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German Pages 222 Year 1997
ARMIN HUDA
Freiheit und Rechtsgeschäft
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 199
Freiheit und Rechtsgeschäft -
entwickelt am Beispiel des Eigenschaftsirrtums beim Spezieskauf
Von
Armin Huda
DUßcker & Humblot · Berliß
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Huda, Annin:
Freiheit und Rechtsgeschäft : - entwickelt am Beispiel des Eigenschaftsirrtums beim Spezieskauf / von Armin Huda. Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zum bürgerlichen Recht ; Bd. 199) Zugl.: Giessen, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-08984-7
Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-08984-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist im Sommersemester 1996 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen als Dissertation angenommen worden. Die Disputation fand am 16. Juli 1996 statt. Herrn Professor Dr. Jan Schapp gilt mein besonderer Dank fiir die intensive Betreuung der Arbeit. Herrn Professor Dr. Günter Weick danke ich fiir die Erstellung des Zweitgutachtens. Dank schulde ich auch Herrn Dr. Wolfgang Schur fiir zahlreiche Gespräche, die wesentlich zur Klärung vieler Fragen beigetragen haben. Gießen, im Juli 1996
ArminHuda
Inhaltsverzeichnis Einleitung Erster Teil Der Streit über die dogmatische Begründung der Sachmängelgewährleistung beim Spezieskauf
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I. ZiteImanns Sicht des Eigenschaftsirrtums beim Spezieskauf ................................. 18
1. ZiteImanns Rechtsgeschäftslehre ................................................................. 18 2. Der Eigenschaftsirrtum als Motivirrtum ...................................................... 19 II. Der Einfluß der Lehre ZiteImanns auf Gesetzgebung und Rechtswissenschaft ...... 20 1. Sachmängelgewährieistung und Irrtumsregelung im ersten und zweiten Entwurf des BGB ........................................................................................ 20 a) Der erste Entwurf des BGB ..................................................................... 20 b) Der zweite Entwurf des BGB .................................................................. 21 2. Der Schutz des im Motiv irrenden Käufers als ratio der Sachmängelgewährleistung ............................................................................................ 23 a) Das Verständnis der §§ 459 ff. als leges speciales zu § 119 II .................. 23 b) Der Fehlerbegriffbei Verständnis der §§ 459 ff. als Sonderregelung eines Eigenschaftsirrtwns des Käufers ..................................................... 26 3. Die Auffassung von Larenz: Das Sachmänge1gewährleistungsrecht als gesetzliche Sonderrege1ung des Fehlens der Geschäftsgrundlage ................. 30 a) Larenz' Konzeption der Geschäftsgrundlage ............................................ 30 b) Das Verhältnis von Sachmängelgewährleistung und Geschäftsgrundlage ................................................................................................ 31 (1) Die §§ 459 ff. als gesetzliche Sonderregelung des Fehlens der subjektiven Geschäftsgrundlage ........................................................ 31 (2) Die §§ 459 ff. als gesetzliche Sonderrege1ung des Fehlens der objektiven Geschäftsgrundlage ........................................................... 32 c) Kritik der Ansicht Larenz' ........................................................................ 32
(l) Zur Figur des beiderseitigen Motivirrtums als Grund der Haftung des Verkäufers nach §§ 459 ff............................................................ 32 (2) Zur Auffassung der Sachmänge1haftung als gesetzliche Sonderregelung der Unerreichbarkeit des objektiven Vertragsszwecks ................. 35
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hihaltsverzeichrUs
(a) Der vom Käufer verfolgte Verwendungszweck als "objektiver Vertragszweck" ............................................................................. 36 (b) Die "Verwendungszweckvereinbarung" als mittelbare Beschaffenheitsvereinbarung .................................................................... 37 (c) Tatbestand und Rechtsfolgen der §§ 459 fT. und des Fehlens der objektiven Geschäftsgrundlage im Vergleich ................................ 38 (3) Gesamtbewertung von Larenz' Konzeption des Verhältnisses von §§ 459 ff. und Geschäftsgrundlage ..................................................... 40 ill. Flumes Konzeption der Beschaffenheitsvereinbarung .......................................... 41 1. Die kaufvertraglich vereinbarte Verpflichtung des Verkäufers zur Leistung der Kaufsache mit bestimmten Eigenschaften .............................................. 42 2. Die Gewährleistungspflichten als gesetzlicher Ersatz der vereinbarten Verkäuferpflicht zur Leistung der fehlerfreien Kaufsache ............................ 44 3. Kritik von Flumes Konzeption ..................................................................... 45 a) Die psychologische Analyse der Vorstellung des Käufers von der Spezieskaufsache .................................................................................... 45 (l) Das Verhältnis von Beschaffenheit und Gegenstand ........................... 46 (2) Das Verhältnis von Beschaffenheitsvorstellung und Gegenstandsvorstellung ........................................................................................ 47 b) Beschaffenheitsvorstellung und rechtsgeschäftlicher Wille ............. ......... 48 (1) Flumes Versuch einer Widerlegung Zitelmanns ................................. 48 (2) Die Beschaffenheitsvereinbarung als Vereinbarung gesollter Eigenschaften..................................................................................... 50 (3) Beschaffenheitsvereinbarung und Rechtsgeschäftsbegriff ................... 52 (a) Die Bruchlinie zwischen Tatbestand und Rechtsfolgen des Spezieskaufvertrags im Konflikt mit dem herkömmlichen Rechtsgeschäftsbegriff ................................................................. 52 (b) Die §§ 459 ff. als korrigierender Eingriff des Rechts in den Kernbereich privatautonomer Selbstbestimmung ......................... 56 IV. Die Erfüllungstheorie ......................................................................................... 61 1. Die Ansicht Herbergers: Die §§ 459fT. als Sanktion einer nicht gehörigen Erfüllung der Leistungspflicht des Verkäufers ............................................. 61 2. Kritik der Ansicht Herbergers ..................................................................... 62 a) Die Frage der Perplexität der kaufvertraglichen Willenserklärung ........... 63 b) Die mögliche Nichtigkeit des Spezieskaufvertrags nach § 306 ................. 68 c) hihalt und Sinn einer Verkäuferpflicht zur Leistung der Speziessache im Zustand der Fehlerfreiheit .................................................................. 71
Inhaltsverzeichnis
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(1) Die Verkäuferpflicht zur Leistung von Eigenschaften bei AblehnWlg einer vertraglich vereinbarten NachbessefWlgspflicht ......................... 75 (2) Die Verkäuferpflicht zur Leistung von Eigenschaften als vertraglich vereinbarte NachbessefWlgspflicht .................................................... 78 V. ZusammenfassWlg: Das Problem der BegtündWlg der §§ 459 ff. auf der Grundlage der herkömmlichen Rechtsgeschäftslehre ...................................... 82
Zweiter Teil
Jan Schapps Konzeption von Freiheit, Moral und Recht in der Moderne 85 als Grundlage eines neuen Rechtsgeschäftsverständnisses VorbemerkWlg ......................................................................................................... 85 1. Die Freiheit in der christlichen Heilsgeschichte ..................................................... 85 11 Die Freiheit bei Thomas Hobbes .......................................................................... 87 1. Die natürliche Freiheit im Naturzustand als AusgangspWlkt ........................ 87 2. Der Übergang zur bürgerlichen FreiheiL. .................................................... 88 3. Die EntwicklWlg des Schrankensystems der Freiheit Wld des Rechts durch Hobbes .............................................................................................. 90
Ill. Die Freiheit bei Immanue1 Kant .......................................................................... 91 1. Die moralische Freiheit ............................................................................... 91 2. Die Freiheit der Willkür .............................................................................. 94 3. Kants Tugendlehre ...................................................................................... 97 4. Die Moralphilosophie Kants in der paulinischen Tradition .......................... 98 IV. Jan Schapps Konzeption von Freiheit, Moral Wld Recht in der Moderne ............. 99 1. Die natürliche Freiheit ................................................................................ 99 2. Die Moral ................................................................................................. 100 a) Die Pflicht zur Achtung des Gesetzes als erste Sphäre der Moral ........... 100 b) Die moralischen Prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe als zweite Sphäre der Moral .................................................................................. 102 (1) Die Pflicht zur Achtung des anderen in seinen Lebensgütern ............ 102 (2) Die Pflicht zur Achtung des mit einem anderen geschlossenen Vertrages ......................................................................................... 103 (3) Die Pflicht zur Gruppenachtung ....................................................... 104 3. Das Recht ................................................................................................ 104 4. Die bürgerliche Freiheit ........................................................................... 107 a) Die bürgerliche Freiheit als die durch Moral Wld Recht kultivierte natürliche Freiheit. ............................................................................... 107
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lnhaltsverzeicbrrris b) Die Freiheit des Wirtschaftsbürgers ..................................................... 109
Dritter Teil Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
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Vorbemerkung ....................................................................................................... 110 1. Die Rechtsgeschäftslehre ZiteImanns .................................................................. 111 1. Die erweiterte Handlungsreihe .................................................................. 111 a) Die Fundierung des Modells im menschlichen Selbsterhaltungstrieb ..... 111 b) Das Verhältnis der einzelnen Willensinhalte innerhalb der erweiterten Handlungsreihe ..................................................................................... 113 2. Die Unterscheidung von Motiv und Geschäftswille als moralische Läuterung des natürlichen Willens ...................................................................... 117 a) Das Spannungsverhältnis von individualistischem Grundansatz und Unbeachtlichkeit des Motivirrtums......................................................... 117 b) Schloßmanns Kritik an ZiteImann .......................................................... 118 c) Die Abschichtung der Motive als moralisches Prinzip des Vertragsbereichs ................................................................................................. 120 3. Das Recht .................................................................................................. 124 a) Das Recht als Gedankenwelt idealer Rechtswirkungen ........................... 124 b) Recht und Rechtsgeschäft ...................................................................... 126 4. Zusammenfassung ...................................................................................... 129 II. Die Vertragslehre Schmidt-Rimplers .................................................................. 131 1. Die mangelnde Richtigkeitsgewähr des Einzelwillens ................................. 132 2. Der Konsens als Richtigkeitsgewähr........................................................... 133 3. Die Frage der "Verfahrensflihigkeit" des egoistischen Einzelwillens ........... 134 4. Das Problem der ungleichen Machtlage ...................................................... 137 5. Vertragsmechanismus und Schrankenmodell der Freiheit ........................... 140 a) Schmidt-Rimplers Vertragsmodell als Parallele zwn Schrankenmodell der Freiheit in seinem herkömmlichen Verständnis ................................ 140 b) Das Schrankensystem der Freiheit und des Rechts im Verständnis Jan Schapps ........................................................................................... 141 c) Der"Vertragsmechanismus" als weitere moralische Läuterung eines von vornherein moralisch geprägten Willens .......................................... 142 6. Zusammenfassung ...................................................................................... 149 IIl. Der gegenseitige Vertrag als vernünftiger Vertrag ............................................. 150 1. Die Vertragslehre Wilhelm Schapps ........................................................... 150
Inhaltsverzeichnis a) Ein Beispiel ........................................................................................... b) Die Wertlehre Wilhelm Schapps ............................................................ c) Das Element der Moral im gegenseitigen Vertrag ................................... d) Wilhelm Schapps Kritik am Vertragsmodell des BGB ............................ 2. Jan Schapps Kritik des Vertrags als Willensübereinstimmung .................... 3. Unsere Auffassung: Die Berechtigung des Konsensmodells für den gegenseitigen Austauschvertrag im Hinblick auf die Frage nach der Freiheit ....... a) Das "ursprüngliche Habenwollen" eines Gegenstandes als Verwirklichung natürlicher Freiheit .................................................................... b) Das Schätzen als prinzipielle moralische Läuterung des ,,natürlichen Habenwollens" ....................................................................................... c) Die Konkretisierung der moralischen Prinzipien des Vertragsbereichs imAushandeln ....................................................................................... d) Der Konsens als Verwirklichung der bürgerlichen Freiheit beider Vertragspartner .................................. ;................................................... e) Zusammenfassende Würdigung des Konsensmodells .............................. IV. Rechtsgeschäft und objektives Recht ................................................................ 1. Die Berechtigung der juristischen Figur des Verpflichtungskonsenses ....... 2. Das Verhältnis von privatautonomer und rechtlicher Konfliktsentscheidung ................................................................................................... a) Die Entlastungsfunktion des lebenswe1tlichen Austauschkonsenses
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für das Recht.. ....................................................................................... b) Die Privatautonomie als vom Recht zu achtendes moralisches Prinzip des Vertragsbereichs ............................................................................. c) Die Grenzen des rechtlichen Deutungsspie1raums bei der Statuierung vertraglicher Rechtsfolgen ..................................................................... d) Inhaltliche Kriterien für die rechtliche Deutung des lebensweltlichen Austauschkonsenses .............................................................................. e) Drei typische Vertragskonflikte als Beispiele ........................................
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(1) Die Verweigerung der Leistung nach Vertragsschluß ....................... (2) Die nachträgliche Unmöglichkeit.. ................................................... (3) Der Streit zwischen Erstveräußerer und Zweiterwerber einer aufgrund fehlerhaften Austauschgeschäfts veräußerten Sache ................ V. Zusammenfassung: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft ......................
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Inhaltsverzeichnis Vierter Teil Die Sachmängelgewährleistung beim Stückkauf als Synthese privatautonomer und rechtlicher Konfliktsentscheidung
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1. Die Beschaffenheitsvorstellung als Element des ,,natürlichen Habenwollens" der späteren Kaufsache ................................................................................. 193 ll. Beschaffenheitsvorstellung und Schätzvorgang ................................................... 195 1ll. Die Beschaffenheitsvorstellung im Stadium des AushandeIns ............................ 197 IV. Beschaffenheitsvorstellung und lebensweltlicher Austauschkonsens ................. 200 1. Der sinngemäße Bedingungszusammenhang zwischen gemeinsamer Beschaffenheitsvorstellung und Kaufpreishöhe .......................................... 200 2. Der vertraglich vereinbarte Beschaffenheitsmaßstab ................................... 201 3. Rückblick auf die Kontroverse zwischen Zitelmann und Flume ................. 203 4. Die sinngemäße Maßstabsabrede als allgemeine Folgenabrede für den Fall der Fehlerhaftigkeit der Kaufsache ...................................................... 205 V. Die §§ 459 ff. als rechtliche Ausformung der sinngemäßen Maßstabs- und Folgenabrede im lebensweltlichen Austauschkonsens .................................... 205 1. Der Grundsatz "caveat emptor" und der objektive Fehlerbegriff als Mißachtung dieser Abrede ............................................................................... 206 2. Möglichkeiten rechtlicher Deutung der kaufvertraglichen Maßstabsabrede ............................................................................................... 207 a) Die Deutung als Bedingung ................................................................... 207 b) Die Beschaffenheit der Speziessache als Inhalt der vereinbarten Leistungspflicht des Verkäufers ............................................................ 208 c) Die Regelung der §§ 459 ff......................................................... .......... 209 d) Das Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft .......................................... 213 Schlußbemerkung ........................................................................................ 215 Literaturverzeichnis .................................................................. ............................. 216 Sachwortverzeichnis ............................................................................................... 219
Einleitung Fragt man, weshalb beim Spezieskauf der Verkäufer für einen Fehler der Kaufsache haftet, so wird man darauf keine allgemein akzeptierte Antwort erhalten. Diese fortbestehende Unklarheit über die dogmatische Begründung der §§ 459 ff. BGB läßt sich darauf zurückfUhren, daß die Frage nach der Bedeutung, die beim Stückkauf den Vorstellungen der Parteien von den Eigenschaften der Kaufsache zukommt, mnstritten geblieben ist. Hier stehen sich zwei Grundpositionen gegenüber, welche heide für sich in Anspruch nelunen, aufgrund einer psychologischen Analyse geklärt zu haben, wie sich die Eigenschaftsvorstellungen der Parteien zu ihrem Geschäftswillen verhalten. Während Zitelmann in seinem 1879 veröffentlichten Werk "Irrtum und Rechtsgeschäft" dabei zu dem Ergebnis kommt, daß beim Spezieskauf diese Eigenschaftsvorstellungen lediglich als Motive des rechtsgeschäftlichen Willens in Betracht kommen, sucht Flume in seiner 1948 erschienenen Schrift "Eigenschaftsirrtum und Kauf' den Nachweis zu führen, daß im Gegenteil die Vorstellungen der Parteien von der Beschaffenheit der Speziessache gerade integrierender Bestandteil ihres rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillens sind. Die Auffassungen Zitelmanns und Flumes stellen gleichsam die heiden Pole dar, an denen sich die rechtswissenschaftliche Diskussion über die ratio der Sachmängelgewährleistung beim Stückkauf ausrichtet. Im ersten Teil der Arbeit wollen wir einige vor dem Hintergrund der Kontroverse zwischen Zitelmann und Flume entwickelte Vorschläge zur dogmatischen Einordnung der §§ 459 ff. BGB daraufhin befragen, inwieweit sie die ratio dieser Vorschriften zu erklären vermögen. Dabei wird sich zeigen, daß sich die Haftung des Verkäufers für Fehler der Speziessache nicht zufriedenstellend begründen läßt, wenn man von einer Dichotomie von Motiv und Verpflichtungswille ausgeht, die beide als kategorial voneinander geschiedene Gegebenheiten von ontologischem Anspruch aufgefaßt werden. Diese doch recht starre Dichotomie, welche für die maßgeblich von Zitelmann geprägte Rechtsgeschäftslehre charakteristisch ist, bedarf demnach der Auflockerung. Hier erscheint es nun notwendig, sich auf die tiefere Berechtigung des Rechtsgeschäftsbegriffs zu besinnen. Worin besteht das einigende Band, das die Vielfalt der Erscheinungen umgreift, die unter dem Begriff des Rechtsgeschäfts zusammengefaßt werden? Nun gilt das Rechtsgeschäft, verstanden als Akt schöpferischer Gestaltung von Rechtsverhältnissen nach dem Willen des einzelnen, als Ausformung des Grundsat-
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Einleitwlg
zes der Privatautonomie im Zivilrecht. l Die Privatautonomie, wörtlich "Selbstgesetzgebung", besagt, daß der einzelne frei ist, seine Rechtsverhältnisse zu anderen eigenverantwortlich nach seinem Willen zu gestalten. Es ist also die Freiheit des einzelnen im Privatrecht, die im Prinzip der Privatautonomie zum Ausdruck kommt. Damit stellt sich die Frage, welche inhaltliche Substanz, welche Qualität dieser Freiheit zukommt. Die Freiheit des einzelnen erschöpft sich nicht in der Freiheit, im zivilrechtlichen Bereich eigenverantwortlich Rechtsgeschäfte mit anderen zu tätigen. Diese zivilrechtliche Freiheit, die Privatautonomie, läßt sich nur als Ausschnitt, wenn auch vielleicht als der heute jedenfalls praktisch bedeutsamste Ausschnitt der Freiheit des einzelnen überhaupt verstehen. Um einer Antwort auf die Frage nach dem Charakter der Freiheit im Zivilrecht näherzukommen, erscheint es daher als unerläßlich, die Bedeutung des Begriffs der Freiheit in der Moderne insgesamt in die Betrachtung einzubeziehen. Dieser ist seinerseits weit davon entfernt, sich in einer griffigen, allgemein akzeptierten Definition fixieren zu lassen. Der Freiheitsbegriff in Neuzeit und Moderne steht vielmehr im Spannungsverhältnis der einander diametral entgegengesetzten Freiheitsbegriffe zweier Denker. Es sind dies der von Hobbes geprägte Begriff der natürlichen Freiheit einerseits und Kants Begriff der moralischen Freiheit andererseits. Die beiden Freiheitsbegriffe, die ihrerseits ihre Wurzeln in der zweitausendjährigen Geschichte der christlichen Theologie haben, haben die Grundlinien der Freiheitsdiskussion in der Moderne wesentlich bestimmt. Im zweiten Teil der Arbeit wollen wir nachzeichnen, wie Jan Schapp in seinem Werk "Freiheit, Moral und Recht" aus der Antithese beider Freiheitsbegriffe in Christentum und Aufklärung als Synthese den Begriff der bürgerlichen Freiheit entwickelt und besonders bedeutsame Aspekte dieser bürgerlichen Freiheit im Hinblick auf die Lebenswelt der Moderne entfaltet. Unser Augenmerk gilt dann weiter der Aufgabe, die Schapp in seiner Konzeption dem Recht zuweist. Das von Schapp entworfene System von Freiheit und Recht in der Moderne bildet die Grundlage für unsere Untersuchung, inwiefern sich im Rechtsgeschäft die Freiheit des rechtsgeschäftlich Handelnden verwirklicht. Im Rahmen dieser Untersuchung greifen wir im dritten Teil der Arbeit drei Positionen heraus, die nach unserer Auffassung jeweils einen Aspekt von Freiheit, die sich im Rechtsgeschäft entfaltet, näher erhellen. Zunächst soll Ernst Zite1manns für die moderne Rechtsgeschäftslehre grundlegendes Werk "Irrtum und Rechtsgeschäft", dessen Grundgedanken wir in der scharfen Trennung von Motiv und Geschäftswille sehen, auf den Wert, aber auch auf die Grenzen dieses Grundgedankens hin befragt werden. Die Vertragslehre Schmidt-Rimplers, die er in seinem 1941 veröffentlichten Aufsatz "Grundfragen 1
Vgl. Flume,AcP 161, 52 sowie Schapp,AcP 192, 355 (356).
Einleitung
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einer Erneuerung des Vertragsrechts" entwirft und fiir deren Kemaussage wir die Übertragung des Schrankenmodells des Rechts auf den Vertrag halten, ist die zweite grundlegende Position, deren Diskussion uns fiir die Entwicklung eines Verhältnisses von Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft erforderlich erscheint. Der dritte Ansatz, der in diesem Zusammenhang diskutiert werden soll, ist die Begründung des gegenseitigen Vertrags als eines Verhältnisses des Austausches von Eigentum und Vermögen. Entwickelt wird dieser Ansatz insbesondere in Wilhelm Schapps Werk "Die neue Wissenschaft vom Recht, I. Band: Der Vertrag als Vorgegebenheit". Wilhelm Schapps Verständnis des gegenseitigen Vertrags gibt dann Anlaß zu einer kritischen Würdigung der Figur des obligatorischen Konsenses, die das Vertragsmodell der Rechtswissenschaft kennzeichnet. Die Betrachtungen zum Wert des Konsensmodells leiten über zu einigen grundsätzlichen Überlegungen zum Verhältnis von privatautonomer und rechtlicher Konfliktsentscheidung. Daß unsere Untersuchung der drei obengenannten Positionen vom Rechtsgeschäft über den Vertrag zum gegenseitigen Austauschvertrag führt, ist kein Zufall. Bei unserem Versuch, den von Jan Schapp fiir die Moderne entwickelten Dreiklang von Freiheit, Moral und Recht fiir die Rechtsgeschäftslehre fruchtbar zu machen, wollen wir uns auf den gegenseitigen Austauschvertrag konzentrieren. Dieses Vorgehen ist zunächst darin begründet, daß in der 3Ibeitsteiligen Gesellschaft der gegenseitige Austauschvertrag als das Mittel, dessen sich jeder einzelne täglich in vielfältiger Weise bedient, um seine Austauschbeziehungen mit anderen zu organisieren, in seinem Sinngehalt doch eher faßbar erscheint als der Vertrag überhaupt oder gar die hochrangige Abstraktion "Rechtsgeschäft". Im Hinblick auf die überragende wirtschaftliche Bedeutung des gegenseitigen Vertrags in der heutigen arbeitsteiligen Gesellschaft ist damit auch die wohl praktisch wichtigste Gruppe von Rechtsgeschäften erfaßt. Nicht zuletzt erleichtert es uns die Konzentration auf den gegenseitigen Vertrag, die Ergebnisse der Untersuchung zu nutzen, um einer Lösung des dogmatischen Problems näherzukommen, das der Eigenschaftsirrtum beim Spezieskauf darstellt. Das im dritten Teil der Arbeit entwickelte Verständnis des gegenseitigen Austauschvertrags als Verwirklichung der bürgerlichen Freiheit beider Vertragspartner im Bereich der Wirtschaft und die Überlegungen zur Aufgabe des Rechts im Vertragsbereich wollen wir dann im vierten Teil fruchtbar machen, um den Sinn der Sachmängelgewährleistung beim Spezieskauf näher zu erhellen. Dabei wird sich zeigen, daß es sich bei der Regelung der §§ 459 ff. BGB um eine gelungene Synthese privatautonomer und rechtlicher Konfliktsentscheidung handelt, die gerade dem spezifischen Charakter des Streits zwischen Verkäufer und Käufer einer fehlerhaften Speziessache mit einer differenzierten, inhaltlich angemessenen Lösung gerecht wird.
2 Huda
Erster Teil
Der Streit über die dogmatische Begründung der Sachmängelgewährleistung beim Spezieskauf I. Zitelmanns Sicht des Eigenschaftsirrtums beim Spezieskauf Grundlegenden Einfluß auf das Verständnis des Eigenschaftsirrtums beim Stückkauf hat die AuffasSllilg Ernst ZiteImanns zu diesem Problem erlangt, die er in seinem 1879 erschienenen Werk "Irrtum und Rechtsgeschäft" aus seiner Rechtsgeschäftslehre entwickelte.
1. Zitelmanns Rechtsgeschäftslehre Kernpunkt von ZiteImanns Rechtsgeschäftslehre ist die Unterscheidung von Geschäftsinhalt und Motiv. Zitelmann definiert das Rechtsgeschäft als die auf das Eintreten einer Rechtswirkung gerichtete Willenserklärung, welche Ursache fUr den Eintritt dieser Rechtswirkung ist.! Zum Tatbestand der Erklärungshandlung gehört die richtige Vorstellung über den Inhalt dieser Handlung; fehlt sie infolge eines Irrtums, so ist der Tatbestand des Rechtsgeschäfts unvollständig, es vermag keine Rechtsfolge hervorzubringen. 2 Dasselbe gilt, wenn die nach der Verkehrsanschauung durch die Erklärungshandlung erklärte Rechtsfalge in Wirklichkeit nicht beabsichtigt war: Hier ist aufgnmd des fehlenden Rechtsfolgebewußtseins des Erklärenden der rechtsgeschäftliche Tatbestand unvollständig, ein wirksames Rechtsgeschäft liegt ebenfalls nicht vor. 3 Im Gegensatz zu Irrtümern, die die Erklärungshandlung oder die Rechtsfolgeabsicht betreffen, vermögen Irrtümer hinsichtlich deJjenigen Vorstellungen, die den Erklärenden zur Vornahme des Rechtsgeschäfts bewogen haben, also Irrtümer im Motivbereich, die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts nicht zu beeinträchtigen. 4
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Vgl. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 288. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 341. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 342. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 342 und 414 f.
I. Zitelmanns Sicht des Eigenschaftsirrtums
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2. Der Eigenschaftsirrtum als Motivirrtum Schwierigkeiten ergeben sich Zitelmann zufolge, wenn die begrifflich klar voneinander geschiedenen Fälle des Irrtums bezüglich des Erklärungsbewußtseins, hinsichtlich der Rechtsfolgeabsicht und im Motiv in der Praxis gegeneinander abgegrenzt werden sollen. 5 Insbesondere gilt dies fiir die Unterscheidung von Absichts- und Motivirrtunl. 6 Für die Fälle, in denen ein individuell bestimmtes Objekt Gegenstand einer Rechtsfolgeabsicht ist, vertritt nun Zitelmann die Auffassung, Vorstellungen über Identität und Eigenschaften dieses Objekts könnten niemals Bestandteil der auf es bezüglichen Rechtsfolgeabsicht sein. Solche Vorstellungen kämen höchstens als Motiv der Rechtsfolgeabsicht in Betracht. 7 Zitelmanns Überlegungen zu dieser Frage stellen sich wie folgt dar: Die Rechtsfolgeabsicht muß auf einen konkreten Rechtserfolg gerichtet sein, sie muß sich auf diesen Erfolg individualisieren. 8 Der konkrete rechtliche Erfolg seinerseits wird durch zwei Faktoren bestimmt: durch die Vorstellung eines bestimmten Geschehens und durch die Vorstellung des Objekts, an dem sich dieses Geschehen vollzieht. 9 Die Vorstellung des Geschehens ist nun, da sie sich auf etwas Künftiges bezieht, an sich noch abstrakt, sie wird erst konkret durch die Vorstellung des bestimmten körperlichen Substrats, das Gegenstand der Veränderung ist.!O Die entscheidende Frage ist daher, wodurch dieses körperliche Substrat zum von allen anderen Objekten eindeutig unterscheidbaren Objekt wird. I I Zitelmann zufolge erfolgt diese Objektsindividualisierung dadurch, daß der Gegenstand an einem bestimmten Orte zu einer bestimmten Zeit sinnlich wahrgenommen wird. 12 Die Rechtsfolgeabsicht richtet sich auf den Eintritt der rechtlichen Veränderung an dem durch die Vorstellung des "Hier und Jetzt" eindeutig individualisierten Objekt. Darin erschöpft sie sich aber auch. Will man den Eintritt des Rechtserfolgs bezüglich des durch die Vorstellung seiner raum-zeitlichen Präsenz vollständig individualisierten Gegenstandes, so können Vorstellungen über Eigenschaften dieses Gegenstandes nicht mehr Bestandteil der Rechtsfolgeabsicht sein. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 433. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 435. 7 Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 436 und 440. 8 Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 436. 9 Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 439. 10 Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 438. 11 Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 438. 12 Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 439.
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1. Teil: Die Begründung der Sachrnängelgewährleistung
Die Eigenschaften nämlich, die dem Gegenstand anhaften, sind bereits vorhanden, was aber ist, von dem kann man nicht mehr wollen, daß es werde. 13 Daher können Vorstellungen über die Eigenschaften eines durch die Bezugnahme auf das hic et nune individualisierten Gegenstandes nicht als Element der Rechtsfolgeabsicht in Betracht kommen, die sich auf den Eintritt einer rechtlichen Veränderung hinsichtlich dieses Gegenstandes richtet. Derartige Eigenschaftsvorstellungen können allenfalls als Motive der Rechtsfolgeabsicht zugrundeliegen. 14 Das aber bedeutet, daß der Eigenschaftsirrtum als Unterfall des Motivirrturns die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts nicht beriihrt - ein Ergebnis, das Zitelmann auch als mit den Grundsätzen des römischen Rechts übereinstimmend ansieht. 15
11. Der Einfluß der Lehre ZiteImanns auf Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 1. Sachmängelgewährleistung und Irrtumsregelung im ersten und zweiten Entwurl des BGB Zitelmanns Einordnung des Eigenschaftsirrtums als Motivirrtum, der die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts unberiihrt läßt, hat zunächst die gesetzgeberische Konzeption von Irrtumsregelung und Sachmängelhaftung beeinflußt.
a) Der erste Entwurf des BGB Zur Begründung der Sachmängelhaftung wird im ersten Entwurf des BGB angefuhrt, diese sei im obligatorischen Veräußerungsvertrag begründet, beruhe aber nur auf der Berücksichtigung wichtiger Verkehrsinteressen und sei insoweit positiven Rechts. 16 Zwar scheint der erste Teil dieser Formulierung noch die Möglichkeit offenzulassen, daß nach Auffassung des Gesetzgebers der Kaufvertrag sich auf
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Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 439 f. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 440 und 492. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 552 f. Vgl. Mot. I, S. 203.
II. Der Einfhlß der Lehre ZiteImanns
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Eigenschaften der Kaufsache bezieht, wobei freilich nicht deutlich wird, in welcher Weise man sich einen derartigen Bezug zu denken hätte. I 7 Der Hinweis auf die Berücksichtigung des Verkehrsinteresses durch das positive Recht als Begründungsmoment der Sachmängelhaftung deutet aber bereits auf den Einfluß ZiteImanns hin, der einen Bezug des Spezieskaufvertrags auf die Eigenschaften der Kaufsache ja gerade ablehnt. Noch deutlicher wird ZiteImanns Einfluß in den Ausführungen der Motive zur Irrtumsregelung. So statuiert der erste Entwurf in § 102 die Unbeachtlichkeit des Irrtums in den Beweggründen, soweit nicht das Gesetz ein anderes bestimme. 18 Im Anschluß an Zitelmann charakterisieren die Motive auch den Irrtum über Eigenschaften des Geschäftsgegenstandes als Irrtum im Beweggrund, der die Willenswirklichkeit nicht ausschließe. 19 Einem etwa vorhandenen Bedürfnis, den im Hinblick auf die Eigenschaften einer Sache Irrenden zu schützen, werde durch sonstige Rechtsbehelfe, insbesondere durch die Regeln der Sachmängelgewährleistung, Genüge getan. 20 Nach der Konzeption der Motive bleibt also der über Eigenschaften des Geschäftsgegenstandes Irrende, da er lediglich im Motiv irrt, ohne den Schutz des Anfechtungsrechts. Wenn der Gesetzgeber ihm beim Kaufvertrag, obwohl die Eigenschaften der Kaufsache nicht zum Geschäftsinhalt gehören, gleichwohl durch Gewährung der Rechtsbehelfe Wandelung und Minderung hilft, so beruht das lediglich auf der Berücksichtigung der Bedürfnisse des Geschäftsverkehrs, also von außervertraglichen Momenten. Die Sachmängelgewährleistungsansprüche stellen sich damit als Regelung eines nur aufgrund besonderer gesetzlicher Entscheidung ausnalunsweise beachtlichen Motivirrtums dar. b) Der zweite Entwurfdes BGB Im zweiten Entwurf wird die Behandlung des Eigenschaftsirrtums modifiziert. Abweichend vom ersten Entwurf wird der Irrtum über Eigenschaften nunmehr fur beachtlich erklärt, wenn die betreffenden Eigenschaften nach der Verkehrsanschauung als wesentlich anzusehen sind. Begründet wird diese Abweichung vom ersten Entwurf mit dem Argument, die ausnahmslose Unbeachtlichkeit des als bloßer 17 Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 50, bezeichnet die Formulierung in Anmerkung 69 als "unklar und ohne dogmatische Bedeutung". 18 Vgl. Mot. I, S. 203. 19 Vgl. Mot. I, S. 199. 20 Vgl. Mot. I, S. 199.
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1. Teil: Die Begründung der Sachmänge1gewährleistung
Motivirrtum verstandenen Eigenschaftsirrtums werde dem Bedürfnis des Verkehrs, der Billigkeit und dem Zuge der modernen Rechtsentwicklung nicht gerecht. Ein auf einem solchen Irrtum beruhendes Geschäft sei fiir den Irrenden nicht selten nachteiliger als ein Geschäft, bei dem er sich über den Geschäftsgegenstand selbst geirrt habe. 21 Auch legt sich der zweite Entwurf bei der psychologischen Einordnung des Eigenschaftsirrtums weniger fest, als es die Motive tun: Es wird lediglich die Auslegung als nicht ausgeschlossen bezeichnet, daß der Eigenschaftsirrtum als Motivirrtum nicht unter den im Gesetz verwendeten Begriff des Inhaltsirrtums falle, weshalb sich eine ausdrückliche gesetzliche Klarstellung empfehle, daß der Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften beachtlich sei. 22 Zitelmanns Lehre von der generellen Unbeachtlichkeit des Motivirrtums wird also nicht mehr so uneingeschränkt übernommen, wie das noch im ersten Entwurf der Fall war. Dies äußert sich nicht zuletzt auch in der Streichung des § 102 des ersten Entwurfs, der die Unbeachtlichkeit des Irrtums im Beweggrunde explizit normiert hatte. Als Begrtindung fiir die Streichung fuhrt die zweite Konunission in erster Linie an, es müsse der Wissenschaft offengelassen werden, eventuell den error in persona und in corpore, insbesondere aber auch den error in qualitate als Motivirrtum zu charakterisieren. 23 Hier wird noch eimnal klargestellt, daß der Eigenschaftsirrtmn möglicherweise psychologisch als Motivirrtum zu qualifizieren ist wie dies Zitelmann getan hatte -, ohne daß doch daraus zwingend seine juristische Unbeachtlichkeit folgen müßte. Hinsichtlich der Sachmängelhaftung betont der zweite Entwurf dann aber noch deutlicher als der erste, daß beim Kauf einer Sache, die mit einem dem Käufer unbekannten Mangel behaftet ist, an sich ein Motivirrtum des Käufers vorliege. Dieser Motivirrtum gebe, abweichend von dem allgemeinen Grundsatz der Unbeachtlichkeit des Motivirrtums, nur aufgrund positivrechtlicher Vorschrift dem Käufer die Rechtsbehelfe der Wandlung und Minderung?4 Insgesamt ergibt sich damit folgendes Bild: Der zweite Entwurf des BGB räumt dem von Zitelmann formulierten Grundsatz der Unbeachtlichkeit des Motivirrtums eine etwas geringere Bedeutung ein als der erste. Dies äußert sich in der Streichung des § 102 des ersten Entwurfs, der Zitelmanns These gesetzlich normiert hatte, sowie in der Anerkennung des Irrtums über verkehrswesentliche Eigenschaften des Geschäftsgegenstandes als Anfechtungsgrund ungeachtet seiner möglichen psychologischen Einordnung als Motivirrtum. 21 22 23 24
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Prot. Prot. Prot. Prot.
I, S. I, S. I, S. I, S.
114. 114. 671. 671.
II. Der Einfluß der Lehre Zitelmanns
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Gnmdsätzlich hält aber auch der zweite Entwurf am Prinzip der UnbeachtIichkeit des Motivirrtums fest. Auch wird die Sachmängelhaftung beim Kauf weiterhin verstanden als Fall eines Motivirrtums des Käufers, der erst aufgnmd besonderer gesetzlicher Regelung dem Käufer die ädilizischen Rechtsbehelfe zu geben vermag.
2. Der Schutz des im Motiv irrenden Käufers als ratio der Sachmängelgewährleistung Nach Inkrafttreten des BGB hat denn auch das Verständnis der Sachmängelgewährleistung nach §§ 459 ff?5 als Spezialregelung zur Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums nach § 119 II in Rechtsprechung und Lehre zahlreiche Befürworter gefunden?6 Der Eigenschaftsirrtum seinerseits wird dabei vielfach als ausnahmsweise beachtlicher Motivirrtum begriffen. 27 Es fragt sich, ob damit der Rechtsgnmd, die ratio der Sachmängelgewährleistung beim Spezieskauf richtig erfaßt wird. Dieser Frage soll unter zwei Gesichtspunkten näher nachgegangen werden. Zunächst wird untersucht, ob die §§ 459 ff. im Verhältnis zu § 119 II leges speciales sind. Dies geschieht, indem die möglichen Anwendungsbereiche sowie die Fassung von Tatbestand und Rechtsfolgen der §§ 459 ff. und des § 119 II miteinander verglichen werden. Anschließend gilt es zu prüfen, ob das zentrale Tatbestandsmerkmal der §§ 459 ff., der "Fehler", sinnvoll ausgelegt werden kann, wenn man der Ansicht ist, Rechtsgnmd der Sachmängelgewährleistung beim Stückkauf sei der Schutz des Käufers, der einem Eigenschaftsirrtum erlegen ist. a) Das Verständnis der §§ 459fJ als leges speciales zu § 119 II Zunächst soll einmal als gegeben vorausgesetzt werden, daß die Kaufsache fehlerhaft ist. War der Fehler bereits bei Abschluß des Kaufvertrags vorhanden, ohne daß der Käufer davon wußte, und betrifft er eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Kaufsache, so kommt an sich sowohl eine Sachmangelhaftung des Verkäufers nach §§ 459 ff. als auch eine Anfechtung des Kaufvertrags durch den Käufer gemäß § 119 11 in Betracht. §§ ohne nähere Bezeichnung sind solche des BGB. Vgl. BGHZ 34,32 (33 f.); 63, 369 (376); 78, 216 (218); Ennan-Brox, § 119 Rz. 19; Larenz, Schuldrecht II11, § 41 II e); Palandt-Heinrichs, § 119 Rz. 28; StaudingerDilcher, § 119 Rz. 62. 27 Vgl. Ennan-Brox, § 119 Rz. 41; Hübner, AT, Rz. 786; Larenz, AT, § 20 II b); Palandt-Heinrichs, § 119 Rz. 33. 2'
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1. Teil: Die Begründung der Sachmänge1gewährleistung
Die Rechtsprechung und ein Großteil der Lehre gehen jedoch davon aus, daß die §§ 459 ff. als spezielle Regelung eines Eigenscha:ftsirrtums es dem Käufer verwehren, den Kaufvertrag nach § 119 11 anzufechten. 28 Dies soll jedenfalls von dem Zeitpunkt an gelten, zu dem die GewährleistungsansplÜChe des Käufers entstanden sind, d.h. vom Zeitpunkt des Gefahrübergangs an. 29 Begründet wird das angenommene Spezialitätsverhältnis der §§ 459 ff. und des § 119 11 vor allem mit der kurzen VeIjährungsfrist des § 477 für die Ansprüche des Käufers auf Sachmängelgewährleistung, die der Sicherheit des Rechtsverkehrs dienen solle. Diese kurze VeIjährungsfrist werde durch eine Anwendung des § 119 11 neben den §§ 459 ff. unterlaufen, da das Anfechtungsrecht des Käufers, dem der Fehler unbekannt bleibt, gemäß § 122 11 erst dreißig Jahre nach Abschluß des Kaufvertrags veIjähren würde. 30 Ferner soll vermieden werden, daß deIjenige Käufer, dem wegen grobfahrlässiger Unkenntnis des Mangels gemäß § 460 S. 2 keine MängelgewährleistungsansplÜChe zustehen, durch Anfechtung des Kaufvertrags nach § 119 11 doch noch, wenn auch um den Preis des Ersatzes des Vertrauensschadens des Verkäufers gemäß § 122 I, in etwa das wirtschaftliche Resultat der Wandlung erreicht. 3 ! Mögen dies auch sachliche GIiinde von Gewicht sein, die für eine Verdrängung der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums durch die Sachmängelgewährleistung sprechen, so bedeutet das noch nicht, daß die §§ 459 ff. im Verhältnis zu § 119 11 verdrängende leges speciales sind. Im logischen Verhältnis der Spezialität stehen Normen zueinander, wenn der Anwendungsbereich der spezielleren Norm vollkommen in dem der allgemeineren aufgeht. 32 Vergleicht man nun die Anwendungsbereiche der §§ 459 ff. einerseits und des § 11911 andererseits, so ergibt sich, daß sie sich überschneiden, aber nicht decken: Ist der dem Käufer unbekannte Fehler der Kaufsache zwar bei Abschluß des Kaufvertrags vorhanden, bis zum Gefahrübergang aber behoben, so kann nur § 119 11 zur Anwendung kommen. Wird hingegen die Kaufsache erst nach Vertragsschluß, aber vor Gefahrübergang mangelhaft, so ist umgekehrt schon der Tatbestand des § 119 11 nicht erfüllt, wohl aber sind die §§ 459 ff. anzuwenden. Nur wenn der dem 28 Vgl. BGHZ 63, 369 (376); 78, 216 (218); Errnan-Brox, § 119 Rz. 19; Hübner, AT, Rz. 791; Larenz, AT, § 20 II d) und SchR II11, § 41 II e); Palandt-Heinrichs, § 119 Rz. 28; Staudinger-Dilcher, § 119 Rz. 62. . 29 Vgl. BGHZ 34,43 (34); Palandt-Heinrichs, § 119 Rz. 28; Staudinger-Dilcher, § 119 Rz. 62. 30 Vgl. BGHZ 34, 32 (34); Hübner, AT, Rz. 79l. 31 Vgl. Hübner, AT, Rz. 791; Larenz, SchR II11, § 41 II e). 32 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 267; Süß, Wesen und Rechtsgrund der Gewährleistung für Sachmänge1, S. 202.
II. Der Einfluß der Lehre Zitelmarms
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Käufer lUlbekannte Fehler sowohl bei Vertragsschluß als auch bei Gefahrübergang vorhanden ist, sind sowohl der Tatbestand des § 119 11 als auch derjenige der §§ 459 ff. erfiillt. Nur in diesem Falle stellt sich also das Konkurrenzproblem. 33 Stehen §§ 459 ff. lUld § 11911 zueinander also nicht im Verhältnis der Spezialität, so dürfte es wegen der nur teilweisen Deckung ihrer möglichen AnwendlUlgsbereiche korrekter sein, von Subsidiarität infolge erschöpfonder Regelung zu sprechen. 34 Im Hinblick auf die Frage nach dem Rechtsgrund der Sachmängelgewährleistllilg beim Stückkauf ist diese Inkongruenz der Tatbestände von Bedeutung. Sie legt die Annalune nahe, daß auch die ratio von SachmängelgewährleistlUlg lUld Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtum nicht identisch ist. Läßt sich diese Vermutung erhärten, indem man die Tatbestände lUld Rechtsfolgen von § 119 11 lUld §§ 459 ff. näher miteinander vergleicht? Zentrales Tatbestandsmerkmal des § 119 11 ist der Irrtum des Erklärenden hinsichtlich einer verkehrswesentlichen Eigenschaft des Geschäftsgegenstandes, während § 459 I den Fehler der Kaufsache in den Mittelpunkt stellt. Offenbar hat im Falle des § 11911 die Störung - dies Wort sei hier im lUltechnischen Sinne verwendet - im Verhältnis zwischen den Geschäftspartnern ihren Ursprung in der Person des Irrenden, das heißt, übertragen auf den Kauf, in der Person des Käufors, der sich über das Vorhandensein einer verkehrswesentlichen Eigenschaft der Kaufsache irrt. Hingegen betrifR im Falle des § 459 I der Fehler der Kaufsache den vom Verkäufer zu leistenden Gegenstand. Hier rührt also nach der AuffasSlUlg des Gesetzes die Störung im Verhältnis der Kaufvertragsparteien aus der Sphäre des Verkäufors her. In bezug auf den Kauf zeigt denmach der Vergleich der gesetzlichen Tatbestände des § 11911 auf der einen lUld der §§ 459 ff. auf der anderen Seite, daß der Eigenschaftsirrtum dem Verantwortungsbereich des Käufers, der Fehler der Kaufsache dagegen dem Verantwortungsbereich des Verkäufers zuzurechnen ist?5 Entsprechend lUlterscheiden sich die Rechtsfolgen: Wer durch den Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft zur Abgabe einer Willenserklärung veranlaßt wurde, erhält zwar nach § 119 11 das Recht, seine Willenserklärung anzufechten. Übt er Vgl. Herberger, Sachmängelhaftung, S. 171; Wolff, Ther. Jb. 56, 1 (37 f.). Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 268, dort Fußnote 28. " Bezogen auf das Verhältnis der Vorstellung des Käufers zur Wirklichkeit hat bereits Wolff, Ther. Jb. 56,1 (39 ff.), den hier dargestellten Unterschied treffend herausgearbeitet. Er bringt ihn auf die prägnante Formel, beim Irrtum des § 119 II sei die Wirklichkeit das Gegebene und damit Richtige, die Vorstellung des Irrenden von der Wirklichkeit sei dagegen falsch. Gerade umgekehrt verhält es sich nach Wolff bei der Sachmängelgewährleistung: Hier hat der Käufer eine berechtigte und damit richtige Vorstellung von der Kaufsache, doch ist die Wirklichkeit "falsch", weil die Kaufsache die vom Käufer berechtigterweise vorgestellte Eigenschaft tatsächlich nicht hat. Ebenso Süß, Wesen und Rechtsgrund der Sachmängelgewährleistung, S. 207 ff. 33
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1. Teil: Die Begründung der Sachmängelgewährleistung
sein Anfechtungsrecht aus, so muß der Irrende, aus dessen Sphäre die Störung des Verhältnisses zmn Geschäftspartner stammt, dann aber dem Partner nach § 122 I seinen Vertrauensschaden ersetzen. Dagegen spricht § 459 I von einer Haftung des Verkäufers fiir Fehler der Kaufsache. Hier ist es der Verkäufer, der dem Käufer fiir Mängel des von ihm gelieferten Leistungsobjekts einzustehen hat, dem also das Gesetz, da die Störung des Vertragsverhältnisses aus seinem Verantwortungsbereich herrührt, auch die Verantwortung dafiir zuweist, daß diese Störung bewältigt wird. Zusammenfassend läßt sich damit feststellen: Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dienen sowohl die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums als auch die Sachmängelgewährleistung dem Schutz des Käufers, wenn die Kaufsache andere Eigenschaften aufweist, als er annimmt. 36 Ihre inkongruenten Anwendungsbereiche, vor allem aber die unterschiedliche Fassung der gesetzlichen Tatbestände, die in den deutlich divergierenden Rechtsfolgen ihre Entsprechung findet, erlauben es aber nicht, von einem identischen Rechtsgrund beider Institute auszugehen. § 119 n läßt sich, wie es im zweiten Entwurf des BGB angedeutet ist, in Anlehnung an Zitelmann durchaus als Sonderfall des Motivirrtums begreifen, der zmn Schutze des im Motiv Irrenden diesem ausnahmsweise aufgrund besonderer gesetzlicher Anordnung ein Anfechtungsrecht gibt. Übt er dieses Recht aus, so muß der Irrende allerdings dem Gegner dessen Vertrauensschaden ersetzen. Anders liegen die Dinge bei § 459 I: Hier ist offenbar, wie Tatbestand und Rechtsfolge zeigen, der Käufer von vornherein "im Recht", es ist an dem Verkäufer, der durch die Fehlerhaftigkeit der Kaufsache aufgetretenen Störung im Verhältnis der Kaufvertragsparteien zu begegnen. Als besondere Regelung eines Motivirrtums des Käufers lassen sich die 459 ff. daher nicht verstehen. b) Der FehlerbegrifJbei Verständnis der §§ 459 jJ. als Sonderregelung eines Eigenschaflsirrtums des Käufers Bestätigt sich dieses Ergebnis, wenn man fragt, wie das zentrale Tatbestandsmerkmal"Fehler" in § 459 I auszulegen ist? Um einen Fehler feststellen zu können, bedarf es eines Maßstabs, an dem die Beschaffenheit der Kaufsache gemessen wird. Es sind zwei Möglichkeiten denkbar, einen solchen Maßstab zu gewinnen. Zum einen kann er aus dem jeweiligen konkreten Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer entnommen werden. Der eher
36 Zu weitgehend scheint uns daher die Ansicht Herbergers, Sachmängelhaftung, S. 172, die Zielsetzung der beiden Rechtsinstitute sei genau entgegengesetzt.
Ir. Der Einfluß der Lehre Zitelmanns
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vage Begriff "Verhältnis" ist hier bewußt gewählt. Er deutet an, daß sowohl der eigentliche Inhalt des Kaufvertrags als auch die dem konkreten Kaufvertrag bloß vorgelagerten oder zugrundeliegenden Umstände in Betracht kommen, wenn es um die Entwicklung eines Maßstabs fiir die Beschaffenheit der Kaufsache geht, bei dessen Unterschreitung ein Fehler vorliegt. Da sich der Fehlerbegriff in beiden Fällen aus einer Bezugnahme auf die kaufvertragliche Vereinbarung der Parteien bestimmt, mag man hier von einem subjektiven FehlerbegrifJ sprechen. Zum anderen ist es möglich, die Frage der Fehlerhaftigkeit der Kaufsache anhand eines außervertraglichen Maßstabs zu beantworten. Da dieser vom konkreten Verhältnis der Kaufvertragsparteien unabhängig ist, kann man ihn als objektiven F ehlerbegrifJbezeichnen. 37 Läßt sich nun die Auffassung der §§ 459 ff. als Spezialregelung des Eigenschaftsirrtums mit einem der beiden Fehlerbegriffe vereinbaren? Zunächst soll auf das Verhältnis zum subjektiven Fehlerbegriff eingegangen werden. Geht man davon aus, daß das Sachmängelgewährleistungsrecht beim Spezieskauf den Eigenschaftsirrtum des Käufers als ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtum regelt, so liegt dem Zitelmanns Hypothese zugrunde, derzufolge sich der Inhalt des Kaufvertrags gerade nicht auf die Eigenschaften der Kaufsache bezieht. Dann kann aus dem Vertragsinhalt aber auch kein Maßstab gewonnen werden, anhand dessen sich bestimmen ließe, wann ein Fehler der Kaufsache vorliegt. Diesem Einwand sieht man sich nicht ausgesetzt, wenn man nicht aus dem Vertragsinhalt selbst, sondern anhand der dem Kaufvertrag nur vorgelagerten bzw. zugrundeliegenden Umstände bestimmen will, ob die Kaufsache fehlerhaft ist. Allerdings ergeben sich hier ähnliche Bedenken: Soll das Vorhandensein einer bestimmten Eigenschaft der Kaufsache dem Kaufvertrag zugrundegelegt werden, so bedarf dies doch wohl einer diesbezüglichen Übereinkunft der Parteien, wenngleich dieses Übereinkommen nicht Vertragsinhalt wird. Mindestens dürfte eine gemeinsame Vorstellung der Parteien vom Vorhandensein der betreffenden Eigenschaft erforderlich sein, um einen Fehler annehmen zu können, wenn sie fehlt. Die einseitige Eigenschaftsvorstellung des Käufers allein dagegen kann, wenn sie sich als unzutreffend erweist, es nicht rechtfertigen, die Kaufsache als fehlerhaft zu bezeichnen: Mit dem Begriff der Fehlerhaftigkeit verbindet sich ein Unwerturteil hinsichtlich der Beschaffenheit der Kaufsache. Dieses Unwerturteil bedarf nun aber doch einer breiteren Wertungsgrundlage, als es die subjektiven Vorstellungen nur einer der beiden Kaufvertragsparteien sein können, mögen diese Vorstellungen fiir 37 Haymann, RG-Festschrift S. 323, spricht im Hinblick auf die Lösung vorn Verhältnis zwischen den Kaufvertragsparteien von einer absoluten Bestimmung des Fehlerbegriffs.
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1. Teil: Die Begründung der Saclunänge1gewährleistung
sie auch Motiv zum Abschluß des Kaufvertrags gewesen sein. Insofern ist der Terminus "subjektiver Fehlerbegrifi" bis zu einem gewissen Grade irrefiihrend: Dem Vertragsinhalt, aber auch dem "Umfeld" des Kaufvertrags ist ja immer schon das Moment der Zweiseitigkeit immanent, das nicht zuläßt, daß rein subjektiv-einseitige Vorstellungen einer Partei maßgebliche Bedeutung gewinnen. Von daher wohnt auch dem subjektiven Fehlerbegriff ein starkes objektives Element inne. Mit anderen Worten: Will man als Rechtsgrund der Sachmängelgewährleistung den Schutz des Käufers ansehen, der sich über eine Eigenschaft der Kaufsache geirrt hat und damit einem Motivirrtum erlegen ist, so begibt man sich der Möglichkeit, aus dem Inhalt des Kaufvertrags oder aber aus seinem "Umfeld" den Maßstab zu gewinnen, anhand dessen sich feststellen ließe, ob die Kaufsache einen Fehler aufweist. Die Feststellung, daß das Tatbestandsmerkmal "Fehler" des § 459 I erfiillt ist, kann nämlich nur als Ergebnis eines Wertungsvorgangs erfolgen, für den die einseitige Eigenschaftsvorstellung allein des Käufers eine zu schmale Basis darstellt. Die Auffassung der §§ 459 ff. als spezielle Regelung zum Schutze des über eine Eigenschaft der Kaufsache irrenden Käufers ist demnach mit dem subjektiven Fehlerbegriff in seinen verschiedenen Spielarten inkompatibel. Es fragt sich, ob dieses Verständnis des Rechtsgrundes der Sachmängelgewährleistung beim Spezieskauf sich mit dem objektiven Fehlerbegriffvereinbaren läßt. Nach dem objektiven Fehlerbegriff handelt es sich bei dem Fehler um eine für den Käufer nachteilige Abweichung der gelieferten Sache von der normalen Beschaffenheit der Art oder Gattung, welcher die Sache angehört?8 Auf die Schwierigkeiten, die richtige Vergleichsgattung zu bestimmen, ist an dieser Stelle nicht näher einzugehen. Vielmehr soll einmal davon ausgegangen werden, daß eine präzise abgegrenzte Vergleichsgattung für die Fehlerfreiheit der Kaufsache vorhanden ist. Eine negative Abweichung der Kaufsache von den Eigenschaften der Vergleichsgattung stellt dann einen Fehler dar, der grundsätzlich das Recht des Käufers auf Wandelung oder auf Minderung auslösen muß. Welche Bedeutung kommt in diesem Zusanunenhang nun den Eigenschaftsvorstellungen des Käufers zu? Hat er sich irrig vorgestellt, die Beschaffenheit der Kaufsache entspreche der Normalbeschaffenheit einer Sache der Vergleichsgattung, so stehen ihm die Sachmängelgewährleistungsrechte zu. Fehlte es an einem solchen Irrtum, kannte also der Käufer die ungünstige Qua1itätsabweichung, so hat er nach § 460 S. I keine Gewährleistungsrechte. Danach erscheint es noch denkbar, bei Zugrundelegung eines objektiven Fehlerbegriffs den Schutz des hinsichtlich einer Eigenschaft der Kaufsache irrenden Käufers als Rechtsgrund der Sachmängelgewährleistung anzusehen. Möglich ist es aber auch, daß dem Fehlen eines solchen Irrtums, also der 38
Vgl. Knöpfle, JZ 78, 121 (127 l. Sp.); ders., Der Fehler beim Kauf, S. 265.
II. Der Einfluß der Lehre Zitelmanns
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Kenntnis des Käufers vom Vorhandensein eines Fehlers bei Vertragsschluß, in bezug auf seine Gewährleistungsrechte lediglich eine negative Funktion zukommt. Fehlt nun aber der Kaufsache eine Eigenschaft, die nicht in der Normalbeschaffenheit der Vergleichsgattung inbegriffen ist, so ist die Kaufsache nach dem objektiven Fehlerbegriff deswegen nicht fehlerhaft. Nimmt der Käufer irrtümlich an, eine solche Eigenschaft liege vor, und läßt er sich durch diese Fehlvorstellung zum Kauf motivieren, so können ihm dennoch mangels eines Fehlers der Kaufsache keine Sachmängelgewährleistungsrechte zustehen. Daraus folgt: Die Annahme, Rechtsgrund der Sachmängelgewährleistung sei der Schutz des einem Eigenschaftsirrtum erlegenen Käufers, verträgt sich auch nicht mit dem objektiven Fehlerbegriff. Mißt man die Beschaffenheit der Kaufsache am Maßstab der Beschaffenheit einer Vergleichsgattung, so hat der Käufer nur bei Unterschreitung des Qualitätsstandards der Vergleichsgattung die Sachmängelgewährleistungsrechte. Kenntnis des so definierten Fehlers nimmt dem Käufer gemäß § 460 S. 1 zwar seine Rechte, hat also insoweit eine negative Funktion. Doch stehen dem Käufer immer dann, wenn er sich irrig eine Eigenschaft als vorhanden vorstellt, die nicht von der Normalbeschaffenheit einer Sache der Vergleichsgattung umfaßt ist, keine Gewährleistungsrechte zu, weil in diesem Fall das Tatbestandsmerkmal "Fehler" nicht erfiillt ist. Dann kann aber, wenn man vom objektiven Fehlerbegriff ausgeht, der Rechtsgrund der Sachmängelgewährleistung nicht im Schutze des über eine Eigenschaft der Kaufsache irrenden Käufers bestehen. Insgesamt ergeben unsere Überlegungen zum Fehlerbegriff damit folgendes Bild: Die Annahme, die §§ 459 ff. regelten einen Spezialfall des Eigenschaftsirrtwns beim Käufer, ist sowohl mit dem subjektiven Fehlerbegriff in seinen verschiedenen Ausprägungen als auch mit dem objektiven Fehlerbegriff unvereinbar. In keinem Fall vermag der als einseitiger Motivirrtum verstandene Eigenschaftsirrtum des Käufers die Bewertung der Kaufsache als fehlerhaft zu rechtfertigen. Ein solches Unwerturteil hinsichtlich der Beschaffenheit der Sache, das zur Erfiillung des Tatbestandes von § 459 I erforderlich ist, verlangt eine breitere Bewertungsgrundlage als die nur einseitige Vorstellung des Käufers. Das Ergebnis, das oben unter 1. aus einem Vergleich der Anwendungsbereiche, Tatbestände und Rechtsfolgen des § 119 11 auf der einen, der §§ 459 ff. auf der anderen Seite gewonnen wurde, wird also durch die Einbeziehung des Fehlerbegriffs in die Betrachtung bestätigt. Die §§ 459 ff. sind nicht leges speciales gegenüber § 11911. Der Schutz des Käufers, der bei Vertragsschluß einem Irrtum über Eigenschaften der Kaufsache erlegen ist, ist nicht ratio der §§ 459 ff.
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1. Teil: Die Begründung der Sachmängelgewährleistung
3. Die Auffassung von Larenz: Das Sachmängelgewährleistungsrecht als gesetzliche Sonderregelung des Fehlens der Geschäftsgrundlage Larenz faßt in "Geschäftsgrundlage und Vertragserfiillung" die §§ 459 ff. als gesetzliche Sonderregelung eines Falls des Fehlens der Geschäftsgrundlage auf Damit ist Larenz der Lehre Zitelmanns insofern verpflichtet, als auch er die Begründung der Sachmängelgewährleistung beim Spezieskauf nicht aus dem Vertragsinhalt selbst herleitet. Mit dem Institut der Geschäftsgrundlage rückt bei der Suche nach dem Rechtsgrund der §§ 459 ff. nun allerdings ein zweiseitiges Moment ins Blickfeld, das bereits eine stärkere Emanzipation vom Ansatz Zitelmanns andeutet. Dieser hatte den Eigenschaftsirrtum des Käufers noch in den Bereich des einseitigen Motivirrtums verwiesen. Im folgenden soll untersucht werden, ob aus dem von Larenz eingenommenen Blickwinkel die ratio der Sachmängelgewährleistung beim Spezieskauf zufriedensteIlend erfaßt werden kann.
a) Larenz' Konzeption der Geschäftsgrnndlage
Larenz unterscheidet zwischen subjektiver und objektiver Geschäftsgrundlage. Bei der subjektiven Geschäftsgrundlage handelt es sich um eine den Vertragschließenden gemeinsame Vorstellung, die fur beide bei Bestimmung des Vertragsinhalts maßgebend ist. Damit ist diese Vorstellung nicht nur fur eine, sondern fur jede der beiden Parteien Motiv des Vertragsschlusses: Hätte sie die Unrichtigkeit der Vorstellung gekannt, so hätte sie entweder zur Wahrung ihrer eigenen Interessen den Vertrag nicht geschlossen oder aber, redliche Denkweise unterstellt, der anderen Partei den Vertrag nicht angesonnen. Ist die Vorstellung unrichtig, so haben sich die Parteien also in einem beiderseitigen Motivirrtum befunden. 39 Dogmatisch gehört die subjektive Geschäftsgrundlage deshalb in den Zusammenhang der Lehre vom Motivirrtum und von den Willensmängeln. 40 Den Begriff der objektiven Geschäftsgrundlage bestimmt Larenz demgegenüber durch den Bezug auf den Vertrag als verstehbares Sinngebilde. Unter der objektiven Geschäftsgrundlage versteht er die Gesamtheit der Umstände, deren Vorhandensein oder Fortdauer unabhängig vom Bewußtsein der Parteien sinngemäß im Vertrag vorausgesetzt ist, weil anderenfalls der Vertragszweck nicht verwirklicht werden
39 40
Vgl. Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 20. Ders., Geschäftsgrundlage, S. 18.
ll. Der Einfluß der Lehre Zitehnanns
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kann und die Fortgeltung des Vertrags daher "sinn-, zweck- oder gegenstandslos"
wird. 41 Die Lehre von der objektiven Geschäftsgrundlage ordnet sich Larenz zufolge in den Zusammenhang der Lehre vom Unvennögen, der nachträglichen Unmöglichkeit und der Zweckerreichung ein. 42 Ihre beiden Hauptfälle sind die Zerstörung des Äquivalenzverhältnisses und die Unerreichbarkeit des Vertragszwecks. 43 b) Das Verhältnis von Sachmängelgewährleistung und Geschäftsgrundlage Wie verhalten sich nun die Vorschriften der Saclunängelgewährleistung beim Kauf zu dem zweigliedrigen Institut der Geschäftsgrundlage? (1) Die §§ 459 ff. als gesetzliche Sonderregelung des Fehlens der
subjektiven Geschäftsgrundlage
Larenz versteht die §§ 459 ff. zunächst als gesetzliche Sonderregelung für Fälle des Fehlens der subjektiven Geschäftsgrundlage: Nimmt der Käufer irrtümlich an, die Kaufsache habe eine bestimmte Eigenschaft, so befindet er sich in einem Motivirrtum. 44 Der Verkäufer erliegt häufig dem gleichen Irrtum - so, wenn beide Parteien die verkaufte unechte Münze für echt, die verkaufte Kopie für ein Originalbild halten. 45 Als redlich denkender Mann hätte der Verkäufer bei Kenntnis der tatsächlichen Beschaffenheit der Kaufsache den Kaufvertrag so nicht geschlossen. Nach Ansicht von Larenz befand sich damit auch der Verkäufer in einem Motivirrturn. Die gemeinsame unrichtige Annahme einer bestimmten Beschaffenheit der Kaufsache stellt also einen beiderseitigen Motivirrtum der Parteien dar, so daß ein Fall des Fehlens der subjektiven Geschäftsgrundlage vorliegt.46 Dennoch kann sich der Käufer hierauf nicht berufen, weil die Vorschriften der §§ 459 ff. als gesetzliche Sonderregelung die Regeln des Fehlens der subjektiven Geschäftsgrundlage verdrängen. Dies ergibt sich insbesondere aus dem in der kurzen VeIjährungsregelung zum Ausdruck kommenden Zweck der gesetzlichen Regelung, die Anspruche aus Saclunängeln beim Kauf rasch abzuwickeln. 47 41 42 43
44 45
46
47
Ders., Geschäftsgrundlage, S. Ders., Geschäftsgrundlage, S. Ders., Geschäftsgrundlage, S. Ders., Geschäftsgrundlage, S. Ders., Geschäftsgrundlage, S. Ders., Geschäftsgrundlage, S. Ders., Geschäftsgrundlage, S.
17. 18. 19. 20 f. 22. 22. 22.
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1. Teil: Die Begründung der Sachmänge1gewährleistung
(2) Die §§ 459 ff. als gesetzliche Sonderregelung des Fehlens der objektiven Geschäftsgrundlage Erweist sich die Kaufsache für denjenigen Zweck als unbrauchbar, der "nach dem Vertrage vorausgesetzt" war, so ist der objektive Vertragszweck unerreichbar, es liegt ein Fall des Fehlens der objektiven Geschäftsgrundlage vor. Auch er wird von der gesetzlichen Sonderregelung der §§ 459 ff. erfaßt. 48 Wann aber ist ein bestimmter vom Käufer hinsichtlich der Kaufsache verfolgter Verwendungszweck zum "nach dem Vertrage vorausgesetzten" Zweck geworden? Teilt der Käufer dem Verkäufer mit, wie er die Kaufsache zu verwenden gedenkt, und nimmt der Verkäufer diese Mitteilung zur Kenntnis, so reicht dies noch nicht aus. Erst wenn der Verkäufer die Eignung der Kaufsache für den Verwendungszweck des Käufers wenigstens stillschweigend bejaht und so ein diesbezügliches Einverständnis der Parteien hergestellt wird, wird der zunächst einseitige Verwendungszweck des Käufers zum objektiven Vertragszweck. 49
c) Kritik der Ansicht Larenz'
(1) Zur Figur des beiderseitigen Motivirrtums als Grund der Haftung des Verkäufers nach §§ 459 ff. Es soll zunächst untersucht werden, inwiefern sich Fälle des gemeinsamen Irr-
tums der Kaufvertragsparteien über eine Eigenschaft der Kaufsache dem Bereich
des Fehlens der subjektiven Geschäftsgrundlage zuordnen lassen, so wie ihn Larenz konzipiert.
Diese Konzeption erweist sich bereits als solche als durchaus angreifbar. Der beiderseitige Motivirrtum, der bei Fehlen der subjektiven Geschäftsgrundlage vorliegen soll, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Motivirrtümer beider Parteien sich unterscheiden. 50 Der durch den Irrtum begünstigte Teil hätte ja, um seine eigenen Interessen zu wahren, sehr wohl den betreffenden Vertrag auch in Kenntnis der wahren Sachlage abgeschlossen, vielleicht erst recht abgeschlossen. Legt man den streng psychologischen Ansatz Zitelmanns zugrunde, so ist der Begünstigte durch seine Fehlvorstellung also gar nicht zum Vertragsschluß motiviert worden. Larenz kann zur Annahme eines beiderseitigen Motivirrtums daher nur gelangen, indem er den psychologischen Motivbegriffum eine nonnative Komponente erwei4. Ders., Geschäftsgrundlage, S. 95. 49 Ders., Geschäftsgrundlage, S. 95, dort insbesondere Anmerkung 14 mit Übernahme der Ausführungen in RGZ 70,86. so Vgl. Schapp, Rechtsgeschäftslehre, S. 73.
n. Der Einfluß der Lehre Zitehnanns
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tert. Er muß dabei in Kauf nehmen, daß die Konturen des Motivbegriffs an Schärfe verlieren. 51 Trifft diese Kritik auch auf die von Larenz vorgenommene dogmatische Einordnung der §§ 459 :ff. in das Gebiet des Fehlens der subjektiven Geschäftsgrundlage zu? Auch hier gilt, daß der von Larenz angenommene beiderseitige Motivirrtwn der Kaufvertragsparteien voraussetzt, daß man für den Verkäufer, anders als für den Käufer, den Begriff des Motivirrtwns normativ versteht, das heißt dahingehend, daß der Verkäufer als redlich denkender Mann bei Kenntnis des wahren Sachverhalts den Kauf nicht so wie geschehen abgeschlossen hätte. 52 Die Annahme eines beiderseitigen Motivirrtwns der Kaufvertragsparteien verdeckt also, daß dieser beiderseitige Motivirrtwn sich aus zwei durchaus heterogenen Elementen zusammensetzt. Das legt Zweifel nahe, ob diese von Larenz verwendete Rechtsfigur die ratio der §§ 459 ff. überzeugend zu erklären vermag. Lassen sich diese Zweifel näher substantiieren? Wie oben dargelegt, stellt der als einseitiger Motivirrtwn verstandene Eigenschaftsirrtum allein des Käufers eine zu schmale Basis für die Begründung seiner Sachmängelgewährleistungsansprüche nach §§ 459 :ff. dar. Soll nun der beiderseitige Motivirrtwn im Sinne von Larenz diese Begründung leisten, so kommt es offenbar vor allem auf dessen zweite Komponente an, d.h. auf den normativ als Motivirrturn aufgefaßten Irrtum des Verkäufers über eine Eigenschaft der Kaufsache. Im Hinblick darauf, daß er als redlich denkender Mann bei Kenntnis der tatsächlichen Beschaffenheit der Sache dem insofern ebenfalls irrenden Käufer den Kauf nicht so wie geschehen angesonnen hätte, wäre demnach der Verkäufer dem Käufer auf dessen Verlangen zur Wandelung oder Minderung verpflichtet. Damit wäre es letztlich die Unkenntnis des Verkäufers von der tatsächlichen Beschaffenheit der Kaufsache, mit der der Schutz des Käufers nach §§ 459 :ff. begründet wird. Träfe dies zu, so wäre es, wenn der Verkäufer im Gegensatz zum Käufer die tatsächliche Beschaffenheit der Kaufsache kennt, also anstelle eines beiderseitigen Motivirrtwns nur ein einseitiger Eigenschaftsirrtum des Käufers vorliegt, schwer zu begründen, warum der Käufer dennoch auch in diesem Falle den Schutz der §§ 459ff. genießt. Ist der Fehler der Kaufsache dem Verkäufer bekannt, so vermag dies nun allerdings dem Käufer die Ansprüche aufWande1ung und Minderung nicht zu nehmen. Im Gegenteil wird nicht selten zusätzlich der Tatbestand des § 463 S. 2 verwirklicht sein, der Käufer also wegen arglistigen Verschweigens des Fehlers durch den VerSI Skeptisch gegenüber Larenz' Konzeption des beiderseitigen Motivirrtums auch Schapp, Rechtsgeschäftslehre, S. 73. S2 Vgl. Larenz, Geschäftsgrundlage, S. 22.
3 Huda
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1. Teil: Die Begründung der Sachmängelgewährleistung
käufer anstelle eines der ädilizischen Rechtsbehelfe den weitergehenden Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfiillung gegen den Verkäufer geltend machen können. 53 Kenntnis des Fehlers wirkt sich fiir den Verkäufer also in bezug auf den Schadensersatzanspmch aus § 463 S. 2 haftungsbegründend, in bezug auf die Sachmängelgewährleistung insgesamt haftungsverschärfend aus. Umgekehrt folgt daraus, daß die Unkenntnis des Verkäufers hinsichtlich eines Fehlers der Kaufsache kaum das maßgebliche Moment des beiderseitigen Motivirrtums sein kann, das die Sachmängelhaftung des Verkäufers nach §§ 459 ff. überhaupt erst begründet. Kurz: Erliegt der Verkäufer demselben Irrtum bezüglich der Beschaffenheit der Kaufsache wie der Käufer, so kommt ihm dieser Umstand, was den Umfang seiner Sachmängelhaftung angeht, zugute. Er vermag diese Sachmängelhaftung also nicht zu begründen. Gegen diese Ausfiihmngen ließe sich vom Standpunkt Larenz' aus möglicherweise einwenden, es sei ja nicht die Unkenntnis des Verkäufers über den Fehler der Kaufsache als psychologisches Faktum, die dazu berechtige, von einem beiderseitigen Motivirrtum der KaufVertragsparteien zu sprechen. Das wertungsmäßig entscheidende Moment liege vielmehr gerade in dem normativen Gesichtspunkt, daß bei beiderseitigem Eigenschaftsirrtum der Verkäufer redlicherweise in Kenntnis des wahren Sachverhalts den Kauf nicht wie geschehen abgeschlossen hätte. 54 Die verschärfte Haftung des Verkäufers nach § 463 S. 2 stellte sich dann als Sanktion bewußt unredlichen Verhaltens desjenigen Verkäufers dar, der in Kenntnis eines Fehlers der Kaufsache die diesbezügliche Unwissenheit des Käufers zur Erzielung eines höheren Kaufpreises nutzt. Allerdings scheint es uns, als werde mit dieser These vorausgesetzt, was gerade zu begründen ist. Es ist sicher richtig, daß, einmal ganz allgemein gesprochen, den §§ 459 ff. letztendlich die Wertung zugmndeliegt, daß der Verkäufer den Vorteil, der ihm aus dem Verkauf einer fehlerhaften Sache fiir den Preis einer fehlerfreien erwächst, redlicherweise nicht behalten darf Die Frage ist aber gerade, warum es unredlich wäre, wollte der Verkäufer den Vorteil aufgmnd beiderseitigen Eigenschaftsirrtums behalten. Man ist damit auf die Frage verwiesen, wodurch sich Larenz zur Konzeption seiner Figur des beiderseitigen Motivirrtums letztendlich berechtigt sieht. Es ist dies die Idee der immanenten Vertragsgerechtigkeit. Sie verbietet es demjenigen, der durch die Unrichtigkeit einer von beiden Seiten dem Vertrag zugmndegelegten B Vgl. zur Arglist des Verkäufers bei vorwerfbarem Verstoß gegen eine Offenbarungspflicht bezüglich des ihm bekannten Fehlers Münch Komm - H.P. Westermann, § 463 Rz. 6-9 und Rz. 11-14. 54 Vgl. die Verteidigung der Figur des beiderseitigen Motivirrtums durch Larenz, Geschäftsgrundlage, S. 163 f.
11. Der Einfluß der Lehre Zitelmanns
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Vorstellung begünstigt ist, den ilun unverhofft ohne jede Gegenleistung zugefallenen Vorteil mitzunehmen. 55 Die Tragfähigkeit dieses Ansatzes soll an dieser Stelle nicht näher erörtert werden. Es bleibt zunächst festzuhalten, daß jedenfalls seine dogmatische Ausfonnung in der Figur des beiderseitigen Motivirrtums eher unglücklich erscheint, was sich gerade arn Beispiel des beiderseitigen Eigenschaftsirrtums beim Kauf zeigt: Der Eigenschaftsirrtum des Käufers als einseitiger Motivirrtum vermag nicht hinreichend zu begründen, warum die §§ 459 ff. den Käufer schützen. Dies gelingt auch nicht, indem man den auf dieselbe Eigenschaft der Kaufsache bezogenen Irrtum des Verkäufers gewissermaßen hinzuaddiert und so zu einem ''beiderseitigen Motivirrturn" gelangt. Erliegen beide Parteien demselben Irrtwn, so ist dies eher ein zusätzliches Argument fiir die Unbeachtlichkeit des dem Käufer unterlaufenen Motivirrtums. Die Eigenschaftsirrtümer beider Seiten lassen sich also nicht zu einem''beiderseitigen Motivirrtum" addieren. Näher liegt es im Gegenteil, von dem als Wertungsgrundlage der §§ 459 ff. ohnehin zu schwachen Eigenschaftsirrtum des Käufers den inhaltsgleichen Eigenschaftsirrtum des Verkäufers gewissermaßen zu subtrahieren, so daß die Frage, warum auch der bei Vertragsschluß über den Fehler nicht infoimierte Verkäufer nach §§ 459 ff. haftet, sich sogar mit besonderer Schärfe stellt. (2) Zur Auffassung der Sachmängelhaftung als gesetzliche Sonderregelung der Unerreichbarkeit des objektiven Vertragszwecks Zu untersuchen bleibt, inwieweit der den §§ 459 ff. zugrundeliegende Rechtsgedanke unter dem Aspekt des Fehlens der objektiven Geschäftsgrundlage erfaßt werden kann, wenn man die Sachmängelhaftung des Verkäufers als gesetzliche Sonderregelung fiir Fälle der Unerreichbarkeit des objektiven Vertragszwecks versteht. 56 Hier kommt es vor allem darauf an, ob ein sinnvolles Verständnis des Begriffs "objektiver Vertragszweck" möglich ist. Larenz versteht hierunter den Verwendungszweck, den der Käufer mit der Kaufsache verfolgt, sofern zwischen ilun und dem Verkäufer ein Einverständnis darüber erzielt wurde, daß die Sache zu diesem Zwecke tauglich sein solle. 57
55 56 57
Ders., Geschäftsgrundlage, S. 164. Ders., Geschäftsgrundlage, S. 95. Ders., Geschäftsgrundlage, S. 95.
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1. Teil: Die Begründung der Sachmängelgewährleistung
(a) Der vom Käufer verfolgte Verwendoogszweck als "objektiver Vertragszweck" Ob II\aI1, wenn sich in diesen Fällen die Kaufsache fiir den Verwendoogszweck des Käufers als ootauglich erweist, von einer Unerreichbarkeit des objektiven Vertragszwecks sprechen kann, erscheint jedoch zweifelhaft. Der Zweck, zu dessen Erreichung der Käufer die Kaufsache verwenden will, ist zunächst ein subjektives Moment im Rahmen des Willensbildoogsprozesses, der dem Entschluß des Käufers zum Abschluß des Kaufvertrags vorausgeht. Es handelt sich bei dem Verwendoogszweck des Käufers mit anderen Worten lediglich um ein Motiv seines Geschäftswillens. 58 Indem nun der Käufer diesen Verwendoogszweck dem Verkäufer mitteilt, ändert sich an dessen bloßem Motivcharakter noch nichts. 59 Generell ist ja ein Motiv nicht schon deshalb beachtlich, weil der Vertragsgegner es bei Geschäftsabschluß kannte. 60 Einigen sich noo allerdings die Parteien darüber, daß die Kaufsache zur Erreichung des Verwendoogszwecks des Käufers brauchbar sein soll, so leuchtet es ein, daß dieser Verwendoogszweck damit aus dem Bereich der rechtlich unbeachtlichen Motive herausgehoben wird. Erweist sich die Sache jetzt als fiir den betreffenden Verwendungszweck unbrauchbar, so muß dies, ganz allgemein gesprochen, Konsequenzen zugoosten des Käufers nach sich ziehen. Dabei kann zunächst noch offen bleiben, wie diese Konsequenzen juristisch als Rechtsfolgen zu qualifizieren sind. Bedeutet das, daß aufgrood einer solchen rechtlich beachtlichen "VerwendungszweckvereinbarlUlg" der vom Käufer verfolgte Verwendoogszweck zum objektiven Vertragszweck wird? Von einem Vertragszweck läßt sich sinnvollerweise nur sprechen bei einem Zweck, den beide Parteien gemeinsam verfolgen. 61 Das ist beim Kauf der Austausch ihrer LeistlUlgen. 62 Schließen die Parteien nunmehr eine "VerwendoogszweckvereinbarlUlg" ab, so ist zu bedenken, daß es ungeachtet dessen im alleinigen Belieben des Käufers steht, inwieweit er diesen "vereinbarten Verwendoogszweck" dann tatsächlich verfolgen will, während der Verkäufer in bezug auf die Nutzung der Kaufsache kein Mitspracherecht erwirbt. 63 ,. Vgl. zur Unbeachtlichkeit des Verwendungszwecks des Käufers Knöpfle, Der Fehler beim Kauf, S. 216 ff. und Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 165b. '9 Dies sieht auch Larenz selbst, Geschäftsgrundlage, S. 95; vgl. ferner Knöpfle, JuS 1988, 767 (768 1. Sp). 60 Vgl. Schapp, Rechtsgeschäftslehre, S. 71 f. 61 V gl. Knöpfle, JuS 1988, 767 (768 r. Sp.). 62 Ders., JuS 1988, 767 (768 r. Sp.). 63 Ders., JuS 1988, 767 (768 1. Sp.).
