum, dem Rechtsinhaber für eine schädigende Handlung Verantwortung und damit eine Ersatzpflicht zuzuweisen. Das vertrauenserweckende Vorverhalten stellt für sich keinen mißbilligenswerten Vorgang dar. Es dreht sich darum, berechtigte Kontinuitätserwartungen der Gegenseite zu zerstreuen. Aus der konkreten Vertragssituation entspringen spezifische Tätigkeitsvorstellungen, die vom Vertragspartner so lange nicht befolgt werden, bis das im Grunde nicht zu erwartende Unterlassen seinerseits erwartet und im konkreten Vertrauen darauf gehandelt wird. Zurechenbarkeit ist mit keiner weiterreichenden Einstandspflicht verbunden. Der Rechtsinhaber ist lediglich aufgerufen, deutlich zu machen, daß er an seiner Rechtsposition festhält. Für die Annahme einer solchen genügt es als Zurechnungselement, wenn der Rechtsinhaber damit rechnen müßte, sein Unterlassen werde als Rechtsverzicht verstanden. Der Rechtsinhaber hat dann aufklärend tätig zu werden, wenn er die zur Vertrauensbildung führenden Tatsachen beherrscht, die Ursache des Vertrauens also seiner Risiko- und Einflußsphäre entstammt. Dies setzt nicht notwendigerweise das Bewußtsein der Vertrauensbildung voraus. Ausreichend ist, daß er die Entwicklung, insbesondere die Interpretation der Sachlage durch den Verpflichteten, erkennen kann. So der Grundsatz - die Einordnung als komparativer Tatbestand erlaubt hingegen Abweichungen. Vorsätzliches oder arglistiges Verhalten des Rechtsinhabers kann unter Umständen dazu führen, daß die übrigen Elemente in geringerer Intensität ausgeprägt sein müssen, um die Anwendungsschwelle des Treu und Glauben - Grundsatzes zu erreichen. Die Elastizität des flexiblen Konkretisierungskonzepts erlaubt eine von Fall zu Fall abweichende Gewichtung der Kriterien. So kann in Sonderfällen trotz fehlender subjektiver Zurechenbarkeit, die im Regelfall eine unzulässige Rechtsausübung ausschließt, die Rechtsfigur des »venire 105 Einhellige Auffassung, vgl. Singer, Verbot, S. 132; Wieacker, Präzisierung, S. 28; Mader, Rechtsmißbrauch, S.106ff.; Dette, Venire, S.71f.; Teichmann, JA 1985, 497, 501; Roth, in: MünchKommBGB, §242 Rn.325; AK-BGB/Tea^ner, §242 Rn.35; BGH ZIP 1986, 523, 525; WM 1968, 876, 877; BGHZ 12, 79, 87.
9. Kapitel: Der Treu und Glauben -
Grundsatz
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contra factum proprium« Anwendung finden. Erforderlich ist, daß die übrigen Abwägungselemente aufgrund einer außergewöhnlichen besonderen Situation ein derart hohes Gewicht erlangen, daß dieser subjektiver Aspekt ausnahmsweise entbehrlich wird. 106 c) Die Auswirkungen aa) Offenheit
des
des flexiblen Systems Tatbestandes
Der genannte Kriterienkatalog ist nicht abschließend. Je nach den Umständen des Einzelfalles können weitere Abwägungsfaktoren hinzutreten, welche die Konkretisierung der Generalklausel in die eine oder andere Richtung beeinflussen können. §242 B G B repräsentiert ein offenes System, in das auch Sinn und Zweck einzelner Rechtsgebiete Eingang finden. Die Generalklausel gestattet es, bestimmte vom Gesetzgeber verfolgte Ordnungszwecke im jeweils entsprechenden Gehalt in den Konkretisierungsvorgang einzustellen. Ebenso wie gesetzliche Vorgaben eine Verwirkung ausdrücklich ausschließen können (so in § 77 Abs. 4 S.3 BetrVG, §4 Abs. 4 S.2 TVG 1 0 7 ), kann sich der Ausschluß der Verwirkung auch im Rahmen der Abwägung aus einem besonderen, gewichtigen Aspekt des einzelnen Regelungsbereichs oder der Natur des Rechtsverhältnisses ergeben. So sind im Einzelfall auch die Interessen Dritter oder öffentliche Interessen bei der individuellen Mißbrauchsprüfung einzubeziehen. 108 Auch im Bereich individuellen Rechtsmißbrauchs ist die Berücksichtigung einer generalisierenden, Sinn und Zweck einer eventuell betroffenen Norm einbeziehenden Interessenabwägung möglich. Die Sicherheit des Rechtsverkehrs kann dabei gegebenenfalls ein derartiges Gewicht erreichen, daß das Verbot des »venire contra factum proprium« nicht anwendbar ist, obgleich sämtliche typischerweise erforderlichen Kriterien verwirklicht sind. So kann einem auf § 3 U W G gestützten Anspruch nicht der Mißbrauchseinwand entgegengehalten werden, weil der mit dieser Vorschrift bezweckte Schutz der Allgemeinheit vor Irreführung vorrangig ist. 109 Ähnlich liegt es bei § 103 InsO, der die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger schützt; ein Handeln des Insolvenzverwalters, das mit einem früheren Verhalten des Schuldners in Widerspruch steht, ist hinzunehmen. 110 bb) Kritik an Teilen der
Rechtsprechung
Ein Teil der Rechtsprechung übersieht diese Offenheit des §242 B G B und macht die Mißbrauchskontrolle methodisch verfehlt von einem starren Voraussetzungskatalog abhängig. Die Rechtsprechung behandelt die genannten Wertungsfakto106 Angenommen wird das beispielsweise im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes; vgl. Roth, in: MünchKommBGB, §242 Rn.398; BGH NJW-RR 1989, 809; NJW 1988, 2470. 107 Der Begriff wird hier im Sinne einer Verwirkung im Zusammenhang mit einem Zeitablauf gebraucht; Verwirkung als Pflichtverletzung bleibt möglich, vgl. BAG VersR 1983, 768. 108 B G H NJW-RR 1990, 887; NJW 1995, 1488; BGHZ 126, 287, 294f. 109 B G H GRUR 1984, 457. 110 BGH NJW 1983, 1619 (zu §17 KO).
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3. Teil: Inhaltskontrolle
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Generalklauseln
ren des § 2 4 2 B G B wie einen feststehenden Tatbestand. U m auch Sonderkonstellationen R e c h n u n g tragen zu können, führt sie zusätzlich ein offenes Merkmal ein. Als weiteres Kriterium prüft sie die »sachliche Angemessenheit« der Rechtsausübungsbegrenzung und macht auf diese Weise das Resultat der Abwägung letztlich von seiner Angemessenheit abhängig. Die Rechtsprechung kreiert mithin unter Mißachtung des Generalklauselcharakters feste Voraussetzungen und stellt sodann das Ergebnis der Prüfung unter den Vorbehalt der Angemessenheit und Zumutbarkeit. 1 1 1 Diese Vorgehensweise verkennt nicht nur die Verortung der Rechtsfigur bei § 2 4 2 B G B . Es besteht überdies die Gefahr, daß über den Aspekt der sachlichen Angemessenheit die Entscheidung letztlich allein von subjektiven Billigkeitserwägungen des Gerichts abhängig gemacht wird. D i e sachliche Angemessenheit stellt kein vorrangiges »Superkriterium« 1 1 2 dar, anhand dessen mittels allgemeiner Billigkeitserwägungen eine beliebige K o r r e k tur des Abwägungsresultates zu rechtfertigen wäre. Dies widerspricht Rechtssicherheitsgrundsätzen. Möglich, ja angezeigt ist allein, sämtliche für den Einzelfall bedeutsamen Wertungen zu berücksichtigen. Das stellt jedoch keine Besonderheit der Verwirkung oder der individuellen Rechtsmißbrauchskontrolle dar, sondern entspricht allgemeinen Grundsätzen. N u r wenn mit dem Kriterium der sachlichen Angemessenheit dieser generelle Abwägungsgesichtspunkt gemeint ist, verdient die Vorgehensweise der Rechtsprechung Zustimmung. Wird der A n gemessenheitsaspekt dazu benutzt, mittels einer nachträglichen allgemeinen Billigkeitserwägung eine beliebige K o r r e k t u r des Konkretisierungsvorganges vorzunehmen oder die Gewichtung der Elemente ohne sachlichen G r u n d zu verändern, ist diesem Abwägungsfaktor die Anerkennung zu versagen. D i e vor allem von der Rechtsprechung praktizierte reine Ergebniskontrolle mittels Billigkeitserwägungen fügt sich in das flexible System nicht ein. cc)
Ergebnis
Aus der Häufigkeit und Konsequenz gleichförmigen Verhaltens kann sich schutzwürdiges Vertrauen ergeben. D i e berechtigte Erwartung widerspruchlosen Verhaltens gründet sich darauf, daß sich die Vertragspartner selbst treu bleiben und eine einmal eingenommene Haltung nicht ohne sachlichen G r u n d variieren. Das entspricht den rechtsethischen Wertungen »Beständigkeit« und »Verläßlichkeit« sowie den Erwartungen des Rechtsverkehrs. 1 1 3 D i e Rechtsfigur der Verwirkung ist damit unmittelbarer Ausdruck der zur Achtung von Treu und Glau-
111 Vgl. BGH WM 1980, 341; WM 1970,253; in diese Richtung wohl auch Griesheck, Venire, S. 91 ff., der eine Endkontrolle anhand sittlicher Grundwerte vornehmen möchte; auch dabei handelt es sich um Elemente der Interessenabwägung, die in ihrem jeweils zutreffenden Gewicht in die Abwägung einzustellen sind. Ahnlich wie hier Soergel/Teichmann, §242 Rn. 323. 112 Dette, Venire, S. 75. 113 Zur rechtstheoretischen Legitimation des Vertrauens auf konsequentes Verhalten siehe Singer, Verbot, S. 77 ff.
9. Kapitel: Der Treu und Glauben - Grundsatz
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ben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte anhaltenden Generalklausel des § 2 4 2 BGB. 3. K o n k r e t i s i e r u n g s e l e m e n t e f ü r das Beispiel der E r w i r k u n g a)
Grundlagen
Spiegelbildlich zur Verwirkung erlaubt die Erwirkung, im G r u n d e nicht bestehende Rechtspositionen zu erwerben. A u c h sie beruht somit auf § 2 4 2 B G B 1 1 4 und zählt zu den Fällen mit individuellem Schwerpunkt. D i e Erwirkung beschreibt ebenfalls eine Beeinträchtigung der Vertragsfreiheit; die Begründung an sich nicht bestehender R e c h t e beeinträchtigt die negative Vertragsfreiheit des nunmehr Verpflichteten. D i e für die Verwirkung erarbeiteten Abwägungsleitlinien sind damit auch bei der Erwirkung zu berücksichtigen. 1 1 5 H i e r k o m m t es mithin im Grundsatz darauf an, o b ein zurechenbares Verhalten einen schützenswerten Vertrauenstatbestand verursacht hat, aufgrund dessen eine Disposition vorgenommen wurde. D e r E r w e r b eines Rechts k o m m t dabei nur in Betracht, wenn und soweit der Ausgleich des negativen Interesses in der konkreten K o n stellation keine angemessene und ausreichende Kompensation darstellt. Sowohl Verwirkung als auch Erwirkung stellen regelmäßig auf das Vertrauen auf eine vermeintlich bestehende Rechtslage ab. Es handelt sich um zwei Seiten derselben Medaille - freilich mit einem gravierenden Unterschied: Bei der Verwirkung besteht eine Rechtsposition, deren Ausübung gemäß § 2 4 2 B G B untersagt wird. Mit dem Kompetenzverlust auf Seiten des (früheren) Rechtsinhabers korrespondiert eine Zunahme der Handlungsfreiheit auf Seiten des (früheren) Verpflichteten. D e r Freiheitsbereich des Verpflichteten hat zu Lasten des Rechtsinhabers zugen o m m e n , ohne daß neue Pflichten begründet wurden. Bei der Erwirkung dagegen wird nicht die Freiheit des einzelnen erweitert, sondern in den Freiheitsbereich eines anderen eingegriffen, zu seinem Nachteil eine neue Pflicht begründet. Aus dieser Konstitutivfunktion resultiert, daß die Erwirkung im Grundsatz mit höheren Anforderungen verknüpft ist. Erwirkung hängt von einem vergleichsweise höheren Intensitätsgrad der Wertungen ab. Ergibt die Abwägung der K o n kretisierungsfaktoren ein § 2 4 2 B G B ausfüllendes Ergebnis, ist als Rechtsfolge die rechtliche Lage der faktischen Entwicklung anzugleichen, das R e c h t wird erworben und kann ausgeübt werden. b)
Abgrenzung
Rechtspositionen können auf Willenserklärungen sowie auf § 242 B G B beruhen. A u f die Erwirkung als Ausprägung des § 2 4 2 B G B ist als konstitutiver A k t erst dann zurückzugreifen, wenn ein R e c h t nicht bereits durch eine (stillschweigende) 114 Ausführungen zur Erwirkung finden sich dementsprechend zutreffenderweise im Zusammenhang mit §242 BGB, vgl. nur Staudinger/Schmidt, §242 Rn.578ff. 115 Singer, Verbot, S. 188ff.; Staudinger/Schmidt, §242 Rn.582, jeweils m. weit. Nachw.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
Willenserklärung begründet wurde. Die Subsidiarität des aus der Generalklausel abgeleiteten Begründungstatbestandes wird häufig nicht ausreichend beachtet. Deutlich zeigt sich die vernachlässigte Differenzierung im Arbeitsrecht. Hauptanwendungsfall der Schaffung künftiger Ansprüche durch bestimmte kontinuierliche Verhaltensweisen ist die sogenannte betriebliche Übung. 116
aa) Die betriebliche
Übung
Unter betrieblicher Übung wird eine vom Arbeitgeber regelmäßig wiederholte Verhaltensweise verstanden, aus der die Arbeitnehmer schließen können, daß ihnen eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden soll. Die betriebliche Übung ist grundsätzlich 117 zugunsten wie zuungunsten der Arbeitnehmer möglich. Ihr Anwendungsbereich erfaßt das gesamte Spektrum der Leistungsgewährung im Arbeitsverhältnis, insbesondere die Zuwendung von Gratifikationen, Ruhegeldern, Essenszuschüssen oder Trennungsgeldern. Darüber hinaus sind unter anderem die Gewährung oder Vergütung arbeitsfreier Tage oder auch die Verrichtung der Arbeitsleistung innerhalb oder außerhalb des Dienstgebäudes zu nennen.118 Über die Verpflichtungswirkung besteht im Ergebnis Einigkeit, unklar ist bis heute die dogmatische Konstruktion des durch eine Betriebsübung begründeten Rechts.119 Im wesentlichen stehen einander heute zwei Erklärungsmodelle gegenüber, die Vertrags- und die Vertrauenstheorie.
bb) Vertrags- und
Vertrauensansatz
Die Vertreter der Vertragstheorie argumentieren regelmäßig vom Standpunkt der Erklärungstheorie aus und fragen, wie das Verhalten des Arbeitgebers aus Sicht des Arbeitnehmers zu bewerten ist. Von einer Willenserklärung wird danach ausgegangen, wenn der Erklärende hätte erkennen können, daß sein Verhalten von einem anderen als Willenserklärung gedeutet wird. Nach der Erklärungstheorie ist also zu fragen, ob der Erklärende bei seinem Verhalten die im Verkehr gebotene Sorgfalt außer acht gelassen hat.120 Dementsprechend wird eine betriebliche Übung dann als Willenserklärung, die vom Arbeitnehmer gemäß § 151 S. 1 BGB 116 Canaris, Vertrauenshaftung, S.386; Staudinger/Schmidt, §242 Rn.587; Singer, Verbot, S.235; ders., ZfA 1993,487,494; BAGE 5,44,47. Über die dogmatische Konstruktion soll damit (noch) nichts ausgesagt sein, sondern lediglich ausgedrückt werden, daß die Differenzierung Willenserklärung/venire contra factum proprium vor allem im Arbeitsrecht virulent ist. 117 Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht 1, §5 Rn. 180; im einzelnen zu den Differenzierungen Richardi, in: Münch. Hdb. z. Arb 1, §13 Rn.29f., m. weit. Nachw. 118 Vgl. Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht 1, §5 Rn.181; Seiter, Betriebsübung, S.74ff.; Hueck/Fastrich, AR-Blattei D, Betriebsübung I, Ubersicht, C I; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, §111 II; Dömer, in: DömerlLuczak/Wildschütz, Arbeitsrecht, A 407ff.; Zöllner!Loritz, Arbeitsrecht, §6 17. 119 Ausführlich zu den einzelnen teilweise historisch überholten Erklärungsmodellen Seiter, Betriebsübung, S.48ff.; Überblick bei Hromadka, NZA 1984, 241, 243; Richardi, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, §13 Rn.5ff. 120 BGH NJW 1995, 953; BGHZ 91, 324, 329f.
9. Kapitel: Der Treu und Glauben - Grundsatz
421
angenommen wird, gedeutet, wenn die Arbeitnehmer aus ihrer Sicht das tatsächliche Verhalten dahin verstehen durften, der Arbeitgeber habe sich binden wollen; maßgeblich sei der Empfängerhorizont. 1 2 1 Demgegenüber nimmt die Vertrauenstheorie einen Fall der Erwirkung an, sieht in der einseitigen Aufsage durch den Arbeitgeber einen Fall des »venire c o n tra factum proprium«. Ursache für die Bindung sei das dem Arbeitgeber zuzurechnende Verhalten, das zu einem schutzwürdigen Vertrauen auf Seiten des A r beitnehmers führe, wenn und soweit sich der Arbeitnehmer in seiner Disposition auf die Fortsetzung der Betriebsübung derart einrichten durfte und verlassen hat, daß die einseitige Verhaltensbeendigung als Verstoß gegen § 2 4 2 B G B zu deuten ist. 122 cc)
Stellungnahme
D i e schablonenhafte Kategorisierung sämtlicher tatsächlicher Varianten betrieblicher Ü b u n g e n einheitlich entweder als rechtsgeschäftlicher A k t oder stets als Fall der Vertrauenshaftung wird den vielfältigen tatsächlichen Erscheinungsformen und Nuancen kontinuierlicher Verhaltensweisen von Arbeitgebern nicht gerecht. N i c h t alle Handlungen, die sich als Betriebsübung darstellen, können anhand einer einheitlichen dogmatischen Konstruktion erklärt werden; dazu kennt die Praxis zu unterschiedliche und mannigfaltige F o r m e n . F ü r jeden Einzelfall ist das konkret passende zivilrechtliche Erklärungsmuster zu bestimmen. Pauschale Zuordnungen ohne Rücksicht auf die tatsächliche Ausprägung verbieten sich. Aufgabe der Gerichte ist es, für jeden Fall die ihm angemessene rechtliche Lösung zu finden. So ist es denkbar, daß sich das ständig geübte Verhalten des Arbeitgebers im Einzelfall aus Sicht der Arbeitnehmer als konkludente Willenserklärung erweist. Dies wird vor allem in den Fällen der sogenannten freiwilligen Betriebsübung in Betracht zu ziehen sein. Kennzeichen dieser F o r m ist die willentliche freiwillige wiederholte Leistungsgewährung. D e r Arbeitgeber macht eine Vergünstigung nicht ausdrücklich zum Gegenstand einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung, weil er stets von neuem entscheiden will, ob er die Leistung gewährt oder nicht.
121 Im Sinne der Vertragstheorie Dütz, Arbeitsrecht, Rn. 57; Hueck, Festschrift für Lehmann, S.633, 636ff.; Bydlinski, Privatautonomie, S.23; Säcker, Gruppenautonomie, S.485ff.; Löwisch, Arbeitsrecht, Rn. 49; Menget, Übung, S. 55ff.; Eickel, Anm. zu BAG AP Nr. 27 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; Buchner, Anm. zu BAG AP Nr. 10 zu §242 BGB Betriebliche Übung; BAG NZA 1997,1007,1008f.; NZA 1996, 758; NZA 1994, 88f.; BAGE 59, 73, 84f., 233,237f.; BAGE 52, 340, 345; BAGE 49, 290, 295f. 122 Für die Lehre der Vertrauenshaftung Hromadka, NZA 1984, 241, 244f.; ders., Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Betriebliche Übung; Seiter, Betriebsübung, S. 92ff.; Hanau, AcP 165 (1965), 220, 260ff.; Hahn, Normenanwendung, S. 103ff.; Söllner, Arbeitsrecht, §22 II; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 6 1 7 ; Singer, Verbot, S.236; ders., ZfA 1993, 487, 494ff.; Richardi, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, § 13 Rn. 19; ders., Anm. zu BAG AP Nr.6 zu §242 BGB Betriebliche Übung; Canaris, Vertrauenshaftung, S.386ff.; Wiedemann, Anm. zu BAG AP Nr. 121 zu §242 BGB Ruhegehalt.
422
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
K o m m t es nicht zu einer Gesamtzusage 123 oder einer anderen ausdrücklichen Willenserklärung, kann in dem wiederholten Verhalten unter Umständen eine konkludente Willenserklärung gesehen werden. Dies ist vorab zu erwägen. Sodann ist - will man der (wohl) herrschenden Erklärungstheorie folgen - zu fragen, ob das Verhalten aus Sicht des Empfängers als Willenserklärung zu deuten ist. Fehlt dem Arbeitgeber zwar das Erklärungsbewußtsein für eine zukünftige Bindung, will er nur ad hoc leisten, so kann bei fehlendem Erklärungsbewußtsein gleichwohl die subjektive Seite einer Willenserklärung anzunehmen sein, wenn ihm die Erklärung objektiv zurechenbar ist, er also hätte erkennen können, daß sein Verhalten von den Arbeitnehmern im Sinne einer dauerhaften Leistungserklärung gedeutet wird. Notwendig ist eine objektive Beurteilung der Verantwortlichkeit des Erklärenden. Ein berechtigtes Vertrauen und der Gedanke der Verkehrssicherheit rechtfertigen es, den Erklärenden auch an unbewußt in Geltung gesetzte Rechtsfolgen zu binden. Der zur Entscheidung gestellte Sachverhalt ist mithin darauf zu überprüfen, ob sich der Arbeitgeber zurechenbar im Rechtsverkehr so verhalten hat, daß die Arbeitnehmer redlicherweise darauf vertrauen durften, der Arbeitgeber habe einen entsprechenden rechtsgeschäftlichen Entschluß gefaßt. Das Vertrauen muß sich auf den Verpflichtungswillen des Arbeitgebers beziehen. N u r wenn dies aufgrund des Tatsachenmaterials zu verneinen ist, kommt ein Rückgriff auf die Generalklausel des §242 B G B und die daraus abgeleitete Rechtsfigur des »venire contra factum proprium« und damit die Erwirkung in Betracht. Die rechtsgeschäftliche Forderungsbegründung hat materiellrechtlich Vorrang gegenüber der nach Treu und Glauben. 1 2 4 Die tatsächlichen Begebenheiten, die eine rechtsgeschäftliche Bindung rechtfertigen, werden sich in der Praxis nur selten feststellen lassen. 125 Scheidet eine rechtsgeschäftliche Begründung aus, ist Erwirkung in Betracht zu ziehen. Das Stufenverhältnis von rechtsgeschäftlichem Tatbestand und der Erwirkung i.S.d. § 2 4 2 B G B zeigt sich bei einem Verhalten des Arbeitgebers, das auf einer Fehlinterpretation vertraglicher, tariflicher oder gesetzlicher Bestimmungen beruht. In 123 Mit Gesamtzusage wird eine die Arbeitnehmer begünstigende Zusage des Arbeitgebers bezeichnet, die dieser der gesamten Belegschaft oder einem Teil der Arbeitnehmer durch allgemeine förmliche Bekanntgabe macht. Die Bekanntgabe stellt ein Angebot gemäß § 145 B G B dar, das die Arbeitnehmer stillschweigend annehmen (§151 BGB); B A G D B 1975, 1563f.; nach a.A. beruht die Bindungswirkung auf Gewohnheitsrecht, B A G D B 1963,1191. Vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, §81 II 3. 124 Zum materiell-rechtlichen Stufenverhältnis vgl. bereits unter IV 1 (S. 407ff.) und - wie hier auch - Staudingerl Schmidt, §242 Rn. 581; Roth, in: MünchKommBGB, §242 Rn.327; in diesem Sinn wohl auch Richardi, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, § 13 Rn. 14 (»Betriebsübungen gehören zur kollektiven Ordnung des Arbeitsverhältnisses. Für ihre Einwirkung auf den Inhalt des Arbeitsverhältnisses gibt es aber rechtsdogmatisch keine Einheitslösung.«). 1 2 5 Bei der Abfassung der Entscheidungsgründe kann es deshalb gegebenenfalls offen bleiben, ob eine Willenserklärung oder das Verbot des venire contra factum proprium die Leistungspflicht begründet, wenn jedenfalls die Voraussetzungen der Erwirkung erfüllt sind. Zu Recht hat der 3. Senat des B A G es deshalb für die gerichtliche Entscheidung als gleichgültig angesehen, ob der Geltungsgrund »in einer stillschweigenden vertraglichen Ubereinkunft oder in einem außervertraglichen Vertrauenstatbestand« liegt, B A G AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Betriebliche Übung.
9. Kapitel: Der Treu und Glauben - Grundsatz
423
diesen Konstellationen erfüllt der Arbeitgeber lediglich eine scheinbar existierende Verpflichtung; er bestätigt durch sein Verhalten (deklaratorisch) eine irrige Rechtsauffassung. Bei den Arbeitnehmern, die dem Irrtum ebenfalls unterliegen, kann sich ein Vertrauen darauf, die Leistungsgewährung sei konstitutiver Ausdruck eines Verpflichtungswillens des Arbeitgebers, nicht bilden. H i e r fehlt es an einem objektiven, aus den erkennbaren Umständen deduzierbaren Verhalten des Arbeitgebers, das im Sinne einer Willenserklärung ausgelegt werden könnte. 1 2 6 Bei der Fallgruppe der Fehlinterpretationen kann sich hingegen bei entsprechend konstanter Ü b u n g ein Vertrauen auf die Bindung an die objektiv fehlerhafte I n terpretation bilden. 1 2 7 Das Vertrauen ist schutzwürdig, wenn der Arbeitnehmer die Leistungen als ihm rechtlich zustehende Zuwendungen angesehen und deshalb seine Lebensführung nicht unerheblich darauf abgestellt hat. Das kann sich etwa daraus ergeben, daß der Arbeitnehmer davon abgesehen hat, Rücklagen zu bilden oder eine Versicherung abzuschließen und derartige Maßnahmen aufgrund Zeitablaufs mit vertretbarem Aufwand nicht mehr nachholbar sind. D a v o n wird bei Leistungen im R a h m e n eines Arbeitsverhältnisses regelmäßig auszugehen sein. D i e Zurechenbarkeit ergibt sich daraus, daß es in der Regel der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers entspricht, für die Einhaltung rechtlicher Vorgaben zu sorgen, dies zumal deshalb, weil der Arbeitgeber häufig über die F a c h - und Rechtskompetenz verfügt, um rechtliche Irrtümer auszuschließen. A u c h hier k o m m t es - wie stets - darauf an, in einer Gesamtabwägung alle Umstände des Einzelfalles im H i n b l i c k auf die Realisierung der Kriterien einer Erwirkung zu berücksichtigen. D i e Bezeichnung »betriebliche Ü b u n g « stellt sich damit als Oberbegriff für divergierende dogmatische Zuordnungen dar. Das als Antagonismus gedeutete Verhältnis von Vertrags- und Vertrauenstheorie ist im Sinne einer Synthese zu verstehen. Werden die Leistungen aus freien Stücken vom Arbeitgeber gewährt, ist abzugrenzen, ob es sich um eine rechtsgeschäftliche Zusage handelt (Vertragstheorie) oder ob sich die Bindung aus der Rechtsfigur der Erwirkung ableitet (Vertrauenstheorie).
Die beiden dogmatischen
Qualifizierungsmöglichkeiten
stehen in einem Rangverhältnis: Materiell-rechtliche Priorität k o m m t der Rechtsgeschäftszuordnung zu. Ist sie ausgeschlossen, ist auf der zweiten Stufe das Verbot des »venire contra factum proprium« als Anwendungsfall des § 2 4 2 B G B zu prüfen. Steht eine wiederholte Verhaltensweise im Raum, die auf einer irrigen Einschätzung der Rechtslage beruht, scheidet hingegen eine Bindungswirkung kraft Rechtsgeschäfts grundsätzlich aus, möglich bleibt eine Vertrauenshaftung.
126 Singer, ZfA 1993,487,492; B A G AP Nr. 2 zu §242 B G B Betriebliche Übung, wo das B A G ausführt, daß bei einer irrtümlichen Betriebsübung »noch nicht sicher auf das Vorliegen eines Rechtsgeltungswillens geschlossen werden« könne, gleichwohl aber, parallel zur Verwirkung, davon auszugehen sei, daß der Arbeitgeber das Vertrauen nicht enttäuschen dürfe; in diese Richtung ebenfalls B A G AP Nr. 12 zu §242 B G B Betriebliche Übung; AP Nr. 16 zu §75 BPersVG; LAG Berlin AP Nr. 2 zu §15 BAT. 127 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 392ff.
424
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
Gemeinsam ist sämtlichen Erscheinungsformen die Notwendigkeit eines Sachverhaltes, der den Schluß rechtfertigt, der Arbeitgeber wolle sich rechtlich binden, in Zukunft ebenfalls entsprechende Leistungen zu erbringen; grundsätzlich handelt es sich dabei um einen Vertrauenstatbestand. D i e Divergenz der beiden Erscheinungsformen der betrieblichen Ü b u n g zeigt sich am Inhalt des Vertrauens: F ü r die Begründung eines rechtsgeschäftlichen Bindungswillens k o m m t es darauf an, o b sich das Vertrauen darauf bezieht, der Arbeitgeber habe sich zur Leistung rechtlich verpflichten wollen. N u r wenn die Arbeitnehmer von einem Verpflichtungswillen ausgehen konnten, bleibt die Möglichkeit einer konkludenten Willenserklärung. Bei der Rechtsfigur der Erwirkung ist zu unterscheiden. Bei der freiwilligen Leistungsgewährung muß der Arbeitnehmer darauf vertrauen, daß sich der A r beitgeber auch in Zukunft so verhalten werde. U n t e r dem Gesichtspunkt der E r wirkung k o m m t es mithin auf das Kontinuitätsvertrauen an. Bei einer betrieblichen Ü b u n g , die auf einer Fehleinschätzung der rechtlichen Lage beruht, vertraut der Arbeitnehmer weder auf den Verpflichtungswillen noch auf die Verhaltenskontinuität des Arbeitgebers. H i e r verläßt sich der Arbeitnehmer auf die scheinbar existierende rechtliche Leistungsvorgabe, die den Arbeitgeber verpflichtet, auch in Zukunft bestimmte Leistungen zu erbringen. D i e Erwirkung beruht auf dem Vertrauen auf einen Ist-Zustand, das - entgegen dem Grundsatz »error iuris nocet« - ausnahmsweise dann schützenswert ist, wenn es dem Verantwortungsbereich des Arbeitgebers obliegt, insoweit Klarheit zu schaffen, letztlich also dem Arbeitgeber zuzurechnen ist. Zutreffend ist eine differenzierte Sichtweise, die je nach den tatsächlichen Gegebenheiten eine Lösung sucht und für die Fälle der B e triebsübung keine pauschalierte, tatsächliche Eigenheiten ignorierende dogmatische Zuordnung vornimmt. Zentral ist die Frage, ab welchem Zeitpunkt der A r beitnehmer vertrauen durfte. Ausgangspunkt ist die wiederholte vorbehaltslose Leistung. F ü r Gratifikationen hat sich eine dreimalige Zahlung als ausreichende Vertrauensbasis herauskristallisiert. 1 2 8 Als Faustregel mag das zutreffen, doch gilt auch hier, daß das Vertrauen für jeden Fall gesondert zu bestimmen und in Beziehung zu unter Umständen weiteren einschlägigen Wertungen zu setzen ist. 1 2 9 D i e Rechtsfigur der betrieblichen Ü b u n g auch bei § 242 B G B zu verorten, besagt zugleich, daß zur Ausfüllung der Generalklausel das flexible Konkretisierungssystem zur Anwendung k o m m t . N e b e n dem maßgeblichen Abwägungselement des Vertrauensschutzes 1 3 0 können weitere Wertungen zu berücksichtigen sein und im Einzelfall durchaus das Vertrauenselement kompensieren. Das Vertrauenselement steht nicht allein. 131 A u c h hier ist festzuhalten: Das notwendige G e w i c h t des
128
BAG AP Nr. 63 zu § 611 B G B Gratifikation; siehe auch Dörner, in:
schütz, Arbeitsrecht, A 424; Diitz, Arbeitsrecht, Rn. 57. 129 Hromadka, NZA 1984, 241, 244; Backhaus, AuR 1983, 65, 69.
Dörner!Luczakt'Wild-
1 3 0 Zur Begründung für den hohen Stellenwert des Vertrauenselements in diesem Kapitel unter I 3a (S. 395f.). 131 Der Vertrauensansatz gibt nur ein, wenn auch ein entscheidendes, Abwägungselement wieder.
9. Kapitel: Der Treu und Glauben -
Grundsatz
425
Vertrauensaspektes ist von der Verwirklichungsintensität der übrigen Kriterien abhängig. Je stärker das eine, desto geringer ausgeprägt kann das andere sein.
V. Resümee Die Beispiele zeigen, daß sich im Umgang mit §242 BGB angemessene und der Rechtssicherheit entsprechende Ergebnisse durch die konsequente Anwendung des flexiblen Systems 132 finden lassen. Auch der Treu und Glauben - Grundsatz stellt sich als berechenbare Grenze der Vertragsfreiheit dar. Die durch die Konkretisierungselemente gewonnene Sicherheit im Umgang mit §242 BGB bannt zum einen die von Hedemann beschriebenen Gefahren der »Verweichlichung, Unsicherheit und Willkür«, 133 die Generalklauseln vorgeblich in sich bergen. §242 BGB ist ein Wertungsrahmen zu entnehmen, innerhalb dessen sich verfassungsrechtliche und europarechtliche Aspekte 134 mit den Grundwertungen der Rechtsordnung 135 derart verdichten, daß eine rechtsstaatlichen Grundsätzen genügende Konkretisierung der Generalklausel gewährleistet ist. Sorgfältige methodische Arbeit macht §242 BGB operationabel. Zum anderen erübrigt die Bandbreite der Anwendungsbereiche eine stete Reaktion des Gesetzgebers auf Einzelkonflikte. Die aus §242 BGB abgeleiteten Rechtsinstitute und Konkretisierungsfaktoren erlauben es, »in ständiger Anpassung an den Wandel der Bedürfnisse und Anschauungen« 136 die Zahl der Rechtsvorschriften gering zu halten und gleichwohl für Einzelkonflikte eine adäquate und rechtssichere Lösung herbeizuführen. Das hat sich nicht zuletzt am Beispiel der betrieblichen Übung gezeigt. Hier führt eine konsequente Umsetzung der aus §242 BGB gewonnenen Abwägungsmerkmale zu einer »sauberen juristischen Konstruktion«, die »den Vorstellungen und Bedürfnissen der Beteiligten« entspricht. 137 §242 BGB gibt für die Inhaltskontrolle von Verträgen wesentliche Eckwerte vor. Die Generalklausel bietet ein Instrumentarium, um auf neue Entwicklungen und gesellschaftliche Wandlungen angemessen und zügig reagieren zu können. Ein rechtsstaatlicher Umgang mit §242 BGB wird durch eine Systematisierung der Anwendungsfälle und durch hinreichend klar formulierte Konkretisierungselemente gewährleistet.
132 133 134 135 136 137
Grundlegend zum flexiblen System im 5. Kapitel (S.205ff.) und im 7. Kapitel (S.320ff.). Hedemann, Flucht, S. 66 ff. Zum Verfassungsrecht im 3. Kapitel (S.69ff.), zum Europarecht im 4. Kapitel (S. 148ff.). Dazu im 7. Kapitel (S.336ff.). Oertmann, DJZ 1931, 265. Hromadka, NZA 1984, 241, 246.
10. Kapitel
Angemessenheitskontrolle I. Legitimation einer Angemessenheitskontrolle Angemessenheitskontrolle meint in erster Linie die inhaltliche Prüfung von Vertragsbedingungen, die nicht individuell ausgehandelt sind und deshalb die Gefahr bergen, ausschließlich oder übermäßig die Interessen des Verwenders zu berücksichtigen und die nach Treu und Glauben gebotene Rücksichtnahme auf die Interessen des Vertragpartners nicht ausreichend einzubeziehen. Die Privatautonomie beschränkt sich bei der einseitigen Vorgabe der Vertragsbedingungen im wesentlichen auf die Ausübungsfreiheit; inhaltliche Mitwirkungsmöglichkeiten fehlen. Selbst wenn der Vertragspartner die Bedingungen ändern möchte, ermangelt es ihm in diesen Fällen faktisch an der Möglichkeit dazu, weil seitens des Verwenders der vorformulierten Bedingungen keine Bereitschaft zur individuellen Vertragsgestaltung besteht. Der Kunde hat in der Regel nur die Wahl, die Bedingungen zu akzeptieren oder auf den Vertragsabschluß zu verzichten. 1 Hinzu tritt die Frage nach der Machtkompensation, also danach, ob die Bedingungen im Hinblick darauf formuliert sind, daß der Verwender damit rechnet, daß unangemessene Bedingungen unter Umständen nicht akzeptiert werden und ein Vertrag möglicherweise mit einem Wettbewerber geschlossen wird. Dieses mittelbare Korrektiv über den Markt entfällt im Bereich der Konsumgüterwirtschaft im Verhältnis zum Endverbraucher, da aufgrund mangelnder Transparenz des Konditionenangebots und wegen der hohen mit der Informationsverschaffung verbundenen Kosten ein Wettbewerb zum Vorteil der Verbraucherseite fehlt. Im Bereich der Angemessenheitskontrolle geht es also auch um den Ausfall der mittelbaren Steuerungsfunktion von Markt und Wettbewerb. 2 Der Unterschied zum Individualvertrag liegt darin, daß dort die Beteiligten für den Inhalt typischerweise gleichermaßen verantwortlich sind, zumindest potentiell die Verantwortung für die inhaltliche Gestaltung gemeinsam getragen wird. Dementsprechend ist hier der Bandbreite der Vertragsfreiheit ein breiteres Spek1 Vgl. Bastian/Böhm, BB 1974, 110; Lindacher, BB 1972, 296, 297; Nicklisch, BB 1974, 941, 944; Schmidt-Salzer, N J W 1971, 1010. 2 Braun, BB 1979,689,690;Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 79ff.; Hildebrandt, Disparität, S. 15f.; Adams, BB 1989, 781, 784; Canaris, N J W 1987, 609, 613; Köndgen, N J W 1989, 943, 946f.; A K B G B / T e u b n e r , §242 B G B Rn.90; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, Einl. R n . 6 f . ; Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, Einl. R n . 3 ; v. Hippel, BB 1973, 993f.; Specht-Jonen, §9 A G B G , S.6ff.; Brandner, JZ 1973, 613,615; Kotz, M a ß n a h m e n , S. 33ff.; Koller, Festschrift f ü r Steindorff, S. 667, 668 f.
10. Kapitel:
Angemessenheitskontrolle
427
t r u m eröffnet. D o r t hingegen, w o infolge mangelnden Einflußpotentials ein I n teressenausgleich im W e g e zweiseitigen A u s h a n d e l n s typischerweise nicht stattfindet, ist der Vertragsinhalt einer strengeren R e c h t s k o n t r o l l e mit d e m Ziel zu u n terziehen, den Vertragspartner v o r u n a n g e m e s s e n e r Benachteiligung z u s c h ü t z e n . E s geht folglich d a r u m , den Vertragspartner v o r einem M i ß b r a u c h einer allein d e m V e r w e n d e r obliegenden Vertragsgestaltungsfreiheit zu b e w a h r e n . U r s a c h e der A n g e m e s s e n h e i t s k o n t r o l l e ist die einseitige I n a n s p r u c h n a h m e der Vertragsfreiheit, die generell-abstrakt fehlende inhaltliche Einflußmöglichkeit. A u f eine wirtschaftliche o d e r intellektuelle U n t e r l e g e n h e i t des Vertragspartners im E i n zelfall k o m m t es nicht an; maßgeblich ist nicht die P e r s o n des Vertragspartners, s o n d e r n die V e r w e n d u n g eines v o r f o r m u l i e r t e n Klauselwerkes. 3 Die Gründe für die Mißbilligung typischerweise einseitiger Inanspruchnahme der Gestaltungsfreiheit sind vielschichtig: Der Grund für die richterliche Prüfung der Vertragsbedingungen liegt zum einen darin, daß das allgemeine Prinzip der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung hier versagt. Im Grundsatz ist es Sache der Vertragspartner, die rechtliche Tragweite der Willenserklärungen zu erfassen und für sie eigenverantwortlich einzutreten. Es obliegt den Beteiligten, im Einzelfall die Vertragsbedingungen zu analysieren und sich im Anschluß entweder bewußt auf sie einzulassen oder auf den Vertragsschluß zu verzichten. Der Selbstregulierungsmechanismus ist jedoch dann generell gestört, wenn der Vertragspartner üblicherweise mit vorformulierten, unübersichtlichen Vertragsbedingungen konfrontiert wird, Konkurrenten ähnliche Klauseln verwenden und dem Kunden für die Prüfung professionell ausgearbeiteter und aufwendiger Vertragswerke regelmäßig Wissen und Kenntnisse fehlen. Diese Unterlegenheit ist mithin eine Ursache für den typischerweise fehlenden Einfluß auf das Klauselwerk. 4 Hinzu kommt wirtschaftliche Ineffizienz. Während es für den Verwender ökonomisch sinnvoll ist, Finanzmittel für die Ausarbeitung umfangreicher, ausgefeilter Vertragsbedingungen aufzuwenden, weil er sie in einer Vielzahl von Fällen zugrunde legt, ist es für den Vertragspartner ökonomisch unsinnig, einen ähnlichen Aufwand bei der Prüfung des ihm gegenüber nur einmal verwendeten Klauselwerkes zu betreiben. Selbstverantwortung trifft hier angesichts der Häufigkeit vorformulierter Vertragsbedingungen im täglichen Leben auf eine noch mit sinnvollem Aufwand bestreitbare Möglichkeitsgrenze. 5 Die Selbstregulierung der Privatautonomie durch das Wettbewerbskorrektiv versagt. D e r Grundsatz ökonomischer »Waffengleichheit« 6 spricht im Hinblick auf ein typischerweise (nicht individuell) gegebenes situativ (nicht persönlich) geprägtes Schutzbedürfnis für eine gerichtliche Inhaltskontrolle. Der B G H betont folglich zu Recht, daß der Rechtfertigungsgrund der Angemessenheitskontrolle im für den Vertragspartner typischerweise unübersichtlichen Klauselwerk liegt. 7 Weiterhin muß der Rechtsverkehr im allgemeinen vor einseitig gesetzten Klauseln, die die Vertragsgerechtigkeit in unangemessener, nicht zu billigender 3 Habersack, Vertragsfreiheit, S. 103 ff.; Hönn, Kompensation, S. 147ff.; Ulmer, in: Ulmer/ Brandner/Hensen, Einl. Rn.29, 32; Stein, Inhaltskontrolle, S.39ff.; Lieb, AcP 178 (1978), 196, 200ff.; ders., AcP 183 (1983), 327,358f.; Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, Einl. Rn.3; B G H Z 126, 326, 332; Neuhof, N J W 1994, 1763, 1765. 4 Vgl. Adams, BB 1989, 781, 783ff.; Fastrich, Inhaltskontrolle, S.83; Habersack, AcP 189 (1989), 403, 415; Köndgen, N J W 1989, 943, 946. 5 Vgl. Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 72f.; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 84f.; Kötz, Maßnahmen, S. 31 f.; Koller, Festschrift für Steindorff, S. 667, 670. 6 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 84. 7 B G H NJW 1977, 624, 625; N J W 1974, 1135; NJW 1973, 1194, m. weit. Nachw.
428
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
Weise verletzen, bewahrt werden. Es ist Aufgabe der Ordnungsfunktion des Rechts, die Möglichkeit der Einflußnahme auf die Vertragsfreiheit, also das Selbstbestimmungsrecht aufrechtzuerhalten. 8 Rechtliche Verantwortung für eine Willenserklärung wird durch die Rechtsordnung dem realen Selbstbestimmungsspielraum angepaßt. 9 Die einseitig in Anspruch genommene Gestaltungsfreiheit wird im wesentlichen aus zweierlei Gründen eingeschränkt: aufgrund der Ordnungsfunktion der Rechtsordnung zum Schutz der Integrität der Vertragsfreiheit vor evidenten Mißbräuchen und - angesichts des Versagens der Selbstvorsorge - wegen der Inkongruenz von rechtlichen Verhaltensanforderungen und Massenverkehr.
II. Die Angemessenheitskontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen 1. S y s t e m a t i k D i e F u n k t i o n , eine einseitige I n a n s p r u c h n a h m e von Gestaltungsfreiheit zu vermeiden, u m so die Vertragsfreiheit im Sinne einer E i n f l u ß m ö g l i c h k e i t auf den Vertragsinhalt zu gewährleisten, übt in erster Linie das A G B - G e s e t z aus. D i e A n gemessenheitskontrolle ist in § § 8 - 1 1 A G B G geregelt. D i e Klauselverbote mit Wertungsspielraum ( § 1 0 A G B G ) und die o h n e einen solchen ( § 1 1 A G B G ) d r ü k ken paradigmatisch den K o n t r o l l m a ß s t a b aus, der in der Generalklausel des § 9 A G B G Niederschlag gefunden hat. § 9 A G B G ist dabei A u s d r u c k eines spezifischen Prüfungsmaßstabes; der N o r m sind als » K e r n s t ü c k « des A G B G die tragenden Prinzipien für die A n g e m e s s e n h e i t s k o n t r o l l e im A n w e n d u n g s b e r e i c h des A G B - G e s e t z e s zu entnehmen. 1 0 B e i § 9 A G B G handelt es sich nicht u m einen nichtssagenden Auffangtatbestand o h n e Wertungsrahmen. D a s zeigt nicht nur die A u f n a h m e der W o r t k o m b i n a t i o n »Treu u n d G l a u b e n « in den Tatbestand. 1 1 A u c h die F o r m u l i e r u n g »unangemessen benachteiligen« in § 9 A b s . 1 A G B G drückt einen spezifischen Wertungsrahmen aus und gibt der Angemessenheitsprüfung eine Struktur vor. Das AGB-Gesetz stellt lediglich eine »Teilkodifikation des Rechtsinstituts der Inhaltskontrolle« dar.12 Die Angemessenheitskontrolle nach § § 9 , 1 0 , 1 1 A G B G schließt außerhalb ihBGH NJW 1977, 624, 625; NJW 1976, 2345, 2346; NJW 1974, 1135. Kramer, in: MünchKommBGB, Vor §145 Rn. 5: »Es geht weiterhin darum, Legalstruktur und Sozialstruktur des Vertrages, wo sie am weitesten auseinanderklaffen, wenigstens annäherungsweise einer Deckung zuzuführen.« 10 BT-Drucks. 7/3919, S. 22. Aufgabe des AGBG ist es, die durch die einseitige Vertragsgestaltung vorgegebene »Überlegenheit des AGB-Verwenders durch Schutzvorschriften zugunsten des AGB-Unterworfenen sachgerecht und vernünftig auszugleichen, ohne die Privatautonomie mehr als zur Erreichung dieses Ziels erforderlich einzuengen«; BT-Drucks. 7/3919, S. 13. 11 Dazu im 9. Kapitel (S. 395f.). 12 BGHZ 101,350,353; ebenso Coester-Waltjen, AcP 190, (1990), 1,5f.; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 62,107; ders., RdA 1997,65, 73 f.; Hildebrandt, Disparität, S. 4ff.; Hille, Inhaltskontrolle, S. 21 f.; Hönn, JZ 1983,677; Kallrath, Kontrolle, S. 14ff.; Lieb, AcP (1978), 196,197; Niebling, Schranken, S. 6ff.; Wiedemann, Festschrift für Kummer, S. 175, 181. 8 9
10. Kapitel: Angemessenheitskontrolle
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res Anwendungsbereichs eine Prüfung der Vertragsbedingungen gemäß §242 BGB nicht aus. Die Berufung auf unangemessene standardisierte Klauseln kann unter Umständen eine gegen Treu und Glauben verstoßende unzulässige Rechtsausübung darstellen. Angesprochen ist die institutionelle Seite des §242 BGB. 13 Auch §242 BGB hat eine Koordinierungsfunktion zwischen rechtlicher Selbstverantwortung und ihrer faktischen Realisierungsmöglichkeit. Dort, wo Vertragsfreiheit mißbräuchlich und funktionswidrig in Anspruch genommen wird, ist die Inhaltskontrolle nach §242 BGB eröffnet. Es geht darum, mittels einer generellen Interessenabwägung typische Komplexe eines bereichsspezifischen allgemeinen Markt- oder Selbstvorsorgeversagens zu erfassen. Anknüpfungspunkt ist das Klauselwerk, nicht eine etwaige individueneigene Unterlegenheit. §242 BGB dient bei dieser Fallgruppe als Korrektiv der Organisationsmacht und ermöglicht eine Inhaltskontrolle vertraglicher Regelungen. Der Treu und Glauben-Grundsatz hat Bedeutung für die in §§23,24 A G B G vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommenen Verträge und für die richterliche Kontrolle von institutionellem Privatautonomiemißbrauch, der sich anders als über standardisierte Klauseln im Sinne des AGB-Gesetzes manifestiert. 14
Im Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes ergibt sich der Maßstab der Angemessenheitsprüfung aus den gesetzlichen Vorgaben. Daneben sind im Rahmen der von der Generalklausel des §9 Abs. 1 AGBG geforderten Interessenabwägung neben den verfassungs- und europarechtlichen Wertungen 15 die allgemeinen Rechtsprinzipien 16 zu berücksichtigen. Systematisch gibt das AGBG folgende Struktur der Vertragskontrolle vor: Die Angemessenheitskontrolle von allgemeinen Geschäftsbedingungen hat zunächst anhand der speziellen Verbotskataloge der §§10, 11 AGBG zu erfolgen. Diese Klauselverbote erfassen die typischen Einbruchsteilen in den Selbstregulierungsmechanismus, wobei die Klauselverbote des § 11 AGBG keine Wertungsmöglichkeiten eröffnen, weil sie aus deskriptiven Tatbestandsmerkmalen bestehen, hingegen die Klauselverbote des §10 AGBG normative Begriffe enthalten, die eine richterliche Wertung im Einzelfall erfordern. Zwischen den speziellen Katalogen und der Generalklausel des §9 Abs.l AGBG steht §9 Abs.2 AGBG. Ist die inhaltliche Kontrolle gemäß §§10, 11 AGBG nicht erfolgreich und enthält die betreffende N o r m keine abschließende Regelung, kann eine inhaltliche Uberprüfung mit der Generalklausel erfolgen. Hierbei ist zunächst auf § 9 Abs. 2 A G B G abzustellen, der gesetzliche Regelbeispiele unangemessen benachteiligender Bedingungen enthält. 17 Auf §9 Abs.l A G B G ist zurückzugreifen, wenn die fragliche Abrede von den Tatbeständen des zweiten Absatzes nicht erfaßt wird. Für die Angemessenheitskontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen sieht § 9 Abs. 1 AGBG einen spezifischen Prüfungsrahmen vor. 13
Vgl. das 9. Kapitel (S.400ff.). Vgl. v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 127ff.; Lieb, AcP 178 (1978), 196ff.; Zöllner, AcP 176(1976), 221,224. 15 Vgl. das 3. (S. 69ff.) und 4. Kapitel (S. 148ff.). 16 Uberblick im 7. Kapitel (S. 336ff.); zur Methode des flexiblen Systems im 5. Kapitel (S. 205ff.) und im 7. Kapitel (S.320ff.). 17 Becker, Auslegung, S.41ff.; Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rn. 129; Kötz, in: MünchKommBGB, §9 AGBG Rn. 1, 12; Specht-Jonen, §9 AGBG, S.22f. 14
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
2. D e r Wertungsrahmen der Angemessenheitsprüfung a) Lokalisation einer
Vergleichsgrundlage
D e n allgemeinen Bewertungsmaßstab für die Angemessenheitskontrolle gibt § 9 Abs. 1 A G B G wieder, der davon spricht, daß Bestimmungen unwirksam sind, wenn sie den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Die Wortwahl »unangemessen benachteiligen« spricht für die Existenz einer Vergleichsgrundlage, um Vor- und Nachteile, Angemessenheit und Unangemessenheit voneinander trennen zu können. Ohne objektiv fundierte Erkenntnisse über eine angemessene Regelung läßt sich eine Benachteiligung nicht bestimmen. Notwendig ist die Diagnose eines ausgeglichenen Vertragsmodells. Einen ersten Anhaltspunkt liefert § 8 A G B G . Danach unterliegt der Angemessenheitskontrolle nur die Abweichung oder Ergänzung von Rechtsvorschriften. Damit ist sichergestellt, daß die § § 9 - 1 1 A G B G nicht für eine gerichtliche Prüfung gesetzlich oder vertraglich festgelegter Preise oder Leistungen taugen. Zugleich drückt dies aus, daß die Angemessenheitskontrolle nicht das konkrete Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zu prüfen vermag. 18 Dafür sieht die Rechtsordnung die Kontrolle nach § 138 B G B vor. aa) Dispositives Recht Für die Determination eines ausgeglichenen Vertragsmodells hilfreich ist die weitere Bedeutung des § 8 A G B G , nämlich der Kontrollausschluß von allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nur das bestimmen, was ohnehin rechtens gilt. 19 Keiner Kontrolle unterliegen somit neben den Hauptleistungspflichten mit Rechtsvorschriften deckungsgleiche Bedingungen; ihnen fehlt eine (in diesem Sinne) konstitutive Wirkung. 2 0 Die Kontrollfreiheit deklaratorischer Klauseln beruht darauf, daß die gesetzgeberische Entscheidung nicht deshalb, weil die Klausel deren Inhalt wiederholt, einer richterlichen Prüfung auf ihre Angemessenheit un18 In diesem Sinne auch Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 9 3 / 1 3 / E W G des Rates vom 5.4. 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. Nr. L 95 vom 21.4.1993, S.29ff.): »Die Beurteilung der Mißbräuchlichkeit der Klauseln betrifft weder den Hauptgegenstand des Vertrages noch die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den Dienstleistungen bzw. den Gütern, die die Gegenleistung darstellen, sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefaßt sind.« Ausführlich zur Kontrollfreiheit preis- und leistungsbestimmender Klauseln Dylla-Krebs, Schranken, S. 111 ff.; Niebling, Schranken, S. 154ff. 19 Ebenso Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 9 3 / 1 3 / E W G (Fn. 18): »Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Ubereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft - insbesondere im Verkehrsbereich - Vertragsparteien sind, unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.« 2 0 BT-Drucks. 7/3919, S. 22: »Die Leistungsbeschreibung einschließlich etwaiger in A G B enthaltener Festlegungen des Entgelts unterliegen der Inhaltskontrolle demnach ebensowenig wie A G B , die lediglich den Inhalt gesetzlicher Regelungen wiedergeben. Denn aufgrund der Inhaltskontrolle soll weder eine Kontrolle der Preise oder Leistungsangebote ermöglicht noch sollen Vorschriften anderer Gesetze modifiziert werden.«
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Angemessenheitskontrolle
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terworfen werden darf. D i e Prärogative des Gesetzgebers ist ebenso zu respektieren wie das Gewaltenteilungsprinzip und Art. 100 Abs. 1 G G . 2 1 D i e Angemessenheit des gesetzlichen Regelungsgehalts steht - Verfassungskonformität vorausgesetzt 2 2 - außer Frage. Bestätigung findet diese Einschätzung in § 9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G . Mit dem Rekurs auf das dispositive Recht drückt der Gesetzgeber aus, daß es nicht Aufgabe des Gerichts ist, Gesetze der Angemessenheitskontrolle zu unterziehen, oder Vertragsbestimmungen, die gesetzlichen Vorgaben entsprechen, als inadäquat zu beanstanden. Gesetzliche Vorschriften, die deklariert werden, sind von der Angemessenheitskontrolle ausgeschlossen, dies aber nur dann, wenn die gesetzgeberische Entscheidung zutreffend nachvollzogen wurde. 2 3 Kontrollfrei sind demnach insbesondere die Inhalte dispositiver R e c h t s n o r men, die in Verträge aufgenommen werden. Das abdingbare Recht bietet eine »Regelungsalternative« 2 4 für den Fall, daß der Vertrag keine Vorgaben enthält. A u c h Gewohnheitsrecht kann Inhalt deklaratorischer und damit kontrollfreier Klauseln sein. 2 5 A n einer bloß deklaratorischen Wirkung fehlt es, wenn der Inhalt verfremdet, unvollständig oder verändert wiedergegeben ist. »Scheinbar deklaratorisch« 2 6 , in Wahrheit aber konstitutiv wirken Bedingungen, die Rechtsvorschriften ganz oder teilweise in einem fremden Rechtsverhältnis oder in einem gesetzesfremden Zusammenhang zur Anwendung bringen, in dem sie nicht ipso iure gelten. H i e r hat der Gesetzgeber zwar eine Entscheidung getroffen, die anzuerkennen ist, doch betrifft sie einen anderen Kontext. D e r Vertragspartner konstituiert hier eine Regelung, die der Gesetzgeber für einen anderen Sachverhalt vorgesehen hat. Entscheidend ist, o b die gesetzliche Dispositivnorm auch ohne ihre Wiedergabe in den Geschäftsbedingungen in concreto gelten würde. 2 7 I m einzelnen umstritten ist, ob und, wenn ja, in welchem U m f a n g allgemeine Geschäftsbedingungen kontrollfähig sind, die von gesetzlich zugelassenen Vertragsgestaltungen Gebrauch machen oder Erlaubnisnormen umsetzen, die bestimmte Vereinbarungen unter tatbestandlich begrenzten Voraussetzungen zulassen. In Frage stehen in diesem Zusammenhang Abreden, die beispielsweise eine Vertragsstrafe versprechen ( § § 3 3 9 f f . B G B ) , ein Rücktritts- ( § § 3 4 6 f f . B G B )
21 Becker, Auslegung, S. 115 (»keine Kontrolle des Richters über den Gesetzgeber!«); Bruchner, WM 1987,449,456; Canaris, NJW 1987,609,611; Dylla-Krebs, Schranken, S. 65f.; Niebling, Schranken, S.21ff.; ders., BB 1984, 1713. 22 Wird eine unwirksame Vorschrift formularmäßig wiedergegeben, ist die Kontrollbefugnis eröffnet; die Deklaration unwirksamer Normen führt nicht zur Kontrollfreiheit; vgl. Gitter, JZ 1989, 98, 100; BGHZ 105, 160, 164. 23 Allg. Meinung, vgl. nur Palandt/Heinrichs, § 8 AGBG Rn. 6; Erman/Hefermehl, § 8 AGBG Rn. 13; Niebling, Schranken, S.22; BGH NJW 1991, 1754; NJW 1989, 1731; NJW 1988, 2951. 24 Becker, Auslegung, S. 115. 25 Pflug, Kontrakt, S. 254ff.; nicht hierher zählen Verkehrssitte oder Handelsbrauch, da Ublichkeit nicht Angemessenheit garantiert; vgl. Dylla-Krebs, Schranken, S. 71; Niebling, Schranken, S. 72 ff. 26 So treffend Dylla-Krebs, Schranken, S. 77. 27 Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, § 8 AGBG Rn. 24; Niebling, Schranken, S. 29f.; BGH NJW 1984,2161.
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oder Leistungsbestimmungsrecht (§§315, 317 BGB), ein Aufrechnungsverbot (§§ 387ff. BGB) oder auch den Ausschluß oder die Beschränkung von Gewährleistungsrechten (§§443, 476, 476a, 540, 637 BGB) zum Gegenstand haben. Der Umstand, daß diese Gestaltungsmöglichkeiten teilweise in den speziellen Verbotskatalogen aufgegriffen werden (die Vertragsstrafe in § 11 Nr. 6 AGBG, das Rücktrittsrecht in §10 Nr. 3 AGBG, das Aufrechnungsverbot in §11 Nr. 3 AGBG, Ausschluß und Beschränkung von Gewährleistungsrechten in §11 Nr. 10 AGBG), spricht gegen eine grundsätzliche Ausklammerung aus der Angemessenheitskontrolle. Gesetzlich anerkannt ist lediglich die grundsätzliche, generell-abstrakte Zulässigkeit der entsprechenden Vertragsgegenstände. Offen ist hingegen, ob diese Inhalte in allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart werden können, ihre Aufnahme gerade in den betreffenden Vertragskontext angemessen ist. Ohne entsprechende Vereinbarung finden diese Rechte gerade keine Anwendung. Der Inhaltskontrolle bedarf zudem, wie der durch das Gesetz eröffnete Gestaltungsspielraum konkret ausgefüllt wird. Eine Klausel, die einen durch positive oder negative Gesetzesfassung eröffneten Gestaltungsspielraum ausfüllt, gibt nicht nur die gesetzliche Intention, nämlich die grundsätzliche Zulässigkeit des Regelungsbereichs (z.B. eines Vertragsstrafeversprechens), wieder, sondern ergänzt die entsprechende Rechtsnorm mit spezifischen Inhalten. Prinzipiell handelt es sich also um ergänzende Regelungen, die nach § 8 AGBG der Inhaltskontrolle unterliegen. So liegt es im Grundsatz. Diese Bedingungen ergänzen die essentiellen Vertragselemente und füllen Gesetzesvorschriften aus, die einzelne Rechtsinstitute regeln.28 Gleichwohl bleiben Ausnahmen möglich. Beispielsweise ist es denkbar, daß Vorschriften eine bestimmte Regelung gerade auch bei der Statuierung in allgemeinen Geschäftsbedingungen erlauben wollen. Die Auslegung einer bestimmten gesetzlichen Vorgabe kann ergeben, daß die Erlaubnisnorm die Anwendung des AGB-Gesetzes ausschließt. In einer solchen Sonderkonstellation ist wiederum in jedem Einzelfall methodisch zu trennen, ob eine teleologische Reduktion des § 8 A G B G angezeigt ist oder die betreffende Erlaubnisnorm als lex specialis zu den § § 9 - 1 1 A G B G einzustufen ist. 29
Vergleichsgrundlage für die Prüfung einer Benachteiligung, gleichsam das Paradigma eines angemessenen Interessenausgleichs ist das dispositive Recht. Zur Leitbildbestimmung taugen daneben die aus zwingenden Normen ableitbaren 28 Zu Recht hält die h. M. deshalb die Angemessenheitskontrolle nach §§ 9—11 AGBG für eröffnet, vgl. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, §8 A G B G Rn.25; Brandner, in: Ulmer/Brandner/ Hensen, §8 A G B G Rn.33f.; Kotz, in: MünchKommBGB, §8 AGBG Rn.2; Erman/Hefermehl, §8 AGBG Rn. 15; Soergel/U. Stein, §8 AGBG Rn. 18; Canaris, NJW 1987, 609, 611; Niehling, ZIP 1987, 1433ff.; Taupitz, JuS 1989, 520, 524; Teichmann, JZ 1987, 751, 754; Trinkner/Wolfer, BB 1987, 425, 427; BGH NJW 1989, 222, 223; NJW 1987, 1931,1937; NJW 1985, 623, 624. 29 Uber die Bestimmung des Ausnahmebereichs und in bezug auf das richtige methodische Vorgehen gehen die Meinungen auseinander; erst recht wird darüber gestritten, wie einzelne Normen einzustufen sind. Vgl. dazu den Meinungsüberblick bei Dylla-Krehs, Schranken, S. 89ff.; Niebling, Schranken, S.33ff., jeweils m. zahlr. weit. Nachw.; vgl. dazu auch Canaris, NJW 1987, 609, 611; H.P. Westermann, Zehn Jahre AGB-Gesetz, S.135, 143; Zoller, BB 1987, 421, 422.
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Wertungen. Auch dann, wenn eine Abrede nicht unmittelbar gegen zwingendes Recht verstößt, was zur Unwirksamkeit der Regelung führen würde, ist der mit der zwingenden Vorschrift ausgedrückte Rechtsgedanke unter Umständen bei der Konkretisierung eines Leitbildes zu berücksichtigen. 30 bb)
Vertragsstruktur
Nicht für alle vertraglichen Inhalte steht eine passende Grundaussage als Regelungsmodell zur Verfügung. Hier auf eine allgemeine Interessenabwägung abzustellen, hieße die Konturen einer Angemessenheitskontrolle zu verwischen und letztlich Billigkeitserwägungen heranzuziehen. Den Ausweg weist § 9 Abs. 2 A G B G . Während Nummer 1 des Paragraphen noch in Absatz 2 als Abwägungsbasis die gesetzliche Regelung nennt, weist Nummer 2 auf die sich aus der Natur des Vertrages ergebenden Rechte und Pflichten hin. 31 Leitbild ist hier mithin die typische Struktur des Vertrages. Orientierungshilfe bietet der sich aus dem Vertragsinhalt mit Rücksicht auf Treu und Glauben und die Verkehrssitte ergebende Vertragszweck. Diese Vergleichsgrundlage ist nicht nur bei den in 23 Titeln des Zweiten Buches des B G B aufgezählten typischen Schuldverhältnissen hilfreich, auch bei gesetzlich nicht berücksichtigten Vereinbarungen, beispielsweise dem Garantie- oder Leasingvertrag, läßt sich aus der Natur des Vertrages eine Orientierungsgrundlage für einen angemessenen Interessenausgleich ableiten. Bei atypischen Verträgen ist das Leitbild nicht aus den gesetzlichen Vertragstypen zu gewinnen. Denn das hätte möglicherweise die Konsequenz, daß eine Regelung bereits deshalb als unangemessen einzustufen wäre, weil sie vom Regeltypus abweicht. Die Vergleichsgrundlage atypischer Verträge ist eben aus der Atypizität zu gewinnen; sie sind auf ihre Stimmigkeit zu prüfen. 32 Dabei kann die Bestimmung des Leitbildes weder nur aus sich selbst heraus erfolgen 33 noch in erster Linie auf allgemeine Gerechtigkeitsvorstellungen abgestellt werden. 34 Beide G e sichtspunkte sind statt dessen kumulativ zu berücksichtigen. Vertragsimmanente Gesichtspunkte und außerhalb stehende Gerechtigkeitsvorstellungen sind in die Maßstabsbildung gleichermaßen einzubeziehen: Das Leitbild ist generell-abstrakt aus den spezifischen Zwecken abzuleiten, die bestimmte Interessen be-
30 Fastrich, Inhaltskontrolle, S.284; B G H N J W 1983, 1320, 1322; a.A. Becker, Auslegung, S. 103. 31 Dabei kommt es in diesem Kontext nicht darauf an, ob auch bereits § 9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G ungeschriebene Rechtsgrundsätze und vertragstypenspezifische Grundgedanken als taugliches Leitbild für die Angemessenheitsbestimmung zu entnehmen sind; dazu einerseits Brandner, in: Ulmerl Brandneri Hensen, § 9 A G B G Rn. 137ff. (Rn. 142: »dann bleibt für Abs. 2 Nr. 2 kaum ein selbständiger Anwendungsbereich«), andererseits v. Hoyningen-Huene, Inhaltskontrolle, Rn. 282 (eigenständiger Anwendungsbereich für gesetzlich nicht geregelte Vertragstypen). Jedenfalls kommt als Vergleichsgrundlage der typische Vertragszweck in Betracht; ebenso Fastrich, Inhaltskontrolle, S.282. 3 2 Vgl. Lieh, D B 1988, 946, 953f. 33 Dies betont Lieh, D B 1988, 946, 953f. 3 4 In diese Richtung Fastrich, Inhaltskontrolle, S.282, 288.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
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Generalklauseln
rücksichtigen und schützen und dadurch dem Vertrag seine Eigenart verleihen. 3 5 Bei im Verhältnis zu den gesetzlichen Regelungen atypischen Abreden ist eine typische Struktur eines gerechten Interessenausgleichs herauszuarbeiten. A b z u stellen ist auf die verkehrsprägenden Zwecke, die einen durchschnittlichen, vernünftigen, objektiven Beteiligten beim A b s c h l u ß eines derartigen Vertrages leiten. Zur Vertragsnatur zählt der Schutz der von der vertraglichen Regelung berührten Interessen. D e r Schutz anerkennenswerter Vertragsinteressen erfordert die Wahrung wesentlicher Rechte und Pflichten, die zur ordnungsgemäßen Realisierung des Vertrages erforderlich sind. Ein Hilfsmittel für die vertragsgerechte B e stimmung eines Angemessenheitsmodells bietet die vertragsspezifische Abgrenzung der Risikosphären der Parteien. Daraus läßt sich ein angemessenes Rechteund Pflichtenmodell entwickeln. Rechte und Pflichten sind so zu verteilen, wie es ein redlich denkender Vertragspartner nach dem Sinn und Grundgedanken des Vertrages unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen und der (unter U m ständen bewußt) eingegangenen Risiken vornehmen würde. Die Verkehrsüblichkeit einer Regelung ist dabei nur am Rande zu berücksichtigen; eine häufig oder regelmäßig getroffene Abrede muß nicht per se angemessen sein. Selbst wenn eine Regelung standardisiert in alle allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Branche aufgenommen ist, muß sie deshalb nicht Leitbildfunktion haben, wie die R e c h t sprechung insbesondere zu den A G B der Banken zeigt. 3 6 Tragender G r u n d eines Angemessenheitsmodells ist die Ubereinstimmung mit den fundamentalen Prinzipien der Rechtsordnung. So entspricht es einer G r u n d wertung der Rechtsordnung, daß jeder für die von ihm selbst beherrschbaren R i siken einzustehen hat. N i c h t leitbildkonform ist demnach eine Klausel, die dem Vertragspartner ein Risiko aufbürdet, das in der Sphäre des Verwenders begründet liegt und von ihm eher beherrscht werden kann als v o m Vertragspartner. Eine unangemessene Risikoverteilung nimmt z u m Beispiel eine Kreditkarten-Klausel vor, die dem Vertragspartner das Fälschungsrisiko bei bestimmungsgemäßem Gebrauch einer Kreditkarte auferlegt. D i e UnZuverlässigkeit von Vertragsunternehmen oder deren Angestellten ist - wenn überhaupt - v o m Verwender, nicht aber v o m einzelnen Kreditkarteninhaber beherrschbar. 3 7 Eine unzutreffende R i sikoverteilung nahm die Haftungsausschlußklausel in N r . 4 Abs. 3 a.F. der Bank e n - A G B für den Uberweisungsverkehr mit Belegträgern vor, weil das Risiko von Fehlüberweisungen insoweit der Verwendersphäre zuzuordnen ist. 38 D e r Modellcharakter ist nicht allein aus dem gesetzten R e c h t und der N a t u r des Vertrages zu bestimmen. A u c h die allgemeinen Rechtsprinzipien sind bei der Konkretisierung eines Leitbildes zu berücksichtigen. Aus den allgemeinen Grundwertungen der Rechtsordnung und den gesetzlich vorgegebenen Leitli-
35 36 37 38
Vgl. BGH NJW 1993, 2369 (zum Krankenversicherungsvertrag). Siehe nur Brandner, in: Ulmer/Brandner/Mensen, Anh. §§9-11 AGBG Rn. 151 ff. BGHZ 91, 221, 225f.; allgemein zu den Grundprinzipien im 7. Kapitel (S.336ff.). OLG Frankfurt NJW 1983, 1681, 1682.