II. Der Einfluß der Lehre Zitelmanns
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Schon dies läßt es problematisch erscheinen, bei Vorliegen einer "Verwendungszweckvereinbanmg" den Verwendungszweck des Käufers nunmehr als gemeinsamen objektiven Vertragszweck der Partner zu betrachten. Hinzu kommt ein weiteres: Ist von den Parteien die Tauglichkeit der Kaufsache zu einem bestimmten Verwendungszweck vereinbart worden, so haben zwar beide ein Interesse daran, daß diese Tauglichkeit tatsächlich gegeben ist. Ihre diesbezüglichen Interessen sind aber strukturell verschieden. Für den Käufer ist die Verwendbarkeit der Sache für den "vereinbarten Verwendungszweck" als solche von Interesse; man kann daher von einem unmittelbaren Interesse des Käufers an der Zwecktauglichkeit der Kaufsache sprechen. Dagegen ist der Verkäufer nur insofern an dieser Zwecktauglichkeit interessiert, als ihn ansonsten nachteilige Folgen aus der "Zweckvereinbanmg" treffen. Er hat daher lediglich ein mittelbares Interesse daran, daß der Käufer die Sache zu dem vereinbarten Zweck gebrauchen kann. Damit aber unterscheidet sich der "vertraglich vereinbarte Verwendungszweck" mit Schärfe vom gemeinsamen Zweck, den die Parteien bei Abschluß eines Gesellschaftsvertrags nach § 705 vereinbaren: Hier hat jede Partei ein unmittelbares, primäres Interesse an der Erreichung des gemeinsamen Zwecks, so daß sich sinnvollerweise vom vereinbarten Zweck als Vertragszweck sprechen läßt. Bei der auf die Kaufsache bezogenen "Verwendungszweckvereinbanmg" ist das gerade nicht der Fall. Der Zweck, den der Käufer mit der Nutzung der Kaufsache verfolgen will, verbleibt also auch dann in seiner Sphäre, wenn die Parteien vereinbaren, die Sache solle zur Erreichung dieses Zwecks tauglich sein. Kurz: Der Verwendungszweck des Käufers ist seinem Sinne nach ein subjektives, der Motivsphäre angehöriges Moment. Auch wenn es Gegenstand einer "Zweckvereinbanmg" der Parteien wird, wird dieses subjektive Moment nicht in einem Grade objektiviert, der es rechtfertigen würde, es nunmehr als "objektiven Vertragszweck" zu betrachten. Von daher erscheint es bedenklich, von einem Fehlen der objektiven Geschäftsgrundlage wegen Unerreichbarkeit des objektiven Vertragszwecks zu sprechen, wenn die Kaufsache zu dem "vereinbarten Verwendungszweck" untauglich ist.
(b) Die "Verwendungszweckvereinbanmg" als mittelbare
Beschaffenheitsvereinbanmg Ergeben somit die obigen Überlegungen, daß der vom Käufer hinsichtlich der Kaufsache verfolgte Verwendungszweck auch durch eine diesbezügliche Vereinbarung mit dem Verkäufer nicht zum "objektiven Vertragszweck" aufgewertet wird, so stellt sich die Frage, inwieweit dieser Verwendungszweck überhaupt geeigneter Gegenstand einer Vereinbanmg zwischen den KaufVertragsparteien ist.
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1. Teil: Die Begründung der Sachmänge1gewährleistung
Hier ist zu bedenken, daß die Tauglichkeit der Kaufsache zu einem Gebrauchszweck die Folge einer bestimmten Beschaffenheit der Sache ist. Wird also vereinbart, die Kaufsache solle sich für einen bestimmten Verwendungszweck des Käufers eignen, so kann eine solche Vereinbarung in der Regel als Vereinbarung bestimmter Eigenschaften der Sache ausgelegt werden. 64 Eine solche Eigenschafts- oder Beschaffenheitsvereinbarung aber kann es beim Spezieskauf nicht geben, sofern man der These Zitelmanns folgt, derzufolge beim Stückkauf Eigenschaften der Kaufsache nicht Gegenstand der kaufvertraglichen Vereinbarung werden können, sondern nur als Motive des Vertragswillens in Betracht kommen. Hält man, wie Larenz dies tut, für den Stückkauf an der Zuordnung der Eigenschaftsvorstellungen zum Motivbereich fest65 , so muß die Ablehnung einer Beschaffenheitsvereinbarung konsequenterweise auch die Ablehnung einer "Verwendungszweckvereinbarung" bedeuten, die nichts anderes als eine mittelbare BeschajJenheitsvereinbarung ist. Die "Verwendungszweckvereinbarung" ist also nicht nur ungeeignet, den vom Käufer hinsichtlich der Kaufsache verfolgten Verwendungszweck zum objektiven Vertragszweck zu erheben. Sie ist vielmehr als mittelbare Beschaffenheitsvereinbarung selbst eine problematische Rechtsfigur, sofern man im Anschluß an Zitelmann eine Vereinbarung der Kaufvertragsparteien über Eigenschaften der Kaufsache beim Stückkauf nicht für möglich hält.
(c) Tatbestand und Rechtsfolgen der §§ 459 ff. und des Fehlens der objektiven Geschäftsgrundlage im Vergleich Die Sachmängelgewährleistung beim Spezieskauf läßt sich demnach kaum in dogmatisch befriedigender Weise als gesetzliche Sonderregelung des Fehlens der objektiven Geschäftsgrundlage aufgrund Unerreichbarkeit des objektiven Vertragszwecks verstehen. Bestätigt sich dieses Ergebnis, wenn man Anwendungsbereich und Rechtsfolgen der §§ 459 ff. einerseits sowie der Unerreichbarkeit des objektiven Vertragszwecks im Sinne Larenz' andererseits miteinander vergleicht? Die Fälle der Unmöglichkeit der Zweckerreichung sind dadurch gekennzeichnet, daß der Vertrag seinen ursprünglichen Sinn verloren hat. 66 Beim Kauf kann dies nach Larenz der Fall sein, wenn sich die Kaufsache für den vertraglich vereinbarten Verwendungszweck des Käufers als unbrauchbar erweist. Für diese Fälle des Feh-
64 So auch Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 142; Herberger, Sachmänge1haftung, S. 52. 65 Vgl. Larenz, Geschäftsgrundlage, S. 20 f. (Anmerkung 1). 66 Ders., Geschäftsgrundlage, S. 91.
II. Der Einfluß der Lehre Zitelmanns
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lens der objektiven Geschäftsgrundlage betrachtet Larenz die §§ 459 ff. als gesetzliche Sonderregelung. 67 Eignet sich aber die Sache nur eingeschränkt fiir den vereinbarten Verwendungszweck des Käufers, so läßt sich zwar, auch wenn man Larenz' Konzeption zugrundelegt, von einer Beeinträchtigung, nicht jedoch von einer Unerreichbarkeit des objektiven Vertragszwecks i.S. Larenz' sprechen. Die Störung des Vertragsverhältnisses ist hier nicht so schwerwiegend, daß man ein Fehlen der objektiven Geschäftsgrundlage annehmen könnte. Gleichwohl kann der Käufer auch in diesen Fällen nicht nur Minderung, sondern auch Wandlung und damit vollständige Rückabwicklung des Kaufvertrags verlangen. Tatbestandlich genügt es fiir die Anwendbarkeit der §§ 459 ff. also bereits, wenn der vertragliche Verwendungszweck des Käufers lediglich beeinträchtigt, nicht aber unerreichbar ist, sofern nur diese Beeinträchtigung die Bagatellschwelle des § 459 I 2 übersteigt. Der Anwendungsbereich der Sachmängelgewährleistung beim Spezieskaufist also weiter als der Bereich des Fehlens der objektiven Geschäftsgrundlage aufgrund Unerreichbarkeit des objektiven Vertragszwecks. Der Gedanke, der Käufer sei bei Fehlerhaftigkeit der Kaufsache wegen Unerreichbarkeit des objektiven Vertragszwecks zu schützen, trifft also allenfalls diejenigen Fälle, in denen die Sache aufgrund ihrer Fehlerhaftigkeit fiir den Käufer nutzlos ist. Er vermag nicht zu erklären, warum auch bei bloßen Beeinträchtigungen seines "vertraglich vereinbarten Verwendungszwecks" unterhalb dieser Schwelle der Käufer bereits den vollen Schutz der §§ 459 ff. genießt. Ein Vergleich der Rechtsfolgen ergibt folgendes: Fehlt die Geschäftsgrundlage, so ist der Vertrag nach Larenz auflösbar, wenn seine Durchfiihrung schlechthin sinnlos geworden ist, insbesondere in den Fällen der Zweckvereitelung. Ansonsten ist der Vertrag an die veränderten Verhältnisse anzupassen. 68 Im Gegensatz dazu genügt schon die bloße Beeinträchtigung des "vertraglichen Verwendungszwecks" des Käufers, um diesen nicht nur zur Minderung, sondern auch zur Wandlung zu berechtigen. Beide Rechtsbehelfe stehen hier also grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander. Auch bei eher geringfiigigen Störungen seines in den Kaufvertrag einbezogenen Verwendungszwecks kann der Käufer, sofern sie nur die von § 459 I 2 gezogene Grenze überschreiten, sich fiir die vollständige Rückabwicklung des Kaufvertrags in Gestalt der Wandlung entscheiden. Zusammengefaßt ergibt der Vergleich von Tatbestand und Rechtsfolgen der Sachmängelgewährleistung beim Spezieskauf und des Fehlens der objektiven Geschäftsgrundlage infolge Unerreichbarkeit des objektiven Vertragszwecks also fol67
68
Ders., Geschäftsgrundlage, S. 95. Ders., Geschäftsgrundlage, S. 186.
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1. Teil: Die Begründung der Sachmängelgewährleistung
gendes Bild: Die Saclunängelgewährleistung läßt auf der Tatbestandsseite eine Vertragsstönmg von geringerer Intensität genügen als sie erforderlich ist, wn ein Fehlen der objektiven Geschäftsgnmdlage wegen Zweckvereitelung anzunehmen. Dagegen sind die Rechtsfolgen eines Fehlers der Kaufsache weitergehend als die Folgen eines Fehlens der Geschäftsgnmdlage. Der Käufer wird also durch die §§ 459 ff. intensiver geschützt, als er es ohne diese Vorschriften allein aufgnmd von Larenz' Konzeption des Fehlens der objektiven Geschäftsgnmdlage wäre. (3) Gesamtbewertung von Larenz' Konzeption des Verhältnisses von §§ 459 ff. und Geschäftsgnmdlage Betrachtet man insgesamt das Verhältnis der Saclunängelgewährleistung beim Stückkauf zum Fehlen der Geschäftsgnmdlage, so wie es von Larenz konzipiert wird, so ergibt sich folgendes Bild: Der Einfluß der These Zitelmanns, wonach beim Stückkauf Parteivorstellungen über Eigenschaften der Kaufsache lediglich als Motiv des Geschäftswillens in Betracht kommen, spiegelt sich am deutlichsten wider in der Zuordnung der Saclunängelgewährleistung beim Spezieskauf zum Bereich des Fehlens der subjektiven Geschäftsgnmdlage aufgnmd beiderseitigen Motivirrtwns. Dabei gelingt es Larenz jedoch nicht, den Schutz des Käufers durch die §§ 459 ff. überzeugend zu erklären, indem er zum als Motivirrtum verstandenen Eigenschaftsirrtum des Käufers den auf dieselbe Eigenschaft bezogenen Irrtum des Verkäufers gleichsam addiert und so zu einem "beiderseitigen Motivirrtwn" gelangt. Hat man sich einmal in konsequenter Anlehnung an ZiteImann entschieden, die Eigenschaftsvorstellungen der Parteien dem gerade durch seine Unbeachtlichkeit charakterisierten Motivbereich zuzuordnen, so ist es offenbar schwierig zu begründen, warwn einem Eigenschaftsi.rrtum, sofern beide Parteien ihm gleichermaßen erliegen, gegenüber den sonstigen Motivirrtümern doch wieder eine Sonderstellung als beachtlicher "beiderseitiger Motivirrtwn" zukommen soll. Näher scheint es da schon zu liegen, die gnmdsätzliche Bewertung des Eigenschaftsirrtwns als Motivirrtwn einer kritischen Überprtifung zu unterziehen. Dogmatisch fruchtbarer erscheint es demgegenüber, wenn Larenz die Saclunängelgewährleistung beim Stückkauf in Beziehung setzt zum Fehlen der objektiven Geschäftsgnmdlage aufgnmd Unerreichbarkeit des objektiven Vertragszwecks. Mit dem Einverständnis der Parteien über die Tauglichkeit der Kaufsache für einen bestimmten Verwendungszweck des Käufers zeichnet sich bereits eine vorsichtige Lösung vom Ansatz Zitelmanns ab, wenn man bedenkt, daß die Gebrauchstauglichkeit einer Kaufsache das Resultat bestimmter Eigenschaften dieser Sache ist. Hinter der Figur der "Verwendungszweckvereinbarung" verbirgt sich also das Zugeständnis, daß auch beim Stückkauf die Beschaffenheit des Kaufgegenstandes Bezugspunkt von Vereinbarungen der Parteien sein kann. Die Vorsicht, mit der
III. Flumes Konzeption der Beschaffenheitsvereinbarung
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Larenz diese Konzession macht, begrenzt auf der anderen Seite dann aber auch den dogmatischen Wert der "Verwendungszweckvereinbarung": Insbesondere ist nicht ganz klar, in welchem Verhältnis diese Abrede zum Kaufvertrag steht, d.h. ob sie zum Vertragsinhalt gehört oder ob eine bloße Nebenabrede genügt. Ninunt man mit Larenz an, letzteres genüge, so ist schwer ersichtlich, wie eine schlichte Nebenabrede hinsichtlich eines an sich zur subjektiven Sphäre des Käufers gehörenden Punktes, nämlich des von ihm beabsichtigten Gebrauchs der Kaufsache, diesen Punkt zum objektiven Vertragszweck soll erheben können. Offenbar scheut Larenz unter dem Einfluß Zitelmanns davor zurück, die "Verwendungszweckabrede" gleichberechtigt mit den übrigen Vertragsbestandteilen zum Inhalt des Kaufvertrags zu reclmen. Dieselbe Vorsicht dürfte es auch sein, die i1m daran hindert, auf die in der "Verwendungszweckabrede" mittelbar enthaltene BeschatIenheitsvereinbarung einzugehen: Damit würde die Abkehr von Zitelmanns These offensichtlich. Indem Larenz Vereinbarungen der Parteien in bezug auf Eigenschaften der Kaufsache nicht mehr vollständig ausschließt, aber doch noch in den Bereich der "bloßen" Geschäftsgrundlage verbannt, gelingt es ihm letzten Endes noch nicht, die ratio der §§ 459 ff. überzeugend zu erklären. 69 Auch ein Vergleich von Tatbestand und Rechtsfolgen beider Institute legt die Annahme nahe, daß der stärkere Schutz des Käufers durch die §§ 459 ff. letztlich nur durch eine vertragliche Verankerung der Sachmängelgewährleistung beim Stückkauf erklärt werden kann. Das allerdings erfordert den offenen Bruch mit der Lehre Zitelmanns. Vollzogen hat diesen Bruch Werner Flume in seiner 1948 veröffentlichten Monographie "Eigenschaftsirrtum und Kauf'. Ihr wollen wir uns daher im folgenden Kapitel zuwenden.
111. Flumes Konzeption der Beschaffenheitsvereinbarung Ebenso wie Zitelmann betrachtet Flume die psychologische Frage, wie sich die Vorstellungen der Parteien von den Eigenschaften der Kaufsache zu ihrem rechtsgeschäftlichen Willen verhalten, als entscheidend für die Behandlung des Eigen-
69 In späteren Ausführungen zur dogmatischen Begründung der §§ 459 ff. kommt Larenz denn auch nicht mehr auf das Institut des Fehlens der Geschäftsgrundlage zurück. Er sieht den Grund der Sachmängelhaftung des Verkäufers beim Spezieskauf jetzt im dem Kaufvertrag immanenten Prinzip der subjektiven Äquivalenz der Leistungen sowie in der Enttäuschung der bei Abschluß des Kaufes den Umständen nach begründeten Erwartung des Käufers hinsichtlich der Beschaffenheit der Kaufsache, vgl. SchR BT 1111, § 41 n, S. 68.
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1. Teil: Die BegrilndWlg der Sachmänge1gewährleistung
schaftsirrtums beim Spezieskauf 70 Zitelmanns Antwort auf diese Frage lautete, beim Stückkauf kämen Vorstellungen über Eigenschaften des Kaufgegenstandes nur als Motiv, nicht aber als Bestandteil des rechtsgeschäftlichen Willens der Parteien in Betracht. 71 Flume dagegen ist der Ansicht, beim Spezieskauf unlfasse der rechtsgeschäftliche Wille nonnalerweise auch die Parteivorstellungen von den Eigenschaften der Kaufsache. 72
1. Die kaufvertraglich vereinbarte Verpflichtung des Verkäufers zur Leistung der Kaufsache mit bestimmten Eigenschaften Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist eine psychologische Untersuchung der Vorstellung, die sich die Parteien von dem Leistungsobjekt machen. Flume zufolge bilden die Vorstellung dieses Gegenstandes und die Vorstellung seiner Eigenschaften eine untrennbare Einheit; die Vorstellung von der Beschaffenheit ist nach seinen Worten ebensowenig von der Vorstellung des Gegenstandes zu trennen wie die Beschaffenheit von dem Gegenstand. 73 Die Parteien stellen sich die Sache also nicht bloß als durch das hic et nunc individualisiertes "raum-zeitliches Etwas" vor, sondern von vornherein als Objekt von einer bestimmten Beschaffenheit, also etwa als "Pferd", "Buch", "goldener Ring".74 Flume hat damit den Inhalt der psychologischen Vorstellung bestimmt, die sich die Parteien von der Kaufsache machen. In welcher Weise findet nun dieser Vorstellungsinhalt Eingang in den rechtsgeschäftlichen Willen der Kaufvertragsparteien? Mit seiner Antwort auf diese Frage vollzieht Flume die entscheidende Abkehr von Zite1mann. Dessen entsprechende Überlegungen sollen daher an dieser Stelle noch einmal kurz wiedergegeben werden. Zite1mann konstruiert die Rechtsfolgeabsicht zweiphasig, indem er die Absichtsvorstellung unterteilt in die Vorstellung eines bestimmten Geschehens und die Vorstellung des Objekts, an dem dieses Geschehen sich vollziehen soll.75 Dabei unlfaßt die Objektsvorstellung nur diejenigen Momente, die erforderlich sind, um unmißverständlich den Gegenstand festzulegen, der als Bezugspunkt der Veränderung in
70 V gl. Flume, Eigenschaftsirrtum Wld Kauf, S. 17. Vgl. Zite1mann, Intum Wld Rechtsgeschäft, S. 440. Vgl. Flume, Eigenschaftsirrtum Wld Kauf, S. 17. 73 Ders., Eigenschaftsirrtum Wld Kauf, S. 18. 74 Ders., Eigenschaftsirrtum Wld Kauf, S. 18. 75 Vgl. Zitelmann, Intum Wld Rechtsgeschäft, S. 438.
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ill. Flumes Konzeption der Beschaffenheitsvereinbarung
43
Aussicht genommen ist. Bei einer sinnlich wahrnehmbaren einzelnen Sache ist das das hic et nunc ihrer physischen Präsenz. 76 Die Vorstellung des Geschehens, d.h. der rechtlichen Veränderung hinsichtlich des Gegenstandes des Rechtsgeschäfts, ist also das maßgebliche Element der Rechtsfolgeabsicht, so wie ZiteImann sie konstruiert. Dagegen ist deren zweites Element, die Objektsvorstellung selbst, von vornherein auf die Geschehensvorstellung bezogen. Ihr kommt gewissermaßen nur die dienende Funktion zu, der Geschehensvorstellung ein ausreichend konkretisiertes Objekt bereitzustellen. Ist dies geschehen, indem eine Sache nach Raum und Zeit individualisiert ist, so hat die Objektsvorstellung ihre Aufgabe im Rahmen der Rechtsfolgeabsicht vollständig erfiillt. Weitere Vorstellungen über Eigenschaften der Sache vermag sie nicht mehr in sich aufumehmen. ZiteImann konzipiert also die Rechtsfolgeabsicht von der Vorstellung einer rechtlichen Veränderung und damit von ihrem dynamischen Element her. Das statische Element, die Vorstellung des Gegenstandes der rechtlichen Veränderung, wird auf das dynamische Element bezogen, ihm kommt insoweit also eine lediglich unterstützende Funktion zu. Flume übernimmt Zitelmanns Einteilung der Absichtsvorstellung in die beiden Momente der Vorstellung eines bestimmten Geschehens einerseits und der Vorstellung des Objekts dieses Geschehens andererseits. 77 Im Verhältnis der beiden Elemente zueinander verschieben sich aber die Gewichte. Den methodisch entscheidenden Schritt vollzieht Flume, indem er vom Inhalt der Objektsvorstellung unmittelbar auf den Inhalt des rechtsgeschäftlichen Willens der Kaufoertragsparteien schließt. Nach Flume betrifft: der auf ein Geschehen bezüglich eines bestimmten Gegenstandes gerichtete Wille entsprechend der einheitlichen Vorstellung des Gegenstandes und seiner Beschaffenheit den Gegenstand mit der vorgestellten Beschaffenheit. 78 Der Inhalt der Sachvorstellung wird zum Inhalt der Rechtsfolgeabsicht, ohne hierbei eine Veränderung zu erfahren. Zugleich sind damit die Parteivorstellungen über Eigenschaften der Speziessache als integrierende Bestandteile der Gesamtvorstellung von der Sache auch zum Inhalt der Rechtsfolgeabsicht geworden, während ZiteImann sie, als für die Individualisierung des physisch präsenten Objekts der Rechtsfolgeabsicht überflüssig, in den Motivbereich verwiesen hatte. Im Gegensatz zu Zitelmann konzipiert also Flume die Rechtsfolgeabsicht von ihrem statischen Element her, d.h. von der Vorstellung des Objekts der Rechtsfolge. 76
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Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 439. Vgl. Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 18. Ders., Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 18.
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1. Teil: Die Begründung der Sachmängelgewährleistung
Diese Objektsvorsteillung bildet gleichsam den Fixpunkt der Rechtsfolgeabsicht, auf den sich dann die Vorstellung einer rechtlichen Veränderung hinsichtlich des Objekts bezieht. An dieser Stelle muß sich Flume nun allerdings mit dem Argument Zitelmanns auseinandersetzen, wenn eine individuell bestimmte Sache als Objekt der Rechtsfolgeabsicht einmal feststehe, müßten auch alle ihre Eigenschaften mit in den Kauf genommen werden. Es sei logisch und psychologisch völliger Nonsens, zu beabsichtigen, daß dieses individuelle Objekt so oder so sei, diese oder jene Eigenschaft habe. 79 Was ist, kann nicht mehr werden und damit auch nicht Gegenstand einer Verpflichtung sein.
Flume konzediert, daß bezüglich eines Seins keine Verpflichtung übernommen werden könne. Ein Sein könne nur zum Bezugspunkt einer Garantie gemacht oder zur Bedingung eines Werdens erhoben werden. so Wenn die Parteien entsprechend der einheitlichen Vorstellung der Kaufsache mit ihren Eigenschaften Leistung der Kaufsache mit diesen Eigenschaften vereinbarten, so werde damit aber gar nicht das Sein dieser Eigenschaften versprochen. Die Leistungsvereinbarung sei ja genauso unteilbar wie die Sachvorstellung selbst, versprochen werde daher einheitlich "Leistung der Sache mit den vorgestellten Eigenschaften". Dies sei psychologisch möglich, wenn nur die Parteien davon ausgingen, diese Eigenschaften seien tatsächlich vorhanden. sl 2. Die Gewährleistungspflichten als gesetzlicher Ersatz der vereinbarten Verkäuferpflicht zur Leistung der fehlerfreien Kaufsache
Der Tatbestand des Spezieskaufvertrags besteht also nach Flume aus einer unteilbaren Leistungsvereinbarung, die auf Leistung der Kaufsache mit ihren vorgestellten Eigenschaften gerichtet ist, ohne daß damit aber die Existenz dieser Eigenschaften versprochen wird. Was folgt hieraus fiir die Rechtsfolgen, die sich aus dem Spezieskaufvertrag ergeben? Es könnte als folgerichtig erscheinen, an den einheitlich auf Leistung der Kaufsache mit bestimmten Eigenschaften gerichteten Kaufvertrag als Rechtsfolge eine entsprechende Verpflichtung des Verkäufers zur Lieferung der Sache mit bestimmten Eigenschaften zu knüpfen. Diese Erfiillungspflicht des Verkäufers würde dann die dogmatische Grundlage seiner Gewährleistungspflichten nach §§ 459 ff. bilden.
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SI
Vgl. Zite1mann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 439. Vgl. Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 19. Ders., Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 19.
Ill. Flumes Konzeption der Beschaffenheitsvereinbarung
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Eine solche Parallelisierung von Tatbestand und Rechtsfolgen des Kaufvertrags vollzieht Flume jedoch nicht, sondern lehnt sie im Gegenteil nachdrücklich ab. Nach Flume greift die Rechtsordnung in den Tatbestand der Kaufvereinbarung, d.h. in die als Rechtsfolge vereinbarte Verpflichtung zur Leistung der fehlerfreien Kaufsache ein, indem sie an die Stelle der vereinbarten Rechtsfolge andere Rechtsfolgen, nämlich die Gewährleistungspflichten des Verkäufers nach §§ 459 ff., treten läßt. 82 Der im Tatbestand des Spezieskaufvertrags vereinbarten Verpflichtung des Verkäufers zur Leistung der fehlerfreien Kaufsache versagt die Rechtsordnung also die Anerkellllung als Rechtsfolge. Flume lehnt es dellll auch ab, die Sachmängelhaftung beim Stückkauf auf eine Erfiillungspflicht des Verkäufers zur Leistung der Kaufsache in mangelfreiem Zustand zuriickzufiihren. Der Tatbestand, aus dem sich die Gewährleistungspflicht des Verkäufers ergebe, sei der Kaufvertrag, und es sei nicht einzusehen, welchen Wert es haben solle, zwischen diesen Tatbestand und die Gewährleistung als Zwischenglied eine Erfiillungspflicht einzuschalten, wellll diese Erfiillungspflicht keinen anderen Sillll haben solle, als eben als Zwischenglied für die Begründung der Gewährleistungspflicht zu dienen. Die Fragestellung nach einer Erfiillungspflicht als Grundlage der Gewährleistungspflicht ist deshalb für Flume eine Konstruktion ohne dogmatischen Wert. 83
3. Kritik von Flumes Konzeption
a) Die psychologische Analyse der Vorstellung des Käufers von der Spezieskauftache Die zentrale These Flumes lautet, daß beim Spezieskauf die Vorstellung der Parteien von den Eigenschaften des bestimmten Leistungsgegenstandes Bestandteil des rechtsgeschäftlichen Willens sein kallll und in der Regel auch ist.84 Ausgangspunkt des Gedankengangs, mit dem Flume diese These begründet, ist die Annahme, die Vorstellung der Parteien von der Beschaffenheit der Kaufsache sei integrierender Bestandteil ihrer Vorstellung von der Kaufsache als Gegenstand: "Die Vorstellung von der Beschaffenheit ist ebensowenig von der Vorstellung des Gegenstandes zu trellllen wie die Beschaffenheit von dem Gegenstand. ,,85 Dementsprechend soll auch unsere Auseinandersetzung mit der Konzeption Flumes bei dieser Prämisse begillllen.
82 83 84 85
Ders., Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 48. Ders., Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 41. Ders., Eigenschaftsirrtum und Kauf,S. 17. Ders., Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 18.
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1. Teil: Die Begründung der Sachmänge1gewährleistung
(1) Das Verhältnis von Beschaffenheit und Gegenstand Als im natunvissenschaftlichen Sinne einleuchtend erscheint zunächst die Aussage Flumes, die Beschaffenheit des Gegenstandes und der Gegenstand selbst seien untrennbar. In der Tat trifft dieser Satz insofern zu, als die Beschaffenheit des Gegenstandes, verstanden als die Summe aller seiner Eigenschaften, nicht vollständig von dem Gegenstand als solchem getrennt werden kaIm: Ein "raum-zeitliches Etwas" ohne jegliche Eigenschaft kaIm es nicht geben; der vollständige Verlust sämtlicher Eigenschaften und damit der Beschaffenheit bedeutet das Ende der Existenz des Gegenstandes als raum-zeitliche Einheit überhaupt, nicht aber eine Trennung von Gegenstand und Beschaffenheit. Aber auch im Hinblick auf das Verhältnis eines Gegenstandes zu einzelnen seiner Eigenschaften ist Flumes Satz, Gegenstand und Beschaffenheit seien untrennbar, noch insofern richtig, als diese Eigenschaften jedenfalls nicht dergestalt von dem Gegenstand abgelöst werden können, daß sie zu einer nunmehr selbständig neben ihm bestehenden raum-zeitlichen Existenz erhoben werden: Die Eigenschaft "golden" beispielsweise kaIm ebensowenig von dem Goldring losgelöst und verselbständigt werden wie die Eigenschaft "lebend" von dem lebenden Pferd. Zweifel am axiomatischen Charakter der Untrennbarkeit von Gegenstand und Beschaffenheit beginnen sich jedoch einzustellen, wenn man bedenkt, daß der Gegenstand ja einzelne Eigenschaften verlieren oder erwerben, seine Beschaffenheit also verändern kann, ohne deswegen seine Existenz im natunvissenschaftlichen Sinne einzubüßen. So ist das Pferd, daß nach einem Unfallialunt, noch existent. Selbst das getötete Pferd existiert jedenfalls noch als "raum-zeitliches Etwas". Die juristisch entscheidende Frage geht in diesen Fällen allerdings dahin, ob infolge der Beschaffenheitsveränderung der betreffende Gegenstand seine Identität eingebüßt hat oder nicht: Wird ein Identitätsverlust angenommen, wie etwa bei dem getöteten Pferd, so ist das Leistungsobjekt im juristischen Sinne nicht mehr existent, die Leistung ist unmöglich geworden. Wird die Beschaffenheitsveränderung als weniger gravierend angesehen, wie im Falle des lalunenden Pferdes, so treten andere Rechtsfolgen ein, etwa die Sachmängelhaftung nach §§ 459 ff. Das bedeutet: Die Frage, ob trotz einer Veränderung von Eigenschaften des Gegenstandes, die nichts anderes ist als eine teilweise Trennung von seiner bisherigen Beschaffenheit, der Gegenstand noch als solcher fortbesteht, kaIm der Jurist nicht mit natunvissenschaftlicher Sicherheit beantworten. Bereits hier bewegt man sich nicht im Gebiet natunvissenschaftlicher Gesetzlichkeit, sondern juristischer Wertung. Methodisch ist dies insofern von Bedeutung, als hier die Problematik des Versuchs aufscheint, juristische Fragen ausgehend von vermeintlich natunvissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen lösen zu wollen.
III. Flumes Konzeption der Beschaffenheitsvereinbarung
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(2) Das Verhältnis von Beschaffenheitsvorstellung und Gegenstandsvorstellung Die auf den ersten Blick einleuchtende, tatsächlich aber problematische Untrennbarkeit von Beschaffenheit und Gegenstand hat in Flumes Ausfiihrungen nun allerdings hauptsächlich nur die Funktion, die für seine Konzeption wichtige Hypothese zu veranschaulichen, derzufolge Beschaffenheitsvorstellung und Gegenstandsvorstellung ebenso untrennbar sind. Inwiefern triffi: diese Aussage Flumes zu? Die Hypothese ist insofern richtig, als man sich einen Gegenstand ohne Beschaffenheit d.h. als "raum-zeitliches Etwas" ohne jedwede Eigenschaften, in der Tat nicht vorstellen kann, weil derartige Gegenstände nicht existieren. Schwierigkeiten dürfte es auch bereiten, sich verselbständigte Eigenschaften ohne Substrat zu vergegenwärtigen, auf das sie sich beziehen. Immerhin mag es möglich sein, sich etwa die Eigenschaft "golden" vorzustellen, indem man sich den Glanz des gelben Metalls vor Augen führt, ohne dabei an ein bestimmtes goldenes Objekt zu denken. Gedanklich ist es also wohl möglich, sich Eigenschaften losgelöst von einem bestimmten Objekt vorzustellen, während in der durch die Dimensionen von Raum und Zeit bestimmten Realität derartige "abstrakte Eigenschaften" nicht existieren. Die Synchronisation von raum-zeitlicher Realität und Vorstellungswelt erweist sich also als problematisch: 1m Bereich der Vorstellungen ist manches möglich, was naturwissenschaftlich unmöglich ist. "Gedanken sind frei. " Sicherlich ist es aber möglich, sich einen konkreten Gegenstand mit anderen Eigenschaften zu denken als mit denjenigen, die man ihm zunächst beigelegt hat. So fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, der vor einem liegende, zunächst für einen Goldring gehaltene Ring könne möglicherweise ein Messingring sein. Damit aber trennt man die ursprünglich vorhandene Beschaffenheitsvorstellung von der Gegenstandsvorstellung ab, ohne daß darum doch die Gegenstandsvorstellung als solche nicht mehr bestiinde. Logisch läßt sich also die Vorstellung von der Beschaffenheit entgegen Flume sehr wohl von der Vorstellung des Gegenstandes trennen. 86 Psychologisch aktuell wird diese logische Trennbarkeit, wenn sich Zweifel am Vorhandensein zunächst angenommener Eigenschaften der Kaufsache einstellen. In diesem Fall steht dem Käufer zwar weiterhin das Bild der physisch präsenten Sache vor Augen, doch verbindet er damit eine abgewandelte Beschaffenheitsvorstellung so, wenn er sich vorstellt, das Gemälde, das er vor sich an der Wand hängen sieht, stamme möglicherweise nicht, wie zunächst angenommen, von Rembrandt, sondern von Franz Hals.
86 Vgl. die von Knöpfle, JZ 1978, 121 (122 r.Sp.), gegenüber Flume geäußerte Kritik.
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1. Teil: Die Begründung der Saclunänge1gewährleistung
Dennoch dürfte F1ume die Vorstellungen der Parteien von der Kaufsache fiir den Regelfall psychologisch richtig beurteilt haben. Sobald sie die individuell bestimmte Sache vor Augen haben, machen die Parteien sich gedanklich ein bestimmtes Bild von ihr, das von vornherein nicht nur ihre derzeitige raum-zeitliche Präsenz urnfaßt, sondern zugleich sichtbare wie auch unsichtbare Eigenschaften. Dieses Bild der Sache wird sich freilich nicht selten nach ihrem ersten Anblick noch konkretisieren, indem es weitere Eigenschaften in sich aufnimmt oder von Anfang an vorgestellte Eigenschaften präzisiert. So mag beispielsweise der Betrachter zunächst die Vorstellung "dieser Goldring" haben und sodann gedanklich hinzufiigen:"585 fein". Auch wenn die anfängliche Gegenstandsvorstellung sich erst noch vervollständigt, so geht damit wohl keine bewußte Trennung von Gegenstands- und Beschaffenheitsvorstellung einher, wie dies der Fall ist, wenn bezüglich einzelner zunächst vorgestellter Eigenschaften Zweifel entstehen. Im letzteren Fall werden gleichsam verschiedene Varianten der Objektsvorstellung gedanklich durchgespielt - das visuell wahrgenommene Gemälde wird einmal als von Rembrandt, das andere Mal als von Franz Hals herrührend vorgestellt. Die bloße Vervollständigung der ursprünglichen Gegenstandsvorstellung läßt sich dagegen mit der Scharfeinstellung eines anfangs unscharf wahrgenommenen Bildes vergleichen, dessen Identität bei dieser Scharfeinstellung doch gewahrt bleibt. Demnach erscheint die Hypothese Flumes, die Vorstellung von den Eigenschaften der Speziessache sei integrierender Bestandteil der Vorstellung von der Sache als Gegenstand, im Normalfall als psychologisch zutreffend.
b) Beschaffonheitsvorstellung und rechtsgeschäft/icher Wille
Gelingt es F1ume, die Parteivorstellung von der Speziessache und ihrer Beschaffenheit, so wie sie sich aufgrund seiner psychologischen Überlegungen darstellt, in überzeugender Weise fiir das Problem des Eigenschaftsirrtums beim Stückkauf fruchtbar zu machen?
(1) Flumes Versuch einer Widerlegung Zite1manns Seine zentrale Aussage zum Verhältnis von Beschaffenheitsvorstellung und rechtsgeschäftlichem Willen der Kaufvertragsparteien lautet, die die Beschaffenheit miturnfassende Vorstellung der Parteien vom Kaufgegenstand werde Bestandteil ihres rechtsgeschäftlichen Willens, indem die Leistung der Kaufsache in fehlerfreiem Zustande, nämlich "dieser fehlerfreien Sache", vereinbart werde. 87 Dem Ein87
V gl. Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 17 und 51 f.
III. Flwnes Konzeption der Beschaffenheitsvereinbarung
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wand Zitelmanns, die bereits existierenden Eigenschaften der individuellen Kaufsache kämen als Gegenstand des auf eine rechtliche Veränderung zielenden rechtsgeschäftlichen Willens nicht in Betracht88 , glaubt Flume durch den Hinweis zu begegnen, versprochen werde ja gar nicht das "Sein" dieser Eigenschaften, sondern einheitlich "Leistung der Sache mit den vorgestellten Eigenschaften".89 Der Kaufvertrag sei einheitlich auf die Leistung der Kaufsache in fehlerfreiem Zustand gerichtet. 90 Ob es Flume damit gelungen ist, das Argument Zitelmanns zu entkräften, erscheint aber doch fraglich. Flumes Hinweis, es werde einheitlich Leistung des Kaufgegenstandes in einer bestimmten Beschaffenheit vereinbart, würde den Einwand Zitelmanns nur dann ausräumen, wenn Zitelmann sich darauf beschränkt hätte zu behaupten, das selbständige "Sein" von Eigenschaften eines individuellen Objekts könne nicht Gegenstand des Rechtsfolgewillens sein. In dieser Aussage erschöpft sich Zitelmanns Argument nun aber keineswegs, ja sie vetfehlt wohl dessen eigentlichen Kern. Es geht Zitelmann ja nicht dartun, festzuhalten, daß es sinnlos sei, die selbständige Existenz, das "abstrakte Sein" von Eigenschaften zu versprechen, die man gedanklich einem raum-zeitlich individualisierten Objekt beilegt. Die Sinnlosigkeit eines solchen Versprechens wäre evident. Man kann Zitelmann daher nicht unterstellen, er habe auf diese Sinnlosigkeit zwar zutreffend, aber überflüssigerweise hinweisen wollen. Sein zentraler Satz, ein Sein könne nicht versprochen werden, bezieht sich vielmehr auf Eigenschaften, die als dem konkreten Objekt der Rechtsfolgeabsicht anhaftend, nicht als von ilun abstrakt, vorgestellt werden. Richtig verstanden besagt die These Zitelmanns also, vernünftigerweise könne nicht Leistung der durch Bezugnahme auf das hic et nunc individualisierten Speziessache mit bestimmten als ihr anhaftend vorgestellten Eigenschaften vereinbart werden, kurz: die "einheitliche Vereinbarung der Leistung der Kaufsache in fehlerfreiem Zustand" sei sinnlos. Damit wird die Grundthese Flumes durch den Einwand Zitelmanns vollständig in Frage gestellt. Flumes Figur der unteilbar auf Leistung der Kaufsache in einer bestimmten Beschaffenheit gerichteten Speziesvereinbarung ist also nicht die Antwort auf Zitelmanns These. lm Gegenteil bildet die Beschaffenheitsvereinbarung als integrierender Bestandteil des Spezieskaufvertrags gerade das Angriffsziel, das Zitelmann mit seiner These ins Visier nimmt.
88 89 90
Vgl. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 439. Vgl. Flwne, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 19. Ders., Eigenschaftsirrtwn und Kauf, S. 32 und 48.
4 Huda
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1. Teil: Die Begründung der Sachmängelgewährleistung
(2) Die Beschaffenheitsvereinbarung als Vereinbarung gesollter Eigenschaften Damit ist nun allerdings Flwnes zentrale Aussage, die vorgestellten Eigenschaften der Speziessache seien Inhalt der Rechtsfolgeabsicht, noch nicht ihrerseits widerlegt. Zu prüfen ist vielmehr, ob die richtig verstandene Kritik Zitelmanns die Grundthese Flwnes zu erschüttern vennag. Flwne spricht davon, die Kaufvereinbarung sei auf Leistung der Kaufsache in fehlerfreiem Zustande gerichtet. 91 Sie beziehe sich auf die Sache als eine solche von einer bestinunten Beschaffenheit. 92 "Gerichtetsein" und "Sich-Beziehen auf Eigenschaften" sind nun allerdings eher unscharfe Termini, die im Hinblick auf die Beschaffenheit der Kaufsache zwei mögliche Bedeutungen haben können. Zwn einen kann damit gemeint sein, daß die Existenz, d.h. das "Sein", der vorgestellten Beschaffenheit gewollt ist, und zwar in dem Sinne, daß diese Beschaffenheit der Kaufsache gegenwärtig anhaftet. Diese Auslegung sieht sich jedoch dem Einwand Zitelrnanns ausgesetzt, es sei logisch und psychologisch unsinnig, zu beabsichtigen, Eigenschaften, die man sich als einem individuellen Objekt bereits gegenwärtig anhaftend vorstellt, in den auf ein rechtliches Werden gerichteten Rechtsfolgewilien aufzunehmen. 93 Flwne stinunt Zitelrnann denn auch insofern uneingeschränkt zu. Auch er betont, bei Vereinbarung der Leistung eines bestinunten Gegenstandes könne der Wille nicht auf dessen Eigenschaften gerichtet sein in dem Sinne, daß das Bestehen der Eigenschaften gewollt wäre. Einen solchen Willen könne es nicht geben. 94 Die andere mögliche Auslegung des "Gerichtetseins" und "Sich-Beziehens" der Leistungsvereinbarung auf Eigenschaften ist diejenige, daß anstelle des gegenwärtigen Seins die zukünftige Herbeifohrung der vorgestellten Beschaffenheit der Kaufsache vereinbart wird für den Fall, daß die tatsächliche Beschaffenheit abweicht von der vorgestellten. Vereinbart wäre dann, bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses, nicht das "Sein", sondern das "Werden" der tatsächlich fehlenden Eigenschaften, die Eigenschaften wären "gesollt" und damit geschuldet. 95 Ein solches Verständnis der Beschaffenheitsvereinbarung wäre, anders als die Vereinbarung des gegenwärtigen Seins bestimmter als der Speziessache anhaftend vorgestellter Eigenschaften, in manchen Fällen jedenfalls nicht offenkundig sinnlos - so beiDers., Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 27, 33,42,48 und 50. Ders., Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 32 und 34. 93 Vgl. Zite1mann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 439. 94 V gl. Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 19. 95 In diesem Sinne deutet Herberger, Sachmänge1haftung, S. 59, die Figur der Beschaffenheitsvereinbarung. 91
92
ill. Flumes Konzeption der Beschaffenheitsvereinbarung
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spielsweise die Verpflichtung, die als intakt vorgestellten, tatsächlich aber gegenwärtig defekten Bremsen des verkauften Gebrauchtwagens zu reparieren. Versteht Flume die Beschaffenheitsvereinbarung in diesem Sinne? Flume vermeidet es, sie expressis verbis zu deuten als Vereinbarung einer auf Herbeifohrung der vereinbarten Beschaffenheit gerichteten Leistungspflicht fiir den Fall, daß die vereinbarten Eigenschaften zunächst fehlen. Ob sich seinen Ausfiihrungen dennoch ein solches Verständnis der Leistungsvereinbarung beim Spezieskauf entnehmen läßt, bedarf daher der Prüfung. In eine andere Richtung könnte die Ansicht Flumes weisen, die Leistung einer mangelhaften Sache sei keine Erfiillung des Kaufvertrags, sondern ein breach of contract, weil der Kaufvertrag auf Leistung der Kaufsache in mangelfreiem Zustand gerichtet sei. Dagegen könne in diesem Falle keine Rede von der Nichterfüllung einer Erfiillungspflicht sein. Man müsse Nichterfiillung eines Vertrages und Nichterfiillung einer Vertragspflicht unterscheiden. 96 Hier hat es den Anschein, als sei der Vertrag fiir Flume gleichsam ein eigenständiger Organismus, der mehr ist als die Summe der vertraglichen Leistungspflichten. Eine solche Sicht des Vertrages birgt möglicherweise einen Ansatz zur Lösung des Problems des Eigenschaftsirrtums beim Stückkauf. Sie bedürfte dazu allerdings der methodischen Absicherung. Wenn Flume zwischen Nichterfiillung eines Vertrages und Nichterfiillung einer Erfiillungspflicht unterscheidet, so hat er ein derartiges eigenständiges Vertragsverständnis aber wohl nicht im Sinn. Unter der Nichterfüllung einer Erfüllungspflicht versteht er nur die Nichterfiillung einer von der Rechtsordnung konstituierten Pflicht. Auch die davon zu unterscheidende Nichterfiillung eines Vertrages besteht jedoch fiir Flume in der Nichterfüllung einer Verpflichtung, wenngleich diese Verpflichtung nur vereinbart, von der Rechtsordnung aber nicht anerkannt wird. Besonders deutlich wird dieses Verständnis der Vertragsverletzung, wenn Flume den Verkauf einer fehlerhaften Sache unter dem Aspekt der Unmöglichkeit der Erfiillung einer nur vereinbarten, in Wirklichkeit aber nicht bestehenden Leistungspflicht betrachtet. 97 Als eine solche vereinbarte Leistungspflicht kommt aber nur die Verpflichtung des Verkäufers zur Leistung der Kaufsache in fehlerfreiem Zustand in Betracht. An anderer Stelle spricht Flume denn auch explizit aus, durch den Kaufvertrag werde die Verpflichtung zur Leistung der fehlerfreien Kaufsache 96 Vgl. Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 41. Es scheint, als knüpfe Flume hier an eine Differenzierung an, die sich ähnlich bereits bei Wolff, lher. Jb. 56,1 (3 f.) findet. Wolffzufolge besteht keine Leistungspflicht des Verkäufers, die Kaufsache frei von Mängeln zu liefern; die Mange1freiheit der Kaufsache ist nicht in obligatione. Wohl aber bedarf es zur Vertragserfüllung einer mange1freien Sache, diese ist daher in so/utione. 97 Vgl. Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 49.
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1. Teil: Die BegründlUlg der Sachmänge1gewährleistung
vereinbart. 98 Der Inhalt einer solchen Verkäuferpflicht aber läßt sich in bezug auf Eigenschaften einer individuell bestimmten Kaufsache sinnvollerweise nur dahingehend präzisieren, daß die Parteien vereinbaren, der Verkäufer sei zur Herbeifiihrung der betreffenden Eigenschaften verpflichtet, sofern sie fehlen. Wenn nach Flume die Beschaffenheitsvereinbarung einen integrierenden Bestandteil des rechtsgeschäftlichen Tatbestandes des Spezieskaufs bildet, so bedeutet das also, daß die Parteien vereinbaren, der Verkäufer sei verpflichtet, die vereinbarte Beschaffenheit herzustellen, wenn sie fehle. Dennoch triffi: Flume zufolge den Verkäufer keine Rechtspflicht zur Herbeifiihrung der vereinbarten Eigenschaften. Vielmehr versagt die Rechtsordnung der vereinbarten Verpflichtung zur Leistung, d.h. zur Herstellung der "vereinbarten Beschaffenheit" gerade die Anerkennung und ersetzt sie durch die Gewährleistungspflicht der §§ 459 ff99 Diese Rechtsfolgen treten kraft Gesetzes auf Grund der Kaufvereinbarung ein, weil durch die Leistung der fehlerhaften Kaufsache der Kaufvereinbarung nicht Genüge getan ist. I 00 Zusammengefaßt stellt sich Flumes Konzeption damit wie folgt dar: Die Vorstellung der Speziessache umfaßt als integrierenden Bestandteil auch die Vorstellung von ihrer Beschaffenheit. Deshalb besteht der Tatbestand des Spezieskaufvertrags aus einer ebenso unteilbaren Vereinbarung, wonach die Sache mit der vorgestellten Beschaffenheit zu leisten ist. lol Hinsichtlich der Rechtsfolgen der Kaufvereinbarung sieht sich Flume dann aber doch genötigt, zwischen der Kaufsache als solcher und ihren Eigenschaften zu differenzieren: Aus dem Kaufvertrag folgt gerade keine einheitliche Rechtspflicht des Verkäufers zur Leistung der Kaufsache in der vereinbarten Beschaffenheit, sondern zum einen die Pflicht zur Leistung der Sache als solcher, zum anderen die Pflicht zur Mängelgewährleistung nach §§ 459 ff, sofern vereinbarte Eigenschaften fehlen.
(3) Beschaffenheitsvereinbarung und Rechtsgeschäftsbegriff (a) Die Bruchlinie zwischen Tatbestand und Rechtsfolgen des Spezieskaufvertrags im Konflikt mit dem herkömmlichen Rechtsgeschäftsbegriff Diese Konzeption Flumes ist nicht unproblematisch. Vergleicht man sie einmal unter dem Aspekt des Rechtsgeschäftsbegriffs mit den entsprechenden AusDers., Eigenschaftsirrtum lUld Kauf, S. 48. Ders., Eigenschaftsirrtum lUld Kauf, S. 48. 100 Ders., Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 50. 101 Ders., Eigenschaftsirrtum lUld Kauf, S. 19 lUld 107.
98 99
III. Flumes Konzeption der Beschaffenheitsvereinbarung
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fiihrungen Zitehnanns, SO ergibt sich folgendes Bild: Bei Zitelrnann verläuft, was den Stückkauf betrifft, die Bruchlinie zwischen der Gegenstandsvorstellung und dem rechtsgeschäftlichen Tatbestand. Zwar kann man sich die individuelle Sache durchaus mit bestimmten ihr anhaftenden Eigenschaften vorstellen, diese Eigenschaften können aber nicht mehr Inhalt des auf einen rechtlichen Erfolg bezüglich der Sache gerichteten Willens werden. Damit finden die Eigenschaftsvorstellungen der Parteien im Rechtsgeschäft des Spezieskaufs keinen Raum mehr und werden in den Bereich der rechtlich unbeachtlichen Motive verbannnt. Der kategoriale Bruch zwischen rechtsgeschäftlichem Tatbestand und rechtlich unbeachtlichem Motivbereich, verbunden mit der Zuordnung der Eigenschaftsvorstellungen zum Motivbereich, wird der Bedeutung nicht gerecht, die diese Vorstellungen im Rahmen des Kaufvertrags haben. Flume versucht daher diese Kluft zu überwinden, indem er die Eigenschaftsvorstellungen, vermittelt durch die Beschalfenheitsvereinbarung als integrierenden Bestandteil der kaufvertraglichen Leistungsvereinbarung, in den Tatbestand des Spezieskaufvertrags einbezieht. Er vermag auf diese Weise die bei Zitelrnann vorgefundene Bruchlinie aber nicht zu eliminieren, sondern verschiebt sie stattdessen in das Rechtsgeschäft hinein. Sie verläuft jetzt zwischen Tatbestand und Rechtsfolgen des Spezieskaufvertrags. Damit stellt sich die Frage, welchen Rechtsgeschäftsbegriff Flume seiner Konzeption zugrundelegt. Die Motive definieren das Rechtsgeschäft folgendermaßen: "Rechtsgeschäft im Sinne des Entwurfes ist eine Privatwillenserklärung, gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, der nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist. Das Wesen des Rechtsgeschäfts wird darin gefunden, daß ein auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteter Wille sich betätigt, und daß der Spruch der Rechtsordnung in Anerkennung dieses Willens die gewollte rechtliche Gestaltung in der Rechtswelt verwirklicht. ,,\ 02 Die Motive bezeichnen demnach hier als Rechtsgeschäft die einzelne Willenserklärung, während an anderer Stelle mit dem Terminus "Rechtsgeschäft" ein rechtsgeschäftlicher Gesamttatbestand gemeint ist, innerhalb dessen die einzelne Willenserklärung nur einen Bestandteil bildet. Auf diese Doppelbedeutung des Rechtsgeschäfts soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden. \ 03 Für die Bewertung des Lösungswegs, den Flume einschlägt, um das Problem des Eigenschaftsirrtums beim Stückkauf zu bewältigen, sind vielmehr die in der Begriffsbestimmung des Rechtsgeschäfts enthaltenen beiden Aussagen von Bedeutung, die sowohl fiir die WillensVgl. Mot. I, S. 126. Näher zur Doppelbedeutung des Begriffs Rechtsgeschäft Flume, AT TI, S. 25-28, Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, S. 146; derselbe, Rechtsgeschäftslehre, S8f. 102 103
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I. Teil: Die Begründung der Sachmängelgewährleistung
erklärung als auch für das Rechtsgeschäft als Gesarnttatbestand gelten. I04 . Kennzeichnend für das Rechtsgeschäft ist danach zum einen, daß ein Wille auf den Eintritt von Rechtsfolgen gerichtet ist, zum anderen, daß die Rechtsordnung, weil sie diesen Willen anerkennt, die gewollten Rechtsfolgen eintreten läßt. Es bedarf der Prüfung, inwieweit diese beiden das Rechtsgeschäft charakterisierenden Aussagen auf die Beschaffenheitsvereinbarung zutreffen, so wie Flwne sie konzipiert. Flwnes Fonnulierung, die Kaufvereinbarung sei auf Leistung der Kaufsache in fehlerfreiem Zustande gerichtet, ist dahingehend zu präzisieren, daß durch den Kaufvertrag die Verpflichtung zur Leistung der fehlerfreien Kaufsache vereinbart wirdlOS und weiter dahin, daß damit sinnvollerweise in den Fällen, in denen sich die Sache als fehlerhaft erweist, nur die Vereinbarung der Verkäuferpflicht zur Herbeifiihrung der Fehlerfreiheit gemeint sein kann. Legt man den Inhalt der Beschaffenheitsvereinbarung in diesem Sinne aus, so erfiillt sie das erste der beiden obengenannten Kriterien des Rechtsgeschäfts: In der Beschaffenheitsvereinbarung betätigt sich der Wille der Kaufvertragsparteien, dem Verkäufer die Rechtspflicht zur Herstellung bestimmter Eigenschaften der Kaufsache aufzuerlegen, sofern diese Eigenschaften zunächst fehlen. Ihrer Rechtsnatur nach stellt sich diese vereinbarte Verkäuferpflicht zur Leistung der Kaufsache in fehlerfreiem Zustand als primäre Erfollungspf/icht dar. Die Rechtsordnung knüpft nun Flwne zufolge an die Beschaffenheitsvereinbarung die Gewährleistungspflicht des Verkäufers nach §§ 459 ff., wenn sich die Kaufsache als fehlerhaft erweist. Danach kann der Käufer im Ergebnis bei Fehlerhaftigkeit der Kaufsache nach seiner Wahl die vollständige Rückgewähr des Kaufpreises gegen Rückgabe der Kaufsache (Wandlung) oder die teilweise Kaufpreisrückzahlung (Minderung) verlangen. Demnach weichen die von der Rechtsordnung an die Fehlerhaftigkeit der Kaufsache geknüpften Rechtsfolgen nachhaltig von der nach Flwne vereinbarten Erfullungspflicht des Verkäufers zur Leistung der Kaufsache als einer fehlerfreien ab. Die §§ 459 ff. lassen sich daher nicht als bloße juristische Präzisierung dieser vereinbarten Leistungspflicht begreifen. Mit der Statuierung der Sachmängelhaftung beschränkt sich die Rechtsordnung aber auch nicht darauf, den Umfang der vereinbarten Verpflichtung des Verkäufers zur Leistung der Kaufsache in fehlerfreiem Zustand lediglich quantitativ zu reduzieren - eine Annalune, die durch Flwnes Fonnulierung, die Rechtsordnung schwäche zugunsten des Verkäufers die vereinbarten Rechtsfolgen ab, aber nahegelegt wird. lo6 Wenn die Rechtsordnung in die 104 Vgl. dazu Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, S. 146; ders., Rechtsgeschäftslehre, S. 9. 105 So Flume selbst, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 48. 106 Vgl. Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 48.
Ill. Flumes Konzeption der Beschaffenheitsvereinbarung
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Beschatfenheitsvereinbarung der Parteien eingreift! 07 , so tut sie das nicht, indem sie die Flume zufolge vereinbarten Rechtsfolgen abschwächt, sondern indem sie diese vollständig beseitigt und durch Rechtsfolgen ersetzt, die sich nach Rechtsnatur und wirtschaftlichem Inhalt vollkommen von den vereinbarten Rechtsfolgen unterscheiden. Die Gemeinsamkeit von vereinbarten und durch die Rechtsordnung statuierten Rechtsfolgen besteht allenfalls noch darin, daß beide, ganz allgemein gesprochen, die Interessen des Käufers bei Fehlerhaftigkeit der Kaufsache zu wahren bestimmt sind. Das zweite in der Definition der Motive genannte Wesensmerkmal des Rechtsgeschäfts, wonach der Spruch der Rechtsordnung in Anerkennung des rechtsgeschäftlichen Willens die gewollte rechtliche Gestaltung in der Rechtswelt verwirklicht! 08 , triffi: demnach auf die Beschatfenheitsvereinbarung, so wie sie Flume konzipiert, nicht zu. Nun betont aber Flume selbst, daß es der Wille und die Willenserklärung sind, an die sich im rechtsgeschäftlichen Verkehr die Rechtsfolgen anknüpfen! 09 , womit er sich im Einklang mit der von den Motiven gegebenen Rechtsgeschäftsdefinition und nicht zuletzt mit Zitelmann befindet.!! 0 Es gilt also festzuhaIten, daß es dieses gemeinsame Verständnis des Rechtsgeschäfts ist, auf dessen Grundlage Flume es unternimmt, Zitelmann in bezug auf das Problem des Eigenschaftsirrtums beim Stückkauf zu widerlegen, indem er die Beschatfenheitsvereinbarung als integrierenden Bestandteil des Spezieskaufvertrags konzipiert. Wenn aber die kaufvertraglieh vereinbarte Verpflichtung des Verkäufers, die Kaufsache fehlerfrei zu leisten, von der Rechtsordnung nicht anerkannt und durch andere Rechtsfolgen, nämlich die §§ 459 ff., ersetzt wird, so stellt die Beschatfenheitsvereinbarung ein Gebilde dar, das keine rechtsgeschäftlichen, sondern gesetzliche Rechtsfolgen erzeugt. Sie läßt sich damit, gemessen am Rechtsgeschäftsbegriff der Motive, kaum mehr als rechtsgeschäftliche Regelung auffassen. Die Beschatfenheitsvereinbarung, verstanden als Vereinbarung einer Verkäuferpflicht zur Leistung der Kaufsache in fehlerfreiem Zustand, kann also nicht die Lösung der Aufgabe sein, die Flume sich selbst gestellt hat. Diese Aufgabe ging ja dahin, auf dem Boden des herkömmlichen Rechtsgeschäftsverständnisses zu zeigen, daß nicht nur die individuell bestimmte Kaufsache als solche, sondern ebenso ihre Eigenschaften Gegenstand des Rechtsgeschäfts Spezieskauf sind. Zu diesem Ergebnis kann Flume nur gelangen, indem er die Beschatfenheitsvereinbarung so konzipiert, daß er den Boden der überkommenen Rechtsgeschäftslehre gerade verläßt und damit mit seinem eigenen methodischen Ausgangspunkt in Konflikt gerät. Es scheint also, als bestätige sich doch die
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lOS 109
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Ders., Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 48. Mot. I, S. 126. Vgl. Flurne, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 32. Vgl. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 281.
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I. Teil: Die Begründung der Sachmängelgewährleistung
These ZiteImanns, Eigenschaftsvorstellungen der Parteien beim Stückkauf seien in den Bereich der bloßen Motive zu verweisen.
(b) Die §§ 459 ff. als korrigierender Eingriff des Rechts in den Kernbereich
privatautonomer Selbstbestimmung Mit dem Hinweis auf diesen Widerspruch innerhalb von Flumes Konzeption sind die Bedenken gegen die Figur der Beschaffenheitsvereinbarung nicht erschöpft. Die Annahme, an die rechtsgeschäftliche Vereinbarung einer Verkäuferpflicht zur Leistung der Kaufsache in fehlerfreiem Zustand knüpften sich die gesetzlichen Rechtsfolgen der §§ 459 ff., erscheint insbesondere problematisch, wenn man sich einmal vor Augen fiihrt, worauf die zentrale Stellung beruht, die das Rechtsgeschäft im Bürgerlichen Recht einnimmt. Wir gehen dieser Frage im folgenden nach, indem wir auf die späteren Überlegungen Bezug nehmen, die Flume selbst hierzu in "Rechtsgeschäft und Privatautonomie" angestellt hat. 111 Flume zufolge handelt es sich bei "dem" Rechtsgeschäft, dessen Wesen in der Definition der Motive umschrieben wird, lediglich um eine Abstraktion der konkreten von der Rechtsordnung anerkannten und durch sie bestehenden Rechtsfiguren oder Aktstypen wie etwa Schuldvertrag, Kaufvertrag, Eigentumsübertragung oder Zession. 112 Als Abstraktion birgt der Begriff des Rechtsgeschäfts eine nicht geringe Gefahr. Sie besteht darin, daß die bedeutenden Unterschiede innerhalb der Vielfalt einzelner Erscheinungen, welche sämtlich vom Rechtsgeschäftsbegriff umfaßt werden, bei ihrer an der Abstraktion "Rechtsgeschäft" orientierten Betrachtung nicht gebührend berücksichtigt werden. 113 Dennoch hält Flume den Begriff des Rechtsgeschäfts, so wie ihn die deutsche Jurisprudenz herusgeaIbeitet hat, fur wertvoll. Flume zufolge schärft der Rechtsgeschäftsbegriff das Bewußtsein fur die grundlegende Gemeinsamkeit aller Aktstypen, die ihm unterfallen. Diese Gemeinsamkeit sämtlicher Rechtsgeschäfte besteht darin, daß sie Akte schöpforischer Gestaltung von Rechtsverhältnissen in Selbstbestimmung sind. Das unterscheidet sie von allen anderen rechtlich relevanten Vorgängen und Handlungen. 114 Soweit die Rechtsordnung dem einzelnen diese Gestaltung seiner Rechtsverhältnisse in Selbstbestimmung zuerkennt, wird nach Flume die durch das Rechtsgeschäft schöpferisch gestaltete Rechtsfolge von der Selbstbestimmung getragen, ohne In: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentags 1960. Vgl. Flume, Rechtsgeschäft und Privatautonomie, S. 147. m Ders., Rechtsgeschäft und Privatautonomie, S. 149. 114 Ders., Rechtsgeschäft und Privatautonomie, S. 150.
III
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III. Flwnes Konzeption der Beschaffenheitsvereinbarung
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daß es noch einer rechtlichen Wertung dieser Rechtsfolgen bedürfte. Im Gegensatz dazu treten alle anderen Rechtsfolgen, die nicht in Selbstbestimmung gestaltet sind, auf Grund einer rechtlichen Wertung der betreffenden Vorgänge und Handlungen ein. 11S Nachdrücklich betont Flwne, daß es etwas grundsätzlich anderes ist, wenn von der Rechtsordnung auf Grund rechtlicher Wertung eine Rechtsfolge bestimmt wird, als wenn die Gestaltung einer Rechtsfolge aus Selbstbestimmung von der Rechtsordnung anerkannt wird. 116 Faßt man das Verhältnis von Rechtsgeschäft und Rechtsfolge schärfer in den Blick, so bedarf es aber auch hier einer Differenzierung. Auf der einen Seite stehen die essentialia und accidentalia negotii. Hier sind die Rechtsfolgen in der Weise Bestandteil des Rechtsgeschäfts, daß das Rechtsgeschäft als Akt seinem Inhalt nach auf die Begründung gerade dieser Rechtsfolge gerichtet ist. Auf der anderen Seite haben die naturalia negotii mit dem Rechtsgeschäft als Akt nichts zu tun. Sie haben ihre Grundlage nur in der Wertung der Rechtsordnung, wenngleich die Rechtsordnung diese Wertung im Hinblick auf den Inhalt des Rechtsgeschäfts vollzieht, d.h. im Hinblick auf die essentialia und accidentalia negotii. 117 Flwne arbeitet also mit Schärfe den Unterschied zwischen der Selbstbestimmung als Grundlage der rechtsgeschäftlichen Rechtsfolge und der rechtlichen Wertung als Grundlage aller übrigen Rechtsfolgen heraus. Die an das Rechtsgeschäft geknüpften Rechtsfolgen im Bereich der naturalia negotii nehmen dabei allerdings doch wohl eine gewisse Zwischenstellung ein, indem die ihnen zugrundeliegende Wertung der Rechtsordnung ihrerseits wieder Bezug nimmt auf den in Ausübung der Selbstbestimmung zustandegekommenen Inhalt des Rechtsgeschäfts. Wie beurteilt sich vor dem Hintergrund dieser späteren Ausfiihrungen Flwnes zur Rechtsgeschäftslehre die Figur der Beschaffenheitsvereinbarung, wie er sie in "Eigenschaftsirrtum und Kauf' konzipiert? Die Vorstellung von der Beschaffenheit des Kaufgegenstandes ist nach Flwne integrierender Bestandteil der Vorstellung des Kaufgegenstandes. 118 Dementsprechend bildet im Tatbestand des Spezieskaufvertrags die Beschaffenheitsvereinbarung einen integrierenden Bestandteil des auf Leistung der Kaufsache gerichteten rechtsgeschäftlichen Willens: Vereinbart wird einheitlich die Verpflichtung des Verkäufers zur Leistung der Kaufsache in fehlerfreiem Zustand. 119 Diese rechtsgeschäftlich vereinbarte Leistungspflicht des Verkäufers, die sich auch auf die Beschaffenheit der Kaufsache erstreckt, stellt im wesentlichen den Ders., Rechtsgeschäft und Privatautonomie, S. 150. Ders., Rechtsgeschäft und Privatautonomie, S. 151. 117 Ders., Rechtsgeschäft und Privatautonomie, S. 161. 118 Ders., Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 32. 119 Ders., Eigenschaftsirrtwn und Kauf, S. 48.
115 116
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1. Teil: Die Begründung der Sachmängelgewährleistung
dogmatischen Ertrag von Flumes Überlegungen zum Problem des Eigenschaftsirrtums beim Stückkauf dar. Im Lichte seiner späteren Methodik betrachtet wäre diese Verkäuferpflicht zur Leistung der fehlerfreien Kaufsache wohl als durch das Rechtsgeschäft des Kaufvertrags schöpferisch gestaltete Rechtsfolge zu sehen, auf welche sich die Parteien in Ausübung ihrer von der Rechtsordnung anerkannten Selbstbestimmung geeinigt haben. Als solche wäre die Pflicht zur Leistung der Kaufsache in fehlerfreiem Zustand von der Selbstbestimmung der Parteien getragen, eine Wertung durch die Rechtsordnung dürfte demgemäß nicht erfolgen. Dann läßt sich aber nicht verständlich machen, warum die Rechtsordnung nunmehr diese vereinbarten Rechtsfolgen nicht nur abschwächtl20 , sondern sie durch die ganz andersgearteten Rechtsfolgen der §§ 459 ff. ersetzt. Wie stellt sich die Problematik dar, wenn man sie einmal von der anderen Seite aus betrachtet, d.h. von den in den §§ 459 ff. statuierten Rechtsfolgen aus? Flume betont, die SachmängeIhaftung selbst werde durch den Kaufvertrag nicht vereinbart. Die Rechtsfolgen bei Fehlerhaftigkeit der Kaufsache träten vielmehr kraft Gesetzes ein, wenngleich auf Grund der Kaufvereinbarung, weil durch Leistung der fehlerhaften Kaufsache der Kaufvereinbarung nicht Genüge getan sei. 121 Damit weisen die §§ 459 ff. die charakteristischen Züge der naturalia negotii auf, wie Flume sie in "Rechtsgeschäft und Privatautonomie" skizziert: Sie haben ihre Grundlage in einer Wertung der Rechtsordnung, doch erfo1gt diese Wertung im Hinblick auf den Inhalt des Rechtsgeschäfts "Kaufvertrag", d.h. auf die im rechtsgeschäftlichen Tatbestand vereinbarte Verpflichtung des Verkäufers zur Leistung der Kaufsache in fehlerfreiem Zustand. Wenn die Rechtsordnung diese vereinbarte Verpflichtung auch nicht als Rechtspflicht anerkennt, so findet sie doch Berücksichtigung als Wertungsgrundlage der §§ 459 ff. Das Problem, das Sachmängelgewährleistungsrecht beim Spezieskauf in ein dogmatisch überzeugendes Verhältnis zur Beschaffenheitsvereinbarung nach Flume zu setzen, ist damit aber nicht gelöst. Wenn die Rechtsordnung bei Statuierung der naturalia negotii den unmittelbar auf dem rechtsgeschäftlichen Willen beruhenden Inhalt des Rechtsgeschäfts, der in den essentialia und accidentalia negotii zum Ausdruck kommt, berücksichtigt, so geschieht dies im Hinblick auf die Aufgabe der naturalia negotii, den Inhalt des Rechtsgeschäfts als Akt zu ergänzen. Indem die Rechtsordnung diese Ergänzung unter Berücksichtigung der Rechtsfolgen vornimmt, die von den Parteien selbst in Ausübung ihrer Selbstbestimmung vereinbart wurden, stellt sie auch die unmittelbar auf ihrer eigenen Wertung beruhenden Rechtsfolgen der naturalia negotii noch in den Dienst der Verwirklichung des Willens der Parteien, wie er im Rechtsgeschäft als Akt zum Ausdruck gekommen ist. 120 121
So aber Flume, Eigenschaftsirr1um und Kauf, S. 48. Ders., Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 50.
III. Flmnes Konzeption der Beschaffenheitsvereinbanmg
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Wenn nun beim Spezieskauf die nach Flume vereinbarte rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Verkäufers, die Kaufsache in einer bestinunten Beschaffenheit zu leisten, durch die §§ 459 ff. ersetzt wird, soweit es um die Beschaffenheit geht, so geht dies über eine Ergänzung der rechtsgeschäftlich vereinbarten Rechtsfolgen durch die Rechtsordnung weit hinaus. Die vertragliche Festlegung des Kaufgegenstandes, zu der nach Flume auch beim Spezieskauf die Vereinbarung seiner bestimmten Beschaffenheit gehört, ist essentialium negotii des Kaufvertrags. Sie gehört damit zum Kernbereich der schöpferischen Gestaltung von Rechtsfolgen, in der sich die Selbstbestimmung der Parteien verwirklicht. Greift die Rechtsordnung in diesen Kernbereich nicht nur präzisierend, sondern korrigierend ein, so verschiebt sich das Verhältnis von rechtsgeschäftlicher Selbstbestimmung und gesetzlicher Wertung nachhaltig zu Lasten der Selbstbestinunung. Dies muß um so bedenklicher erscheinen, als gerade Flume betont, bei der in schöpferischer Gestaltung geschaffenen Rechtsfolge erfolge keine rechtliche Wertung. 122 Nachdem er herausgearbeitet hat, daß beim Spezieskauf die Parteien in schöpferischer Gestaltung eine Verpflichtung des Verkäufers zur Leistung der Kaufsache in fehlerfreiem Zustand vereinbaren, gestattet Flume der Rechtsordnung ein korrigierendes Eingreifen in diesen Kernbereich schöpferischer Gestaltung von Rechtsfolgen. Es bleibt also dabei, daß ein Verständnis der §§ 459 ff. als naturalia negotii, welche die Leistungsvereinbarung bezüglich der Kaufsache, ein essentialium negotii des Spezieskaufvertrags, nicht ergänzen, sondern in einem wichtigen Punkt ersetzen, gerade auch zur Rechtsgeschäftslehre, wie Flume sie später vertritt, gewissermaßen "querliegt". Will man Flumes spätere Methodik und ihr Verhältnis zur Figur der Beschaffenheitsvereinbarung zusammenfassend würdigen, so ergibt sich folgendes Bild: Flume aIbeitet mit Schärfe die Fundierung des Rechtsgeschäfts in der Selbstbestimmung des einzelnen, d.h. in der Privatautonomie heraus. Als zu weitgehend erscheint aber wohl die Auffassung, soweit die rechtsgeschäftliche Rechtsfolge durch die Rechtsordnung anerkannt werde, erfolge keine rechtliche Wertung der Rechtsfolge, vielmehr werde diese durch die Selbstbestimmung getragen. 123 Geht man mit Flume davon aus, daß die Rechtsordnung bestimmte Aktstypen für die privatautonome Gestaltung von Rechtsverhältnissen zur Verfiigung stelltl24 , so stellt bereits die grundsätzliche Anerkennung dieser Aktstypen durch die Rechtsordnung eine rechtliche Wertung dar. Die Zuordnung eines konkreten einzelnen Geschäfts zu einem dieser anerkannten Aktstypen und die damit verbundene Anerkennung der in diesem Geschäft vereinbarten Rechtsfolgen läßt sich dann wohl ebenfalls nur als recht-
Ders., Rechtsgeschäft und Privatautonomie, S. 150. Ders., Rechtsgeschäft und Privatautonomie, S. 150. 124 Zur Bedeutung der Aktstypen vgl. Flume, Rechtsgeschäft und Privatautonomie, S. 147 f 122 123
1. Teil: Die Begründung der Sachmängelgewährleistung
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liche Bewertung dieses Geschäfts und seiner Rechtsfolgen verstehen. Die von der Selbstbestimmung des einzelnen getragene rechtsgeschäftliche Rechtsfolge wird demnach von der Rechtsordnung in einem zweistufigen Wertungsvorgang anerkannt. Dennoch enthält Flumes Aussage, es erfolge keine rechtliche Wertung der von der Rechtsordnung anekannten rechtsgeschäftlichen Rechtsfolgen, einen richtigen Kern. Die Schaffung eines numerus clausus rechtsgeschäftlicher Aktstypen und die Zuordnung eines einzelnen Geschäfts zu einem dieser Aktstypen beinhaltet ja, bezogen auf dieses einzelne Geschäft, in der Tat nur die eher formale und damit doch zurückhaltende Bewertung, daß die in diesem konkreten Geschäft erklärten Rechtsfolgen einem der grundsätzlich anerkannten Rechtsgeschäftstypen entsprechen. Dagegen bewertet die Rechtsordnung nicht, ob die Rechtsfolgen, die in dem betreffenden Geschäft erklärt sind, im Einzelfall gerecht oder zweckmäßig sind: Dies zu beurteilen bleibt im Hinblick auf den Grundsatz der Privatautonomie den Parteien vorbehalten. Vor diesem Hintergrund läßt sich dann aber nicht verständlich machen, daß die Rechtsordnung die nach Flume rechtsgeschäftlich vereinbarte Verpflichtung des Verkäufers zur Leistung der Speziessache in fehlerfreiem Zustand durch die Rechtsfolgen der §§ 459 ff. ersetzt. Wenn die Beschaffenheitsvereinbarung integrierender Bestandteil im rechtsgeschäftlichen Tatbestand des Aktstypus "Spezieskauf" ist, wie ihn die deutsche Rechtsordnung konstituiert125 , so muß es der Rechtsordnung verwehrt sein, diese privatautonom vereinbarten Rechtsfolgen korrigierend abzuändern. Anderenfalls würden die Parteien, was den Spezieskauf betrifft, im Kernbereich privatautonomer Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse einer Bevormundung durch die Rechtsordnung unterworfen, die mit dem Grundsatz der Privatautonomie schwerlich vereinbar wäre. 126 Das Verhältnis von Beschaffenheitsvereinbarung und Sachmängelgewährleistung beim Spezieskauf, so wie Flume es in "Eigenschaftsirrtum und Kauf' entwirft, steht also im Konflikt mit seiner Rechtsgeschäftslehre. Möglicherweise läßt sich das hier skizzierte Dilemma aber auflösen, indem man aus der Beschaffenheitsvereinbarung eine Rechtspf/icht des Verkäufers zur Leistung der Kaufsache in fehlerfreiem Zustand ableitet. Die Leistung einer fehlerhaften Sache würde sich dann als partielle Ders., Eigenschaftsintum und Kauf, S. 33. In die gleiche Richtung geht die Kritik von Knöpfle, JZ 1978,121 (l221.Sp.), an der Konzeption Flumes. Knöpfle zufolge besteht kein Anhalt dafür, daß sich das Gesetz über den Inhalt der Kaufvereinbarung und damit über den Parteiwillen hinwegsetzen wolle. Bei der Sachmängelhaftung handele es sich um dispositives Recht, vor dem die Beschaffenheitsvereinbarung, wie sie Flume konzipiert, Vorrang haben müßte. Auch gehe es kaum an, als Regelfall einen Parteiwillen anzunehmen, der von der Rechtsordnung in dem, worauf er abziele, gerade nicht anerkannt werde. 125 126
IV. Die ErfiUlungstheorie
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Nichterfiillung einer vereinbarten und von der Rechtsordnung anerkannten Leistungspflicht des Verkäufers darstellen, so daß die Regelung der Sachmängelgewährleistung beim Stückkauf sich in das allgemeine Leistungsstörungsrecht einordnen ließe. Damit würde zugleich eine Parallelisierung des Inhalts von Stück- und Gattungskauf erreicht, denn beim Gattungskauf wird im Hinblick auf die Vorschrift des § 480 I 1 allgemein eine Erfiillungspflicht des Verkäufers zur Leistung einer Sache der vereinbarten Beschaffenheit angenommen. Im folgenden Kapitel soll daher untersucht werden, inwieweit sich die sogenannte "Erfiillungstheorie" als dogmatisch konsistente Fortführung des Flumeschen Ansatzes verstehen läßt. Dies geschieht anhand einer Auseinandersetzung mit der Auffassung, die Herberger in seiner Schrift "Rechtsnatur, Aufgabe und Funktion der Sachmängelhaftung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch" vertritt.
IV. Die Erfiillungstheorie 1. Die Ansicht Herbergers: Die §§ 459 ff. als Sanktion einer nicht gehörigen Erfüllung der Leistungspflicht des Verkäufers
Ebenso wie Flume geht Herberger davon aus, daß die Vorstellung des Kaufgegenstandes und die Vorstellung seiner Eigenschaften eine Einheit bilden. Dementsprechend richtet sich auch der Wille auf diese Einheit. 127 Die von Zitelmann verneinend beantwortete Frage, ob beim Kauf einer physisch präsenten Speziessache deren Eigenschaften fiir ihre Individualisierung erforderlich sind128 , leitet Herberger zufolge in eine falsche Richtung. Erklänmgen über die Eigenschaften der Kaufsache erfolgen nicht, um die Sache zu individualisieren, sondern um den Umfang der vertraglichen Schuld des Verkäufers zu bestimmen. 129 Die kaufvertragliche Willenserklärung setzt sich damit zusammen aus der Bestimmung der Kaufsache und der Bestimmung der Eigenschaften, die sie haben soll. Dementsprechend umfaßt die aus der Vereinbarung entstehende Leistungspflicht des Verkäufers auch die Eigenschaften der Sache. 130 Flume muß sich daher nach Ansicht Herbergers den Vorwurf der Inkonsequenz gefallen lassen, wenn er zwar eine Vereinbarung über die Eigenschaften der Kaufsache fiir möglich hält, aus einer solchen Vereinbarung jedoch keine entsprechende Leistungspflicht herleitet, weil eine Pflicht des Verkäufers, eine mangelfreie Sache zu leisten, nicht gesetzlich 127
Vgl. Herberger, Sachmängelhaftung, S. 56.
128
Vgl. Zitelmann, Irrtwn und Rechtsgeschäft, S. 439 f.
129
Vgl. Herberger, Sachmängelhaftung, S. 58.
130
Ders., Sachmängelhaftung, S. 77 und 83.
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1. Teil: Die BegriindlUlg der Sachmängelgewährleisttmg
statuiert sei. 131 Vereinbaren die Parteien, daß eine mangelfreie Sache geschuldet sei, so folgt nach Herberger unmittelbar aus der Vereinbarung die entsprechende Leistungspflicht. Eine gesetzliche Bestimmung ist insofern UIUlötig und kann allenfalls dek1aratorische Bedeutung haben, denn im Vertragsrecht ist in erster Linie die Vereinbarung maßgeblich. Die Leistungspflicht wird von den Parteien, nicht vom Gesetz geschaffen. 132 Welche Konsequenzen ergeben sich, wenn der Verkäufer eine fehlerhafte Sache leistet? Aus der vertraglichen Pflicht des Verkäufers, eine mangelfreie Sache zu leisten, folgt in diesem Falle keine Herstellungspjlicht in bezug auf die fehlenden Eigenschaften, denn die Kaufvertragsschuld geht nicht auf eine Tätigkeit, sondern auf LeistImg eines Gegenstandes. 133 Statt dessen ordnet das Gesetz als Folge der nicht gehörigen Erfiillung der Leistungspflicht des Verkäufers, die in der Lieferung einer fehlerhaften Sache liegt, die Sachmängelgewährleistung an. 134 Diese tritt als sekundäre Ausgleichspjlicht an die Stelle der primären Leistungspflicht des Verkäufers, soweit sie sich auf die Eigenschaften des Kaufgegenstandes bezieht. 135
2. Kritik der Ansicht Herbergers Vermag der Versuch Herbergers zu überzeugen, das Sachmänge1gewährleistungsrecht der §§ 459 ff. als Sanktion der Nichterfiillung einer Verkäuferpflicht zur Leistung einer fehlerfreien Kaufsache aufzufassen? Die Beschaffenheitsvereinbarung, so wie Herberger sie versteht, entspricht derjenigen Flumes, doch leitet er im Gegensatz zu Flume aus der von ihm angenommenen rechtsgeschäftlichen Vereinbarung der Parteien, wonach der Verkäufer eine mangelfreie Sache schuldet, auch eine dementsprechende rechtsgeschäftliche Leistungspflicht des Verkäufers ab. In der Tat besteht der Haupteinwand gegen Flumes Konzeption darin, daß er diese Konsequenz seiner Überlegungen zum rechtsgeschäftlichen Tatbestand des Spezieskaufs nicht zieht und damit eine Kluft zwischen Tatbestand und Rechtsfolgen des Stückkaufs aufreißt, die er nur durch das systemwidrige "Eingreifen" der Rechtsordnung in den Tatbestand der Speziesvereinbarung meint schließen zu können. Herberger vermeidet diesen Bruch innerhalb des Rechtsgeschäfts und sieht sich daher auch nicht den oben unter C II vorgebrachten Bedenken gegen die Darlegungen Flumes ausgesetzt. Damit stellt 131
Ders., Sachmängelhaftung, S. 77.
132
Ders., SachmängeThaftung, S. 77-79.
133
Ders., SachmängeThaftung, S. 75 f.
134
Ders., SachmängeThaftung, S. 76.
135
Ders., SachmängeThaftung, S. 116.
IV. Die ErfiUlungstheorie
63
sich die Frage, ob die konsequente Fortfiihrung des Flumeschen Ansatzes durch Herberger imstande ist, die These Zitelrnanns zu widerlegen, Vorstellungen über Eigenschaften der individuell bestimmten Speziessache kämen nur als Motive, nicht aber als Bestandteil des rechtsgeschäftlichen Willens in Betracht. 136 a) Die Frage der Perplexität der kaufoertraglichen Willenserklärung
Wenn die kaufvertragliche Willenserklärung sich zusammensetzt aus der Bestinnnung der Kaufsache und aus der Bestimmung der Eigenschaften, die die Sache haben soll137 , so liegt der Einwand nahe, dies müsse zur Perplexität der Erklärung fiihren, wenn die vereinbarten Eigenschaften tatsächlich fehlen. 138 HeIberger zufolge träfe dieser Einwand jedoch nur dann zu, wenn die Erklärung besagte, daß die Sache so ist, also auf ein Sein gerichtet wäre. Dies ist aber nicht der Fall. Inhalt der Erklärung ist vielmehr, daß der Kaufgegenstand die betreffenden Eigenschaften haben soll; die Willenserklärung ist also auf ein Werden gerichtet. Sie kann daher nicht widersprüchlich sein, denn einen Widerspruch gibt es nur innerhalb der Seinskategorie, nicht aber im Bereich des Werdens. 139 Ob die kaufvertragliche Willenserklärung, die sich auch auf Eigenschaften der Kaufsache bezieht, bei Fehlen dieser Eigenschaften perplex und damit nichtig ist, bedarf aber doch eingehenderer Betrachtung. Die Eigenschaften der Sache können auf zweierlei Weise zum Gegenstand der Erklärung werden. Zum einen kann die Erklärung versprechen, daß bestimmte Eigenschaften dem Kaufgegenstand gegenwärtig anhaften. Sind diese Eigenschaften tatsächlich nicht vorhanden, so verspricht die Erklärung einerseits die Leistung der Sache als solcher. Da eine Sache ohne Eigenschaften nicht denkbar ist, beinhaltet das Versprechen der durch das hic et nunc bestimmten Sache zwangsläufig zugleich das Versprechen detjenigen Eigenschaften, die ihr gegenwärtig real anhaften. Andererseits wird aber ausdriicklich Leistung der der Kaufsache irrigerweise als gegenwärtig anhaftend vorgestellten Vgl. Zitelmann, hrtum und Rechstgeschäft, S. 440. Vgl. Herberger, Sachmängelhaftung, S. 58. 138 Vgl. etwa die diesbezüglichen Bedenken, die Larenz, Geschäftsgrundlage, S. 20 f, dort Anmerkung 1, gegen die Konzeption Flwnes äußert, auf der Herberger aufbaut. Larenz konzediert, daß die psychologische Vorstellung des Kaufgegenstandes dessen BeschafIenheitsmerkmale in ungeschiedener Einheit mit umfaßt. Um zu verhindern, daß zahlreiche Willenserklärungen, weil in sich widerspIÜchlich oder unbestimmt, der Nichtigkeit anheimfallen, sei es jedoch erforderlich, diese umfassende psychologische Vorstellung durch einen juristischen Denkakt auf den Willen und die Erklärung zu reduzieren, lediglich "diesen", durch das Hier und Jetzt und weiter nichts individualisierten Gegenstand zu kaufen. 139 Vgl. Herberger, Sachmängelhaftung, S. 58 f; ähnlich Flwne, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 108 f 136 137
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1. Teil: Die BegrUndung der Sachmänge1gewährleistung
Eigenschaften versprochen. Wird beispielsweise "dieser goldene Ring" verkauft, der aber tatsächlich aus Messing ist, so wird damit zum einen Leistung "dieses Rings, so wie er hier liegt" und damit, weil der Ring tatsächlich aus Messing ist, "dieses Messingrings" versprochen. Zum anderen wird expressis vetbis versprochen, daß der Ring "gegenwärtig aus Gold ist". Die Erklärung beinhaltet damit zwei einander entgegengesetzte Aussagen über die gegenwärtige Beschaffenheit der Kaufsache. "Bei dem zu leistenden Ring, einem Messingring, handelt es sich um einen Goldring." Vom Standpunkt der Logik aus betrachtet ist die Erklärung damit paradox. Vom juristischen Standpunkt aus gesehen ist sie perplex und damit nichtig. Zwischen Zitelmann, Flume und Hetberger besteht denn auch Einigkeit über die Sinnlosigkeit einer Beschaffenheitsvereinbarung, die das gegenwärtige Sein von Eigenschaften der Kaufsache verspricht. 140 Die zweite Möglichkeit eines Bezugs der kaufvertraglichen Willenserklärung auf die Eigenschaften des Kaufgegenstandes ist die von Hetberger angefiihrte: Inhalt der Erklärung ist es danach nicht, daß die Kaufsache bestimmte Eigenschaften hat, sondern daß sie diese Eigenschaften haben soll. Wenn Hetberger überzeugt ist, damit sei ein Widerspruch innerhalb der Erklärung ausgeschlossen141 , so bedarf die Stichhaltigkeit dieser Überzeugung aber denn doch näherer Überprüfung. Geht man mit Hetberger davon aus, daß die kaufvertragliche Willenserklärung im Sinne eines Werdens auf die Eigenschaften der Kanfc;acbe gerichtet ist, dh. daß die Eigenschaften gesollt sindl42 , so dürfte es sinnvoll sein, im Hinblick auf das Verhältnis von Erklärung und Wirklichkeit drei Fälle zu unterscheiden. Im ersten Fall hat die Kaufsache tatsächlich die Eigenschaften, die sie haben soll. Dann schuldet der Verkäufer zum einen die durch Bezugnahme auf das hic et nunc individualisierte Sache in der Beschaffenheit, die sie tatsächlich hat. Zum anderen schuldet er die vereinbarten Eigenschaften, die hier mit der tatsächlichen Beschaffenheit identisch sind. Wird also etwa ein Ring "als Goldring" verkauft, der in der Tat aus Gold ist, so hat der Verkäufer erstens "diesen Ring" in der Beschaffenheit zu leisten, die er real hat, d.h. mit der Eigenschaft "aus Gold". Zweitens schuldet der Verkäufer die gesondert vereinbarte Eigenschaft "golden". Da diese Eigenschaft der Kaufsache ohnehin von vornherein anhaftet, der Käufer sie daher zugleich mit der Sache als solcher zwangsläufig "mitgeliefert" bekommt, ist eine Vereinbarung hinsichtlich dieser Eigenschaft in diesem Falle insofern überflüssig, als es darum geht, den Umfang der vertraglichen Schuld des Verkäufers festzulegen. Die Tautologie, die in der Abrede liegt, ein - tatsächlich ohnehin aus Gold bestehender - Ring sei 140 Vgl. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 439; Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 19; Herberger, Sachmängelhaftung, S. 59. 141 Vgl. Herberger, Sachmängelhaftung, S. 59. 142
Ders., Sachmängelhaftung, S. 59.
IV. Die Erfi1lhmgstheorie
65
"als Goldring" zu leisten, macht aber die kaufvertragliche Willenserklärung nicht widersprüchlich. Der Kaufvertrag ist wirksam, und der Verkäufer hat ilm vollständig erfiillt, wenn er "diesen Goldring" leistet.
Im zweiten Fall fehlen der verkauften Speziessache Eigenschaften, die sie nach den übereinstimmenden kaufvertraglichen Willenserklärungen der Parteien haben soll, doch lassen sich diese Eigenschaften herstellen. So ist beispielsweise beim Verkauf des Gebrauchtwagens ausdrücklich vereinbart worden, daß der Wagen "mit intakten Bremsen" verkauft wird. Tatsächlich sind die Bremsen defekt, doch lassen sie sich reparieren bzw. auswechseln. Was bedeutet es in diesem Falle, wenn man mit Herberger davon ausgeht, daß die kaufvertragliche Willenserklärung jeder der beiden Parteien sich zusammensetzt aus der Bestimmung der Sache und der Bestimmung der Eigenschaften, die die Sache haben soll?143 Aus der Bestimmung der Kaufsache als solcher folgt zunächst die Verpflichtung des Verkäufers, dem Käufer diese konkrete Sache zu liefern, d.h. die Sache in der Beschaffenheit, die sie nun einmal hat. Zu leisten wäre also in unserem Beispielsfalle zunächst einmal der Gebrauchtwagen mit defekten Bremsen. Die Bestimmung der Eigenschaften, die der Kaufgegenstand haben soll, kann nun im Hinblick darauf, daß er sie tatsächlich nicht hat, daß aber die kaufvertragliche Willenserklärung in bezug auf diese Eigenschaften auf ein Werden gerichtet ist, nur die Verpflichtung des Verkäufers bedeuten, diese Eigenschaften herzustellen. Die Vereinbarung hinsichtlich der Kaufsache als solcher wird also durch die Beschaffenheitsvereinbarung abgeändert. Im Beispielsfall hat also der Verkäufer die vereinbarte Eigenschaft des Gebrauchtwagens "mit intakten Bremsen" herbeizuführen, d.h. er hat nach der Vereinbarung fiir die Reparatur der tatsächlich defekten Bremsen bzw. ihren Ersatz durch intakte Bremsen zu sorgen. Die kaufvertragliche Willenserklärung ist also in zweierlei Weise auf ein Werden gerichtet: auf die Leistung des Kaufgegenstandes als solchen sowie auf die Herstellung der vereinbarten Eigenschaften. Die Vereinbarung, wonach bestimmte Eigenschaften "gesollt" und damit im Falle ihres Fehlens herzustellen sind, modifiziert dabei die Abrede, derzufolge die Sache als solche zu leisten ist, d.h. mit derjenigen Beschaffenheit, die sie nun einmal hat. Ein Widerspruch innerhalb der Erklärung besteht auch in diesem zweiten Falle nicht. Es kommt ein wirksamer Kaufvertrag zustande, den der Verkäufer mit Lieferung der Sache und Herstellung der vereinbarten Eigenschaften erfiillt hat. Der dritte Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß der Kaufsache vereinbarte Eigenschaften fehlen, die auch nicht hergestellt werden können. Beispielsweise besteht der "als Goldring" verkaufte Ring in Wirklichkeit aus Messing. Ist auch in diesem
143 Ders., Sachmängelhaftung, S. 58 und 88. 5 Huda
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1. Teil: Die Begründung der Saclunängelgewährleistung
Fall, wie Herberger meint, ein Widerspruch innerhalb der kaufvertraglichen Willenserklärung ausgeschlossen? Die Erklärung individualisiert zwn einen die Kaufsache. Sie legt damit die Identität des Leistungsobjekts fest. Nun ist aber die Identität eine juristische Denkkategorie. Bestimmen die Parteien "diese" durch das hic et nunc individualisierte Sache zwn Leistungsobjekt, so werden die aus dem Bereich der Naturwissenschaften entlehnten Kriterien von Raum und Zeit in der Kurzfonnel "dies" zusammengefaßt, ohne daß sich darin die Identität der Sache im juristischen Sinne bereits erschöpfte. Zur juristischen Identität einer Sache gehören auch diejenigen wesensbestimmenden Eigenschaften, die sie zu einer Sache solcher Art machen. 144 Das aber bedeutet, daß bereits mit der bloßen raum-zeitlichen Individualisierung der Spezieskaufsache jedenfalls diejenigen Eigenschaften mitvereinbart werden, die der Sache unabänderlich anhaften. Bei diesen unveränderlichen Eigenschaften handelt es sich um diejenigen Eigenschaften, die nicht verändert werden können, ohne zugleich die juristische Identität der Sache zu zerstören. Dazu gehört insbesondere der Stoff, aus dem die Speziessache besteht. Wird also festgelegt, daß "dieser Ring" Kaufgegenstand ist, so bedeutet das, daß der Ring als Ring aus derrgenigen Metall zu leisten ist, aus dem er tatsächlich besteht. Besteht er aus Messing, so ist er als Messingring zu leisten. Bestinunt die Willenserklärung nun gleichzeitig, der Ring solle golden sein, also "als Goldring" geleistet werden, so besteht insofern dem Anschein nach ein Widerspruch innerhalb der Erklärung. Die ausdrückliche Vereinbarung einer bestimmten, tatsächlich aber ohne Zerstörung der Sachidentität nicht herbeizufiihrenden Eigenschaft läßt sich auch, anders als in der zweiten Fallgruppe, nicht als bloße Modifikation der mit der Individualisierung der Kaufsache bereits konkludent mitvereinbarten jeweiligen Beschaffenheit der Sache deuten. Die in der Individualisierung "dieser Ring" konkludent enthaltene Bestinunung "aus Messing" und die explizite Vereinbarung "aus Gold" stehen vielmehr in einem unauflöslichen Gegensatz zueinander. Der Verkäufer kann nicht beides zugleich leisten. Auch wenn man mit Herberger anstelle des Seins das Sein-Sollen von Eigenschaften als Inhalt der kaufvertraglichen Willenserklärung betrachtet, scheint die Erklärung damit in denjenigen Fällen auf eine in sich widersprüchliche Leistungspflicht des Verkäufers gerichtet zu sein, in denen der Verkäufer die gesollten Eigenschaften nicht herstellen kann. Wiederum sähe man sich in dieser dritten Fallgruppe mit einer perplexen kaufvertraglichen Willenserklärung konfrontiert. Bei weiterer Betrachtung zeigt sich aber doch ein Unterschied. Verspricht die Erklärung zwn einen Leistung der Kaufsache als solcher, zwn anderen das Sein von tatsächlich nicht vorhandenen Eigenschaften, so enthält sie zwei einander wider144
Ders., Sachmängelhaftung, S. 88.
IV. Die Erfiillungstheorie
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sprechende deskriptive Aussagen über die Beschaffenheit der Sache: "dieser Ring aus Messing, der aus Gold ist". Diese widersplÜChlichen deskriptiven Aussagen über eine Tatsache, die gegenwärtige Beschaffenheit des Kaufgegenstandes, stehen untereinander in einem Verhältnis der Gleichrangigkeit. Ihr Widerspruch läßt sich daher nicht auflösen, indem man aufgrund einer Wertung einer der beiden Aussagen den Vorrang zuerkennt. Wie verhält es sich demgegenüber, wenn die kaufvertragliche Willenserklärung einerseits Leistung der durch das hic et nunc bestimmten Kaufsache und damit auch Leistung der unveränderlichen Eigenschaften dieser Sache verspricht, andererseits anstelle des Seins das Sein-Sollen von tatsächlich nicht vorhandenen Eigenschaften, die sich auch nicht herstellen lassen? "Geleistet werden soll dieser Ring als Messingring, der ein Goldring sein soll. " In diesem Falle sind diejenigen der Kaufsache tatsächlich anhaftenden Eigenschaften, die ohne Zerstörung ihrer Identität nicht zu ändern sind, aufgrund des Versprechens, die Sache als solche zu leisten, lediglich schlüssig mitvereinbart. So enthält das Versprechen, diesen konkreten Ring überhaupt zu leisten, als integrierenden Bestandteil zugleich das konkludente Versprechen, ihn als Ring aus demjenigen Metall zu leisten, aus dem er wirklich besteht, d.h., wenn es sich tatsächlich um einen Messingring handelt, als Ring aus Messing. Dagegen wird die Vereinbarung, wonach bestimmte Eigenschaften im Sinne eines So-Seins geschuldet sind, explizit getroffen. Die Parteien verabreden etwa ausdrücklich, der Ring solle als goldener geleistet werden. In diesem Falle sieht sich der Verkäufer zwei einander widersprechenden Befehlen gegenüber, wonach die Kaufsache einerseits mit den ihr tatsächlich anhaftenden, unveränderlichen Eigenschaften, andererseits mit den davon abweichenden, ausdrücklich vereinbarten Eigenschaften zu leisten ist. Zwischen zwei Befehlen aber kann, anders als zwischen zwei deskriptiven Aussagen über das Sein einer Sache, aufgrund einer Wertung ein Rangverhältnis vereinbart werden. Für die Parteien hat offenbar die ausdrückliche Festlegung bestimmter gesollter Eigenschaften Vorrang vor der lediglich konkludent in der Identitätsbestimmung der Kaufsache enthaltenen Festlegung, wonach zugleich mit der Sache als solcher ihre unabänderlichen Eigenschaften zu leisten sind. Soweit es um die Eigenschaften der Kaufsache geht, wird also der letztgenannte Befehl an den Verkäufer durch den erstgenannten, bestimmte zu leistende Eigenschaften expressis vetbis benennenden Befehl verdrängt. Nach dem Inhalt der kaufvertraglichen Willenserklärung trifft den Verkäufer damit, was die Eigenschaften der Kaufsache betrifft, im Ergebnis nur noch eine Verpflichtung, nämlich die Verpflichtung zur Leistung der ausdrücklich vereinbarten, nicht der tatsächlich existierenden Eigenschaften. Zu leisten ist also in unserem Beispielsfall "dieser Ring, und zwar als Gold-, nicht als Messingring." Der vermeintliche Widerspruch innerhalb der kaufvertraglichen Willenserklärung hat sich damit aufgelöst.
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1. Teil: Die BegründWlg der Saclunängelgewährleistung
Versteht man also mit Herberger die BeschafIenheitsvereinbarung in der Weise, daß anstelle des Seins das Sein-Sollen, das Werden von Eigenschaften vereinbart wird, so kann die kaufvertragliche Willenserklärung durch die Integration von Eigenschaftsvorstellungen der Parteien in den Tatbestand des Spezieskaufs in keinem Falle in sich widersplÜChlich werden. Insofern bestehen gegen die Konzeption Herbergers keine Bedenken. b) Die mögliche Nichtigkeit des Spezieskaufoertrags nach § 306 Ein Widerspruch innerhalb der einzelnen kaufvertraglichen Willenserklärung wird, wie oben gezeigt, vennieden, indem tnan, soweit es um die vom Verkäufer zu leistenden Eigenschaften geht, allein die zum Inhalt der Willenserklärung erhobenen Eigenschaftsvorstellungen des Erklärenden als maßgeblich ansieht, und zwar unabhängig davon, ob diese Eigenschaftsvorstellungen mit der Wirklichkeit übereinstimmen oder nicht. Wenn die der Erklärung zufolge vom Verkäufer geschuldeten Eigenschaften tatsächlich fehlen und auch nicht hergestellt werden können, stellt sich jedoch sogleich die Frage, ob ein mit diesem Inhalt zustandegekommener Kaufvertrag hinsichtlich der Eigenschaften der Speziessache auf eine unmögliche Leistung gerichtet und damit nach § 306 nichtig ist. Die Auslegung der einzelnen Willenserklärung hatte noch ergeben, daß ihr ausdrücklicher Inhalt, "dieser Ring" sei als Goldring zu leisten, ihren lediglich konkludenten Inhalt, "dieser Ring" sei als Messingring zu leisten, verdrängt. Mittels eines Wertungsvorgangs konnte damit der kaufvertraglichen Willenserklärung ein eindeutiger Inhalt gegeben werden. Wenn man sich nunmehr dem Problem gegenübersieht, ob der Kaufvertrag als ganzes vor § 306 Bestand haben kann, so wird die aufgnmd normativer Betrachtnng ermittelte Verkäuferpflicht, die vereinbarten, tatsächlich aber nicht existierenden Eigenschaften zu leisten, gleichsam mit der "normativen Kraft des Faktischen" konfrontiert: Man mag annehmen, der Verkäufer sei verpflichtet, "diesen Ring", der aus Messing besteht, als Goldring - und nur als Goldring - zu leisten. An der schlichten Tatsache, daß der Käufer "diesen Ring" dennoch nur als Messingring erhalten kann, ändert das nichts. Sollte deswegen der Kaufvertrag nach § 306 nichtig sein, so hätte sich damit doch die Realität gegenüber der auf psychologischen Vorstellungen aufbauenden rechtsgeschäftlichen Vereinbarung durchgesetzt. Der Versuch Flumes und Herbergers, die Eigenschaftsvorstellungen der Parteien in den Tatbestand des Rechtsgeschäfts "Spezieskauf' zu integrieren, wäre gescheitert. Muß es nun zur Nichtigkeit des Kaufvertrags nach § 306 fuhren, wenn man beim Stückkauf die Eigenschaftsvorstellungen der Parteien als integrierenden Bestandteil ihres Geschäftswillens betrachtet und diese Vorstellungen sich als irrig erweisen?
IV. Die ErfiUlungstheorie
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Diese Befürchtung wird etwa von Larenz geäußert. Nach seiner Ansicht liegt, wenn die Kaufsache die vorgestellten und vereinbarten Eigenschaften nicht hat, ein aufgrund der Regelung des § 306 nichtiger Kaufvertrag vor. Die Saclunängelvorschriften der §§ 459 ff. aber sind Larenz zufolge nur anwendbar, wenn der Kaufvertrag nach allgemeinen Vorschriften wenigstens vorläufig wirksam ist. 145 Sie könnten demnach nicht mehr zum Zuge kommen. Im Umkehrschluß ließe sich dann aus der Regelung der §§ 459 ff. entnehmen, daß der Spezieskaufvertrag ungeachtet eines Eigenschaftsirrtums der Parteien deshalb wirksam ist, weil ihre Eigenschaftsvorstellungen gerade nicht zum integrierenden Bestandteil ihres Geschäftswillens werden und § 306 deshalb tatbestandlich die Fälle gar nicht enaßt, in denen die Parteien bei Vertragsschluß von einer falschen Beschaffenheitsvorstellung ausgegangen sind. Diese Argumentation von Larenz ist aber nicht zwingend. Es dürfte durchaus möglich sein, ihr mit Herberger folgende Überlegungen entgegenzuhalten: Die Parteien vereinbaren beim Spezieskauf eine Leistungspflicht bezüglich der Eigenschaften des Kaufgegenstandes. Fehlen vereinbarte Eigenschaften und können sie auch nicht hergestellt werden, so ist die Leistung der Sache mit den vereinbarten Eigenschaften objektiv unmöglich. Damit ist der Tatbestand des § 306 erfüllt. Dennoch tritt in diesem Falle nicht die von § 306 angeordnete Rechtsfolge der Nichtigkeit des Vertrages ein. Diese Rechtsfolge wird vielmehr verdrängt durch die in den §§ 459 ff. statuierte Saclunängelhaftung des Verkäufers. Die Regelung der §§ 459 ff. stellt sich damit gegenüber § 306 als lex specialis dar, welche abschließend die Fälle regelt, in denen es dem Verkäufer objektiv unmöglich ist, die vereinbarten Eigenschaften der Speziessache zu leisten. Sachlich gerechtfertigt ist diese durch die §§ 459 ff. getroffene Sonderregelung im Hinblick auf den Zweck des § 306, lediglich eine infolge der Unmöglichkeit sinnlose Verpflichtung aufzuheben. 146 Fehlen nämlich dem Kaufgegenstand vereinbarte Eigenschaften, so ist infolgedessen die Verpflichtung des Verkäufers zur Leistung der Sache nicht zwangsläufig sinnlos. Der Gesetzgeber stellt insofern die Entscheidung dem Käufer anheim: Hält er es für sinnvoll, den Kaufvertrag noch durchzufiihren,so kann er sich mit der Minderung des Kaufpreises begnügen, anderenfalls mag er sich für die Wandelung entscheiden. 147 Diese Ausfiihrungen Herbergers erscheinen einleuchtend. Wenn man die Eigenschaften der Speziessache in die Leistungspflicht des Verkäufers einbezieht, so dürfte es in der Tat möglich sein, von einer bloßen qualitativen Teilunmöglichkeit auszugehen, die sich vielleicht begrifflich dem Tatbestand des § 306 subsumieren 145
V gl. Larenz, Geschäftsgrundlage, S. 20 f., dort Arunerkung 1.
146 Vgl. 147
Herberger, Saclunängelhaftung, S. 86.
Ders., Saclunängelhaftung, S. 86.
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1. Teil: Die BegrülldWlg der Sachmängelgewährleistung
läßt148 , für die jedoch die von § 306 für den gesamten Vertrag angeordnete rigorose Nichtigkeitsfolge häufig als für beide Parteien nicht interessengerecht erscheint. Von daher ist es wohl durchaus plausibel, die §§ 459 ff. aufzufassen als die interessengerechtere und daher sachnähere, den § 306 verdrängende Spezialregelung für den Fall, daß infolge Fehlerhaftigkeit der Kaufsache dem Verkäufer die Leistung in qualitativer Hinsicht teilweise unmöglich wird. Dabei mag man sich auch auf den in den §§ 280 11 I und 325 I 2 zum Ausdruck kommenden Gedanken stützen, wonach der Gläubiger bei teilweiser Unmöglichkeit die weitergehenden Rechte aus vollständiger Unmöglichkeit nur dann hat, wenn die teilweise Erfiillung für ihn kein Interesse hat. Auch in diesen Fällen steht das Gesetz also einer Gleichstellung der Fälle bloßer Teilunmöglichkeit mit den Fällen vollständiger Unmöglichkeit reserviert gegenüber, zumal hier der Gläubiger die Beweislast für den Interessenwegfall trägt.149 § 462 würde von den beiden vorgenannten Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts dann nur insoweit abweichen, als er es im Falle qualitativer Teilunmöglichkeit beim Spezieskauf der subjektiven Einschätzung des Käufers überläßt, ob sein Interesse an der Durchführung des Kaufvertrags vollständig entfallen ist oder nicht. Herberger verdient also Zustimmung, wenn er die Vorschrift des § 306 nicht als zwingendes Argument gegen die Einbeziehung von Eigenschaftsvorstellungen der Parteien in den Tatbestand des Spezieskaufs gelten läßt. Es ist durchaus möglich, die §§ 459 ff. als den § 306 verdrängende leges speciales anzusehen, soweit es um die Rechtsfolgen qualitativer Teilunmöglichkeit infolge Fehlerhaftigkeit der Spezieskaufsache geht. Bedenken konstruktiv-rechtstechnischer Art gegen die Integration vorgestellter Eigenschaften der Kaufsache in die Leistungspflicht des Verkäufers erscheinen demnach überwindbar. Dies gilt zum einen auf der Ebene der Auslegung der einzelnen Willenserklärung, wo sich die Frage ihrer Perplexität stellt. Es gilt aber auch auf der Ebene des Kaufvertrags, dessen Wirksamkeit, wie oben gezeigt, nicht an § 306 scheitern muß. Erweisen sich die beiden vorstehend skizzierten konstruktiven Schwierigkeiten im Ergebnis auch als überwindbar, so legen sie doch die Frage nahe, ob es sich bei ihnen nicht um Symptome einer tiefergehenden Problematik in Herbergers Konzeption handelt. Deren Kernstück ist die Einbeziehung der Eigenschaften der Kaufsache in die Leistungspflicht des Verkäufers auch beim Spezieskauf. Dabei versteht Herberger diese Verkäuferpflicht zur Leistung vereinbarter Eigenschaften im Gegensatz zu Flume, aber in konsequenter Fortführung von dessen Ansatz, als von der 148
Schon insoweit zweifelnd FIWlIe, Eigenschaftsirrtum Wld Kauf, S. 108.
149 Vgl. Münch-Komm-Emmerich, § 280 Rz. 25 sowie § 325 Rz. 152 (vgl. auch Staudinger-Otto, § 325 Rz. 84).
IV. Die ErftUlungstheorie
71
Rechtsordnung anerkannte Rechtspj1icht. Im folgenden sollen daher Inhalt und Sinn dieser auch die Beschaffenheit der Kaufsache umfassenden Leistungspflicht des Verkäufers einer eingehenden Betrachtung unterzogen werden. c) Inhalt und Sinn einer Verkäuferpj1icht zur Leistung der Speziessache
im Zustand der Fehlerfreiheit Ebenso wie Flume hält Herberger die Vorstellung der Eigenschaften der Kaufsache für einen integrierenden Bestandteil der Vorstellung von der Sache insgesamt. Wie Flume zieht er daraus den Schluß, daß sich dementsprechend der Wille des Käufers auch einheitlich auf die Sache mit den vorgestellten Eigenschaften richtet. Der Käufer will aber nicht, daß der Kaufgegenstand so ist, wie er ihn sich vorstellt, sondern er will, daß der Gegenstand so sein SOll.150 Daher ist die kaufvertragliche Willenserklärung nicht auf das Sein, sondern auf das Werden, das Sein-Sollen der vorgestellten Eigenschaften gerichtet. I 51 Die Annahme, die Vorstellung von der Kaufsache umfasse als integrierenden Bestandteil auch die Vorstellung von Eigenschaften, dürfte in der Regel psychologisch richtig sein. 152 Es ist aber wichtig, sich vor Augen zu halten, daß das Bild, welches sich die Parteien in ihrer Vorstellung von dem Gegenstand machen, dessen gegenwärtiges Sein betriffi:. Vorgestellt wird neben der sinnlich wahrnehmbaren physischen Präsenz der Sache ihre gegenwärtige Beschaffenheit: "Dieser Ring, der hier vor mir liegt, ist aus Gold." Die Gegenstandsvorstellung einschließlich der vorgestellten Eigenschaften ist also nichts anderes als eine vom Bewußtsein erzeugte Abbildung des Gegenstandes, so wie er dem Bewußtsein als aktuell existierend erscheint. Darm erscheint es aber psychologisch fragwürdig, wenn Herberger von diesem Inhalt der Gegenstandsvorstellung auf einen Willen schließt, der auf das Werden, das Sein-Sollen der vorgestellten Eigenschaften geht. Das Werden von Eigenschaften, die im Bewußtsein als bereits gegenwärtig vorhanden abgebildet sind, wird nicht mehr gewollt. Dies hat Zitelmarm richtig gesehen, wenn er feststellte, man könne etwas, von dem man meine, es sei bereits, nicht mehr als Ergebnis eines Werdens beabsichtigen. I 53 Andererseits kann die psychologische Vorstellung des gegenwärtigen Seins bestimmter Eigenschaften der Speziessache erst recht nicht dergestalt in den rechts150
Vgl. Herberger, Sachmängelhaftung, S. 56.
151
Ders., Sachmängelhaftung, S. 59.
152
Vgl. dazu oben unter III 3a) (2).
153
Vgl. Zitelmann, Irrtmn und Rechtsgeschäft, S. 439 f.
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1. Teil: Die Begrtlndilllg der Sachmängelgewährleistung
geschäftlichen Willen der Parteien "übersetzt" werden, daß anstelle des Werdens oder Sein-Sollens das gegenwärtige Sein dieser Eigenschaften vom Verkäufer versprochen wird. Eine Willenserklärung dieses Inhalts müßte, falls die versprochenen Eigenschaften in Wirklichkeit fehlen, wegen Perplexität der Nichtigkeit anheimfallen. 154 Es hat daher seinen guten Sinn, wenn Herberger nicht das Sein, sondern das Werden oder Sein-Sollen der vorgestellten Eigenschaften als Inhalt der kaufvertraglichen Willenserklärung bezeichnet. Nur muß man sich dabei vor Augen fuhren, daß dieser Erklärungsinhalt nicht mehr das Ergebnis einer streng psychologischen Untersuchung des Verhältnisses von Eigenschaftsvorstellungen und rechtsgeschäftlichem Willen ist. Diese Feststellung wiegt nicht leicht, wenn man bedenkt, daß Flume, an den Herbergers Konzeption anknüpft, gerade die psychologische Frage nach diesem Verhältnis als Ausgangspunkt seiner Untersuchung gewählt hat. 155 Wenn man die Eigenschaftsvorstellungen der Parteien also in der Weise in den Inhalt der kaufvertraglichen Willenserklärung einbezieht, daß diese auf das Werden vorgestellter Eigenschaften gerichtet ist, so baut die Erklärung zwar auf der psychologischen Vorstellung auf, die sich die Parteien von der gegenwärtigen Beschaffenheit des Kaufgegenstandes machen. Thre konkrete Gestalt erhält die Willenserklärung aber erst aufgrund einer rechtlichen Deutung, die bewußt darauf verzichtet, die psychologische Realität vollständig abzugleichen Dementsprechend geht auch der Spezieskaufvertrag, so wie ihn Herberger konzipiert, nicht kraft psychologischer Notwendigkeit, sondern kraft seiner Ausgestaltung als rechtsgeschäftlicher Aktstypus durch die Rechtsordnung auf das Werden oder Sein-Sollen der vereinbarten Eigenschaften. Ist man der Auffassung, daß die Deskription von Wirklichkeit - und damit auch von psychologischer Wirklichkeit - nicht Aufgabe des Rechts istl56 , so stellt das allerdings noch keinen durchgreifenden Einwand gegen eine derartige Integration von Eigenschaftsvorstellungen in den Tatbestand des Stückkaufs dar. Richtet sich die kaufvertragliche Willenserklärung auf das Werden bzw. SeinSollen vorgestellter Eigenschaften des Kaufgegenstandes, so folgt aus dem Kaufvertrag die Verpflichtung, eine Sache mit diesen Eigenschaften zu leisten. Herberger lehnt jedoch eine Pflicht des Verkäufers, die fehlerhafte Kaufsache nachzubessern und so die vereinbarten Eigenschaften herzustellen, ausdrücklich ab. Aus seiner vertraglichen Pflicht, eine mangelfreie Sache zu leisten, ergebe sie sich nicht. Die Kaufvertragsschuld gehe nicht auf eine Tätigkeit, sondern auf Leistung eines Ge-
154
Vgl. oben illlter IV 2 a).
155
Vgl. Flume, Eigenschaftsirrtum illld Kauf, S. 17.
156
Vgl. dazu Schapp, Rechtsgeschäftslehre, S. 4.
IV. Die Erftl.I.lungstheorie
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genstandes. 157 Zwar sei es möglich, daß der Gesetzgeber als Folge fiir die nicht gehörige Erfiillung der Leistungspflicht des VetXäufers, die in der Lieferung einer mangelhaften Sache liege, einen Nachbesserungsanspruch des Käufers normiere. Beim Spezieskaufhabe er aber davon abgesehen und statt dessen als Folge der nicht gehörigen Erfiillung die Sachmängelgewährleistung der §§ 459 ff. angeordnet. 158 Hier stellt sich nun allerdings die Frage, inwieweit Herbergers Konzeption des Inhalts der kaufvertraglichen Willenserklärung in sich frei von Widersprüchen ist. Wie oben dargelegt, betriftl die psychologische Vorstellung der Kaufsache deren gegenwärtige Beschaffenheit. Nimmt man demgegenüber an, die kaufvertragliche Willenserklärung sei auf das Werden, das Sein-Sollen von Eigenschaften der Sache gerichtet, so bildet dieser Erklärungsinhalt nicht mehr die psychologische Sachvorstellung der Parteien ab, sondern ist bereits das Ergebnis rechtlicher Deutung. 159 . Indem diese rechtliche Deutung den Willen nicht auf das gegenwärtige Sein der vorgestellten Eigenschaften gehen läßt, verhindert sie die Perplexität der Willenserklärung, die einträte, wenn die als gegenwärtig vorhanden versprochenen Eigenschaften tatsächlich fehlten. Es handelt sich also mn einen Versuch, beim Spezieskauf die Eigenschaftsvorstellungen in sinnvoller Weise in die kaufvertragliche Willenserklärung einzubeziehen. Dieser Versuch kann nur gelingen, wenn auf die getreue Wiedergabe der psychologischen Eigenschaftsvorstellungen im rechtsgeschäftlichen Willen verzichtet wird. Wenn man die kaufvertragliche Willenserklärung nicht auf das gegenwärtige Sein bestimmter Eigenschaften der Speziessache gehen läßt, so stellt das insofern eine negative Inha/tsbestimmung dar, als so vermieden wird, daß die Erklärung einen sinnlosen und in sich widersprüchlichen Inhalt erhält. Wird statt dessen das Werden, das Sein-Sollen vorgestellter Eigenschaften als Erklärungsinhalt aufgefaßt, so nimmt man damit im Wege rechtlicher Deutung eine positive Inhaltsbestimmung der kaufvertraglichen Willenserklärung vor. Diese positive Inhaltsbestimmung muß sich nun ihrerseits daraufhin befragen lassen, welcher Sinn sich mit ihr veroindet. Fragt man, was mit dem Sein-Sollen oder Werden von Eigenschaften konkret gemeint sei, was also der Verkäufer schulde, wenn die betreffenden Eigenschaften tatsächlich fehlen, so kann sinnvollerweise die Antwort nur lauten, der Verkäufer schulde dann Herbeifohrung der "gesollten" Eigenschaften. Ist also die kaufvertragliche Willenserklärung auf das Sein-Sollen von Eigenschaften der Kaufsache gerichtet, so wird im Kaufvertrag eine primäre Leistungspj1icht des Verkäufers zur
157 158
Vgl. Herberger, Sachmängelhaftung, S. 76. Ders., Sachmängelhaftung, S. 76.
159 Zur Willenserklärung als Ergebnis rechtlicher Wertung vgl. Schapp, Rechtsgeschäftslehre, S. 11 f.
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1. Teil: Die Begründung der Saclnnänge1gewährleistung
Nachbesserung der Sache fiir den Fall vereinbart, daß die als "sein-sollend" vereinbarten Eigenschaften zunächst nicht vorhanden sind. Führt demgegenüber HeIberger an anderer Stelle aus, den Verkäufer treffe keine Herstellungspflicht, denn die Kaufvertragsschuld gehe nicht auf eine Tätigkeit, sondern auf Leistung eines Gegenstandes160 , so fragt sich, wie sich das mit seinen Darlegungen vereinbaren läßt, denen zufolge die kaufvertragliche Willenserklärung auf das Sein-Sollen, das Werden von Eigenschaften der Kaufsache geht. 161 Inwieweit ist die letztgenannte Aussage berechtigt, die Kaufvertragsschuld gehe nicht auf eine Tätigkeit, sondern auf Leistung eines Gegenstandes? Psychologisch gesehen dürfte das zutreffen: Legen die Parteien bei Vertragsschluß dem Kaufgegenstand gedanklich bestinunte Eigenschaften bei, so glauben sie, die Sache habe diese Eigenschaften bereits. Ihr psychologischer Wille wird dann in der Tat nicht auf eine Tätigkeit des Verkäufers gerichtet sein, mit der er die vorgestellten Eigenschaften erst heIbeifiihrt. Nun reicht es nicht aus, bei einer rein psychologischen Betrachtungsweise zu verharren, will man den Inhalt einer Willenserklärung bestinunen. Dieser ist auch das Ergebnis rechtlicher Wertung, die auf dem psychologischen Willen der Parteien zwar aufbauen mag, ihn aber nicht unverändert in die Erklärung übernimmt. Geht die Kaufvertragsschuld nicht auf Herstellung vereinbarter, tatsächlich aber fehlender Eigenschaften des Kaufgegenstandes durch den Verkäufer, so kann das demnach nicht allein mit dem Hinweis begründet werden, der psychologische Wille der Parteien gehe nicht auf Nachbesserung. Wenn der Inhalt der Willenserklärung sich insoweit mit dem psychologischen Willen deckt, so deswegen, weil der Aktstypus "Spezieskauf' und damit dann auch die einzelne kaufvertragliche Willenserklärung au/grund einer rechtlichen Wertung nicht auf HeIbeifiihrung fehlender Eigenschaften durch den Verkäufer im Wege der Nachbesserung gerichtet sind. Es ergibt sich folgendes Dilemma: Einerseits geht die kaufvertragliche Willenserklärung auf das Werden bzw. Sein-Sollen von Eigenschaften der Kaufsache. Dieser Erklärungsinhalt, ein Ergebnis rechtlicher Wertung, kann sinnvollerweise nur bedeuten, daß die Erklärung sich auf die Herstellung vereinbarter, tatsächlich aber fehlender Eigenschaften durch den Verkäufer richtet. Wenn andererseits die HeIbeifiihrung jener Eigenschaften gerade nicht Bestandteil der Kaufvertragsschuld und damit auch nicht Inhalt der kaufvertraglichen Willenserklärung ist, so deshalb, weil die Rechtsordnung aufgrund einer rechtlichen Wertung eine Nachbesserungspflicht gerade nicht als Erklärungsinhalt betrachtet.
160
Vgl. Herberger, Saclnnängelhaftung, S. 76.
161
Ders., Saclunängelhaftung, S. 56 und 59.
IV. Die Erfüllungstheorie
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Man könnte nun annehmen, die kaufvertragliche Willenserklärung, so wie Herberger sie konzipiert, gehe einerseits auf eine Verpflichtung des Verkäufers, vereinbarte Eigenschaften der Speziessache im Falle ihres Fehlens herzustellen, andererseits gehe sie gerade nicht auf eine solche Verkäuferpflicht. Das erscheint wenig sinnvoll. Statt dessen kann man versuchen, den zutage getretenen Widerspruch nach der einen oder der anderen Richtung hin aufzulösen. Denkbar ist es zum einen, eine vertragliche Verkäuferpflicht zur Leistung nicht nur der Speziessache als solcher, sondern auch der vereinbarten Eigenschaften anzunehmen. Dabei ist diese Pflicht, die vereinbarten Eigenschaften zu leisten, aber gerade keine Verpflichtung, sie im Falle ihres Fehlens herzustellen. Zum anderen kann man aufgrund der Annahme, die kaufvertragliche Willenserklärung sei auf das Werden von Eigenschaften der Speziessache gerichtet, zwar eine kaufvertraglich vereinbarte Nachbesserungspflicht des Verkäufers annehmen, eine klagbare Rechtspflicht zur Nachbessenmg aber ablehnen. Beide Möglichkeiten, den oben zutage getretenen Widerspruch aufzulösen, haben ihre Probleme. Sie sollen im folgenden näher beleuchtet werden.
(1) Die Verkäuferpflicht zur Leistung von Eigenschaften bei Ablehnung einer vertraglich vereinbarten Nachbessenmgspflicht Was bedeutet es, wenn man davon ausgeht,beim Spezieskauf könne vereinbart werden, daß die Kaufsache bestimmte Eigenschaften haben solle, doch werde damit keine Verpflichtung des Verkäufers vereinbart, diese Eigenschaften, sofern erforderlich, herzustellen? Offenbar fällt es in diesem Falle schwer, der Leistungspflicht des Verkäufers, soweit sie sich auf Eigenschaften der Speziessache bezieht, einen Inhalt zu geben, der ftir sich genommen simwoll ist: Hat die Sache wirklich die vereinbarten Eigenschaften, so werden sie dem Käufer, wenn der Verkäufer die Sache leistet, gleichsam "automatisch mitgeliefert". Eine Abrede, derzufolge dem Kaufgegenstand ohnehin anhaftende Eigenschaften Inhalt der vertraglichen Schuld des Verkäufers sind, erscheint also in diesem Falle als überflüssig. Fehlen der Speziessache vereinbarte Eigenschaften, so kommt es, wenn man eine Nachbesserungspflicht des Verkäufers nicht als Bestandteil seiner vertraglichen Schuld ansieht, nicht darauf an, ob es möglich ist, jene Eigenschaften herzustellen. In keinem Falle hat der Käufer einen Anspruch auf diese Herstellung. Für sich genommen hat damit die Leistungspflicht des Verkäufers, soweit sie sich auf Eigenschaften der Speziessache bezieht, überhaupt keinen verständlichen Inhalt. Es erscheint problematisch, eine derartige Leistungspflicht als vertraglich vereinbart anzusehen. Ein auf das Werden vorgestellter Eigenschaften gerichteter Wille
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1. Teil: Die Begründung der Saclunängelgewährleistung
der Parteien, die sich diese Eigenschaften als bereits gegenwärtig vorhanden vorstellen, ist psychologisch fragwürdig. Nun stellt die aufbestinunte Rechtsfolgen gerichtete Willenserklärung nicht das getreue Spiegelbild des psychologischen Willens der Parteien dar. Vielmehr wird der auf einen Vertrag gerichtete Wille der Rechtsgenossen von der Rechtsordnung als Willenserklärung im Rechtssinne gewertet, indem die Rechtsordnung bestinunte Rechtsfolgen als von den Parteien gewollt an dieses Verhalten knüpft. 162 Der Begriff der Wertung bringt hieIbei zum Ausdruck, daß der Rechtsordnung, wenn sie den Parteiwillen als auf juristisch präzisierte Rechtsfolgen gerichtet ansieht, ein Wertungs- oder Deutungsspielraum zusteht. Dieser Deutungsspielraum ist aber nicht unbegrenzt. Er wird überdehnt, wenn dem lebensweltlichen Willen der Vertragsschließenden Rechtsfolgen unterschoben werden, von denen nicht mehr angenommen werden kann, sie würden nach Erläuterung durch einen Juristen noch die Billigung der Parteien finden. 163 Eine solche Überdehnung des Deutungsspielraums in bezug auf den rechtsgeschäftlichen Willen scheint uns nun vorzuliegen, wenn man annimmt, die Parteien wollten zwar den Verkäufer zur Leistung bestinunter Eigenschaften der Speziessache verpflichten, nicht aber zur HeIbeifiihrung dieser Eigenschaften, wenn sie fehlen. Man versuche etwa den Parteien eines Gebrauchtwagenkaufs zu erklären, sie wollten den Verkäufer verpflichten, den Wagen mit funktionsfähigen Bremsen zu leisten. Keineswegs wollten sie ihm damit jedoch die Verpflichtung auferlegen, für die Reparatur oder den Austausch der Bremsen zu sorgen, falls diese sich als defekt erweisen. Die Vermutung erscheint nicht gewagt, daß durchschnittliche Vertragsparteien, dartiber aufgeklärt, dies sei ihr Rechtsfolgewille bezüglich der Bremsen, mit Staunen, vielleicht gar mit Kopfschütteln reagieren werden. Der Grund liegt auf der Hand: Eine Leistungspflicht in bezug auf Eigenschaften, von der sich gar nicht sagen läßt, durch welches Verhalten der Verkäufer sie denn erfullen soll, werden vernünftige Parteien wohl kaum vereinbaren wollen. Die Rechtsordnung sollte dann auch davon absehen, ihnen einen solchen RechtsfolgewilIen zu unterstellen. Überdehnt die Rechtsordnung den Deutungsspielrawn, der ihr hinsichtlich des Rechtsfolgewillens der Parteien beim Spezieskauf zukommt, so wird es schwierig, die Beschaffenheitsvereinbarung im Tatbestand des Spezieskaufs noch als rechtsgeschäftliche Vereinbarung zu verstehen. Gegen eine Vertragspflicht des Verkäufers zur Leistung von Eigenschaften, die jedoch nicht Herstellungspflicht ist, erheben sich aber nicht nur im Gebiet der Rechtsgeschäftslehre Bedenken. Auch im Hinblick
162 Vgl. dazu Schapp, Rechtsgeschäftslehre, S. 11 f; ders., Grundlagen des bürgerlichen Rechts, S. 154 f 163 So auch ders., Rechtsgeschäftslehre, S. 11 f
IV. Die Erfüllungstheorie
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auf den Pflichtbegriff, der einer solchen Konzeption zugrundeliegt, ergeben sich Probleme. Bei einer Rechtspflicht handelt es sich um ein Gebot der Rechtsordnung an den Schuldner zu einem bestimmten Handeln. l64 Gebieten kann die Rechtsordnung aber nur ein Handeln, das, wenn auch nicht der konkrete Gebotsadressat, so doch überhaupt irgend jentand vollziehen kann. Diesen Gedanken bringt etwa § 306 zum Ausdruck, indem er der Vereinbarung einer von vornherein durch nientanden zu erbringenden Leistung die rechtliche Wirksamkeit versagt. Sein Nonnzweck besteht demgemäß darin, daß das Gesetz das Festhalten an einer für jedennann undurchfiihrbaren Leistung als unsinnig, zweck- und gegenstandslos betrachtet. 165 Wenn § 306 die vertragliche Vereinbarung einer realiter von Anfang an objektiv unmöglichen Leistung für nichtig erklärt, so sind damit wohl vor allem Fälle ins Auge gefaßt, in denen die Parteien in Unkenntnis der tatsächlich nicht gegebenen Realisierbarkeit eine immerhin gedanklich vorstellbare Leistung vereinbart haben. Verglichen mit solchen Verpflichtungen muß eine Leistungspflicht, von der sich nicht einmal gedanklich sagen läßt, durch welche Handlung sie erfiillt werden könnte, noch weniger sinnvoll erscheinen. Um eine solche Pflicht würde es sich bei der Verkäuferpflicht handeln, bestimmte in Wirklichkeit fehlende Eigenschaften der Speziessache zu leisten, wenn damit nicht die Verpflichtung des Verkäufers zur Herstellung besagter Eigenschaften, also zur Nachbesserung der Sache, gemeint ist: Eine andere Handlung als die Nachbesserung der Sache, mit der der Verkäufer die geschuldeten Eigenschaften dieser Speziessache erbringen könnte, ist nicht vorstellbar. Eine "Pflicht" aber, die nicht einmal auf eine auch nur hypothetisch vorstellbare Handlung des "Verpflichteten" abzielt, läßt sich als Pflicht nicht mehr verständlich machen. Angesichts der in § 306 deutlich zum Ausdruck kommenden Abneigung der Rechtsordnung bereits gegen gedanklich noch vorstellbare, tatsächlich aber sinnlose Pflichten dürfte es kaum angehen, das Rechtsgeschäft des Stückkaufs auf eine derartige "Leistungspflicht" des Verkäufers gehen zu lassen, die überhaupt keinen greifbaren Inhalt mehr hat. Einziger Zweck einer solchen Pflicht wäre es von vornherein, den Vorwurf gegenüber dem Verkäufer zu ermöglichen, er habe seine vertragliche Leistungspflicht verletzt, wenn die Speziessache die vereinbarten Ei-
Ders., JZ 1993,637 (639 1. Sp.). Vgl. dazu MÜllch-Komm-Thode, § 306 Rz. 4. Siehe auch Arp, Anfängliche Unmöglichkeit, S. 156: Wenn die vertraglich vorgesehene Gestaltung mit der Wirklichkeit unter keinen Umständen in Übereinstimmung zu bringen ist und es deshalb dem Vertrag völlig am Gegenstand mangelt, so muß die Rechtsordnung darauf mit der Feststellung seiner Nichtigkeit antworten. 164 165
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1. Teil: Die Begründung der Sachmängelgewährleistung
genschaften nicht hat. Die Verkäuferpflicht zur Leistung von Eigenschaften wäre geschaffen allein zum Zwecke ihrer Verletzung. Eine solche Primärpflicht erscheint denn doch als gezwungene Konstruktion, mit der der vorgefundenen Regelung der Sachmängelgewährleistung beim Stückkauf eine dogmatische Begründung "nachgeliefert" wird, die es ermöglichen soll, die §§ 459 ff ins allgemeine Leistungsstörungsrecht einzugliedern, indem man sie als Sekundärpflichten aufgnmd Verletzung einer vertraglichen Primärpflicht durch den Verkäufer begreift. Der Eindruck erscheint nicht abwegig, daß man damit die §§ 459 ff. in ein dogmatisches Prokrustesbett zwängen würde. Die Antwort auf die Frage nach der dogmatischen Begründung der Sachmängelhaftung beim Stückkauf, die man auf diese Weise erzielt, trägt doch wohl eher den Charakter einer Scheinantwort. Ähnliche Überlegungen dürften es sein, die Flume davon abhalten, beim Stückkauf eine Rechtspflicht des Verkäufers zur Leistung der Kaufsache mit den vereinbarten Eigenschaften anzunehmen, obwohl dies angesichts seiner Konzeption des rechtsgeschäftlichen Tatbestandes des Stückkaufs nur konsequent wäre. Flume führt aus, bei der Begründung einer Verpflichtung handele es sich bereits um die Konsequenz, welche die Rechtsordnung aus einem Tatbestand ziehe, und nicht um den Tatbestand selbst. Eine Erfiillungspflicht des Verkäufers in bezug auf Eigenschaften der Speziessache, die nur den Sinn haben solle, als Tatbestand zu dienen, mit dem dann die Rechtsfolge der Gewährleistungspflicht begründet werde, sei eine bloße Konstruktion ohne dogmatischen Wert. 166 Diese Überlegungen Flumes verdienen Zustinunung. Nur ziehen sie noch nicht hinreichend in Betracht, daß auch der Tatbestand, an den die Rechtsordnung als Rechtsfolge eine Verpflichtung knüpft, seinerseits ein bereits rechtlich aufbereitetes Gebilde ist. Wenn die Rechtsordnung also sinnvollerweise davon absieht, an den Tatbestand des Spezieskaufs eine Verkäuferpflicht zur Leistung von Eigenschaften zu knüpfen, die nicht Herstellungspflicht ist und deshalb keinen nachvollziehbaren Inhalt hat, dann darf man schon den rechtsgeschäftlichen Tatbestand als solchen nicht auf eine derartige inhaltsleere Verpflichtung gehen lassen.
(2) Die Verkäuferpflicht zur Leistung von Eigenschaften als vertraglich vereinbarte Nachbesserungspflicht Es bleibt die Frage, ob sich auf der Grundlage von Herbergers Konzeption beim Stückkauf Eigenschaften der Kaufsache in die Leistungspflicht des Verkäufers einbeziehen lassen, indem man ihn als vertraglich verpflichtet ansieht, vereinbarte, 166
Vgl. Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 41.
IV. Die Erfüllungstheorie
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aber tatsächlich fehlende Eigenschaften herzustellen. Eine solche Herstellungspflicht würde zur primären Leistungspflicht des Verkäufers gehören. Es scheint, als ziehe Herberger eine Herstellungs- oder Nachbesserungspflicht des Verkäufers nur als mögliche Sekundärpflicht in Betracht, mit der der Gesetzgeber die Nichterfiillung der Verkäuferpflicht sanktionieren könnte, die in der Leistung der Kaufsache ohne vereinbarte Eigenschaften liegt. So spricht Herberger davon, der Gesetzgeber könne einen Mängelbeseitigungsanspruch des Käufers als Folge der nicht gehörigen Erfiillung der Verkäuferpflicht zur Leistung einer fehlerfreien Sache normieren, doch habe er stattdessen fiir diesen Fall andere Folgen statuiert, nämlich die §§ 459 ff.167 Als Inhalt der primären Leistungspflicht des Verkäufers scheint eine Nachbesserungsverpflichtung fiir Herberger also nicht in Betracht zu kommen. Nun kann, wie oben gezeigt, beim Spezieskauf sinnvollerweise die primäre Leistungspflicht des Verkäufers nur dann Eigenschaften der Kaufsache umfassen, wenn damit eine primäre Nachbesserungspflicht des Verkäufers bei Fehlen der vereinbarten Eigenschaften gemeint ist. Auch wenn Herberger betont, die Kaufvertragsschuld gehe auf Leistung eines Gegenstandes, nicht auf eine Tätigkeitl68 , scheint er an anderer Stelle ein solches Verständnis der vertraglichen Primärpflicht des Verkäufers im Auge zu haben. Herberger fUhrt dort aus, wenn beim Stückkauf der Verkäufer die schuldidentische, aber fehlerhafte Sache leiste, hätte der Käufer normalerweise die Leistungsklage. 169 Aus praktischen Gründen habe der Gesetzgeber dem Käufer statt dessen die Sachmängelanspriiche als sekundäre Rechte zur Wahl gestellt. 170 Hätte der Käufer, sofern dem Kaufgegenstand vereinbarte Eigenschaften fehlen, "normalerweise" die Leistungsklage, so könnte beim Stückkauf eine derartige Leistungsklage nur auf Herstellung der vereinbarten und deshalb geschuldeten Eigenschaften gehen. Einer Leistungsklage mit diesem Ziel aber muß ein entsprechender materiellrechtlicher Anspruch des Käufers auf Herstellung der vereinbarten Eigenschaften, oder, anders ausgedrückt, auf Nachbesserung der Kaufsache zugrundeliegen. Aus der Perspektive des Verkäufers gesehen stellt dieser materiellrechtliche Anspruch des Käufers sich als primäre Leistungspflicht zur Nachbesserung der Kaufsache dar. Danach würden die Parteien beim Stückkauf, indem sie bestimmte vorgestellte Eigenschaften der Kaufsache in die vertragliche Schuld des Verkäufers einbeziehen, eine primäre vertragliche Verpflichtung des Verkäufers zur Herstellung dieser Eigenschaften im Falle ihres Fehlens vereinbaren. Die Rechtsordnung
168
Vgl. Herberger, Sachmängelhaftung, S. 76. Ders., Sachmängelhaftung, S. 76.
169
Ders., Sachmänge1haftung, S. 115.
170
Ders., Sachmängelhaftung, S. 116.
167
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1. Teil: Die Begründung der SacIunänge1gewährleistung
würde dieser primären Verkäuferpflicht aber die prozessuale Durchsetzbarkeit versagen. In dieselbe Richtung dürften Herbergers Ausführungen zum Verhältnis der Termini "Leistungspflicht" und "Erfiillungspflicht" weisen. HerlJerger zufolge besteht beim Spezieskauf in bezug auf die vereinbarten Eigenschaften der Kaufsache eine Leistungspflicht, aber keine Erfiillungspflicht des Verkäufers. Den Begriff "Erfiillungspflicht" lehnt Herberger als irreführend ab, weil er die Frage der Durchsetzbarkeit des primären Leistungsanspruchs mit in die Frage hineinziehe, ob ein Leistungsanspruch überhaupt bestehe.!7! Prozessual durchgesetzt werden müßte der primäre Leistungsanspruch im Wege der Leistungsklage auf Herstellung der vereinbarten Eigenschaften, was wiederum voraussetzt, daß bereits der primäre materiellrechtliche Anspruch auf Herstellung der geschuldeten Eigenschaften geht. Zusanunengefaßt stellt sich das hier skizzierte mögliche Verständnis der Beschaffenheitsvereinbarung demnach wie folgt dar: Die Parteien können beim Spezieskauf das Werden oder Sein-Sollen von Eigenschaften des Kaufgegenstandes vereinbaren. Damit schuldet der Verkäufer diese Eigenschaften. Der Käufer hat einen vertraglichen Anspruch auf Leistung der Eigenschaften, bei dem es sich um einen materiellrechtlichen Anspruch auf Herstellung der Eigenschaften im Falle ihres Fehlens handelt. Dieser primäre vertragliche Leistungsanspruch des Käufers müßte an sich im Wege der Leistungsklage auf Nachbesserung der Kaufsache durchsetzbar sein, doch hat ihm die Rechtsordnung die Klagbarkeit versagt. Als Ausgleich fiir die fehlende prozessuale Durchsetzbarkeit gibt der Gesetzgeber dem Käufer die sekundären Ausgleichsrechte der §§ 459 ff. Ist damit auf dogmatisch überzeugende Weise die Einbeziehung von Eigenschaftsvorstellungen der Parteien in das Rechtsgeschäft "Stückkauf' gelungen? Stellen sich die Parteien vor, bestimmte Eigenschaften hafteten dem Kaufgegenstand bereits gegenwärtig an, so geht ihr psychologischer Wille nicht mehr auf das Werden oder Sein-Sollen dieser Eigenschaften. Wenn demgegenüber ihr rechtsgeschäftlicher Wille auf das Sein-Sollen von Eigenschaften und damit auf deren Herstellung durch den Verkäufer gerichtet ist, so kann ein solcher rechtsgeschäftlicher Wille nur Ergebnis einer Deutung durch die Rechtsordnung sein. Deutet die Rechtsordnung den Parteiwillen in diesem Sinne, so offenbar deshalb, weil es ihr sinnvoll erscheint, abweichend von den psychologischen Gegebenheiten beim Stückkauf nicht nur die Kaufsache als solche, sondern auch Eigenschaften der Sache in die vertragliche Schuld des Verkäufers einzubeziehen. Beim Aktstypus "Spezieskauf' kann also nur aufgrund einer rechtlichen Wertung die Leistungspflicht des Verkäufers auch Eigenschaften der Kaufsache umfassen.
171
Ders., Sachmängelhaftung, S. 113.
IV. Die Erftilhmgstheorie
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Ist es vor diesem Hintergrund plausibel, wenn die RechtsordnWlg der kraft ihrer eigenen Wertung geschaffenen Verkäuferpflicht zur LeistWlg Wld damit zur HerstellWlg von Eigenschaften der Kaufsache die Klagbarkeit versagt? Es mag in der Tat gute Gründe da:fiir geben, eine LeistWlgsklage des Käufers auf HerstellWlg vereinbarter Eigenschaften, d.h. auf Nachbesserung der Spezieskaufsache, abzulehnen. Sofern eine solche Nachbessenmg überhaupt möglich ist, dürfte häufig jedenfalls der Verkäufer nicht zu ihr imstande sein, weil er nicht über die erforderlichen Fertigkeiten verfügt. Als wenig überzeugend erscheint es aber, diese Gesichtspunkte erst bei der Frage der Klagbarkeit eines auf die Eigenschaften der Kaufsache gerichteten LeistWlgsanspruchs des Käufers zu berücksichtigen. Wenn ein derartiger Anspruch in einem Großteil der Fälle entweder auf eine objektiv unmögliche LeistWlg geht oder zumindest den Verkäufer vor schwer überwindbare Schwierigkeiten stellt, so dürfte es näherliegen, bereits eine materiellrechtliche LeistWlgs- Wld damit HerstellWlgspflicht des Verkäufers in bezug auf Eigenschaften der Speziessache zu verneinen. Der Eindruck drängt sich auf, daß die RechtsordnWlg widersprüchliche Wertungen vollzieht, wenn sie beim Stückkauf abweichend von den psychologischen Gegebenheiten zunächst den rechtsgeschäftlichen Willen der Parteien auf eine Verkäuferpflicht zur LeistWlg von Eigenschaften gehen läßt Wld so einen materiellrechtlichen Anspruch des Käufers auf HerstellWlg dieser Eigenschaften schafft, anschließend aber diesen materiellrechtlichen Anspruch als Wlpraktikabel der Klagbarkeit entkleidet Wld so im Streifall weitgehend entwertet. Erscheint es dem Gesetzgeber WltunliCh, eine LeistWlgsklage des Käufers aufNachbessenmg der Spezieskaufsache zuzulassen, so dürfte er besser daran tun, von vornherein keinen derartigen materiellrechtlichen Anspruch zu konstruieren, dem er sodann die Klagbarkeit entziehen muß. Vergleicht man einmal im Hinblick auf den hier zutage getretenen Widerspruch die Konzeption Herbergers mit detjenigen Flumes, so ergibt sich folgendes Bild: Flume zufolge vereinbaren beim Stückkauf die Parteien eine Verpflichtung des Verkäufers zur LeistWlg der Kaufsache in fehlerfreiem Zustand, doch greift die RechtsordnWlg in diese Vereinbarung ein, indem sie anstelle der vereinbarten Rechtsfolge andere Rechtsfolgen, nämlich die GewährleistWlgspflichten, eintreten läßt. l72 Diese Bruchlinie, die bei Flume zwischen Tatbestand Wld Rechtsfolgen des rechtsgeschäftlichen Aktstypus "Spezieskauf' verläuft, hat ilWl von Seiten Herbergers den berechtigten Vorwurf der Inkonsequenz eingetragen. 173 NWl nimmt Herberger ebenso wie Flume an, daß beim Stückkauf die Parteien eine Verpflichtung des Verkäufers zur LeistWlg von Eigenschaften vereinbaren können, leitet daraus aber im Gegensatz zu Flume auch eine entsprechende Rechtspflicht des Verkäufers zur Leistung dieser Eigenschaften ab. Diese Rechtspflicht kann konkret nur eine 172 173
Vgl. Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 48. Vgl. Herberger, Sachmängelhaftung, S. 77.
6 Huda
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1. Teil: Die Begründung der Sachmängelgewährleistung
Verpflichtung des Verkäufers zur Herstellung vereinbarter, aber tatsächlich fehlender Eigenschaften bedeuten. Wenn Herberger dem Käufer nun die Leistungsklage zur prozessualen Durchsetzung dieses materiellrechtlichen Herstellungsanspruchs versagt und ihm als Ausgleich die Gewährleistungsrechte gibt, so läuft dies im Ergebnis auf ein korrigierendes Eingreifen der Rechtsordnung hinaus, das Herberger bei Flume gerade rügt. Nur ist die Bruchlinie, die bei Flume Tatbestand und Rechtsfolgen des Spezieskaufs voneinander trennt, verschoben: Sie verläuft nicht mehr innerhalb des Rechtsgeschäfts, sondern zwischen der Rechtsfolge des materiellen Rechts und ihrer Durchsetzbarkeit im Prozeß. Da ihr die Klagbarkeit fehlt, ist Herbergers vereinbarte und als Rechtspflicht anerkannte Verkäuferpflicht zur Leistung von Eigenschaften als solche fiir den Käufer im Ergebnis genauso wertlos wie die entsprechende Verkäuferpflicht bei Flume, die vereinbart, aber schon materiellrechtlich nicht als Rechtspflicht anerkannt ist. In beiden Konzeptionen wird die Beschaffenheitsvereinbanmg in den rechtsgeschäftlichen Tatbestand des Stückkaufs integriert, ohne daß dies fiir den Käufer die praktische Konsequenz hätte, daß er, wenn er Wert darauf legt, den Verkäufer notfalls zur Herstellung der vereinbarten Eige~haften zwingen könnte. Die Beschaffenheitsvereinbanmg hat demnach nur die Funktion, der vorgefundenen positivrechtlichen Regelung der §§ 459 ff. ein dogmatisches Fundament gleichsam "nachzuliefern": Bei Flume stellt sich die Sachmängelhaftung als dem Käufer gewährter Ersatz fiir das systemwidrige Eingreifen der Rechtsordnung in den rechtsgeschäftlichen Aktstypus "Spezieskauf' dar, bei Herberger ersetzen die §§ 459 ff. die wegen fehlender Klagbarkeit praktisch wertlose Verkäuferpflicht zur Leistung vereinbarter Eigenschaften.
v. Zusammenfassung: Das Problem der Begründung der §§ 459 ff. auf der Grundlage der herkömmlichen Rechtsgeschäftslehre Unser Überblick über Versuche, ausgehend vom herkömmlichen Rechtsgeschäftsbegriff die Sachmängelhaftung des Verkäufers beim Spezieskauf zu begründen, zeigt folgendes Dilemma: Man kann im Anschluß an Zitelmann Vorstellungen der Parteien über Eigenschaften der durch das hic et nunc individualisierten Kaufsache als bloße Motive ihres Geschäftswillens betrachten. Da das Motiv gerade durch seine grundsätzliche Unbeachtlichkeit charakterisiert ist, läßt sich dann aber nicht mehr verständlich machen, warum der Käufer, wenn die Kaufsache andere als die vorgestellten Eigenschaften hat und die Abweichung nur die Bagatellschwelle des § 459 I 2 überschreitet, verhältnismäßige Herabsetzung des Kaufpreises (Minderung) oder alternativ sogar vollständige Rückabwicklung des Kaufvertrags (Wandelung) wählen kann. Es ist unverständlich, inwiefern ein einseitiger Motiv-
V. ZusammenfassWlg
83
irrtum auf Käuferseite eine derart starke RechtssteIlung des Käufers dem Verkäufer gegenüber sollte begründen können.
Der Versuch, in einem beiderseitigen Motivirrtum oder in einer auf die vom Käufer beabsichtigte Verwendung der Kaufsache bezogenen Zweckvereinbarung der Parteien die Begründung der §§ 459 ff. zu finden, siedelt die Fälle des Fehlers beim Stückkauf im Bereich des Fehlens der Geschäftsgrundlage an. Auch diese Einordnung vermag kaum zu überzeugen: Auf der Tatbestandsseite setzt die Haftung des Verkäufers :für Fehler der Kaufsache nicht die :für das Fehlen der Geschäftsgrundlage charakteristische krasse Störung des Äquivalenzverhältnisses von Leistung und Gegenleistung voraus. Vielmehr genügt es, daß die Störung die Bagatellgrenze überschreitet (vgl. § 459 I 2). Diesem Weniger auf der Tatbestandsseite steht ein Mehr auf der Rechtsfolgenseite gegenüber: Anders als in den Fällen des Fehlens der Geschäftsgrundlage ist der Käufer bei Fehlerhaftigkeit der Kaufsache nicht in erster Linie auf eine Anpassung seiner Gegenleistung, d.h. hier auf Minderung, verwiesen. Stattdessen kann er, auch wenn eine Minderung durchaus möglich und sinnvoll wäre, sich :für die vollständige Rückabwicklung des Kaufvertrags in Gestalt der Wandelung entscheiden. Die Schwäche der obengenannten Lösungsversuche läßt es als notwendig erscheinen, die Konzeption Zitelmanns aufzugeben und Vorstellungen der Parteien über Eigenschaften des Kaufgegenstands als Bestandteil ihres Geschäftswillens aufzufassen. Es gelingt aber nicht, die Leistungspflicht des Verkäufers in sitmvoller Weise auf Eigenschaften der Speziessache zu beziehen: Flume nimmt an, im Tatbestand des Rechtsgeschäfts "Stückkauf' könne eine Verpflichtung des Verkäufers zur Leistung von Eigenschaften als integrierender Bestandteil seiner Verpflichtung zur Leistung der Kaufsache vereinbart werden. Indem Flume jedoch diese rechtsgeschäftlich vereinbarte Verkäuferpflicht nicht als Rechtspflicht anerkennt, sondern mittels eines korrigierenden Eingriffs der Rechtsordnung durch die ganz andersgearteten Rechtsfolgen der §§ 459 ff. ersetzt, reißt er eine Kluft zwischen Tatbestand und Rechtsfolgen des Spezieskaufs auf, die die Einbeziehung von Eigenschaftsvorstellungen der Parteien in ihren Geschäftswi11en als wenig überzeugend erscheinen läßt. Konsequenter mutet es zunächst an, wenn Herberger aus der Integration von Sacheigenschaften in die vertragliche Schuld des Verkäufers beim Stückkauf die Folgerung zieht, es bestehe eine Rechtspflicht des Verkäufers zur Leistung dieser Eigenschaften. Dann stellt sich allerdings die Frage, wie sitmvoll eine derartige Rechtspflicht ist: Sofern sie nicht bedeutet, daß der Verkäufer die Herstellung vereinbarter, aber tatsächlich fehlender Eigenschaften als vertragliche Primärpjlicht schuldet, so hat die Verpflichtung des Verkäufers zur Leistung von Eigenschaften schon materiellrechtlich keinen verständlichen Inhalt. Sieht man dagegen eine solche Herstellungspflicht als vertraglich vereinbarte Primärpflicht an, die aber
84
1. Teil: Die Begründung der Saclunängelgewährleistung
nicht klagbar ist, so verlagert sich damit nur das korrigierende Eingreifen der Rechtsordnung, wie es Flwne vertritt: Die vereinbarten Eigenschaften des Kaufgegenstandes sind zwar materiellrechtlich vom Verkäufer geschuldet, dieser materiellrechtliche Anspruch ist aber als solcher fiir den Käufer im Streitfalle wertlos, weil er nicht prozessual durchgesetzt werden kann. Das Problem, warum der Verkäufer beim Spezieskauf fiir Fehler der Kaufsache haftet, erweist sich damit auf der Grundlage der Dichotomie von unbeachtlichem Motiv einerseits und auf Verpflichtungen gerichtetem Geschäftswillen andererseits als unlösbar. 1m folgenden soll daher einmal nach der Berechtigung dieser Dichotomie gefragt werden. Die Antwort auf diese Frage erfordert es, daß wir uns einmal genauer Rechenschaft geben über die Fundierung des Gebildes "Rechtsgeschäft".
Zweiter Teil
Jan Schapps Konzeption von Freiheit, Moral und Recht in der Moderne als Grundlage eines neuen Rechtsgeschäftsverständnisses Vorbemerkung Wenn das Rechtsgeschäft Ausdruck der Freiheit des einzelnen im Privatrecht ist, dann läßt es sich offenbar nur verstehen, wenn zuvor geklärt worden ist, was man denn unter dem Begriff der Freiheit zu verstehen hat. Der Begriff der Freiheit aber ist von einer tiefgehenden Ambivalenz, deren Wurzeln in der zweitausendjährigen Geschichte der christlichen Theologie liegen und die sich dann in der Aufklärung in der Antithese von Hobbes' Begriff der natürlichen Freiheit einerseits und Kants Begriff der moralischen Freiheit andererseits wiederfindet. Indem Jan Schapp in seinem Werk "Freiheit, Moral und Recht" diese Antithese in ihrer ganzen religiösen und philosophischen Dimension sichtbar macht, gewinnt er die Grundlage für die Synthese beider Freiheitsbegriffe im Begriff der bürgerlichen Freiheit. Diesen dritten Freiheitsbegriff entfaltet er dann näher in bezug auf besonders bedeutsame Ausschnitte der modemen Lebenswelt. Unsere Betrachtungen zur Freiheit im Rechtsgeschäft ruhen auf dieser Untersuchung, die Schapp dem Freiheitsbegriffund der Aufgabe des Rechts gewidmet hat. Im folgenden bringen wir sie daher zur Darstellung. Dabei konzentrieren wir uns auf die Überlegungen, welche uns im Hinblick auf das Thema dieser Arbeit besonders bedeutsam erscheinen. Keinesfalls erheben wir den Anspruch, mit unserer Skizze die Überlegungen Schapps in ihrer ganzen Spannweite wiederzugeben.
I. Die Freiheit in der christlichen Heilsgeschichte In der christlichen Heilsgeschichte finden sich insbesondere zwei Freiheitsbegriffe, von denen in der Neuzeit je einer, wenngleich jeweils in einer säkularisierten Fassung, im Mittelpunkt der moralphilosophischen Konzeptionen von Hobbes und Kant stehen wird. Es ist dies zum einen die vor dem Sündenfall bestehende Freiheit des Menschen zum Guten und zum Bösen: Adam und Eva waren frei, sich zum
2. Teil: Freiheit, Moral und Recht in der Moderne
86
Gehorsam oder aber zum Ungehorsam zu entscheiden gegenüber Gottes Verbot, vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen zu essen. Mit der Entscheidung zum Gehorsam hätten sie das ewige Leben gewählt, mit der Entscheidung fiir den Ungehorsam wählten sie den Tod. Die Freiheit von Adam und Eva zum Guten oder Bösen ist damit als Freiheit zum ewigen Leben oder zum Tod Wahlfreiheit.\ Adam hatte im Sündenfall mit Wirkung fiir das ganze Menschengeschlecht gehandelt, das damit der Erbsünde und dem Tod als der Sünde Sold verfallen war. 2 Durch den Kreuzestod Christi sind nach christlicher Auffassung die in der Knechtschaft der Sünde lebenden Menschen von dem aufgrund ihrer Sündhaftigkeit geschuldeten Tod erlöst und zum ewigen Leben befreit. Diese Erlösung wird aber nur denen zuteil, die daran glauben, daß Jesus der Gottessohn ist und sie durch seinen Kreuzestod erlöst hat. Zum Glauben gefUhrt aber wird der Mensch durch die Gnade Gottes. Zur Freiheit der Wahl zwischen Gut und Böse, deren Ausübung zum Bösen hin den Menschen in die Knechtschaft der Sünde stürzte, tritt so mit der Freiheit der Erlösung zum ewigen Leben, welcher der Christ teilhaftig wird, der zweite zentrale Freiheitsbegriff der christlichen Heilsgeschichte hinzu. Inwieweit der Mensch nach dem Sündenfall Adams noch imstande ist, aus eigener Kraft den Weg zu beschreiten, der ihn zur Freiheit der Erlösung zum ewigen Leben fUhrt, ist Gegenstand einer tiefgehenden theologischen Kontroverse gewesen, die hier im einzelnen nicht nachgezeichnet werden kann. 3 Es handelt sich um die Frage, ob dem Menschen auch nach dem Sündenfall noch Willensfreiheit zukonunt, durch deren Ausübung zum Guten hin er neben der Gnade Gottes auch einen eigenen Beitrag zu seiner Erlösung zu leisten vermag. Die entgegengesetzten Positionen, die im Hinblick auf das Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlichem Handeln in ihrer Bedeutung fiir die Erlösung des Menschen bezogen werden, können kurz mit den Begriffen der Glaubensgerechtigkeit einerseits und der Gesetzesgerechtigkeit andererseits bezeichnet werden. Auch Gesetzes- und Glaubensgerechtigkeit finden sich später in säkularisierter Form in den Konzeptionen von Hobbes und Kant wieder, so daß sie im folgenden in einer kurzen Skizze dargestellt werden sollen. Paulus, Augustin und in besonderer Schärfe Luther stellen in den Mittelpunkt ihrer Lehre die Erlösung des Menschen durch die göttliche Gnade, die ihm den Glauben schenkt. Gegenüber der so gewonnenen Glaubensgerechtigkeit tritt die Gesetzesgerechtigkeit, die Befolgung der von Gott gegebenen Gesetze aus eigenem Willensentschluß des Menschen, ganz in den Hintergrund: In der seit dem Sündenfall bestehenden Knechtschaft der Sünde kann der Mensch aus eigener Kraft nicht \ Vgl. dazu Schapp, Freiheit, Moral und Recht, S. 32. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 27. 3 Vgl. zu dieser Kontroverse ausfiihrlich ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 32-79.