10. Kapitel:
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nien können rechtsfortbildend insbesondere für neuentwickelte Vertragstypen entsprechende Leitbilder entwickelt werden. Voraussetzung für die Angemessenheitskontrolle ist jedenfalls die Bestimmung eines Modells für eine adäquate Vertragsgestaltung. b) Nachteilige aa)
Abweichung
Nachteilsdiagnose
Ist ein Modell adäquaten Interessenausgleichs gefunden, ist gemäß § 9 Abs. 1 A G B G in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der konkrete vertragliche R e g e lungskontext von diesem Leitbild zum Nachteil der Vertragspartei des A G B - V e r wenders abweicht. Eine Abweichung im Verhältnis zum Verwender bleibt bei § 9 A G B G außer Betracht. Es ist allein auf eine nachteilige Abweichung zu Lasten des Vertragspartners abzustellen. Ein damit einhergehender Vorteil des Verwenders ist nicht erforderlich. 3 9 D e r Begriff der Benachteiligung ist weit zu fassen. Hierzu zählen nicht nur Nachteile im Verhältnis zum Verwender, sondern auch solche, die aus dem Verhältnis des Vertragspartners zu Dritten resultieren. 4 0 Originäre Interessen Dritter sind, von § 1 1 Nr. 14 A G B G abgesehen, 4 1 bei der Nachteilsdiagnose grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Ist der Dritte allerdings durch einen Vertrag zugunsten Dritter (§§ 328ff. B G B ) oder einen Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte beteiligt, ist dessen Interesse einzubeziehen. 4 2 Das Interesse Dritter gewinnt also nur insoweit an Bedeutung, wie es gleichzeitig berechtigte Belange des Vertragspartners berührt, also sich mittelbar als Interesse des Vertragspartners darstellt. Schutzwürdige Interessen des Kunden können beispielsweise bei Sicherungsverträgen bedeutungsvoll sein. D i e Interessen des Gläubigers des Adressaten wirken mittelbar. D u r c h eine Ubersicherung verliert nicht nur der Gläubiger Zugriffspotential, auch der Kunde des A G B - V e r w e n d e r s wird bei der Gestaltung seiner Vermögensverhältnisse und damit möglicherweise in seinen geschäftlichen Aktivitäten behindert. 4 3
39 BGH NJW 1991, 353, 354; NJW 1988,1726; NJW 1987,2575,2577. Dem Verwender ist es deshalb auch verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der von ihm selbst gestellten allgemeinen Geschäftsbedingungen zu berufen, vgl. BT-Drucks. 7/3919, S.23; OLG München NJW-RR 1992, 498; OLG Düsseldorf NJW-RR 1992, 217, 218. 40 Soergel/U. Stein, §9 AGBG Rn.6; BGH NJW 1988,1726,1729; OLG Karlsruhe NJW-RR 1989, 1333, 1334; OLG München NJW-RR 1986, 604, 605. 41 § 11 Nr. 14 AGBG schützt den Vertreter des Vertragspartners davor, durch eine AGB-Bestimmung entgegen § 164 Abs. 1 BGB in das Vertragsverhältnis zwischen Vertretenem und Verwender als Haftender einbezogen (Nr. 14a) oder als vollmachtloser Vertreter einer über §179 BGB hinausgehenden Haftung unterworfen zu werden (Nr. 14b). 42 Vgl. Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, §9 AGBG Rn.107; Soergel/U. Stein, §9 AGBG Rn. 14; BGH NJW 1989, 2750, 2751. 43 Eingehend Wolf Festschrift für Baur, S. 147, 154ff.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
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Generalklauseln
Zeitpunkt
F ü r die Feststellung einer Benachteiligung k o m m t es im Individualverfahren auf den Zeitpunkt an, zu dem der zu beurteilende Vertrag unter Einbeziehung der A G B abgeschlossen wurde. 4 4 Weder der Zeitpunkt der Aufstellung der Klauseln noch der der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Geschäft oder der gerichtlichen Entscheidung ist von Bedeutung. Einen späteren Zeitpunkt als den des Vertragsabschlusses zu wählen, hieße die Wirksamkeit einer Klausel in der Schwebe zu halten, was unter Rechtssicherheitsaspekten nicht hinnehmbar ist. 45 Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG46 stellt ebenfalls auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ab: »Die Mißbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Artikels 7 unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsabschluß begleitenden Umstände sowie alle anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt.« Insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen ist der Vertragsabschlußzeitpunkt nicht isoliert zu betrachten. Soweit eine Entwicklung im Vertragsverhältnis o b jektiv angelegt ist, ist eine möglicherweise zukünftige nachteilige Entwicklung bei der Beurteilung der Vertragsklausel einzubeziehen. D e r Umstand, daß eine früher aufgenommene A G B - K l a u s e l noch wirksam ist, o b w o h l die Bedingung nunmehr nicht wirksam abgeschlossen werden könnte, mag im Einzelfall zu nicht akzeptablen Ergebnissen führen. D e m läßt sich mit der Anwendung des § 2 4 2 B G B begegnen. Möglich ist unter Umständen die Einwendung eines gegenwärtigen Rechtsmißbrauchs (exceptio doli praesentis). M i t der Berufung auf eine gegenwärtig nicht mehr rechtsordnungskonforme Klausel kann der A G B - V e r wender möglicherweise gegen Treu und Glauben verstoßen. 4 7 Anders stellt sich die Problemlage dar, wenn ein kollektiver Rechtsschutz in Frage steht. Bei dem Verfahren nach den §§ 13 ff. A G B G fehlt es an einer k o n k r e ten Verwendung der beanstandeten Klausel und damit an einem Vertragsabschluß. Sind die Bedingungen einem Einzelfall noch nicht zugrundegelegt w o r den, sind sie gemäß den Umständen im Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung zu bewerten. D e n n nach einem Urteil auf Unterlassung ( § 1 3 Abs. 1 A G B G ) gibt es kein schutzwürdiges Vertrauen des Verwenders mehr. Bei einer späteren A G B Verwendung kann sich der Vertragspartner im Individualprozeß auf die U n w i r k samkeit der A G B berufen, § 21 S. 1 A G B G . Schwieriger zu beurteilen ist die K o n stellation, daß eine Individualverwendung vor dem Unterlassungsurteil 4 8 erfolgt 44 Medicus, NJW 1995, 2577, 2580; Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rn. 74a; Palandt/Heinrichs, §9 AGBG Rn.2; Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, §9 AGBG Rn.53. 45 Medicus, NJW 1995, 2577, 2580. 46 Zur Relevanz der Richtlinie siehe das 4. Kapitel (S. 148ff.). 47 Siehe dazu im vorangegangenen Kapitel (S. 392ff.). 48 §21 AGBG beschreibt einen besonderen Fall der Rechtskrafterstreckung; deshalb und aus Gründen der Rechtssicherheit ist Rechtskraft des Unterlassungsurteils notwendige Voraussetzung; vgl. BT-Drucks. 7/5422, S. 13; Erman/Werner, §21 AGBG Rn.2, 5; Gerlach, in: MünchKommBGB, § 21 AGBG Rn. 6. Davon zu unterscheiden ist der Gegenstand, auf den sich die Bin-
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ist. Erfaßt diese Entscheidung lediglich die Verwendung der Klauseln bei nachfolgenden Vertragsabschlüssen, oder soll sich der Verwender auch für früher abgeschlossene Verträge nicht mehr auf die Bedingungen berufen können? Die Meinungen zu der Frage, ob im Verfahren nach §§ 13 ff. AGBG der Verwender einer unwirksamen Bedingung auch hinsichtlich der noch offenen Abwicklung der bereits abgeschlossenen Verträge auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann, sind geteilt. Zum Teil wird dies bejaht.49 Begründet wird das vor allem damit, daß anderenfalls der mit §§ 13 ff. AGBG bezweckte Rechtsschutz lückenhaft sei. In der Berufung auf die Klausel wird zudem in Ubereinstimmung mit der Rechtsprechung50 eine erneute Verwendung gesehen. Dagegen wird insbesondere eingewandt,51 bereits der Gesetzgeber sei von einer fehlenden Bindungswirkung ausgegangen,52 der Wortlaut ziele auf ein in die Zukunft gerichtetes aktives Tun (die Nicht-mehr-Präsentation übereinstimmender Klauseln) und das Vertrauen des Verwenders werde nicht berücksichtigt. Bezieht sich das Unterlassungsbegehren allgemein auf die Verwendung der fraglichen Klausel und bezieht es laufende Verträge nicht ein,53 überzeugt die letztgenannte Auffassung. Sie vermeidet eine Rückwirkung und wird so dem Vertrauensgedanken gerecht. Maßgeblich sind überdies folgende Erwägungen: Die Rückwirkungslehre darauf hat Gerlach54 eingehend hingewiesen - wird dem Strukturunterschied einer Klauselkontrolle im abstrakten und konkreten Verfahren nicht gerecht. So ist nach §5 AGBG im Individualprozeß bei Zweifeln an der Auslegung von Klauseln zu Lasten des Verwenders zu entscheiden. Im kollektiven Verfahren ist die Unklarheitenregelung umgekehrt anzuwenden. Soweit mehrere Auslegungsalternativen verbleiben, ist von der Auslegung auszugehen, die zur Unwirksamkeit der Klausel führt; maßgeblich ist mithin die scheinbar kundenfeindliche Ausle-
dung erstreckt, und das sind (zumindest, dazu sogleich) Individualrechtsstreitigkeiten aus der Abwicklung von Verträgen, die vom Verwender unter Einschluß Wortlaut- oder inhaltsgleicher Klauseln nach Urteilserlaß geschlossen wurden. Das übersehen Gerlach, a.a.O., § 2 1 A G B G Rn.7, und Werner, a.a.O., § 2 1 A G B G Rn.9. 49 Löwe, in: Löwe/v. Westphalen/Trinkner, § 1 7 A G B G Rn.33, § 2 1 A G B G Rn.20f.; Soergel/ U. Stein, § 1 3 A G B G R n . 1 0 ; Hensen, in: Ulmer/Brandner/Hensen, § 2 1 A G B G Rn.5; B G H N J W 1981, 1 5 1 1 f . ; O L G Frankfurt W M 1989, 1 2 1 1 , 1213. 50 Vgl. B G H N J W 1996, 924; N J W 1994, 2693; N J W 1992, 179; N J W 1981, 1 5 1 1 . 51 Gerlach, in: M ü n c h K o m m B G B , § 2 1 A G B G Rn. 12 (»vertrauenswidrige Rückwirkung«); Erman/Werner, §21 A G B G Rn. 2; Dietlein/Rehmann, § 2 1 A G B G Rn.2; dagegen wohl auch Palandt/Heinrichs, § 2 1 A G B G Rn. 6 a.E. (»jedoch kann der Anwendung des Unterlassungsurteils auf Altverträge der Gedanke des Vertrauensschutzes entgegenstehen«); skeptisch gegenüber der anderen Auffassung auch Medicus, N J W 1995, 2577, 2580; differenzierend Lindacher, in: Wolf/ Horn/Lindacher, § 21 A G B G Rn. 6 (Altverträge nur dann erfaßt, wenn sich die Unterlassung explizit auf das Berufen auf Klauseln in Altverträgen bezieht). 52 BT-Drucks. 7/5422, S. 13; auf die eindeutige historische Lage weist Basedow, A c P 182 (1982), 335, 343 Fn.24, hin. 53 Vgl. Bunte, BB 1981, 1793, 1795. 54 Gerlach, in: M ü n c h K o m m B G B , § 2 1 A G B G Rn. 8ff., m. weit. Nachw.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
gung, denn sie stellt in Wahrheit die dem Kunden günstigere dar. 55 Auch Sinn und Zweck des Verbandsprozesses erfordern keine Rückwirkung auf Altverträge. Die den Verbänden eingeräumte Klagebefugnis soll verhindern, daß sich eine rechtsunkundige Vertragspartei, wenn ihr von dem Verwender eine nach §§ 9ff. A G B G unwirksame Klausel entgegengehalten wird, aus Unkenntnis von vornherein von einer Geltendmachung ihrer Rechte abhalten läßt. Der Rechtsverkehr soll von sachlich unangemessenen Klauseln freigehalten werden. 56 Wenn nun darauf abgestellt wird, dieser Schutz würde nur unvollkommen erreicht, wenn es dem Verwender erlaubt wäre, sich trotz Unterliegens im Verfahren nach §§ 13 ff. A G B G auf eine unwirksame Klausel zu berufen, ist auch die Rückwirkung praktisch wenig effizient. Die Klauseln liegen dem Rechtsverkehr bereits zugrunde und werden bei der Abwicklung von Altverträgen von Kunden dann berücksichtigt werden, wenn dem Verwender nicht aufgegeben wird, die Vertragspartner über die nunmehr geltenden neuen Abwicklungsregeln zu informieren. Dem Sinn und Zweck des Verbandsverfahrens, den Rechtsverkehr vor der Abwicklung von Verträgen mit unangemessenen Klauseln zu bewahren, wird deswegen der Rückwirkungsansatz ebensowenig gerecht. Marktregulation läßt sich bei Altverträgen nicht auf diese Weise erreichen; rechtliche wie praktische Gründe sprechen gegen eine Erstreckung auf Verträge, die vor Rechtskraft des Unterlassungsurteils abgeschlossen wurden. 5 7 c) Kompensation aa)
durch einen Vorteil
Grundsatz
Die Diagnose einer Benachteiligung ist nicht nur abhängig von dem Zeitpunkt, sondern auch von einer Würdigung des gesamten erheblichen Vertragsinhalts. 58 Die Klausel ist nicht isoliert zu betrachten, sondern mit Rücksicht auf den Vertragszweck unter Einbeziehung der weiteren Vertragsbedingungen zu beurteilen. Bedingungen, die für sich genommen nicht als Benachteiligung erscheinen, können eine Summierungswirkung entfalten und in der Gesamtwirkung nachteilig sein. 59 Gleichermaßen kann der in einer Bedingung liegende Nachteil unter U m ständen durch eine vorteilhafte Klausel derart kompensiert werden, daß insgesamt eine Benachteiligung entfällt. 60 Die Benachteiligung ist durch einen Ver55
Dazu B G H NJW 1994, 1062; B G H Z 119,152,172; B G H Z 108, 52, 56; B G H Z 104, 82, 88; B G H Z 100, 157, 178. 56 Vgl. Lindacher, in: Wolf/Horn!Lindacher, Vor §13 A G B G Rn.7ff., §13 A G B G Rn.lf.; B G H N J W 1990, 318; B G H Z 92, 24, 26. 57 Gerlach, in: MünchKommBGB, §21 A G B G Rn. 13. 58 Zur Gesamtwürdigung Niebling, BB 1992, 717ff.; Bunte, Festschrift für Korbion, S. 17ff. 59 B G H N J W 1995, 254 (Vorauszahlungsklausel in Kumulation mit Aufrechnungsverbot); N J W 1993, 532 (Summierungseffekt bei Schönheitsreparaturen); N J W 1983, 159 (Bestimmungen im Automatenaufstellungsvertrag). 60 B G H N J W 1982, 644 (Kompensation des den Einzelhändler belastenden Dispositionsrechts des Großhändlers durch ein Remissionsrecht des Einzelhändlers); NJW-RR 1991, 570, 572 (Einräumung einer Transportversicherung anstelle der in §§ 39—41 ADSp vorgesehenen Speditionsversicherung); BayObLG NJW-RR 1987, 1300 (Schönheitsreparaturen).
10. Kapitel:
Angemessenheitskontrolle
439
gleich mit dem gesetzlichen Leitbild zu ermitteln. U m eine Übereinstimmung mit der Ausgangsbasis sicherzustellen sowie um die Günstigkeit und Vorteilhaftigkeit einer bestimmten Abrede in die richtige Relation zu ungünstigen, nachteiligen Klauseln zu setzen, müssen die Strukturen der zu vergleichenden Klauseln kompatibel sein. Die Vergleichbarkeit der positiven wie negativen Bedingungen miteinander sowie mit dem gesetzlichen Grundmodell ist abhängig von der Funktionsadäquanz der Regelungen. Zu vergleichen sind die Klauselkomplexe, die sich auf einen k o n kreten sachlich umgrenzten Interessenausgleich beziehen. Ausgleichsvoraussetzung ist ein innerer Zusammenhang der Bedingungen. 6 1 D i e Gegenauffassung, die für eine unbeschränkte Kompensation nachteiliger durch vorteilhafte Bestimmungen eintritt, 6 2 ignoriert nicht nur die Entstehungsgeschichte des A G B - G e s e t zes. 63 Die uneingeschränkte Akzeptanz des Kompensationseinwandes widerspricht dem Interesse der Vertragspartner. Gegenstand des Individualprozesses ist die Rechtmäßigkeit einer konkreten Klausel. D i e Berücksichtigung von Klauseln außerhalb des durch die angegriffene Klausel repräsentierten Interessenfeldes verbessert die Rechtslage allein theoretisch. Praktisch hilft die Besserstellung in einem fernliegenden Regelungsbereich, der unter Umständen für die Realisierung des konkreten Vertrages bedeutungslos ist, nicht weiter. N u r durch die L i mitierung des Kompensationseinwandes kann verhindert werden, daß der A G B Verwender nachteilige Klauseln, die für die Vertragsabwicklung von essentieller Bedeutung sind, mit vorteilhaften Regelungen, die für die konkrete Vertragsabwicklung bedeutungslos sind, ausgleicht. Sachgerecht ist es deshalb, nur zwischen zweckkongruenten allgemeinen Geschäftsbedingungen einen Ausgleich zuzulassen. Lediglich Klauseln, die in einem sachlichen Zusammenhang stehen, erlauben eine Kompensation. bb) Kollektiv ausgehandelte
Klauselwerke
Besonderes gilt für kollektiv ausgehandelte allgemeine Geschäftsbedingungen. H i e r ist auf eine Gesamtbilanz der beiderseitigen Interessen abzustellen. D i e Nachteile innerhalb eines Interessenfeldes können durch Vorteile nicht kongruenter Vertragsteile ausgeglichen werden. G r u n d dieser Privilegierung ist das Aushandeln durch beide Vertragsseiten und die in der Branche allgemeine Anerkennung. Eine bloße Beteiligung oder Anhörung der Gegenseite genügt nicht. 6 4 Wie 61 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 301; Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rn.85; Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacker, §9 AGBG Rn.78, 134; Erman/Hefermehl, §9 AGBG Rn. 14; Soergel/U. Stein, §9 AGBG Rn.6, 29ff.; Kotz, in: MünchKommBGB §9 AGBG Rn.4, 6ff.; Palandt/Heinrichs, § 9 AGBG Rn. 10; BGH NJW 1991, 1888; BGHZ 101,357, 366; BGHZ 82, 238, 240. 62 v. Hoyningen-Huene, Inhaltskontrolle, Rn. 174. 63 Der Gesetzgeber ging von einer Komplexkompensation aus; ausführlich Bunte, Festschrift für Korbion, S. 17, 21 f. Bunte weist zudem darauf hin (S. 22 f.), daß eine Gesamtinteressenbilanz für die Gerichte eine »kaum zu bewältigende Aufgabe« (Lieb, AcP 178 (1978), 196,223) darstelle. 64 BGHZ 113,55,57 (Überlassung von DV-Programmen); BGHZ 101,307,314 (Kfz-Reparaturbedingungen).
440
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
bei den V O B / B und den ADSp muß es sich um Regelwerke handeln, die unter Mitwirkung der betroffenen Wirtschaftskreise zustande gekommen sind und über einen längeren Zeitraum weitgehende Anerkennung unter den Beteiligten gefunden haben.65 Voraussetzung ist, daß diese Regelwerke als Ganzes dem Vertrag zugrunde gelegt werden. Nur so ist die Homogenität der Bestimmungen gewahrt; nur im Ganzen stellen beispielsweise V O B / B oder ADSp ein ausgeglichenes, den Interessen beider Vertragsseiten gerecht werdendes und an den Erfahrungen der Praxis ausgerichtetes Vertragswerk dar. Die Klauselwerke sind dann nicht mehr als Ganzes vereinbart, wenn durch vorformulierte Vertragsbedingungen oder auch durch Individualabreden in das harmonische Gesamtgefüge derart eingegriffen wird, daß dadurch deren ausgewogenes und gerechtes Zusammenspiel beeinträchtigt wird. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn grundlegende Rechte und Pflichten der Vertragspartner verändert und dadurch ihr Gleichgewicht erheblich gestört wird. Demzufolge vermag die isolierte Vereinbarung der Gewährleistungsvorschriften des §13 V O B / B in vorformulierten Vertragsbedingungen des Auftragnehmers der Kontrolle durch das AGB-Gesetz nicht Stand zu halten, da diese Regelung gegen §11 Nr. 1 Of A G B G verstößt und die Privilegierung des §23 Abs. 2 Nr. 5 A G B G mangels Vereinbarung der V O B / B als Ganzes nicht zur Anwendung kommt. 66 Vor allem umfangreiche zusätzliche Vertragsbedingungen bergen die Gefahr einer geänderten Risikoverteilung und damit eines gestörten Vertragsgefüges, so daß dadurch die Privilegierung entfallen kann. D e r B G H zieht zur Beurteilung der Frage, ob die Klauselwerke noch als Ganzes vereinbart sind, auch solche Klauseln heran, die ihrerseits gegen das A G B G verstoßen und deshalb unwirksam sind. 67 Konsequenz ist, daß die einzelnen VOB-Regelungen sodann einer isolierten Inhaltskontrolle unterzogen werden. Einer solchen isolierten Prüfung haken manche VOB-Klauseln nicht stand. 68 Zu bedenken ist allerdings, ob nicht - entgegen der Rechtsprechung - in den Fällen, in denen die abweichende Klausel selbst nach § § 9 - 1 1 A G B G unwirksam ist und daneben die V O B / B als Gesamtkomplex vereinbart sind, trotz dieser Klausel die V O B / B insgesamt gelten. Dies wird dann in Betracht kommen, wenn neben dem Klauselwerk zusätzlich eine Bedingung aufgenommen wird, die zwar unwirksam ist, die V O B / B aber ansonsten unberührt läßt. Ein Eingriff in den Kernbereich ist hier in der Regel nicht anzunehmen. Anders liegt es, wenn die beanstandete Klausel die V O B / B selbst modifiziert hat und bei Unwirksamkeit nicht von einer Vereinbarung der allgemeinen Bedingungen ausgegangen werden kann. In dieser Fallkonstellation handelt es sich um einen Eingriff in den Kernbereich mit der Folge, daß nunmehr die einzelnen Regelungen isoliert einer Angemessenheitskontrolle zu unterziehen sind. Entgegen der Auffassung des B G H ist eine differenzierte Sicht dieses Problemkomplexes angezeigt.
6 5 B G H Z 86, 135, 141; B G H Z 127, 275, 281 (»allgemein geregelte Vertragsordnung«, »fertig bereitliegende Rechtsordnung«). 6 6 B G H ZfBR 1990, 70, m. weit. Nachw. 6 7 Vgl. B G H BauR 1995, 234, m. weit. Nachw. 6 8 B G H ZfBR 1990, 272 (§16 Nr. 6 S.l VOB/B); ZfBR 1991, 146 (§2 Nr. 8 Abs. 2 V O B / B ) .
10. Kapitel: Angemessenheitskontrolle
cc) Äquivalenz
kompensierender
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Komplexe
Eine erfolgreiche Kompensation von Vor- und Nachteilen setzt - sei es im Rahmen zueinander im Wechselverhältnis stehender Regelungskomplexe, sei es bei der Gesamtbilanz kollektiv ausgehandelter Bedingungen - voraus, daß Vor- und Nachteilen in etwa gleiches Gewicht zukommt. Kundenbegünstigende und kundenbenachteiligende Klauseln müssen derart in einem Äquivalenzverhältnis stehen, daß im Vergleich zum gesetzlichen Leitbild eine Divergenz ausgeschlossen ist. Eine andere Frage ist, ob durch die Gestaltung der Hauptleistungspflichten, insbesondere durch einen etwaigen Preisvorteil, eine Kompensation nachteiliger Vertragsklauseln möglich ist. Abhängig ist dies zunächst davon, inwieweit finanzielle Aspekte zweckkongruent sind. Handelt es sich - wie häufig bei synallagmatischen Verträgen - um kommerzialisierbare Interessen, wird regelmäßig davon auszugehen sein, daß eine rechtlich nachteilige Konstruktion, zum Beispiel ein eingeschränktes Gewährleistungsrecht, gegebenenfalls durch einen Preisvorteil aufgewogen werden kann. Von Konnexität kann deshalb in der Mehrzahl der Fälle durchaus ausgegangen werden. Es ist allerdings in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der geldwerte Vorteil ein ausreichendes Äquivalent darstellt. Und das wird in der Regel zu verneinen sein.69 Die dem einzelnen Kunden drohenden rechtlichen Nachteile stehen außer Verhältnis zu einem geringfügig gesenkten Preis. Das Risiko, aufgrund eines weitgehenden Haftungsverzichts für fremdverursachte Schäden selbst einstehen zu müssen, wird durch eine Preisminderung nicht kompensiert. Ergänzend tritt hinzu, daß die Behauptung des AGB-Verwenders, die Risikoverlagerung sei durch die Preiskalkulation angemessen ausgeglichen, objektiv kaum nachprüfbar ist. Wegen der Vielfalt der preisgestaltenden Faktoren in einer marktwirtschaftlichen Ordnung fehlt es in aller Regel an einer Bezugsgröße, weshalb sich die Bestimmung eines Preisvorteils grundsätzlich einer rechtlichen Wertung entzieht.70 Preiskalkulatorische Erwägungen sind somit nur in Ausnahmefällen von Relevanz, nämlich dann, wenn neben den Preisnachlaß besondere Umstände treten, die eine Risikoverlagerung nicht als Nachteil erscheinen lassen. Im Vordergrund stehen hier die besonderen Umstände, das Preisargument tritt lediglich ergänzend hinzu.71 Eine solche für die Vertragskontrolle bedeutsame Gemengelage ist möglicherweise dann anzunehmen, wenn es auf die Bestimmung eines gerechten Preises und die Prüfung, ob die vereinbarte Gegenleistung derart ausreichend niedriger ausfällt, daß dem Kunden die Hinnahme einer benachteiligenden Klau69 Becker, Auslegung, S. 69f.; Dietlein!Rebmann, § 9 AGBG Rn. 12; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 302ff.; Fischer, BB 1957,481,485; Raiser, Recht, S. 289f.; Wolf, in: Wolf/Horn!Lindacher, § 9 AGBG Rn. 137; Kotz, in: MünchKommBGB, § 9 AGBG Rn. 7; siehe auch Brandner, in: Ulmerl Brandner/Hensen, § 9 AGBG Rn. 78 ff.; seit BGHZ 22,90,98 ständige Rspr., vgl. nur BGH NJW 1993, 2442, 2444; OLG München NJW-RR 1993, 736; OLG Hamm NJW-RR 1990, 567, 569; OLG Karlsruhe NJW-RR 1989, 243, 244; OLG Frankfurt NJW-RR 1987, 548, 549. 70 Ausführlich Kliege, Rechtsprobleme, S.48ff. 71 Erman/Hefermehl, § 9 AGBG Rn. 16; Kötz, in: MünchKommBGB, § 9 AGBG Rn. 8; Soergel/U. Stein, §9 AGBG Rn.28 a.E.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
sei zumutbar ist, nicht ankommt, vielmehr eine bestimmte Vertragsart typischerweise ohne die fragliche Klauselgestaltung nicht wirtschaftlich realisierbar wäre und das Interesse des Kunden an der Leistung zu einer tragbaren Gegenleistung die durch die Risikoüberwälzung beeinträchtigten Interessen offensichtlich deutlich überwiegt. Maßgeblicher Gesichtspunkt ist die Versicherbarkeit eines Risikos. Führt eine Abwägung zu dem Resultat, daß ein konkretes Risiko nach Lage des Falles besser vom Vertragspartner durch eine Versicherung abgedeckt werden kann und sich eine deshalb konstituierte kundenungünstige Klausel typischerweise auf den Preis niederschlägt, kann unter Umständen die Benachteiligung im Vergleich zum gesetzlichen Leitbild ausgeglichen sein. D i e Benachteiligung des Vertragspartners muß durch das Zusammentreffen der Faktoren Versicherbarkeit und Preiskalkulation im Ergebnis aufgehoben und der Vertragspartner gegenüber der G r u n d k o n z e p t i o n nicht schlechter gestellt sein. 72 Ein Aquivalenzverhältnis besteht, wenn der Preisvorteil den Versicherungskosten entspricht. Zwei Fallgrappen, Dienst- und Sachleistungsgestaltungen, sind zu unterscheiden: I m Dienstleistungssektor kann in der Regel der Vertragspartner das Schadensrisiko adäquat durch eine Sachversicherung abdecken. Haftungsausschlüsse in den Grenzen des § 11 Nr. 7 A G B G können deshalb im Einzelfall unter U m s t ä n den dann nicht nachteilig sein, wenn dem Verwender durch die Versicherbarkeit des Risikos durch den Kunden ein unkalkulierbares eigenes Risiko abgenommen wird. Hier ist also auch der Gesichtspunkt der Risikobeherrschung zu berücksichtigen. Dementsprechend hat der B G H im Dienstleistungssektor, insbesondere bei Bewachung und Reparatur von Kraftfahrzeugen und Schiffen, einen Nachteilsausgleich aufgrund besserer Versicherbarkeit angenommen. D e r A b schluß einer Sachversicherung sei effizienter als der einer Haftpflichtversicherung durch den Dienstverpflichteten. 7 3 Findet der Aspekt der Versicherbarkeit in der Preisgestaltung seinen Niederschlag, kann je nach Relation im Einzelfall eine nachteilige Klausel kompensiert sein. I m Sachleistungsbereich, also bei der Herstellung und dem Vertrieb von P r o dukten und dem Betrieb von technischen Geräten, ist es im allgemeinen Sache des A G B - V e r w e n d e r s , das Sachrisiko durch eine Haftpflichtversicherung abzudekken. H i e r können die Schadensrisiken vom A G B - V e r w e n d e r kontrolliert und abgesichert werden. 7 4 Dementsprechend ist es für die Betreiber einer Waschanlage oder eines Reinigungsbetriebes nicht möglich, das Schadensrisiko unter Hinweis auf die Versicherbarkeit seitens des Kundens auf den Vertragspartner zu übertragen. H i e r ist es für den Kunden unökonomisch, für den A G B - V e r w e n d e r hingegen ohne weiteres möglich, eine entsprechende Versicherung abzuschließen. D e r
BGHZ 114, 238, 246; BGHZ 103, 316, 321 ff. BGH NJW 1973,1878; BGHZ 103, 316,326f.; NJW 1968,1718,1720; BGHZ 38,183, 186; BGHZ 33, 216, 219f. 74 Erman/Hefermehl, §9 AGBG Rn. 17; v. Hoyningen-Huene, Inhaltskontrolle, Rn.216; Kötz, in: MünchKommBGB, §9 AGBG Rn.8; ders., NJW 1984, 2447; Koller, ZIP 1986, 1089; BGH NJW-RR 1989, 955. 72
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10. Kapitel:
Angemessenheitskontrolle
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Betreiber der Anlage kann besser als der Vertragspartner das Schadensrisiko durch Abschluß entsprechender Versicherungen abdecken. 7 5 In der Praxis finden sich zudem Vertragsgestaltungen, die dem Kunden die Wahl eröffnen zwischen höherem Preis bei voller Haftung und niedrigerem Preis bei reduzierter Haftung aufgrund einer Freizeichnungsklausel. Z u m Teil ist vorgeschlagen worden, die Möglichkeit der Tarifwahl aus dem Anwendungsbereich des A G B - G e s e t z e s herauszunehmen und als Individualvereinbarung anzusehen. Begründet wird das damit, daß die freie Wahl zwischen im Vergleich zum gesetzlichen Modell neutralen und benachteiligenden Bedingungen das Merkmal des Aushandelns und nicht des Stellens von Vertragsbedingungen erfüllt. 7 6 § 1 Abs. 1 S. 1 A G B G erhebt das Merkmal »Stellen« zum Bestandteil der A G B - D e f i n i t i o n und stellt ihm als Gegenstück das »Aushandeln« im Sinne von § 1 Abs. 2 A G B G gegenüber. E i n Stellen von Klauseln ist dann anzunehmen, wenn eine Vertragsseite die B e dingungen derart in die Vertragsverhandlungen einführt, daß der Gegenseite keine reale Möglichkeit zum Aushandeln bleibt. Das Stellen findet dort seine G r e n ze, w o das Aushandeln beginnt. Das Aushandeln im Sinne des § 1 Abs. 2 A G B G setzt neben der Einverständniserklärung, die notwendigerweise die Voraussetzung für die Vereinbarung von allgemeinen Geschäftsbedingungen bildet, grundsätzlich einen besonderen rechtsgeschäftlichen Tatbestand voraus: D e r Verwender m u ß ernsthaft und tatsächlich bereit sein, über das von ihm formulierte Klauselwerk zu verhandeln und es gegebenenfalls 7 7 auch abzuändern. Zur Disposition gestellt sein muß der v o m gesetzlichen Leitbild abweichende kontrollrelevante Teil der Geschäftsbedingungen. N e b e n dem Willen des Verwenders zu K o n z e s sionen sind auf Seiten des Vertragspartners das Bewußtsein dieser Möglichkeit und daraus entspringende tatsächliche Verhandlungen erforderlich. 7 8 Ein Aushandeln scheidet aus, wenn der Vertragspartner von der inhaltlichen Einflußmöglichkeit keinen Gebrauch macht. Das heißt nicht, daß ein Aushandeln nur dann zu bejahen ist, wenn die Bedingungen tatsächlich abgeändert werden, sondern nur, daß der Kunde selbstverantwortlich auf das Verhandlungsansinnen eingeht. 7 9
75 BGH NJW 1980,1953; KG NJW-RR 1991, 699; OLG Köln BB 1982, 638; LG Essen NJWRR 1987, 949; AG Düsseldorf NJW-RR 1989, 497, 498. Gleiches gilt bei Beratungsleistungen; auch hier ist es Sache des Steuerberaters, Rechtsanwalts oder Architekten, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Im ärztlichen Bereich ist Versicherungsschutz für die punktuelle Behandlung seitens des Patienten kaum möglich, während für die Verwenderseite Haftpflichtversicherungsschutz ohne weiteres zu erlangen ist. 76 So insbesondere Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 305. 77 Der Bestimmungskatalog muß potentiell zur Disposition stehen, BGH NJW 1992, 1107, 2759. 78 Allgemein BT-Drucks. 7/3919, S. 15ff.; Erman/Hefermehl,% 1 AGBG Rn. 12ff., 21 ff.; Ulmer, in: Ulmerl Brandneri Hensen, § 1 AGBG Rn. 26ff., 45ff.; Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, § 1 AGBG Rn.27ff., 33ff. 79 Wolf, NJW 1977,1937,1938ff.; Roth, BB 1992, Beil. 4, S. 1,12; Ulmer, in: Ulmerl Brandneri Hensen, § 1 AGBG Rn.48; Erman/Hefermehl, § 1 AGBG Rn.24; a.A. v. Westphalen, DB 1977, 943, 946.
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3. Teil: Inhaltskontrolle durch
Generalklauseln
Der Vertragspartner muß die Regelung inhaltlich in seinen rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillen aufgenommen haben.80 Individualvereinbarungen können dem Vertragspartner nicht »aufgedrängt« werden, da er dadurch den Schutz des AGB-Gesetzes verlieren würde. Maßgebliches Kriterium des § 1 Abs. 2 AGBG ist die reale selbstverantwortliche Gestaltungsmöglichkeit zur Wahrung eigener berechtigter Belange. Dementsprechend sind Bedingungen dann nicht ausgehandelt, wenn der Kunde nur die Wahl hat, entweder die gestellten Bedingungen unverändert anzunehmen oder ganz vom Vertrag Abstand zu nehmen.81 »Aushandeln« muß dem Kunden die Möglichkeit eröffnen, auf den Vertragsinhalt eigenen Vorstellungen gemäß Einfluß zu nehmen. Diese potentielle Mitgestaltung fehlt, wenn der Vertragspartner nur zwischen zwei (oder mehreren) Klauselwerken wählen kann. Die selbstverantwortliche Interessenwahrnehmung bleibt eingeschränkt. Das ausgewählte Klauselpaket enthält trotz der Ausübung des Wahlrechts allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 1 Abs. 1 AGBG. 82 Das Problem der Tarifwahl ist mithin bei § 9 AGBG zutreffend angesiedelt. 83 Damit bleibt die Ausgangsfrage zu beantworten, ob die Einräumung eines Wahlrechts zwischen einer am gesetzlichen Leitbild orientierten hochpreisigen Vertragsgestaltung und einer zu einem niedrigeren Preis mit einer zu Lasten des Vertragspartners vom Leitbild abweichenden den Nachteil ausgleicht. Die überwiegende Auffassung 84 bejaht dies im Ergebnis zu Recht, übersieht allerdings bei der Begründung im Detail wichtige Aspekte. Auch hier ist zu berücksichtigen, daß die Preisgestaltung als marktbestimmter und marktabhängiger Faktor grundsätzlich ohne Belang für die Nachteilslokalisierung ist. Nur unter engen Voraussetzungen kann in Ausnahmefällen die Tarifwahlargumentation zum Nachteilsausfall führen. 85 Ein bloß formales oder auf Nachfrage mitgeteiltes Angebot einer Alternative genügt nicht. Dem Vertragspartner müssen von Anfang an zwei Vertragsgestaltungen offeriert worden sein, zwischen denen er unbeeinflußt wählen kann. Voraussetzung ist zudem eine finanzielle Balance der Gesamtkostenbelastung der zur Wahl gestellten Konditionen. Die Preisdifferenz muß der Kostenbelastung entsprechen, die anfällt, um ein Risiko finanziell abzudecken. Steht wie häufig - eine Haftungsfreizeichnung zur Disposition, ist ein am Markt verVgl. BGH NJW 1991, 1678. BGH NJW 1991, 1678; NJW 1988, 410. 82 Sonnenschein, NJW 1980,1489,1492; Kötz, in: MünchKommBGB § 1 AGBG Rn.23; siehe auch BGH NJW 1996,1676,1677; NJW 1992,503,504,1107,1108; differenzierend (bei Alternativen für einzelne Klauseln) Dietlein/Rehmann, §1 A G B G Rn. 10; Staudinger/Schlosser, §1 A G B G Rn. 30. 83 Dagegen Fastrich, Inhaltskontrolle, S.305. 84 Kötz, in: MünchKommBGB, §9 AGBG Rn.9; v. Hoyningen-Huene, Inhaltskontrolle, Rn. 182; Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, § 9 A G B G Rn. 112,152; Erman/Hefermehl, § 9 A G B G Rn. 16; Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, § 9 A G B G Rn. 138; BGH NJW 1980,1953,1955. 85 Zu Recht zurückhaltend deshalb A G Düsseldorf NJW-RR1989,497,498; A G Memmingen NJW-RR 1988, 380, 381; berechtigte Kritik gegen eine zu extensive Zulassung der Entgeltargumentation auch bei v. Hoyningen-Huene, Inhaltskontrolle, Rn. 185ff. 80 81
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Angemessenheitskontrolle
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fügbares Absicherungsangebot erforderlich, das in der Höhe dem Preisnachlaß entspricht. Nur in diesem engen Rahmen, der die Vergleichbarkeit der Konditionen gewährleistet, kann ein Wahlrecht zwischen unterschiedlichen Klauselwerken zu verschiedenen Preisen eine ursprünglich benachteiligende Bedingung durch einen funktionell entsprechenden Preisnachlaß ausgleichen. Ermangelt es an einer eindeutigen finanziellen Äquivalenz oder bleibt der (für die Differenzsumme) marktverfügbare Versicherungsschutz hinter den Vorgaben der gesetzlichen Vergleichsbasis zurück, ist eine Benachteiligung zu registrieren. d) Verstoß gegen Treu und Glauben aa) Wesentlicbkeit der Benachteiligung Die Abweichung allgemeiner Geschäftsbedingungen vom gesetzlichen Leitbild führt für sich genommen nicht zur Unwirksamkeit der Klauseln im Wege der Angemessenheitskontrolle. § 9 A G B G als Grundlage und Rahmen der Angemessenheitsprüfung von standardisierten Klauselwerken setzt eine nach Treu und Glauben unangemessene Benachteiligung voraus. Bereits die Formulierung 86 deutet darauf hin, daß nicht jeder Regelung zu Lasten des Vertragspartners die Anerkennung der Rechtsordnung zu versagen ist. Die Benachteiligung muß gegen Treu und Glauben verstoßen, mithin von nicht unerheblichem Gewicht sein, um die Unwirksamkeitsfolge zu rechtfertigen. Die grammatische Interpretation wird von der historischen Zielrichtung gestützt.87 Die ursprünglich vorgesehene Wendung, die noch einen angemessenen Interessenausgleich für die Wirksamkeit von A G B forderte, wurde zugunsten der Formulierung »unangemessen benachteiligen« gestrichen. Zweck war es auszudrücken, daß allein eine »Benachteiligung von erheblichem Gewicht« 88 eine Angemessenheitsprüfung erlaubt. Dies deckt sich mit den allgemeinen Grundsätzen der Vertragskontrolle. Ziel der Rechtsordnung ist es nicht, den Gestaltungsspielraum auf Null zu reduzieren und die Vertragsfreiheit in ein Ordnungssystem einzubetten, in dem gleichförmig das dispositive Recht als maßgebliches gesetzliches Ausgleichsmodell umzusetzen ist. Letztlich würde das bedeuten, die abdingbaren Regelungen zu zwingenden zu erheben. Ein optimaler Interessenausgleich ist deshalb entbehrlich; §9 Abs. 1 A G B G räumt dem AGB-Verwender einen Regelungsspielraum ein. Eine angemessene Benachteiligung ist aus dem Blickwinkel der Kontrolle nach § 9 A G B G nicht zu beanstanden. Die Toleranzschwelle ist erst dann überschritten, wenn eine Benachteiligung in einem eklatanten Maß festzustellen ist.89 GeringfüAllgemein zum Aussagegehalt der Wortkombination im 9. Kapitel (S. 395f.). Zur Entstehungsgeschichte Hensen, Festschrift für Heinrichs, S.335ff.; speziell zu § 9 AGBG Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, § 9 AGBG Rn.7, m. weit. Nachw. 88 BT-Drucks. 7/5422, S. 6. 89 Fastrich, Inhaltskontrolle, S.299; Heinrichs, Zehn Jahre AGB-Gesetz, S.23, 27; Locher, Recht, S. 141; v. Hoyningen-Huene, Inhaltskontrolle, Rn. 143; die Rechtsprechung legt zwar vordergründig ebenfalls einen strengen Maßstab an, setzt sich aber in der Praxis gelegentlich darüber hinweg und nimmt bei einer Divergenz vom gesetzlichen Leitbild stellenweise vorschnell 86 87
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Generalklauseln
gige, unerhebliche oder unwesentliche Benachteiligungen sind v o m Vertragspartner zu tragen. Gestützt wird das Ergebnis von dem gesetzlichen Rekurs auf Treu und Glauben. Wie ausgeführt, ist die v o m Gesetzgeber damit ausgedrückte E i n griffsschwelle hoch anzusetzen. Die Rechtsprinzipien Selbstbestimmung und Selbstverantwortung sprechen dafür, die Schwelle für nicht mehr tolerierbare Ausgestaltungen allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht zu niedrig anzusetzen. N u r diese - in der Praxis nicht immer beachtete - Grenzziehung wird dem Primat der Vertragsfreiheit gerecht. U n t e r Berücksichtigung dieser Prämisse ist - wie regelmäßig - eine Vertragskontrolle zurückhaltend vorzunehmen, § 9 A G B G restriktiv auszulegen und anzuwenden. bb)
Interessenabwägung
D i e Unangemessenheit einer Benachteiligung ist mittels einer Abwägung der Interessen der Vertragspartner zu bestimmen. Dabei spielen Treu und Glauben eine essentielle Rolle, so daß die diesbezüglich gefundenen Ergebnisse hier zur A n wendung k o m m e n können. Vorab hat eine Analyse der Parteiinteressen zu erfolgen. I m Individual- wie im Verbandsklageverfahren findet die Prüfung der Klauselangemessenheit anhand eines generell-typisierenden Maßstabes statt. F ü r Analyse wie Beurteilung der Angemessenheit k o m m t es nicht auf die individuellen Interessen des konkret am Vertrag Beteiligten an, sondern auf die Interessen der typischerweise an einem Geschäft dieser A r t teilnehmenden Verkehrskreise der Kunden. Generell-typisierend sind allein die Interessen des Vertragspartners zu erfassen, weil sich auf ihn allein die Vertragskontrolle bezieht. Die Intentionen des Verwenders sind hingegen individuell zu bestimmen - er hat die Bedingungen spezifisch auf seine Geschäfte zugeschnitten - und in ihrem konkreten Gehalt in die Abwägung einzustellen. D e n individuellen Interessen des Verwenders sind die überindividuellen legitimen Interessen des Vertragspartners im H i n b l i c k auf den betreffenden Geschäftstyp gegenüberzustellen. D e r Vergleichsmaßstab ist generell-typisierend auszurichten, weil Rechtfertigungsgrund der Angemessenheitskontrolle unter anderem der abstrakt-generelle Charakter der grundsätzlich für eine Vielzahl von Fällen konzipierten Klauselwerke ist. 9 0 Leitbild der Angemessenheitskontrolle ist insbesondere das dispositive R e c h t (vgl. § 6 Abs. 2, § 8 A G B G ) , dem ebenfalls eine allgemeine Sicht zugrunde liegt. Die Angemessenheitskontrolle kann keinen weitergehenden Schutz bieten; nicht ein individueller
Unangemessenheit an, vgl. einerseits (strenge Prüfung) BGH NJW 1992, 1628, 1630; OLG Hamm NJW 1981, 1049, 1050; andererseits BGHZ 91, 316, 319; kritisch ebenfalls Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 299 (»geradezu pedantische Urteile«). 90 Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rn. 73; Kotz, in: MünchKommBGB, §9 AGBG Rn.5f.; Wolf, in: Wolf/Horn!Lindacher, §9 AGBG Rn.51; ebenso Art.4 Abs.l der Richtlinie 93/13/EWG (dazu Wolf, a.a.O., Art.4 Rn. 3); BGH NJW 1996,2156; NJW 1990,1601, 1602; wohl auch OLG München NJW-RR 1990,1016f.; a.A. Schmidt-Salzer, JZ 1995,223 f. (unter Berufung auf europarechtliche Aspekte, insbesondere Art.4 der EG-Richtlinie).
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Konflikt steht zur Entscheidung an, sondern ein generelles Abweichen vom gesetzlichen Leitbild. Dementsprechend hat die Interessenabwägung im Sinne des § 9 A G B G die äußeren Umstände insoweit außer Betracht zu lassen, als sie nur für die Schutzbedürftigkeit des individuellen Vertragspartners und nicht der beteiligten Verkehrskreise relevant sind. Bei der Beurteilung der Willensbildung des Vertragspartners sind nur die vertragsfernen Umstände zu berücksichtigen, die sich verallgemeinerungsfähig für alle nicht fernliegenden Konstellationen aus der Art des Rechtsgeschäfts ergeben. 91 Die Systematik der Angemessenheitskontrolle allgemeiner G e schäftsbedingungen nimmt - abgesehen vom Sonderfall des §24a Nr. 3 A G B G auf eine konkret fehlerhafte Willensbildung nur bei §§ 2 - 4 A G B G Rücksicht. Der Schutz des Vertragspartners erfolgt im Vergleich zum typischen Regelungsmodell des Gesetzes; verhindert werden soll eine Benachteiligung des typischen Vertragsgegners. Individuelle Aspekte sind lediglich bei der Einschätzung der Interessenlage des Verwenders berücksichtigungsfähig. 92 Die generelle Prüfung ist auf die jeweiligen typischen Durchschnittskunden des jeweiligen Verwenders zu beziehen. Bedient ein AGB-Verwender diversifizierte Kundenkreise, die sich in ihrem typisch-abstrakten Gepräge unterscheiden, so ist für jede Gruppe ein Maßstab festzulegen. Konsequenterweise können derart gebildete Unangemessenheitsgrenzen dazu führen, daß identische Klauselwerke eines einzelnen Verwenders im Verhältnis zu einer Kundengruppe wirksam, hinsichtlich anderer Geschäftspartner unwirksam sind. 93 D e r überindividuelle Prüfungsmaßstab ist sodann an das konkret zu beurteilende Vertragsverhältnis anzulegen. Unter Berücksichtigung von Treu und Glauben unangemessen sind die Benachteiligungen, bei denen der Verwender überwiegend seine eigenen Interessen verfolgt und keine hinreichende Rücksicht auf die Interessen des anderen Vertragspartners nimmt. Der Verwender von allgemeinen Geschäftsbedingungen darf nämlich in dem von ihm aufgestellten Klauselwerk nicht allein seine eigenen Interessen durchsetzen, sondern muß die schutzwürdigen Belange des Vertragspartners in entsprechendem Rahmen berücksichtigen. 94 Als rechtlich anerkennenswerte Interessen kommen auf Seiten des Vertragspartners insbesondere die mit den allgemeinen Rechtsprinzipien beschriebenen Umstände in Betracht. So hat der Verwender bei der Abfassung der allgemeinen Geschäftsbedingungen den Schutz der elementaren Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ebenso zu wahren wie das Interesse am Selbstbestimmungs- und Selbstverantwortungsrecht. 95 Zu den letztgenannten Interessen zählt, nicht an die Rechtsfolgen von Erklärungen gebunden zu sein, die ein anderer mit Wirkung für den Vertragspartner gegenüber Großzügiger Basedow, AcP 182 (1982), 335, 356; Roussos, J Z 1988, 997, 1002. Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 311. 93 B G H N J W 1990, 1601, 1602. 94 Erman/Hefermehl, § 9 A G B G R n . l l ; Brandner, in: UlmerlBrandneriHensen, §9 A G B G Rn. 70; B G H N J W 1990, 3197, 3198; N J W - R R 1990, 1075; N J W 1986, 424. 9 5 B G H N J W 1989, 2383, 2384; näher zu den Grundwerten im 7. Kapitel (S.336ff.). 91 92
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Generalklauseln
dem Verwender abgibt. 96 Zu nennen sind des weiteren das Interesse, sich wirtschaftlichen Bewegungsspielraum offenzuhalten, also als Sicherungsgeber dem AGB-Verwender nicht mehr Rechte einzuräumen als zur Verwirklichung des Sicherungszwecks angezeigt sind, 97 oder über preiserhöhende Wirkungen von AGB informiert zu sein.98 Zu den rechtlich relevanten Interessen des Verwenders von allgemeinen Geschäftsbedingungen zählt das an der Rationalisierung des Geschäftsablaufs, so daß unter Umständen ein Aufrechnungsverbot gerechtfertigt sein kann. Das Interesse des Verwenders, den Abrechnungsverkehr übersichtlich zu gestalten und den Uberblick über die Gläubiger zu behalten, trägt gegebenenfalls ein Abtretungsverbot. 99 Auch auf Seiten des Verwenders gewinnen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung an Bedeutung, die sich vor allem in der Anerkennung der geschäftlichen Dispositionsfreiheit ausdrücken. 100 Dem AGB-Verwender kann es deshalb gestattet sein, den Vertragspartner längerfristig zu binden, um wirtschaftlich kalkulieren zu können, 101 Auftragsverluste durch geeignete Regelungen einzuschränken 102 oder Vertriebswege zu schützen.103 3. Angemessenheitsprüfung und flexibles System 104 a) Das Wechselspiel der
Wertungen
Die Bestimmung von Unangemessenheit setzt sich aus vielfältigen Faktoren zusammen und findet innerhalb eines von §9 AGBG klar gezogenen Rahmens statt.105 Die Konzeption als offener Tatbestand ermöglicht es, die Facetten der Praxis zu erfassen, und vermeidet Schutzlücken, die durch ein punktuell ausgeformtes System entstehen würden. Der Generalklausel § 9 AGBG kommt deshalb im Vergleich zu §§10, 11 AGBG aufgrund ihrer Flexibilität große Bedeutung zu. Rechtsunsicherheit und damit einhergehend mangelnde Planungssicherheit der Praxis lassen sich vermeiden, wenn der wertungsoffene Tatbestand im Sinne des flexiblen Systems ausgefüllt wird. So läßt sich ein Umgang mit § 9 Abs. 1 AGBG sicherstellen, der nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit, sondern auch hinsichtlich der Rechtssicherheit und praktischen Handhabbarkeit rechtsstaatlich akzeptabel ist. Unangemessenheit als »nicht nur verhältnismäßig geringfügige, unerhebliche oder unwesentliche« 106 Benachteiligung setzt sich aus mehreren Komponenten OLG Nürnberg NJW 1988, 1220, 1221. BGH NJW 1990, 716, 717f.; NJW 1987, 487, 489; NJW 1984, 1184,1185. 98 BGH WM 1988, 1780, 1783. 99 OLG Hamm WM 1985, 897. 100 BGH NJW 1981, 280, 281; allgemein im 7. Kapitel (S.336ff.). 101 BGH NJW 1985,2585,2586; OLG München NJW-RR1990,1016; OLG Frankfurt NJWRR 1987, 1462, 1463. 102 BGH NJW 1982, 178, 180. 103 BGH NJW 1982, 178, 180; NJW 1981, 117,119; OLG Stuttgart NJW-RR 1990, 491. 104 Grundlegend zum flexiblen System im 5. Kapitel (S. 205ff.) und im 7. Kapitel (S.320ff.). 105 Überblick bei Wolf, in: Wolf1Horn!Lindacher, §9 AGBG Rn. 118ff. 106 Wolf, in: Wolf/Horn!Lindacher, §9 AGBG Rn. 50. 96
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zusammen, die in ihrem Zusammen- und Widerspiel den Prüfungsmaßstab ausfüllen oder eben nicht. Die Basiswertung, die § 9 Abs. 1 AGBG vorgibt, wird mit komparativen Wertreihen nach dem »je mehr - um so eher« - Schema konkretisiert. Keines der Kriterien ist zu verabsolutieren, vielmehr stehen sie in einer Wechselwirkung zueinander in dem Sinne, daß das besonders ausgeprägte Auftreten eines Aspekts das weniger ausgeprägte eines anderen ausgleichen kann. Danach gilt im Grundsatz folgendes: Je weiter von dem gesetzlich oder vertragstypimmanent angelegten Modell eines angemessenen Interessenausgleichs abgewichen wird, je geringeres Gewicht die rechtlich berücksichtigungsfähigen Interessen des Verwenders und je höheres Gewicht die des Vertragspartners aufweisen, desto eher ist von einer unangemessenen Benachteiligung auszugehen. Bei der Konkretisierung sind mannigfaltige Kombinationen der Wertungselemente denkbar. So kann eine geringe Abweichung von dispositiven Vorgaben aufgrund einer entsprechenden Interessenposition des Verwenders gerechtfertigt sein. Dies kann selbst dann anzunehmen sein, wenn den Interessen des Verwenders gleichwertige Interessen des Vertragspartners gegenüberstehen. Allein aus einer peripheren Abweichung kann nicht auf eine Benachteiligung von erheblichem Gewicht geschlossen werden. Grundfunktion der Vertragsfreiheit ist es gerade, Abweichungen vom gesetzlichen Leitbild zuzulassen. Diese auf einem flexiblen System beruhende Konkretisierungsstruktur wird durch § 9 Abs. 2 AGBG bestätigt. Während der erste Absatz den grundlegenden Prüfungsmaßstab der Angemessenheitskontrolle beschreibt, konkretisiert der zweite Absatz beispielhaft die Generalklausel durch die Angabe rechtlicher Kriterien, die in der Regel auf Unangemessenheit hinweisen. Nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG führt eine Abweichung gegenüber den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung prinzipiell zur Unwirksamkeit der Klausel. Das gesetzliche Regelbeispiel bestätigt also die bereits mittels der komparativen Konkretisierungsmethode anhand der Generalklausel gefundene Lösung und untermauert so deren Richtigkeit. Der flexible Ansatz erlaubt es jedoch, trotz Abweichung von essentiellen Grundgedanken der Rechtsordnung wegen des Übergewichts eines anderen Wertungsfaktors, der zu Gunsten des Verwenders spricht, gleichwohl Unangemessenheit zu verneinen. Diesem allgemeinen Gedanken des Wechselspiels der Konkretisierungselemente hat der Gesetzgeber in §9 Abs. 2 AGBG Rechnung getragen. Sind die Voraussetzungen der Regelbeispiele erfüllt, spricht das Gesetz davon, daß im Zweifel von der Unangemessenheit einer Benachteiligung auszugehen ist.107 Die Auslegungsregel ist widerlegbar. Eine Widerlegung kommt in Betracht, wenn ein besonderes Interesse des Verwenders an einer bestimmten Abrede existiert.108 Gewichtige Gründe vermögen mithin nicht nur im Rahmen 1 0 7 Uber den Wortlaut hinaus, der allein von einer im Zweifel unangemessenen Benachteiligung spricht, wird in den in Nr. 1 und Nr. 2 geregelten Fällen auch regelmäßig von einem Verstoß gegen Treu und Glauben auszugehen sein; Absatz 2 ist insoweit extensiv zu interpretieren, vgl. B G H N J W 1988, 258, 259. 1 0 8 B G H N J W 1996, 2155; N J W 1990, 2313; O L G Hamm D t Z 1996, 351; O L G Köln W M 1995, 1595.
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Generalklauseln
des flexiblen Systems, sondern auch bei § 9 Abs. 2 A G B G eine Abweichung von wesentlichen Modellstrukturen zu rechtfertigen. D i e einzelnen Abwägungselemente sind ihrer jeweiligen Intensität entsprechend in die Gesamtabwägung einzustellen und komparativ zu verknüpfen. Im Ergebnis läßt sich auf diese Weise eine Angemessenheitskontrolle durchführen, die rechtsstaatlichen Erfordernissen genügt - vorausgesetzt, sämtliche rechtlich bedeutsamen Umstände finden in gehöriger Intensität Berücksichtigung in der Interessenabwägung.
b) Das Transparenzgebot als Bestandteil des flexiblen Systems aa) Wirkungsspektrum des
Transparenzgedankens
D a m i t stellt sich die Frage, o b in die Abwägung neben materiellen Gesichtspunkten formale Aspekte einzubeziehen sind. D i e Rechtsprechung bejaht dies. Sind allgemeine Geschäftsbedingungen unklar, diffus oder unbestimmt formuliert, so daß dem Vertragspartner etwaige Nachteile nicht hinreichend deutlich erkennbar sind, sieht die Rechtsprechung die Klausel wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 A G B G als unwirksam an. 109 Das sogenannte Transparenzgebot soll den Klauselverwender anhalten, die Rechte und Pflichten des Vertragspartners durch entsprechende Ausgestaltung und geeignete Formulierung der Vertragsbedingungen durchschaubar, richtig, bestimmt und möglichst klar darzustellen. Das G e b o t der Klarheit ist gewahrt, wenn Mißverständnisse, Überraschungen und Zweifel vermieden werden. Verständlichkeit ist anzunehmen, wenn der durchschnittliche Vertragspartner des jeweiligen Vertragstyps den Sinn der Konditionen aus sich selbst heraus erfassen kann. 1 1 0 Dieses, vermehrt in aktuellen Entscheidungen propagierte G e b o t in seiner Allgemeinheit bei § 9 A G B G zu verankern, ist zu Recht teilweise skeptisch aufgen o m m e n worden. 1 1 1 Klarheit und Uberschaubarkeit der Bedingungen sind bereits Gegenstand der Einbeziehungskontrolle nach § § 2 , 3, 5 A G B G . G e m ä ß § 2 Abs. 1 Nr. 2 A G B G werden allgemeine Geschäftsbedingungen nicht Vertragsgegenstand, wenn sie dem Vertragspartner in unverständlicher, verwirrender oder nur mühevoll lesbarer A r t und Weise präsentiert werden und deshalb für ihn keine zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht. In sich unklare, für einen Durchschnittskunden kaum erfaßbare widersprüchliche Klauseln werden nicht Vertragsbestandteil. 1 1 2
109 BGHZ 115, 177, 185; BGHZ 108,52,57; BGHZ 106,42,47; BGHZ 104, 82, 92. Der BGH spricht von »formeller Unangemessenheit«, BGHZ 106, 259, 264. 110 Zu den einzelnen Fallgruppen, in denen die Durchschaubarkeit, Verständlichkeit oder Klarheit von AGB eingeschränkt oder aufgehoben ist, Kreienbaum, Transparenz, S. 25ff.; Schäfer-, Transparenzgebot, S. 8ff. 111 Aus dem umfangreichen Schrifttum vgl. insbesondere die kritischen Anmerkungen von Bruchner, WM 1988,1873 ff.; H.P. Westermann, Festschrift für Steindorff, S. 817ff.; Baums, ZIP 1989, 7ff.; Wagner-Wieduwilt, WM 1989, 37ff.; Köndgen, NJW 1989,943ff.; Hansen, WM 1990, 1521 ff. 112 Zur Einbeziehungskontrolle siehe bereits im 6. Kapitel (S.266ff.).
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Reichweite und Inhalt des bei §2 Abs. 1 Nr. 2 AGBG verorteten Transparenzgebotes sind streitig: Die überwiegende Auffassung tritt für ein umfassendes Verständlichkeitsgebot ein. »Kenntnis verschaffen« bedeute, dem Vertragspartner einen Text vorzulegen, aus dem dieser seine Rechte und Pflichten inhaltlich entnehmen kann. 113 Die Gegenmeinung versteht §2 Abs. 1 Nr. 2 AGBG als Obliegenheit zur Textübermittlung; die Zumutbarkeit der Kenntnisnahme beziehe sich ausschließlich auf die Art und Weise der Textverschaffung. 114 Die Lösung dieser Diskrepanz ergibt sich aus der teleologischen Interpretation. Das AGBG will die Vertragspartei schützen, die selbst keinen Einfluß auf die Gestaltung ausüben kann. Dem Zweck dient auch die Einbeziehungskontrolle. §2 A G B G kommt eine Warn- und Aufklärungsfunktion zu, die nur bei Verständlichkeit des Textes gewahrt ist, weil nur auf diese Weise die Abschlußfreiheit eine Entscheidungsbasis vorfindet. §2 Abs. 1 Nr. 2 AGBG will die Grundvoraussetzungen gewährleisten, die für ein Verständnis von AGB notwendig sind. Soweit diese Grundvoraussetzung betroffen ist, erfaßt §2 Abs.l Nr. 2 AGBG auch Intransparenzen. Erforderlich ist also eine differenzierte Sicht; nicht sämtliche Intransparenzen werden von § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGBG erfaßt. Transparenzkontrolle findet auch im Rahmen von §§3, 5 A G B G und §9 Abs. 1 AGBG statt. 115 Ist eine Klausel im G r u n d s a t z verständlich abgefaßt, so d a ß die V o r a u s s e t z u n g e n des § 2 A b s . 1 N r . 2 A G B G g e w a h r t sind, erweist sie sich aber in E i n z e l p u n k t e n als m e h r d e u t i g , k o m m t § 5 A G B G z u r A n w e n d u n g . Bei Erfolglosigkeit d e r A u s l e gung 1 1 6 ist d e r Klauselinhalt nach d e r U n k l a r h e i t e n r e g e l u n g 1 1 7 des § 5 A G B G z u b e s t i m m e n , u n d z w a r i m I n d i v i d u a l p r o z e ß i m Sinne d e r d e m K u n d e n günstigsten A u s l e g u n g , im a b s t r a k t e n K o n t r o l l v e r f a h r e n im Sinne d e r k u n d e n f e i n d l i c h s t e n . 1 1 8 D i e U n k l a r h e i t e n r e g e l u n g reagiert auf m e h r d e u t i g e Klauseln u n d v e r w i r k l i c h t d a m i t T r a n s p a r e n z . A u f diese Weise w i r d d e r Klauselinhalt f ü r eine n a c h einer etwaigen P r ü f u n g des § 4 A G B G e r f o l g e n d e n U b e r r a s c h u n g s k o n t r o l l e festgelegt. § 3 A G B G erklärt Klauseln f ü r u n w i r k s a m , die u n g e w ö h n l i c h u n d ü b e r r a s c h e n d sind. § 3 A G B G b e z i e h t sich jedenfalls auf f o r m a l e , ä u ß e r e U m s t ä n d e , also die textliche o d e r d r u c k t e c h n i s c h e G e s t a l t u n g , auf die Wahl d e r U b e r s c h r i f t e n 113
Brandner, Festschrift für Locher, S.317; Schäfer, Transparenzgebot, S.44ff.; Schlosser, in: Schlosser/Coester-Waltjen/Graba, §2 AGBG Rn.57, 59; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, §2 AGBG Rn.50; Kotz, in: MünchKommBGB, §2 AGBG Rn. 14a. 114 Dietlein! Rebmann,%2 AGBG Rn.4f.; Löwe, in: Löwe/v.Westphalen/Trinkner, §2 AGBG Rn. 14ff. Die Rechtsprechung hat sich zu dieser Streitfrage bei § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGBG noch nicht klar geäußert, vgl. die Entscheidungsanalyse bei Kreienbaum, Transparenz, S. 74f. 115 So im Grundsatz auch Kreienbaum, Transparenz, S. 71 ff., 91 ff., 106ff., 129ff., die klar zwischen den unterschiedlichen Transparenzbereichen trennt. 116 Zu Fragen der Auslegung im Zusammenhang mit dem Transparenzgebot siehe den Uberblick bei Kreienbaum, Transparenz, S. 50ff. 117 Die Unklarheitenregelung geht zurück auf römische Quellen, »ambiguitas contra stipulatorem, quia clarius loqui potui esset«, Wacke, JA 1981, 666f. 118 Vgl. Roth, WM 1991, 2085, 2088; Erman/Hefermehl, §5 AGBG Rn. 12,22; Löwe, in: Löwe/v. Westphalen/Trinkner, §5 AGBG Rn.2; Ulmer, in: Ulmer/BrandneriHensen, §5 AGBG Rn. 30f. Viel spricht allerdings dafür, im Individualprozeß die ungünstige Alternative zu wählen, wenn diese nach § 9 AGBG unwirksam wäre. Das dispositive Recht wird für den Vertragspartner regelmäßig noch günstiger als die günstigste Auslegung sein. Schließlich führt das zu einem Gleichlauf von Individual- und Verbandsprozeß und akzentuiert den Normzweck des §5 AGBG, indem einer Verkürzung der Angemessenheitskontrolle vorgebeugt wird; vgl. Schlosser, in: Schlosser!Coester-Waltjen!Graba, §5 AGBG Rn.31; Sambuc, NJW 1981, 313, 314.
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und Gliederungspunkte sowie auf eine möglicherweise irreführende Anordnung von Regelungskomplexen, die es dem Vertragspartner schwer machen, einheitliche Sachzusammenhänge zu erfassen.119 Soweit allein formale Aspekte betroffen sind, die sich inhaltlich nicht niederschlagen, fehlt eine Überschneidung mit § 9 AGBG. Unter diesem rein formalen drucktechnischen Aspekt können Klauseln überraschend, ihrem Inhalt nach aber nicht zu beanstanden sein. Der Vorwurf der Rechtsordnung zielt hier also auf die Art und Weise der Einbeziehung einer Bedingung in den Vertrag, nicht auf den Schutz des Rechtsverkehrs vor einer mißbräuchlichen Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den AGB-Verwender, wie er §9 AGBG zum Gegenstand hat. Sind die Klauseln überraschend im Sinne des §3 AGBG, werden die betreffenden Bedingungen nicht Vertragsbestandteil. Mangels Einbeziehung ist für § 9 AGBG kein Raum; auf die Angemessenheitskontrolle kommt es nicht an. Daneben kann eine Klausel wegen ihres Inhalts im Sinne des § 3 AGBG überraschen und damit unwirksam sein.120 Das betrifft Bedingungen, die den Vertragsgegenstand in atypischer Weise erweitern oder modifizieren, 121 sowie Klauseln, die vom gesetzlichen Leitbild oder der im Geschäftsverkehr üblichen Gestaltung des entsprechenden Vertragstyps erheblich abweichen. 122 Hier treten Überschneidungsmöglichkeiten mit der Angemessenheitskontrolle deutlich hervor. Art. 5 S. 1 der Richtlinie 93/13/EWG, 1 2 3 der ausdrücklich darauf hinweist, daß Klauseln »stets klar und verständlich abgefaßt sein« müssen, trägt für die Lösung des Problems, ob Transparenz als Einbeziehungs- oder als Angemessenheitsmaßstab zu qualifizieren ist, nichts bei. Im Gegensatz zu Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie stellt A r t . 5 S. 1 keine Beziehung zur Mißbräuchlichkeit her. Es ist deshalb davon auszugehen, daß es den Mitgliedstaaten freisteht, wie sie das Transparenzgebot berücksichtigen wollen. Europarechtliche Vorgaben sprechen weder f ü r noch gegen eine Verortung bei §3 A G B G und/oder bei § 9 A G B G .
Dieser Kompetenzkonflikt kann weder dadurch gelöst werden, daß § 3 AGBG einschränkend ausgelegt wird, indem die inhaltsbezogene Komponente aus dem Anwendungsbereich der Überraschungskontrolle herausgenommen wird, 124 noch dadurch, daß Transparenzkriterien bei §9 AGBG eliminiert werden. 125 Für 119 Vgl. nur Lindacher, in: Wolf/ Horn/Lindacher, §3 A G B G Rn. 20; Erman/ Hefermehl, §3 A G B G Rn.3; Soergel/U. Stein, §3 A G B G Rn. 13, m. Nachw. aus der Rechtsprechung. 120 So die ganz herrschende Meinung, vgl. nur Lindacher, in: Wolf1Horn/Lindacher, §3 Rn. 18ff.; Soergel/U. Stein, § 3 A G B G Rn. 10ff.; Kötz, in: MünchKommBGB, § 3 A G B G Rn. 7ff., m. Nachw. aus der Rechtsprechung. Kritik bei Hansen, WM 1990, 1521, 1523. 121 Z.B. BGH NJW 1990, 576, 577 (Erstreckung der Grundschuldhaftung für ein fremdes Darlehen auf alle künftigen Ansprüche des AGB-Verwenders gegen den Darlehensnehmer); N J W 1986,1805,1806 (Verzinsung vor Fälligkeit); O L G Celle NJW-RR 1990,1006f. (Erweiterung einer Höchstbetragsbürgschaft). 122 Z.B. BGH NJW 1990,2065,2067 (Erklärung eines gewöhnlichen Liefervertrages zum Fixhandelskauf); LG Nürnberg-Fürth NJW-RR 1989, 668, 669f. (Dispens von typischen Vertragsleistungen); O L G Hamm BB 1983, 1304, 1307 (Lohnabtretungsklausel in einfachem Kaufvertrag). 123 Zur Bedeutung dieser Richtlinie für die Inhaltskontrolle im 4. Kapitel (S. 148ff.). 124 125
Vgl. van de Loo, Angemessenheitskontrolle, S. 70; Werber, VersR 1986, 1, 6. Hansen, W M 1990, 1521, 1524f.
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Angemessenheitskontrolle
453
§3 AGBG ergibt sich das aus der historischen Zielrichtung der Überraschungskontrolle. Der Vertragspartner soll darauf vertrauen können, »daß sich die einzelnen Regelungen im großen und ganzen im Rahmen dessen halten, was nach den Umständen bei Abschluß des Vertrages erwartet werden kann.« 126 Die weite Fassung läßt den Schluß zu, daß § 3 A G B G immer dann einschlägig ist, wenn der Vertragsinhalt bei hypostasierter Geltung der Klausel deutlich von den berechtigten Erwartungen des Vertragspartners abweicht. Neben dem äußeren Zuschnitt des Vertrages ist der Erwartungshorizont maßgeblich von der gebräuchlichen und vertragstypkonformen Rechtsgestaltung geprägt. Auch formal eindeutig gefaßte, den Kunden belastende Konditionen können, wenn sie in unerwartetem, atypischem Zusammenhang auftreten, überraschend sein. Die Beachtung des Transparenzgebotes im Rahmen der Angemessenheitskontrolle ist gesetzlich fundiert. § 3 AGBG enthält den Gedanken der Transparenzkontrolle. §9 A G B G kann ebenfalls nicht in dem Sinne restriktiv ausgelegt werden, daß Transparenz als Wertungselement ausscheidet: §§10, 11 AGBG zielen auf Klarheit und Verständlichkeit, wenn sie in § 10 Nr. 3, Nr. 5b sowie in § 11 Nr. 10b und Nr. 14a A G B G Hinweis- und Klarstellungsgebote festlegen.127 Intransparenz kann sich in sachlicher Unangemessenheit manifestieren. Das Transparenzgebot ist mithin zu Recht sowohl bei § 3 AGBG als auch bei § 9 AGBG angesiedelt worden;128 beide Vorschriften sind nebeneinander anwendbar. 129 Dabei kann nicht davon ausgegangen werden, daß stets eine N o r m die andere verdrängt, also der Transparenzgedanke vorrangig einer Vorschrift zuzuweisen ist.130 Ebenfalls ausgeschlossen ist eine beliebige normative Zuordnung, wie sie von der Rechtsprechung teilweise vorgenommen zu werden scheint, wobei der Rechtsprechung zugute zu halten ist, daß sie aus prozeßökonomischen Gründen den Entscheidungsgründen den leichter begründbaren Aspekt zugrundelegen kann.131 Aus materiell-rechtlicher Perspektive ist es zutreffend, daß allein eine wirksam in den Vertrag einbezogene Klausel einer Angemessenheitskontrolle unterzogen werden kann. 132 Daraus ist nicht zu schließen, daß § 3 AGBG den Transparenzgedanken konsumiert. §9 AGBG hat gegenüber §3 A G B G selbständige Bedeutung. 133 126
BT-Drucks. 7/3919, S. 19. Im einzelnen dazu Kreienbaum, Transparenz, S. 106ff., m. weit. Nachw. 128 Vgl. nur Köndgen, N J W 1989, 943, 949f. 129 Yg[ ¿¡g Analyse von Kreienbaum, Transparenz, S. 130ff., 142; siehe auch Taupitz, JuS 1989, 520, 522. 130 Für eine Art Stufenverhältnis hingegen Hellner, Festschrift für Steindorff, S. 573,585; Koller, Festschrift für Steindorff, S. 667,679 (Vorrang des § 3 AGBG) oder in der Tendenz auch Kotz, in: MünchKomraBGB, §3 A G B G Rn.2, §9 A G B G Rn. I I b (Vorrang des §9 AGBG). 131 Ausführlich dazu im 9. Kapitel unter IV l b (S.407ff.). 132 Lindacher, in: Wolf /Horn!Lindacher, § 3 A G B G Rn. 7, empfiehlt, bei der eindeutigen Verwirklichung beider Normen die Entscheidung nicht nur auf § 3 A G B G zu stützen, sondern auch auf die inhaltliche Unangemessenheit zu verweisen, um dem Verwender deutlich zu machen, daß die Klausel auch ohne Uberraschungseffekt keinen Bestand hätte. 133 Vgl. B G H N J W 1992, 3158, 3161: Eine deutlich erkennbare, aber unrichtige vertragliche Einordnung kann unter dem Blickwinkel des § 3 A G B G nicht zu beanstanden, wegen der unzu127
454 bb) Abschluß-
3. Teil: Inhaltskontrolle und
durch
Generalklauseln
Abwicklungstransparenz
J e nach dem Schwerpunkt der Zielrichtung des Transparenzgebotes ist nämlich zu unterscheiden. Uberraschungs- und Angemessenheitskontrolle beziehen sich auf divergierende Transparenzinhalte, die sich zwar häufig überschneiden, ihrem Schwerpunkt nach aber regelmäßig der einen oder der anderen Vorschrift zuordnen lassen. Sinn und Z w e c k der Einbeziehungskontrolle liegen darin, eine selbstbestimmte und selbstverantwortliche Entscheidung in bezug auf den Abschluß eines bestimmten Vertrages zu treffen. D e r A G B - V e r w e n d e r soll durch Transparenz der Bedingungen dem Vertragspartner die Erfassung des typischen Vertragsinhalts erleichtern, um so die Entscheidung für oder gegen den Vertragsschluß von einer sicheren Basis aus zu treffen. § 3 A G B G trägt dem Vertrauen des Vertragspartners in einen Vertragsschluß zu den üblichen Konditionen Rechnung. Transparenz bei § 9 A G B G hat ihren Schwerpunkt hingegen darin, einen angemessenen Interessenausgleich sicherzustellen, und das erfordert vor allem Rechtsklarheit für die Durchführung des Vertrages. Sie soll es dem Vertragspartner ermöglichen, sich aus dem Klauselwerk zuverlässig über seine R e c h t e und Pflichten bei der Vertragsabwicklung zu informieren, damit die Durchsetzung von Rechten gewährleistet und die Zuordnung unberechtigter Pflichten verhindert werden kann. Durchführungstransparenz stellt ein Wertungselement für das flexible Konkretisierungssystem bei der Angemessenheitskontrolle gemäß § 9 Abs. 1 A G B G dar. Zu unterscheiden ist deshalb zwischen A b s c h l u ß - und Durchführungstransparenz. 1 3 4 Intransparente Klauseln sind je nach ihrem Schwerpunkt dem einen oder anderen Bereich zuzuordnen. Bezieht sich die Unklarheit ausnahmsweise gleichsam auf beide Bereiche, sind § 3 und § 9 A G B G nebeneinander zu prüfen. K o n d i tionen, die sowohl A b s c h l u ß - als auch Durchführungstransparenz vermissen lassen, können demnach gegen § 3 und § 9 A G B G verstoßen. Die Mehrgleisigkeit des Transparenzgedankens als Teilaspekt der Einbeziehungs- und der Angemessenheitsprüfung zeigt sich unter anderem bei dem sogenannten Irreführungsverbot. Als irreführend charakterisiert werden Klauseln, welche die Rechtslage unzutreffend darstellen oder die ihrer Formulierung nach geeignet sind, den Vertragspartner von der Durchsetzung bestehender Rechte abzuhalten. 135 Auf §9 Abs. 1 A G B G ist abzustellen, wenn die Klausel in ihrer bedenklichen Ausformung Vertragsgegenstand geworden ist, also zum ersten nicht, wenn sie durch §5 A G B G im Sinne einer angemessenen Variante präzisiert werden kann. Resultiert die Irreführung aus einer Doppeldeutigkeit des Vertragstextes mit einer für den Vertragspartner günstigen und einer ungünstigeren unangemessenen Auslegungsvariante, dann kommt im Individualprozeß gemäß § 5 A G B G die günstige zum treffenden Darstellung aber inhaltlich derart intransparent sein, daß die Voraussetzungen des § 9 AGBG erfüllt sind. Zu den unterschiedlichen Transparenzmaßstäben sogleich. 134 Im Grundsatz übereinstimmend Lindacher, Topos, S.347, 350f.; Koller, Festschrift für Steindorff, S.667, 671 ff.\Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 321; Brandner, in: UlmerlBrandneriHensen, §9 AGBG Rn.94, 96; v. Hoyningen-Huene, Inhaltskontrolle, Rn.201ff. 135 BGH NJW1986,1809,1810f.; NJW 1985,320,322; NJW 1984,171,172; OLG Düsseldorf ZIP 1984, 719, 721 f.