2
II. Die Freiheit bei Thomas Hobbes
87
mehr das Gute wählen. Er kann daher auch selbst nichts mehr zu seiner Erlösung beitragen. 4 Pelagius und in abgeschwächter Form dann Erasmus von Rotterdam sind demgegenüber der Auffassung, mit dem Sündenfall Adams habe der Mensch seine Willensfreiheit nicht vollständig verloren. Noch immer sei der Mensch imstande, aus eigenem Willensentschluß das Gute zu wählen und so durch Erlangung von Gesetzesgerechtigkeit einen Beitrag zu seiner Erlösung zu leisten, der selbständig neben der durch die Gnade Gottes bewirkten Glaubensgerechtigkeit steht. 5
11. Die Freiheit bei Thomas Hobbes 1. Die natürliche Freiheit im Naturzustand als Ausgangspunkt
In abgewandelter Form, die bereits im Zeichen der Aufklärung steht, findet sich die Wahlfreiheit Adams in Thomas Hobbes' 1651 veröffentlichtem "Leviathan" wieder. Im Mittelpunkt des Werks stehen der menschliche Selbsterhaltungstrieb und die Frage, wie der Mensch diesem Selbsterhaltungstrieb Genüge tun kann. 6 Während er den Selbsterhaltungstrieb mit dem Tier teilt, ist der Mensch im Gegensatz zum Tier fähig, sich zu erinnern. Indem er so Ereignisse, die in der Vergangenheit liegen, gedanklich miteinander zu verknüpfen und damit Kausalverläufe zu erkennen vermag, ist der Mensch auch imstande, gewisse zukünftige Ereignisse vorauszusehen. Aus der Erfahrung vergangenen Unheils erwächst so die Angst vor zukünftigem Unglück, vor allem die Furcht vor dem Tod. Selbsterhaltungstrieb und Angst des Menschen, daneben auch seine Genußsucht, veranlassen ihn nun dazu, unentwegt nach immer mehr Macht zu streben, um so Sicherheit für sein Leben zu gewinnen. 7 Dabei stößt er mit dem nicht minder intensiven Machtstreben der anderen Menschen zusammen, die ebenso wie er ihr Leben auf diese Weise sichern wollen. Infolgedessen entbrennt ein Krieg eines jeden gegen jeden; die Furcht vor einem gewaltsamen Tod nimmt noch zu. In diesem Zustand, den Hobbes als Naturzustand bezeichnet, kommt jedem einzelnen Menschen natürliche Freiheit zu. Sie ist die Freiheit, die eigene Macht nach eigenem Willen zwecks Erhaltung des eigenen Lebens einzusetzen und sich dabei
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Vgl. hierzu ders., Freiheit, Moral Wld Recht, S. 33-38. Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral Wld Recht, S. 33-37. Ders., Freiheit, Moral Wld Recht, S. 86. Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral Wld Recht, S. 87 f.
2. Teil: Freiheit, Moral und Recht in der Moderne
88
aller Mittel zu bedienen, die dem Zweck der Selbsterhaltung dienlich erscheinen. 8 Der Gebrauch, den der Mensch im Naturzustand von seiner natürlichen Freiheit macht, kann nicht am Maßstab von Recht und Unrecht, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit gemessen werden. 9 Er erfahrt seine Legitimation aus der Notwendigkeit, sich im Krieg eines jeden gegen jeden gegen die Angriffe der anderen zu behaupten, was zuvörderst durch Gewalt und Betrug geschieht. 10
2. Der Übergang zur bürgerlichen Freiheit Die Vernunft des Menschen befähigt ihn aber, diejenigen Gnmdsätze zu erkennen, die zur Überwindung des Krieges aller gegen alle :führen können. Hobbes nennt diese Gnmdsätze natürliche Gesetze l1 • die Lehre von den natürlichen Gesetzen bezeichnet er als die wahre Moralphilosophie. 12 Von zentraler Bedeutung sind die beiden ersten natürlichen Gesetze: Nach dem ersten Gesetz hat sich jedermann mn Frieden zu bemühen, solange Hoffnung dazu besteht. Daraus leitet sich das zweite Gesetz ab, wonach sich jedermann anderen gegenüber mit soviel Freiheit begnügen soll, wie er seinerseits den anderen gegenüber sich selbst einrämnen WÜfde. 13 Aus dem zweiten natürlichen Gesetz folgen dann weitere natürliche Gesetze wie etwa der Gnmdsatz, daß geschlossene Verträge zu halten sind. Wichtig ist, daß im Naturzustand die natürlichen Gesetze nur in foro interno verpflichten, also nur zu dem Wunsch verpflichten, daß sie gelten mögen. Dagegen verpflichten sie nicht in foro externo, denn im Krieg aller gegen alle wäre derjenige, der nach den natürlichen Gesetzen handelte, zum Untergang verurteilt. 14 Die der natürlichen Vernunft einsichtigen natürlichen Gesetze bereiten also den Übergang zum Frieden nur vor, ohne den Frieden bereits herbeizufiihren. Die natürliche Vernunft fordert daher jetzt die Einsetzung staatlicher Gewalt, mn die natürlichen Gesetze durchzusetzen. Sie erfolgt im Falle des "Staates durch Einsetzung", indem die Menschen miteinander einen Vertrag schließen, demzufolge ein jeder von ihnen sein Recht, sich selbst zu regieren, einem Menschen oder einer Versammlung unter der Bedingung überträgt, daß alle anderen dasselbe tun. 15 . Auf Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 109 f. Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 88. 10 Vgl. hierzu ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 88. 11 Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 89. 12 Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 89. 13 Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 90. 14 Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 91. 15 Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 92.
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11. Die Freiheit bei Thomas Robbes
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diese Weise entsteht der Staat, den Hobbes als Leviathan oder auch als sterblichen Gott bezeichnet. Der Naturzustand hat sich damit in den bürgerlichen Zustand umgewandelt. Der Staat setzt nunmehr die natürlichen Gesetze als bürgerliche Gesetze fest, die damit jetzt auch in foro externo verpflichten. Werden die natürlichen Gesetze übertreten, so ist dies Sünde, werden die bürgerlichen Gesetze gebrochen, so ist dies Verbrechen. 16 Wenn Hobbes den Verstoß gegen die natürlichen Gesetze Sünde nennt, so ist das darin begründet, daß die natürliche Vernunft, der der Mensch die Erkenntnis der natürlichen Gesetze verdankt, ilun Hobbes zufolge von Gott gegeben ist. Der Mensch handelt also, wenn er natürliche Gesetze verletzt, der göttlichen Ordnung zuwider, die ilun Gott selbst über die natürliche Vernunft einsichtig gemacht hat. Durch den Übergang zum bürgerlichen Zustand erfährt die natürliche Freiheit, die dem einzelnen im Naturzustand zukam, eine entscheidende Veränderung. Um den Frieden zu sichern, schränken die bürgerlichen Gesetze die natürliche Freiheit ein. Das Maß an natürlicher Freiheit, das dem Untertanen nach dieser Einschränkung verbleibt, läßt sich als "Freiheit eines Untertanen" oder kurz als "bürgerliche Freiheit" bezeichnen. l ? Von der natürlichen Freiheit läßt sich nun eine Verbindungslinie zur Wahlfreiheit Adams vor dem Sündenfall ziehen sowie zu der Wahlfreiheit, die nach der Auffassung von Pelagius und Erasmus von Rotterdam dem Menschen auch nach dem Sündenfall verblieben ist. Im Zustand der Moral und des Rechts, d.h. im bürgerlichen Zustand, birgt die natürliche Freiheit ebenso wie die Wahlfreiheit Adams die Möglichkeiten zum Guten wie auch zum Bösen in sich. Wird sie zum Guten hin ausgeübt, ist sie Freiheit eines Untertanen bzw. bürgerliche Freiheit, wird sie zum Bösen hin ausgeübt, ist sie Sünde und Verbrechen. 18 Ist demnach im bürgerlichen Zustand dem Untertanen die Aufgabe gestellt, in seinem Handeln seine bürgerliche Freiheit zu entfalten, Sünde und Verbrechen aber durch Einhaltung der natürlichen und bürgerlichen Gesetze zu vermeiden, so legt Robbes in seinem System den Akzent auf eine säkularisierte Form der Gesetzesgerechtigkeit. 19 Die Glaubensgerechtigkeit tritt demgegenüber in den Hintergrund: Hobbes hält zwar den Satz, daß Jesus der Christus ist, als einzigen unabdingbaren Glaubenssatz fest, konzediert jedoch an anderer Stelle, eigentlich könne der Glaube
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Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 92. Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 110 f. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 113. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 107.
2. Teil: Freiheit, Moral und Recht in der Modeme
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nicht Gegenstand staatlicher Anordnung sein. Lediglich in der Öffentlichkeit sei der staatlich vorgeschriebene Ritus zu beachten. 20 3. Die Entwicklung des Schrankensystems der Freiheit und des Rechts durch Hobbes
Wenn wir die vorstehende Wiedergabe von Hobbes' System noch einmal mit Blick auf seinen Freiheitsbegriff zusammenfassen21 , so ergibt sich folgendes Bild: Im Naturzustand bestimmen Selbsterhaltungstrieb und Todesfurcht den Menschen dazu, seine natürliche Freiheit im Wege ungezügelten Machtstrebens auszuüben. Auf diese Weise sichert er sein Leben. doch gefährdet nun die Kollision mit den anderen. deren natürliche Freiheit sich in einem ebenso ungehemmten Machtstreben verwirklicht, eben dieses Leben auf das höchste. Die von Gott gegebene natürliche Vernunft ermöglicht es dann dem Menschen. die natürlichen Gesetze zu verstehen und damit zu erkennen. in welchem Maße er zugunsten der anderen seine zunächst unbegrenzte natürliche Freiheit einschränken muß, um mit den anderen Frieden schließen zu können. Damit entwickelt Hobbes die Sphäre der Moral, die er religiös fundiert, indem er die natürliche Vernunft auf Gott zurückführt. Im bürgerlichen Zustand übernimmt dann der Leviathan die natürlichen Gesetze inhaltlich, bewehrt sie als bürgerliche Gesetze jetzt aber mit dem Zwang des Rechts. Die bürgerlichen Gesetze trennen nun mit Schärfe den Teil der natürlichen Freiheit, der dem Untertanen verbleibt und von dem er zum Zwecke seiner Selbsterhaltung weiterhin Gebrauch machen darf, als bürgerliche Freiheit von demjenigen Bereich der natürlichen Freiheit, der jenseits der Schranke der bürgerlichen Gesetze liegt. Macht der Bürger von seiner natürlichen Freiheit im Bereich jenseits der Schranke Gebrauch, so wird dieses Verhalten nunmehr als Sünde und Verbrechen gebrandmarkt und löst die vom Leviathan festgelegten Sanktionen des Rechts aus. Es ist das Recht, das die von der Moral schon vorgezeichnete Bändigung der natürlichen Freiheit gleichsam in Geltung setzt und so den dem Untertanen verbliebenen Freiheitsraum präzise als bürgerliche Freiheit eingrenzt.
Hobbes entwirft damit bereits das Schrankensystem der Freiheit und des Rechts. 22 . Indem er bei der Entwicklung seines Freiheitsbegriffs von der natürlichen Freiheit ausgeht, die ja dem Ziel der Selbsterhaltung des Menschen dient und damit eine grundsätzlich positive Bedeutung hat, setzt Hobbes Einschränkungen dieser
Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 98 f Vgl. die zusammenfassende Darstellung von Hobbes' System bei Schapp, Freiheit, Moral und Recht, S. 118 ff sowie in JuS 1996,372 (374). 22 Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 111 ff 20
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m. Die Freiheit bei htunanuel Kant
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natürlichen Freiheit unter "Legitimationsdruck".23 Diese sind nur insoweit legitim, als sie ihrerseits erforderlich sind, um die Selbsterhaltung des Menschen zu sichern, indem sie den öffentlichen Frieden gewährleisten. Damit ist bereits die Notwendigkeit vorgezeichnet, die Beschränkung der Freiheit durch den Leviathan ihrerseits wieder zu beschränken, auch wenn Hobbes selbst die Aufgabe, geeignete Mechanismen fiir diese Beschränkung zu entwerfen, nicht in Angriff nimmt. 24
111. Die Freiheit bei Immanuel Kant Hobbes macht mit der natürlichen Freiheit eine säkularisierte Abwandlung der christlichen Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse zum Ausgangspunkt seiner Freiheitstheorie. Kant konzipiert dagegen sein moralphilosophisches System von einem moralischen Freiheitsbegriffher, der Züge der christlichen Erlösungsfreiheit trägt.25 Im folgenden sollen daher zunächst dieser moralische Freiheitsbegriff Kants und seine Problematik dargestellt werden. Es schließt sich die Frage an, inwieweit Kant auch den Gedanken der Wahlfreiheit des Menschen zwischen Gut und Böse in sein System integriert und ob ihm insoweit der Bezug zum Begriff der moralischen Freiheit gelingt.
1. Die moralische Freiheit Als Grundlage seines Begriffs der moralischen Freiheit wählt Kant die Unterscheidung von Tiermensch und Vernunftmensch. Der Tiermensch, dessen Handlungen kausalitätsgesetzlich von seinen Trieben verursacht werden, ist unfrei. Der Vernunftmensch, der nicht gemäß dem Kausalgesetz handelt, sondern nach seiner Vernunft, ist frei. 26 Leitlinie seines Handelns ist der Grundsatz der praktischen Vernunft, der kategorische Imperativ: Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne?? Fasziniert vom unbedingten Gültigkeitsanspruch des naturwissenschaftlichen Gesetzes, stellt Kant also Tiermensch und Vernunftmensch als zwei durch eine unüberwindliche Kluft getrennte Welten einander gegenüber, um fiir beide Welten je eigene Gesetze zu finden, die dieselbe Sicherheit der Erkenntnis wie das Naturge-
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25 26 27
Ders., Freiheit, MorallUld Recht, S. 115. Vgl. dazu ders., Freiheit, MorallUld Recht, S. 111 fI. Ders., Freiheit, MorallUld Recht, S. 16 tmd 117 sowie JuS 1996, 372 (375 r.). Vgl. dazu ders., Freiheit, MorallUld Recht, S. 116. Vgl. dazu derselbe, Freiheit, MorallUld Recht, S. 116.
2. Teil: Freiheit, Moral und Recht in der Moderne
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setz zu verbürgen scheinen. 28 Im Gegensatz zum Christentum und auch zu Hobbes, die das Wesen des Menschen vor allem darin sehen, daß er in die Spannung von Gut und Böse hineingestellt ist, lehnt Kant es demnach gerade ab, die Sphären von Begierden und Moral aufeinander zu beziehen. Die Schwierigkeiten, zu denen dieser methodische Ansatz Kants fUhrt, zeigen sich bereits im Hinblick auf den Tiermenschen, dem Kant das Prädikat "unfrei" beilegt. Wenn der Tiermensch als Teil der Natur dem dort geltenden Kausalgesetz unterliegt, weil seine Handlungen notwendig aus seinen animalischen Trieben folgen, so fehlt ihm, der grundsätzlich unfähig zu vernunftgeleitetem Handeln ist, von vornherein jegliche Beziehung zum Problem der Freiheit. Schapp formuliert diesen fehlenden Bezug des Tiermenschen zum Freiheitsproblem, indem er den Tiermenschen zwar als vernunftlos wie alle dem Kausalgesetz unterstehende Natur kennzeichnet, nicht aber als unvernünftig. 29 Damit ist es auch nicht sinnvoll, den Tiermenschen als unfrei zu charakterisieren, denn von Unfreiheit kann nur bei grundsätzlich vernünftigen Wesen gesprochen werden, also dort, wo im allgemeinen Vernunft zu erwarten ist, wenn im Einzelfall auch Unvernunft walten mag. 30 Bei der von Kant angenommenen Unfreiheit des Tiermenschen handelt es sich also nicht um ein moralphilosophisches Problem, das der Lösung in Gestalt der Freiheit des Vernunftmenschen harrt?l Der Vernunftmensch orientiert sein Handeln am kategorischen Imperativ. Das allgemeine Gesetz im Sinne des kategorischen Imperativs ordnet Kant ebenso wie das Naturgesetz einer "Form der Gesetzmäßigkeit überhaupt" ZU. 32 Es gewinnt damit einen hochgradig formalen und abstrakten Charakter. Wenn Kant Naturgesetz und moralisches Gesetz in dieser Weise parallelisiert, so wird er nun allerdings dem unterschiedlichen Charakter beider Arten von Gesetz nicht gerecht. Im Gegensatz zum Naturgesetz bezieht sich das juridische Gesetz33 auf einen Konflikt, den es entscheidet. Die Konfliktsentscheidung aber kann nicht mit naturwissenschaftlicher Sicherheit ermittelt werden, sondern ist immer schon das Ergebnis einer bestimmten Deutung und damit Bewertung des betreffenden Konflikts durch denjenigen, der das juridische Gesetz aufstellt. Es gilt demnach nicht absolut, sondern lediglich relativ zu dem von ihm entschiedenen konkreten
Ders., Moral und Recht, S. 15 f. und S. 126. Ders., Moral und Recht, S. 126. 30 So ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 126. 31 So ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 127. 32 Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 128[. 33 Mit dem Terminus des juridischen Gesetzes bezeichnet Jan Schapp jedes Gesetz rur ein Handeln, sowohl im Gebiet der Moral wie auch im Gebiet des Rechts. 28
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ill. Die Freiheit bei Immanuel Kant
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Konflikt. 34 Von daher erscheint Kants Versuch, das moralische Gesetz zusammen mit dem Naturgesetz in einer Sphäre der "Form der Gesetzmäßigkeit überhaupt" zu verankern, doch einigermaßen problematisch. Wenn juridische Gesetze, die konkrete Konflikte entscheiden, deshalb selbst in hohem Maße konkret sind, so ist es doch wohl erforderlich, sie inhaltlich schärfer zu konturieren, als es der Bezug auf eine "Form der Gesetzmäßigkeit überhaupt" vermag. Nun enthält allerdings gerade die auf den ersten Blick formal anmutende Bezeichnung des moralischen Gesetzes als "allgemein" bereits eine inhaltliche Komponente. Die "Allgemeinheit" des Gesetzes impliziert, daß es sich dazu eignen muß, in gleicher Weise für alle Menschen zu gelten?5 Das allgemeine Gesetz muß also geeignet sein, deren Zusammenleben zu ordnen, was nur möglich ist, wenn es eine Antwort auf den Konflikt der Menschen untereinander gibt, so wie es die goldene Regel tut. 36 Zum allgemeinen Gesetz als der objektiven Seite des kategorischen Imperativs tritt die Achtung des Vernunftmenschen vor dem Gesetz als subjektive Seite hinZU. 37 Diese Achtung befähigt den Menschen, die subjektiven Maximen seines Handelns am allgemeinen Gesetz auszurichten. 38 Wenn Kant einräumen muß, daß es sich bei dieser Achtung des allgemeinen Gesetzes um ein Gefühl handelt, so ist auch hier wohl schon eine inhaltliche Dimension des allgemeinen Gesetzes vorausgesetzt: Daß der Mensch einer rein formal verstandenen "Form der Gesetzmäßigkeit überhaupt" ein Gefühl der Achtung entgegenbringt, erscheint denn doch schwer vorstellbar?9 Zugleich schafft Kant, indem er die Achtung als Gefühl bezeichnet, einen Bezug seines moralphilosophischen Systems zum Existentiellen und mildert insofern den Anspruch, das System streng wissenschaftlich zu konzipieren. 40 Mit der Allgemeinheit des moralischen Gesetzes und der Kennzeichnung seiner Achtung als Gefühl lassen sich damit zwei Momente fassen, in denen die inhaltliche Substanz des moralischen Gesetzes aufscheint, durch dessen Befolgung sich die moralische Freiheit des Vernunftmenschen verwirklicht. Den kategorischen Imperativ bereits als anwendbares Gesetz für das Handeln des Menschen zu betrachten, erscheint dennoch schwierig. Sinnvoller dürfte es wohl sein, in ihm ein die Gesetz-
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Ders., Freiheit, Moral und Recht, s. 130 und s. 135. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 132. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 132. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 128. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 128 und 132 f. So ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 134. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 134.
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2. Teil: Freiheit, Moral und Recht in der Moderne
gebung leitendes Prinzip zu sehen, das dann mit Rücksicht auf die besondere menschliche Natur umzusetzen ist in ein System konkreter Gesetze. 41 Die Aufgabe, ein solches System zu entwerfen, ninunt Kant in seiner 1797 veröffentlichten "Metaphysik der Sitten" in Angriff. Die Verankerung seiner Moralphilosophie im Absoluten, die in der Zuordnung des allgemeinen Gesetzes zu einer "Form der Gesetzmäßigkeit überhaupt" liegt, gibt er damit nicht auf Er versteht die von ihm nunmehr entwickelten Pflichten lediglich als Anwendung der Metaphysik der Sitten auf Anthropologie; die Anthropologie wird nicht etwa zur Grundlage der Metaphysik der Sitten. 42 Wenn Kant die Metaphysik der Sitten auf Anthropologie anwendet, indem er nunmehr ein System konkreter Pflichten konzipiert, so faßt er dabei die beiden Bereiche des Rechts und der Tugend ins Auge. Im Rahmen der Rechtslehre entwikkelt er seinen zweiten Freiheitsbegriff, den Begriff einer "Freiheit der Willkür". Der Inhalt dieses Freiheitsbegriffs und seine Beziehung zu Kants Begriff der moralischen Freiheit, aber auch das Verhältnis zur christlichen Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse und zu Hobbes' natürlicher Freiheit, sollen im folgenden dargestellt werden.
2. Die Freiheit der Willkür Das Recht ist nach Kant der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann. 43 Neben den Begriff der moralischen Freiheit tritt damit detjenige einer Freiheit der Willkür. Kant bezeichnet sie als "Freiheit im äußeren Gebrauche,,44 und charakterisiert sie als Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür. 45 Als Freiheit vom anderen ist die Freiheit der Willkür damit
negative Freiheit.
Gelingt es Kant, der vom anderen für frei erklärten Willkür auch einen positiven Inhalt zu geben? Er unterscheidet in seiner Rechtslehre drei Arten von Willkür. Die Willkür, die durch reine Vernunft bestimmt werden kann, bezeichnet er als freie Willkür. Demgegenüber handelt es sich bei der durch sinnlichen Antrieb bestimmbaren Willkür um tierische Willkür. Eine Zwischenstellung ninunt die Willkür des 41 So ein Deutungsvorschlag Schapps für den kategorischen hnperativ, Freiheit, Moral und Recht, S. 138. 42 Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 140. 43 Vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AB 33. 44 Ders., Die Metaphysik der Sitten, AB 6 f. 45 Ders., Die Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AB 45.
m. Die Freiheit bei hnmanuel Kant
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Sinnenmenschen, die "menschliche Willkür", ein, die durch Antriebe zwar affiziert, aber nicht bestimmt wird. 46 Allerdings arbeitet Kant das Verhältnis von freier und tierischer Willkür innerhalb der "menschlichen Willkür" doch nicht mit einer Schärfe aus, die die Bewertung rechtfertigen würde, er rücke in der Rechtslehre mit der "menschlichen Willkür" des Sinnenmenschen von der grundlegenden moralphilosophischen Unterscheidung zwischen Tiermensch und Vernunftmensch ab. 47 Im Hinblick auf das in der menschlichen Willkür enthaltene Moment der tierischen Willkür, das in Kants moralphilosophischer Perspektive Unfreiheit ist, vermeidet Kant es also, die Freiheit der Willkür in einem positiven Sinne als Freiheit aufzufassen. 48 Eine Möglichkeit, die Freiheit der Willkür positiv zu konturieren, hätte darin bestanden, sie im Anschluß an die christliche Theologie und an Hobbes als Wahlfreiheit zum Guten oder zum Bösen zu deuten. Damit wäre insbesondere plausibel geworden, weshalb die menschliche Willkür einerseits den Schutz des Rechts genießt, andererseits das Recht gerade vor dieser Willkür schützen muß: Weil sie zum Guten hin ausgeübt werden kann, ist sie des rechtlichen Schutzes würdig und bedürftig, weil sie zum Bösen hin ausgeübt werden kann, bedarf die menschliche Willkür der Begrenzung durch das Recht. Mit dieser Deutung der Freiheit der Willkür hätte Kant zugleich den Bezug zur moralischen Freiheit hergestellt: Die Freiheit der Willkür wäre der Weg, der, richtig beschritten, zum Ziel der moralischen Freiheit fUhrte, so wie im Christentum die zum Guten hin ausgeübte Wahlfreiheit ans Ziel der Erlösungsfreiheit fUhrt. Kant nimmt die hier skizzierte Möglichkeit, die Freiheit der Willkür zu deuten, nicht wahr. Damit ist es ihm verwehrt, das Recht als Sanktion einer verfehlten Ausübung der Freiheit der Willkür zu verstehen und auf diese Weise die Fundierung des Rechts in der Moral zu verdeutlichen, so wie dies Hobbes gelingt, wenn er die bürgerlichen Gesetze aus den natürlichen Gesetzen entwickelt.49 Kants Zugang zum Recht erfolgt über dessen äußere Wirkungsweise, den Zwang. Dem äußeren Zwang des Rechts stellt er den innerlich wirkenden Selbstzwang der Vernunft gegenüber. Die Moral bleibt der intelligiblen Welt zugeordnet, im Gegensatz zum Recht, das über den äußeren Zwang und die Furcht, die er hervorruft, nur in der sensiblen Welt wirksam wird. so Die Frage, wodurch denn
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Vgl. dazu Schapp, Freiheit, Moral Wld Recht, S. 153 f. So ders., Freiheit, Moral Wld Recht, S. 154. Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral Wld Recht, S. 150. Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral Wld Recht, S. 147 fT. Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 148.
2. Teil: Freiheit, Mora11llld Recht in der Moderne
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eigentlich die Anwendung rechtlichen Zwanges legitimiert wird, wird von Kant nicht beantwortet. 51 Die Aufgabe, im Sinne einer Anwendung der Metaphysik der Sitten auf Anthropologie das Recht verständlich zu machen als Anwendung moralischer Prinzipien auf die besondere Natur des Menschen, hat Kant damit nicht gelöst. 52 Schapp fuhrt diese fehlende moralische Fundierung der kantischen Rechtslehre auch darauf zurück. daß in Kants Moralphilosophie der Verletzung des Moralgesetzes und damit dem Bösen keine eigenständige Stellung zukommt. Er sieht hierin einen grundlegenden Mangel von Kants moralphilosophischer Konzeption. 53 In einem moralphilosophischen System, das sich an den beiden Polen des unfreien Tiermenschen und des freien Vernunftmenschen orientiert, ist es kaum möglich, dem Bösen einen Platz zuzuweisen. Der Vernunftmensch, dessen Handeln sich am kategorischen Imperativ ausrichtet, muß als gut gelten. Aber auch der Tiermensch kann nicht als böse charakterisiert werden, weil er, der als Teil der Natur dem Kausalgesetz unterliegt, gar keine andere Wahl hat, als gemäß seinen animalischen Trieben zu handeln. 54 In seiner 1793 veröffentlichten Schrift "Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" löst sich Kant nun aber von dem strengen Dualismus von Tier- und Vernunftmensch. Gegenstand der religionsphilosophischen Erkenntnis ist der Sinnenmensch, der nach Kant die Anlagen zur Tierheit, zur Menschheit und zur Persönlichkeit in sich vereint. Im Sinnenmenschen bilden damit Tiermensch, Vernunftmensch und deren Mischung eine Einheit. 55
Im Gegensatz zu Tier- und Vernunftmensch hat der Sinnenmensch einen Bezug zum Bösen: Dieses liegt nicht in seiner Selbstliebe und in seinen Neigungen, die der Komponente des Tiermenschen im Sinnenmenschen zuzuordnen sind. Böse ist vielmehr die mangelnde Unterordnung der aus der Selbstliebe entspringenden Handlungsmaximen unter die vernunftbesti:mmten Maximen, d.h. die falsche Wahl der Maximen. Der Ort des Bösen ist also im Reich der Freiheit. 56 In der Religionsschrift gewinnt Kant damit den Anschluß an die christliche Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse und an Hobbes' natürliche Freiheit, die ja im bürgerlichen Zustand ebenfalls Wahlfreiheit zwischen dem Guten in Gestalt der bürgerlichen Freiheit und dem Bösen in Gestalt von Sünde und Vetbrechen ist. Zugleich kann der so gewonnene religionsphilosophische Freiheitsbegriff in eine sinnvolle Beziehung zum moralphilosophischen Freiheitsbegriff Kants gesetzt wer51 52
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Ders., Freiheit, Mora11llld Recht, S. 148. Vgl. dazu ders., Freiheit, Mora11llld Recht, S. 14l. Ders., Freiheit, Mora11llld Recht, S. 148 f. Ders., Freiheit, Mora11llld Recht, S. 125 1llld S. 165 f. Vgl. dazu ders., Freiheit, Mora11llld Recht, S. 165. Ders., Freiheit, Mora11llld Recht, S. 166 ff.
ill. Die Freiheit bei hnmanuel Kant
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den: Die religionsphilosophische Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse hat prozessualen Charakter, sie fUhrt, wird sie zum Guten hin ausgeübt, ans Ziel der moralischen Freiheit. Das Verhältnis von religions- und moralphilosophischer Freiheit bei Kant entspricht damit strukturell demjenigen der beiden zentralen Freiheitsbegriffe im Christentum. 57 Es hätte fiir Kant nun nahegelegen, in der Rechtslehre seiner vier Jahre nach der Religionsschrift erschienenen "Metaphysik der Sitten" der negativ als Freiheit vom anderen aufgefaßten "Freiheit der Willkür" mit seinem religionsphilosophischen Freiheitsbegriff auch einen positiven Inhalt zu geben. Er hat von dieser Möglichkeit aber keinen Gebrauch gemacht, sondern in seinem Blick auf das Böse wohl doch nur einen religionsphilosophischen Exkurs gesehen, der in das Ganze seiner Moralphilosophie nicht integriert zu werden brauchte. 58 Das hat dazu gefUhrt, daß das Recht, so wie Kant es konzipiert, eines tragfähigen moralischen Fundaments entbehrt.
3. Kants Tugendlebre
Kants Abneigung, die beiden Welten des Tier- und des Vernunftmenschen miteinander zu kombinieren, spiegelt sich nicht nur in der Rechtslehre, sondern auch in der Tugendlehre, dem zweiten Teil der Metaphysik der Sitten, wider. Den Menschen treffen nach Kant die beiden Tugendpflichten, eigene Vollkommenheit und fremde Glückseligkeit zu fOrdem. 59 Die Pflicht zur Förderung der eigenen Vollkommenheit verlangt von ihm, seine Geistes-, Seelen- und Leibeskräfte als Mittel zu allerlei möglichen Zwecken zu kultivieren, während die Pflicht zur Förderung fremder Glückseligkei~ ihm die Liebe und Achtung des anderen gebietet. 60 Schapp macht darauf aufmerksam, daß die fremde Glückseligkeit in der Regel nur gefördert werden kann, indem man das Streben nach eigener Glückseligkeit beschränkt. Es hätte daher nahegelegen, die anderen gegenüber bestehende Pflicht, deren Glückseligkeit zu fördern, zugleich als Pflicht gegen sich selbst zu verstehen, das eigene Streben nach Glückseligkeit einzuschränken und so als Inhalt der Pflicht zur Förderung der eigenen Vollkommenheit aufzufassen. 61 Wenn Kant diesen Zusammenhang nicht herstellt, so bleibt er auch hierin seinem Ansatz treu, die materielle Welt des Tiermenschen von der geistigen Welt des
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Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 168 f. Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 172 f. Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 155. Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 155f. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 144 und S. 158.
7 Huda
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2. Teil: Freiheit, Moral Wld Recht in der Moderne
Vernunftmenschen rigide ZU trennen. Eine Tugendpflicht zur Beschränkung des eigenen Strebens nach Glückseligkeit Wld damit zur Beschränkung der eigenen NeigWlg hätte den von Kant abgelehnten Bezug heider Welten zueinander hergestellt, wäre also in Kants Sicht wohl als "Halbieren heterogener Dinge, das auf gar keinen bestimmten Begriff führt", erschienen. 62 Immerhin läßt Kant den hier skizzierten Gedanken doch einmal in der "Ethischen Didaktik" anklingen, wenn er hier die Freiheit des Willens in der Einschränkung der nach Glückseligkeit strebenden NeigWlg durch die Vernunft sieht, an dieser Stelle also die TrennWlg von intelligibler Wld sensibler Welt auflockert. 63
4. Die Moralphilosophie Kants in der paulinischen Tradition Insgesamt wird die Moralphilosophie Kants beherrscht von der strikten TrennWlg zwischen geistiger Wld materieller Welt. Die durch den inneren Selbstzwang der Vernunft gekennzeichnete Moral ist dabei der geistigen, das durch äußeren Zwang wirksame Recht der materiellen Welt zugeordnet. Das ist nicht allein auf das Bestreben Kants zurückzufiihren, die heiden Sphären in gleichsam "naturwissenschaftlicher Reinheit" voneinander zu scheiden. Schapp weist darauf hin, daß Kant, wenn er das vom kategorischen hnperativ geprägte Reich der Moral so deutlich vom Gebiet des Rechts abhebt, damit die paulinische UnterscheidWlg von Glaubens- Wld Gesetzesgerechtigkeit in eine säkularisierte FassWlg gießt. 64 Die hohe Formalität Wld Abstraktheit des kategorischen Imperativs in seiner BeziehWlg zur allgemeingesetzgebenden Vernunft verweisen darauf, daß er einer Sphäre des Absoluten angehört, worin er dem Glauben in seiner BeziehWlg zu Gott entspricht. Wenn demgegenüber das Recht, aber selbst die moralischen Tugendpflichten lediglich der Sphäre der AnwendWlg des moralischen GTWldprinzips auf die besondere Natur des Menschen angehören, so entspricht ihr damit einhergehender niederer Rang der AbwertWlg der Gesetzesgerechtigkeit in der paulinischen Tradition. 65 Ausgehend von der natürlichen Freiheit hatte dagegen Hobbes das auf den Gesetzen der Moral beruhende Recht als Schlußstein in seine moralphilosophische Konzeption eingefiigt Wld damit gerade im Gegensatz zu Kant die SpannWlg zwischen Glaubens- Wld Gesetzesgerechtigkeit zur Gesetzesgerechtigkeit hin aufgelöst. 66
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Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral Wld Recht, S. 143. Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral Wld Recht, S. 142 Wld S. 158. Ders., Freiheit, Moral Wld Recht, S. 160. Ders., Freiheit, Moral Wld Recht, S. 160 f. Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral Wld Recht, S. 107.
IV. Jan Schapps Konzeption
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IV. Jan Schapps Konzeption von Freiheit, Moral und Recht
in der Moderne Auf der Grundlage der hier skizzierten Untersuchung des Freiheitsbegriffs im ChristentuIn, bei Hobbes und bei Kant stellt Jan Schapp die Frage nach dem Begriff der Freiheit in der Moderne. Er beantwortet sie, indem er ein Ergänzungsverhältnis von natürlicher Freiheit, Moral und Recht ausarl>eitet, das die Freiheitsbegriffe von Hobbes und von Kant miteinander kombiniert und dabei die Verhältnisse der Moderne, also des Zeitalters der wissenschaftlich-technischen Zivilisation der letzten etwa zweihundert Jahre, in die Betrachtung miteinbezieht. Die von Schapp entwickelte Konzeption soll im folgenden nachgezeichnet werden. Dabei konzentrieren wir uns auf diejenigen Aspekte, die uns im Hinblick auf die spätere Auseinandersetzung mit den eingangs genannten Positionen der Rechtsgeschäftslehre besonders bedeutsam erscheinen, ohne den Anspruch zu erheben, die Untersuchung Schapps in ihrer thematischen Spannweite vollständig wiederzugeben. 1. Die natürliche Freiheit
Schapp knüpft in seinen Überlegungen zum Begriff der Freiheit in der Moderne an die natürliche Freiheit im Sinne von Hobbes an. Er definiert sie als die durch Moral und Recht noch nicht begrenzte Freiheit des einzelnen, zu tun und zu lassen, was er will, und versteht sie insoweit als "Freiheit des Beliebens". 67 Schapp weist aber darauf hin, daß man die so definierte natürliche Freiheit mißverstünde, wollte man dieses Belieben als Willkür im populären Sinne des Wortes auffassen. Im Anschluß an Hobbes sieht er in der natürlichen Freiheit Entfaltung menschlicher Aktivität zum Zwecke der Lebenserhaltung. 68 Der Erhaltung des eigenen Lebens aber kann man bereits moralischen Wert beimessen. Sie verleiht damit der auf sie zielenden natürlichen Freiheit eine Legitimation, die dazu führt, daß die moralische und rechtliche Einschränkung der natürlichen Freiheit ihrerseits besonders zu begriinden ist. 69 Im Schrankensystem des Rechts und der Freiheit verdeutlicht gerade der Begriff der Schranke selbst die Vermutung zugunsten der Freiheit: Eine als grundsätzlich unbegrenzt gedachte natürliche Freiheit kann nur mit besonderer Begriindung eingeschränkt werden. 70 67 68
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Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S.
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2. Teil: Freiheit, Moral Wld Recht in der Moderne
Aus dem Blickwinkel der natürlichen Freiheit sind moralische Pflicht und Rechtspflicht "Fremdbestimmung", weil sie immer schon Bestimmung zugunsten des anderen sind. Das Ich und der andere treten damit in eine FrontsteIlung zueinander; der Begriff der natürlichen Freiheit wird zum Grundbegriff des neuzeitlichen Individualismus. 7! Schapp betont, daß er nicht als ontologische Aussage zum Wesen des ganzen Menschen aufgefaßt werden darf. Das individuelle Machtstreben des natürlich freien Menschen ist ein wesentlicher Zug des Menschen, doch bedarf es der Ergänzung durch die moralische Freiheit, die aus der Achtung des anderen folgt.72 Wohl noch bedeutsamer als der neuzeitlich-individualistische Charakter der natürlichen Freiheit ist, daß sie zum Guten wie zum Bösen hin ausgeübt werden kann. Darin entspricht sie der Wahlfreiheit Adams vor dem Sündenfall.73 Die Moral und dann auch das Recht weisen dem Menschen den Weg, wie er das Spannungsverhältnis zwischen Gut und Böse zum Guten hin auflösen kann. 2. Die Moral
Im Gegensatz zur natürlichen Freiheit bezieht sich die Moral als die Lehre von den Pflichten des Menschen auf das Zusammenleben der Menschen. Die Moral ist damit notwendige Ergänzung der natürlichen Freiheit, die von ihr begrenzt wird. 7 4 a) Die Pflicht zur Achtung des Gesetzes als erste Sphäre der Moral Schapp unterteilt den Bereich der Moral in zwei Sphären. Die erste Sphäre ist der Ort eines obersten Moralgesetzes: Achte das Gesetz als die Ordnung des Zusammenlebens aller und damit den anderen wie dich selbst.75 Der Mensch versteht dieses Gesetz kraft seiner natürlichen Vernunft, weil der natürlichen Vernunft ein Gefiihl der Unerträglichkeit von Unordnung und Regellosigkeit und ein Gefiihl der Zuwendung zu Ordnung und Regel immanent ist. Der Begriff der natürlichen Vernunft bringt damit die Friedenssehnsucht des Menschen als einen Teil seiner Natur zum Ausdruck. 76
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184. 185. 185. 187. 189. 190.
IV. lan Schapps Konzeption
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Schapp betont, daß diese Friedenssehnsucht, das Gefühl der Liebe und Achtung der Ordnung ein nicht minder elementarer Zug der menschlichen Natur ist als das Machtstreben des Menschen. 77 Das moralische Gebot der Achtung des Gesetzes als Ausfluß der Friedenssehnsucht des Menschen muß nun auf die natürliche Freiheit als Ausdruck seines Machtstrebens bezogen werden, sollen nicht natürliche Freiheit wie moralische Pflicht fragmentarischen Charakter behalten. 78 Diesen Bezug stellt Schapp her, indem er das Gebot der Achtung des Gesetzes als die positive Fassung des Gebotes versteht, das eigene Machtstreben dem Gesetz gemäß einzuschränken. 79 Schapp nimmt insoweit Hobbes' Gedanken der notwendigen ZUlÜCknahme der Macht aller bis auf das allen erträgliche Maß auf, der den natürlichen Gesetzen des moralischen Zustandes und dann den mit ihnen inhaltsgleichen bürgerlichen Gesetzen des bürgerlichen Zustandes zugrundeliegt.80 Zugleich werden mit diesem Verständnis des obersten Moralgesetzes die beiden großen kantischen Tugendpflichten, eigene Vollkommenheit und fremde Glückseligkeit zu fördern, zueinander in Beziehung gesetzt: Indem man das eigene Machtstreben dem Gesetz gemäß einschränkt, fördert man durch vernünftige Beschränkung der eigenen Neigung fremde Glückseligkeit und dadurch zugleich die eigene Vollkommenheit. 8 \ Kant selbst hatte sich schwergetan, diesen Zusammenhang zwischen natürlichem Machtstreben und seiner moralischen Beschränkung herzustellen, weil er es für unzulässig hielt, die seiner Auffassung nach durch eine unüberbrückbare Kluft voneinander getrennten Sphären der Begierden und der Vernunft zueinander in eine Beziehung zu setzen. Wenn demnach das oberste Moralgesetz die Achtung des Gesetzes als die Ordnung des Zusammenlebens aller fordert und diese Achtung sich in der ZUlÜCknahme des eigenen Machtstrebens auf ein dem anderen erträgliches Maß verwirklicht, so formuliert dieses oberste Moralgesetz schon ein Prinzip für das menschliche Verhalten. Es ist damit inhaltlich schon schärfer konturiert als der kategorische Imperativ Kants. Andererseits bedarf es noch der weiteren Konkretisierung, zunächst in moralischen Prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe, sodann durch das Recht. 82
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191. 192. 192. 192. 194. 197.
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2. Teil: Freiheit, Moral und Recht in der Moderne
b) Die moralischen Prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe als zweite Sphäre der Moral In einer zweiten Sphäre der Moral entfaltet Schapp aus der obersten moralischen Pflicht, das Gesetz und damit den anderen und sich selbst zu achten, moralische Prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe. Im Hinblick auf die beabsichtigte moralische Begrundung des Rechts gilt sein Interesse hier denjenigen moralischen Pflichten, auf denen dann die Rechtspflichten des positiven Rechts aufbauen. Schapp unterteilt die zweite Sphäre der Moral in drei Schichten: In einer ersten Schicht ist der Mensch moralisch verpflichtet, den anderen in seinen konkreten Lebensgütem zu achten. Die zweite Schicht gewinnt ihre Bedeutung in der arbeitsteiligen Gesellschaft. Es handelt sich um die Pflicht zur Achtung des mit einem anderen geschlossenen Vertrages. Hinzu tritt schließlich als dritte Schicht die Pflicht der Gruppen, in denen sich die modeme Gesellschaft organisiert, einander gegenseitig zu achten.83 Während die moralischen Pflichten zur Achtung des anderen in seinen Lebensgütern und zur Achtung des mit einem anderen geschlossenen Vertrags durch das Zivilrecht zu Rechtspflichten konkretisiert werden, gehört die moralische Pflicht zur Achtung der Gruppen untereinander zum Regelungsbereich des öffentlichen Rechts. 84 Die für das Zivilrecht relevanten ersten beiden Schichten der zweiten Sphäre der Moral sollen in ihrer Ausarbeitung durch Schapp im folgenden etwas ausfiihrlicher skizziert werden. (1) Die Pflicht zur Achtung des anderen in seinen Lebensgütern Die Pflicht, den anderen in seinen konkreten Lebensgütern zu achten, umfaßt die Pflicht zur Achtung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Ehe und Familie, Eigentum und sozialem Ansehen des anderen. Daß es moralisch geboten ist, diese Güter zu achten, ist eine Selbstverständlichkeit, die allerdings im Hinblick auf die Pflicht zur Achtung des Eigentums noch Modifikationen durch die weiteren beiden Schichten der lebensweltlichen Moral unterliegt.85 Der Grund für diese Selbstverständlichkeit kommt zum Ausdruck in der Bezeichnung der genannten Güter als Lebensgüter: Sie sind erforderlich, um das Leben der Person zu erhalten. Als Lebensgüter tragen sie ebenso wie das Leben selbst den Charakter des "Guten"; der Zugang zu ihnen erfolgt vor allem über das Gefiihl, erst in zweiter Linie über Ver-
83 84 85
Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 198. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 198 f. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 201.
IV. lan Schapps Konzeption
103
nunft und Gewohnheit. 86 Wie die moralische Pflicht, den anderen zu achten, sich zur Pflicht zur Achtung seiner Lebensgüter konkretisiert, so gewinnt auf der anderen Seite auch die natürliche Freiheit entsprechend Kontur: Sie sichert die Erhaltung des eigenen Lebens, indem sie sich venvirklicht in Enverb, Genuß und Erhaltung der Lebensgüter. 87
(2) Die Pflicht zur Achtung des mit einem anderen geschlossenen Vertrages Auf der Ebene der moralischen Prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe besteht nach Schapp die zweite Schicht der Moral in der Pflicht, den mit einem anderen geschlossenen Vertrag zu achten: Pacta sunt servanda.88 Schapp faßt hier vor allem den Vertrag als ein Verhältnis des Austausches von Waren und Leistungen ins Auge, also den wirtschaftlichen Austauschvertrag oder gegenseitigen Vertrag. Das Eigentum, das zunächst in der ersten Schicht der lebensweltlichen Moral als zu achtendes Lebensgut ins Blickfeld getreten ist, wird zur Voraussetzung des gegenseitigen Vertrages, der ja vor allem den Austausch von Eigentum an wertvollen Wirtschaftsgütern zum Gegenstand hat. 89 Seine ganze Bedeutung entfaltet der Austausclwertrag erst vor dem Hintergrund des Prinzips der Arbeitsteilung in der Gesellschaft. Der Prozeß ständig zunehmender Ausdifferenzierung der zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse erforderlichen Fertigkeiten ist durch die seit etwa 1750 in Gang gekommene industrielle Revolution drastisch beschleunigt worden. 90 Infolge dieser Ausdifferenzierung sind die Menschen wechselseitig auf die Kenntnisse und Fähigkeiten der anderen angewiesen, da jeder durch eigene Arbeit nur noch einen Bruchteil seiner Bedürfnisse befriedigen kann. Der Markt koordiniert das Angebot an arbeitsteilig erzeugten Gütern mit der aus den menschlichen Bedürfnissen entstandenen Nachfrage. 91 Über den gegenseitigen Vertrag treten die einzelnen Marktteilnehmer miteinander in Verbindung. Der Austauschvertrag stellt damit das die Marktbeziehungen organisierende Prinzip dar, das es den Marktteilnehmern ermöglicht, ihre gegenseitigen Bedürfnisse aufeinander abzustimmen. 92 Als Organisationsprinzip von Wirtschaft und arbeitsteiliger Gesellschaft läßt sich der Austausclwertrag damit als Gut ver-
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Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 202. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 203. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 203. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 204. Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 205 ff. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 204 f. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 204 f.
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2. Teil: Freiheit, Moral und Recht in der Moderne
ständlich machen, das zu achten die jeweiligen Vertragspartner moralisch verpflichtet sind. Abgesehen von der zentralen Stellung des Austauschvertrags im Gefüge der modemen Wirtschaft ist seine moralische Vetbindlichkeit aber schon in der Beziehung der beiden Vertragspartner als solcher begründet. Schapp weist darauf hin, daß allein ein bei Vertragsschluß vorhandener und erklärter Verpflichtungswille diese moralische Vetbindlichkeit des gegenseitigen Vertrags noch nicht ausreichend begründet: Es muß auch geklärt werden, warum der einmal erklärte Wille bindet, auch wenn der Wollende später anderen Sinnes wird. 93 Die Antwort auf diese Frage findet Schapp im Gesichtspunkt des Vertrauens, das der andere Vertragspartner in die Beständigkeit des bei Vertragsschluß erklärten Willens setzt. Dieses Vertrauen seines Vertragspartners darf der Vertragsschließende nicht enttäuschen; indem er es achtet, achtet er den Vertragspartner gerade als Partner seines Vertrages. Hierin sieht Schapp die moralische Dimension des Vertrages als eines besonderen Verhältnisses gegenseitiger Achtung zwischen den beiden Vertragspartnern. 94 (3) Die Pflicht zur Gruppenachtung
Die dritte Schicht der zweiten Sphäre der Moral ist dann die moralische Pflicht der verschiedenen Gruppen der modernen Gesellschaft, einander Achtung entgegenzubringen, insbesondere, indem sie ihre Konflikte in einer Weise austragen, die den öffentlichen Frieden nicht zerstört. Zu denken ist hier etwa an die verschiedenen Konfessionen, die einander bis 1648 blutig bekriegten, oder im Bereich der Wirtschaft an die Gruppen der Unternehmer und Atbeitnehmer, der "Atbeitsbesitzer" und Atbeitslosen.95 An die grundsätzliche Pflicht der Gruppen zur gegenseitigen Achtung knüpft dann das öffentliche Recht bei der rechtlichen Ausgestaltung der Gruppenbeziehungen an. 3. Das Recht
Die moralischen Pflichten, den anderen in seinen Lebensgütern und als Vertragspartner zu achten, werden primär über das Gefühl, daneben auch durch Ver-
Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 210. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 203 und S. 210 f. 95 Vgl. zur Pflicht der Gruppen, einander zu achten, Schapp, Freiheit, Moral und Recht, S. 213-224. Zum Verhältnis der Gruppen untereinander siehe ferner ders., JZ 1993, 974 (977 f.). 93
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IV. Jan Schapps Konzeption
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nunft, Erziehung und Gewolmheit verinnerlicht.96 Das natürliche Machtstreben des Menschen ist jedoch stark, so daß er trotz der inneren Verankerung der moralischen Pflichten Gefahr läuft, sie zu verletzen. Auch die für diesen Fall drohenden gesellschaftlichen Sanktionen wie die gesellschaftliche Mißbilligung des unmoralischen Verhaltens, insbesondere aber die Rache des Verletzten, vermögen die moralischen Pflichten noch nicht hinreichend zu stabilisieren.97 Diese Stabilisierung leistet erst der Zwang des Rechts: Zum einen sichert er die Erfiillung der moralischen Pflicht, zum anderen die Restitution im Verletzungsfalle. 98 Damit bildet nach Schapp die Moral das Fundament des Rechts, ähnlich wie bei Hobbes ja die natürlichen Gesetze des moralischen Zustands zu den durch die Macht des Leviathan zwangsbewehrten bürgerlichen Gesetzen des rechtlichen Zustandes werden. Kant bringt dagegen die durch den inneren Selbstzwang der Vermmft wirkende Moral und das durch äußeren Zwang wirkende Recht in eine Frontstellung zueinander, weil ein Bezug des äußerlich wirkenden Rechtszwangs auf die Verletzung der innerlich wirkenden Moral seiner grundlegenden Prämisse widerspräche, es lasse sich kein Gesetz zum Verhältnis von intelligibler und sensibler Welt bilden. 99 Wenn die Wirkungsweise des Rechts mit dem Begriff des äußeren Zwanges gekennzeichnet wird, so bedarf diese Sichtweise noch einer gewissen Differenzierung. Schapp weist darauf hin, daß von außen kommender Rechtszwang nur zum Einsatz kommt, wenn moralische Pflichten tatsächlich verletzt wurden, wobei auch hier der letzte Akt des Zwanges in Gestalt der Vollstreckung im Verlauf des Prozeßverfahrens vom Verpflichteten noch abgewendet werden kann, etwa durch Anerkenntnis, Vergleich, freiwillige Befolgung des Urteils. I 00 Im Gegensatz zum konkreten äußeren Zwang des Prozeßverfahrens entfaltet in den Fällen freiwilliger Erfiillung von moralischen Pflichten das Recht lediglich potentiellen Zwang: Dem Verpflichteten steht der Zwang, den ihm das Recht bei Verletzung seiner Pflichten in Aussicht stellt, drohend vor Augen, so daß hier eigentlich nicht Zwang, sondern nur dessen Androhung für den Verletzungsfall wirkt. I 01 Als Triebfeder legalen Handelns tritt die Androhung rechtlichen Zwangs den Triebfedern moralischen Handelns, also Liebe bzw. Achtung des anderen, Erziehung, Gewohnheit, gute Sitte, Furcht vor gesellschaftlicher Mißbilligung zur Seite. Zusammen sichern sie die Erfiillung der moralischen Pflichten, wobei die zur Sphäre des Rechts gehörende
Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 225. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 225 f. 98 Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 226. 99 Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 227. 100 Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 227 f. 101 Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 228.
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Androhung von Zwang als unentbehrlicher Stabilisator der moralischen Pflichten wirkt. 1 02 Die moralischen Pflichten bedürfen aber nicht allein der Stabilisierung durch das Recht. Soll im Falle ihrer Verletzung rechtlicher Zwang gegen den Verletzer angewandt werden, so verlangt diese einschneidende Sanktion, daß die Voraussetzungen der Zwangsanwendung präzise festgelegt werden. Aufgabe des Rechts ist es also, die moralischen Pflichten so zu konkretisieren, daß geeignete Anknüpfungspunkte für die Anwendung von Zwang geschaffen werden. 103 Indem das Recht die moralischen Pflichten zu Rechtspflichten konkretisiert, ermöglicht es zugleich dem einzelnen, sich mit hinreichender Sicherheit über das von ihm geforderte Verhalten zu orientieren. 104 Sind demnach die Rechtspflichten konkretisierte Moralpflichten, so stellen umgekehrt die moralischen Pflichten aus dem Blickwinkel des Rechts betrachtet nur noch oberste Prinzipien dar, die einerseits unverzichtbar sind, andererseits erst im Wege der Konkretisierung in rechtliche Regeln transformiert werden müssen. 1 05 Der Gestaltungsspielraum des Rechts ist dabei im Zivilrecht geringer als im öffentlichen Recht. Die moralische Sphäre ist hier mit Eigentum und Vertrag inhaltlich bereits deutlich konturiert, während die Pflicht zur Gruppenachtung diese inhaltliche Schärfe noch nicht aufweist. Im Bereich des Zivilrechts setzen die einzelnen sich vor allem durch den wirtschaftlichen Austauschvertrag selbst in eine Beziehung zueinander und regeln damit ihre gegenseitigen Pflichten in weitem Umfang schon in der Sphäre der Moral. Das Verhältnis der Gruppen zueinander erfährt eine vergleichbar dichte Regelung erst durch das öffentlich-rechtliche Gesetz. 106
Soweit die moralischen Pflichten zur Achtung der Lebensgüter des anderen und zur Erfiillung des mit ihm geschlossenen Vertrags vom Zivilrecht konkretisiert und mit rechtlichem Zwang bewehrt sind, handelt es sich, aus der Perspektive des durch die Pflicht Begünstigten gesehen, um dessen subjektive Rechte oder zumindest subjektiv-rechtlich geschützte Positionen. 107 Die Jurisprudenz des 19. Jahrhunderts versteht das subjektive Recht als dem einzelnen durch die Rechtsordnung verliehene Willensmacht, die dem Zwecke .nach der Befriedigung menschlicher Interessen
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Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 228 f. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 229 f. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 230. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 230 und JuS 1996, 372 (374 r.). Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 230 f. und S. 240 f. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 237.
IV. Jan Schapps Konzeption
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dient. I08 Die Substanz des subjektiven Rechts liegt, darauf venveist der Begriff der Willensmacht, in der Freiheit des Rechtsinhabers. Sie ist der Herkunft nach natürliche Freiheit, die aber, durch Moral und Recht eingeschränkt, sich zu bürgerlicher Freiheit gewandelt hat, welche nun Anerkennung und Schutz des Rechts genießt. I09 Wenn der Begriff des subjektiven Rechts in erster Linie das Eigentum einschließlich der aus ihm abgeleiteten beschränkten dinglichen Rechte sowie den Anspruch mnfaßt, so venveist seine Fixierung auf die veräußerlichen Vennögensrechte schon darauf, daß die bürgerliche Freiheit in der modernen Gesellschaft vor allem als Freiheit des Wirtschaftsbürgers Gestalt gewinnt. II 0 4. Die bürgerliche Freiheit
a) Die bürgerliche Freiheit als die durch Moral und Recht kultivierte natürliche Freiheit Die natürliche Freiheit, die die Stufen der Moral und des Rechts durchlaufen hat, ist zur bürgerlichen Freiheit geworden. Schapp betont, daß die Vorstellung verfehlt wäre, die Freiheit werde durch Moral und Recht lediglich von außen wie durch eine Schranke eingegrenzt. Moral und Recht wirken nicht nur im Sinne einer quantitativen Reduzierung auf die Freiheit ein, sie verändern sie vor allem auch qualitativ. Es ist gerade der Begriff der bürgerlichen Freiheit, der prägnant die gegenüber dem Naturzustand gewandelte Qualität der Freiheit ausdrückt. III Schapp präzisiert dann die neue Qualität der bürgerlichen Freiheit: Die bürgerliche Freiheit ist die durch Moral und Recht kultivierte und dadurch zivilisierte natürliche Freiheit. II2 Kennzeichen der bürgerlichen Freiheit ist es, daß in ihr natürliche und moralische Freiheit aufeinander bezogen sind: Die natürliche Freiheit des Menschen wird schon in seinem Inneren ausbalanciert durch seine moralische Freiheit, die in der den anderen entgegengebrachten Achtung liegt.II3 Bürgerliche Freiheit gewinnt also deJ.jenige, dem es gelingt, sich bewußt fiir die Zurücknahme und Begrenzung der eigenen natürlichen Freiheit auf ein den anderen erträgliches Maß zu entscheiden. 1l4 Damit läßt sich die bürgerliche Freiheit charakterisieren als 108 Eingehend zur klassischen BegritTsgeschichte des subjektiven Rechts Schapp, Das subjektive Recht im Prozeß der Rechtsgewinnung, S. 69-89. 109 Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 237 f 110 Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 262 tT. III Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 255 f 112 Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 259. 113 Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 259. 114 Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 259 f
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2. Teil: Freiheit, Moral und Recht in der Moderne
die durch die moralische Freiheit in einem Gleichgewicht gehaltene natürliche Freiheit. 115 Wenn Schapp dann schließlich auch den gesamten Zustand, der sich aus dieser BeziehlUlg von natürlicher lUld moralischer Freiheit ergibt, als bürgerliche Freiheit bezeichnet, so kommt darin noch deutlicher zum Ausdruck, daß er die heiden großen bereits im Christentum geprägten lUld dann von Hobbes lUld Kant im Zeichen der Aufklärung ausgearbeiteten Freiheitsbegriffe eng aufeinander bezogen denkt. Die Alternative, daß Freiheit nur in der natürlichen oder nur in der moralischen Freiheit liegen kann, ist damit aufgegeben. 116 Seine Vervollständigung erfährt dieses Modell der natürlichen Freiheit erst durch das Recht. Auch wenn die Selbstbeschränkung der eigenen natürlichen Freiheit innerlich gellUlgen ist, gehört zum Begriff der bürgerlichen Freiheit noch der Schutz der Freiheit durch das Recht. Dessen Aufgabe im Hinblick auf die bürgerliche Freiheit formuliert Schapp, indem er das Recht kennzeichnet als meinen Schutz dagegen, daß der andere von seiner natürlichen Freiheit in einer seine bürgerliche Freiheit verfehlenden Weise Gebrauch macht lUld mich so in meiner bürgerlichen Freiheit verletzt. 1I? Dabei schützt das Recht die bürgerliche Freiheit nicht nur nach außen, sondern erhöht auch ihre "innere Qualität", denn lUlter seiner Herrschaft hat man nicht mehr ständig Angriffe anderer zu gewärtigen. Auf diese Weise wird durch das Recht der zuvor gefundene innere Gleichgewichtszustand zwischen natürlicher lUld moralischer Freiheit mit Wirkung gegen jedermann bestätigt lUld so endgültig stabilisiert.118 Vor dem Hintergrlffid dieser Überlegungen sieht Schapp das Schrankenmodell der Freiheit lUld des Rechts als das Modell der Umgestaltung der natürlichen zur bürgerlichen Freiheit: Die bürgerliche Freiheit geht aus der Zivilisieflffig der natürlichen Freiheit hervor. 119 Damit erweist sich die Kritik am Schrankenmodell, welche die fehlende inhaltliche Ausgestaltung des ihm zugrlffideliegenden Freiheitsbegriffs rügt, als kaum berechtigt. Die Schranke des Rechts schränkt eben nicht eine noch gänzlich lUlgebändigte natürliche Freiheit von außen ein. Das Recht knüpft vielmehr an die bereits vom einzelnen selbst vollzogene moralische Beschränkung seiner natürlichen Freiheit lUld die damit von innen ausgestaltete bürgerliche Freiheit an. Von außen beschränkt wird durch das Recht nur die natürliche Freiheit des Rechtsbrechers, während der Rechtstreue in der AusüblUlg seiner bürgerlichen Freiheit vom Recht im Gegenteil gerade geschützt wird. 120
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Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 260. Der3., Freiheit, Moral und Recht, S. 260. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 260. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 260 f. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 261. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 261 f.
IV. Jan Schapps Konzeption
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b) Die Freiheit des Wirtschaftsbürgers Bürgerliche Freiheit in der Moderne ist vor allem Freiheit des Wirtschaftsbürgers. Der Mensch der Neuzeit gestaltet schöpferisch sein Leben, indem er seine Fähigkeiten und Kenntnisse in seiner Arbeit entfaltet und auf diese Weise die Mittel erwirbt, die es ihm ermöglichen, seine Lebensbedürfnisse zu befriedigen. 121 In der aIbeitsteiligen Gesellschaft kann die Arbeit diese Funktion der Existenzsicherung für den einzelnen aber nur erfiillen, wenn sie von vornherein schon Arbeit für andere ist. Übt der Mensch seine natürliche Freiheit durch Arbeit aus, so muß er bereits hier den anderen und seine Bedürfnisse ins Auge fassen: Die naüirliche Freiheit erhält schon in diesem Stadiwn ein moralisches Gepräge, indem sie durch die Arbeitsteilung von innen heraus ausgestaltet und kultiviert wird. 122 Dieser moralische Aspekt der Arbeit in der modernen Wirtschaft ist dann auch für den Austauschvertrag bedeutsam, in dem die beiden Vertragspartner jeweils durch die Ergebnisse ihrer Arbeit bestimmte Lebensbedürfnisse des anderen befriedigen, wn auf diese Weise ihrerseits vom Partner die Güter zu erhalten, die sie zur Sicherung der eigenen Lebensbedürfnisse benötigen. 123
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Ders., Freiheit, Moral Wld Recht, S. 262 f. Ders., Freiheit, Moral Wld Recht, S. 264 f. Ders., Freiheit, MorallUld Recht, S. 264 f.
Dritter Teil
Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft Vorbemerkung Die Konzeption Schapps von Freiheit, Moral und Recht in der Moderne legen wir im folgenden zugrunde, wenn wir danach fragen, in welchem Sinne sich im Rechtsgeschäft die Freiheit des einzelnen entfaltet und wie sich das Recht zu dieser Freiheit verhält. Wir entwickeln unsere Überlegungen in der Auseinandersetzung mit drei bedeutsamen Ansätzen zur Rechtsgeschäfts- und Vertragslehre. Unser Interesse gilt zunächst dem Rechtsgeschäftsbegriff, den Zitelmann in seinem Werk "Irrtmn und Rechtsgeschäft" entwickelt, das 1879, also während der Blütezeit des Liberalismus im 19. Jahrhundert, veröffentlicht wird. Prägt die Ambivalenz des Freiheitsbegriffs auch die Rechtsgeschäftslehre Zitelmanns, und gelingt es ihm, das Spanmmgsverhältnis von natürlicher und moralischer Freiheit in überzeugender Weise aufzulösen? Der zweite wichtige Ansatz, der auf sein Freiheitsverständnis hin befragt werden soll, ist das Vertragsmodell Schmidt-Rimplers, das er in seinem 1941 erschienenen Aufsatz "Grundfragen einer Erneuerung des Vertragsrechts" konzipiert und dessen Linien er in dem 1974 veröffentlichten Aufsatz "Zum Vertragsproblem" weiter auszieht. Nach der Auseinandersetzung mit den Überlegungen Schmidt-Rimplers, die das traditionelle juristische Verständnis des Vertrags als WillellSÜbereinstimmung der Sache nach zu rechtfertigen suchen, wenden wir uns dann der Vertragslehre Wilhelm Schapps zu. In seinem 1930 erschienenen Werk "Die neue Wissenschaft vom Recht - I. Band: Der Vertrag als Vorgegebenheit" macht Wilhelm Schapp in kritischer Distanz zum Vertragsmodell der Rechtswissenschaft den gegenseitigen Vertrag als ein Verhältnis des Austausches von Eigentum und Vermögen verständlich. Es wird deutlich werden, daß gerade der wirtschaftliche Austauschvertrag als Gestalt gewordene bürgerliche Freiheit beider Vertragspartner aufgefaßt werden kann. Die Frage, welche Existenzberechtigung vor diesem Hintergrund der juristischen Auffassung des Vertrags als Konsens zukommt, gibt dann Anlaß zu einigen weitergehenden Überlegungen zum Verhältnis von Privatautonomie und Recht im Rechtsgeschäft.
I. Die Rechtsgeschäftslehre Zite1manns
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I. Die Rechtsgeschäftslehre Zitelmanns
1. Die erweiterte Bandlungsreihe Bei der Ausarbeitung seines Rechtsgeschäftsbegriffs geht Zitelmann deduktiv vor. Er behandelt das Rechtsgeschäft als Unterfa11 der Handlung, so daß in der Handlungslehre die Weichen für die Rechtsgeschäftslehre gestellt werden.
a) Die Fundierung des Modells im menschlichen Selbsterhaltungstrieb Zitelmann entwickelt zunächst das Modell der einfachen Handlungsreihe: Aus einem Gefühl des Mangels und der damit einhergehenden Unlust erwächst der Trieb, dieses Mangel- und Unlustgefühl aufzuheben. l Zu dem Trieb tritt die Vorstellung detjenigen Handlung hinzu, die zur Befriedigung des Triebs geeignet ist. Trieb und Vorstellung zusannnen bewirken unmittelbar und notwendig den Willen zu dieser Handlung. 2 Ihr Vollzug verwandelt dann die am Anfang der einfachen Handlungsreihe stehende Unlust in Lust. 3 Als Handlung versteht Zitelmann in diesem Zusammenhang die bewußt gewollte körperliche Bewegung. Der Wille ist derjenige psychische Akt, der unmittelbar auf die motorischen Nerven einwirkt und so Ursache einer körperlichen Bewegung ist. 4 Zitelmann entwickelt hier also zunächst einen engen mechanistischen Willensbegriff. 5 Zieht man zudem in Betracht, daß er offenbar dem oben skizzierten Ablauf der einfachen Handlungsreihe eine gewisse Zwangsläufigkeit zuschreibt, was vor allem deutlich wird, wenn er den Handlungswillen als unmittelbare und notwendige Folge von Trieb und Vorstellung ansieht, so scheint Zitelmann seiner Konzeption ein mechanistisches Bild des Menschen zugmndezulegen, das dem Tiermenschen Kants nahekommt. 1m Gegensatz zu Kant stellt Zitelmann dann aber die Triebe in den Dienst der menschlichen Selbsterhaltung, wenn er das Streben nach Selbsterhaltung als Wesenszug der menschlichen Seele kennzeichnet6 und den einzelnen Trieb nur als Vgl. Zitelmann, Irrtum Wld Rechtsgeschäft, S. 92 f. Ders., Irrtum Wld Rechtsgeschäft, S. 107 f. 3 Ders., Irrtum Wld Rechtsgeschäft, S. 97. Zum Ansatz Zitelmanns vgl. auch Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, S. 157 f. 4 Vgl. Zitelmann, Irrtum Wld Rechtsgeschäft, S. 79. 5 Kritisch zu diesem mechanistischen Willensverständnis Zitelmanns Enneccerus, Rechtsgeschäft, BedingWlg Wld Anfangstermin, S. 9 ff. 6 Vgl. ZiteImann, Irrtum Wld Rechtsgeschäft, S. 93. I
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3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
durch ein besonderes Objekt individualisierten Selbsterhaltungstrieb auffaßt. 7 Zitehnann gewinnt an dieser Stelle den Anschluß an Hobbes, der ja die Frage, wie der Mensch seinen Selbsterhaltungstrieb befriedigen kann, als Ausgangspunkt seiner moralphilosophischen Konzeption wählt. 8 Hobbes gibt mit der natürlichen Freiheit, die sich dann im Machtstreben des Menschen verwirklicht, eine erste Teillösung fiir das Problem der menschlichen Selbsterlialtung, die bereits den Mitmenschen ins Auge faßt, allerdings nur als "negative Größe", d.h. als Antagonisten, dessen entgegengesetztes Machtstreben im Naturzustand durch Betrug und Gewalt überwunden werden muß. Der einfachen Handlungsreihe Zitehnanns fehlt dagegen noch der Bezug auf den anderen, sei es als Gegner oder als Partner. Es handelt sich um ein stark vereinfachtes Modell, das aber mit seiner Fundierung im Selbsterhaltungstrieb des einzelnen doch schon unverkennbare Anklänge an den individualistischen Grundbegriffvon Hobbes' System, die natürliche Freiheit, zeigt. Zitehnann entwickelt die einfache Handlungsreihe fort zur erweiterten Handlungsreihe. Ausgangspunkt ist die Überlegung, daß es häufig nicht möglich ist, vorhandene Unlust allein durch eine bestimmte körperliche Bewegung unmittelbar aufzuheben, sondern daß dazu erst ein zwischengeschalteter Erfolg notwendig ist bzw. eine Abfolge mehrerer kausal miteinander verknüpfter Erfolge. 9 Daraus ergeben sich fiir Zitehnann Schwierigkeiten im Hinblick auf sein Verständnis des Willens, den er ja zunächst nur als Willen zur körperlichen Bewegung, als Akt, der die motorischen Nerven in Erregung setzt, verstanden hat. IO Auf der Grundlage dieses engen, mechanistischen Willensbegriffs muß Zitehnann einräumen, daß die psychische Beziehung des Menschen zu dem zwischengeschalteten Erfolg der erweiterten Handlungsreihe eigentlich nicht als Wille aufgefaßt werden kann. I I Zitehnann bezieht dieses "Wollen des Erfolgs" dann aber doch als "mittelbaren Willen" oder "Absicht" in den Begriff des Willens ein. I2 Er rechtfertigt das mit dem Hinweis, die Seele sei am erstrebten Erfolg ebenso interessiert wie im Rahmen der einfachen Handlungsreihe an der Handlung. I3 Zudem sei sie als Auslöserin der den weiteren Erfolg nach sich ziehenden körperlichen Bewegung wenn auch nicht unmittelbare, so doch entferntere oder mittelbare Ursache dieses Erfolgs. I4
Ders., Irrtwn und Rechtsgeschäft, S. 93. Vgl. dazu Schapp, Freiheit, Moral und Recht, S. 86. 9 Vgl. Zitehnann, Irrtwn und Rechtsgeschäft, S. 115 f. 10 Ders., Irrtwn und Rechtsgeschäft, S. 118. 11 Ders., Irrtwn und Rechtsgeschäft, S. 117-127. 12 Ders., Irrtwn und Rechtsgeschäft, S. 131. 13 Ders., Irrtwn lmd Rechtsgeschäft, S. 127 f. 14 Ders., Irrtwn und Rechtsgeschäft, S. 128 f. 7
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I. Die Rechtsgeschäftslehre Zitelmanns
113
Zusammen mit dem Wollen der körperlichen Bewegung, das als unmittelbarer Wille oder Wille im engeren Sinne bezeichnet wird, bildet das Wollen des Erfolgs als mittelbarer Wille oder Absicht den Willen im weiteren Sinne.15 Indem er so den Willensbegriff erweitert, tut Zitelmann den Schritt von einem mechanistischen zu einem organischen Willensverständnis. Das enggefaßte Verständnis des Willens allein als psychischer Akt, der die motorischen Nerven in Bewegung setzt, erscheint zwar zunächst als psychologischer Begriff, dessen Konturen sich mit naturwissenschaftlicher Exaktheit umreißen lassen, elWeist sich dann aber doch als zu schmale Basis einer Handlungs- und Rechtsgeschäftslehre. Wenn Zitelmann die erfolgsbezogene Absicht in den Willensbegriff einbezieht und das vor allem mit dem Interesse des Handelnden am beabsichtigten Erfolg begründet , so ist das nur konsequent, wenn man bedenkt, daß ja sowohl die einfache wie die elWeiterte Handlungsreihe letztendlich auf das Ziel der Selbsterhaltung des einzelnen bezogen sind: Aus seiner Sicht liegt die entscheidende Gemeinsamkeit von unmittelbar gewollter Handlung und beabsichtigtem Erfolg gerade darin, daß beide für die eigene Selbsterhaltung erforderlich sind. Wenn Zitelrnann, indem er den Willen im weiteren Sinne konzipiert, von einer mechanistischen, vermeintlich streng naturwissenschaftlichen Sicht zu einer wertenden Betrachtung vom Standpunkt des Handelnden aus übergeht, so liegt das also durchaus in der Konsequenz seines Ansatzes beim menschlichen Selbsterhaltungstrieb. Mehr noch: Erst durch diese elWeiterte Perspektive auf den Willen beseitigt Zitelmann - zunächst - die Dissonanz zwischen dem "organischen Ansatz" beim Selbsterhaltungstrieb des Menschen und dem mechanistischen Verständnis des Willens als eines nur auf Erregung der motorischen Nerven gerichteten psychischen Aktes.
b) Das Verhältnis der einzelnen Willensinhalte innerhalb der erweiterten Handlungsreihe In der elWeiterten Handlungsreihe stellt sich nun die Frage, in welchem Verhältnis die verschiedenen Bestandteile des Willens i.w.S. zueinander stehen: Wie verhält sich der unmittelbare Handlungswille zu der Absicht, die auf den Erfolg der Handlung gerichtet ist, wie verhält sich diese Absicht zu der Absicht, die sich auf den Erfolg dieses Erfolges bezieht usf? Die Beziehung der einzelnen Willensinhalte zueinander kann unter zwei verschiedenen Aspekten betrachtet werden. Zum einen ist es denkbar, jeden einzelnen Willensinhalt daraufhin zu untersuchen, inwiefern er Ursache und inwiefern er Wirkung anderer Willensinhalte ist. Diese Betrachtungsweise erscheint adäquat, wenn man bestrebt ist, das menschliche Denken und Handeln unter dem Gesichts15
Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 131.
8 Huda
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3. Teil: Freiheit, Moral Wld Recht im Rechtsgeschäft
punkt der Kausalität zu erfassen. Eine derartige "quasi-naturwissenschaftliche" Sichtweise liegt ja Zitebnanns ursprünglichem engen Verständnis des Willens als eines psychischen Aktes zugnmde, der unmittelbar die motorischen Nerven in Bewegung setzt.
1m Gegensatz dazu könnten die verschiedenen Willensinhalte auch unter dem Aspekt der Bedeutung gesehen werden, die sie für den Handelnden haben. Beurteilungskriterlum wäre hier ihre Beziehung zu dem letztendlich verfolgten Ziel, Unlust zu beseitigen und so dem eigenen Selbsterhaltungstrieb Genüge zu tun. Aufgrund einer solchen wertenden Betrachtungsweise hat sich ja Zitelmann für berechtigt gehalten, die erfolgsbezogene Absicht in den Willen i.w.S. zu integrieren. Es wäre daher nur konsequent, wenn er diese Perspektive jetzt beibehielte und die einzelnen Willensinhalte nicht in einer Kausalkette aneinanderreihte, sondern hierarchisch in einer Pyramide anordnete, an deren Spitze der für den Handelnden subjektiv wichtigste Willensinhalt stünde. Von dieser an sich naheliegenden Vorgehensweise macht Zitelmann jedoch keinen Gebrauch, sondern entscheidet sich stattdessen dafür, die verschiedenen Elemente des Willens i.w.S. nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung aufeinander zu beziehen. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, daß jeder fernere Willensinhalt Ursache bzw. Motiv des näheren Willensinhalts ist. 16 Die körperliche Bewegung wird gewolh, weil der als ihre Folge vorgesteJhe erste Erfolg beabsichtigt ist. Die Absicht hinsichtlich des ersten Erfolgs ist also zugleich Motiv bezüglich des unmittelbaren Handlungswillens. Entsprechend wird der erste Erfolg beabsichtigt, weil der als seine Folge vorgestellte weitere Erfolg beabsichtigt ist; das Wollen des weiteren Erfolgs bildet also das Motiv für das Wollen des ersten Erfolgs USW. 17 Der Vorstellung eines bestimmten Erfolgs kommt demnach eine doppelte Funktion zu: Die betreffende Vorstellung ist Element der auf diesen Erfolg gerichteten Absicht und zugleich Motiv, den unmittelbar vorangegangenen Erfolg bzw. die unmittelbar vorangegangene Handlung zu wollen. 18 Etwas anderes gilt aber nach Zitelmann für diejenigen Vorstellungen, welche das Unlustgefiihl verursachen, von dem die ganze erweiterte Handlungsreihe ihren Ausgang nimmt. Die Aufhebung dieses Unlustge:fiihls bezeichnet er als psychischen Endzweck der Handlung, der zur Setzung des realen Endzwecks motiviert, d.h. zur Beabsichtigung des letzten Erfolgs, den man sich als Endpunkt des durch die Handlung angestoßenen Kausalablaufs vorstellt. 19 Diese Vorstellungen, die das ursprüngliche Unlustgefiihl und damit dann den psychischen Endzweck seiner 16 17
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Ders., Irrtmn Wld Rechtsgeschäft, S. Ders., Irrtmn Wld Rechtsgeschäft, S. Ders., Irrtmn Wld Rechtsgeschäft, S. Ders., Irrtmn Wld Rechtsgeschäft, S.
165. 157-160. 159 f. 160 f.