10. Kapitel: Angemessenheitskontrolle
455
Zuge. Für eine Unwirksamkeit nach §9 Abs. 1 AGBG aufgrund der Intransparenz ist kein Raum; diese Rechtsfolge würde die Berufung auch auf den günstigen Teil der Klausel verhindern. Bei reiner Doppeldeutigkeit geht §5 AGBG vor. 136 Hilft §5 A G B G nicht weiter, kommen die differierenden Transparenzansätze bei der Gegenüberstellung von § 3 AGBG und §9 A G B G zum Ausdruck: So lag es beispielsweise bei der Garantieentscheidung des BGH. 1 3 7 Hier ging es um die Ausgestaltung von Herstellerbedingungen, die den irreführenden Eindruck einer Beschränkung der daneben bestehenden Gewährleistungsverpflichtung des Verkäufers hervorgerufen hatten. Wegen eines Uberraschungseffektes konnte der Bedingung die Wirksamkeit nicht versagt werden. Sie war weder wegen einer undurchschaubaren äußerlichen Präsentation bedenklich, noch wich sie von einer verwurzelten Rechtsauffassung der angesprochenen Verkehrskreise ab. Verfänglich war die Klausel allein, weil die intransparente Formulierung der Garantiebedingungen den Anschein erweckte, der Vertragspartner könne sein Recht nicht auch gegenüber dem Verkäufer verfolgen. Die Intransparenz beschränkte sich also auf die Angemessenheitsfrage. Wie der Fall zeigt, deckt §3 AGBG nicht sämtliche Fälle der Intransparenz ab. §9 A G B G sanktioniert Bedingungen, die generell, das heißt aus abstrakt-typisierender Sicht irreführend wirken. Der Verkehr als solcher soll vor Intransparenz geschützt werden. § 3 AGBG hingegen wendet sich gegen individuell ungewöhnliche Klauseln; geschützt wird das Vertrauen des Vertragspartners, mit üblichen Konditionen konfrontiert zu werden. Das Transparenzgebot als Verbot überraschender Klauseln und das Transparenzgebot als Kriterium unangemessener Benachteiligung überlappen sich allenfalls teilweise. Beide Arten von Transparenz sind zu trennen. 138
Abschluß- und Durchführungstransparenz unterscheiden sich auch in zeitlicher Hinsicht. § 3 A G B G zielt auf Klarheit und Übersichtlichkeit zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, § 9 AGBG zum Zeitpunkt der Vertragsabwicklung. Daneben besteht eine weitere Divergenz: Abschlußtransparenz will sicherstellen, daß der Vertragspartner über das inhaltliche Wissen verfügt, um selbstverantwortlich zu entscheiden. Insoweit ist es möglich, Klarheit durch ergänzende (auch mündliche) Erläuterungen zu schaffen. 139 Die generalisierend-typisierende Sicht bei §9 AGBG erfordert im Gegensatz dazu die Transparenz der Klausel selbst. Im Einzelfall vorgenommene Erläuterungen sind bei der Angemessenheitskontrolle grundsätzlich ohne Belang, sofern sie für den betreffenden Geschäftstyp nicht charakteristisch, sondern ausschließlich individuell im Verhältnis zu einem bestimmten Vertragspartner von Bedeutung sind. Ziel ist es, den Rechtsverkehr von unangemessenen Klauseln freizuhalten. Dieses Schutzziel beschreibt außerdem einen weiteren Unterschied von Abschluß- und Abwicklungsintransparenz. Bei § 3 A G B G genügt die Feststellung bloßer Intransparenz aufgrund einer relevanten Abweichung, beispielsweise aufgrund vertragstypenfremder Bestimmungen. Darauf, ob mit der Intransparenz Vor- oder Nachteile verbunden sind, kommt es (jedenfalls im Grundsatz) nicht an. §9 AGBG wird durch bloße Intransparenz nicht ausgefüllt. Intransparente Konditionen, die dem Vertragspartner lediglich Vorteile einräumen, werden von der Angemessenheitskontrolle nicht erfaßt. Ein 136 137 138 139
Brandner, Festschrift für Locher, S.317, 319. BGH NJW 1988, 1726, 1727f. Vgl. Königen, NJW 1989, 943, 944f., 949ff. Vgl. nur Lindacher, in: Wolf/Horn!Lindacher, §3 AGBG Rn. 19.
456
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
Verstoß gegen das Transparenzgebot führt nur dann zur Unwirksamkeit gemäß § 9 A G B G , wenn damit eine unangemessene Benachteiligung einhergeht. 1 4 0 Gegen diese Auffassung wird eingewandt, Transparenzgebote sollten die Eigenverantwortlichkeit des Vertragspartners stärken und dem Verlust von Verhandlungspotential durch undurchsichtige Regelungen vorbeugen. Diese Zielrichtung bestehe auch bei vorteilhaften Klauseln. Deshalb sei die Meinung, eine Berücksichtigung des Transparenzgebots im Anwendungsbereich des §9 Abs. 1 A G B G sei nur bei inhaltlich nachteiligen Klauseln denkbar, abzulehnen. 141 Diese Sichtweise wird dem zweifachen Ansatz des Transparenzgedankens nicht gerecht: Transparenz ist bei Einbeziehungs- wie Angemessenheitskontrolle von Bedeutung. Die Einbeziehungskontrolle zielt darauf, dem Vertragspartner Aufschluß über den tatsächlichen Inhalt der Bedingungen zu vermitteln. Hier kommt es darauf an, daß sich der Vertragspartner ohne Rücksicht auf Inhalt und Qualität der Klausel Kenntnis von dem Vertragswerk verschaffen kann, um aufgrund des vollständigen Uberblicks über Vor- und Nachteile eine selbstbestimmte und eigenverantwortliche Entscheidung hinsichtlich des Vertragsschlusses treffen zu können. Bei der Einbeziehungskontrolle kommt es deshalb auf die Abgrenzung zwischen vorteilhaften und nachteiligen Klauseln nicht an. 142 Bei der Angemessenheitskontrolle liegt es anders. Dem Vertragspartner soll keine allgemeine Kenntnis über den Vertragsinhalt verschafft werden, die es ihm erlaubt, über den Vertragsabschluß zu entscheiden. Angemessenheitskontrolle bezweckt, materiell-rechtlich unangemessene Klauseln zu eliminieren. Transparenzkontrolle in der Erscheinungsform der Angemessenheitskontrolle zielt folglich auf unangemessen benachteiligende Klauseln im Sinne des §9 Abs. 1 AGBG. Brandner schlägt vor, 143 jedenfalls bei Verbraucherverträgen auf das Erfordernis einer inhaltlich unangemessenen Benachteiligung des Vertragspartners zu verzichten, um so Art. 5 S. 1 der Richtlinie 93/13/EWG Rechnung zu tragen, der die Transparenzkontrolle als selbständigen Gesichtspunkt statuiere. Art. 5 S. 1 enthält keine Angabe darüber, ob Klarheit und Verständlichkeit als Einbeziehungsvoraussetzungen anzusehen oder ob sie der Angemessenheitskontrolle zuzuordnen sind. Deshalb ist davon auszugehen, daß es den Mitgliedstaaten offensteht, wie sie dem Transparenzgedanken zur Geltung verhelfen wollen. Dementsprechend ist auch bei Verbraucherverträgen die differenzierte Zuordnung möglich. Die Zuordnung zu §9 Abs. 1 A G B G erlaubt es, intransparente Regeln, die nur zum Vorteil des Kunden wirken, aufrechtzuerhalten. § 9 A G B G setzt auch in Fällen der Intransparenz eine Benachteiligung voraus. Ist eine Benachteiligung festgestellt, kommt es auf ihre Unangemessenheit an. cc) Intransparenz
und unangemessene
Benachteiligung
Eine unangemessene Benachteiligung kann unter Umständen anzunehmen sein, wenn ein A G B - V e r w e n d e r den Vertragspartner über dessen Rechte und Pflichten 140 Wolf, JZ 1988, 719; ders., in: Wolf/ Horn! Lindacher, §9 AGBG Rn. 146; BGH NJW 1989, 222, 223f.; NJW 1989, 582, 583, sowie soeben, S.435ff., 445ff. 141 v. Westphalen, Vertragsrecht, Transparenzgebot Rn. 12; Kreienbaum, Transparenz, S.257. 142 Anders mag es bei §3 AGBG liegen, der seinem Wortlaut nach nicht nach dem Inhalt der Klauseln differenziert und deshalb auch dann anzuwenden wäre, wenn die überraschende Klausel dem Vertragspartner günstige Rechte einräumt. Dies widerspricht dem Schutzzweck des AGBG, so daß eine teleologische Reduktion auf nachteilige Klauseln in Erwägung zu ziehen ist. Die Schutzzweckargumentation spricht also ebenfalls für das Nachteilserfordernis. 143 Brandner, in: UlmerlBrandneriHensen, §9 AGBG Rn. 175.
10. Kapitel:
Angemessenheitskontrolle
457
im Unklaren gelassen und dadurch das G e b o t einer möglichst weitgehenden K o n kretisierung und Bestimmtheit des Klauselinhalts verletzt hat. D e r unangemessene Nachteil kann sich mithin aus einer schwer überschaubaren Rechtslage ergeben, weil dadurch das wahre Preis-Leistungsverhältnis zum Nachteil des Kunden verschleiert wird. Sind dem Verwender einseitige Bestimmungsrechte mit grenzenlosem Ermessensspielraum eingeräumt und ist ein derart weites Gestaltungsrecht nicht ausnahmsweise unumgänglich notwendig, ist das geeignet, das Interesse des Vertragspartners an einer eindeutigen Vertragsgestaltung gegen Treu und Glauben unangemessen zu benachteiligen. Ein autonomer Konkretisierungsvorbehalt, der sich auf die Abwicklung des Vertrages bezieht, kann gemäß § 9 Abs. 1 A G B G unwirksam sein, so beispielsweise ein R e c h t des Verwenders, den U m f a n g seiner Gewährleistungshaftung beliebig zu ändern. 1 4 4 Ein solcher Vorbehalt kann derart eindeutig formuliert sein, daß ein Uberraschungseffekt im Sinne des § 3 A G B G auszuschließen ist, der Vertragspartner bei Abschluß des Geschäfts über die Ermessensklausel informiert war und sich selbstbestimmt darauf eingelassen hat. Gleichwohl verhindert die Unbestimmtheit der Klausel die Durchschaubarkeit der Vertragsabwicklungskonditionen und ist deshalb möglicherweise als nach Treu und Glauben unangemessen benachteiligend einzustufen. 1 4 5 I m H i n b l i c k auf die Vertragsdurchführung intransparent ist eine Klausel, welche die Abtretung der Ansprüche aus der Bürgschaft ausschließt, weil damit aus generell-typisierender Sicht nicht klargestellt wird, daß bei Abtretung der H a u p t forderung die Bürgschaft entsprechend § 1250 Abs. 2 B G B erlischt. 1 4 6 D e m Transparenzgebot des § 9 Abs. 1 A G B G konträr gehen im Grundsatz ebenfalls allgemeine Geschäftsbedingungen, in denen Rechte der Vertragspartner abbedungen werden, »soweit es gesetzlich zulässig ist.« 1 4 7 D i e unangemessene Benachteiligung ist hier in der Verwendung einer nicht nachprüfbaren Klausel zu sehen; der Inhalt der Klausel ist sachlich aus sich selbst heraus nicht bestimmbar. 1 4 8 D e r H i n weis auf die gesetzliche Lage läßt die Unangemessenheit der Klausel nicht entfallen. Zwar stellt die gesetzliche Regelung das Leitbild des Interessenausgleichs dar, der regelmäßig unangemessene nachteilige Regelungsgehalt ergibt sich aber aus der für den Kunden unüberschauberen sachlichen Gestaltung. 1 4 9 D e r VertragsinBGHZ 89, 206, 211. Kötz, in: MünchKommBGB, §9 AGBG Rn. IIb; Erman/Hefermehl, §9 AGBG Rn. 19. 146 BGH NJW 1991, 3025. 147 Von solchen salvatorischen Klauseln sind allgemeine Geschäftsbedingungen zu unterscheiden, die für den Fall der Unwirksamkeit einer Abrede das Eingreifen der gesetzlichen Regeln vorsehen. Derartige Ersatzklauseln sind nicht zu beanstanden, weil sie eine Wiederholung des §6 Abs.2 AGBG darstellen; BGH NJW 1991, 1750, 1754. 148 Brandner, Festschrift für Locher, S.317, 320; Garrn, JA 1981, 151, 152; Lindacher, BB 1983,154; Löwe, BB 1982,152,158; Schlosser, WM 1978,562,569; v. Westphalen, NJW 1979,838, 840; ders., DB 1978, 2061, 2064; BGH NJW 1991,2630, 2632; BGHZ 109,240, 248; BGHZ 100, 117, 124; BGHZ 93,29,48. 149 Im Ergebnis übereinstimmend, diese Begründung jedoch ablehnend Hager, Auslegung, S. 204, der darauf abstellt, daß eine salvatorische Klausel zu einem Leerlauf des Verfahrens nach §§ 13ff. AGBG führen würde. 144 145
458
J. Teil: Inhaltskontrolle durch
Generalklauseln
halt ist dem Klauselwerk nicht exakt zu entnehmen; der Rechte- und Pflichtenkanon bleibt unklar. F ü r den Durchschnittskunden ebensowenig aussagekräftig ist der Hinweis auf schwer zugängliche, dem typischen Kundenkreis unbekannte gesetzliche Regelungen. Auch die bloße N e n n u n g einer Vorschrift ohne deren wörtliche Wiedergabe erlaubt es dem Vertragspartner nicht, die für die Abwicklung relevanten vertraglichen Rechte und Pflichten zu erkennen. Handelt es sich nicht um eine deklaratorische, sondern um eine konstitutive Verweisung, ist die Klausel unwirksam. 1 5 0 Etwas anderes gilt, wenn der Hinweis auf gesetzliche Regelungen für einen bestimmten Geschäftstyp charakteristisch und der Inhalt der N o r m e n in den betroffenen Kundenkreisen typischerweise bekannt ist. D e n n die generell-typisierende Betrachtung bei § 9 A G B G bezieht sich auf die Vertragsart, auf die das Klauselwerk typischerweise zugeschnitten ist - allerdings mit der Einschränkung, daß der konkrete Vertrag diesem Typus tatsächlich entspricht. Maßgeblich sind die typischerweise an der betreffenden Geschäftsart beteiligten Verkehrskreise. Ist danach der Hinweis auf einen gesetzlichen Regelungskomplex nicht zu mißbilligen und zählt der Vertragspartner zu der entsprechenden Kundengruppe, 1 5 1 hält die Klausel auch bei individueller Nichtkenntnis der Angemessenheitskontrolle insoweit grundsätzlich stand. dd) Transparenzkontrolle
und
Vertragsgerechtigkeit
D i e Analyse hat ergeben, daß das G e b o t klarer und verständlicher Klauselformulierung sowohl in den N o r m e n der Einbeziehungskontrolle als auch bei der A n gemessenheitskontrolle seinen Ausdruck gefunden hat. D e r Transparenzgedanke ist in zweifacher Weise ausgeformt. Dies entspricht den Vorstellungen des G e setzgebers. Das A G B - G e s e t z zielt darauf, »durch freies Aushandeln von Verträgen zwischen freien und zur rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung fähigen Partnern Vertragsgerechtigkeit zu schaffen.« 1 5 2 U m diesen Z w e c k zu realisieren, verfolgt das A G B - G e s e t z zwei Modelle: Ausreichende Information und Aufklärung sollen dazu führen, daß die Vertragspartner auf Wettbewerbsmärkten ihre Marktchancen ausreichend wahrnehmen, sei es durch Verhandlung über die Konditionen bei Vertragsschluß, sei es durch Wechsel zu anderen Anbietern. 1 5 3 Das Prinzip der Selbsthilfe durch Information und Aufklärung vermag es für sich allein genommen nicht, »die Idee der Vertragsfreiheit mit neuem Inhalt« 1 5 4 zu erfüllen. Transparenz als Intention der Einbeziehungskontrolle entspricht zwar in erster Linie dem Wesen der Vertragsfreiheit, eigenverantwortliche und selbst150 Wolf, in: Wolf/Horn/Lmdacher, §9 A G B G Rn. 151; ähnlich O L G Hamm NJW-RR 1987, 311, 313. 151 Gehört der Vertragspartner nicht der spezifischen Kundengruppe an, ist die Angemessenheit der Bedingungen ausnahmsweise nach anderen Maßstäben zu beurteilen; zu berücksichtigen sind hier abweichende typische Interessen. 152 BT-Drucks. 7/3919, S. 13. 153 Grunsky, BB 1971, 1113, 1116ff. 154 Referentenentwurf, D B 1974, Beil. 18, S.5.
10. Kapitel: Angemessenheitskontrolle
459
bestimmte Entscheidungen zu ermöglichen. 1 5 5 Angesichts der sozialen Realität kann Einbeziehungskontrolle allein die Bedingungen für einen gerechten Vertragsschluß nicht gewährleisten. Sie hilft beispielsweise dort nicht weiter, w o lediglich die Wahl zwischen unangemessenen Risiken verbleibt. Vertragsgerechtigkeit läßt sich nur dann erreichen, wenn flankierend neben die Einbeziehungskontrolle eine inhaltsbezogene Prüfung tritt. N i c h t auf eine Stärkung des Selbstschutzes, sondern auf heteronome Prüfung setzt deshalb das Modell der Angemessenheitskontrolle. Störungen der Vertragsgerechtigkeit werden durch hoheitliche Aufsicht über den Vertragsinhalt kompensiert. 1 5 6 Gemeinsames Ziel beider M o delle ist es, Intransparenz zu verhindern. J e nachdem, welche Zielrichtung betroffen ist, k o m m t die Einbeziehungs- oder die Angemessenheitskontrolle zum Z u ge. 157 D e r Transparenzgedanke ist als übergreifendes Prinzip aufzufassen. Dies gilt ebenfalls bei Verbraucherverträgen, jedoch sind hier nach § 2 4 a A G B G B e sonderheiten zu beachten.
III. Angemessenheitskontrolle bei Verbraucherverträgen 1. G r u n d l a g e n a)
Begriff
Besonderheiten gelten gemäß § 2 4 a Nr. 3 A G B G bei der Angemessenheitskontrolle von Verbraucherverträgen, das heißt bei Verträgen zwischen einem gewerblich oder freiberuflich tätigen Unternehmer und einem private Zwecke verfolgenden Verbraucher. Verbraucher sind ausschließlich natürliche Personen, die einen nicht einer etwaigen gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit des Vertragspartners zuzurechnenden Vertrag schließen. 1 5 8 Bei der Abgrenzung k o m m t es nicht auf den inneren Willen an, entscheidend für die Bestimmung eines Verbrauchervertrages sind der durch Auslegung zu ermittelnde Vertragsinhalt und der Vertragszweck zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Abgrenzungsprobleme treten auf, wenn der Vertragsgegenstand sowohl dem privaten wie auch dem beruflichen Umfeld des Vertragspartners zuzuordnen ist, wie es häufig bei einem auch privat genutzten Geschäftswagen der Fall ist. Eine Aufspaltung des Geschäfts ist hier anders als bei der vergleichbaren Frage der Zuordnung eines Kredits mit unterschiedlicher Zweckbestimmung 159 nicht möglich. Eine partielle Anwendung des A G B G auf einen Kaufvertrag kommt nicht in Betracht. Läßt sich den Umständen des Einzelfalls eine deutGrundlegend hierzu im 2. Kapitel (S.43ff.). Hönn, JZ 1983, 677, 679; Schmidt, ZIP 1987, 1505, 1506. 157 Köndgen, NJW 1989, 943, 949f. 158 Zum Verbraucherbegriff Dick, Verbraucherleitbild, S. 10f., 12ff.; Kapnopoulou, Recht, S. 21 ff.; zur Diskrepanz zwischen deutscher und europäischer Sicht sowie deren Annäherung in Teilbereichen vgl. das 4. Kapitel (S. 148ff.). 159 Dazu v. Westphalen, in: v. Westphalen/Emmerich/v. Rottenburg, § 1 VerbrKrG Rn. 46ff.; Lwowski, in: LwowskHPeters/Gößmann, S.49; Ulmer, in: MünchKommBGB, §1 VerbrKrG Rn. 28. 155 156
460
3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
lieh überwiegende Zweckbestimmung entnehmen, ist der gesamte Vertrag trotz der Ambivalenz der wirtschaftlichen Zwecke dem überwiegenden Handlungsbereich zuzuordnen. Es erscheint sachgerecht, an die Regel des § 609a Abs. 1 Nr. 2 B G B anzuknüpfen, die für das Kündigungsrecht bei Darlehen danach differenziert, ob »das Darlehen ganz oder überwiegend für Zwecke einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit bestimmt war.« Es ist mithin zu unterscheiden, ob nach dem Inhalt des Vertrages zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die private oder die berufliche Nutzung des angeschafften Wirtschaftsgutes dominiert. 160 Dagegen will v. Westphalen § 24a A G B G nur dann nicht anwenden, wenn die Ziel- und Zwecksetzung des Vertrages »ausschließlich der gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit des Verbrauchers zuzurechnen ist.« 161 Er begründet dies mit Art. 2 lit. b und c der Richtlinie 93/13/EWG. Den Normen ist für die Beurteilung von Mischformen allerdings kein Kriterium zu entnehmen; die Begriffsbestimmung nimmt die Zuordnung zur Gruppe der Verbraucher vielmehr danach vor, ob die natürliche Person einen Zweck verfolgt, der einer »gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann.« Wie die Zurechnung vorzunehmen ist, bleibt offen. Knüpft man an der Zielsetzung an, fehlt ein Schutzbedürfnis des Vertragspartners, wenn das Geschäft aus objektiver Sicht überwiegend gewerblicher oder freiberuflicher Tätigkeit zuzurechnen ist. Das für den Verbraucher typische Schutzbedürfnis besteht ja hier gerade nicht. Nur die Differenzierung nach dem Schwerpunkt des Vertrages verhindert, daß eine vernachlässigbar geringe private Nutzung, zum Beispiel wenn ein Geschäftswagen auch für die Urlaubsfahrt benutzt wird, bereits zur Anwendung des §24a A G B G führt. Läßt sich auf tatsächlicher Ebene seitens des Gerichts weder ein eindeutiges Uberwiegen des privaten Zweckes noch ein solches einer geschäftlichen Zielsetzung feststellen, ist eine Beweislastentscheidung zu fällen. Dabei gilt folgendes: Selbständig neben den materiellrechtlichen Tatbestandsmerkmalen stehen Beweislastnormen, die im Regelfall die Nichtverwirklichung des ungeklärten Sachverhalts fingieren. Die Kooperation der negativen Grundregel mit der materiell-rechtlichen Anlage als rechtsbegründendes, -hinderndes, -hemmendes oder rechtsvernichtendes Tatbestandsmerkmal bestimmt die Entscheidung des Gerichts und in deren Konsequenz Beweisführungs- und Feststellungslast der Parteien. 162 Die Konstitutivmerkmale für die Anwendung des A G B G sind demnach von demjenigen zu beweisen, der sich auf Vorschriften des A G B G beruft. Folglich sind die tatsächlichen Grundlagen des § 1 Abs. 1 A G B G als begründende Merkmale einzustufen, während der zweite Absatz eine Ausnahme hierzu beschreibt, die nach der Doktrin der modifizierten Normentheorie als hinderndes Element für die Anwendung des A G B G nicht überzeugend darzulegen ist. 163 Damit stellt sich die Frage, ob § 24a A G B G als eine § 1 Abs. 1 A G B G 160 Heinrichs, NJW 1996,2190,2191 ;Imping, WiB 1997,337,338. Ebenso für die vergleichbare Fragestellung bei § 1 Abs. 1 VerbrKrG Seibert, § 1 VerbrKrG Rn. 3; Erman!Klingsporn/Rebmann, §1 VerbrKrG Rn.44; Wagner-Wieduwilt, in: Bruckner! Ott/Wagner-Wieduwilt, §1 VerbrKrG Rn. 36 (unter Berufung auf die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 11/5462, S. 17); v. Westphalen, in: v. Westphalen/Emmerich/v. Rottenburg, § 1 VerbrKrG Rn.49f.; vgl. auch Preis, ZHR 158 (1994), 567,599ff.; a.A. einerseits Reinking/Nießen, ZIP 1991, 79, 81, die die Anwendbarkeit des VerbrKrG von einer ausschließlich privaten Nutzung abhängig machen, andererseits Reich, in: Hadding/Hopt, Verbraucherkreditgesetz, S.29, 35, der von dem Grundsatz »in dubio pro consumatore« ausgeht. 161 V. Westphalen, BB 1996, 2101. 162 Musielak, Grundlagen, S. 19ff., 292ff.; Prutting, Gegenwartsprobleme, S.265ff. 163 BaumgärteilHohmann, Handbuch, §1 AGBG Rn.2f.; Prutting, Gegenwartsprobleme, S. 348; Schlosser, in: Schlosser/Coester-Waltjen/Graba, § 1 AGBG Rn. 30; Müller-Graff, JZ 1977, 245, 247; BGH BB 1992, 169, 170; BGH NJW-RR 1987, 144, 145.
10. Kapitel: Angemessenheitskontrolle
461
ergänzende, die Anwendbarkeit des AGBG konstituierende Regelung anzusehen ist oder in Parallelität zu § 1 Abs. 2 AGBG - einen bereits eröffneten Anwendungsbereich einschränkende Norm darstellt. Für §§23, 24 AGBG bringt die Wendung »findet keine Anwendung« zum Ausdruck, daß trotz eines ursprünglich eröffneten Anwendungsbereichs in bestimmten Ausnahmefällen das Gesetz nicht anwendbar ist. §23 A G B G bringt Beschränkungen des sachlichen, §24 A G B G des persönlichen Anwendungsbereichs; im Zweifelsfall greift die negative Grundregel. 164 Bei §24a AGBG spricht die Stellung im Gesetz für eine Kongruenz mit der für §§23,24 AGBG gefundenen Beweislastverteilung. Die positive Formulierung und die Begründung von Erleichterungen, die beispielsweise Nr. 1 für das Merkmal des Stellens bringt, deuten auf eine konstituierende Wirkung hin - und das ist entscheidend. §24a AGBG statuiert einen erweiterten Schutz bei Verbraucherverträgen; rechtsbegründend ist folglich die Eröffnung des Anwendungsbereichs, also die Existenz eines Verbrauchervertrages. Demzufolge hat derjenige, der sich auf §24a A G B G beruft, die Verwirklichung eines Verbrauchervertrages darzutun und zu beweisen. 165
b)
Schutzzweck
Ist das Gericht von den tatsächlichen Voraussetzungen eines Verbrauchervertrages im Sinne des §24a AGBG überzeugt, sind die Besonderheiten zu berücksichtigen, die die Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG in deutsches Recht mit sich gebracht hat. Konsequenz ist eine Modifikation des Schutzzweckes des AGBGesetzes. Grundsätzliches Ziel des AGB-Gesetzes ist es, die Ausnutzung der vom AGB-Verwender einseitig in Anspruch genommenen Vertragsgestaltungsfreiheit zu verhindern. Die Kontrolle einseitiger Gestaltungsmacht dient der Sicherheit von Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit im Verhältnis zwischen AGB-Verwender und Vertragspartner. Anlaß ist die Verwendung vorformulierter Bedingungen; auf die konkreten Umstände und das tatsächliche Kräfteverhältnis im Einzelfall kommt es nicht an.166 Das AGB-Gesetz schützt nach seiner grundsätzlichen Konzeption nicht den Verbraucher im Verhältnis zum Unternehmer, sondern den Verwendungsgegner im Verhältnis zum Verwender. Auf eine »rollenspezifische Unterlegenheit« 167 kommt es nicht an. Wie §24 AGBG zeigt, sind nicht nur Verbraucher, sondern auch Unternehmer geschützt, sofern ihnen gegenüber allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet werden. Die Richtlinie zielt hingegen auf den Verbraucherschutz; der Schutzzweck umfaßt auch den Ausgleich eines typischen Machtgefälles zwischen Unternehmer und Verbraucher.168 Bei Auslegung und Anwendung des §24a A G B G ist dieser Normzweck vorrangig zu berücksichtigen. Die unterschiedlichen Schutzkonzeptionen von AGB-Gesetz und Richtli164
Vgl. nur Palandt/Heinrichs, §§23, 24 AGBG Rn. 1. Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2191; Imping, WiB 1997, 337, 338f.; Schwerdtfeger, DStR 1997, 499, 500. 166 Vgl. in diesem Kapitel unter I (S.426ff.). Zum ursprünglichen Schutzzweck des AGBG auch BGHZ 126, 326, 332. 167 Hommelhoff/Wiedenmann, ZIP 1993, 562, 564. 168 Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2194; Eckert, ZIP 1996, 1238, 1239; ders., WM 1993, 1070, 1071. 165
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3. Teil: Inhaltskontrolle
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Generalklauseln
nie führen zu keiner grundsätzlichen Divergenz bei der Rechtsanwendung. Verbraucherschutz bildet einen integrierenden Bestandteil des auf eine Verhinderung des Mißbrauchs einseitiger Vertragsgestaltungsfreiheit gerichteten Schutzzwecks. Verbraucherschutz stellt kein aliud, sondern einen spezifischen Teilbereich dar.169 2. K o n t r o l l k r i t e r i e n a)
Ausgangslage
D i e Richtlinie 9 3 / 1 3 / E W G verfolgt eine das A G B - G e s e t z ergänzende Schutzkonzeption. D u r c h das Gesetz v o m 19.7. 1996 ist die Modifikation mittels § 2 4 a A G B G in das A G B - G e s e t z integriert worden. Bei Verbraucherverträgen gelten die Vorschriften des A G B G »mit folgenden Maßgaben«: Klauselwerke sind gemäß § 2 4 a Nr. 1 A G B G als v o m Unternehmer gestellt anzusehen, es sei denn, daß sie durch den Verbraucher in den Vertrag eingeführt wurden. Diese Fiktion bringt für Verbraucherverträge die grundsätzliche Anwendung des A G B - G e s e t z e s auch auf solche Bedingungen, die nicht v o m U n t e r n e h m e r gestellt, sondern durch einen Dritten in den Vertrag eingeführt werden. N a c h § 2 4 a Nr. 2 A G B G sind § § 5 , 6, 8 - 1 2 A G B G auf vorformulierte Bedingungen auch dann anzuwenden, wenn diese nur zu einmaligem Gebrauch bestimmt sind und soweit der Verbraucher aufgrund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluß nehmen kann. § 24a Nr. 1 und Nr. 2 A G B G erweitern also bei Verbraucherverträgen den A n wendungsbereich der Angemessenheitskontrolle auf vorformulierte Vertragsbedingungen, die nicht unter die Begriffsbestimmung des § 1 Abs. 1 A G B G einzuordnen sind. Maßstab und M e t h o d e der Angemessenheitskontrolle bleiben durch die N u m m e r n 1 und 2 unangetastet. b) Konkret-individuelle aa)
Umstände
Anwendungsbereich
Demgegenüber nimmt § 24a Nr. 3 A G B G Einfluß auf die Abwägungsmethode der Angemessenheitskontrolle. Bei Verbraucherverträgen ist entsprechend den Erwägungsgründen und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie die Berücksichtigung »aller den Vertragsabschluß begleitenden Umstände« gefordert. D e m trägt § 2 4 a Nr. 3 A G B G durch die Bezugnahme der konkret-individuellen Umstände Rechnung. D i e Vorschrift erweitert für Verbraucherverträge das Spektrum der Abwägungsgesichtspunkte; neben die generalisierend-typisierende Betrachtungsweise treten individuelle Begleitumstände. 1 7 0 N a c h dem Wortlaut der N u m m e r 3 gilt das nur
169 Heinrichs, NJW 1993, 1817, 1818; Rennen, ZEuP 1994, 35, 52; Ulmer, EuZW 1993, 337, 341 £f.; Reich!Michlitz, Verbraucherschutz, Rn.264; a.A. Hommelhoff/Wiedenmann, ZIP 1993, 562, 568, 571 f. Die abweichende Auffassung verkennt, daß der Gesetzgeber bei Erlaß des §24a AGBG den Verbraucherschutz als Teilaspekt des bisherigen Schutzzweckes angesehen hat, BTDrucks. 13/2713, und diesen Teilaspekt fortführen und verdeutlichen wollte. 170 Eine Reduktion des Anwendungsbereichs des §24a Nr. 3 AGBG auf vorformulierte Ein-
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Angemessenheitskontrolle
463
im Rahmen der Generalklausel (§9 AGBG), nicht bei §§10, 11 AGBG. Für §11 AGBG ist das eindeutig: Der Klauselkatalog des § 11 AGBG steht einer Einzelfallbewertung nicht offen. Bereits die amtliche Überschrift »Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit« drückt aus, daß die in § 11 AGBG genannten Bestimmungen ohne Rücksicht auf vertragstypische oder individuelle Begebenheiten unwirksam sind.171 Bei den im Katalog des § 10 AGBG aufgezählten Konditionen ist von ihrer benachteiligenden Wirkung zwar in der Regel auszugehen, jedoch sind die Klauselverbote im wertungsoffenen Teilbereich durch eine Interessenabwägung auszufüllen. Wertungsoffen sind die in den einzelnen Verbotstatbeständen enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe, wie z.B. »angemessen« in N r n . 1, 2, 5 oder »unangemessen« in Nr. 7. Die Wertungsmöglichkeit relativiert folglich nicht den Verbotscharakter. F ü h r t diese partielle Wertung im R a h m e n des jeweiligen unbestimmten Rechtsbegriffs z u s a m m e n mit der Subsumtion unter die übrigen Tatbestandsmerkmale zu der Feststellung, daß ein Tatbestand des §10 A G B G erfüllt ist, so ist die entsprechende Vertragsklausel ausnahmslos u n w i r k sam. 172
Maßstab der Wertung bei § 10 AGBG ist das Kriterium einer Treu und Glauben widersprechenden unangemessenen Benachteiligung im Sinne des §9 Abs.l AGBG. Ist im Rahmen des § 9 Abs. 1 AGBG nach §24a Nr. 3 AGBG auch ein individuell-konkreter Maßstab anzulegen, gilt das auch, wenn die Wertung des § 9 Abs. 1 AGBG bei § 10 AGBG Berücksichtigung findet. Über den Wortlaut des § 24a A G B G hinaus können die den Vertragsschluß begleitenden Umstände auch bei § 10 AGBG eine Rolle spielen, soweit die N o r m einen Wertungsspielraum eröffnet. bb)
Kontrollrahmen
Welche Auswirkungen hat der Rekurs auf die Begleitumstände nun im einzelnen auf die Angemessenheitskontrolle? §24a Nr. 3 AGBG bringt eine zweifache Modifikation des Maßstabes mit sich sowie eine Änderung der methodischen Vorgehensweise. Zunächst wird die Abwägungsgrundlage erweitert. Die zuvor auf die Berücksichtigung genereller typischer Aspekte beschränkte Bilanzierung der Interessen wird ergänzt durch die Inbezugnahme von im einzelnen Vertragsverhältnis angelegten Begleitumständen. Neben dem konkreten Vertragsinhalt werden in die Abwägung - und das ist das zweite Novum - Umstände außerhalb des Vertrages einbezogen. Im 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13/EWG ist beispielhaft ausgeführt: »Bei der Beurteilung von Treu und Glauben ist besonders zu berücksichtigen, welches Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien bestand, ob auf den Verbraucher in irgendeiner Weise eingewirkt wurde, seine Zustimmung zu der Klausel zu geben, und ob die Güter oder zelvertragsklauseln, wie sie Wolf (Wolf/ Horn/Lindacher, spricht dem insofern eindeutigen Wortlaut der Nr. 3. 171 BT-Drucks. 7/3919, S.24. 172 BT-Drucks. 7/5422, S. 8.
Art. 4 Rn. 3) angesprochen hat, wider-
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3. Teil: Inhaltskontrolle
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Generalklauseln
Dienstleistungen auf eine Sonderstellung des Verbrauchers hin verkauft bzw. erbracht wurden.« Außer auf den Vertrags- und auf den Klauselinhalt kann bei Verbraucherverträgen auf individuelle Stärken und Schwächen der Parteien, die konkrete Abschlußsituation und andere untypische, den Einzelfall betreffende Faktoren abgestellt werden. So kann die Entscheidung unter anderem von der Beantwortung folgender Fragen abhängen: Bestand eine (von § 1 HaustürWG möglicherweise nicht erfaßte) Uberrumpelungs- oder Uberraschungssituation? Hat der Verbraucher aufgrund intellektueller Unterlegenheit die Tragweite des Rechtsgeschäfts nicht erkannt? War der Vertragspartner geschäftlich unerfahren? Bestand ein derartiges wirtschaftliches Machtgefälle, daß dem Verbraucher Einwirkungsmöglichkeiten auf den Vertragsinhalt verschlossen waren? Wurden von dem Verbraucher vorab Vergleichsangebote eingeholt und eingehend geprüft, oder handelt es sich um einen spontanen Kaufentschluß? Hat der Verwender eine faktische oder rechtliche Monopolstellung ausgenutzt? War der Kunde auf die Vertragsleistung in besonderem Maß angewiesen? Ist der Verbraucher in gehöriger Art und Weise über etwaige Risiken aufgeklärt worden? Kam es dem Vertragspartner auf einen dem Verwender erkennbaren besonderen Zweck an, dem der Unternehmer bei der Vertragsgestaltung Aufmerksamkeit hätte widmen müssen? Ist der Vertragsschluß aufgrund einer Täuschung, Drohung oder aufgrund eines Irrtums zustande gekommen? 173 Bei der Auseinandersetzung mit diesen Fragen ist das gesamte Vertragsverhältnis im Blickfeld zu bewahren. Erforderlich ist eine wertende, an der wirtschaftlichen Realität und dem Gebot von Treu und Glauben orientierte Betrachtung, welche die einzelnen individuellen Gesichtspunkte nach der komparativen Methode 174 gewichtet, zueinander in Bezug setzt und generellen Aspekten gegenüberstellt. Handelt es sich um eine der in der Liste zum Anhang der Richtlinie aufgeführten Klauseln, so besteht nach Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie die widerlegliche Vermutung, daß die Bedingung zu einem Mißverhältnis führt. Der Klauselanhang ist - obwohl bei § 24a AGBG nicht ausdrücklich erwähnt - im Wege richtlinienkonformer Auslegung 175 zu berücksichtigen. Er bringt allerdings abstraktgenerelle Überlegungen zum Ausdruck und ist deshalb als bloßes Indiz für eine unangemessene Vertragsgestaltung zu werten. Einzelfallumstände können mithin gegebenenfalls auch diese Klauseln rechtfertigen. 176 173 In diesen Fällen wird der Verbraucher bereits durch ein Anfechtungsrecht nach §§119, 123 BGB geschützt. § 142 Abs. 1 BGB führt zur Nichtigkeit ex tunc. Dies mag in vielen Fällen auch die zutreffende Rechtsfolge darstellen (so v.a. Ulmer, EuZW 1993, 337, 345; zustimmend Heinrichs, N J W 1996, 2190, 2194), gleichwohl sind Konstellationen denkbar, wo es dem Verbraucher um eine Aufrechterhaltung des Vertrages unter Wegfall einiger Klauseln ankommt. §24a Nr. 3 A G B G macht also trotz möglicher Überschneidungen mit dem Anfechtungsrecht Sinn. Gleiches gilt für einen Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen. 174 Näher dazu im 5. (S.205ff.) und im 7. Kapitel (S.320ff.). 175 Vgl. das 4. Kapitel (S.148ff.). 176 Die Vermutungswirkung bringt Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie durch die Formulierung »eine
10. Kapitel:
Angemessenheitskontrolle
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Der Inhalt der betreffenden Klausel ist hinsichtlich der Rechte und Pflichten der Parteien zu bestimmen. Eine für die eine Partei begründete Verpflichtung oder Berechtigung korrespondiert regelmäßig mit der Rechtsposition der anderen. Die Vorteile und Belastungen der beiden Parteien dürfen unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls nicht unangemessen auseinanderfallen. Dabei ist die Analyse nicht auf formelle Aspekte zu beschränken. Ein rechtliches Gleichgewicht kann sich wirtschaftlich in der konkreten Situation als Störung des Kräfteverhältnisses verwirklichen. 177 Auch bei § 24a Nr. 3 A G B G gilt, daß nicht jede Unstimmigkeit die Mißbräuchlichkeit einer Klausel begründen kann; notwendig ist eine erhebliche Diskrepanz. Unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ist das gegebenenfalls anzunehmen, wenn bei der Gewichtung von Rechten und Pflichten die Nachteile für den Verbraucher deutlich überwiegen. Das ist dann der Fall, wenn die dem Verbraucher auferlegten Belastungen konkret in einem unangemessenen Verhältnis zu den schutzwürdigen Belangen des Unternehmers stehen. Dies ergibt sich aus der unternehmerischen Pflicht zu einem loyalen und billigen Verhalten gegenüber dem Verbraucher, wie es in Punkt 16 der Erwägungsgründe ausgedrückt ist. Dem Unternehmer ist es nicht versagt, eigene wirtschaftliche oder rechtliche Interessen zu verfolgen und eine ihm günstige Gestaltung zu wählen. Er darf aber dem Verbraucher-jedenfalls bei nicht im einzelnen ausgehandelten Bedingungen - nicht mehr Belastungen auferlegen, als zur Wahrung seiner berechtigten Interessen im Einzelfall und unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Vertragspartners angezeigt ist. Den berechtigten Interessen des Verbrauchers hat der Unternehmer nur im Rahmen des Zumutbaren Rechnung zu tragen. Die konkret-individuelle Betrachtung macht es notwendig, Elemente in die Beurteilung einzubeziehen, die über die Klauseln hinausgehen und das gesamte Umfeld erfassen. Dem konkret betroffenen Verbraucher ist nicht mehr Schutz zu gewähren, als er in der individuellen Lage tatsächlich benötigt. Der konkrete situationsbezogene Eingriff zur Gewährleistung des subjektiv nötigen Schutzes führt entgegen der von Frey geäußerten Befürchtung nicht zu einer grenzenlosen Individualisierung der Massengeschäfte, die im modernen Wirtschaftsverkehr kaum zu bewältigen sei. 178 Massengeschäfte als solche werden nicht in Frage gestellt; ebensowenig wird der Rationalisierungseffekt von A G B konterkariert. §24a Nr. 3 A G B G wendet sich nicht gegen den Gebrauch von Klauselwerken als solchen, sondern will nur verhindern, daß die konkrete Situation des Verbrauchers bei der Vertragsgestaltung keinerlei Resonanz findet. Es genügt, wenn der Unternehmer die Bedingungen derart formuliert, daß sie im als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste der Klauseln, die für mißbräuchlich erklärt werden können« zum Ausdruck. Ebenso v. Hippel, RabelsZ 41 (1977), 237,245 (»Vermutung der Unbilligkeit«); Kapnopoulou, Recht, S. 139 (»Indiz«); Nassal,JZ 1995, 689, 689, 691 (»was einem Verbraucher aus der Sicht des Richtliniengebers eigentlich nicht zugemutet werden soll«); lJimer, EuZW 1993, 337, 338 (»Tendenzaussage«). 177 Kapnopoulou, Recht, S.128; Wolf, in: Wolf/Horn! Lindacher, Art. 3 Rn.5. 178 Frey, ZIP 1993, 572, 573.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
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Generalklauseln
Einzelfall ausreichenden Spielraum für die Einbeziehung der besonderen Situation und Interessenlage des individuellen Vertragspartners lassen. c)
Wirkungsweise
aa)
Zwei-Stufen-Prüfung
Je nach Häufigkeit und Intensität der für oder gegen eine Vertragskontrolle sprechenden Gesichtspunkte beeinflußt das konkrete Umfeld die Angemessenheitsprüfung von allgemeinen Geschäftsbedingungen, die einem Verbrauchervertrag zugrunde liegen. Der konkret-individuelle Maßstab des §24a Nr. 3 A G B G tritt dabei nicht an die Stelle des abstrakt-generellen Maßstabs des § 9 Abs. 1 AGBG. Nach §24a Nr. 3 AGBG sind bei der Beantwortung der Frage, ob eine Klausel den Verbraucher unangemessen benachteiligt, »auch« die den Einzelfall charakterisierenden Umstände einzubeziehen. Der Wortlaut der Vorschrift wie auch die amtliche Begründung 179 deuten darauf hin, daß der Gesetzgeber an der grundsätzlichen Konzeption der Angemessenheitskontrolle nach dem AGB-Gesetz festhalten wollte. §24a Nr. 3 A G B G kombiniert die überindividuelle Kontrollkonzeption des § 9 AGBG mit einer zusätzlichen, ergänzenden Berücksichtigung individueller Begebenheiten. Dies widerspricht nicht europarechtlichen Vorgaben: Auch die Richtlinie 93/13/EWG geht von einem ambivalenten Maßstab aus. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie sieht ein Verbandsverfahren vor. In diesem Verfahren wird die Vertragskontrolle ohne Bezug zu einem bestimmten Vertrag und damit notwendigerweise anhand generell-abstrakter Kriterien durchgeführt. Es ist deshalb nicht zutreffend, daß die Richtlinie allein einen konkreten Kontrollansatz verfolgt. 180 Erwägungsgrund Nummer 16 der Richtlinie bringt zum Ausdruck, daß zuerst eine generell-abstrakte Beurteilung vorzunehmen ist. In einem weiteren, nachfolgenden Schritt ist sodann zu prüfen, ob das im Zuge einer überindividuellen Betrachtung gefundene Ergebnis aufgrund individueller Umstände zu korrigieren ist. Bei Verbraucherverträgen ist also eine zweistufige Vertragskontrolle vorzunehmen. 181 bb) Doppelte
Konkretisierungsfunktion
Aus Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie, der die Berücksichtigung »aller den Vertragsschluß begleitenden Umstände« festschreibt, ist im Wege europarechtskonformer Auslegung zu folgern, daß die Begleitgegebenheiten den Kontrollvorgang in beide Richtungen beeinflussen können: Sie können eine durch die abstrakt-generelle 179
BT-Drucks. 13/2713, S.7f. Dagegen Schmidt-Salzer, JZ 1995,223; wie hier Brandner, M D R 1997,312,314; Damm, JZ 1994, 161, 173f. Anderes ist anzunehmen bei vorformulierten Einzelvertragsklauseln im Sinne des §24a Nr. 2 AGBG; hier kann eine Abwägung nach Maßgabe der typischen Interessenlagen der beteiligten Personenkreise nicht vorgenommen werden. In diesem Sonderfall ist allein auf die individuellen Interessen abzustellen. 181 Brandner, M D R 1997, 312, 314; Heinrichs, N J W 1996,2190, 2193; Bunte, DB 1996,1389, 1390; Börner, JZ 1997, 595. 180
10. Kapitel:
Angemessenheitskontrolle
467
Analyse gefundene negative Einschätzung ausschließen oder entscheidend abschwächen, ein Negativurteil aber auch erst begründen oder maßgeblich verstärken. Letzteres kommt insbesondere in Betracht, wenn das Selbstbestimmungsrecht oder die Beurteilungsfähigkeit des Verbrauchers aus persönlichen oder situativen Gründen zur Zeit des Vertragsschlusses beeinträchtigt war. Je intensiver Wertungen aus der individuellen Sphäre abweichend von einer überindividuellen Akzeptanz einer Klausel für ein Unwerturteil sprechen, desto eher ist von einer Unwirksamkeit der Klausel nach § § 9 Abs. 1, 24a Nr. 3 AGBG auszugehen.
cc) Intensitätsgrad
des individuellen
Wertungsfaktors
U m ein durch die generalisierende Abwägung gefundenes klauselakzeptierendes Ergebnis abzuändern, ist ein Intensitätsgrad der Unangemessenheit notwendig, der den der generalisierenden Betrachtungsweise deutlich überwiegt. Eine Einzelfallkorrektur muß zwingend geboten sein, da sich nur so verhindern läßt, daß der Grundsatz generalisierender Interessenabwägung obsolet wird. Die Faktoren, die aus generalisierender Sicht für die Angemessenheit einer Klausel sprechen und die konträren individuellen Umstände sind miteinander in Bezug zu setzen. Kommt es zu einem Patt in der Wertungsgewichtung oder überwiegen die negativen individuellen Umstände in ihrer Wertungsintensität nur knapp, verbleibt es bei der Akzeptanz der Klausel durch die Rechtsordnung. Möglich ist auch eine gegenteilige Wirkung: Eine aus generell-typisierender Perspektive als unangemessen benachteiligend festgestellte Klausel kann situationsbezogen als rechtsordnungskonform zu werten sein. Diese Folge ist weder »schockierend« 182 , noch vermag sie aus verbraucherschutzpolitischer Sicht zu »betrüben« 183 , sie stellt vielmehr die logische Konsequenz der umfassenden Zielrichtung des §24a Nr. 3 AGBG dar. 184 Bei Verbraucherverträgen können - anders als bei anderen Vertragsarten 185 - vertragsabschlußbegleitende Umstände auch ein aus § 9 AGBG abzuleitendes Negativurteil zum Positiven wenden. Die Vermutung eines Vertrags- und Marktversagens bei der Kontrolle der einseitigen Inanspruchnahme der Gestaltungsfreiheit kann hier durch individuelle Umstände widerlegt werden. Abschwächend und unter Umständen endgültig neutralisierend kann sich auf eine negative Kontrollbeurteilung einer für den Verbraucher nachteiligen Klausel eine besondere persönliche oder situative Konstellation auswirken.
Kapnopoulou, Recht, S. 131. Börner, JZ 1997, 595, 600. 184 Brandner, MDR 1997, 312, 314; Bunte, DB 1996, 1389,1390; Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2194. Im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens haben sich Damm (JZ 1994,161,174) und Heinrichs (NJW 1993,1817,1821) für eine Berücksichtigung individueller Aspekte nur zugunsten des Verbrauchers ausgesprochen; der Vorschlag wurde vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen. 185 Vgl. Adams, BB 1989,781,783f.; Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1,13ff.; Köndgen, NJW 1989, 943, 946. 182 183
468 dd) Kompensation
3. Teil: Inhaltskontrolle und
durch
Generalklauseln
Transparenz
D i e bei einer richtlinienkonformen Auslegung heranzuziehenden Erwägungsgründe erwähnen in N u m m e r 16 als Abwägungselement eine »Sonderstellung des Verbrauchers«. A u f den Vertragsgegenstand kann die Formulierung nicht bezogen sein. 1 8 6 D e n n dies würde dazu führen, daß der Verbraucher nur bei der D e c k u n g des typischen Lebensbedarfs in vollem U m f a n g schutzwürdig wäre, nicht dagegen bei anderweitigen das Notwendige überschreitenden Rechtsgeschäften. Abgesehen von den durch eine derartige Interpretation aufgeworfenen Abgrenzungsproblemen 1 8 7 scheitert dies an der Intention des A G B - G e s e t z e s , die umfassend und eben nicht partiell angelegt ist. Gemeint ist eine Sonderstellung in bezug auf die Vertragskonditionen. B l o ß e Information durch den Unternehmer über die Risiken der von ihm verwendeten Klauseln verursacht keine Sonderstellung. Anderenfalls könnten branchenspezifische nachteilige allgemeine G e schäftsbedingungen durch allgemein übliche Informationsverschaffung in einem gesamten Marktsegment durchgesetzt werden - Sinn und Zweck der Verbraucherschutzgesetzgebung würden leerlaufen; § 24a Nr. 3 A G B G hätte eine gegenteilige Wirkung. 1 8 8 Ein hoher Wissens- und Erkenntnisstand des Verbrauchers kann allenfalls dann in die Abwägung eingestellt werden, wenn objektive Ausweichgegebenheiten (zu geänderten Bedingungen) existieren und diese subjektiv dem Verbraucher zumutbar sind. Art und Inhalt der Informationsvermittlung müssen den alternativen Marktzugang derart erleichtern, daß der Verbraucher ohne weiteres ausweichen kann. Das wird in der Praxis nur in Ausnahmefällen v o r k o m m e n , weil dem Verwender an eigener Marktpräsenz gelegen ist. 1 8 9 Zudem wird auch eine dergestalt vorgenommene Aufklärung in der Abwägung regelmäßig nicht den Intensitätsgrad erreichen, der notwendig ist, um eine unangemessene nachteilige Klausel zu kompensieren. D i e durch § 2 4 a Nr. 3 A G B G eröffnete Korrekturmöglichkeit ist - wie erwähnt - abhängig davon, daß die konkreten Umstände in der Wertungshierarchie hoch angesiedelt sind und die abstrakt-generelle Einschätzung in ihrem Intensitätsgrad deutlich überwiegen. N e b e n den Gesichtspunkt der Aufklärung werden daher regelmäßig noch weitere kompensatorische Aspekte treten müssen, um eine Korrektur zu erreichen. E b e n s o wie bei der Kompensation im R a h m e n des § 9 Abs. 1 A G B G gilt auch hier, daß keine Gesamtbilanz des Vertrages zu ziehen ist. Es sind nur solche ausgleichenden Effekte zu berücksichtigen, die sich auf den dem Verbraucher durch die Klausel konkret entstandenen Nachteil beziehen. Bei § 2 4 a Nr. 3 A G B G muß das individuell bestehende Kräfteungleichgewicht ausgeglichen werden; Richtli-
Börner, JZ 1997, 595, 599. Vgl. die umfangreiche Kasuistik zu §1357 Abs. 1 S. 1 BGB; Nachweise bei Gernhuher/ Coester-Waltjen, Familienrecht, § 19 IV. 188 Zu weit deshalb Brandner, MDR 1997, 312, 314, der maßgeblich auf Information bei Vertragsabschluß abstellt. 189 Palandt/Heinrichs, §24a AGBG Rn. 17 a.E. 186
187
10. Kapitel:
Angemessenheitskontrolle
469
nie und deutsche Umsetzung sind situativ konzipiert. Nicht ein schablonenmäßiger Schutz, sondern der Ausgleich konkreter Defizite in einem bestimmten Vertragsverhältnis sind angestrebt. Damit steht auch fest, in welcher Sachverhaltskonstellation allein Informationen zu einem Entfall einer nach § 9 Abs. 1 A G B G unangemessenen Benachteiligung führen: bei bloßer Intransparenz einer Klausel. Ist eine intransparente Bedingung aus generell-abstrakter Betrachtung für den Durchschnittsverbraucher unverständlich, für den konkreten Vertragspartner aber aufgrund eines besonderen Kenntnisstandes oder aufgrund von Hinweisen des Verwenders einsichtig, läßt sich die Unwirksamkeit der Klausel regelmäßig nicht aus einer Verletzung des Transparenzgebotes herleiten. Nachteile, die allein auf bloße Intransparenz zurückzuführen sind, lassen sich durch individuelle U m stände korrigieren. Andere Ursachen für die Mißbräuchlichkeit einer Klausel hingegen werden regelmäßig durch bloße Aufklärung nicht zu beheben sein. Hier müssen grundsätzlich weitere Abwägungselemente hinzutreten, um - im Sinne des komparativen Systems - eine Wertungsintensität zu erzielen, die eine Korrektur des generell-abstrakten Ergebnisses durch Einzelfallaspekte rechtfertigt. 3. Ergebnis Ausgangspunkt bleibt auch bei einer Angemessenheitskontrolle gemäß §24a Nr. 3, § 9 A G B G die generalisierend-typisierende Betrachtung. Hierzu sind die individuellen Begleitumstände des Vertragsschlusses in Beziehung zu setzen, um im Individualfall eine den Geboten von Treu und Glauben entsprechende K o r rektur auszuüben. Die Erweiterung des Spektrums der Abwägungskriterien um eine zweite, individuelle Stufe führt zu einer filigranen Angemessenheitskontrolle von Verbraucherverträgen, die der Vielfalt der Vertragszwecke, Abschlußvarianten, persönlichen Eigenschaften und wirtschaftlichen Strukturen Rechnung trägt. Rechtsunsicherheit aufgrund der Vielzahl der in die Abwägung einzustellenden Positionen und der mannigfaltigen, unvorhersehbaren individuellen U m stände vermeidet weitgehend die Anwendung des flexiblen Konkretisierungssystems. Es ermöglicht, die einzelnen Elemente je nach ihrer Gewichtung in gebührendem Maß in die Wertung einzustellen. Das zweistufige System, das den Schwerpunkt auf die überindividuelle Einschätzung legt und eine (positive oder negative) Korrektur nur dann erlaubt, wenn die individuelle Lage derart stark ins Gewicht fällt, daß eine singuläre Anpassung nach Treu und Glauben unumgänglich ist, ermöglicht eine Kontrolle, deren Ergebnisse einigermaßen vorhersehbar sind. Freiheit und Schutz werden in akzeptabler Weise austariert. Die Balance zwischen staatlicher Zurückhaltung und Intervention bleibt bei Anwendung des flexiblen Systems gewahrt.
11. Kapitel
Synthese zur Inhaltskontrolle durch Generalklauseln I. Ergebnis der Analyse Inhaltsbezogene Vertragskontrolle ist maßgeblich geprägt von Generalklauseln. Es befassen sich beispielsweise mehr als zwei Drittel der gerichtlichen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Prüfung der allgemeinen Geschäftsbedingungen mit Problemen des §9 AGBG, während §§10, 11 AGBG kaum eine Rolle spielen. Das Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle, die Intensität und Reichweite der Grenzen der Gestaltungsfreiheit werden in wesentlichen Teilen geprägt von der Konkretisierung der ausfüllungsbedürftigen Tatbestände. Allgemeine Rechtsgrundsätze und der durch die Generalklauseln vorgegebene normative Rahmen geben den einzelnen Kontrolltatbeständen ihr spezifisches Gepräge. Ein festes Verhältnis der Wertungselemente ist - wie die vorangegangenen Ausführungen deutlich gemacht haben - nicht festzustellen. Generalklauseln beschreiben ein variables System, zwar ein solches, dem ein gewisser Rahmen vorgegeben ist, aber doch ein flexibles System. Flexibilität bedeutet nicht Beliebigkeit: Für jede Sachverhaltskonstellation existiert eine treffende Wertungskombination, die den von der Generalklausel eröffneten Beurteilungsrahmen ausfüllt. Die Wertungsfaktoren stellen keine Elemente dar, unter denen von Fall zu Fall wahllos gewählt werden kann, aber auch nicht diktiert aufeinander bezogene Abhängigkeiten. Die einzelnen Teilmomente des flexiblen Systems verkörpern unterschiedliche, sich von Fall zu Fall neu formierende Teilstrukturen, die in ihrem Zusammenund Widerspiel das Ergebnis für die konkrete Sachverhaltskonstellation beschreiben. Sie benennen inhaltliche Konkretisierungen, von denen »bald die eine, bald die andere wichtiger sein und sichtbarer hervortreten« wird, »so, daß nur die stete Richtung der Aufmerksamkeit nach allen diesen Seiten unerläßlich ist.« 1 Die normtextbezogenen Wertungselemente, also diejenigen, die im Wege grammatischer, historischer, systematischer und teleologischer Auslegung unmittelbar der jeweils einschlägigen Generalklausel entnommen werden, geben im Wechselspiel mit verfassungs- und europarechtlichen Wertungen und allgemeinen Rechtsprinzipien inhaltliche Kriterien für die Problemlösung vor. Der Wertungsvorgang wird nicht nur von diesen materiellen Wertungen geleitet. Ergänzend treten - wie erwähnt 2 - formelle Kriterien hinzu, die den Wertungsvorgang 1 Savigny, System Bd. I, S.215 (aus dem Blickwinkel der Auslegungsmethoden); grundlegend zu dem hier entwickelten flexiblen System im 5. Kapitel (S.205ff.) und im 7. Kapitel (S.320ff.). 2 Vgl. das 3. (S. 69ff.) und das 4. Kapitel (S. 148ff.); allgemein dazu auch im 7. Kapitel (S. 315ff.).
11. Kapitel: Synthese zur Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
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strukturieren und insbesondere für den Fall des Wertungsgleichgewichts Anhaltspunkte für die Anwendung der Generalklauseln bieten. Als formelles Syndetikon fungieren das Ubermaß verbot und der Zumutbarkeitsgrundsatz.
II. Das U b e r m a ß v e r b o t als Syndetikon der Kontrollelemente 1. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Zivilrecht Die bisher aufgezeigten allgemeinen Kontrollelemente und der je nach Generalklausel unterschiedlich ausgeformte Wertungsrahmen geben materielle Prüfungskriterien vor. Hinzu tritt als formeller Faktor der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.3 Das Ubermaß verbot ist im öffentlichen Recht entwickelt worden und soll sicherstellen, daß einseitig belastende Akte der öffentlichen Gewalt nur insoweit ergehen, als diese zur Erfüllung staatlicher Interessen erforderlich, geeignet und angemessen sind.4 Im Privatrecht findet der allgemeine Grundgedanke ebenfalls Anwendung. Darüber herrscht Einigkeit. Ubereinstimmung besteht ebenfalls darüber, daß die öffentlich-rechtlichen Anforderungen nicht ohne weiteres auf das Zivilrecht übertragbar sind.5 Die Frage, inwieweit das Ubermaßverbot Eingriffsbefugnisse des Staates in die Sphäre des Bürgers eingrenzt, läßt sich mit der Reichweite einer vertraglichen Bindung und ihrer Anerkennung in der Rechtsordnung nur bedingt vergleichen. Die Verhältnismäßigkeitsmaxime zielt auf das Verhältnis Staat/Bürger, nicht das zwischen Bürgern.6 Daraus ergibt sich, daß an die Verhältnismäßigkeit im Zivilrecht ein weniger strenger Maßstab als im Verfassungsrecht anzulegen ist. Im Privatrecht stehen die Beteiligten einander selbstbestimmt gegenüber. Der Freiheitsspielraum der Beteiligten ist zu wahren. Selbstbestimmung eröffnet nicht nur eine Handlungsbandbreite innerhalb eines Angemessenheitsrahmens, sondern erlaubt es, Rechtsgeschäfte auch außerhalb rechtsordnungskonform zu schließen. Das gilt jedenfalls dort, wo formale von materialer Vertragsfreiheit flankiert wird.7 Ziel der Privatrechtsordnung ist eine verhältnismäßige Regelung des Interessenkonflikts der Vertragsparteien. Dispositive Normen geben Anhaltspunkte für eine dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügende Regelung vor, zwingendes Recht stellt den unumstößlichen Rahmen für einen verhältnismäßigen Ausgleich zur Verfügung. Sämtliche Vorschriften, die die rechtliche Gestaltungsfreiheit des Fastrich, Inhaltskontrolle, S.317; Preis, Grundfragen, S. 360ff.; Zöllner, RdA 1989,152,159. Uberblick zur umfangreichen öffentlich-rechtlichen Rechtsprechung und Literatur bei Sachs, Art. 20 GG Rn. 145ff. 5 Vgl. Auffermann, Grundsatz, S. 1 ff.; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 99; Larenz, Richtiges Recht, S. 124ff.; Metzner, Verbot, S. 1 ff., 28 ff. (auf S. 7ff. mit einer Zusammenstellung gesetzlicher Bezüge); Preis, Prinzipien, S. 271 ff. 6 Dazu näher im 3. Kapitel (S. 108 ff.); siehe auch Joachim, ArbuR 1973, 289, 292f.; Zitscher, BB 1983, 1285, 1287. 7 Vgl. Canaris, ZHR143 (1979), 113,122ff.; Metzner, Verbot, S. 65ff.; Preis, Prinzipien, S. 284; Reuter, ZfA 1980, 493 f. 3 4
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
einen Beteiligten w e g e n der schützenswerten Interessen des anderen begrenzen, h a b e n z u r F o l g e , d a ß ein P r i v a t r e c h t s s u b j e k t rechtliche Freiheiten n u r verhältnismäßig gegenüber dem Vertragspartner ausüben kann. Metzner hat diesen U m s t a n d zu der These ausgeformt, im Zivilrecht seien das G e b o t der Verhältnismäßigkeit und das Verbot der UnVerhältnismäßigkeit zu sondern. D e r G r u n d satz der Verhältnismäßigkeit verlange deshalb nicht, daß ein Mittel in einem angemessenen Verhältnis z u m Z w e c k stehe, sonderen lediglich, daß es nicht offensichtlich unverhältnismäßig sei. 8 Hirschherg hat klargelegt, daß die unterschiedlichen Formulierungen nicht als A b s t u f u n g e n des Abwägungsmaßstabes tauglich sind. Ein nuanciertes Stufenverhältnis materiell-rechtlicher Verhältnismäßigkeitspositionen sagt über die Verhältnismäßigkeit einer Regelung nichts aus. Die Feststellung eines Handlungsspielraumes und die davon abgeleitete Prämisse des Verbots der UnVerhältnismäßigkeit besagen inhaltlich nicht, w o die G r e n z e des Gestaltungsspielraums und damit der Verhältnismäßigkeit verläuft. Außerdem läßt das von Metzner vorgeschlagene Differenzierungsmodell eine »graue Z o n e « zu, in der eine A b r e d e zwar nicht mehr verhältnismäßig, aber noch nicht unverhältnismäßig wäre. 9 Mangelnde Verhältnismäßigkeit und UnVerhältnismäßigkeit drücken im Zivilrecht keine unterschiedlichen Proportionalitätsmaßstäbe aus.
2.
Anwendungsbereich
D a m i t b l e i b t d i e F r a g e z u b e a n t w o r t e n , in w e l c h e n F ä l l e n d a s Ü b e r m a ß v e r b o t als Beurteilungskriterium h e r a n g e z o g e n w e r d e n kann. In die richtige R i c h t u n g weis e n d i e Ü b e r l e g u n g e n , e i n e b e s o n d e r e s o z i a l e M a c h t s t e l l u n g als A n l a ß e i n e r V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t s k o n t r o l l e z u n e h m e n . 1 0 D i e B e g r e n z u n g allein auf s o z i a l e E r w ä g u n g e n g r e i f t a b e r z u k u r z . D a s Ü b e r m a ß v e r b o t ist a l s M a ß s t a b d e r V e r t r a g s k o n trolle i m m e r d a n n heranzuziehen, w e n n materiale U m s t ä n d e die formale Freiheit e i n e n g e n . 1 1 D a s ist i n s b e s o n d e r e d a n n d e r F a l l , w e n n e i n s e i t i g in d i e R e c h t s s p h ä r e eines anderen eingegriffen w i r d , o h n e d a ß d i e s e m eine A b w e h r m ö g l i c h k e i t o f f e n steht.12 D o r t , w o jeder Vertragspartner seine Freiheitssphäre z u realisieren verm a g , ist e i n e V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t s k o n t r o l l e e b e n s o w e n i g a n g e z e i g t w i e d o r t , w o gesetzliche V o r g a b e n d a s Verhältnismäßigkeitsprinzip bereits detailliert a u s g e f o r m t h a b e n . E i n e r allgemeinen V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t s p r ü f u n g b e d a r f es
hier
nicht.13 8 Metzner, Verbot, S. 18ff.; aus öffentlich-rechtlicher Perspektive wohl ebenfalls in diese Richtung Grabitz, A ö R 98 (1973), 568, 576; Hotz, Notwendigkeit, S.48. 9 Ausführliche Argumentation bei Hirschberg, Grundsatz, S. 92 ff. (Zitat, S. 96); zustimmend Preis, Prinzipien, S. 276f.; ebenso das BVerfG, zahlr. Nachw. bei Hirschberg, a.a.O. 10 So ausdrücklich Auffermann, Grundsatz, S. 91 ff.; ähnlich Gamillscheg, AcP 164 (1964), 3 85 ff.; Söllner, Leistungsbestimmung, S. 130ff. 11 In diesem Sinne auch Canaris, Z H R 143 (1979), 113,129; Mayer-Maly, Z f A 1980,473,483; wohl auch Preis, Prinzipien, S.278 (»Bestehen privatrechtlicher Machtbefugnisse«). 12 Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterfällt deshalb der Bereich der Gestaltungsrechte, so die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts (dazu MünchKommBCB/Zimmenci, §320 B G B Rn. 63) oder die Leistungsbestimmung im Arbeitsrecht (siehe Söllner, Leistungsbestimmung, S. 138); näher Preis, Prinzipien, S. 285ff. (dort auch zum Zusammenhang mit der Ausübungskontrolle). 13 Hanau, BlStSozArbR 1985, 17, 19.
11. Kapitel: Synthese zur Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
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E i n e generelle Verhältnismäßigkeitskontrolle kennt das Privatrecht im G e g e n satz zum öffentlichen R e c h t nicht. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist bei zivilrechtlichen Konfliktsituationen nur dann anzuwenden, wenn die durch die Privatrechtsordnung gewährte Möglichkeit gerechter Interessenausgleichung versagt. Ist die Vertragskontrolle allerdings eröffnet, das heißt, wenn der A n w e n dungsbereich von Kontrollnormen betroffen ist, kann im Privatrecht auf das allgemeine U b e r m a ß v e r b o t zurückgegriffen werden. Ist anhand einer Generalklausel zu prüfen, ob die Gestaltungsfreiheit im R a h m e n der Rechtsordnung ausgeübt wurde, kann neben den allgemeinen Rechtsprinzipien und dem von der jeweiligen Kontrollvorschrift aufgestellten spezifischen normativen R a h m e n auf den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgestellt werden. 3. W i r k u n g s w e i s e Verhältnismäßigkeit meint Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit (sogenannte Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn) des Mittels. Verhältnismäßigkeit sowie die diesen Begriff ausfüllenden Unterprinzipien sind formaler, regulativer Natur. Sie enthalten keinen Wertgehalt oder Wertmaßstab, sind völlig wertfrei und daher weder normgebend noch materiell konstitutiv für eine Einzelentscheidung. 1 4 Aus dem U b e r m a ß v e r b o t läßt sich eine aus sich selbst heraus aussagekräftige Determinante für die Konkretisierung einer Generalklausel nicht entnehmen. Ausgedrückt wird lediglich der Gedanke des »Maßvollen«, des »rechten Maßes« im Sinne des Ausgewogenen. 1 5 Erst die Berücksichtigung von materiellen Kriterien der Rechtsordnung, des jeweiligen Rechtsgebietes oder der einschlägigen Generalklausel erlauben die Ermittlung des im Einzelfall zutreffenden E r gebnisses. Uneingeschränkt gilt das für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn. Er drückt aus, daß die Bezugsgrößen, regelmäßig Mittel und Zweck, nicht außer Verhältnis stehen dürfen; dem Unterprinzip ist die Direktive zu entnehmen, daß alle relevanten Umstände gegeneinander abzuwägen sind. Bei einem Uberwiegen der mit einem Mitteleinsatz verbundenen Nachteile hat die erwogene Maßnahme zu unterbleiben. Insoweit unterscheidet sich das Angemessenheitsprinzip nicht von der Interessenabwägung, die im Rahmen einer Generalklausel bei der Anwendung des flexiblen Systems stattfindet. Die konkrete Entscheidung läßt sich nur anhand einer Abwägung zwischen Mittel und Zweck finden. Inhaltliche Maßstäbe, nach denen die jeweilige Entscheidung zu erfolgen hat, werden nicht angegeben. Die Unterprinzipien Geeignetheit und Erforderlichkeit hingegen geben für die Entscheidung des Einzelfalls eine Grundstruktur vor - mehr aber auch nicht. Ein Mittel ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann, wobei von mehreren tauglichen Mitteln jenes zu wählen ist, das den einzelnen am geringsten beeinträchtigt. Unter vergleichbar wirksamen Mitteln ist das weniger einschränkende zu wählen. Das erstgenannte Teilprinzip gibt vor, daß ein Mittel, mit dessen Hilfe der gewünschte 14 Auffermann, Grundsatz, S. 6ff.; Grabitz, AöR 98 (1973), 568, 583; Hirschberg, Grundsatz, S.77, 149; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S.99ff.; Larenz, Methodenlehre, S.481; Metzner, Verbot, S.86; Preis, Prinzipien, S.268; unklar Lerche, Übermaß, S.81f., 315ff. 15 Larenz, Richtiges Recht, S. 131.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
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Generalklauseln
Erfolg nicht gefördert werden kann, nicht geeignet und damit eine entsprechende Vertragsgestaltung gegebenenfalls nicht verhältnismäßig ist. Hier geht es um eine rechtlich-wertende Betrachtung der Kausalität des Mittels. D e r Grundsatz der Geeignetheit erlaubt aufgrund seiner Weite nur die Aussonderung von »Extremfällen« einer vollständigen Mittelverfehlung. 1 6 D e r Grundsatz der Erforderlichkeit führt demgegenüber auf ein einzelnes zulässiges Mittel. D i e möglichen Mittel sind einer hypothetischen Eignungsprüfung daraufhin zu unterziehen, welches von ihnen am wenigsten beeinträchtigt. Für das Vertragsrecht heißt das, daß die Vertragspartner in der Beeinträchtigung anderer nicht weiter gehen dürfen, als es die jeweils als berechtigt anzuerkennenden Interessen verlangen. Insofern bietet der Erforderlichkeitsgrundsatz zwar eine »Entscheidungsregel« 1 7 , die aus sich selbst heraus allerdings ein konkretes Urteil nicht ermöglicht. O h n e Angabe des Vergleichsmaßstabes und der materiellen Kriterien, die die Festlegung des mildesten Mittels erst erlauben, ist eine Entscheidung nicht möglich. Vorgegeben wird lediglich ein grobes Raster, das mit materiellen Elementen anzureichern ist. Das Ubermaßverbot gibt in seinen Ausprägungen der Geeignetheit und Erforderlichkeit Richtlinien zur Entscheidung, die anhand der materiellen Gesichtspunkte der betreffenden Generalklausel oder mittels der allgemeinen Rechtsprinzipien ausfüllungsbedürftige Tatbestände konkretisieren.
Die methodische Beschränkung des Ubermaßverbotes auf eine äußere Entscheidungsdirektive gewährleistet die umfassende Anwendung des formalen Grundsatzes in allen Anwendungsbereichen, insbesondere bei sämtlichen Vertragskontrollklauseln mit ausfüllungsbedürftigem Tatbestand. Es gibt keinen statischen Rahmen vor, sondern erlaubt, dynamisch zukünftige Entwicklungen einzubeziehen. Die Absenz materiellen Gehalts läßt die Anpassung an soziale Erscheinungen zu. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bleibt damit für Veränderungen der Sachgegebenheiten infolge eines sich stetig fortentwickelnden Umfeldes offen. 18 Das Ubermaßverbot sichert so eine zeit- und situationsoffene Kontrolle der Vertragsgestaltung. Daneben bietet der Grundsatz die Möglichkeit, die für die Konkretisierung einer Generalklausel im Einzelfall einschlägigen normativen Gesichtspunkte und allgemeinen Rechtsprinzipien zu verknüpfen und unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit zueinander in Bezug zu setzen. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip zeichnet selbst keine materielle Lösung vor, sondern transformiert die im jeweiligen Fall erheblichen Gesichtspunkte. Unter anderem dieser Grundsatz gewährleistet eine Verbindung der materiellen Kontrollelemente. Die Konkretisierung von Generalklauseln wird präziser, voraussehbarer und damit praktisch handhabbar. Der Konkretisierungsrahmen der Verhältnismäßigkeit ist komparativ strukturiert: J e umfassender in den Rechtskreis eines anderen eingegriffen wird, um so gewichtiger müssen die Interessen sein, um diesen Eingriff zu legitimieren. Der regulative Charakter des Übermaßverbotes besagt zudem, daß der Grundsatz differenziert anzuwenden ist und je nach Umfeld in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität Berücksichtigung bei der Inhaltskontrolle findet. J e nach gesetzlicher Regelungsdichte und je nach Rele-
Hirschberg, Grundsatz, S. 50ff. Hirschberg, Grundsatz, S. 58, m. weit. Nachw.; ebenso Metzner, Verbot, S.68ff.; zustimmend Preis, Prinzipien, S.268; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S.99ff. 18 Vgl. Lerche, Übermaß, S.267. 16 17
11. Kapitel: Synthese zur Inhaltskontrolle durch Generalklauseln
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vanz allgemeiner Konkretisierungswertungen verändert sich die Bedeutung der UnVerhältnismäßigkeit im konkreten Fall. Überdies ist zu berücksichtigen, inwieweit das Verhältnismäßigkeitsprinzip positiv-rechtlich fixiert ist. Soweit die gesetzliche Wertung den Verhältnismäßigkeitsgedanken oder dessen Unterprinzipien nach Sinn und Z w e c k erschöpfend beachtet hat und für die Interessenbewertung der Vertragsparteien Maßstäbe vorgibt, ist der Rückgriff auf die allgemeine Verhältnismäßigkeitsstruktur oder den betreffenden Unteraspekt verwehrt. D e r allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stellt gegenüber gesetzlichen Ausformungen eine subsidiäre Konfliktlösungs- und Abwägungsregel dar. 19
III. Zumutbarkeit als Bindeglied 1. A n w e n d u n g s b e r e i c h E b e n s o wie das U b e r m a ß v e r b o t repräsentiert das Prinzip der Zumutbarkeit ein bindendes Element im Rahmen der Abwägung bei der Konkretisierung einer Vertragskontrollgeneralklausel. Das Verbot der Unzumutbarkeit ist in seiner A n wendbarkeit auf Sonderkonstellationen beschränkt. 2 0 Im Grundsatz rechtfertigt die Vertragsfreiheit, also die Kompetenz, nach eigenem Willen und in eigener Verantwortung Verträge zu gestalten, auch aus dem R a h m e n des Üblichen fallende, unzumutbare Vertragsinhalte zu vereinbaren. N u r dann, wenn die Rechtsordnung einen Rückgriff auf das Zumutbarkeitsprinzip gestattet, ist ein Vertrag an diesem zu messen. In einzelnen, vor allem arbeitsrechtlichen N o r m e n , ist die Zumutbarkeit einer (fortdauernden) vertraglichen Bindung ausdrücklich erwähnt, so zum Beispiel in § 626 Abs. 1 B G B , § 2 Abs. 3 S. 2 A r b P l S c h G , § 19 Abs. 1 S. 3 S c h w b G , §§ 9 Abs. 1 S. 1 , 1 3 Abs. 1 S. 3 K S c h G , §§ 78a Abs. 4 S. 1 , 1 0 2 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 5 Nr. 2 B e t r V G , § 14 Abs. 2 A Z O oder auch in § 556a Abs. 2 S. 2 B G B für die Fortsetzung eines Mietvertrages. Daneben ist der Zumutbarkeitsgedanke prinzipiell bei der Konkretisierung von ausfüllungsbedürftigen Tatbeständen bedeutsam.
2. W i r k u n g s w e i s e Zumutbarkeit beschreibt kein materielles Wertungselement. Es handelt sich um ein regulatives Prinzip, das keinen Beurteilungsmaßstab in sich trägt, der n o r m gebend wirken könnte. D e r Gedanke der Zumutbarkeit drückt die formale A n weisung aus, anhand der konkreten Lebenserscheinung eine Beurteilungsnorm 19 Auffermann, Grundsatz, S. 104ff.; Canaris, ZHR (1979), 113, 130; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S.99ff.; Metzner, Verbot, S.72ff., 109f.; Preis, Prinzipien, S.290ff.; Seiter, Streikrecht, S. 155; Wieacker, Festschrift für Fischer, S. 867, 868f. 20 Vgl. Henkel, Festschrift für Mezger, S.249, 261 f.; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S.93ff.; Esser, summum ius summa iniuria, S.22, 33; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, §10 III 2f; Preis, Prinzipien, S. 144.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
für den entsprechenden Sachverhalt zu entwickeln. 2 1 D i e F o r m e l der Zumutbarkeit gewinnt Konturen erst durch materiale Elemente. Es handelt sich um einen relativen Begriff, der von materiellen Gesichtspunkten abhängig ist, die im R a h men der Interessenabwägung zum Ausgleich gebracht werden. 2 2 Zumutbarkeitsprüfung meint nichts anderes als ein Abwägen der in Frage stehenden Interessen. Kern des Zumutbarkeitsbegriffs ist die Güter- und Interessenabwägung. 2 3 Zumutbarkeit ist weitgehend, aber nicht vollständig durch eine Interessen- und Güterabwägung ersetzbar. D e r Begriff der Zumutbarkeit gibt methodisch eine bestimmte Zielrichtung vor: E r weist den Weg zu einer materiell gerechten L ö sung und betont als Grundstruktur im R a h m e n der Interessenabwägung die subjektbezogene Betrachtungsweise. D e r Begriff greift die Idee einer »gerechtigkeitsorientierten Rechtsfindung« auf. 24 Materielle Kriterien der Gerechtigkeit gibt der Begriff nicht vor; ihm läßt sich allerdings für die Konkretisierung ein Subjektivierungsgebot entnehmen. Uberall dort, w o der Anwendungsbereich des Zumutbarkeitsansatzes eröffnet ist, geht es darum, die Auswirkungen vertraglicher Abreden speziell mit Blickrichtung auf den betroffenen Vertragspartner zu würdigen. Zumutbarkeit ist dabei kraft objektivierter Wertung zu bestimmen, erlaubt also keine allgemeine, tatbestandsunabhängige Einbeziehung konkret-individueller Umstände. Die Zumutbarkeit einer Vertragsgestaltung beurteilt sich nach der Wertigkeit der Pflichten- und Rechtsgüterkollision: 2 5 J e empfindlicher der Vertragspartner in seiner Sphäre beeinträchtigt wird, desto gewichtiger müssen die Interessen der Gegenseite sein. N o t w e n d i g ist eine subjektbezogene Interessenbewertung nach objektiven Maßstäben. Entscheidend ist das objektiv einem Rechtssubjekt Zumutbare. 2 6 21 Gusseck, Zumutbarkeit, S. 104; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 95; Buche, SchlHAnz. 1969,172,174; Henkel, Festschrift für Mezger, S. 249,303; Herschel, ArbuR 1968,193,196; Preis, Prinzipien, S. 149ff.; Hummel-Liljegren, Arbeit, S. 69; Schlegel, SozSich. 1969,291,296; Staudinger/ Schmidt, §242 BGB Rn. 1196ff., 1208ff.; dezidiert a.A. Staudinger/Weher (11. Aufl.), §242 B lff., 127 (»verbindlicher Rechtsgrundsatz«), eine ausführliche Widerlegung der Auffassung von Weher findet sich bei Preis, Prinzipien, S. 147ff. Ahnlich wie Weher nunmehr Lücke, (Un-)Zumutbarkeit, S. 44ff., der Inhalt und Maßstab der Zumutbarkeit aus dem Zweck des Begriffes ableiten möchte. 22 Henkel, Festschrift für Mezger, S.249, 304, 308; Preis, Prinzipien, S. 155. 23 Bley, Festschrift für Wannagat, S. 19, 47; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 93ff.; Hirschberg, Grundsatz, S. 100; Hubmann, Wertung, S. 51 ff.; Hummel-Liljegren, Arbeit, S. 75 ff.; Preis, Prinzipien, S. 150ff.; Schlegel, SozSich. 1969,291,296f.;i>. Stebut, Schutz, S. 79; BVerfGE 63,131, 144; BVerfGE 61,291,316; BGHZ 83,197,200; BAGE11,6,8; im Ergebnis auch Lücke, (Un-)Zumutbarkeit, S. 83 ff., der zwar einerseits den Grundsatz der Zumutbarkeit subjektbezogen festlegt, andererseits aber die Notwendigkeit einer Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite aus §242 BGB ableitet. 24 Preis, Prinzipien, S. 150. 25 RGZ 102, 272, 274: »Das, was nach ihnen einem Erfüllungspflichtigen noch zugemutet werden kann, läßt sich eben nicht nach einer gleichmäßigen Schablone, sondern nur nach der Lage des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Einwirkung der Erfüllung oder Nichterfüllung auf die subjektiven Verhältnisse beider Teile bestimmen.« 26 Henkel, Festschrift für Mezger, S. 249,307; Herschel, ArbuR 1968,193,198; v. HoyningenHuene, Billigkeit, S.93ff.; Preis, Prinzipien, S. 145, 156; Schlegel, SozSich. 1969, 291, 297.
11. Kapitel: Synthese zur Inhaltskontrolle durch Generalklauseln
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3. G r e n z e n Der Hinweis auf die Unzumutbarkeit einer Verpflichtung erlaubt keine richterlich freie Korrektur eines Vertrages. Die Beurteilung hat sich an den normativen Wertungen des jeweiligen Rechtsbereichs und - ist der Regelungsbereich nicht detailliert genug strukturiert - an den allgemeinen Rechtsprinzipien zu orientieren. Zusammenhang und Zweck der N o r m kann sich unter Umständen entnehmen lassen, daß der Gesetzgeber die Interessen der einen Seite besonders schützen will. Hiermit wird ausgedrückt, daß die Interessen an der Erfüllung dieser Pflicht stärker ausgeprägt sind und die entgegenstehenden Interessen um so gewichtiger sein müssen, um Unzumutbarkeit zu erreichen. Eine außerordentlich hohe Hürde 2 7 ist dann anzunehmen, wenn eine vertragliche Bindung besteht. Ist der Rückgriff auf Zumutbarkeitsüberlegungen gestattet, kann die eingegangene Verpflichtung grundsätzlich nicht durch faktische Schwierigkeiten bei der Erfüllung aufgehoben werden. Hier überwiegen regelmäßig die Interessen des Gläubigers an der Abwicklung des Vertrages. Die mit dem Zumutbarkeitsbegriff verbundene Interessenabwägung fällt hier grundsätzlich zu Lasten des Schuldners aus. Bestätigt wird diese Einschätzung durch das Leistungsstörungsrecht, das für diese Fälle einen spezifischen Regelungs- und Schadensersatzmechanismus vorsieht. Gesetzliche Wertung wie der Interessenvergleich aus der Perspektive der Zumutbarkeit sprechen bei faktischen Abwicklungshemmnissen in der Regel gegen eine Vertragskontrolle. Anders kann es unter Umständen liegen, wenn zugunsten des Schuldners weitere Wertungselemente zu berücksichtigen sind, deren Zusammenspiel es ausnahmsweise erlaubt, eine vertragliche Bindung zu durchbrechen. Zumutbarkeit bezeichnet mithin nur einen kleinen Ausschnitt in der bei generellen Vertragskontrollnormen vorzunehmenden Abwägung. Auch hier bewährt sich die komparative Methode, die einzelne Elemente je nach Gewicht miteinander in Beziehung setzt und aus dem Zusammen- und Widerspiel das Ergebnis ableitet.
IV. Zusammenfassung zur Inhaltskontrolle mittels Generalklauseln 1. D y n a m i k der Generalklauseln Vertragskontrolle wird wesentlich von Generalklauseln bestimmt. Bei der K o n kretisierung des Wertungsspielraums sind Gesichtspunkte weder willkürlich oder beziehungslos aneinander zu reihen, noch ist eine schematisierte oder schablonenhafte Vorgehensweise angezeigt. Weder das eine noch das andere wird dem Sinn und Zweck der Vertragskontrolle mittels Generalklauseln gerecht, die einerseits eine flexible Reaktion auf sich ununterbrochen ändernde rechtliche und tatsächliche Paramter eröffnen, andererseits eine rechtssichere Beurteilung ermöglichen soll. Erforderlich ist eine Abwägungsmethode, die beide Aspekte vereint. 27
Wilburg, Entwicklung, S. 17, spricht von »höchsten Graden«.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
Angezeigt ist ein Mittelweg zwischen undifferenzierter Gesamtabwägung und Pauschalismus. M i t der Charakterisierung als Mittelweg steht zugleich fest, daß die Konkretisierung von Generalklauseln nicht in gleicher Weise wie feste Tatbestände den Anforderungen an Normenklarheit, M e t h o d e n - und Rechtssicherheit genügen kann.
2.
Konkretisierungsvorgang
D i e allgemeinen Rechtsprinzipien und die Kriterien der jeweiligen K o n t r o l l n o r m sind in Beziehung zueinander zu setzen. Wie die vorangegangenen Analysen ausgewählter Generalklauseln gezeigt haben, ist der Schritt von einer willkürlichen Dezision hin zu einer (zumindest annähernd) vorhersehbaren Rechtsgewinnung abhängig von der Auswahl und der Gewichtung der Kriterien sowie von der B e stimmung ihres Verhältnisses zueinander. Zu trennen sind drei Stufen der K o n kretisierung: - Welche Wertungselemente sind bei der Beurteilung der konkreten Konstellation zu berücksichtigen? - In welcher Intensität spielen die berücksichtigungsfähigen Gesichtspunkte hier eine Rolle? - Zu welchem Ergebnis führt das Zusammen- und Widerspiel der Aspekte, bei dem die Gesichtspunkte nach dem flexiblen System zueinander in Beziehung gesetzt werden? a) Berücksichtigungsfähige
'Wertungselemente
N u r die Trennung und die schrittweise Abschichtung dieser Fragenkomplexe wird dem rechtsstaatlichen G e b o t der Berechenbarkeit des Rechts, der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit gerecht 2 8 und erlaubt durch ihre Offenheit der einzelnen Abwägungsschritte gleichzeitig eine flexible, dem Einzelfall angepaßte Reaktion der Rechtsordnung auf die vielfältigen unvorhersehbaren vertraglichen Konstruktionsvarianten. 2 9 Ein Entscheidungsvorgang, der undifferenziert alle möglichen oder beliebige Wertungen wahllos aneinander reiht, wird - wie es das Bundesverfassungsgericht betont hat 3 0 - dem Rechtsstaatsgebot nicht gerecht. D e r Abwägungsvorgang und die diesen bestimmenden Wertungen sind am Leitbild der Rechtsordnung auszurichten. Berücksichtigungsfähig sind solche G e sichtspunkte, die dem jeweils einschlägigen Teilgebiet zugrundeliegen oder dem gesamten Rechtssystem immanent sind. D e r Konkretisierungsvorgang hat der gesetzlichen Wertung zu folgen; sie ist aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 20 Abs. 3 G G ) vorrangig.
BVerfG NJW 1984, 1741, 1743. Vgl. Wieacker, Präzisierung, S. 8ff.; Larenz, Richtiges Recht, S. 33ff., 37ff.; Flucht, S.60ff. 30 BVerfG NJW 1984, 1741, 1743. 28
29
Hedemann,
11. Kapitel: Synthese zur Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
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Soweit die gesetzlichen Kontrollvorgaben durch die Generalklauseln die Kollision der Interessen der Vertragspartner erfaßt, hat das Gericht den in der Rechtssatzbildung vollzogenen Wertungsakt der Legislative nachzuvollziehen und den Rechtsstreit der gesetzlichen Wertung gemäß zu entscheiden. 31 Lassen sich aus dem normativen R a h m e n selbst oder durch eine Auslegung der Vorschrift für die Lösung der Konfliktsituation relevante Gesichtspunkte nicht ausreichend bestimmen, ist ergänzend auf die allgemeinen rechtlichen Maßstäbe zurückzugreifen. Sind die für den Einzelfall einschlägigen schutzwürdigen Interessen und A b wägungsfaktoren herausgearbeitet, ist in einem zweiten Schritt das Gewicht jedes einzelnen Kriteriums zu bestimmen, bevor abschließend eine Gesamtwertung vorgenommen wird.
b) Wertungsintensität der aa) Abstrakt-genereller
Kontrollkriterien
Grad
D e r Wertungsgrad, mit dem die Gesichtspunkte in die Abwägung einzustellen sind, ist aus dem Ursprung der Wertung abzuleiten. Einen Anhaltspunkt bietet die generell-abstrakte Rangordnung der Werte in der Rechtsordnung. D i e allgemeine Reihung, Verfassungsrecht vor Gesetzesrecht, oder die arbeitsrechtliche Normenhierarchie geben einen ersten Richtwert vor. 32 Innerhalb jeder O r d nungsstufe existiert wiederum ein abstrakt feststellbares Rangverhältnis. So geht die mit einer einzelnen N o r m ausgedrückte Wertung - die Einschlägigkeit der N o r m für den zu beurteilenden Fall vorausgesetzt - dem Wertmaßstab des Teilgebietes und dieses wiederum den Intentionen des Gesetzes im allgemeinen vor. E i ne spezifisch auf eine Konstellation zugeschnittene Aussage ist abstrakt mit höherer Wertigkeit versehen als eine allgemeine Grundwertung. Das gilt nicht nur auf Gesetzes-, sondern auch auf Verfassungsebene. Aus abstrakter Sicht sind G r u n d rechte ohne Schrankenvorbehalt stärker geschützt als solche mit Schrankenvorbehalt. Grundrechte mit eng formulierter Schrankenbestimmung sind in der Rangordnung regelmäßig höher anzusiedeln als solche mit einer weit gefaßten Schranke. 3 3 Art. 1 Abs. 1 G G ist als unabdingbare (Art. 79 G G ) Garantie der M e n schenwürde anderen Grundrechten vorgelagert. 3 4
bb) Modifikationen
im konkreten
Fall
Die abstrakt-generelle Rangordnung gibt allerdings lediglich einen ersten A n haltspunkt für die Ranghöhe wieder. D e r allgemein-abstrakten Wertigkeit steht 31 Canaris, Systemdenken, S. lOOff.; Hubmann, Wertung, S. 10f.; Kraft, Interessenabwägung, S. 58; treffend Westermann, Wesen, S. 21: »Die Rechtsprechung ist also dem Wesen nach Anwendung der gesetzlichen Wertungen, im Gegensatz zur selbständigen Bewertung (durch den Richter).« 32 Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 174; Kraft, Interessenabwägung, S. 66ff.; Larenz, Festschrift für Klingmüller, S.235, 247. 33 Einzelheiten bei Schneider, Güterabwägung, S. 224ff. 34 Larenz, Festschrift für Klingmüller, S.235, 238.
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
die Relativität in der konkreten Konstellation gegenüber. So ist es beispielsweise durchaus denkbar, daß ein speziell ausgeformter einfachgesetzlich fixierter Grundsatz die verfassungsrechtliche Aussage im Einzelfall überlagert. Die abstrakte Rangordnung der Werte ist demnach durch eine individualisierende Betrachtung, die den Wert der Interessen im konkreten Konfliktfall berücksichtigt, zu ergänzen. J e nach der Gestaltung des Umfeldes kann die Reichweite eines Aspektes durchaus verschieden sein. 35 Für den Konkretisierungsvorgang ist allein die Wertungsintensität maßgeblich, in welcher der Gesichtspunkt im Einzelfall ausgeprägt ist. In die Abwägung ist die Modifikation des abstrakt-generellen Wertungsgrades einzustellen. D e r aus der abstrakten Rangordnung abzuleitende Wertungsgrad wird beispielsweise modifiziert durch die Wahrscheinlichkeit. J e wahrscheinlicher die Betroffenheit eines Interesses ist, in desto größerem Maß ist es in der Abwägung zu berücksichtigen. J e größer die etwaige Wertverletzung ausfallen würde, desto ungewisser muß sie sein, um in entsprechend geringerer Wertigkeit für die Abwägung relevant zu werden. 3 6 So ist bei der Beurteilung eines Vertrages das Interesse an der Wahrung persönlicher Integrität nach der Verletzungswahrscheinlichkeit einzustellen. Ist bei der fraglichen Vertragsgestaltung beispielsweise von einer Körperverletzung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszugehen, weist das Interesse an der körperlichen Integrität einen höheren Intensitätsgrad auf, als wenn eine Körperverletzung bei der Durchführung einer derartigen Vertragsgestaltung äußerst unwahrscheinlich wäre. D e m als sicher tangiert erkannten Wert kommt größeres Gewicht zu, wobei die Wahrscheinlichkeitsprognose aus objektiver Sicht vorzunehmen ist. J e nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit wird das Bedürfnis nach dem Schutz eines Interesses mehr oder weniger dringend. Ein weiterer den jeweiligen Intensitätsgrad bestimmender Faktor ist die Zeit. Dies gilt in zweierlei Hinsicht: Zum einen wiegt eine gegenwärtige Wertverletzung schwerer als eine zukünftige; eine aktuelle Gefahr ist eher abzuwehren als eine in späterer Zeit bevorstehende. 37 Zum anderen kann ein Konkretisierungselement um so intensiver zu berücksichtigen sein, je dauerhafter es das Vertragsverhältnis prägt. Bei dauerhaften Rechtsbeziehungen können einzelne Faktoren, wie beispielsweise das Vertrauenselement, stärker zu gewichten sein. 38 Die Intensität, mit der dieser oder jener Wert in der Abwägung Berücksichtigung findet, resultiert also aus einer abstrakten und einer konkreten Betrachtung. Der grundsätzliche Wert eines Konkretisierungselements ergibt sich regelmäßig aus der Normenhierarchie und der Rangordnung, die innerhalb der jeweiligen Hierarchieebene gilt. Dieser generelle Maßstab wird unter Umständen durch die 3 5 B G H Z 2 4 , 7 2 , 8 0 (»Je nach der Gewichtung der Dinge kann die Reichweite... durchaus verschieden sein.«). 36 Hubmann, Wertung, S. 37f.; Kraft, Interessenabwägung, S. 78ff.; Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 175. 37 Hubmann, Wertung, S.38f. 38 Preis, Prinzipien, S. 248.
11. Kapitel: Synthese zur Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
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konkreten Verhältnisse modifiziert. Je nach den Begebenheiten kann der abstrakte Grad erhöht oder verringert werden. 39 Jedes einzelne Abwägungselement wird auf diese Weise mit einem Bewertungsfaktor versehen, mit dessen Hilfe sodann die Wertrelation des Einzelfalls zu klären ist. c)
Wertungsrelation
Sind die berücksichtigungsfähigen Konkretisierungselemente in ihrer spezifischen Wertigkeit bestimmt, ist in einem dritten und letzten Schritt eine Beziehung zwischen den Elementen herzustellen. Aus dem Zusammen- und Widerspiel der Elemente resultiert die Anwendung oder Nichtanwendung der Generalklausel. Die Interessen, die für eine bestimmte Entscheidung sprechen, sind denen gegenüberzustellen, welche die gegenteilige Zielrichtung verfolgen. Entsprechend dem Ansatz des flexiblen Systems sind die Prinzipien und Werte miteinander zu vergleichen. Die Konkretisierungselemente werden qualitativ nach ihrer unterschiedlichen Art und Bedeutung gegenübergestellt. Kollidieren zwei Werte, gibt der mit dem relativ höheren Gewicht den Ausschlag. Der Vergleich der Konkretisierungselemente kann dabei nicht nur nach streng mathematischen Regeln vorgenommen werden. Insoweit ist die Kritik 40 an der These Hubmanns, der für eine mathematisierte Relationsbestimmung eintritt, berechtigt. Unberechtigt ist die Kritik, soweit der Summierung schützenswerter Interessen im allgemeinen eine Absage erteilt wird. Hubmann hat vorgeschlagen, den Abwägungsvorgang anhand von Addition und Subtraktion der Elemente zu konkretisieren. 41 Dies ist als Ausgangspunkt richtig. Rechtsstaatlichkeit erfordert eine nachvollziehbare Abwägungsmethode. Nur eine rational nachvollziehbare Prüfung hält zudem der Revision stand.42 Jedes einzelne Konkretisierungselement muß mit seinem Gewicht in der Abwägung zum Zuge kommen. Eine mathematische Gleichung etwa in dem Sinne, daß die Summe der Kriterien a, b und c schwerer wiegt als die Summe der Gesichtspunkte d, e und f, beschreibt diesen Vorgang. Je gewichtiger die Wertungselemente für eine Lösung sprechen, desto eher ist dieser Entscheidung der Vorzug zu geben. Freilich ist festzuhalten, daß diese Gegenüberstellung nicht streng mathematischen Regeln gehorcht. Die Intensität der Elemente läßt sich nicht exakt im Sinne mathematischer Größen erfassen, gemeint sind Größenordnungen. Ergibt der Größenordnungsvergleich ein Uberwiegen einer Wertungskombination, ist an dem Resultat in der Regel festzuhalten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß das Wechsel- und Widerspiel der Wertungen sich komplex darstellt. Die Kumulation zweier Wertungen kann unter Umständen eine höhere Wertungsposition ergeben als die bloße Addition der Einzelwertungen, weil das Zusammenspiel gegebenenWolf, Entscheidungsfreiheit, S. 174ff. Kritisch v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 124; Larenz, Festschrift für Klingmüller, S. 235, 247f.; Schneider, Güterabwägung, S.232. 41 Hubmann, Wertung, S.26ff., 73ff., 160ff. 42 Vgl. Musielak/Ball, §550 ZPO Rn.4,11 f.; Zöller/Gummer, §550 ZPO Rn.7, 12. 39
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3. Teil: Inhaltskontrolle
durch
Generalklauseln
falls zur Verstärkung der Gesamtwirkung führt. Die Interdependenz der Kriterien kann folglich im Ergebnis zu Wertungsverschiebungen führen, die nicht streng mathematischen Regeln folgen. Abstraktion und Addition beschreiben lediglich das Grundmodell des Abwägungsvorganges. Eine vollständige Umsetzung von Wertungen in qualitative Größen widerstreitet der Natur des Bewertungsvorganges.43 Juristische Argumentation kann nicht exakt in mathematischen Formeln aufgelöst werden, jedoch kommt auch dem Abwägungsvorgang eine logische Grundstruktur zu, der sich der Rechtsanwender bewußt werden muß, um Entscheidungen rational, nachvollziehbar und damit revisionsfest begründen zu können. Mathematisierung beschreibt eine Hilfskonstruktion, um den Abwägungsvorgang so transparent wie möglich zu machen. Der Abwägungsvorgang darf nicht dadurch konterkariert werden, daß auf der Ebene der Gesamtabwägung der Wertungen eine beliebige, gefühlsmäßige Gesamtschau vorgenommen wird. Notwendig ist eine logisch nachvollziehbare, rationale, nicht eine subjektiv bestimmte, irrationale Abwägungskonstruktion. Für den Regelfall gibt die Vorgehensweise der Summierung der nach dem flexiblen System zueinander in Bezug gesetzten Wertungen einen Richtwert an, an dem festzuhalten ist44 - dies allerdings nur dann, wenn die Summierung der zutreffend herausgearbeiteten und gewichteten Kriterien ein eindeutiges Ergebnis liefert. Anders liegt es, wenn der Wertungsvergleich zu gleichgewichtigen oder annähernd gleichwertigen Ergebnissen führt. Hier zeigt sich die Grenze des komparativen Systems. Damit ist die Frage aufgeworfen, welche Rechtsfolge bei einer Pattsituation im Wechselspiel der Wertungen anzunehmen ist.
3. Die Entscheidung bei einem Wertungspatt Läßt sich für oder gegen die Vertragskontrolle eine eindeutige Wertungspräferenz eruieren, ist die Rechtsfolge dem gesetzlichen »Aufhänger« zu entnehmen. Bei §138 Abs. 1 B G B bedeutet das im Regelfall die Nichtigkeit des Gesamtvertrages, bei §9 A G B G grundsätzlich die Unwirksamkeit der betroffenen Klausel. Doch was ist zu tun, wenn die Dominanz einer Wertung nicht feststellbar ist, die einschlägigen Wertungselemente im großen und ganzen Balance halten? Ein non liquet wie bei mangelnder Uberzeugung über die Tatsachenbasis der Entscheidung, die sogenannten Subsumtionsfakten, scheidet aus: iura novit curia. Die Konkretisierung einer Generalklausel ist ebenso wie die Auslegung Rechtsfrage. Einer Beweislastentscheidung offen steht nur der vorangehende Schritt der Festlegung der Tatsachenbasis, an die sodann der Abwägungsvorgang anknüpft.45 Das
Larenz, Festschrift für Klingmüller, S.235, 248. In diesem Sinne wohl auch Preis, Prinzipien, S.247, 252. 45 Priitting, Gegenwartsprobleme, S. 123; BaumgärteilLaumen, Handbuch, § 133 BGB Rn. 1, §157 BGB Rn. 1; Rosenberg, Beweislast, S.9f.; Funk, Beweislastverteilung, S. 189. 43
44
11. Kapitel: Synthese zur Inhaltskontrolle
durch Generalklauseln
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Gericht hat also auch bei annähernd gleichgewichtigen Interessen- und Wertungskonstellationen eine Entscheidung über die Vertragskontrolle zu treffen. Nicht tragfähig ist der Vorschlag, im Zweifel das von Privatrechtssubjekten geschlossene Rechtsgeschäft als wirksam anzuerkennen. Ein Grundsatz »in dubio pro übertäte« läßt sich nicht aufstellen. Zwar ist die liberale Grundwertung der Rechtsordnung ihrer Bedeutung gemäß regelmäßig mit einem hohen Wirkungsgrad in die Abwägung einzustellen, als Zweifelsfallregelung taugt sie aber nicht. Denn die Balance der für und gegen eine Vertragskontrolle sprechenden Wertungsbündel beruht unter Umständen darauf, daß die Freiheitswertung in entsprechendem Maß in die Abwägung eingestellt wurde. Sie jetzt nochmals heranzuziehen, um die durch ihre Berücksichtigung entstandene Pattsituation aufzulösen, würde zu einer unzulässigen Doppelanwendung führen. Das besondere Gewicht eines Rechtsgutes ist auf der zweiten Ebene des Abwägungsvorganges festgestellt und dementsprechend im dritten Schritt bereits berücksichtigt worden. Jedes Konkretisierungselement ist mit der für den konkreten Fall gefundenen Intensität in den Abwägungsvorgang einzubeziehen. Ergibt sich sodann ein annäherndes Gleichgewicht, kann dieses nicht dadurch behoben werden, daß ein Wertungsaspekt als vorrangig qualifiziert wird. Für die Balance-Lage ist ein Ausweg zu suchen, der nicht mit einer Ubergewichtung eines Gesichtspunktes einhergeht. Stehen einander Rechtsgüter oder Interessen gleichen Ranges gegenüber oder ist ihre Differenz nur gering, ist eine Konfliktlösungsregelung notwendig, die keinen Eingriff in die Wertungselemente mit sich bringt und allen Wertungen gleichermaßen gerecht wird. 46 An dieser Stelle können die regulativen Grundaussagen der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit für die Konfliktlösung fruchtbar gemacht werden.47 Existieren gleichgewichtige oder unmaßgeblich differierende Positionen, so ist danach eine Entscheidung zu treffen, welche Rechtsgüter geringere Einbußen erleiden. Ist eine Konfliktlösung aufgrund eindeutig überwiegender Gesichtspunkte nicht möglich, ist die Beeinträchtigung von Rechtspositionen auf das geringst mögliche Maß zu beschränken; unverhältnismäßige Belastungen des einen Vertragspartners gegenüber dem anderen sind zu vermeiden. Es ist also danach zu entscheiden, welches Gut, falls es zurücktreten muß, die geringste Einbuße erleiden würde.48 Es ist weiterhin zu fragen, welchem der konkreten Vertragsbeteiligten die gefundene Lösung aus objektiver Sicht rechtlich wie wirtschaftlich am ehesten zumutbar ist. Bei gleichrangigen Positionen hat die zurückzutreten, die dadurch in ihrer Substanz am wenigsten betroffen wird.49
Hubmann, Wertung, S.91; Larenz, Festschrift für Klingmüller, S.235, 240. Ahnlich, allerdings beschränkt auf den Verhältnismäßigkeitsansatz, Hubmann, Wertung, S.90ff., 95f.; Larenz, Festschrift für Klingmüller, S.235, 240ff.; Preis, Prinzipien, S.253f. 48 BGHZ 3, 270, 281 (»kleinste Rechtsübel, das schonendste Mittel«); BGHZ 24, 200, 206 (»Grundsatz größtmöglicher Schonung fremder Rechte und der Vermeidung jeder zur Interessenwahrnehmung nicht unbedingt erforderlichen Schadenszufügung«). 49 Larenz, Festschrift für Klingmüller, S.235, 243. 46
47
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3. Teil: Inhaltskontrolle durch Generalklauseln
Es ist zuzugestehen, daß bei der Anwendung der formalen Kriterien ein gewisser Unsicherheitsmoment bleibt. D e r Fall des Wertungspatts läßt sich lediglich mittels einer Hilfskonstruktion bewältigen. Das liegt jedoch in der N a t u r der Sache. Vertragskontrolle durch Generalklauseln läßt sich auch durch einen durchschaubaren und nachvollziehbaren Abwägungsvorgang nicht derart ausgestalten, daß ein fixierter Tatbestand entsteht. D i e Konkretisierung eines ausfüllungsbedürftigen Maßstabes bleibt wertorientiertes D e n k e n . E s sollte lediglich gezeigt werden, daß ein Konkretisierungsvorgang an bestimmten Leitlinien und Kriterien ausgerichtet ist, die es erlauben, einen Abwägungsvorgang rechtsstaatlich auszuformen und bei aller Flexibilität eine methodisch überzeugende und nachvollziehbare Lösung zu finden. Eine Generalklausel bleibt trotz des flexiblen Systems eine Generalklausel - aber eine solche in rechtsstaatlicher Ausformung. Objektiv-normative Wertungsjurisprudenz bedeutet einen Rückgriff auf die der jeweils aktuellen Rechtsordnung immanenten Rechtsgrundsätze. D a b e i sind die materialen Wertungselemente nicht unabhängig von dem betroffenen Rechtsgebiet; angezeigt ist eine normative Anbindung an das einschlägige Rechtsgebiet und die dort vorherrschenden Kriterien. D i e einzelnen Probleme sind eingebettet in einen spezifischen Regelungskomplex; dieser kann nicht ignoriert werden. Die normative Einbindung der inhaltsbezogenen Vertragskontrolle soll in den folgenden Kapiteln an ausgewählten Problemen des Arbeitsrechts verdeutlicht werden. E s geht darum, die G r e n z e n der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht und deren spezifische Legitimationen aufzuzeigen. Das Schwergewicht der Ausführungen wird auf die Angemessenheitskontrolle von Arbeitsbedingungen gelegt. Erstere Schwerpunktsetzung erfolgt deshalb, weil auf Seiten des Arbeitnehmers häufig ein besonderes Schutzbedürfnis gesehen wird, letztere, weil bezüglich der U b e r prüfung von Einheitsarbeitsbedingungen viele grundsätzliche methodische Fragen ungeklärt sind. H i e r wird sich erweisen, o b die gefundenen rechtstheoretischen Ansätze praktisch handhabbar sind und zu überzeugenden Ergebnissen führen. Aus der Fülle arbeitsrechtlicher Fragen können nur einzelne methodisch interessante Aspekte herausgegriffen werden.
VIERTER TEIL
Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
12. Kapitel
Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht I. Der Arbeitsvertrag als Grundlage des Arbeitsverhältnisses 1. D e r A r b e i t s v e r t r a g als Schuldvertrag Arbeitsrecht meint das f ü r die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und A r beitnehmer geltende Recht, also die Regelungen, die sich auf Arbeitsverhältnisse beziehen. Das Arbeitsverhältnis ist ein Dauerschuldverhältnis, bei dem sich als Hauptleistungspflichten die Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung und die Pflicht des Arbeitgebers zur Vergütung gegenüberstehen. Es entsteht in der Regel durch Schuldvertrag. 1 Abweichende Auffassungen konnten sich nicht durchsetzen. Die Gegenauffassung, welche die tatsächliche Eingliederung des Arbeitnehmers in eine bestehende Betriebsgemeinschaft als Begründungstatbestand des Arbeitsverhältnisses einstuft, 2 ist mit den gesetzlichen Vorgaben nicht vereinbar. Nach geltendem Recht ist der Vertrag Verpflichtungstatbestand und Rechtsgrund für die Erbringung von Leistung und Gegenleistung. Zahlreiche Schutznormen stellen nach ihrem Sinn und Zweck auf den Abschluß des Arbeitsvertrages als Anwendungsvoraussetzung ab. Die Eingliederungstheorie kann beispielsweise nicht schlüssig erklären, warum auch dann, wenn der Arbeitsantritt infolge Krankheit nicht planmäßig erfolgte, ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung existiert. 3 Zeitgleich mit der Durchsetzung der Vertragstheorie kam zunehmend Kritik an der Lehre vom personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis auf. Diese zur Zeit des Nationalsozialismus überwiegend vertretene Sichtweise bildete auch einen Kontrapunkt zu der Einschätzung, das Arbeitsverhältnis sei im Grundsatz wie jedes andere Schuldverhältnis zu behandeln. Aufbauend auf Potthoffs These vom Organisationsverhältnis und auf der Grundlage von v. Gierkes Lehre vom persönlichen Herrschaftsverhältnis wurde angenommen, das Arbeitsverhältnis sei »ein dem Wesen nach in besonders intensiver und totaler Art auf Beziehungen von Person zu Person gegründetes konkretes Gemeinschaftsverhältnis, das 1 Adomeit, NJW 1996, 1710, 1712; Boemke, NZA 1993, 532f.; Dreher, Arbeitsverhältnis, S. 53ff.; Leinemann, in: Kass. Hdb. z. ArbR 1,1.1 Rn.4; Preis, Grundfragen, S. 14f.; Richardi, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, § 6 Rn. 1, § 7 Rn. 3; ders., ZfA 1988,221,254f.; Söllner, Grundriß, §28 III 2; Weber, RdA 1980, 288, 291, 294. 2 So noch Teile der älteren Literatur, v.a. Siebert, Arbeitsverhältnis, S. 85ff.; Nikisch, Arbeitsrecht (2. Aufl.), S. 140ff.; in der 3. Aufl. (ebenso auch in: Festschrift für Nipperdey, S. 65,70ff.) hat Nikisch seine These insoweit zurückgenommen, daß der Arbeitsvertrag das Arbeitsverhältnis zwar begründe, es aber erst mit der Eingliederung in den Betrieb in den Erfüllungszustand übertrete. 3 Ausführlich zur Unvereinbarkeit mit dem geltenden Recht, insbesondere auch zum Wertungswiderspruch zur verfassungsrechtlichen Verankerung der Vertragsfreiheit Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 1, §21; dies., Grundriß, § 13; zum Verfassungsrecht im 3. Kapitel (S.69ff.).
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
die beteiligten Personen als Persönlichkeiten im ganzen, in ihren persönlichen Eigenschaften, Fähigkeiten, Pflichten und Kräften erfaßt und in ein echtes Gliedschaftsverhältnis einordnet.«4 Abgesehen davon, daß angesichts der tatsächlichen Verhältnisse im Normalfall von einer engen persönlichen Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer keine Rede sein kann, fehlen personale rechtliche Verknüpfungen im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches. Das Arbeitsverhältnis erfüllt weder den Tatbestand einer Gesellschaft (§§705ff. B G B ) noch den einer Rechtsgemeinschaft (§§741 ff. BGB). Zwar sind auch Gesellschaft und Gemeinschaft im Siebenten Abschnitt des Zweiten Buches, dem Recht der Schuldverhältnisse geregelt, hier hat aber der Gesetzgeber durch das Gesamthandsprinzip ein personenrechtliches Strukturmerkmal eingefügt, das beim Arbeitsverhältnis in vergleichbarer Weise fehlt. Die Lehre vom personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis wird deshalb zu Recht allgemein abgelehnt.5 Die Eingliederungslehre wie auch die These vom personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis sind heute6 ohne Belang. 2. D a s A r b e i t s v e r h ä l t n i s als D a u e r s c h u l d v e r h ä l t n i s Das Arbeitsverhältnis wird als Dauerschuldverhältnis angesehen, welches auf den Austausch von Leistungen gerichtet ist und dem Vertragsprinzip unterliegt. 7 Ausgangspunkt der Arbeitsvertragslehre ist die Einordnung als Schuldvertrag. Dieser Ausgangspunkt ist zu präzisieren. In der Literatur werden unterschiedliche Akzente gesetzt. Die Modifikationslehren leiten aus der Charakterisierung als Dauerschuldverhältnis eine Änderung der Schuldvertragsqualifikation ab: a)
Modifikationsansätze
A u c h Adomeit sieht das Arbeitsverhältnis als vertragliches Schuldverhältnis, kombiniert diesen Ansatz aber mit Elementen der B G B - G e s e l l s c h a f t . Seiner A n sicht nach ist das Arbeitsverhältnis ein gemischtes Rechtsverhältnis mit den K o m ponenten Dienstvertrag und Gesellschaftsvertrag. 8 Das Arbeitsverhältnis sei ein »kooperatives Austauschverhältnis«; außer dem Austausch von Leistungen diene
4 Siebert, Arbeitsverhältnis, S. 82f.; ähnlich Nikisch, Arbeitsvertrag, S.42f., 47, der die Gemeinschaft als eine enge persönliche Beziehung charakterisiert. 5 Im einzelnen zur Abkehr vom personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis siehe Ballerstedt, RdA 1976,5, 9f.; Blomeyer, ZfA 1972, 85,96f.; Schwerdtner, Fürsorgetheorie, S. 211; ders., Arbeitsrecht I, S. 108£.; Söllner, Entwicklungslinien, S. 135, 139; Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S.35ff.; E. Wolf, Arbeitsverhältnis, S. lff. 6 Ein zusammenfassender geschichtlicher Uberblick zur Aufgabe der Eingliederungstheorie und zur Lehre vom personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis findet sich bei Dreher, Arbeitsverhältnis, S.6ff. 7 Als Grundsatz allgemeine Meinung, vgl. neben den in Fn. 1 Genannten nur StaudingerlRichardi, Vorbem. zu §§61 lff. Rn.762; Palandt/Putzo, Einf. v. §611 Rn.4; Erman/Hanau, §611 Rn.53f.; SoergellKraft, Vor §611 Rn.15, 22f., 25f.; Müller-Glöge, in: MünchKommBGB, §611 Rn.7,126ff.; KGKK/Schliemann,%6\ 1 Rn.797, l\52ti.; Jauernig/Schlechtem,Vor Rn.29; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht 1, §1 Rn.21ff. 8 Adomeit, Arbeitsrecht, S. 5ff.; ders., Elemente, S. 11; weitgehend zustimmend Ehmann, RdA 1990,77,78; ähnlich auch Beuthien, Arbeitsverhältnis, S. 27ff., der das Modell des Arbeitnehmers als Teilhaber am Unternehmen als erstrebenswerte Vision eines modernen Arbeitsrechts ansieht.
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
489
es der Förderung eines gemeinsamen Zweckes. 9 Die übereinstimmenden Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern werden von Adomeit in den Vordergrund gerückt. Er betont die Emanzipation und Mündigkeit der Arbeitnehmer und geht deshalb davon aus, daß die Arbeitnehmer auch in der Lage sind, ihre Interessen in das Vertragsverhältnis adäquat einzubringen. Diesen Umständen würden die Regeln der §§705ff. BGB gerecht. §611 BGB sei von einer bloßen Zweierbeziehung ausgegangen, während die Anwendung der Regeln über die BGBGesellschaft dem kollektiven Zusammenspiel der Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber besser Rechnung trage.10 Die über die individuelle Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hinausgehende Gemeinschaft betont auch Reuter, konturiert den Gemeinschaftsbegriff aber anders als Adomeit. Reuter erklärt die arbeitsrechtlichen Besonderheiten damit, daß Arbeit im Verbund mit anderen Arbeitnehmern geschuldet werde. Die Vertragsfreiheit gewährleiste für sich genommen keine ausgeglichene Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, weil eben keine isolierte Leistung im Rahmen eines Zwei-Personen-Verhältnisses geschuldet, sondern die Leistung im Verbund mit anderen Arbeitnehmern zu erbringen sei.11 Neben dem schuldrechtlichen Austauschverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber existiere eine Verbandsebene. Dieses tatsächliche Miteinander sei bei Fragen im Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag zu berücksichtigen. Das Arbeitsverhältnis setzt sich nach Reuter also aus zwei Wesensmerkmalen zusammen, dem Vertrag und der Verbandsbeziehung, und sei deshalb als gemischtrechtliches Verhältnis zu charakterisieren. 12 Einen gegenteiligen Standpunkt zu den Ansätzen von Adomeit und Reuter nimmt Däubler ein. Das Arbeitsverhältnis sei weder von einer wechselseitigen Interessenwahrung noch von einem gemeinsamen Zweck getragen. Die Interessen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer stehen sich nach seiner Ansicht gegensätzlich gegenüber. Dieser Antagonismus sei auch dem Grundgesetz zu entnehmen. Art. 9 Abs. 3 GG liege der Gegensatz von »Kapital und Arbeit« zugrunde und gewähre deshalb die Befugnis, aktiv an Maßnahmen der Koalition mitzuwirken und sich gegen die Interessen des Arbeitgebers zu wenden. Der verfassungsrechtlich anerkannte Interessengegensatz beeinflusse auch das konkrete Arbeitsverhältnis. Die kontradiktorische Natur des Arbeitsverhältnisses sei bei der Beurteilung von vertragsrechtlichen Fragestellungen demnach maßgeblich zu berücksichtigen. 13 b)
Stellungnahme
Die Modifikationen der vertragsrechtlichen Ausgangsbasis überzeugen nicht. Däubler wählt zum einen einen unzutreffenden Ansatzpunkt, zum anderen zieht 9
Adomeit, Arbeitsrecht, S. 5, 7. Adomeit, Arbeitsrecht, S. 5; ders., Elemente, S. 10. 11 Reuter, Stellung, S.25ff.; vgl. auch ders., RdA 1994,152,156ff.; ders., RdA 1991,193,195ff. 12 Reuter, Stellung, S. 32. 13 Däubler, Arbeitsrecht 2, S.349f. (Zitat auf S.349). 10
490
4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
er eine unzutreffende Schlußfolgerung. D i e Koalitionsfreiheit zielt nicht auf den Gegensatz von »Arbeit und Kapital«. Art. 9 Abs. 3 G G gewährleistet ein Freiheitsrecht für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Diese können sich zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zusammenschließen, um gemeinsam sinnvolle Lösungen zu erarbeiten. 1 4 Daneben können kollektivrechtliche Überlegungen für die Konkretisierung des Arbeitsverhältnisses allenfalls begrenzt herangezogen werden. D i e Tatsache, daß zur Verbesserung der Rechtspositionen der Arbeitnehmer Koalitionen gebildet werden, die darauf angelegt sind, Interessengegensätze auszugleichen, rechtfertigt keine Modifikation der Vertragslehre. I m Arbeitsvertrag finden gegensätzliche Interessen ihren Ausgleich; das ist aber keine Besonderheit des Arbeitsvertrages. Verträgen liegt typischerweise ein Interessengegensatz der Beteiligten zugrunde. So verfolgen auch Verkäufer und Käufer oder Vermieter und Mieter jeweils unterschiedliche Interessen. Eine abweichende Qualifikation des Arbeitsvertrages läßt sich daraus nicht ableiten. Reuter ersetzt eine normative durch eine rechtstatsächlich-typologische B e trachtung, wenn er Verbandsgedanken hervorhebt. Seine Betonung der »Arbeitsverbandsautonomie« 1 5 widerspricht der verfassungsrechtlich verbürgten Vertrags- und Koalitionsfreiheit. Aus der geltenden Rechtsordnung läßt sich trotz § 7 7 Abs. 4 B e t r V G 1 6 ein allgemeingültiger Vorrang von Normsetzungen des Zwangsverbandes »Betriebsgemeinschaft« nicht ableiten. 1 7 Zudem steht der G e danke einer Gemeinschaft im Sinne eines tatsächlichen Miteinanders in der N ä h e der Lehre v o m personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis, so daß die dagegen aufgeführten Argumente auch hier zum Teil zu berücksichtigen sind. 1 8 Adomeit billigt den übereinstimmenden Interessen der Gemeinschaft von A r beitgebern und Arbeitnehmern oberste Priorität zu. A u c h diese Sichtweise betont einen Aspekt des Arbeitsverhältnisses in überproportionaler Weise. H e b t Däubler den Interessengegensatz zu sehr hervor, vernachlässigt ihn Adomeit. Das Arbeitsverhältnis ist - wie jedes andere Schuldverhältnis - auch von einem Interessengegensatz geprägt. Eine Parallelität von Arbeits- und Gesellschaftsrecht, wie sie Adomeit mit seinem Ansatz vom gemischt-rechtlichen Rechtsverhältnis propagiert, läßt sich nicht feststellen. Bei beiden Vertragstypen handelt es sich zwar um Dauerschuldverhältnisse. Diese Ubereinstimmung rechtfertigt es aber nicht, von einem »kooperativen Austauschverhältnis« zu sprechen. Bereits ein im Sinne des § 7 0 5 B G B gemeinsamer Z w e c k läßt sich bei den Arbeitsvertragsparteien
14 Vgl. Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art.9 GG Rn. 12f. Gegen Däubler auch Reuter, Stellung, S. 16ff., und Richardi, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, § 8 Rn. 15, die ihm ein »marxistisches Vorverständnis« vorwerfen. 15 Vgl. Reuter, RdA 1991, 193, 204. 16 Dazu näher sogleich. 17 Gegen Reuter auch Dreher, Arbeitsverhältnis, S.52f.; Lieb, Arbeitsverhältnis, S.41, 52; Preis, Grundfragen, S. 16; Richardi, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, § 8 Rn. 16; Steinmeyer, Altersversorgung, S.55ff. 18 Ähnlich Dreher, Arbeitsverhältnis, S.52; Rieble, RdA 1996, 151, 153.
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
491
nicht finden. Weiterhin ordnen die § § 7 0 5 f f . B G B grundsätzlich jedem Gesellschafter eine gleiche Rechtsposition zu, 1 9 während das Arbeitsverhältnis, wie die Weisungsgebundenheit der Arbeitnehmer zeigt, hierarchisch angelegt ist. 20 D e r Arbeitgeber hat das Organisations- und Leitungsrecht. D i e in den §§ 705ff. B G B vorgesehene enge rechtliche Bindung zwischen den Gesellschaftern läßt sich auf das Arbeitsrecht nicht übertragen: So hat die Kündigung eines Gesellschafters nach der (dispositiven) Regelung in § 723 Abs. 1 B G B die Beendigung der Gesellschaft (für alle Beteiligten) zur Folge. D i e Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wirkt sich dagegen auf die übrigen Rechtsverhältnisse nicht aus. Die Verteilung finanzieller Mittel ist überdies unterschiedlich, auf der gesellschaftsrechtlichen Seite ein am Unternehmensgewinn ausgerichteter Verteilungsmodus, auf der arbeitsrechtlichen Seite eine (regelmäßig) fixe Entgelthöhe. 2 1 Das Arbeitsentgelt ist regelmäßig kein gewinn-bestimmter Zahlungsanspruch aus gemeinsamer Z w e c k verfolgung, sondern Gegenleistung aufgrund eines Arbeitsvertrages. 2 2 Selbst eine arbeitsvertraglich vereinbarte Erfolgs- und Verlustbeteiligung 2 3 führt zu keinem Gesellschaftsvertrag. Arbeits- und Gesellschaftsvertrag haben unterschiedliche Vertragsgegenstände. Das gemeinsame Interesse an der Funktionsfähigkeit eines Unternehmens genügt nicht, einen gemeinsamen gesellschaftsrechtlichen Zweck zu kreieren und das Arbeitsverhältnis als gemischtes Rechtsverhältnis darzustellen. 2 4 D a m i t ist festzuhalten: Das Arbeitsverhältnis verkörpert eine schuldrechtliche Austauschbeziehung, die weder vereins- noch gesellschaftsrechtlich ausgerichtet ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß es sich um ein Dauerschuldverhältnis handelt. 3. D i e p e r s o n a l e K o m p o n e n t e des Arbeitsvertrages Die Annahme eines gegenseitigen Vertrages schließt nicht aus, daß die rechtliche Beurteilung des Arbeitsverhältnisses teilweise besonderen Regeln folgt. Dies beruht auf dem Charakter als Dauerschuldverhältnis. D i e Hauptleistungspflichten
19 Siehe §709 B G B zur gemeinschaftlichen Geschäftsführung, §719 B G B zur gesamthänderischen Bindung oder §722 B G B zur Gewinn- und Verlustverteilung. 20 Lieh, Arbeitsverhältnis, S. 41, 47f. 21 Daneben sind flexible Entgeltbestandteile möglich. Sonderzahlungen können beispielsweise in Abhängigkeit von Umsatz oder Gewinn gezahlt werden. Dabei mag es sich zwar um Elemente im Arbeitsvertrag handeln, die gesellschaftsrechtlichen Gestaltungen ähneln, diese machen das Arbeitsverhältnis aber nicht zu einem gemischten Rechtsverhältnis, zu dessen Beurteilung regelmäßig gesellschaftsrechtliche Aspekte heranzuziehen wären. 22 Vgl. Loritz, RdA 1992, 310ff.; Reuter, Stellung, S.23f.; Zöllner, ZfA 1988, 265, 289. 23 Eine Verlustbeteiligung des Arbeitnehmers kann gemäß §138 Abs.l B G B nichtig sein, wenn der Arbeitnehmer ohne angemessenen Ausgleich mit dem Betriebs- und Wirtschaftsrisiko belastet wird, B A G N J W 1991, 860, 861. Zu diesen Fragen im 13. Kapitel (S.541ff.). 24 Vgl. Beuthien, Festschrift für E. Wolf, S. 17,33; Dreher, Arbeitsverhältnis, S.50f.; Lieb, Arbeitsverhältnis, S.41, 47; Preis, Grundfragen, S. 15ff.; Reuter, Stellung, S.23f.; Richardi, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, §8 Rn.13.
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
werden wesentlich durch die zeitliche K o m p o n e n t e bestimmt; die Leistungspflicht wird grundsätzlich nach Zeiteinheiten bemessen. 2 5 D e r Arbeitnehmer schuldet in aller Regel nicht die Erbringung von einzelnen Tätigkeiten oder ein in Stückzahlen ausgedrücktes Arbeitsergebnis. D i e Zeit stellt das übliche M a ß der v o m Arbeitnehmer geschuldeten Leistung dar. H i n z u k o m m t , daß der Arbeitnehmer im Zweifel verpflichtet ist, die Tätigkeit in eigener Person zu erfüllen ( § 6 1 3 S. 1 B G B ) . D e r Arbeitnehmer ist als Person in die Erfüllung der Vertragspflichten einbezogen. Das Arbeitsverhältnis hat personalen Charakter; die Leistung bezieht sich nicht auf einen Warenaustausch als Vermögensdisposition, sondern von der Rechtsbeziehung betroffen ist ein Mensch als Person. 2 6 D i e Rücksicht auf den Arbeitnehmer als Persönlichkeit und die in der Regel langfristig angelegte Vertragsbeziehung erfordern zwar keine Modifikation der Charakterisierung als Schuldvertrag, jedoch - innerhalb der Vertragseinordnung - einige von gewöhnlichen Austauschverträgen abweichende Regelungen. So sehen einzelne Bestimmungen den Schutz von Existenz- und Berufsrisiken vor. Ein Beispiel ist das Arbeitsschutzgesetz. Es dient als zwingende Vorgabe dazu, Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit durch M a ß n a h m e n des Arbeitsschutzes zu sichern und zu verbessern. 2 7 Gegen diesen Ansatz wird eingewandt, daß ein personales Element keine B e sonderheit des Arbeitsrechts sei. Besondere Rücksichtnahmepflichten seien parallel zur Intensität der Vertragsbeziehungen in allen entsprechenden Schuldverhältnissen zu berücksichtigen. D e r Hinweis auf den personalen Charakter sei deshalb nichtssagend. 2 8 Die Kritik geht fehl, weil mit dem Hinweis auf die persönliche Eingebundenheit des Arbeitnehmers keine veränderte rechtliche E i n ordnung des Arbeitsvertrages behauptet werden soll. E s wird nur ausgedrückt, daß ein Vertragspartner als Person betroffen ist und dies bei der Beurteilung bestimmter Rechtsfragen einzubeziehen ist. Nichtssagend ist die personale K o m p o nente deshalb nicht. Sie ermöglicht es, Austauschverträge wie den Kauf oder das Darlehen von Verträgen mit persönlichem Einschlag wie dem Arbeitsverhältnis abzugrenzen. D i e Annahme, arbeitsrechtliche Vorschriften schützten lediglich das Vermögen des Arbeitnehmers und nicht den Arbeitnehmer als Person und das Arbeitsverhältnis sei deshalb aus Sicht des Gesetzgebers als ein vermögensrechtliches Austauschverhältnis konzipiert, 2 9 geht fehl. Richtig ist, daß zahlreiche arbeitsrechtliche Schutznormen vordergründig vermögensrechtliche Interessen des Arbeitnehmers zum Gegenstand haben, wie etwa die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder die Gewährung von Entgelt während des Urlaubs. Diese R e gelungen schützen das Vermögen des Arbeitnehmers aber nicht als Selbstzweck, sondern (auch) um dem Arbeitnehmer eine sichere Lebensgrundlage als Person zu verschaffen. Daneben existieren arbeitsrechtliche Vorschriften, die in erster 25 26 27 28 29
Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht 1, § 1 Rn. 12. Näher Otto, Freiheit, S. 131ff.; Wiese, ZfA 1996, 439, 455ff.; ders., ZfA 1971, 273 ff. BT-Drucks. 13/3540. Weber, RdA 1980, 288, 291, 293. Dreher, Arbeitsverhältnis, S.45.
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
493
Linie auf die Person des Arbeitnehmers, seine persönliche Integrität und Gesundheit zielen, wie beispielsweise die zahlreichen Vorgaben zur Arbeitssicherheit, die sich aus dem Privatrecht (§618 BGB, §62 HGB) und dem öffentlichem Recht ergeben. Auch überwiegend vermögensrechtlich geprägte Rechtsverhältnisse enthalten Pflichten, die über eine reine Austauschbeziehung hinausgehen. Diese Pflichten zielen jedoch nicht auf die persönliche Inanspruchnahme des Vertragspartners, sondern dienen in erster Linie der Sicherung der Leistungserbringung und dem Schutz von Rechtsgütern des Gläubigers. 30 I m Arbeitsvertragsrecht k o m m e n ergänzend Pflichten hinzu, die darüber hinausgehen. Von den Parteien eines Dauerschuldverhältnisses ist eine gesteigerte Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des anderen Teils zu erwarten. Dies gilt zumal dann, w e n n die Arbeitsleistung persönlich zu erbringen u n d der Arbeitnehmer v o m Arbeitgeber persönlich abhängig ist.
Die Betonung des personalen Charakters bedeutet auch keine Wiederbelebung der Lehre vom personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis. Das Arbeitsverhältnis ist als schuldvertragliches Austauschverhältnis zu qualifizieren und unterliegt allein der Vertragsdogmatik. Da es aber nicht allein um vermögensrechtliche Vorgänge geht, sondern der Arbeitnehmer als Person in besonderem Maß in das Dauerschuldverhältnis eingebunden ist, hat der personale Charakter in bestimmten Ausprägungen Berücksichtigung zu finden. 31 Diese Eigenart des Arbeitsverhältnisses schlägt sich beispielsweise in Nebenpflichten der Vertragspartner nieder. Überdies erlaubt die Einstufung des Arbeitsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis mit personaler Struktur, das Phänomen der Arbeit trotz fehlerhaften Arbeitsvertrages hinreichend zu erklären. Ist ein durch A n f e c h t u n g unwirksames Vertragsverhältnis tatsächlich ausgeführt worden, sind mit der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung Unzulänglichkeiten verbunden, weil die §§812ff. B G B vor allem f ü r den einmaligen Austausch vermögensrechtlicher Leistungen konzipiert sind u n d den Besonderheiten eines Arbeitsverhältnisses, insbesondere den U m s t ä n d e n der persönlichen Arbeitsleistung, nicht hinreichend Rechnung tragen. Deshalb w i r k t im G r u n d s a t z die Nichtigkeit des Arbeitsverhältnisses aufgrund Anfechtung n u r f ü r die Z u k u n f t ; prinzipiell kann die Nichtigkeit des Arbeitsvertrages nicht mehr mit rückwirkender Kraft geltend gemacht werden. 3 2 Diese grundsätzliche Beschränkung der Unwirksamkeitsfolge berücksichtigt die personale Eigenheit der Arbeitsleistung, den U m s t a n d , daß dem Arbeitsvertrag »zentrale u n d vitale Bedeutung« f ü r die Existenz des A r beitnehmers z u k o m m t u n d die Arbeit dem Vermögen des Arbeitgebers unwiderruflich zugeflossen ist. 33 Die Rechtsfolgenbegrenzung trifft nicht unterschiedslos auf alle Anfechtungsfälle in gleicher Weise zu. Die personale Struktur der Arbeitsverhältnisse ist nicht in jedem Fall gleich zu bewerten. Es sind Arbeitsverhältnisse denkbar, bei denen die personale 30
Musielak, GK BGB, Rn. 193 ff. (leistungssichernde Nebenpflichten, Schutzpflichten). Blomeyer, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, §49 Rn. 12; G. Müller, Festschrift für Kahn-Freund, S. 571, 572; Preis, Prinzipien, S. 130; ders., Grundfragen, S. 15; Söllner, Grundriß, §28 III 2 a.E.; Wiese, ZfA 1996, 439, 456; Zöllner!Loritz, Arbeitsrecht, § 11 II 7b. 32 So der Grundsatz, Horm, ZfA 1987,61,67ff., 70ff.; Lieh, Arbeitsrecht, Rn. 133ff.; Richardi, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, §44 Rn.58ff.; Zöllner!Loritz, Arbeitsrecht, §11 II 1; ständige Rspr. seit BAG AP Nr. 1 zu §611 BGB Doppelarbeitsverhältnis. 33 Picker, ZfA 1981, 1, 52f. 31
494
4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
Eingebundenheit lediglich ein geringes Maß erreicht. Ebenso wie die personale K o m p o nente unter U m s t ä n d e n unterschiedlich intensiv wirkt, geht mit der Abstufbarkeit dieses materialen Rechtfertigungsgrundes eine dynamische H a n d h a b u n g der Nichtigkeitsfolge einher. Die ex n u n c - W i r k u n g der A n f e c h t u n g eines Arbeitsvertrages ist damit n u r als Regelwirkung zu werten. Wie Picker deutlich gemacht hat, wird eine pauschale Derogation der Nichtigkeitswirkung der Komplexität des Arbeitsverhältnisses nicht gerecht. A b h ä n gig von den unterschiedlichen Anfechtungsgründen sind die einzelnen ein Arbeitsverhältnis konstituierenden Beziehungen daraufhin zu untersuchen, ob im konkreten Fall eine Nichtigkeitsreduktion angebracht ist. 34 Das Anfechtungsrecht soll den Berechtigten dort vor einer vertraglichen Verpflichtung bewahren, w o diese mangels eines entsprechenden Willens von vornherein nicht durch diesen entscheidenden Geltungsgrund des Vertrages legitimiert ist. Das Recht auf Anfechtung sichert nach der gesetzlichen K o n z e p t i o n den G r u n d s a t z der Selbstbestimmung im Hinblick auf Abschluß u n d Inhalt des Arbeitsvertrages. Das Anfechtungsrecht bezieht sich auf den Vertragsschluß als solchen, es wirkt deshalb nach § 142 Abs. 1 B G B ex tunc. N u r in besonderen Konstellationen kann von dieser Wirk u n g abgesehen werden. Eine solche ist zwar wegen der besonderen personalen Ausgestaltung im Arbeitsvertragsrecht regelmäßig anzunehmen. Dieser G r u n d s a t z erübrigt aber nicht, im konkreten Fall zu prüfen, ob ausnahmsweise U m s t ä n d e bestehen, die eine Beschränkung der Nichtigkeitswirkung entfallen lassen. N o t w e n d i g e s Kriterium ist jedenfalls, daß ein Vertrag, w e n n auch ein fehlerhafter, abgeschlossen wurde. N u r eine tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung begründet kein Arbeitsverhältnis. Erforderlich ist also zumindest eine Willensübereinkunft zwischen Arbeitgeber u n d A r beitnehmer. N u r in Einzelfällen k o m m t es auf die Existenz eines Vertrages nicht an; hier wird ein Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes begründet. So hat bespielsweise nach § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG der Arbeitnehmer bei einer ordentlichen Kündigung über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus A n s p r u c h auf Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen, w e n n der Betriebsrat der Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen u n d der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhoben hat. H i e r k o m m t bis z u m rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis zustande. Anders liegt es im Falle des sogenannten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruches. N a c h der Entscheidung des G r o ß e n Senats des B A G ist der Arbeitgeber zwar verpflichtet, den A r beitnehmer nach einem der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteil bis z u m rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzprozesses weiterzubeschäftigen, w e n n der A r beitnehmer dies verlangt. 3 5 Hieraus ist aber nicht zu schließen, daß ein Arbeitsverhältnis aufgrund eines derartigen Weiterbeschäftigungstatbestandes entsteht; §102 Abs. 5 S. 1 BetrVG ist auf diesen Fall weder direkt noch analog anwendbar. Wird der Arbeitnehmer auf der Grundlage der Verurteilung weiterbeschäftigt, ohne daß die Beteiligten das gekündigte Arbeitsverhältnis fortsetzen, existiert bei Wirksamkeit der Kündigung kein Rechtsgrund f ü r die beiderseitigen Leistungen. D e m aus dem Persönlichkeitsschutz abgeleiteten ideellen Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers wird durch die tatsächliche Beschäftigung Genüge getan. 3 6
34
Picker, ZfA 1981, 1, 53 ff. BAG (GS) AP Nr. 14 zu §611 BGB Beschäftigungspflicht. 36 BAG DB 1990, 1286; AP N r . l zu §611 BGB Weiterbeschäftigung; a.A. Färber!Kappes, N Z A 1986, 215, 219 (Analogie zu §102 Abs.5 S. 1 BetrVG); Schwerdtner, ZIP 1985, 1361ff. (Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses). 35
12. Kapitel: Die Reichweite
der Vertragsfreiheit
im Arbeitsrecht
495
II. Die Vertragsfreiheit als Grundwertung des Arbeitsvertragsrechts Abgesehen von den seltenen Fällen, in denen ein Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes begründet wird,37 kommt es auf den Konsens der Vertragspartner an. Denn der Arbeitsvertrag begründet als Unterfall des Dienstvertrages (§§611 ff. BGB) ein schuldrechtliches Rechtsverhältnis. Der Arbeitsvertrag unterliegt der Vertragsdogmatik und deshalb auch dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. 1. Die Lage im 19. Jahrhundert Für die historische Ausgangsbasis des modernen Arbeitsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, also die Kodifikation dienstvertraglicher Regeln im Jahre 1896, ist das eindeutig.38 Der liberalen Grundhaltung des Bürgerlichen Gesetzbuches folgend39 überließ der Gesetzgeber die Ausformung des Arbeitsvertrages den Beteiligten. Es galt das Postulat des freien Arbeitsvertrages. Es herrschte die Uberzeugung vor, daß jeder einzelne die Bedingungen seiner Arbeit selbständig und selbstverantwortlich regeln sollte. Wieder war es v. Gierke, der die auch in § 105 GewO ausgedrückte individualistische Tendenz kritisierte, »den Arbeitsvertrag der freien Einzelvereinbarung zu überlassen und zugleich nach Möglichkeit einem reinen Schuldvertrage anzunähern.«40 Auch Menger wandte sich angesichts der Mißstände im 19. Jahrhundert dagegen, die Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse allein in die Hände der Vertragsparteien zu legen: »Ohne ein zwingendes Gesetz, welches jede Willkür der Beteiligten ausschließt, könnte die Haftung des Dienstherrn nur in sehr engen Schranken zur Wirksamkeit gelangen, da dieser als der wirtschaftlich Stärkere sie regelmäßig durch vertragsmäßige Bestimmung ausschließen würde«, und weiter: »Der wahre Grund der Vertragsfreiheit ist ohne Zweifel, daß der Zusammenstoß der wirtschaftlichen Interessen zwischen den besitzenden und den besitzlosen Klassen erfolgt und daß den ersteren durch jenen Grundsatz bei der Erhebung des arbeitslosen Einkommens freie Hand gelassen werden soll.«41 Das Verdienst dieser kritischen Stimmen ist die Aufnahme der Inhalte der (heutigen) §§615-619 in das Bürgerliche Gesetzbuch.42 Diese Regelungen und einzelne spezielle Vorschriften, wie die im preußischen Regulativ über die Kinderarbeit von 1839 enthaltenen arbeitnehmerschützenden Bestimmungen, sollten den sozialen Forderungen der Zeit Rechnung tragen. Weitergehende sozialpolitische Reformvorstellungen wurden abgewehrt und im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht anerkannt. Zwingende gesetzliche Vorgaben für die Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse blieben die Ausnahme. Die Vertragsbedingun-
37 38 39 40 41 42
Dazu soeben auf S.494; siehe auch Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht 1, § 5 Rn. 82ff. Vgl. das 1. Kapitel unter V (S.36ff.) sowie Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 1, §25 I. Vgl. die Ausführungen im 1. Kapitel unter V (S. 36ff.). v. Gierke, Privatrecht III, S.599. Menger, Bürgerliches Recht, Zitate auf S. 160ff. Adomeit, N J W 1996, 1710, 1711; Benöhr, Festschrift für Kroeschell, S. 17ff.
4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
496
gen konnten nach den Vorgaben im B G B weitgehend ohne staatliche Regelungen frei gestaltet werden. 4 3 D i e von England ausgehende und sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts auch auf dem Kontinent ausbreitende Industrialisierung sowie ein enormes Bevölkerungswachstum aufgrund einer kontinuierlich verbesserten Versorgung führten zu Massenarbeitsverhältnissen. D e r einzelne war von der Beschäftigung in der F a b r i k existenziell abhängig, während der Unternehmer auf den einzelnen L o h n arbeiter nicht angewiesen war. Modernisierungsdruck und scharfer Wettbewerb machten es erforderlich, so kostensparend wie möglich zu produzieren. Diese Umstände hatten zur Folge, daß der wirtschaftlich überlegene Arbeitgeber zahlreiche Rationalisierungsmaßnahmen z u m Nachteil der Belegschaft durchführte. Außerordentlich lange Arbeitszeiten und schlechte Arbeitsbedingungen waren die Konsequenz. D e r Arbeitnehmer war gezwungen, die Arbeit zu den ihm angebotenen Bedingungen anzunehmen und sich den Zwängen und Richtlinien des Arbeitgebers zu unterwerfen. Das »formale R e c h t eines Arbeiters, einen Arbeitsvertrag einzugehen« oder nicht, bedeutete »nicht die mindeste Freiheit, in der eigenen Gestaltung der Arbeitsbedingungen« und eröffnete den Arbeitnehmern »keinerlei Einfluß darauf.« 4 4 Kündigungsschutz war (weitgehend) unbekannt, im Gegenteil, das Recht einen auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Vertrag einseitig zu lösen, wurde als maßgebliches Element der Vertragsfreiheit angesehen. Die Idee, Vertragsfreiheit als freies Spiel der Kräfte gleichberechtigter Verhandlungspartner führe im Ergebnis zu sozial ausgewogenen, gerechten Vertragsbedingungen, ließ sich angesichts des Uberangebots von Arbeitskräften (»industrielle R e servearmee«) nicht realisieren. Es wurde übersehen, daß der rechtlichen Gleichheit, also der Freiheit des Arbeitnehmers, einen ihm angebotenen Arbeitsvertrag auszuschlagen, keine der Stellung des Arbeitgebers vergleichbare wirtschaftliche Stärke entsprach. D e r Arbeitnehmer war - noch dazu in Zeiten eines Uberangebots an Arbeitskräften - zur Sicherung seiner Existenz auf ein Arbeitsverhältnis angewiesen. Formale und materiale Vertragsfreiheit waren in ihrem Gleichlauf empfindlich gestört. D i e formale Gleichheit der Vertragspartner wurde durch reale Imparität entwertet. D i e Vertragsfreiheit stellte sich im 19. Jahrhundert für den Arbeitnehmer vielfach als »souveräne Freiheit« dar, »sich für einen Hungerlohn zu verdingen oder zu verhungern.« 4 5 U m die sozialen Mißstände bei den Arbeitsbedingungen der Industriearbeiter zu beheben, wirkten in der Folgezeit zwei Kräfte zusammen, der Staat durch eine umfangreiche Gesetzgebung und gesellschaftliche Kräfte, die durch Koalitionsbildung, das Tarifvertragswesen und die betrieblichen
Arbeitnehmervertretungen
die
individualrechtliche
Selbstbestimmung
durch eine kollektivrechtliche ergänzten. D i e veränderte Einschätzung der sozia-
43 Eingehend zum Arbeitsvertrag im 19. Jahrhundert Söllner, Festschrift für Coing, S. 288ff.; Rücken, ZfA 1992, 225ff. 44 Weber, Wirtschaft, S. 439. 45 Nell-Breuning, Freiheit, S. 30.