1. Die Rechtsgeschäftslehre Zitelmanns
115
Aufhebung erzeugen, beziehen sich Zitelmann zufolge nicht wiederum auf weitere Folgen dieses Zwecks: Dieser ist ja eben Endzweck und damit seinerseits nicht mehr Mittel zu weiteren Zwecken?O Deshalb sind die Vorstellungen, die zur Setzung des psychischen Endzwecks motivieren, im Gegensatz zu allen anderen Vorstellungen innerhalb der erweiterten Handlungsreihe nicht Absichtselement, sondern kommen bloß als Motive in Betracht.21 Diese Unterscheidung erscheint nun allerdings schon dann fragwürdig, wenn man die Beziehungen zwischen den einzelnen Willensinhalten nur unter Kausalitätsgesichtspunkten betrachtet. Wenn Zitelmann anninunt, es gebe Vorstellungen, die einen psychischen Endzweck der erweiterten Handlungsreihe hervorriefen, ihrerseits aber nicht mehr auf weitere Ursachen ZUfÜckfiilubar seien und deshalb ausschließlich als Motive in Betracht kämen, so liegt die Entgegnung nahe, daß gemeinsame Ursache all dieser Vorstellungen letzten Endes der menschliche Selbsterhaltungstrieb ist. Auch diejenigen Vorstellungen, die zur Setzung des psychischen Endzwecks motivieren, beziehen sich damit auf die eigene Selbsterhaltung als letzte Folge dieses nur vermeintlichen Endzwecks. Entgegen Zitelmann lassen sich daher auch diese Vorstellungen ihrerseits wieder als Absichtselemente verständlich machen. Erst recht rückte das Streben des Menschen nach Selbsterhaltung ins Blickfeld, würde Zitelmann die einzelnen Willensinhalte nicht unter dem Aspekt der Kausalität betrachten, sondern im Hinblick auf die Bedeutung, die sie aus der Sicht des Handelnden haben: Offenbar weisen doch gerade diejenigen Vorstellungen, die zur Setzung des psychischen Endzwecks motivieren und damit erst die gesamte erweiterte Handlungsreihe anstoßen, den engsten Bezug zum Selbsterhaltungstrieb des Menschen auf Den Vorstellungen, die dann dazu motivieren, bestimmte Mittel zur Verwirklichung des Zwecks zu wählen, kommt doch wohl im Verständnis des Handelnden ein vergleichsweise minderer Rang zu. Obwohl der Rückbezug der am Anfang der erweiterten Handlungsreihe stehenden Vorstellungen auf den menschlichen Selbsterhaltungstrieb sich also förmlich aufdrängt, vermeidet Zitelmann ihn hier. Er spricht statt dessen davon, die Frage nach den Ursachen der Unlust und damit nach den Motiven zur Setzung des psychischen Endzwecks könne immer nur im konkreten Fall beantwortet werden?2 Gerade diese aus der Sicht des Handelnden entscheidend wichtigen Motive erscheinen so als Bereich, der einer inhaltlichen Gliederung kaum fähig und damit aus dem Blickwinkel der Wissenschaft von geringerem Interesse ist. Die Sphäre der ''bloßen Motive" erfährt hier also eine Abwertung, die im Widerspruch dazu steht, daß gera20
Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 164 f.
21 Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 165. 22
Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 161 und S. 166.
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3. Teil: Freiheit, Morallllld Recht im Rechtsgeschäft
de die Motive zur Setzung des psychischen Endzwecks aus der Sicht des Handelnden die wohl bedeutsamsten sind. Diese Abwertung des Motivbereichs setzt sich dann später in der Irrtumslehre fort. Die irrige Vorstellung hinsichtlich der körperlichen Bewegung, also der Irrtum im Handlungsbewußtsein - Beispiel: man verspricht sich -, führt dazu, daß in bezug auf die in Wirklichkeit vollzogene Handlung überhaupt kein Bewußtsein vorhanden ist. Ebenso bewirkt die Fehlvorstellung über die Folge der Handlung, daß in bezug auf den tatsächlich eingetretenen Erfolg überhaupt keine Absicht vorliegt.23 Dagegen ist die Vorstellung, die zur Setzung des psychischen Endzwecks der Handlungsreihe fUhrt, stets Motiv, gleichgültig ob sie wahr oder irrig ist. 24 Zitelmann führt dazu aus, die Vorstellung, welche Motiv sei, habe keine inhaltliche Beziehung zur körperlichen Bewegung und zu deren Erfolg, sondern nur eine funktionelle. 25 An dieser Stelle löst sich Zitelmann in besonders augenfalliger Weise von der wertenden Betrachtung der einzelnen Willenselemente aus der Sicht des Handelnden, mit der er ja an anderer Stelle erst begIiindet hatte, warum die Einbeziehung der erfolgsbezogenen Absicht in den Willen i.w.S. gerechtfertigt ist. Aus der Perspektive des Handelnden geben ja gerade die Motive, die ihn zum Handeln bewogen haben, der gesamten Handlungsreihe erst ihren Sinn. Sie stehen also entgegen Zitelmann in einer denkbar engen inhaltlichen Beziehung zur Handlung und zu deren Erfolg. Ein Motivirrtum wird häufig dazu führen, daß der gesamte vom Handelnden angestoßene Kausalablauf fiir ihn sinnlos wird. Wenn demnach Zitelmann in der dargestellten Weise die Bedeutung des Motivs und des Motivirrtums sclunälert, so bedeutet das einen erneuten Perspektivenwechsel: Nachdem er von der anfangs eingenommenen mechanistischen, "quasinaturwissenschaftlichen" Sicht des Willens zu einer wertenden Betrachtungsweise aus Sicht des Wollenden und Handelnden übergegangen ist, gibt er diese Perspektive bei der Behandlung des Motivbereichs jetzt wieder auf. Es scheint, als kehre Zitelmann damit zu seiner anfänglichen, vor allem am Kriterium der Kausalität orientierten und insofern naturwissenschaftlich anmutenden Sichtweise zurück. Nun hatte Zitelmann mit der erweiterten Handlungsreihe ein in sich konsistentes Modell des psychologischen Ablaufs entwickelt, in dem sich der menschliche Selbsterhaltungstrieb manifestiert. Die Fundierung des Modells im Selbsterhaltungstrieb des Individuums verweist auf seine Verwandtschaft mit der natürlichen Freiheit von Robbes, die auf derselben Grundlage ruht, ja man kann vielleicht die erweiterte Handlungsreihe als natürliche Freiheit im psychologischen Gewand ansehen. Wenn Zitelmann nun das Gewicht der Motivebene verringert, so verträgt sich 23 24 25
Ders., Irrtum lllld Rechtsgeschäft, S. 327 f. Ders., Irrtum lllld Rechtsgeschäft, S. 328 f. Ders., Irrtum lllld Rechtsgeschäft, S. 328.
I. Die Rechtsgeschäftslehre Zitelmanns
117
das kaum mit dem naturalistischen Gepräge der erweiterten Handlungsreihe. Den Auswirkungen, den dieser erneute Perspektivenwechsel dann in der Rechtsgeschäftslehre, insbesondere fiir den dort zugrundegelegten Freiheitsbegriff, hat, ist im folgenden nachzugehen.
2. Die Unterscheidung von Motiv und Geschäftswille als moralische Läuterung des natürlichen Willens a) Das Spannungsverhältnis von individualistischem Grundansatz und Unbeachtlichkeit des Motivirrtums
Bei der Entwicklung des Rechtsgeschäftsbegriffs stellt Zitebnann folgende Überlegungen an: Das Recht als die Interessenordnung der Menschen ist, bezogen auf den einzelnen, dessen vernünftige Freiheit. Demgemäß muß die Rechtsordnung es dem einzelnen ermöglichen, seine Interessen durch eigenes Handeln zu verfolgen, indem sie ihm die Gestaltung seines Rechtskreises in weitem Umfang überläßt, ihm also insoweit Autonomie einräumt. In besonderem Maße gilt dies fiir das Privatrecht, das in erster Linie den egoistischen Interessen des Individuums und dem Verkehr der einzelnen untereinander dient. 26 Die Aufgabe, dem einzelnen Autonomie zu gewähren, löst das Privatrecht durch das Institut der Willenserklärung. Begehrt der einzelne eine Rechtsfolge, so knüpft das Recht die Rechtsfolge an diesen Willen, sofern der Wille erklärt wird. 27 Die Schaffung einer Rechtsfolge durch darauf gerichtete Willenserklärung bezeichnet Zitebnann als Rechtsgeschäjt?8 Da das Rechtsgeschäft ein Unterfall der juristischen Handlung und damit auch der Handlung überhaupt ist, entspricht sein Aufbau dem der erweiterten Handlungsreihe: Aufgrund motivierender Vorstellungen wird ein in bestimmter Weise qualifizierter Erfolg beabsichtigt, nämlich ein rechtlicher Erfolg bzw. eine Rechtsfolge. Die Rechtsfolgeabsicht wird verwirklicht durch eine bestimmte Handlung, nämlich die Erklärung dieser Absicht. Erklärungswille und Rechtsfolgeabsicht sind die beiden psychischen Säulen, die das Rechtsgeschäft tragen. Bei einem Irrtum in der Erklärungshandlung fehlt in bezug auf die in Wirklichkeit vorgenommene Erklärung das Bewußtsein, der Tatbestand des Rechtsgeschäfts ist damit unvollständig und eine Rechtsfolge kann nicht eintreten; das Rechtsgeschäft ist nichtig?9 Entsprechendes gilt bei einem Irrtum hinsichtlich der 26 27 28
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Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 234. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 245. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 288. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 34l.
3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
118
als beabsichtigt erklärten Rechtsfolge. 30 Sind dagegen Vorstellungen irrig, die zur Vornahme des Rechtsgeschäfts motivieren, liegt also ein Irrtum im Motiv vor, so bertihrt das die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts nicht. 3! Zitelmann formuliert damit den zentralen Gedanken seiner Rechtsgeschäftslehre, die Unterscheidung von rechtlich beachtlicher Rechtsfolgeabsicht und rechtlich unbeachtlichem Motiv. Er sieht darin eine unbedingt notwendige Konsequenz des Rechtsgeschäftsbegriffs, die sich so sehr von selbst verstehe wie der Satz, daß das Dreieck drei Seiten hat. 32 Der Versuch, mit einer so apodiktischen Formulierung die eigenen Ergebnisse als unangreifbar erscheinen zu lassen, ist geeignet, Zweifel an deren Plausibilität zu wecken. Die Abwertung des Motivbereichs, die sich in Zitelmanns Ausfuhrungen zur erweiterten Handlungsreihe schon angekündigt hat und die nun in der Rechtsgeschäftslehre in den Satz von der grundsätzlichen Unbeachtlichkeit des Motivirrtums mündet, sieht sich nun in der Tat auch hier Bedenken ausgesetzt. Nach Zitelmann ist das Privatrecht vor allem den egoistischen Interessen des einzelnen zu dienen bestimmt und stellt ihm zu diesem Zweck das Rechtsgeschäft zur Verfiigung. Bei diesem konsequent individualistischen Ansatz liegt es nun an sich nahe, gerade den Motivirrtum als rechtlich beachtlich zu behandeln, denn in der Motivebene setzt sich der einzelne ja die Zwecke, für die er das Rechtsgeschäft lediglich als Mittel einsetzt. Irrt er also im Motiv und kann deshalb den mit dem Rechtsgeschäft verfolgten Zweck nicht erreichen, so kann das gesamte Geschäft für ihn seinen Sinn verlieren, mag es sich auch, weil Erklärungsbewußtsein und Rechtsfolgeabsicht einwandfrei gebildet sind, um ein fehlerfreies und damit wirksames Rechtsgeschäft im Sinne Zitelmanns handeln. Insoweit sieht sich die Rechtsgeschäftslehre Zitelmanns vergleichbaren Bedenken ausgesetzt wie seine Handlungslehre. b) Schloßmanns Kritik an Zitelmann Ausgehend von diesen Einwänden läßt sich dann weiter fragen, ob eine Rechtsfolgeabsicht, die auf juristisch präzisierte Rechtsfolgen geht und von ihren in der Lebenswelt liegenden Motiven mit Schärfe getrennt werden kann, nicht eher eine Fiktion ist als ein psychologisches Faktum, wie Zitelmann annimmt. Eine in diese Richtung zielende scharfe Kritik der Rechtsgeschäftslehre Zitelmanns hat denn auch nicht auf sich warten lassen. Sie wird vorgetragen von Siegmund Schloßmann in einer 1880, ein Jahr nach dem Erscheinen von "Irrtum und Rechtsgeschäft", veröffentlichten Rezension.
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Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 342. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 342. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 343.
I. Die Rechtsgeschäftslehre Zitelmanns
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Ein Hauptpunkt von Schloßmanns Kritik lautet, wer ein Geschäft vornehme, dessen Absicht gehe in erster Linie nicht auf Rechtsfolgen, sondern auf wirtschaftliehe Folgen?3 Nach Schloßmann sind die wirtschaftlichen Begehrungen der Menschen auf Haben, Herrschen, Gebrauchen, Genießen gerichtet. Diebstahl, Raub, Unterschlagung, Betrug und Untreue sind die gesellschaftsfeindlichen Mittel, um diese Begehrungen zu befriedigen. Daneben steht als friedliches Mittel der geschäftliche Tauschverkehr, der sich aus der Verschiedenartigkeit des Besitzes und der Bedürfnisse und aus der Spekulation auf den fremden Egoismus entwickelt hat, den der einzelne sich dienstbar zu machen sucht. 34 Schloßmann verdeutlicht seine Auffassung anhand eines Beispiels: Wer einen Pelz beim Kürschner bestellt, der tut dies nicht, weil er einen Anspruch auf Lieferung eines Pelzes oder eine actio emti erwerben will, sondern weil es kalt ist. Wenn er den Pelz in Empfang nimmt, so nicht, um das Eigentum an ihm zu erwerben und fortan gegen störende Dritte die EigentümeIbefugnisse geltend machen zu können, sondern um ihn bei dem herrschenden Frost in Gebrauch zu nehmen. 35 Schloßmann fundiert damit das Rechtsgeschäft in den Begehrungen und Bedürfnissen des einzelnen. Er befindet sich insoweit durchaus noch in Übereinstimmung mit Zitelmann, der ja ebenfalls mit der Unlust, die der Abschluß eines Rechtsgeschäfts als Unterfall der erweiterten Handlungsreihe beseitigen soll, dem Rechtsgeschäft eine individualistische und naturalistische Grundierung gibt. hn Gegensatz zu Zitelmann zieht Schloßmann aber daraus die Konsequenz, dessen scharfe Unterscheidung von Rechtsfolgeabsicht und Motiv gerade zu verwerfen. An die Stelle des Rechtsfolgewillens tritt das Wollen wirtschaftlicher Erfolge, das, wie besonders das Beispiel des Pelzkaufs verdeutlicht, aufs engste mit den zugrundeliegenden Motiven verwoben ist. Diese Motive wiederum zielen ab auf die Beseitigung von Unlustgefiihlen und damit letztlich auf die eigene Selbsterhaltung. Schärfer noch als Zitelmann akzentuiert Schloßmann damit den individualistischen, egoistischen Charakter des Parteiwillens im Rechtsgeschäft. Insbesondere wenn er das Rechtsgeschäft erst nach Diebstahl, Raub, Unterschlagung, Betrug und Untreue als Mittel der Bedürfnisbefriedigung nennt, so wird deutlich, daß hier der andere, der Geschäftspartner, eigentlich nicht als Partner, sondern nur als Gegner ins Blickfeld rückt, dessen dem meinen entgegengesetzten Egoismus ich stets zu gewärtigen und möglichst zu überwinden habe. Bei diesem Ausgangspunkt fragt sich aber, ob das Rechtsgeschäft, insbesondere der wirtschaftliche AustaUSChvertrag als wohl wichtigster Fall des Rechtsgeschäfts die ihm von Schloßmann zugeschriebene Funktion überhaupt erfiillen kann, die
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Vgl. Schloßmann, Grünhuts Zeitschrift VII, S. 569. Ders., Grünhuts Zeitschrift VII, S. 570. Ders., Grünhuts Zeitschrift VII, S. 570.
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3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
wirtschaftlichen Begehnmgen von Menschen zu befriedigen. Offenbar stellt doch ein Geschäftswille, der nur auf ein wirtschaftlich verstandenes Haben und Genießen geht und als solcher aufs engste verknüpft ist mit seinen in der Sphäre der Begierden liegenden Motiven, für den Geschäftspartner einen ausgesprochenen Unsicherheitsfaktor dar. So wird, um im Beispiel zu bleiben, der Kürschner allen Anlaß haben, um die Vertragstreue des Käufers zu fiirchten, wenn der Frost milderen Temperaturen weicht und damit für den Käufer das Motiv entfallt, das ihn zur Bestellung des Pelzes bewogen hat. Auseinandersetzungen zwischen den Parteien, die aus enttäuschten Motiven eines Partners resultieren, wären eher die Regel als die Ausnahme, der Vertrag als Instrument des Güteraustausches kaum noch geeignet. Schloßmann muß denn auch konzedieren, der allgemeine Egoismus führe auch zum Streit: Bei Ausführung des Vertrags zeige sich häufig, daß die bei seinem Abschluß angenommene Interessenharmonie nicht bestehe, vielmehr die Interessen des einen die Aufopferung oder Beschränkung derer des anderen forderten. 36 Hier trete dann das Recht von außen als streitschlichtendes, kollisionenhebendes, ordnendes Prinzip zu den Geschäften hinzu?7 Wenn Schloßmann hier die konfliktsentscheidende Funktion des Rechts nennt, so spricht er damit durchaus einen Punkt an, dem fiir die Erfassung der Aufgabe des Rechts große Bedeutung zukommt. Das Rechtsgeschäft, so wie Schloßmann es konzipiert, ist aber in sich nicht genügend gefestigt, um dem Recht als Ansatzpunkt dienen zu können, an den es bei seiner Konfliktsentscheidung anknüpfen kann. Um seine konfliktsentscheidende Funktion erfiillen zu können, ist das Recht darauf angewiesen, daß die große Mehrzahl der Verträge freiwillig erfiillt wird, ansonsten känie es schnell zur Überforderung des staatlichen Justizapparates. Gerade die einseitige Ausrichtung des Geschäftswillens auf das wirtschaftliche Habenwollen und seine damit einhergehende Verquickung mit der Motivebene bei Schloßmann beschwört aber die Gefahr einer aus fehlender Vertragstreue erwachsenden Zahl von Streitigkeiten herauf, derer das Recht alsbald kaum noch Herr werden könnte. Es scheint also, als hätte Zitelmanns scharfe Unterscheidung von Geschäftswille und Motiv doch eine tiefere Berechtigung. c) Die Abschichtung der Motive als moralisches Prinzip
des Vertragsbereichs
In der Tat ist fiir die Motive ihre eigentümliche Doppelnatur kennzeichnend. Zum einen verweisen sie auf die Zwecke, zu deren Erreichung der einzelne das
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Ders., Griinhuts Zeitschrift vrr, S. 570 f. Ders., Grünhuts Zeitschrift vrr, S. 571.
I. Die Rechtsgeschäftslehre Zitelmanns
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Rechtsgeschäft, hier in erster Linie den Vertrag, als Mittel einsetzt. 38 Bei der Setzung seiner Zwecke genießt der einzelne Freiheit. In dieser Freiheit der Zwecksetzung liegt ein wesentlicher Aspekt der Privatautonomie. 39 Bereits dieser Freiheitsraum unterliegt moralischen Bindungen40 , doch neigen wir dazu, ihn primär der Selbsterhaltung des einzelnen und damit der natürlichen Freiheit im Sinne von Hohbes zuzuordnen, wenn man Selbsterhaltung nicht zu eng auf die Bewahrung der physischen Existenz des Menschen begrenzt, sondern etwa auch die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit durch Wahmelunung kultureller Interessen oder die Pflege der Beziehungen zu anderen einbezieht. Aus ihrer Verankerung in dieser Sphäre privatautonomer Zwecksetzung erklärt sich die große Bedeutung, die aus der Sicht des einzelnen seinen Motiven zukommt, die ihn zum Abschluß eines Rechtsgeschäfts veranlassen. Auf der anderen Seite aber entziehen sich diese Motive nicht nur häufig der Kenntnis des Vertragspartners, sie sind für den anderen, der seinerseits den Vertrag nur als Mittel zur Verfolgung eigener privatautonom gewählter Zwecke einsetzt, auch dann regelmäßig uninteressant, wenn er sie kennt. Sein Interesse geht vielmehr dahin, daß der Vertrag als Mittel zur Erreichung der eigenen Zwecke störungsfrei funktioniert. Das aber setzt voraus, daß der Vertragschließende dem Partner eigene Fehlvorstellungen im Motivbereich im Regelfalle nicht entgegenhalten darf, um vom Vertrage loszukommen, soll nicht der Vertrag alsbald seine Tauglichkeit einbüßen, als Mittel für die Verwirklichung privatautonom gesetzter Zwekke zu dienen. Hier scheint uns nun der eigentliche Sinn der von Zitelmann getroffenen scharfen Unterscheidung zwischen Motiv und Geschäftswille zu liegen: Schon im Vorfeld des in Aussicht genommenen Vertragsschlusses ist sich der einzelne grundsätzlich darüber im klaren, daß er dem Vertragspartner etwaige Motivirrtümer, also die Verfehlung von Zwecken, die er mit dem Vertrag verfolgt, nicht entgegenhalten darf, um vom Vertrage loszukommen. Nur wenn der einzelne seine Motive auf diese Weise von seinem Geschäftswillen abschichtet, wird er grundsätzlich "vertragsfähig" , gewinnt also jenes Maß an Berechenbarkeit, das es dem anderen überhaupt erst erlaubt, mit ihm zu kontrahieren. Unsere These geht also dahin, daß der Geschäftswille gerade nicht identisch ist mit dem ursprünglichen "Habenwollen" einer Sache, das seinerseits aus Unlustgefiihlen und entsprechenden Vorstellungen entsprungen sein mag. Das ursprüngliche "Haben-, Herrschen- und Genießenwollen" in bezug auf den in Aussicht genommenen Geschäftsgegenstand, das sich durchaus dem Machtstreben des Menschen und seiner natürlichen Freiheit 38 Vgl. zu dieser Dimension der Motive Schapp, Gnmdfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 50-54. 39 Vgl. dazu ders., Rechtsgeschäftslehre, S. 50. 40 Ders., Rechtsgeschäftslehre, S. 51.
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3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
zuordnen läßt, durchläuft vielmehr nach unserer Auffassung auf dem Weg zur Bildung des Geschäftswillens eine erste Stufe moralischer Läuterung. Diese erste Stufe moralischer Läuterung hat Zitelmann der Sache nach mit der Trennung von Motiv und Geschäftswille prägnant auf den Punkt gebracht. Die Motive gehören der Sphäre der eigenen Selbsterhaltung an, den aus dem Selbsterhaltungstrieb geborenen Unlustgefühlen und dem daraus erwachsenen Machtstreben, das sich zum Habenwollen bestimmter Objekte konkretisiert. Der Geschäftswille dagegen faßt schon den anderen ins Auge, in dessen Händen sich das begehrte Objekt zunächst noch befindet, indem er sich einen Inhalt gibt, der es dem anderen mutmaßlich ermöglicht, diesem Willen im Akt des Vertragsschlusses zuzustimmen und dann aufgrund dieses Vertragsschlusses den begehrten Geschäftsgegenstand wegzugeben. Diese aus Rücksicht auf den zukünftigen Vertragspartner gebotene Trennung des Geschäftswillens von seinen Motiven vollzieht der einzelne in seinem Inneren, wenn er seinen Geschäftswillen bildet. Wenn Zitelmann die Trennung von Motiv und Geschäftswille psychologisch begründet, so hat dieses Vorgehen in den tatsächlichen psychologischen Abläufen also wohl durchaus eine reale Grundlage. Die Grundlage dieser Abschichtung bleibt aber unverständlich, wenn man den Geschäftswillen allein aus Selbsterhaltungstrieb, Unlustgefühlen und "natürlichem Habenwollen" des Menschen herzuleiten versucht, denn bei einem solchen Ansatzpunkt liegt im Gegenteil eher die enge Verquickung von Motiv und Geschäftswille nahe. Ebenso erscheint es aber verfehlt, die Beziehung von Motiv und Geschäftswille primär unter dem Gesichtspunkt von Ursache und Wirkung zu erfassen, wie Zitelmann dies tut. Er verkennt dabei, daß die von ilun herausgearbeitete Unterscheidung kein psychologisches Gesetz darstellt, aus dem sich mit naturwissenschaftlicher Sicherheit ableiten ließe, wann ein bestimmter Willensinhalt beachtliche Rechtsfolgeabsicht und wann er nur "unbeachtliches Motiv" ist. Richtiger dürfte es sein, in der Trennung von Motiv und Geschäftswille ein Prinzip zu sehen, das dem Geschäftswillen des einzelnen bereits vor Vertragsschluß in groben Umrissen die Konturen verleiht, die diesen Geschäftswillen überhaupt erst :fiir den präsumptiven Vertragspartner grundsätzlich zustimmungsfahig machen. Der systematische Ort dieses Prinzips läßt sich noch etwas genauer bestimmen: Als oberstes Prinzip der Moral betrachten wir, insofern der von Jan Schapp in "Freiheit, Moral und Recht" vorgetragenen Konzeption folgend, in einer ersten Sphäre der Moral die Pflicht, das Gesetz und damit den anderen wie sich selbst zu achten. 41 ln der zweiten moralischen Sphäre, der Ebene der lebensweltlichen Moral, bildet dann der Grundsatz, daß Verträge zu erfiillen sind (pacta sunt servanda), ein moralisches Prinzip mittlerer Abstraktionsstufe, das sich als Konkretisierung jenes 41
Vgl. Schapp, Freiheit, Moral und Recht, S. 188-198.
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obersten Moralgesetzes mit Blick auf die Lebenswelt darstellt. Betrachtet man den Vertragsbereich fiir sich, so mag man den Grundsatz, daß Verträge zu erfiillen sind, selbst wieder als oberstes moralisches Gebot fiir diesen Ausschnitt der Lebenswelt ansehen, das seinerseits noch der weiteren Konkretisierung bedarf. Als eine solche Konkretisierung des Grundsatzes "Pacta surrt servanda" fassen wir nun das Prinzip auf, wonach grundsätzlich unbeachtliches Motiv und beachtlicher Geschäftswille voneinander zu trennen siru!. Diese Auffassung erscheint berechtigt, wenn man bedenkt, daß ja Motivirrtümer einen Hauptgrund fiir die Versuchung darstellen, vertragsbrüchig zu werden. Mit der einfachen und dann der erweiterten Handlungsreihe hat Zitelmann ein psychologisches Modell entwickelt, das die menschlichen Handlungen auf den Selbsterhaltungstrieb des Menschen zurückfuhrt. Die erweiterte Handlungsreihe erscheint so als Pendant zur natürlichen Freiheit und zum Machtstreben des Menschen bei Hobbes, die ebenfalls der Selbsterhaltung des einzelnen dienen, doch fehlt der erweiterten Handlungsreihe im Gegensatz zur natürlichen Freiheit noch die Perspektive auf den anderen. Der andere kommt dann aber mit der Abschichtung der Motive vom Geschäftswillen in den Blick, die vom zunächst eingenommenen naturalistischen Standpunkt Zitehnanns aus unverständlich erscheint. Der Sinn dieser Abschichtung erschließt sich erst, wenn man die Ausgliederung der Motive aus dem Geschäftswillen begreift als Zuriickstufung der eigenen Belange zugunsten des zukünftigen Geschäftspartners. Indem ich die primär in der Sphäre der Begierden liegenden Motive aus meinem Geschäftswillen ausklammere und diesen Geschäftswillen damit erst fiir den anderen grundsätzlich akzeptabel mache, achte ich den anderen. Formt der einzelne einen in diesem Sinne vernünftigen Geschäftswillen, so kommt in dieser Vernunft seine moralische Freiheit zum Ausdruck, wenn man trotz der insoweit von Karrt geäußerten Bedenken die moralische Freiheit des Menschen gerade in der ZUlÜCkdrängung der eigenen Begierden auf e~ fiir den anderen erträgliches Maß sieht. Der Übergang von der Sphäre der eigenen Selbsterhaltung und der Begierden zur Sphäre der Vernunft, die sich in der Achtung des anderen manifestiert, erhält also in der Trennung von Motiv und Geschäftswille sein rechtsdogmatisches Abbild. Darin liegt der Wert dieses Kerngedankens von Zitehnanns Werk. Seine Schwäche liegt darin, daß Zitelmann den Charakter dieser Unterscheidung als moralisches Prinzip, das noch der weiteren Konkretisierung bedarf, nicht erkennt oder jedenfalls nicht offenlegt. Stattdessen begreift er die Abschichtung des Geschäftswillens von seinen Motiven als psychologisches Gesetz, das unmittelbar auf juristische Fälle anwendbar ist. Daraus müssen sich fiir Zitelmann Schwierigkeiten ergeben, adäquat die Aufgabe des Rechts zu erfassen, moralische Pflichten zu Rechtsptlichten zu konkretisieren, um konkrete Konflikte entscheiden zu können.
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3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
3. Das Recbt
a) Das Recht als Gedankenwelt idealer Rechtswirkungen In der Tat zeigt sich auch in ZiteIma:nns Ausführungen zum Recht seine Orientierung am Votbild der Natunvissenschaften, die bereits die eigentliche Substanz seiner Rechtsgeschäftslehre, nämlich die Entwicklung des Rechtsgeschäfts aus der natürlichen Freiheit des Menschen, die dann mit der Abschichtung von Motiv und Geschäftswille eine erste Stufe moralischer Läuterung durchläuft, eher verdunkelt als plausibel gemacht hatte. Diese Orientierung wird besonders deutlich, wenn Zitelrnann eine innere Wesensverwandtschaft zwischen Recht und Natur behauptet42 und das Recht als Nachbildung der Natur im Elemente des Gedankens charakterisiert. 43 Insbesondere ist es ihm darum zu tun, die Funktionsweise des Rechts unter dem Gesichtspunkt der Kausalität zu erfassen. Jeder einzelne Rechtssatz behauptet nach Zitelrnann eine Kausalvetbindung zwischen gewissen Tatsachen und einem Sollen im Sinne des Verpflichtetseins einer Person. 44 Geschaffen wird diese juristische Kausalität zwischen Tatbestand und Rechtsfolge durch den Gesetzgeber, dessen Disposition das Verpflichtetsein als rein ideale Folge untersteht. 45 Ist der einer idealen Rechtswirkung entsprechende tatsächliche Zustand nicht verwirklicht, so knüpft sich daran eine neue ideale Rechtswirkung USW. 46 Wenn sich auch die rein idealen Rechtswirkungen mit derselben unvetbrüchlichen Sicherheit als Wirkungen aus gegebenen Ursachen entwickeln wie die Naturereignisse47 , so haben sie doch über die realen Verhältnisse keine Macht. Verwirklicht wird das Recht in der Realität erst "durch eine rettende Tat,,48 , wobei Zitelrnann offenbar an den Zwang des Vollstreckungsverfahrens denkt, der dem an sich ohnmächtigen materiellen Recht zur Durchsetzung verhilft. Wenn Zitelrnann es in dieser Weise der Disposition des Gesetzgebers anheimstellt, die als rein ideale Rechtsfolge verstandene Verpflichtung nach dem Votbild der natürlichen Kausalität an bestimmte Tatsachen zu knüpfen, so wird er damit dem Bezug des Rechts auf die konkreten Konflikte der Lebenswelt nicht gerecht. Seine Ausführungen erwecken den Eindmck, es stehe weitgehend im Belieben des Gesetzgebers, in der geistigen Welt des Rechts bestimmte Tatsachen als Tatbestand nach dem kausalen Schema "wenn... , dann... " mit einer bestimmten Rechtsfolge zu 42 Vgl. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 200. 43 44 45
46 47 48
Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 203. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 222. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 224. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 208 f. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 208. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 209.
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verknüpfen. Diese Beschreibung des Rechts als eine Welt idealer Rechtswirkungen, die kraft des Willens des Gesetzgebers notwendig miteinander verknüpft sind, scheint nun zwar die Struktur des Rechts mit quasi-naturwissenschaftlicher Exaktheit zu erfassen. Die Sicherheit, welche die Übertragung des Kausalitätsschemas in den Bereich des Rechts venneintlich verheißt, wird aber erkauft mit dem weitgehenden Verlust seines Bezugs zur Lebenswelt. Bei Zitelmann stehen das Recht als geistige Welt idealer Rechtswirkungen und die "realen Verhältnisse" weitgehend unverbunden einander gegenüber, und erst durch "eine rettende Tat", d.h. durch Zwang, vermag das Recht auf die "realen Verhältnisse" einzuwirken. Die Frage liegt nahe, wodurch denn überhaupt die zwangsweise Einwirkung des Rechts auf die "realen Verhältnisse" gerechtfertigt ist, zu denen es sich in einer derartigen Fernstellung befindet. Offenbar verliert doch das Verpflichtetsein einer Person in dem Moment, in dem die Verpflichtung mittels Zwang durchgesetzt wird, seinen angeblichen Charakter als rein ideale Rechtsfolge und nimmt eine insbesondere für den Verpflichteten höchst reale Gestalt an. Dann kann dieses Verpflichtetsein aber von vornherein nicht als rein ideale Folge der Disposition des Gesetzgebers unterliegen. Diese gesetzgeberische Disposition ist vielmehr von Anfang an begrenzt durch die Aufgabe des Rechts, konkrete Konflikte der Lebenswelt zu entscheiden, indem es moralische Pflichten als zwangsbewehrte Rechtspflichten ausgestaltet. Indem der Gesetzgeber Pflichten der lebensweltlichen Moral wie etwa die Verpflichtung, geschlossene Verträge zu erfiillen, bereits vorfindet, steht ihm von vornherein nur ein begrenzter Rahmen zur Verfügung, innerhalb dessen sich die von ihm statuierten Rechtspflichten halten müssen, wenn sie von den Rechtsgenossen akzeptiert werden sollen. Wenn also die Rechtspflichten auf den moralischen Pflichten aufbauen, so sind sie damit in groben Zügen bereits inhaltlich ausgestaltet, unterstehen also nicht, wie Zitelmann meint, als rein ideale Folgen der Disposition des Gesetzgebers. Auf der anderen Seite gibt aber die Entwicklung der Rechtspflichten aus den moralischen Pflichten dem Gesetzgeber durchaus einen, wenngleich begrenzten, inhaltlichen Gestaltungsspielraum. Die moralischen Pflichten sind noch nicht hinreichend konkretisiert, um allein auf ihrer Grundlage konkrete Konflikte der Lebenswelt entscheiden zu können. 49 Sie müssen zunächst durch den Gesetzgeber zu Rechtspflichten konkretisiert werden, wobei dem Gesetzgeber insofern Spielraum für eigenständige Wertungen bleibt. So findet er zwar das moralische Gebot, daß Verträge zu erfiillen sind, bereits vor. Ob aber ein bestinuntes Verhalten noch als Vertragserfiillung zu qualifizieren ist oder nicht, entscheidet in zweifelhaften Fällen erst das Recht.
49
Vgl. Schapp, Freiheit, Moral und Recht, S. 229 f
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3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
Wenn Zitelmann die Konkretisierungsaufgabe des Rechts in bezug auf die Pflichten der lebensweltlichen Moral nicht erkennt, so ist das auch darauf zurtickzufUhren, daß er meint, die Lebenswelt ihrerseits mit psychologischen Gesetzen von naturwissenschaftlicher Sicherheit und Präzision beschreiben zu können. Besonders deutlich wird dies im Hinblick auf die Trennung von Motiv und Geschäftswille. Indem er diese Unterscheidung als dem Recht vorgegebenes psychologisches Gesetz versteht, und nicht, wie es nach unserer Auffassung zutreffend wäre, als moralisches Prinzip mittlerer Abstraktionsstufe fiir den Vertragsbereich, nimmt Zitelmann dem Recht insoweit seine Konkretisierungsaufgabe. Ob eine bestimmte Vorstellung Motiv oder aber Bestandteil des Geschäftswillens ist, steht aus seiner Sicht von vornherein fest und ist in Zweifelsfällen lediglich vom Psychologen zu ermitteln. Die Welt des Willens, die von der natürlichen Kausalität regiert wird, und die Welt des Rechts, in der die vom Gesetzgeber geschaffene juristische Kausalität herrscht, stehen, so scheint es, einander im Grunde unvermittelt gegenüber. Es wird nicht deutlich, daß beide "Welten" über die Moral, die einerseits bereits entscheidenden Anteil an der Formung des Geschäftswillens hat, andererseits das Fundament des Rechts ist, eng aufeinander bezogen sind.
b) Recht und Rechtsgeschäft
Die "quasi-naturwissenschaftliche" Betrachtungsweise Zitelmanns erweist sich demnach als wenig geeignet, die Bedeutung des Rechts für die Lebenswelt zu erfassen. Zitelmann stellt jedoch auch Überlegungen zur inhaltlichen Dimension des Rechts an. Gelingt es ihm hier, einen Bezug des Rechts zum Problem der Freiheit herzustellen ? Wenn Zitelmann ausfiihrt, das Recht als die Interessenordnung der Menschen sei, auf den einzelnen reflektiert, nichts als seine vernünftige Freiheit50 , so setzt er damit der Sache nach das Recht sowohl zur natürlichen Freiheit wie auch zur Moral in Beziehung. Wir deuten den Terminus der "vernünftigen Freiheit" so, daß wir mit dem Substantiv "Freiheit" die natürliche Freiheit, mit dem Adjektiv "vernünftig" die moralische Beschränkung dieser natürlichen Freiheit, die selbst wieder als moralische Freiheit verstanden werden kann, zum Ausdruck gebracht sehen. Dieses Verhältnis von Substantiv und Adjektiv scheint darauf hinzudeuten, daß der Akzent dabei auf der natürlichen Freiheit liegt, zu der die moralische Freiheit in Gestalt der "Vernunft" dann erst beschränkend hinzutritt. Verstärkt wird dieser Eindruck eines deutlichen Übergewichts der natürlichen Freiheit in Zitelmanns Darlegungen zum Verhältnis von Freiheit und Recht, wenn er weiter ausführt, das Privatrecht sei in
50
Vgl. oben bei Amnerkung 26.
1. Die Rechtsgeschäftslehre Zitelmanns
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erster Linie den egoistischen Interessen der Einzelperson zu dienen bestimmt. 51 Auch wenn Zitelmann die Frage, inwieweit auch im Privatrecht eine Beschränkung der Autonomie des einzelnen aus höheren Rücksichten geboten sei, in den Bereich der rechtsphilosophischen und rechtspolitischen Erörterung verweist und mit dieser Begründung aus seiner Untersuchung ausklammert52 , scheint er damit die eher untergeordnete Bedeutung zu betonen, die er der moralischen Einschränkung der natürlichen Freiheit im Privatrecht beimißt. Zitelmanns Erörterungen zum Recht bilden damit eine Parallele zu seinen den Willen betreffenden Überlegungen: Auch die erweiterte Handlungsreihe stellt sich ja als psychologische Einkleidung der natürlichen Freiheit dar. Nun hatte sich bei näherem Hinsehen gezeigt, daß Zitelmann ungeachtet dieses naturalistischen Ausgangspunkts den Willen eine erste Stufe moralischer Läuterung durchlaufen läßt, indem er Geschäftswillen und Motiv mit Schärfe voneinander trennt. Auf diese Weise integriert Zitelmann nach dem in der erweiterten Handlungsreihe enthaltenen Moment der natürlichen Freiheit auch die moralische Freiheit in den Geschäftswillen. Gelingt ihm das in entsprechender Weise auch bei der Beschreibung der Rolle des Privatrechts, das er ebenfalls zunächst in eine denkbar enge Beziehung zur natürlichen Freiheit gesetzt hat? Nach unserer Auffassung findet in der Tat dieser zweite Freiheitsbegriff auch in Zitelmanns Ausfiihrungen zum Privatrecht in weitergehendem Umfang seinen Niederschlag, als es zunächst den Anschein hat. Schon wenn Zitelmann das Recht als die Interessenordnung der Menschen bezeichnet53 , kommt darin im Grunde seine Aufgabe zum Ausdruck, die Interessen der einzelnen in einer Weise gegeneinander abzugrenzen, die dem einzelnen eben keine schrankenlose, sondern eine "vernünftige" Freiheit zugesteht, was von vornherein den Respekt vor der Freiheitssphäre des anderen mit einschließt. Ebenso impliziert die Aufgabe des Privatrechts, neben den "egoistischen Interessen der Einzelperson" dem Verkehr der Einzelpersonen untereinander zu dienen54 , die Bezugnahme des Privatrechts auf die moralische Pflicht des einzelnen, seine Begierden auf ein dem anderen erträgliches Maß zurückzufiihren: Verfolgt das Individuum seine egoistischen Interessen, ohne sie in dieser Weise zu zügeln, so ist ein geschäftlicher Verkehr unter den Menschen, der als Gegenstand rechtlicher Regelung in Betracht kommt, von vornherein unmöglich. Noch bedeutsamer erscheinen in diesem Zusanunenhang die Ausfiihrungen Zitelmanns zum Verhältnis von objektivem Recht und Rechtsgeschäft. Zitelmann 51 52
53 54
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
oben bei Amnerkung 26. Zitelmann, Irrtwn und Rechtsgeschäft, S. 234. oben bei Amnerkung 26. oben bei Amnerkung 26.
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3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
hatte zunächst das Rechtsgeschäft als Unterfall der Handlung konsequent aus dem Modell der erweiterten Handlungsreihe entwickelt, also als Mittel der Bedürfnisbefriedigung des einzelnen verständlich gemacht. Von diesem Ansatz aus ergaben sich für ihn zum einen Schwierigkeiten, die Trennung von Motiv und Geschäftswille psychologisch plausibel zu ~hen, zum anderen war auch nicht recht einsichtig, warum sich der Geschäftswille gerade auf juristisch spezifizierte Rechtsfolgen richtet. An der letztgenannten Schwachstelle von Zitelmanns Konzeption hatte ja die Kritik Schloßmanns angesetzt, dessen Verquickung von Motiv und auf wirtschaftliche Folgen gerichtetem Geschäftswillen dann allerdings noch weniger überzeugen konnte. Zitelmann ergänzt seine bisherigen Ausfiihrungen zum Rechtsgeschäft nunmehr durch Überlegungen zur schöpferischen Rolle, die dem objektiven Recht bei der Formung des Rechtsgeschäfts zukommt. Er nähert sich dem Rechtsgeschäft damit gewissermaßen von der anderen Seite, nämlich vom Recht statt vom Willen des einzelnen aus. Neben das Rechtsgeschäft im subjektiven Sinne, das noch als bloßes Synonym für die wirksame Willenserklärung gelten konnte, tritt das Rechtsgeschäft im objektiven Sinne. 55 Im Geschäftsverkehr wiederholen sich, so Zitelmann, bestimmte Geschäfte wie Kauf oder Tausch ständig, und mit ihnen treten auch immer wieder die gleichen Streitfragen auf Das Recht abstrahiert mm aus dieser Vielzahl konkret vorkommender, untereinander gleichartiger Willenserklärungen den allgemeinen Begriff einer bestimmten Willenserklärung und stattet dieses Gebilde zugleich mit weiteren Bestimmungen aus, die von den Parteien zuvor nicht bedachte und daher auch nicht geregelte Streitfragen regeln. Was das Recht so geschaffen hat, ist ein Rechtsgeschäft. 56 Zu diesem durch Induktion aus den Geschäften der Lebenswelt geborenen Rechtsgeschäft tritt das originär von der Rechtsordnung zur Verfolgung bestimmter juristischer Zwecke geschaffene Rechtsgeschäft hinzu. 57 Zitelmann selbst betont, daß der so verstandene Begriff des Rechtsgeschäfts im objektiven Sinne auf die soziale Funktion der Rechtsgeschäfte verweist: Rechtsgeschäfte sind, ganz im Gegensatz zu den Delikten, Mittel, die das Recht für gebilligte Zwecke zur Disposition stellt. Diese soziale Funktion des Rechtsgeschäfts im objektiven Sinne war mit dem Rechtsgeschäft im subjektiven Sinne, das mit der Willenserklärung des einzelnen identifiziert werden konnte, noch nicht in den Blick gekommen. Zitelmann sieht nun in dieser objektiven Bedeutung des Rechtsgeschäfts sogar den Hauptwert des Rechtsgeschäftsbegriffs. 58 55 56
57 58
Vgl. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 308 f. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 307 f. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 308. Ders., Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 308.
I. Die Rechtsgeschäftslehre Zitehnanns
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Mit diesen Überlegungen gelingt es Zitelmann nun in der Tat auch bei seinem Zugang zum Rechtsgeschäft von der Seite des Rechts her, der Sache nach den zweiten großen Freiheitsbegriff, den Begriff der moralischen Freiheit, fiir das Rechtsgeschäft fruchtbar zu machen. Wenn das objektive Recht das Rechtsgeschäft im objektiven Sinne im Hinblick auf bestinunte von ihm vorgefundene typische Streitfragen der Lebenswelt bildet, um dem Richter die Entscheidung dieser Streitfragen zu erleichtern, so muß es dabei offenbar die Interessen beider Beteiligter ins Auge fassen. Die isolierte Sicht des Rechtsgeschäfts als Mittel der Bedürfnisbefriedigung des einzelnen wird an dieser Stelle erweitert zur Perspektive auf das Rechtsverhältnis mehrerer Geschäftspartner zueinander. Nicht zuletzt bestätigen die hier von Zitelmann angeführten Beispiele Kauf und Tausch, daß er an dieser Stelle die aus der strikt individualistisch konzipierten Handlungslehre entwickelte Abstraktion "Rechtsgeschäft" aufbricht und statt dessen dem Sinne nach den Vertrag, ja sogar schon den gegenseitigen Vertrag ins Auge faßt. Wenn die Rechtsordnung mit dem Rechtsgeschäft im objektiven Sinne ein Mittel zur Verfolgung sozial gebilligter Zwecke bereitstellt, so muß das zu diesem Zweck konzipierte Rechtsgeschäft in sich natürliche und moralische Freiheit des einzelnen in einem Zustand des Gleichgewichts halten: Die natürliche Freiheit spiegelt sich in seiner Funktion als Mittel der Bedürfnisbefriedigung des einzelnen wider. Die moralische Freiheit, welche gerade in der Zügelung der eigenen natürlichen Freiheit zugunsten des anderen liegt, kommt zum Ausdruck in der Bewertung des Rechtsgeschäfts durch die Rechtsordnung als Mittel zur Verfolgung sozial anerkannter Zwecke. Erst diese moralische Komponente des Rechtsgeschäfts rechtfertigt es ja, das Rechtsgeschäft geradezu als Widerpart des Delikts zu begreifen: Im Gegensatz zum rechtsgeschäftlich Handelnden lebt der Deliktstäter seine natürliche Freiheit in einer Weise aus, die seine eigene moralische Freiheit verfehlt, indem sie den anderen zügellos als Objekt den eigenen Begierden unterwirft. 4. Zusammenfassung Kann Zitelmanns Werk für sich beanspruchen, das Zusanunenspiel von natürlicher Freiheit, moralischer Pflicht und Recht im Rechtsgeschäft näher zu erhellen?
Entsprechend der liberalen Grundströmung, welche die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts beherrscht, wählt Zitelmann mit der erweiterten Handlungsreihe einen konsequent individualistischen Ansatz für seine Rechtsgeschäftslehre. Das Rechtsgeschäft wird als Mittel des einzelnen aufgefaßt, die mannigfachen Bedürfnisse zu befriedigen, die letztlich seinem Selbsterhaltungstrieb entspringen. Die natürliche Freiheit des einzelnen im Sinne von Hobbes, die ja ebenfalls im Dienste der
9 Huda
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3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
menschlichen Selbsterhaltung steht, wird damit zum Fundament des Rechtsgeschäfts. Mit der Trennung der "unbeachtlichen Motive" vom ''beachtlichen Geschäftswillen" durchläuft der Wille dann eine erste Stufe moralischer Läuterung. Diese Läuterung vollzieht der einzelne schon in seinem Inneren, denn er ist sich grundsätzlich darüber im klaren, daß er die Beweggründe, die ihn zum Geschäftsabschluß veranlassen, seinem Geschäftspartner nicht entgegenhalten darf, um von einem später bereuten Geschäft wieder loszukommen. Diese Komponente der Moral im Geschäftswillen hat also durchaus eine psychologische Grundlage: Schon der "innere Geschäftswille" des einzelnen ist mit dem ursprtinglichen "natürlichen Haben-, Herrschen- und Genießenwollen" nicht mehr identisch. Er hat durch das ihm eigene Moment der Achtung des zukünftigen Geschäftspartners, das in der Ausgliederung der Motive als "unbeachtlich" konkretere Gestalt annimmt, bereits eine "moralische Fätbung" angenommen. Bei der Konzeption des Rechtsgeschäfts vom Willen des lndividuums her vermag Zitelmann also sowohl natürliche wie auch moralische Freiheit in das Rechtsgeschäft zu integrieren. Entsprechendes gelingt ihm dann auch beim Zugang zum Rechtsgeschäft von der Seite des Rechts her: Das "Rechtsgeschäft im subjektiven Sinne" verweist auf die Aufgabe des Rechts, dem einzelnen mit der juristischen Willenserklarung ein Instrurrient zur Realisierung seiner natürlichen Freiheit zur Verfügung zu stellen. Dagegen wird das "Rechtsgeschäft im objektiven Sinne" vom Recht im Hinblick auf die konkreten Streitigkeiten der Lebenswelt entwickelt. Seine Funktion, dem Richter bei der Entscheidung dieser Streitfälle zu helfen, impliziert notwendig die Bezugnahme des "Rechtsgeschäfts im objektiven Sinne" auf die moralische Verpflichtung aller am Rechtsgeschäft Beteiligten, die jeweils anderen in ihren Belangen zu achten. Auch wenn Zitelmann das Rechtsgeschäft aus der Perspektive des Rechts betrachtet, zeigt er dabei also die beiden untrennbar in ihm verknüpften Komponenten der natürlichen Freiheit einerseits, der sie begrenzenden moralischen Freiheit andererseits auf Zitelmanns Verdienst ist es demnach, verdeutlicht zu haben, wie natürliche Freiheit und die moralische Verpflichtung zur Achtung des anderen sich im Rechtsgeschäft gleichennaßen entfalten. Das Recht schützt dann die Ausübung der aus ihrer Synthese geborenen bürgerlichen Freiheit im Rechtsgeschäft. Dieser der Sache nach durchaus überzeugend herausgerubeitete Dreiklang von Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft wird jedoch durch das methodische Vorgehen Zitelmanns weitgehend verdeckt. Orientiert am Vorbild des naturwissenschaftlichen Denkens, nähert er sich dem Willen unter dem Aspekt der psychologischen Kausalität, die ihren Ausgang nimmt von den aus dem Selbsterhaltungstrieb des Menschen hervorgegangenen Trieben. Dieser Ansatz gibt Zitelmanns Willenslehre von vornherein einen prononciert individualistisch-naturalistischen Anstrich.
ll. Die Vertragslehre Schmidt-Rimplers
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Dieser Eindruck verstärkt sich noch, weil Zitelmann die in der prinzipiellen Abschichtung der Motive vom Geschäftswillen liegende moralische Läuterung des Willens nicht als solche offenlegt. Statt dessen sucht er auf wenig überzeugende Weise die Trennung von Motiv und Geschäftswille als zwingendes psychologisches Gesetz verständlich zu machen. Die moralische Komponente des individuellen Geschäftswillens, so wie Zitelmann ihn entwirft, ist daher nur bei näherem Hinsehen zu erkennen. Wenn Zitelmann demgegenüber das Recht zunächst als Gedankenwelt idealer Rechtswirkungen entwirft, die der vom Gesetzgeber geschaffenen juristischen Kausalität gehorcht, so scheint sich damit eine Kluft aufzutun zwischen dem vermeintlich ganz der natürlichen Freiheit zugeordneten Willen der realen Welt und der geistigen Welt des Rechts. Schwer verständlich ist dann, wie der aus Trieben und Begehnmgen entstandene Geschäftswille "unversehens" auf juristisch spezifizierte Rechtsfolgen gehen kann. Des Rätsels Lösung scheint uns darin zu liegen, daß der Geschäftswille immer schon mehr ist als das ursprüngliche "Haben-, Herrschenund Genießenwollen" , aber in der Regel noch nicht juristisch präzisierter Rechtsfolgewille. Zitelmann dringt zu dieser Antwort nicht vor, weil er die Moral als "zweite Ebene", die sich zwischen natürliche Freiheit und Recht einschiebt, weitgehend hinter seinen psychologischen Erörterungen verbirgt, anstatt sie deutlich als solche auszuarbeiten. Der von ihm konzipierte, scheinbar strikt individualistisch-egoistisch geprägte Geschäftswille des einzelnen mußte denn auch in späteren Zeiten, als der Liberalismus seine geistige Vorherrschaft verloren hatte, zu Angriffen auf die "Willenstheorie" herausfordern. In der Sache dürften solche Angriffe nicht unbedingt berechtigt sein, wenn man bedenkt, daß ja in Wirklichkeit der gegenüber seinen Motiven verselbständigte Geschäftswille ein bereits in hohem Maße moralisch geläuterter Wille ist. Dem Mißverständnis, "der Wille" sei Ausdruck eines schrankenlosen Individualismus des einzelnen, der in einer stärker sozial geprägten Zeit nicht mehr hingenommen werden könne, hat Zitelmann mit seinem methodischen Vorgehen und der verbalen Betonung eben dieses egoistischen Charakters der Handlungen des einzelnen allerdings selbst Vorschub geleistet.
11. Die Vertragslehre Schmidt-Rimplers In dem von Walter Schmidt-Rimpler 1941 veröffentlichten Aufsatz "Grundfragen einer Erneuerung des Vertragsrechts" deutet bereits der Titel die gegenüber dem Ansatz Zitelmanns gewandelte Perspektive Schmidt-Rimplers an: Nicht mehr
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3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
das aus der "individualistischen" erweiterten Handlungsreihe entwickelte Rechtsgeschäft, sondern der Vertrag, dem von vornherein das Moment der Zweiseitigkeit innewohnt, ist Gegenstand der Betrachtung.
1. Die mangelnde Richtigkeitsgewähr des Einzelwillens Den individuellen Willen, der sich des Rechtsgeschäfts als eines Mittels zur Befriedigung der Bedürfnisse des einzelnen bedient, sieht Schmidt-Rimpler im Gegensatz zu Zitelmann nicht mehr als hinreichendes Fundament des Vertrages an. Schmidt-Rimpler geht von der Grundfrage aus, inwiefern die Richtigkeit einer Rechtsfolge dadurch gewährleistet werden könne, daß sie von einem oder beiden an einem Rechtsverhältnis Beteiligten gewollt sei. 59 Unter Richtigkeit versteht er dabei in erster Linie die ethisch geprägte Gerechtigkeit im engeren Sinne, die das Verhältnis der Vertragsparteien untereinander betrifft, weiterhin dann auch die gemeinschaftsbezogene Zweckmäßigkeit. 60 Schmidt-Rimpler ist nun der Auffassung, es gewährleiste nicht die Richtigkeit einer Rechtsfolge, daß nur einer der Beteiligten sie will, und zwar sowohl bei fiir ihn günstigen als auch bei fiir ihn ungünstigen Rechtsfolgen. Zur Begründung legt Schmidt-Rimpler dar, dem einzelnen gelinge es bei der Verfolgung seines Vorteils häufig nicht, das rechte Maß zu wahren. Darüber hinaus könne er, selbst wenn er besten Willens sei, oft die Verhältnisse des anderen, aber auch die der Gemeinschaft nicht richtig beurteilen.61 In seinem späteren Aufsatz "Zum Vertragsproblem" ergänzt Schmidt-Rimpler diese Überlegungen, indem er unter den Gesichtspunkten der Selbstbestimmung und der Selbstverantwortung prüft, inwieweit sich der Wille des einzelnen als Grundlage des Vertrages eignet. Schmidt-Rimpler bezweifelt, ob beim Vertrage überhaupt Selbstbestimmung vorliegt. Selbstbestimmung hat ihm zufolge den Sinn, daß der einzelne sein Leben ohne Einwirkung anderer nach seinem Willen gestalten kann. Das aber ist im Vertrage als sozialem Verhältnis gerade ausgeschlossen, weil der einzelne hier der Zustimmung des anderen bedarf. 62 Indifferent und deshalb der Willkür anheimgegeben ist nur die vor Vertragssschluß liegende Entscheidung des einzelnen, ob und mit wem er einen Vertrag welchen In-
59 Vgl. Schmidt-Rimpler, Grundfragen einer Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147, S. 149. 60 Ders., AcP 147, S. 132 f.; ebenso in ,,zum Vertragsprob1em", Festschrift für Ludwig Raiser, S. 10. 61 Ders., AcP 147, S. 151 f. 62 Ders., Zum Vertragsproblem, S. 19.
11. Die Vertragslehre Schmidt-Rimplers
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halts schließen wi1l63 , also der Motivbereich im Verständnis der traditionellen Rechtsgeschäftslehre. Die Selbstbestimmung, die Schmidt-Rimpler mit dem als Willkür verstandenen Willen des einzelnen identifiziert, kann demnach nicht Fundament des Vertrages sein. Ebensowenig hält Schmidt-Rimpler es fiir möglich, den individuellen Willen unter dem Gesichtspunkt der Selbstverantwortung zur Grundlage des Vertrages zu machen: Er verweist darauf, daß erfahrungsgemäß sehr viele Menschen verantwortunglos sind, besonders wenn es um die Durchsetzung ihrer Interessen geht. Die Selbstverantwortung vermag daher nach seiner Auffassung unter Richtigkeitsgesichtspunkten die Ungerechtigkeit des Ergebnisses der Selbstbestimmung kaum zu kompensieren. 64
2. Der Konsens als Richtigkeitsgewähr Angesichts dieser Unzulänglichkeit des Einzelwillens bedarf die Richtigkeitsgewähr der Rechtsfolgen des schuldrechtlichen Vertrages einer anderen Begründung. Im Vertrage findet, so Schmidt-Rimpler, der Wille jedes der Vertragspartner im Willen des jeweils anderen seine Grenze und Beschränkung zum Richtigen hin. 65 Jeder Partner prüft die Rechtsfolgen des Vertrages, in welchem er primär sein eigenes Interesse egoistisch verfolgt, ob sie ihm selbst gegenüber nicht rechtlich unrichtig, insbesondere ungerecht sind. Da nun im Vertrage die beiden gegensätzlich interessierten Partner sich einigen müssen, werden sehr wahrscheinlich die vertraglich vereinbarten Rechtsfolgen fiir keinen der heiden nach seiner Wertung ungerecht sein, so daß ein in diesem Sinne richtiges Ergebnis gewährleistet ist. Jedes egoistisch bedingte ungerechte Wollen wird paralysiert. 66 Schmidt-Rimpler zufolge stellt erst dieser Gedanke eine Beziehung zwischen dem Willen der Vertragspartner und der Gerechtigkeit her. 67 Er sieht damit im Vertrage einen "Mechanismus", der ohne hoheitliche Eingriffe die Richtigkeit seiner Rechtsfolgen auch entgegen dem unrichtigen Willen eines der Beteiligten zu gewährleisten vermag, weil immer der andere, der durch die Unrichtigkeit betroffen ist, zustimmen muß. 68
63
64 65 66 67 68
Ders., Zum Vertragsproblem, S. 19 f. Ders., Zum Vertragsproblem, S. 18 f. Ders., AcP 147, S. 160. Ders., Zum Vertragsproblem, S. 5. Ders., Zum Vertragsproblem, S. 6. Ders., AcP, S. 147, S. 156. Ähnlich in ,,zum Vertragsproblem", S. 5 f.
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3. Teil: Freiheit, MorallUld Recht im Rechtsgeschäft
3. Die Frage der "Verlahrensf"ahigkeit" des egoistischen Einzelwillens Schmidt-Rimplers Vertragslehre stellt sich damit als das Modell der Bändigung eines ursprünglich egoistischen, auf Durchsetzung der eigenen Belange ausgerichteten Individualwillens durch das Verfahren des Vertragsschlusses dar. Das Augenmerk richtet sich auf den Prozeßcharakter des Vertrages. Das Ergebnis dieses Prozesses, der Vertragsschluß, ist denn auch mehr als das bloße Vorliegen zweier übereinstimmender Willenserldärungen: Der Konsens wird verständlich als ein Sichvertragen der gegensätzlich interessierten Parteien. 69 Wie verhält sich nun diese Perspektive auf den Vertrag zum Freiheitsproblem? Schmidt-Rimpler charakterisiert die vor dem Vertrag liegende Entscheidung des einzelnen, ob und mit wem er einen Vertrag schließen will und auf welche Leistung er gerichtet sein soll, als rechtlich indifferent und deshalb der Willkür anheimgegeben. 70 Den Motivbereich sieht Schmidt-Rimpler damit als das Gebiet, in dem sich die Selbstbestimmung des einzelnen verwirklicht, wobei er Selbstbestimmung im Sinne einer Freiheit des beliebigen Handelns versteht. 71 Auf der Hand liegt zunächst, daß eine so beschaffene Freiheit noch frei von moralischen Bindungen gegenüber anderen erscheint, insbesondere von der moralischen Pflicht, die eigenen Neigungen zugunsten der anderen zu zügeln. Schon eine in diesem Sinne quasi "moralfreie" Konzeption des "VOlVertraglichen Raumes" der Motive begegnet Bedenken. Schapp weist darauf hin, daß bereits die Setzung der Zwecke, die dann mit Hilfe des Vertrags als Mittel verfolgt werden, moralischen Bindungen unterliegt und daß der Bereich der vOlVertraglichen Zwecksetzung schon in hohem Maße durch überkommene Gewohnheiten und Übungen, durch. Sitte, Anstand und Takt geprägt ist. 72 Immerhin scheint es uns noch plausibel, den Motivbereichjedenfalls in erheblichem Maße den Begehrungen und Neigungen des einzelnen zuzuordnen, die dann ihrerseits auf den nicht zu eng verstandenen menschlichen Selbsterhaltungstrieb zuruckfiilubar sind. Die Sphäre der vOlVertraglichen Zwecksetzung gehört damit primär zum Reich der natürlichen Freiheit im Sinne von Robbes, wenn man sich vergegenwärtigt, daß in Robbes' moralphilosophischer Konzeption der Mensch von dieser natürlichen Freiheit ja mit dem Ziel Gebrauch macht, das eigene Leben zu erhalten. In diesem Sinne fundiert Zitelmann den Motivbereich in der auf Selbsterhaltung zielenden natürlichen Freiheit und leitet dann daraus den individuellen Geschäftswillen ab. Hält man sich vor Augen, daß auch der Schutz des eigenen
69 70
7l 72
Ders., Zum Vertragsproblem, S. 21. Ders., Zum Vertragsproblem, S. 19 r. Ders., Zum Vertragsproblem, S. 19. Vgl. Schapp, Rechtsgeschäftslehre, S. 51.
II. Die Vertragslehre Schmidt-Rimplers
135
Lebens schon als moralisch verstanden werden kann73 , so weist selbst ein im Sinne Zitelmanns noch als frei von moralischen Bindungen gegenüber den anderen vorgestellter Motivbereich bereits eine moralische Komponente auf. Es scheint, als ordne auch Schmidt-Rimpler die Sphäre der Motive als Ort der Selbstbestimmung der Sache nach eindeutig der natürlichen Freiheit zu. Wenn er hier eine Freiheit als beliebiges Handeln walten sieht und den vorvertraglichen Bereich als der Willkür anheimgegeben kennzeichnet74 , so verblaßt in diesen Formulierungen nun allerdings selbst die soeben genannte moralische Komponente, die schon der moralisch nicht weiter geläuterten natürlichen Freiheit zu eigen ist. Daß die "Freiheit des Beliebens", welche Schmidt-Rimpler hier vorzuschweben scheint, ihre Begründung und damit zugleich ihre Begrenzung in der Selbsterhaltung des einzelnen hat, ihr also auch insofern nur eine dienende Funktion zukommt, ist, wenn überhaupt, so nur noch mit Mühe erkennbar. Jene Freiheit erscheint damit nicht nur unter dem Aspekt der Achtung des anderen, sondern sogar unter dem Gesichtspunkt der Bewahrung des eigenen Lebens kaum als sinnvoll strukturiert und damit gebändigt. Wenn Schmidt-Rimpler den Motivbereich demnach jedenfalls in weitem Umfang mit einer "Freiheit des Beliebens" identifiziert, so muß sich das auch auf die Qualität des individuellen Geschäftswillens, der ja aus den ihm vorgelagerten Motiven hervorgeht, auswirken. Auch dieser Wille ist dann konsequenterweise, seinem psychologischen Ursprung entsprechend, zunächst ganz auf die Befriedigung der Begierden des Wollenden ausgerichtet, "wie es ihm beliebt". Schmidt-Rimpler betont denn auch mit Nachdruck diesen egoistischen Charakter des Geschäftswillens des einzelnen. Ist aber allein der "Vertragsmechanismus" imstande, einen so unmittelbar der Sphäre der "Beliebigkeit" entsprungenen, noch kaum von Vernunft geformten Willen in einem Maße moralisch zu läutern, das dann die "Richtigkeit" der vertraglichen Rechtsfolgen gewährleistet? Das scheint uns die entscheidende Frage zu sein, vor der sich die Vertragskonzeption Schmidt-Rimplers zu bewähren hat. In der Tat ist es ja das Anliegen Schmidt-Rimplers, darzutun, wie der Vertrag als Prozeß den egoistischen Einzelwillen zum vernünftigen, "richtigen" Willen im Konsens qualitativ umformt. Dies wird besonders deutlich, wenn Schmidt-Rimpler nur eine Freiheit, die zum Richtigen hin gebunden ist, als "wahre Freiheit" des rechtlichen Schutzes fiir würdig erklärt. 75 Diese "wahre Freiheit" läßt sich offenbar nicht mehr nur als "Freiheit des Beliebens", der lediglich äußere Fesseln angelegt wurden, verständlich machen, vielmehr bedeutet ihre "Gebundenheit zum Richtigen 73 74
75
Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 184. Vgl. Schmidt-Rimpler, Zum Vertragsproblem, S. 19 f. Ders., Zum Vertragsproblem, S. 2l.
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3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
hin", daß ihr das Moment der Moral in Gestalt der Achtung des anderen inhärent
ist.
Unsere Zweifel, ob der Vertrag es, wie Schmidt-Rimpler meint, vennag, einen ursprünglich so konsequent egoistisch-individualistisch verstandenen Willen in den vernünftigen Geschäftswillen im Konsens zu transformieren, erhärten sich, wenn man einmal die von Schmidt-Rimpler verwendete Terminologie näher betrachtet. Wenn er den Vertrag als "Mechanismus" charakterisiert, so schwingt in dieser Bezeichnung doch wohl mit, daß die Art und Weise, in der der Vertrag auf den Willen des einzelnen einwirkt, etwas Mechanisches hat: Auf den individuellen Willen wirkt der entgegengesetzte Wille des anderen eher als eine von außen kommende Kraft ein, die ihn mechanisch beaIbeitet und abschleift, ihn aber nicht von innen heraus qualitativ umzugestalten vermag. Der Wille bleibt seinem Wesen nach egoistisch, auch wenn er durch die von außen kommende Einwirkung des antagonistischen Willens des Vertragspartners schließlich soweit abgeschliffen ist, daß er mit diesem anderen Willen, den er seinerseits in der gleichen Weise beaIbeitet hat, im Konsens kompatibel geworden ist. In die gleiche Richtung scheint uns die Formulierung Schmidt-Rimplers zu weisen, der Wille werde im Vertrag "zum Richtigen hin gebunden". Das "Gebundensein" legt die Assoziation nahe, daß einem wesensmäßig eigentlich "ungebundenen", beliebigen Willen im Konsens Fesseln angelegt werden: Wiederum handelt es sich eher um eine von außen kommende und von daher auch äußerlich bleibende Bändigung des egoistischen Willens als um eine von innen kommende moralische Läufenmg.
Unsere Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit des "Vertragsmechanismus", den "egoistischen Einzelwillen zum Richtigen hin zu binden", gründen sich demnach auf die Herkunft dieses Willens von einer "Freiheit als beliebigem Handeln"; sie erhärten sich im Hinblick auf die von Schmidt-Rimpler verwendete Terminologie. Soll der individuelle Wille durch den Vertrag als Verfahren zum Richtigen hin gebunden werden, so kann das nur gelingen, wenn dieser in das Verfahren des Vertragsschlusses anfanglich eingebrachte Wille wenigstens grundsätzlich schon "verfahrensfahig" ist. Eben diese grundsätzliche "Verfahrensfahigkeit" des individuellen Geschäftswillens scheint uns, wie oben ausgeführt, Schmidt-Rimpler aber nicht hinreichend dargetan zu haben. Im folgenden wird zu prüfen sein, inwieweit diese Bedenken der Sache nach auch in der bisherigen rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Vertragslehre Schmidt-Rimplers ihren Widerhall gefunden haben.
II. Die Vertragslehre Schmidt-Rimplers
137
4. Das Problem der ungleichen Machtlage Ein wichtiger Einwand gegen die Vertragslehre Schmidt-Rimplers lautet, die beiden Vertragspartner könnten einander in ihrem Willen nur dann wechselseitig zum Richtigen hin beschränken, wenn sie in etwa über die gleiche Macht verfiigten. 76 Nun räumt allerdings auch Schmidt-Rimpler ein, der Vertrag vennöge typischerweise dann keine Richtigkeitsgewähr zu bieten, wenn die eine Partei der ande..; ren unterlegen sei. In diesen Fällen müsse das Verhältnis der Parteien ganz oder teilweise durch hoheitliche Gestaltung geregelt werden. 77 Schmidt-Rimpler hat das Problem der ungleichen Machtlage also sehr wohl selbst gesehen. Er ist jedoch offenbar der Ansicht, es begrenze den Anwendungsbereich seiner Lehre vom Vertragsmechanismus lediglich quantitativ. 78 Es ist aber gerade die Frage, ob hier nicht ein qualitativer Schwachpunkt seiner Konzeption liegt, der sie grundsätzlich angreifbar macht. Schmidt-Rimpler vetfolgte, wie er später verdeutlicht hat, mit seinem 1941 veröffentlichten Aufsatz das Ziel, den Vertrag vor dem Zugriff des nationalsozialistischen Gesetzgebers zu bewahren. Dieser akzeptierte den individuellen Willen nicht als Grundlage des Vertrags, sondern war bestrebt, den Vertrag als Ausdruck von "Willensherrschaft" und "Willkür" zugunsten hoheitlicher Regelungen zurückzudrängen. 79 Sollte diese Tendenz des Gesetzgebers im Ergebnis eingedämmt werden, so durfte nun in der Tat der Vertrag nicht mehr primär als Verwirklichung des Individualwillens erscheinen. Im Gegenteil mußte unter Zugrundelegung der damaligen gesetzgeberischen Prämisse, "der Wille" sei als Ausdruck eines unelWÜnsChten Individualismus möglichst zurückzudrängen, dem Vertrage gerade die gewünschte "willenslimitierende Funktion" plausibel zugeschrieben werden: Soweit bereits der Vertrag es vennochte, den mit Mißtrauen und Ablehnung betrachteten individuellen Willen in seine Schranken zu weisen, mochte dies die Neigung des Gesetzgebers von 1941, die venneintliche "Willkürherrschaft" durch seine Rechtsetzung zu bekämpfen und zu ersetzen, vielleicht bis zu einem gewissen Grade dämpfen. Wenn also Schmidt-Rimpler in seiner 1941 erschienenen Abhandlung den Charakter des Vertrags als "Willensfessel" betont und auf diese Weise unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten den Einsatz des Rechts im Vertrags76 Vgl. etwa Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 230; Raiser, Vertragsfunktion und Vertragsfreiheit, S. 118; Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, S. 152. 77Vgl. Schrnidt-Rimpler, AcP 147, S. 157 f., Anm. 34 Ziffer 1; ders., Zum Vertragsproblem, S. 13. 78 Ebenso Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 62 f, insbes. Anm. 106. 79 Vgl. Schrnidt-Rimpler, Zum Vertragsproblem, S. 9.
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3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
bereich als "Willensfessel" insoweit als entbehrlich erscheinen läßt, so ist diese Argumentation angesichts eines Gesetzgebers, der die Privatautonomie nicht als Wert an sich betrachtet, durchaus rechtspolitisch sinnvoll. Sie erscheint als geschickter Versuch, vor dem Hintergrund der damaligen Verhältnisse ein Maximum an Privatautonomie zu retten. Erkennt man jedoch grundsätzlich an, daß der selbstverantwortlichen Entfaltung der Persönlichkeit des einzelnen und damit dann auch der Privatautonomie Eigenwert zukonunt, so folgt daraus möglicherweise auch eine veränderte Bewertung der Vertragslehre Schmidt-Rimplers. Der Einwand, eine annähernd gleiche Machtverteilung unter den Vertragsparteien sei Funktionsvoraussetzung des Vertragsmechanismus, venveist nunmehr auf die Achillesferse seiner Konzeption: Sie rechtfertigt die Privatautonomie auf eine Weise, die es sehr leicht macht, Argumente fiir ihre Einschränkung zu finden. 80 Der Nachweis, daß eine Partei eine überlegene wirtschaftliche Machtposition innehatte, scheint es zu rechtfertigen, die Privatautonomie zugunsten hoheitlicher Regelung einzuschränken. 81 Im Hinblick darauf, daß unter den gegebenen sozialen Umständen und Gepflogenheiten ein "freies Aushandeln" von Verträgen meistens nicht möglich ist, begünstigt die Theorie Schmidt-Rimplers, so eine von Pawlowski fonnullerte Befiirchtung, unter den heutigen Verhältnissen die Ausweitung hoheitlicher Eingriffe in privatrechtliche Verträge. 82 Nun betont allerdings Schmidt-Rimpler angesichts solcher Bedenken gegen seine Lehre, die Machtungleichheit werde nicht selten erheblich übertrieben. Zum einen zerstöre nur ein gravierender Machtunterschied den Vertragsmechanismus. Des weiteren balanciere der Markt die Macht der auf Absatz angewiesenen Anbieter auf der einen Seite und die Macht der Abnehmer auf der anderen Seite aus. Die Ausweichmöglichkeiten, die der Markt dem Abnehmer gibt, lassen es denn nach Schmidt-Rimpler auch als unbedenklich erscheinen, wenn er keine Möglichkeit hat, die Vertragsbedingungen mit dem zu festen Preisen verkaufenden einzelnen Anbieter auszuhandeln. 83 In der Tat wird man Schmidt-Rimpler zugeben müssen, daß die Institution Markt dazu geeignet ist, in vielen Fällen das Problem der individuellen Machtungleichheit zweier Vertragspartner ganz erheblich zu entschärfen. Beseitigen kann sie es nicht. Man bedenke etwa, wie der einzelne Vetbraucher, der sich zwar einer Vielzahl von Anbietern gegenübersehen mag, deren einander ähnelnde Angebote aber kaum ohne größere Mühe miteinander vergleichen kann, seine individuelle 80 So zu Recht Pawlowski, Rechtgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S.230. 81 Ders., Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 230. 82 Ders., Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 231. 83 Vgl. SchInidt-Rimpler, ZunI Vertragsproblem, S. 14 f.
ll. Die Vertragslehre Sclunidt-Rimplers
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Unterlegenheit gegenüber dem einzelnen Anbieter noch sehr deutlich zu spüren bekommt. 84 Wichtiger dürfte in diesem Zusammenhang aber sein, daß auch SchmidtRimpler selbst mit seinem Hinweis auf die Ausgleichsftmktion des Marktes die Bedenken, die unter dem Gesichtspunkt der Machtungleichheit gegen seine Vertragskonzeption erhoben werden, offenbar nicht vollständig ausgeräumt sieht. In diese Richtung weist seine dann nicht näher erläuterte Bemerkung, nur ein sehr starker Machtunterschied zerstöre den Vertragsmechanismus. Man kann sie als indirektes Eingeständnis werten, daß ein weniger starker Machtunterschied den Vertragsmechanismus wenn auch noch nicht· zerstört, so doch immerhin stört, abgesehen davon, daß die Abgrenzung zwischen bloß gestörtem und zerstörtem Vertragsmechanismus vor nicht geringe Schwierigkeiten stellen dürfte. Der Vertragsmechanismus als ein System zweier Willen, die gemäß ihrer Herkunft aus einer Sphäre der "Freiheit im Sinne beliebigen Handelns" im Ausgangspunkt strikt egoistisch gedacht sind, einander dann aber im Konsens gegenseitig zum Richtigen hin binden sollen, bleibt demnach fragil. Jegliches Machtgefalle zwischen den Parteien, das ja in der einen oder anderen Form fast stets gegeben sein wird, droht den Mechanismus aus dem Gleichgewicht zu bringen, den egoistischen Willen des stärkeren Teils zu "entfesseln" und damit die Richtigkeitsgewähr der vertraglich vereinbarten Rechtsfolgen in Frage zu stellen. 85 Die oben vorgebrachten Bedenken gegen die Figur des Vertragsmechanismus, die uns den Akzent zu stark auf die äußere Bändigung des seinem Wesen nach egoistischindividualistischen Willens zu legen scheint, bestätigen sich damit, wenn man das Problem des Machtungleichgewichts unter den Vertragsparteien in die Betrachtung miteinbezieht. Die "willenslimitierende Funktion", welche Schmidt-Rimpler dem Vertrag zuschreibt und deren rechtspolitischer Wert im Jahre 1941 darin besteht, als Argument gegen einen Einbruch des "willenslimitierenden" Rechts in den Vertragsbereich zu dienen, verkehrt sich demnach vor dem Hintergrund unserer heutigen Rechtsordnung in eine nicht unbedenkliche Schwäche seiner Lehre. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man die gegenseitige Beschränkung der Willensakte beider Vertragsparteien zum Richtigen hin als alleinige oder doch als die entscheidende Grundlage des Vertrags ansieht.
84 Vgl. etwa zur Ohnmacht des einzelnen gegenüber AGB Singer, Selbstbestimrmmg und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklänmgen, S. 15. 85 Ähnliche Bedenken äußert Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklänmgen, S. 277 ff., gegen die Theorie Sclunidt-Rimplers.
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3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
5. Vertragsmechanismus und Schrankenmodell der Freiheit
a) Schmidt-Rimplers Vertragsmodell als Parallele zum Schrankenmodell der Freiheit in seinem herkömmlichen Verständnis Die bisherigen Überlegungen zur Vertragslehre Schmidt-Rimplers geben Anlaß, einmal einen vergleichenden Blick auf die Kritik zu werfen, welche das Schrankensystem der Freiheit und des Rechts in seinem traditionellen Verständnis auf sich gezogen hat. In ihm etfährt eine zunächst als unbeschränkt vorgestellte Freiheit ihre Beschränkung durch das Recht, die jeweils im Einzelfall der Begrundung bedarf. 86 Häberle erhebt gegen das Schrankenmodell den Vorwurf, es handele sich um ein Denken, das, ausgehend von einer verräumlichenden Vorstellung, den Rechtsnormen normlose Sphären der Freiheit gegenüberstelle, welche Reservaten individueller Beliebigkeit glichen. 87 Die Paralle dieser Kritik des Schrankendenkens zu den hier dargelegten Bedenken gegen die Vertragslehre Schmidt-Rimplers ist nicht zu verkennen: In beiden Fällen wird gerügt, daß die eingeschränkte Freiheit ursprünglich als ein Raum inhaltlich konturenlosen beliebigen Handelns erscheint. Diese Übereinstimmung scheint uns kein Zufall zu sein. Unsere These geht dahin, daß Schmidt-Rimpler das Schrankenmodell des Rechts auf den Vertragsbereich überträgt88 , sich dabei aber im Hinblick auf die Situation des Jahres 1941 genötigt sieht, Freiheit und Schranken gewissermaßen mit umgekehrten Vorzeichen zu bewerten. Das Schrankensystem der Freiheit und des Rechts im herkömmlichen Verständnis zeichnet sich durch seine Vermutung zugunsten der Freiheit aus: Das Recht muß sich in seiner Einschränkung der Freiheit ausweisen. 89 Demgegenüber sieht sich Schmidt-Rimpler 1941 einem Gesetzgeber konfrontiert, der diese Prämisse nicht akzeptiert, sondern im Gegenteil die mit Argwohn betrachtete individuelle Freiheit möglichst weit zurückzudrängen trachtet: Die Schranke muß sich nicht mehr gegenüber der Freiheit ausweisen, sondern konkurriert mit anderen Schranken im Hinblick darauf, welche am effektivsten und zweckmäßigsten die Freiheit 86 Vgl. dazu Schapp, Freiheit, Moral und Recht, S. 8. Ausführlich zum Schrankenmodell des Rechts in seinem herkömmlichen Verständnis Schur, Anspruch, absolutes Recht und Rechtsverhältnis im öffentlichen Recht entwickelt aus dem Zivilrecht, S. 226-233. 87 Vgl. Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, S. 152. 88 Auch Pawlowski, Rechtsgeschäftliehe Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 277ff., sieht das Gegenüber von Wille als Schranke verstandenem Recht als Charakteristikum der Vertragslehre Schmidt-Rimplers. 89 Vgl. zur Grundlegung dieser Vermutung für die Freiheit in der moralphilosophischen Konzeption Hobbes' Schapp, Freiheit, Moral und Recht, S. 115.