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
497
len Rahmenbedingungen durch den Gesetzgeber führte im 20. Jahrhundert zum Erlaß zahlreicher Vorschriften. 2. Die veränderte Situation im 20. Jahrhundert Die arbeitsrechtliche Vertragsfreiheit wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts durch zahlreiche zwingende gesetzliche Vorgaben beschränkt. Mit dem allmählichen Wandel der sozialpolitischen Anschauungen verstärkten sich die Bestrebungen des Gesetzgebers zur Schaffung von Arbeitnehmerschutzgesetzen, welche die individuelle Vertragsfreiheit eingrenzen. Erlassen wurden beispielsweise Vorschriften über den Kündigungsschutz, die erstmals durch das Betriebsrätegesetz vom 4.2. 1920 eingeführt wurden und heute im KSchG zu finden sind. Die Kündigungsschutzvorschriften tragen dem Sozialstaatsgedanken und Art. 12 G G Rechnung, wonach unter bestimmten Voraussetzungen ein willkürlicher und grundloser Entzug des Arbeitsplatzes angesichts seiner Bedeutung für die Lebensführung des Arbeitnehmers nicht zugelassen werden darf. 46 Heute sieht die Rechtsordnung deshalb umfangreiche Regeln vor, welche die Gestaltungsmacht der Arbeitsvertragsparteien durch die Statuierung arbeitsvertraglich nicht abdingbarer gesetzlicher Schutzbestimmungen eingrenzen. Beidseitig zwingendes Gesetzesrecht ist relativ selten. Diese Bindungsvariante hat der Gesetzgeber vor allem gewählt, wenn Dritt- oder Allgemeininteressen im Vordergrund stehen, wie es bei § 618 BGB oder §6 Abs. 1, § 8 Abs. 1 MuSchG der Fall ist. Regelmäßig will der Gesetzgeber entsprechend der allgemeinen Schutzintention nicht den Inhalt des Arbeitsverhältnisses unabänderlich festschreiben, sondern lediglich bestimmte Interessen des Arbeitnehmers wahren. Gesetzliche Vorgaben sind deshalb überwiegend einseitig zwingend. Dies ergibt sich entweder aufgrund ausdrücklicher Anordnung (vgl. §619 BGB, § 13 Abs. 1 S.3 BUrlG, § 12 EntgeltfortzahlungsG) oder im Wege der Auslegung aus dem Sinn und Zweck, dem Arbeitnehmer eine Mindestsicherung zu gewähren. Günstigere Arbeitsbedingungen dürfen hier durch Kollektiv- oder Einzelarbeitsverträge vereinbart werden. Daneben existiert tarifdispositives Gesetzesrecht (z.B. § 622 Abs. 4 S. 1 BGB, § 13 Abs. 1 S. 1 BUrlG, § 4 Abs. 4 EntgeltfortzahlungsG), das nicht nur eine Abweichung zugunsten des Arbeitnehmers durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag zuläßt, sondern auch eine Regelung zu Lasten der Arbeitnehmer durch Tarifvertrag erlaubt. 47 Mit der Tarifdispositivität arbeitsrechtlicher Gesetze trägt der Gesetzgeber dem Gedanken kollektivrechtlicher Selbstbestimmung Rechnung. Die mangelnde Durchsetzbarkeit von Arbeitnehmerbelangen im Rahmen einzelvertraglicher Abreden legte eine kollektive Interessenvertretung nahe. Neben den gesetzlichen Schutz von Arbeitnehmerinteressen trat vermehrt die Selbsthilfe durch Arbeitnehmervereinigungen.
46
Vgl. Oetker, RdA 1997, 9; Preis, N Z A 1997, 1256. Zu Sinn und Zweck gesetzlicher Offnungsklauseln Hromadka, S.417, 418ff. 47
Festschrift für Kissel,
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle
im
Arbeitsrecht
III. Die zivilrechtsatypische Regelungsdichte im Arbeitsvertragsrecht Nicht allein die geänderte Haltung des Gesetzgebers zur Reichweite der Individualautonomie führte im 20. Jahrhundert zu Einschränkungen der Vertragsfreiheit. Hinzu kommen Begrenzungen durch kollektivrechtliche Vorgaben. In ihrer Summe führen die Freiheitsgrenzen dazu, daß die ursprünglich freie Gestaltung von Arbeitsverträgen im 20. Jahrhundert derart umfangreich eingeschränkt ist, daß sich im Arbeitsvertragsrecht eine von anderen Vertragstypen abweichende Regelungsdichte ergibt. D i e hohe Regelungsdichte ist nicht auf das Arbeitsrecht beschränkt. Beispielsweise kennt auch das Mietrecht eine Vielzahl von Vorschriften, welche die Mietvertragsfreiheit eingrenzen. 4 8 Hinzu kommen im Arbeitsvertragsrecht aber Regelungen in Kollektivverträgen. Umfangreiche Vorgaben sind zudem der Rechtsprechung zu entnehmen, welche die Regelungen auslegt und das Arbeitsrecht durch Richterrecht fortbildet.
Die folgenden Ausführungen geben einen Uberblick über die Bandbreite kollektivrechtlicher Grenzen bei der individuellen Gestaltung von Arbeitsverträgen. Besonderes Augenmerk wird auf die bis heute kontrovers diskutierte Frage gelegt, inwiefern mit den Mitbestimmungsrechten nach § 8 7 B e t r V G eine Einschränkung der Individualautonomie verbunden ist. Daran schließen sich Uberlegungen dazu, welche Auswirkungen die Gestaltungsfaktoren auf die Individualautonomie im Arbeitsvertragsrecht haben.
1. Tarifvertrag Nach Aufhebung der Koalitionsverbote Mitte des 19. Jahrhunderts und Bildung der Gewerkschaften und nach der Überwindung der Klassenkampfdoktrin, die ein friedliches Zusammenarbeiten der Arbeiterschaft mit den Arbeitgebern unter gegenseitiger Anerkennung ausschloß, kam es in zunehmendem Maß zum A b schluß von Tarifverträgen. 49 Tarifverträge ermöglichen den Koalitionen der Arbeitnehmer, ihre kollektive Gestaltungskraft mit zwingender Wirkung für die einzelnen Arbeitsverhältnisse fruchtbar zu machen und so den auf der Ebene des Einzelvertrages »praktisch ungenügenden« Interessenausgleich 50 herbeizuführen. Dieser Funktion folgend legen Tarifverträge vor allem MindestarbeitsbedinVgl. Meincke, Wohnraummietrecht, S. lOff. Allgemeine Anerkennung des Tarifvertrages brachte die auf die November-Revolution von 1918 folgende Zusammenarbeit der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften. Das Jahr 1918 brachte zudem die erste deutsche gesetzliche Regelung des Tarifvertragsrechts, die Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23.12. 1918 (TarifVO). Zur geschichtlichen Entwicklung des Tarifvertragswesens siehe die Ubersichten von Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, §2; Löwisch, in: Münch. Hdb. z. ArbR 3, § 245 Rn. 1 ff., 11 ff.; Runggaldier, Mitbestimmung, S. 34ff., jeweils m. zahlr. weit. Nachw. 50 Herschel, Tariffähigkeit, S.25. 48
49
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
499
gungen fest. Diesem Zweck dient der normative Teil des Tarifvertrages. Er regelt unter anderem gemäß § 4 Abs. 1 TVG die Einzelarbeitsverhältnisse der Mitglieder der Tarifvertragsparteien (§ 3 Abs. 1 TVG) gesetzesgleich unmittelbar und zwingend. Tarifvertragliche Inhaltsnormen (§ 1 Abs. 1 Halbs. 2 TVG) regeln den Inhalt von Arbeitsverhältnissen, ohne daß es einer arbeitsvertraglichen Einbeziehung bedürfte und ohne daß der Tarifvertrag Inhalt der Arbeitsverträge würde. N e b e n der Schutzfunktion kommt den Tarifverträgen eine O r d n u n g s f u n k t i o n zu. Tarifverträge ermöglichen nicht nur eine einheitliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen, sondern auch eine verläßliche. Der normative Teil der Tarifverträge gibt den Unternehmen als feststehendes Rechtsgefüge eine sichere Kalkulationsgrundlage. Planungssicherheit gewährt außerdem der schuldrechtliche Teil des Tarifvertrages, der nach § 1 Abs. 1 T V G die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien regelt. Dazu zählen die Friedens-, die Einwirkungs- und die Durchführungspflicht. Erstere verbietet den Tarifvertragsparteien, während der Laufzeit des Tarifvertrages einen Arbeitskampf mit dem Ziel seiner Änderung zu führen. Letztere halten die Tarifvertragsparteien dazu an, alles für eine Realisierung des Tarifvertrages zu tun. 5 1
Der Tarifvertrag zielt in erster Linie auf die Schaffung einheitlicher und ausgewogener Arbeitsbedingungen. In Tarifverträgen finden sich deshalb häufig detaillierte inhaltliche Vorgaben zur Entgelthöhe, zu Art und Zeitpunkt der Entgeltzahlung, über die Bemessung von Akkorden, Prämien und Zulagen sowie Regelungen über Leistungsstörungen, Arbeitszeit, Urlaub oder Kündigungsmodalitäten. Das breite Regelungsspektrum von Tarifverträgen und die in ihnen häufig enthaltenen genauen Vorgaben schränken die Individualautonomie nicht unerheblich ein. Das kollektivvertragliche Gestaltungsmittel legt den Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwar nicht ausschließlich fest, sondern unter anderem in Konkurrenz mit der Regelung im Einzelarbeitsvertrag. Der Spielraum der Individualautonomie beschränkt sich aber auf im Verhältnis zu tariflichen Regelungen günstigere Absprachen (§4 Abs. 3 TVG) und auf im Tarifvertrag nicht enthaltene Punkte. Der »Vorbehalt zugunsten der individuellen Vertragsfreiheit« 52 folgt verfassungsrechtlicher Notwendigkeit. 53 Die Tarifautonomie dient dem Zweck, »die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluß von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen.« 54 Um dies zu erreichen, drängt die zwingende Wirkung des Tarifvertrages (§4 Abs. 1 TVG) die Vertragsfreiheit zurück und greift so in das verfassungsrechtlich fundierte Recht ein. Dieser Grundrechtseingriff ist allerdings nur insoweit legitimiert, als er nach Maßgabe des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Verwirklichung des mit der Tarifautonomie verfolgten Zweckes 51 Näher zum schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages Löwisch, in: Münch. Hdb. z. ArbR 3, §§270ff. 52 Richardi, ZfA 1992, 307, 324. 53 Löwisch, ZfA 1996,293,299; Ehmann/Lamhrich, NZA 1996,346,348; Ehmann, ZRP 1996, 314, 315. 54 BVerfGE 84, 212, 229; ebenso BVerfG N Z A 1995, 754, 756.
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
erforderlich ist. D i e zwingende Wirkung ist aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes nicht notwendig, soweit Arbeitnehmer in ihren Arbeitsverträgen mit den Arbeitgebern für sie günstigere als die tariflichen Bedingungen vereinbaren. Das Günstigkeitsprinzip ist mithin Folge des Vertragsfreiheitsgrundsatzes. A u c h wenn Tarifverträge lediglich Mindestarbeitsbedingungen vorgeben, führen deren Regelungen zu einer weitreichenden Beschränkung der Vertragsfreiheit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern; ihnen ist es verwehrt, nachteilig abweichende Vereinbarungen zu treffen. D i e Freiheit, sich rechtsgeschäftlich zu einer Leistung zu frei ausgehandelten Konditionen zu verpflichten, wird durch die kollektivrechtliche Gestaltung der Arbeitsverhältnisse in Tarifverträgen wesentlich eingegrenzt.
2. B e t r i e b s v e r e i n b a r u n g D i e sozialen Mißstände führten nicht allein zur Herausbildung einer überbetrieblichen Bündelung und Organisation der Arbeitnehmerinteressen. In steigendem M a ß wurde eine Repräsentation der (Fabrik-)Arbeiter innerhalb des Betriebes gefordert, um dem ausgeprägten Gestaltungspotential des Unternehmers eine adäquate Interessenvertretung der Arbeitnehmer vor O r t entgegenzusetzen und so seine Macht zu beschränken. 5 5 Trotz anfänglicher Widerstände - die Arbeitgeber fürchteten um ihre Alleinentscheidungskompetenz in den Betrieben, die G e werkschaften um ihren Alleinvertretungsanspruch und um eine Zersplitterung und damit eine Schwächung der Arbeitnehmerinteressen - etablierten sich seit der Arbeiterschutznovelle im Jahre 1891 5 6 betriebsinterne Arbeitervertretungen, zunächst in der F o r m der Arbeiterausschüsse. Betriebsräte kennt die Rechtsordnung seit dem Betriebsrätegesetz vom 4 . 2 . 1920, wonach in Betrieben mit in der Regel mindestens 20 Arbeitnehmern Betriebsräte zu errichten waren. Das aktuelle Betriebsverfassungsgesetz regelt, vor allem in den § § 8 7 - 1 1 3 B e t r V G , umfangreiche Mitwirkungs- und Mitbestimmungstatbestände. In zahlreichen betrieblichen Angelegenheiten k o m m t es zu Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. D i e Gestaltung der Arbeitsbedingungen kann durch formlose Vereinbarung erfolgen. Diese sogenannte Betriebsabsprache oder Regelungsabrede wirkt nicht unmittelbar und bedarf zu ihrer Wirksamkeit im Verhältnis zum Arbeitnehmer der Transformation auf die arbeitsvertragliche Ebene. 5 7 Keiner Umsetzung der Absprache zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bedarf die Betriebsvereinbarung; sie entfaltet gemäß § 7 7 Abs. 4 S. 1 B e t r V G unmittelbare Drittwirkung.
55 Zur geschichtlichen Entwicklung einer betrieblichen Arbeitnehmervertretung siehe Stollreither, Mitbestimmung, S. 30ff.; Teuteberg, Geschichte, S. 8ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, §2, 3e. 56 Teuteberg, Geschichte, S. 376ff.; Reichold, Betriebsverfassung, S. 114ff. 57 Heime, NZA 1994, 580, 583; Birk, ZfA 1986, 73, 78ff.; BAG NZA 1991, 607. Eingehend Adomeit, Regelungsabrede, passim; Schipprowski, Regelungsabrede, passim.
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
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Gegenstand der Betriebsvereinbarung, einer Abrede Privater,58 der nach §77 Abs. 4 S. 1 BetrVG die Wirkung eines Gesetzes zukommt, können grundsätzlich alle Sachverhalte sein, die durch Arbeitsvertrag oder durch Tarifvertrag regelbar sind. Die Betriebsvereinbarung kann sich mithin im Grundsatz auf sämtliche Arbeitsbedingungen erstrecken. Das ergibt sich aus § 88 BetrVG, der als Auffangnorm eine Regelungsbefugnis für alle sozialen Angelegenheiten begründet, und aus einem Umkehrschluß aus §77 Abs. 3 BetrVG. 5 9 §77 Abs. 3 BetrVG, welcher der Sicherung der ausgeübten aktualisierten Tarifautonomie dient, entzieht Arbeitgeber und Betriebsrat die Kompetenz zur normativen Regelung von Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden. Im Rahmen des § 77 Abs. 3 BetrVG gilt im Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung kein Günstigkeitsprinzip; die Regelungssperre hat Vorrang vor §4 Abs. 3 TVG. 6 0 Wirksame Betriebsvereinbarungen gelten für das Arbeitsverhältnis unmittelbar und zwingend. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können individualvertraglich keine abweichende Gestaltung zu Lasten des Arbeitnehmers treffen. F ü r günstigere Bedingungen steht die Individualabrede zur Verfügung. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung des Günstigkeitsprinzips fehlt zwar, 61 die Rechtsgrundlage ergibt sich aber aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit in seiner verfassungsrechtlichen Verankerung. 6 2 Bliebe für die Vertragsfreiheit der Einzelvertragspartner nicht einmal die Möglichkeit, günstigere Regelungen zu vereinbaren, wäre die Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien hinsichtlich der von einer Betriebsvereinbarung erfaßten Tatbestände abgeschafft. Das widerspricht jedoch dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot. I m H i n b l i c k auf das Arbeitnehmerschutzanliegen erforderlich und angemessen ist allein, im Vergleich zur Betriebsvereinbarung ungünstigeren Bedingungen die Wirksamkeit zu versagen. 6 3 D i e 58 Vgl. nurHeinze, ZfA 1988, 53, 62ff.; Kirchhof, Rechtsetzung, S.212ff. Das Betriebsverfassungsrecht ist dem Privatrecht zuzuordnen; demgegenüber wurde das Betriebsrätegesetz von 1920 wegen Art. 165 WRV noch zum öffentlichen Recht gerechnet, vgl. Konzen, ZfA 1985,469; Weitnauer, Festschrift für Duden, S. 705. 59 Hromadka, DB 1985, 864, 865f.; Kreutz, Grenzen, S.208ff.; Buchner, NZA 1986, 377, 378; ders., DB 1985, 913, 9\5L; Jahnke, Tarifautonomie, S.91; grundlegend BAG (GS), NZA 1990, 816; BAG NZA 1993,613,614; NZA 1991,734; NZA 1990, 816; vormals einschränkend Richardi, Kollektivgewalt, S. 319ff., nunmehr für eine Regelungskompetenz beschränkt auf den Mitbestimmungsbereich ZfA 1992, 307, 320f.; einschränkend neuerdings Waltermann, Rechtsetzung, S. 142ff.; ders., NZA 1996,357, 359ff. (zustimmend Wank, NJW 1996,2273,2280), der den Charakter als Fremdbestimmungsordnung betont und Grenzen einer derartigen Normsetzung aus Parallelen zum Grundrechtseingriff herleitet. 60 Kreutz, in: GK-BetrVG, §77 Rn. 109; Fitting!Kaiser/Heither! Engels, §77 BetrVG Rn.90; Weber!Ehrich !Härchens, Handbuch, Rn. F 51; Matthes, in: Münch. Hdb. z. ArbR 3, §318 Rn.63; Schaub, Handbuch, §231 II, 9b; a.A. Blomeyer, NZA 1996, 337, 345; Ehmann/Schmidt, NZA 1995, 193,198ff.; G. Müller, AuR 1992, 257, 261. Eine andere Frage ist, ob die Sperrwirkung des §77 Abs. 3 BetrVG auch im Anwendungsbereich des §87 Abs. 1 BetrVG gilt oder ob der dort im Eingangssatz enthaltene Tarifvorbehalt eine § 77 Abs. 3 BetrVG verdrängende Regelung darstellt; vgl. Hromadka, DB 1987, 1991, 1994. 61 Vgl. aber §28 Abs. 2 SprAuG. 62 Vgl. das 3. Kapitel (S.69ff.). 63 Hromadka, DB 1985, 864, 866; Kreutz, in: GK-BetrVG, §77 Rn.204; Richardi, Kollektivgewalt, S.368; Blomeyer, NZA 1996, 337, 338; Säcker, Gruppenautonomie, S.293f.; Ehmann, ZRP 1996, 314, 315.
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
Betriebsvereinbarung hat zugunsten der Arbeitnehmer stets einseitig zwingenden Charakter. Sie führt also ebenso wie der Tarifvertrag zu einer Begrenzung der Individualautonomie dahingehend, daß ungünstigere Arbeitsbedingungen nicht wirksam vereinbart werden können. Eine Individualabrede ist grundsätzlich dort möglich, wo keine Betriebsvereinbarung (oder sonstige höherrangige Regelung) existiert. 3. Mitbestimmungsrechte a) Ausgangslage Eine weitere Eingrenzung der arbeitsrechtlichen Individualautonomie auf der Betriebsebene bringen die Fälle der Mitbestimmung. Mitbestimmung soll nicht allein den Schutz der Arbeitnehmer realisieren, sondern - in Teilbereichen - auch eine gleichberechtigte und verantwortliche Teilhabe an betrieblichen Regelungen gewährleisten, wobei die Teilhabe zugleich dem Schutz des Arbeitnehmers dienen kann.64 Das Betriebsverfassungsrecht soll die Achtung des Arbeitnehmers als Persönlichkeit, seine Würde und Persönlichkeitsentfaltung im Arbeitsverhältnis sicherstellen. Der Persönlichkeitsentfaltung und dem damit einhergehenden Gedanken der Selbstbestimmung trägt die Gegebenheit Rechnung, daß den Arbeitnehmern eine Möglichkeit zu betrieblicher Mitbestimmung eröffnet wird. Sieht man von den Individualrechten nach §§ 81 ff. BetrVG ab, steht dem Arbeitnehmer nur die mittelbare Teilhabe durch die von den betrieblichen Interessenvertretungen wahrzunehmenden Beteiligungsrechte offen. Die Arbeitnehmerseite wird durch den Betriebsrat zum mitgestaltenden Subjekt der Betriebsverfassung; Selbstbestimmung wird hier auf kollektiver Ebene verwirklicht. 65 Individuelle Autonomie wird durch kollektive Mitbestimmung des Betriebsrats zurückgedrängt. Die Individualinteressen der Arbeitnehmer werden durch das vom Betriebsrat definierte Kollektivinteresse ersetzt. Das zeigt sich bei § 87 BetrVG. Die Vorschrift regelt das sogenannte positive Konsensprinzip. Gegen den Willen des Betriebsrates kann der Arbeitgeber keine Entscheidung fällen. Bei Streitigkeiten der Betriebsparteien ist die Einigungsstelle zur Entscheidung anzurufen, §87 Abs. 2 BetrVG. Deren Entscheidung ersetzt nach §87 Abs. 2 S.2 BetrVG die Einigung der Betriebspartner.66 Das positive Konsensprinzip besagt insbesondere, daß der Arbeitgeber vor Durchführung einer sozialen Angelegen64
Richardi, §87 BetrVG Rn.6ff.; Schaub, Handbuch, §210, 2; v. Hoyningen-Huene, in: Münch. Hdb. z. ArbR 3, §289 Rn. 12; Wiese, in: GK-BetrVG, §87 Rn.95; ders., ZfA 1989, 645, 650ff.; Loritz, ZfA 1991, 1, 25ff.; zu anderen Erklärungsmodellen, die teils ergänzend, teils als Substitut herangezogen werden, siehe Däubler, Grundrecht, S. 155ff. (Ableitung aus dem Menschenwürdegrundsatz); Gast, Arbeitsrecht, S. 58ff., lOOff.; ders., Arbeitsvertrag, S. 357ff. (Kompensation einseitiger Leistungsbefugnisse des Arbeitgebers); Rüthers, in: Rüthers!Boldt, Vorträge, S. 7,34 (Betonung der Ordnungsfunktion); Weis, Wirtschaftsunternehmen, S. 105ff. (Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit). 65 Vgl. Wiese, ZfA 1996, 439, 474. 66 Dazu Etzel, Betriebsverfassungsrecht, Rn.481ff.; Ring, Arbeitsrecht, Rn.925.
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
503
heit im Sinne des § 87 Abs. 1 BetrVG die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen hat. Geschieht das nicht und gibt der Betriebsrat von sich aus keine Stellungnahme zu der vom Arbeitgeber geplanten Maßnahme ab, so kann das Schweigen des Betriebsrats nicht als seine Zustimmung gewertet werden; anderenfalls würde das Mitbestimmungsrecht im Ergebnis in ein Vetorecht verkehrt. 67 Ist ein Betriebsrat wirksam errichtet worden, ein Mitbestimmungsrecht allerdings nicht beachtet worden, lassen sich die Rechtsfolgen der Mißachtung dem Wortlaut des §87 BetrVG nicht entnehmen. Aus dem Wortlaut ergibt sich lediglich ein Anspruch des Betriebsrats auf Mitbestimmung gegen den Arbeitgeber wie auch eine Pflicht des Betriebsrats, das Mitbestimmungsrecht auszuüben. Die Rechtsfolgen der Nichtbeachtung des Mitbestimmungsrechts und damit die Reichweite der Individualautonomie bei sozialen Angelegenheiten werden deshalb kontrovers diskutiert. Zwei grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen stehen einander gegenüber, die Theorie der notwendigen und die der erzwingbaren Mitbestimmung. Eine andere Frage ist, ob es kollektivrechtlich einen Unterlassungsanspruch gegenüber einem mitbestimmungswidrig handelnden Arbeitgeber gibt. Nach Ansicht des BAG kann der Betriebsrat auch außerhalb von §23 Abs. 3 BetrVG einen allgemeinen Unterlassungsanspruch geltend machen, wenn der Arbeitgeber gegen Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 BetrVG verstößt. 68 Das BAG begründet dies mit der besonderen Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, die nach §2 BetrVG von wechselseitigen Rücksichtspflichten bestimmt sei. Daraus ergebe sich ein selbständiger Nebenleistungsanspruch gegen den Arbeitgeber, nach § 87 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungswidrige Maßnahmen bis zum ordnungsgemäßen Abschluß des Mitbestimmungsverfahrens zu unterlassen. Diese Rechtsprechung ist teils zustimmend, teils kritisch aufgenommen worden. 69 Darauf ist hier nicht näher einzugehen; die Rechtsprechung erübrigt es jedenfalls nicht, das Verhältnis von Mitbestimmung und Individualautonomie zu untersuchen und die Theorie der notwendigen und die der erzwingbaren Mitbestimmung zu hinterfragen.
b) Mitbestimmung
und
Individualautonomie
aa) Theorie der notwendigen
Mitbestimmung
Nach der überwiegend vertretenen Theorie der notwendigen Mitbestimmung kann eine Angelegenheit im Sinne des § 87 BetrVG ohne Mitbestimmung durch einzelvertragliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht wirksam geregelt werden. Die Mitbestimmung wird von den Vertretern dieser Sichtweise nicht als eine außerhalb des eigentlichen Geschäftsvorganges liegende zusätzliche Wirksamkeitsvoraussetzung eines schwebend unwirksamen Rechtsgeschäfts, sondern als rechtsnotwendiger Bestandteil eingeschätzt. Eine einzel67 BAGE 71, 327, 335; a.A. LAG Düsseldorf BB 1995, 465 (widerspruchslose Hinnahme sei als Zustimmung zu werten). Der Annahme einer stillschweigenden Willenserklärung stehen überdies die Vorschriften über die Willensbildung des Betriebsratskollegiums entgegen, Richardis §33 BetrVG Rn.26; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, §87 BetrVG Rn.552. 68 BAG NZA 1997, 955, 958, 785, 786; NZA 1995, 488; DB 1994, 2450ff. 69 Vgl. nur Konzen, NZA 1995, 865ff.; Raab, ZfA 1997, 183ff., 209ff.; Richardi, NZA 1995, 8ff.; Walker, DB 1995, 1961 ff., jeweils m. weit. Nachw. zum Diskussionsstand.
504
4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
vertragliche V e r e i n b a r u n g , die d e r M i t b e s t i m m u n g e n t b e h r e , sei r e c h t s w i d r i g u n d u n w i r k s a m . A n d e r s k ö n n e d e r S c h u t z d e r A r b e i t n e h m e r d u r c h die gleichberechtigte Teilhabe d e r d u r c h d e n Betriebsrat r e p r ä s e n t i e r t e n A r b e i t n e h m e r an d e n sie b e t r e f f e n d e n E n t s c h e i d u n g e n nicht sichergestellt w e r d e n . 7 0 D a s M i t b e s t i m m u n g s r e c h t g e m ä ß § 87 A b s . 1 B e t r V G stellt sich h i e r n a c h als V e r b o t s g e s e t z geg e n ü b e r d e m A r b e i t g e b e r u n d d e m A r b e i t n e h m e r dar. 71 D e m M i t b e s t i m m u n g s r e c h t k o m m t n a c h d e r T h e s e d e r n o t w e n d i g e n M i t b e s t i m m u n g eine S p e r r w i r k u n g f ü r I n d i v i d u a l a b r e d e n z u . N a c h dieser Sichtweise w i r d die G e s t a l t u n g s f r e i heit v o n A r b e i t n e h m e r u n d A r b e i t g e b e r in d e n v o n § 87 A b s . 1 B e t r V G e r f a ß t e n T a t b e s t ä n d e n eingegrenzt. Diese Beschränkung der Vertragsfreiheit ist in der Sache grundsätzlich unabhängig von der Frage, inwieweit das Mitbestimmungsrecht formelle und materielle Arbeitsbedingungen, kollektive und individuelle Maßnahmen betrifft. Diese Aspekte wirken sich lediglich in der praktischen Häufigkeit der betroffenen Konstellationen aus. An der Tatsache, daß aufgrund der notwendigen Mitbestimmung die Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers eingeschränkt wird, ändert sich im Grundsatz nichts. Das zeigen folgende Überlegungen: Unter formellen Arbeitsbedingungen wird überwiegend der äußere Rahmen der Leistungserbringung, unter materiellen Arbeitsbedingungen werden die inhaltlichen Umstände, insbesondere das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung sowie die dieses Verhältnis beeinflussenden Komponenten, verstanden. Während §56 BetrVG 1952 als auf formelle Bedingungen beschränkt angesehen wurde, umfaßt der Katalog des § 87 Abs. 1 BetrVG auch materielle Umstände. O b materielle oder formelle Arbeitsbedingungen Gegenstand eines Mitbestimmungsrechts sind, hängt von den einzelnen Tatbeständen des § 87 Abs. 1 BetrVG ab. Inhaltliche Bedingungen und damit einen wesentlichen Gesichtspunkt der Gestaltungsfreiheit betreffen jedenfalls Nr. 3 und Nr. 11 des § 87 Abs. 1 BetrVG. 72 Die Häufigkeit, mit der die Individualautonomie von der notwendigen Mitbestimmung betroffen ist, hängt weiterhin maßgeblich davon ab, ob § 87 Abs. 1 BetrVG lediglich generelle Tatbestände erfaßt, also Fälle, die alle Arbeitnehmer des Betriebes, eine Betriebsabteilung, eine geschlossene Gruppe von Arbeitnehmern oder einen konkreten Arbeitsplatz als solchen ohne Rücksicht auf seinen individuellen Inhaber angehen, oder Einzelvereinbarungen von dem Mitbestimmungsrecht nicht betroffen sind. 73 Richtigerweise ist auch bei dieser Frage zwischen den einzelnen Ziffern zu unterscheiden. So beziehen sich beispielsweise Nr. 5 (hin70 Im Grundsatz der Theorie der notwendigen Mitbestimmung folgend Wiese, in: GKBetrVG, §87 Rn.98ff., 106ff.; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, §87 Rn.568f.; Galperin/Löwisch, §87 Rn. 16; Weiss/Weyand, §87 Rn.2; Brecht, §87 Rn.7; Stege/Weinspach, §87 Rn.3; Konzen, Leistungspflichten, S.83ff.; v. Hoyningen-Huene, DB 1987, 1426, 1428; Ramrath, DB 1990, 2593,2600; Reuter/Strecket, Grundfragen, S. 21 ff., jeweils m. zahlr. Nachw.; ebenso die ständige Rspr. BAG (GS) AP Nr. 51, 52 zu §87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG AP Nr. 7 zu §87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; umfangreiche Nachw. zur Rspr. bei Wiese, a.a.O., Rn.99; Richardi, § 87 BetrVG Rn. 103; im Detail finden sich insbesondere zu § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG Modifikationen der Unwirksamkeitsfolge, Überblick bei Bommermann, Theorie, S.4ff., 7ff.; H. Hanau, Individualautonomie, S. 187f. 71 Vgl. Martens, RdA 1983, 217, 222. 72 Zu Einzelheiten, insbesondere zur im Detail streitigen materiellen Reichweite, vgl. Etzel, Betriebsverfassungsrecht, Rn.219ff.; Wiese, in: GK-BetrVG, §87 Rn.34ff., sowie die Einzelkommentierungen zu den einzelnen Ziffern; Richardi, § 87 BetrVG Rn. 32 ff.; Klebe, in: Däubler/ Kittner/Klebe, § 87 BetrVG Rn.41ff. 73 Ausführlich Röckl, Maßnahme, S.22ff., 44ff.
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
505
sichtlich der Festsetzung der zeitlichen Lage des Urlaubs f ü r einzelne Arbeitnehmer) u n d Nr. 9 auf individuelle, N r . 7 u n d Nr. 12 auf kollektive M a ß n a h m e n . Ist im Wege der Auslegung keine Z u o r d n u n g zu treffen, ist auf die gesetzliche Intention des Mitbestimmungsrechts im allgemeinen zurückzugreifen. N a c h der K o n z e p t i o n des Gesetzes finden individuelle Interessen einzelner Arbeitnehmer in erster Linie nach Maßgabe der §§ 81 ff. B e t r V G Berücksichtigung. H i n z u k o m m t der hohe verfassungsrechtlich abgesicherte Stellenwert der Vertragsfreiheit. 7 4 D e r individuellen Privatautonomie m u ß ein Gestaltungsspielraum verbleiben. Diesen auch dann einzuschränken, w e n n nur individuelle Vereinbarungen o h ne kollektiven Bezug im Raum stehen, erscheint unverhältnismäßig. Mitbestimmung zielt auf eine kollektive Teilhabe zum allgemeinen Schutz der Arbeitnehmerinteressen. Vereinbarungen, die sich nicht auf einen gesetzlich individuell ausgeprägten Tatbestand beziehen u n d bei denen es sich lediglich u m die Gestaltung eines konkreten Arbeitsverhältnisses handelt u n d besondere, nur den einzelnen Arbeitnehmer betreffende U m s t ä n d e die A b r e d e veranlassen oder inhaltlich bestimmen, unterfallen nicht dem Anwendungsbereich des Mitbestimmungsrechts. 7 5 Derartige Individualabreden sind von der tatsächlichen D u r c h f ü h r u n g der Mitbestimmung als Wirksamkeitsvoraussetzung nicht betroffen. D a m i t bleibt die Vertragsfreiheit im Einzelfall unangetastet. 7 6 Akzeptiert man diese Sichtweise der formellen u n d materiellen Arbeitsbedingungen sowie der kollektiven und individuellen Maßnahmen, bleibt aus dem Blickwinkel der Theorie der notwendigen Mitbestimmung eine Beschränkung der individuellen Vertragsfreiheit durch § 87 Abs. 1 BetrVG bei gesetzlich erfaßten Individualverträgen, also beispielsweise im Bereich von Nr. 5 oder Nr. 9, sowie bei Vereinbarungen mit kollektivem Bezug. 7 7
bb) Theorie der erzwingbaren
Mitbestimmung
Zu einer Einschränkung individueller Privatautonomie durch § 87 Abs. 1 BetrVG kommt es allerdings nicht, wenn die Auffassung vertreten wird, der Betriebsrat habe lediglich einen Anspruch auf eine gemeinsame Regelung der mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit, die tatsächliche Durchführung stelle aber keine Wirksamkeitsvoraussetzung für Rechtsgeschäfte zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer dar, sogenannte Theorie der erzwingbaren Mitbestimmung. Diese von Dietz begründete und prononciert von Ricbardi vertretene Meinung 78 stützt 74
Vgl. das 3. Kapitel (S.69ff.). Matthes, in: Münch. Hdb. z. ArbR 3, §324 Rn.24; Fitting! Kaiser! Heither! Engels, §87 Rn. 13ff.; Reuter!Strecket, Grundfragen, S.23ff.; Wiese, in: GK-BetrVG, §87 Rn.20; Galperin! Löwisch, § 87 Rn. 6ff.; Lieb, Arbeitsrecht, Rn. 761; Zöllner!Loritz, Arbeitsrecht, §47IV, 2; Böhm, BB 1974, 372, 373ff.; Rüthers, Arbeitsrecht, S. 150; BAG (GS) AP Nr.51 zu §87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG AP Nr. 35, 41, 44 zu §87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; wohl auch Waltermann, Rechtsetzung, S. 239f., der betont, daß es auf eine Auslegung der einzelnen Tatbestände ankommt und diese bei § 87 Abs. 1 BetrVG vielfach eine generelle, kollektive Anknüpfung ergebe; a.A. insbesondere Richardi, §87 BetrVG Rn.23. 76 Heinze, N Z A 1997, 1, 5f.; Hess/SchlochauerlGlaubitz, §87 Rn.18;Jahnke, Tarifautonomie, S. 140. 77 Zur Abgrenzung einer mitbestimmungspflichtigen Maßnahme von einer mitbestimmungsfreien Individualmaßnahme Fitting!Kaiser!Heither!Engels, §87 Rn. 15; Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rn.26ff.; Richardi, § 87 BetrVG Rn. 26ff.; BAG (GS) AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. 78 Dietz, Festschrift für Nipperdey, S. 147ff.; ders., Probleme, S. 7ff.; mit einzelnen Modifikationen zustimmend Richardi, Betriebsverfassung, S. 18ff.; ders., Festgabe für v. Lübtow, S.755, 75
506
4. Teil: Freiheit und Kontrolle
im
Arbeitsrecht
sich maßgebend auf den Freiheitsgedanken. Mitbestimmung sei nach ihrem Sinn und Zweck keine Schranke der Individualautonomie, sondern diene der Beschränkung der einseitigen betrieblichen Regelungsmacht des Arbeitgebers. Die Theorie der notwendigen Mitbestimmung rücke einseitig die Ordnungsfunktion der Mitbestimmung in den Vordergrund und mache die Mitbestimmung zu einem Akt der Fremdbestimmung, der die Arbeitnehmer als Individuen partiell entmündige. 79 Ausgangspunkt für die Sanktion mangelnder Mitbestimmung habe vielmehr zum einen der Rechtsgedanke zu sein, daß keineswegs automatisch die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts die Folge sei, zum anderen aber die Überlegung, daß eine betriebsverfassungsrechtliche Pflichtwidrigkeit dem Arbeitgeber im Rahmen des Einzelvertrages keinen Rechtsvorteil einräumen dürfe. 80 Daraus ergebe sich, daß fehlende Mitbestimmung grundsätzlich nicht zur Unwirksamkeit der Maßnahme führe, es vielmehr dem Betriebsrat offenstehe, wenn er mit der Gestaltung der mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit nicht einverstanden sei, eine Neuordnung durch Betriebsvereinbarung zu erzwingen. Nach dieser Interpretation des §87 Abs.l BetrVG haben Mitbestimmungstatbestände prinzipiell keine Sperrwirkung gegenüber individuellen Vertragsgestaltungen. 81 cc)
Stellungnahme
Die unterschiedlichen Positionen zur Wirkungsweise des Mitbestimmungsrechts haben eine bedeutende Konsequenz für die Reichweite der Individualautonomie im Arbeitsrecht. U m diese Streitfrage zu klären und die Bedeutung der Freiheitsbegrenzung durch § 87 Abs. 1 BetrVG zu bestimmen, ist eine Analyse des Verhältnisses der individuellen Vertragsautonomie zur betrieblichen Mitbestimmung durch das Kollektivorgan Betriebsrat vorzunehmen. Sieht man §87 Abs. 1 BetrVG mit der Theorie der notwendigen Mitbestimmung als absolute Regelungssperre, ist die verfassungsrechtlich verankerte Privatautonomie umfassend betroffen. Das ist an sich nicht ausgeschlossen. Die Vertragsfreiheit kann durch Gesetz verfassungskonform eingegrenzt werden. 82 § 87 Abs. 1 BetrVG als formell ordnungsgemäß zustandegekommene Rechtsnorm erlaubt demnach eine Begrenzung der Vertragsfreiheit. Da die Vorschrift ausdrücklich zur Wechselwirkung von Mitbestimmung und Individualautonomie keine Aussage trifft, kommt es auf eine verfassungskonforme Interpretation an. Dabei ist der Verhältnismä-
759ff.; ders., Kollektivgewalt, S. 291 ff.; ders., R d A 1983,278,282ff.; ähnlich ebenfalls Hromadka, D B 1991,2133,2134f.; ders., D B 1992,1573,1576; Glaubitz, in: Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 87 Rn. 83; Leinemann, BB 1989, 1905, 1907f. 79 Richardi, § 87 B e t r V G Rn. 108ff., 114. 80 Richardi, §87 B e t r V G Rn.118, 123. Weitergehend Glaubitz, in: Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 8 7 Rn. 83ff., der jede mitbestimmungswidrige M a ß n a h m e f ü r wirksam hält; Hurlebaus, Mitbestimmung, S. 133, differenziert zwischen den einzelnen Tatbeständen des §87 A b s . l BetrVG. 81 Vgl. Richardi, § 8 7 B e t r V G Rn. 116ff. 82 Siehe das 3. Kapitel (S.69ff.).
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
507
ß i g k e i t s g r u n d s a t z z u beachten. 8 3 Es ist z u fragen, w e l c h e R e c h t s f o l g e n z u o r d n u n g d e n M i t b e s t i m m u n g s g e d a n k e n des § 87 A b s . 1 B e t r V G ausreichend z u r G e l t u n g b r i n g t , o h n e die Vertragsfreiheit m e h r als n o t w e n d i g e i n z u s c h r ä n k e n . Beide A s p e k t e sind a n g e m e s s e n auszutarieren; einseitige, n u r d e n einen o d e r a n d e r e n G e s i c h t s p u n k t b e r ü c k s i c h t i g e n d e L ö s u n g e n sind zu v e r m e i d e n . W e d e r die B e f ü r w o r t u n g n o c h die A b l e h n u n g einer S p e r r w i r k u n g w e r d e n w e gen i h r e r A b s o l u t h e i t d e m V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t s g r u n d s a t z u n d d e n d i f f e r e n z i e r ten T a t b e s t ä n d e n des § 87 A b s . 1 B e t r V G gerecht. E s ist nach einem M i t t e l w e g z u suchen. D a b e i ist zu berücksichtigen, d a ß das Teilhaberecht in sozialen A n g e l e genheiten d e m Betriebsrat n i c h t u m seiner selbst willen e i n g e r ä u m t ist. M i t b e s t i m m u n g ist nicht Selbstzweck, s o n d e r n verfolgt S c h u t z - u n d O r d n u n g s z i e l e . A n i h n e n ist deshalb a n z u k n ü p f e n . E r f o r d e r l i c h ist eine d e m Sinn u n d Z w e c k d e r einzelnen Z i f f e r n R e c h n u n g t r a g e n d e A b w ä g u n g . Zwei Funktionskreise der Mitbestimmung sind im Grundsatz zu trennen, der Ordnungsund der Schutzzweck. Ersterer meint nicht nur die Strukturierung des Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern auch den Ausgleich der Interessen der Arbeitnehmer untereinander. Die naturgemäß auseinanderfallenden Interessen der einzelnen Arbeitnehmer müssen in bestimmten Bereichen kanalisiert und geordnet werden, um von einer gemeinsamen Basis aus eine Regelung mit dem Arbeitgeber zu erreichen. Die Schutzfunktion zielt darauf, durch eine Bündelung der Individualinteressen und durch eine Beteiligung an der Gestaltung der wichtigsten Arbeitsbedingungen durch den Betriebsrat Arbeitnehmerinteressen zu schützen. So kommt § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ausschließlich eine Schutzfunktion zu. Dieses Mitbestimmungsrecht bezieht sich nur auf Regelungen, die gesetzliche Vorgaben oder Unfallverhütungsvorschriften ausfüllen. Das Mitbestimmungsrecht kann deshalb nur insoweit zum Zuge kommen, als derartige Normen bestehen und diese Vorschriften einen Spielraum für betriebliche Regelungen lassen.84 Auf eine allgemeine Regelung, die die Gesamtheit der Arbeitnehmerinteressen erfaßt und ausgleicht, kommt es hier nicht an. Individuelle Verbesserungen gegenüber dem allgemeinen Sicherheitsstandard sind aus Rücksicht auf die anderen Arbeitnehmer nicht ausgeschlossen. Eine Bündelung der Arbeitnehmerinteressen ist hinsichtlich der Ordnungsfunktion nicht notwendig; die Teilhabe wird ausschließlich zum Schutz der Gesundheit und des Lebens der Arbeitnehmer eingeräumt. Zweck des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates ist es, durch seine gleichberechtigte Teilhabe eine möglichst hohe Effizienz des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen. 85 Anders liegt es zum Beispiel bei § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG. Hier tritt neben die Schutzfunktion die Aufgabe, die Interessen der Arbeitnehmer untereinander zu koordinieren. Neben dem Zweck, im Verhältnis zum Arbeitgeber die Urlaubswünsche der Arbeitnehmer und das betriebliche Interesse am Betriebsablauf angemessen aufeinander abzustimmen, 86 zielt der Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG auf den Ausgleich der unterschiedlichen Interessen der Arbeitnehmer untereinander. Die urlaubsbedingten Abwesenheitszeiten der Arbeitnehmer sollen durch den Betriebsrat derart abgestimmt werden, daß sich die Belastungen, die durch die urlaubsbe83 Grundlegend das 3. (S.69ff.) und das 11. Kapitel (S.471 ff.) sowie- speziell in diesem Zusammenhang - H. Hanau, Individualautonomie, S. 193 ff. 84 BAG AP Nr. 3 zu §87 BetrVG 1972 Arbeitssicherheit; LAG Baden-Württemberg NZA 1988, 515. 85 Fitting! Kaiser/Heither! Engels, §87 Rn.251; Wiese, in: GK-BetrVG, §87 Rn.585. 86 BAG AP Nr. 1 zu § 10 BUrlG Schonzeit.
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
dingte Abwesenheit von Mitarbeitern f ü r die am Arbeitsplatz verbleibenden Arbeitnehmer entstehen können, in einem sozial angemessenen R a h m e n bewegen. 8 7 § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG verfolgt also nicht ausschließlich den Zweck, Interessen der Arbeitnehmer gegenüber solchen des Arbeitgebers zu schützen. Bei A n w e n d u n g u n d Auslegung der einzelnen Tatbestände des § 87 Abs. 1 BetrVG ist stets zu berücksichtigen, ob allein die Schutzfunktion oder daneben auch die Koordinierung der Arbeitnehmerinteressen untereinander in Frage steht.
Für die Realisierung der Schutzfunktion ist Mitbestimmung als eine allgemeine Wirksamkeitsvoraussetzung zwar geeignet, nicht aber erforderlich. U m den Schutz der Arbeitnehmerinteressen zu verwirklichen, ist es allein erforderlich, eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu vermeiden. Bei Tatbeständen, die ausschließlich der Schutzintention dienen, sind deshalb aus Gründen der Verhältnismäßigkeit Individualverträge, die dem Arbeitnehmer nicht ungünstig sind, trotz fehlender Beteiligung des Betriebsrates, wirksam. Der Arbeitnehmer benötigt keinen Schutz vor Begünstigung. Insoweit kommt der Grundsatz der Vertragsfreiheit zum Tragen, der sich im Günstigkeitsprinzip manifestiert. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert, Abreden über günstigere Bedingungen der individuellen Vertragsfreiheit zu überlassen. 88 Ebenso wie von einem Tarifvertrag wegen des in §4 Abs. 3 TVG festgelegten Günstigkeitsprinzips durch eine arbeitsvertragliche Abrede zugunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden kann, besteht bei Mitbestimmungstatbeständen mit ausschließlich Schutzausrichtung eine Schranke der Vertragsfreiheit nur insoweit, als eine betriebsverfassungsrechtliche Pflichtwidrigkeit dem Arbeitgeber keinen Rechtsvorteil im Rahmen des Einzelarbeitsverhältnisses geben darf. Innerhalb dieses Schutzzweckbereichs gilt das Günstigkeitsprinzip nicht nur für eine auf dem Mitbestimmungsrecht des §87 Abs. 1 BetrVG beruhende Betriebsvereinbarung, sondern auch für das Mitbestimmungsrecht selbst.89 N u r diese Interpretation wird den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Vertragsfreiheit gerecht. Zur Sicherung der Mitbestimmung ist es ausreichend, dem Betriebsrat im Sinne der Theorie der erzwingbaren Mitbestimmung nur einen Anspruch auf eine gemeinsame Regelung der mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten einzuräumen. Die Individualautonomie bleibt davon unbeeinflußt. Dies gilt für die Tatbestände in § 87 Abs. 1 Nr. 4, 6, 7 und 11 BetrVG, die ausschließlich einen Schutzzweck verfolgen. 90 Bezieht man bei den übrigen Tatbeständen die Ordnungsfunktion in ihrer Koordinierungsausprägung ein, also die Frage nach einem nicht nur individuumsbezogenen Interessenausgleich gegen87 BAG AP Nr. 1 zu §87 BetrVG 1972 Urlaub; ebenso Fitting/Kaiser/Heither/Engels, §87 Rn. 186; Galperin/Löwisch, § 87 Rn. 127; Richardi, § 87 BetrVG Rn. 482; Wiese, in: GK-BetrVG, §87 Rn.443. 88 Näher zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Günstigkeitsprinzips in diesem Kapitel unter III 1 (S.499f.). 89 Ähnlich Däubler, AuR 1984,1,13; Gamillscheg J A r b R 1988,49,66; H. Hanau, Individualautonomie, S. 193ff.; v. Hoyningen-Huene, DB 1987, 1426, 1430. 90 Vgl. die detaillierte Analyse und ausführliche Argumentation von H. Hanau, Individualautonomie, S. 136, 174, 180, m. weit. Nachw.
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
509
über dem Arbeitgeber, sondern einem notwendigen Ausgleich der Interessen der Arbeitnehmer untereinander, ergeben sich für die Konkretisierung des Gestaltungsspielraums abweichende Beurteilungskriterien. Arbeitnehmer können durch eine nicht mitbestimmte Abrede nicht nur benachteiligt, sondern auch privilegiert werden. Das kann unter Umständen zu Lasten der Arbeitskollegen gehen, die sich von einer Beteiligung des Betriebsrats eine Einbeziehung ihrer Interessen erwarten. Insofern muß unter Koordinierungsgesichtspunkten eine M i ß achtung der gleichfalls mitbestimmungsrechtlich geschützten Arbeitnehmerinteressen verhindert werden. 9 1 Ein bloßer Verweis auf eine erzwingbare M i t b e stimmung ist nicht ausreichend. Vor allem im Bereich der formellen Arbeitsbedingungen führt eine Abrede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer unter Umständen zu einer unmittelbaren Verschlechterung der Arbeitsbedingungen anderer Arbeitnehmer gegenüber dem status quo ante. 9 2 D i e nicht selbst an der vertraglichen Regelung beteiligten Arbeitnehmer bedürfen aktuell und effizient des Schutzes vor Beeinträchtigungen; der erforderliche umfassende Interessenausgleich kann hier nur durch eine mitbestimmte Regelung erreicht werden. Individualabreden müssen demnach unwirksam sein. W ä r e n bei kollektiven, auf Ausgleich bedachten Tatbeständen Leistungsabreden auch ohne Mitbestimmung des Betriebsrats wirksam, käme es in der Praxis zu einem Funktionsverlust der Mitbestimmung über die Einführung zusätzlicher Leistungen. 9 3 D e r Arbeitgeber könnte ungeachtet des § 2 3 Abs. 3 B e t r V G trotz der Mitbestimmung den Entlohnungsgrundsatz ergänzen. D a m i t bliebe es, sieht man von der Aufstellung anderer Verteilungsgrundsätze ab, im Ergebnis bei den individualrechtlichen Zusagen. D i e v o m Betriebsrat als Repräsentant der gesamten Belegschaft vertretenen kollektiven Interessen würden nicht berücksichtigt, mithin der Sinn und Z w e c k der Tatbestände mit Ausgleichsfunktion mißachtet. I m Gegensatz zu den Tatbeständen mit ausschließlicher Schutzfunktion kann es hier deshalb auf individuelle Belange oder das Günstigkeitsprinzip nicht a n k o m men. 9 4 In diesen Konstellationen stellt die Unwirksamkeitsfolge nicht nur ein geeignetes, sondern im Grundsatz auch erforderliches Mittel zur Sicherung der K o ordinierungsaufgabe des Betriebsrats dar. Erforderlichkeit als Voraussetzung einer verhältnismäßigen Regelung enthält allerdings das G e b o t des Interventionsminimums. U n t e r mehreren geeigneten Mitteln ist jenes zu wählen, das den einzelnen am geringsten beeinträchtigt, unter mehreren gleich wirksamen ist auf das weniger fühlbar einschränkende Mittel zurückzugreifen. 9 5 D i e Frage ist folglich, o b die Nichtigkeitsfolge, wie sie die Lehre Buchner, DB 1983, 877, 882; H. Hanau, Individualautonomie, S. 196f. H. Hanau, Individualautonomie, S. 91 ff. 93 Voraussetzung ist, daß §87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht allein die Ausgestaltung des Leistungsplans, sondern auch das »Ob« der Maßnahme erfaßt; vgl. dazu Glaubitz, in: Hess/Schlochauer/Glaubitz, §87 Rn.487, m. weit. Nachw. 94 Vgl. Buchner, DB 1983, 877, 882; Hanau, JuS 1985, 360, 361. 95 Ausführlich im 3. Kapitel (S. 69ff.) und im 11. Kapitel unter II (S. 471 ff.); vgl. auch Grabitz, AöR 98 (1973), 568, 573ff.; BVerfGE 40, 196, 223; 33, 171, 187; 25, 1, 18. 91 92
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle
im
Arbeitsrecht
von der notwendigen Mitbestimmung propagiert, als geringstmöglicher Eingriff, als mildestes Mittel einzustufen ist. Die Vertreter der These, die Beteiligung des Betriebsrats sei notwendige Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Vertrages, gehen - sofern sie sich dazu äußern - überwiegend davon aus, daß die Zustimmung nicht nachträglich erteilt werden kann, die Beteiligung des Betriebsrats also rechtsnotwendiges Element der vertraglichen Regelung ist. 96 Dieser absolute Ansatz widerspricht dem ultima ratio-Prinzip. Der mit § 87 Abs. 1 B e t r V G verfolgte Zweck läßt sich auch auf einem weniger einschneidenden Weg erreichen, der zudem praktikabler ist. Mitbestimmung zielt darauf, dem Betriebsrat die Möglichkeit zu eröffnen, die Arbeitnehmerinteressen zu koordinieren und mit dem Arbeitgeber eine entsprechende Abrede zu treffen. Dazu genügt es, wenn - vergleichbar der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters bei Rechtsgeschäften Minderjähriger - eine außerhalb des eigentlichen Geschäftsaktes liegende zusätzliche Wirksamkeitsvoraussetzung wie bei schwebend unwirksamen Rechtsgeschäften angenommen wird. Die Annahme einer schwebenden Unwirksamkeit ist ausreichend, um die durch den Betriebsrat koordinierten Interessen in gebührendem Maß einzubringen. Diese Lösung verhindert, daß sich der Arbeitgeber dem Einigungszwang mit dem Betriebsrat durch Rückgriff auf arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten entzieht. 97 Im Gegenteil, dem Arbeitgeber wird nunmehr erst recht daran gelegen sein, die Genehmigung zu erzielen. U m die Verwirklichung des angestrebten Ziels, die Arbeitnehmervertretung bei den einschlägigen Maßnahmen zu beteiligen und rechtswirksame Alleingänge zu verhindern, sicherzustellen, ist es nicht erforderlich, allein auf eine vorab erteilte Zustimmung abzustellen. Insoweit ist die Lehre von der Wirksamkeitsvoraussetzung rechtsdogmatisch unzutreffend konzipiert. Steht eine ebenso effiziente, aber mildere Ausgestaltung zur Verfügung, ist diese zu wählen. Eine verfassungskonforme Interpretation des § 8 7 Abs. 1 B e t r V G macht es notwendig, von der Einschätzung als Wirksamkeitsvoraussetzung abzurücken. Ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt, wie sich eine Nichtbeteiligung des Betriebsrats auf die Rechtsbeziehung des Arbeitgebers zum einzelnen Arbeitnehmer auswirkt, ist die Interpretation vorzuziehen, die einerseits die kollektivrechtlichen Zwecke des § 8 7 A b s . l B e t r V G realisiert und andererseits am geringsten in die Gestaltungsfreiheit eingreift. Beides gewährleistet die Lehre von der schwebenden Unwirksamkeit. Mitbestimmung stellt deshalb eine außerhalb des eigentlichen Geschäftsakts liegende zusätzliche Wirksamkeitsvoraussetzung dar und ist nachholbar. 98 Der 9 6 So insbesondere Adomeit, B B 1967,1003,1004; Matthes, in: Münch. Hdb. z. ArbR 3, §322 Rn. 17; Fitting! Kaiser!Heither!Engels, § 87 Rn. 569; Galperin/Löwisch, § 87 Rn. 18a; v. Hoyningen-Huene, D B 1987, 1426, 1432; Simitis/Weiss, D B 1973, 1240, 1243. 9 7 Diesen Gedanken betont der Große Senat des B A G , AP Nr. 17 zu §77 BetrVG 1972 unter C III 4, freilich ohne die hier vertretene These aufzugreifen. 9 8 Mit ähnlicher Quintessenz Hurlebaus, Mitbestimmung, S. 101 ff., der analog §§ 182ff. B G B dem Betriebsrat die Möglichkeit einräumen will, die Maßnahme nachträglich zu genehmigen; in Richtung der hier vertretenen Auffassung ZöllnerILoritz, Arbeitsrecht, § 47 V, 3d, wo die Verweigerung einer nachträglichen Zustimmung als »ganz verfehlt« bezeichnet wird.
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
511
hier vorgeschlagene Lösungsweg wird auch der dritten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung, dem Angemessenheitserfordernis, gerecht. Der Grundsatz der Proportionalität besagt, daß das Mittel nicht außer Verhältnis zum Zweck stehen, nicht übermäßig belastend sein darf. U m dies festzustellen, müssen Mittel und Zweck gegeneinander abgewogen werden. Die Güter- und Interessenabwägung zwischen Mittel und Zweck bestätigt die Modifikation der Wirksamkeitslehre im Sinne der hier vorgeschlagenen Genehmigungsfähigkeit. Sieht man die Mitbestimmung als Bestandteil des Vertrages zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wird die arbeitsvertragliche Gestaltungsfreiheit im Verhältnis zur Intention des § 87 Abs. 1 BetrVG unangemessen eingegrenzt." Eine derart weitgehende Unwirksamkeitsfolge ist nicht nur dem kollektiven Arbeitsrecht und dem Gedanken des Günstigkeitsprivilegs fremd. Auch die Rechtsordnung wählt dort, wo es auf die Zustimmung eines Dritten ankommt, regelmäßig nicht das Inkorporationsmodell. So hat der Gesetzgeber im Recht der beschränkten Geschäftsfähigkeit die Zustimmung als eine außerhalb des eigentlichen Geschäftsakts liegende zusätzliche Wirksamkeitsvoraussetzung ausgeformt. Auch durch das Betreuungsrecht zieht sich der Gedanke, in möglichst geringer Weise in die Entscheidungsautonomie einzugreifen. Fälle, in denen der Abschluß eines privatrechtlichen Vertrages bis zur Erteilung einer Einwilligung durch eine staatliche Stelle »verboten« ist, die Ausübung privater Vertragsfreiheit also nur bei vorangegangener Zustimmung möglich ist, gibt es kaum. 100 Gesetzlich angeordnete Mitbestimmungserfordernisse führen regelmäßig nicht dazu, dem Privatrechtsvertrag an sich die Wirksamkeit zu versagen, sondern zu schwebender Unwirksamkeit. 101 Wenn der Gesetzgeber bei ausdrücklichen Regelungen Rücksicht auf das Übermaßverbot nimmt und Zustimmungserfordernisse nicht als rechtsnotwendigen Bestandteil des Rechtsgeschäfts selbst ausformt, hat dies erst recht bei nicht ausdrücklich geregelten Tatbeständen Berücksichtigung zu finden. Es wäre systemfremd, §87 Abs. 1 BetrVG dahingehend auszulegen, daß ausnahmsweise hier die Wirksamkeit von einer notwendigerweise vorab zu erteilenden Zustimmung einer privaten Stelle abhängt. Bei den Tatbeständen des §87 Abs. 1 BetrVG, bei denen neben der Schutzfunktion die Koordinierungsfunktion steht, vermag deshalb ein nachträglich erklärtes Einverständnis des Betriebsrats die (schwebende) Unwirksamkeit der durch Einzelvereinbarung mit den Arbeitnehmern getroffenen Maßnahmen zu heilen.
99 Vgl. Dietz, RdA 1962, 390, 394; Richardi, Festgabe für v. Lübtow, S. 755, 783; Schlüter, DB 1972, 92, 139, 141. 100 Vgl. Greiffenhagen, Kartellgenehmigung, S. 42; nur in ganz besonderen Fällen ist eine vorherige Zustimmung erforderlich. So ist die Kündigung einer Frau während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung unzulässig, §9 Abs. 1 MuSchG. Nach §9 Abs. 3 S. 1 MuSchG ist die Kündigung ausnahmsweise zulässig, wenn vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle eingeholt wurde. 101 Greiffenhagen, Kartellgenehmigung, S. 50; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S.287ff.
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle
im
Arbeitsrecht
Damit läßt sich folgendes Fazit ziehen: Die Mitbestimmung in den sozialen Angelegenheiten gemäß § 8 7 Abs. 1 B e t r V G führt zwar zu einer Begrenzung der Individualautonomie, der Spielraum der Arbeitsvertragsparteien wird aber nicht in dem Ausmaß eingeengt, wie es nach der von der Rechtsprechung und weiten Teilen der Literatur befürworteten Theorie der Mitbestimmung als rechtsnotwendiger Wirksamkeitsvoraussetzung den Anschein hat. Diese These ist abzulehnen. Eine schematische Lösung ist nicht möglich; die Rechtsfolgen einer Verletzung des Mitbestimmungsrechts sind nach dem Sinn und Zweck der einzelnen Tatbestände des § 87 Abs. 1 B e t r V G zu bestimmen. Tatbestände, die allein auf die Realisierung der Schutzfunktion zielen (§ 87 Abs. 1 Nr. 4, 6, 7 und 11 BetrVG), erlauben individualvertragliche Abreden zugunsten der Arbeitnehmer trotz fehlender Beteiligung des Betriebsrats am Regelungsverfahren. Derartige günstigere Individualabreden sind wirksam. Mit einem ausschließlichen Schutzzweck korrespondiert die Theorie der erzwingbaren Mitbestimmung. Für ungünstigere Abreden gilt das gleiche wie bei den Mitbestimmungstatbeständen, denen (auch) eine Koordinierungsaufgabe zufällt. Hier geht es nicht nur um einen Interesssenausgleich zwischen dem Arbeitgeber und den betroffenen Arbeitnehmern, sondern auch zwischen den Arbeitnehmern selbst. U m dem Betriebsrat einen Ausgleich der typischerweise divergierenden Einzelinteressen der Arbeitnehmer zu ermöglichen und um die Arbeitnehmerinteressen effizient durchsetzen zu können, muß ausgeschlossen werden, daß der Arbeitgeber die paritätische Teilhabe durch Individualvereinbarungen unterläuft. Der kollektive Interessenausgleich läßt sich in der Praxis dann umsetzen, wenn individualrechtliche Abreden ohne Rücksicht auf ihre inhaltliche Ausgestaltung unwirksam sind. 102 Das Ubermaßverbot schließt die Konstruktion der Mitbestimmung als rechtsnotwendigen Bestandteil des Individualvertrages jedoch aus. Mitbestimmung meint - vergleichbar der Zustimmungsbedürftigkeit bei Rechtsgeschäften Minderjähriger, die für diese nicht lediglich rechtlich vorteilhaft sind - eine außerhalb des eigentlichen Geschäftsakts liegende zusätzliche Wirksamkeitsvoraussetzung. Damit ist eine Genehmigung durch den Betriebsrat möglich; vorab getroffenen Vereinbarungen kann vom Betriebsrat nachträglich zugestimmt werden.
4. Arbeitsvertragliche Einheitsregelungen Die Inhaltsfreiheit 103 des Arbeitsvertrages findet ihre Grenze nicht nur an den Beschränkungen, die sich aus Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung und dem Mitbestimmungserfordernis ergeben. Auch in dem von diesen Freiheitsgrenzen nicht berührten Bereich werden Vertragsbedingungen regelmäßig nicht individuell zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgehandelt. A b einer gewissen
102 Ergänzend ist unter Umständen an einen allgemeinen Unterlassungsanspruch zu denken, vgl. oben auf S.503 bei Fn.68f. 103 Zur Abschlußfreiheit siehe die Ausführungen im 2. Kapitel (S. 55ff.) und im 6. Kapitel (S.224ff.) sowie Buchner, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, §36 Rn.23ff., 40ff., 65ff., §37 passim.
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
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Zahl von Arbeitnehmern unterliegt der Arbeitgeber aus Rationalisierungs- und Gleichbehandlungserwägungen einem Sachzwang, die Arbeitsbedingungen für alle vergleichbaren Arbeitnehmer im großen und ganzen einheitlich auszuformen. Deshalb legt der Arbeitgeber dem potentiellen Arbeitnehmer bei Vertragsschluß typischerweise vorformulierte Arbeitsbedingungen, sogenannte vertragliche Einheitsregelungen, vor. Diese Bedingungen werden vom Arbeitnehmer regelmäßig unverändert akzeptiert. 1 0 4 Die Bedingungen, zu denen der Arbeitnehmer beschäftigt wird, werden im wesentlichen einseitig vom Arbeitgeber gestaltet. Arbeitsvertragliche Einheitsregelungen sind v o m Arbeitgeber aufgestellte Bestimmungen für die inhaltliche Gestaltung von Einzelarbeitsverträgen mit einer regelmäßig größeren, im Zeitpunkt der Regelaufstellung noch unbestimmten Zahl von Arbeitnehmern bestimmter Berufskategorien, mit deren Geltung sich der Durchschnittsarbeitnehmer einverstanden erklären muß, u m einen Arbeitsvertragsschluß zu erreichen. 105 Obgleich formal Vertragsfreiheit herrscht, sind die tatsächlichen Möglichkeiten, den Vertragsinhalt nach individuellen Vorstellungen (mit-) zu prägen, deshalb weitgehend eingeschränkt. Der individuell formulierte Arbeitsvertrag bezieht sich regelmäßig nur auf die Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers, also die Art der Tätigkeit im weiteren Sinn. Unter anderem die Hauptpflicht des A r beitgebers, das Arbeitsentgelt zu zahlen, ist häufig tarifvertraglich vorgegeben. Ist der betreffende Arbeitnehmer nicht tarifgebunden und der Tarifvertrag nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden, w i r d die tarifliche Regelung häufig in den vertraglichen Einheitsregelungen in Bezug genommen. Die Einheitsregelungen ermöglichen folglich dem Arbeitgeber, ohne Einflußnahme des Arbeitnehmers Arbeitsbedingungen nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Die regelmäßig als Vertragsformular dem Arbeitsverhältnis zugrundegelegten Bedingungen bilden das Pendant zu den allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die einseitig, ohne kollektives Korrektiv gesetzten Bedingungen des Arbeitgebers bedürfen der A u f merksamkeit der Rechtsordnung. Auf sie w i r d deshalb in den folgenden A b schnitten besonders einzugehen sein. 5. E r g e b n i s Die genannten Umstände schränken die Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht in maßgeblichen Bereichen ein - aber nicht nur diese. H i n z u kommen Bindungen durch den Gleichbehandlungsgrundsatz, die betriebliche Ü b u n g oder auch § 61 l a BGB. Diese von zahlreichen rechtlichen Vorgaben beherrschte Struktur des Arbeitsrechts ist häufig beschrieben worden. Pointiert formulierte Adomeit 1984: »Das Arbeitsverhältnis ist im geschichtlichen Verlauf der Bundesrepublik Deutsch-
104 Treffend formuliert Sinzheimer, Arbeitsnormenvertrag, S. 10, daß »der Arbeitgeber das Normalschema bestimmt und der Einzelne sich diesem unterwirft oder auf Arbeit in diesem Betrieb verzichtet.« 105 Ausführlich Säcker, Gruppenautonomie, S. 73 ff., 81, m. weit. Nachw.
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
land, von 1949 bis einstweilen 1984, unter Zusammenwirken von Regierenden, Bundestagsabgeordneten, AJinisterialbeamten, Tarifpartnern, Richtern, Professoren, betrieblichen Instanzen in einen so vollkommenen Rechtszustand gebracht worden, daß man es nur, wie altes Meißen, in die Vitrine stellen kann, zum praktischen Gebrauch ist es zu kostbar, zu kostspielig.« 1 0 6
IV. Auswirkungen der Regelungsdichte auf die Gestaltungsautonomie 1. Inhaltsfreiheit a b l e h n e n d e A n s ä t z e D i e hohe Regelungsdichte des Arbeitsrechts hat Zweifel begründet, ob die Inhaltsfreiheit im Arbeitsrecht n o c h als maßgebliches Grundprinzip gilt. So sind Überlegungen anzutreffen, daß arbeitsvertragliche Einheitsregelungen nicht als Ausdruck der Privatautonomie, sondern als A k t der N o r m s e t z u n g durch den A r beitgeber einzuschätzen seien. Begründet wird das mit der fehlenden Möglichkeit des Arbeitnehmers, auf den Inhalt des Arbeitsvertrages einzuwirken. 1 0 7 D i e bloße Akzeptanz vorgefertigter Vertragsbedingungen könne nicht als Ausdruck der Vertragsfreiheit gewertet werden. D e r Tatbestand des Vertrags setze vielmehr die tatsächliche Möglichkeit des Arbeitnehmers voraus, eine abweichende Regelung zu erwirken. 1 0 8 Daneben existieren Ansätze, die v o m Arbeitgeber kraft seiner G e staltungsmacht einseitig aufgestellten N o r m e n für die inhaltliche Ausformung des Arbeitsverhältnisses aus der individualrechtlichen Einordnung als Teil des Einzelarbeitsvertrages herauszulösen und dem Kollektivrecht zuzuordnen. E i n heitliche Arbeitsbedingungen seien nur formal vertraglicher Natur, funktionell hingegen nichts anderes als ein Kollektivvertrag. D e r Arbeitgeber handele als B e triebsorgan. 1 0 9 Vergleichbare Überlegungen stellt Säcker an. E r vermag zwischen allgemeinen Arbeitsbedingungen und kollektivrechtlichen Regelungen keinen wesentlichen Unterschied zu erkennen. 1 1 0 Auch die einheitlichen Arbeitsbedingungen wirkten quasi »normativ«. 1 1 1 D i e allgemeinen Arbeitsbedingungen, also die Regelungen, die ihre Rechtsgrundlage nicht in einem Kollektivvertrag haben, aber, beispielsweise aufgrund vertraglicher Einheitsregelung oder Gesamtzusage, zumindest für eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern eine betriebseinheitliche O r d n u n g begründen, sieht Hilger im Ergebnis nicht als vertragliche Elemente an. Sie ordnet betriebseinheitlich geltende Arbeitsbedingungen als einseitige Ver106 Adomeit, NJW 1984, 1337, 1338; für eine Deregulierung unter Einbezug der Steuer- und Sozialordnung ders., NJW 1998, 2950f.; dazu auch Hanau, Deregulierung, S.6ff. 107 Matthes, in: Münch. Hdb. z. ArbR 3, §318 Rn.84; Reuter, SAE 1987, 285f.; ders., SAE 1983, 201 f. 108 Vgl. Söllner, Leistungsbestimmung, S.32ff. 109 Reuter, SAE 1983, 201, 203; siehe auch ders., RdA 1991, 193, 197f. 110 Säcker, Gruppenautonomie, S. 309f.; ähnlich Herrmann, die einheitliche Arbeitsbedingungen als »Normen kollektiver Art« einstuft, ZfA 1989, 577, 641. 111 Säcker, Gruppenautonomie, S. 96ff.
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
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pflichtungserklärung des Arbeitgebers ein, die einen kollektivrechtlichen Gestaltungsfaktor darstellten.112 Gelegentlich werden einheitliche Arbeitsbedingungen als Verbandsregeln eingestuft, die ihre Wirksamkeit nicht unmittelbar aus der Privatautonomie ableiten, sondern daraus, daß der Arbeitnehmer dem »Arbeitsverband Betrieb« beigetreten ist.113 Den genannten Ansätzen gemeinsam ist, daß sie Vertragsfreiheit in diesem Bereich des Arbeitsrechts in Frage stellen, weil es sich bei einheitlich geregelten Arbeitsbedingungen um ein unabänderliches Diktat des Arbeitgebers handele. Im Arbeitsverhältnis fehlt nach diesen Sichtweisen auf Seiten der Arbeitnehmer insoweit jegliches Selbstbestimmungselement hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung. 2. Die Bedeutung der Inhaltsfreiheit a) Irrelevanz
kollektiver
Begleiterscheinungen
Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Nicht nur der Abschluß, 114 auch der Inhalt von Arbeitsverträgen ist vertragsfreiheitlich legitimiert. Weder die unzweifelhaft hohe Regelungsdichte noch die mangelnde Einflußmöglichkeit des Arbeitnehmers als Individuum vermag den Stellenwert der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht in Frage zu stellen.115 Freilich ist nicht zu leugnen, daß einheitliche Bedingungen einen gewissen kollektiv(rechtlich)en Bezug aufweisen. Nur besagt eine kollektivrechtliche Relevanz nicht zugleich etwas über eine Abkehr von der Vertragsfreiheit. Selbst wenn arbeitsvertragliche Einheitsbedingungen aufgrund ihrer regelmäßigen Verwendung zu einer einheitlichen betrieblichen Ordnung führen, folgt aus diesem Umstand keine Modifikation der Rechtsnatur. Die Rechtsnatur als Schuldvertrag bleibt unangetastet. Ebenso wie allgemeine Geschäftsbedingungen ihren Charakter durch häufige Verwendung und einseitige Formulierung nicht ändern, führt Kollektivität im Sinne einer vielfachen Verwendung gleichlautender Arbeitsbedingungen nicht zu einer Änderung ihrer Rechtsnatur. 116 Aus der Perspektive formaler Vertragsfreiheit spielt es keine Rolle, ob ein individuell bestimmter Inhalt zum Vertragsgegenstand gemacht wird oder ob die Arbeitsbedingungen gleichlautend bei einer Vielzahl von Arbeitsverträgen Verwendung finden. Vielmehr ist es gerade Ausdruck der Vertragsfreiheit, daß die Vertragsparteien eine Gestaltung frei wählen oder eine Seite die Bedingungen formuliert, zu Hilger, Ruhegeld, S.51 ff.; ähnlich Söllner, Leistungsbestimmung, S.32ff. Nebel, Normen, S.208ff. 114 Vgl. dazu im 2. Kapitel (S.55ff.) und im 6. Kapitel (S.224ff.). 115 Deutlich Bydlinski, System, S. 557, der die »ebenso verbreitete wie verfehlte Übertreibung«, die Vertragsfreiheit besäße im Arbeitsrecht allenfalls rudimentäre Bedeutung als »kaum verständliche Einäugigkeit« bezeichnet. 116 Das ist im Zusammenhang mit den allgemeinen Geschäftsbedingungen näher dargestellt worden, vgl. das 10. Kapitel (S.426ff.), allgemein dazu auch im 5. Kapitel unter II 10 (S. 187ff.), III 10 (S.203ff.); speziell aus arbeitsrechtlicher Sicht ebenso H. Hanau, Individualautonomie, S. 44f. 112
113
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
denen sie kontrahieren möchte. 1 1 7 Entschließen sich beide Seiten, einen Einheitsvertrag abzuschließen, so gründen die daraus abzuleitenden Rechtspositionen nicht weniger auf der Privatautonomie, als wenn die Vertragsparteien eine Bedingung individuell ausgehandelt hätten. D i e Rechtsnatur eines Arbeitsvertrages hängt nicht von der Häufigkeit der verwendeten Regelung ab. Außerdem würde eine Umetikettierung der vertragsfreiheitlich legitimierten Arbeitsbedingungen hin zu einem kollektivrechtlichen Tatbestand dazu führen, daß Ansprüche, die auf einer arbeitsvertraglichen Einheitsregelung beruhen, ohne grundsätzliche 1 1 8 Berücksichtigung des Günstigkeitsprinzips durch Betriebsvereinbarung eingeschränkt werden könnten. Arbeitsvertragliche Einheitsregelungen würden zu Abreden minderer Qualität, bei denen das Günstigkeitsprinzip keine Bedeutung hätte. D i e Abgrenzung zwischen Individual- und Betriebsautonomie kann nicht danach vorgenommen werden, ob der Arbeitgeber mit anderen Arbeitnehmern gleichlautende Verträge abschließt. D i e inhaltliche Identität von einheitlichen Arbeitsbedingungen rechtfertigt im Grundsatz nicht den Zugriff der Betriebspartner auf Vertragspositionen, die ansonsten als individualvertragliche R e c h t e durch das Günstigkeitsprinzip ihrem Einfluß entzogen sind. b) Grundsätzliche
Bedeutungslosigkeit
faktischer
Elemente
Gleichfalls läßt sich daraus, daß der Vertragsfreiheit aufgrund der Regelungsdichte, insbesondere wegen der arbeitsvertraglichen Einheitsregelungen, faktisch kein Entfaltungsspielraum bleibt, nicht eine Abwesenheit oder untergeordnete B e deutung der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht herleiten. D i e Rechtsordnung setzt für die Wirksamkeit eines privatautonom begründeten Rechtsverhältnisses nicht voraus, daß den Vertragsparteien reale Wahlmöglichkeiten eingeräumt sind. 1 1 9 Vertragsfreiheit heißt nicht tatsächliche, ständige Wahlfreiheit für jedermann. Das zeigt sich nicht nur bei der vergleichbaren Situation im R e c h t der allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1 2 0 sondern auch bei der Willenserklärung, zu der ein Vertragspartner durch widerrechtliche D r o h u n g bestimmt wird. 1 2 1 H i e r ist der Vertrag wirksam und lediglich anfechtbar. D i e Tatsache, daß es dem Durchschnittsarbeitnehmer typischerweise verwehrt ist, auf die inhaltliche Ausgestaltung wesentlichen Einfluß zu nehmen und die Bedingungen individuell auszuhandeln, bedeutet keine A b k e h r des Arbeitsrechts von der Vertragsfreiheit. D e r Arbeitsvertrag wird von der beiderseitigen Selbstbestimmung der Vertragspartner getra-
Belling, DB 1987, 1888,1892; Zöllner, RdA 1989,152,157; ders., AcP 176 (1976), 221,239f. Angesprochen ist allein der Grundsatz. Besonderheiten gelten nach Auffassung des Großen Senats des BAG (NZA 1987,168), wenn bei divergierender Individualwirkung ein kollektiver Günstigkeitsvergleich insgesamt keine Verschlechterung ergibt. Nach Ansicht der Rechtsprechung können hier in den Grenzen von Recht und Billigkeit Ansprüche der Arbeitnehmer durch eine sog. umstrukturierende Betriebsvereinbarung abgelöst werden. 119 Näher im 2. Kapitel (S.53ff.). 120 Siehe das 10. Kapitel (S.426ff.). 121 Vgl. Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 94. 117
118
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
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gen. Das Arbeitsverhältnis ist trotz der hohen Regelungsdichte ein Rechtsverhältnis, das der Privatautonomie unterliegt. 122 Das Prinzip der Vertragsfreiheit entfaltet auch im arbeitsrechtlichen Bereich seine üblichen Wirkungen; das A r beitsverhältnis wird durch Konsens in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der Beteiligten begründet. D e r Umstand, daß der Arbeitswillige, der keinen Arbeitsplatz findet, seine G e staltungsfreiheit nicht ausüben kann und gegebenenfalls auf das Arbeitseinkommen existentiell angewiesen ist, ist für das Vorhandensein und die Rechtsnatur der Vertragsfreiheit ebenfalls ohne Belang. Auch bei anderen Vertragstypen kann es einer Seite auf den Vertrag in besonderer Weise ankommen, ohne daß dies zu grundsätzlichen Zweifeln an der Reichweite der Privatautonomie berechtigt. Vertragsfreiheit bedeutet nicht, unbeeinflußt von den Vorstellungen der Gegenseite eigene W ü n s c h e tatsächlich umsetzen zu können. Vertragsfreiheit setzt zu ihrer Realisierung in der Regel Konsens der Beteiligten voraus; die Erwartungen und Bedürfnisse eines Subjekts allein sind ohne Belang. Gestaltungsautonomie meint die Freiheit einer Person von rechtlichen Hindernissen bei der Regelung von Rechtsbeziehungen. Bei diesem formalen Verständnis von Vertragsfreiheit 1 2 3 ist die individuelle Gestaltungsautonomie grundsätzlich nicht beeinträchtigt, wenn ein Beteiligter die gewünschte Vertragsgestaltung nicht herbeiführen kann, weil der Partner übermächtig ist und sich auf Verhandlungen über bestimmte Punkte nicht einläßt. Hierbei handelt es sich nicht um ein rechtliches, sondern ein faktisches Hindernis bei der Ausübung der kompetentiellen Freiheit. D e r U m stand, daß den durchschnittlichen Arbeitnehmern faktisch die Einflußmöglichkeiten auf den Vertragsinhalt fehlen, führt also nicht zu einem allgemeinen Entfall der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht, sondern ist vielmehr die Ursache dafür, den Grenzen der arbeitsvertraglichen Inhaltsfreiheit besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Individualautonomie verliert um so mehr an Wert, je umfangreicher die Vorgaben in anderen tatsächlichen oder rechtlichen Gestaltungsmitteln ausfallen. Die hohe Regelungsdichte im Arbeitsrecht, welche die Individualautonomie begrenzt, gibt Anlaß, die Schranken der einzelnen Freiheitsgrenzen zu untersuchen. Die Aufgabe der Schranken der Freiheitsschranken ist es nämlich sicherzustellen, daß der Individualautonomie auch im Arbeitsrecht ausreichender Entfaltungsraum bleibt. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen Fragen der Angemessenheitsprüfung.
122 Boemke, NZA 1993, 532, 533; Enderlein, Rechtspaternalismus, S.438ff.; H. Hanau, Individualautonomie, S. 57; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 1, §25 I-Junker, NZA 1997,1305ff.; Richardi, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, § 1 Rn. 8,26ff., §2 Rn. 12, § 12 Rn. 39, 44; Ring, Arbeitsrecht, Rn. 149, 214ff.; Söllner, Grundriß, §28 I 2; H.P. Westermann, AcP 178 (1978), 150, 152ff.; Zöllner, Privatrechtsgesellschaft, S.23ff. 123 Vgl. das 2. Kapitel (S.53ff.).
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4. Teil: Freiheit
und Kontrolle
im
Arbeitsrecht
V. Die Grenzen der Freiheitsgrenzen 1. A n f o r d e r u n g e n an die gesetzlichen Freiheitsgrenzen a) Der traditionelle
Ansatz
Die inhaltsbezogene Vertragsfreiheit findet ihre Grenze im zwingenden Recht, also vor allem in den Normen, die Mindestarbeitsbedingungen festlegen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde das Arbeitsrecht im Sinne eines Arbeitnehmerschutzrechts ausgeformt, das die elementaren Prinzipien wie Schutz von Leben, Gesundheit und Menschenwürde oder Bewahrung eines Existenzminimums zum Gegenstand hat. Der Gesetzgeber hat mit diesen zahlreichen Modifikationen versucht, die verfassungsrechtlich verbürgte Vertragsfreiheit und den ebenfalls verfassungsrechtlich veranlaßten Schutz des Arbeitnehmers dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgend auszubalancieren. Freiheit und sozialer Schutz sind gegenüberzustellen und abzuwägen; es gilt das Prinzip der praktischen Konkordanz. 124 Gesetzliche Vorgaben, die soziale Belange nicht ausreichend berücksichtigen und die Selbstverantwortung des Arbeitnehmers überfordern, sind ebenso verfassungswidrig (Verstoß gegen das Untermaßverbot) wie solche, die das Selbstbestimmungsrecht des Arbeitnehmers als »mündiger Bürger« nicht ausreichend respektieren (Verstoß gegen das Ubermaßverbot). 125 Einerseits ist der Vertragsfreiheit so großer Entfaltungsraum wie möglich zu belassen, andererseits den im Rahmen des Arbeitsverhältnisses liegenden Gefahren möglicher Persönlichkeitsverletzungen durch zwingende Vorschriften vorzubeugen. Dabei obliegt dem Gesetzgeber im einzelnen eine Einschätzungsprärogative, welche Grenzen der Vertragsfreiheit zu ziehen sind. Dem Gesetzgeber kommt ein weiter Spielraum für die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit einer gesetzlichen Freiheitsgrenze zu. So dienen das Urlaubsrecht und die Arbeitszeitbegrenzungen sowohl dem Gesundheitsschutz als auch der angemessenen Verfügbarkeit von tatsächlicher Freiheit für den Arbeitnehmer bei der Gestaltung seiner Lebensverhältnisse. Durch die zwingenden Vorgaben wird der Arbeitgeber, zu dessen Gunsten die personale Bindung besteht, angehalten, den personalen Selbstwert der Arbeitnehmer mit seinem Verhalten zu respektieren und seine wirtschaftliche Machtstellung nicht für rechtsordnungswidrige Vertragsgestaltungen auszunutzen. Die zahlreichen Gesetzeswerke stützen sich auf die Überlegung, daß die nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten und juristischen Kenntnissen häufig unterlegenen Arbeitnehmer nicht in der Lage sind, ihre elementaren Persönlichkeitsinteressen im Vertrag selbst hinreichend durchzusetzen, eine Berücksichtigung dieser Interessen aber unter anderem wegen der regelmäßig langfristigen Bindung notwendig ist. Dies war historisch nicht ohne Berechtigung. Die Realität des schutzbedürftigen und von der Komplexität arbeitsvertraglicher Gestaltungen 124 125
Löwisch, ZfA 1996, 293, 299, sowie das 3. Kapitel (S.69ff.). Dazu im 3. (S.69ff.), 4. (S. 148ff.) und 11. Kapitel (S.470ff.).
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
519
vielfach überforderten Arbeitnehmers bedurfte der rechtlichen Kompensation. Die zahlreichen durch die Industrialisierung entstandenen Fabrikarbeitsplätze boten im großen und ganzen ein gleichartiges Bild und rechtfertigten eine Arbeitsordnung, die sich als Arbeitnehmerschutzrecht darstellt. Protektive normative Maßnahmen wurden mit der Globalvorstellung einer realen Benachteiligung begründet. Arbeits- und Wirtschaftsleben haben sich aber gerade in den letzten Jahren wesentlich geändert. Die Erscheinungsformen der Arbeit sind vielfältiger geworden. Der klassische Industriearbeitsplatz verliert zunehmend an Bedeutung, das Arbeitsleben beginnt, sich von einem statischen Gebilde hin zu einem dynamischen zu wandeln. Das historisch übliche, auf Lebenszeit angelegte Vollzeitarbeitsverhältnis ist derzeit und wird voraussichtlich im 21. Jahrhundert immer seltener anzutreffen sein. Der Trend geht hin zu einem Arbeitsleben, das aus Phasen selbständiger und unselbständiger Tätigkeiten, Vollzeit-, Teilzeit- oder Telearbeitsverhältnissen besteht und das in steigendem Maß von einer Beschäftigung in Zeitarbeitsfirmen gekennzeichnet sein wird. 126 Dieser Entwicklung werden die zukünftigen gesetzlichen Vorgaben Rechnung zu tragen haben. 127 b) Aktuelle
Tendenzen
Die Legislative hat freiheitliche wie soziale Erwägungen verhältnismäßig auszugleichen und in eine Regelung umzusetzen, die den realen Verhältnissen in angemessener Art und Weise gerecht wird. Zwingende Normen stoßen dann an ihre verfassungsrechtlichen Grenzen, wenn sie von den tatsächlichen Gegebenheiten losgelöst in unverhältnismäßiger Weise die Gestaltungsfreiheit einengen. Das Ubermaßverbot verwehrt es dem Gesetzgeber, weiter in die Vertragsfreiheit einzugreifen, als erforderlich ist. Die Rechtsordnung kann sich dem tatsächlichen Umstrukturierungsprozeß nicht entziehen. Der Wandel der Arbeitsbedingungen muß in den gesetzlichen Regelungen Niederschlag finden. Einem geänderten Umfeld sind die gesetzlichen Regelungen in erforderlichem Maß anzupassen. Normen, welche die Freiheit der Vertragspartner ohne Rücksicht auf tatsächliche Entwicklungen eingrenzen, begegnen aus dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit Bedenken. U m die Vertragsfreiheit zu bewahren, hat sich die Rechtsordnung den geänderten sozialen Realitäten anzupassen. Hinzu kommt ein weiteres: Die Verfassungsordnung verbürgt in Art. 12 G G ein Grundrecht der freien Arbeitsplatzwahl. Dieses läuft leer, wenn keine Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. U m die verfassungsrechtliche Zielsetzung durchzusetzen und um den Bürgern die Persönlichkeitsentfaltung in einem Arbeitsverhältnis zu ermöglichen, hat der Gesetzgeber die Rechtsordnung so auszugestalten, daß die Schaffung von Arbeitsplätzen durch die Rechtsordnung und damit auch durch gegebenenfalls zu enge gesetzliche Grenzen der Inhaltsfreiheit 126
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit (IAB), Werkstattbericht Nr. 7 vom 25. November 1996, Überblick in N Z A 1997, 590ff. 127 Hanau, Deregulierung, S.20ff.
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
nicht unverhältnismäßig behindert wird. Grundrechtlich geschützt ist mithin nicht allein das Schutz- und Weiterbeschäftigungsinteresse derjenigen, die Arbeit haben, sondern auch das Beschäftigungsinteresse der Arbeitssuchenden. Beschäftigungsförderung und Anpassung an eine geänderte Arbeitswelt bedeuten aber nicht allgemeine Deregulierung. Die vertragliche Arbeitspflicht nimmt in der Regel die Gesamtpersönlichkeit des Arbeitnehmers in einer Intensität und in einem Ausmaß in Anspruch, die besondere Schutzgestaltungen bedingt. Einher mit der umfassenden Inanspruchnahme der Person geht die Einordnung des Arbeitnehmers in einen fremdbestimmten Arbeitsbereich. D e r personale Bezug erfordert soziale Rahmenbedingungen; von Seiten des Staates ist eine soziale Grundordnung sicherzustellen. N o t w e n d i g ist aber allein eine G r u n d o r d nung, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber im übrigen Spielraum zur selbstverantwortlichen Gestaltung überläßt. D e m Gedanken der Selbstbestimmung und der Selbstverantwortung ist im Arbeitsrecht wieder vermehrt Aufmerksamkeit zu widmen. D e m Bürger, dem in Vermögensangelegenheiten, erwähnt sei nur das Kreditrecht, ein weitgehender Spielraum eingeräumt wird, ist dieser auch im A r beitsrecht zurückzugeben, ohne allerdings die spezifischen Schutzbedürfnisse des Arbeitnehmers zu verkennen. E b e n s o wie das Arbeitnehmerschutzrecht auf die Realitäten des Arbeitslebens reagiert und der liberalen Grundhaltung des B G B ein Leitbild zur Seite gestellt hat, das die spezifisch arbeitsrechtliche Situation der persönlich abhängigen Tätigkeit eingebracht hat, ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, auf aktuelle Herausforderungen mit einer teilweisen Umgestaltung des Arbeitsrechts am Ende des 20. Jahrhunderts zu antworten. Dabei bietet es sich an, Art. 30 Abs. 1 Nr. 1 des Einigungsvertrages Folge zu leisten und das A r beitsvertragsrecht »möglichst bald einheitlich neu zu kodifizieren«. 1 2 8 D i e Rechtsordnung hat darüber hinaus nicht allein auf tatsächliche E n t w i c k lungen angemessen zu reagieren. Recht soll tatsächliches Verhalten beeinflussen und in die richtige Richtung lenken; R e c h t ist normativ, ihm k o m m t Leitbildfunktion zu. D e r Arbeitnehmer ist soweit wie möglich in der Selbstverantwortung zu belassen. D i e Schutznormen dürfen die Idee des mündigen Bürgers nicht vollständig in den Hintergrund drängen. Die arbeitsrechtliche Vertragsgestaltung darf den Arbeitnehmer nicht überfordern, aber sie darf und m u ß ihn angemessen fordern. 1 2 9 c)
Ergebnis
Erforderlich ist also eine differenzierte Sicht, die den modernen Gestaltungsformen des Arbeitslebens Rechnung trägt. U m ein differenziertes Arbeitsrecht zu erreichen, ist es notwendig, das breite gesetzliche Schutzspektrum zumindest in bezug auf einzelne Arbeitnehmergruppen zu reduzieren. So ist es beispielsweise 128 Zu den Entwürfen eines einheitlichen Arbeitsvertragsgesetzes Griese, N Z A 1996, 803; Ramm, Arbeitsrecht, S. 83. 129 Für einen angemessenen Abbau gesetzlicher Freiheitsschranken aufgrund eines der Selbstverantwortung verpflichteten Menschenbildes Fastrich, Festschrift für Kissel, S. 193ff., 209,212.
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
521
angezeigt, moderne Entwicklungen am Arbeitsmarktsektor dadurch zu berücksichtigen, daß bestimmte Tätigkeitsfelder aus dem absoluten Schutz des bisherigen Arbeitsrechts herausgenommen werden und für sie ein reduzierter gesetzlicher Mindestschutz, vergleichbar dem Regelungsmechanismus für Arbeitnehmerähnliche, geschaffen wird. Darauf ist hier nicht näher einzugehen; festzuhalten ist vielmehr: D i e Rechtsordnung darf sich über die Vertragsfreiheit nicht in unverhältnismäßiger Art und Weise hinwegsetzen. Zunehmende Aufklärung der Arbeitnehmer über rechtliche Zusammenhänge, eine finanzielle Absicherung, die es nicht notwendig macht, allein zur Sicherung des Existenzminimums jede sich anbietende Tätigkeit anzunehmen, 1 3 0 und - nicht zuletzt - die A b k e h r v o m einheitlichen Industriearbeitsverhältnis erfordern ein neues D e n k e n , Diversifikation der gesetzlichen Freiheitsgrenzen und eine sozialverträgliche, den gegenwärtigen Entwicklungen angepaßte Deregulierung des Arbeitsrechts. Freiheit und Schutz sind im verfassungsrechtlichen R a h m e n aufgrund der aktuellen und zukünftig zu erwartenden Umstrukturierung der Arbeitswelt neu auszutarieren. Aus heutiger Perspektive bedeutet das, die staatliche Fürsorge in Teilbereichen etwas zurückzunehmen und auf die Selbstverantwortung der Bürger in größerem M a ß zu vertrauen 1 3 1 - aber nicht nur der Bürger: A u c h die Tarifautonomie ist als Vertragsfreiheit der Tarifparteien verfassungsrechtlich geschützt. 1 3 2 In seinem B e schluß v o m 2 4 . 4 . 1996 hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, daß ein R e gelungsbereich, der auch Tarifverträgen offensteht, nur zum Schutz von Rechtsgütern von einigem G e w i c h t durch Gesetz ausgefüllt werden kann. D e r G e s e t z geber hat demnach in seine Abwägung nicht nur die Individual-, sondern auch die Kollektivautonomie einzustellen. Gesetzliche Regelungen sind dort nicht erforderlich, w o keine G r ü n d e dagegen sprechen, die Regelung den Tarifvertragsparteien zu überlassen. D a die Tarifvertragsparteien einander als ebenbürtige Partner gegenüberstehen, mithin der im Verhältnis zur Individualautonomie maßgebliche Gesichtspunkt eingeschränkter Durchsetzungsfähigkeit des einzelnen A r beitnehmers wegfällt, ist daran zu denken, in manchen Bereichen das Tarifvertragswesen zu stärken. Sind keine Rechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestatteten G ü ter betroffen, spricht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit viel dafür, Regelungsbereiche auf die Tarifvertragsparteien zu verlagern. D e r Gesetzgeber wird daher in einzelnen Bereichen des Arbeitsrechts gesetzliche Offnungsklauseln zugunsten einer tariflichen Regelung in Betracht zu ziehen haben. D e r Tarifautonomie muß es offenstehen, gesetzliche Regelungen, deren Gehalt z u m Schutz gewichtiger Rechtsgüter nicht zwingend erforderlich ist, auch zum Nachteil der Arbeitnehmer abzuändern. So ist beispielsweise kaum verständlich, warum Tarifverträge Uberstunden zwar im Krankheitsfall, nicht aber auch bei Feiertagen ohne E n t -
Nähere Angaben bei Biedenkopf, Festschrift für Coing, S.21, 27; Reuter, Stellung, S. 17. Vgl. Fastrich, Festschrift für Kissel, S.193, 206ff.; Heinze, Festschrift für Gaul, S.305, 316f.; Löwisch, ZfA 1996, 293, 300. 132 Vgl. das 3. Kapitel (S.69ff.). 130 131
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle
im
Arbeitsrecht
geltfortzahlung vorsehen dürfen. 133 Der Autonomiegedanke und das Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzen die gesetzliche Kompetenz zur Freiheitsbeschränkung und sprechen für eine Verlagerung von Regelungsbefugnissen auf die Arbeitnehmer als Individuen und - vor allem - auf die Tarifvertragsparteien. Dies schließt nicht aus, daß manche Sachverhalte aus dem Regelungsbereich der Tarifverträge herauszunehmen sind; darauf wird im folgenden zurückzukommen sein. 2. D i e Reichweite tarifvertraglicher Begrenzungen der Individualautonomie a) Allgemeine
Grenzen
Tarifverträge beschränken die Individualautonomie der von den entsprechenden Regelungen betroffenen Arbeitnehmer durch die Vorgabe von Arbeitsbedingungen. Diese im normativen Teil des Tarifvertrages zwischen den Tarifvertragsparteien festgelegten Arbeitsbedingungen unterliegen keiner Angemessenheitskontrolle. Sie unterbleibt aus zweierlei Gründen, einem originär privatrechtlichen und einem verfassungsrechtlichen. Zunächst zum privatrechtlichen Aspekt: Es ist davon auszugehen, daß die naturgemäß gegensätzlichen Interessen der Vertragspartner im Rahmen der Tarifverhandlungen einen sachgerechten Ausgleich finden und das ausgehandelte Gesamtpaket einen angemessenen Kompromiß darstellt. Eine gerichtliche Kontrolle einzelner Bedingungen scheitert also insbesondere am Kompensationsgedanken: 134 Dem Arbeitnehmer ungünstige Regelungen können durch andere ihm günstige ausgeglichen werden. Gleiches gilt auf Arbeitgeberseite. Ein finanzielles Zugeständnis auf der einen Seite wird vielleicht durch flexible Arbeitszeiten auf der anderen Seite ausgeglichen. Der Verzicht auf eine gerichtliche Angemessenheitsprüfung der Inhaltsnormen setzt allerdings die Gewähr voraus, daß die Koalitionen typischerweise ausgewogene Abreden schließen. Auf das System des freien Wettbewerbs läßt sich der Kontrollverzicht nicht stützen; ein Wechsel der Koalitionspartner ist in der Regel nicht möglich. 135 Entscheidend für einen akzeptablen und damit insoweit kontrollfreien Kompromiß ist deshalb ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis zwischen den Beteiligten. Parität ist die Voraussetzung für das Vertrauen in die Richtigkeit des tariflich Vereinbarten. Sichergestellt wird das durch die von der Rechtsordnung aufgestellten Voraussetzungen der Tariffähigkeit. Für die Paritätssicherung der Tarifpartner fehlen (weitgehend 1 3 6 ) normative Vorgaben. Nach überwiegender Auffassung ist ein freiwilliger Zusammenschluß von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern notwendig, der über eine organisierte Willensbildung verfügt. D i e Vereinigung muß vom sozialen Gegenspieler, von Staat, Parteien und Kirchen unabhängig sein; ihr Zweck muß (zumindest auch) auf die Wahrung und Förderung der Arbeits- und
Dazu Hanau, Deregulierung, S.21; vgl. auch Löwisch, ZfA 1996, 293, 305. Zu Grundlagen und Voraussetzungen einer Kompensation im 10. Kapitel (S.438ff.). 135 Zu Änderungen in der Geltung von Tarifverträgen Hromadka/Maschmann/Wallner, Tarifwechsel, Rn. 169 ff. 136 Mittelbar von Bedeutung ist § 146 S G B III. 133
134
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
523
Wirtschaftsbedingungen der Mitglieder gerichtet sein. Neben diesen verfassungsrechtlich orientierten Voraussetzungen fordert die Rechtsprechung eine demokratische Organisation und - zur Sicherung sachgerechter Tarifverträge - eine ausreichende Mächtigkeit und Durchsetzungsfähigkeit.137 Das Gegengewichtsprinzip setzt sich auf der Arbeitskampfseite fort; auch hier ist auf ein ausgewogenes Arsenal an Arbeitskampfmitteln zu achten. Streik und Aussperrung sind deshalb im Grundsatz sowohl als Angriff als auch als Verteidigung zulässig. Die Parität der Verhandlungspartner läßt eine gerichtliche Angemessenheitsprüfung grundsätzlich entbehrlich werden.138 D e r privatrechtliche G r u n d für die Abwesenheit einer Angemessenheitskontrolle der tarifvertraglichen Inhaltsnormen wird ergänzt durch einen verfassungsrechtlichen Aspekt. Art. 9 Abs. 3 G G schützt die Koalitionsfreiheit und die spezifisch koalitionsmäßige Betätigung. D i e Tarifautonomie wäre wesentlich beeinträchtigt, wenn es zu einer gerichtlichen Angemessenheitskontrolle von Tarifverträgen käme. Tarifautonomie gewährleistet das Recht von Arbeitgeber(verbände)n und Gewerkschaften, Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen für ihre Mitglieder durch Tarifvertrag frei zu regeln. Sie schließt es aus, den Tarifvertrag von staatlicher Prüfung abhängig zu machen, ihn durch Zwangsschlichtung herbeizuführen oder ihn in wesentlichen Bereichen durch Gesetz zu verdrängen. Eine Tarifzensur durch die Arbeitsgerichte wäre nicht verfassungskonform. 1 3 9 Eine Angemessenheitskontrolle von Tarifverträgen findet deshalb nicht statt. Es ist davon auszugehen, daß infolge des Verhandlungsgleichgewichts und der Sachkunde der Tarifvertragsparteien die Bestimmungen den Interessen beider Seiten gerecht werden. E i ne Überprüfung der Tarifnormen anhand von Angemessenheits-, Billigkeitsoder Zweckmäßigkeitskriterien entfällt. 1 4 0 Das bedeutet nicht, daß tarifvertragliche Regelungen schrankenlos zulässig wären; auch sie haben sich in die Rechtsordnung einzufügen. D e r Tarifvertrag darf Grundrechte nicht verletzen. Erklärt wird dies überwiegend mit der Delegationstheorie: § 1 T V G spreche davon, daß ein Tarifvertrag N o r m e n enthalte, und die Tarifpartner zu ihrem Erlaß ermächtige. Ein Gesetz, das seinerseits nach Art. 1 Abs. 3 G G an Grundrechten gemessen wird, könne Privatrechtssubjekten keine weitergehenden R e c h t e verleihen, als es selbst besitzt. 1 4 1 Dieses Begründungsmodell vermag indes nicht zu erklären, warum auch der schuldrechtliche Teil eines Tarifvertrages den Grundrechten nicht widersprechen darf oder warum der Staat
137 Ausführlich Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, §9; Löwisch, in: Münch. Hdb. z. ArbR 3, §248; H.-J. Dörner, in: Kass. Hdb. z. ArbR 2, 6.1 Rn. lOOff. 138 BAG (GS) AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, unter III B, 1: »Könnte die eine Seite allein das Kampfgeschehen bestimmen, so bestünde die Gefahr, daß die Regelung der Arbeitsbedingungen nicht mehr auf einem System freier Vereinbarung beruht, das Voraussetzung für ein Funktionieren und innerer Grund des Tarifvertragssystems ist.« 139 BVerfG AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 140 BAG DB 1996,279,531,534; BAGE 69,257,269; AP Nr. 5 zu §620 BGB Altersgrenze; AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge Einzelhandel. 141 Vgl. nur Hinz, Tarifhoheit, S. 68ff.; Wiedemann/Stumpf, § 1 TVG Rn. 25ff.; Säcker, Gruppenautonomie, S.73ff.; Löwisch, in: Münch. Hdb. z. ArbR 3, §246 Rn.29f., sowie die ständige Rspr., BAG DB 1996, 535.
524
4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
die Gesetzgebungsgewalt dort delegieren kann, w o er sie nach Art. 9 Abs. 3 G G selbst nicht besitzt. D i e Lösung ergibt sich aus dem Verständnis der Vertragsfreiheit. E b e n s o wie der Tarifvertrag ist auch der Privatvertrag staatlich legitimiert und auf staatliche Anerkennung und Durchsetzung angewiesen. 1 4 2 Beides ändert allerdings nichts am privatrechtlichen Charakter; Grundrechte gelten daher nicht unmittelbar. D e r Tarifvertrag, der ebenfalls zwischen Privatrechtssubjekten abgeschlossen wird, unterliegt daher aus diesem G r u n d nicht der Grundrechtsbindung. D e r Tarifvertrag schränkt mit seinem normativen Teil die Vertragsfreiheit ein. Insoweit drängt sich ein Vergleich zur gesetzlichen Normunterworfenheit im weiteren Sinne auf. Die Grundrechtsbindung resultiert daraus, daß Regelungen im Tarifvertrag ebenso wie Gesetze auf das Individualarbeitsverhältnis einwirken, wobei die Anwendung der Grundrechte freilich entsprechend den B e s o n derheiten des Tarifvertragsrechts zu modifizieren ist. Die Grundrechtsbindung ist mithin auf eine vergleichbare Schutzbedürftigkeit zurückzuführen. 1 4 3 Ein Tarifvertrag darf überdies weder internationales noch europäisches R e c h t oder zwingende einfachgesetzliche Vorschriften verletzen. Sein Regelungsgehalt muß sich auf die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen beschränken. b) Vertragsfreiheit
als
Regelungsgrenze
Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang eine weitere Grenze, die Tarifverträgen gezogen ist: Sie dürfen der Vertragsfreiheit nicht widersprechen. Das tarifliche Arbeitsrecht findet seine G r e n z e in der Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien. D e m Prinzip der Privatautonomie genügt dabei nicht allein der in § 4 Abs. 3 T V G geregelte Günstigkeitsgrundsatz. D e r Günstigkeitsgrundsatz bringt die Vertragsfreiheit lediglich dort zur Geltung, w o der Legitimationsgrund des Kollektivvertrages, die Schutzfunktion, nicht mehr trägt, weil es nur u m eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen geht. Tarifvertragliche Regelungen haben dann zurückzutreten, wenn das Günstigkeitsprinzip Anwendung findet - damit aber nicht genug: In Bereichen, in denen der das Tarifvertragsrecht rechtfertigende Gedanke des Ausgleichs divergierender sozialer Mächtigkeit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern nicht (mehr) trägt, geht die Abwägung zwischen Tarif- und Privatautonomie zugunsten der Vertragsfreiheit aus. Tarifautonomie und Individualautonomie stehen nicht gleichberechtigt nebeneinander. Tarifautonomie dient dazu, materielle Selbstbestimmungsdefizite der Arbeitnehmer als Individuen auszugleichen. Ist dieser Z w e c k erfüllt, hat die Tarifautonomie hinter die Vertragsfreiheit zurückzutreten. Tarifliche Regelungen, die über das verhältnismäßige M a ß hinaus die Selbstbestimmungsfreiheit der Individuen eingrenzen, haben vor der Verfassung keinen Bestand. Privatautonomes Handeln des Arbeitnehmers und
Hinsichtlich des Individualvertrages näher ausgeführt im 2. Kapitel (S.64ff.). Ähnlich Richardi, Festschrift für Merz, S. 481, 494; ders., Festschrift für Schwarz, S.781, 792; Loxin, ZfA 1990, 133, 141; Kirchhof, Rechtsetzung, S.513ff., 529; Konzen, Festschrift für Müller, S. 245, 248. Gegen eine Parallelität der Machtbefugnisse Lerche, Festschrift für Steindorff, S. 897, 900. 142
143
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
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dessen fremdbestimmter Schutz müssen verhältnismäßig ausgeglichen werden: »Soweit die Vertragsautonomie funktioniert, gibt es keinen G r u n d , ihr die verbindliche Rechtssetzung der Tarifvertragsparteien vorgehen zu lassen.« 1 4 4 Tarifnormen haben sich dementsprechend auf Regelungen zu beschränken, welche die Stellung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber soweit stärken, daß sich individuelle Vorstellungen entfalten können. D i e Entscheidungsfreiheit des einzelnen soll gestützt und nicht verdrängt werden. 1 4 5 Tarifvertragliche Regelungen, die in der Industriegesellschaft zum Schutz des Arbeitnehmers angezeigt waren, sind in der modernen Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft auf ihre Notwendigkeit hin zu überprüfen. Das Grundgesetz garantiert dem Bürger auch in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer die Freiheit, seine Angelegenheiten unabhängig von Staat und Verbänden eigenverantwortlich zu regeln. D e r Grundsatz der Vertragsfreiheit bietet auch einen Schutz vor zu viel Schutz. D i e Tarifvertragsparteien werden deshalb zu erwägen haben, in bestimmten K o n stellationen auch nachteilige abweichende einzelvertragliche Abmachungen ( § 4 Abs. 3 Halbs. 1 T V G ) zuzulassen. D i e Abwägung zwischen einzelvertraglicher Selbstbestimmung und tarifvertraglicher Fremdbestimmung hat im R a h m e n der Verhältnismäßigkeitserwägungen das Individualinteresse des Arbeitnehmers insbesondere am Erhalt seines Arbeitsplatzes in gebührendem M a ß zu berücksichtigen. Sind der Bestand des Arbeitsplatzes und damit die berufliche Existenz nachweislich gefährdet, verliert der Tarifvertrag den intendierten Schutz. D i e Existenz des Betriebes ist die Vorbedingung der Anwendbarkeit des Tarifvertrages; die allgemeine Schutzfunktion des Kollektivvertrages erfordert gerade die Aufrechterhaltung des Betriebes. Würde ein Festhalten an tariflichen Regelungen zwangsläufig die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zur Folge haben, m u ß die Tarifautonomie hinter die Individualautonomie zurücktreten. D e n Arbeitsvertragsparteien muß es in einem solchen Fall offen stehen, v o m Tarifvertrag abweichende nachteilige Regelungen zu treffen. A u f einen Günstigkeitsvergleich kann es deshalb hier nicht ankommen. 1 4 6 Jedenfalls ist eine tarifliche Offnungsklausel für derartige Extremsituationen notwendig, um dem Stellenwert der Privatautonomie in der Rechtsordnung Genüge zu tun. 3. D i e G r e n z e n der F r e i h e i t s s c h r a n k e n d u r c h B e t r i e b s v e r e i n b a r u n g a) Das Verhältnis zur
Tarifautonomie
Rechtssetzung durch Betriebsvereinbarung steht zwischen Tarif- und Individualautonomie und wird durch beide begrenzt. 1 4 7 A u f der einen Seite steht die verfasLöwisch, Arbeitsrecht, Rn. 115. In diese Richtung auch Junker, NZA 1997, 1305, 1313ff.; Löwisch, ZfA 1996, 293, 295f. 146 Zur kontrovers diskutierten Frage, ob ein untertariflicher Lohn bei garantiertem Arbeitsplatz günstiger ist, Adomeit, NJW 1984, 26f.; Ehmann/Schmidt, NZA 1995, 193, 202; Henssler, ZfA 1994,487, 506; Konzen, NZA 1995, 913, 918f.; Löwisch, ZfA 1996, 293, 311 f.; Zöllner, ZfA 1988, 265, 287. 147 Uberblick zum Verhältnis zu anderen Vorschriften bei Berg, in: Däubler/Kittner/Klebe, 144
145
526
4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
sungsrechtlich abgesicherte Koalitionsfreiheit. Sie begrenzt eine unverhältnismäßige Ausweitung der Betriebsautonomie zu Lasten der Koalitionen. 148 Die Regelungszuständigkeit ist gesetzlich anhand von § 77 Abs. 3 BetrVG zu bestimmen. Seine Reichweite hängt davon ab, ob § 77 Abs. 3 BetrVG bei bestehender oder üblicher tarifvertraglicher Regelung den Abschluß von Betriebsvereinbarungen lediglich hinsichtlich materieller Arbeitsbedingungen oder für alle Arbeitsbedingungen ausschließt. Mit dem BAG ist davon auszugehen, daß sich §77 Abs. 3 BetrVG auf sämtliche Arbeitsbedingungen bezieht. 149 Der Nennung der »Arbeitsentgelte« läßt sich nämlich nicht entnehmen, daß die »sonstigen« Arbeitsbedingungen vergleichbar den Arbeitsentgelten materiell zu bestimmen sind, im Gegenteil, die Formulierung »sonstige« weist im Gegensatz zu Wendungen wie »ähnliche« oder »vergleichbare« Arbeitsbedingungen auf einen umfassenden Anwendungsbereich hin. Hinzu treten verfassungsrechtliche Erwägungen. Art. 9 Abs. 3 GG kennt keine Beschränkung der Tarifautonomie auf materielle Arbeitsbedingungen. Die weitere für das Verhältnis der tariflichen zur betrieblichen Normsetzung entscheidende Frage ist, ob Betriebsvereinbarungen in Angelegenheiten des §87 Abs. 1 BetrVG von §77 Abs. 3 BetrVG erfaßt werden. Die Vorrangtheorie wendet in Angelegenheiten der notwendigen Mitbestimmung §77 Abs. 3 BetrVG nicht an. Betriebsvereinbarungen sind demgemäß nach § 87 Abs. 1 BetrVG nur ausgeschlossen, wenn eine zwingende und abschließende tarifliche Regelung besteht und (zumindest) der Arbeitgeber tarifgebunden ist. Ist eine tarifliche Regelung nur üblich, bleibt eine Betriebsvereinbarung hinsichtlich der Tatbestände des § 87 Abs. 1 BetrVG möglich. Bei Tarifüblichkeit gilt nach diesem Ansatz die Sperrwirkung des §77 Abs. 3 BetrVG allein für freiwillige Betriebsvereinbarungen.150 Die Auffassung, daß der Eingangssatz des §87 Abs. 1 BetrVG eine Ausnahme von der Regelung in § 77 Abs. 3 BetrVG enthalte und dieser als lex specialis vorgehe, wird mit dem Zweck der Mitbestimmung begründet. Grund für die im Einleitungssatz enthaltene Einschränkung sei, daß die Arbeitnehmer des durch § 87 Abs. 1 BetrVG bezweckten Schutzes nicht bedürften, wenn einer der mitbestimmungspflichtigen Tatbestände durch Gesetz oder Tarifvertrag geregelt sei.
§ 77 BetrVG Rn. 9-25; eingehend Waltermann, Rechtsetzung, S. 53ff. (Betriebsvereinbarung und Privatautonomie), S.259ff. (Betriebsvereinbarung und Tarifautonomie). 148 Dementsprechend begegnet eine unverhältnismäßige Ausweitung gesetzlicher Offnungsklauseln zugunsten der Betriebsparteien verfassungsrechtlichen Bedenken, weil hier unter Umständen Art. 9 Abs. 3 G G betroffen ist, vgl. Hanau, RdA 1993, 1 ff.; siehe auch Konzen, N Z A 1995, 913, 919. 149 BAG (GS) N Z A 1992,749,753 f.; BAG N Z A 1991,734,735f.; siehe auch Kreutz, Grenzen, S. 211 ff.; Moll, Tarifvorrang, S.44ff., jeweils m. weit. Nachw. zum Streitstand; a.A. z.B. Hess, in: Hess/Schlochauer!Glaubitz, §77 BetrVG Rn.l32f.; Wank, RdA 1991, 129, 133. 150 Säcker, ZfA 1972, Sonderheft 41, 63ff.; ders., BB 1979, 1201, 1202; Reuter/Streckel, Grundfragen, S.33ff.; Gast, Tarifautonomie, S.39f.; ders., BB 1987, 1249ff.; v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, N Z A 1987, 793, 799; seit 1987 (BAG N Z A 1987, 639) ständige Rspr., BAG (GS) N Z A 1992, 749,753f.; BAG N Z A 1994,184f.; N Z A 1993,570; N Z A 1990,693; N Z A 1989, 887.
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
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Notwendig sei der Schutz hingegen bei bloßer Tarifüblichkeit; hier sei der Arbeitgeber nicht durch Gesetz oder Kollektivvertrag gebunden, der Arbeitnehmer nicht geschützt. Eine Sperrwirkung des § 7 7 Abs. 3 B e t r V G gegenüber Betriebsvereinbarungen in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten führe im E r g e b nis dazu, daß die Mitbestimmungsrechte in diesen Angelegenheiten obsolet würden. A n diese Aussage anknüpfend wird gefolgert, daß § 77 Abs. 3 B e t r V G aber nicht zu entnehmen sei, daß bereits die Tarifüblichkeit einer Angelegenheit die Mitbestimmungsrechte entfallen lasse; § 77 Abs. 3 B e t r V G regele nicht die M i t b e stimmungsrechte des Betriebsrats. Die Kernaussage, insbesondere der Rechtsprechung, 151 liegt darin, daß Mitbestimmung und Betriebsvereinbarung nicht zu trennen seien. Z u m Schutz der Arbeitnehmer sei es erforderlich, Mitbestimmung und damit Betriebsvereinbarungen dort zuzulassen, w o zwar keine tariflichen Abreden bestünden, aber üblich seien. U m § 87 Abs. 1 B e t r V G nicht leerlaufen zu lassen, müsse er § 7 7 Abs. 3 B e t r V G vorgehen. Diese Sichtweise ist bereits im Ansatz verfehlt. Eine Betriebsvereinbarung mag das geeignete Instrument für die Mitbestimmung sein, das einzige ist sie nicht. Mitbestimmung ist in F o r m der bloßen Zustimmung ebenso möglich wie als formlose Regelungsabrede. 1 5 2 Eine Sperrwirkung des § 7 7 Abs. 3 B e t r V G gegenüber Betriebsvereinbarungen läßt nicht das Mitbestimmungsrecht entfallen, sondern beschränkt lediglich die möglichen Varianten der Mitbestimmung. M i t b e stimmung und Betriebsvereinbarung bilden keine Einheit. A u c h methodisch überzeugen die Überlegungen der Vorrangtheorie nicht. Lex specialis kann ein Rechtssatz nur sein, wenn er neben den Tatbestandsmerkmalen des allgemeinen Rechtssatzes ein weiteres Element enthält und die Rechtsfolgen der N o r m e n nicht kompatibel sind. 153 Es kann keine Rede davon sein, daß § 87 Abs. 1 B e t r V G die Tatbestandsmerkmale des § 77 Abs. 3 B e t r V G deckungsgleich enthält und § 87 Abs. 1 B e t r V G ein zusätzliches Merkmal vorgibt. Es handelt sich nicht um eine Norminterdependenz in der Art von zwei Kreisen, wobei der eine den anderen vollständig umschließt. 1 5 4 Spezialität k o m m t also lediglich für den Überschneidungsbereich in Betracht. O b ein derartiger Kongruenzsektor existiert, hängt vom Sinn und Z w e c k der Vorschriften ab und davon, ob diese konfliktfrei verwirklicht werden können. D i e N o r m e n beziehen sich auf jeweils unterschiedliche Regelungsbereiche und verfolgen divergierende Zwecke: § 8 7 Abs. 1 B e t r V G dient (unmittelbar oder mittelbar) 1 5 5 dem Arbeitnehmerschutz, § 7 7 Abs. 3 B e t r V G bezweckt den Schutz der Tarifautonomie. D e r Z w e c k des § 87 Abs. 1
Ausführliche Argumentation bei BAG NZA 1987, 639ff. So zutreffend die überwiegende Auffassung, Adomeit, Regelungsabrede, S.66ff.; Fitting/ Kaiser/Heither/Engels, §77 Rn. 189, §87 Rn.550; Richardi, §77 BetrVG Rn.209; Galperin!Löwisch, § 77 Rn. 100, § 87 Rn. 36; BAG AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Regelungsabrede; AP Nr. 4 zu §615 BGB Kurzarbeit. 153 Larenz, Methodenlehre, S.266ff.; Ott, Methode, S.192ff.; Schmalz, Methodenlehre, Rn. 78ff.; Zippelius, Methodenlehre, S.33ff. 154 So treffend Wank, RdA 1991, 129, 134. 155 Vgl. in diesem Kapitel unter III 3 (S.502ff.). 151
152
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
BetrVG läßt sich realisieren, ohne die Intention des § 77 Abs. 3 BetrVG zu tangieren: Mitbestimmung kann nicht nur durch Betriebsvereinbarungen erfolgen. Es besteht deshalb kein Anlaß, die Tarifautonomie zu begrenzen. Die Koalitionsfreiheit ohne sachliche Notwendigkeit zu beschneiden, verbieten verfassungsrechtliche Erwägungen. § 77 Abs. 3 BetrVG schützt die tarifliche Normsetzung. Verfassungskonforme Interpretation bedeutet deshalb, § 87 Abs. 1 BetrVG nicht als lex specialis zu § 77 Abs. 3 BetrVG anzusehen. Der Schutz der Tarifautonomie geht der Mitbestimmung durch Betriebsvereinbarung vor. Art. 9 Abs. 3 G G schließt Mitbestimmung nicht aus, das Tarifsystem gewährleistet nicht als ausschließliche F o r m die F ö r d e r u n g der Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen. Betriebsverfassung u n d Koalitionsfreiheit stehen nebeneinander. Eine Beschränkung der Tarifautonomie ist allerdings n u r zulässig, »wenn diese im Prinzip erhalten u n d funktionsfähig bleibt.« 1 5 6 Anders als die Tarifautonomie - Art. 9 Abs. 3 G G intendiert und garantiert die a u t o n o m e Gestaltung des Arbeitslebens durch unabhängige Koalitionen - ist der Abschluß von Betriebsvereinbarungen im Grundgesetz nicht erwähnt. Zugunsten der Betriebsvereinbarung sprechen folglich unmittelbar keine verfassungsrechtlichen Abwägungselemente. Die betriebliche M i t b e s t i m m u n g ist verfassungsrechtlich nicht ausdrücklich garantiert. 1 5 7 Daran ändert es nichts, w e n n das Grundgesetz in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 G G die Betriebsverfassung nennt u n d mittels der K o m p e t e n z n o r m das Arbeitsrecht einschließlich der Betriebsverfassung der k o n k u r r i e r e n d e n Gesetzgebung zuweist. Darin ist in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 G G ) zwar eine Wertentscheidung der Verfassung zu sehen, die den Gesetzgeber legitimiert, ein Recht der Mitbestimm u n g zu schaffen. 1 5 8 Die bloße K o m p e t e n z z u w e i s u n g bleibt in ihrer Wertigkeit aber hinter der unmittelbaren grundrechtlichen A n e r k e n n u n g der Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 G G zurück. Die besondere Stellung der Koalitionsfreiheit u n d der durch sie gewährleisteten Tarifautonomie erfordern es, daß im Bereich tarifüblicher Regelungen f ü r die Tarifvertragsparteien ein Gestaltungsspielraum verbleibt. Eine potentielle Antinomie ist wegen Art. 9 Abs. 3 G G zugunsten der Koalitionsbetätigung aufzulösen.
Bestätigt wird diese Sichtweise durch die systematische Stellung des §77 Abs. 3 BetrVG im »allgemeinen Teil« des Mitbestimmungsrechts. Sie deutet darauf hin, daß § 77 Abs. 3 BetrVG die Zuständigkeit zu normativen Regeln für den gesamten Bereich der Mitbestimmung einheitlich bestimmt. 159 Des weiteren stützt die historische Auslegung diese Annahme. Hromadka hat nachgewiesen, daß die Entstehungsgeschichte des § 77 Abs. 3 BetrVG darauf hinweist, daß ein Nebeneinander von tariflicher bzw. tarifüblicher Regelung und Betriebsvereinbarung über denselben Regelungsgegenstand ausgeschlossen sein soll. Die Erfahrungen in der Weimarer Zeit haben gezeigt, daß manche Arbeitgeber das Auslaufen von Tarifverträgen dazu genutzt haben, um im Einvernehmen mit Betriebsräten insbesondere Arbeitszeitregelungen zu verschlechtern und sich anschließend weigerten, 156
BVerfGE 50, 290, 373. Jahnke, Tarifautonomie, S. 29ff.; Kreutz, Grenzen, S. 80; Söllner, RdA 1989,144,149; Waltermann, Rechtsetzung, S.59f.; BVerfGE 19, 303, 312f.; a.A. Däubler, Grundrecht, S.129ff., 157ff. (Art. 1 Abs. 1 GG); offen gelassen von Kirchhof, Rechtsetzung, S.513 Fn.40 a.E. 158 Richardi, Einl. BetrVG Rn. 38; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 7; Waltermann, Rechtsetzung, S.59f. 159 Vgl. Kraft, Festschrift für Molitor, S.207, 216; Wiese, SAE 1989, 6, 7. 157
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
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die Materie durch Tarifvertrag zu regeln.160 Diese Konkurrenz sollte durch §77 Abs. 3 BetrVG verhindert werden. Entstehungsgeschichte, Wortlaut, Systemzusammenhang und Normzweck sprechen gegen die Vorrangtheorie. §77 Abs. 3 BetrVG und §87 Abs. 1 BetrVG verfolgen unterschiedliche Ziele, die unabhängig voneinander bestehen; ein Vorrang des § 87 Abs. 1 BetrVG ist nicht feststellbar. § 77 Abs. 3 BetrVG gibt Schranken vor, die eine Regelung durch Betriebs Vereinbarung verhindern. §87 Abs. 1 BetrVG setzt demgegenüber der Mitbestimmung eine Grenze. 161 Existiert keine tarifliche Regelung im Sinne des § 87 Abs. 1 BetrVG 162 , hat der Betriebsrat bei den in §87 Abs. 1 BetrVG genannten Angelegenheiten mitzubestimmen. §77 Abs. 3 BetrVG schränkt das Mitbestimmungsrecht nicht ein. Die Vorschrift hat lediglich zur Folge, daß bei Tarifüblichkeit eine Regelung der mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit durch Betriebsvereinbarung ausgeschlossen ist. Zutreffend ist folglich die sogenannte Zwei-Schranken-Lehre, 163 deren Benennung aber mißverständlich ist: § 77 Abs. 3 BetrVG stellt die einzige Schranke dar, die einer Regelung von mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten durch Betriebsvereinbarungen im Wege steht. Ein anderes Ergebnis wäre möglicherweise dann in Betracht zu ziehen, wenn zugunsten einer Mitbestimmung durch Betriebsvereinbarung die verfassungsrechtlich verankerte Vertragsfreiheit streiten würde. In einem solchen Fall wären die Verfassungswerte Tarif- und Privatautonomie gegeneinander abzuwägen. So liegt es aber nicht, wie die folgenden Ausführungen zeigen. b) Das Verhältnis zur
Individualautonomie
Die Betriebsvereinbarung ist zwar Ausdruck der Selbstbestimmung des Arbeitgebers, nicht aber der der Arbeitnehmer. Trotz des identischen Begriffsbestandteils »Autonomie« handelt es sich bei der Betriebsautonomie nicht um eine spezifische Erscheinungsform der Vertragsautonomie der Arbeitnehmer. Diese Einordnung der Betriebsautonomie ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Die Betriebsautonomie ist als Institut des Privatrechts entstanden, um mit dem Betriebsrat einen betriebsinternen Gegenpol zur Stellung des Arbeitgebers zu schaffen und ihm mit der Betriebsvereinbarung eine Handlungsform zur Verfügung zu stellen, die eine individuelle Umsetzung der Abrede auf das konkrete Arbeitsver-
160
Hromadka, DB 1987, 1991, 1993. Waltermann, Rechtsetzung, S.296f. 162 Im Gegensatz zu §77 Abs. 3 BetrVG kommt es diesbezüglich auf Tarifgebundenheit an, wobei nach h. M. eine tarifliche Regelung bereits besteht, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist; zum Streitstand Glauhitz, in: HesslSchlochauerlGlaubitz, §87 Rn.55. 163 Hromadka, DB 1987, 1991, 1994; Kreutz, in: GK-BetrVG, §77 Rn.l20ff.; Kraft, Festschrift für Molitor, S. 207,213 ff.; Mo//, Tarifvorrang, S.34ff.; Walker, TAK 1996,353,357; Waltermann, Rechtsetzung, S.286ff.; ders., RdA 1996,129,138f.; Wank, RdA 1991,129,134ff.;Hess, in: Hess/Schlochauer/Glaubitz, §77 Rn. 136. 161
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im
Arbeitsrecht
hältnis erübrigt. 164 Die Arbeitnehmerseite wird in ihrer Gesamtheit zum mitgestaltenden Subjekt der Betriebsverfassung. Die Frage ist nun, inwieweit diese unmittelbare und zwingende Wirkungsweise (§ 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG) dem Grundsatz privatautonomer Selbstbestimmung genügt. Der Arbeitgeber wirkt an der Betriebsvereinbarung als Partei mit. Er hat als Individuum die Kompetenz, seine Rechtsbeziehungen zu anderen Privatrechtssubjekten durch private rechtsverbindliche Vereinbarungen im Konsens zu regeln. Die Betriebsvereinbarung wird von seinem unmittelbaren Willen getragen. Anders als beim Tarifvertrag - hier ist der Arbeitgeber nur beim Firmentarifvertrag unmittelbar eingebunden - stellt die Betriebsvereinbarung deshalb eine vom Arbeitgeber selbstbestimmte O r d n u n g dar. 165 D a r a n ä n d e r t auch d e r U m s t a n d nichts, daß d e r A r b e i t g e b e r stellenweise auf eine E i n i g u n g mit d e m Betriebsrat angewiesen ist, weil diese E i n i g u n g inhaltlich v o m Willen des A r b e i t gebers getragen w i r d . D i e betriebsverfassungsrechtlichen N o t w e n d i g k e i t e n errichten f ü r d e n A r b e i t g e b e r keine F r e m d b e s t i m m u n g s o r d n u n g , s o n d e r n d i e n e n d e r Sicherung u n d E f f e k t u i e r u n g der M i t g e s t a l t u n g s k o m p e t e n z d e r A r b e i t n e h m e r v e r t r e t u n g . ' 6 6 E i n e n A u s n a h mefall stellt d e r S p r u c h der Einigungsstelle dar, der d e n C h a r a k t e r einer Betriebsvereinbar u n g h a b e n k a n n , vgl. § 77 A b s . 2 S. 2, § 112 A b s . 1 S. 3 B e t r V G . D e r S p r u c h d e r E i n i g u n g s stelle beschneidet z w a r u n t e r U m s t ä n d e n die k o m p e t e n t i e l l e Freiheit des A r b e i t g e b e r s u n d stellt deshalb einen F r e m d b e s t i m m u n g s f a k t o r dar, dies ist aber aus d e r F u n k t i o n des Einigungsstellenverfahrens gerechtfertigt u n d nicht t y p i s c h f ü r die Betriebsvereinbarung. Sind V e r h a n d l u n g e n z w i s c h e n A r b e i t g e b e r u n d Betriebsrat (§ 74 A b s . 1 S. 1 B e t r V G ) ergebnislos verlaufen, gibt § 76 B e t r V G die B i l d u n g einer betrieblichen Stelle z u r Streitschlichtung vor. D i e Einigungsstelle hat ihre E n t s c h e i d u n g u n t e r angemessener B e r ü c k s i c h t i g u n g d e r Belange beider Seiten zu t r e f f e n (§ 76 A b s . 5 S. 3 B e t r V G ) , u n d die E n t s c h e i d u n g unterliegt der gerichtlichen K o n t r o l l e . Bei § 76 B e t r V G h a n d e l t es sich deshalb u m eine v e r f a s s u n g s k o n f o r m e gesetzliche A u s g e s t a l t u n g d e r Betriebsverfassung, welche die G r u n d r e c h t s p o s i t i o n des A r b e i t g e b e r s nicht u n v e r h ä l t n i s m ä ß i g einschränkt. 1 6 7 V o n dieser gesetzlich v o r g e s e h e n e n S o n d e r k o n s t e l l a t i o n abgesehen, stellt sich die B e t r i e b s v e r e i n b a r u n g auf Seiten des A r beitgebers als mit der Vertragsfreiheit im E i n k l a n g stehende s e l b s t b e s t i m m t e Ausgestalt u n g im Wege des K o n s e n s e s dar.
Vergleichbar liegt es auf Seiten des Betriebsrates. U m seine Vorstellungen in die Tat umsetzen zu können, ist er auf eine Einigung mit dem Arbeitgeber angewiesen. Hinsichtlich der Begründung einer Betriebsvereinbarung ist er in seiner Entscheidungsfreiheit grundsätzlich nicht begrenzt. Seine Beteiligung am Entstehungsakt der Betriebsvereinbarung stellt sich im Sinne der Kollektivautonomie als dem Prinzip der Vertragsfreiheit genügende selbstbestimmte Gestaltung dar. Der Arbeitnehmer als Individuum ist hingegen an der Betriebsvereinbarung nicht beteiligt: Der Betriebsrat wird in eigenem N a m e n und aus eigener gesetzlich fundierter Kompetenz tätig. Parteien der Betriebsvereinbarung sind Arbeitgeber und 164
Instruktiv zur historischen Entwicklung der Betriebsvereinbarung Waltermann, zung, S. 69ff. 165 Vgl. BVerfGE 73, 261, 271 f. 166 Waltermann, Rechtsetzung, S. 85f. 167 Vgl. BVerfG N Z A 1988, 25; N Z A 1986, 199.
Rechtset-
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
531
Betriebsrat. 1 6 8 Beziehen sich die Regelungen der Betriebsvereinbarung auf die A r beitnehmer des Betriebes, divergieren also Regelungsurheber und Regelungsadressat. Dies anders zu sehen und die Belegschaft als solche oder die einzelnen Arbeitnehmer in ihrer betrieblichen Verbundenheit als originäre Vertragspartner des Arbeitgebers einzustufen, 1 6 9 wird den gesetzlichen Vorgaben im B e t r V G nicht gerecht. Das B e t r V G weist dem Betriebsrat selbst Rechte und Pflichten zu, die dieser zwar im gesetzlich objektivierten Solidarinteresse der Belegschaft, aber gleichwohl originär ausübt. Das Tätigwerden des Betriebsrats kann der Belegschaft auf der Entstehungsebene nicht zugerechnet werden. 1 7 0 Gegenüber den Arbeitnehmern gilt eine Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 4 S. 1 B e t r V G unmittelbar und zwingend. Erfaßt sind mithin auch die Arbeitnehmer, welche den Inhalt der Betriebsvereinbarung mißbilligen. D i e innerbetriebliche Kollektivautonomie führt dazu, daß der Individualwille v o m Kollektivwillen verdrängt wird. A n die Stelle der individuellen Vertragsfreiheit tritt die von der Mehrheit getragene kollektive Vertragsfreiheit. O b diese Uberlagerung des E i n zelwillens durch eine kollektiv ausgeformte Willensbildung Ausdruck der Vertragsfreiheit ist, hängt von vielfältigen Aspekten ab. Allein der Umstand, daß der Adressat der Regelbildung nicht unmittelbar beteiligt ist, führt nicht zwangsweise zu einer Fremdbestimmungsordnung. So errichten beispielsweise Verträge, die im Zuge der Stellvertretung abgeschlossen werden, keine Fremdbestimmungsordnung; sie haben ihren Geltungsgrund in der Privatautonomie. A u c h die B e triebsvereinbarung könnte also auf einem willentlichen Einverständnis der A r beitnehmer mit der Tätigkeit des Betriebsrats beruhen und damit privatautonom gerechtfertigt sein. Eine selbstbestimmte, auf eine willentliche Akzeptanz der Geltung zurückzuführende Unterwerfung unter die Betriebsvereinbarung würde eine solche z u m Institut der Vertragsfreiheit machen. D e m ist aber nicht so. Das zeigt sich bereits daran, daß der Arbeitnehmer sich auch auf ausdrücklichen Wunsch nicht der G e l tung einer Betriebsvereinbarung entziehen kann. Betriebsvereinbarungen wirken unabhängig von vertraglichen Abreden kraft gesetzlicher Anordnung in § 7 7 Abs. 4 S. 1 B e t r V G . D e r Eintritt in den Betrieb durch Abschluß des Arbeitsvertrages bedeutet keine Übertragung des Selbstbestimmungsrechts. 1 7 1 Es handelt sich nicht um eine freiwillige Unterwerfung unter ein Reglement, wie es beim Eintritt in einen Verein der Fall ist. D e r Arbeitnehmer wird durch den Arbeitsvertrag nicht Mitglied eines Betriebsverbandes, sondern er wird lediglich faktisch A n g e 168 Fitting/Kaiser!Heither!Engels, §77 Rn.13, 18; Richardi, §77 BetrVG Rn.30; Säcker, Gruppenautonomie, S. 341; Waltermann, Rechtsetzung, S. 139. 169 Vgl. Quasten, Zulässigkeit, S.36; Strasser, Betriebsvereinbarung, S. 108. 170 Eingehend Kreutz, Grenzen, S. 17ff., 30ff. 171 Biedenkopf, Grenzen, S. 298; Kirchhof, Rechtsetzung, S.93f.; Konzen, ZfA 1985,469, 485; Kreutz, Grenzen, S. 64ff.; Waltermann, Rechtsetzung, S. 89f.; a.A. diejenigen, welche die Betriebsverfassung als Verfassung eines auf der Grundlage freiwilliger Mitgliedschaft errichteten Verbandes ansehen, vgl. Reuter, RdA 1991, 193ff.; Nebel, Normen, S. 124ff.; Meyer-Cording, Rechtsnormen, S. 101 ff.
532
4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
höriger der Belegschaft. D e r Arbeitnehmer ist anders als beim Verein nicht mit den Entscheidungen Dritter einverstanden. D i e Beteiligung des Arbeitnehmers an der Wahl des Betriebsrats rechtfertigt ebenfalls keine gegenteilige Einschätzung. A u c h der Arbeitnehmer, der sich nicht an der Betriebsratswahl beteiligt, wird durch Betriebsvereinbarungen gebunden. Selbst dann, wenn der Arbeitnehmer an der Wahl teilnimmt, führt dies nicht zu einer der Stellvertretung vergleichbaren Delegation des Selbstbestimmungsrechts. D e r Arbeitnehmer als Einzelsubjekt überträgt die Entscheidungsfreiheit nicht auf ein bestimmtes Gremium. D e n n er hat weder maßgeblichen Einfluß auf die Zusammensetzung des Betriebsrats, noch kann er dem Betriebsrat nach seinen Vorstellungen Vorgaben für die Ausübung des Repräsentationsauftrages machen. Im Gegensatz zu den Stellvertretungsfällen überträgt der einzelne Arbeitnehmer durch die Wahl seine Selbstbestimmungskompetenz nicht auf ein konkretes, von ihm bestimmtes Rechtssubjekt: Die Betriebsratswahl wird - unabhängig davon, ob eine Gruppenwahl oder eine gemeinsame Wahl stattfindet - grundsätzlich nach den Regeln der Verhältniswahl durchgeführt. Wird für einen Wahlgang lediglich ein Wahlvorschlag eingereicht oder ist nur ein Betriebsratsmitglied für den Betrieb oder bei einer Gruppenwahl für eine Gruppe zu wählen, gelten nach § 14 Abs. 3 , 4 BetrVG die Grundsätze der Mehrheitswahl. Die Verhältniswahl erfolgt als Listenwahl, das heißt, es wird über Vorschlagslisten abgestimmt, die beim Wahlvorstand eingereicht und von diesem als gültig anerkannt sind (§6 WahlO). Der Wähler kann seine Stimme nur für eine Vorschlagsliste abgeben (§11 WahlO); unzulässig ist es, bestimmte, aus der Vorschlagsliste aufgeführte Kandidaten zu streichen oder die Reihenfolge der Listenbewerber abzuändern. D i e Betriebsratswahl hat aus diesen Gründen nicht die Funktion, das Selbstbestimmungsrecht auf den Betriebsrat zu übertragen. 1 7 2 D i e Wahl dient vielmehr dazu, die Arbeit des Betriebsrats demokratisch zu legitimieren und durch eine kollektive Mehrheit abzusichern. Eine Delegation der individuellen Vertragsfreiheit ist mit der Betriebsratswahl nicht verbunden. D i e Betriebsvereinbarung enthält keine subjektiven R e c h t e und Pflichten; sie setzt objektives Recht, das sich - sieht man v o m Anwendungsbereich des G ü n stigkeitsprinzips ab - gegen den Willen des einzelnen Arbeitnehmers durchsetzt. D i e mit der Betriebsvereinbarung vorgegebenen Regeln sind v o m Willen des B e triebsrats und des Arbeitgebers getragen, aber unabhängig v o m Willen der betroffenen Arbeitnehmer. Es handelt sich u m ein in seiner Wirkung auf das Individualarbeitsverhältnis heteronomes Regelwerk, das dem Individualvertrag konträr gegenübersteht und der Vertragsfreiheit eine G r e n z e zieht. D e r Vertrag ist das E r gebnis eines gezielten Einvernehmens und bindet individuell; die durch ihn geschaffene O r d n u n g ist selbstbestimmte O r d n u n g . Vertragsfreiheit bezeichnet eine durch die Rechtsordnung anerkannte Bindungsbefugnis der einzelnen Personen. Die Betriebsvereinbarung stellt demgegenüber einen v o m Staat abgeleiteten Normenvertrag dar. Die in der Betriebsvereinbarung niedergelegten Regelungen
172
S.91f.
Kreutz, Grenzen, S. 66ff.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 317; Waltermann, Rechtsetzung,
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
533
können deshalb als Rechtsnormen bezeichnet werden. 1 7 3 Die Betriebsvereinbarung errichtet im Verhältnis zu den Arbeitnehmern eine Fremdbestimmungsordnung; ihr liegt kein A k t der Selbstbestimmung der Arbeitnehmer zugrunde. 1 7 4 D i e Betriebsvereinbarung verköpert also eine bipolare Rechtsfigur: In ihrer Entstehung stellt sie ein Rechtsgeschäft dar. Sie wird durch Willenserklärungen des Arbeitgebers und des Betriebsrats geschlossen; der Konsens trägt den A b schluß der Betriebsvereinbarung. Als Vertrag erfordert die Betriebsvereinbarung korrespondierende Willenserklärungen v o m Betriebsrat und Arbeitgeber. H i n sichtlich des Entstehungsaktes ist die Betriebsvereinbarung also Ausdruck der Vertragsfreiheit von Arbeitgeber und Betriebsrat. 1 7 5 Die heute überwiegend vertretene Auffassung qualifiziert den Begründungsakt entgegen der mißverständlichen Uberschrift und dem Wortlaut von § 77 Abs. 2 S. 1 BetrVG zu Recht als privatrechtlichen kollektiven Normenvertrag. Dies entspricht der Aufgabe der Betriebsvereinbarung, das Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch innerbetriebliche Mitbestimmung auszubalancieren. Ein Mittel des paritätischen Ausgleichs ist der Vertrag. Er ermöglicht, das Selbstbestimmungsrecht des Arbeitgebers und des Betriebsrats in ein vom Konsens getragenes Regelwerk umzusetzen. Die Betriebsvereinbarung ist deshalb nicht als autonome Satzung anzusehen, die vergleichbar den öffentlich-rechtlichen Satzungen durch parallele Beschlüsse des Arbeitgebers und des Betriebsrats zustande kommt. 176 Nicht zu folgen ist demnach insbesondere Reuter, der in neuerer Zeit, ausgehend von seiner These des Betriebsverbandes, die Betriebsvereinbarung als Betriebssatzung qualifiziert. 177 Arbeitgeber und Arbeitnehmer bilden keinen Verband, sondern verfolgen ihre spezifischen Interessen; sie stellen keine Organe eines übergeordneten, einem Zwei-Kammer-System vergleichbaren Betriebsverbandes dar. Daran ändern auch § 2 Abs. 1 und § 74 Abs. 1 BetrVG nichts. Sie geben allein die Rahmenbedingungen für ein Tätigwerden vor, verbinden die Betriebspartner aber nicht zu einem Organ eines mitgliedschaftlich strukturierten Betriebsverbandes. Zwar folgt der Begründungsakt auf kollektiver E b e n e den Regeln der Privatautonomie, seine Wirkung beschränkt sich aber nicht auf die Beteiligten, sondern erfaßt als objektives R e c h t die Arbeitnehmer, unabhängig von deren Willen. D i e Betriebsvereinbarung formiert eine Fremdbestimmungsordnung.
Betriebsver-
173 Fastrich, Inhaltskontrolle, S.205; Kirchhof, Rechtsetzung, S.212ff.; Säcker, Gruppenautonomie, S.386; BAG (GS) AP Nr. 17 zu §77 BetrVG 1972. 174 Heinze, NZA 1989, 41, 42; Kreutz, Grenzen, S.74; Richardi, Kollektivgewalt, S.309ff.; Waltermann, Rechtsetzung, S. 98. 175 Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 77 Rn. 13; "Waltermann, Rechtsetzung, S. 97f.; ders., NZA 1995, 1177, 1179ff.; GalperinILöwisch, §77 Rn.6; Hess, in: Hess/Schlochauer/Glaubitz, §77 Rn.5; Kreutz, in: GK-BetrVG, §77 Rn.31; Matthes, in: Münch. Hdb. z. ArbR 3, §319 Rn.l; BAG (GS) NZA 1987, 168; enger die Vereinbarungstheorie, wonach anstelle sich ergänzender parallel gerichtete Willenserklärungen den Begründungsakt bilden, so Dietz, Festschrift für Sitzler, S. 131, 137f. 176 Für die Qualifikation als Satzung vor allem Herschel, RdA 1956,161, 168; modifizierend die Beschlußlehre, welche die Rechtsnatur der Betriebsvereinbarung mit dem kollektivrechtlichen Begriff des Beschlusses zu erklären versucht, vgl. Adomeit, BB 1962,1246,1248; Bogs, RdA 1956, 1, 5. 177 Reuter, ZfA 1995,1, 67; ZfA 1993, 221,226ff.; RdA 1991,193,197ff.; zustimmend Nebel, Normen, S. 162 ff.
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
einbarungen stellen im Verhältnis zu den Arbeitnehmern ein normatives, heteronomes Regelwerk auf. c)
Billigkeitskontrolle
D i e Betriebsvereinbarung findet ihre Geltungsgrundlage nicht in der privatauton o m e n Selbstbestimmung der Arbeitnehmer. Errichtet die Betriebsvereinbarung eine Fremdbestimmungsordnung, wird damit die Frage bedeutsam, in welchem Verhältnis Betriebsautonomie und individuelle Vertragsfreiheit stehen, vor allem welche G r e n z e n der Betriebsvereinbarung gezogen sind. Angesprochen ist damit das vieldiskutierte Problem der Reichweite der Betriebsautonomie. D i e Betriebsvereinbarung ist an zwingende gesetzliche Vorgaben gebunden. Das bedeutet, daß sich Betriebsvereinbarungen innerhalb des insbesondere durch § 1 3 4 B G B und § 1 3 8 B G B gesteckten Rahmens zu bewegen haben. N e b e n dieser Rechtskontrolle nimmt die Rechtsprechung eine sogenannte Billigkeitskontrolle vor, ohne allerdings die dogmatische Grundlage oder Kriterien zu Inhalt oder M a ß stab dieser Prüfung im einzelnen festgelegt zu haben. 1 7 8 A u f die in der Literatur 1 7 9 geäußerte Kritik an der mißglückten Terminologie der Billigkeitskontrolle hat das B A G nun reagiert, indem es in Entscheidungen über ablösende Betriebsvereinbarungen im R e c h t der betrieblichen Altersversorgung die (ebenfalls fragwürdige) Differenzierung zwischen einer »abstrakten« und einer »konkreten Billigkeitskontrolle« vornimmt. 1 8 0 Mit abstrakter Billigkeitskontrolle wird eine K o n trolle anhand allgemeiner Maßstäbe bezeichnet, während die konkrete sich nach der Rechtsprechung auf die Prüfung bezieht, o b im Einzelfall unbillige Härten bestehen. 1 8 1 aa) Sogenannte
konkrete
Billigkeitskontrolle
Billigkeit als Maßstab für die Verwirklichung von Gerechtigkeit im Einzelfall ist als Beurteilungskriterium für die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung ungeeignet. Betriebsvereinbarungen gelten für alle Arbeitnehmer des Betriebes. D e r kollektive Charakter erlaubt lediglich eine Prüfung anhand eines generalisierendabstrakten Maßstabs. Einer Betriebsvereinbarung kann nicht deshalb die W i r k samkeit versagt werden, weil sie möglicherweise unter besonderen atypischen Umständen individuell unbillig ist. 182 Konkret-individuellen Mißständen ist nicht im Wege einer Wirksamkeitskontrolle zu begegnen, sondern gegebenenfalls 178 Seit der Entscheidung des BAG vom 30.1. 1970 (AP Nr. 142 zu §242 BGB Ruhegehalt) ständige Rechtsprechung, siehe nur BAG AP Nr. 138 zu §611 BGB Gratifikation; AP Nr.2 zu §620 BGB Altersgrenze; AP Nr. 9 zu §1 BetrAVG Ablösung. 179 Vgl. Blomeyer, DB 1984, 926, 927; Hanau/Preis, RdA 1988, 65, 77; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 161 ff. 180 BAG AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskasse; AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Ablösung. 181 BAG SAE 1983, 191ff.; BB 1992, 860ff.; BB 1991, 2161ff. 182 Hromadka, SAE 1984, 330, 331; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S.163; Kallrath, Kontrolle, S. 170.