II. Die Vertragslehre Schmidt-Rimplers
141
einzuschränken vennag. Angesichts dieser Prämisse des Gesetzgebers schließt sich Sclunidt-Rimpler dessen mißtrauisch-ablehnender Haltung der Freiheit gegenüber vetbal an, um der Substanz nach möglichst viel von ihr bewahren zu können: Anstatt den aussichtslosen Versuch zu unternehmen, den nationalsozialistischen Gesetzgeber von der grundsätzlichen Schutzwürdigkeit der individuellen Freiheit zu überzeugen, legt er dar, warum dieser Bereich vermeintlicher Willkür durch die mildere Schranke des Vemagsmechanismus hinreichend gebändigt wird, so daß es der strengeren Schranke des Rechts insoweit nicht mehr bedarf. Wenn SclunidtRimpler also den Bereich der individuellen Freiheit in eher düsteren Falben als einen Raum der Willkür und Beliebigkeit zeichnet, so ist das nicht zuletzt zurückzufiihren auf die Situation des Jahres 1941. Nun nimmt unsere heutige Rechtsordnung der Freiheit des einzelnen gegenüber eine fundamental andere Position ein als der totalitäre Gesetzgeber von 1941. Die traditionelle Wertung des Verhältnisses von Freiheit und ihrer Beschränkung, 1941 gewissermaßen auf den Kopf gestellt, ist damit wieder in Geltung gesetzt. Vor diesem Hintergrund wird, wie oben dargelegt, die Kennzeichnung der individuellen Freiheit als Sphäre der Beliebigkeit zur Hypothek fiir die Vertragskonzeption Sclunidt-Rimplers. Bedeutet das aber, daß Häberles Verdikt in bezug auf das Schrankenmodell der Freiheit und des Rechts der Sache nach auch auf die Lehre Sclunidt-Rimplers zutrifft ? b) Das Schrankensystem der Freiheit und des Rechts im Verständnis Jan Schapps Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns vor Augen fiihren, daß ja mit der Kritik am Schrankendenken, wie sie besonders dezidiert von Häberle vorgetragen wird, diesem Modell das Urteil noch nicht gesprochen ist. Dem Vorwurf, mit dem Schrankensystem der Freiheit werde eine Freiheit, die der inneren Ausgestaltung ermangelt, nur von außen eingeschränkt, setzt Schapp ein neues Verständnis des Schrankenmodells entgegen. Er begreift es als das Modell der Umgestaltung einer natürlichen Freiheit in eine bürgerliche Freiheit. 9o Nach seiner Auffassung tri:ffi: das Recht gerade nicht auf eine noch unbeschränkte natürliche Freiheit, die es dann mit äußerlich bleibendem Zwang in ihre Schranken weist. Das Recht findet vielmehr eine Freiheit vor, die der einzelne bereits fiir sich selbst von innen heraus moralisch umgeformt hat, indem er sie zugunsten des anderen zurückgenommen hat. 91 Auf dieser Begrenzung der natürlichen Freiheit durch den einzelnen selbst baut dann das Recht mit seinen Schranken auf. Ihm kommen dabei 90
91
Vgl. Schapp, Freiheit, Moral und Recht, S. 261. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 262.
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3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
im wesentlichen zwei Aufgaben zu: Zum einen stellt es Zwang bereit für den Fall, daß die verinnerlichte moralische Selbstbegrenzung der natürlichen Freiheit durch die Gewalt des natürlichen Machtstrebens durchschlagen wird. 92 Zum anderen präzisiert es die auf einer prinzipiellen Ebene bereits vorgefundenen moralischen Pflichten inhaltlich zu konkreten Rechtsptlichten, deren Verletzung dann jeweils bestimmte rechtliche Sanktionen nach sich zieht. 93 Mit dieser neuen Perspektive auf das Schrankenmodell der Freiheit gelingt Schapp der BIÜckenschlag zwischen dessen bisher scheinbar so unvermittelt einander gegenüberstehenden Polen der natürlichen Freiheit einerseits, des durch äußeren Zwang wirkenden Rechts andererseits. Die Freiheit ist inuner schon von innen heraus moralisch begrenzt und damit geprägt, das Recht zeichnet diese vorgefundenen moralischen Schranken nach und baut auf ihnen auf. Damit stellt sich die Frage, ob nicht auch die Vertragslehre Schmidt-Rllnplers einer entsprechenden neuen Deutung fähig ist. Eine solche Deutung muß zweierlei leisten: Sie muß einerseits die unfruchtbare Konfrontation von willkürlich-egoistischem lndividualwillen und von außen auf ihn einwirkendem Vertragsmechanismus aufbrechen, und sie muß andererseits den Gedanken einer im Verfahren des Vertragsschlusses angelegten Richtigkeitsgewähr der vereinbarten Rechtsfolgen bewahren.
c) Der "Vertragsmechanismus" als weitere moralische Läuterung eines
von vornherein moralisch geprägten Willens
Das bedeutet: Nur wenn der einzelne seinen ursprünglich auf das "Habenwollen" des Geschäftsgegenstandes gerichteten Willen bereits für sich selbst um das Moment der Achtung des in Aussicht genommenen Vertragspartners ergänzt und ihn auf diese Weise moralisch begrenzt, ist dieser Wille überhaupt einer weiteren moralischen Durchdringung im Verfahren des Vertragsschlusses fähig. 94 Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 226f. Ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 229f. 94 Wenn Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, S. 280, betont, daß sich der Wille der Parteien nicht "nur" auf die Befriedigung ihrer "natürlichen (wirtschaftlichen) Bedürfnisse" richtet, sondern in gleichem Maße eine (rechtliche) vernünftige Regelung erstrebt, so liegen die Berührungspunkte dieses Grundgedankens seines Werks mit dem hier angemahnten Verständnis des Vertragswillens auf der Hand. Pawlowski tendiert dann allerdings dazu, den Willen, soweit er psychologisch auf die individuellen Motive des Wollenden zurückzuführen ist, als determiniert und damit als unfrei zu kennzeichnen (S. 241 ff., S. 248 f., S. 265) und diesem "empirisch-psychologischen" den "rechtlichen" (vernünftigen, konsequenten) Willen gegenüberzustellen. Im Gegensatz zur Vertragslehre Schrnidt-Rimplers, die den Willen des einzelnen zu einseitig mit der natürlichen Freiheit des Individuums identifi92
93
11. Die Vertragslehre Schmidt-Rimplers
143
Auf eine erste Stufe moralischer Läutenmg, welche die natürliche Freiheit schon weit im Vorfeld eines jeden konkreten Vertragsschlusses durchläuft, weist Schapp hin: Diese moralische Läutenmg liegt darin, daß in der arbeitsteiligen Gesellschaft die Arbeit für sich selbst immer schon AIbeit für andere ist. 95 In seinem Streben, die aus seiner Sicht zur eigenen Selbsterhaltung erforderlichen Güter zu erweIben, sieht sich der einzelne von vornherein auf die Notwendigkeit verwiesen, bestimmte existentielle Bedürfnisse der anderen, die über die begehrten Güter verfügen, in einer Weise zu befriedigen, die den anderen dann die Hingabe dieser Güter erlaubt. Je weiter sich die Arbeitsteilung verfeinert, desto mehr sichert der einzelne die eigene Selbsterhaltung mittelbar, indem er mit seinem Handeln unmittelbar der Selbsterhaltung der anderen dient. 96 Diese moralische Durchdringung der natürlichen Freiheit in ihrer ganzen Bedeutung zu erkennen fällt vielleicht deshalb nicht ganz leicht, weil der Charakter der arbeitsteiligen Tätigkeit als AIbeit für den anderen unter den Bedingungen moderner Produktionsweise häufig im Rahmen großer organisatorischer Einheiten stattfindet. Das führt dazu, daß diejenigen, denen das Ergebnis der vom einzelnen geleisteten AIbeit letztendlich individuell zugutek.ommt, aus dessen Sicht als anonyme Masse von "Abnehmern" erscheinen mögen, zu der er kaum noch gefiihlsmäßig Zugang findet. Hinzu kommt dann, daß auf der anderen Seite die Vergütung für die im Dienste anderer ausgeübte Tätigkeit ebenfalls in aller Regel nicht in Form konkreter Güter, sondern in Gestalt des eher abstrakten Austauschmediums des Geldes empfangen wird: Wiederum drohen die anderen als Partner, die für mich arbeiten und für die ich arbeite, aus dem Blick zu geraten. In den Vordergrund rückt stattdessen die nahezu unbegrenzte Vielfalt von mir selbst vielleicht zunächst noch gar nicht bekannten Bedürfnissen, die sich durch das verdiente Geld befriedigen lassen. Es will uns scheinen, als rücke damit bei flüchtiger Betrachtung das Geld die in der AIbeit gegebene Komponente der natürlichen Freiheit auf Kosten der moralischen Freiheit in den Vordergrund. Das mag dann vielleicht ein Grund dafür sein, daß ziert, scheint lUlS damit bei Pawlowski das Moment der moralischen Freiheit im rechtsgeschäftlichen Willen eine gewisse ÜberbetonlUlg zu erfahren. Seine Konzeption weist insoweit einen kantischen Zug auf. Auch wenn er in AnlehnlUlg an Ballerstedt den rechtsgeschäftlichen Willen als einen Willen charakterisiert, "der sich die Rechtlichkeit zum Gesetz gemacht hat" (S. 277), so dürfte in der Abstraktion dieser Formulierung nicht von lUlgefähr der hohe Abstraktionsgrad von Kants kategorischem Imperativ anklingen. Damit unterscheidet sich der Ansatz Pawlowskis denn doch von dem in dieser Arbeit verfolgten Ziel, mit Blick auf den lebensweltlichen Geschäftswillen der Parteien aufzuzeigen, wie dieser sich als Ausdruck der bürgerlichen Freiheit der Parteien auffassen läßt, in der sowohl die natürliche Freiheit im Sinne von Hobbes als auch die moralische Freiheit im Sinne Kants aufgehoben sind. 95 Vgl. Schapp, Freiheit, MorallUld Recht, S. 264 f. 96 Ders., Freiheit, MorallUld Recht, S. 264 f.
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3. Teil: Freiheit, Mora11llld Recht im Rechtsgeschäft
man die von Schapp herausgearbeitete moralische Läuterung, welche die natürliche Freiheit in Gestalt der Arbeitsteilung bereits im vorvertraglichen Raum durchläuft, nicht selten verkannte und so dieser vorvertragliche Bereich weitgehend zu Unrecht als Sphäre der "Willkür" und "Beliebigkeit" charakterisiert wurde. Ist demnach der "vorvertragliche Raum" durch die Arbeitsteilung schon in hohem Grade moralisch strukturiert, so erfährt dann angesichts eines bestinunten in Aussicht genommenen Vertrages der sich bildende konkrete Geschäftswille des einzelnen seine moralische Läuterung, indem der einzelne diesen Willen grundsätzlich gegenüber seinen Motiven emanzipiert. Die Bedeutung der Rechtsgeschä:ftslehre Zitelmanns liegt ja gerade darin, daß sie in der erweiterten Handlungsreihe der Sache nach den individuellen Geschäftswillen in der natürlichen Freiheit fundiert, ihn dann aber mit der scharfen Trennung von seinen Motiven für den anderen berechenbar macht und auf diese Weise das ursprüngliche "natürliche Habenwollen" moralisch begrenzt. Mit der Arbeitsteilung und dem Grundsatz der Unbeachtlichkeit der Motive sind zwei Gesichtspunkte angesprochen, in denen der Gedanke, schon der individuelle Geschäftswille müsse von vornherein als ein auch moralisch geprägter Wille verstanden werden, eine konkreter faßbare Fundierung in den Verhältnissen der Lebenswelt gewinnt. Keineswegs erheben wir damit den Anspruch, die moralischen Komponenten im individuellen GeschäftswiDen bereits erschöpfend aufgezeigt zu haben. In der Genese des Willens scheint uns mit diesen beiden Aspekten nun aber ein Stadium erreicht zu sein, das es erlaubt, den Willen als "verfahrensfahig" zu kennzeichnen, d.h. als fähig, im Verfahren des Vertragsschlusses "zum Richtigen hin gebunden zu werden". Wir wenden uns damit wieder diesem Kemgedanken der Lehre Schrnidt-Rimplers zu. Im Schrankenmodell der Freiheit und des Rechts, so wie es von Schapp gedeutet wird, triffi: das Recht auf eine bereits vom einzelnen moralisch aufbereitete Freiheit. Dem Recht obliegt es dann, die auf einer prinzipiellen Ebene vorgefundenen moralischen Pflichten zu konkreten Rechtsptlichten zu präzisieren und für den Fall der Verletzung dieser Rechtsptlichten Sanktionen in Aussicht zu stellen. 97 Lassen sich Parallelen ziehen zu den Aufgaben, die dem Verfahren des Vertragsschlusses in bezug auf die moralischen Komponenten zukommen, welche den Geschäftswillen des einzelnen von vornherein mitprägen? In der Tat scheint uns die Funktion des Rechts, moralische Prinzipien zu rechtlichen Pflichten zu formen, im Vertragsbereich eine Entsprechung zu finden. Wir fassen mit Schapp .die Verptlichtung der Vertragsparteien, einander gegenseitig zu achten, als oberstes moralisches Prinzip dieses Bereichs der Lebenswelt auf, das sich auch in den Satz "pacta sunt servanda" fassen läßt. Als eine Konkretisierung dieses 97
Vgl. Schapp, Freiheit, Mora11llld Recht, S. 229 f.
II. Die Vertragslehre Sclunidt-Rimplers
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Grundsatzes und damit als moralisches Prinzip mittlerer Abstraktionsstufe für Verträge stellt sich dann der Satz dar, daß das Rechtsgeschäft, d.h. in erster Linie der Vertrag, in seiner Wirksamkeit unabhängig von den Motiven ist, die zu seiner Vornahme fiihrten. Wenn wir diesen Kerngedanken von Zitelmanns Rechtsgeschäftslehre als moralisches Prinzip mittlerer Abstraktionsstufe für den Vertragsbereich kennzeichnen, so weisen wir damit zugleich den Versuch Zitelmanns zurück, die Trennung von Motiv und Geschäftswille als psychologisches Gesetz zu begreifen. Was im Einzelfalle unbeachtliches Motiv und was beachtlicher Geschäftswille ist, läßt sich eben nicht mit naturwissenschaftlicher Sicherheit durch psychologische Analyse des individuellen Willensbildungsprozesses einer der Parteien ermitteln. Hier gewinnt nun das Verfahren des Vertragsschlusses seine Bedeutung. Zwar ist sich jeder der beiden Vertragspartner grundsätzlich darüber im klaren, daß er seine Motive dem jeweils anderen nicht entgegenhalten darf, um sich von einem später bereuten Vertrage zu lösen. So wird, um ein Beispiel zu nennen, deJ.jenige, der einen Frack für eine Hochzeit kauft, wissen, daß der spätere Ausfall der Hochzeit die Wirksamkeit des Kaufvertrags unberührt läßt. 98 Dennoch dürfte im Zweifelsfalle jede der Parteien dazu tendieren, ihre eigenen Vorstellungen, die sie zum Geschäftsabschluß bewegen, in möglichst weitem Umfang zum beachtlichen Geschäftsinhalt zu erheben, sei es als Inhalt der gegnerischen Leistungspflicht, sei es als potentielle Beschränkung der eigenen Leistungspflicht im Sinne einer Bedingung. Umgekehrt wird es sich dagegen bei Umständen verhalten, die für die Bildung des gegnerischen Vertragswillens maßgeblich sind: Hier wird jede Partei im Zweifel zu einer restriktiven Betrachtungsweise im Hinblick auf die Frage neigen, ob diese aus Sicht des Gegners wesentlichen Umstände noch zum beachtlichen Vertragsinhalt oder schon zu dessen unbeachtlichen Motiven gehören. Die hier mit Blick auf die grundsätzliche Trennung von Motiv und Geschäftswille skizzierte Ausgangslage unterscheidet sich wesentlich von der Annahme, es stünden sich im Ausgangspunkt zwei egoistische, ganz auf den eigenen Vorteil fixierte Einzelwillen gegenüber. Vor diesem gewandelten Hintergrund erscheint nun ein befriedigenderes Verständnis des "Vertragsmechanismus" im Sinne Schmidt-Rimplers möglich. Jede der Parteien hat schon vor Beginn der Vertragsverhandlungen prinzipiell akzeptiert, daß sie ihre Motive der anderen Partei nicht entgegenhalten darf. Beim Ringen der Parteien um die konkrete Ausgestaltung der Vertragsbedingungen geht es dann darum, dieses von beiden Seiten verinnerlichte moralische prinzip der Unbeachtlichkeit der Motive zu einer präzisen Regelung der konkreten Streitfragen zu konkretisieren, die insoweit gerade dieser individuelle Vertragsschluß aus Sicht der Parteien aufwirft. Bei diesem Ringen um die richtige Übersetzung des beiderseits anerkannten moralischen prinzips in die konkrete Regelung des beiderseitigen Verhältnisses verfolgt dann zunächst wieder jede Partei ihr 98
Vgl. zu diesem Beispiel ders., Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 72.
10 Huda
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3. Teil: Freiheit, MorallUld Recht im Rechtsgeschäft
eigenes Interesse, übt also insofern primär die eigene natürliche Freiheit im Interessenkonflikt mit dem Gegner aus. Entscheidend ist dann aber, daß das Ergebnis dieses Ringens, der Konsens, nicht mehr verstanden werden kann als bloße gegenseitige Fesselung der Einzelegoismen heider Vertragsparteien. Haben sie sich "auf halbem Wege getroffen", so akzeptieren die Parteien den schließlich gefundenen Kompromiß auch innerlich als richtig, und zwar gerade auch insofern, als er ihnen jeweils ungünstig erscheint. Nicht nur das Entgegenkommen des anderen, sondern auch das eigene Nachgeben, das dem anderen sein Entgegenkommen erst ermöglicht, erscheint daher dem Vertragschließenden als gerecht. In dieser bewußten, innerlich bejahten Zurücknahme der eigenen Belange zugunsten des Vertragspartners verwirklicht sich die moralische Freiheit jedes der beiden Vertragschließenden im Akt des Vertragsschlusses, dem Konsens. Auf der Ebene der konkreten Regelungen, welche die Parteien gemeinsam bei Vertragsschluß treffen, wird auf diese Weise die Begrenzung der natürlichen Freiheit durch die moralische Freiheit nachvollzogen, die jeder der beiden Partner zuvor schon auf einer prinzipiellen Ebene für sich selbst vollzogen hat. Das Verfahren des Vertragsschlusses stellt sich damit als ein Prozeß dar, in dem ein Wille, der immer schon von vornherein auch ein moralischer Wille ist, mit dem ebenso beschaffenen Willen des zukünftigen Vertragspartners in ein Gespräch eintritt und so einer weitergehenden moralischen Läuterung und Verfeinerung unterzogen wird. Ist diese Perspektive auf den Vertragsschluß aber nicht doch zu idealistisch ? Wir glauben, diese Frage verneinen zu dürfen. Man muß sich einmal vor Augen führen, daß jeder Vertrag, ja genau genommen schon die Aufnalune von Vertragsverhandlungen mit einem anderen, ein nicht unbeträchtliches Maß an Vertrauen in die Redlichkeit des in Aussicht genommenen Partners voraussetzt. Dieses Vertrauen stellt sich des näheren insbesondere als das Vertrauen dar, der andere werde zu seinem einmal gegebenen Wort stehen, also gemäß dem obersten moralischen Prinzip für Verträge "pacta sunt servanda" handeln. Ein solches Vertrauen wäre von vornherein undenkbar, der Vertrag als Organisationsmedium des sozialen Lebens von vornherein nicht funktionsfähig, wenn nicht die Erfahrung den einzelnen lehrte, daß tatsächlich die überwiegende Mehrzahl der abgeschlossenen Verträge erfiillt und nicht gebrochen wird. Diese Erfahrung aber wäre ihrerseits kaum erklärlich, wenn die Parteien die jeweils bei Vertragsschluß getroffene Regelung, soweit sie ihnen nachteilig erscheint, nur als von der anderen Seite auferlegtes, widerwillig getragenes Joch ansähen. Die Versuchung, sich des vermeintlichen Jochs ganz oder teilweise zu entledigen, sobald die Machtverhältnisse sich nur ein wenig zu den eigenen Gunsten verschoben haben, wäre in allzu vielen Fällen wohl doch übennächtig. Auch das Sanktionsinstrumentarium des Rechts wäre angesichts der daraus resultierenden Zetbrechlichkeit des Vertragsmechanismus bald überfordert. Wenn aber der Ver-
11. Die Vertragslehre Schmidt-Rimplers
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trag, vor allem der gegenseitige Austauschvertrag, im Gegensatz zu den hier in Kürze skizzierten denkbaren Verhältnissen seit Jahrtausenden ein im großen und ganzen funktionierendes Organisationsmedium der sozialen, insbesondere der wirtschaftlichen Beziehungen ist und als solches seit dem Beginn der Industriellen Revolution an Bedeutung noch ständig gewonnen hat, so verweisen diese Erfahrungen, wie wir meinen, eindrucksvoll darauf, wie wirkungsmächtig das Element bewußter eigener Selbstbegrenzung im Akt des Vertragsschlusses ist. Als ein moralisches Prinzip mittlerer Abstraktionsstufe fiir den Vertragsbereich, das die Parteien dann gemeinsam im Verfahren des Vertragsschlusses der konkreten Regelung ihres Verhältnisses zugrundelegen, haben wir oben den Grundsatz der Trennung von Motiv und Geschäftswille verständlich zu machen versucht. Ein weiteres moralisches Prinzip, welches dann im Konsens zu einer konkreten Regelung umgesetzt wird, stellt dann das Prinzip der Gegenseitigkeit der Leistungen im wirtschaftlichen Austauschvertrag (Äquivalenzprinzip) dar. Es konstituiert wesentlich den moralischen Gehalt gerade des synal1agmatischen Vertrages und ist damit im Vergleich zur grundsätzlichen Trennung von Motiv und Geschäftswille schon etwas spezieller. Die nähere inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem moralischen Grundsatz in seinem Verständnis durch Wilhelm und Jan Schapp bleibt dem folgenden Kapitel vorbehalten. Die Parteien formen denmach bestimmte moralische Prinzipien des Vertragsbereichs, die jede von ihnen von vornherein verinnerlicht hat, im Verfahren des Vertragsschlusses zur konkreten Regelung ihres gegenseitigen Verhältnisses um. Diese Konkretisierungsfunktion des "Vertragsmechanismus" entspricht damit der Aufgabe, welche im Schrankenmodell der Freiheit in seiner Deutung durch Schapp dem Recht in bezug auf die von ihm vorgefundenen moralischen Prinzipien zukommt. Mit seiner inhaltlichen Konkretisierungsfunktion scheint uns aber die Bedeutung noch nicht vollständig ausgeschöpft zu sein, die dem Konsens als Endpunkt des als Prozeß verstandenen Vertragsschlusses zukommt. Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang an die zweite wesentliche Aufgabe, die das Schrankensystem der Freiheit in seinem neuen Verständnis dem Recht stellt, nämlich an die Zwangsbewehrung der aus den moralischen Pflichten entwickelten Rechtspflichten. Lassen sich auch insoweit Verbindungslinien zum Vertragsschluß ziehen? Nun vermögen die Parteien die vertraglich vereinbarten Regelungen nicht selbst zwangsweise gegeneinander durchzusetzen. Dennoch scheint uns die Fixierung konkreter Vertragspflichten im Akt des Vertragsschlusses die auf einer prinzipiellen Ebene vorgefundenen moralischen Pflichten nicht nur inhaltlich zu präzisieren, sondern sie durch diese Konkretisierung zugleich mit einem höheren Grad moralischer Verbindlichkeit auszustatten. Mögen die moralischen Pflichten wegen ihres Grundsatzcharakters auch demjenigen, der sie fiir sich als verbindlich akzeptiert hat, noch einen nicht unerheblichen Auslegungsspielraum lassen, so ist ihnen,
3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
148
von den Parteien im Konsens zu Vertragspflichten kristallisiert, nunmehr ein strengerer Befolgungsanspruch zu eigen. Darin ähneln die Vertragspflichten den durch das Recht geschaffenen Rechtspflichten, deren gegenüber den moralischen Verpflichtungen erhöhte Vetbindlichkeit ja darin zum Ausdruck kommt, daß das Recht erst auf ihre Verletzung mit Zwang rea~ert. 99 Uns scheint, als sei es denn auch diese gesteigerte moralische Vetbindlichkeit der Vertragspflichten, welche sie mit den Rechtspflichten teilen, die es dem Recht erlaubt, nun seinerseits die Vertragspflichten als Rechtspflichten anzuerkennen und ihre Verletzung rechtlich zu sanktionieren. Insgesamt ergibt sich damit fiir die Aufgaben, die das Schrankensystem der Freiheit und des Rechts im Verständnis Schapps dem Recht zuweist, im Vertragsbereich eine Art von "Atbeitsteilung" zwischen dem "Vertragsmechanismus" und dem Recht: Die inhaltliche Präzisierung der moralischen Pflichten zu konkreten Vertragspflichten mit ihrem höheren moralischen Geltungsanspruch ist in erster Linie Aufgabe der Parteien. Das Recht anerkennt dann die im Konsens fixierten Vertragspflichten als Rechtspflichten, wobei diese Anerkennung ihrerseits noch wieder ein in sich komplexer Vorgang ist, in den auch eigenständige inhaltliche Wertungen des Rechts einfließen. Verwiesen sei hier nur auf die Deutung der juristisch von den Parteien zumeist noch nicht näher aufbereiteten Vertragspflichten als Vereinbarung bestimmter Rechtsfolgen, sodann auf die ergänzende Vertragsauslegung als Entfaltung des Sinns der vertraglichen Vereinbarung zur Regelung von Bereichen, die vom Wortlaut des Vertrages nicht mehr erfaßt werden. Endlich mag man selbst das dispositive Gesetzesrecht noch in einem sehr weiten Sinne als weitere Entfaltung des Sinngehalts der vertraglichen Vereinbarung durch das Recht verstehen. Wir müssen es an dieser Stelle bei dieser knappen Skizze bewenden lassen, glauben mit ihr aber zum Ausdruck gebracht zu haben, daß wir hier die Grenze zwischen rechtsgeschäftlichen und gesetzlichen Rechtsfolgen nicht allzu scharf ziehen wollen. In den Rechtsfolgen, die sich an den Vertrag knüpfen, scheinen uns stets beide Elemente vorhanden zu sein: die Vereinbarung der Parteien und ihre wertende Übernahme durch das Recht. Der Unterschied zwischen rechtsgeschäftlichen und gesetzlichen Rechtsfolgen scheint uns hier eher duch das Überwiegen einer der beiden Komponenten gekennzeichnet zu sein als durch eine unüberwindliche kategoriale Kluft. Die Verhängung von Zwang als Sanktion der Verletzung von Vertragspflichten bleibt dann schließlich auch im Vertragsbereich ganz dem Recht votbehalten. Eine summarische, damit dann aber doch stark vereinfachende Betrachtung ergibt demnach eine Zweiteilung der Aufgaben zwischen "Vertragsmechanismus" und Recht: Das Verfahren des Vertragsschlusses zeichnet in seinem Endpunkt, dem Konsens, die aus den moralischen Prinzipien des Vertragsbereichs gewonnenen konkreten 99
Vgl. dazu Schapp, Freiheit, Moral und Recht, S. 230.
ll. Die Vertragslehre Schmidt-Rimplers
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Vertragsptlichten inhaltlich im wesentlichen vor, übernimmt also den Großteil der insoweit sonst dem Recht zukommenden Konkretisierungsfunktion. Das Recht sieht sich insofern im Vertragsbereich vor allem auf seine zweite Aufgabe verwiesen, fiir den Fall der Pflichtverletzung Zwang bereitzustellen. 6. Zusammenfassung
Abschließend wollen wir unsere Überlegungen zu dem hier dargelegten neuen Verständnis der Vertragslehre Schmidt-Rimplers noch einmal zusammenfassen. 1m Schrankenmodell der Freiheit und des Rechts, so wie Schapp es deutet, trifft das Recht nicht auf eine Freiheit, die als Sphäre individueller Beliebigkeit verstanden werden könnte, welche es von außen in ihre Schranken weist. Vielmehr baut das Recht auf der schon vom einzelnen vollzogenen moralischen Selbstbegrenzung seiner individuellen Freiheit auf, indem es die vorgefundenen, auf Achtung der anderen gerichteten moralischen Pflichten zur Grundlage der von ihm geschaffenen konkreteren Rechtsptlichten mit ihrem erhöhten Befolgungsanspruch macht. In entsprechender Weise knüpft nun der als Prozeß zu verstehende "Vertragsmechanismus" an die moralischen Prinzipien an, die dem Willen des einzelnen schon vor Aufnahme konkreter Vertragsverhandlungen inhärent sind. Als Beispiel eines solchen moralischen Prinzips fiir den Vertragsbereich haben wir den Grundsatz aufgefaßt, daß der einzelne die Wirksamkeit des einmal abgeschlossenen Vertrages in der Regel nicht in Frage stellen darf, wenn Vorstellungen, die ihn zum Vertragsschluß motivierten, sich später als irrig erweisen.
Ähnlich wie das Recht im Schrankensystem der Freiheit die Pflichten der Moral zu Rechtsptlichten präzisiert, präzisieren die Parteien im "Vertragsmechanismus" die moralischen Pflichten des Vertragsbereichs zu konkreteren Vertragsptlichten, die schließlich im Konsens, dem Endpunkt dieses Prozesses, fixiert werden. Ebenso wie die Rechtsptlichten weisen auch die im Konsens festgehaltenen Vertragsptlichten einen moralischen Geltungsanspruch auf, der den Geltungsanspruch der auf einer prinzipiellen Ebene angesiedelten moralischen Pflichten übersteigt. Diese Gemeinsamkeit von Vertrags- und Rechtspflichten erlaubt es dann dem Recht, die Vertragsptlichten seinerseits als Rechtsptlichten anzuerkennen. In dieser rechtlichen Anerkennung der Vertragsptlichten ist dann wiederum ein Prozeß der Deutung und weiteren moralischen Aufbereitung der vereinbarten Vertragsptlichten zu sehen. Er steht aber an Bedeutung hinter der bereits von den Parteien erbrachten inhaltlichen Konkretisierungsleistung zurück. Strukturell übernimmt damit der "Vertragsmechanismus" weitgehend die im Schrankenmodell der Freiheit dem Recht zukommende Aufgabe, moralische Pflichten zu konkretisieren und so mit jener erhöhten Verbindlichkeit auszustatten,
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3. Teil: Freiheit, Moral Wld Recht im Rechtsgeschäft
die dann die Zwangsanwendung im Falle der Pflichtverletzung legitimiert. Diese strukturelle Übereinstinunung der Aufgaben von Vertragsschluß und Recht rechtfertigt es dann vielleicht auch, den Abschluß eines Vertrages als Ausübung von Privatautonomie ("Selbstgesetzgebung") durch die einander nunmehr im Konsens vetbundenen Parteien aufzufassen. Wir glauben, diese neue Deutung der Vertragslehre Schmidt-Rimplers auffassen zu dürfen als Pendant zur gewandelten Perspektive auf das Schrankensystem der Freiheit und des Rechts, so wie Schapp sie entwickelt hat. Schmidt-Rimplers Gedanke, daß die Willensakte beider Parteien einander im Prozeß des Vertragsschlusses gegenseitig zum Richtigen hinfiihren, wird bewahrt. Er ist jetzt aber von der Aufgabe befreit, gleichsam der einzige Pfeiler zu sein, auf dem der Vertrag mit seinem Anspruch auf moralische und dann auch rechtliche Vetbindlichkeit ruht. Diese Aufgabe mußte den "Vertragsmechanismus" überfordern, wie insbesondere die Überlegungen zum Problem der Machtungleichheit der Vertragspartner gezeigt haben dürften. Stattdessen integriert der hier vorgeschlagene neue Ansatz den Kerngedanken Schmidt-Rimplers in ein Stufensystem von Freiheit und Moral, in dem die natürliche Freiheit des Individuums auf ihrem Weg zur bürgerlichen Freiheit einen in sich mannigfaltig abgestuften Prozeß moralischer Läuterung und Verfeinerung durchläuft.
IH. Der gegenseitige Vertrag als vernünftiger Vertrag 1. Die Vertragslehre Wilhelm Schapps "Was ein Vertrag ist, ist schwer zu sagen. Leichter kann man sich schon darüber verständigen, was ein vernünftiger Vertrag ist." Mit diesen Worten leitet Wilhelm Schapp sein 1930 veröffentlichtes Werk "Die neue Wissenschaft vom Recht - I. Band: Der Vertrag als Vorgegebenheit" ein. Als wichtigste Gruppe der vernünftigen Verträge betrachtet Wilhelm Schapp diejenigen Verträge, in denen Leistung und Gegenleistung einander gegenüberstehen.! 00
a) Ein Beispiel Die Vernunft des gegenseitigen Vertrages liegt in einer festen Reihe von Überlegungen, welche die Vertragspartner vor seinem Abschluß vollziehen. Wilhelm Schapp verdeutlicht diese Überlegungen anhand eines Beispiels: Ein Uhrensammler 100
Vgl. Wilhelm Schapp, Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 2.
III. Der gegenseitige Vertrag als vernünftiger Vertrag
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verfugt über eine Dublette. Er weiß, daß andererseits ein Antiquitätenhändler ein wichtiges Stück aufLager hat, das ihm noch in seiner Sanunlung fehlt, und kommt so auf den Gedanken, seine Dublette gegen die Uhr des Händlers einzutauschen. Der Sanunler schätzt nun in Gedanken die beiden Uhren gegeneinander ab. Wilhelm Schapp charakterisiert dieses Schätzen als einen eigenartigen Vorgang zwischen dem Menschen und dem Gegenstand, der geschätzt wird. Er betont, daß der Schätzvorgang, mag er auch auf der sinnlichen Wahrnehmung und Kenntnis des Gegenstandes fußen, durchaus nicht mit dieser Wahrnehmung verwechselt werden darflOl
Die geschätzten Gegenstände werden gewertet; ihre Werte werden gegeneinander abgewogen. Dies kann geschehen, indem der Schätzende ihren Wert jeweils in Geld taxiert und dann die so bestimmten Summen miteinander vergleicht, doch ist das nicht notwendig. Den Mehr- oder Minderwert heider Gegenstände kann man auch abschätzen, ohne den Generalnenner des Geldes zu verwenden. Auch können besondere Umstände einen Gegenstand gerade fiir den Schätzenden besonders wertvoll machen. So verleiht im Beispielsfall der Umstand, daß erst die Uhr des Händlers seine Sanunlung komplettiert, dieser Uhr fiir den Sanunler ihren gegenüber seiner Dublette erhöhten Wert, selbst wenn sie an sich weniger ansehnlich ist. Wilhelm Schapp spricht im Hinblick auf diese gerade fiir den Wertenden bedeutsamen Umstände vom Zusammenhangswert, den der geschätzte Gegenstand fiir ihn hat. l02 Soll der Handel zustandekommen, so muß der Schätzvorgang, wie ihn der Sanunler vollzieht, in die Wertung münden, daß aus seiner Sicht die Uhr des Händlers wertvoller ist als die in seiner Sammlung befindliche Dublette. Daraus muß sich dann die weitere Wertung ergeben, daß dementsprechend das Eigentum an der Uhr des Händlers fiir den Sanunler wertvoller ist als das Eigentum an seiner eigenen Uhr. Enden die Überlegungen des Sanunlers mit diesem Ergebnis, so wird er geneigt sein, den Handel abzuschließen. Damit dieser tatsächlich zustandekommt, ist es erforderlich, daß der Händler die beiden Uhren gerade umgekehrt wertet, also seiner Uhr geringeren Wert beirnißt als der des Sanunlers. Diese Wertung des Händlers wird sich in der Regel auf den Geldwert heider Gegenstände beziehen. l03 Dem Abschluß des Tausclwertrags gehen also umgekehrte Wertgleichungen, präziser umgekehrte Wertungleichungen von Sanunler und Händler voraus. Wenn sie den Tausch aushandeln, versuchen allerdings beide, dem anderen gegenüber den gegenteiligen Eindruck zu erwecken. Jeder von ihnen sucht die von ihm vollzogene
101 102 103
Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 2. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 3. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 3.
3. Teil: Freiheit, MorallUld Recht im Rechtsgeschäft
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Wertungleichung ZU verbergen und stattdessen den Eindruck zu erwecken, er wolle dem anderen etwas schenken. l04 Wilhehn Schapp betont, daß dieselben Wertungsprozesse wie die im Beispielsfalle geschilderten bei jedem Tausch oder Kauf ablaufen, unabhängig davon, in welchem Land und zu welcher Zeit er abgeschlossen wird. ,05 Er charakterisiert diese Überlegungen, die mit dem Vollzug umgekehrter Wertungleichungen durch die Parteien abschließen, als Unterbau nicht nur von Kauf und Tausch, sondern des gegenseitigen Vertrags überhaUpt.l06 Im Rechtsverkehr tritt nach Wilhehn Schapp das Vorhandensein dieses Unterbaus nur in der Benennung des jeweiligen Geschäfts zutage: Einigen sich etwa die beiden Parteien über den Kauf einer Sache für einen bestimmten Preis, so bringen sie, indem sie dieses Geschäft eben als Kauf bezeichnen, zum Ausdruck, daß sie bezüglich Kaufsache und Kaufpreis Wertungleichungen in umgekehrter Weise vollzogen haben. l07 Wie verhalten sich nun diese Überlegungen Wilhehn Schapps zum Problem, inwieweit sich in der Selbstbindung durch Vertrag Freiheit entfaltet? Wilhehn Schapp weist darauf hin, daß die Wertungen, die er als Unterbau des gegenseitigen Vertrags kennzeichnet, vom Juristen als Motive des Geschäfts aufgefaßt werden. ,08 Nun ist das Verhältnis von Motiv und Rechtsgeschäft das Thema Zitehnanns. Mit dem Modell der erweiterten Handlungsreihe konzipiert er das Rechtsgeschäft als Mittel der individuellen Bediirfniroefriedigmtg und fimdiert es auf diese Weise in seinen Motiven. Der einzelne, der ein Rechtsgeschäft tätigt, macht damit von seiner natürlichen Freiheit Gebrauch, die im Dienste der eigenen Selbsterhaltung steht. Wenn für Wilhehn Schapp der gegenseitige Vertrag seinen Sinn von den ihm zugrundeliegenden Wertungen der Parteien her gewinnt, die in der Perspektive des Juristen ihre Motive zum Geschäftsabschluß sind, so liegen Berührungspunkte zwischen dieser Konzeption des gegenseitigen Vertrags und der Rechtsgeschäftslehre Zitehnanns auf der Hand. Mit dem Terminus "Motiv" bereitet Zitelmann allerdings schon die spätere Abschichtung der als "unbeachtliche Motive" identifizierten Vorstellungen vom ''beachtlichen Geschäftswillen" vor. Wilhehn Schapp dagegen bekennt sich, indem er die umgekehrten Wertungleichungen der Parteien als Unterbau des gegenseitigen Vertrags bezeichnet, auch terminologisch klar zur zentralen Bedeutung, welche diese von den Vertragsparteien angestellten Überlegungen fiir das lebensweltliche Gebilde "gegenseitiger Vertrag" haben. Im Gegensatz zu Zitehnann betrachtet er dieses Gebilde also nicht von vornherein 104 105 106 107 108
Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 4. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 4 f. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 6. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 6. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 5.
III. Der gegenseitige Vertrag als vernünftiger Vertrag
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durch die Brille des Juristen, sondern erfaßt seinen Sinn konsequent vom Standpunkt des einzelnen Vertragschließenden aus, der sich in der Lebenswelt durch den vertraglichen Austausch wertvoller Gegenstände zu einem anderen in Beziehung setzt. Vernünftig ist der gegenseitige Vertrag fiir ihn, weil er durch den Erwetb des zuvor im Eigentum des anderen stehenden Gegenstandes gegen Hingabe des Eigentwns an einem bisher ihm gehörenden Gegenstand per saldo seine eigene Wertwelt bereichert. Es liegt nun nahe, in dieser Vernunft, mit der der einzelne die eigene Wertwelt durch den Abschluß gegenseitiger Verträge bereichert, seine im Dienste der individuellen Selbsterhaltung stehende natürliche Freiheit wiederzufinden. An dieser Stelle findet sich nun allerdings nicht nur ein Berührungspunkt der Konzeptionen Wilhelm Schapps und Zitelmanns, sondern zugleich ein überaus bedeutsamer Unterschied. Wir müssen uns in diesem Zusammenhang einmal vor Augen führen, daß der Begriff der Selbsterhaltung keineswegs eindeutig festgelegt ist, sondern eher eine ganze Skala möglicher Bedeutungsinhalte abdeckt. Unsere These geht nun dahin, daß Zitelmann mit seinem Ansatz bei der menschlichen Lustbefriedigung einerseits, Wilhelm Schapp mit seinem Ansatz bei der Bereicherung der eigenen Wertwelt andererseits die beiden diametral entgegengesetzten Enden dieser Bedeutungsskala bezeichnen. Jan Schapp weist darauf hin, daß auch der Schutz des eigenen Lebens schon als moralisch verstanden werden kann.! 09 Diese moralische Komponente, die bereits der natürlichen Freiheit innewohnt, liegt dann aber doch wohl weniger in der Erhaltung des eigenen Lebens als bloßer biologischer Tatsache als vielmehr in der Bewahrung und Entwicklung der eigenen Existenz als geistigseelisches Wesen, eben als Mensch und nicht nur als Lebewesen. Erst wenn man dem menschlichen Selbsterhaltungstrieb diesen Inhalt gibt, wird unserer Auffassung nach das ihm inhärente Moment der Moral vollständig sichtbar, das ihn qualitativ vom Selbsterhaltungstrieb des Tieres nachhaltig unterscheidet. Insofern sollte man vielleicht besser vom Selbsterhaltungsstreben des Menschen im Unterschied zum Selbsterhaltungstrieb des Tieres sprechen.
Daraus folgt, daß Zitelmann, wenn er den menschlichen Selbsterhaltungstrieb in eine Summe verschiedener Unlustgefiihle auflöst, sich selbst den Blick auf dieses moralische Element der Bewahrung des eigenen Lebens teilweise verstellt. Im Empfinden von Unlust und dem Trieb zu ihrer Beseitigung unterscheidet sich der Mensch nicht grundsätzlich vom Tier; im Gegenteil verweist ein so verstandener Selbsterhaltungstrieb gerade auf die animalischen Züge des Menschen. Eine Rechtsgeschäftslehre, die das Rechtsgeschäft ausgehend vom Problem der menschlichen Lustbefriedigung konzipiert, ruht also von vornherein auf einem allzu schütteren moralischen Fundament.
109
Vgl. Schapp, Freiheit, Moral und Recht, S. 184.
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3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
Als Folgeproblem schließt sich dann die Schwierigkeit an, vom Ansatz bei der Lust aus das Moment der Achtung des anderen und damit der moralischen Freiheit in überzeugender Weise in die Rechtsgeschäftslehre zu integrieren. Gerade die Mühe, die es Zitelmann angesichts seines Ausgangspunktes bereitet, die Trennung des Rechtsgeschäfts von seinen Motiven psychologisch plausibel zu machen, veranschaulicht dieses Folgeproblem in aller Eindringlichkeit. Einen ganz anderen Zugang zur Sorge des Menschen um das eigene Wohl gewinnt Wilhelm Schapp mit seiner wertorientierten Betrachtungsweise. Vernünftig ist der gegenseitige Vertrag, weil er für beide Vertragschließenden Mittel zur Bereicherung der eigenen Wertwelt ist. Um die Eigenart dieser wertbezogenen Vernunft näher zu erhellen, soll im folgenden ein Überblick über die Welt der Werte in der Perspektive Wilhelm Schapps gegeben werden. b) Die Wertlehre Wilhelm Schapps
Was unter Wert zu verstehen ist, ist, so Wilhelm Schapp, leichter zu fiihlen als begrifflich zu umgrenzen. I 10 Wilhelm Schapp kennzeichnet den Wert als Akzent der wertvollen Gegenständlichkeit, der aber nicht Gegenstand theoretischer Betrachtung, sondern selbst in eigenartiger Weise etwas Gegenständliches an dem Wertvollen ist, welches im Genuß erfahren wird. lll Das Genießen bedeutet die engste Verbundenheit der Seele mit dem Gegenständlichen, welches genossen wird. 112 Es handelt sich beim Genießen um den eigentlichen Lebensquell des Menschen, der das Leben trägt, der Kraft und Mut zum Weiterleben gibt. 113 Ohne Genießen kann dem Menschen kein Wert vermittelt werden. I 14 Aus der Beziehung von Wert und Genießen folgt, daß das, was für sich genommen dem Genuß unzugänglich ist, auch für sich genommen ohne Wert, genauer ohne Eigenwert ist. Durch die Beziehung zu etwas Wertvollem kann es dennoch selbst einen Wert gewinnen, den Wilhelm Schapp als Mittelwert bezeichnet. 115 Komplementär zum Werte verhält sich der Unwert, der nicht genossen, sondern erduldet oder getragen wird. I 16
110 111 112 113 114 115 116
Vgl. Wilhe1m Schapp, Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 7. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 7. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 1l. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 13. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 9. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 9. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 9.
IlI. Der gegenseitige Vertrag als vernünftiger Vertrag
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Die Welt der Werte und Unwerte ist die eigentliche Welt, in der wir leben. Ohne sie wäre die Welt für den Menschen nur noch ein lebloses Schema. 117 • Die Wertwelt, die einer bestimmten Seele zugeordnet ist, gibt in all ihrer Mannigfaltigkeit dem Leben gleichsam erst seine Farbe: Zu ihr gehören etwa der jeden Morgen aufs neue bewunderte Sonnenaufgang, der immerfort variierende Schattenriß der Allee auf dem lichten winterlichen Hintergrund, die blühende Kastanie im Frühjahr, die Menschen, denen man gerne begegnet. 118 Das zuletzt genannte Beispiel verweist auf einen Wert ganz besonderer Art: Es ist dies der Wert, den für den Menschen der andere Mensch hat, und zwar nicht etwa sein Mittelwert, sondern sein Eigenwert. Erst die gegenseitigen Wertbeziehungen der Menschen untereinander bilden das soziale Leben. 119 Das Wertvollste ist für den Menschen der Mensch. 120 Will man versuchen, die Wertlehre Wilhelm Schapps, die wir hier skizzenhaft wiedergegeben haben, in eine prägnante Formulierung zu fassen, so geschieht das vielleicht am besten in Wilhelm Schapps eigenen Worten: "Für den Einzelnen ist seine Wertwelt und die Art, wie er sie genießt, in Wirklichkeit das Leben."l2l Stellen wir die Welt der Werte, wie Wilhelm Schapp sie entwirft, nun noch einmal dem Ansatz Zitelmanns bei dem Begriff der Lust und bei dem Trieb des Menschen zu ihrer Befriedigung gegenüber, so wird deutlich, daß die beiden Autoren ihrer jeweiligen Konzeption ein ganz unterschiedliches Menschenbild zugrundelegen: In Zitelmanns erweiterter Handlungsreihe trägt der Mensch doch in starkem Maße die Züge eines "listigen Tieres", das sich seines Verstandes bedient, um die eigenen Begierden, deren animalische Herkunft unverkennbar bleibt, zu befriedigen. Das moralische Verhältnis zum anderen muß vor diesem Hintergrund prekär bleiben. Im Gegensatz dazu zeigt uns Wilhelm Schapp den in seiner Wertwelt lebenden Menschen von vornherein als geistig-seelisches Wesen. So scheint die geistige Dimension der Wertwelt auf, wenn die ästhetische Freude am Anblick des Sonnenaufgangs oder am Bild der winterlichen Allee als Werte verständlich gemacht werden. Dabei verkürzt die Kennzeichnung dieser Werte als ästhetisch vielleicht schon die Bedeutung, die sie für das Leben des einzelnen haben: Wenn Wilhelm Schapp im Genießen des Wertvollen die eigentliche Quelle der Lebenskraft sieht122 , so ist damit bereits die seelische Dimension angesprochen, die der Welt der Werte inne117 118
119 120
121 122
Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. Ders., Vertrag als Vorgegebenheit, S. 13.
11. 21. 13. 16. 16.
3. Teil: Freiheit, Moral Wld Recht im Rechtsgeschäft
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wohnt. Zur vollen Entfaltung gelangt diese seelische Dimension der Wertwelt, wenn Wilhelm Schapp den Menschen, d.h. den anderen, als das Wertvollste fiir den Menschen kennzeichnet. Steht demnach in der Hierarchie der menschlichen Werte die Beziehung zum anderen an der Spitze, so ist damit der Boden bereitet fiir die Integration des zweiten großen Freiheitsbegriffs, des Begriffs der moralischen Freiheit, in die Welt der Werte. Wir vergegenwärtigen uns in diesem Zusammenhang noch einmal die Deutung der moralischen Freiheit durch Jan Schapp, die wir in dieser AIbeit zugrundelegen. Danach besteht die moralische Freiheit vor allem in der bewußten, innerlich bejahten ZUIÜCknahme der eigenen natürlichen Freiheit zugunsten des anderen. 123 Wilhelm Schapp nun sieht das moralische Verhalten und die moralische Gesinnung in der Einwirkung auf die Wertwelt eines andern. 124 Er präzisiert diesen Satz, indem er das moralische Verhalten zu einem wesentlichen Teil darin findet, daß man andere im Genuß von Werten nicht stört, ihnen förderlich ist bei dem Genuß von Werten, Unwerte von ihnen abhält, ihnen nichts Unwertes zufiigt oder ihnen das Unwerte zu tragen hilft. 125 Will man andere beim Genuß von Werten fördern, so wird es häufig notwendig sein, ihnen diese Werte erst zu verschaffen. Das wiederum erfordert es zumeist, wertvolle Gegenstände, die bisher der eigenen Wertwelt zugeordnet waren, aus dieser auszuscheiden und sie in die Wertwelt anderer zu übertragen. Diese Feststellung ist nun, so selbstverständlich sie klingen mag, von einiger Bedeutung: Sie stellt die Verbindung her zwischen dem wertorientierten Moralverständnis Wilhelm Schapps und der moralischen Freiheit in der Deutung Jan Schapps. Opfere ich bewußt eigene Werte auf, um die Wertwelt des anderen zu bereichern, so ist unschwer zu erkennen, daß ich auf diese Weise meine natürliche Freiheit, die auf Förderung des eigenen Wohls gerichtet ist, zugunsten des anderen ZUIÜcknehme. Gerade in dieser bewußten Selbstbeschränkung der natürlichen Freiheit zugunsten anderer aber besteht ja in der moralphilosophischen Konzeption Jan Schapps, die wir in dieser AIbeit zugrundelegen, die moralische Freiheit des Menschen. Indem Wilhelm Schapp es als moralisches Verhalten kennzeichnet, andere im Genuß von Werten zu fördern, integriert er demnach diesen zweiten großen Freiheitsbegriff in seine Wertlehre. Es gelingt ihm also, der Sache nach beide Freiheitsbegriffe in seine wertorientierte Betrachtung einzubeziehen: Wenn ich die eigene Wertwelt bereichere, so übe ich damit meine eigene natürliche Freiheit aus. Dieser natürlichen Freiheit, welche sich in der Welt der Werte entfaltet, ist bereits ein moralisches Moment inhärent, denn 123 124 125
Vgl. Schapp, Freiheit, Moral Wld Recht, S. 158; 160; 194,259 f. Vgl. Wilhelm Schapp, Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 14. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 15.
m. Der gegenseitige Vertrag als vernünftiger Vertrag
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sie zielt von vornherein ab auf meine Selbsterhaltung als geistig-seelisches Wesen, wozu auch schon die Pflege der BeziehlUlgen zu meinen Mitmenschen gehört. Von hier aus gelingt dann zwanglos die Integration der moralischen Freiheit: Wenn in meiner Wertwelt den Menschen, die mir nahestehen, der höchste Eigenwert zukonnnt, so läßt sich auch das moralische Verhalten, das in der bewußten AufopfeflUlg eigener Werte zuglUlsten anderer liegt, verständlich machen. Ungleich schwerer hat es hingegen Zitehnann, die moralische Freiheit in sein System zu integrieren: Wer betont, der Mensch werde völlig ausnalnnslos lUld lUlter allen Umständen das tun, wodurch die vorhandene Unlust möglichst aufgehoben wird126 , der schneidet sich die Möglichkeit weitgehend ab, der im Menschen ebenfalls schon, angelegten Fähigkeit, die eigenen Begierden durch Akte bewußten Verzichts zugllllsten der anderen zu zügeln, einen systematischen Ort zu geben. c) Das Element der Moral im gegenseitigen Vertrag
Wenden wir lUlS nlUl noch einmal dem gegenseitigen Vertrag in der Perspektive Wilhelm Schapps zu. Jeder der beiden Vertragspartner stellt vor seinem Abschluß eine WertlUlgleichlUlg auf, derzufolge der in Aussicht genonnnene Güteraustausch per saldo die eigene Wertwelt bereichern wird. Wer einen synallagmatischen Vertrag eingeht, verwirklicht insofern seine auf die FördeflUlg des eigenen Wohls gerichtete natürliche Freiheit. In diesem Sinne ist sein Handeln vernünftig. NlUl sind in die Wertlehre Wilhelm Schapps der Sache nach sowohl natürliche als auch moralische Freiheit einbezogen. Es sollte daher nicht schwerfallen, auch die Komponente der moralischen Freiheit im gegenseitigen Vertrag, so wie ihn Wilhelm Schapp konzipiert, sichtbar zu machen. Moralisches Verhalten besteht u.a. darin, andere im Genuß von Werten zu fördem127 , lUld diese FördeflUlg verlangt es häufig, ihnen diese Werte erst zu verschaffen, Von daher liegt es nlUl nahe, das Verhalten der Parteien eines gegenseitigen Austauschvertrags nicht allein als AusüblUlg eigennütziger Vernunft, sondern auch als moralisches Verhalten dem anderen gegenüber zu verstehen. Jeder von ihnen bereichert ja ganz bewußt nicht nur die eigene Wertwelt, sondern zugleich die Wertwelt des jeweils anderen, der die auszutauschenden Güter umgekehrt gewertet hat, dessen Wertwelt durch den Austausch also ebenfalls einen Zuwachs erfahrt. Dieses moralische Element des gegenseitigen Vertrages scheint lUlS anzuklingen, wenn Wilhelm Schapp dessen Unterbau als eigenartiges Verhältnis zweier Wertwelten charakterisiert, von denen je ein Teil zum Austausch mit einem Teil der andern
126
127
Vgl. Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 175. Vgl. Wilhelm Schapp, Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 15.
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3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
Wertwelt drängt.128 Von einem Verhältnis der Wertwelten beider Vertragspartner ließe sich doch kaum sinnvoll sprechen, wenn jede Partei ausschließlich darauf fixiert wäre, die eigene Wertwelt zu bereichern, und die zu diesem Zweck erforderliche Hingabe eines Teils dieser Wertwelt demgemäß allein als notwendiges Übel in den Blick bekäme. Eher dürfte es dem gegenseitigen Vertrag gerecht werden - und das scheint uns mit Wilhelm Schapps Wendung vom Verhältnis zweier Wertwelten angesprochen zu sein - , wenn man im Nonnalfalle jeder Partei zugesteht, daß sie neben der primär angestrebten Mehrung der eigenen Werte auch der Gegenseite, die ja als Partner des angestrebten Austausches diese Mehrung erst ermöglicht, die damit zugleich veroundene Bereicherung ihrer Wertwelt bewußt zubilligt. Die Hingabe des eigenen Leistungsgegenstandes zugunsten des Vertragspartners wird damit gerade nicht nur als notwendiges Übel, sondern durchaus als "gerechtes Opfer" empfunden. Dieses Empfinden wird um so stärker sein, je enger das persönliche Verhältnis der beiden Vertragspartner ist und je deutlicher demzufolge jedem von ihnen das Angewiesensein des jeweils anderen auf die eigene Gegenleistung vor Augen steht: Kaufe ich seit dreißig Jahren im Bäckerladen gegenüber meine Brötchen, so werde ich es als selbstverständlich empfinden, daß der Bäcker, wenn ich die Brötchen bezahle, erhält, was ihm gebührt, während es mir wahrscheinlich kaum in den Sinn kommen wird, die Hingabe des Kaufpreises als widerwillig ertragenes, aber notwendiges Übel anzusehen, in das ich mich zu fUgen habe, wenn ich weiterhin meine Frühstücksbrötchen genießen will. Dasselbe werde ich aber auch, wenngleich in abgeschwächter, gleichsam verdünnter Form, beim Abschluß anderer Austauschverträge empfinden, etwa beim vergleichsweise anonymen Kauf, den ich im großen Warenhaus in einer fremden Stadt abschließe. Stets ist mir die damit veroundene Bereicherung der Wertwelt des Vertragspartners nicht nur bewußt, sondern sie wird auch von mir bejaht und in diesem Sinne gewollt. Insofern handle ich, wenn ich einen gegenseitigen Austauschvertrag abschließe, immer auch moralisch. Dem steht nicht entgegen, daß die Bereicherung meiner eigenen Wertwelt für mich durchaus an erster Stelle steht, der gegenüber in meinen Augen die Bereicherung der Wertwelt des Vertragspartners an Bedeutung doch zurücktritt. Im Ausgangspunkt betätige ich im Vertragsschluß eben zunächst meine natürliche Freiheit im Bereich der Wirtschaft, während das Element der Moral dann erst auf der folgenden Stufe seine begrenzende und läuternde Wirkung zu entfalten beginnt. Dennoch stellt sich hier, ähnlich wie schon einmal im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Vertragslehre Schmidt-Rimplers, die Frage, ob die vorstehenden Ausfiihrungen den gegenseitigen Vertrag nicht doch idealistisch überhöhen. Kann man wirklich davon sprechen, den Vertragspartnern gehe es nicht allein um die Bereicherung der jeweils eigenen Wertwelt, sondern zugleich, wenngleich erst in zweiter Linie, um die Bereicherung der Wertwelt des jeweils anderen? Gilt dies 128
Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 28.
m. Der gegenseitige Vertrag als vernünftiger Vertrag
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insbesondere auch in den heute zahlreichen Fällen, in denen der andere, wie im Beispiel des Warenhauskaufs, weitgehend anonym bleibt? Wir glauben, auch diesen Bedenken hinsichtlich der moralischen Komponente
im gegenseitigen Vertrag mit dem Hinweis auf seine überragende wirtschaftliche Bedeutung begegnen zu können: Diese Bedeutung könnte er nicht haben, wenn es nicht im Normalfalle jedem der Vertragspartner nicht allein um die Bereicherung der eigenen Wertwelt, sondern auch noch um die Bereicherung der Wertwelt des anderen zu tun wäre. Würde die erforderliche Aufopferung eigener Werte ausschließlich als widerwillig hingenommener Verlust erfahren, so wäre die Versuchung, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit vertragsbrüchig zu werden oder sich die begehrten Werte von vornherein durch Diebstahl, Betrug oder ähnliche Delikte anzueignen, wohl doch so stark, daß kein noch so perfektioniertes Sanktionsinstrumentarium des Rechts die Lebensfähigkeit des gegenseitigen Vertrags sichern könnte. Gerade seine seit Jahrtausenden unter Beweis gestellte Funktionsfähigkeit, seine zentrale Stellung im Wirtschaftsgefiige, scheint uns also am überzeugendsten zu belegen, daß die Vertragspartner durchaus eine wechselseitige Bereicherung ihrer Wertwelt erstreben, das Verständnis des gegenseitigen Vertrags als ein auch moralisches Verhältnis der Vertragspartner untereinander also in der Lebenswelt fundiert ist. In diesem Zusammenhang soll auch noch einmal an die Überlegungen zum moralischen Charakter der AIbeitsteilung erinnert werden. In der arbeitsteiligen Gesellschaft ist die AIbeit fiir sich selbst immer schon AIbeit fiir andere. Auf diese Weise erfährt die natürliche Freiheit des einzelnen, ausgeübt zwecks Sicherung der eigenen Lebensbedürfnisse, schon weit im Vorfeld eines jeden Vertragsschlusses eine Ausrichtung auf die Bedürfnisse des anderen und damit eine tiefgreifende moralische Kultivicrung. 129 Wenn sich dergestalt in der AIbeit im Zeichen der Arbeitsteilung beide Freiheitsbegriffe entfalten, so pflanzt sich diese moralische Kultivierung der natürlichen Freiheit gleichsam in den gegenseitigen Vertrag hinein fort: Meine natürliche Freiheit realisiert sich, indem ich durch meine AIbeit die Mittel zur eigenen Selbsterhaltung erwerbe und die so erworbenen Mittel anschließend einsetze, um sie im gegenseitigen Austauschvertrag gegen diejenigen Werte einzutauschen, die gerade mir zur eigenen Selbsterhaltung als geistig-seelisches Wesen notwendig erscheinen. Moralisch kultiviert wird diese natürliche Freiheit, indem ich zunächst mit meiner AIbeit die existentiellen Bedürfnisse anderer befriedige und sodann die auf diese Weise erworbenen Mittel im gegenseitigen Austauschvertrag wiederum nicht allein zur Bereicherung der eigenen Wertwelt verwende, sondern zugleich dem jeweiligen Vertragspartner die Mittel- oder Eigenwerte verschaffe, die er seinerseits zur eigenen Selbsterhaltung benötigt.
129
Vgl. dazu Schapp, Freiheit, Moral und Recht, S. 264.
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3. Teil: Freiheit, Moral1Uld Recht im Rechtsgeschäft
Wir glauben, mit den vorstehenden, an Wilhelm Schapps Konzeption des gegenseitigen Vertrages anknüpfenden Überlegungen deutlich gemacht zu haben, inwieweit sich im gegenseitigen Vertrag neben der natürlichen auch die moralische Freiheit der Vertragspartner verwirklicht. Mit der Synthese, die beide Freiheitsbegriffe hier eingehen, erscheint der Austauschvertrag als Gestalt gewordene bürgerliche Freiheit im Bereich der Wirtschaft. d) Wilhelm Schapps Kritik am Vertragsmodell des BGB
Nicht unerwähnt bleiben darf im Zusammenhang unserer Auseinandersetzung mit der Vertragslehre Wilhelm Schapps seine Skepsis gegenüber der Vertragsauffassung des BGB. Wilhelm Schapp stellt den umgekehrten Wertungleichungen beider Parteien, dem Unterbau des gegenseitigen Vertrags, das Perfektmachen des Handels, den Vertragsschluß, als Oberbau gegenüber.!30 In der Sicht des BGB besteht der Vertragsschluß darin, daß die Parteien Verpflichtungen bezüglich der Hauptleistungen übernehmen.!3! Die beiderseitige Übernahme von Verpflichtungen ist aber nach Wilhelm Schapp lediglich eine von mehreren möglichen Formeln fiir den ObeIbau des Austauschvertrags. Thr stellt er mit Blick auf den Kaufvertrag, den Prototyp des gegenseitigen Vertrags, als gleichwertige mögliche Formel die unmittelbare gegenseitige Übertragung des Eigentums an den auszutauschenden Leistungsobjekten gegenüber. 132 Ebenso hält Wilhelm Schapp eine Kombination beider Formeln fiir möglich, also die Eigentumsübertragung durch eine Seite, der das verpflichtende Leistungsversprechen der anderen Seite gegenübersteht. Der Charakter des Kaufs als gegenseitiger Vertrag hängt nicht davon ab, welche dieser Formeln man fiir seinen ObeIbau wählt.!33 Wilhelm Schapp spricht damit dem obligatorischen Konsens des BGB einen ontologischen Anspruch ab. Mit der Kennzeichnung des obligatorischen Konsenses als einer unter mehreren denkbaren Formeln fiir den Abschluß von Austauschverträgen wird die Vertragskonzeption des BGB nachhaltig relativiert. Die Frage liegt nahe, inwieweit die Auffassung des vermögensrechtlichen Vertrages als Konsens, d.h. als das Vorliegen zweier inhaltlich übereinstimmender, auf die Entstehung wechselseitiger Verpflichtungen gerichteter Willenserklärungen, überhaupt noch Existenzberechtigung beanspruchen kann. Kann eine Vertragslehre, fiir die das Äquivalenzprinzip im Sinne Wilhelm Schapps den Sinn des vermögensrechtlichen Vertrages konstituiert, auf die Figur des obligatorischen Konsenses nicht mögli130 131 132 133
Vgl. Wilhelm Schapp, Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 28 fT. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 33. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 33. Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 33.
III. Der gegenseitige Vertrag als vernünftiger Vertrag
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cherweise verzichten? Mit dieser Frage setzt sich Jan Schapp in seiner 1968 veröffentlichten Schrift "Sein und Ort der Rechtsgebilde" auseinander. Thr wollen wir uns im folgenden zuwenden.
2. Jan Schapps Kritik des Vertrags als Willensübereinstimmung "Der Vertrag ist keine Allgemeinheit, daher ist der Ansatz vom Willen her verfehlt.,,134 Diese dezidierte These stellt Jan Schapp seiner Auseinandersetzung mit der Vertragskonzeption des BGB voran. Der zentrale Vorwurf Schapps an die juristische Vertragsauffassung lautet, sie verfehle mit dem Verständnis des Vertrags als Konsens den Zugang zum Vertrag der Lebenswelt. Der lebensweltliche Vertrag ist immer schon konkret, also konkreter einzelner Kauf, konkrete einzelne Miete oder konkrete einzelne Pacht. 135 All diese Verträge bilden die große Reihe des vermögensrechtlichen Vertrages. 136 Die Einheit dieser Reihe liegt gerade im vermögensrechtlichen Charakter des Vertrages137 , und hier wiederum, beim entgeltlichen .Vertrag als dem Kern des Vertragsgebiets, in dem Gesichtspunkt, daß niemand das, was er mühsam erworben hat, ohne triftigen Grund weggeben wird. 138 Demnach wird die Einheit der entgeltlichen Verträge durch die Reziprozität von Leistung und Gegenleistung gestiftet. Der Jurist, der sich dem Vertrag vom Konsens und vom rechtsgeschäftlichen Willen her nähert, blendet dagegen seinen vermögensrechtlichen Charakter gerade aus. J39 Wenn der Konsens als Willensübereinstimmung das Wesen des Vertrags ausmacht, dann fallen unter die Gattung Vertrag in ihrer Allgemeinheit so unterschiedliche Gebilde wie die Eheschließung, die Gründung eines geselligen Vereins und der Kauf. 140 Der vermögensrechtliche Charakter etwa des Kaufs tritt in der Sicht des Juristen in den Hintergrund gegenüber seiner Teilhabe am Wesen der allgemeinen Gattung Vertrag, das in der Willensiibereinstimmung der Vertragspartner liegt. Als Grundlage dieser juristischen Vertragsauffassung sieht Schapp die Lehre von der Vertragsfreiheit an, verstanden als das Prinzip, daß der Mensch frei ist zu entscheiden, welche Verträge er eingehen will. Dieses Prinzip setzt der Jurist dann in So Schapp, Sein Wld Ort der Rechtsgebilde, S. 117. Ders., Sein Wld Ort der Rechtsgebilde, S. 117. 136 Ders., Sein Wld Ort der Rechtsgebilde, S. 120. 137 Ders., Sein Wld Ort der Rechtsgebilde, S. 124. 138 Ders., Sein Wld Ort der Rechtsgebilde, S. 125. 139 Ders., Sein Wld Ort der Rechtsgebilde, S. 120. 140 Ders., Sein Wld Ort der Rechtsgebilde, S. 118 f.
134 135
11 Hoda
3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
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Beziehung zur Unterscheidung zwischen schuldrechtlichem und dinglichem Vertrag, indem er fiir den schuldrechtlichen Vertrag Abschluß- und Inhaltsfreiheit gewährt, fiir den dinglichen Vertrag dagegen nur Abschlußfreiheit, während hinsichtlich seines Inhalts Typenzwang herrscht. 141 Schapp zufolge fundiert die Lehre von der Vertragsfreiheit die Allgemeinheit des juristischen Vertragsgebildes in der Freiheit des menschlichen Willens. 142 Die Lehre von der Freiheit des menschlichen Willens erscheint denn auch als Grundlage der juristischen Auffassung, der menschliche Wille sei der Grund fiir den Eintritt von Rechtsfolgen. 143 Mit dem Gesichtspunkt der Freiheit und Unfreiheit des menschlichen Willens aber bekommt man das Gebilde Vertrag nicht in den Griff 144 Der Wille ist immer schon eingetaucht in die konkreten Zusammenhänge, aus denen der Entschluß, einen konkreten Vertrag zu schließen, entspringt. Er ist demnach nicht minder konkret als der Vertrag selbst, so daß es kaum noch sinnvoll erscheint, in der Freiheit dieses Willens das inhaltliche Moment zu sehen, welches die Allgemeinheit des als Willensübereinstimmungverstandenen Vertrags trägt. 145 Skeptisch äußert sich Schapp insbesondere im Hinblick auf die Zuriickfiihrung vertraglicher Verpflichtungen auf einen sich inhaltlich deckenden Verpflichtungswillen der Parteien, der als obligatorischer Konsens dann unterschieden wird vom dinglichen Konsens, welcher auf Übertragung des Eigentums an den auszutauschenden Leistungsobjekten geht. In seiner Sicht ist der obligatorische Vertrag nicht weniger ein Abstraktum als der dingliche Vertrag. 146 Die Annahme eines Verpflichtungswillens der Parteien stellt sich vor allem beim sofort abgewickelten Barkauf als Fiktion dar147 , doch wird es auch bei erst später durchgeführtem Leistungsaustausch an einem solchen Verpflichtungswillen fehlen, wenn die Parteien bei Vertragsschluß keine Zweifel an der wechselseitigen Vertragstreue hegen. 148 Vertragliche Verpflichtungen kann der Jurist erst aus dem Sinn des gesamten Vertragsgebildes entfalten, d.h. aus dem konkreten Vertrag der Lebenswelt als einem Verhältnis des Austausches von Eigentum und Vermögen. 149
141 142 143 144 145 146
147 148 149
Ders., Sein und Ort der Rechtsgebilde, S. Ders., Sein und Ort der Rechtsgebilde, S. Ders., Sein und Ort der Rechtsgebilde, S. Ders., Sein und Ort der Rechtsgebilde, S. Ders., Sein und Ort der Rechtsgebilde, S. Ders., Sein und Ort der Rechtsgebilde, S. Ders., Sein und Ort der Rechtsgebilde, S. Ders., Sein und Ort der Rechtsgebilde, S. Ders., Sein und Ort der Rechtsgebilde, S.
121. 121. 122. 121. 122 und S. 176. 168. 168. 158 f. 158 ff. und S. 168 f.
III. Der gegenseitige Vertrag als vernünftiger Vertrag
163
3. Unsere Auffassung: Die Berechtigung des Konsensmodells für den gegenseitigen Austauschvertrag im Hinblick auf die Frage nach der Freiheit
Wie verhält sich nun diese Kritik Schapps an der hohen Abstraktion der juristischen Auffassung des Vertrags als Konsens zu unserer Frage, in welchem Sinne sich im Abschluß eines gegenseitigen Vertrags Freiheit entfaltet? Das Verständnis des Vertrags als Willensübereinstimmung kann in der Tat kaum befriedigen, wenn dieses Verständnis rein fonnal bleiben muß, weil es nicht gelingt, den Willen inhaltlich zu konturieren. Insofern stimmen wir Schapps Forderung nach einer konkreten Fundierung des juristischen Vertragsgebildes in der Lebenswelt zu. Unsere bisherigen Ausführungen dürften dann allerdings schon deutlich gemacht haben, daß wir die Frage, ob das Konsensmodell des Vertrags in der Freiheit des menschlichen Willens seine Grundlage finden kann, anders beantworten, als Schapp dies in "Sein und Ort der Rechtsgebilde" tut. Die Frage nach der Freiheit im Vertrag erfordert dann aber, daß man sich zunächst einmal Rechenschaft gibt über die grundlegende Ambivalenz des Freiheitsbegriffs, welche die beiden Begriffe der natürlichen Freiheit auf der einen und der moralischen Freiheit auf der anderen Seite bezeichnen. Der natürlichen Freiheit als der Freiheit, die eigene Macht zur Selbsterhaltung einzusetzen, tritt die moralische Freiheit als die Freiheit, seine Pflicht zu tun, gegenüber. Eine Vertragslehre, die es sich zum Ziel setzt, das Konsensmodell zu verteidigen, sieht sich damit vor die Aufgabe gestellt, zu verdeutlichen, inwieweit beide Freiheitsbegriffe im Vertrag als Willensübereinstimmung ihren Platz haben. Um diese Aufgabe bewältigen zu können, ist es notwendig, das hohe Abstraktionsniveau der beiden Freiheitsbegriffe zu verlassen, indem man aus ihnen moralische Prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe fiir den Vertragsbereich entwickelt und diese Prinzipien zum Konsensmodell in Beziehung setzt. Die betreffenden Prinzipien müssen dabei einerseits schon hinreichend konkret sein, um der von Schapp zu Recht gerügten hochgradigen Abstraktion des Konsensmodells eine inhaltliche Grundlage in den verschiedenen Aspekten menschlicher Willensfreiheit zu geben. Sie dürfen sich andererseits aber auch nicht in der schier unbegrenzten Mannigfaltigkeit der einzelnen Verträge der Lebenswelt verlieren, soll nicht der Versuch als gescheitert gelten, in der Freiheit das einigende Band zu finden, das die als Willensübereinstimmung aufgefaßten Verträge umgreift. 150 Bis zu einem gewissen Grade muß die Willensfreiheit also fonnal bleiben. I 51 150 Die zu hohe Abstraktion Wld Fonnalität des juristischen Vertragsgebildes muß also nicht notwendig zu seiner Verwerfung ftlhren. Naheliegender erscheint es zu versuchen, die inhaltlichen Bezüge, die sich hinter der Abstraktion verbergen, zu entfalten
164
3. Teil: Freiheit, Moral Wld Recht im Rechtsgeschäft
Im folgenden wollen wir aufzuzeigen versuchen, wie sich das in der menschlichen Willensfreiheit fundierte Konsensmodell des Vertrags zu den moralischen Prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe verhält, die gerade den Austauschvertrag als Verwirklichung der Freiheit beider Vertragspartner verständlich machen. Dabei knüpfen wir an unsere Auseinandersetzung mit den bisher diskutierten Ansätzen an, indem wir die Linien der dort angestellten Überlegungen noch etwas weiter ausziehen.
a) Das "ursprüngliche Habenwollen " eines Gegenstandes als VeIWirklichung natürlicher Freiheit
Wir vergegenwärtigen uns noch einmal das Beispiel des l.Threntausches, anhand dessen Wilhelm Schapp die dem Vertragsschluß vorangehenden Überlegungen der Parteien als Unteroau des gegenseitigen Vertrags veranschaulicht. Bevor der Sanunler beginnt, seine Dublette und die l.Thr des Händlers in Gedanken gegeneinander abzuschätzen, muß er zunächst eine Vorstellung von der l.Thr des Händlers entwickeln. Diese mag auf eigener sinnlicher Wahrnehmung oder auf einer Beschreibung durch Dritte beruhen. Aufgrund dieser Vorstellung wird es ihm dann grundsätzlich wünschenswert erscheinen, die l.Thr des Händlers in seine Sammlung einzugliedern, die l.Thr "zu haben". Es scheint uns nun, als lasse sich dieses grundsätzliche "Habenwollen" des einem anderen gehörenden Objekts der auf Selbsterhaltung gerichteten natürlichen Freiheit des einzelnen zuordnen: Auch wenn der betreffende Gegenstand nicht zur Erhaltung der physischen Existenz erforderlich ist wie ein Laib Brot, sondern meine eigene Wertwelt etwa durch Verschaffung ästhetischen Genusses bereichern soll wie die l.Thr im Beispielsfall, kann man diese Bereicherung der eigenen Wertwelt durchaus der eigenen Selbsterhaltung als geistigseelisches Wesen zuordnen.
Wld auf diese Weise die notwendige Konkretisierung durch ein gemäßigteres methodisches Vorgehen zu erreichen. In diesem Sinne nimmt Schapp in seiner späteren Schrift "Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre", S. 14, dort Anmerkung 12, eine methodische AkzentverschiebWlg gegenüber "Sein Wld Ort der Rechtsgebilde" vor. Das Anliegen, die Abstraktion "menschliche Willensfreiheit" als .Grundlage des Konsensmodells in moralische Prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe aufZulösen, stellt sich des weiteren auch als Parallele dar zu dem entsprechenden Verfahren, welches Schapp in "Freiheit, Moral Wld Recht", S. 143 f, vorschlägt, um den kategorischen hnperativ Kants in seiner hohen Formalität auf die besondere Natur des Menschen anwendbar zu machen. 151 Vgl. zur notwendigen Formalität der Willensfreiheit als FWldament des Rechtsgeschäfts Schapp in seinem späteren Werk "Grundlagen des bürgerlichen Rechts", S.147.
III. Der gegenseitige Vertrag als vernünftiger Vertrag
165
b) Das Schätzen als prinzipielle moralische LäUterung des "natürlichen HabenwolIens" An dieser Stelle müssen wir uns vor Augen führen, daß im Begriff der natürlichen Freiheit, ebenso wie in der Wahlfreiheit Adams vor dem Sündenfall, Gut und Böse noch ungeschieden nebeneinanderliegen. Aus diesem Spannungsverhältnis erwächst die Aufgabe des Menschen, die Grenze zwischen Gut und Böse zu erkennen und sich zwischen beidem zu entscheiden. 152 Bezogen auf unseren Sammler bedeutet das: Sobald fiir ihn feststeht, daß er es fiir wünschenswert hält, die Uhr des Händlers in die eigene Sammlung einzugliedern, muß er sich der Frage stellen, wie er sich dem Händler als ihrem derzeitigen Eigentümer gegenüber verhalten soll. Im Ergebnis wird der Sammler sich zwischen drei verschiedenen Handlungsalternativen zu entscheiden haben: Er kann versuchen, das Eigentum an der Uhr des Händlers zu erwerben, indem er im Austausch dafiir dem Händler eigene Vermögenswerte, etwa das Eigentum an seiner Dublette, verschaffi. Er kann darauf verzichten, die Uhr des Händlers zu erwerben, weil ihm das dafiir erforderliche Opfer eigener Vermögenswerte als nicht vertretbar erscheint. Schließlich kann er versuchen, auf deliktischem Wege dem Händler die Uhr zu entreißen, etwa durch einen Diebstahl. Entscheidet sich der Sammler fiir eine der beiden erstgenannten Handlungsalternativen, so übt er seine natürliche Freiheit zum Guten hin aus: Die Bereicherung einer fremden Wertwelt durch bewußte Hingabe eigener Werte im Austausch gegen die Bereicherung der eigenen Wertwelt durch den anderen kann ebenso als gut und damit als moralisch verstanden werden wie der in Respektierung des fremden Eigentums erfolgte bewußte Verzicht auf die eigentlich erwünschte Mehrung der eigenen Werte. Daß demgegenüber der Sammler, wenn er sich entscheidet, den Besitz an der Uhr des Händlers deliktisch zu erlangen, seine natürliche Freiheit zum Bösen hin ausübt, liegt auf der Hand. Diese letztgenannte Handlungsalternative unterscheidet sich damit fundamental von den beiden zuerst dargestellten.
Die erste und wichtigste moralische Aufgabe, die der Sammler bewältigen muß, nachdem er den Erwetb der Uhr als grundsätzlich wünschenswert bewertet hat, besteht deshalb darin, diese dritte Handlungsalternative von vornherein zu verwerfen. Wir glauben nun, daß der Sammler, wenn er die Uhr des Händlers gedanklich gegen die eigene Uhr abzuschätzen beginnt, diesen entscheidenden Schritt bereits getan hat: Wenn ich abwäge, welche bisher meiner eigenen Wertwelt zugeordneten Werte ich zugunsten des anderen werde aufopfern müssen, um den anderen im Gegenzug dazu zu veranlassen, meine Wertwelt durch Übertragung von bislang ihm zugeordneten Werten zu bereichern, so habe ich damit den anderen innerlich 152
Vgl. dazu ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 185 f.