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
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im R a h m e n der N o r m a n w e n d u n g , also der Ausübungskontrolle. 1 8 3 Eine k o n k r e te Billigkeitskontrolle der Betriebsvereinbarung selbst ist dem Gericht verwehrt. Werden aus einer Betriebsvereinbarung abgeleitete Rechte im konkreten Fall mißbräuchlich geltend gemacht, ist diese Ausübung unter Umständen G e g e n stand einer Ausübungskontrolle gemäß § 2 4 2 B G B . 1 8 4 bb) Sogenannte
abstrakte
Billigkeitskontrolle
Soweit das B A G mit dem Begriff der Billigkeitskontrolle nicht eine Einzelfallprüfung meint, sondern eine »allgemeine Kontrolle der Betriebsvereinbarung« vornimmt, fehlt es - soweit das B A G über die zwingenden gesetzlichen Vorgaben hinausgeht - an einer gesetzlichen Legitimation. § 75 Abs. 1 B e t r V G , der von der Rechtsprechung als dogmatische Grundlage genannt wird, 1 8 5 kann nicht herangezogen werden. § 75 Abs. 1 B e t r V G gibt keine Befugnis zur gerichtlichen Prüfung einer Betriebsvereinbarung, sondern enthält die Verpflichtung der Betriebspartner, alle im Betrieb tätigen Personen nach den Gründsätzen von » R e c h t und Billigkeit« zu behandeln. D i e Vorschrift trägt eine gerichtliche Kontrolle sachlich nur dort, w o konkrete Rechtsnormen die Betriebspartner binden und den H i n weis inhaltlich ausfüllen. § 75 Abs. 1 B e t r V G rechtfertigt für sich genommen keine Billigkeitskontrolle. Vielmehr kann die N o r m nur dann (ergänzend) herangezogen werden, wenn sich aus einer eigenständigen Vorschrift ableiten läßt, daß die Regelungsmacht der Betriebspartner an bestimmte rechtliche Grundsätze gebunden ist. 1 8 6 Ebensowenig läßt sich aus § 76 Abs. 5 S. 3, 4 B e t r V G die gerichtliche K o m p e tenz einer Billigkeitskontrolle herleiten. D i e Vorschrift eröffnet lediglich eine E r messenskontrolle für verbindliche Sprüche der Einigungsstelle bei Entscheidungen in Regelungsstreitigkeiten. Ein verallgemeinerungsfähiger, eine abstrakte Billigkeitskontrolle legitimierender Gedanke läßt sich § 7 6 Abs. 5 S . 3 , 4 B e t r V G nicht entnehmen. D i e N o r m reagiert vielmehr auf Besonderheiten des Einigungsstellenverfahrens: 1 8 7 D e r Spruch der Einigungsstelle beruht nicht auf der willentlichen Selbstbestimmung der Betriebspartner, sondern auf dem Entschluß einer dritten Seite, der sich Betriebsrat und Arbeitgeber zu beugen haben. 1 8 8 Wenn der Spruch der Einigungsstelle nicht in Ausübung der Vertragsfreiheit zustande-
Fastrich, Inhaltskontrolle, S.204; Zöllner, RdA 1989, 152, 161f. Zum Verhältnis von Billigkeits- und Ausübungskontrolle im 6. Kapitel (S.304ff.); Überblick zu den Varianten der Ausübungskontrolle im 9. Kapitel (S. 397ff.). 185 BAG AP Nr. 18 zu §611 BGB Anwesenheitsprämie; AP Nr. 138 zu §611 BGB Gratifikation. 186 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 204; Hromadka, SAE 1984,330,331; Kreutz, in: GK-BetrVG, §77 Rn.263; Söllner, Leistungsbestimmung, S. 117; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 161 ff.; Kallrath, Kontrolle, S. 176; a.A. Löwisch, DB 1983, 1709, 1712. 187 Gleiches gilt für § 112 Abs. 5 BetrVG, der sich ebenfalls nicht auf den Vereinbarungstatbestand bezieht, sondern nur der Einigungsstelle bei Errichtung eines Sozialplans Richtlinien vorgibt. 188 Dazu bereits in diesem Kapitel unter V 3b (S. 530). 183
184
536
4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
k o m m t , ist hier deshalb eine Kontrolle auf Ermessensfehler angezeigt. § 76 Abs. 5 S. 4 B e t r V G stellt damit eine U m s e t z u n g des allgemeinen Rechtsgedankens dar, daß im Falle einer Leistungsbestimmung durch Dritte in der Regel eine gerichtliche Prüfungsmöglichkeit offensteht. 1 8 9 Bei frei ausgehandelten Betriebsvereinbarungen, die dem Grundsatz der Vertragsfreiheit folgend v o m Konsens der B e triebspartner getragen sind, besteht keine Notwendigkeit für eine Ermessenskontrolle. 1 9 0 Eine Billigkeitskontrolle läßt sich auch durch einen Hinweis auf § § 3 1 5 f f . B G B nicht begründen. D i e Gestaltungsfreiheit der Betriebspartner ist einem Leistungsbestimmungsrecht eines Vertragsteils oder eines Dritten nicht vergleichbar. § 3 1 5 B G B läßt sich entgegen der Ansicht des B A G nicht als Ausdruck einer gesetzlich allgemein anerkannten Billigkeitskontrolle deuten. 191 Im Ergebnis ist deshalb festzuhalten: Soweit das B A G unter der Terminologie »abstrakte Billigkeitskontrolle« eine Prüfung anhand der gesetzlich zwingend ausgeformten N o r m e n meint, ist der Begriff mißverständlich gewählt. Soweit das B A G eine weitere materielle Wirksamkeitsschranke aufbaut, ist diese mangels rechtlicher Legitimation abzulehnen. Auch die gerichtliche Kontrolle von B e triebsvereinbarungen hat sich in die Kontrollsystematik des Zivilrechts 1 9 2 einzufügen. Betriebsvereinbarungen unterliegen keiner generellen gerichtlichen Billigkeitskontrolle. d)
Angemessenheitskontrolle
aa) Die Sichtweise der
Rechtsprechung
Das B A G verwendet neben der Terminologie der Billigkeitskontrolle auch den Begriff der gerichtlichen Inhaltskontrolle von Betriebsvereinbarungen. 1 9 3 D e r Begriff ist mißverständlich, weil er nicht zu erkennen gibt, welcher A r t die richterliche Prüfung ist. 194 D e r Terminus »Inhaltskontrolle« erfaßt jede inhaltsbezogene Uberprüfung, sei es auf Gesetzeswidrigkeit, Sittenwidrigkeit oder Unangemessenheit; fest steht nur, daß es sich um eine inhaltsbezogene Kontrolle handelt. 195 Stellenweise hat das B A G auch hier den Begriff als S y n o n y m für eine Uberprüfung anhand zwingender rechtlicher Vorgaben gewählt und dies teilwei-
189 In diese Richtung Hammen, RdA 21,24-,v.Hoyningen-Huene,BB 1992,1640,1642; Kallrath, Kontrolle, S. 184ff. Allgemein dazu im 6. Kapitel (S.306ff.). 190 Kreutz weist zutreffend darauf hin, daß dem Gericht durch § 76 Abs. 5 S. 4 BetrVG nicht die Kompetenz zu einer inhaltlich unbegrenzten Billigkeitskontrolle eröffnet wird, zu prüfen ist die Einhaltung der Ermessensgrenzen, GK-BetrVG, §77 Rn.263. 191 Staudinger/Mayer-Maly, §315 BGB Rn.46; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 163; Kreutz, in: GK-BetrVG, §77 Rn.262; a.A. BAG AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Ablösung. 192 Uberblick im 6. Kapitel (S. 223ff.), speziell zum Inhalt der Billigkeitskontrolle auf S. 306ff. 193 Vgl. BAG AP Nr. 138 zu §611 BGB Gratifikation; AP Nr. 142 zu §242 BGB Ruhegehalt. 194 Die unklare Terminologie beklagen auch Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 6, 166ff.; Hildebrandt, Disparität, S.4f.; Preis, Grundfragen, S. 148. Vgl. dazu auch im 6. Kapitel (S.301). 195 Näher im 6. Kapitel (S.301) sowie auch v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 128f.
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
537
se auch ausdrücklich klargestellt. 1 9 6 Gleichwohl reklamiert das B A G für Betriebsvereinbarungen einen verschärften Prüfungsmaßstab, begründet diesen der Sache nach mit den für eine Angemessenheitskontrolle entwickelten Kriterien und prüft insbesondere Jahressonderleistungen und Sozialplanregelungen auf ihre Angemessenheit. 1 9 7 Das B A G geht von der These aus, daß eine Angemessenheitskontrolle zur Kompensation einer gestörten Vertragsparität der Betriebspartner erforderlich sei. Es weist darauf hin, daß - anders als beim Tarifvertrag, der von gleichberechtigten Partnern abgeschlossen wird, - die Mitglieder des Betriebsrats als Arbeitnehmer v o m Arbeitgeber abhängig seien und dem Betriebsrat nicht die Machtmittel der Gewerkschaft, insbesondere das Streikrecht, zur Verfügung stünden. 1 9 8
bb)
Stellungnahme
D i e Richtigkeit dieser Rechtsprechung hängt davon ab, ob die Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber aus generell-abstrakter Perspektive die Gefahr einer mißbräuchlichen Ausnutzung einseitiger Gestaltungsmacht birgt. 1 9 9 Regelmäßig führt der Konsens der Vertragsparteien zu einem angemessenen Interessenausgleich. I m Normalfall besteht kein Anlaß, als Korrektiv des selbstbestimmten und selbstverantworteten Vertragsinhalts eine gerichtliche Kontrolle zuzulassen. Dies verbietet der Respekt der Rechtsordnung vor dem willentlich gewählten Regelungskomplex. Angemessenheitskontrolle ist die Ausnahme von dieser R e gel. Sie knüpft regelmäßig an eine typischerweise mißbräuchliche Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit an. Voraussetzung ist also, daß der Vertragsmechanismus in einem bestimmten Bereich generell und nicht nur im Einzelfall gestört ist. 2 0 0 Das Funktionsdefizit der Vertragsfreiheit kann sich aus vielfältigen U m ständen ergeben. Monokausale Erklärungsversuche der Vertragskontrolle haben sich als nicht tragfähig erwiesen. 2 0 1 N u r das je nach Konstellation unterschiedliche Zusammenspiel jeweils verschiedener K o m p o n e n t e n vermag Vertragskontrolle zu rechtfertigen. D i e Frage ist, ob den Parteien einer Betriebsvereinbarung nahezu die gleichen C h a n c e n eröffnet sind, ihre Interessen durchzusetzen, oder ob Vertragsfreiheit typischerweise einseitig in Anspruch genommen wird. 2 0 2 D i e Zulässigkeit einer Angemessenheitskontrolle von Betriebsvereinbarungen hängt infolgedessen davon ab, o b zwischen den Betriebspartnern eine typischerweise
BAG BB 1992, 860ff.; BB 1991, 2161 ff.; AP Nr. 18 zu §611 BGB Anwesenheitsprämie. BAG AP Nr. 14 zu § 112 BetrVG 1972; AP Nr. 138 zu § 611 BGB Gratifikation. 198 BAG AP Nr. 138 zu § 611 BGB Gratifikation (unter 3e); AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt (unter B IV 3b); AP Nr.63 zu §611 BGB Gratifikation; AP Nr.84zu§611 BGB Gratifikation (unter 3c). 199 Allgemein zur Zielrichtung der Angemessenheitsprüfung im 10. Kapitel (S.426ff.). 200 Siehe das 10. Kapitel (S.426ff.) sowie Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 15f.; Dieterich, RdA 1995, 129, 131; Fastrich, RdA 1997, 65, 67f.; Hildebrandt, Disparität, S. 87ff. 201 Vgl. das 5. Kapitel (S. 190ff.). 202 Dazu bereits im 10. Kapitel (S. 426ff.); vgl. auch Buchner, RdA 1986, 7,14; Richardi, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes, S.537, 564f. 196 197
538
4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
gestörte Machtbalance die Selbstregulierung der privatautonomen Gestaltung derart behindert, daß eine Seite den Inhalt des Klauselwerkes einseitig bestimmen kann und deshalb als Kompensationsinstrument auf die Angemessenheitskontrolle zurückzugreifen ist. Die Legitimation einer Angemessenheitskontrolle hängt davon ab, ob Vertragsfreiheit einseitig in Anspruch genommen wird. 203 Entscheidend ist daher, ob ein Betriebsrat im allgemeinen die Durchsetzungsfähigkeit besitzt, um als gleichberechtigter Partner den Inhalt einer Betriebsvereinbarung mitzugestalten. Die Entscheidungsfreiheit der Betriebsratsmitglieder gewährleisten besondere Schutznormen. 204 § 15 Abs. 1 S. 1 BetrVG erklärt eine ordentliche Kündigung der Betriebsratsmitglieder für unzulässig, § 103 Abs. 1 BetrVG macht eine außerordentliche Kündigung von der Zustimmung des Betriebsrats abhängig. §78 BetrVG schützt den Betriebsrat allgemein vor Störungen und Behinderungen seiner Tätigkeit. Die Verhandlungsposition des Betriebsrats wird gestärkt durch die Mitbestimmungstatbestände, insbesondere § 87 Abs. 1 BetrVG. 205 Diese gesetzlichen Vorkehrungen sprechen gegen die Möglichkeit des Arbeitgebers, Gestaltungsfreiheit einseitig auszuüben. Des weiteren liegt dem Betriebsverfassungsgesetz in seiner Gesamtheit der Gedanke zugrunde, daß die betriebliche Ordnung von beiden Seiten als gleichberechtigte Partner gestaltet wird. 206 Der Gesetzgeber vertraut dort, wo er bestimmte Regelungsbereiche ausdrücklich der Eigenverantwortung der Betriebsparteien überlassen hat, auf die rechtliche Vertretbarkeit der Ergebnisse. Würde man die vom Konsens getragene Regelung einer gerichtlichen Prüfung ihrer Angemessenheit unterziehen, würde dies ein Mißtrauen in die Fähigkeit der Betriebspartner zum Abschluß von Betriebsvereinbarungen ausdrükken. Letztlich hieße das, das Grundkonzept der betrieblichen Mitbestimmung und die Beteiligungsbefugnisse des Betriebsrats an der Gestaltung der betrieblichen Ordnung in Zweifel zu ziehen und damit im Ergebnis den Sinn und Zweck des Betriebsverfassungsrechts selbst in Frage zu stellen.207 Die Mitbestimmung würde »ad absurdum« geführt, wenn sie unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Angemessenheitsprüfung stünde. 208 Die gesetzliche Wertung spricht gegen eine Angemessenheitsprüfung. Der Hinweis des BAG auf das fehlende Streikrecht ist zwar gemäß § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG zutreffend, überzeugt aber gleichwohl nicht. Das Betriebsverfassungsrecht geht nicht davon aus, daß Regelungen im Rahmen einer Auseinandersetzung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber erkämpft werden. Nach §2 Abs. 1 BetrVG gilt das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Es schließt den 203
Vgl. das 10. Kapitel (S.426ff.). A.A. BAG AP Nr.63 zu §611 BGB Gratifikation. 205 Vgl. Jobs, AuR 1986, 147, 148. 206 Kreutz, ZfA 1975, 65, 78f.; Matthes, in: Münch. Hdb. z. ArbR 3, §319 Rn. 80; Hromadka, SAE 1984, 330, 332; Reuter, ZfA 1995, 1, 59. 207 V. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 165; ders., BB 1992, 1640, 1642; Kreutz, 7AK 1975, 65, 78. Vgl. allgemein in diesem Kapitel, S. 500ff., 529ff. 208 v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 165. 204
12. Kapitel: Die Reichweite der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
539
Gebrauch von Arbeitskampfmitteln aus. Hinzu kommt, daß auch dem Arbeitgeber Arbeitskampfmittel nicht zur Verfügung stehen, er aber unter Umständen auf eine Einigung mit dem Betriebsrat angewiesen ist. §87 Abs. 1 BetrVG macht innerhalb seines Anwendungsbereichs eine Entscheidung des Arbeitgebers gegen den Willen des Betriebsrats unmöglich; der Arbeitgeber ist im Grundsatz von einer vom beiderseitigen Willen getragenen Regelung abhängig. Diese Notwendigkeit einer Einigung stellt die Machtbalance zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat her. Dies verhindert eine einseitige Interessenverfolgung durch den Arbeitgeber. Im Konfliktfall bleibt die Zwangsschlichtung durch die Einigungsstelle. Sie ersetzt funktionell das Arbeitskampfrecht der Tarifvertragsparteien.2139 Aus dem Fehlen von Arbeitskampfmöglichkeiten kann angesichts der gesetzlichen Regelungen im Betriebsverfassungsgesetz nicht auf eine typischerweise anzutreffende unausgeglichene Ausübung der Inhaltsfreiheit geschlossen werden. cc)
Ergebnis
Fehlt es an einer generellen Störung des Vertragsmechanismus, kommt eine Angemessenheitskontrolle nicht in Betracht. Es besteht kein Anlaß, den Betriebsrat vor einer etwaigen unangemessenen Benachteiligung durch eine Angemessenheitskontrolle zu bewahren. Betriebsvereinbarungen unterliegen deshalb keiner gerichtlichen Angemessenheitsprüfung. 210 Der gegenteiligen Rechtsprechung des BAG 211 ist nicht zu folgen. 212 Die Balance bezüglich der Ausübung der Gestaltungsfreiheit wird durch die rechtliche Absicherung der effektiven Betriebsratsarbeit im Betriebsverfassungsgesetz gewährleistet. Von einer typischerweise einseitigen Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den Arbeitgeber kann beim Abschluß von Betriebsvereinbarungen keine Rede sein. Eine generell-abstrakt fehlende inhaltliche Einflußmöglichkeit auf die Betriebsvereinbarung ist seitens des Betriebsrats nicht festzustellen. Die Legitimation einer Angemessenheitskontrolle von Betriebsvereinbarungen fehlt. 4. Die Schranken arbeitsvertraglicher Einheitsregelungen Sind arbeitsvertragliche Einheitsregelungen Gegenstand eines Arbeitsvertrages, unterliegen sie - wie sonstige Vertragskonditionen - den im 6. Kapitel dargestell-
209
Kreutz, ZiK 1975, 65, 79; vgl. auch ders., in: GK-BetrVG, § 77 Rn.258ff. Neben den in den vorangegangenen Fn. Genannten Blomeyer, Festschrift für Hilger und Stumpf, S.41,50f.; ders., DB 1984,926,927; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 77 Rn. 198; Hanau./ Adomeit, Arbeitsrecht, D II 3c;Jahnke, Tarifautonomie, S. 119ff.; Käppier, Festschrift für Kissel, S.475, 495; Leinemann, BB 1989, 1905f.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, §46 II 8. 211 Zuletzt BAG N Z A 1997, 1009, 1011; NZA 1993, 613, 615; NZA 1992, 659, 660; NZA 1991, 765, 767. 212 Dem BAG zustimmend Berg, in: Däuhler/Kittner/Klebe, § 77 Rn. 84; Etzel, in: Kass. Hdb. z. ArbR 2, 7.1 Rn.993; Gast, Arbeitsvertrag, S.172f.; Hess, in: Hess/Schlochauer/Glauhitz, §77 Rn. 53; Kissel, NZA 1995, 1, 4; Ring, Arbeitsrecht, Rn. 146; Säcker, AuR 1994, 1, 10. 210
540
4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
ten inhaltsbezogenen Vertragskontrollmechanismen. 2 1 3 Die Einschränkung der Individualautonomie durch arbeitsvertragliche Einheitsregelungen stößt damit beispielsweise dann an eine Grenze, wenn die Konditionen im Sinne des §138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sind. Die Sittenwidrigkeitskontrolle erfaßt neben den Einheitsregelungen auch individuell ausgehandelte Bedingungen. 2 1 4 Insoweit ergeben sich für das Arbeitsrecht keine Besonderheiten. Diesbezüglich kann auf die Ausführungen im 8. Kapitel und die dort - auch z u m Arbeitsrecht - angeführten Beispiele verwiesen werden. 2 1 5 Anders stellt es sich in bezug auf die Angemessenheitskontrolle dar. Arbeitsvertragliche Einheitsregelungen bilden das Pendant zu den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bürgerlichen Rechts. Damit ist zu erörtern, ob Arbeitsbedingungen, die eine Mehrzahl von Arbeitsverhältnissen betreffen u n d nicht im einzelnen ausgehandelt, sondern einseitig vom Arbeitgeber formuliert werden, einer Angemessenheitskontrolle unterliegen. N i m m t man ein Kontrollbedürfnis an, sind die bis heute kontrovers diskutierten Anschlußfragen zu klären, aufgrund welcher Rechtsgrundlage und anhand welcher Maßstäbe eine derartige Inhaltsprüfung durchzuführen ist. Das letzte Kapitel dieser Schrift greift diese Aspekte auf und widmet sich ausgewählten Gesichtspunkten der arbeitsrechtlichen Angemessenheitskontrolle. Bedeutung gewinnt die Frage nach einer arbeitsrechtlichen Angemessenheitsprüfung insbesondere dann, w e n n man sich die hier angedeutete Sichtweise zu eigen macht, daß die Ideen der Selbstbestimmung und der Eigenverantwortung zu stärken und Zuständigkeiten für einzelne Regelungsbereiche auf die jeweils individuumnähere Regelungsebene zu verlagern sind. 216 Im Vordergrund der Ausführungen im nächsten Kapitel steht die Erläuterung grundsätzlicher methodischer Fragen der Angemessenheitsprüfung im Arbeitsrecht.
213 214 215 216
Vgl. S. 2 9 6 f f . Siehe den Überblick im 6. Kapitel (S. 296ff.). Vgl. S . 3 6 8 f f . Vgl. S . 5 1 4 f f „ 522ff., 529ff.
13. Kapitel
Angemessenheitsprüfung im Arbeitsrecht I. Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit im Individualarbeitsrecht 1. Der Stellenwert der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung Den vorangegangenen Ausführungen ist ein Postulat für eine Stärkung des Autonomiegedankens zu entnehmen. Demzufolge sind die Autonomiebereiche der Tarif-, Betriebs- und Individualautonomie in vertretbarem Umfang auszuweiten. Kompetenzen sind - in gebührendem Maß - von der höheren auf die niedrigere Regelungsebene zu verlagern: Die tarifvertragliche Normsetzung ist durch die staatliche Gesetzgebung in den letzten Jahren stellenweise zurückgedrängt worden. Auch wenn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bisher die Substanz der Tarifau tonomie nicht verletzt wurde, 1 ist es angezeigt, auf das Prinzip des koalitionsmäßigen Selbstbestimmungsrechts auf dem Gebiet der tradierten Grundelemente der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu vertrauen und die Regelungskompetenz insoweit den Tarifvertragsparteien zu überlassen. Angesichts der derzeitigen konjunkturellen Entwicklung, der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt und einer zunehmenden Erosion des Tarifvertragswesens, die sich in Verbandsaustritten und OT-Mitgliedschaften manifestiert, wird überdies eine Öffnung des Tarifvertrages für Betriebsvereinbarungen vorgeschlagen. 2 Das ist im Grundsatz verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet lediglich die Funktionsvoraussetzungen des Tarifvertragssystems. 3 Es ist deshalb möglich, die tarifliche Regelungsdichte angemessen zu verringern und den Betriebsparteien, sei es durch eine inhaltliche Beschränkung der tarifvertraglichen Regelungen auf Mindeststandards, sei es durch Offnungsklauseln, für bestimmte Fälle einen weiteren Gestaltungsspielraum einzuräumen. Angezeigt ist eine maßvolle Ausweitung der Betriebsautonomie. Die Rechtsordnung ermöglicht auf diese Weise den Betrieben die gewünschte größere Flexibilität. Nicht nur die Betriebspartner reklamieren für ihre Arbeit in zunehmendem Maß Regelungskompetenz. Die Abkehr vom einheitlichen IndustriearbeitsverVgl. die Analyse von Rupp, JZ 1998, 919ff., und das 12. Kapitel (S.487ff.). Vgl. Hanau, Deregulierung, S.23ff.; Hromadka, N Z A 1996, 1233, 1237ff.; Löwisch, N J W 1997, 905ff.; Kort, N J W 1997,1476ff.; Junker, N Z A 1 9 9 7 , 1 3 0 5 , 1 3 1 2 f f . ; ders., RdA 1996, 383ff. 3 Löwisch, JZ 1996, 812, 816ff.; Konzen, N Z A 1995, 913, 915; Henssler, Z f A 1994, 487, 511; BVerfG N J W 1996, 1201 f. A r t . 9 Abs.3 G G begrenzt eine unverhältnismäßige Einschränkung der Tarifautonomie, vgl. bei Fn. 148 im 12. Kapitel (S. 525f.). 1
2
542
4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
hältnis, die Hinwendung zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft und die Notwendigkeit, Arbeitsverhältnisse flexibel zu gestalten, haben neben einem gestärkten Selbstbewußtsein der Arbeitnehmer einen Individualisierungsprozeß in Gang gesetzt, 4 dem auch die rechtlichen Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen haben. D e r Gesetzgeber muß auf den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandel reagieren und ein gewandeltes »postindustrielles Arbeitsrecht« entwickeln. 5 2 . Soziale I n d i v i d u a l a u t o n o m i e als K e r n g e d a n k e des A r b e i t s v e r t r a g s r e c h t s D i e Forderung nach Individualisierung ist nicht mißzuverstehen im Sinne einer R ü c k k e h r zum »archaischen Zustand« 6 des freien Arbeitsvertrages im Sinne des § 105 G e w O . Extrempositionen bieten keine Lösung. D i e Vertragsfreiheit ist derart in gesetzliche und kollektive Reglementierungen einzubetten, daß so viel Schutz wie nötig, aber nicht mehr Schutz als erforderlich gewährleistet ist. Selbstbestimmung und Selbstverantwortung müssen als Realitäten greifbar und auch tatsächlich umsetzbar sein, ohne materiale Gerechtigkeit vermissen zu lassen. 7 Ziel muß eine Individualautonomie sein, die sozial abgesichert ist. U m eine solche zu erreichen, ist die Individualautonomie auf doppeltem Wege sozial einzugrenzen, zum einen durch Vor-, zum anderen durch Nachsorge. a)
Vorsorge
Mit Vorsorge werden hier die Grenzen der Individualautonomie bezeichnet, die den Beteiligten des Arbeitsvertrages bereits vor Vertragsschluß den R a h m e n aufzeigen, innerhalb dessen sich Privatautonomie entfalten kann. Mit dem Begriff der Vorsorge sind zwingende Regelungen belegt, von denen - ohne den Zwischenschritt der Konkretisierung eines offenen Tatbestandes - im Individualvertrag nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers abgewichen werden kann. Vorsorge ist dann angezeigt, wenn Grundwertungen der Rechtsordnung 8 derart absolut zu schützen sind, daß eine individuelle Gestaltungskompetenz von vornherein ausscheidet. H i e r haben die Mindeststandards in Gesetzen, Tarifverträgen und B e triebsvereinbarungen ihre Berechtigung. J e nach Schutznotwendigkeit sind diese Mindestbedingungen auf gesetzlicher, tariflicher oder betrieblicher E b e n e anzusiedeln. Als Beispiele sind gesetzliche Vorgaben im A r b Z G , A r b S c h G oder im J A r b S c h G zu nennen. Sie setzen die Eckwerte, innerhalb derer sich die das Einverständnis beider Beteiligten voraussetzende Selbstregelung entfalten kann.
Blomeyer, NZA 1996, 337. Heinze, NZA 1997,1,2,9; ähnlich Junker, NZA 1997,1305,1315ff.; Rieble, RdA 1996,151, 154f. 6 Junker, NZA 1997, 1305, 1311. 7 Zum allgemeinen Individualisierungs- und Selbstverantwortungstrend in der modernen Gesellschaft siehe Gerecke, Ordnung, S.43ff. 8 Siehe den Überblick im 7. Kapitel unter IV (S. 338ff.). 4 5
13. Kapitel: Angemessenheitsprüfung
im Arbeitsrecht
543
Klare Vorgaben, die bereits vor Vertragsschluß den Gestaltungsspielraum der Vertragspartner beschreiben, erfordern eine Regelungsstruktur, die Interpretationsmöglichkeiten und damit nachträgliche gerichtliche Auseinandersetzungen über den Aussagegehalt auf ein Mindestmaß beschränken. Notwendig ist hierzu ein homogenes Regelungsgefüge. D i e derzeitige, historisch zu erklärende 9 Vielzahl von Rechtsquellen und die zahlreichen richterrechtlichen Vorgaben erschweren nicht nur den Uberblick über die jeweils relevanten Regelungen, sondern führen auch zu Unsicherheiten über die Zulässigkeit und Anwendung der inhaltsbezogenen Vertragskontrolle im Arbeitsvertragsrecht. 1 0 Ein Arbeitsvertragsgesetz würde Erleichterung bringen und könnte der uneinheitlichen Rechtsprechung klare Leitlinien aufzeigen.
b)
Nachsorge
Auch im Rahmen des der Individualautonomie eröffneten Gestaltungsspielraums sind Auswüchse denkbar. Regelungsbereiche, die einer fest fixierten sozialen Einbindung im Vorfeld nicht bedürfen, können nicht ohne nachträgliche gerichtliche Kontrollmöglichkeiten bleiben. Der Kompetenzbereich der individuellen Inhaltsfreiheit wird im Wege der Nachsorge mittels der Generalklauseln geprüft und eine Regelung gegebenenfalls für unwirksam erklärt. Hier greifen also die im 6. Kapitel (S.296ff.) dargestellten Kontrollvarianten. Maßgebend ist eine Konkretisierung des offenen Tatbestandes. Erst nach einer richterlichen Prüfung der im jeweiligen Fall einschlägigen Wertungselemente zeigt sich, ob der Vertragsinhalt vor der Rechtsordnung Bestand hat. Deutlich wird das beispielsweise an den arbeitsvertraglichen Einheitsregelungen. Arbeitsbedingungen, die eine Mehrzahl von Arbeitsverhältnissen betreffen, werden nicht im einzelnen ausgehandelt, sondern einseitig vom Arbeitgeber in der Weise gestellt, daß dieser den betreffenden Arbeitsvertragsinhalt vorformuliert und ein entsprechendes Arbeitsvertragsformular verwendet. 11 Es kann nicht geleugnet werden, daß im wesentlichen einseitig ausgeübte Gestaltungsfreiheit die Gefahr einer unangemessenen Vertragsgestaltung in sich birgt. Potentielle Mißstände und bloße Mißbrauchsmöglichkeiten geben jedoch keinen Anlaß, statt der Vertragskontrolle bereits im Vorfeld die Selbstbestimmung zu begrenzen und den entsprechenden Themenkomplex stets in Gesetzen, Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen festzuschreiben oder arbeitsvertraglichen Einheitsregelungen im allgemeinen die Anerkennung der Rechtsordnung zu versagen. Selbstbestimmung und Eigenverantwortung sind - soweit wie möglich - zu bewahren. Neben den Bereichen, die rechtlichen wie praktischen Erfordernissen folgend am besten vorab zu regeln sind, existieren vielfältige inhaltliche Komplexe, die grundsätzlich dem Selbstbestimmungsrecht der Parteien offenzuhalten sind. Ausreichend und damit nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfas9 Vgl. die kurzen Ausführungen zu den geschichtlichen Hintergründen der einzelnen Rechtsquellen im 12. Kapitel (S.495ff., 498ff.). 10 Siehe die beispielhaften Erläuterungen und kritischen Anmerkungen zur Rechtsprechung im 12. Kapitel (S.518ff.). 11 Vgl. das 12. Kapitel unter III 4 (S. 512f.), V 4 (S. 539f.), sowie Preis, Grundfragen, S. 25f., 275 f.
544
4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
sungsrechtlich geboten ist es, sich hier auf eine etwaige Nachsorge mittels einer gerichtlichen Inhaltskontrolle zu beschränken. F ü r die gerichtliche Prüfung steht das gesamte Spektrum an Kontrollmöglichkeiten zur Verfügung, welche die Privatrechtsordnung im allgemeinen vorsieht. D a z u zählt beispielsweise die richterliche Sittenwidrigkeitskontrolle. 1 2 Bei der Prüfung nach § 1 3 8 Abs. 1 B G B wird mittels einer Konkretisierung des offenen Tatbestandes der »guten Sitten« durch das Gericht geprüft, o b ein bestimmter Vertragsinhalt durch die Rechtsordnung anzuerkennen ist oder nicht. 1 3 Bereits im Vorfeld eines Sittenverstoßes nimmt die arbeitsrechtliche Judikatur eine Prüfung des Vertragsinhaltes vor, die teilweise als Billigkeitskontrolle bezeichnet und in älteren Entscheidungen auf § 3 1 5 B G B gestützt wird. 1 4 Billigkeitskontrolle meint allerdings keine Prüfung des Vertragsgegenstandes. § 3 1 5 B G B stellt kein allgemeines Korrektiv für unbillige, auf einseitige Gestaltungsmacht zurückführbare Vertragsbestimmungen dar. D e n n die Vorschrift setzt die Existenz eines Vertrages voraus, der dem Vertragspartner ausdrücklich oder im Wege der Vertragsauslegung die Befugnis zu einer einseitigen Leistungsbestimmung einräumt. Diese Befugnis, deren Ausübung am Maßstab der Billigkeit k o n trolliert wird, beruht auf einer vertraglichen Ermächtigung. D u r c h die Ersetzungsbefugnis des § 3 1 5 Abs. 3 S . 2 B G B soll das Gericht sicherstellen, daß das einem Vertragspartner eingeräumte Leistungsbestimmungsrecht innerhalb der G r e n z e n des »billigen Ermessens« ausgeübt wird. 1 5 Bei der Billigkeitskontrolle handelt es sich nicht um eine Kontrolle des Vertragsinhalts, sondern um eine solche der Ausübung einer vertraglich eingeräumten einseitigen Leistungsbestimmung, also des Bestimmungsinhaltes. § 3 1 5 B G B ermöglicht keine gerichtliche Uberprüfung des Vertragsinhaltes. 1 6 Eine Kontrolle der inhaltlichen Ausformung von Vertragsverhältnissen im Vorfeld der Sittenwidrigkeitsprüfung ermöglicht vielmehr die Angemessenheitskontrolle. 1 7 Dies erkennt auch das B A G , das unter der verfehlten Terminologie der Billigkeitskontrolle deshalb der Sache nach eine Angemessenheitskontrolle von Arbeitsverträgen durchführt. 1 8 I m Ergebnis herrscht weitgehende Ubereinstimmung, daß im Arbeitsvertragsrecht eine Angemessenheitskontrolle, die über die engen Grenzen des § 138 B G B hinausgeht, (zumindest in Teilbereichen) notwendig und zulässig ist. Kontrovers diskutiert werden die dogmatischen Grundlagen 12 Vgl. soeben im 12. Kapitel (S. 539f.) sowie Hildebrandt, Disparität, S.24ff.; Preis, Grundfragen, S. 176ff.; Richardi, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, § 14 Rn. 56ff., § 44 Rn. 11 ff.; Staudingerl Sack, §138 BGB Rn.387ff.; Westhoff, Inhaltskontrolle, S.90ff. 13 Näher im 6. Kapitel unter IV 1 (S.296ff.) sowie im 8. Kapitel (S.368ff.). 14 Vgl., insbesondere zur verfehlten Terminologie, Pütz, Rechtsgrundlage, S. 42ff.; Hildebrandt, Disparität, S. 5; Kallrath, Kontrolle, S. 24ff.; v. Hoyningen-Huene, Billigkeit, S. 153ff., jeweils m. Nachw. zur Rechtsprechung. 15 Dazu näher im 6. Kapitel unter IV 4 (S. 306ff.). 16 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 16; Lieb, AcP 178 (1978), 196, 211; Preis, Grundfragen, S. 188, 249f.; Richardi, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, § 14 Rn.42; Westhoff, Inhaltskontrolle, S.65ff. 17 Siehe im 6. Kapitel unter IV ld (S.300f.) und IV 2 (S.301 ff.). 18 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 181 ff., 201.
13. Kapitel: Angemessenheitsprüfung im Arbeitsrecht
545
dieser inhaltsbezogenen Vertragskontrolle und - damit einhergehend - die Wertmaßstäbe, anhand derer die Reichweite der Vertragsprüfung zu bestimmen ist. I m folgenden wird ein Modell einer arbeitsvertraglichen Angemessenheitskontrolle entwickelt, das versucht, den Kontrollvorgang methodisch transparent zu machen und so der Praxis eine Anleitung für die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs an die H a n d zu geben.
II. Die Angemessenheitskontrolle 1. Zulässigkeit D e r Wortlaut des § 2 3 Abs. 1 A G B G scheint für das Arbeitsrecht eine Angemessenheitskontrolle standardisierter Vertragsinhalte auszuschließen. N a c h der I n tention des Gesetzgebers findet die Bereichsausnahme des § 2 3 Abs. 1 A G B G ihre Legitimation darin, daß auf dem Gebiet des Arbeitsrechts der Arbeitnehmer vor unangemessenen Vertragsbedingungen bereits durch ein dichtes N e t z von Vorgaben in Gesetzen und Tarifverträgen ausreichend geschützt wird. Soweit weitere Regelungen notwendig werden sollten, müßten zukünftig der Gesetzgeber oder die Tarifvertragspartner tätig werden. 1 9 Diese Begründung für die Bereichsausnahme trifft nur begrenzt zu. 2 0 D i e Regelungsdichte ist nicht derart ausgeprägt, daß eine gerichtliche Kontrolle überflüssig wird. In bezug auf die Verwendung arbeitsvertraglicher Einheitsregelungen ist die Situation im Arbeitsrecht vielmehr der Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen vergleichbar. D i e Arbeitsbedingungen werden einseitig v o m Arbeitgeber gestellt. Sie erlauben ihm die betriebswirtschaftlich sinnvolle Standardisierung und Rationalisierung massenhaft gleichförmiger Geschäftsvorfälle. E r kann die Bedingungen unter Zuhilfenahme juristischer K o m p e t e n z so festsetzen, wie es seinen Zielen angesichts der konkreten Lage seines Unternehmens entspricht. Mit vorformulierten Klauseln geht typischerweise eine verwenderfreundliche Vertragsgestaltung einher. Dadurch erlangt der Arbeitgeber im Vergleich zum Arbeitnehmer eine Überlegenheitsposition, die durch die wirtschaftliche Situation noch verstärkt wird; der Arbeitnehmer ist auf den Abschluß des Vertrages häufig angewiesen. 2 1 D i e vorformulierten Regelungen stellen deshalb in der Regel - und auf die typische Lage k o m m t es an keine frei modifizierbaren, den Vertragsschluß lediglich vorbereitenden Gestaltungsvorschläge dar. D e r Standardvertrag gibt üblicherweise nicht das Resultat zweiseitiger Verhandlungen wieder, sondern ist das Produkt des Arbeitgebers, dem der einzelne Arbeitnehmer zuzustimmen hat, um einen Arbeitsplatz zu erhalten. Das einseitige Gestaltungspotential begründet ein besonderes Schutzbedürfnis. D i e einseitige Inanspruchnahme von Gestaltungsfreiheit spricht auch im
19 BT-Drucks. 7/3919, S.41, sowie unter dem Gesichtspunkt der Einbeziehungskontrolle im 6. Kapitel unter III 2 b (S. 283 ff.). 20 Ebenso Richardi, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, § 14 Rn.65. 21 Dazu im 12. Kapitel (S. 495ff., 512f.) sowie ausführlich Säcker, Gruppenautonomie, S. 87ff.
546
4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
Arbeitsrecht für einen Schutzmechanismus der Rechtsordnung in Form der Angemessenheitskontrolle. Die bei der Kodifikation des §23 Abs. 1 A G B G angestellten Erwägungen rechtfertigen also keine Sperrwirkung des AGB-Gesetzes hinsichtlich einer Angemessenheitsprüfung. Sie bleibt trotz der arbeitsrechtlichen Regelungsdichte 22 dort notwendig, wo den Arbeitsvertragsparteien die Kompetenz zu eigenständigen Regelungen verbleibt. Dem Gesetzgeber war überdies bekannt, daß die Rechtsprechung arbeitsvertragliche Vereinbarungen einer gerichtlichen Kontrolle unterzieht. 23 Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber durch die Bereichsausnahme eine inhaltsbezogene Vertragskontrolle schlechthin ausschließen wollte. §23 Abs. 1 AGBG und die bei Erlaß des AGB-Gesetzes angestellten Erwägungen beziehen sich nach ihrem Sinn und Zweck allein auf die Kontrolle nach dem AGB-Gesetz. Auf eine Angemessenheitskontrolle kann erst recht dann nicht verzichtet werden, wenn man für eine Ausweitung der Individualautonomie eintritt. Das AGB-Gesetz enthält lediglich eine Teilkodifikation des Rechtsinstituts der Angemessenheitskontrolle privatrechtlicher Verträge.24 §23 Abs. 1 A G B G bezieht sich nicht auf die Angemessenheitsprüfung im allgemeinen, sondern allein auf eine solche nach den Vorgaben des AGB-Gesetzes. Trotz der Bereichsausnahme bleibt demnach eine Angemessenheitskontrolle arbeitsvertraglicher Einheitsregelungen möglich. 25 Bei §23 Abs. 1 A G B G handelt es sich um eine in ihrem Anwendungsbereich eng begrenzte Vorschrift, die sich allein auf das Kontrollinstrumentarium des AGB-Gesetzes bezieht. 26 Damit ist die Frage zu klären, auf welche dogmatische Grundlage eine arbeitsvertragliche Angemessenheitskontrolle zu stützen ist. 2. Dogmatische Grundlage a) Analoge Anwendung der
AGB-Maßstäbe
Die (wohl) überwiegende Auffassung sieht durch §23 Abs. 1 AGBG allein eine unmittelbare Anwendung des AGB-Gesetzes als ausgeschlossen an. Eine Analogie oder eine Berücksichtigung einzelner Rechtsgedanken des AGB-Gesetzes zwischen beiden Vorgehensweisen wird häufig nicht klar unterschieden - wird von den Vertretern dieser Sichtweise für zulässig erachtet. 27 Sie befürworten dem22
Vgl. das 12. Kapitel unter III (S.498ff.). Vgl. Basedow, in: MünchKommBGB, §23 A G B G Rn. 2; Ulmer, in: UlmerlBrandneriHensen, §23 A G B G Rn.3,11; Horn, in: Wolf'/Horn!Lindacher, §23 A G B G Rn.35, jeweils m. weit. Nachw. 24 Lieh, AcP 178 (1978), 196f.; Wiedemann, Festschrift für Kummer, S. 175, 181. 25 Vgl. insoweit den Rechtsausschuß des Bundestages, BT-Drucks. 7/5422, S. 13; Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, §23 A G B G Rn.4; Pauly, N Z A 1997,1030,1031; Mook, DB 1987,2252 f.; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, § 23 AGBG Rn. 1,11 f.; Soergel/U. Stein, § 23 A G B G Rn. 2; Staudinger/Schmidt, §242 BGB Rn.283, 472. 26 BAG N Z A 1994, 759, 760; N Z A 1993, 936, 938. 27 Aus dem Blickwinkel der Einbeziehungskontrolle dazu bereits im 6. Kapitel (S.283ff.). 23
13. Kapitel: Angemessenheitsprüfung
im
Arbeitsrecht
547
entsprechend für § 2 A G B G eine analoge Anwendung, 28 gleiches gilt für §§ 3 29 bis 6 AGBG. 3 0 Bezüglich der inhaltsbezogenen Kontrollnormen, neben §§10, 11 A G B G mithin in erster Linie §9 A G B G , sind die Meinungen geteilt:31 Für eine analoge Anwendung der Generalklausel wird angeführt, bei § 9 A G B G handele es sich um nichts anderes als eine Positivierung allgemeiner Grundsätze, weshalb die Norm auch im Arbeitsrecht gelte.32 Nach Meinung von Manfred Wolf kommt eine Analogie nur insoweit in Betracht, als spezielle Rechtsfolgen weder aus Treu und Glauben noch aus sonstigen im Arbeitsrecht geltenden Rechtsgrundsätzen abgeleitet werden können; analog anzuwenden sei deshalb §9 Abs. 2 AGBG. 3 3 Bei den Klauselverboten wird eine Analogie nur für einzelne Tatbestände befürwortet, so für § 10 Nr. 6, § 11 Nr. 5 , 1 5 AGBG. 3 4 Teilweise wird eine Analogie zu §§ 8-11 A G B G ausdrücklich abgelehnt, jedoch eine Heranziehung der Grundgedanken der §§ 8-11 A G B G befürwortet 35 oder vorgeschlagen, sich an den Vorgaben des AGB-Gesetzes »zu orientieren«. 36 b) §242 BGB als Kontrollmaßstab Die Auffassungen, die Vorschriften des AGB-Gesetzes analog heranziehen oder Rechtsgedanken des AGB-Gesetzes auf die Vertragskontrolle im Arbeitsrecht übertragen, überzeugen nicht. § 23 Abs. 1 A G B G spricht sich eindeutig gegen eine Anwendbarkeit des AGB-Gesetzes aus. Der Sinn und Zweck des Gesetzes ist unmißverständlich und wird von den Gesetzesmotiven bestätigt:37 »Für die in Absatz 1 vom sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommenen Rechtsgebiete (Arbeits-, Erb-, Familien- und Gesellschaftsrecht) finden bei der Inhaltskontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen die schon bisher geltenden Rechtsmaßstäbe weiterhin Anwendung. Mit dieser Feststellung soll vor allem klargestellt werden, daß die Herausnahme dieser Rechtsbereiche aus dem
28 Hönn, Kompensation, S. 156; Basedow, in: MünchKommBGB, § 23 A G B G Rn. 3; Fenski, AuR 1989, 168, 169; Mook, D B 1987, 2252, 2254; Pauly, NZA 1997,1030, 1031; wohl auch Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, §23 A G B G Rn.4a; ablehnend Wolf, RdA 1988, 270, 275f. 2 9 Für eine Analogie Richardi, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, § 14 Rn. 68; Horn, in: Wolf/Horn/ Lindacher, §23 A G B G Rn.40; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, §23 A G B G Rn.4a; Pauly, NZA 1997,1030,1032•, Preis, ZIP 1989,885,889; Zöllner, RdA 1989,152,157; zurückhaltend das B A G NZA 1996, 702, 703 (Betonung des allgemeinen Rechtsgedankens). 30 Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, §23 A G B G Rn.4a; Richardi, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, §14 Rn.68; Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, §23 A G B G Rn.40; zu §6 Abs. 2 A G B G sind die Auffassungen geteilt, gegen eine Analogie Basedow, in: MünchKommBGB, §23 A G B G Rn.3, dafür Wolf, RdA 1988, 270, 276. 31 Gegen eine Analogie Horn, in: Wolf/Horn!Lindacher, §23 A G B G Rn.41; Ulmer, in: Ulmer/ Brandner/Hensen, §23 A G B G Rn.4a. 32 Richardi, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, §14 Rn.69. 33 Wolf, RdA 1988, 270, 274; dazu auch Preis, Arbeitsrecht 1997, S.21, 31f. 34 Vgl. die Nachweise bei Wolf, RdA 1988, 270, 272, Fn. 38ff. 35 Preis, Arbeitsrecht 1997, S.21, 30f. (»prinzipielle Heranziehung der Grundsätze«). 36 Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht 1, §5 Rn. 116 a.E., 125ff. 37 BT-Drucks. 7/5422, S. 13; in diesem Sinne auch BT-Drucks. 7/3919, S.41.
548
4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
Anwendungsbereich des Gesetzes die bisherige Inhaltskontrolle vorformulierter Klauseln insbesondere am Maßstab des § 2 4 2 B G B nicht berührt.« Von einer planwidrigen, der Legislative unbewußten L ü c k e des A G B - G e s e t z e s kann keine R e d e sein. D e r Gesetzgeber hat das Problem der einseitigen Inanspruchnahme von Gestaltungsmacht im Arbeitsrecht erkannt und sich ausweislich der Gesetzesmaterialien damit auseinandergesetzt. Wendet sich der Gesetzgeber ausdrücklich gegen die unmittelbare Anwendung und spricht er sich für die Heranziehung des § 242 B G B aus, darf diese Entscheidung nicht ignoriert werden. Eine teleologische Reduktion darf nicht entgegen einer eindeutigen Regelung vorgenommen werden. 3 8 Wenig tragfähig ist auch ein Ausweichen auf die Konstruktion, Rechtsgedanken der §§ 8 - 1 1 A G B G für das Arbeitsvertragsrecht fruchtbar zu machen. D e n n wie soll der Gesetzgeber noch klarer als durch ein ausdrückliches Anwendungsverbot zum Ausdruck bringen, daß ein bestimmter Rechtsgedanke aus dem A G B - G e s e t z insoweit nicht abzuleiten ist? D e r Gesetzgeber hat in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich darauf hingewiesen, daß in bezug auf die Bereichsausnahmen des § 2 3 Abs. 1 A G B G die Vertragskontrolle anhand der tradierten Maßstäbe des § 2 4 2 B G B vorzunehmen ist. Dies darf nicht dadurch unterlaufen werden, daß zwar eine Analogie abgelehnt wird, gleichwohl aber die Rechtsgedanken der §§ 8 - 1 1 A G B G herangezogen werden. Eine andere Sichtweise zugrunde zu legen, hieße § 2 3 Abs. 1 A G B G contra legem auszulegen. Dies verwehrt Art. 20 Abs. 2, 3 G G . Das Rechtsstaatsgebot verpflichtet dazu, die ausdrückliche und bewußte Entscheidung der Legislative zu respektieren. Daran ändert auch der von der Literatur beschrittene Weg einer Teil-Analogie nichts. N u r einzelne Vorschriften heranzuziehen, vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, daß hier der Intention des Gesetzgebers zuwidergehandelt wird. Zudem überzeugt es nicht, wenn mit unterschiedlicher und stellenweise widersprüchlicher Argumentation bei identischer Ausgangslage teilweise eine planwidrige Gesetzeslücke bejaht, teilweise verneint wird. Dieses methodisch nicht nachvollziehbare Begründungspotpourri führt zu unpraktikablen Einzelwertungen. Es besteht überdies kein praktisches Bedürfnis, auf Vorgaben oder Rechtsgedanken des A G B - G e s e t z e s zurückzugreifen. Arbeitsvertragliche Probleme lassen sich anhand der allgemeinen Vorschriften ebenfalls sinnvoll bewältigen. Dies gilt insbesondere auch für die Angemessenheitskontrolle. Hierfür stellt die Rechtsordnung § 242 B G B zur Verfügung. 3 9 D i e Anwendung dieser N o r m hat in der Praxis auch vor Erlaß des A G B - G e s e t z e s zu zufriedenstellenden Ergebnissen geführt. D i e Rechtsprechung hatte die Angemessenheitskontrolle von standardisierten Klauselwerken vor Inkrafttreten des A G B G im Zuge richterlicher Rechtsfortbildung 40 vor allem auf § 242 B G B gestützt. An diese Tradition ist anzuknüpfen. Przytulla, NZA 1998, 521, 522; Schwarz, BB 1996, 1434, 1435. Vgl. das 6. Kapitel unter IV (S.303f.) und das 9. Kapitel unter III 1 (S.400ff.). 40 Zu richterlicher Rechtsfortbildung und Treu und Glauben Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 61 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), 196,212; Preis, Grundfragen, S.237ff.; Westhoff, Inhaltskontrolle, S. 122ff.; Zöllner, RdA 1989,153,156. Die Notwendigkeit einer richterlichen Rechtsfortbildung 38
39
13. Kapitel: Angemessenheitsprüfung
im Arbeitsrecht
549
In bezug auf die rechtliche Grundlage der Angemessenheitskontrolle im Individualarbeitsrecht ist damit festzuhalten: Die allgemeine Regelung des § 242 BGB wird durch die speziellen Vorgaben im AGB-Gesetz nicht ausgeschlossen, wenn das AGB-Gesetz, wie im Arbeitsrecht, nicht einschlägig ist. Rechtsgrundlage der arbeitsrechtlichen Angemessenheitskontrolle ist deshalb allein §242 BGB. 41 Die Generalklausel kann dabei nicht als bloßer Aufhänger für die Wertungen des AGB-Gesetzes dienen. §23 Abs. 1 AGBG schließt es auch aus, im Rahmen des §242 BGB Grundgedanken der AGB-Inhaltskontrolle heranzuziehen und sozusagen die im AGB-Gesetz genannten Maßstäbe umzuetikettieren. 42 §242 BGB ist seinen allgemeinen Intentionen und Wertungselementen folgend anzuwenden. Diese an den allgemeinen Grundsätzen des §242 BGB ausgerichtete Anwendung mag in mancher Hinsicht zu identischen Ergebnissen wie der Rückgriff auf §§8-11 AGBG führen. Das ist allerdings nicht verwunderlich, verkörpert doch das AGB-Gesetz in vielen Punkten die Kodifikation von mittels §242 BGB gewonnener Rechtsprechung. Im Hinblick auf einseitig formulierte Bedingungen existiert eine einheitliche Einschätzung der Zivilrechtsordnung, nämlich der Ausgleich einseitig in Anspruch genommener Gestaltungsfreiheit. Ein gemeinsames Ziel ändert aber nichts an der unterschiedlichen dogmatischen Ausgangslage: Für das Arbeitsrecht liegt sie allein in einer Rechtsfortbildung des §242 BGB, auf das AGB-Gesetz kommt es nicht an. Die Wertungskonkordanz 43 der Rechtsordnung läßt sich auch bei unterschiedlichen Ausgangspunkten bezüglich der Angemessenheitskontrolle wahren. c) Angemessenheitskontrolle
als Fall des institutionellen
Rechtsmißbrauchs
Ihre Grundlage findet die Angemessenheitskontrolle von Arbeitsverträgen in §242 BGB. Aus dem breiten Anwendungsspektrum der Generalklausel ist der Tatbestand des Rechtsmißbrauchs betroffen. Rechtsmißbrauch bezeichnet die von der Rechtsordnung mißbilligte Inanspruchnahme eines Rechts. Zu unterscheiden sind zwei Fallgruppen, der individuelle und der institutionelle Mißbrauch. 44 Ersterer Tatbestand des §242 BGB meint die Konstellation, daß sich ein Vertragspartner zwar im Rahmen des Norm- oder Institutszwecks bewegt, aber aus speziellen Gründen die Interessen des Vertragspartners verletzt, indem er beiim Arbeitsrecht beruht auf einer fehlenden einheitlichen Kodifikation des Arbeitsvertragsrechts, BVerfGE 75, 223, 243; BVerfGE 34, 269, 288. 41 Zu Recht betont deshalb auch das BAG, daß die Bereichsausnahme des §23 Abs. 1 A G B G eine unmittelbare wie eine entsprechende Anwendung des AGB-Gesetzes ausschließt, siehe BAG N Z A 1994, 759, 760 (unter I, 2a); EzA §339 BGB Nr. 8 (unter II, 2). 42 In diese Richtung allerdings Preis, der als Rechtsgrundlage §242 BGB nennt, die Generalklausel aber bei arbeitsvertraglichen Einheitsregelungen mit den Wertungen des AGB-Gesetzes ausfüllen möchte, vgl. Arbeitsrecht 1997, S. 21,29; ders., Grundfragen, S. 250ff., 256,266f., 293 ff., 299ff.; ähnlich Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht 1, §5 Rn. 116 a.E., 124ff.; Walchshöfer, Zehn Jahre AGB-Gesetz, S. 155ff., 159. 43 Vgl. Zöllner, AcP 188 (1988), 85, 90f. 44 Näher hierzu im 9. Kapitel unter III (S.400ff.), IV (S.406ff.).
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
spielsweise vertrauenswidrig widersprüchlich handelt. Unter letzterem ist der funktionswidrige Gebrauch von Rechtsinstituten zu verstehen. Hierher zählt der institutionelle Mißbrauch der Inhaltsfreiheit als wesentlicher Faktor der Zivilrechtsordnung. Unangemessenen Klauseln ist die Anerkennung deshalb zu versagen, weil der Verwender die Gestaltungsfreiheit unter einseitigem Durchsetzen seiner Interessen, mithin mißbräuchlich in Anspruch nimmt. Die Angemessenheitskontrolle arbeitsvertraglicher Einheitsregelungen stellt sich damit als Prüfung dar, ob ein institutioneller Mißbrauch der Gestaltungsfreiheit festzustellen ist. 45 3. Anwendungsbereich
a) Arbeitsvertragliche
Einheitsregelungen
Eine Angemessenheitskontrolle in Form einer Prüfung, ob ein institutioneller Mißbrauch der Inhaltsfreiheit im Sinne des §242 B G B besteht, ist jedenfalls bei arbeitsvertraglichen Einheitsregelungen möglich. Der Arbeitgeber, der vorformulierte Vertragstexte verwendet, hat die Regelungen aufgrund seiner überlegenen Position einseitig durchsetzen können. Aus dieser regelmäßig einseitigen Vertragsgestaltung resultiert die Pflicht, bei der Abfassung des Klauselwerkes die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers angemessen zu berücksichtigen. O b dies der Fall ist, wird mittels §242 B G B geprüft. Bestimmten Vertragsinhalten ist gemäß § 2 4 2 B G B die Anerkennung zu versagen, weil durch ihre Regelung der Arbeitgeber die Inhaltsfreiheit typischerweise unter Durchsetzung seiner Interessen in Anspruch nimmt. Bei der Verwendung von Musterarbeitsverträgen liegt die Gefahr auf der Hand, daß die Rechte des Arbeitnehmers unangemessen verkürzt werden. Der Arbeitnehmer ist an der Aufstellung der Bedingungen nicht beteiligt.
b) Einzelvertragliche
Formulierungen
Anders liegt es möglicherweise bei Konditionen, die nicht routinemäßig verwendet, sondern einzelvertraglich vereinbart werden. Hier fehlt jedenfalls die situative Überlegenheit des Arbeitgebers durch die Vorlage vorformulierter Arbeitsbedingungen. Ist der Vertragsinhalt nicht allein vom Arbeitgeber konzipiert worden, sondern im Laufe der Verhandlungen von beiden Seiten gestaltet worden oder auf Wunsch des Arbeitnehmers in bestimmter Weise abgefaßt worden, kommt eine Angemessenheitsprüfung nicht in Betracht. Hier fehlt eine einseitige Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den Arbeitgeber. Die Individualautonomie wird nicht einseitig mißbraucht. Zwischen in diesem Sinne erstellten und standardisierten Bedingungen liegen die Konditionen, die zwar seitens des Arbeitgebers formuliert, aber doch nur für einen Einzelfall aufgestellt sind. In bezug auf diese nicht standardisierten, aber 45
B G H Z 64, 238, 241 f. (für die Prüfung von Gesellschaftsverträgen).
13. Kapitel: Angemessenheitsprüfung
im
Arbeitsrecht
551
gleichwohl einseitig konzipierten Bedingungen gehen die Meinungen über die Zulässigkeit einer Angemessenheitskontrolle auseinander. 46 Eine allgemeingültige Aussage über den institutionellen Mißbrauch derartiger Klauseln ist nicht möglich. Notwendig ist eine differenzierte Sichtweise. Auch im Arbeitsrecht muß dem individuellen Willen bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit Gestaltungsspielraum verbleiben. Vom freien Willen der Vertragspartner getragene Vereinbarungen können nicht unter Hinweis auf eine typischerweise existierende generelle Verhandlungsüberlegenheit des Arbeitgebers einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden. Angemessenheitskontrolle knüpft an der rechtsmißbräuchlichen einseitigen Inanspruchnahme von Vertragsfreiheit an. Die typischerweise festzustellende Imparität ist nur der Grund für die tatsächliche Durchsetzbarkeit einseitig konzipierter Klauselwerke, nicht allerdings die Legitimation der Angemessenheitskontrolle. 47 Diese ist also nicht aus allgemeinen Arbeitnehmerschutzerwägungen zu begründen. 48 Zu fragen ist vielmehr, ob unabhängig von der typischerweise bestehenden Disparität gleichwohl keine einseitige Inanspruchnahme von Vertragsfreiheit zu konstatieren ist. Fehlt es an der einseitigen Inanspruchnahme der Gestaltungsfreiheit, ist - unabhängig vom Status als Arbeitnehmer - der Vertragsfreiheit Vorrang einzuräumen. Die vom Konsens getragene Regelung aufgrund zweiseitig ausgeübter Inhaltsfreiheit ist keiner Angemessenheitskontrolle gemäß §242 BGB zu unterziehen. Hier gelten die vergleichsweise weiten Grenzen der §§134, 138 BGB oder sonstiger zwingender Vorschriften. Angemessenheitskontrolle ist folglich nur dann erlaubt, wenn die fraglichen Vertragsklauseln auf einseitig ausgeübte Bestimmung des Vertragsinhalts zurückzuführen sind. 49 Die Grenze zwischen kontrollbedürftigen und kontrollfreien Vertragskonditionen wird nicht durch die Vorformulierung gezogen, sondern durch die Einseitigkeit der Klauselgestaltung. Eine Vorformulierung hat allein Indizfunktion. Abgrenzungskriterium ist also, ob es sich um vom Arbeitgeber einseitig gestellte oder um gemeinsam ausgehandelte Klauseln handelt. Letzteres ist anzunehmen, wenn die konkrete Ausgestaltung des Arbeitsvertrags das Ergebnis ausgeübter beiderseitiger Vertragsfreiheit repräsentiert. Auf Seiten des Arbeitgebers wird das regelmäßig eine ernsthafte und dem Arbeitnehmer erkennbare Verhandlungsbereitschaft über die für den Einzelfall vorformulierten Bedingungen erfordern. N u r dann ist es dem Arbeitnehmer möglich, zur Wahrung seiner Interessen von dem eigenen Selbstbestimmungs- und Selbstverantwortungsrecht Gebrauch zu machen. Beiderseitige Gestaltungsfreiheit ist dabei im Grundsatz nicht bereits anzunehmen, wenn die Klauseln dem Arbeitnehmer erläutert werden und dieser ihnen zustimmt. Denn ohne Einverständniserklä46 Eher d a f ü r Dieterich, R d A 1995,129, l}5; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 181 ff.; Zöllner, A c P 196 (1996), 1, 34; eher dagegen Preis, Vertragsgestaltung, S.255ff.; Richardi, in: M ü n c h . H d b . z. A r b R 1, § 1 4 R n . 6 5 , 68. 47 Ausführlich im 10. Kapitel unter I (S. 426ff.) sowie speziell in bezug auf § 242 B G B im 6. Kapitel unter IV 2c (S.303f.) u n d im 9. Kapitel u n t e r III 1 (S.400ff.). 48 Preis, G r u n d f r a g e n , S.283ff. 49 Eingehend im 10. Kapitel (S.426ff.).
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
rung kommt ein Arbeitsvertrag nicht zustande, und die Klauseln werden nicht einbezogen. Allein die Einverständniserklärung schließt die einseitige Ausübung der Inhaltsfreiheit und damit die Erforderlichkeit einer Angemessenheitskontrolle nicht aus. Der Arbeitgeber m u ß die Vertragsbedingungen vielmehr inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellen und dem Arbeitnehmer die tatsächliche Möglichkeit einräumen, in Verhandlungen mit ihm einen Kompromiß zwischen den wechselseitigen Vorstellungen zu erzielen. Die potentielle Verhandlungsbereitschaft des Arbeitgebers genügt für sich genommen regelmäßig nicht; es müssen tatsächliche Verhandlungen geführt worden sein. Akzeptiert der Arbeitnehmer die vorgeschlagenen Bedingungen pauschal, ohne auf das Verhandlungsangebot eingegangen zu sein, etwa weil eigene Vorstellungen über Regelungsalternativen fehlen oder er sich aus Unkenntnis mit dem Vertragswerk einverstanden erklärt, w i r d in aller Regel nicht davon auszugehen sein, daß der Arbeitnehmer von seiner potentiellen Gestaltungsfreiheit tatsächlich Gebrauch gemacht hat. Eine beiderseits genutzte inhaltliche Vertragsfreiheit w i r d dann anzunehmen sein, w e n n Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Bedingungen tatsächlich besprochen und abgewogen haben und im Zuge ernsthafter Verhandlungen übereingekommen sind, ein bestimmtes Regelwerk dem Arbeitsverhältnis zugrunde zu legen. Grenzt man den Anwendungsbereich der Angemessenheitskontrolle in der hier vorgeschlagenen Weise ab, bereitet es keine Schwierigkeiten, durchsetzungsfähigen Arbeitnehmern, wie Führungskräften oder gesuchten Spezialisten, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zuzugestehen und die von ihnen willentlich getroffenen Abreden von der Angemessenheitskontrolle freizustellen. Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle werden bei dieser Abgrenzung weitgehend in Balance gehalten und der von der Selbstbestimmung beider Vertragsparteien getragene Konsens nicht weiter als unbedingt notwendig einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen. Der Anwendungsbereich der arbeitsvertraglichen Angemessenheitskontrolle nach §242 B G B ist demnach dann eröffnet, w e n n Vertragsfreiheit institutionell mißbraucht wird. A u s generell-abstrakter Sicht ist das der Fall, wenn Inhaltsfreiheit einseitig in Anspruch genommen wird. Dies ist grundsätzlich immer dann anzunehmen, w e n n dem Arbeitnehmer typischerweise Einfluß- und M i t w i r kungsmöglichkeiten bei der Vertragsgestaltung fehlen. Der Fall ist das jedenfalls bei der Verwendung von Musterarbeitsverträgen, kommt allerdings auch bei Einzelvereinbarungen in Betracht, wenn das Klauselwerk nicht auf freier, eigenverantwortlicher Selbstbestimmung des Arbeitnehmers beruht.
4. A u s g e s t a l t u n g u n d M a ß s t a b der K o n t r o l l e a) Treu und
Glauben
Die auf § 242 B G B gestützte Vertragskontrolle hat sich nach den Vorgaben der Generalklausel zu richten. Die Prüfung ist also nach den Kriterien »Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte« vorzunehmen. 5 0 Für die Angemes-
13. Kapitel: Angemessenheitsprüfung im Arbeitsrecht
553
senheitsprüfung läßt sich der Wendung »Treu und Glauben« entnehmen, daß jeder Vertragspartner bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Vereinbarung auf ein ordnungsgemäßes Verhalten des jeweils anderen Vertragspartners vertraut und durch seine Verpflichtung den Glauben an ein ebenfalls zuverlässiges, gewissenhaftes und aufrichtiges Verhalten im Zusammenhang mit dem Vertragsschluß erweckt. D i e Vertragspartner gehen typischerweise davon aus, daß bei einer redlichen Vertragsgestaltung der eine nicht von dem anderen in einer offenbar unbilligen, dem Sinn und Z w e c k des Rechtsverhältnisses widersprechenden Weise benachteiligt wird. 51 D e r Vertrag darf mit den Wertvorstellungen der Rechtsordnung nicht kollidieren; die Regelungen müssen mit der der herrschenden W i r t schafts- und Sozialordnung immanenten Rechtsethik k o n f o r m gehen. 52 Jeder Vertragspartner hat in gebührendem M a ß auf die berechtigten Interessen der G e genseite Rücksicht zu nehmen, wobei sich Art und Inhalt des Rücksichtnahmegebots am Inhalt des Rechtsverhältnisses auszurichten haben. Das Vertrauen auf die Loyalität des Vertragspartners wirkt sich nicht gleichermaßen bei allen Rechtsverhältnissen aus. D i e Anforderungen an das Rücksichtnahmegebot erhöhen sich je nach der Intensität des Eingreifens des Rechtsverhältnisses in die Lebensführung des einzelnen. Diese Abstufung des Treu und Glauben-Maßes hat Konsequenzen insbesondere für den Arbeitsvertrag. Das Arbeitsverhältnis erschöpft sich nicht im bloßen Austausch von Leistung und Gegenleistung. F ü r das Arbeitsverhältnis als D a u e r schuldverhältnis mit personalem Charakter 5 3 ergibt sich eine besondere Intensität der gegenseitigen Verbundenheit. D i e im Verhältnis zu bloßen Umsatzgeschäften gesteigerte F o r m der Rücksichtnahme, Loyalität und Redlichkeit findet nicht nur ihren Niederschlag in den mit Treue- und Fürsorgepflicht umschriebenen N e benpflichten des Arbeitsvertrages. 5 4 A u c h bei der inhaltlichen Ausgestaltung des auf D a u e r angelegten Rechtsverhältnisses ist das zukünftige Näheverhältnis zu berücksichtigen. Das gilt vor allem für die Arbeitgeberseite, die typischerweise maßgeblichen Einfluß auf die Vertragsgestaltung nimmt. 5 5 D e n Arbeitnehmerinteressen ist im erforderlichen U m f a n g und unter Beachtung etwaiger entgegenstehender Interessen des Arbeitgebers im Arbeitsvertrag Rechnung zu tragen. D i e Begriffsverbindung »Treu und Glauben« drückt eine auf die typischerweise beteiligten Parteien bezogene Loyalitätspflicht aus. D i e gegenseitige Verbundenheit der an einem Arbeitsvertrag beteiligten Personen ist zu beachten, indem die jeweils berechtigten Erwartungen nicht übergangen werden. D e r A b w ä gungsmaßstab dient dazu, im R a h m e n eines konkreten Rechtsverhältnisses eine
Im einzelnen zum Wertungsrahmen des §242 BGB im 9. Kapitel (S. 395ff.). Allgemein zum Treu und Glauben-Prinzip im 9. Kapitel (S. 392ff.). 52 Mayer-Maly, in: MünchKommBGB, § 157 BGB Rn.9. 53 Zur Bedeutung dieser Deskription im 12. Kapitel unter I 3 (S. 491 ff.). 54 Vgl. Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht 1, §6 Rn.96ff. (Treuepflicht des Arbeitnehmers), § 7 Rn. 79ff. (Fürsorgepflicht des Arbeitgebers). 55 Dazu Riehle, Arbeitsmarkt, Rn. lOOff., 923ff., m. weit. Nachw. 50 51
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
subjektiv determinierte Kontrolle zu ermöglichen. 5 6 Bei der Fallgruppe des Institutionenmißbrauchs meint die Bezugnahme auf das subjektive Interesse allerdings nicht das Interesse des individuellen Arbeitnehmers. D i e Prüfung, ob die Vertragsfreiheit mißbräuchlich in Anspruch genommen wird, zielt auf eine Sicherung der Privatautonomie an sich und nicht auf eine Vertragshilfe im Einzelfall. Subjektive Betrachtungsweise meint also die gebündelten Individualinteressen, die typischerweise die Arbeitnehmersituation prägen. Ausschlaggebend ist mithin die generell-abstrakt bestimmte subjektive Lage der Arbeitnehmer. 5 7 Eine B e dingung verstößt danach dann gegen Treu und Glauben, wenn sie die berechtigten Interessen der Arbeitnehmerseite typischerweise mißachtet. Diese M i ß a c h tung darf nicht nur im Einzelfall existieren, sondern m u ß mit einer bestimmten Klausel allgemein verbunden sein. N o t w e n d i g ist eine generalisierende Betrachtung. b)
Verkehrssitte
D e m subjektiv orientierten Merkmal steht mit der Verkehrssitte eine objektive K o m p o n e n t e zur Seite, die sicherstellt, daß sich die Beurteilung eines konkreten Falles in die allgemeinen Strukturen einfügt. 5 8 Das Kriterium der tatsächlich herrschenden Ü b u n g ist - wie die Wendung »mit Rücksicht auf« ausdrückt - nachrangig gegenüber dem mit der Begrifflichkeit »Treu und Glauben« versinnbildlichten Maßstab der sozialen Gerechtigkeit. D a m i t hat der Gesetzgeber gewährleistet, daß ein Verhalten, auch wenn es über einen längeren Zeitraum gleichartig geübt wird, dann keine Beachtung findet, wenn es den Anforderungen sozialer G e rechtigkeit widerspricht. 5 9 Selbst die ständige Ü b u n g von Arbeitgebern, eine bestimmte Klausel in einen Arbeitsvertrag aufzunehmen, ist damit bei der Beurteilung der Klausel dann unbeachtlich, wenn diese Verkehrssitte gegen Treu und Glauben verstößt.
5. P r ü f u n g s v o r g a n g a)
Vergleichsgrundlage
U m feststellen zu können, ob eine einseitig gestellte Vertragsbedingung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte unangemessen ist, bedarf es zunächst der Diagnose einer angemessenen Vertragsgestaltung. D e n n nur, wenn die von der Rechtsordnung akzeptierte Regelungsbandbreite analysiert ist, kann geprüft werden, ob von dieser in § 2 4 2 B G B - w i d r i g e r Weise abgewichen wird. E n t scheidend für die Prüfung eines institutionellen Mißbrauchs der Vertragsfreiheit ist folglich die Bestimmung einer Vergleichsgrundlage. Methodisch ist in einem
56
57 58 59
Vgl. das 9. Kapitel unter I 3 a (S. 395f.). Vgl. Mader, Rechtsmißbrauch, S. 143 ff. Hierzu im 9. Kapitel unter I 3 b (S. 396f.). Ausführlich zu diesem Konkretisierungselement des §242 B G B im 9. Kapitel (S.396f.).
13. Kapitel: Angemessenheitsprüfung
im
Arbeitsrecht
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ersten Schritt eine von der Rechtsordnung nicht mißbilligte Vertragsgestaltung zu eruieren. Für die Diagnose eines ausgeglichenen Vertragsmodells ist an die Vorgaben der Rechtsordnung anzuknüpfen. Neben den mit zwingenden Vorschriften ausgedrückten Wertungen 60 kann an die dem Normgefüge in seiner Gesamtheit zugrundeliegenden Grundgedanken und die Leitbildfunktion des dispositiven Rechts angeknüpft werden. Die (gesetzlich und gewohnheitsrechtlich) fixierten Aussagen der Rechtsordnung drücken die allgemein anerkannten Wertungen aus. Getreu dem Grundsatz der Einschätzungsprärogative der Legislative ist - die Verfassungskonformität der Regelungen vorausgesetzt - deren Wertung als Ausgangsbasis heranzuziehen. Das dispositive Recht gibt einen an der Gerechtigkeit orientierten Ausgleich der Interessen der Vertragspartner vor. Die gesetzliche Konzeption in ihrer Gesamtheit wie in den Einzelregelungen verfolgt das Anliegen, die anerkennenswerten Interessen der Vertragspartner angemessen auszugleichen und die Vertragsrisiken ausgewogen zu verteilen. Im dispositiven Recht haben die allgemeinen, am Gerechtigkeitsgedanken ausgerichteten Vorstellungen des Gesetzgebers ihren Niederschlag gefunden. 61 Gegen die Leitbildfunktion des abdingbaren Rechts läßt sich nicht anführen, dispositive Normen seien für das Arbeitsrecht nicht in aussagekräftigem Maß verfügbar, weil das Arbeitsrecht einerseits von zwingenden Normen geprägt sei, es andererseits an einem einheitlich kodifzierten Arbeitsrecht fehle. 62 Zum einen sind dem Arbeitsrecht abdingbare Normen nicht fremd, zum anderen kennt das Arbeitsrecht zahlreiche Einzelkodifikationen, denen eine Grundhaltung der Rechtsordnung zur arbeitsrechtlichen Vertragsgestaltung zu entnehmen ist. Die in zahlreichen Gesetzen verstreuten arbeitsrechtlichen Regelungen erschweren zwar den Uberblick und die Durchdringung der Struktur des deutschen Arbeitsrechts, schließen es jedoch nicht aus, der Summe der Einzelregelungen allgemein akzeptierte Wertungen zu entnehmen. Des weiteren stellt das Arbeitsrecht einen integralen Bestandteil der Zivilrechtsordnung dar, so daß auch auf die allgemeinen Grundsätze zurückgegriffen werden kann. Richtlinienfunktion kommt daneben der Natur des Vertrages zu. Der Vertragstyp, sein wirtschaftlicher Zweck und die sonstigen vertragstypischen Ziele erlauben im Zusammenspiel mit den typischen Interessen, den berechtigten Vorstellungen und Erwartungen der Arbeitsvertragsparteien, ertragreiche Rückschlüsse auf einen aus objektiver Sicht angemessenen Vertragsinhalt. Dieser Ansatz erlaubt es, bei der Analyse eines ausgeglichenen Vertragsmodells je nach Arbeitsvertragstyp zu differenzieren. Damit läßt sich den Besonderheiten spezieller Arbeitsformen Rechnung tragen. Die Vergleichsbasis kann demnach unterschied6 0 Wird in einer Abrede von zwingenden Normen abgewichen, ist diese unwirksam. In diesem Fall kommt es auf Wertungen nicht an. Ist eine zwingende Norm nicht anwendbar, kann den mit ihr ausgedrückten Wertungen jedoch eine Leitbild- oder Richtlinienfunktion zukommen, die es ermöglicht, Rückschlüsse auf eine angemessene Vertragsgestaltung zu ziehen. Siehe Preis, Grundfragen, S.305f. (ausgehend von einer Parallele zum A G B G ) . 61 Preis, Grundfragen, S.303; Wolf, RdA 1988, 270, 274. 6 2 Vgl. Zöllner, RdA 1989, 153, 160.
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
lieh ausfallen. Das heißt nicht, daß die Vergleichsgrundlage individuell-konkret festzulegen ist. Wesentliche Rechte und Pflichten, die einem Arbeitsvertrag aus generell-abstrakter Sicht in der Regel zugrunde liegen, dienen als Vergleichsgrundlage. Das Leitbild eines nicht mißbräuchlich gestalteten Vertrages ist aus einem generalisierenden Blickwinkel zu bestimmen. Nur die abstrakte Bestimmung genügt der Rechtssicherheit und erlaubt eine verläßliche strukturierte Rechtsfindung. Das Modell eines ausgewogenen Arbeitsvertrages ist generell-abstrakt anhand des typischen Interessenkonflikts festzulegen. Bei der Leitbildkonkretisierung ist zu fragen, welche Vertragsgestaltung aus überindividuell-generalisierender Sicht der Interessenlage von Arbeitnehmer und Arbeitgeber gerecht wird und den Interessenkonflikt angemessen reguliert. Die besonderen Verhältnisse des im Einzelfall beteiligten individuellen Vertragspartners bleiben ebenso außer Betracht wie die Handhabung einer Klausel im konkreten Fall. Dem Arbeitgeber, der Arbeitnehmer auf der Grundlage einheitlicher vorformulierter Bedingungen beschäftigt, obliegt die Rücksichtnahme auf die typischen Interessen der anderen Seite. Das Leitbild ist dementsprechend aus der typischen Struktur und der typischen Lage der am Vertrag Beteiligten zu gewinnen. Der Realität des Arbeitslebens folgend sind unterschiedliche abstrakt-generelle Modelle zu entwickeln. In der Praxis existiert kein typisches Normalarbeitsverhältnis - im Gegenteil, der Wandel des Arbeitslebens in der postindustriellen Gesellschaft führt zu einer zunehmenden Differenzierung der Tätigkeitsfelder. Dem ist dadurch Rechnung zu tragen, daß - wie Preis deutlich gemacht hat - zwischen einzelnen Gruppen von Arbeitsverhältnissen zu unterscheiden und ein gruppenspezifisches Vertragsmodell festzulegen ist.63 Die besondere Eigenart eines speziellen Arbeitsvertrages ist zu berücksichtigen, weil sich nur auf diese Weise die für diese Vertragsgestaltung typischen Umstände ermitteln lassen. Die Angemessenheit einer Risikoverteilung kann innerhalb des Vertragstyps Arbeitsvertrag je nach den typischen Eigenheiten einer generell-abstrakten Untergruppe zu variieren sein. Es kommt deshalb nicht auf das Leitbild des Arbeitsvertrages schlechthin an, sondern auf den Modellcharakter typischer Erscheinungsformen von Arbeitsverträgen. Anhand generell-abstrakter Kriterien sind Untergruppen von Arbeitsverträgen zu bilden. Eine derartige »Feinabstimmung« erlaubt es nicht nur, zwischen mehreren Fallgruppen zu trennen und so der Begebenheit Rechnung zu tragen, daß eine bestimmte Gestaltung bei einem Arbeitsvertragstyp interessengerecht ist, während sie bei einem anderen unter Umständen nicht dem durch die Rechtsordnung ausgedrückten Grundmodell entspricht.64 Möglich wird darüber hinaus, aktuelle Erscheinungsformen von Arbeitsverhältnissen, wie zum Beispiel die Telearbeit, ihren sachlichen Notwendigkeiten folgend nahtlos in die Angemessenheitskontrolle einzugliedern.
Preis, Grundfragen, S. 313 ff. Dazu v. Hoyningen-Huene, Inhaltskontrolle, Rn.238ff. (aus dem Blickwinkel des §9 AGBG). 63
64
13. Kapitel: Angemessenheitsprüfung
im Arbeitsrecht
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Ein weiterer denkbarer Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der Vergleichsgrundlage ist der Status des Arbeitnehmers. So kann sich beispielsweise bei Verträgen mit leitenden Angestellten ein besonderes charakteristisches Regelungsmodell ergeben. Leitende Angestellte zeichnen sich dadurch aus, daß sie als Arbeitnehmer 6 5 unternehmerische Teilfunktionen ausüben; im Tarifbereich sind leitende Angestellte stets außertarifliche Angestellte. D i e Sonderstellung drückt sich in gesetzlichen Regeln aus, unter anderem dem grundsätzlichen Ausschluß der Anwendbarkeit des Betriebsverfassungsrechts auf leitende Angestellte ( § 5 Abs. 3 B e t r V G ) oder dem Sprecherausschußgesetz, durch das für leitende Angestellte eine Sondervertretung innerhalb der Betriebsverfassung geschaffen wird. 6 6 N a c h § 18 Abs. 1 Nr. 1 A r b Z G ist das Arbeitszeitgesetz auf leitende Angestellte nicht anwendbar. D i e besondere Eingebundenheit und Vertrauensstellung des leitenden Angestellten kann entsprechende Vertragskonditionen rechtfertigen. Vertragliche Pflichten, die ohne diese besondere Rolle von der Rechtsordnung nicht akzeptiert werden würden, können hier möglicherweise Bestand haben, weil die Stellung des Arbeitnehmers nicht ohne Einfluß auf den Pflichtenkreis bleibt. Allgemein gefaßte Wettbewerbsverbote, die beim Normalarbeitnehmer nicht mehr als angemessene Vertragskonditionen einzustufen sind, können bei leitenden Angestellten unter Umständen dem angemessenen Vertragsmodell entsprechen. 6 7 D i e Leitbildfunktion eines Arbeitsvertrages variiert nicht nur nach dem Status der betroffenen Arbeitnehmergruppe. Zu unterscheiden sind daneben charakteristische Vertragsarten, denen jeweils eine eigentümliche Richtlinienfunktion für eine nicht zu mißbilligende Verteilung von Rechten und Pflichten zugrunde liegt. D i e Vertragstypisierung kann an der zeitlichen K o m p o n e n t e anknüpfen, also daran, ob es sich um ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis handelt, oder berücksichtigen, ob ein Voll- oder Teilzeitarbeitsverhältnis 6 8 geregelt werden soll und hier aus sachlichen Gründen gegebenenfalls unterschiedliche A b r e den angezeigt sind. Daneben kann möglicherweise danach differenziert werden, ob es sich um ein P r o b e - , Aushilfs-, L e i h - oder Gruppenarbeitsverhältnis handelt. Aus generell-abstrakter Sicht läßt sich die Vergleichsbasis auch danach bestimmen, o b Vertragskonditionen für J o b - S h a r i n g oder das Berufsbildungsrecht festzulegen sind.
b) Mißbräuchliche Abweichung Eine mißbräuchliche Inanspruchnahme der Inhaltsfreiheit erfordert, daß von dieser Vergleichsgrundlage in rechtlich mißbilligenswerter Weise abgewichen wird. A n die Diagnose eines vertragstypspezifischen ausgeglichenen Vertragsmodells schließt sich deshalb die Prüfung an, o b die tatsächlich gewählte Vertragsgestal65 66
67 68
Zum Arbeitnehmerstatus Hromadka, Recht, S. 114ff., 289ff. Zur Entwicklung Hromadka, Sprecherausschußgesetz, Einleitung Rn. 36ff., 48 ff. Büchner, Wettbewerbsverbot, S. 69f. Bei der Differenzierung ist § 2 BeschFG zu beachten.
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
tung hiervon nachteilig abweicht. Ein institutioneller Mißbrauch der Vertragsfreiheit gemäß § 2 4 2 B G B setzt eine für den Vertragspartner derart nachteilige Vertragsgestaltung voraus, daß nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte die Toleranzschwelle überschritten wird. Eine im Sinne des § 242 B G B mißbräuchliche Abweichung ist demnach in zwei Schritten zu prüfen. Zuerst ist zu fragen, ob eine Benachteiligung existiert, anschließend, o b dieser Nachteil eine Intensität erreicht, die nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Rechtsmißbrauch einzuschätzen ist. Bei beiden Prüfungsebenen ist zu berücksichtigen, daß § 2 4 2 B G B in der Variante des institutionellen R e c h t s m i ß brauchs nicht auf die Korrektur eines individuellen Konflikts zielt. Vertragshilfe im Einzelfall wird nicht angestrebt. Gegenstand der Prüfung ist, ob das Rechtsinstitut der Vertragsfreiheit bei einer bestimmten Ausgestaltung des Vertrages typischerweise mißbräuchlich in Anspruch genommen wird. Anzulegen ist ein genereller Maßstab. aa) Abweichung
vom (jeweiligen)
Arbeitsvertragsmodell
Bei der Analyse der Benachteiligung sind die durch die einzelne Vertragsbestimmung begründeten Rechte und Pflichten abzuwägen. Eine Abweichung ist anzunehmen, wenn die einseitig gestalteten Bedingungen des Arbeitsvertrages von wesentlichen gesetzlichen Grundgedanken oder von vertragstypischen Rechten oder Pflichten abweichen, ohne daß dies durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist, oder wenn berechtigte Interessen des anderen Vertragsteils nicht ausreichend berücksichtigt werden. H i e r wird wiederum der Aspekt relevant, inwieweit nachteilige Regelungen im Arbeitsvertrag durch vorteilhafte kompensiert werden können. Kompensationsfähig sind grundsätzlich allein funktionsgleiche Rechte. Abweichungen v o m Leitbild sind ausgleichsfähig, wenn die negative Bestimmung eine positive Komplementärregelung enthält, die im Ergebnis den Arbeitnehmer in bezug auf ein identisches Interesse nicht schlechter stellt. Leistung und Gegenleistung stehen als marktabhängige K o m p o n e n t e n und als Hauptleistungscharakteristika grundsätzlich als Ausgleichskriterien für sich genommen nicht zur Verfügung. 6 9 Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Ausnahmen sind - eine adäquate H ö h e des finanziellen Ausgleichs vorausgesetzt - im Falle der Versicherbarkeit des vertraglich übernommenen Risikos möglich. 7 0 Besonders liegt es, wenn atypische Risiken oder Pflichten übernommen werden: Eine derartige Risikoübernahme ist in der Mankovereinbarung zu sehen. Mankovereinbarungen begründen - möglicherweise neben allgemeinen Regelungen (pFV, § 823 B G B ) - eine Haftung des Arbeitnehmers für Fehlbestände einer von ihm verwalteten Kasse oder ihm anvertrauter Geräte oder Waren. Sie kehren entweder die Beweislast für das Verschulden um oder bestimmen, daß der Arbeitnehmer für ein M a n k o auch
Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 302ff.; Preis, Grundfragen, S. 322ff. Dazu ausführlich, allerdings aus dem Blickwinkel der AGB-Kontrolle im 10. Kapitel unter II 2 c (S.438ff.). 69
70
13. Kapitel: Angemessenheitsprüfung im Arbeitsrecht
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ohne Verschulden haftet. 7 1 Ihre Wirksamkeit hängt grundsätzlich von der Vereinbarung einer finanziellen Kompensation ab. D e r Arbeitgeber muß dem Arbeitnehmer ein angemessenes Mankogeld als Ausgleich für sein erhöhtes Risiko zusagen. 7 2 D i e H ö h e der Summe hat sich am vertraglich übernommenen Risiko der Mankohaftung zu orientieren. Kompensation setzt voraus, daß die finanzielle Zuwendung den Nachteil tatsächlich aufwiegt. N o t w e n d i g ist eine H ö h e , die dem Durchschnitt der erfahrungsgemäß zu erwartenden Fehlbeträge entspricht. 7 3 Bleibt ein Mißverhältnis, ist eine nachteilige Abweichung der Mankobestimmung v o m Leitbild eines ausgeglichenen Vertragsverhältnisses festzustellen. Das M i ß verhältnis ist als nachteilige Abwälzung des Unternehmensrisikos, das grundsätzlich der Arbeitgeber als Kehrseite des Unternehmensgewinns zu tragen hat, zu bewerten. Eine derartige Klausel ist ebenso nachteilig wie eine, die dem A r beitnehmer aufgibt, bei durch Dritte verursachten Fehlbeständen die Identität des Dritten zu ermitteln. 7 4 U m eine atypische Pflichtenübernahme, die finanziell kompensationsfähig ist, handelt es sich auch bei der Vereinbarung nachvertraglicher Wettbewerbsverbote. 75 M i t dem Ende des Arbeitsverhältnisses entfällt im Grundsatz die Pflicht des Arbeitnehmers zur Wettbewerbsenthaltung. Gegen zukünftigen Wettbewerb durch ehemalige Arbeitnehmer kann sich der Arbeitgeber durch ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot sichern. Die Abrede eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots ist für Handlungsgehilfen durch die §§ 7 4 - 7 5 d H G B beschränkt. Diesen Vorschriften liegt der allgemeine Gedanke zugrunde, daß die Vereinbarung nachvertraglicher Wettbewerbsenthaltung grundsätzlich v o m Leitbild einer angemessenen Vertragsgestaltung abweicht, weil sie die Erwerbsaussichten des Arbeitnehmers beschränkt. Diese unbillige Belastung des Arbeitnehmers wollen die § § 7 4 f f . H G B verhindern; sie sind deshalb auf alle Arbeitsverhältnisse analog anwendbar. 7 6 Bestand hat ein solches nur bei einer Entschädigungszusage. § 74a Abs. 2 H G B enthält den Grundsatz der bezahlten Karenz, wobei sich der Arbeitgeber ausdrücklich zur Zahlung der Hälfte der zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen verpflichten muß. D i e Vereinbarung muß derart eindeutig formuliert sein, daß aus Sicht des Arbeitnehmers kein vernünftiger Zweifel über den Anspruch auf Karenzentstehung bestehen kann. 7 7 D i e Vereinbarung einer K a renzzahlung entbindet im Rahmen des § 2 4 2 B G B nicht von der Notwendigkeit Vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 52 X, m. weit. Nachw. BAG AP Nr. 87, 54, 4 zu §611 BGB Haftung des Arbeitnehmers. 73 Blomeyer, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, §57 Rn.75; Künzl, in: Kass. Hdb. z. ArbR 1, 2.1 Rn.286; Bleistein, DB 1971, 2213, 2215; a.A. Pauly, BB 1996, 2038, 2039. 74 Diesbezüglich scheidet eine finanzielle Kompensation kraft Natur der Sache aus, vgl. BAG AP Nr. 67 zu §626 BGB. Als Unwirksamkeitsgrund für die Mankoabrede kommt neben §242 BGB bei Uberschreiten der Sittenwidrigkeitsgrenze ebenfalls § 138 BGB in Betracht; zum Verhältnis der Kontrollvarianten im 6. Kapitel unter IV 1 d (S. 300f.). Eine Mankoklausel kann auch wegen Tarifunterschreitung (§4 Abs. 3 TVG) unwirksam sein. 75 Vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, §58, m. weit. Nachw. 76 Welslau, in: Kass. Hdb. z. ArbR 1, 1.2 Rn.400. 77 BAG DB 1996, 784. 71
72
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
einer Interessenabwägung, bei der das flexible System 7 8 zur Anwendung k o m m t . Bestand hat ein Wettbewerbsverbot nur, wenn es dem Schutz eines berechtigten Interesses des Arbeitgebers dient, etwa weil dieser befürchten muß, daß der A r beitnehmer in seinen Kunden- und Lieferantenstamm eindringt. T r o t z Karenzentschädigung nachteilig kann eine Vereinbarung sein, die sich auf eine ganze Branche oder das gesamte Bundesgebiet erstreckt, da sie einem Berufsverbot gleichkommt. D e m Arbeitsvertragsrecht ist folglich die finanzielle Kompensation von N a c h teilen nicht fremd. Es ist allerdings jeweils im Einzelfall zu prüfen, o b das Entgelt außerhalb des Leistungs-/Gegenleistungsrahmens als Kompensationsmittel für eine konkrete Benachteiligung geleistet wird. D e r Vorteil des erhöhten Entgelts m u ß in einem hinreichenden Zusammenhang mit der Benachteiligung stehen und diese in ihrer Intensität ausgleichen. N u r in einer derartigen Konstellation steht das Leistungs-/Gegenleistungsverhältnis einer kompensatorisch strukturierten Vertragsgestaltung offen. 7 9 bb) Rechtsmißbräuchliche
Abweichung
D i e Diagnose einer im Vergleich zum von der Rechtsordnung anerkannten Vertragsmodell nachteiligen Regelung genügt allein nicht für eine im Sinne des § 2 4 2 B G B rechtsmißbräuchliche Vertragsgestaltung. N i c h t jede Benachteiligung widerspricht der Rechtsordnung. D e r Vertragsfreiheit ist gebührender Spielraum einzuräumen. D i e Angemessenheitskontrolle verfolgt nicht das Ziel, einen optimalen Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber sicherzustellen und die Grundwertungen des Arbeitsrechts oder die in den dispositiven Vorschriften jeweils ausgedrückten Einzelwertungen als verbindliche Vertragsgrundlage festzuschreiben. D u r c h einen derart ausgerichteten Kontrollmechanismus, der auch unwesentliche Abweichungen v o m Leitbild sanktioniert, würde die Vertragsfreiheit ihrer Grundlage und F u n k t i o n im Arbeitsrecht beraubt, Selbstbestimmung durch eine Fremdbestimmung abgelöst. Konsequenz wären durch das Gericht oktroyierte gleichförmige Arbeitsbedingungen - ein eklatanter Widerspruch zum Grundsatz der Privatautonomie. Angemessenheitskontrolle soll den Vertragspartner vor nicht mehr hinnehmbaren, wesentlichen Abweichungen v o m Vertragsmodell bewahren und den A r beitnehmer vor Fremdbestimmung schützen, um ihm auf diese Weise Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zu ermöglichen. E i n e Beschränkung des individuellen Willens im Sinne eines Schutzes vor sich selbst 8 0 ist erst ab einer erhöhten Eingriffsschwelle zulässig. Vertragsgestaltungen können nicht nur dann als rechtsordnungskonform angesehen werden, wenn sie dem dispositiven R e c h t folgen. Dies würde abdingbare Regelungen zu zwingendem R e c h t umformen. D e r Gestaltungsfreiheit ist ein ausreichender Spielraum auch im Arbeitsrecht zu 78 79 80
Vgl. das 5. Kapitel (S.205ff.), das 7. Kapitel (S.320ff.) und das 11. Kapitel (S.470ff.). Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 305; Preis, Grundfragen, S. 323, sowie das 10. Kapitel (S. 438ff.). Dazu im 3. Kapitel (S. 136ff.).
13. Kapitel: Angemessenheitsprüfung
im
Arbeitsrecht
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belassen. Das Korrektiv der Angemessenheitskontrolle bleibt einer Benachteiligung von einigem Gewicht vorbehalten. O b die Relevanzschwelle überschritten ist, hängt von mannigfaltigen Faktoren ab. Die Interessen der Vertragsparteien sind gegenüberzustellen und mittels einer generalisierenden Betrachtungsweise abzuwägen. Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob für eine Bestimmung ein sachlicher Grund existiert. Es ist nicht darauf abzustellen, ob für die Benachteiligung im Einzelfall ein anerkennenswerter Rechtfertigungsgrund besteht, sondern darauf, ob die typische Interessenlage des an einem derartigen Typ des Arbeitsvertrages beteiligten Arbeitnehmers eine Benachteiligung derart legitimiert, daß von einem Rechtsmißbrauch keine Rede mehr sein kann. Im Gegensatz zur individuellen Rechtsmißbrauchskontrolle nach §242 B G B 8 1 zielt der Anwendungsfall des institutionellen Mißbrauchs der Vertragsfreiheit nicht auf die subjektiv-konkrete Lage. §242 B G B in der Ausprägung des institutionellen Rechtsmißbrauchs ist Garant der in der Rechtsgemeinschaft anerkannten und ihr zugrundeliegenden Rechtsinstitute. Selbständiges Schutzobjekt ist hier die Gestaltungsfreiheit. 82 Es kommt also nicht darauf an, ob für den einzelnen Arbeitnehmer eine seinen individuellen Interessen und seiner konkreten Situation genügende Vertragsgestaltung gewählt wurde, sondern nur darauf, daß die typischen Interessen der Arbeitnehmer in ausreichendem Maß bei der Vertragsgestaltung Berücksichtigung finden. 83 cc) Mißbräuchliche
Abweichung
und flexibles Wertungssystem
Eine Überschreitung der Toleranzschwelle ist - getreu dem komparativen Ansatz 84 - um so eher anzunehmen, je intensiver wesentliche Grundgedanken der Rechtsordnung tangiert werden. Der Verletzungstatbestand ist danach zu bestimmen, in welchem Ausmaß dem Arbeitnehmer ohne sachlichen Grund Pflichten auferlegt werden. Bei der Interessenabwägung ist stets zu berücksichtigen, daß es sich bei der institutionellen Rechtsmißbrauchskontrolle nach §242 B G B nicht um eine individuelle Vertragshilfe handelt. Unzumutbarkeit und Unverhältnismäßigkeit im Einzelfall sind ohne Belang. Aus genereller, typisierender Sicht ist zu fragen, in welchem Grad in die Risiko- und Pflichtenverteilung des Vergleichsmodells eingegriffen wird. Die für und wider eine Angemessenheitskontrolle sprechenden Wertungen sind gegenüberzustellen. Dabei können unter Umständen insbesondere die im 7. Kapitel entwickelten Grundelemente der Rechtsordnung, der Personen- und Persönlichkeitsschutz, die Prinzipien der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung oder auch Überlegungen zum Vertrauens- und Verkehrsschutz, zur Anwendung kommen. 85 Alle aus generell-abstrakter Sicht einschlägigen Wertungen, die für oder gegen eine mißbräuchliche
81 82 83 84 85
Dazu im 9. Kapitel unter IV (S. 406ff.). Vgl. Kaiser, Summum ius, S. 145, 162ff. Siehe hierzu im 9. Kapitel unter III 1 (S.400ff.). Näher im 5. Kapitel unter IV (S.205ff.), im 7. (S.320ff.) und im 11. Kapitel (S.470ff.). Vgl. im 7. Kapitel unter IV (S. 336ff.).
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im Arbeitsrecht
Abweichung v o m Vertragsmodell sprechen, sind vollständig zu erfassen und soweit wie möglich in F o r m von komparativen Sätzen miteinander zu verbinden. U b e r die Mißbräuchlichkeit einer Vertragsgestaltung entscheidet, in welchem M a ß die Summe der für die Wirksamkeit einer Klausel sprechenden Wertungselemente die Summe der rechtsordnungswidrigen Konkretisierungsfaktoren übersteigt. 8 6 I m R a h m e n des Wertungsvorganges sind arbeitsrechtliche Grundaussagen in gebührendem M a ß einzubeziehen. Einen spezifisch arbeitsrechtlichen Abwägungsfaktor bildet beispielsweise das Wirtschaftsrisiko. E s liegt prinzipiell auf Seiten des Unternehmers, der im G e g e n zug auch von den wirtschaftlichen C h a n c e n profitiert. Das Marktrisiko kann deshalb grundsätzlich nicht auf den Arbeitnehmer verlagert werden. 8 7 Charakteristisches Merkmal des Arbeitsverhältnisses ist, daß sich der Arbeitgeber um den wirtschaftlich sinnvollen Einsatz des Arbeitnehmers zu sorgen hat. D e r Arbeitgeber trägt das Risiko der Nutzlosigkeit der an sich noch erbringbaren Leistung. E r gerät deshalb in Annahmeverzug (§ 615 S. 1 B G B ) , wenn er die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annimmt. Diese Grundwertung ergibt sich unter anderem aus dem Kündigungsschutzrecht; die Kündigung aus betriebsbedingten Gründen ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich, vgl. § 1 Abs. 2, 3 K S c h G . Diese Grundhaltung der Rechtsordnung ist auch bei der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen. D i e Verlagerung des Wirtschaftsrisikos auf den Arbeitnehmer widerspricht grundsätzlich in erheblichem M a ß dem gesetzlichen Leitbild eines Arbeitsvertrages, so daß in der Regel die Unwirksamkeit der Abrede anzunehmen ist. 88 Wiedergegeben ist damit aber nur eine allgemeine Regel, keine absolute Aussage. D i e Flexibilität der Generalklausel erlaubt es, bei der K o n k r e t i sierung Besonderheiten einer typischen Vertragskonstellation angemessen einzubeziehen. Gegen eine mißbräuchliche Ausübung der Gestaltungsfreiheit spricht es beispielsweise, wenn den Arbeitnehmern neben einer angemessenen G r u n d vergütung eine Gewinnbeteiligung zugesagt wird, o b w o h l die Arbeitnehmer auch in diesem Fall das Wirtschaftsrisiko mittragen. A u c h in diesem Zusammenhang läßt sich das Konkretisierungselement komparativ fassen: J e mehr die Vertragsgestaltung dem Arbeitnehmer die Möglichkeit eröffnet, durch seinen E i n satz Einfluß auf das Betriebsergebnis zu nehmen, um so mehr spricht gegen die Mißbräuchlichkeit einer Vertragsgestaltung, welche das Gesamteinkommen des Arbeitnehmers zum Teil v o m Betriebsergebnis abhängig macht. U m eine grundsätzlich rechtsmißbräuchliche einseitige Inanspruchnahme von Gestaltungsfreiheit handelt es sich gegebenenfalls auch dann, wenn eine Vertragsklausel dem Arbeitgeber einen einseitigen Eingriff in den Kernbereich des A r beitsvertrages, insbesondere in die Hauptleistungspflichten erlaubt. D e r Arbeitgeber kann sich in einseitig gestellten Vertragsklauseln nicht Änderungsrechte des 86 Einzelheiten zur Methodik des flexiblen Wertungssystems im 5. Kapitel unter IV (S. 205ff.) sowie im 7. (S.320ff.) und im 11. Kapitel (S.470ff.). 87 Vgl. BAG NJW 1991, 860, 861; LAG Hamm, ZIP 1990, 884f. 88 Boewer, in: Münch. Hdb. z. ArbR 1, § 77 Rn. 76, allerdings mit dem unpräzisen Hinweis auf einen Verstoß gegen den Arbeitnehmerschutzgedanken.
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im
Arbeitsrecht
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Vertragsinhaltes vorbehalten, die - über das (allgemeine und gegebenenfalls besondere) Direktionsrecht hinausgehend 89 - die Bindung des Arbeitgebers an A b reden allein dessen Willen überläßt. D e r in der Rechtsordnung allgemein anerkannte Bindungsgrundsatz stellt eine wesentliche Grundlage für ein funktionierendes, die Äquivalenz gegenseitiger Leistungen sicherndes Vertragsrechtssystem dar 90 und kann deshalb formularmäßig nicht der alleinigen, unter Umständen willkürlichen Disposition des Arbeitgebers überlassen werden. Bei einer derartigen Vertragsgestaltung werden die Interessen des Arbeitnehmers mißachtet. 91 Das kann die Unwirksamkeit der Klausel rechtfertigen. Die Angemessenheitskontrolle betrifft die Frage, ob ein Arbeitgeber im Zuge einseitig ausgeübter Inhaltsfreiheit 92 Klauseln wirksam zum Vertragsgegenstand machen kann, die es ihm erlauben, den Vertragsinhalt (willkürlich) zu ändern. Geprüft wird hier also die Wirksamkeit einer entsprechenden Klausel. Die Angemessenheitskontrolle erlaubt deshalb auch die Uberprüfung der Wirksamkeit von Klauseln, die ein erweitertes Direktionsrecht festlegen. Ist eine derartige Bedingung aus dem Blickwinkel der Wirksamkeitskontrolle nicht zu beanstanden, stellt sich das Folgeproblem, ob eine Weisung, die sich auf das Direktionsrecht stützt, im konkreten Fall rechtsordnungskonform ausgeübt wurde. Als einseitiges Leistungsbestimmungsrecht hat der Arbeitgeber das Weisungsrecht im Zweifel nach billigem Ermessen auszuüben, § 3 1 5 Abs. 1 B G B . 9 3 Bei der gerichtlichen Prüfung einer Weisung, die auf einem vertraglich erweiterten Direktionsrecht beruht, kann eine Kontrolle mithin auf zwei Ebenen ansetzen.
Auch bei der Analyse des institutionellen Rechtsmißbrauchs gemäß § 242 B G B gilt: J e stärker der Anerkennungsgrad des Leitbildes ist, von dem formularmäßig abgewichen wird, desto eher ist von einem Institutionenmißbrauch auszugehen und desto gewichtiger müssen die berechtigten Interessen des Arbeitgebers und desto umfangreicher müssen gegebenenfalls die Kompensationsmittel zugunsten des Arbeitnehmers ausgeprägt sein, um die einseitig in Anspruch genommene Gestaltungsfreiheit als nicht im Sinne des §242 B G B mißbräuchlich bewerten zu können. Das flexible Konkretisierungssystem führt auch bei der arbeitsrechtlichen Angemessenheitskontrolle nach §242 B G B zu nachvollziehbaren und systemgerechten Ergebnissen.
8 9 Dazu Hromadka, DB 1995,1609,1611 ff.; ders., DB 1995,2601,2606; ders., RdA 1992,234, 235ff. 9 0 Vgl. das 2. Kapitel unter I 5 (S.50ff.). 91 Zu Eingriffen in den Kernbereich des Vertragsverhältnisses B G H Z 89, 206, 21 Off.; B G H Z 41,151,154; B A G AP Nr. 6 zu § 2 KSchG 1969; LAG Schleswig-Holstein N Z A 1984,328; ArbG Hamburg N Z A 1984, 358. 9 2 Allgemein zur einseitigen Inanspruchnahme von Gestaltungsfreiheit im 10. Kapitel unter I (S. 426ff.). 93 Näher im 6. Kapitel unter IV 4 (S. 306ff.).
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4. Teil: Freiheit und Kontrolle im
Arbeitsrecht
III. Zusammenfassung Die Bereichsausnahme des §23 Abs. 1 AGBG schließt nicht die arbeitsrechtliche Angemessenheitskontrolle aus, sondern allein die unmittelbare oder mittelbare Anwendung des AGB-Gesetzes. Die Rechtsordnung wendet sich damit nicht gegen eine Angemessenheitsprüfung von Arbeitsverträgen. Da Spezialregelungen fehlen, ist als Kontrollgrundlage auf §242 BGB zurückzugreifen. Aus der Fülle der Anwendungsmöglichkeiten der Generalklausel ist der Funktionskreis der Ausübungskontrolle 94 betroffen. Dieser Wirkungsweise des Treu und GlaubenGrundsatzes läßt sich in institutionelle und individuelle Mißbrauchstatbestände unterteilen. Der institutionelle Rechtsmißbrauch umfaßt auch den Mißbrauch der Inhaltsfreiheit aufgrund einseitiger Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit. 95 Nimmt eine Vertragsseite die Gestaltungsfreiheit typischerweise für sich allein in Anspruch, können die entsprechenden Vertragsbedingungen einer Angemessenheitskontrolle unterzogen werden. Die methodische Vorgehensweise der Mißbrauchskontrolle hat sich am Wertungsrahmen des §242 BGB zu orientieren. Zu fragen ist, ob die Konditionen gegen Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstoßen. Um dies feststellen zu können, ist als Vergleichsgrundlage zunächst ein rechtsordnungskonformes Arbeitsvertragsmodell festzulegen. Danach ist zu prüfen, ob von dieser Basis in §242 BGB widersprechender Weise abgewichen wird. U m diese Diagnose treffen zu können, muß der offene Tatbestand der Generalklausel konkretisiert werden. Hier leistet das flexible Konkretisierungssystem gute Dienste, indem es die unter Umständen zahlreichen relevanten Wertungen in Bezug zueinander setzt und aus dem Zusammen- und Widerspiel der Elemente auf rechtsstaatliche Weise ein nachvollziehbares Ergebnis gewinnt. 96 Durch die Anwendung des flexiblen Konkretisierungssystems erlangt eine Angemessenheitskontrolle nach §242 BGB derart an Profil, daß ein Rückgriff auf Grundsätze des AGB-Gesetzes entbehrlich ist.
94 95 96
Überblick zu den Funktionskreisen des §242 BGB im 9. Kapitel unter I 2 (S. 393ff.). Vgl. das 9. Kapitel unter III 1 (S.400ff.). N ä h e r im 5. Kapitel (S.205ff.) sowie im 7. (S.320ff.) und im 11. Kapitel (S.470ff.).
Schlußwort I. Plädoyer für eine soziale Individualautonomie Freiheit ist kein Selbstläufer. Unbeschränkte Autonomie birgt die Gefahr, daß in manchen Fällen letztlich der wirtschaftlich oder intellektuell Überlegene seine Interessen ohne Rücksicht auf die Belange des Vertragspartners durchsetzt. Freiheit wird - für einen Beteiligten - zur Unfreiheit. Zu viel Freiheit kann in paradoxer Weise 1 also zur Alleinbestimmung der Bedingungen durch einen Vertragspartner führen. Dieser Zusammenhang tritt vor allem in Rechtsgebieten auf, in denen Machtkonzentration typischerweise anzutreffen ist. Das ist beispielsweise im Arbeitsrecht der Fall. Der typische Arbeitnehmer ist auf regelmäßige Einnahmen aus seiner Arbeit angewiesen. Wird der Arbeitnehmer nur für einen einzigen Arbeitgeber tätig und verfügt er nicht über besondere Fertigkeiten, die ihn auf dem Arbeitsmarkt zu einem gesuchten Spezialisten machen, führt diese Situation - vor allem zu Zeiten eines Uberangebotes an Arbeitskräften - zu einer Anomalie im Vertragsverhalten: Der Arbeitnehmer ist gezwungen, die vom Arbeitgeber vorgegebenen Vertragskonditionen ohne eigene Einflußmöglichkeiten zu akzeptieren. 2 Voraussetzung der Freiheitsentfaltung ist eine Rechtsstruktur, welche die einseitige Ausübung von Selbstbestimmung zugunsten einer beiderseitigen Sicherung der Entfaltungsfreiheit zurückdrängt. Die Idee der Vertragsfreiheit kann deshalb nicht isoliert rechtlich verwirklicht werden. Freiheit und Kontrolle gehen Hand in Hand. Die Entfaltung rechtlicher Freiheit ist von Rahmenbedingungen abhängig, welche die Selbstbestimmung schützen. Freiheit als beständige, gesichterte Freiheit gibt es erst durch Recht und im Recht, das Grenzen zieht. 3 Ein Zuviel an rechtlichen Vorgaben wiederum begrenzt die Privatautonomie. Die Privatrechtsgesellschaft bedarf deshalb eines Ordnungsrahmens, innerhalb dessen sich individuelle Vorstellungen unbeeinträchtigt entfalten können: »Ordnung ist gut, Ordnung muß sein, aber Ordnung ist nur der Rahmen, in dem das Bild gemalt wird. Der Rahmen malt nicht das Bild.« 4 1 Ausführlich zu diesem Aspekt Fikentscher in seinem Sammelband »Die Freiheit und ihr Paradox«, insbesondere S. 13ff. 2 Zu den Besonderheiten des Arbeitsmarktes Rieble, Arbeitsmarkt, Rn. 82ff., m. weit. Nachw. 3 »Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.«, so Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, Erster Teil, Einleitung in die Rechtslehre, § B a.E. 4 Richard von Weizsäcker, Interview im Spiegel Nr. 37 vom 8. September 1997, S. 40, 43.
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Schlußwort
In einigen Rechtsbereichen hat die Begrenzung der Vertragsfreiheit überhandgenommen. H i e r hat das Recht, sei es in der F o r m europarechtlicher Vorgaben und deutscher Gesetze, sei es durch richterliche Anwendung, die F u n k t i o n einer hinreichenden Bedingung der Freiheit verlassen. 5 In diesen Gebieten gilt es, die Vertragsfreiheit neu zu beleben. Ein Beispiel für einen stellenweise überregulierten Bereich bildet das Arbeitsrecht. 6 Das ist insbesondere vor dem Hintergrund des Wandels in der Arbeitswelt anzunehmen. Seit Jahren verliert die dauerhafte, abhängige Beschäftigung eines Arbeitnehmers bei einem Arbeitgeber zu tariflich festgelegten Bedingungen an Bedeutung. D e r Wandel zur Informations- und Telekommunikationsgesellschaft fördert neue Arbeitsformen wie Tele- oder Zeitarbeit und führt dazu, daß in Zukunft ein erheblich größerer Teil der Erwerbsbevölkerung als Freiberufler arbeiten wird. Diese Entwicklung macht es notwendig, Freiheit und Kontrolle teilweise neu abzustimmen. D a m i t stellt sich die schwierige Frage, wie Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle so auszubalancieren sind, daß die verfassungsrechtlich wie europarechtlich verbürgte 7 Individualautonomie nicht mehr als notwendig eingeschränkt wird, soziale und freiheitssichernde Belange jedoch zugleich ausreichend Berücksichtigung erfahren. D i e Aufgabe liegt also darin, ein Modell einer angemessenen sozialen Vertragsfreiheit zu entwickeln. Die Privatautonomie ist in dem U m f a n g zu begrenzen, daß so viel Kontrolle wie nötig, aber nicht mehr Kontrolle wie erforderlich gewährleistet ist.
II. Das flexible System D e r schmale Grat zwischen Ü b e r - und U n t e r m a ß läßt sich jedenfalls nicht dadurch erfassen, daß ein Vertrags(kontroll)modell konstruiert wird, das allein oder überwiegend auf ein Kriterium abstellt. 8 D a f ü r ist das Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle zu komplex. 9 Freiheit als Gestaltungsprinzip für die Grenzfestlegungen des Rechts verlangt Zuordnungen und Abwägungen von unterschiedlichen, möglicherweise auch gegenläufigen Maximen, die zu einem Ausgleich zu bringen sind. Gegen ein monokausales Vertrags(kontroll)modell spricht überdies dessen statischer Charakter; es ist möglicherweise zukünftigen Wertungsänderungen nicht gewachsen. N o t w e n d i g ist ein Abwägungssystem, das auch solche Elemente zu integrieren vermag, die sich, beispielsweise aufgrund zunehmender Internationalisierung des Zivilrechts, erst künftig zeigen. N e b e n der Erfassung der vielfältigen Wertungen, die mit der Vertragsfreiheit
5 Vgl. nur Medicus, Abschied, S. 11 ff.; Zöllner, Privatrechtsgesellschaft, S. 12 ff., 40ff., sowie hier den Uberblick und die Nachweise auf S. 1 ff. 6 Ausführlich im 12. Kapitel (S.487ff.). 7 Vgl. das 3. Kapitel (Verfassungsrecht, S.69ff.) und das 4. Kapitel (Europarecht, S. 148ff.). 8 A.A. die im 5. Kapitel unter II (S. 174ff.) dargestellten Auffassungen. 9 Im einzelnen im 5. Kapitel unter III (S. 190ff.).
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Schlußwort
und ihrer Kontrolle verbunden sind, 1 0 k o m m t es darauf an, eine M e t h o d e zu entwickeln, welche die zahlreichen Wertungen in B e z u g zueinander zu setzen vermag und gleichzeitig offen ist für neue Aspekte. Dies leistet das flexible Wertungssystem. Das flexible System verknüpft die Wertungen nach Stärkegraden, die bei jedem Element in unterschiedlichen Kombinationen auftreten und sich wechselseitig verstärken oder kompensieren können. Anstelle der »Wenn-dann-Beziehung« zwischen Tatbestand und Rechtsfolge tritt die »Je-desto-Verknüpfung« der Elemente mit der Rechtsfolge. Das flexible System ist also in mehrfacher Hinsicht beweglich ausgeformt: Erstens ermöglicht es, auch graduell erfüllbare Wertungen zu erfassen. Zweitens ist die Verknüpfung von Voraussetzung und Rechtsfolge flexibler Natur. Drittens wird der Grad der Merkmalserfüllung im Zusammentreffen der Elemente bestimmt. Das hat zur Folge, daß die rechtliche Relevanz bestimmter Wertungen erst nach der Addition der Stärkegrade aller Elemente feststellbar ist und somit die Elemente untereinander gegebenenfalls graduell ersetzbar und unter Umständen austauschbar sind. 11 Dieses flexible System bietet zum einen der Legislative Anhaltspunkte für die Beurteilung, ob für bestimmte Bereiche freiheitseinschränkende Gesetze erforderlich sind, indem es erlaubt, in rechtsstaatlicher Weise unterschiedliche Wertungen gegenüberzustellen und eine von gefühlsmäßigen Erwägungen losgelöste Entscheidung über die Erforderlichkeit einer gesetzlichen Freiheitsbeschränkung zu finden. 1 2 D a r ü b e r hinaus erleichtert das flexible System der Judikative den U m g a n g mit den Generalklauseln, insbesondere mit den § § 1 3 8 Abs. 1, 2 4 2 B G B und § 9 Abs. 1 A G B G . D i e Generalklauseln können auf diese Weise rational nachvollziehbar konkretisiert werden. 1 3 Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle werden in Balance gehalten. Das hier entwickelte System und die herausgearbeiteten
Grundwertungen
werden hoffentlich dazu beitragen, das Verhältnis von Vertragsfreiheit und Vertragskontrolle transparenter zu machen und es auf diese Weise erleichtern, formale Selbstbestimmung und materiale Gerechtigkeit auszutarieren.
Vgl. den Überblick im 7. Kapitel unter IV (S.336ff.). Eingehend zur Methodik des flexiblen Systems vgl. das 5. Kapitel (S. 205ff.) sowie das 7. (S.320ff.) und das 11. Kapitel (S.470ff.). 12 Allgemein zu den Funktionen komparativer Systeme Michael, Gleichheitssatz, S. 125 ff. 13 Siehe den dritten Teil (S. 313ff.), Kapitel 7 bis 11. 10 11
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Sachregister abdingbares Recht 47ff., 430ff. Abschlußfreiheit 55ff. Abschlußkontrolle 224ff. - mittelbare negative 249ff. - mittelbare positive 225ff. - unmittelbare negative 23 8 ff. - unmittelbare positive 225 Abschlußtransparenz 454 ff. Abschlußzwang 224ff. abstrakte Billigkeitskontrolle 535f. Abstraktionsprinzip 45 Abwicklungstransparenz 454 ff. Abzahlungsgesetz 39 allgemeine Geschäftsbedingungen 187ff., 267ff., 428ff. Allgemeines Landrecht 34ff. allgemeines Persönlichkeitsrecht 74f., 83ff., 341 ff. Allgemeinverbindlicherklärung 284 älteres deutsches Recht 19ff. Analogie 229f. Andeutungslehre 172 ff. Anerkennungstheorie 64ff. Anfechtung 264ff., 294, 353, 493f. Angemessenheitskontrolle 301 ff., 426ff., 541 ff. - allgemeine 303 f. - allgemeine Geschäftsbedingungen 428 ff. - Arbeitsrecht 541 ff. - Begriff 301 f. - Betriebsvereinbarung 536ff. - Elemente 336ff. - flexibles System 205ff., 448ff., 470ff., 561 ff. - Legitimation 426ff. - nach dem A G B G 301 ff., 426ff. - Nachteil 435ff. - Transparenzgebot 450ff. - Vergleichsgrundlage 430ff. - Verhältnismäßigkeit 471 ff., 483 - Vorteilsausgleich 43 8 ff., 55 8 ff. - Wertungen 336ff. - Wertungspatt 482 ff. - Zumutbarkeit 59, 475ff., 483
Annahmeverzug 252 Arbeitskampf 132f., 523, 538f. Arbeitslosigkeit 244ff. Arbeitsrecht 487ff. - Angemessenheitsprüfung 541 ff. - Geschichte 495ff. - Regelungsdichte 498 ff. Arbeitsschutz 50 Arbeitsverhältnis 487ff. Arbeitsvertrag 487ff. - Anfechtung 493 f. - Angemessenheitsprüfung 541 ff. - Dauerschuldverhältnis 488ff. - Geschichte 495 f. - personale Komponente 491 ff. - Rechtsmißbrauch 549ff. - Regelungsdichte 498 ff. - Vertragsfreiheit 495ff., 514ff. - Vertragskontrolle 498 ff. arbeitsvertragliche Einheitsregelungen 512ff., 541 ff. Arbeitsvertragsgesetz 520 arglistige Täuschung 264ff. Arzt 340f. Arztvertrag 340f. Auffanggrundrecht 76ff. Aufgabe der Rechtswissenschaft 4ff. Aufklärung 180ff., 195ff., 341 Aushilfsarbeit 557 Auslegung 47ff.,281ff. Aussperrung 523 Ausübungskontrolle 304ff., 397ff. Außentheorie 105 autonomes Recht 64ff. Autonomie 64ff., 80ff. Bauleistungen 440 befristetes Arbeitsverhältnis 401 ff. Begriffsjurisprudenz 317ff. Behandlungsvertrag 340f. Bereichsausnahme 283ff., 545ff. Berufsausübung 86 Berufsfreiheit 77, 85ff. Berufswahl 86
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Sachregister
Beschäftigungsverbot 241 f. beschränkte Geschäftsfähigkeit 352 Bestandsschutzgewährleistung 182ff., 198f. Bestimmungskontrolle 306ff. betriebliche Übung 291, 420ff. Betriebsabsprache 500 Betriebsautonomie 529ff. Betriebsrat 530ff. Betriebsvereinbarung 500ff., 525ff. - Angemessenheitskontrolle 536ff. - Verhältnis zur Tarifautonomie 525ff. Beweisaufnahme 407f. Beweislast 482 Bierlieferungsvertrag 376 Billigkeitskontrolle 306ff., 534ff., 543 f. - abstrakte Billigkeitskontrolle 535f. - Arbeitsrecht 534ff. - konkrete Billigkeitskontrolle 534f. Bindungswirkung 50ff. Branchenüblichkeit 278f. Bürgschaft 346, 349, 355, 359, 375, 385, 414, 457 clausula rebus sie stantibus 38 Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis 34 Corpus Iuris Civilis 13 ff. Darlehen 376f. Dauerschuldverhältnis 56ff., 375f., 436, 480, 488 ff. Delegationstheorie 66, 523 f. Demokratie 102 Dienstleistungsfreiheit 155f., 160 Direktionsrecht 563 Direktwirkungsansatz 114ff. Diskriminierung 233 Dispositionsfreiheit 13 6 ff. Dispositionsgrundsatz 40, 347 dispositives Recht 47ff., 430ff. Dissens 271 f., 306 dolo agit qui petit quod statim redditurus esset 405f. Drittschutz 379ff. Drittwirkung 112ff. - mittelbare 118ff. - unmittelbare 116ff. Drohung 264ff. dynamische Bezugnahme 292 Ehevertrag 85 Eigentumsgarantie 77f., 85ff., 141 Eigentumsvorbehalt 376f. Eigenverantwortung 350ff. - Grenzen 353 f.
- Mitverantwortung 354ff. - Zurechenbarkeit 351 ff. Einbeziehungskontrolle 266ff. - Arbeitsrecht 283ff. - Geschäftsverkehr 275ff. Eingliederungstheorie 487f. Einheit der Rechtsordnung 329 Einheitsregelungen 188f., 512ff. Einigungsstelle 530, 539 Einrichtungsgarantie 102 ff. Einsichtsfähigkeit 355f. Einzelkontrolle 309 Elemente 329ff. - Eigenverantwortung 350ff. - flexibles System 205ff., 320ff., 331ff., 448ff., 470ff. - Grundelemente 336ff. - Patt der Wertungen 482 ff. - Personenschutz 339ff. - Persönlichkeit 341 ff. - Selbstbestimmung 346ff. - soziale Gerechtigkeit 361ff. - Struktur 336ff. - Verhältnismäßigkeit 471 ff., 483 - Vertrauens- und Verkehrsschutz 356ff. - Zumutbarkeit 59, 475 ff., 483 Empfängnisverhütung 3 78 f. Entscheidungsfreiheit 179f., 193ff. Erbeinsetzung 18, 44, 52, 78, 137, 373 Erklärungsbewußtsein 290, 409 Erklärungstheorie 420f. Erwirkung 419ff. erzwingbare Mitbestimmung 505 f. Europäische Gemeinschaft 148ff. Europarecht 148ff. europarechtskonforme Auslegung 150ff., 161, 163 Existenzminimum 343 ff. Fallgruppenbildung 323 f.' Fallnorm 327 flexibles Wertungssystem 205ff., 320ff., 448ff., 470ff. - Abgrenzung 219ff. - Angemessenheit 426ff., 541 ff. - Anwendungsbereich 211 f. - Generalklauseln 320ff., 470ff. - Grenzen 217ff. - Grundelemente 336ff. - Methode 205 ff. - Patt der Wertungen 482ff. - Rechtsstaatsprinzip 218f. - Sittenwidrigkeit 368 ff. - Treu und Glauben 392 ff.
Sachregister - Verhältnismäßigkeit 471 ff., 483 - Voraussetzungen 212 ff. - Vorgehensweise 212ff. - Wertungen 336ff. - Zumutbarkeit 59, 475ff., 483 Formabhängigkeit 15 ff. formale Freiheit 53ff., 362ff. formale Gerechtigkeit 362 formale Rechtsprinzipien 330 - Verhältnismäßigkeit 471 ff., 483 - Wertungspatt 482ff. - Zumutbarkeit 475ff., 483 formelle Vertragsfreiheit 53 ff. Formfreiheit 60ff. Formnichtigkeit 172 f. Freizeichnungsklausel 377, 443ff. from status to contract 1 Gegnerwahlfreiheit 55 ff. Gemeinschaftsprivatrecht 148ff. Gemeinschaftsverhältnis 487f., 493 Gemeinwohl 97ff., 162 ff. Generalklauseln 315ff., 470ff. - Angemessenheit 426ff., 541 ff. - Arbeitsrecht 487ff., 541 ff. - Bedeutung 317ff. - flexibles System 205ff., 320ff., 470ff., 561 ff. - Grundelemente 338 ff. - Konkretisierung 329ff. - Methodik 329ff. - Sittenwidrigkeit 368ff. - Treu und Glauben 392ff. - unbestimmte Rechtsbegriffe 316f. - Verhältnismäßigkeit 471 ff., 483 - Wertungen 336ff. - Wertungspatt 482 ff. - Zumutbarkeit 59, 475ff., 483 Gerechtigkeit 223f., 322, 361 ff., 458ff. Gesamtzusage 291 Geschäftsbedingungen 187ff., 267ff., 428ff. Geschäftsunfähigkeit 351 f. Geschäftsverbindung 280ff. Geschäftsverkehr 275 ff. Geschichte 13ff., 495ff. Gesellschaftsvertrag 85, 403 f. Gesetzesanalogie 229f. Gesetzesvorbehalt 107 Gesetzgebungskompetenz 84f. gesetzliches Verbot 238ff. Gewaltenteilung 102 Gewerbefreiheit 86 Gewinnbeteiligung 562 Gläubigergefährdung 379ff.
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Gleichbehandlungsrichtlinie 151 f. Globalbezugnahme 291 Globalzession 376f. Glossatoren 21 ff. Großer Senat 128 Grundelemente 336ff. - Eigenverantwortung 350ff. - flexibles System 205ff., 320ff., 331ff., 448ff., 470ff. - Patt der Wertungen 482ff. - Personenschutz 339ff. - Persönlichkeit 341 ff. - Selbstbestimmung 346ff. - soziale Gerechtigkeit 361 ff. - Struktur 336ff. - Verhältnismäßigkeit 471 ff., 483 - Vertrauens- und Verkehrsschutz 356ff. - Zumutbarkeit 59, 475ff., 483 Grundfolgentheorie 45 f. Grundfreiheiten 155 ff. Grundgesetz 69ff. Grundrecht der Arbeit 86 Grundrechte 70ff. Grundrechtsmündigkeit 144 Grundrechtstheorien 69 Grundrechtsverzicht 13 6 ff. Grundwertungen 336ff. - Arbeitsrecht 487ff., 541 ff. - Eigenverantwortung 350ff. - flexibles System 205ff., 320ff., 331ff., 448ff., 470ff. - Patt der Wertungen 482 ff. - Personenschutz 339ff. - Persönlichkeit 341 ff. - Selbstbestimmung 346ff. - soziale Gerechtigkeit 361 ff. - Struktur 336ff. - Verhältnismäßigkeit 471 ff., 483 - Vertrauens- und Verkehrsschutz 356ff. - Zumutbarkeit 59, 475 ff., 483 Gruppenarbeit 557 Gruppenwahl 532 Günstigkeitsprinzip 499f., 501, 524 gute Sitten 296ff., 368ff., 543f. - flexibles System 205ff., 315ff., 368ff., 470ff. - Grundwertungen 336ff. - objektive Voraussetzungen 374ff. - Rechtsmoral 369 - Sozialmoral 369ff. - subjektive Voraussetzungen 382ff. - Verhältnis zum Wucher 389f. - Wertungspatt 482ff. Güterabwägung 98ff., 126ff.
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Sachregister
Handelsbrauch 277f. Handlungsfreiheit 74f., 81ff., 141 Handlungsgehilfe 559 Herrschaftsverhältnis 487f. Hierarchie-Theorie 120f. Hinweisobliegenheit 290 historische Entwicklung 13 ff. Horizontalwirkung 112ff. Humanexperiment 340f. Imperativentheorie 66, 114 individueller Rechtsmißbrauch 406ff. Industrialisierung 36ff., 495ff. Information 180ff., 195ff. informationelle Selbstbestimmung 83, 141 Inhaltsfreiheit 59f. Inhaltskontrolle 296ff. - Angemessenheit 426ff., 541 ff. - Arbeitsrecht 487ff., 541 ff. - flexibles System 205ff., 315ff., 470ff. - Generalklauseln 313ff.,470ff. - Grundelemente 336ff. - Sittenwidrigkeit 368ff. - Treu und Glauben 392ff. - Überblick 296ff. - Verhältnismäßigkeit 471 ff., 483 - Wertungspatt 482ff. - Zumutbarkeit 59, 475ff., 483 Inhaltssittenwidrigkeit 371 Innominatfreiheit 82ff. Innominatkontrakt 15f. institutionelle Garantie 103 institutioneller Rechtsmißbrauch 400ff., 549ff. Institutsgarantie 72ff., 103ff. Integrationslehre 66 Interessenjurisprudenz 317ff. Intestaterbfolge 18 ius cogens 49ff. ius gentium 16 iustum pretium 18 Job-Sharing 557 Jugendschutz 241 f. Justizgewährungsanspruch 128, 328 Kanonistik 23 f. Karenzentschädigung 559f. Kernbereich 101 Kinderarbeit 241 f. Kirchenrecht 23 f. Klagbarkeit 15ff., 22ff. Kodifikation des B G B 36ff. kollektiver Rechtsschutz 436ff.
Kommentatoren 21 ff. komparatives System 205ff., 320ff., 448ff., 470ff. - Abgrenzung 219ff. - Angemessenheit 426ff., 541 ff. - Anwendungsbereich 211 f. - Generalklauseln 320ff., 470ff. - Grenzen 217ff. - Grundelemente 336ff. - Methode 205 ff. - Rechtsstaatsprinzip 218f. - Sittenwidrigkeit 368ff. - Treu und Glauben 392ff. - Verhältnismäßigkeit 471 ff., 483 - Voraussetzungen 212 ff. - Vorgehensweise 212ff. - Wertungen 336ff. - Wertungspatt 482ff. - Zumutbarkeit 59, 475ff., 483 Kompensation 438ff., 558ff. konkrete Billigkeitskontrolle 534f. Konsens 45 ff. Konsilatoren 22 Kontinuitätsinteresse 57ff. Kontrahierungszwang 224ff. Kontraktsrecht 1 Kontrolle 171 ff. körperliche Integrität 340f. Kredit 376f. Kreditkarte 434 Kündigung 56ff., 251 f., 375f., 414, 562 Kündigungsgrund 59 Kündigungsschutzklage 494 laesio enormis 18f., 23f., 26, 28f., 31ff., 38, 297, 363 f. laufende Geschäftsverbindung 280ff. Lebenschancen 344 ff. Legistik 22 ff. Leiharbeit 557 Leihmutter 378 Leistungsbestimmung 306ff., 544, 563 leitender Angestellter 557 liberales Informationsmodell 180ff., 195ff. Liberalismus 36ff. Lieferungsvertrag 376 Listenwahl 532 mancipatio 14 Manko 558f. Marktrisiko 562 materiale Gerechtigkeit 53ff., 362ff. materiale Rechtsprinzipien 330ff. - Angemessenheit 426ff., 541 ff.
Sachregister - Arbeitsrecht 487ff., 541 ff. - Eigenverantwortung 350ff. - flexibles Wertungssystem 205ff., 315ff., 470ff. - Generalklauseln 315ff.,470ff. - Personenschutz 339ff. - Persönlichkeit 341 ff. - Selbstbestimmung 346ff. - Sittenwidrigkeit 368ff. - soziale Gerechtigkeit 361 ff. - Struktur 336ff. - Treu und Glauben 392ff. - Verhältnismäßigkeit 471 ff., 483 - Vertrauens- und Verkehrsschutz 356ff. - Wertungspatt 482ff. - Zumutbarkeit 59, 475ff., 483 materielle Vertragsfreiheit 53 ff. Mehrheitswahl 532 Menschenwürde 79ff., 338ff. Mietrecht 40, 196ff. Minderjährigkeit 352 Mißbrauch der Vertretungsmacht 380 Mitbestimmungsrecht 502ff., 525ff. mittelbare Drittwirkung 118ff. mittelbare negative Abschlußkontrolle 249ff. mittelbare positive Abschlußkontrolle 225ff. Mitverantwortung 354ff. Mitverschulden 211 modifizierte mediate Horizontalwirkung 121 ff. monokausale Erklärung 174ff., 190ff. Monopol 232ff., 377 Naturrechtskodifikationen 34ff. Naturrechtslehre 26ff. Niederlassungsfreiheit 155f. Normengefüge 43 ff. normtheoretische Lösung 187ff., 203ff. notwendige Mitbestimmung 503 ff. objektiv-rechtlicher Gehalt 108 öffentliche Ordnung 370f. ökonomische Analyse 7f. ordre public 370f. Organisationsverhältnis 487f. pacta nuda 15, 22 ff. pacta sunt servanda 50ff. pacta vestita 15 pactum tacitum 31 Paritätstheorie 184f., 199f. Partikularrechte 24 ff. Partnerwahlfreiheit 55ff. Patient 340f.
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Patt der Wertungen 482ff. Personalismus 346ff. personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis 487f., 493 Personenschutz 339ff. Persönlichkeitsrecht 74f., 83 ff., 341 ff. Persönlichkeitsschutz 341 ff. Pfändung 344f. Philosophie 7 Popularklage 79 positiv-rechtliche Paritätstheorie 184f., 199f. praktische Konkordanz 91, 98ff., 126ff. Prärogative des Gesetzgebers 187, 202f. Praxisrelevanz 6f. Preußisches Recht 34ff. Primat der Gesetzgebung 206f. Prinzipien 329ff. - Angemessenheit 426ff., 541 ff. - Arbeitsrecht 487ff., 541 ff. - Eigenverantwortung 350ff. - flexibles System 205ff., 315ff., 331ff., 470ff. - Generalklauseln 315ff.,470ff. - Grundelemente 336ff. - Personenschutz 339ff. - Persönlichkeit 341 ff. - Selbstbestimmung 346ff. - Sittenwidrigkeit 368 ff. - soziale Gerechtigkeit 361 ff. - Struktur 336ff. - Treu und Glauben 392ff. - Verhältnismäßigkeit 471 ff., 483 - Vertrauens- und Verkehrsschutz 356ff. - Wertungspatt 482ff. - Zumutbarkeit 475 ff., 483 Prinzipienlehre 92 ff., 220 Probearbeit 557 Prozeßvergleich 402 Publikumsgesellschaft 403 f. quasinegatorischer Anspruch 230ff. Rechtsanalogie 229f. Rechtserkenntnisquelle 135 Rechtsfortbildung 126ff. Rechtsgeltungsquelle 135 Rechtsgeschäftslehre 43 ff. Rechtskraft 408 Rechtsmißbrauch 397ff., 549ff. - institutioneller Mißbrauch 400ff., 549ff. - individueller Mißbrauch 406ff. Rechtsprinzipien 329ff. - Angemessenheit 426ff., 541 ff. - Arbeitsrecht 487ff., 541 ff.
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Sachregister
- Eigenveranrwortung 350ff. - flexibles System 205ff., 315ff., 331 ff., 470ff. - Generalklauseln 315ff.,470ff. - Grundelemente 336ff. - Personenschutz 339ff. - Persönlichkeit 341 ff. - Selbstbestimmung 346ff. - Sittenwidrigkeit 368 ff. - soziale Gerechtigkeit 361 ff. - Struktur 336ff. - Treu und Glauben 392ff. - Verhältnismäßigkeit 471 ff., 483 - Vertrauens- und Verkehrsschutz 356ff. - Wertungspatt 482 ff. - Zumutbarkeit 59, 475ff., 483 Rechtsquellenlehre 64ff. Rechtsstaatsprinzip 218f. Rechtsverweigerungsverbot 328 Regelungsabrede 500 Reisevertrag 259f. Revision 336 Richterleitbild 40 Richterrecht 126ff. Richtigkeitsgewähr 174 f., 190f. Richtlinien 150ff. römisches Recht 14ff. Rücksichtnahmegebot 397ff. Rückwirkung 436ff. Sachsenspiegel 21 salvatorische Klausel 457f. SC. Macedonianum 17 SC. Vellaeanum 18 Schadensersatz 230ff. Scheck 380 Schiedsgerichtsbarkeit 145f. Schikaneverbot 398f. Schmiergeld 380 Schranken 94 ff. Schrankendogmatik 89ff. Schrankentrias 94 ff. Schuldnerschutz 344f. Schumannsche Formel 121 Schutz des Menschen vor sich selbst 136ff. Schutzpflichtenlehre 109ff. Schwabenspiegel 21 Schwarzarbeit 243 ff. Schwerbehinderung 225 f. Selbstbestimmung 80ff., 136ff., 346ff. - formale Selbstbestimmung 346ff. - materielle Selbstbestimmung 348 ff. Selbstbestimmungsthese 175ff., 191 f. Selbstgefährdung 136ff.
Selbstschädigung 136ff. Selbstverantwortung 350ff. - Grenzen 353f. - Mitverantwortung 354ff. - Zurechenbarkeit 351 ff. Singularverweisung 292 Sittengesetz 95 Sittenwidrigkeit 296ff., 368ff., 543f. - flexibles System 205ff., 315ff., 470ff. - Generalklausel 315ff., 470ff. - objektive Voraussetzungen 374ff. - Rechtsmoral 369 - Sozialmoral 369ff. - subjektive Voraussetzungen 382ff. - Verhältnis zum Wucher 389f. - Wertungspatt 482ff. Sonderkontrolle 309 Sonderprivatrecht 185ff., 200ff. Souveränität des Zivilrechts 89ff. soziale Angelegenheiten 502ff. soziale Gerechtigkeit 223f., 322, 361 ff., 458ff. soziale Vertragsfunktion 177f., 192 f. Sozialstaat 99f., 344f., 361 ff. Soziologie 7 Spediteurbedingungen 440 Spekulationsgeschäft 386 Sprecherausschuß 557 statische Bezugnahme 292 Stellvertretung 380, 531 f. stipulatio 15 Stornierungsrecht 253 ff. Streik 523, 537ff. Stufenbau der Rechtsordnung 64ff. Stufenverweisung 288ff. Tarifautonomie 65f., 498ff., 522ff. Tarifregister 289 Tarifvertrag 65f., 284ff., 498ff., 522ff. Tarifwahl 443 ff. Tatbestandslehre 66f. Tatbestandstheorie 114 Tatfrage 336 Teilnichtigkeit 299f. Teilverweisung 292 Teilzeitarbeit 557 Testament 18, 44, 52, 78, 137, 373 Testierfreiheit 18, 44, 52, 78, 137, 373 Topiklehre 220, 320f. Transparenzgebot 450ff., 468ff. - Abschlußtransparenz 454ff. - Abwicklungstransparenz 454ff. Trennungsprinzip 45
Sachregister Treu und Glauben 393ff. - flexibles System 417ff. Typenzwang 15 ff. Typuslehre 219f., 324f. Übermaßverbot 471 ff., 483 überraschende Klausel 270ff., 293, 450ff. Überraschungskontrolle 270ff., 293, 450ff. Übersicherung 376f. Übung, betriebliche 291, 420ff. Umstandssittenwidrigkeit 371 unbenanntes Freiheitsrecht 82ff. Unerfahrenheit 387 Ungleichbehandlung 233 Unklarheitenkontrolle 450ff. unmittelbare Drittwirkung 116ff. unmittelbare negative Abschlußkontrolle 238ff. unmittelbare positive Abschlußkontrolle 225 Unterlassen 414ff., 436ff. Unverzichtbarkeitslehre 138 Unzumutbarkeit 59, 475ff., 483 Usus modernus 24 ff. venire contra factum proprium 406ff. Verbandsklage 267f., 436ff. Verbotsgesetz 238ff. Verbraucher 459ff. Verbraucherschutz 157, 162ff., 180ff., 459ff. Verdingungsordnung für Bauleistungen 440 Verein 404 Verfassungsbeschwerde 79 verfassungskonforme Auslegung 122f. verfassungsmäßige Ordnung 89ff., 94ff. Verfassungsrecht 69ff. Verfassungsschranken 89ff. Verfügungsbefugnis 136ff. Verhaltenskontrolle 304ff., 397ff. Verhältnismäßigkeit 162f., 167, 471ff., 483 Verhältniswahl 532 Verhandlungsgleichgewicht 175 Verhandlungsgrundsatz 347 Verkehrssicherheit 52 Verkehrssitte 396f. Vermögensanlage 404 Vermögensdisposition 343 Vermögenssorge 343ff. Versicherbarkeit 442 f. Vertrag zugunsten Dritter 65 f. Vertragsbindung 50ff. Vertragsfreiheit - Angemessenheit 426ff., 541 ff. - Arbeitsrecht 487ff., 541 ff. - Begriff 43ff.
- Erscheinungsformen 53 ff. - Europarecht 148ff. - flexibles System 205ff., 315ff., 470ff. - Gemeinschaftsgrundrecht 160 - Generalklauseln 315ff.,470ff. - Geschichte 13 ff. - Grundrechte 70ff. - kompetentieller Charakter 92 ff. - Kontrolle 171 ff. - Mißbrauch 400ff. - Modell 171 ff. - Privatrechtsordnung 46ff. - Sittenwidrigkeit 368 ff. - Struktur 43 ff. - Treu und Glauben 392ff. - Verfassungsrecht 69ff. - Verfassungsschranken 89ff., 94ff. - Verhältnismäßigkeit 471 ff., 483 - Wertungspatt 482ff. - Zumutbarkeit 475ff., 483 Vertragsgegenstandskontrolle 266ff. - Arbeitsrecht 283 ff. - Geschäftsverkehr 275 ff. Vertragsgerechtigkeit 223f., 322, 361 ff., 458ff. Vertragskontrollansätze 174ff., 205ff. Vertragskontrolle 171ff., 205ff., 223ff. Vertragsmodell 171ff., 205ff. Vertragsrisiko 142f. Vertragsschluß 261 Vertragsstrafe 431 f. Vertragstheorie 420f., 487f. Vertrauensschutz 43ff., 52, 356ff. - objektiver Tatbestand 356ff. - Schutzwürdigkeit 360f. - subjektiver Tatbestand 358f. Vertrauenstheorie 420f. Vertretungsmacht 380 Verweisung auf Tarifvertrag 284ff. Verwirkung 409ff. Verzinsung 386 Vestitur 22 Vollstreckung 344f. Vorrangtheorie 526ff. Vorteilsausgleich 438ff., 558ff. Wadiation 20f. Wahl 532 Wahlordnung 532 Wahrscheinlichkeit 480 Wechsel 380 Weimarer Reichsverfassung 70 Weisung 563 Weiterbeschäftigungsanspruch 494
632 Werkvertrag 252 ff. Wertungsanalyse 205ff., 325ff., 470ff. - Elemente 336ff., 470ff. - Grundstruktur 325f. - Methode 205 ff. - Maßstab 329 - Vorgehensweise 326ff., 470ff. Wertungseleraente 329ff., 336ff., 470ff. - Angemessenheit 426ff., 541 ff. - Arbeitsrecht 487ff., 541 ff. - Eigenverantwortung 350ff. - flexibles System 205ff., 315ff., 470ff. - Generalklauseln 315ff., 470ff. - Personenschutz 339ff. - Persönlichkeit 341 ff. - Selbstbestimmung 346ff. - Sittenwidrigkeit 368ff. - soziale Gerechtigkeit 361 ff. - Struktur 336ff., 470ff. - Treu und Glauben 392ff. - Verhältnismäßigkeit 471 ff., 483 - Vertrauens- und Verkehrsschutz 356ff. - Wertungspatt 482ff. - Zumutbarkeit 475ff., 483 Wertungsjurisprudenz 317ff., 325ff. Wertungspatt 482ff.
Sachregister Wertungsrelation 481 f. Wesensgehaltsgarantie 101, 103 Wesentlichkeitstheorie 133 Wettbewerbsbeschränkung 226ff. Wettbewerbsfreiheit 155f., 160, 226ff. Wettbewerbsverbot 557, 559ff. Widerrufsrecht 250ff. Willenserklärung 43 ff., 408 ff. Willensschwäche 387 Wirtschaftsrisiko 562 »Wissen-müssen«-Formel 276ff. Wucher 384ff. - auffälliges Mißverhältnis 385f. - Ausbeutungslage 386ff. - flexibles System 3 88 f. - Verhältnis zur Sittenwidrigkeit 389f. Zeit 480 Zins 386 Zitiergebot 96 Zumutbarkeit 59, 475ff., 483 Zwangslage 387 Zwangsvollstreckung 344 f. Zwei-Ebenen-Modell 121 ff. Zwei-Schranken-Lehre 526ff. zwingendes Recht 49ff. Zwölf-Tafel-Gesetz 14f.
Jus Privatum Beiträge zum Privatrecht - Alphabetische Ubersicht Assmann, Dorothea: Die Vormerkung (§ 883 BGB). 1998. Band 29. Bayer, Walter: Der Vertrag zugunsten Dritter. 1995. Band 11. Beater, Axel: Nachahmen im Wettbewerb. 1995. Band 10. Beckmann, Roland Michael: Nichtigkeit und Personenschutz. 1998. Band 34. Berger; Christian: Rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen. 1998. Band 25. Berger, Klaus: Der Aufrechnungsvertrag. 1996. Band 20. Bodewig, Theo: Der Rückruf fehlerhafter Produkte. 1999. Band 36. Busche, Jan: Privatautonomie und Kontrahierungszwang. 1999. Band 40. Braun, Johann: Grundfragen der Abänderungsklage. 1994. Band 4. Dauner-Lieb, Barbara: Unternehmen in Sondervermögen. 1998. Band 35. Drexl, Josef: Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers. 1998. Band 31. Eberl-Borges, Christina: Die Erbauseinandersetzung. 2000. Band 45. Einsele, Dorothee: Wertpapierrecht als Schuldrecht. 1995. Band 8. Ekkenga, Jens: Anlegerschutz, Rechnungslegung und Kapitalmarkt. 1998. Band 30. Gotting, Horst-Peter: Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte. 1995. Band 7. Habersack, Mathias: Die Mitgliedschaft - subjektives und .sonstiges' Recht. 1996. Band 17. Heermann, Peter W.: Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte. 1998. Band 24. Heinrich, Christian: Formale Freiheit und materielle Gerechtigkeit. 2000. Band 47. Henssler, Martin: Risiko als Vertragsgegenstand. 1994. Band 6. Hergenröder, Curt Wolfgang: Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung. 1995. Band 12. Hess, Burkhard: Intertemporales Privatrecht. 1998. Band 26. Junker, Abbo: Internationales Arbeitsrecht im Konzern. 1992. Band 2. Kaiser, Dagmar: Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge wegen Nichtund Schlechterfüllung nach BGB. 2000. Band 43. Kindler, Peter: Gesetzliche Zinsansprüche im Zivil- und Handelsrecht. 1996. Band 16. Kleindiek, Detlef: Deliktshaftung und juristische Person. 1997. Band 22. Luttermann, Claus: Unternehmen, Kapital und Genußrechte. 1998. Band 32. Looschelders, Dirk: Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht. 1999. Band 38.
Jus Privatum
Lipp, Volker: Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson. 2000. Band 42. Möllers, Thomas M.J.: Rechtsgüterschutz im Umwelt- und Haftungsrecht. 1996. Band 18. Muscheler, Karlheinz: Die Haftungsordnung der Testamentsvollstreckung. 1994.Band 5. Oechsler, Jürgen: Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag. 1997. Band 21. Oetker, Hartmut: Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung. 1994. Band 9. Oppermann, Bernd H.: Unterlassungsanspruch und materielle Gerechtigkeit im Wettbewerbsprozeß. 1993. Band 3. Peters, Frank: Der Entzug des Eigentums an beweglichen Sachen durch gutgläubigen Erwerb. 1991. Band 1. Raab, Thomas: Austauschverträge mit Drittbeteiligung. 1999. Band 41. Reiff, Peter: Die Haftungsverfassungen nichtrechtsfähiger unternehmenstragender Verbände. 1996. Band 19. Rohe, Mathias: Netzverträge. 1998. Band 23. Sachsen Gessaphe, Karl August Prinz von: Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter für eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige. 1999. Band 39. Saenger, Ingo: Einstweiliger Rechtsschutz und materiellrechtliche Selbsterfüllung. 1998. Band 27. Stadler, Astrid: Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion. 1996. Band 15. Taeger, Jürgen: Außervertragliche Haftung für fehlerhafte Computerprogramme. 1995. Band 13. Trunk, Alexander: Internationales Insolvenzrecht. 1998. Band 28. Wagner, Gerhard: Prozeß Verträge. 1998. Band 33. Waltermann, Raimund: Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie. 1996. Band 14. Weber, Christoph: Privatautonomie und Außeneinfluß im Gesellschaftsrecht. 2000. Band 44. Wendehorst, Christiane: Anspruch und Ausgleich. 1999. Band 37.
Einen Gesamtkatalog erhalten Sie gern vom Verlag Mohr Siebeck, Postfach 2040, D-72010 Tübingen. Aktuelle Informationen im Internet unter http://www.mohr.de