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3. Teil: Freiheit, Moral Wld Recht im Rechtsgeschäft
als Partner eines zunächst noch potentiellen Austauschvertrags akzeptiert. Zugleich habe ich hierdurch eine Sichtweise zurückgewiesen, in welcher der andere nicht als zukünftiger Partner, sondern als Gegner erscheint, der zwischen mir und dem begehrten Gegenstand steht. Eben dies ist ja die Sichtweise des Diebes. Wir glauben, aufgrund dieser Überlegungen Wilhehn Schapps Kennzeichnung des Schätzens als eines ganz eigenartigen Vorgangs zwischen dem Menschen und dem geschätzten Gegenstand153 ergänzen zu dürfen: Es handelt sich zugleich auch schon um einen Vorgang zwischen dem Schätzenden und dem anderen, dem der geschätzte Gegenstand noch gehört, und zwar um den Vorgang der prinzipiellen Anerkennung dieses anderen als eines zu achtenden potentiellen Vertragspartners. Bereits in diesem noch weit im Vorfeld des etwaigen späteren Vertragsschlusses liegenden Stadium erfährt denmach die natürliche Freiheit, die im "Habenwollen" eines bestimmten Gegenstandes ihren Ausdruck findet, eine ganz entscheidende moralische Läuterung, indem der "Habenwollende" akzeptiert, daß er den begehrten Gegenstand nicht erlangen kann, ohne eine Gegenleistung zu erbringen. Schon im Stadium des Schätzens hat also derjenige, der Leistung und Gegenleistung abwägt, auf einer prinzipiellen Ebene seine natürliche Freiheit durch die auf Achtung des anderen gerichtete moralische Freiheit selbst begrenzt und so zum Guten hin geläutert. Die Selbstverständlichkeit, mit der die ganz überwiegende Mehrheit der redlichen Rechtsgenossen die Möglichkeit des deliktischen Erwerbs begehrter Gegenstände von vornherein ausschließt, ja sie nicht einmal eigens durch einen bewußten Willensakt auszuschließen braucht, nimmt dieser Entscheidung, die eigene natürliche Freiheit zum Guten hin auszuüben, nichts von ihrem Charakter als fundamentaler moralischer WeichensteIlung, die den gegenseitigen Austauschvertrag als ein Verhältnis der wechselseitigen Bereicherung zweier Wertwelten überhaupt erst ermöglicht. hn Gegenteil scheint uns die moralische Läuterung des "natürlichen Habenwollens" einer bestimmten Sache, welche im Abwägen ihres Wertes mit dem Wert der zu ihrem Erwerb mutmaßlich erforderlichen Gegenleistung zum Ausdruck kommt, gerade in ihrer Selbstverständlichkeit zu bezeugen, wie fruchtbar der Versuch ist, den gegenseitigen Vertrag als Verwirklichung nicht allein der natürlichen, sondern auch der moralischen Freiheit der Vertragspartner zu deuten.
153
Vgl. Wilhelm Schapp, Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 2.
III. Der gegenseitige Vertrag als vernünftiger Vertrag
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c) Die Konkretisierung der moralischen Prinzipien
des Vertragsbereichs im Aushandeln
Der einzelne, der innerlich abschätzt, welche bislang ilun selbst zugeordneten Werte er fiir den Erwerb des im Eigentum eines anderen stehenden Gegenstandes in dessen Wertwelt wird übertragen müssen, hat damit auf einer prinzipiellen Ebene natürliche und moralische Freiheit ins Gleichgewicht gebracht. An das Schätzen schließt sich nun das Aushandeln der konkreten Vertragsbedingungen mit dem anderen an. Um den Verlauf dieses Aushandelns zu veranschaulichen, eignet sich der Kaufbesser als der Tausch, da beim Kauf die Höhe der vom Käufer zu erbringenden Leistung, des Kaufpreises, variabel ist und die Parteien aus diesem Grunde bei ihren Verhandlungen flexibler agieren können als beim in Aussicht genommenen Tausch zweier Gegenstände. Wir verfolgen daher das Beispiel des Uhrentausches hier nicht weiter, sondern greifen auf das Beispiel eines zwischen den Parteien ausgehandelten Viehkaufs ZUlÜCk, wie wir es ebenfalls bei Wilhelm Schapp finden: Der Verkäufer fordert zunächst 500, der Käufer bietet 450. Beide nähern sich an auf 492 einerseits, 490 andererseits. Schließlich wird der Kauf fiir 491 per Handschlag perfekt gemacht. 154 Offenbar handelt es sich bei diesem Aushandeln um einen durch die Annäherung zweier unterschiedlicher Positionen gekennzeichneten Prozeß. Wenn sich die beiden Positionen dann inhaltlich decken, so endet er mit einem punktuellen Ereignis, dem Vertragsschluß. Es liegt nun nahe, diesen Prozeß des Aushandelns zum "Vertragsmechanismus" Schmidt-Rimplers in Beziehung zu setzen. Wir rekapitulieren daher noch einmal unsere Deutung seines Vertragsmodells. Unsere These geht dahin, daß der Wille eines jeden der Vertragspartner schon vor Beginn der Vertragsverhandlungen nicht ausschließlich auf die Verfolgung des eigenen Vorteils fixiert ist. Neben seiner primären eigennützgen Ausrichtung ist dem Willen auf einer prinzipiellen Ebene von vornherein auch das Moment der Achtung des anderen inhärent, und zwar in Gestalt bestimmter moralischer Prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe fiir den Vertragsbereich, die jede der Parteien von vornherein verinnerlicht hat. Als eines dieser Prinzipien haben wir den Grundsatz aufgefaßt, daß die Motive jeder der Parteien die Verbindlichkeit des einmal abgeschlossenen Vertrags unberührt lassen. Der "Vertragsmechanismus" stellt sich dann als Gespräch der Parteien dar, durch das sie aus den moralischen Prinzipien des Vertragsbereichs die konkreten Regelungen entwickeln, die ihnen gerade fiir ihr besonderes Verhältnis angemessen erscheinen. Bei diesem Konkretisierungsprozeß verfolgt dann jede Partei wieder primär ihr eigenes Interesse, sucht also die beiderseits akzeptierten moralischen 154
Ders., Der Vertrag als Vorgegebenheit, S. 29.
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3. Teil: Freiheit, Moral Wld Recht im Rechtsgeschäft
Prinzipien des Vertragsbereichs auf eine für sie möglichst günstige Weise in die konkrete Regelung des sich anbalmenden Vertragsverhältnisses "zu übersetzen". So wird jeder der beiden Vertragschließenden bestrebt sein, die eigenen Beweggründe zum Vertragsschluß in möglichst weitem Umfang zum beachtlichen Geschäftsinhalt zu erheben, im Hinblick auf die Beweggründe des anderen dagegen insofern restriktiv ZU verfahren. Während des Prozesses der Vertragsverhandlungen übt damit jede Partei in erster Linie ihre auf die Förderung des eigenen Wohls gerichtete natürliche Freiheit aus. Entscheidend ist dann aber, daß der Vertragsschluß, der Konsens, in den der Prozeß mündet, von jedem der beiden Partner auch insofern innerlich als gerecht akzeptiert wird, als er dem jeweils anderen hat Zugeständnisse machen müssen. Wer die gemeinsam gefundene konkrete vertragliche Regelung nicht nur, soweit sie ihn selbst begünstigt, sondern gerade auch in ihren ihn belastenden Teilen als gerecht akzeptiert, vollzieht auf diese Weise auf der Ebene der konkreten vertraglichen Regelung die moralische Läuterung seiner natürlichen Freiheit nach, die ihm auf einer prinzipiellen Ebene bereits vor Aufnahme der Vertragsverhandlungen gelungen ist. Erst indem auf diese Weise jeder Vertragschließende seine auf Achtung des anderen gerichtete moralische Freiheit auch auf der Ebene der präzisen vertraglichen Regelung verwirklicht, verleiht er dem Vertrag jene Stabilität, ohne die dieser seine Funktion als Organisationsmedium der sozialen Beziehungen nicht erfiillen könnte. . Die hier vertretene Deutung von Schmidt-Rimplers Modell des "Vertragsmechanismus" ermöglicht es nun, die Bedeutung des Aushandelns, wie es im oben geschilderten Beispiel eines Viehkaufs veranschaulicht wird, verständlich zu machen. Die Reziprozität von Leistung und Gegenleistung fassen wir als moralisches Prinzip mittlerer Abstraktionsstufe für den gegenseitigen Vertrag auf Indem die Parteien dieses Prinzip verinnerlichen, also grundsätzlich akzeptieren, daß sie die Leistung des jeweils anderen nicht beanspruchen können, ohne eine Gegenleistung zu erbringen, haben beide auf einer prinzipiellen Ebene die entscheidende moralische Läuterung ihres Willens vollzogen. Ebenso wie der Grundsatz der Unbeachtlichkeit der Motive bedarf aber auch das Äquivalenzprinzip eben wegen seines prinzipiellen Charakters noch der Konkretisierung. Wenn die Parteien nun den KaufPreis aushandeln, so suchen sie das präzise Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zu bestimmen, das schließlich beide als angemessene Regelung gerade des von ihnen in Aussicht genommenen Austausches akzeptieren können. Während sie sich auf diese Weise bemühen, das beiderseits verinnerlichte Äquivalenzprinzip zu konkretisieren, versuchen beide Parteien, ihr eigenes Interesse auf Kosten der jeweils anderen möglichst weitgehend durchzusetzen: Der Käufer hat grundsätzlich akzeptiert, daß er die Ware bezahlen muß, doch
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will er den Kaufpreis so gering wie nur eben möglich halten. Entsprechendes gilt mit umgekehrten Vorzeichen fiir den Verkäufer. Während die Parteien um einen fiir heide Seiten erträglichen Preis ringen, handelt also jede von ihnen eigennützig, indem sie sich darum bemüht, das Äquivalenzprinzip auffiir sie möglichst günstige Weise in die konkrete vertragliche Regelung umzusetzen. Solange der Prozeß des Aushandelns andauert, verwirklicht daher jede Partei wiederum primär ihre auf Förderung des eigenen Wohls gerichtete natürliche Freiheit. d) Der Konsens als Venvirklichung der bürgerlichen Freiheit
beider Vertragspartner
Endpunkt dieses Prozesses ist die Einigung auf einen bestimmten Kaufpreis. Diese Einigung erscheint nun auf den ersten Blick als Ergebnis einer gegenseitigen Fesselung der antagonistischen Einzelwillen heider Vertragspartner, die im Prozeß des Aushandelns miteinander genmgen haben. So wäre im Beispiel der Kaufpreis von 491 zustandegekommen, weil die Macht des Käufers nicht ausreichte, einen niedrigeren Kaufpreis durchzusetzen, während der Verkäufer es nicht vermochte, dem Käufer einen höheren Preis abzuringen. Diese Sicht des Vertragsschlusses, welche dem herkömmlichen, von Schmidt-Rimpler selbst geprägten Verständnis des "Vertragsmechanismus" entspricht, ist nicht falsch, erscheint aber doch als zu vordergründig und daher unvollständig. Wenn im Beispielsfall die Parteien den Kauf mit einem Handschlag perfekt machen, so klingt in der Feierlichkeit dieser Geste schon die tiefere Bedeutung ihrer Einigung als eines "Siclwertragens" an. Dieses "Sichvertragen" ist mehr als die bloße wechselseitige Bindung zweier antagonistischer Einzelwillen, die doch weitgehend den Charakter einer äußerlich bleibenden Fesselung behielte. Es bedeutet vielmehr, daß jede der heiden Seiten das schließlich erzielte Übereinkommen als gerecht betrachtet und damit gerade auch als innerlich bindend erfährt. Das aber ist nur möglich, weil die Parteien, wenn sie den Kaufpreis aushandeln und dabei um die konkrete Ausgestaltung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung miteinander ringen, von vornherein auf der moralischen Läutenmg aufbauen, die ihr ursprüngliches "natürliches Habenwollen" auf prinzipieller Ebene bereits erfahren hat. Diese moralische Läuterung äußert sich insbesondere, indem man gnmdsätzIich die Notwendigkeit akzeptiert, fiir die Leistung des anderen eine Gegenleistung zu etbringen. Wenn die prinzipielle Reziprozität von Leistung und Gegenleistung so selbstverständlich anerkannt wird, daß in der Regel die Bedeutung dieser Anerkennung weder den Parteien noch dem außenstehenden Betrachter überhaupt besonders
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bewußt wird, SO ändert das nichts daran, daß auf dieser prinzipiellen Ebene die entscheidende moralische WeichensteIlung erfolgt, die den gegenseitigen Vertrag überhaupt erst möglich macht. Hat, um auf das Beispiel des Viehkaufs zurückzukommen, der Käufer von Anfang an innerlich akzeptiert, daß er die Kuh nur gegen Hingabe eines Kaufpreises erweIben kann, der in etwa zwischen 450 und 500 liegen mag, so tritt demgegenüber die Frage, ob man sich bei Abschluß der Verhandlungen dann auf 480, 491 oder 495 einigt, an Bedeutung doch zurück. Steht auf prinzipieller Ebene das "Daß" der Reziprozität von Leistung und Gegenleistung außer Frage, so ist damit die Grundlage geschaffen, auf der das schließlich durch den "Vertragsmechanismus" gefundene "Wie" akzeptiert werden kann. Dieses "Wie", d.h. der Inhalt der konkreten vertraglichen Einigung, stellt sich nämlich als Konkretisierung der grundlegenden Entscheidung dar, die mit der inneren Anerkennung des Äquivalenzprinzips durch beide Seiten bereits gefallen ist. Der Interessengegensatz, der den Prozeß des Aushandelns scheinbar vollständig prägt, verdeckt also, daß auf einer prinzipiellen Ebene die Parteien bereits ein Einverständnis über das Gegenseitigkeitsverhältnis ihrer Leistungen erzielt haben, um dessen konkrete Ausgestaltung sie dann so heftig ringen. e) Zusammenfassende Würdigung des Konsensmodells Unsere Bewertung des juristischen Vertragsmodells mit seinem Ansatz beim Willen und beim Konsens unterscheidet sich damit doch signifikant von der kritisch-ablehnenden Haltung, die kennzeichnend ist fiir Schapps Stellungnalune zum Konsensmodell in "Sein und Ort der Rechtsgebilde". Als oberstes moralisches Prinzip fiir den Vertragsbereich fassen wir mit Schapp den Grundsatz auf, daß Verträge zu erfiillen sind ("pacta sunt servanda"). Dieser oberste Grundsatz erfahrt dann seine Konkretisierung in moralischen Prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe fiir den Vertragsbereich. Die Parteien haben diese Prinzipien von vornherein verinnerlicht. Das gilt etwa fiir die Grundsätze, daß sie fiir die Leistung des jeweils anderen eine Gegenleistung etbringen müssen oder daß ihre persönlichen Motive die Wirksamkeit des einmal geschlossenen Vertrags nicht mehr berühren. Diese moralischen Prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe sind inhaltlich schon schärfer konturiert als der Satz "pacta sunt servanda". Sie sind andererseits aber noch nicht konkret genug, als daß die Parteien ihnen mit der notwendigen Sicherheit die Ausgestaltung ihres Verhältnisses entnehmen könnten. An dieser Stelle gewinnt nun das Verfahren des Vertragsschlusses seine Bedeutung. Das AushandeIn des Vertragsinhalts stellt sich dar als Prozeß, in dem die vertragsbezogenen moralischen Prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe, welche beide Parteien von vornherein als innerlich bindend akzeptiert haben, im Zusammenwirken der Parteien zur präzisen Regelung ihres Vertragsverhältnisses konkretisiert werden. Dieses Zusammenwirken ist kein harmonischer Vorgang, sondern durchaus ein Ringen
llI. Der gegenseitige Vertrag als vernünftiger Vertrag
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gegensätzlicher Interessen. Den Konkretisierungsspielrawn, welchen die beiderseits als vetbindlich verinnerlichten moralischen Prinzipien des Vertragsbereichs den Parteien lassen, sucht jede von ihnen zu ihren eigenen Gunsten auszuschöpfen. Am Ende dieses Ringens steht der Vertragsschluß: Die Parteien haben die vertragsbezogenen Prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe zur präzisen Regelung ihres gegenseitigen Verhältnisses konkretisiert. Sie haben beispielsweise das Prinzip der Reziprozität von Leistung und Gegenleistung im synallagmatischen Vertrag konkretisiert, indem sie die exakte Höhe des Kaufpreises, der für eine bestimmte Kaufsache zu zahlen ist, ausgehandelt haben. Der Konsens, die Willensübereinstimmung der Parteien bildet also den Endpunkt eines Verfahrens der Ausformung von noch verhältnismäßig allgemeinen moralischen Prinzipien zu konkreten vertraglichen Regelungen. Es handelt sich dabei aber nicht nur um einen Konkretisierungs-, sondern zugleich um einen Subjektivierungsprozeß: Die vertragsbezogenen moralischen Prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe wie das Äquivalenzprinzip sind wegen ihres noch vergleichsweise allgemeinen Charakters kennzeichnend für die gesamte Reihe gegenseitiger Austauschverträge, sie tragen von daher einen eher objektiven Charakter. Die spezifische Umsetzung dieser Prinzipien in die konkrete Regelung eines jeden einzelnen Vertrages spiegelt dagegen wider, welche besondere Ausgestaltung ihres Verhältnisses gerade die Parteien dieses konkreten Vertrages subjektiv fiir angemessen halten. Subjektiv ist also die Ausschöpfung des von den vertragsbezogenen moralischen Prinzipien gelassenen Konkretisierungsspielraums, mit der die Parteien eines jeden Vertrages diese Prinzipien in die konkrete Regelung ihres jeweiligen Verhältnisses umsetzen. In der notwendigen Subjektivität der von den Parteien im Ver"fahren des Vertragsschlusses etbrachten Konkretisierungsleistung liegt vielleicht auch ein tieferer Grund dafiir, daß sich das Willensprinzip bis heute gegenüber mehr objektiv orientierten Ansätzen in der Rechtsgeschäftslehre behauptet hat. Inwiefern läßt sich nun der Konsens als Willensübereinstimmung noch als Allgemeinheit auffassen? Allgemein ist sicherlich der oberste moralische Grundsatz fiir Verträge, "pacta sunt servanda", während die aus ihm entwickelten moralischen Prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe schon einer geringeren Allgemeinheitsstufe angehören. Im Prozeß des Aushandelns, im "Vertragsmechanismus", ringen dann die Parteien miteinander um die weitere Konkretisierung dieser moralischen Prinzipien zur inhaltlich präzisen, besonderen Regelung ihres gegenseitigen Verhältnisses. Eine mehr verfahrensbezogene Betrachtung des "Vertragsmechanismus" kommt dagegen nicht umhin, diesem Prozeß als solchem, d.h. seinem typischen Ablauf, wiederum einen verhältnismäßig hohen Allgemeinheitsgrad zuzuschreiben: Typisch ist insbesondere, daß jede der Parteien versucht, während des Verfahrens der Vertragsverhandlungen den Konkretisierungsspielrawn, den die beiderseits verinner-
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3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
lichten moralischen Prinzipien des Vertragsbereichs den Parteien lassen, so weit wie möglich zu ihren eigenen Gunsten auszuschöpfen. Typisch ist dann weiter, daß der Konsens als Schlußpunkt dieses Verfahrens beiden Seiten Zugeständnisse abverlangt und daß beide das schließlich im Konsens erzielte Ergebnis als innerlich bindend erfahren. Eine eher verfahrensbezogene Betrachtung ergibt damit, daß der Konsens als Endpunkt und damit als Teil des "Vertragsmechanismus" dessen allgemeine Funktionsweise teilt. Insofern dürfte der Auffassung des Konsenses als Allgemeinheit eine gewisse Berechtigung doch nicht abzusprechen sein. Inhaltlich weist dagegen jeder Konsens als ganz spezifische, subjektive Konkretisierung der mehr objektiven Prinzipien des Vertragsbereichs durch die Parteien den denkbar höchsten Grad von Konkretheit auf Die vorstehenden Überlegungen fundieren gerade den gegenseitigen Vertrag in der menschlichen Freiheit. Auf einer prinzipiellen Ebene läßt sich das von der sinnlichen Vorstellung ausgelöste "natürliche Habenwollen" eines bestimmten, dem anderen gehörenden Objekts der auf Selbsterhaltung gerichteten natürlichen Freiheit des Wollenden zuordnen. Diese natürliche Freiheit wird dann, ebenfalls auf prinzipieller Ebene, durch seine auf Achtung des anderen zielende moralische Freiheit begrenzt, und zwar in Gestalt der von ihm verinnerlichten moralischen Prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe für den Vertragsbereich. Das gilt insbesondere für das Äquivalenzprinzip: Für den Erwerb wertvoller Gegenstände, die im Eigentum eines anderen stehen, sind im Gegenzug eigene Werte zu übertragen. Mit dieser bewußten moralischen Selbstbegrenzung seiner natürlichen Freiheit verwirklicht der einzelne auf prinzipieller Ebene seine bürgerliche Freiheit.
Im Verfahren des Vertragsschlusses als Prozeß der Konkretisierung der vertragsbezogenen moralischen Prinzipien zu inhaltlich präzisen vertraglichen Regelungen üben dann beide Parteien wiederum ihre natürliche Freiheit aus, indem sie den Konkretisierungsspielraum zu ihren eigenen Gunsten auszuschöpfen suchen. Der Konsens bringt als Endpunkt dieses Verfahrens dann wieder die moralische Freiheit zur Geltung: Indem jede Partei die schließlich einvernehmlich gefundene konkrete Regelung gerade auch insofern als innerlich bindend annimmt, als sie der anderen günstig ist, achtet sie den anderen als Partner des geschlossenen Vertrages und verwirklicht auf diese Weise nun auch auf der Ebene der konkreten vertraglichen Regelung ihre moralische Freiheit. Insgesamt zeigt das Konsensmodell den gegenseitigen Vertrag damit als umfassende Realisierung der bürgerlichen Freiheit beider Partner im Bereich der Wirtschaft: Zunächst auf prinzipieller Ebene, dann auf der Ebene der konkreten vertraglichen Regelung erfahrt: die zunächst im Vordergrund stehende natürliche Freiheit durch die hinzutretende moralische Freiheit ihre Läuterung zur bürgerlichen Freiheit. 155
IV. Rechtsgeschäft und objektives Recht
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IV. Rechtsgeschäft und objektives Recht Wenn die Parteien die moralischen Prinzipien des gegenseitigen Vertrags im Konsens konkretisieren und so im Austauschvertrag ihre bürgerliche Freiheit entfalten, so hat der Konsens als Willensübereinstimmung gerade unter dem Gesichtspunkt der Frage nach der Freiheit seine Existenzberechtigung dargetan. Seine Funktion, insbesondere das Prinzip der Reziprozität der Leistungen in eine konkrete Regelung umzusetzen, läßt den lebensweltlichen Konsens nun allerdings in erster Linie als ''Austauschkonsens'' erscheinen. Daher harrt die Frage, ob es berechtigt ist, den Abschluß eines gegenseitigen Vertrages als obligatorischen Konsens aufzufassen, d.h. als wechselbezügliche Abgabe zweier auf die Entstehung von Leistungspflichten gerichteter Willenserklärungen, noch ihrer Antwort. Gerade an der Annahme eines derartigen Verpflichtungswillens der Parteien und an der Figur des obligatorischen Konsenses übt ja Schapp in "Sein und Ort der Rechtsgebilde" dezidiert Kritik. 1. Die Berechtigung der juristischen Figur des Verpßichtungskonsenses
Insbesondere beim Barkauf, bei dem die Vertragspartner ihre Leistungen sofort austauschen, sieht Schapp keine Grundlage fiir die Annahme einer Verpflichtung und einer ihr folgenden Erfiillung. 156 Wenn der Jurist das Geschehen dennoch in obligatorischen und dinglichen Vertrag aufspaltet, so findet dieses Vorgehen demnach keinen Rückhalt in den Verhältnissen der Lebenswelt. Im Kreditkauf aller-
155 Demgegenüber betrachtet Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 68 f., die rechtsgeschäftliche Bindung primär als Beschränkung der Selbstbestimmung desjenigen, der sich gebunden hat. Damit identifIziert Bydlinski die Selbstbestimmung jedoch zu einseitig mit einer ihrer beiden Komponenten, nämlich mit der natürlichen Freiheit. Diese wird in der Tat durch die einmal eingegangene rechtsgeschäftliche Bindung beschränkt. Gerade indem der nunmehr Gebundene diese Bindung innerlich annimmt, verwirklicht er aber seine auf Achtung des anderen gerichtete moralische Freiheit. Abweichend von Bydlinski verstehen wir Selbstbestimmung demzufolge eher als die Kunst, natürliche und moralische Freiheit miteinander ins Gleichgewicht zu bringen und so zur bürgerlichen Freiheit zu formen. 156 Vgl. Schapp, Sein und Ort der Rechtsgebilde, S. 168.
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dings mag die Unterscheidung zwischen obligatorischem und dinglichem Vertrag eine gewisse Grundlage haben. 157 Der Vorwurf, das Kaufgeschehen mit dieser Unterscheidung in lebensferner Weise auseinanderzureißen, triffi den Juristen hier nicht mit derselben Schärfe wie in den Fällen des Barkaufs. Nun triffi es sicherlich zu, daß im Bewußtsein der Parteien etwa der tägliche Kauf einer Zeitung am Kiosk sich nicht als Abschluß eines schuldrechtlichen Verpflichtungsvertrags und zweier dinglicher Erfiillungsverträge darstellt. 158 Die Lebensferne der juristischen Auffassung dieses Vorgangs, auf die Schapp in "Sein und Ort der Rechtsgebilde" demnach zu Recht hinweist, wäre dem Recht nun allerdings nur dann vorzuwerfen, wenn es die Aufgabe hätte, in seinem begrifilichen System die Lebenswirklichkeit möglichst getreu widerzuspiegeln. Das ist jedoch nicht der Fall. Aufgabe des Rechts ist es vielmehr, wie Schapp in späteren Schriften herausgearbeitet hat, menschliche Konflikte zu entscheiden. Wenn der Gesetzgeber im Tatbestand des Gesetzes an Momente der Lebenswelt anknüpft, um die von ilun verhängte Rechtsfolge zu begründen, so darf man den Tatbestand des Gesetzes nicht als Deskription von Wirklichkeit auffassen, sondern als Begründung der gesetzgeberischen Konjliktsentscheidung. 159 Die gewandelte Perspektive auf die Aufgabe des Rechts fUhrt denn auch zu einer neuen Bewertung der Figuren des obligatorischen und des dinglichen Konsenses, die in "Sein und Ort der Rechtsgebilde" noch Gegenstand nachdrücklicher Kritik sind. Wenn der Jurist im lebensweltlichen Austauschvertrag obligatorischen und dinglichen Vertrag unterscheidet (sog. Trennungsprinzip) und dann weiter die Wirksamkeit des dinglichen Erfiillungsgeschäfts losgelöst von der Wirksamkeit des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts betrachtet (sog. Abstraktionsprinzip), so beurteilt sich die Berechtigung dieser Sichtweise nunmehr danach, ob sie es dem Recht ermöglicht, lebensweltliche Konflikte überzeugend zu entscheiden. Hier findet sich nun eine Reihe von Gesichtspunkten, welche Trennungs- und Abstraktionsprinzip als Antwort des Rechts auf wichtige wirtschaftliche Bedürfnisse und Interessenkonflikte verständlich machen. Wir skizzieren im folgenden kurz die wesentlichen dieser Aspekte, wobei wir uns auf die Übersicht stützen, welche Schapp in seinem Werk "Grundlagen des bürgerlichen Rechts" gibt. Einem wirtschaftlichen Bedürfnis entspricht die Unterscheidung von schuldrechtlichem Verpflichtungsgeschäft und dinglichem Erfiillungsgeschäft, wenn der Verkäufer die Kaufsache an den Käufer noch nicht übereignen oder der Käufer den 157 158
Sp.).
Ders., Sein lllld Ort der Rechtsgebilde, S. 169. Ebenso Larenz, Schuldrecht llI1, § 39 TI d, S. 18; Peters, Jura 1986,449 (451 1.
159 Vgl. Schapp, Hauptprobleme der juristischen Methodenlehre, S. 50-56, ders., Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 4.
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Kaufpreis noch nicht zahlen kann, beide Parteien jedoch daran interessiert sind, die andere Seite bereits rechtlich zu binden. Hier erzeugt der vorgezogene Abschluß des schuldrechtlichen Kaufvertrags schon die Ansprüche der Parteien auf Übereignung und Übergabe der Kaufsache bzw. auf Kaufpreiszahlung, während sie sich mit der Vornahme der dinglichen Erfüllungsgeschäfte noch Zeit lassen können. Um Fälle eines derartigen Vertragsschlusses mit verschobener Lieferung oder Zahlung handelt es sich etwa, wenn sich der Verkäufer die Ware selbst noch beschaffen muß, wenn nur der Gattung nach bestimmte, aber noch nicht ausgesonderte Sachen verkauft sind oder wenn der Käufer sich den Kaufpreis noch von dritter Seite kreditieren lassen muß. 160 Ein Gesichtspunkt, der Trennungs- und Abstraktionsprinzip in sämtlichen Fällen des Kaufs, also auch beim Barkauf einen Sinn gibt, ist dann die Beschränkung der Wirkung von Nichtigkeitsgründen: Sie ermöglicht eine differenzierte Antwort auf die Frage, ob Grtinde für die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften nur das schuldrechtliche Geschäft oder zusätzlich auch die dinglichen Erfüllungsgeschäfte betreffen. 161 Wenn das Gesetz die Wirkung eines Nichtigkeitsgrundes häufig auf den schuldrechtlichen Vertrag beschränkt und auf diese Weise der durch die Erfüllungsverträge geschaffenen neuen Eigentumslage Beständigkeit verleiht, so entscheidet es damit den Konflikt zwischen dem Zweitenverber der Kaufsache und ihrem ursprtinglichen Verkäufer zugunsten des Zweiterwetbers. Dieser erwirbt das Eigentum vom Berechtigten und braucht auf die Kaufsache bezogene Ansprüche des ersten Verkäufers nicht zu fürchten. Der Erstverkäufer muß sich dagegen mit schuldrechtlichen Ansprüchen, vor allem aus ungerechtfertigter Bereicherung, gegen seinen Vertragspartner, den Käufer, begnügen. Als Konfliktsentscheidung zugunsten des Zweiterwerbers verwirklicht das Abstraktionsprinzip demnach den Gedanken des Verkehrsschutzes. Schließlich erlaubt die Differenzierung zwischen Schuldvertrag und dinglichen Verträgen auch eine angemessene Entscheidung des umgekehrten Falles, d.h. des Fehlschlags eines Erfüllungsvertrages bei wirksamem Schuldvertrag: Der Anspruch, dessen Erfüllung gescheitert ist, ist damit nicht notwendigerweise hinfällig geworden, sondern kann in seiner ursprtinglichen Gestalt oder umgewandelt in einen Schadensersatzanspruch fortbestehen. 162 Wenn sich hier die Mängel des Erfüllungsgeschäfts nur auf der dinglichen Ebene auswirken, so kann auf diese Weise dem Gläubiger auf der schuldrechtlichen Ebene seine Forderung erhalten werden. 160 VgL dazu Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, S. 66. Zur Schwierigkeit, den Gattungskauf bei Fehlen des Abstraktionsprinzips dogmatisch zu bewältigen, vgL besonders Peters, Jura 1986,449 (453). 161 VgL dazu Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, S. 67. 162 VgL zu dieser Konstellation ders., Grundlagen des bürgerlichen Rechts, S. 67.
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Es scheint, als sei die Frage, ob den juristischen Figuren des obligatorischen und des dinglichen Konsenses oder, anders ausgedrückt, ob Trennungs- und Abstraktionsprinzip Existenzberechtigung zukommt, damit zu bejahen. Das Recht begründet mit diesen Prinzipien, wie die vorstehende Skizze erkennen läßt, seine Entscheidung wichtiger wirtschaftlicher Interessenkonflikte.
2. Das Verhältnis von privatautonomer und rechtlicher Konßiktsentscheidung Wenn Trennungs- und Abstraktionsprinzip im Dienste der konf1iktsentscheidenden Funktion des Rechts stehen und von daher ihre Existenzberechtigung zu erfahren scheinen, so ist damit die Frage nach ihrer Legitimation aber doch noch nicht zufriedensteIlend beantwortet. Indem die Parteien im lebensweltlichen Austauschkonsens die vertragsbezogenen moralischen Prinzipien wie das Äquivalenzprinzip in die konkrete Regelung ihres gegenseitigen Verhältnisses umsetzten, haben sie ja bereits selbst eine Entscheidung zwischen ihnen bestehender Konflikte getroffen. Insbesondere haben sie den Interessengegensatz bewältigt, der sich aus dem Streben jedes der beiden Vertragschließenden ergab, das konkrete Verhältnis von Leistung und Gegenleistung möglichst zu seinen Gunsten auszugestalten Damit stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis diese Konf1iktsentscheidung durch die Parteien selbst zur Aufgabe des Rechts steht, Konflikte zu entscheiden, die im Zusammenhang mit gegenseitigen Verträgen auftreten.
a) Die Entlastungs/unktion des lebensweltlichen Austauschkonsenses for das Recht Auf der Hand liegt zunächst die Entlastung, die das Recht durch den lebensweltlichen Austauschkonsens als Konfliktsentscheidung erfahrt. Soweit die Parteien im Wege des gegenseitigen Nachgebens ihre divergierenden Interessen zum Ausgleich gebracht haben, ist das Recht der Notwendigkeit enthoben, die betreffenden Konflikte selbst zu entscheiden. Das Äquivalenzprinzip und die Trennung von Motiv und Geschäftswille, welche die Parteien verinnerlicht und im Konsens zur konkreten Regelung ihres Verhältnisses präzisiert haben, bedürfen insoweit nicht mehr der Konkretisierung durch das Recht. Insbesondere ist das Recht von der Suche nach dem iustum pretiwn befreit, d.h. von der Aufgabe, selbst das Äquivalenzprinzip für den einzelnen Austauschvertrag zu konkretisieren, indem es das im Einzelfalle "objektiv gerechte" Verhältnis von Leistung und Gegenleistung den Parteien vetbindlich vorschreibt. An die Stelle der ausssichtslosen Suche nach der objektiven Ge-
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rechtigkeit fiir jeden Einzelfall163 tritt die subjektive Gerechtigkeit des lebensweltlichen Austauschkonsens: Gerecht ist das subjektive Ergebnis der Konkretisienmgsleistung, in dem die Parteien den objektiven Grundsatz der Reziprozität der Leistungen "übersetzt" haben in diejenige Relation von Leistung und Gegenleistung, die ihnen gerade im konkreten Falle angemessen erscheint. 164 Für das Recht gewinnt insoweit das Äquivalenzprinzip selbständige Bedeutung nur noch in Ausnahmefällen, in denen ein evidentes extremes Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung besteht, d.h. in den Fällen des § 138 I und TI. Hier ist der lebensweltliche Austauschkonsens offenkundig nicht mehr als Konkretisienmg des Äquivalenzgnmdsatzes als eines vertragsbezogenen moralischen Prinzips anzusehen, sondern im Gegenteil gerade als eine Verletzung dieses Prinzips. Erst hier ergtbt sich fiir das Recht das Erfordernis einzuschreiten, indem es der fehlgeschlagenen Konkretisienmg des Äquivalenzprinzips seine Anerkennung versagt und ihre Nichtigkeit nach § 138 I oder TI anordnet.
b) Die Privatautonomie als vom Recht zu achtendes moralisches Prinzip des Vertragsbereichs Wenn eine solche Korrektur des lebensweltlichen Austauschkonsenses durch das Recht Ausnahmecharakter trägt und es sich auch in diesen Ausnahmefällen in der Regel auf eine "Negativkorrektur" beschränkt, ohne den Parteien positiv ein "gerechtes" Verhältnis von Leistung und Gegenleistlmg vorzuschreiben, so verweist das auf einen weiteren wesentlichen Aspekt des Verhältnisses von privatautonomer und rechtlicher Konf1iktsentscheidung. Offenbar räumt das Recht der eigenständigen vertraglichen Bewältigung von Interessenkonflikten durch die Parteien in weitem Umfang den Vorrang ein vor deren rechtlicher Entscheidung. Konkretisieren die Parteien die moralischen Prinzipien des Vertragsbereichs im lebensweltlichen Austauschkonsens eigenständig und geben sich auf diese Weise selbst das Gesetz, unter dem ihr Verhältnis stehen soll, so wird die in diesem Sinne verstandene Privatautonomie in der Perspektive des Rechts ihrerseits zum moralischen Prinzip, welches zu achten ist. Im Konsens, der den Prozeß des Vertragsschlusses abschließt, gestehen beide Partner dem jeweils anderen fiir seine Leistung ein Äquivalent zu, das den Aus163 Zum Scheitern der Suche nach dem iustum pretium vgl. Raiser, Vertragsfunktion und Vertragsfreiheit, S. 129 ff. 164 Ähnlich führt Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 40, aus, daß hinsichtlich des Inhalts der vertraglichen Willenseinigung objektiv feststellbare Richtigkeit nicht verbürgt ist, sondern vielmehr die subjektive Bewertung der Beteiligten über Angemessenheit und Richtigkeit entscheidet.
12 Huda
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tauschvertrag ZU einer Bereicherung nicht nur der eigenen Wertwelt werden läßt, sondern zugleich die Wertwelt des anderen bereichert. Damit beschränken beide Vertragschließenden bewußt die eigene natürliche Freiheit durch die auf Achtung des anderen gerichtete moralische Freiheit und läutern sie so zur bürgerlichen Freiheit. Der lebensweltliche Austauschkonsens wird zum Ausdruck der Achtung, welche die beiden Vertragspartner einander entgegenbringen. Als Gestalt gewordene gegenseitige Achtung der Parteien fordert der lebensweltliche Austauschkonsens nun seinerseits die Achtung des Rechts. Das Recht sieht sich aufgefordert, die von den Parteien gefundene Regelung ihres gegenseitigen Verhältnisses, in der sie ihre bürgerliche Freiheit im konkreten Falle verwirklicht sehen, zu respektieren und nicht durch bevormundende Intervention zu stören. Indem sich das Recht auf diese Weise zurücknimmt, achtet es die Vertragspartner als vernünftige und damit moralisch freie Menschen, die imstande sind, aus eigener Kraft ihre natürliche mit ihrer moralischen Freiheit auszubalancieren und so zur bürgerlichen Freiheit zu formen. c) Die Grenzen des rechtlichen Deutungsspielraums bei der Statuierung
vertraglicher Rechtsfolgen
Die Privatautonomie der Parteien, so wie sie sich im Verfahren des Vertragsschlusses und insbesondere in seinem Endpunkt, dem lebensweltlichen Austauschkonsens, verwirklicht, stellt sich damit ihrerseits dem Recht als moralisches Prinzip dar, das es zu respektieren gilt. Aus dem prinzipiellen Charakter der Privatautonomie folgt dann aber weiter, daß dem Recht, wenn es dem lebensweltlichen Austauschkonsens bestimmte juristisch spezifizierte Rechtsfolgen zuordnet, ein gewisser Konkretisierungsspielraum zukommt. Das bedeutet vor allem die Emanzipation des Rechts vom aktuellen psychologischen Willen der Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses: Wollte man verlangen, das Recht müsse in den Rechtsfolgen, die es dem lebensweltlichen Austauschkonsens zuordnet, diesen psychologischen Willen der Parteien mit quasi-naturwissenschaftlicher Präzision widerspiegeln, so würde man verkennen, daß durch das Prinzip der Privatautonomie das Recht zwar prinzipiell, nicht aber ''buchstabengetreu" an den Willen der Parteien gebunden ist, so wie er im lebensweltlichen Austauschkonsens Gestalt angenommenhat. Auf der anderen Seite kann der Konkretisierungsspielraum nicht unbegrenzt sein, der dem Recht bei der Ausformung des lebensweltlichen Austauschkonsenses zu vertraglichen Rechtsfolgen zukommt. Überschreitet das Recht, wenn es den lebensweltlichen Austauschkonsens als Vereinbarung juristisch spezifizierter Rechtsfolgen deutet, bestimmte Grenzen, so stellt sich sein Vorgehen nicht mehr als Konkretisierung der Parteivereinbarung dar. Das Prinzip der Privatautonomie würde mit einer solchen mißlungenen Konkretisierung des lebensweltlichen Aus-
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tauschkonsenses ZU vertraglichen Rechtsfolgen vom Recht nicht mehr respektiert, sonderen gerade mißachtet. Wo aber verläuft diese Grenze des rechtlichen Konkretisierungsspielraums? Wir glauben, die Frage beantworten zu dürfen, indem wir die Überlegungen aufgreifen, die Schapp in seiner Schrift "Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre" zum Verhältnis von lebensweltlichem Willen und rechtsgeschäftlichen Rechtsfolgen vorträgt. Danach muß der lebensweltliche Wille die an ihn geknüpften Rechtsfolgen tragen können, sie müssen sich aus ihm entfalten lassen. Das bedeutet, daß der Jurist jedenfalls die nachträgliche Billigung des Vertragschließenden finden muß, wenn er ihm später erläutert, welche Rechtsfolgen er seinem lebensweltlichen Willen zurechnet. 165 Diese Überlegungen scheinen uns auch für die juristische Interpretation des lebensweltlichen Austauschkonsenses durch das Recht Gültigkeit zu besitzen. Wenn es die Parteivereinbarung zu bestimmten Rechtsfolgen präzisiert, so endet sein Konkretisierungsspielraum dort, wo es auch bei nachträglicher Erläuterung dieser Rechtsfolgen deren Billigung durch die Parteien nicht mehr erwarten kann. Überschreitet das Recht bei der Statuierung vertraglicher Rechtsfolgen diese Grenze, so verletzt es das von ihm zu achtende Prinzip der Privatautonomie, indem es die von den Parteien im lebensweltlichen Austauschkonsens selbständig erreichte Feinabstimmung ihrer Interessen in bevormundender Weise korrigiert. Das Recht muß sich also daraufbeschränken, die von den Parteien bereits geleistete Konkretisierung moralischer vertragsbezogener Prinzipien dadurch zu vollenden, daß es das Ergebnis dieser Konkretisierungsleistung, den lebensweltlichen Austauschkonsens, fortentwickelt zu bestimmten vertraglichen Rechtsfolgen. Anders formuliert: Aufgabe des Rechts ist es, die von den Parteien bis hin zum lebensweltlichen Austauschkonsens vorgezeichneten Linien in den juristischen Bereich hinein weiter auszuziehen. Es verfehlt diese Konkretisierungsaufgabe, wenn es statt dessen an den lebensweltlichen Austauschkonsens Rechtsfolgen knüpft, die der Sache nach die von den Parteien gefundene Regelung ihres gegenseitigen Verhältnisses durch eine genuin rechtliche Regelung ersetzen. Der Konkretisierungsspielraum, der dem Recht in bezug auf den lebensweltlichen Austauschkonsens zukommt, wird demnach begrenzt durch das Erfordernis, daß die vom Recht an die Parteivereinbarung geknüpften Rechtsfolgen jedenfalls die nachträgliche Billigung der Parteien finden müssen. Bei der Prüfung, ob die vertraglichen Rechtsfolgen diesem Erfordernis Genüge tun, wird es dann allerdings notwendig sein, einen typisierenden Maßstab anzulegen. Im Hinblick auf die Vielzahl von Vertragsfällen, welche das Recht zu bewältigen hat, kann schwerlich verlangt werden, daß die rechtliche Deutung des lebensweltlichen Austauschkonsenses im Sinne der Vereinbarung bestimmter Rechtsfolgen noch in jedem ganz besonders gelagerten Einzelfalle die nachträgliche Billigung beider Vertragschließenden er165
Vgl. Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, S. 12.
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fährt. Man wird es genügen lassen müssen, wenn die vertraglichen Rechtsfolgen in der Regel bei nachträglicher Erläuterung die Zustimmung der Parteien finden oder doch jedenfalls nicht auf Ablehnung stoßen. Wenn es den lebensweltlichen Austauschkonsens zu vertraglichen Rechtsfolgen konkretisiert, ist das Recht also nicht nur befreit von der strengen Bindung an den aktuellen psychologischen Willen der Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern auch von der Notwendigkeit, sich noch in ganz atypischen EinzelfaIlen der nachträglichen Akzeptanz der von ihm statuierten Rechtsfolgen durch die Vertragspartner zu versichern. Der Konkretisierungsspielraum, welcher dem Recht bei der Ausformung des lebensweltlichen Austauschkonsenses zu vertraglichen Rechtsfolgen zukommt, scheint uns damit doch schon deutlichere Konturen angenommen zu haben. In der typischen nachträglichen Billigung der vertraglichen Rechtsfolgen durch die Parteien hat dieser Konkretisierungsspielraum allerdings erst seine gleichsam äußere Umgrenzung gefunden. Es bleibt zu klären, an welchen Kriterien sich das Recht bei der inhaltlichen Ausfiillung des ihm zur Verfiigung stehenden Interpretationsrahmens zu orientieren hat.
d) Inhaltliche Kriterien for die rechtliche Deutung des lebensweltlichen Austauschkonsenses Eine erste, noch ganz allgemein gehaltene Antwort auf diese Frage ist nun schon mit dem Hinweis auf die konfliktsentscheidende Funktion des Rechts gegeben. Wenn das Recht den lebensweltlichen Austauschkonsens zu bestimmten vertraglichen Rechtsfolgen konkretisiert, so muß es dabei seine Aufgabe im Auge haben, die Entscheidung von Konflikten zu begründen, die typischerweise im Zusammenhang mit Verträgen aufzutreten pflegen. Diese Vertragskonflikte lassen sich nun vor allem in zwei große Gruppen einteilen. Sie lassen sich allerdings nicht mit gleichsam naturwissenschaftlicher Präzision voneinander trennen, sondern gehen ineinander über. Die erste Gruppe von Vertragskonflikten haben bereits die Parteien selbst im lebensweltlichen Austauschkonsens im wesentlichen entschieden. Hier gebietet es die Achtung vor dem Prinzip der Privatautonomie dem Recht zum einen, bei der Ausformung des lebensweltlichen Austauschkonsenses zu konkreten Rechtsfolgen die von den Parteien bereits getroffenen Konfliktsentscheidungen nicht auf bevormundende Weise inhaltlich zu korrigieren. Zum anderen verlangt der Respekt vor der privatautonomen Regelung, welche die Parteien für ihr Verhältnis gefunden haben, vom Recht, diese Regelung seinem Schutz zu unterstellen. Wenn das Recht aus dem lebensweltlichen Austauschkonsens vertragliche Rechtsfolgen entwickelt, so müssen diese Rechtsfolgen sich also dazu eignen, als Anknüpfungspunkt für die Anwendung rechtlichen
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Zwanges zu dienen für den Fall, daß einer der Vertragschließenden die Parteivereinbarung verletzt. Kennzeichnend für die zweite Gruppe von Vertragskonflikten ist, daß sie bei Vertragsschluß eher außerhalb des Blickfeldes der Parteien liegen und daher erst in geringerem Maße privatautonom entschieden sind. Hier ist das Recht zu vergleichsweise eigenständigen Konfliktsentscheidungen aufgefordert. Es sind vor allem zwei Wege, auf denen es diese eigenständigeren Konfliktsentscheidungen verwirldichen kann: zum einen die Deutung des lebensweltlichen Austauschkonsenses im Sinne der Vereinbarung bestimmter Rechtsfolgen, zum anderen die gesetzliche, vor allem die dispositivrechtliche Regelung, die sich offen dazu bekennt, nicht mehr Willensinterpretation, sondern selbständige rechtliche Konfliktsentscheidung zu sein. Welche Gesichtspunkte aber prägen die rechtlichen Konfliktsentscheidungen in dieser zweiten großen Gruppe von Vertragskonflikten inhaltlich? Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang an die Aufgabe des Rechts, moralische Prinzipien zu konkreten Rechtsptlichten zu präzisieren. 166 Bei unserer Frage nach der inhaltlichen Begründung der hier vom Recht geforderten Entscheidung von Vertragsstreitigkeiten handelt es sich also um die Frage nach den moralischen Prinzipien, welche das Recht seinen Konfliktsentscheidungen zugrundelegt. Nun fassen wir den Grundsatz, daß Verträge zu erfiillen sind (pacta sunt servanda), als oberstes moralisches Prinzip für den Vertragsbereich auf, aus dem sich dann vor allem zwei vertragsbezogene moralische Prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe entwickeln lassen. Es sind dies der Grundsatz, daß die Motive, welche die Parteien zum Vertragsschluß bewogen haben, die Wirksamkeit des einmal abgeschlossenen Vertrags nicht mehr berühren, sowie das Prinzip der Reziprozität der Leistungen im gegenseitigen Austauschvertrag. Die Privatautonomie als weiteres, vom Recht zu achtendes moralisches Prinzip des Vertragsbereichs besagt dann, daß die Konkretisierung der obengenannten Prinzipien in erster Linie Aufgabe der Parteien selbst ist, die sie im Verfahren des Vertragsschlusses bewältigen. Von Bedeutung für das Recht ist dann schließlich der Grundsatz des Verkehrsschutzes, demzufolge der Fehlschlag von Austauschgeschäften Dritten, an die die ausgetauschten Leistungsgegenstände weiterveräußert werden, möglichst nicht zum Nachteil gereichen darf.
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Vgl. dazu Schapp, Freiheit, Moral Wld Recht, S. 230.
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e) Drei typische Vertragskonjlikte als Beispiele Wir greifen im folgenden aus der Vielzahl denkbarer Vertragsstreitigkeiten drei Konstellationen heraus, um das Verhältnis von privatautonomer und rechtlicher Konfliktsentscheidung zu veranschaulichen und um auch die rechtliche Konfliktsentscheidung als Konkretisierung moralischer Prinzipien des Vertragsbereichs verständlich zu machen. (1) Die Verweigerung der Leistung nach Vertragsschluß Betrachten wir zunächst den Fall, daß bei zeitlichem Auseinanderfallen von Vertragsschluß und Leistungsaustausch ein Vertragspartner später nicht leistet, obwohl er dazu in der Lage ist. Hier wird man wieder unterscheiden können, ob die Parteien bei Vertragsschluß die Möglichkeit einer solchen Situation bedacht haben oder nicht. Haben sie sie bedacht, haben also Zweijel am späteren vertragsgemäßen Vollzug des vereinbarten Austausches bestanden, so spricht viel dafiir, daß bereits die Parteien selbst den lebensweltlichen Austauschkonsens im Sinne einer Vereinbarung zweier wechselbezüglicher Leistungspflichten verstanden haben. In diesem Falle dürfte dann tatsächlich so etwas wie ein "psychologisches Verpflichtungsbewußtsein" der Parteien bestehen. Der Sache nach haben die Parteien damit in dieser ersten Fallgruppe den aus der späteren Nichtleistung eines der Vertragspartner resultierenden Konflikt bereits selbst entschieden. Aufgabe des Rechts iSt es hier, in Respektierung der von den Parteien privatautonom getroffenen Konfliktsentscheidung die vereinbarten Leistungspflichten als Rechtspjlichten anzuerkennen und sie so zum geeigneten Anknüpfungspunkt für die Anwendung rechtlichen Zwangs gegen den vertragsuntreuen Teil zu machen. Das Recht kann sich hier der Sache nach darauf beschränken, die von den Parteien mit der Vereinbarung wechselbezüglicher Leistungspflichten im lebensweltlichen Austauschkonsens schon getroffene Entscheidung des späteren Konflikts anzuerkennen und ihre zwangsweise Durchsetzung zu sichern. Haben dagegen bei Vertragsschluß die Parteien keine Zweifel an der wechselseitigen Vertragstreue gehabt, so ist es schon weniger wahrscheinlich, daß sie den bei Vertragsschluß für später vereinbarten Güteraustausch gerade als Vereinbarung zweier wechselbezüglicher Leistungspflichten aufgefaßt haben. Diese Konstellation gehört demnach eher zur zweiten Gruppe der Vertragskonflikte, die von den Parteien im lebensweltlichen Austauschkonsens noch nicht mit hinreichender Deutlichkeit privatautonom entschieden worden sind. Hier ist es daher vor allem das Recht, das sich aufgefordert sieht, den aus der späteren Nichtleistung eines Vertragspartners resultierenden Konflikt zu entscheiden, indem es die obengenannten moralischen prinzipien des Vertragsbereichs eigenständig konkretisiert. Wir wollen uns
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einmal vor Augen fuhren, wie das Verhalten desjenigen, der seine im lebensweltlichen Austauschkonsens vereinbarte Leistung später nicht erbringt, obwohl er sie erbringen könnte, im Hinblick auf diese vertragsbezogenen moralischen Prinzipien zu beurteilen ist. Mit seinem Verhalten mißachtet er zunächst den obersten moralischen Grundsatz des Vertragsbereichs, wonach Verträge zu erfiillen sind. Hat der andere Teil vorgeleistet, so verletzt der vertragsuntreue Teil mit seiner Nichtleistung des weiteren das Prinzip der Reziprozität der Leistungen beim gegenseitigen Vertrag. Da sein Vertragsbruch nicht selten darauf beruhen wird, daß er sich in Erwartungen getäuscht sieht, die ihn ursprünglich zum Vertragsschluß bewogen haben, stellt sein Verhalten in diesen Fällen auch einen Verstoß gegen den Grundsatz dar, daß die Wirksamkeit des einmal abgeschlossenen Vertrags unabhängig ist von den Motiven, welche für seinen Abschluß kausal waren. Schließlich erscheint auch das Prinzip der Privatautonomie in seiner in dieser Arbeit vertretenen Deutung verletzt: Im lebensweltlichen Austauschkonsens gesteht ja jede Partei der anderen Seite für die Hingabe eines wertvollen Gegenstandes bewußt eine Gegenleistung zu. Sie läutert damit ihre auf das "Haben-, Herrschen- und Genießenwollen" zielende natürliche Freiheit durch die auf Achtung des anderen gerichtete moralische Freiheit zur bürgerlichen Freiheit. Detjenige, der die von ihm vertragsgemäß zu erbringende Leistung später verweigert, fällt durch die darin liegende Mißachtung des anderen gleichsam auf die Stufe der reinen natürlichen Freiheit zurück. Er negiert auf diese Weise die Funktion des "Vertragsmechanismus", durch den die Parteien als vernünftige Menschen in eigener Verantwortung ihre natürliche mit ihrer moralischen zur bürgerlichen Freiheit auszubalancieren vermögen. Für den von den Parteien bei Vertragsschluß nicht bedachten Konflikt, der sich aus der späteren Verletzung dieser moralischen vertragsbezogenen Prinzipien durch den nichtleistenden Teil ergibt, entwickelt das Recht nun eine zweistujige Lösung. In einem ersten Schritt deutet es den lebensweltlichen Austauschkonsens, der dem für einen späteren Zeitpunkt vorgesehenen Leistungsaustausch vorangeht, als obligatorischen Konsens, d.h. als Vereinbarung zweier wechselbezüglicher Leistungspflichten durch die Parteien. Wenn das Recht in dieser Unterfallgruppe den lebensweltlichen Austauschkonsens als Verpflichtungskonsens deutet, so ersetzt es damit gleichsam das aktuelle Verpflichtungsbewußtsein der Parteien, das bei Vertragsschluß mangels Zweifeln an der wechselseitigen Vertragstreue ganz oder doch weitgehend fehlte. Bei dieser Interpretation hält sich das Recht aber innerhalb der Grenze seines Deutungsspielraums, welche durch die typische nachträgliche Billigung der vertraglichen Rechtsfolgen durch die Parteien gezogen wird: Wenn sie die gemeinsam gefundene Regelung ihres gegenseitigen Verhältnisses im lebensweltlichen Austauschkonsens als Verwirklichung ihrer bürgerlichen Freiheit ansehen und deshalb als innerlich bindend empfinden, so kann das Recht ihnen auch verständ-
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3. Teil: Freiheit, Moral Wld Recht im Rechtsgeschäft
lich machen, daß es ihre Vereinbarung als Vereinbarung zweier wechselseitiger Verpflichtungen zur Erbringung der auszutauschenden Leistungen auffaßt. Der zweite" Schritt der rechtlichen Konfliktsentscheidung besteht dann darin, daß das Recht die durch Deutung des lebensweltlichen Austauschkonsenses bestimmten Leistungspflichten als Rechtspflichten anerkennt, die dann wiederum Anknüpfungspunkt für die Anwendung von Rechtszwang gegen den leistungsunwilli-
gen Teil sind: Auf die Leistungsklage des anderen Teils hin wird er zur Leistung verurteilt und das Urteil, falls erforderlich, im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt. Im Ergebnis kommt es also nicht darauf an, ob beim Vertragsschluß mit verschobener Lieferung oder Zahlung die Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses das Bewußtsein haben, wechselseitige Leistungspflichten zu vereinbaren. Ist dies der Fall, so haben der Sache nach bereits die Parteien selbst im lebensweltlichen Austauschkonsens den aus der späteren bewußten Nichtleistung eines Teils resultierenden Konflikt entschieden, während das Recht sich auf die Anerkennung und zwangsweise Durchsetzung ihrer Konfliktsentscheidung beschränken kann. Anderenfalls kompensiert das Recht das fehlende Verpflichtungsbewußtsein der Parteien, indem es den Verpflichtungskonsens im Wege der Deutung aus dem lebensweltlichen Austauschkonsens entwickelt. Die Legitimation dieser vergleichsweise eigenständigen Konf1iktsentscheidung des Rechts beruht hier darauf, daß sie zur Konfliktsentscheidung der Parteien im lebensweltlichen Austauschkonsens in einem Ergänzungsverhältnis steht: Soweit die von den Parteien gefundene Regelung ihres gegenseitigen Verhältnisses noch der hinreichenden Präzisierung entbehrt, die für ihre Durchsetzung im Wege rechtlichen Zwanges erforderlich ist, nimmt das Recht diese Präzisierung vor, indem es den lebensweltlichen Austauschkonsens als Vereinbarung von Leistungspflichten interpretiert und diese Leistungspflichten dann als Rechtspflichten anerkennt. Letztlich erscheint das Recht auch bei diesem relativ eigenständigen Vorgehen weniger als Gegenspieler denn als Diener der Privatautonomie. (2) Die nachträgliche Unmöglichkeit Eine weitere typische Konfliktssituation bei zeitlichem Auseinanderfallen von Vertragsschluß und Leistungsaustausch ergibt sich, wenn einem der Vertragspartner die von ihm zu erbringende Leistung nachträglich ohne sein Verschulden unmöglich wird. Mit der nachträglichen Unmöglichkeit einer der im Austauschverhältnis stehenden Leistungen werden die Parteien bei Vertragsschluß zumeist nicht rechnen und demzufolge auch keine vertragliche Regelung für diesen Fall treffen. Diese Konstellation gehört damit zur zweiten großen Gruppe von Ver-
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tragskonflikten, die das Recht im wesentlichen durch eigenständige Konkretisierung der moralischen Prinzipien des Vertragsbereichs zu entscheiden hat. Wenn es in § 275 I den Schuldner der unmöglich gewordenen Leistung von seiner Leistungspflicht befreit, ihm in § 323 I aber auch den Anspruch auf die Gegenleistung nimmt, so wählt das Recht damit methodisch einen anderen Weg der Konfliktsentscheidung als im Falle der Leistungsverweigerung nach Vertragsschluß. Es begründet seine Konfliktsentscheidung hier nicht mit einer bestimmten Deutung des lebensweltlichen Austauschkonsenses der Parteien, sondern trifft offen eine gesetzliche Regelung. Der Primat der privatautonomen vor der rechtlichen Konfliktsentscheidung im Vertragsbereich kommt hier zunächst im dispositivrechtlichen Charakter der betreffenden Vorschriften zum Ausdruck, also darin, daß die Parteien, sofern sie den eventuellen Fall der nachträglichen Unmöglichkeit bei Vertragsschluß doch bedenken, eine von den §§ 275, 323 abweichende Regelung treffen können. Davon abgesehen stellt sich die gesetzliche Regelung aber auch inhaltlich nicht als Fremdkörper im vom Grundsatz der Privatautonomie beherrschten Vertragsbereich dar. Die Konkretisierung des Grundsatzes der Reziprozität der Leistungen im gegenseitigen Austauschvertrag zu einer fiir beide Vertragspartner annehmbaren präzisen Regelung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung war die wohl wichtigste Leistung, welche die Parteien im lebensweltlichen Austauschkonsens vollbracht haben. Kann nun eine Seite, ohne daß ihr dies vorzuwerfen ist, nicht mehr leisten, so ist der Sinn des gegenseitigen Vertrages als einer wechselseitigen Bereicherung der Wertwelten beider Vertragspartner zerstört. Damit ist auch die von den Parteien im lebensweltlichen Austauschkonsens erzielte positive Konkretisierung des Äquivalenzprinzips im nachhinein hinfällig geworden. An ihre Stelle tritt nun die gleichsam "negative Konkretisierung" dieses Prinzips durch das Recht, indem es anordnet, daß bei nachträglicher, vom Schuldner nicht zu vertretender Unmöglichkeit letztlich beide Seiten nach §§ 275, 323 frei werden. Auch in dieser Konfliktsituation, die vom Regelungsgehalt der Parteivereinbarung nicht mehr erfaßt wird, tritt demnach die rechtliche Konfliktsentscheidung in ein Ergänzungsverhältnis zur privatautonomen Konfliktsentscheidung im lebensweltlichen Austauschkonsens. Das Recht begründet seine Konfliktsentscheidung, indem es auf den inhaltlichen Gehalt des Äquivalenzprinzips ZUlÜckgreift, der mit der privatautonomen Konkretisierung dieses Prinzips im lebensweltlichen Austauschkonsens noch nicht vollständig ausgeschöpft ist.
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3. Teil: Freiheit, MorallUld Recht im Rechtsgeschäft
(3) Der Streit zwischen Erstveräußerer und Zweiterwerber einer aufgrund fehlerhaften Austauschgeschäfts veräußerten Sache Werfen wir zum Schluß noch einen Blick auf die rechtliche Entscheidung des Streits um das Eigentum an einer Sache, die der Erstveräußerer aufgrund eines mit einem Nichtigkeitsgrund behafteten Austauschgeschäfts aus der Hand gegeben hat und nun von deren Zweiterwerber herausverlangt. Diesen Konflikt werden die Parteien des ersten Austauschgeschäfts in aller Regel nicht bedenken, weil sie nicht mit dessen Nichtigkeit rechnen werden und zudem im lebensweltlichen Austauschkonsens die Regelung ihres gegenseitigen Verhältnisses im Auge haben, nicht aber spätere Konflikte eines Vertragspartners mit Dritten. Selbst wenn die Parteien versuchen wollten, eine vorsorgliche Regelung für den Fall zu treffen, daß ihr Austauschgeschäft fehlschlägt, würde auch diese Abrede möglicherweise von demselben Nichtigkeitsgrund erfaßt, an dem bereits der Austauschvertrag leidet. Der Streit zwischen Erstveräußerer und Zweiterwerber einer aufgrund mangelhaften ersten Austauschgeschäfts veräußerten Sache gehört also zu denjenigen Vertragskonflikten, deren Entscheidung dem Recht aufgegeben ist. Es entscheidet den Konflikt zugunsten des Zweiterwerbers, indem es die Wirksamkeit der dinglichen Erfiillungsverträge unabhängig von der Wirksamkeit des obligatorischen Grundgeschäfts beurteilt (Abstraktionsprinzip), so daß in den meisten Fällen der Mangel des lebensweltlichen Austauschkonsenses sich nur auf der schuldrechtlichen Ebene auswirkt und der Zweiterwerber das Eigentum an der weiterveräußerten Sache vom Berechtigten erwiIbt. Methodisch knüpft diese mit dem Abstraktionsprinzip getroffene Konf1iktsentscheidung an die Unterscheidung von obligatorischem und dinglichem Konsens (frennungsprinzip) an, die ihrerseits, wie oben dargelegt, als bestimmte rechtliche Deutung des lebensweltlichen Austauschkonsenses Streitigkeiten der beiden Vertragspartner untereinander entscheidet. Wegen dieses Zusammenhangs liegt es nahe, nicht nur die Trennung von Verpflichtungs- und Übereignungsverträgen, sondern auch noch die getrennte Beurteilung ihrer rechtlichen Wirksamkeit der juristischen Konkretisierung des lebensweltlichen Austauschkonsenses zu bestimmten Rechtsfolgen zuzurechnen. Nun hat allerdings die Differenzierung zwischen obligatorischem und dinglichem Geschäft jedenfalls in denjenigen Fällen des Vertragsschlusses mit verschobener Lieferung oder Zahlung, in denen die Parteien an der späteren wechselseitigen Leistungsbereitschaft zweifeln, doch noch ihre psychologische Grundlage in einem gewissen "Verpflichtungsbewußtsein" der Parteien bei Vertragsschluß. Demgegenüber wird es bei den Parteien in aller Regel eher auf Befremden stoßen, daß bei Mängeln des lebensweltlichen Austauschgeschäfts trotz Nichtigkeit des schuldrechtlichen Grundgeschäfts die dinglichen Erfiillungsverträge zumeist wirksam bleiben. ln dieser dem Laien künstlich erscheinenden Differenzierung hinsichtlich
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der Wirkung von Nichtigkeitsgründen tritt demnach das Moment der rechtlichen Wertung noch stärker in den Vordergrund als bei der Unterscheidung von schuldrechtlichen und dinglichen Geschäften. Damit liegt sie bereits an der Grenze zum dispositiven Gesetzesrecht, das sich offen als Regelung des Rechts ausweist, ohne den Anspruch zu erheben, juristische Konkretisierung der Parteivereinbarung zu sein. Zugleich liegt das Abstraktionsprinzip wohl schon hart an der Grenze, die dem Deutungsspielraum des Rechts in bezug auf den lebensweltlichen Austauschkonsens der Parteien gezogen ist. Diese Grenze wird bezeichnet durch das Erfordernis, daß die vom Recht an die Parteivereinbarung geknüpften Rechtsfolgen bei nachträglicher Erläuterung typischerweise von den Parteien akzeptiert werden. Der Jurist wird in der Regel Mühe haben, den Parteien klarzumachen, warum ungeachtet eines Fehlschlags des schuldrechtlichen Austauschgeschäfts zumeist dennoch das Eigentum an den ausgetauschten Gegenständen wirksam übertragen worden ist. So wird etwa der Verkäufer der aufgrund unwirksamen Kaufvertrags veräußerten Kaufsache sich nur schwer damit abfinden können, wegen des dennoch eingetretenen Eigentumsverlusts den später an einen Dritten weiterveräußerten Kaufgegenstand nicht mehr zurückzubekommen. Akzeptieren wird der Verkäufer diesen Eigentumsverlust allenfalls dann, wenn der Jurist es vermag, ihm den Gedanken des Verkehrsschutzes nahezubringen. Damit sind wir bei der inhaltlichen Begründung des Abstraktionsprinzips. Wir sehen im Grundsatz des Verkehrsschutzes, wonach Mängel eines Austauschgeschäfts Dritten nicht zum Nachteil gereichen sollen, ein weiteres moralisches Prinzip des Vertragsbereichs. Im Unterschied zum Äquivalenzprinzip und zur Trennung der unbeachtlichen Motive vom Geschäftsinhalt betriffi der Grundsatz des Verkehrsschutzes aber weniger das beiderseitige Verhältnis der Vertragspartner als vielmehr die Funktion des Vertrages im Wirtschaftsgefiige insgesamt. Gerade weil der gegenseitige Austauschvertrag das zentrale Organisationsmedium der wirtschaftlichen Beziehungen in der Marktwirtschaft ist, erscheint es sinnvoll, den einmal vollzogenen Güteraustausch "nach außen hin", also gegenüber Dritten, in seinem Bestand weitgehend unabhängig zu machen von Mängeln, die das zweiseitige Verhältnis der Vertragsparteien zueinander betreffen, und auf diese Weise die Leichtigkeit des Warenflusses zu sichern. Man mag insofern im Verkehrsschutz, so wie ihn das Abstraktionsprinzip verwirklicht, durchaus eine strukturelle Parallele sehen zum Grundsatz der Trennung von Motiv und Geschäftswille. So wie das Prinzip der Unbeachtlichkeit der Motive den einmal abgeschlossenen Vertrag gegenüber individuellen Fehleinschätzungen eines Vertragspartners ''bestandsfest'' macht, verleiht das Abstraktionsprinzip· dem einmal vollzogenen Güteraustausch gegenüber Mängeln, die das interne Verhältnis der beiden Vertragspartner betreffen, Bestand.
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3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
V. Zusammenfassung: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft Fassen wir abschließend noch einmal unsere Betrachtungen zu den Fragen zusammen, inwieweit sich im Rechtsgeschäft die Freiheit des einzelnen im Bereich der Wirtschaft verwirklicht und in welchem Verhältnis hier Parteiwille und Recht stehen. Grundlage unserer Überlegungen war die von Schapp entworfene Konzeption von Freiheit, Moral und Recht in der Moderne. Von entscheidender Bedeutung ist hier die grundlegende Ambivalenz des Freiheitsbegriffs. Im Christentum stellt die Wahlfreiheit des Menschen zwischen Gut und Böse den Menschen vor die Aufgabe, durch die Wahl des Guten die Freiheit der Erlösung zum ewigen Leben zu gewinnen. In Aufklärung und Moderne lebt die christliche Wahlfreiheit dann in säkularisierter Form als natürliche Freiheit fort, in der Gut und Böse noch ungeschieden nebeneinander liegen. Die natürliche Freiheit ist darauf ausgerichtet, die Begierden und das Machtstreben des Menschen zu befriedigen und so seine Selbsterhaltung zu sichern. Der Mensch, der seine natürliche Freiheit realisiert, stößt notwendig mit seinen Mitmenschen zusammen, die dasselbe tun. Eine Antwort auf diesen Konflikt der natürlich Freien gibt die moralische Freiheit als säkularisierte Fassung der christlichen Erlösungsfreiheit. Moralisch frei ist, wessen Handeln nicht durch die Triebfeder der Begierden, sondern durch den Selbstzwang der Vernunft bestimmt wird. In Richtung auf die Begierden wird die moralische Freiheit praktisch, indem sie diese aus Achtung vor dem anderen auf ein dem anderen erträgliches Maß ZUlÜCknimmt. Der einzelne, dem es gelungen ist, in dieser Weise seine als Wahlfreiheit aufzufassende natürliche Freiheit durch seine moralische Freiheit zu begrenzen und damit zum Guten hin auszuüben, verwirklicht hierdurch seine bürgerliche Freiheit.
Im Bereich der Moral läßt sich nun die Pflicht zur Achtung des Gesetzes als oberstes moralisches Prinzip von konkreteren moralischen prinzipien mittlerer Abstraktionsstufe unterscheiden, die schon mit Blick auf bestimmte typische Konfliktsituationen der Lebenswelt formuliert sind. Es sind dies die Pflichten zur Achtung des anderen in seinen Lebensgütern, zur Achtung des Austauschvertrags in der arbeitsteiligen Gesellschaft und zur Achtung der sozialen Gruppen untereinander. Da die Vernunft aber oft nicht ausreicht, um die Verletzung dieser moralischen Pflichten durch den Exzeß der Begierden zu verhindern, wird der Zwang des Rechtes erforderlich. Es formt die moralischen Pflichten mittlerer Abstraktionsstufe zu konkreten Rechtspflichten aus und stellt dann fiir deren Verletzung Sanktionen in Aussicht. Wenn das Rechtsgeschäft Ausdruck der Freiheit des einzelnen im Bereich der Wirtschaft ist, so steht zu vermuten, daß die grundlegende Ambivalenz des Freiheitsbegriffs sich auch im Begriff der Privatautonomie widerspiegelt. Der Rechtsge-
V. Zusammenfassung
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schäftslehre stellt sich damit die Aufgabe, das Spannungsverhältnis von natürlicher lUld moralischer Freiheit im Rechtsgeschäft aufzuzeigen lUld zu bewältigen. Im Zentrum des Interesses steht hierbei der Vertrag als das bei weitem bedeutsamste Rechtsgeschäft, lUld hier wiederum der gegenseitige Austauschvertrag als wichtigster Vertrag. Zitelmann, der Begründer der modemen Rechtsgeschäftslehre, zeigt lUlS mit dem Modell der erweiterten HandllUlgsreihe das Rechtsgeschäft als Mittel der Bedürfnisbefriedigoog. Er fundiert es damit in der natürlichen Freiheit, die ja dem Ziel der SelbsterhaltlUlg des einzelnen dient Dieser naturalistische lUld individualistische Ansatz Zitelmanns steht nlUl in einem eigentümlichen Spannungsverhältnis zum Kemgedanken seiner Rechtsgeschäftslehre, der AbschichtlUlg der unbeachtlichen Motive vom beachtlichen Geschäftswillen. Zitelmann versteht die Unterscheidung von Motiv lUld Geschäftswille als psychologisches Gesetz, doch fehlt es ihr vor dem Hintergrund seines Ansatzes bei dem Problem der individuellen Lustbefriedigung gerade an psychologischer Plausibilität. Aus Sicht des einzelnen geben die aus einem Unlustgefühl erwachsenen individuellen Beweggründe, die ihn dazu veranlassen, ein Rechtsgeschäft vorzunehmen, diesem Rechtsgeschäft ja überhaupt erst seinen Sinn. Motivirrtümer werden häufig diesen Sinn des Rechtsgeschäfts für den einzelnen zerstören, so daß Zitelmann von seinem konsequent durchgehaltenen Ansatz aus eigentlich gerade zur Beachtlichkeit des Motivirrtums kommen müßte. Des Rätsels LöSlUlg liegt darin, daß Zitelmann, wenn er die Motive vom Geschäftswillen abschichtet, der Sache nach den zweiten großen Freiheitsbegriff, die moralische Freiheit, in seine Rechtsgeschäftslehre integriert. Wer die Verbindlichkeit des einmal getätigten Rechtsgeschäfts lUlgeachtet eigener individueller Motivirrtümer respektiert, achtet damit den anderen, zumeist den Vertragspartner, der auf den Bestand des einmal zustandegekommenen Rechtsgeschäfts vertraut. Die Stärke von Zitelmanns Rechtsgeschäftslehre liegt also darin, daß er der Sache nach beide großen Freiheitsbegriffe in sie integriert. Dem stehen zwei Schwachpunkte gegenüber: Zum einen legt Zitelmann den moralischen Charakter der Unterscheidung von Motiv lUld Geschäftswille nicht offen. Seine Konzeption erscheint dadurch auf den ersten Blick einseitig an der natürlichen Freiheit orientiert, sie scheint gleichsam eine "individualistische Schlagseite" aufzuweisen, die sie, nachdem im 20. JahrhlUldert die Blütezeit des Liberalismus ihr Ende gefunden hat, angreifbar macht. Zum anderen verkennt Zitelmann, daß es sich bei der AbschichtlUlg von Motiv lUld Geschäftswille nicht um ein psychologisches Gesetz handelt, aus dessen AnwendlUlg die richtige juristische EntscheidlUlg auch schwieriger Fälle mit quasi-naturwissenschaftlicher Präzision abgelesen werden kann. Der systematische Ort dieses Kemgedankens seiner Rechtsgeschäftslehre ist nach unserer AuffasSlUlg ein anderer. Mag der Geschäftswille bei dem aus Unlustgefühlen geborenen Habenwollen eines bestimmten Gegenstandes seinen Aus-
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3. Teil: Freiheit, Moral Wld Recht im Rechtsgeschäft
gang nehmen, so durchläuft er doch schon, bevor überhaupt Vertragsverhandlungen aufgenommen worden sind, eine erste Stufe moralischer Läuterung in Gestalt bestimmter moralischer Prinzipien des Vertragsbereichs, die von den Parteien verinnerlicht sind. Eines dieser Prinzipien, die dann noch der weiteren Konkretisierung durch die Parteien bedürfen, ist der Grundsatz, daß die Wirksamkeit des einmal abgeschlossenen Vertrags von Motivirrtümem unberührt bleibt. Angesicht der 1941 mächtigen Tendenz, den privatrechtlichen Vertrag mit vermeintlicher "individualistischer Willkür" und "Einzelegoismus" zu identifizieren und ihn aufgrund dieser Identifikation in weitem Umfang hoheitlichen Regelungen zu unterwerfen, konzipiert Schmidt-Rimpler in diesem Jahr ein Vertragsmodell, das den Vertrag im Gegenteil gerade als Instnunent der Bändigung des individuellen Egoismus zeigt und ihm so seine Existenzberechtigung sichern soll. SchmidtRimpler faßt den Vertrag als Mechanismus auf, durch den sich die antagonistischen Einzelwillen beider Vertragspartner gegenseitig abschleifen und im Konsens zum Richtigen hin binden. Der Wille des einzelnen findet im Willen des jeweils anderen seine Schranke und in der schließlichen Zustimmung des anderen bei Vertragsschluß seine Richtigkeitsgewähr. ln Schmidt-Rimplers Vertragskonzeption hat der Wille des jeweils anderen demnach die Aufgabe, die Freiheit des einzelnen, die als Raum individuellen Beliebens aufgefaßt wird, einzuschränken. Er übernimmt damit die Funktion, welche im Schrankenmodell des Rechts und der Freiheit, so wie es von seinen Kritikern gesehen wird, dem Recht zukommt. Ebenso wie aber das Recht mit dieser Aufgabe überfordert wäre, könnte es nicht schon auf einer prinzipiellen moralischen Durchdringung und Läuterung der natürlichen Freiheit aufbauen, vermag auch der "Vertragsmechanismus" alleine einen als ursprünglich radikal egoistisch vorgestellten Geschäftswillen nicht zum Richtigen hin zu binden. Die Richtigkeitsgewähr des "Vertragsmechanismus" setzt vielmehr einen von vornherein auf prinzipieller Ebene auch schon moralisch geprägten Willen voraus, der dann im Verfahren des Vertragsschlusses ein zweites Stadium moralischer Läuterung durchläuft. Der "Vertragsmechanismus" stellt sich damit als Verfahren dar, in dem die vertragsbezogenen moralischen Prinzipien von den Parteien zur konkreten Regelung ihres gegenseitigen Verhältnisses ausgeformt werden. Der Konsens als Endpunkt dieses Prozesses wird dann von beiden Parteien innerlich als bindend empfimden und nicht nur als äußerlich bleibende Fesselung ihres Willens, weil die gemeinsam gefimdene Regelung des gegenseitigen Verhältnisses sich als Konkretisierung von Anfang an verinnerlichter moralischer Grundsätze des Vertragsbereichs darstellt. Um welche Prinzipien handelt es sich ? Eines von ihnen ist der Grundsatz der Unbeachtlichkeit der Motive. Dann ist es vor allem das Prinzip der Reziprozität der Leistungen, das, wie es Wilhelm Schapp in seinem Werk "Der Vertrag als Vorgegebenheit" vor Augen fuhrt, dem gegenseitigen Austauschvertrag seinen Sinn gibt.
V. Zusammenfassung
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Das Äquivalenzprinzip macht den gegenseitigen Vertrag verständlich als ein Verhältnis wechselseitiger Bereicherung der Wertwelten beider Vertragspartner.
Im Hinblick auf das Äquivalenzprinzip lassen sich die Verzahnung der beiden Freiheitsbegriffe im Rechtsgeschäft und die Funktionsweise des "Vertragsmechanismus" besonders deutlich aufzeigen. Im grundsätzlichen "Habenwollen" der im Eigentum eines anderen stehenden Sache findet auf prinzipieller Ebene die auf Mehrung von Macht und Vermögen gerichtete natürliche Freiheit ihren Ausdruck. Thr tritt, ebenfalls auf prinzipieller Ebene, die moralische Freiheit in Gestalt des Äquivalenzprinzips gegenüber, indem der einzelne akzeptiert, daß er die fremde Sache nur gegen Hingabe einer Gegenleistung erwetben kann. Das Äquivalenzprinzip wird nun zum inhaltlichen Bezugspunkt des "Vertragsmechanismus". Im Prozeß des Aushandeins suchen beide Parteien dieses beiderseits verinnerlichte moralische Prinzip auf eine für sie möglichst günstige Weise in die konkrete vertragliche Regelung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung umzusetzen. In diesem Ringen verwirklichen damit beide Seiten wiederum die auf den eigenen Nutzen gerichtete natürliche Freiheit. Im Konsens, dem Endpunkt dieses Verfahrens, finden dann die Parteien im Wege gegenseitigen Nachgebens diejenige Konkretisienmg des Äquivalenzprinzips, die beide als angemessene Regelung ihres gegenseitigen Verhältnisses akzeptieren können. Eben weil sich diese Regelung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung als Konkretisierung des von vornherein verinnerlichten Grundsatzes der Reziprozität der Leistungen im gegenseitigen Austauschvertrag darstellt, akzeptieren die Vertragspartner sie innerlich gerade auch insofern als bindend, als sie der anderen Seite haben Zugeständnisse machen müssen. Damit verwirklichen die Parteien nunmehr auch auf der Ebene der konkreten vertraglichen Regelung ihre auf Achtung des anderen gerichtete moralische Freiheit. Als lebensweltlicher Austauschkonsens wird der Konsens zum Ausdruck der bürgerlichen Freiheit der Parteien im Bereich der Wirtschaft. Die Privatautonomie läßt sich demnach auffassen als die Fähigkeit der Parteien, ihre Interessengegensätze selbständig zu bewältigen, indem sie die moralischen Prinzipien des Vertragsbereichs im "Vertragsmechanismus" zur konkreten Regelung ihres gegenseitigen Verhältnisses ausfonnen. Wenn das Wesen der Privatautonomie, kurz gesagt, in der Fähigkeit der Vertragspartner zur eigenständigen Konfliktsentscheidung besteht, so wird in der Perspektive des Rechts die Privatauton0mie ihrerseits zum moralischen Prinzip, dem Achtung gebührt. Das Recht darf die Parteien nicht bevormunden, indem es die von ihnen selbst im lebensweltlichen Austauschkonsens gefundene Regelung ihres gegenseitigen Verhältnisses nachhaltig korrigiert. Wegen ihres prinzipiellen Charakters beläßt die Privatautonomie dem Recht allerdings einen gewissen Deutungsspielraum, wenn es den lebensweltlichen Aus-
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3. Teil: Freiheit, Moral und Recht im Rechtsgeschäft
tauschkonsens zu juristisch spezifizierten Rechtsfolgen konkretisiert. Seine Grenze wird bezeichnet durch das Erfordernis, daß diese Rechtsfolgen bei nachträglicher Erläuterung durch den Juristen jedenfalls im Nonnalfalle die Billigung der Parteien finden müssen. Inhaltlich wird die Ausfüllung dieses Konkretisierungsspielraums durch das Recht zum einen bestimmt durch das Erfordernis, die privatautonome Regelung der Parteien im lebensweltlichen Austauschkonsens zu achten, indem Rechtsfolgen an sie geknüpft werden, die sich als Anknüpfungspunkt fiir die Anwendung rechtlichen Zwangs gegen die vertragsbrüchige Partei eignen. Zum anderen bietet sich dem Recht die Gelegenheit, die vertraglichen Rechtsfolgen in einer Weise auszugestalten, die es ihm erlaubt, von den Parteien zumeist nicht bedachte und daher im lebensweltlichen Austauschkonsens noch nicht entschiedene typische Vertragskonflikte einer eigenständigen rechtlichen Entscheidung zuzufiihren. Der zweite Weg, auf dem das Recht seine eigenständigen Konfliktsentscheidungen im Vertragsbereich methodisch verwirklicht, ist dann die Regelung des dispositiven Gesetzesrechts.
Vierter Teil
Die Sachmängelgewährleistung beim Stückkauf als Synthese privatautonomer und rechtlicher Konfliktsentscheidung Werfen wir nun vor dem Hintergrund unserer Überlegungen zum Verhältnis von natürlicher Freiheit, moralischer Freiheit und Recht im wirtschaftlichen Austauschvertrag noch einmal einen Blick auf die Kontroverse zwischen Zitehnann und Flume. Gegenstand dieser Kontroverse ist die Frage, ob beim Stückkauf die Vorstellung der Parteien von der Beschaffenheit des Kaufgegenstandes Bestandteil ihres Geschäftswillens oder aber nur Motiv des Geschäftswillens ist. Nun stellt fiir uns der rechtsgeschäftliche Wille keine festumrissene psychologische Gegebenheit dar. Es handelt sich beim rechtsgeschäftlichen Willen vielmehr erst um den Endpunkt eines Prozesses moralischer Läuterung und zunächst privatautonomer, dann rechtlicher Konkretisierung, den das ursprüngliche "natürliche Habenwollen" der späteren Kaufsache durchläuft. Entsprechend scheint uns ein schrittweises Vorgehen erforderlich zu sein, um die Frage beantworten zu können, wie sich die Vorstellung von der Beschaffenheit der Speziessache zum rechtsgeschäftlichen Willen verhält. Es ist zu klären, welche Bedeutung dieser Vorstellung in den Stadien zukommt, die der Bildung des rechtsgeschäftlichen Willens vorangehen.
I. Die Beschaffenheitsvorstellung als Element des "natürlichen
Habenwollens" der späteren Kaufsache Als erste Stufe des Willensbildungsprozesses beim späteren Käufer, der schließlich zum Abschluß des Kaufvertrags fuhrt, fassen wir das "natürliche Habenwollen" der späteren Kaufsache auf: Die Sache erscheint ihm als Objekt, dessen Erwerb erstrebenswert ist. Warum ist der Sacherwerb in den Augen des künftigen Käufers erstrebenswert? Offenbar stellt er sich doch vor, der .betreffende Gegenstand sei geeignet, die eigene Wertwelt zu bereichern und damit der eigenen Selbsterhaltung zu dienen. Den Begriff der Selbsterhaltung fassen wir dabei in einem weiten Sinne auf. Er geht über die unmittelbare Erhaltung der physischen 13 Huda
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4. Teil: Saclunängelgewährleistung als Synthese
Existenz hinaus, indem er die Kultivierung der geistig-seelischen Existenz des Menschen und auch die Pflege des sozialen Ansehens mitumfaßt. Nicht nur der Erwerb des als Rinderfilet vorgestellten Stücks Fleisch in der Auslage der Metzgerei, das den Hunger zu stillen verspricht, dient demnach dem Ziel der Selbsterhaltung, sondern auch der Kauf des als Rembrandt-Gemälde vorgestellten Bildes, das erlesenen Kunstgenuß verheißt, und der Erwerb des fiir einen Goldring gehaltenen Ringes, der eine Steigerung des sozialen Ansehens in Aussicht stellt. Die Beispiele zeigen, daß es gerade die Vorstellung von einer bestimmten Beschaffenheit der Sache ist, welche sie als geeignetes Mittel zum Zweck der Selbsterhaltung erscheinen läßt. Gerade die vorgestellte Beschaffenheit des vor mir liegenden Stücks Fleisches als Rinderfilet deutet auf seine besondere Eignung hin, meinen Hunger zu stillen, gerade die Vorstellung des Gemäldes als von Rembrandt herrührend verspricht mir den erhofften Kunstgenuß, gerade die Vorstellung des Rings als golden stellt mir eine Mehrung meines Ansehens in Aussicht, wenn ich ihn trage. Unter dem Aspekt der natürlichen Freiheit, die im Dienste der eigenen Selbsterhaltung steht und die sich im "natürlichen Habenwollen" bestimmter zur Selbsterhaltung geeignet erscheinender Gegenstände verwirklicht, ist es also gerade die vorgestellte Beschaffenheit der begehrten Sache, die ihren Erwerb als sinnvoll erscheinen läßt. In dem Maße, in dem vorgestellte und reale Beschaffenheit auseinanderfallen und die Sache deshalb in Wirklichkeit ungeeignet ist, der eigenen Selbsterhaltung zu dienen, wird das "natürliche Habenwollen" dieser Sache in der Perspektive der natürlichen Freiheit zu einem sinnlosen Wollen. Hängt also der Sinn des "natürlichen Habenwollens" eines Gegenstandes davon ab, ob die diesem "Habenwollen" zugnmdeliegende Vorstellung von seiner Beschaffenheit richtig ist oder nicht, so wird man bei unbefangener Betrachtung die Beschaffenheitsvorstellung als entscheidenden Bestandteil dieses "Habenwollens" betrachten können. Auf der Ebene des "natürlichen Habenwollens" erweist sich also Flumes Gleichsetzung von Vorstellungsinhalt und Willensinhaltl noch als richtig. Bedenkt man weiter, daß dieses "Habenwollen einer Sache" als Manifestation des menschlichen Selbsterhaltungsstrebens primär existentieller Impuls und erst in zweiter Linie ein Akt des Intellekts ist, so erweist sich auf dieser Ebene Zitelmanns Argument noch nicht als stichhaltig, vernünftigerweise könnten die Eigenschaften eines individuell bestimmten Gegenstandes nicht mehr Bezugspunkt des auf den Erwerb dieses Gegenstandes gerichteten Willens sein. 2 Das "natürliche Habenwollen" ist eben nur eingeschränkt der Ort, an dem sich logisches Denken verwirklicht. Hier kann man "diesen Ring" noch "als goldenen" wollen, auch wenn ein solches Wollen logisch kaum sinnvoll ist. Der Mangel an Logik wird gleichsam
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Vgl. Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S. 17. Vgl. Zite1mann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 439.
ll. Beschaffenheitsvorstellung und Schätzvorgang
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kompensiert durch die existentielle Verankerung des "Wollens der Beschaffenheit" in der auf Selbsterhaltung gerichteten natürlichen Freiheit.
11. BeschaffenheitsvorsteUung und Schätzvorgang Auf der nächsten Stufe des Prozesses, der zur Bildung des rechtsgeschäftlichen Willens fiihrt, beginnt sich das Bild aber zu ändern. Es handelt sich um den Vorgang des Schätzens, in dem der am Erwetb einer Sache Interessierte den Wert, welchen die Sache für ihn hat, abwägt mit dem Wert der Gegenleistung, die er mutmaßlich für ihren Erwetb wird aufbringen müssen. Wir haben das Schätzen charakterisiert als erste moralische Läuterung, welche die im "Habenwollen der Sache" zum Ausdruck kommende natürliche Freiheit noch auf prinzipieller Ebene durchläuft. Der Schätzende hat das Prinzip der Reziprozität der Leistungen im gegenseitigen Austauschvertrag verinnerlicht, d.h. er akzeptiert, daß er den begehrten Gegenstand seiner eigenen Wertwelt nur eingliedern kann, wenn er im Gegenzug durch Hingabe einer Gegenleistung die Wertwelt des bisherigen Sacheigentümers bereichert. Indem er auf diese Weise den Eigentümer als zukünftigen Vertragspartner achtet, verwirklicht der Schätzende auf prinzipieller Ebene seine moralische Freiheit. Wie verhält sich nun dieser Vorgang des Schätzens zur Vorstellung von der Beschaffenheit der Speziessache ? Offenbar bestimmt doch das Bild, das man sich gedanklich von der Beschaffenheit der Sache macht, entscheidend die Größenordnung der Gegenleistung, die man für ihren Erwetb aufzubringen bereit ist. Hält man den Ring für golden, so wird man vielleicht 500-600 DM zu zahlen bereit sein, glaubt man, einen Messingring vor sich zu haben, mag man 30-40 DM für angemessen halten. Dann ist aber die Bereitschaft, einen Kaufpreis zu zahlen, der sich innerhalb des aufgrund der Beschaffenheitsvorstellung ins Auge gefaßten Preisrahmens hält, auch grundsätzlich davon abhängig, daß diese Beschaffenheitsvorstellung mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Diese prinzipielle konditionale Verknüpfung läßt sich als sinngemäßer Bedingungszusammenhang zwischen Beschaffenheitsvorstellung und vom Schätzenden in Aussicht genommener Gegenleistung charakterisieren. Werfen wir im folgenden einen Blick auf die objektiven und subjektiven Grundlagen dieses Modells. Objektiv scheint uns der sinngemäße Bedingungszusammenhang zwischen Beschaffenheitsvorstellung und ungefährer Kaufpreishöhe fundiert zu sein im Prinzip der Reziprozität der Leistungen im gegenseitigen Austauschvertrag. Wenn der Schätzende dieses vertragsbezogene moralische Prinzip verinnerlicht, indem er grundsätzlich zur Hingabe einer Gegenleistung für den Erwetb der Sache bereit ist,
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4. Teil: Sachmängelgewährleistung als Synthese
so verwirklicht er damit auf prinzipieller Ebene seine auf Achtung des anderen gerichtete moralische Freiheit. Der Äquivalenzgrundsatz beinhaltet aber aus Sicht des Schätzenden daneben auch eine Komponente natürlicher Freiheit. Er ist eben grundsätzlich nur zur Kaufpreiszahlung bereit, wenn er dafür als Äquivalent die Kaufsache mit der vorgestellten, fiir die Kaufpreisbemessung maßgeblichen Beschaffenheit auch wirklich erhält. Wenn der gegenseitige Vertrag der Prototyp des vernünftigen Vertrags ist, so liegt diese Vernunft ja darin, daß jeder der Vertragschließenden die Wertwelt des anderen nur zu bereichern bereit ist, weil der in Aussicht genommene Austausch von Werten per saldo trotz der Hingabe eigener Werte die jeweils eigene Wertwelt bereichert. Im sinngemäßen Bedingungszusammenhang zwischen Beschaffenheitsvorstellung und Kaufpreishöhe kommt also letztlich zum Ausdruck, daß es ein vernünftiger Vertrag ist, dessen Abschluß der Schätzende gedanklich vorbereitet. Verfügt unser Modell des sinngemäßen Bedingungszusammenhangs zwischen Beschaffenheitsvorstellung und Kaufpreishöhe auch über eine subjektive Grundlage? Hier könnte man zunächst an eine psychologische Verankerung dieses Bedingungszusammenhangs im Bewußtsein des Schätzenden denken. Um bewußt seine Bereitschaft, einen Kaufpreis in einer bestimmten Größenordnung zu zahlen, von der Richtigkeit der dieser Kaufpreisbemessung zugrundeliegenden Beschaffenheitsvorstellung abhängig zu machen, müßte der Schätzende allerdings Zweifel an der Richtigkeit dieser Beschaffenheitsvorstellung empfinden. Daran wird es häufig fehlen, so daß die konditionale Verknüpfung von Beschaffenheitsvorstellung und Kaufpreishöhe in der Regel nicht psychologisch fundiert ist. Vor allem mit dem Gesichtspunkt des fehlenden Zweifels begründen auch Zite1mann und Flume, allerdings auf der Ebene des von ihnen als festumrissenes psychologisches Faktum aufgefaßten rechtsgeschäftlichen Willens, warum sie die Angabe von Eigenschaftsvorstellungen beim Spezieskauf gewöhnlich nicht als eine den Geschäftswillen einschränkende Bedingung auffassen. So weist Flume darauf hin, eine Bedingung sei psychologisch nur möglich, wenn ein Zweifel bestehe. 3 Zite1mann räumt zwar ein, daß bei jedem bereits individualisierten Objekt die Hinzufiigung einer Eigenschaft den Sinn einer Bedingung haben kann. Der Satz "Ich kaufe diesen konkreten Gegenstand hier, welcher eine Uhr ist", könne bedeuten: "wenn er eine Uhr ist". 4 Er nimmt dann aber an, im Normalfall sei bei der Speziessache das Vorhandensein einer Eigenschaft dieser Sache nicht zur Bedingung des Geschäfts erhoben. 5
3 4
5
Vgl. Flmne, Eigenschaftsirrtmn und Kauf, S. 24 und S. 29. Vgl. Zitelmarm, Irrtmn und Rechtsgeschäft, S. 451. Ders., Irrtmn und Rechtsgeschäft, S. 522.
m. Beschaffenheitsvorstellung und Aushandeln
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111. Die BeschaffenheitsvorsteUung im Stadium des Aushandelns Wir haben die Vorstellung des späteren Käufers von der Beschaffenheit der Kaufsache zunächst als Bestandteil seines ursprünglichen "natürlichen Habenwollens" der Sache aufgefaßt. Auf der Ebene des Schätzens emanzipiert sich die Beschaffenheitsvorstellung dann gleichsam von diesem anfänglichen natürlichen Habenwollen. Im sinngemäßen Bedingungszusammenhang zwischen vorgestellter Sachbeschaffenheit und in Aussicht genommener Kaufpreishöhe beginnt die Beschaffenheitsvorstellung jetzt entscheidende Bedeutung für das Austauschverhältnis von Kaufsache und Kaufpreis zu gewinnen. Im folgenden wollen wir uns dem Stadium des Aushandelns zuwenden, welches sich an das Schätzen anschließt. Wir haben das Aushandeln charakterisiert als Konkretisierungsprozeß, in dem die Parteien die gemeinsam verinnerlichten moralischen Prinzipien des Vertragsbereichs zur präzisen Regelung ihres Verhältnisses im lebensweltlichen Austauschkonsens ausfonnen. Dabei versucht jede Seite, die moralischen vertragsbezogenen Prinzipien, insbesondere das Äquivalenzprinzip, auf für sie möglichst günstige Weise in den lebensweltlichen Austauschkonsens zu übersetzen. Das Aushandeln stellt sich insofern als ein Ringen der Parteien dar, in welchem jede von ihnen wiederum ihre auf die Verfolgung des eigenen Vorteils gerichtete natürliche Freiheit verwirklicht, indem sie das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung so weit wie möglich zu ihren Gunsten auszugestalten sucht. Welche Bedeutung kommt nun der Beschaffenheitsvorstellung im Prozeß des Aushandelns zu? Offenbar müssen sich doch beim Spezieskauf, damit ein sinnvolles Aushandeln überhaupt möglich ist, die Vorstellungen der Parteien von der Beschaffenheit des als Kaufsache in Aussicht genommenen Gegenstandes von Anfang an im wesentlichen decken. Das Aushandeln setzt ja nicht nur voraus, daß beide Seiten von vornherein den moralischen Grundsatz der Reziprozität der Leistungen im wirtschaftlichen Austauschvertrag verinnerlicht haben. Erforderlich ist darüber hinaus auch schon ein grundsätzliches Einvernehmen über den Rahmen, in dem sich im konkreten Falle die Gegenleistung für den Sacherwerb, d.h. der Kaufpreis, halten wird. Dieser Rahmen mag etwa zwischen den 500 DM, die der Käufer anfänglich für den Goldring bietet, und den 600 DM, die der Verkäufer anfangs fordert, liegen. Das grundsätzliche Einvernehmen beider Seiten über einen solchen Preisrahmen, innerhalb dessen dann um den schließlichen Kaufpreis gerungen wird, kann nur auf der Grundlage prinzipiell übereinstimmender Beschaffenheitsvorstellungen der Parteien entstehen. Anderenfalls fehlt es bereits an der gemeinsamen Basis, auf der Verhandlungen über die Höhe des Kaufpreises überhaupt geführt werden können. So wären im Beispielsfall solche Verhandlungen nicht möglich, wenn der Käufer in der Überzeugung, einen Messingring vor sich zu
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4. Teil: Sachmängelgewährleistung als Synthese
haben, bereit wäre, allenfalls 30-40 DM fiir den Ring zu zahlen, während dem Verkäufer fiir den als Goldring vorgestellten Ring 500-600 DM als angemessen erschienen.
Der Prozeß des Aushandelns ist also in seiner Funktionsfähigkeit bedingt durch in den Grundzügen von vornherein kongruente Beschaffenheitsvorstellungen der Parteien. Damit findet sich der sinngemäße Bedingungszusammenhang, der im vorangegangenen Stadiwn des Schätzens zwischen Beschaffenheitsvorstellung und in Aussicht genommener Kaufpreishöhe besteht, in etwas modifizierter Form auch auf der daran anschließenden Stufe des Aushandelns wieder. Indem beide Seiten auf der Grundlage ihrer im Prinzip übereinstimmenden Beschaffenheitsvorstellungen den Rahmen bestimmen, in welchem der Kaufpreis liegen wird, wird die bislang einseitig der Sphäre des Schätzenden zugehörige prinzipielle konditionale Verknüpfung von Beschaffenheitsvorstellung und Kaufpreishöhe jetzt zu einem zweiseitigen Moment, das auch dem Aushandeln sein Gepräge gibt. Die in den Grundzügen gemeinsame Beschaffenheitsvorstellung ist Bestandteil des gemeinsamen sinngemäßen Bedingungszusammenhangs geworden, der von ihr die ungetahre Höhe des Kaufpreises abhängig macht. Wir haben bislang von prinzipiell übereinstimmenden Beschaffenheitsvorstellungen der Parteien gesprochen und damit schon angedeutet, daß diese Vorstellungen im einzelnen durchaus voneinander abweichen können. Das Bild, das jede der Parteien sich innerlich von der Sache und damit auch von deren Beschaffenheit macht, wird sich kawn vollständig decken mit dem entsprechenden Bild des Gegenstandes, das die andere Seite in ihrem Bewußtsein entwirft. Auf Divergenzen zwischen den innerlich bleibenden Sachvorstellungen der Parteien kommt es uns aber weniger an. Unser Augenmerk richtet sich vielmehr auf Unterschiede in den Beschaffenheitsvorstellungen, welche die Parteien im Prozeß des Aushandelns dem jeweils anderen gegenüber als möglichst getreues Abbild der wirklichen Sachbeschaffenheit plausibel zu machen suchen. Der Verkäufer wird bestrebt sein, die Beschaffenheit des späteren Kaufgegenstandes in einem eher rosigen Licht zu zeigen, indem er dessen Vorzüge besonders hervorhebt, während der Käufer mehr dazu neigen dürfte, auf seiner Ansicht nach kritikwürdige Eigenschaften der Sache hinzuweisen. So wird der Verkäufer etwa auf die besonders gediegene handwerkliche Ausführung des Goldrings verweisen, während es sein Gegenüber kawn versäwnen wird, auf den kleinen, aber bei genauem Hinsehen doch wahrnehmbaren Kratzer aufmerksam zu machen, der den Ring verunziert. Der Grund fiir diese unterschiedlichen Akzentsetzungen liegt auf der Hand. Beiden Seiten ist daran gelegen, diejenigen Aspekte ihrer Vorstellung von der Sachbeschaffenheit hervorzuheben, die geeignet erscheinen, die spätere konkrete Ausgestaltung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung, d.h. beim
III. Beschaffenheitsvorstellung lUld Aushandeln
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Spezieskauf die Kaufpreishöhe, zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Wenn also im Prozeß des Aushandelns ein zunächst gemeinsam abgesteckter Preisrahmen auf einen ganz bestimmten Punkt hin verengt wird, so gilt ähnliches wie fiir den Preis offenbar auch fiir die gemeinsame Beschaffenheitsvorstellung. Auch hier handelt es sich zunächst eher um einen gemeinsamen Vorstellungsrahmen, der dann im Ringen der Parteien verengt wird auf diejenige gemeinsame Beschaffenheitsvorstellung, welche schließlich maßgeblich ist fiir die Fixierung des Verhältnisses der Leistungen im lebensweltlichen Austauschkonsens. Der Verlauf des erstgenannten Verengungs- oder Konkretisierungsprozesses ist also in weitem Umfang abhängig vom Verlauf des zweitgenannten, auf die vorgestellte Beschaffenheit der Kaufsache bezogenen Verengungs- oder Konkretisierungsprozesses. Je nach dem Grade, in dem eine Partei im Ringen mit der Gegenseite gerade ihre Beschaffenheitsvorstellung als mit der Wirklichkeit übereinstimmend durchsetzen kann, vermag sie dann auch die Höhe des Kaufpreises in ihrem Sinne zu bestimmen. Versucht man einmal, den hier skizzierten Zusammenhang in eine kurze Formel zu fassen, so kann man von einem sinngemäßen Bedingungszusammenhang zwischen dem Prozeß der Konkretisierung der gemeinsamen Beschaffinheitsvorstellung einerseits und dem Prozeß der Konkretisierung der Kaufpreish6he andererseits sprechen. Wenn im Versuch jeder der beiden Parteien, den Äquivalenzgrundsatz als moralisches vertragsbezogenes Prinzip in einer fiir sie möglichst günstigen Weise zu konkretisieren, beide Seiten ihre natürliche Freiheit verwirklichen, so wirkt sich diese natürliche Freiheit demnach nicht zuletzt in dem Bestreben aus, die jeweils eigene Beschaffenheitsvorstellung möglichst weitgehend in die schließliche gemeinsame Beschaffenheitsvorstellung einfließen zu lassen, von der dann entscheidend die Höhe des Kaufpreises und damit das konkrete Verhältnis von Leistung und Gegenleistung abhängt. Das Ringen um den Kaufpreis entscheidet sich in hohem Maße im Ringen um die gemeinsame Beschaffenheitsvorstellung, die schließlich im lebensweltlichen Austauschkonsens von beiden Vertragspartnem als verbindliche Grundlage fiir die konkrete Bestimmung des Kaufpreises anerkannt wird.
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4. Teil: Sachmängelgewährleistung als Synthese
IV. BeschaffenheitsvorsteUung und lebensweltlicher Austauschkonsens 1. Der sinngemäße Bedingungszusammenhang zwischen gemeinsamer BeschafJenheitsvorstellung und Kaufpreishöhe Das Stadium des Aushandelns endet mit dem lebensweltlichen Austauschkonsens. Wir vergegenwärtigen uns noch einmal in Kürze unser Verständnis des lebensweltlichen Austauschkonsenses als Gestalt gewordene bürgerliche Freiheit der Parteien im Bereich der Wirtschaft. Für jeden der Vertragspartner verwirklicht sich im lebensweltlichen Austauschkonsens seine auf Selbsterhaltung gerichtete natürliche Freiheit, indem der vereinbarte Austausch per saldo die eigene Wertwelt bereichert. Dem steht die Komponente der auf Achtnng des anderen gerichteten moralischen Freiheit gegenüber. Sie kommt darin zum Ausdruck, daß jeder Vertragschließende dem anderen bewußt bislang ihm selbst zugeordnete Werte verschaffi, um im Gegenzug für die Bereicherung der eigenen Wertwelt dessen Wertwelt im vertraglich vereinbarten Maße zu bereichern.
Im Hinblick auf das Verhältnis der Beschaffenheitsvorstellung zum lebensweltlichen Austauschkonsens ergeben sich damit folgende Überlegungen: Haben die Parteien im Prozeß des Aushandelns eine konkrete gemeinsame Beschaffenheitsvorstellung ermittelt und auf diese Weise im lebensweltlichen Austauschkonsens die Kaufpreishöhe bestimmt, so achtet jeder Vertragspartner den anderen, indem er diese konkrete gemeinsame Beschaffenheitsvorstellung gerade auch insofern innerlich als verbindlich anerkennt, als sie für ihn ungünstige Momente enthält. So achtet im Beispielsfall der Verkäufer den Käufer, wenn er akzeptiert, daß auch der kleine Kratzer Bestandteil der gemeinsamen Vorstellung von der Beschaffenheit des Ringes geworden ist und deshalb nicht ohne Einfluß auf die Kaufpreishöhe bleiben kann, während entsprechend der Käufer den Verkäufer achtet, indem er die besonders sorgfältige handwerkliche Ausfiihrung des Ringes bewußt als Komponente der gemeinsamen Beschaffenheitsvorstellung anerkennt, die sich im Kaufpreis auswirken muß. Achtet auf diese Weise jeder Vertragsschließende den anderen, indem er die im Prozeß des Aushandelns ermittelte gemeinsame Beschaffenheitsvorstellung in ihren jeweils für ihn selbst ungünstigen Komponenten als für die Preisbestimmung maßgeblich akzeptiert, so verwirklicht er insofern seine auf Achtnng des anderen gerichtete moralische Freiheit. Im beiderseits akzeptierten Bedingungszusammenhang zwischen konkreter gemeinsamer Beschaffenheitsvorstellung und genauer Kaufpreishöhe verbinden sich damit natürliche und moralische Freiheit beider Seiten. Insgesamt verwirklicht sich daher bereits in diesem gemeinsam "errungenen" sinngemäßen Bedingungszusammenhang zwischen konkreter gemeinsamer Beschaffinheitsvorstellung und exakter Kaufpreishöhe die bürgerliche Freiheit beider Partner.
IV. Beschaffenheitsvorstellung und Austauschkonsens
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2. Der vertraglich vereinbarte BeschafJenheitsmaßstab
Bleibt nun die Beschaffenheit der Kaufsache hinier der konkreten gemeinsamen Beschaffenheitsvorstellung zurück, die bei Vertragsschluß maßgeblich war fiir die Festlegung des Kaufpreises und damit fiir die Bestimmung des Verhältnisses der auszutauschenden Werte, so bedeutet das: Der Käufer kann, indem er Eigentwn und Besitz an der Sache erhält, seine im Dienste der eigenen Selbsterhaltung stehende natürliche Freiheit nicht in dem Maße verwirldichen, das ihm der Verkäufer im lebensweltlichen Austauschkonsens zugestanden hat. Ist die Diskrepanz zwischen gemeinsam vorgestellter und realer Beschaffenheit gravierend, so kann es dmchaus sein, daß der Austausch von Kaufsache und Kaufpreis aus Sicht des Käufers per saldo sogar zu einer Einbuße in seiner Wertwelt fiihrt. Unter dem Aspekt der natürlichen Freiheit des Käufers ist dieser Austausch dann nicht nur sinnlos, sondern sogar kontraproduktiv. Umgekehrt stellt sich die Situation dar, betrachtet man sie aus dem Blickwinkel der natürlichen Freiheit des Verkäufers. Weicht die wirkliche Beschaffenheit der Kaufsache iuungunsten des Käufers von der Beschaffenheitsvorstellung ab, die beide Parteien der Kaufpreisbestimmung zugrundelegten, so erfährt die Wertwelt des Verkäufers durch den in Relation zur tatsächlichen Sachbeschaffenheit überhöhten Kaufpreis eine Bereicherung, die über das Maß hinausgeht, das ihm der Käufer im lebensweltlichen Austauschkonsens zugebilligt hat. Diese, gemessen am vertraglich vereinbarten Austauschverhältnis übermäßige, Bereicherung seiner Wertwelt darf der Verkäufer aber, ganz allgemein gesprochen, nicht behalten wollen, wenn er nicht seine moralische Freiheit verfehlen will. Der Verkäufer achtet ja im lebensweltlichen Austauschkonsens den Käufer als seinen Vertragspartner, indem er ihm fiir den aufgrund der konkreten gemeinsamen Beschaffenheitsvorstellung vereinbarten Kaufpreis bewußt die Bereicherung seiner Wertwelt zubilligt, die im Erwerb der Kaufsache mit eben dieser gemeinsam vorgestellten Beschaffenheit liegt. Scheitert nun diese dem Käufer vom Verkäufer zugebilligte Bereicherung seiner Wertwelt ganz oder teilweise, weil die tatsächliche Beschaffenheit der Kaufsache hinter der gemeinsam vorgestellten zurückbleibt, so kann der Verkäufer sich daher nicht auf den Standpunkt stellen, dies gehe ihn nichts an. Im konkreten Verhältnis der Leistungen, so wie es die Parteien im lebensweltlichen Austauschkonsens fixiert haben, können sie demnach ihre bürgerliche Freiheit nur dann verwirklicht sehen, wenn die tatsächliche Beschaffenheit der Kaufsache nicht zuungunsten des Käufers von der gemeinsamen Beschaffenheitsvorstellung bei Vertragsschluß abweicht. Aufgrund dessen glauben wir nun die These aufstellen zu dürfen, daß die Parteien im lebensweltlichen Austauschkonsens sinngemäß vereinbaren, die gemeinsam der Kaufpreisbestimmung zugrundegelegte
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4. Teil: Sachrnängelgewährleistung als Synthese
Vorstellung von der Sachbeschaffenheit zum Maßstab fiir die vertragsgerechte Beschaffenheit des Kaufgegenstandes zu erheben. Der sinngemäße Bedingungszusammenhang zwischen Beschaffenheitsvorstellung und Kaufpreishöhe verdichtet sich auf der Ebene des lebensweltlichen Austauschkonsenses zur sinngemäßen Maßstabsabrede. Die konkrete gemeinsame Beschaffenheitsvorstellung bei Vertragsschluß wird zum vertrag/ich vereinbarten Beschaffonheitsmaßstab, anband dessen die reale Beschaffenheit der Kaufsache bewertet werden kann. Bleibt sie hinter dem vertraglich vereinbarten Beschaffenheitsmaßstab zurück, so OOt das Werturteil über die wirkliche Sachbeschaffenheit negativ aus: Die Sache erscheint als "fehlerhaft". In Gestalt der sinngemäßen Maßstabsabrede haben die Parteien mit anderen Worten den subjektiven Fehletbegriff vertraglich vereinbart. Wir betrachten demnach die sinngemäße Maßstabsabrede, d.h. die Festlegung der vertragsgerechten Sachbeschaffenheit durch die Parteien selbst, als integrierenden Bestandteil des lebensweltlichen Austauschkonsenses. Seine objektive Fundierung erfährt dieses Modell aus dem Charakter des lebensweltlichen Austauschkonsenses als privatautonome Konkretisierung der moralischen Prinzipien des Vertragsbereichs, insbesondere des Äquivalenzprinzips, durch die Parteien selbst. Den Gehalt des Prinzips der Privatautonomie haben wir im dritten Teil dieser Arbeit ja vor allem darin gesehen, daß die Vertragspartner die objektiven moralischen Gnmdsätre des Vertragsbereichs eigenständig zur konkreten Regelung ihres Verhältnisses im lebensweltlichen Austauschkonsens ausformen, die gerade ihnen subjektiv als gerecht erscheint. So wie es Aufgabe der Parteien selbst ist, die aus ihrer Sicht gerechte konkrete Ausgestaltung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung, d.h. beim Kauf die gerechte Kaufpreishöhe zu finden, ist es daher auch Sache der Parteien, die vertragsgerechte Beschaffenheit des Kaufgegenstandes selbst festzulegen. Der Versuch, anhand vermeintlich objektiver Kriterien zu bestimmen, ob die Kaufsache fehlerhaft ist, stellt sich demgegenüber als Bestreben dar, das Äquivalenzprinzip unmittelbar, d.h. ohne Berücksichtigung seiner Konkretisierung durch die Parteien im lebensweltlichen Austauschkonsens, fiir die Bewältigung des Konflikts fruchtbar zu machen, der sich bei fiir den Käufer nachteiliger Divergenz zwischen realer und gemeinsam bei Vertragsschluß vorgestellter Sachbeschaffenheit ergibt. Es ist im Grunde der alte Gedanke des iustwn pretium, der mit dem objektiven Fehletbegriff anstelle des "gerechten Preises" die "richtige", "gerechte" Beschaffenheit der Kaufsache meint bestimmen zu können. Damit sieht sich der objektive Fehletbegriff denn auch ebenso wie der Gedanke des gerechten Preises dem Vorwurf ausgesetzt, die Parteien zu bevormunden: Die Entscheidung, welcher Kaufpreis gerecht ist, gebührt aufgrund des Prinzips der Privatautonomie ebenso den Parteien selbst wie die Entscheidung darüber, wann die K.aufsache vertragsgerecht ist. Dem tragen wir Rechnung, wenn wir die konkrete gemeinsame Vorstellung von der Beschaffenheit
IV. Beschaffenheitsvorstellung lUld Austauschkonsens
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der Speziessache, welche die Parteien der Kaufpreisbestirnmung zugrundelegen, in Gestalt der sinngemäßen Maßstabsabrede in den Vertragsinhalt einbeziehen. Fragen wir nach der subjektiven Grundlage der auf die Beschaffenheit der Kaufsache bezogenen sinngemäßen Maßstabsabrede, so drängt sich alsbald ein Einwand auf. Es scheint, als könnten die Parteien die gemeinsame konkrete Beschaffenheitsvorstellung bei Vertragsschluß nur dann zum vertraglich vereinbarten Maßstab für die vertragsgerechte Beschaffenheit der Kaufsache erheben, wenn sie zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bedenken, daß die wirkliche Sachbeschaffenheit zuungunsten des Käufers von der vorgestellten abweichen könnte. Auch diesen Bedenken halten wir entgegen, daß wir nicht den Anspruch erheben, mit der sinngemäßen Maßstabsabrede ein getreues Abbild des psychologischen Bewußtseins der Parteien bei Vertragsschluß zu entwickeln. Es genügt auch hier, wenn eine solche Abrede den Vertragschließenden nachträglich als Vertragsinhalt plausibel zu machen ist. Das aber ist möglich: Den Parteien ist leicht verständlich zu machen, daß die von ihnen vereinbarte genaue Höhe des Kaufpreises entscheidend von der bei Vertragsschluß gemeinsam vorgestellten Beschaffenheit der Kaufsache abhängt und daß demzufolge das im lebensweltlichen Austauschkonsens vereinbarte Verhältnis der auszutauschenden Leistungen aus dem Gleichgewicht gerät, wenn die wirkliche Sachbeschaffenheit zu Lasten des Käufers von der gemeinsamen konkreten Beschaffenheitsvorstellung bei Vertragsschluß abweicht. Es wird den Vertragschließenden also durchaus sinnvoll erscheinen, die gemeinsam bei Vertragsschluß der Kaufpreisbestimmung zugrundegelegte Beschaffenheitsvorstellung als bereits im Kaufvertrag selbst vereinbarten Maßstab aufzufassen, an dem sich die wirkliche Sachbeschaffenheit messen lassen muß. Das Modell der sinngemäßen Maßstabsabrede verfügt damit auch über eine subjektive Grundlage.
3. Rückblick auf die Kontroverse zwischen Zitelmann und Flume Erheben demnach die Parteien die gemeinsame konkrete Beschaffenheitsvorstellung bei Vertragsschluß zum vertraglich vereinbarten Beschaffenheitsmaßstab, so konkretisieren sie auf diese Weise zugleich das Prinzip der Trennung von Motiv und Geschäftsinhalt im Hinblick auf die gemeinsame Beschaffenheitsvorstellung: Sie ordnen ihre Vorstellung von der Beschaffenheit der Speziessache dem Geschäftsinhalt zu. Im Ergebnis irrt also Zitelmann, wenn er diese Vorstellungen dem Motivbereich zuordnet. Ihre sachlich unrichtige Einordnung als Motive läßt sich ZUlÜCkfiihren auf den für Zitelmanns Rechtsgeschäftslehre charakteristischen methodischen Mißgriff. Er betrachtet die Motive einerseits und den Verpflichtungswillen andererseits als Gegebenheiten von ontologischem Anspruch,
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4. Teil: Sachrnängelgewährleistung als Synthese
die durch eine kategoriale Kluft voneinander geschieden sind. Weil er den Verpflichtungswillen nicht sinnvoll auf die Eigenschaften der Speziessache beziehen kann, ist Zitelmann dann gezwungen, die Eigenschaftsvorstellungen als Motive zu qualifizieren. Wenn auch Flumes Lösung, der im Ergebnis zu Recht die Vorstellungen der Parteien von der Beschaffenheit der Speziessache zum Geschäftsinhalt rechnet, nicht befriedigt, so beruht das darauf, daß Flume ebenso wie Zitelmann versucht, eine Lösung auf der Grundlage des zweipoligen Systems von Motiv und Verpflichtungswille zu entwickeln. Innerhalb dieses Systems, das den Kategorien des Motivs und des Verpflichtungswillens ontologischen Charakter beilegt, ist es aber nicht möglich, Zitelmann zu widerlegen. Simwollerweise kann der Verkäufer weder versprechen, daß der physisch präsente Ring gegenwärtig aus Gold ist, noch daß er zu einem Goldring wird, wenn er gegenwärtig aus Messing besteht. Weder das Sein noch das Werden von Eigenschaften der Kaufsache kann beim Stückkauf zum Inhalt einer sinnvollen Verpflichtung des Verkäufers gemacht werden. In unseren Augen stellt demgegenüber die Figur des obligatorischen Konsenses und damit dann auch die Figur des Verpflichtungswillens lediglich eine bestimmte juristische Deutung des lebensweltlichen Austauschkonsenses dar. Diese Deutung dient der Aufgabe des Recht, Vertragskontlikte zu entscheiden, und erfährt von daher ihre Legitimation. Darüber hinaus kommt aber der Auffassung des lebensweltlichen Austauschkonsenses als Verpflichtungskonsens kein ontologischer Anspruch zu. Der Verpflichtungskonsens stellt nicht die getreue Wiedergabe des psychologischen Bewußtseins der Parteien bei Vertragsschluß dar, sondern nur ein bestimmtes Modell dieses Bewußtseins. Die Leistungsfähigkeit dieses Modells hat ihre Grenzen.
Nun gehört die konkrete gemeinsame Vorstellung der Parteien von der Beschaffenheit der Kaufsache im Hinblick auf den Charakter des Stückkaufs als wirtschaftlicher Austauschvertrag sachlich offenbar zum Inhalt des lebensweltlichen Austauschkonsenses. Läßt sie sich nicht simwoll zum Bezugspunkt des Verpflichtungswillens machen, so muß es daher erlaubt sein, nach einem anderen Modell der Deutung des lebensweltlichen Austauschkonsenses zu suchen, das eine simwollere Einbeziehung dieser Beschaffenheitsvorstellung in den Vertragsinhalt erlaubt. Ein solches Modell glauben wir mit der sinngemäßen Maßstabsabrede entwickelt zu haben.
V. Die sinngemäße Maßstabs- und Folgenabrede
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4. Die sinngemäße Maßstabsabrede als allgemeine Folgenabrede für den Fall der Fehlerhaftigkeit der Kaufsache Wird nun aufgrund der sinngemäßen Maßstabsabrede die tatsächliche Beschaffenheit der Speziessache als fehlerhaft bewertet, so ist das offenbar keine deskriptive Feststellung, bei der es sein Bewenden haben könnte. Wenn die Kaufsache den vertraglich vereinbarten Beschaffenheitsmaßstab unterschreitet, so impliziert vielmehr das darauf gestützte negative Werturteil der Fehlerhaftigkeit bereits, daß, ganz allgemein gesprochen, diese Divergenz Folgen nach sich ziehen muß. Mit der sinngemäßen Maßstabsabrede haben also die Parteien im Grundzug schon eine sinngemäße Folgenabrede fiir den Fall getroffen, daß die Kaufsache dem vertraglich vereinbarten Beschaffenheitsmaßstab nicht gerecht wird. Die Ausformung dieser sinngemtißen Folgenabrede zu konkreten juristisch spezifizierten Rechtsfolgen bleibt dann schließlich dem Recht vorbehalten.
v. Die §§ 459 ff. als rechtliche Ausformung der sinngemäßen Maßstabs- und Folgenabrede im lebensweltlichen Austauschkonsens Betrachten wir nun den Beitrag, den das Recht in den §§ 459 ff. zur Bewältigung des Konflikts zwischen den Kaufvertragsparteien leistet, der sich ergibt, wenn die Speziessache zuungunsten des Käufers vom vertraglich vereinbarten Beschaffenheitsmaßstab abweicht. Wir haben im dritten Teil der Arbeit die Gruppe der Vertragskonflikte, welche bereits die Parteien selbst im lebensweltlichen Austauschkonsens im wesentlichen entschieden haben, von der Gruppe der Vertragsstreitigkeiten unterschieden, bei der das Moment der Konfliktsentscheidung durch das Recht stärker in den Vordergrund tritt. Offenbar nimmt hier die Fehlerhaftigkeit der Kaufsache beim Stückkauf eine eigenartige ZwischensteIlung ein: Die Parteien erheben die konkrete gemeinsame BeschatIenheitsvorstellung, aufgrund derer sie bei Vertragsschluß die genaue Höhe des Kaufpreises bestimmen, zum vertraglich vereinbarten Maßstab fiir die vertragsgerechte Beschaffenheit der Kaufsache. Mit dieser privatautonom vereinbarten Maßstabsabrede geben die Vertragschließenden dem Recht die Antwort auf die Frage, wann die Kaufsache fehlerhaft ist, bereits ziemlich präzise vor. Die Maßstabsabrede impliziert auch schon, daß ein Zurückbleiben der realen Sachbeschaffenheit hinter dem vertraglich vereinbarten Beschaffenheitsmaßstab Konsequenzen haben wird. Als sinngemäße Folgenvereinbarung ist die Maßstabsabrede aber doch inhaltlich noch relativ vage. Welche konkreten Folgen sich an die
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4. Teil: Sachmängelgewährleistung als Synthese
Fehlerhaftigkeit der Spezi.essache knüpfen, läßt sich der von den Parteien im lebensweltlichen Austauschkonsens getroffenen Regelung nicht mehr entnehmen. Das Recht sieht sich damit aufgefordert, zum einen die als Maßstabsabrede aufzufassende Beschaffenheitsvereinbarung, so wie sie von den Parteien privatautonom im lebensweltlichen Austauschkonsens vereinbart worden ist, zu respektieren. Zum anderen ist es dann Aufgabe des Rechts, die Rechtsfolgen, welche sich bei Fehlerhaftigkeit des Kaufgegenstandes ergeben, aufgrund vergleichsweise eigenständiger Wertungen zu statuieren.
1. Der Grundsatz "caveat emptor" und der objektive FehlerbegritJ als Mißachtung dieser Abrede Wenn die von den Kaufvertragsparteien in Ausübung ihrer Privatautonomie vereinbarte Maßstabsabrede vom Recht zu achten ist, so sieht es sich zunächst einmal daran gehindert, diese Abrede einfach zu ignorieren. Würde das Recht darauf verzichten, an die als Maßstabsabrede anzusehende Beschaffenheitsvereinbarung Rechtsfolgen zu knüpfen und damit den Käufer bei Fehlerhaftigkeit der Kaufsache schutzlos lassen, so würde es im Ergebnis die von den Vertragspartnern im lebensweltlichen Austauschkonsens gefundene Regelung ihres Verhältnisses nachhaltig abändern und so die Parteien bevormunden. Dem alten Grundsatz "caveat emptor" darf das Recht also nicht folgen, will es sich nicht dem Vorwurf aussetzen, die Privatautonomie als von ihm zu respektierendes moralisches Prinzip des Vertragsbereichs zu mißachten. Als Bevormundung der Parteien erscheint es dann aber auch, wenn das Recht einen objektiven Fehlerbegriff verwendet. Die Frage, wann die Kaufsache die vertragsgerechte Beschaffenheit aufweist, haben eben die Vertragspartner mit der als Maßstabsabrede aufzufassenden Beschaffenheitsvereinbarung bereits selbst beantwortet. Auf diese Weise haben sie ihre konkrete gemeinsame Beschaffenheitsvorstellung bei Vertragsschluß dem Geschäftsinhalt und nicht dem Bereich der unbeachtlichen Motive zugeordnet. Will das Recht den Grundsatz der Privatautonomie nicht verletzen, so muß es diese Entscheidung der Parteien respektieren, anstatt sie zu negieren, indem es die Beschaffenheit des Kaufgegenstandes an eigenen "objektiven", d.h. vom konkreten vertraglich vereinbarten Beschaffenheitsmaßstab unabhängigen Kriterien mißt.
V. Die sinngemäße Maßstabs-tmd Folgenabrede
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2. Möglichkeiten rechtlicher Deutung der kaufvertraglichen Maßstabsabrede Findet das Recht demnach in der vertraglich vereinbarten Maßstabsabrede die Antwort auf die Frage nach der vertragsgerechten Beschaffenheit der Kaufsache recht präzise vorgezeichnet, so sieht es sich nun vor die Aufgabe gestellt, konkrete Rechtsfolgen fiir den Fall vertragswidriger Sachbeschaffenheit zu entwickeln. Inhaltlicher Ausgangspunkt ist hier das von den Parteien im lebensweltlichen Austauschkonsens vereinbarte konkrete Austauschverhältnis von Kaufsache und Kaufpreis, das infolge der Divergenz zwischen gemeinsam vorgestellter und realer Sachbeschaffenheit zuungunsten des Käufers aus dem Gleichgewicht geraten ist. Um den hieraus entstandenen Konflikt unter den Kaufvertragsparteien sachgerecht zu entscheiden, muß das Recht daher im Ergebnis das Mißverhältnis korrigieren, das zwischen den im Austauschverhältnis stehenden Leistungen entstanden ist. Welche Korrekturmöglichkeiten kommen in Betracht?
a) Die Deutung als Bedingung Wir haben die sinngemäße Maßstabsabrede als Element des lebensweltlichen Austauschkonsenses aus dem sinngemäßen Bedingungszusammenhang zwischen Beschaffenheitsvorstellung und Kaufpreishöhe entwickelt. Man könnte daher zunächst daran denken, diese sinngemäße Vereinbarung eines Beschaffenheitsmaßstabs als Vereinbarung einer Bedingung aufzufassen, welche die Wirksamkeit des Kaufvertrags davon abhängig macht, daß die gemeinsam der Kaufpreisbestimmung zurundegelegte Beschaffenheitsvorstellung mit der Wirklichkeit übereinstimmt. 6 Eine solche juristische Deutung der auf die Beschaffenheit der 6 Genau genonunen würde es sich dabei wohl nicht wn eine Bedingoog im Sinne der §§ 158 ff. handeln, sondern wn eine sog. condicio in praesens relata: Die wirkliche Beschaffenheit der Speziessache bei Vertragsschluß ist ja kein künftiger, tmgewisser Umstand, sondern ein bereits gegenwärtiges Faktum, hinsichtlich dessen bei Vertragsschluß aber subjektive Ungewißheit bestehen mag. Um einen künftigen ungewissen Umstand kann es sich allerdings handeln, wenn man auf den Zeitpunkt des Gefahrübergangs abstellt: Fallen Vertragsschluß tmd Gefahrübergang zeitlich auseinander, so besteht ja im Hinblick auf mögliche VerändeflIDgen der Sachbeschaffenheit in der Zwischenzeit in der Tat bei Vertragsschluß auch eine gewisse objektive Ungewißheit über die Beschaffenheit des Kaufgegenstandes bei Gefahrübergang. Auf Einzelheiten soll es uns in diesem Zusanunenhang aber nicht ankonunen, denn auch die condicio in praesens vel praeteritum collata oder relata ist grundsätzlich ebenso wie die "echte" Bedingoog der §§ 158 fT. zulässig. Zur condicio in praesens vel praeteritum col1ata oder relata vgl. Flwne, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts - Das Rechtsgeschäft, § 38 11 b).
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4. Teil: Sachmängelgewährleistung als Synthese
Kaufsache bezogenen Maßstabsabrede würde bei Fehlerhaftigkeit der Kaufsache automatisch zur Nichtigkeit des Kaufvertrags führen und die Rechtspflicht des Verkäufers nach sich ziehen, den Kaufpreis vollständig an den Käufer zurückzuerstatten. Die zwischen fehlerhafter Speziessache und vereinbartem Kaufpreis entstandene Disproportion würde beseitigt durch vollständige Eliminierung des gesamten Vertragsverhältnisses und die daraus folgende Rückgängigmachung des vereinbarten Austausches. Entschiede sich das Recht für diese radikale Lösung, so würde es nun allerdings den Interessen beider Seiten häufig nicht gerecht Dem Käufer wird oft trotz Fehlerhaftigkeit der Speziessache weiterhin an ihrem Erwerb, wenn auch zu einem verringerten Preis, gelegen sein, und auch dem Verkäufer dürfte es nicht selten entgegenkommen, die Kaufsache beim Käufer zu belassen und den Kaufpreis wenigstens teilweise zu behalten.
Im Unterschied zur vollständigen Vernichtung des Kaufgegenstandes, die charakteristisch für die Unmöglichkeitsfälle ist, macht seine bloße Fehlerhaftigkeit eben den vertraglich vereinbarten Austausch nicht in jedem Falle sinnlos. Ob es simwoll ist, diesen Austausch in modifizierter Form aufrechtzuerhalten, erfordert eine von Fall zu Fall differenzierende Betrachtung, die im konkreten Falle am ehesten der von der Fehlerhaftigkeit Betroffene selbst, dh. der Käufer, wird leisten können. Interpretierte das Recht die im lebensweltlichen Austauschkonsens sinngemäß enthaltene Maßstabsabrede als Bedingung, so nähme es den Parteien die Möglichkeit, eine den jeweiligen Besonderheiten ihres Konflikts angemessene Lösung zu finden. Eine solche juristische Deutung würde sich damit als den durch sie entschiedenen lebenswelt1ichen Streitigkeiten oft inadäquate, die Kaufvertragsparteien bevormundende Regelung darstellen. Die "Bedingungslösung" würde demnach letztlich dem Grundsatz der Privatautonomie nicht hinreichend gerecht, der ja in der Perspektive des Rechts eines der wichtigsten, gerade auch vom Recht zu achtenden moralischen Prinzipien des Vertragsbereichs ist. Der Gesetzgeber hatte also gute Gründe, sich nicht für diese Lösung zu entscheiden.
b) Die Beschaffenheit der Speziessache als Inhalt der vereinbarten Leistungspf/icht des Verkäufers Ein behutsameres Vorgehen des Rechts bei der Korrektur des aus dem Gleichgewicht geratenen Verhältnisses der Leistungen erscheint demnach sachgerechter. Als Ansatzpunkte einer Korrektur kommen dabei grundsätzlich beide Waagschalen in Betracht, d.h. sowohl die Kaufsache als auch der vereinbarte Kaufpreis. Dabei scheint es auf den ersten Blick nahezuliegen, bei der "defekten" Waagschale anzusetzen, d.h. bei der Kaufsache, deren wirldiche Beschaffenheit ja
V. Die sinngemäße Maßstabs- Wld Folgenabrede
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dem vertraglich vereinbarten Beschaffenheitsmaßstab nicht gerecht wird. Dieser Ansatz läuft darauf hinaus, die sinngemäße vertragliche Vereinbarung eines bestimmten Beschaffenheitsmaßstabs durch die Parteien juristisch zu deuten als Einbeziehung dieser Beschaffenheit in den Inhalt der Leistungspflicht des Verkäufers. Den Anschein der Plausibilität hat dieser Ansatz vor allem deshalb fiir sich, weil er es scheinbar ennöglicht, mit der herkömmlichen juristischen Deutung des lebensweltlichen Austauschkonsenses als Verptlichtungskonsens auch den Konflikt zu bewältigen, der aus der Fehlerhaftigkeit der verkauften Speziessache resultiert. Praktisch läuft das auf eine Rechtsptlicht des Verkäufers hinaus, die fehlerhafte Kaufsache nachzubessern. Nun ist eine solche Nachbesserung häufig von vornherein unmöglich, die Nachbesserungsptlicht damit sinnlos. Den als golden verkauften, in Wirklichkeit aus Messing bestehenden Ring kann niemand zu einem Goldring machen, die als Original verkaufte Rembrandt-Kopie läßt sich nicht in einen echten Rembrandt verwandeln. Aber auch wenn Nachbesserung nicht von vornherein ausgeschlossen ist, stehen doch gewichtige praktische Erwägungen einer Nachbesserungsptlicht des Verkäufers entgegen. Wir können insofern wörtlich die Bedenken gegen ein bei den Beratungen der Zweiten Kommission zum BGB erwogenes Nachbesserungsrecht des Verkäufers zitieren, mit dem dieser die Wandlung sollte abwenden können: "... hn voraus werde selten mit Sicherheit übersehen werden können, ob ein Mangel sich beseitigen lasse und ob die Beseitigung ohne erheblichen Zeitaufwand möglich sei. Auch die weiteren Momente, ob die Beseitigung geglückt, ob sie rechtzeitig erfolgt sei, ob ein besonderes Interesse des Käufers die Nachlieferung ausschließe, würden zu einer verschiedenen Auffassung und zu unerquicklichen, zahlreichen Prozessen Anlaß geben, ohne daß genügende Gewähr geboten wäre, daß in diesen Prozessen das materielle Recht wirklich zum Siege gelangen würde... 117 Diese Bedenken sind jüngst wieder von Flume mit Nachdruck ins Bewußtsein gerufen worden. 8 c) Die Regelung der §§ 459 jJ.
Den Konflikt zwischen den Kaufvertragsparteien, der sich aus der Fehlerhaftigkeit der Speziessache ergibt, kann das Recht offenbar nicht auf sachlich befriedigende Weise entscheiden, indem es bei der Kaufsache ansetzt. Werfen wir nunmehr einen Blick auf die Rechtsfolgen der §§ 459 ff., mit denen das Recht bei dem vereinbarten Kaufpreis als der anderen Waagschale ansetzt. Grundsätzlich erscheint dieser Ansatz sinnvoller, weil der Kaufpreis im Gegensatz zur eher 7
8
Prot. I, 698. Vgl. Flume, AcP 1993, 89 (100 f.).
14 Huda
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4. Teil: Sachmängelgewährleistung als Synthese
"starren" Speziessache flexibel ist, d.h. ohne Schwierigkeiten der Konfliktssituation angepaßt werden kann, die durch das Auseinanderfallen von vertraglich vereinbartem Beschaffenheitsmaßstab und realer Sachbeschaffenheit entstanden ist. Die im lebensweltlichen Austauschkonsens sinngemäß enthaltene Vereinbarung eines bestimmten Maßstabs fiir die vertragsgerechte Beschaffenheit der Kaufsache beinhaltet sinngemäß zugleich die grundsätzliche Abrede, daß es Folgen haben muß, wenn die reale Sachbeschaffenheit hinter dem vertraglich vereinbarten Beschaffenheitsmaßstab zurückbleibt. Das Recht konkretisiert nun in § 462 diese inhaltlich noch nicht näher präzisierte vertragliche Folgenabrede: Es gibt dem Käufer, wenn die Speziessache bei Gefahrübergang gemessen am vertraglich vereinbarten Beschaffenheitsmaßstab fehlerhaft ist, ein Wahlrecht zwischen Wandlung und Minderung. Wenn das Recht mit diesem Wahlrecht des Käufers die in der vertraglichen Maßstabsabrede sinngemäß enthaltene prinzipielle Folgenabrede zu einer konkreten Rechtsfolge ausformt, so hat es mit dieser Konkretisierungsleistung den Konflikt der Kaufvertragsparteien noch nicht endgültig entschieden. Das dem Käufer eingeräumte Wahlrecht bedarf offenbar noch der weiteren Konkretisierung, indem es nach der einen oder der anderen Richtung hin ausgeübt wird. Mit der in § 462 getroffenen Regelung beschränkt sich das Recht gewissermaßen darauf, dem Käufer bei der Bewältigung seines aus der Fehlerhaftigkeit der Speziessache erwachsenen Konflikts mit dem Verkäufer eine bestimmte Richtung zu weisen: Es verweist den Käufer auf eine Konfliktsentscheidung, die beim Kaufpreis als der flexibleren der beiden im Austauschverhältnis stehenden Leistungen ansetzt, indem es ihm die Wahl zwischen vollständiger und teilweiser Rückgewähr des Kaufpreises anheimstellt. Bei unbefangener Lektüre des Gesetzes ergibt sich nun allerdings, daß das Recht auf eine Mitwirkung des Verkäufers bei der Bewältigung des aus der Fehlerhaftigkeit der Kaufsache resultierenden Konflikts wohl nicht ganz verzichten wollte. § 465 verlangt fiir den Vollzug der Wandlung oder der Minderung das Einverständnis des Verkäufers, und § 467 S. 1, der fiir die Durchfiihrung der Wandlung in weitem Umfang auf die Rücktrittsvorschriften der §§ 346 ff. verweist, nimmt § 349, der fiir die Ausübung des Rücktrittsrechts die einseitige Rücktrittserklärung dem Vertragspartner gegenüber genügen läßt, von dieser Bezugnahme gerade aus. Der Gesetzestext scheint uns damit die sogenannte Vertragstheorie zu stützen, wonach das Wandlungs- bzw. Minderungsrecht des Käufers keine Gestaltungsrechte wie das Rücktrittsrecht sind, sondern der Käufer gegen den Verkäufer lediglich einen Ansprnch auf Abschluß eines Wandlungs- bzw. Minderungsvertrags hat. 9 Erst wenn der Verkäufer durch Abschluß des Wand9
So auch Larenz, SehR BT W1, § 41
na), S. 53 ff.
V. Die sinngemäße Maßstabs- und Folgenabrede
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lungs- oder Mindenmgsvertrags diesen Anspruch erfüllt hat, entsteht dann der Anspruch des Käufers auf vollständige bzw. teilweise Rück.gewähr des Kaufpreises. Schwerer mit dem Gesetz in Einklang zu bringen sein dürfte demgegenüber die sog. Herstellungstheorie, derzufolge der Käufer ein Gestaltungsrecht auf Wandlung bzw. auf Minderung hat, mit dessen Ausübung er munittelbar auf vollständige bzw. auf teilweise Kaufpreisrückzahlung klagen kann. Wir beabsichtigen nun allerdings nicht, auf den Theorienstreit zum Vollzug von Wandlung und Minderung in einzelnen einzugehen. Es ist nicht zu verkennen, daß es kaum praktikabel wäre, wollte man, wie es in der Konsequenz der Vertragstheorie läge, vom Käufer verlangen, den Verkäufer gegebenenfalls zweimal zu verklagen: zunächst auf Abgabe seiner Einverständniserklärung, sodann auf vollständige bzw. teilweise Rückgewähr des Kaufpreises. Die Vorschriften des § 465 und des § 467 S. 1 sind in unseren Augen vor allem deswegen interessant, weil sie die Sachmängelgewährleistung beim Stückkauf, so wie sie sich nach der Konzeption des Gesetzes darstellt, als Synthese von privatautonomer und rechtlicher Konfliktsentscheidung erscheinen lassen, in der die Parteien und das Recht gleichsam im Gespräch miteinander die endgültige Konfliktsentscheidung eratbeiten. Das Recht hat die sinngemäß vertraglich vereinbarte prinzipielle Folgenabrede :fiir den Fall der Fehlerhaftigkeit der Kaufsache, die es vorgefunden hat, konkretisiert zum Wahlrecht des Käufers nach § 462. Der Käufer seinerseits soll offenbar nach der gesetzgeberischen Konzeption, wenn er dieses ihm vom Recht eingeräumte Wahlrecht durch die Wahl eines der beiden in § 462 genannten Rechtsbehelfe ausübt, dies nicht durch einseitigen Gestaltungsakt tun können, sondern sich mit dem Verkäufer noch einmal ins Benehmen setzen müssen. Das erscheint insofern sinnvoll, als ja die Fehlerhaftigkeit der Speziessache den Sinn des vertraglich vereinbarten Austausches als einer wechselseitigen Bereicherung der Wertwelt von Käufer und Verkäufer nicht unbedingt zerstört haben muß. Ergibt sich demnach aus den §§ 465, 467 S. 1 das Erfordernis eines Wandlungs- bzw. Minderungsvertrags, so mag das damit notwendig werdende Gespräch zwischen den Parteien über die Konsequenzen des zutage getretenen Fehlers eine gütliche Konfliktsentscheidung fördern, etwa dergestalt, daß der Verkäufer den möglicherweise schon zur Wandlung entschlossenen Käufer noch dazu bewegen kann, sich mit der Minderung zu begnügen und so den vereinbarten Austausch, wenn auch auf niedrigerem Niveau, doch aufrechtzuerhalten. Insoweit scheint es uns erlaubt zu sein, in den Regelungen der §§ 465, 467 S. I vielleicht ein lndiz:fiir das Vertrauen des Gesetzgebers in die Fähigkeit der Parteien zu sehen, ihren aus der Fehlerhaftigkeit der Kaufsache resultierenden Konflikt primär aus eigener Kraft, also privatautonorn, zu lösen. Es hat also durchaus seine tiefere Berechtigung, wenn auch die heute wohl herrschende modifizierte Vertragstheorie oder Theorie des
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4. Teil: Sachmängelgewährleistwlg als Synthese
richterlichen Gestaltungsakts grundsätzlich am Erfordernis der Einverständniserklärung des Verkäufers zu Wandlungbzw. Minderung festhält. lO Die Festlegung der konkreten Rechtsfolgen, die sich an die vollzogene Wandlung bzw. Mindenmg knüpfen, ist dann wiederum Aufgabe des Rechts. Wir müssen es uns hier versagen, auf die Fülle von Einzelfragen, die sich hinsichtlich der Durchfiihrung von Wandlung und Mindenmg ergeben können, einzugehen. Von Interesse ist für uns aber der Berechnungsmodus, den § 472 S. 1 für die Mindenmg festlegt. Danach steht der geminderte Kaufpreis zum ursprünglich vereinbarten Kaufpreis in demselben Verhältnis wie der Wert der mangelhaften Sache zu dem Wert, den die Sache in mangelfreiem Zustand hätte. Durch die Berechnung der Mindenmg nach der sogenannten relativen Methodell wird das Verhältnis zwischen Kaufsache und Kaufpreis, welches die Parteien im lebensweltlichen Austauschkonsens vereinbart haben, gewissermaßen auf ennäßigtem Niveau aufrechterhalten. In der Entscheidung für diese Berechnungsmethode achtet das Recht damit gerade die subjektive Konkretisienmg des Äquivalenzprinzips, welche die Parteien im lebensweltlichen Austauschkonsens vereinbart haben und in der sich nach der hier vertretenen Auffassung die bürgerliche Freiheit beider Vertragspartner im Bereich der Wirtschaft verwirklicht. Die Bewahnmg dieser subjektiven Äquivalenz der Leistungen als ratio legis des § 472 S. 1 stellt damit zugleich eine Absage des Rechts an den Gedanken des iustum pretium dar. Dieser Gedanke würde verwirklicht, wenn der vom Verkäufer riickzugewährende Betrag der Mindenmg durch einfachen Abzug des Werts der mangelhaften Sache vom Kaufpreis zu ermitteln wäre: Das Recht schriebe damit gewissermaßen den Parteien im Falle der Mindenmg vor, daß der Kaufgegenstand zum objektiven Verkehrswert zu verkaufen sei. Das Nachsehen hätte diejenige Partei, für die das ursprünglich vereinbarte Austauschverhältnis der Leistungen vorteilhaft war. Indem § 472 S. 1 einen solchen Berechnungsmodus verwirft, bildet die Vorschrift das Pendant zum subjektiven F ehlerbegrilf, den wir ja ebenfalls als Absage an den Gedanken des iustum pretium auffassen. Wenn das Recht dem Käufer alternativ auch die Möglichkeit eingeräumt hat, sich durch Wahl der Wandlung für die vollständige Rückabwicklung des KaufVertrags zu entscheiden, so trägt es damit vielleicht auch dem Umstand
10 Die modifIzierte Vertragstheorie läßt die sofortige Klage des Käufers auf vollständige bzw. teilweise KaufpreisfÜckzahlung zu. Weigert sich der Verkäufer, die Einverständniserklärung abzugeben, so wird der fehlende Wandlungs- bzw. Minderungsvertrag ersetzt durch den in der Verurteilung des Verkäufers zur LeistImg konkludent enthaltenen richterlichen GestaltImgsakt, durch den die Wandlung bzw. Minderung vollzogen wird. Vgl. dazu Larenz, SchR BT II/1, S. 55 f., Münch - Komm - H.P. Westermann, § 462 Rz. 6. lJ Vgl. dazu Staudinger-Honsell, § 472 Rz. 3.
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Rechnung, daß die numerische Herabsetzung des Kaufpreises nicht in jedem Falle die Einbuße auszugleichen vennag, welche die Wertwelt des Käufers durch den Fehler der Kaufsache erleidet. Gerade beim Stückkaufkannja von der Individualität der Kaufsache, die auf der ganz bestimmten bei Vertragsschluß vorhandenen Beschaffenheitsvorstellung beruht, aus Sicht des Käufers der gesamte Sinn des Geschäfts abhängen. Für den Käufer, der gerade einen echten Rembrandt fiir zwei Millionen DM erwerben wollte, mag der Erwerb der Rembrandt-Kopie fiir 20.000,DM gänzlich uninteressant sein, auch wenn das Wertverhältnis von Original und Kopie sich auf 100:1 belaufen mag. Würde das Recht dem Käufer allein den Rechtsbehelf der Minderung zur Verfiigung stellen, so würde es also wohl verkennen, daß gerade der Erwerb einer Speziessache fiir den Käufer den Sinn einer sehr subjektiven, kaum in Geld zu messenden Bereicherung seiner Wertwelt haben kann. Schlägt eine solch subjektive Bereicherung wegen des Fehlers der Kaufsache fehl, so kann die teilweise Rückgewähr des Kaufpreises infolge Minderung dies nur unzureichend ausgleichen. Hier erscheint es dann in der Tat sinnvoll, es dem Käufer zu ermöglichen, sich fiir die vollständige Rückabwicklung des in seinen Augen sinnlos gewordenen Kaufvertrags zu entscheiden, indem er die Wandlung wählt. Die Härte, die darin fiir den Verkäufer liegen mag, erscheint insoweit vertretbar, als der Umfang seiner Haftung begrenzt bleibt: Mehr als die vollständige Rückzahlung des empfangenen Kaufpreises schuldet er - einmal abgesehen vom Ersatz der Vertragskosten nach § 467 S. 2 - nicht, wenn sich die Kaufsache als fehlerhaft erweist. d) Das Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft
Unsere bisherigen Überlegungen beziehen sich auf die Gewährleistung des Verkäufers fiir Fehler der Kaufsache im Sinne des § 459 I. Im folgenden wollen wir versuchen, auch die weitergehende Haftung des Verkäufers fiir das Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft in diese Betrachtung einzubeziehen, wobei wir uns auf eine knappe Skizze beschränken. Als zugesichert betrachtet man eine Eigenschaft, wenn der Verkäufer die Gewähr fiir ihr Vorhandensein dergestalt übernimmt, daß er verspricht, fiir die nachteiligen Folgen ihres Fehlens haften zu wollen. Die Annahme eines derartigen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillens des Verkäufers erscheint uns nun allerdings häufig zweifelhaft. Läßt sich der Käufer das Vorhandensein einer bestimmten Eigenschaft zusichern, so wird das in der Regel darauf beruhen, daß er an deren Vorhandensein zweifolt. Charakteristisch fiir eine Eigenschaftszusicherung scheint uns demgemäß zu sein, daß die Parteien, soweit es um die betreffende Eigenschaft geht, anstelle einer sinngemäßen Maßstabsabrede eine psychologisch bewußte Maßstabsabrede treffen. Demzufolge wird ihnen dann auch bei
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4. Teil: Sachmängelgewährleistung als Synthese
Vertragsschluß bewußt sein, daß ein Fehlen der zugesicherten Eigenschaft Folgen nach sich ziehen muß. Die Parteien sind sich gleichsam einig, daß "es ernst wird", wenn die betreffende Sacheigenschaft in Wirklichkeit fehlt. Die höhere psychologische Intensität dieser in der· bewußten Maßstabsabrede implizit enthaltenen bewußten Folgenabrede bedeutet aber nicht, daß den Vertragspartnern die juristisch spezifizierten Rechtsfolgen, die sich an das Fehlen der zugesicherten Eigenschaft knüpfen, bei Vertragsschluß im einzelnen vor Augen stünden. Welche konkreten Folgen sich ergeben, wenn diese Eigenschaft fehlt, werden die Parteien auch hier zumeist nicht im einzelnen wissen. Das Recht findet demnach in bezog auf die zugesicherten Eigenschaften eine vertragliche Folgenabrede vor, die im Vergleich zur sinngemäßen Folgenabrede psychologisch intensiver, aber inhaltlich wohl in der Regel ähnlich unscharf ist. Es ist erst das Recht, welches die höhere psychologische Intensität dieser bewußten Folgenabrede gleichsam in konkrete Rechtsfolgen übersetzt, indem es das Wahlrecht des Käufers zwischen Wandlung und Minderung in § 463 S. I um das Recht zur Wahl von Schadensersatz wegen Nichterfiillung als dritte Komponente erweitert. Die Fälle des Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft lassen sich insoweit verhältnismäßig zwanglos in unser Verständnis der Sachmängelgewährleistung beim Spezieskauf als einer Synthese privatautonomer und rechtlicher Konfliktsentscheidung einfiigen.
Schlußbemerlrung
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Schlußbemerkung Die Schwierigkeit, auf der Grundlage der als psychologisches Gesetz verstandenen strengen Trennung von Motiv und Verpflichtungswille die Sachrnängelhaftung des Verkäufers beim Stückkauf überzeugend zu begründen, war Ausgangspunkt unserer Überlegungen zum Verhältnis von Freiheit und Recht im Rechtsgeschäft. Dabei haben wir der Auffassung des rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillens einerseits und der Motive andererseits als Gegebenheiten von ontologischem Anspruch, die durch eine kategoriale Kluft voneinander geschieden sind, eine Absage erteilt. An ihre Stelle tritt eine mehr prozeßhafte Deutung des rechtsgeschäftlichen Willens, der fiir uns in erster Linie Vertragswille ist. Er entwickelt sich vom "ursprünglichen natürlichen Habenwollen" über dessen prinzipielle moralische Läuterung in Gestalt des Schä1zens und den Prozeß des Aushandelns bis hin zum lebensweltlichen Austauschkonsens, in dem beide Partner des gegenseitigen Austauschvertrags die moralischen Prinzipien des Vertragsbereichs, insbesondere die Trennung von Motiv und Geschäftsinhalt und das Prinzip der Reziprozität der Leistungen, zur konkreten Regelung ihres Verhältnisses ausformen, die beiden angemessen erscheint. Diese prozeßhafte Deutung der Genese des rechtsgeschäftlichen Willens scheint uns nicht nur in weitem Umfang mit der Wirklichkeit des lebensweltlichen Willens übereinzustimmen. Sie fUhrt vor allem die Ambivalenz der Freiheit, die sich im gegenseitigen Vertrag verwirklicht, deutlicher vor Augen als es ein Rechtsgeschäftsverstäruins vermag, dessen Kerngedanke der strenge Dualismus von Motiv und Verpflichtungswille ist. Ebenso wie der Dichotomie von Motiv und Verpflichtungswille stehen wir auch der kategorialen Unterscheidung von rechtsgeschäftlichen und gesetzlichen Rechtsfolgen skeptisch gegenüber. Beide Bereiche scheinen uns weniger durch eine unüberwindliche Kluft voneinander getrennt als vielmehr durch das Überwiegen des einen oder des anderen Elements gekennzeichnet zu sein. So zeigt insbesondere das Beispiel des Barkaufs des täglichen Lebens, den das Recht als Abschluß eines Verpflichtungsvertrags und zweier Erfiillungsverträge interpretiert, in welch hohem Maße selbst die rechtsgeschäftlichen Hauptleistungspflichten das Ergebnis einer bestimmten juristischen Deutung des lebensweltlichen Geschehens sein können. Auf der anderen Seite dürften unsere Überlegungen zur Sachrnängelgewährleistung beim Stückkauf verdeutlicht haben, daß die Auffassung der §§ 459 ff. als dispositivrechtliche und damit gesetzliche Regelung dem Charakter dieser Vorschriften vielleicht nicht ganz gerecht wird. Es handelt sich der Sache nach eher um eine Synthese privatautonomer und rechtlicher Regelung, in der beide Ebenen aufs engste miteinander verzahnt sind.
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Dichotomie von Motiv l.U1d Verpflichtungswille 15,84,203 f, 215 dispositives Recht 148, 181, 184 f, 192, 215 Erftlllungstheorie 61-82 Erklärungshandlmg 18, 117 essentialia negotii 57-59 Fehlerbegriff - objektiver 27-29,202,206 - subjektiver 27-29,202 Freiheit - bürgerliche Freiheit 88-90,107-109, 130,141,150,160,172,188,191, 200f - ErlöSl.ll1gsfreiheit im Christentum 86, 86,91,95,188 - moralische Freiheit 16, 91,100,107 f, 126 f, 129 f, 143, 146, 156 f, 166, 168, 188, 195f,2oof - natürliche Freiheit 16, 87, 90, 99-101, 107, 116, 126 f, 129 f, 134 f, 141, 134 f, 141, 143, 146, 150, 152 f, 164, 188,193-1% - religionsphilosphischer Freiheitsbegriff Kants%f - Wahlfreiheit zwischen Gut l.U1d Böse 86,89,95-97,100,165,188 - Freiheit der Willkür 94-97
caveat emptor 206
Garantie 44 Gattungskauf61,175 Gegenstandsvorstellmg 42, 45, 47 f,
Deutungsspielraum des Rechts 76, 178187,205-214
Geschäftsgnmdlage
5H
220 - objektive 30-32, 35-40, 83 - subjektive 30-35, 40, 83 Gesetzesgerechtigkeit 86 (, 89, 98 Glaubensgerechtigkeit 86 (, 98 Habenwollen eines Gegenstandes 164-166,172,189-191,193-195 Handhmgsreihe, eIWeiterte 111-117, 189 Herstellung vereinbarter Eigenschaften 50-52,62,65,72-75,78-82 Herstellungstheorie 211 Identität des Leistungsobjekts 46, 48, 66 Individualismus 117-120, 130 (,137, 189( iustwn pretitun 176(,202,212 Kategorischer Imperativ 91 (,98,143 Kausalität,juristische 124-126, 131 Konfliktsentscheidung - privatautonome 176-185,205 ( - rechtliche 92, 120, 124 (, 174, 176 ( 180,204
Konsens - Konsensmodell der Rechtswissenschaft 160-162 -lebensweltlicher Austauschkonsens 173,176-187,191,200-205 - und Vertragsmechanismus 133 (, 146150,169-173 Kreditkauf 173-175 I..eistungspflicht bezüglich vereinbarter Eigenschaften 49 (, 52, 54, 71-83, 208 ( Liberalismus 110, 129, 131, 189 Machtstreben 87, 90,101,123
Sachregister Machtungleichgewicht der Vertragsparteien 137-139 Maßstabs- und Folgenabrede 202-214 Minderung 209-214 modifizierte Vertragstheorie 211 f Motiv 114-123, 152,203 Motivirrtmn 18-22,29,82 f, 116, 118, 123, 189 - beiderseitiger 30-35, 40,83 Nachbessenmgspflicht des Verkäufers 72-82,209 naturalia negotii 57-59 natürliche Gesetze 88 f, 101 natürliche Vernunft 88 (, 100 Nichtigkeit des SpezieskaufVertrags nach § 30668-71 Objektiver Vertragszweck 30-32, 35-40 Objektsindividualisierung 19,42 (, 61 pacta sunt servanda 103, 122 (, 144, 146, 170, 181 Perplexität der kaufVertraglichen Willenserklänmg 63-68 Pflichtbegriff77 ( Prinzipien der Moral 94, 102, 106, 122 (, 144,167(,170,190 f Privatautonomie 16,56-61,117,138, 150,177-188 Prozeßcharakter des Vertrags 134, 146 (, 149,167-169,197-199 Rechtsfolgeabsicht 18,42 f, 48-50,53 (, 118-120,131 Rechtsgeschäftsbegriff52-61, 84,110, 117-123,128 f, 215 Rechtspflichten 106, 125, 147-149
Sachregister relative Methode 212 Richtigkeit von Rechtsfolgen 132-139 Schätzen 151, 165 f, 195 f Schrankenmodell der Freiheit und des Rechts 90,99,108, 140-150, 190 Selbsterhaltungstrieb 87, 90,111,115 f, 119, 122, 129 f, 134 f, 152 f, 193 f Subjektives Recht 106 f Synthesecharakter der Saclunänge1gewähr1eistung 17,211-215 Tatbestand des Spezieskaufvertrags 44 f, 52 f, 60, 81-84 Trennung von Motiv und Geschäftswille 120-123, 127, 130, 144-147, 167, 170, 181,189 f Trennungsprinzip 174-176, 186 Unmöglichkeit 68-70,77, 184 f, 208
221 Verfahrensfiihigkeit des Willens 134139,167-173 Verkehrsschutz 174 f, 181, 187 Verpflichtungswille 48-52, 61 f, 162, 173-176,182-184,186,204 Vertragsmechanismus 133-150 Vertragstheorie bei der Wandlung 210 Vertrauensschaden des Anfechtungsgegners26 Verwendungszweckvereinbarung 36 f, 40 f, 83 Wandlung 39, 209-214 Wertlehre Willielrn Schapps 154-157 WillensbegrifI 111-117, 193 Willenserklänmg 53, 63~8, 117
zugesicherte Eigenschaft 213 f Zwang des Rechts 95 f, 105 f, 124 f, 142,147-150, 180 f, 188 Zweife147f, 182, 1%,213